Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

21.11.2024

Geschäftszahl

W250 2253159-1

Spruch


W250 2253162-1/ 27E
W250 2253158-1/ 27E
W250 2253157-1/ 27E
W250 2253159-1/ 27E
W250 2253161-1/ 27E
Im Namen der Republik!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) römisch 40 , geb. römisch 40 , 2.) mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , 3.) mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , 4.) mj. römisch 40 , geb. römisch 40 und 5.) mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , alle StA. Syrien und vertreten durch den Verein SUARA, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.02.2022, Zl. 1.) römisch 40 , 2.) römisch 40 , 3.) römisch 40 , 4.) römisch 40 , 5.) römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

römisch eins. Den Beschwerden wird stattgegeben und es wird römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins und 4 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

römisch 40 und römisch 40 , wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins und 4 AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

römisch II. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer 1 bis 5 (im Folgenden BF1 bis BF5) reisten als Familienverband in das Bundesgebiet ein, die BF1 ist die Mutter der minderjährigen BF2 bis BF5. Die BF1 bis BF5 stellten am 31.08.2021 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbefragung der BF1 fand am 01.09.2021 statt, dabei gab sie an, Syrien mit ihren Kindern wegen des Krieges verlassen zu haben (BF1 AS 11ff.). Am 15.10.2021 wurde die BF1 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden belangte Behörde oder BFA) niederschriftlich einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, sie habe Syrien aufgrund des Krieges verlassen und weil sie Angst habe, dass ihr ältester Sohn, der BF2, zwangsrekrutiert werde (BF1 AS 45ff.). Die BF1 legte das Familienbuch im Original, eine Identifizierungskarte für Staatenlose, einen Auszug aus dem Eheregister, sowie einen Impfpass vor (AS 46).

2. Mit Bescheiden des Bundesamtes vom 03.02.2022 wurden die Asylanträge der BF1 bis BF5 vom 31.08.2021 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.), den BF der Status der Subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Das Bundesamt stellte fest, die Beschwerdeführer hätten Syrien wegen des Bürgerkrieges verlassen, die BF1 habe keine Gründe geltend gemacht, welche eine konkret gegen ihre Person gerichtete Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ableiten ließe (BF1 AS 127, Seite 72 des angefochtenen Bescheides).

3. Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieser Bescheide erhoben die BF1 bis BF5 mit Schreiben vom 07.03.2022 Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, die BF1 befürchte im Falle einer Rückkehr als Staatenlose und Angehörige der Volksgruppe der Kurdinnen sowie der sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen und aufgrund der ihr unterstellten regimekritischen Gesinnung, durch die illegale Ausreise und Familienangehörigkeit zu Wehrdienstverweigerern, verfolgt zu werden. Sowohl ihr als auch ihren Söhnen drohe von kurdischer Seite, und ihren Söhnen auch von syrischer Seite, der Einzug zum Militärdienst (BF1 AS 145, Seite 3ff. der Beschwerde).

4. Eine weitere Tochter der BF1, in weiterer Folge als Sechstbeschwerdeführerin (BF6) bezeichnet, reiste nach ihrer Familie in das Bundesgebiet ein und stellte am 03.07.2022 für sich und ihren minderjährigen Sohn einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (BF6 AS 13). Die Erstbefragung der BF6 fand am 04.07.2022 statt, dabei gab sie an, sie habe Syrien wegen des Krieges verlassen und befürchte den Tod für sich und ihren Sohn (BF6 AS 1ff.). Am 11.11.2022 wurde die BF6 vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, sie habe Syrien aufgrund des Krieges verlassen, da die Herkunftsregion ständig vom türkischen Militär bombardiert worden sei und ihr Leben und das ihres Kindes in Gefahr gewesen sei (BF6 AS 37ff.). Die BF6 legte ihr Familienbuch vor (AS 47ff.). Mit Bescheid des Bundesamtes vom 29.04.2023 wurde der Asylantrag der BF6 hinsichtlich des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.), der BF6 der Status der Subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides erhob die BF6 mit Schreiben vom 07.06.2023 Beschwerde.

5. Das Bundesamt legte die Beschwerden der BF1 bis BF5 samt Bezug habenden Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht am 15.03.2022 vor. Das Bundesamt legte die Beschwerde der BF6 samt Bezug habenden Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht am 12.06.2023 vor.

6. Mit Fristsetzungsantrag vom 04.09.2023 an den VwGH gemäß Artikel 133, Absatz 11, Ziffer 2, B-VG brachten die BF1 bis BF5 eine Verletzung im Recht auf Entscheidung vor und beantragten, der VwGH möge dem säumigen Verwaltungsgericht eine Frist zur Entscheidung setzen und den Beschwerdeführern Kostenersatz zusprechen.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 02.10.2023 in Anwesenheit der BF1, des BF2, der BF6, des Rechtsvertreters der BF1 bis BF5, der Rechtsvertreterin der BF6, und eines Dolmetschers für die kurdische Sprache, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. In der Verhandlung wurde die BF1, der BF2 und die BF6 zu ihren Fluchtgründen, zur Herkunft und den persönlichen Lebensumständen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat befragt. Die BF1 legte die Kopie des Reisepasses ihres Bruders, der in Österreich asylberechtigt ist vor, welche als Beilage ./A der Niederschrift angeschlossen wurde.

Unmittelbar nach Schluss der Verhandlung wurde das Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet.

8. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte am 02.10.2023 dem Bundesamt das Verhandlungsprotokoll und legte am 04.10.2023 dem Verwaltungsgerichtshof die Fristsetzungsanträge mitsamt der Verhandlungsniederschrift und der mündlichen Verkündung der Entscheidung vom 02.10.2023 vor.

9. Am 10.10.2023 stellte das Bundesamt einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses vom 02.10.2023 (OZ/10 in 2253162-1).

10. Das mündlich verkündete Erkenntnis vom 02.10.2023 wurde vom Bundesverwaltungsgericht am 20.11.2023 schriftlich ausgefertigt (W250 2253162-1/12E ua). Damit wurde dem BF2 aufgrund drohender Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime und die kurdische YPG, der Status des Asylberechtigten zuerkannt und seiner Mutter, der BF1, und seinen Geschwistern, den BF3 bis BF5, der Status der Asylberechtigten abgeleitet zuerkannt (Spruchpunkte römisch eins. A) römisch eins. und römisch II.). Der BF6 wurde als volljähriger Schwester des BF2 und Tochter der BF1, aufgrund der Familienzugehörigkeit zu ihrem Ehemann, einem Wehrdienstverweigerer, und weil sie bei einer Rückkehr als alleinstehende junge Frau und Mutter anzusehen wäre, der Status der Asylberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II. A).

11. Das BFA erhob mit Schreiben vom 01.12.2024 außerordentliche Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.10.2023, schriftlich ausgefertigt am 20.11.2023, an den Verwaltungsgerichtshof (im Folgenden VwGH). Das BFA erhob Revision gegen die Spruchpunkte römisch eins. A) römisch eins. und römisch II. des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit. Spruchpunkt römisch II. A) des angefochtenen Erkenntnisses, mit dem der älteren Schwester des BF2, der BF6, gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, blieb von der Revision unberührt. Dieser Spruchpunkt ist somit in Rechtskraft erwachsen.

In der Revision wurde im Wesentlichen vorgebracht, das BVwG begründe die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus maßgeblich mit der Wehrpflicht, die bei dem BF2 sowohl in Gebieten, die vom syrischen Regime kontrolliert werden als auch in Gebieten unter kurdischer Kontrolle erst in zwei Jahren eintrete, weshalb das angefochtene Erkenntnis rechtswidrig sei. Zudem lägen individuelle auf den BF2 bezogene Gründe, auf Grund derer davon auszugehen sei dieser wäre, weil er den Wehrdienst nicht abgeleistet habe, in Syrien aus einem in der GFK genannten Grund verfolgt, nicht vor. Die vom BVwG getroffenen Feststellungen würden keine abschließende Aussage zulassen, ob der BF2 das von der Rekrutierung von Minderjährigen als Kindersoldaten betroffene Risikoprofil erfülle und inwiefern ein Konnex zu einem in der GFK aufgezählten Gründe herstellbar sei. Diese Rechtswidrigkeit schlage sich auf die BF1 und BF3 bis BF5 durch, denen der Status der Asylberechtigten abgeleitet von dem BF2 gemäß Paragraph 34, Absatz 2, AsylG zuerkannt wurde (OZ/14 in 2253162-1).

12. Mit Beschluss des VwGH vom 21.11.2023 wurden die Fristsetzungsanträge der Beschwerdeführer als gegenstandslos geworden erklärt und die Verfahren eingestellt (OZ/16 in 2253162-1).

13. Die Beschwerdeführer erstatteten nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof eine Revisionsbeantwortung und beantragten die Zurückweisung, in eventu nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die Abweisung der Revision sowie Kostenersatz.

14. Mit Entscheidung vom 27.05.2024 zu Ra 2023/18/0495 gab der VwGH der Amtsrevision statt und hob das am 02.10.2023 mündlich verkündete und am 20.11.2023 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des BVwG zu W250 2253162-1/12E ua im angefochtenen Umfang (Spruchpunkt römisch eins.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf (OZ/20 in 2253162-1). Der BF2 sei im Entscheidungszeitpunkt 15 Jahre und neun Monate alt und es sei nicht nachvollziehbar, weshalb dieser bei einer Rückkehr bereits zu befürchten habe, zum Militärdienst für das syrische Regime eingezogen zu werden. Ebenso wenig seien spezifische, in der Person des BF2 gelegene, Umstände erkennbar, um eine aktuelle Verfolgungsgefahr im Zusammenhang mit der kurdischen „Selbstverteidigungspflicht“ etwas mehr als zwei Jahre vor dem Erreichen der maßgeblichen Altersgrenze von 18 Jahren zu begründen. Da das Erkenntnis im angefochtenen Umfang (Spruchpunkt römisch eins.) aufgehoben wurde, ist Spruchpunkt römisch II. betreffend die BF6 (W250 2273319-1) in Rechtskraft erwachsen und ihr wurde mit Erkenntnis des BVwG zu W250 2253162-1/12E am 02.10.2023 mündlich verkündet und am 20.11.2023 schriftlich ausgefertigt, rechtskräftig der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

15. Die Akten wurden am 13.06.2024 vom VwGH an das BVwG rückübermittelt (OZ/21 in 2253162-1).

16. Mit Schreiben vom 17.10.2024 langte die Auflösung der Vollmacht durch den bisherigen Rechtsvertreter ein (OZ/24 in 2253162-1). Am selben Tag langte die Vollmacht des im Spruch genannten Rechtsvertreters ein (OZ/26 in 2253162-1).

17. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.10.2024 in Anwesenheit der BF1 und des BF2, des Rechtsvertreters der BF1 bis BF5 und eines Dolmetschers für die kurdische Sprache, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. In der Verhandlung wurde die BF1 zu ihren Fluchtgründen, zur Herkunft und den persönlichen Lebensumständen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat befragt. Die BF1 legte die Vertretungsvollmacht für den nunmehr ausgewiesenen Rechtsvertreter (Beilage ./A der Niederschrift), ein Scheidungsurteil im Original, in arabischer Sprache vom 25.09.2024 samt beglaubigter Übersetzung ins Deutsche vom 16.10.2024 (Kopie als Beilage ./B der Niederschrift), die gekürzte Ausfertigung eines laut Regierungsvorlage ähnlichen Erkenntnisses des BVwG (Beilage ./C der Niederschrift), sowie ihre Geburtsurkunde im Original vor (Beilage ./D der Niederschrift).

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF:

Die Erstbeschwerdeführerin (BF1 W250 2253162-1) führt den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 . Sie ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers (BF2 W250 2253158-1), der den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 , führt, des Drittbeschwerdeführers (BF3 W250 2253157-1), der den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 , führt, des Viertbeschwerdeführers (BF4 W250 2253159-1), der den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 , führt, sowie der Fünftbeschwerdeführerin (BF5 W250 2253161-1), die den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 , führt.

Weiters ist sie die Mutter der Sechstbeschwerdeführerin (BF6 W250 2273319-1), die den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 , führt und der mit Erkenntnis W250 2253162-1/12E (02.10.2023 mündlich verkündet und am 20.11.2023 schriftlich ausgefertigt) der Status der Asylberechtigten rechtskräftig zuerkannt wurde.

Die Beschwerdeführer sind syrische Staatsangehöriger und Angehörige der Volksgruppe der Kurden, ihre Muttersprache ist Kurdisch. Die Beschwerdeführer bekennen sich zum sunnitisch muslimischen Glauben vergleiche AS 11, AS 49, Seite 7f. des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023 sowie Seite 4f. und 9 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024).

Die BF1 wurde in römisch 40 geboren, sie besuchte fünf Jahre lang die Grundschule, hat keine Berufsausbildung, hat nie erwerbstätig gearbeitet und war zuletzt Hausfrau. Sie ist Analphabetin.

Das Herkunftsgebiet der Beschwerdeführer ist die Großstadt römisch 40 , genauer der Stadtteil römisch 40 (auch bezeichnet als römisch 40 oder römisch 40 ) im westlichen Teil der Stadt römisch 40 vergleiche AS 15, sowie Seite 7 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023). römisch 40 liegt im Nordosten Syriens im Governement al-Hasaka, an der Grenze zur Türkei und befindet sich aktuell unter kurdischer Kontrolle. Das syrische Regime ist in der Region im Zentrum sowie in einigen Enklaven im Süden der Stadt römisch 40 präsent. Der Stadtteil römisch 40 befindet sich westlich des Zentrums von römisch 40 und nördlich des Flughafens römisch 40 und liegt in keinem Sicherheitsquadrat des syrischen Regimes.

Die BF2 bis BF5 sind nicht verheiratet und haben keine Kinder.

Die BF1 ist gesund.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Die BF1 bis BF5 reisten gemeinsam im Sommer 2021 illegal aus Syrien aus. Alle BF hielten sich zuletzt in ihrem Herkunftsort römisch 40 auf vergleiche AS 11, AS 45f.).

1.2. Zu den Fluchtgründen der Erstbeschwerdeführerin:

Die BF1 ist eine geschiedene, alleinstehende und alleinerziehende Frau.

Sie und ihr Ex-Ehemann ließen sich am 07.05.2024, bestätigt durch das Urteil des Scharia-Gerichts in römisch 40 vom 25.09.2024, scheiden vergleiche das in der mündlichen Verhandlung am 18.10.2024 vorgelegte Scheidungsurteil im Original, in arabischer Sprache vom 25.09.2024 samt beglaubigter Übersetzung ins Deutsche vom 16.10.2024 Kopie als Beilage ./B der Niederschrift).

Die BF1 war verheiratet mit römisch 40 und hat mit ihm fünf Kinder (die BF2 bis BF6). Der Ex-Ehemann der BF1 hält sich in der Türkei auf und hat nach der BF1 eine neue Frau geheiratet, mit der er zwei weitere Töchter hat. Die BF1 hat seit der Scheidung nicht erneut geheiratet. Die BF1 ist Mutter einer volljährigen Tochter, derBF6, und hat vier minderjährige Kinder (BF2 bis BF5), von welchen das jüngste vier Jahre alt ist vergleiche AS 11, AS 15, 49f., Seite 7 und 8 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023 sowie Seite 7 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024).

Die Eltern sowie ein Bruder und drei Schwestern der BF1 halten sich in der Türkei auf. Sie hat eine Schwester und einen Bruder in Österreich sowie eine weitere Schwester, die als Asylberechtigte in den Niederlanden lebt. Ein weiterer Bruder der BF1 hält sich im Irak auf vergleiche AS 15, AS 49, Seite 7 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024). Die Beschwerdeführer verfügen über keine Familienangehörigen in Syrien, sowohl die Eltern als auch die Geschwister und der Ex-Ehemann der BF1 halten sich in der Türkei auf vergleiche Seite 7 und 8 sowie 12 und 13 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023 sowie Seite 7 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024).

Die BF1 kann weder von ihrem Ex-Ehemann in der Türkei noch von ihren Eltern oder Geschwistern bei einer Rückkehr nach Syrien finanziell unterstützt werden. Sie würde ohne ihren Ex-Ehemann nach Syrien zurückkehren. Ihr kommt im Fall der Rückkehr keine Unterstützung ihrer (männlichen) Familienmitglieder zu und sie hat in ihrer Herkunftsregion keine (männlichen) Angehörigen mehr vergleiche AS 49, Seite 8 sowie 12 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023). Die BF1 hat kein Haus in das sie zurückkehren und mit ihren Kindern wohnen könnte vergleiche Seite 8 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024).

Die BF1 würde bei einer Rückkehr im Alter von 39 Jahren mit ihren vier minderjährigen Kindern in das kurdische Herkunftsgebiet in römisch 40 zurückkehren. Die BF1 ist Analphabetin, hat nur fünf Jahre lang die Schule besucht und nie gearbeitet, sie hat keinerlei Berufsausbildung und keine familiäre Unterstützung vergleiche AS 11, AS 15, 49f., Seite 7, 8, 12, 13 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023 sowie Seite 7f. des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024).

Der BF1 droht bei einer Rückkehr in ihr kurdisches Herkunftsgebiet römisch 40 als geschiedene, alleinstehende und alleinerziehende Frau mit vier minderjährigen Kindern, asylrelevante Verfolgung.

Zur fallrelevanten Lage in Syrien wird festgestellt, dass alleinstehende Frauen in Syrien aufgrund des Konflikts einem besonderen Risiko von Gewalt und Belästigung ausgesetzt sind. Das Ausmaß des Risikos hängt vom sozialen Status und der Stellung der Frau oder ihrer Familie ab. Die gesellschaftliche Akzeptanz alleinstehender Frauen ist jedoch nicht mit europäischen Standards zu vergleichen. Armut, Vertreibung, das Führen eines Haushalts oder ein junges Alter ohne elterliche Aufsicht, bringen Frauen und Mädchen in eine Position geringerer Macht und erhöhen daher das Risiko der sexuellen Ausbeutung. Geschiedene wurden als besonders gefährdet eingestuft vergleiche römisch II.1.4.3.).

Die BF1 würde in Syrien keinen Schutz für sich und ihre Kinder vor sexuellen Übergriffen erhalten (römisch II.1.4.3.3. LIB Frauen). Auch in einem Witwenlager ist die Gefahr von sexuellen Übergriffen gegeben, zudem ist nicht gesichert, dass die BF1 mit ihren Kindern in ein solches Lager sicher gelangen könnte. Mitglieder der SDF haben auch in den von ihnen geleiteten und verwalteten Haftzentren und Lagern sexuelle Gewalt ausgeübt (römisch II.1.4.5. EUAA Country Guidance). Geschiedene sind demzufolge mit einem besonderen Risiko von sexueller Gewalt, Missbrauch, Zwangsverheiratung, Bewegungseinschränkungen im Alltag oder Ausbeutung konfrontiert (römisch II.1.4.5. EUAA Country Guidance). Für die BF1 wäre es, aufgrund der in der Gesellschaft vorherrschenden Traditionen als geschiedene Frau nicht erlaubt, allein das Haus zu verlassen. Aus den Länderinformationen geht hervor, dass öffentliche Räume wie Kontrollpunkte, Märkte oder Straßen potenzielle Risiken für Frauen bergen, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Zudem sind geschiedene Frauen mit einem sozialen Stigma konfrontiert, welches zu sozialer Isolation, Ablehnung von Arbeitsplätzen und Verstoßung durch deren Familien, bis hin zu „Ehrenmorden“, führen kann (römisch II.1.4.3. LIB Frauen). Witwen und geschiedene Frauen und Mädchen können als eine Unterkategorie der von Frauen geführten Haushalte angesehen werden, die in der syrischen Gesellschaft stark stigmatisiert ist (römisch II.1.4.5. EUAA Country Guidance).

Frauen, die in ihrer (erweiterten) Familie keine männliche Unterstützung erhalten, einschließlich alleinstehender Frauen, Witwen und geschiedener Frauen, werden oft von ihren Familien und Gemeinschaften stigmatisiert und sind Berichten zufolge besonders gefährdet, Opfer von Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel zu werden. UNHCR ist der Auffassung, dass Frauen und Mädchen ohne echte familiäre Unterstützung, einschließlich Witwen und geschiedener Frauen, wahrscheinlich internationalen Schutz benötigen, je nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder ihrer Religion (römisch II.1.4.4. UNHCR Erwägungen).

Als geschiedene Frau und Mutter von vier minderjährigen Kindern ohne sozialen Schutz, formale Bildung und wirtschaftliche Absicherung ist die BF1 in besonderem Maße vulnerabel.

Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass der BF1 in ihrer individuellen Situation auch im kurdischen Herkunftsgebiet Gefahr als 39-jährige, alleinstehende, geschiedene und alleinerziehende Mutter droht. Der Nordosten Syriens wird im Allgemeinen immer noch als ländliche und stammesgebundene Gesellschaft angesehen, in der die Rolle der Frauen auf die Arbeit im Haus oder innerhalb von Verwaltungseinrichtungen beschränkt ist. In Gebieten mit arabischer Mehrheitsbevölkerung, die als konservativer gelten und wo Stammesstrukturen noch stark verwurzelt sind, ist es für die kurdischen Behörden schwerer, Gleichberechtigungsmaßnahmen ohne Widerstand durchzusetzen. Im kurdischen Herkunftsgebiet der BF1 geht die Gefahr ihr gegenüber bei einer Rückkehr vor allem von der dort lebenden Gesellschaft aus, die trotz der für Frauenrechte werbenden kurdischen Partei, nach wie vor eher traditionell konservativ gestimmt ist. Generell wurde geschlechtsspezifische Gewalt, wie sexuelle Gewalt, häusliche und familiäre Gewalt, Kinderehen und Ehrenmorde, aus allen Teilen Syriens gemeldet, auch aus den von den SDF kontrollierten Regionen vergleiche römisch II.1.4.3.4.).

Als Frau, welche über keine männliche Unterstützung und sozialen Schutz in Syrien verfügt, wäre die BF1 dem realen Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Konkret läuft sie Gefahr, Opfer von (sexuellem) Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel zu werden. Der syrische Staat ist weder willens noch in der Lage, sie vor einer derartigen Gefährdung zu schützen. Frauen sind aufgrund des autoritären politischen Systems und der patriarchalischen Werte in der syrischen Gesellschaft sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Häuser geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Trotz formeller gesetzlicher Gleichstellung zwischen Männern und Frauen unterliegen Frauen in Syrien insbesondere bezüglich Heirat, Scheidung und Erbschaft weiterhin Diskriminierung.

Im Allgemeinen besteht in Haushalten mit weiblichem Haushaltsvorstand ein höheres Risiko, sexueller Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt zu sein. Des Weiteren bergen öffentliche Räume wie beispielsweise Kontrollpunkte, Märkte und Straßen besondere Risiken für Frauen, sexuelle Gewalt zu erfahren. Geschiedene werden dabei als besonders gefährdet eingestuft. Seit Beginn des Krieges ist es fast undenkbar geworden, als Frau allein zu leben, weil eine Frau ohne familiären Rückhalt keinem sozialen Schutz untersteht.

Die BF1 ist als Angehörige der sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen zu sehen. Die BF1 würde als geschiedene Frau zurückkehren. Dieses Merkmal ist so bedeutsam für die Identität, dass die BF1 nicht gezwungen werden sollte, beispielsweise durch eine Zwangsheirat darauf zu verzichten.

Da die BF1 geschieden ist und ohne ihren Ex-Ehemann sowie ohne die Unterstützung und den Schutz anderer männlicher Familienangehörige als Haushaltsvorstand mit vier minderjährigen Kindern zurückkehren müsste, ist die Voraussetzung der sozialen Wahrnehmung als andersartig gegeben. Die BF1 hat in Syrien eine deutlich abgegrenzte Identität, da sie als geschiedene, alleinstehende und alleinerziehende Mutter, von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Zudem ist der kausale Zusammenhang mit der Verfolgung gegeben. Der Umgang mit geschiedenen Frauen ohne männliche Familienangehörige, die als Haushaltsvorstand und Mutter von vier minderjährigen Kindern in Syrien leben, gehen über bloße diskriminierende Maßnahmen hinaus und stellen entsprechend den Länderinformationen in ihrer Gesamtheit eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen dar. Würde die BF1 nicht als geschiedene Frau ohne männliche Familienmitglieder zurückkehren, würde sie nicht verfolgt werden. Gleichzeitig definiert sich die soziale Gruppe der alleinstehenden Frauen aber nicht ausschließlich dadurch, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist, sondern vielmehr dadurch, dass sie ohne einen Ehemann oder anderen männlichen Familienangehörigen in der traditionellen syrischen Gesellschaft als andersartig erachtet wird.

Bei einer Rückkehr nach Syrien läuft die BF1 somit Gefahr, Gewalthandlungen, erheblichen Eingriffen in ihre Unversehrtheit und/oder gravierenden Bedrohungen durch das syrische Regime und/oder durch die (syrische und kurdische) Gesellschaft ausgesetzt zu sein.

Aus diesem Grund war nicht mehr auf das weitere Fluchtvorbringen der BF1 (mehrere ihrer Familienmitglieder hätten sich durch ihre Ausreise aus Syrien einer Einziehung zum Militärdienst bei der kurdischen YPG und der syrischen Armee entzogen) einzugehen.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Zweitbeschwerdeführers:

Auf die vom BF2 im Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe war gegenständlich nicht mehr einzugehen, da dem BF2 als minderjährigem und ledigen Sohn der BF1 bereits im Familienverfahren der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Im Verfahren wurden folgende Quellen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer herangezogen:

●             Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien aus dem COI-CMS, Version 11 vom 27.03.2024

●             Die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen - 6. aktualisierte Fassung, März 2021

●             Die EUAA Country Guidance zu Syrien vom April 2024

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 11 vom 27.03.2024, wiedergegeben:

1.4.1. Politische Lage

„Letzte Änderung 2024-03-08

Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).

(…) Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).

(…)“

1.4.1.1. Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien

„Letzte Änderung 2024-03-08 11:12

2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine 'zweite Front' in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrîn, 'Ain al-'Arab (Kobanê) und die Jazira/Cizîrê von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017).

Im November 2013 - etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition - rief die PYD die sogenannte Demokratische Selbstverwaltung (DSA) in den Kantonen Afrîn, Kobanê und Cizîrê aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für "Westen" (Rojava) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) (SWP 7.2018). Die von den USA unterstützten SDF (TWI 18.7.2022) sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen (USDOS 20.3.2023), in dem der militärische Arm der PYD, die YPG, die dominierende Kraft ist (KAS 4.12.2018). Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobanê war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des "Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien" (Democratic Federation of Northern Syria, DFNS) ins Leben (SWP 7.2018). Im März 2018 (KAS 4.12.2018) übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrîn mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz 15.10.2022). Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrîn). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir-ez Zor und Raqqa (K24 6.9.2018) sowie Manbij, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES (SO 27.6.2022).

Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet 'belohnt' zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 20.3.2023). Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahr 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in den AANES Stellung zu beziehen (ICG 18.11.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren (ÖB Damaskus 1.10.2021). Mit Stand Mai 2023 besteht kein entsprechender Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung (Alaraby 31.5.2023). Unter anderem wird über die Verteilung von Öl und Weizen verhandelt, wobei ein großer Teil der syrischen Öl- und Weizenvorkommen auf dem Gebiet der AANES liegen (K24 22.1.2023). Normalisierungsversuche der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Regierung wurden in den AANES im Juni 2023 mit Sorge betrachtet (AAA 24.6.2023). Anders als die EU und USA betrachtet die Türkei sowohl die Streitkräfte der YPG als auch die Partei PYD als identisch mit der von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und daher als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 2.2.2024).

Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vergleiche SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).

Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP [Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak] nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der PYD, welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 1.10.2021).

Seitdem der Islamische Staat (IS) 2019 die Kontrolle über sein letztes Bevölkerungszentrum verloren hat, greift er mit Guerilla- und Terrortaktiken Sicherheitskräfte und lokale zivile Führungskräfte an (FH 9.3.2023). Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021). […]“

1.4.2. Sicherheitslage

„Letzte Änderung 2024-03-08

Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).

Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse

Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Im Wesentlichen gibt es drei Militärkampagnen: Bestrebungen durch eine Koalition den Islamischen Staat zu besiegen, Kampfhandlungen zwischen der Syrischen Regierung und Kräften der Opposition und türkische Militäroperationen gegen syrische Kurden (CFR 24.1.2024). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).

Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 60 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 2.2.2024). (…)“

1.4.2.1. Nordost-Syrien (Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) und das Gebiet der SNA (Syrian National Army)

„Letzte Änderung: 2024-03-08 15:02

Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war (REU 4.10.2023). Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (HRW 26.10.2023; vergleiche AA 2.2.2024).

Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der Volksverteidigungseinheiten (YPG) als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.11.2021).

Der Think Tank Newslines Institute for Strategy and Policy sieht auf der folgenden Karte besonders die Gebiete von Tal Rifa'at, Manbij und Kobanê als potenzielle Ziele einer türkischen Offensive. Auf der Karte sind auch die Strecken und Gebiete mit einer Präsenz von Regime- und pro-Regime-Kräften im Selbstverwaltungsgebiet ersichtlich, die sich vor allem entlang der Frontlinien zu den pro-türkischen Rebellengebieten und entlang der türkisch-syrischen Grenze entlangziehen. In Tal Rifa'at und an manchen Grenzabschnitten sind sie nicht präsent (…).

Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die SDF zu schaffen (CMEC 2.10.2020) [Anm.: Siehe hierzu Unterkapitel türkische Militäroperationen in Nordsyrien im Kapitel Sicherheitslage]. Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021). Die Türkei stützte sich bei ihrer Militäroffensive im Oktober 2019 auch auf Rebellengruppen, die in der 'Syrian National Army' (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insbesondere auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB Damaskus 1.10.2021).

Auf der folgenden Karte sind die militärischen Akteure der Region wie auch militärische und infrastrukturelle Maßnahmen, welche zur Absicherung der kurdischen "Selbstverwaltung" (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) nötig wären, eingezeichnet. Auf dieser Karte ist entlang der gesamten Frontlinie zu pro-türkischen Gebieten bzw. der türkisch-syrischen Grenze die Präsenz einer Kooperation zwischen SDF, Regime und russischen Truppen mit Ausnahme entlang des Tigris im äußersten Nordosten verzeichnet (…).

Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB Damaskus 1.10.2021; vergleiche AA 29.11.2021; JsF 9.9.2022). Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 9.9.2022). Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (AA 2.2.2024).

SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vergleiche EUAA 9.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vergleiche EUAA 9.2022).

Die kurdischen YPG stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation IS in Syrien vorgehen (AA 29.11.2021). In Reaktion auf die Reorganisation der Truppen zur Verstärkung der Front gegen die Türkei stellten die SDF vorübergehend ihre Operationen und andere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Islamischen Staat ein. Dies weckte Befürchtungen bezüglich einer Stärkung des IS in Nordost-Syrien (Newlines 7.3.2023). Die SDF hatten mit Unterstützung US-amerikanischer Koalitionskräfte allein seit Ende 2021 mehrere Sicherheitsoperationen durchgeführt, in denen nach eigenen Angaben Hunderte mutmaßliche IS-Angehörige verhaftet und einzelne Führungskader getötet wurden (AA 2.2.2024).

Der IS führt weiterhin militärische Operationen in der AANES durch. Die SDF reagieren auf die Angriffe mit routinemäßigen Sicherheitskampagnen, unterstützt durch die Internationale Koalition. Bisher konnten diese die Aktivitäten des IS und seiner affiliierten Zellen nicht einschränken. SOHR dokumentierte von Anfang 2023 bis September 2023 121 Operationen durch den IS, wie bewaffnete Angriffe und Explosionen, in den Gebieten der AANES. Dabei kamen 78 Personen zu Tode, darunter 17 ZivilistInnen und 56 Mitglieder der SDF (SOHR 24.9.2023).

Mit dem Angriff auf die Sina’a-Haftanstalt in Hassakah in Nordostsyrien im Januar 2022 und den daran anschließenden mehrtägigen Kampfhandlungen mit insgesamt ca. 470 Todesopfern (IS-Angehörige, SDF-Kämpfer, Zivilisten) demonstrierte der IS propagandawirksam die Fähigkeit, mit entsprechendem Vorlauf praktisch überall im Land auch komplexe Operationen durchführen zu können (AA 29.3.2023). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer (AM 26.1.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (AJ 26.1.2022). Die Gefechte dauerten zehn Tage, und amerikanische wie britische Kräfte kämpften aufseiten der SDF (HRW 12.1.2023). US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.1.2022). Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.1.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.1.2022; vergleiche NYT 25.1.2022, EUAA 9.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS (TWP 24.2.2022). Die geflohenen Bewohner durften danach zurückkehren (MPF 8.2.2022), wobei Unterkünfte von mehr als 140 Familien scheinbar von den SDF während der Militäraktionen zerstört worden waren. Mit Berichtszeitpunkt Jänner 2023 waren Human Rights Watch keine Wiederaufpläne, Ersatzunterkünfte oder Kompensationen für die zerstörten Gebäude bekannt (HRW 12.1.2023).

Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nutzt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z. B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung zusammenarbeiteten (TWP 24.2.2022). Das Ausüben von koordinierten und ausgeklügelten Anschlägen in Syrien und im Irak wird von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden (NYT 25.1.2022). Trotz der laufenden Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung hat der IS im Nordosten Syriens an Stärke gewonnen und seine Aktivitäten im Gebiet der SDF intensiviert. Am 28.9.2022 gaben die SDF bekannt, dass sie eines der größten Waffenverstecke des IS seit Anfang 2019 erobert haben. Sowohl die Größe des Fundes als auch sein Standort sind ein Beleg für die wachsende Bedrohung, die der IS im Nordosten Syriens darstellt (TWI 12.10.2022). Bei einem weiteren koordinierten Angriff des IS auf das Quartier der kurdischen de facto-Polizeikräfte (ISF/Asayish) sowie auf ein nahegelegenes Gefängnis für IS-Insassen in Raqqa Stadt kamen am 26.12.2022 nach kurdischen Angaben sechs Sicherheitskräfte und ein Angreifer ums Leben (AA 29.3.2023). Laut dem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom Juli 2022 sind einige der Mitgliedstaaten der Meinung, dass der IS seine Ausbildungsaktivitäten, die zuvor eingeschränkt worden waren, insbesondere in der Wüste Badiya wieder aufgenommen habe (EUAA 9.2022). Im Jahr 2023 haben die Aktivitäten von Schläferzellen des IS vor allem in der östlichen Wüste zugenommen (CFR 13.2.2024). […]

Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin knapp 30 Lager mit 11.000 internierten IS-Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in al-Hol (ÖB Damaskus 1.10.2021). Nach einigen Rückführungen und Repatriierungen beläuft sich die Gesamtzahl der Menschen in al-Hol nun auf etwa 53.000, von denen etwa 11.000 ausländische Staatsangehörige sind (MSF 7.11.2022b), auch aus Österreich (ÖB Damaskus 1.10.2021). Das Ziel des IS ist es, diese zu befreien, aber auch seinen Anhängern zu zeigen, dass man dazu in der Lage ist, diese Personen herauszuholen (Zenith 11.2.2022). Das Lager war einst dazu gedacht, Zivilisten, die durch den Konflikt in Syrien und im Irak vertrieben wurden, eine sichere, vorübergehende Unterkunft und humanitäre Dienstleistungen zu bieten. Der Zweck von al-Hol hat sich jedoch längst gewandelt, und das Lager ist zunehmend zu einem unsicheren und unhygienischen Freiluftgefängnis geworden, nachdem die Menschen im Dezember 2018 aus den vom IS kontrollierten Gebieten dorthin gebracht wurden (MSF 7.11.2022b). 65 Prozent der Bewohner von al-Hol sind Kinder, 52 Prozent davon im Alter von unter zwölf Jahren (MSF 19.2.2024), die täglicher Gewalt und Kriminalität ausgesetzt sind (STC 5.5.2022; vergleiche MSF 7.11.2022a). Das Camp ist zusätzlich zu einem Refugium für den IS geworden, um Mitglieder zu rekrutieren (NBC News 6.10.2022). Am 22.11.2022 schlugen türkische Raketen in der Nähe des Lagers ein. Das Chaos, das zu den schwierigen humanitären Bedingungen im Lager hinzukommt, hat zu einem Klima geführt, das die Indoktrination durch den IS begünstigt. Die SDF sahen sich zudem gezwungen, ihre Kräfte zur Bewachung der IS-Gefangenenlager abzuziehen, um auf die türkische Bedrohung zu reagieren (AO 3.12.2022).

Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens (Zenith 11.2.2022). Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien befindet sich heute in einer zunehmend prekären politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage (TWI 15.3.2022). Wie in anderen Bereichen üben die dominanten Politiker der YPG, der mit ihr verbündeten Organisationen im Sicherheitsbereich sowie einflussreiche Geschäftsleute Einfluss auf die Wirtschaft aus, was verbreiteten Schmuggel zwischen den Kontrollgebieten in Syrien und in den Irak ermöglicht (Brookings 27.1.2023). Angesichts der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen im Nordosten Syriens haben die SDF zunehmend drakonische Maßnahmen ergriffen, um gegen abweichende Meinungen im Land vorzugehen und Proteste zum Schweigen zu bringen, da ihre Autorität von allen Seiten bedroht wird (Etana 30.6.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.8.2021) sowie gegen steigende Treibstoffpreise (AM 30.5.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish [Anm: Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion] in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.8.2021; vergleiche AM 30.5.2021). Die Türkei verschärft die wirtschaftliche Lage in AANES absichtlich, indem sie den Wasserfluss nach Syrien einschränkt (KF 5.2022). Obwohl es keine weitverbreiteten Rufe nach einer Rückkehr des Assad-Regimes gibt, verlieren einige Einwohner das Vertrauen, dass die kurdisch geführte AANES für Sicherheit und Stabilität sorgen kann (TWI 15.3.2022).

Im August 2023 brachen gewaltsame Konflikte zwischen den kurdisch geführten SDF und arabischen Stämmen in Deir ez-Zor aus (AJ 30.8.2023), in dessen Verlauf es den Aufständischen gelungen war, zeitweise die Kontrolle über Ortschaften entlang des Euphrat zu erlangen. UNOCHA dokumentierte 96 Todesfälle und über 100 Verwundete infolge der Kampfhandlungen, schätzungsweise 6.500 Familien seien durch die Gewalt vertrieben worden. Nach Rückerlangung der Gebietskontrolle durch die SDF kam es auch in den folgenden Wochen zu sporadischen Attentaten auf SDF sowie zu vereinzelten Kampfhandlungen mit Stammeskräften (AA 2.2.2024). […]“

1.4.3. Relevante Bevölkerungsgruppen: Frauen

1.4.3.1. Allgemeine Informationen

„Letzte Änderung 2024-03-13 16:02

Syrien ist eine patriarchalische Gesellschaft, aber je nach sozialer Schicht, Bildungsniveau, Geschlecht, städtischer oder ländlicher Lage, Region, Religion und ethnischer Zugehörigkeit gibt es erhebliche Unterschiede in Bezug auf Rollenverteilung, Sexualität sowie Bildungs- und Berufschancen von Frauen. Der anhaltende Konflikt und seine sozialen Folgen sowie die Verschiebung der de-facto-Kontrolle durch bewaffnete Gruppen über Teile Syriens haben ebenfalls weitreichende Auswirkungen auf die Situation der Frauen (NMFA 6.2021). Mehr als ein Jahrzehnt des Konflikts hat ein Klima geschaffen, das der Gewalt gegen Frauen und Mädchen zuträglich ist, besonders angesichts der sich verfestigenden patriarchalischen Gesellschaftsformen, und Fortschritte bei den Frauenrechten zunichtemachte. Diese Risiken steigen unvermeidlicherweise angesichts von mehr als 15 Millionen Menschen in Syrien, die im Jahr 2023 humanitäre Hilfe benötigen. Gleichzeitig gibt es einen Anstieg an Selbstmorden unter Frauen und Mädchen, was laut ExpertInnen auf den fehlenden Zugang von Heranwachsenden zu Möglichkeiten und entsprechenden Hilfsleistungen liegt (UNFPA 28.3.2023).

Offizielle Mechanismen, welche die Rechte von Frauen sicherstellen sollen, funktionieren Berichten zufolge nicht mehr, und zusammen mit dem generellen Niedergang von Recht und Ordnung sind Frauen einer Bandbreite von Misshandlungen besonders durch extremistische Gruppen ausgesetzt, die ihre eigenen Interpretationen von Religionsgesetzen durchsetzen. Die persönliche gesellschaftliche Freiheit von Frauen variiert je Gebiet außerhalb der Regierungskontrolle und reicht von schwerwiegenden Kleidungs- und Verhaltensvorschriften in Gebieten extremistischer Gruppen bis hin zu formaler Gleichheit im Selbstverwaltungsgebiet der Partiya Yekîtiya Demokrat (PYD). Durch die Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) und dem Zurückgehen der Kampfhandlungen im Lauf der Zeit ist die Bevölkerung in geringerem Ausmaß den extremsten Verletzungen persönlicher gesellschaftlicher Freiheiten ausgesetzt (FH 9.3.2023). Gleichwohl haben verschiedene Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufgrund der Pandemie und der Bewegungseinschränkungen zugenommen, welche auch zur ökonomischen Ausbeutung von Frauen beitragen (UNFPA 28.3.2023).

Frühe Heiraten nehmen zu (UNFPA 28.3.2023): In Syrien lässt sich in den letzten Jahren ein sinkendes Heiratsalter von Mädchen beobachten, weil erst eine Heirat ihnen die verloren gegangene, aber notwendige rechtliche Legitimität und einen sozialen Status, d. h. den 'Schutz' eines Mannes, zurückgibt (ÖB Damaskus 1.10.2021), denn die Angst vor sexueller Gewalt und ihr Stigma könnte die Mädchen zu Ausgestoßenen machen. Überdies müssen die Eltern durch eine möglichst frühe Verheiratung ihrer Töchter nicht mehr für deren Unterhalt aufkommen. Die Verheiratung von Minderjährigen gilt als die häufigste Form von Gewalt gegen heranwachsende Mädchen. Einige Frauen und Mädchen werden auch gezwungen, die Täter, welche ihnen sexuelle Gewalt angetan haben, zu heiraten. Bei Weigerung droht Isolation, weil sie nicht zu ihren Familien zurückkehren können, bzw. kann ein 'Ehrenmord' drohen. Hintergrund ist, dass rechtliche Mittel gegen den Täter zuweilen nicht leistbar sind, und so mangels eines justiziellen Wegs die Familien keine andere Möglichkeit als eine Zwangsehe sehen (UNFPA 28.3.2023). Dieses Phänomen ist insbesondere bei IDPs (FH 9.3.2023) (und Flüchtlingen in Nachbarländern) zu verzeichnen. Das gesunkene Heiratsalter wiederum führt zu einem Kreislauf von verhinderten Bildungsmöglichkeiten, zu frühen und mit Komplikationen verbundenen Schwangerschaften und in vielen Fällen zu häuslicher und sexueller Gewalt (ÖB Damaskus 1.10.2021). Auch geschiedene oder verwitwete Frauen gelten als vulnerabel, denn sie können Druck zur Wiederverheiratung ausgesetzt sein (UNFPA 28.3.2023). Im Allgemeinen ist eine von fünf Frauen in Syrien heutzutage von sexueller Gewalt betroffen (ÖB Damaskus 1.10.2021).

Bereits vor 2011 waren Frauen aufgrund des autoritären politischen Systems und der patriarchalischen Werte in der syrischen Gesellschaft sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Häuser geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Es wird angenommen, dass konservative Bräuche, die Frauen in der Gesellschaft eine untergeordnete Rolle zuweisen, für viele Syrer maßgeblicher waren als das formale Recht (FH 3.3.2010). Doch selbst die formellen Gesetze legen für Frauen nicht denselben Rechtsstatus und dieselben Rechte fest wie für Männer, obwohl die Verfassung die Gleichstellung von Männern und Frauen vorsieht (USDOS 20.3.2023). Frauen werden vor allem durch das Personenstandsgesetz bezüglich Heirat, Scheidung, Sorgerecht und Erbschaft weiterhin diskriminiert (HRW 11.1.2024).

Per legem haben Männer und Frauen dieselben politische Rechte. Der Frauenanteil im syrischen Parlament liegt je nach herangezogener Quelle zwischen 11,2 und 13,2 %. Auch manche der höheren Regierungspositionen werden derzeit von Frauen besetzt. Allerdings sind sie im Allgemeinen von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und haben wenig Möglichkeiten, sich inmitten der Repression durch Staat und Milizen unabhängig zu organisieren. Im kurdisch-geprägten Selbstverwaltungsgebiet werden alle Führungspositionen von einem Mann und einer Frau geteilt, während außerhalb der PYD-Strukturen die politische Autonomie für die Bevölkerung eingeschränkt ist (FH 9.3.2023).

Die Gewalt zusammen mit bedeutendem kulturellem Druck schränkt stark die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten ein. Zusätzlich erlaubt das Gesetz, bestimmten männlichen Verwandten Frauen ein Reiseverbot aufzuerlegen. Bewegungseinschränkungen wurden einem UN-Bericht von Februar 2022 zufolge in 51 % der untersuchten Orte ermittelt (USDOS 20.3.2023). Obwohl erwachsene Frauen keine offizielle Genehmigung brauchen, um das Land zu verlassen, reisen viele Frauen in der Praxis nur dann ins Ausland, wenn der Ehemann oder die Familie dem zugestimmt hat (NMFA 5.2022). […]“

1.4.3.2. Frauen in Wirtschaft und medizinischer Versorgung

„Letzte Änderung 2024-03-13 16:14

Wirtschaft

Durch den anhaltenden Konflikt und die damit einhergehende Instabilität sowie sich verschlechternde wirtschaftliche Situation hat sich die Situation der Frauen zunehmend erschwert (ÖB Damaskus 1.10.2021). Der Global Gender Gap Report stuft Syrien 2021 auf Platz 152 ein, dem fünftletzten Platz (WEF 3.2021). Aufgrund fehlender Daten ist Syrien im diesjährigen Bericht (2022) nicht erfasst (WEF 7.2022).

Während weiterhin Vorstellungen, welche Berufe für Frauen passend sind, die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen einschränken oder ihnen Arbeitsmöglichkeiten verwehrt werden (UNFPA 28.3.2023), hat der Krieg auch ihre Rolle in der Arbeitswelt verändert, und ihnen Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet, die zuvor Männern vorbehalten waren (HART 2.8.2022): So wurden Frauen in einigen Haushalten zu denjenigen, die Lebensunterhalt für ihre Familien verdienen (UNFPA 28.3.2023), weil viele Männer getötet wurden oder sich aus Angst vor der Einberufung zur Armee, vor Verhaftung oder Inhaftierung versteckt hielten. So lag die Beteiligung von Frauen an der syrischen Erwerbsbevölkerung im Jahr 2018 in Damaskus, Lattakia und Tartus im Durchschnitt zwischen 40 und 50 Prozent, während in anderen Teilen des Landes der Anteil an erwerbstätigen Frauen zwischen 10 und 20 Prozent betrug und in den Provinzen Idlib, Raqqa und Quneitra sogar noch niedriger war. Insgesamt waren Schätzungen zufolge im Jahr 2018 11,6 Prozent der Frauen erwerbstätig, gegenüber 69,75 Prozent der Männer (NMFA 5.2020). Mittlerweile stieg im Jahr 2022 die Erwerbsquote auf insgesamt 16,8 Prozent der weiblichen Bevölkerung, sie ist aber noch immer niedriger als im Jahr 1990 (WB o.D.). Während der Anteil der erwerbstätigen Männer im Alter von 25 bis 54 Jahren im Jahr 2021 auf 95 Prozent stieg, wurde die Zahl der Erwerbstätigen vor allem durch Frauen, Jugendliche und ältere Leute vergrößert - d.h. Menschen mit relativ begrenzten Verdienstmöglichkeiten. Die Weltbank sieht die steigende Zahl an Vulnerablen am Arbeitsmarkt als einen Indikator für die Notlage der Betroffenen, die darauf angewiesen sind, jedwede Einkommensmöglichkeit unabhängig von den Bedingungen anzunehmen (WB 2023): Geschlechtsbasierte Gewalt hat zugenommen, auch in wirtschaftlicher Hinsicht einschließlich Ausbeutung bei der Arbeit wie auch Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit. 'Finanzielle Gewalt' in der Terminologie von UNFPA hat zugenommen, darunter die Vorenthaltung finanzieller Mittel, Bildung, Arbeitsmöglichkeiten und von Gehältern. Wenn Frauen das Nachgehen einer Erwerbsarbeit erlaubt wird, kann es zum Beispiel vorkommen, dass ihr Einkommen von männlichen Familienangehörigen an sich genommen wird (UNFPA 28.3.2023). Umgekehrt gibt es nun Frauen, die mehr an den finanziellen Entscheidungen ihrer Familie beteiligt sind (CARE 3.2016).

Neben der großen Kluft zwischen den Geschlechtern bei der Erwerbsbeteiligung existiert außerdem eine geschlechtsspezifische Benachteiligung bei Sozialleistungen. Dem Besitz von Grund durch Frauen stehen gesellschaftliche Praktiken gegenüber, welche davon abschrecken (FH 9.3.2023). Seit einer Änderung des Personenstandsrechts im Jahr 2019 ist es möglich, dass eine Frau fordert, dass in ihrem Ehevertrag das Recht auf Arbeit enthalten ist (SLJ 3.10.2019).

Frauen sind in verschiedenen öffentlichen und politischen Positionen tätig. Dies kann entweder aus freiem Willen geschehen oder aus der Notwendigkeit heraus, die Familie in Abwesenheit eines männlichen Versorgers zu unterstützen (NMFA 5.2022).

Frauen und frauengeführte Haushalte haben allgemein besonders unter den Folgen des Konfliktes zu leiden, (AA 2.2.2024) wie auch Haushalte mit behinderten Personen. 16 Prozent der von Frauen geleiteten Haushalte sowie 12 Prozent von Haushalten mit Menschen mit Behinderung sind überhaupt nicht in der Lage, ihren Lebensbedarf zu decken (UNFPA 28.3.2023).

Öffentliche Räume wie besonders Kontrollpunkte, aber auch Märkte, Schulen oder Straßen stellen potenzielle Risiken dar, wo Frauen und Mädchen sexueller Gewalt ausgesetzt sind (UNFPA 28.3.2023).

In Fällen, in denen der Zugang zu Bildung eingeschränkt ist, kompensieren Frauen den Verlust von Bildung, indem sie ihre Kinder zu Hause unterrichten. In Fällen, in denen der Zugang zu Infrastrukturgütern wie Wasser oder Strom eingeschränkt ist, legen die Frauen lange Wege zurück, um Wasser oder Diesel für den Betrieb ihrer eigenen Generatoren zu beschaffen. Darüber hinaus erhöht der Mangel an Grundnahrungsmitteln und anderen Gütern die Arbeitsbelastung der Frauen zu Hause, weil die Aufgaben arbeitsintensiver geworden sind (z. B. backen Frauen zu Hause Brot, wenn es keine Bäckereien mehr gibt) (CARE 3.2016).

Alleinstehende Frauen

Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konflikts einem besonderen Risiko von Gewalt oder Belästigung ausgesetzt. Das Ausmaß des Risikos hängt vom sozialen Status und der Stellung der Frau oder ihrer Familie ab. Die gesellschaftliche Akzeptanz alleinstehender Frauen ist jedoch nicht mit europäischen Standards zu vergleichen (STDOK 8.2017). Armut, Vertreibung, das Führen eines Haushalts oder ein junges Alter ohne elterliche Aufsicht bringen Frauen und Mädchen in eine Position geringerer Macht und erhöhen daher das Risiko der sexuellen Ausbeutung. Mädchen, Witwen und Geschiedene werden als besonders gefährdet eingestuft. Auch Überlebende sexueller Gewalt sind besonders vulnerabel (UNFPA 10.3.2019, vergleiche für aktuelle Beispiele UNFPA 28.3.2023). Vor 2011 war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich, allein zu leben, z. B. für Frauen mit Arbeit in städtischen Gebieten. Seit dem Beginn des Konflikts ist es fast undenkbar geworden, als Frau allein zu leben, weil eine Frau ohne Familie keinen sozialen Schutz hat. In den meisten Fällen würde eine Frau nach einer Scheidung zu ihrer Familie zurückkehren. Der Zugang alleinstehender Frauen zu Dokumenten hängt von ihrem Bildungsgrad, ihrer individuellen Situation und ihren bisherigen Erfahrungen ab. Für ältere Frauen, die immer zu Hause waren, ist es beispielsweise schwierig, Zugang zu Dokumenten zu erhalten, wenn sie nicht von jemandem begleitet werden, der mehr Erfahrung mit Behördengängen hat (STDOK 8.2017). Die Wahrnehmung alleinstehender Frauen durch die Gesellschaft variiert von Gebiet zu Gebiet, in Damaskus-Stadt gibt es mehr gesellschaftliche Akzeptanz als in konservativeren Gebieten (SD 30.7.2018).

Da die syrische Gesellschaft als konservativ beschrieben wird, gibt es strenge Normen und Werte in Bezug auf Frauen, obwohl es durchaus auch säkulare Einzelpersonen und Familien gibt. Es gibt zwar keine offizielle Kleiderordnung, bestimmte gesellschaftliche Erwartungen bestehen aber dennoch. In den Großstädten wie Damaskus oder Aleppo und in der Küstenregion haben Frauen mehr Freiheiten, sich modern zu kleiden. Trotzdem kann die eigene Familie einer Frau in dieser Hinsicht ein hinderlicher Faktor sein (NMFA 5.2022).

In Haushalten mit weiblichem Haushaltsvorstand besteht ein höheres Risiko, sexueller Gewalt ausgesetzt zu sein, insbesondere für die Mädchen in diesen Familien. Witwen und geschiedene Frauen sind in der Gesellschaft mit einem sozialen Stigma konfrontiert (NMFA 5.2020).

Frauen und medizinische Versorgung

Angesichts der drastisch gekürzten öffentlichen Dienste sind syrische Frauen gezwungen, zusätzliche Aufgaben in ihren Familien und Gemeinden zu übernehmen und haben Berichten zufolge eine führende Rolle im informellen humanitären Bereich übernommen. Frauen kümmern sich um Verletzte, Behinderte, ältere Menschen und Menschen mit anderen medizinischen Problemen, wenn es keine Gesundheits- und Rehabilitationsdienste mehr gibt. Die Frauen erbringen die medizinische Versorgung entweder in ihren Häusern oder arbeiten als Freiwillige in improvisierten, geheimen Gesundheitszentren [Anm.: in den Oppositionsgebieten] (CARE 3.2016). Gewalt überall im Land macht den Zugang zu Gesundheitsversorgung einschließlich reproduktiver Medizin teuer und gefährlich (USDOS 20.3.2023). So schränkt die HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) die Bewegungsfreiheit von Frauen und Mädchen ein und unterwirft sie Beschränkungen auch in Bezug auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung (SNHR 25.11.2019).

Syrischen AktivistInnen zufolge verweigerten die Regierung und bewaffnete Extremisten manchmal schwangeren Frauen das Passieren von Checkpoints und zwangen sie, unter oft gefährlichen und unhygienischen Bedingungen und ohne adäquate medizinische Betreuung ihre Kinder auf die Welt zu bringen. Angriffe des Regimes und Russlands führen dazu, dass Gesundheitseinrichtungen oft im Geheimen operieren oder in einigen Fällen die Arbeit im Land einstellen. Konfliktbedingt ist der Sektor reproduktiver Gesundheit schwer belastet, und die Zahl der Frauen, welche während der Schwangerschaft oder der Geburt sterben, steigt weiterhin. Gemäß UNFPA (United Nations Population Fund) benötigen 7,3 Millionen Frauen und Mädchen Gesundheitsleistungen im Bereich reproduktiver und sexualmedizinischer Medizin wie auch Unterstützung in Fällen geschlechtsbasierter Gewalt, denn physische und sexuelle Gewalt wie auch Kinderheiraten sind im Steigen begriffen (USDOS 20.3.2023). Mit der Ausnahme, dass eine Fortführung der Schwangerschaft das Leben der Mutter gefährdet, sind Abtreibungen in Syrien nach wie vor illegal (UNFPA 12.2021).

Die Risiken von Kinderheiraten sind für Mädchen beträchtlich: Dazu gehören das erhöhte Risiko sexuell übertragbarer Infektionen, die enormen Gesundheitsrisiken für Mädchen durch frühe Schwangerschaften, das Risiko des Schulabbruchs und zusätzlicher Freiheits- und Bewegungseinschränkungen, das Risiko häuslicher Gewalt (physisch, verbal oder sexuell) und das Risiko, von Freunden und Familie isoliert zu werden. Kinderheiraten und die damit verbundenen Risiken können sich negativ, auch auf die psychische Gesundheit der Mädchen auswirken und zu emotionalen Problemen und Depressionen führen (UNFPA 11.2017) Anmerkung, für aktuelle Beispiele für die Gründe von Kinderheiraten siehe UNFPA 28.3.2023). […]“

1.4.3.3. Sexuelle Gewalt gegen Frauen und ’Ehrverbrechen’

„Letzte Änderung 2024-03-13 16:16

Ausmaß und Berichtslage zu sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) hat in ihren Berichten wiederholt festgestellt, dass praktisch alle Konfliktparteien in Syrien geschlechtsbezogene und/oder sexualisierte Gewalt anwenden, wenngleich in unterschiedlichen Formen und Ausmaßen (AA 2.2.2024). Der UN Population Fund (UNFPA) und weitere UN-Organisationen, NGOs und Medien stufen das Ausmaß an Vergewaltigungen und sexueller Gewalt als 'endemisch, zu wenig berichtet und unkontrolliert' ein (USDOS 20.3.2023). Allgemein ist eine von fünf Frauen in Syrien heute von sexueller Gewalt betroffen, wobei eine Zunahme von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt infolge der allgemeinen Unsicherheit und Perspektivlosigkeit der Menschen und der verloren gegangenen Rolle des Mannes als 'Ernährer der Familie' auch innerhalb der gebildeten städtischen Bevölkerung und auch in Damaskus zu verzeichnen ist (ÖB Damaskus 1.10.2021). 'Ehrverbrechen' in der Familie - meist gegen Frauen - kommen in ländlichen Gegenden bei fast allen Glaubensgemeinschaften vor (AA 29.3.2023).

Im November 2021 schätzte das Syrian Network for Human Rights (SNHR), dass die Konfliktparteien seit März 2011 sexuelle Gewalt in mindestens 11.526 Fällen verübt haben. Die Regimekräfte und mit ihr verbündete Milizen waren für den Großteil dieser Straftaten verantwortlich - mehr als 8.000 Fälle, darunter mehr als 880 Straftaten in Gefängnissen und mehr als 440 Übergriffe auf Mädchen unter 18 Jahre. Fast 3.490 Fälle sexueller Gewalt wurden vom sogenannten Islamischen Staat (IS) begangen und 13 Verbrechen durch die Syrian Democratic Forces (SDF) (USDOS 20.3.2023). Die Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) im Jahr 2019, Rückschläge für andere extremistische Gruppen und der Rückgang an Kampfhandlungen haben dazu geführt, dass die Bevölkerung nicht mehr derart den extremsten Verletzungen persönlicher gesellschaftlicher Freiheit ausgesetzt ist (FH 9.3.2023). (…)

Sexuelle Gewalt durch bewaffnete Gruppen in Gebieten außerhalb der Regimekontrolle

In den Gebieten unter Kontrolle von oppositionellen Kräften im Norden und Nordwesten Syriens, laufen insbesondere Aktivistinnen erhöhte Gefahr, Opfer von Repressionen zu werden. So gehe, laut Berichten der CoI und des SNHR, z.B. die Türkei-nahe SNA besonders rigoros gegen zivilgesellschaftliche Akteure vor, die sich zu Genderthemen äußern und auf sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt aufmerksam machen. Sexualisierte Gewalt wird daneben, laut früheren CoI-Berichten, aber auch von anderen bewaffneten Gruppierungen systematisch ausgeübt, wie etwa durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) und durch HTS. Sexualisierte Gewalt wird daneben nach früheren CoI-Berichten auch von anderen bewaffneten Gruppierungen systematisch ausgeübt, wie etwa den Terrororganisationen Hay'at Tahrir ash-Sham - HTS und IS (AA 2.2.2024). Frauen sind, bzw. waren, zudem in den vom IS und HTS kontrollierten Gebieten massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt (ÖB Damaskus 1.10.2021).

Der Niedergang von Recht und Ordnung setzt Frauen einer Bandbreite von Misshandlungen aus, besonders durch extremistische Gruppen, die der Bevölkerung ihre eigenen Interpretationen des Religionsrechts auferlegen (FH 9.3.2023): Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt gegen Frauen durch Mitglieder nicht-staatlicher bewaffneter Gruppen sind zwar dokumentiert, kommen aber schätzungsweise weniger häufig vor als durch die Regierungstruppen und ihre Verbündeten. Berichten zufolge stehen Fälle von sexueller Gewalt dort im Zusammenhang mit sozialen Phänomenen wie Ausbeutung, Konfessionalismus und Rache, wobei Fälle dokumentiert sind, die Opfer mit kurdischem Hintergrund, vermeintliche Schiiten oder regierungstreue Personen sowie Minderheitengruppen wie Drusen und Christen betreffen (UNCOI 8.3.2018).

Sexuelle Gewalt ebenso wie Ausbeutung und Hürden beim Zugang zu Hilfsleistungen betreffen besonders oft geschiedene Frauen, Witwen und Mädchen (UNPFA 28.3.2023). Neben Fällen von Versklavung, dem sinkenden Heiratsalter und Fällen von Zwangsheirat wurden offenbar vor allem in IS-kontrollierten Gebieten auch zunehmend Fälle von Genitalverstümmelung beobachtet, eine Praxis, die bis zum Ausbruch der Krise in Syrien unbekannt war und auf die Präsenz von Kämpfern aus Sudan und Somalia zurückzuführen war (ÖB Damaskus 1.10.2021).

Dazu kamen Berichte aus Afrin über die Auferlegung strenger Bekleidungsvorschriften für Frauen und Mädchen und die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit sowie die Belästigung durch Mitglieder der bewaffneten Gruppen, insbesondere beim Passieren von Kontrollpunkten (UNCOI 15.8.2019). Die Angst vor Entführung und sexueller Gewalt wird als ein wichtiger Faktor genannt, der die Bewegungsfreiheit von Frauen und Mädchen auch in den türkischen Einflussgebieten einschränkt, wobei auch die Angst vor Schande und Stigmatisierung im Zusammenhang mit sexueller Belästigung eine Rolle spielt (UNPFA 10.3.2019) Anmerkung, Siehe auch weiter unten).

Ungefähr 12.715 Personen bestehend aus verwitweten und geschiedenen Frauen und Mädchen leben mit ihren Kindern in 42 Witwenlagern, was ihrem Schutz und dem Erhalt ihrer 'Ehre' dienen soll, aber ihre Isolierung basiert auf der Einstellung, dass unverheiratete Frauen Schande über ihre Familie bringen (UNPFA 28.3.2023).

Häusliche Gewalt und Gewalt in der Familie und an öffentlichen Orten sowie Umgang mit Gewaltopfern

Die meisten Fälle von 'Ehrenmorden' stehen im Zusammenhang mit sexueller Gewalt, aber nicht notwendigerweise mit Vergewaltigung: In einigen Fällen sind es Belästigungen oder Übergriffe auf der Straße oder in anderen Fällen die Annahme, dass während der Entführung/Gefangenschaft sexuelle Gewalt stattgefunden habe (UNFPA 3.2019). Ehemalige weibliche Häftlinge leiden unter psychischen Problemen, in vielen Fällen unter schweren körperlichen Verletzungen durch Gewalt, einschließlich gynäkologischer Verletzungen durch sexuelle Gewalt, und unter gesundheitlichen Problemen wie Lungenentzündung und Hepatitis. Darüber hinaus ist die Annahme weit verbreitet, dass weibliche Häftlinge sexuelle Gewalt erfahren haben, was von der Familie und der Gemeinschaft als Schande für die Würde und Ehre des Opfers empfunden werden kann. Diese Stigmatisierung kann Berichten zufolge zu sozialer Isolation, Ablehnung von Arbeitsplätzen, Scheidung, Verstoßung durch die Familie und sogar zu 'Ehrenmorden' führen (UNFPA 11.2017). So bleibt die Gefahr von 'Ehrenmorden' durch Familienmitglieder einer der Gründe, warum sexuelle Gewalt nicht in vollem Ausmaß berichtsmäßig erfasst ist. Tausende Überlebende von Gewalt, sexueller Ausbeutung und Zwangsheiraten wurden von ihren Familien verstoßen (USDOS 20.3.2023). Eltern oder Ehemänner verstoßen oftmals Frauen, die während der Haft vergewaltigt wurden oder wenn eine Vergewaltigung auch nur vermutet wird (STDOK 8.2017). Frühe und erzwungene Heiraten kommen auch besonders bei Binnenvertriebenen vor, weil die Familien die Ehe unter anderem als Schutz vor der verbreiteten sexuellen Gewalt wahrnehmen (FH 9.3.2023).

Darüber hinaus stellt die Angst vor sozialer Stigmatisierung oder vor der Polizei ein Hindernis für die Anzeige von sexueller Gewalt dar. Einflussreiche Beziehungen der Frau oder des Täters spielen eine große Rolle bezüglich der Wirksamkeit einer solchen Anzeige. Es besteht die Gefahr, dass die Frau beschuldigt wird. Wenn sie einen Vorfall anzeigt - in der Regel gegen ihren Ehemann - ist der soziale Druck, die Anzeige zurückzuziehen, enorm. Es heißt daher, dass Frauen versuchen, häusliche Gewalt innerhalb der Familie zu klären. Welche Hilfe tatsächlich geleistet wird, hängt jedoch von ihrer Familie ab (NMFA 5.2022).

Berichten zufolge kam es seit 2011 zu einem Anstieg an 'Ehrenmorden' infolge des Konfliktes (USDOS 12.4.2022). Drei Organisationen dokumentieren zusammen von 2019 bis November 2022 insgesamt 185 'Ehrenmorde' (USDOS 20.3.2023). Laut dem niederländischen Außenministerium ist es jedoch nicht möglich, das konkrete Ausmaß an Blutfehden und 'Ehrenmorden' in Syrien in absoluten Zahlen auszudrücken. Dass diese vorkommen, wird aber von zahlreichen Quellen und Beispielen aus dem Berichtszeitraum [Anm.: Mai 2021 bis Mai 2022] belegt. Eine Quelle stellt zudem fest, dass sie hauptsächlich in Gebieten vorkommen, in denen Stämme eine wichtige Rolle spielen, wie z. B. in Suweida und im Nordosten, aber auch, dass sie nicht auf eine spezifische ethnische Gemeinschaft beschränkt sind (NMFA 5.2022).

Insbesondere Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand sind einem erhöhten Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt. Darüber hinaus sind unbegleitete Mädchen, Waisen oder solche, die bei Verwandten und nicht bei ihren Eltern leben, Berichten zufolge von sexueller Gewalt bedroht. Syrische Mädchen, die für den UNFPA-Bericht 2017 befragt wurden, berichteten von einem besonderen Risiko sexueller Gewalt auf dem Weg zur oder von der Schule, und diese Risiken sollen oft der Hauptgrund dafür sein, dass Mädchen entweder die Schule abbrechen oder von ihren Eltern aus der Schule genommen werden (UNFPA 11.2017). Für aktuelle Beispiele hierzu siehe UNFPA vom 28.3.2023.

Anzeige und Strafverfolgung

Eine Anzeige wegen sexueller Gewalt in Syrien muss durch ein medizinisches Gutachten eines Gerichtsmediziners untermauert werden, aus dem die Schwere der körperlichen Verletzung hervorgeht. Dieses Verfahren sowie soziale Normen und Stigmata machen es Frauen, die missbraucht wurden, schwer, Hilfe zu suchen (NMFA 6.2021). Zudem besteht das Risiko, dass man ihr die Schuld für das Vorgefallene gibt (NMFA 5.2022). Die Anzeige von Gewalt durch Regierungsbeamte ist noch schwieriger, weil sie rechtlich gegen Anklagen für Handlungen geschützt sind, die sie im Rahmen ihrer Arbeit vornehmen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass jemand es wagen würde, Sicherheitsbeamte wegen Gewaltanwendung trotz der Angst vor Verschwindenlassen, der Verhaftung oder der Anschuldigung des Terrorismus anzuzeigen (NMFA 6.2021). Obwohl Vergewaltigung außerhalb der Ehe strafbar ist, setzt die Regierung diese Bestimmungen nicht wirksam um. Darüber hinaus kann der Täter eine Strafminderung erhalten, wenn er das Opfer heiratet, um das soziale Stigma der Vergewaltigung zu vermeiden. Dem stimmen manche Familien wegen des sozialen Stigmas durch Vergewaltigungen zu (USDOS 20.3.2023). Eine Frau in Furcht vor einem 'Ehrverbrechen' kann keinen Schutz von den Behörden wie etwa in Form eines Frauenhauses erwarten. Ihre Optionen für eventuellen Schutz hängen gänzlich von ihren persönlichen und gesellschaftlichen Umständen ab (NMFA 5.2022), denn offizielle Mechanismen zum Schutz von Frauenrechten funktionieren Berichten zufolge nicht (FH 9.3.2023).

Wenn eine Frau aus Anlass angeblicher 'illegitimer sexueller Handlungen' zu Schaden kommt, wird dies aus rechtlicher Sicht seit 2020 nicht mehr als mildernder Umstand anerkannt. Allerdings bleiben andere Gesetze statt des Artikels 548 des Strafgesetzes in Kraft, welche trotzdem eine Strafmilderung erlauben (HRW 11.1.2024). Es kommt nur zu wenigen Strafverfolgungen wegen Mordes oder versuchten Mordes aus Gründen der 'Ehre' (NMFA 5.2022). Auch können sich Vergewaltiger durch die Heirat des Opfers vor Strafe schützen (FH 9.3.2023).

Bei 'Ehrverbrechen' in der Familie - meist gegen Frauen - besteht laut deutschem Auswärtigen Amt kein effektiver staatlicher Schutz (AA 29.3.2023). So stellt Vergewaltigung nach syrischem Recht zwar eine Straftat dar, allerdings nicht in der Ehe. Ebenso kennt das syrische Strafrecht keinen expliziten Straftatbestand für häusliche Gewalt (AA 2.2.2024). Es gibt zwar Frauenhäuser in verschiedenen Gegenden des Landes, aber diese sind vor allem für Witwen und geschiedene Frauen gedacht. Auch ist die Suche nach Zuflucht schwierig, denn die Schutz suchenden Frauen müssen in ein anderes Gebiet umziehen und den Kontakt zu ihrer Familie abbrechen. Es gibt zwar Organisationen zur Unterstützung von Frauen in Not, aber die Dauer des Schutzes hängt von der Laufzeit des Projekts ab. Die Wahrscheinlichkeit ist nach Einschätzung des niederländischen Außenministeriums groß, dass die Frauen zu ihren Familien zurückkehren müssen (NMFA 5.2022). Die Finanzierung von Projekten gegen geschlechtsbasierte Gewalt ging im Jahr 2022 zurück - mit Auswirkungen auf die Sicherheit von Frauen und Mädchen (UNPFA 28.3.2023). […]“

1.4.3.4. Die (selbstproklamierte) Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (AANES - Autonomous Administration of North and East Syria)

„Letzte Änderung 2023-07-17 15:46

Nachdem sich die Regierungstruppen 2012 aus dem Nordosten zurückgezogen und die Partei der Demokratischen Union (PYD) die Kontrolle übernommen hatte, wurde die Geschlechterfrage zu einem zentralen Thema der Politik der Partei der Demokratischen Union (PYD), und in jeder autonomen Gemeinde und auf jeder Ebene des Systems wurden Frauenverbände gegründet (Allsop, van Wilgenburg 2019). Per Gesetz werden alle Regierungseinrichtungen von einem Mann und einer Frau gleichzeitig geleitet, und die meisten staatlichen Behörden und Gremien müssen zwischen Männern und Frauen gleich besetzt sein, abgesehen von Einrichtungen, die nur für Frauen sind und von Frauen geleitet werden. Mit den YPJ-Einheiten (Women’s Protection Units, Y.P.J.) gibt es eigene Milizen aus Frauen (TNYT 24.2.2018), und bei der Rückeroberung Raqqas hatte ein Mitglied dieser Einheit das übergeordnete Kommando. Gesetze und Regulierungen sollen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen abschaffen. Kinderheiraten und häusliche Gewalt stehen unter Strafe (NMFA 6.2021) Anmerkung, für Beispiele in Manbij siehe TNYT 24.2.2018). Die Verwaltungscharta des Gesellschaftsvertrags räumt den Frauen das Recht auf Teilhabe an politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Angelegenheiten ein und legt den Frauenanteil in allen Leitungsgremien, Institutionen und Ausschüssen auf 40 Prozent fest. Dies ist jedoch nur auf Bereiche beschränkt, die unter der Kontrolle der Syrian Democratic Forces (SDF) stehen, und es wird in diesem Zusammenhang betont, dass Partizipation nicht gleichbedeutend mit tatsächlicher Ermächtigung ist (AC 13.8.2019), zumal außerhalb der PYD-Strukturen die politische Autonomie für die Bevölkerung eingeschränkt ist (FH 9.3.2023).

Kurdische Frauen erleben liberalere kulturelle Normen in den kurdischen Gemeinschaften, was durch die politischen Parteien gefördert wird. Die Partizipation von Frauen an traditionell männlichen Aktivitäten ist in vielen Fällen weniger restriktiv. Allerdings ist die jeweilige Lage der Frauen großteils von ihren Familien und deren Einstellungen abhängig, sodass in religiöseren oder traditionelleren kurdischen Gemeinschaften auch mehr traditionelle gesellschaftliche Normen gelten (Allsop & van Wilgenburg 2019). Diese Aspekte gelten jedoch nur für kurdische Frauen in den kurdischen Gebieten, nicht für arabische Frauen in den kurdischen Gebieten oder für kurdische Frauen im Rest Syriens. Beispiele für vulnerable Frauen wären z. B. kurdische Frauen in den kurdischen Gebieten, die gegen die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) eingestellt sind (STDOK 8.2017).

Obwohl die Reformen definitiv Frauen zugutekommen, fühlen sich einige syrisch-kurdische Frauen Berichten zufolge mit der Ideologisierung der Frauenrechte, den impliziten Assoziationen von Befreiung mit Militarisierung und der Art der Umsetzung der Gleichberechtigung unwohl (Allsopp & van Wilgenburg 2019) Anmerkung, zu der im AANES eingeführten, aber nicht staatlich anerkannten Zivilehe siehe Kapitel Religionsfreiheit.).

Der Nordosten Syriens wird im Allgemeinen immer noch als ländliche und stammesgebundene Gesellschaft angesehen, in der die Rolle der Frauen auf die Arbeit im Haus oder innerhalb von Verwaltungseinrichtungen beschränkt ist (Atlanctic Council 12.3.2019). In Gebieten mit arabischer Mehrheitsbevölkerung, die als konservativer gelten und wo Stammesstrukturen noch stark verwurzelt sind, ist es für die kurdischen Behörden schwerer, Gleichberechtigungsmaßnahmen ohne Widerstand durchzusetzen. So wurde beispielsweise in Kobanê Polygamie verboten, von der lokalen Bevölkerung in Manbij gab es jedoch Widerstand durch lokale Stammesführer, was zu einer Ausnahme für Manbij von dieser Regelung führte (TNYT 24.2.2018).

Generell wurde geschlechtsspezifische Gewalt, wie sexuelle Gewalt, häusliche und familiäre Gewalt, Kinderehen und Ehrenmorde, aus allen Teilen Syriens gemeldet, auch aus den von den SDF kontrollierten Regionen (UNPFA 28.3.2023).

Jesidische Frauen litten Berichten zufolge unter dem Trauma ihrer Erlebnisse, unter der Furcht vor Stigmatisierung wegen der gegen sie verübten Gräueltaten durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) sowie unter dem begrenzten Zugang zu medizinischer Versorgung, psychologischer Unterstützung und Traumatherapie. Gemäß einer Entscheidung des Obersten Geistlichen Rates der Jesiden werden gerettete jesidische Frauen wieder in ihre Gemeinschaft aufgenommen, allerdings ohne ihre Kinder, die in Folge von Vergewaltigungen durch IS-Kämpfer geboren wurden. In einigen Fällen trug das Dilemma zwischen ihren Kindern und dem Exil von ihrer Gemeinschaft wählen zu müssen, dazu bei, dass jesidische Mütter zögerten, das Lager al-Hol zu verlassen, was sie weiter von ihren Gemeinschaften entfremdete (UNCOI 15.8.2019).“

Im Folgenden werden Auszüge aus den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, in der 6. aktualisierte Fassung, vom März 2021 wiedergegeben:

1.4.4. Frauen und Mädchen mit bestimmten Profilen oder in speziellen Situationen

„Während des gesamten Konflikts sind Frauen Opfer einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen geworden. Frauen wurden gezielt Opfer von Übergriffen in Form von willkürlichen Festnahmen, Entführungen, Verschwindenlassen, Folter, Vergewaltigung und anderen Formen sexueller Gewalt sowie außergerichtlicher Hinrichtung aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung von oder Verbindung zu einer Kriegspartei, einschließlich aufgrund ihrer eigenen politischen Meinungen oder Aktivitäten, familiären Verbindungen, ihres Wohn- oder Heimatorts oder ihrer religiösen oder ethnischen Identität. Laut Meldungen haben die Konfliktparteien Frauen auch als Faustpfand für den Austausch von Geiseln benutzt. Frauen und Mädchen werden außerdem gesellschaftlich und gesetzlich diskriminiert, u. a. in Bezug auf Bürgerrechte und familienrechtliche Angelegenheiten, wie beispielsweise Erbfolge, Heirat, Scheidung und Sorgerecht für Kinder.795 Darüber hinaus sind Frauen geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt, einschließlich Vergewaltigung und anderer Formen sexueller Gewalt, Zwangs- und Kinderehe, häuslicher Gewalt, Gewalt in Form von „Ehrendelikten“, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und Zwangsprostitution sowie Strafen für vermeintliche Verstöße gegen die strenge Auslegung des Islam und islamischen Rechts durch Hardliner-Gruppen.

Berichten zufolge haben alle Formen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt seit 2011 zugenommen; dennoch werden in ganz Syrien Fälle nicht gemeldet, und Frauen suchen oft keinen Rechtsschutz, u. a. weil sie den Rechtsdiensten misstrauen und Angst vor Stigmatisierung und Vergeltungsmaßnahmen haben, weil sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind und durch gesetzliche und finanzielle Hürden ausgeschlossen werden, weil es an polizeilichem und gerichtlichem Personal fehlt, das für den Umgang mit Fällen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt geschult ist, und weil spezialisierte Dienste nur beschränkt verfügbar sind. Frauen und Mädchen mit bestimmten Profilen oder in bestimmten Situationen haben ein erhöhtes Risiko, Gewalt zu erfahren, wie in den folgenden Unterkapiteln näher beschrieben:

Sexuelle Gewalt

Sexuelle Gewalt, die durch staatliche und nichtstaatliche Akteure ausgeübt wird, ist Berichten zufolge weitverbreitet und ereignet sich in den unterschiedlichsten Situationen, einschließlich an Kontrollstellen und bei Entführungen und Festnahmen, in Vertriebenenlagern, Zwangs- und Kinderehen sowie in Situationen, in denen Frauen zur Prostitution gezwungen werden und Opfer von Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung werden. Der Einsatz sexueller Gewalt bei Festnahmen und in Haftanstalten der Regierung ist laut Berichten so weitverbreitet und systematisch, dass weibliche Gefangene nach ihrer Freilassung häufig von ihrer Gemeinschaft und Familie stigmatisiert werden, da unabhängig vom tatsächlichen Geschehen angenommen wird, dass sie Opfer von sexueller Gewalt wurden. Ehemalige Gefangene sind oft traumatisiert, und Meldungen zufolge haben einige deshalb Suizid begangen.

Berichten zufolge hat ISIS schwere Menschenrechtsverletzungen sowie Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und – im Fall der Jesiden – Völkermord begangen, und Frauen und Mädchen wurden gezielt Opfer von Vergewaltigungen, Zwangsheirat, sexueller Versklavung und anderer Formen sexueller Gewalt. Frauen und Mädchen, die aufgrund einer Vergewaltigung ein Kind zur Welt gebracht haben, sind besonders gefährdet, diskriminiert und marginalisiert zu werden, und unterliegen dem Risiko, einem „Ehrenmord“ zum Opfer zu fallen.

Zwar stellt das Strafgesetzbuch sowohl Vergewaltigung als auch sexuelle Nötigung außerhalb der Ehe unter Strafe, doch in der Praxis werden die Strafen für außereheliche Vergewaltigung und sexuelle Nötigung nicht effektiv durchgesetzt. Die Strafe für außereheliche Vergewaltigung kann herabgesetzt werden, wenn sich der Täter bereit erklärt, das Opfer zu heiraten. Abtreibung ist gesetzlich verboten, auch im Fall von Vergewaltigung, es sei denn, das Leben der Frau ist gefährdet. Obwohl sexuelle Gewalt weitverbreitet ist, sind Programme zur Bekämpfung sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt nur eingeschränkt möglich.817 Weibliche Überlebende von sexueller Gewalt und Vergewaltigung werden stigmatisiert und diskriminiert. Scham und Traumatisierung infolge von Vergewaltigung und sexueller Gewalt haben einige Überlebende in den Suizid getrieben. Das Risiko bzw. vermutete Risiko sexueller Gewalt führt zu einer höheren Anzahl von Zwangs- und Kinderehen, beschränkt die Bewegungsfreiheit von Frauen und Mädchen und ist ein treibender Faktor für Flucht und Migration.

[…]

Häusliche Gewalt

Häusliche Gewalt, die u. a. durch Ehemänner, Väter, Brüder und Schwäger ausgeübt wird, hat laut Meldungen durch den Bürgerkrieg, Vertreibungen und wirtschaftliche Unsicherheit836 zugenommen und wird in weiten Teilen der Gesellschaft immer noch akzeptiert. Es gibt keinen geeigneten gesetzlichen Rahmen, der die Opfer vor häuslicher Gewalt schützt.838 Überlebende häuslicher Gewalt werden oft stigmatisiert und leiden unter schweren psychischen Traumata. Insbesondere im Nordwesten lässt sich eine neue Entwicklung beobachten, bei der Frauen in einigen Fällen gezwungen werden, geschlechtsspezifische Abtreibungen vorzunehmen, um die Geburt eines Jungen sicherzustellen. Diskriminierende kulturelle und gesetzliche Praktiken, die dazu führen, dass geschiedenen Frauen das Sorgerecht, Unterhaltszahlungen, Zugang zur ehelichen Wohnung und Erbschaftsansprüche vorenthalten werden, sowie die mit einer Scheidung verbundene Stigmatisierung hindern Frauen Berichten zufolge daran, missbräuchliche Beziehungen zu verlassen.

[…]

Situation von Frauen ohne männliche Unterstützung

Frauen, die in ihrer (erweiterten) Familie keine männliche Unterstützung erhalten, einschließlich alleinstehender Frauen, Witwen und geschiedener Frauen, werden oft von ihren Familien und Gemeinschaften stigmatisiert und sind Berichten zufolge besonders gefährdet, Opfer von Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel zu werden.

UNHCR ist der Auffassung, dass Frauen, die unter die nachstehenden Kategorien fallen, wahrscheinlich internationalen Schutz benötigen, je nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder ihrer Religion:

a) Frauen und Mädchen, die sexuelle Gewalt, häusliche Gewalt oder Gewalt im Rahmen von „Ehrendelikten“ überlebt haben oder gefährdet sind, derartiger Gewalt zum Opfer zu fallen;

b) Frauen und Mädchen, die Zwangs- und/oder Kinderehen überlebt haben oder gefährdet sind, eine Zwangs- und/oder Kinderehe eingehen zu müssen;

c) Frauen und Mädchen, die Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung und Zwangsprostitution überlebt haben oder bei denen ein entsprechendes Risiko besteht;

d) Frauen und Mädchen ohne echte familiäre Unterstützung, einschließlich Witwen und geschiedener Frauen.

Grundsätzlich bietet der Staat keinen Schutz vor diesen Arten der Verfolgung, wenn die Verfolger nichtstaatliche Akteure sind.

[…]“

Auszüge aus der EUAA Country Guidance: Syria, vom April 2024:

1.4.5. The situation of women in the Syrian society

“Before the 2011 uprising, Syrian women had a relatively long history of emancipation and a relatively advanced status with regard to the rights of women, compared to other countries in the region. The Syrian constitution provides for equality between men and women; however, a number of laws are discriminating women, such as criminal, family, religious, personal status, labour, nationality, inheritance, retirement, and social security laws [Situation of women, 1.2.3, p. 31].

Moreover, the authoritarian political system and the prevailing patriarchal values in Syrian society relegated women to a secondary position in society, including in their families, with the notion that 'the most appropriate sphere for women' was the sphere of home and family.

Kurdish women are considered to have often experienced more liberal cultural norms generally held by Kurdish communities and promoted by political parties, but their situation was reportedly largely dependent on family and individual beliefs and customs, and adherence to traditional social norms was more common in more heavily religious or traditional communities [Targeting 2022, 13.1, p. 108; Situation of women, 1.2.2, pp. 31-32, 2.2, pp. 47-48].

During the conflict in Syria, the fundamental rights of Syrian women deteriorated severely in almost every aspect of their lives, including their security, as well as their social, economic and health-related situation [Situation of women, 1.2.3. p. 32].

[…]

Violence against women and girls: overview

Gender-based violence (GBV) existed in Syria before 2011, but the ongoing conflict has reportedly increased the frequency of GBV, changing its nature, increasing its scope and multiplying the perpetrators involved. In 2021, women and girls in all governorates faced multiple forms of violence, such as physical, psychological, emotional, sexual, and domestic violence, as well as forced or early marriage, denial of economic resources or education, restrictions on movement and exploitation. Family status, poverty and displacement also exposed women and girls to the risk of sexual exploitation [Targeting 2022, 13.1, pp. 108-109, 13.2.4, p. 113, 13.3.1, p. 115]. UNFPA noted an escalation in terms of exploitation of women and girls and a growing incidence of child labour among adolescent girls due to the deteriorating levels of poverty and food insecurity across the country. Moreover, the devastating earthquakes of February 2023 exacerbated the vulnerability to sex trafficking. Divorced and widowed women were reportedly more exposed to exploitation [Country Focus 2023, 1.3, p. 36]. There were also recorded incidents of arbitrary arrests, torture, enforced disappearances and displacements as well as extrajudicial killings and executions against women [Targeting 2022, 13.3.3, p. 117].

Domestic violence is common in Syria. römisch eins t is not specifically prohibited by law and ‘men may discipline their female relatives in a form permitted by general custom’. Spousal rape is excluded as a punishable offence under the legal definition of rape. Due to the conflict, an increasing number of women have been forced to work outside the house and this change of traditional gender roles might have contributed to an increase of domestic violence, which was further intensified during the COVID-19 pandemic. Similarly to intimate partner violence, family violence was ‘perceived as on the rise due to the combined effects of the economic crisis, COVID-19, unemployment and displacement [Targeting 2022, 13.2.1, pp. 109-110; Situation of women, 1.1.3, pp. 17-18].

Legal and cultural restrictions limited women’s freedom of movement in many areas. The law reportedly allowed certain male relatives to prohibit women from travelling, and UNFPA stated that women and girls faced movement restrictions imposed by male family members in the households, often justified with the fear of violence against females in public space and the social stigma placed on women, especially widows and divorcees [Country Focus 2023, 2.1.3, p. 47]. Restrictions in movement were either self-imposed or imposed on women and girls by their family members, wider community or actor(s) in control of the area [Targeting 2022, 13.2.1, p. 110, 13.3.1, p. 115, 13.4.1, p. 117, 13.4.2, p. 117; Situation of women, 1.1.3, p. 19].

Members of GoS and anti-government armed groups perpetrated sexual and gender-based violence. The use of sexual violence is reported to be much more common among GoS forces and their affiliated pro-government armed groups, and the GoS has used sexual violence as a ‘strategic weapon of war’ to obtain information, as punishment or to humiliate women and their families [Targeting 2022, 13.1, p. 109, 13.2.1, p. 110; Situation of women, 1.1.2, p. 14].

In SDF-controlled areas, incidents of killings, enforced disappearances and torture by SDF against women have been documented. Detention was also reported in cases of women who demanded their right to work and freedom of expression [Targeting 2022, 13.4.1, p. 118]. The most prominent types of sexual violence among the SDF included harassment during searches and verbal sexual violence. Members of the SDF have also committed acts of sexual violence within the detention centres and camps managed and administered by them.
[…]

With regard to the situation of women in SNA-controlled areas, cases of sexual harassment, sexual violence, rapes, abuse, torture, detention and killings were reported. According to one source, there were sufficient grounds to believe that the SNA committed cruel treatment and violations of personal dignity amounting to war crimes during the reporting period [Targeting 2022, 13.4.3, pp. 119-120].

Violence against women was reportedly treated as a social matter rather than a criminal one by security forces. Protection of women against violence is limited, with enforcement being either weak or non-existent. For example, rape and sexual assault are criminalised but the GoS does not enforce the law effectively. Moreover, Syrian law reduces or suspends punishment in the cases where the perpetrator marries the victim. There are also limited to no mechanisms available for women to file complaints. The absence of law enforcement, including judicial redress mechanisms, allows perpetrators to act with impunity. In addition, the general lawlessness has led to the corrosion of existing social protection mechanisms among Syrian communities. As a result, women and girls mainly resort to negative coping mechanisms such as early marriage, dropping out of school, staying at home, isolation, mental health problems, self-deprivation or suicide attempts [Targeting 2022, 13.1, p. 108, 13.2.1, p. 109, 13.2.3, p. 112; Situation of women, 1.1.3, p. 24, 1.2.4, p. 34].

Socio-cultural factors such as shame and stigma may also prevent women and girls from seeking justice against sexual violence. The experience of sexual violence may also lead to ostracism from the family and/or community, threats of divorce by the husbands, including separation from their children or even to ‘honour’ killings carried out by family members,

particularly in more conservative areas. For unmarried women and girls, the prospects of a future marriage can also be ruined. Sources note the lack of services for survivors of sexual and gender-based violence and the few opportunities to overcome the stigma and alienation, which exacerbate the situation of victims of sexual violence. Abortion is illegal under the Syrian Penal code, which places women and girls who have become pregnant as a result of rape in ‘an unenviable situation’. Under particular circumstances the penalties stated in the law might be reduced, for example if abortion is ‘performed by the woman to save her honour or another person performs the abortion to save the honour of a descendant or a relative to the second degree’ [Situation of women, 1.1.2, pp. 21, 1.1.3, pp. 23-25, 1.1.4, p. 27].

römisch eins t is also reported that a limited number of shelters and services for survivors of domestic violence operated in Syria. Those were available only in Damascus and might no longer be in operation due to the conflict [Situation of women, 1.1.3, p. 23].

[…]

Single women and female-headed households

[…]

The number of female-headed households has been rapidly increasing as a result of the widespread and systematic arrests and enforced disappearances of men and boys above the age of 15 years. [Situation of women, 1.2.1, p. 29]

The traditional gender norms in Syria confined the roles and responsibilities of Syrian women predominantly to their homes. The increasing number of female-headed households has led to women adopting new roles in addition to their customary roles as mothers and caregivers. This subjected them to stressful and complex living conditions that are difficult to cope with. Additional challenges include the need to provide for their families, for example by taking up work in the public sphere. In addition, women might face difficulties finding livelihood options deemed suitable for them according to the prevailing cultural and social norms. Other factors can further put burden on women and might expose them to risks of human rights violations. For example, the lack of civil registration with regard to divorce, custody, property rights and criminal matters, as well as movement restrictions imposed on women and girls, often justified with the fear of violence against females in public space and the social stigma placed on women, especially widows and divorcees. In addition, the lack of civil documentation can stop women from enjoying their legal and/or traditional rights provided by their marriage contractsand block the access to other rights and services, including humanitarian aid [Country Focus 2023, 2.1.3, p. 47; Targeting 2022, 13.3.1, p. 115; Situation of women, 1.2.1, pp. 29-30, 1.2.6, p. 36, 1.2.7, p. 36].

Widows and divorced women and girls can be distinguished as a subcategory of female headed households, which is highly stigmatised by the Syrian society. römisch eins t is reported that widows and divorced women and girls were particularly at risk of sexual violence, emotional and verbal abuse, forced marriage, polygamy and serial temporary marriages, movement restrictions, financial exploitation, and deprivation of inheritance, among others [Country Focus 2023, 1.3, p. 36; Situation of women, 1.2.10, pp.39-40]. Female heads of households are in particular at increased risk of sexual and gender-based violence as well as higher risks of homelessness and eviction due to a lack of a male protector and face these heightened risks irrespective of the geographical area. [Country Focus 2023, 1.3, p. 37; Targeting 2022, 13.3.1, p. 115; Situation of women, 2.2, p. 48]

There is also information about ‘widows camps’ in urban areas or larger displacement camps. Though women and children were supposed to be protected there, they were subjected to strong restrictions and limitations on their freedom and often even increased stigmatisation and violence. The overpopulation in IDP camps, informal settlements and collective centres further exposes girls and women to exploitation [Country Focus 2023, 1.3, p. 37; Targeting 2022, 13.3.1, p. 115; Situation of women, 2.1.1, p. 45].

[…]”

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person der BF:

Die unter Pkt. 1.1. getroffenen Feststellungen beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren. Sowohl die BF1 vergleiche BF1 AS 11ff., BF1 AS 45ff., Seite 7 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023 sowie Seite 7f des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024) als auch der BF2 vergleiche Seite 10 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023) und die BF6 vergleiche BF6 AS 1ff., AS 40ff., Seite 11 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023) machten allesamt über das Verfahren hinweg gleichlautende und übereinstimmende Angaben zu den Identitäten der BF, der Familiensituation, ihrer Herkunft und den persönlichen Lebensumständen. Sowohl die BF1 als auch die BF6 legten im Verfahren ihre Familienbücher vor vergleiche BF6 AS 47 bis AS 52 sowie Seite 11 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023). Die BF1 legte bereits im Verfahren vor dem BFA das Familienbuch im Original, eine Identifizierungskarte für Staatenlose, einen Auszug aus dem Eheregister, sowie einen Impfpass vor (AS 46). Zudem legte die BF1 in der Verhandlung ihr Familienbuch vor vergleiche Seite 11 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023), welches entsprechend einem Aktenvermerk der zuständigen Landespolizeidirektion vom 19.10.2021 nach einer Dokumentenüberprüfung als unbedenklich gehalten wurde. In der Verhandlung am 18.10.2024 legte die BF1 ihre Geburtsurkunde im Original vor (Beilage ./D der Niederschrift), aus welcher sich ihr Name und das Geburtsdatum ergibt.

Die Angehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden, ihre Muttersprache sowie das Bekenntnis zum sunnitisch muslimischen Glauben der BF1 bis BF5, ergeben sich aus ihren übereinstimmenden Angaben. Die Feststellung zur Staatsbürgerschaft der BF1 bis BF5 ergibt sich ebenfalls aus ihren Angaben in der Verhandlung. Hierbei ist zu beachten, dass die BF1 in der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt am 15.10.2021 zunächst angab, staatenlos zu sein vergleiche AS 46 und AS 49). Demnach sei ihr Mann syrischer Staatsbürger, sie sei in Syrien geboren und aufgewachsen und auch ihre Kinder seien syrische Staatsbürger. Sie habe ein Aufenthaltsrecht weil ihre Eltern in Syrien leben und sie in Syrien geboren sei (BF1 AS 46, Seite 2 der Niederschrift). In der gegenständlichen Beschwerde brachte die BF1 vor, sie sei staatenlos (BF1 AS 148, Seite 4 der Beschwerde). In der mündlichen Verhandlung gab die BF1 nachgefragt dann aber an, sie sei syrische Staatsbürgerin (Seite 7 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023). Vom BFA wurde die von der BF1 vorgelegte ID Card für Staatenlose als nichtexistierendes Dokument, ohne Beweiswert gewertet (BF1 AS 121, Seite 67 des angefochtenen Bescheides). Dieses wurde entsprechend einem Aktenvermerk der zuständigen Landespolizeidirektion vom 19.11.2021 nach einer Dokumentenüberprüfung zwar als unbedenklich gehalten, vermerkt wurde aber, dass es kein Vergleichsmaterial gebe und kein Sicherheitsdruck bzw. keine Sicherheitsmerkmale vorliegen würden.

Zum Herkunftsgebiet der Beschwerdeführer römisch 40 machten die BF1 bis BF5 über das Verfahren hinweg gleichlautende und glaubhafte Angaben, weshalb die Feststellung zum Herkunftsgebiet getroffen werden konnte vergleiche BF1 AS 11ff., BF1 AS 45ff., Seite 7 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023). Bereits in der Erstbefragung gab die BF1 an, im Stadteil römisch 40 in römisch 40 gelebt zu haben vergleiche AS 15).

Die Feststellung, dass der Heimatort der Beschwerdeführer römisch 40 im Nordosten Syriens im Gouvernement Al- Hasaka liegt und sich unter der Kontrolle der Kurden befindet, ergibt sich aus den herangezogenen Länderberichten sowie einer aktuellen Nachschau unter https://syria.liveuamap.com und den hierzu übereinstimmenden Angaben der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vergleiche Seite 11 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023).

Im Verfahren ist nicht hervorgekommen, dass die BF2 bis BF5 verheiratet wären oder Kinder haben.

Die Feststellungen über den Gesundheitszustand der BF1 ergibt sich aus dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung. Sowohl die BF1 als auch der BF2 gaben an gesund zu sein und keine Medikamente einzunehmen vergleiche Seite 8 und 10 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023 sowie Seite 7 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024).

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der BF ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Strafregisterauszug zu BF1, BF2 und BF3 vom 06.09.2024 sowie 07.11.2024).

Die BF1 bis BF5 reisten gemeinsam im Sommer 2021 illegal aus Syrien aus (BF1 AS 49, Seite 8 der Niederschrift vom 02.10.2023). In der zweiten Verhandlung gab die BF1 zwar zunächst an, sie sei im Sommer 2020 aus Syrien ausgereist und vor ca. vier Jahren ausgereist. Sie gab aber auch, in Übereinstimmung mit den bisherigen Angaben im Verfahren an, dass die Reise von Syrien aus bis nach Österreich ca. drei Monate gedauert habe und sie dann im September 2021 den Asylantrag in Österreich gestellt habe, woraus sich die Ausreise im Sommer 2021 ergibt vergleiche Seite 8 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024).

2.2. Zu den Fluchtgründen der Erstbeschwerdeführerin:

Die Fluchtgründe der BF1 wurden im ersten Rechtsgang nicht geprüft, da ihr von ihrem Sohn, dem BF2, der Status der Asylberechtigten abgeleitet zuerkannt wurde. Im gegenständlichen zweiten Rechtsgang, nachdem der VwGH (am 27.05.2024 zu Ra 2023/18/0495) das am 02.10.2023 mündlich verkündete und am 20.11.2023 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des BVwG (vom ersten Rechtsgang) behoben hat, wurde erneut eine Beurteilung der Fluchtvorbringen der BF1 bis BF5 durchgeführt. Hierbei hat sich ergeben, dass die von der BF1 im Verfahren vorgebrachte Verfolgungsgefahr glaubhaft und begründet ist.

Die Erstbefragung der BF1 fand am 01.09.2021 statt, dabei gab sie an, Syrien mit ihren Kindern wegen des Krieges verlassen zu haben, es habe dort keine Sicherheit gegeben und sie hätten dort nicht weiterleben können. Bei einer Rückkehr habe sie Angst vor dem Krieg und dem Leben dort (BF1 AS 21). In der Einvernahme vor dem BFA am 15.10.2021 gab die BF1 an, die wirtschaftliche Lage in Syrien sei schlecht und sie hätten finanzielle Probleme gehabt. Sie hätten schon seit ca. sechs Jahren nach Europa kommen wollen, aber die finanziellen Mittel dafür hätten nicht ausgereicht vergleiche BF1 Seite 5 der Niederschrift am 15.10.2021, AS 49). Zu ihren Fluchtgründen befragt, brachte die BF1 in der Einvernahme vor, sie habe Syrien wegen der Sicherheitslage verlassen. Es habe Anschläge in ihrer Region gegeben und sie habe Angst gehabt, dass die Kinder zwangsrekrutiert werden, weshalb sie ausgereist sei vergleiche BF1 Seite 7 der Niederschrift am 15.10.2021, AS 51).

Das BFA stellte im angefochtenen Bescheid vom 03.02.2022 fest, die Beschwerdeführer hätten Syrien wegen des Bürgerkrieges verlassen, die BF1 habe keine Gründe geltend gemacht, welche eine konkret gegen ihre Person gerichtete Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ableiten ließe. Sie habe in Syrien keine Konsequenzen wegen der Ausreise ihrer männlichen Familienangehörigen zu erwarten und sie werde in Syrien nicht gezielt zur Durchführung einer Zwangsheirat, Misshandlung oder Vergewaltigung gesucht (BF1 AS 67 und AS 127, Seite 13 und 72 des angefochtenen Bescheides).

In der Beschwerde vom 07.03.2022 wurde vorgebracht, die BF1 befürchte im Falle einer Rückkehr kumulativ als Staatenlose und Angehörige der Volksgruppe der Kurdinnen sowie der sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen verfolgt zu werden. Neben ihren Söhnen drohe auch ihr von kurdischer Seite der Einzug zum Militärdienst (BF1 AS 145, Seite 3ff. der Beschwerde). Sie traue sich in Syrien nicht ohne männliche Begleitung auf die Straße zu gehen, da Entführungen und Vergewaltigungen von Frauen an der Tagesordnung stehen würden (BF1 AS 147, Seite 3 der Beschwerde). In der Beschwerde wird vorgebracht, die BF1 gehöre zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen und sie beabsichtige in Hinkunft auch keine asylrechtliche Familienzusammenführung mit ihrem Ehemann. Weibliche Angehörige der kurdischen Volksgruppe seien erheblichen Diskriminierungen und Verfolgungshandlungen ausgesetzt (BF1 AS 148, Seite 4 der Beschwerde). Sie traue sich in Syrien nicht alleine, ohne männliche Begleitung auf die Straße zu gehen (BF1 AS 160, Seite 16 der Beschwerde).

Dass die BF1 eine alleinstehende, geschiedene Frau ist, ergibt sich aus dem dahingehend gleichlautenden und glaubhaften Vorbringen. Bereits die BF6 brachte im Verfahren glaubhaft vor, dass ihr Vater nach ihrer Mutter (der BF1) eine andere Frau geheiratet und mit dieser, zwei weitere Töchter habe. Er habe sich zunächst noch in Syrien aufgehalten und mit der neuen Frau und den zwei Töchtern im Elternhaus gelebt (BF6 AS 41, sowie Seite 4 des Bescheides betreffend die BF6) sei dann aber in die Türkei ausgereist vergleiche Seite 12 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023). Dass der Ex-Ehemann der BF1 eine neue Frau heiratete und mit dieser zwei weitere Töchter hat ergibt sich somit aus dem Vorbringen der BF6 im Verfahren und aus dem Vorbringen der BF1 in der zweiten Verhandlung. Auch das BFA stellte im Bescheid betreffend die BF6 fest: „Ihr Vater, römisch 40 , ca. über 40 Jahre alt, lebt gemeinsam mit seiner Zweitfrau (…)“ (Seite 7 des Bescheides vom 29.04.2023 betreffend die BF6 aus W250 2273319-1). Die BF6 legte das Familienbuch des Vaters im Original im Verfahren vor dem BFA vor vergleiche Seite 4 des Bescheides vom 29.04.2023 betreffend die BF6 aus W250 2273319-1).

Die BF1 legte sodann in der mündlichen Verhandlung am 18.10.2024 ein Scheidungsurteil im Original, in arabischer Sprache vom 25.09.2024 samt beglaubigter Übersetzung ins Deutsche vom 16.10.2024 vor (Kopie als Beilage ./B der Niederschrift). Aus diesem vom Scharia-Gericht in römisch 40 erlassenen Urteil ergibt sich, dass sich die BF1 und ihr Ehemann am 07.05.2024 vor zwei erwachsenen muslimischen Zeugen scheiden haben lassen und der Kläger (der Ehemann) den Antrag auf Feststellung der Ehescheidung beim genannten Gericht gestellt hat. Das Urteil des Scharia-Gerichts in römisch 40 bestätigt die Scheidung der BF1 von ihrem Ehemann (Kopie als Beilage ./B der Niederschrift).

Dass die Beschwerdeführer über keine (männlichen) Familienangehörigen in Syrien verfügen, ergibt sich aus den diesbezüglichen gleichlautenden und glaubhaften Angaben der BF1 in der Verhandlung, bei welcher sie vorbrachte, dass auch ihr Ex-Ehemann Syrien vor ca. sechs Monaten in die Türkei verlassen habe vergleiche Seite 7 und 8 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023). Auch bei der Verhandlung am 18.10.2024 brachte die BF1 glaubhaft vor, ihr Ex-Ehemann lebe in der Türkei, sie habe im Juni 2024 zuletzt Kontakt zu ihm gehabt und er habe ihr mitgeteilt, dass er nicht nach Österreich kommen wolle, dass er eine andere Frau geheiratet habe und dass er der BF1 den Scheidungsbeschluss schicken werde vergleiche Seite 7 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024).

Die Feststellung, dass die BF1 bei einer Rückkehr als geschiedene, alleinstehende und alleinerziehende Frau anzusehen ist, da sich ihre Kernfamilie im Ausland befindet, ergibt sich somit daraus, dass sowohl die BF1 als auch die BF6 im Verfahren glaubhaft vorgebracht haben, dass mittlerweile die gesamte Familie aus Syrien ausgereist ist vergleiche Seite 13 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023). Zunächst sei noch der Vater der BF6 in Syrien mit seiner neuen Ehefrau und seinen zwei weiteren Töchtern verblieben (BF6 AS 41). Aber auch dieser sei mittlerweile ausgereist und befinde sich in der Türkei. Dass die Beschwerdeführer über keine Familienangehörigen in Syrien mehr verfügen, ergibt sich somit aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben der BF1 in der Verhandlung vergleiche Seite 7 und 8 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023) in Übereinstimmung mit den glaubhaften Angaben der BF6 im Verfahren (BF6 AS 41) und in der Verhandlung vergleiche Seite 12 und 13 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023). Nachgefragt in der mündlichen Verhandlung, welche Familienangehörigen sich derzeit noch in Syrien aufhalten würden, gab die BF1 glaubhaft an, dass sie keine Familienangehörigen mehr in Syrien habe und nach ihrer Ausreise alle in die Türkei gereist seien: „(…) Im Falle einer Rückkehr hätte ich keine Unterstützung, weil ich niemanden mehr dort habe und mein Ehemann sich in der Türkei befindet. RI: Welche Ihrer Familienangehörigen halten sich derzeit nicht in Syrien auf? BF1: Alle sind im Ausland, es gibt niemanden mehr in Syrien.“ vergleiche Seite 7 und 8 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023). Auch in der zweiten Verhandlung bestätigte sie dies glaubhaft vergleiche Seite 7 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024).

Auch die BF6, die volljährige Tochter der BF1, brachte in der Verhandlung glaubhaft vor, dass sie nach der Ausreise ihres Vaters in die Türkei nun keine Familienangehörigen mehr in Syrien habe, und dass alle Familienmitglieder Syrien verlassen haben vergleiche Seite 12 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023). In der mündlichen Verhandlung am 02.10.2023 gab auch die BF6 danach befragt, ob sich noch männliche Familienangehörige in Syrien aufhalten an, alle seien in die Türkei gereist und es würden sich keine männlichen Familienangehörigen mehr in Syrien aufhalten: „R: Als Sie sich in Syrien aufgehalten haben, gab es da noch männliche Familienangehörige in Syrien? BF6: Ja. Es gab noch Männer, als ich mich noch in Syrien aufgehalten habe, diese sind jedoch nach meiner Ausreise in die Türkei eingereist.“ (Seite 13 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023).

Dass die BF1 weder von ihrem Ex-Ehemann in der Türkei, noch von ihren Eltern oder Geschwistern bei einer Rückkehr nach Syrien finanziell unterstützt werden kann, ergibt sich aus den dahingehend gleichlautenden und glaubhaften Angaben der BF1 im Verfahren vergleiche AS 49, Seite 8 sowie 12 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023). Bereits in der Einvernahme vor dem BFA brachte die BF1 vor, die Familie habe finanzielle Probleme, dem Ehemann gehe es finanziell nicht gut (BF1 Seite 5 der Niederschrift, AS 49). In der Verhandlung wurde glaubhaft vorgebracht, sie könne bei einer Rückkehr mit keiner Unterstützung durch ihre Familie oder ihren Ehemann rechnen: „BF: Ich habe weder ein Haus, noch Geld damit ich nach Syrien zurückkehre. Im Falle einer Rückkehr hätte ich keine Unterstützung, weil ich niemanden mehr dort habe und mein Ehemann sich in der Türkei befindet.“ (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls vom 02.10.2023). Die BF1 brachte im Verfahren glaubhaft vor, in Syrien kein Haus zu besitzen in welches sie mit ihren Kindern zurückkehren und nach einer Rückkehr wohnen könnte vergleiche Seite 8 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024). „Wir haben dort keine Bleibe und kein Haus.“ (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024).

Der Ex-Ehemann der Erstbeschwerdeführerin und Vater ihrer Kinder lebt mittlerweile in der Türkei. Dass dieser sie bei einer Rückkehr finanziell nicht unterstützen kann wurde festgestellt, da die BF1 diesbezüglich über das Verfahren hinweg gleichlautend vorbrachte, dass ihr mittlerweile Ex-Ehemann sie nicht finanziell unterstützen könne vergleiche BF1 BFA-EV Seite 5, AS 49 sowie OZ/7 Seite 8 der Niederschrift vom 02.10.2023). In der Einvernahme vor dem BFA gab die BF1 an, ihrer Familie gehe es finanziell nicht so gut vergleiche BF1 BFA-EV Seite 5, AS 49). Zu diesem Zeitpunkt lebte der Ehemann der BF1 noch in Syrien im Herkunftsort römisch 40 . Befragt ob ihr Mann in Syrien Probleme habe, gab die BF1 in der Einvernahme vor dem BFA an, dieser habe keine Probleme, er sei nicht mitgereist weil das Geld nicht für alle ausgereicht habe, daher habe er Syrien bislang nicht verlassen vergleiche BF1 BFA-EV Seite 7, AS 51).

Auch in der zweiten Verhandlung am 18.10.2024 schilderte die BF1 ihre Befürchtungen bei einer Rückkehr glaubhaft: „(…) besonders jetzt ist es für mich und meine Kinder schwierig, weil ich jetzt auch geschieden bin. Daher gibt es niemand, der für meine Kinder und mich sorgt und sich um uns kümmert“ (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024).

In der zweiten Verhandlung brachte die BF1 vor, sie und ihre Kinder wären sowohl von Seiten des syrischen Regimes als auch von Seiten der Kurden in Gefahr. Sie würden ihren ältesten Sohn und die anderen Kinder mitnehmen und auch sie festnehmen und ihr vorwerfen, die Kinder ins Ausland gebracht zu haben vergleiche Seite 8 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024). Es habe sich ihre Situation seit dem Erkenntnis des BVwG vom 02.10.2023 dahingehend geändert, dass sie jetzt keinen Ehemann mehr habe, zudem seien ihre zwei Söhne älter geworden vergleiche Seite 9 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024).

Die BF1 würde bei einer Rückkehr im Alter von 39 Jahren mit ihren vier minderjährigen Kindern in das kurdische Herkunftsgebiet in römisch 40 zurückkehren, wobei das jüngste ihrer Kinder erst vier Jahre alt ist. Die BF1 hat nie gearbeitet und nur fünf Jahre lang die Schule besucht. Ihr Ehemann und alle weiteren Familienmitglieder befinden sich in der Türkei vergleiche OZ/7 Seite 7 der Niederschrift vom 02.10.2023). Bei einer Rückkehr hätte sie keine (männlichen) Familienmitglieder in Syrien, kein Haus in das sie zurückkehren könnte und entsprechend ihrer glaubwürdigen Angaben auch keine Unterstützung die sie bekommen könnte vergleiche OZ/7 Seite 8 der Niederschrift vom 02.10.2023).

Die BF1 brachte im Verfahren glaubhaft vor, Analphabetin zu sein, keine Berufsausbildung und keine Berufserfahrung zu haben: „Das Problem ist, dass ich Analphabet bin und nie in meinem Leben gearbeitet habe. Seit ich denken kann, habe ich geheiratet und mich um den Haushalt und die Kinder gekümmert und ihr Vater hat gearbeitet und für uns gesorgt. Dort könnte ich nicht arbeiten, weil ich auch keinen Beruf habe.“ (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024).

Die BF1 schilderte im Verfahren ihre konkrete Befürchtung bei einer Rückkehr als alleinstehende Frau und Mutter: „Wir haben dort keine Bleibe und kein Haus. Man müsste dort ein Haus mieten, es gibt dort keinen Kindergarten, damit ich die Kinder hinschicke und ich selbst auch arbeiten gehen kann. Die Lage ist nicht wir hier in Österreich.“ (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024). „Die Situation wäre sehr schwierig. Wenn ich jetzt mit meinen vier Kindern in Syrien wäre, könnte ich nicht arbeiten gehen, weil ich in diesem Fall alle vier Kinder mitnehmen müsste, da es niemanden anderen gibt, der sich um sie kümmern könnte. Meine Kinder sind noch jung um selbst zu arbeiten. Daher müsste ich sie alle zur Arbeit mitnehmen.“ (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2024).

Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass in Syrien insbesondere Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand einem erhöhten Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt sind (römisch II.1.4.3.3. LIB Frauen). Frauen und frauengeführte Haushalte haben allgemein besonders unter den Folgen des Konfliktes zu leiden. 16 Prozent der von Frauen geleiteten Haushalte sind überhaupt nicht in der Lage, ihren Lebensbedarf zu decken (römisch II.1.4.3.2. LIB Frauen). Die BF1 müsste als geschiedene, alleinstehende Frau mit ihren Kindern zurückkehren. Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konflikts einem besonderen Risiko von Gewalt oder Belästigung ausgesetzt. Armut, Vertreibung, das Führen eines Haushalts oder ein junges Alter ohne elterliche Aufsicht bringen Frauen und Mädchen in eine Position geringerer Macht und erhöhen daher das Risiko der sexuellen Ausbeutung. Geschiedene werden als besonders gefährdet eingestuft. Vor 2011 war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich, allein zu leben, z. B. für Frauen mit Arbeit in städtischen Gebieten. Seit dem Beginn des Konflikts ist es fast undenkbar geworden, als Frau allein zu leben, weil eine Frau ohne Familie keinen sozialen Schutz hat. In den meisten Fällen würde eine Frau nach einer Scheidung zu ihrer Familie zurückkehren. In Haushalten mit weiblichem Haushaltsvorstand besteht ein höheres Risiko, sexueller Gewalt ausgesetzt zu sein, insbesondere für die Mädchen in diesen Familien (römisch II.1.4.3.2. LIB Frauen).

Die BF1 würde in Syrien keinen Schutz für sich und ihre Kinder vor sexuellen Übergriffen erhalten (römisch II.1.4.3.3. LIB Frauen). Ungefähr 12.715 Personen bestehend aus verwitweten und geschiedenen Frauen und Mädchen leben mit ihren Kindern in Syrien in 42 Witwenlagern, was ihrem Schutz und dem Erhalt ihrer 'Ehre' dienen soll, aber ihre Isolierung basiert auf der Einstellung, dass unverheiratete Frauen Schande über ihre Familie bringen (römisch II.1.4.3.3. LIB Frauen). Auch in einem Witwenlager ist die Gefahr von sexuellen Übergriffen gegeben, zudem ist nicht gesichert, dass die BF1 mit ihren Kindern in ein solches Lager sicher gelangen könnte. Entsprechend der Länderinformationen haben Mitglieder der SDF auch in den von ihnen geleiteten und verwalteten Haftzentren und Lagern sexuelle Gewalt ausgeübt (römisch II.1.4.5. EUAA Country Guidance).

Die Feststellungen zur Situation für alleinstehende Frauen in Syrien ergeben sich aus dem aktuellen Länderinformationsblatt vergleiche römisch II.1.4.3. LIB Frauen). Aus diesem ergibt sich, dass alleinstehende Frauen in Syrien aufgrund des Konflikts einem besonderen Risiko von Gewalt oder Belästigung ausgesetzt sind. Das Ausmaß des Risikos hängt vom sozialen Status und der Stellung der Frau oder ihrer Familie ab. Armut, Vertreibung, das Führen eines Haushalts oder ein junges Alter ohne elterliche Aufsicht bringen Frauen und Mädchen in eine Position geringerer Macht und erhöhen daher das Risiko der sexuellen Ausbeutung vergleiche römisch II.1.4.3. LIB Frauen). Mehr als ein Jahrzehnt des Konflikts in Syrien hat ein Klima geschaffen, das der Gewalt gegen Frauen und Mädchen zuträglich ist, besonders angesichts der sich verfestigenden patriarchalischen Gesellschaftsformen, der Fortschritte bei den Frauenrechten zunichtemachte vergleiche römisch II.1.4.3.1. LIB Frauen).

Hier ist darauf zu verweisen, dass entsprechend der Länderinformationen häusliche Gewalt in Syrien von Sicherheitskräften als eine private und nicht als kriminelle Angelegenheit angesehen wird. Auch das Gesetz verbietet häusliche Gewalt nicht. Den Berichten zufolge sind Gewalt und Missbrauch so weit verbreitet und unkontrolliert geworden, dass sie für viele Frauen und Mädchen zur Normalität geworden sind. Im Allgemeinen ist eine von fünf Frauen in Syrien heutzutage von sexueller Gewalt betroffen vergleiche römisch II.1.4.3.1. LIB Frauen).

Die Feststellung zur gesetzlichen und faktischen Stellung von Frauen in der syrischen Gesellschaft beruht auf den diesbezüglichen Angaben in der Länderinformation. Den dort angeführten Quellen kann ebenso entnommen werden, dass sexuelle Gewalt, nicht ausschließlich, aber mehrheitlich, von syrischen Regimekräften ausgeht. Vergewaltigungen sind demnach weit verbreitet. Die syrische Regierung und deren Verbündete setzten Vergewaltigung gegen Frauen, aber auch gegen Männer und Kinder, welche als der Opposition zugehörig wahrgenommen werden, ein, um diese zu terrorisieren oder zu bestrafen. Menschenrechtsorganisationen zufolge sind nach Syrien rückkehrende Flüchtlinge, besonders Frauen und Kinder, sexueller Gewalt durch Regimekräfte ausgesetzt (römisch II.1.4.3. LIB Frauen). Folglich bietet die syrische Regierung keinen verlässlichen oder adäquaten Schutz vor sexueller Gewalt, Missbrauch oder Ausbeutung von Frauen.

Frauen und frauengeführte Haushalte haben besonders unter den Folgen des Konfliktes zu leiden, weil sie ihren täglichen Lebensbedarf nicht decken können. Vor diesem Hintergrund ist die BF1, die keine abgeschlossene Schulbildung oder eine weiterführende, formale Ausbildung aufweist, als besonders vulnerabel einzustufen. Die BF1 besuchte fünf Jahre lang die Grundschule, hat keine Berufsausbildung, hat nie erwerbstätig gearbeitet und war zuletzt Hausfrau. Sie ist zudem Analphabetin. Aufgrund der geschlechterspezifischen Benachteiligung im Erwerbsleben und hinsichtlich des Erhalts von Sozialleistungen – worauf auch die Länderinformation Bezug nimmt – unterliegt die BF1 einem erhöhten Armutsrisiko und folglich einer hohen Gefahr der Ausbeutung. Für die BF1 wäre es, aufgrund der in der Gesellschaft vorherrschenden Traditionen als geschiedener Frau nicht erlaubt, allein das Haus zu verlassen. Aus den Länderinformationen geht hervor, dass öffentliche Räume wie Kontrollpunkte, Märkte oder Straßen potenzielle Risiken für Frauen bergen, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Zudem sind geschiedene Frauen mit einem sozialen Stigma konfrontiert, welches zu sozialer Isolation, Ablehnung von Arbeitsplätzen und Verstoßung durch deren Familien, bis hin zu „Ehrenmorden“, führen kann (römisch II.1.4.3. LIB Frauen). Zudem brachte die BF1 im Verfahren glaubhaft vor, dass sie bei einer Rückkehr als alleinstehende und alleinerziehende Frau mit vier minderjährigen Kindern komplett auf sich alleine gestellt wäre und keinerlei Unterstützung durch die Familie oder ihren Ex-Ehemann zu erwarten hätte. Sie müsste für sich und ihre vier Kinder zur Lebenserhaltung einen Arbeitsplatz suchen, wobei sie gleichzeitig ihre vier minderjährigen Kinder betreuen müsste. Aufgrund ihres Analphabetismus und der fehlenden schulischen und beruflichen Ausbildung würde ihr die Arbeitsplatzsuche nicht nur schwerfallen, sondern sie wäre bei dieser auch der Gefahr ausgesetzt, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Die BF1 gab im Verfahren gleichlautend und glaubhaft an, dass sie in Syrien fünf Jahre lang die Grundschule besucht habe, jedoch keinen Beruf erlernt oder ausgeübt habe. Sie müsste daher bei einer Rückkehr nach Syrien, ohne familiäres Unterstützungsnetzwerk und ohne männliche Angehörige, im derzeitigen Alter von 39 Jahren und mit vier minderjährigen Kindern, von welchen das jüngste erst vier Jahre alt ist, als geschiedene Frau, ohne Berufsausbildung für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder sorgen. Durch den anhaltenden Konflikt und die damit einhergehende Instabilität sowie die sich verschlechternde wirtschaftliche Situation hat sich die Situation der Frauen zunehmend erschwert. Geschlechtsbasierte Gewalt hat zugenommen, auch in wirtschaftlicher Hinsicht, einschließlich Ausbeutung bei der Arbeit wie auch Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit (römisch II.1.4.3. LIB Frauen).

Die zunehmende Zahl von Haushalten, die in Syrien von Frauen geführt werden, hat dazu geführt, dass Frauen zusätzlich zu ihrer gewohnten Rolle als Mutter und Betreuerin neue Aufgaben übernommen haben. Hierbei können Frauen entsprechend der aktuellen Länderinformationen Schwierigkeiten haben, Erwerbsmöglichkeiten zu finden, die nach den vorherrschenden kulturellen und sozialen Normen für sie geeignet sind. Andere Faktoren können die Frauen zusätzlich belasten und sie dem Risiko von Menschenrechtsverletzungen aussetzen. Zum Beispiel das Fehlen einer zivilen Registrierung in Bezug auf Scheidung, Sorgerecht, Eigentumsrechte und Strafsachen sowie Bewegungseinschränkungen für Frauen und Mädchen, die oft mit der Angst vor Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum und der sozialen Stigmatisierung von Frauen, insbesondere Witwen und Geschiedenen, begründet werden (römisch II.1.4.5. EUAA Country Guidance: Syria, Übersetzung durch den erkennenden Richter mit Unterstützung von www.deepl.com). Der Umgang mit geschiedenen Frauen ohne männliche Familienangehörige, die als Haushaltsvorstand und Mutter von vier minderjährigen Kindern in Syrien leben, gehen über bloße diskriminierende Maßnahmen hinaus und stellen entsprechend den Länderinformationen in ihrer Gesamtheit eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen dar.

Witwen und geschiedene Frauen und Mädchen können als eine Unterkategorie der von Frauen geführten Haushalte angesehen werden, die in der syrischen Gesellschaft stark stigmatisiert ist. Die BF1 hat in Syrien eine deutlich abgegrenzte Identität, da sie als geschiedene, alleinstehende und alleinerziehende Mutter, von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Es wird berichtet, dass Witwen und geschiedene Frauen und Mädchen besonders von sexueller Gewalt, emotionalem und verbalem Missbrauch, Zwangsverheiratung, Polygamie und zeitlich befristeten Serienehen, Bewegungseinschränkungen, finanzieller Ausbeutung und Erbschaftsentzug bedroht sind. Weibliche Haushaltsvorstände sind insbesondere einem erhöhten Risiko von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie einem erhöhten Risiko von Obdachlosigkeit und Zwangsräumung ausgesetzt, da sie keinen männlichen Beschützer haben, und zwar unabhängig von der geografischen Lage (römisch II.1.4.5. EUAA Country Guidance: Syria, Übersetzung durch den erkennenden Richter mit Unterstützung von www.deepl.com).

Auch die UNHCR-Erwägungen beschreiben hinsichtlich sexueller Gewalt ein hohes Gefahrenpotenzial für Frauen, welches von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren ausgeht und sich in den unterschiedlichsten Situationen realisieren kann, einschließlich an Kontrollstellen, bei Entführungen und Festnahmen, in Vertriebenenlagern, sowie in Situationen, in denen Frauen zur Prostitution gezwungen werden und Opfer von Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung werden (römisch II.1.4.4. UNHCR Erwägungen zum Schutzbedarf von Menschen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Auflage, vom März 2021, Seite 178ff).

Aus den „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der arabischen Republik Syrien fliehen“ geht hervor, dass sexuelle Gewalt eine weit verbreitete Form der Folter durch das Regime in Syrien ist und Frauen verstärkt vulnerabel sind. Frauen, die in ihrer (erweiterten) Familie keine männliche Unterstützung erhalten, einschließlich alleinstehender Frauen, Witwen und geschiedener Frauen, werden oft von ihren Familien und Gemeinschaften stigmatisiert und sind Berichten zufolge besonders gefährdet, Opfer von Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel zu werden. UNHCR ist der Auffassung, dass Frauen und Mädchen ohne echte familiäre Unterstützung, einschließlich Witwen und geschiedener Frauen, wahrscheinlich internationalen Schutz benötigen, je nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder ihrer Religion (römisch II.1.4.4. UNHCR Erwägungen).

Zusätzlich sind Frauen seit Ausbruch des Krieges vermehrt häuslicher Gewalt ausgesetzt, die zudem in weiten Teilen der Gesellschaft immer noch akzeptiert ist. Einen adäquaten gesetzlichen Rahmen zum Schutz vor häuslicher Gewalt gibt es in Syrien nicht (römisch II.1.4.4. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Menschen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Auflage, vom März 2021, Seite 182).

In Syrien verfügt die BF1 über keinen sozialen Schutz durch männliche Familienangehörige. Der Ex-Ehemann der BF1 hält sich in der Türkei auf und hat nach der BF1 eine neue Frau geheiratet, mit der er zwei weitere Töchter hat. Die Beschwerdeführer verfügen über keine Familienangehörige in Syrien, sowohl die Eltern, als auch die Geschwister und der Ex-Ehemann der BF1 halten sich in der Türkei auf. Es leben keine Familienangehörigen der BF1 mehr in Syrien. In einer Gesamtschau konnte deshalb festgestellt werden, dass der BF1 in Syrien keine familiäre Unterstützung, insbesondere nicht durch ihre männlichen Familienangehörigen, zukommt. Als geschiedene Frau ohne sozialen Schutz, formale Bildung und wirtschaftliche Absicherung ist sie in besonderem Maße vulnerabel. Sie ist Analphabetin und als alleinstehende, geschiedene Frau für vier minderjährige Kinder (das jüngste ist erst vier Jahre alt) verantwortlich. Das hat zur Folge, dass sie im Herkunftsstaat dem realen Risiko von sexueller Gewalt, Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel ausgesetzt ist.

Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass der BF1 in ihrer individuellen Situation auch im kurdischen Herkunftsgebiet als 39-jährige, alleinstehende, geschiedene und alleinerziehende Mutter Gefahr droht. Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic hat in ihren Berichten wiederholt festgestellt, dass praktisch alle Konfliktparteien in Syrien geschlechtsbezogene und/oder sexualisierte Gewalt anwenden, wenngleich in unterschiedlichen Formen und Ausmaßen vergleiche römisch II.1.4.3.3. LIB). Entsprechend der aktuellen Länderinformationen ergibt sich für die BF1 auch in ihrem kurdischen Herkunftsgebiet eine Bedrohung als junge alleinstehende Frau und Mutter von vier minderjährigen Kindern. In der (selbstproklamierten) Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (AANES - Autonomous Administration of North and East Syria) erleben kurdische Frauen liberalere kulturelle Normen in den kurdischen Gemeinschaften, was durch die politischen Parteien gefördert wird. Allerdings ist die jeweilige Lage der Frauen großteiles von ihren Familien und deren Einstellungen abhängig, sodass in religiöseren oder traditionelleren kurdischen Gemeinschaften auch mehr traditionelle gesellschaftliche Normen gelten. Beispiele für vulnerable Frauen wären z. B. kurdische Frauen in den kurdischen Gebieten, die gegen die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) eingestellt sind vergleiche römisch II.1.4.3.4.).

Auch im kurdischen Herkunftsgebiet der BF1 droht ihr die genannte Gefahr vor sexuellen Übergriffen als alleinstehende, geschiedene Frau. Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt gegen Frauen durch Mitglieder nicht-staatlicher bewaffneter Gruppen sind zwar dokumentiert, kommen aber schätzungsweise weniger häufig vor als durch die Regierungstruppen und ihre Verbündeten. Berichten zufolge stehen Fälle von sexueller Gewalt dort im Zusammenhang mit sozialen Phänomenen wie Ausbeutung, Konfessionalismus und Rache, wobei Fälle dokumentiert sind, die Opfer mit kurdischem Hintergrund, vermeintliche Schiiten oder regierungstreue Personen sowie Minderheitengruppen wie Drusen und Christen betreffen. Sexuelle Gewalt ebenso wie Ausbeutung und Hürden beim Zugang zu Hilfsleistungen betreffen besonders oft geschiedene Frauen (römisch II.1.4.3.3. LIB Frauen).

Der Nordosten Syriens wird im Allgemeinen immer noch als ländliche und stammesgebundene Gesellschaft angesehen, in der die Rolle der Frauen auf die Arbeit im Haus oder innerhalb von Verwaltungseinrichtungen beschränkt ist. In Gebieten mit arabischer Mehrheitsbevölkerung, die als konservativer gelten und wo Stammesstrukturen noch stark verwurzelt sind, ist es für die kurdischen Behörden schwerer, Gleichberechtigungsmaßnahmen ohne Widerstand durchzusetzen. Im kurdischen Herkunftsgebiet der BF1 geht die Gefahr ihr gegenüber bei einer Rückkehr vor allem von der dort lebenden Gesellschaft aus, die trotz der für Frauenrechte werbenden kurdischen Partei, nach wie vor eher traditionell konservativ gestimmt ist. Generell wurde geschlechtsspezifische Gewalt, wie sexuelle Gewalt, häusliche und familiäre Gewalt, Kinderehen und Ehrenmorde, aus allen Teilen Syriens gemeldet, auch aus den von den SDF kontrollierten Regionen vergleiche römisch II.1.4.3.4.).

Ferner kann dem Bericht der EUAA Country Guidance Syria vom April 2024 entnommen werden, dass unter anderem geschiedenen Frauen ein negatives soziales Stigma anhaftet. Geschiedene sind demzufolge mit einem besonderen Risiko von sexueller Gewalt, Missbrauch, Zwangsverheiratung, Bewegungseinschränkungen im Alltag oder Ausbeutung konfrontiert (römisch II.1.4.5. EUAA Country Guidance: Syria, Übersetzung durch den erkennenden Richter mit Unterstützung von www.deepl.com). Auch wenn kurdische Frauen in den örtlichen Gemeinschaften liberalere kulturelle Normen erleben, ist deren Partizipation laut der Länderinformation stark von der Haltung ihrer Familien und deren Einstellung abhängig. So wird insbesondere der Nordosten Syriens immer noch als ländliche und stammesgebundene Gesellschaft angesehen, in der die Rolle der Frauen auf die Arbeit im Haus oder innerhalb von Verwaltungseinrichtungen beschränkt ist (römisch II.1.4.5. EUAA Country Guidance). In den von den SDF kontrollierten Gebieten wurden Vorfälle von Tötungen, gewaltsamem Verschwindenlassen und Folter durch die SDF gegenüber Frauen dokumentiert. Es wurde auch von Inhaftierungen von Frauen berichtet, die ihr Recht auf Arbeit und freie Meinungsäußerung einforderten. Zu den bekanntesten Formen sexueller Gewalt unter den SDF gehörten Belästigungen bei Durchsuchungen und verbale sexuelle Gewalt. Mitglieder der SDF haben auch in den von ihnen geleiteten und verwalteten Haftzentren und Lagern sexuelle Gewalt ausgeübt (römisch II.1.4.5. EUAA Country Guidance).

Die BF1 stammt aus einem Gebiet unter kurdischer Kontrolle, weshalb ihr auch aus diesem Grund durch das syrische Regime oppositionelle Gesinnung zumindest unterstellt werden könnte und sie auch aus diesem Grund, bei einer Rückkehr als alleinstehende Frau mit vier Kindern erhöhter Gewalt und sexuellem Missbrauch durch das syrische Regime ausgesetzt wäre. Hierbei ist auf die festgestellte Bedrohung für Frauen ausgehend vom syrischen Regime zu verweisen, wonach alleinstehende Frauen in Syrien aufgrund des Konflikts einem besonderen Risiko von Gewalt oder Belästigung ausgesetzt sind. Vergewaltigungen sind weit verbreitet, auch die Regierung und deren Verbündete setzten Vergewaltigung gegen Frauen, welche als der Opposition zugehörig wahrgenommen werden, ein, um diese zu terrorisieren oder zu bestrafen vergleiche römisch II.1.4.3.3.). Amnesty International und Human Rights Watch berichten immer wieder über Vergewaltigungen, Folter und systematische Gewalt gegen Frauen und Mädchen, insbesondere von Seiten des syrischen Militärs und affiliierter Gruppen unter anderem an Grenzübergängen, bei Militärkontrollen und in Haftanstalten vergleiche römisch II.1.4.3.3.).

Insgesamt ergibt sich daraus, dass der BF1 bei einer Rückkehr Gefahr aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen in Syrien droht. Zu beachten ist hierbei, dass die BF1 als geschiedene, alleinstehende und alleinerziehende Frau und Mutter von vier minderjährigen Kindern und als Rückkehrerin als besonders vulnerable Person anzusehen wäre. Gleichzeitig ist ihr nicht zuzumuten, beispielsweise durch eine Zwangsheirat auf das Merkmal der alleinstehenden Frauen zu verzichten.

Beweiswürdigende Erwägungen zu den weiteren von der BF1 geltend gemachten Flucht- und Verfolgungsgründen können fallbezogen unterbleiben, weil ihr bereits vor diesem Hintergrund der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist. In der gegenständlichen Beschwerde vom 07.03.2022 wurde vorgebracht, die BF1 befürchte im Falle einer Rückkehr aufgrund der ihr unterstellten regimekritischen Gesinnung, durch die illegale Ausreise und Familienangehörigkeit zu Wehrdienstverweigerern, verfolgt zu werden vergleiche BF1 AS 145, Seite 3ff. der Beschwerde) und zudem bestehe das Risiko einer, in der Beschwerde vorgebrachten vergleiche BF1 AS 154, Seite 10ff. der Beschwerde), Zwangsrekrutierung der jungen BF1 durch die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten im kurdisch kontrollierten Herkunftsgebiet aufgrund der fehlenden familiären Unterstützung bei einer Rückkehr. Auf das weitere Fluchtvorbringen der BF1 war daher nicht mehr genauer einzugehen.

2.3. Zu den Fluchtgründen der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer:

Eine erneute Prüfung des Fluchtvorbringens des BF2 im gegenständlichen zweiten Rechtsgang kann unterbleiben, und auf die vom BF2 im Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe war gegenständlich nicht mehr einzugehen, da dem BF2 als minderjährigem und ledigen Sohn der BF1 bereits im Familienverfahren der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

Für die weiteren Kinder der BF1, die BF3 bis BF5, wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht vergleiche AS 23, BF1 Seite 7 der Niederschrift am 15.10.2021, AS 51). Lediglich in der zuletzt durchgeführten Verhandlung am 18.10.2024 brachte die BF1 vor, sie befürchte, dass all ihre Kinder mit ihr inhaftiert werden würden vergleiche Seite 7f. der Niederschrift am 18.10.2024).

2.4. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen vergleiche oben römisch II.1.4.), insbesondere auf das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, aus dem Country of Origin - Content Management System (COI-CMS) – Syrien, Version 11 vom 27.03.2024, sowie auf die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen - 6. aktualisierte Fassung, März 2021, und die EUAA Country Guidance zu Syrien vom April 2024.

Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Auch aus dem aktuellen Bericht zur Behandlung ausgewählter Gruppenprofile sowie zur sozioökonomischen Lage, insbesondere in Damaskus-Stadt, Latakia und Tartus von EUAA – European Union Agency for Asylum (ehemals: European Asylum Support Office, EASO) vom Oktober 2024 geht hervor, dass Frauen von willkürlichen Verhaftungen betroffen sind. Rückkehrerinnen berichteten, dass sie an Kontrollpunkten belästigt und erpresst wurden. Sexuelle Ausbeutung gab es auch für diejenigen, die kein Geld hatten, um Bestechungsgelder zu zahlen. Vermehrt müssen Frauen Berufen nachgehen um den Lebensunterhalt zu sichern und um die Abwesenheit erwachsener Männer im Haushalt zu kompensieren. Die zunehmende Präsenz von Frauen in öffentlichen und gesellschaftlichen Rollen hat sie „zur Zielscheibe von Angriffen und sexueller Belästigung gemacht“ vergleiche Übersetzung durch den erkennenden Richter aus: EUAA Syria - Country Focus, Country of Origin Information Report, Oktober 2024, Seite 21, 37, 79).

3. Rechtliche Beurteilung:

Die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes vom 03.02.2022 betreffend die BF1 bis BF5 wurden der BF1 (sowohl ihr selbst und auch als gesetzliche Vertreterin der BF2 bis BF5) am 16.02.2023 zugestellt. Die am 07.03.2022 erhobene Beschwerde der BF1 bis BF5 ist damit rechtzeitig und zulässig.

3.1. Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).

Gemäß Paragraph 3, Absatz 3, AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6, AsylG 2005) gesetzt hat.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Flüchtling ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche etwa VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001; 28.03.2023, Ra 2023/20/0027).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt auch einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren vergleiche VwGH 10.04.2020, Ra 2019/19/0415, mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat auch ausgesprochen, dass die Schutzfähigkeit und -willigkeit der staatlichen Behörden grundsätzlich daran zu messen ist, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind und ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat. Dabei muss auch bei Vorhandensein von Strafnormen und Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall geprüft werden, ob die revisionswerbenden Parteien unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände in der Lage sind, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben vergleiche VwGH 14.04.2021, Ra 2020/18/0126, mwN).

Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen vergleiche Artikel 9, Absatz eins, der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen vergleiche VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).

Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist nach Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK, also aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht vergleiche VwGH 02.02.2023, Ro 2022/18/0002, mwN). Für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft letzterenfalls kommt es nicht bloß auf die tatsächliche politische Gesinnung an, auch die seitens der Verfolger dem Asylwerber unterstellte politische Gesinnung ist asylrechtlich relevant vergleiche dazu nochmals VwGH Ra 2023/20/0027, mwN). Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht vergleiche VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).

Für die Asylgewährung kommt es weiters auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person im Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste vergleiche etwa VwGH 07.03.2023, Ra 2022/18/0284, mwN). Relevant kann also nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der „Asylentscheidung“ immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen zu befürchten habe vergleiche VwGH 19.10.2000, 98/20/0233, mwN; sowie unter Hinweis auf diese Entscheidung VfGH 27.02.2023, E 3307/2022).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „internen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

Die Bestimmung der Heimatregion des Asylwerbers ist Grundlage für die Prüfung, ob dem Asylwerber dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht und ob ihm – sollte dies der Fall sein – im Herkunftsstaat außerhalb der Heimatregion eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht vergleiche VwGH 25.08.2022, Ra 2021/19/0442, mwN).

Zur Bestimmung der Heimatregion kommt der Frage maßgebliche Bedeutung zu, wie stark die Bindungen des Asylwerbers an ein bestimmtes Gebiet sind. Hat er vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland nicht mehr in dem Gebiet gelebt, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist, ist der neue Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen, soweit der Asylwerber zu diesem Gebiet enge Bindungen entwickelt hat. In Fällen, in denen ein Asylwerber nicht auf Grund eines eigenen Entschlusses, sondern unter Zwang auf Grund einer Vertreibung seinen dauernden Aufenthaltsort innerhalb des Herkunftsstaates gewechselt hat und an dem neuen Aufenthaltsort nicht Fuß fassen konnte (Zustand innerer Vertreibung), ist der ursprüngliche Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen vergleiche etwa VwGH 25.05.2020, Ra 2019/19/0192, mwN; 25.08.2022, Ra 2021/19/0442; 09.03.2023, Ra 2022/19/0317). Zur Beantwortung der Frage, wo sich die Heimatregion des Asylwerbers befindet, bedarf es somit einer Auseinandersetzung damit, welche Bindungen der Asylwerber zu den in Betracht kommenden Ortschaften – etwa in Hinblick auf familiäre und sonstige soziale Kontakte und örtliche Kenntnisse – aufweist vergleiche erneut VwGH 25.05.2020, Ra 2019/19/0192).

Der VwGH hat in seiner Entscheidung vom 04.07.2023, Ra 2023/18/0108, betreffend die Erreichbarkeit festgelegt, dass die Verfolgungsgefahr in Bezug auf den Herkunftsstaat zu prüfen ist und der Rechtslage keine Einschränkung auf eine Region innerhalb des Herkunftsstaates zu entnehmen ist (Rz 14). Es ist gemäß Paragraph 3, AsylG 2005 einem Fremden, der in Österreich einen (zulässigen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat vergleiche Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 17, AsylG 2005) Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht. Die für die Asylgewährung erforderliche Verfolgungsgefahr ist daher in Bezug auf den Herkunftsstaat des Asylwerbers oder der Asylwerberin zu prüfen vergleiche dazu etwa VwGH 2.2.2023, Ra 2022/18/0266, mwN). Auch Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK und die Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) stellen auf das Herkunftsland vergleiche etwa Artikel 2, Litera n, Statusrichtlinie) des Asylwerbers oder der Asylwerberin ab und prüfen die Asylberechtigung hinsichtlich dieses Landes. Eine Einschränkung der Prüfung der Gewährung von Asyl auf die Herkunftsregion des Asylwerbers oder der Asylwerberin innerhalb des Herkunftsstaates ist dieser Rechtslage nicht zu entnehmen vergleiche VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108, Rz 14). Der VwGH hat klargestellt, dass sich die Rechtsansicht, es komme auf die (behauptete) Verfolgung aus asylrelevanten Gründen schon beim Grenzübertritt nicht an, als rechtlich unzutreffend erweist (Rz 25). Der VwGH stellte vielmehr fest, dass sich keinem der bisherigen höchstgerichtlichen Beschlüsse die Aussage entnehmen lässt, dass eine (asylrelevante) Verfolgungsbehauptung im Herkunftsstaat (wonach der Revisionswerber beim Grenzübertritt Verfolgung durch die syrischen Behörden zu erwarten hätte, ehe er überhaupt in seine Herkunftsregion gelangen werde), ungeprüft bleiben dürfe vergleiche VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108, Rz 23).

Diesbezüglich hat auch der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 29.06.2023, E 3450/2022-16, ausgeführt, dass zu prüfen ist, ob die Herkunftsregion für den Beschwerdeführer erreichbar ist, ohne dass ihm am Weg dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung iSd Paragraph 3, AsylG 2005 droht. Entsprechend dem VfGH muss durch das BVwG überprüft werden, ob der Beschwerdeführer in die Herkunftsregion gelangen kann, ohne festgestellter, asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt zu sein vergleiche VfGH vom 05.10.2023, E 872/2023, Rz 4 sowie VfGH 05.10.2023, E 1178/2023-14). Wenn das Bundesverwaltungsgericht nur prüft, ob einem Beschwerdeführer in seiner Herkunftsregion, Verfolgung droht, jedoch die Frage außer Acht lässt, ob dem Beschwerdeführer ein Weg in diese Region offensteht, auf dem er nicht der Gefahr läuft, einer Verfolgung iSd Art1 Abschnitt A Z2 GFK ausgesetzt zu sein, belastet es sein Erkenntnis mit Willkür vergleiche hinsichtlich der auf den Herkunftsstaat bezogenen Prüfung auch VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0108).

3.1.2. Zum ersten Rechtsgang:

Mit Entscheidung vom 27.05.2024 zu Ra 2023/18/0495 gab der VwGH der Amtsrevision statt und hob das am 02.10.2023 mündlich verkündete und am 20.11.2023 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des BVwG zu W250 2253162-1/12E ua (gegenständlicher erster Rechtsgang) im angefochtenen Umfang (Spruchpunkt römisch eins.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf (OZ/20 in 2253162-1). Der BF2 sei im Entscheidungszeitpunkt 15 Jahre und neun Monate alt und es sei nicht nachvollziehbar, weshalb dieser bei einer Rückkehr bereits zu befürchten habe, zum Militärdienst für das syrische Regime eingezogen zu werden. Ebenso wenig seien spezifische, in der Person des BF2 gelegene Umstände erkennbar, um eine aktuelle Verfolgungsgefahr im Zusammenhang mit der kurdischen „Selbstverteidigungspflicht“ etwas mehr als zwei Jahre vor dem Erreichen der maßgeblichen Altersgrenze von 18 Jahren zu begründen. Da das Erkenntnis im angefochtenen Umfang (Spruchpunkt römisch eins.) aufgehoben wurde, ist Spruchpunkt römisch II. betreffend die BF6 (W250 2273319-1) in Rechtskraft erwachsen und ihr wurde mit Erkenntnis des BVwG zu W250 2253162-1/12E (02.10.2023 mündlich verkündet und am 20.11.2023 schriftlich ausgefertigt) rechtskräftig der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

3.1.3. Zur Erstbeschwerdeführerin und der Verfolgungsgefahr als alleinstehende Frau in Syrien:

Die Fluchtgründe der BF1 wurden im ersten Rechtsgang nicht geprüft, da ihr von ihrem Sohn, dem BF2 der Status der Asylberechtigten abgeleitet zuerkannt wurde. Im gegenständlichen zweiten Rechtsgang, wurde erneut eine Beurteilung der Fluchtvorbringen der BF1 bis BF5 durchgeführt. Hierbei hat sich ergeben, dass die von der BF1 im Verfahren vorgebrachte Verfolgungsgefahr glaubhaft und begründet ist.

In der gegenständlichen Beschwerde vom 07.03.2022 wurde vorgebracht, die BF1 befürchte im Falle einer Rückkehr als Angehörige der Volksgruppe der Kurdinnen sowie der sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen und aufgrund der ihr unterstellten regimekritischen Gesinnung, durch die illegale Ausreise und Familienangehörigkeit zu Wehrdienstverweigerern, verfolgt zu werden. Neben ihren Söhnen drohe auch ihr von kurdischer Seite der Einzug zum Militärdienst (BF1 AS 145, Seite 3ff. der Beschwerde).

Die BF1 ist eine geschiedene, alleinstehende und alleinerziehende Frau. Die BF1 würde bei einer Rückkehr im Alter von 39 Jahren mit ihren vier minderjährigen Kindern in das kurdische Herkunftsgebiet in römisch 40 zurückkehren, wobei das jüngste ihrer Kinder erst vier Jahre alt ist. Die BF1 kann weder von ihrem Ex-Ehemann in der Türkei, noch von ihren Eltern oder Geschwistern bei einer Rückkehr nach Syrien finanziell unterstützt werden. Ihr kommt im Fall der Rückkehr keine Unterstützung ihrer (männlichen) Familienmitglieder zu und sie hat in der Herkunftsregion keine (männlichen) Angehörigen mehr. Die BF1 ist Analphabetin, hat nur fünf Jahre lang die Schule besucht und nie gearbeitet, sie hat keinerlei Berufsausbildung und kein Haus, in dem sie wohnen könnte.

Als geschiedene Frau und Mutter von vier minderjährigen Kindern ohne sozialen Schutz, formale Bildung und wirtschaftliche Absicherung ist sie in besonderem Maße vulnerabel. Der BF1 droht bei einer Rückkehr in ihr kurdisches Herkunftsgebiet römisch 40 als geschiedene, alleinstehende und alleinerziehende Frau mit vier minderjährigen Kindern, asylrelevante Verfolgung.

3.1.3.1. Judikatur zu alleinstehenden syrischen Frauen:

Zur asylrelevanten Verfolgungsgefahr (alleinstehender) syrischer Frauen hat sowohl der VwGH als auch der VfGH bereits entschieden. Zum einen hat der Verwaltungsgerichtshof bereits das Risikoprofil alleinstehender Frauen unter Verweis auf die – von einer besonderen Gefährdung für diese Gruppe ausgehenden – UNHCR-Erwägungen hervorgehoben und eine Entscheidung des BVwG mangels Auseinandersetzung mit diesen Erwägungen aufgehoben (VwGH 11.12.2023, Ra 2022/19/0269). Im Anlassfall handelte es sich um eine Frau aus dem Kurdengebiet, wo nach der Argumentation des BVwG die Lage für Frauen besser sei. Zugleich hielt der VwGH aber in einem anderen Fall im Rahmen der Stattgabe einer Amtsrevision fest (VwGH 12.12.2023, Ro 2023/14/0005), dass die im Anlassfall getroffenen Feststellungen für den Schluss einer asylrelevanten Verfolgung nicht ausreichten; dabei betonte er insbesondere, dass nicht jede Diskriminierung eine Verfolgungshandlung bedeute und das BVwG keine Feststellungen zu den Merkmalen und der Identität der sozialen Gruppe der Frauen getroffen habe. Diese sah der VwGH ebenso nicht als gegeben an (VwGH 12.12.2023, Ro 2023/14/0005). Im Anlassfall ging es um eine bei hypothetischer Rückkehr nach Syrien alleistehende Frau mit Kindern, deren Ehemann in den VAE lebt und die in der Vergangenheit bereits wiederholt allein zu Studienzwecken nach Syrien gereist war.

Im hier zu beurteilenden Fall ist die BF1 aber nicht nur als Haushaltsvorstand anzusehen, sondern sie ist von ihrem Ex-Ehemann geschieden und somit als geschiedene und alleinerziehende Frau und Mutter besonders vulnerabel. Zudem hat sie keinerlei Ausbildung genossen und müsste ohne jegliche Berufserfahrung und als Analphabetin für sich und ihre vier Kinder sorgen.

Zum anderen hat auch der Verfassungsgerichtshof das Risikoprofil alleinstehender Frauen mit Blick auf die UNHCR-Erwägungen betont und ist insbesondere in Fällen, in denen das Bestehen bzw. die Gefahr häuslicher Gewalt festgestellt wurde, beschwerdestattgebend vorgegangen (VfGH 11.06.2024, E 3551-3554/2023 und vergleiche auch ähnlich VfGH vom 26.06.2024, E 919/2024-12). In einem Fall, in dem von einer Rückkehr einer alleinstehenden Frau nach Syrien mit einem minderjährigen Kind auszugehen wäre, hob der VfGH das Erkenntnis mit Blick auf die diesbezüglich nicht berücksichtigten Länderfeststellungen (ohne Verweis auf UNHCR) auf (VfGH 12.03.2024, E 474/2024).

Im gegenständlichen Fall ist die BF1 zwar nicht Opfer häuslicher Gewalt geworden und es besteht auch nicht die maßgebliche Gefahr häuslicher Gewalt ausgehend von ihrem Ehemann, da sie von diesem getrennt lebt und nicht mit ihm zurückkehren würde. Aufgrund der individuellen Situation der BF1 liegen aufgrund der fehlenden Ausbildung, des Analphabetismus und ihrer Verantwortung für vier minderjährige Kinder aber gefahrenerhöhende Elemente vor, die sexuellen Missbrauch und Gewalt gegenüber der BF1 maßgeblich wahrscheinlich machen, zumal sie als geschiedene Frau und ohne jegliche männliche Familienangehörige nach Syrien zurückkehren müsste.

3.1.3.2. Judikatur zur sozialen Gruppe:

Zur fallrelevanten Lage in Syrien wurde festgestellt, dass alleinstehende Frauen in Syrien aufgrund des Konflikts einem besonderen Risiko von Gewalt und Belästigung ausgesetzt sind. Das Ausmaß des Risikos hängt vom sozialen Status und der Stellung der Frau oder ihrer Familie ab. Armut, Vertreibung, das Führen eines Haushalts oder ein junges Alter ohne elterliche Aufsicht bringen Frauen und Mädchen in eine Position geringerer Macht und erhöhen daher das Risiko der sexuellen Ausbeutung. Geschiedene wurden als besonders gefährdet eingestuft vergleiche römisch II.1.4.3.).

Zu beachten ist hierbei, dass die BF1 als alleinstehende, geschiedene Mutter mit vier minderjährigen Kindern, als Analphabetin ohne Ausbildung, sowie als Rückkehrerin als besonders vulnerable Person anzusehen wäre. Zudem hat sie keine männlichen Familienangehörigen in Syrien.

Nach der Definition des Artikel 10, Absatz eins, Litera d, der Statusrichtlinie gilt eine Gruppe insbesondere als eine „bestimmte soziale Gruppe“, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Zum einen müssen die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Zum anderen muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird vergleiche das Urteil des EuGH vom 07.11.2013 in den verbundenen Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12). Bei der sozialen Gruppe handelt es sich um einen Auffangtatbestand. Eine soziale Gruppe kann aber nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (VwGH 14.08.2020, Ro 2020/14/0002, mwN).

Um das Vorliegen einer Verfolgung aus dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe beurteilen zu können, bedarf es daher sowohl Feststellungen zu den Merkmalen und zur abgegrenzten Identität dieser Gruppe als auch zum kausalen Zusammenhang mit der Verfolgung vergleiche VwGH 14.8.2020, Ro 2020/14/0002, Rn. 14, mwN). Dabei ist zu beachten, dass nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK anzusehen ist, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen vergleiche Artikel 9, Absatz eins, Status-RL). Ob dies der Fall ist, ist im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (VwGH 11.12.2019, Ra 2019/20/0295).

Unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird eine Repression verstanden, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten. Nach herrschender Auffassung kann eine soziale Gruppe aber nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist vergleiche VwGH 3.7.2023, Ra 2023/14/0182, Rn. 23, mwN).

Der EuGH entschied zur Frage, ob Frauen insgesamt als einer sozialen Gruppe zugehörig angesehen werden können, dass Artikel 10, Absatz eins, Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU (QualifikationsRL) dahin auszulegen ist, dass, je nach den im Herkunftsland herrschenden Verhältnissen, sowohl die Frauen dieses Landes insgesamt als auch enger eingegrenzte Gruppen von Frauen, die ein zusätzliches gemeinsames Merkmal teilen, als „einer bestimmten sozialen Gruppe“ zugehörig angesehen werden können, im Sinne eines „Verfolgungsgrundes“, der zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen kann (EuGH 16.01.2024, C-621/21, WS gegen Bulgarien, siehe Rn 49-62).

3.1.3.3. Zum vorliegenden Fall:

Unter Berücksichtigung der Judikatur zur sozialen Gruppe ist der BF1 der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen. Die BF1 ist als Angehörige der sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen zu sehen. Die BF1 würde als geschiedene Frau nach Syrien zurückkehren. Dieses Merkmal ist so bedeutsam für ihre Identität, dass die BF1 nicht gezwungen werden kann, beispielsweise durch eine Zwangsheirat oder Zwangsehe darauf zu verzichten. Die BF1 verfügt somit als Frau ohne männlichen Schutz oder sonstige familiäre Unterstützung in ihrer Herkunftsregion über ein Merkmal, welches für ihre Identität so bedeutend ist, dass sie nicht gezwungen werden kann, darauf zu verzichten.

Da die BF1 geschieden ist und ohne ihren Ex-Ehemann sowie ohne die Unterstützung und den Schutz anderer männlicher Familienangehörige als Haushaltsvorstand mit vier minderjährigen Kindern zurückkehren müsste, ist die Voraussetzung der sozialen Wahrnehmung als andersartig gegeben. Die BF1 hat in Syrien eine deutlich abgegrenzte Identität, da sie als geschiedene, alleinstehende und alleinerziehende Mutter von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Die Verfolgungshandlungen erreichen in ihrer Gesamtheit entsprechend den Länderinformationen auch die für die Asylzuerkennung erforderliche Intensität. Es ist der kausale Zusammenhang mit der Verfolgung gegeben. Der Umgang mit geschiedenen Frauen ohne männliche Familienangehörige, die als Haushaltsvorstand und Mutter von vier minderjährigen Kindern in Syrien leben, gehen über bloße diskriminierende Maßnahmen hinaus und stellen entsprechend den Länderinformationen in ihrer Gesamtheit eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen dar. Würde die BF1 nicht als geschiedene Frau ohne männliche Familienmitglieder zurückkehren, würde sie nicht verfolgt werden. Insgesamt erreicht die Diskriminierung von Frauen und die Gefahr Opfer sexueller Gewalt zu werden ein Niveau, das eine Schwere erreicht, die einer asylrelevanten Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen gleichkommt. Dies insbesondere unter Beachtung des Einzelfalles der BF1, die als besonders vulnerable Person anzusehen ist, weil sie als geschiedene, alleinstehende und alleinerziehende Mutter von vier minderjährige Kindern ohne Familienangehörige und ohne Ausbildung nach Syrien zurückkehren würde.

Gleichzeitig definiert sich die soziale Gruppe der alleinstehenden Frauen aber nicht ausschließlich dadurch, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist, sondern vielmehr dadurch, dass sie ohne einen Ehemann oder anderen männlichen Familienangehörigen in der traditionellen syrischen Gesellschaft als andersartig erachtet wird.

Im gegenständlichen Fall der BF1 war entsprechend der höchstgerichtlichen Judikatur insbesondere das Risikoprofil alleinstehender Frauen aus den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, zu beachten. Es ist darauf hinzuweisen, dass auch UNHCR Frauen (insbesondere Frauen und Mädchen ohne echte familiäre Unterstützung, einschließlich Witwen und geschiedener Frauen) als eine schützenswerte Risikogruppe ansieht vergleiche zur „Indizwirkung“ von UNHCR-Positionen vergleiche etwa VwGH 11.12.2023, Ra 2022/19/0269). Aus den „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der arabischen Republik Syrien fliehen“ geht hervor, dass Frauen, die in ihrer (erweiterten) Familie keine männliche Unterstützung erhalten, einschließlich alleinstehender Frauen, Witwen und geschiedener Frauen, oft von ihren Familien und Gemeinschaften stigmatisiert werden und Berichten zufolge besonders gefährdet sind, Opfer von Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel zu werden. UNHCR ist der Auffassung, dass Frauen und Mädchen ohne echte familiäre Unterstützung, einschließlich Witwen und geschiedener Frauen, wahrscheinlich internationalen Schutz benötigen, je nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder ihrer Religion (römisch II.1.4.4. UNHCR Erwägungen).

In Syrien verfügt die BF1 über keinen sozialen Schutz durch männliche Familienangehörige. Der Ex-Ehemann der BF1 hält sich in der Türkei auf und hat nach der BF1 eine neue Frau geheiratet, mit der er zwei weitere Töchter hat. Die Beschwerdeführer verfügen über keine Familienangehörige in Syrien, sowohl die Eltern, als auch die Geschwister und der Ex-Ehemann der BF1 halten sich in der Türkei auf. Es leben somit keine (männlichen) Familienangehörigen der BF1 mehr in Syrien. Die BF1 ist eine geschiedene, alleinstehende und alleinerziehende Frau. Als geschiedene Frau ohne sozialen Schutz, formale Bildung und wirtschaftliche Absicherung ist sie in besonderem Maße vulnerabel. Sie ist Analphabetin und als alleinstehende, geschiedene Frau für vier minderjährige Kinder (das jüngste ist erst vier Jahre alt) verantwortlich. Das hat zur Folge, dass sie im Herkunftsstaat dem realen Risiko von sexueller Gewalt, Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel ausgesetzt ist.

Als geschiedene Frau, welche über keine Ausbildung verfügt, Analphabetin ist und mit vier minderjährigen Kindern zurückkehren müsste, weisen die Lebensumstände der BF1, insbesondere vor dem Hintergrund der UNHCR-Erwägungen, mehrere individuelle risikoerhöhende Umstände auf, welche eine besondere Vulnerabilität begründen vergleiche VfGH 11.06.2024 E 3551-3554/2023).

Vor dem Hintergrund der getroffenen Länderfeststellungen ist in weiterer Folge davon auszugehen, dass die BF1 im Fall ihrer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien als geschiedene Frau, welche über keine familiären Anknüpfungspunkte verfügt, dem realen Risiko ausgesetzt wäre, Opfer von massiver Gewalt und Ausbeutung zu werden. Zudem ist auch an der notwendigen Kausalität nicht zu zweifeln, nachdem die BF1 glaubhaft darlegen konnte, dass sie bei einer Rückkehr ohne männlichen Schutz wäre bzw. keine familiäre Unterstützung hätte. Der syrische Staat bietet der BF1 keinen verlässlichen und adäquaten Schutz vor Verfolgung, ist doch den festgestellten Länderberichten zu entnehmen, dass bisher die größte Bedrohung für Frauen vom syrischen Regime selbst ausging. Die Gefährdung der BF1 geht betreffend die Gefahr ihrer Verfolgung bei einer Rückkehr als alleinstehende Frau sowohl vom Staat als auch von der Gesellschaft aus, wobei das syrische Regime nicht gewillt ist, die BF1 vor drohender Gewalt zu schützen.

Entsprechend der aktuellen Länderinformationen ist die gegen die BF1 geschilderte Bedrohung auch aktuell. Die Feststellungen zur Lage in Syrien erlauben es deshalb gegenständlich eine entsprechend hohe und aktuelle Verfolgungsgefahr anzunehmen.

Bei der gegebenen Sachlage ist auch die für die Asylgewährung erforderliche Anknüpfung an einen Konventionsgrund gegeben, weil der Grund für die Verfolgung der BF1 wesentlich in ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden, geschiedenen Frauen liegt.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die BF1 aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der (alleinstehenden) Frauen verfolgt zu werden, außerhalb Syriens befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren. Angesichts dessen kann der BF1 nicht entgegengehalten werden, dass ihre Furcht vor Verfolgung nicht wohlbegründet wäre. Vielmehr würde sich eine Person in der Situation der BF1 fürchten verfolgt zu werden.

Eine Bedrohung der BF1 ist entsprechend der Länderinformationen auch im kurdischen Herkunftsgebiet gegeben. Diesbezüglich ist darauf zu verweisen, dass der VfGH darauf hingewiesen hat, dass sich das BVwG mit der Lage einer alleinstehenden Frau aus römisch 40 im Fall ihrer Rückkehr nach Syrien gemeinsam mit ihrem minderjährigen Kind zu befassen habe, da dem LIB zu entnehmen ist, dass geschlechtsspezifische Gewalt (sexuelle, häusliche und familiäre Gewalt), Kinderehen und Ehrenmorde aus allen Teilen Syriens – auch von SDF kontrollierten Regionen – gemeldet werden vergleiche VfGH vom 12.03.2024, E 474/2024-10 siehe Rz 20f).

Sowohl aus den oben zitierten Länderberichten als auch aus den UNHCR-Richtlinien geht hervor, dass die BF1 bei einer Rückkehr nach Syrien eine objektiv nachvollziehbare und somit wohlbegründete Frucht vor Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe haben müsste. Im Falle der BF1 besteht somit der geforderte Konnex zu den in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen.

Eine abschließende Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann insbesondere vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme dieser im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil Paragraph 11, AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind vergleiche VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016). Schon die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz durch die belangte Behörde steht mangels einer diesbezüglichen relevanten Änderung der Rechts- oder Tatsachenlage einer Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative entgegen (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/18/0054). Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für die Beschwerdeführer somit nicht, da nicht angenommen werden kann, dass die BF1 bis BF5 in bestimmten Landesteilen Syriens sicher wären.

Die BF1 konnte somit glaubhaft machen, dass ihr im Herkunftsstaat aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht.

Ein Abweisungsgrund gemäß Paragraph 3, Absatz 3, AsylG 2005 liegt im konkreten Fall nicht vor, da der BF1– wie gezeigt – keine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht und diese keinen Asylausschlussgrund gesetzt hat.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und der BF1 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Lediglich der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass die Paragraphen 2, Absatz eins, Ziffer 15 und 3 Absatz 4, AsylG 2005 gemäß Paragraph 75, Absatz 24, leg. cit. hier anzuwenden sind, weil die BF1 bis 5 ihren Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt haben.

3.1.4. Zur vorgebrachten Verfolgung des Zweitbeschwerdeführers:

Auf die vom BF2 im Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe war gegenständlich nicht mehr einzugehen, da dem BF2 als minderjährigem und ledigen Sohn der BF1 bereits im Familienverfahren der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

3.1.5. Zum Familienverfahren:

Gemäß Paragraph 34, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 gilt der Antrag eines Familienangehörigen eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als „Antrag auf Gewährung desselben Schutzes“. Die Behörde hat gemäß Paragraph 34, Absatz 4, AsylG 2005 Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind „unter einem“ zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben, gilt diese gemäß Paragraph 16, Absatz 3, BFA-VG auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.

Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG ist „Familienangehöriger“:

„a. der Elternteil eines minderjährigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten;

b. der Ehegatte oder eingetragene Partner eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, sofern die Ehe oder eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;

c. ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten und

d. der gesetzliche Vertreter eines minderjährigen ledigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten sowie ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind, für das einem Asylwerber, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten die gesetzliche Vertretung zukommt, sofern die gesetzliche Vertretung jeweils bereits vor der Einreise bestanden hat.“

Stellt ein Familienangehöriger iSd Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß Paragraph 34, Absatz eins, AsylG als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes. Die Behörde hat gemäß Paragraph 34, Absatz 2, AsylG aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (Paragraph 2, Absatz 3, AsylG), die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens iSd Artikel 8, EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 7, AsylG).

Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Absatz 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.

Gemäß Paragraph 34, Absatz 6, AsylG sind die Bestimmungen dieses Abschnitts nicht anzuwenden:

„1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (Paragraph 30, NAG).“

Aus der Wendung in Paragraph 34, Absatz 4, zweiter Satz AsylG 2005, Familienverfahren seien „unter einem“ zu führen, ist abzuleiten, dass diese – jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation – von derselben Behörde zu führen sind. Demgemäß gehen die Materialien zum AsylG 2005 davon aus, dass Ziel der Bestimmungen des Paragraph 34, AsylG 2005 sei, Familienangehörigen den gleichen Schutz zu gewähren, ohne ihnen ein Verfahren im Einzelfall zu verwehren. Wenn einem Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, solle „dieser allen anderen Familienmitgliedern – im Falle von offenen Verfahren zur gleichen Zeit von der gleichen Behörde – zuerkannt werden“ (Erläuterungen zur RV, 952 BlgNR römisch 22 .GP; vergleiche zu Paragraph 10, Absatz 5, AsylG 1997 – bezogen auf die Frage der Zulassung – auch VwGH 18.10.2005, 2005/01/0402).

Gemäß Paragraph 34, Absatz 6, Ziffer 2, AsylG 2005 sind die Sonderbestimmungen des Familienverfahrens nicht auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Familienverfahrens zuerkannt wurde, anzuwenden, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind.

Für das Verhältnis von Eltern und Kindern betreffend die Konstellation des Paragraph 34, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005, in der sämtliche Fremde den Antrag zur selben Zeit gestellt haben und zu dieser Zeit das Kind, welches den Status der Asylberechtigen zugesprochen bekommen hat, noch minderjährig war, sind die Vorschriften für das Familienverfahren nach Paragraph 34, AsylG 2005 vollumfänglich zur Anwendung zu bringen, unabhängig davon, ob dieses Kind im Zeitpunkt der Zuerkennung des Asylstatus bereits die Volljährigkeit erreicht hat vergleiche VwGH 24.10.2018, 2018/14/0040).

Es liegt gegenständlich ein Familienverfahren gemäß Paragraph 34, AsylG vor, da die BF2 bis BF5 zum Zeitpunkt der Asylantragstellung die minderjährigen und ledigen Kinder der Erstbeschwerdeführerin sind.

Der BF1 war gegenständlich der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Den BF2 bis BF5 kommt als minderjährigen und ledigen Kindern der Erstbeschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 34, Absatz 2, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, Litera c, AsylG 2005 zu. Bei den genannten Familienangehörigen der Erstbeschwerdeführerin kamen keine Asylendigungsgründe bzw. Asylausschlussgründe hervor.

Diese Entscheidung war gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 mit den Feststellungen zu verbinden, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung, vorallem zur sozialen Gruppe der (alleinstehenden) Frauen, wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2024:W250.2253159.1.00