Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

16.07.2024

Geschäftszahl

W250 2287276-1

Spruch


W250 2287276-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde des minderjährigen römisch 40 alias römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Syrien, gesetzlich vertreten durch die BH römisch 40 , Referat für Jugend und Familie, rechtlich vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.01.2024, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

1. Der unbegleitete minderjährige Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Syriens, stellte am 31.08.2022 im Alter von 15 Jahren einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 02.09.2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass in Syrien Krieg herrsche und seine Eltern alles verloren hätten. Er habe mit seiner Familie schon seit sieben Jahren illegal in der Türkei gelebt. In Österreich wolle er Asyl, arbeiten und seine Familie unterstützen. Bei einer Rückkehr habe er Angst vor Armut (AS 29).

3. Mit Schreiben vom 14.10.2022 legte der Beschwerdeführer einen syrischen Personenregisterauszug in Kopie vor (AS 63).

4. Mit sachverständiger Volljährigkeitsbeurteilung vom 29.10.2022 wurde ein Mindestalter von 15,0 Jahren zum Untersuchungszeitpunkt am 27.10.2022 und ein Mindestalter von 14,84 Jahren bei der Asylantragstellung des Beschwerdeführers am 31.08.2022 festgestellt, womit das vom Beschwerdeführer angegebene Geburtsdatum vereinbar ist (AS 67ff.). Mit Beschluss des zuständigen Bezirksgerichtes vom 21.07.2023 wurde die Obsorge hinsichtlich des minderjährigen Beschwerdeführers dem Land römisch 40 als Jugendwohlfahrtsträger übertragen (AS 121).

5. Am 22.11.2023 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden als BFA bezeichnet) unter der Teilnahme der gesetzlichen Vertretung des Beschwerdeführers und einer Vertrauensperson, sowie einem per Video zugeschalteten Dolmetscher für die Sprache Kurdisch statt. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, seine Familie habe Syrien wegen des Krieges verlassen. Er sei ein kleines Kind gewesen und sei wegen der Kämpfe und des Krieges in Syrien gezwungen gewesen, in die Türkei zu gehen. Seiner Familie gehe es aufgrund der Diskriminierungen in der Türkei nicht gut, der Beschwerdeführer sei nach Österreich gekommen um seine Familie durch eine Familienzusammenführung nachzuholen vergleiche BFA-EV Seite 8f., AS 170f.).

6. Der Beschwerdeführer legte ein Familienbuch auf Arabisch in Kopie vor, welches schriftlich übersetzt wurde vergleiche BFA-EV Seite 2 und Anlagen zur EV AS 177 bis AS 199, sowie Übersetzung AS 201 bis AS 2011). Außerdem wurde vom Beschwerdeführer die Kopie eines Personenstandsregisters ihn betreffend erneut vorgelegt, welcher ebenfalls übersetzt wurde (AS 212 und Übersetzung AS 213).

7. Mit Schreiben vom 06.12.2023 brachte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine Stellungnahme ein, in welcher im Wesentlichen vorgebracht wurde, es sei das Kindeswohl des minderjährigen Beschwerdeführers zu beachten. In der Herkunftsregion, der von Kurden kontrollierten Provinz Aleppo, würden Jugendliche zwangsrekrutiert werden. In der Stellungnahme wurde auf verschiedene Länderinformationen verwiesen, wonach die Zwangsrekrutierung von Kindern im Syrienkonflikt durch verschiedenste Parteien eine Bedrohung darstelle. Der Beschwerdeführer sei von drohender Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Milizen und das syrische Militär betroffen. Ihm drohe in wenigen Monaten die für den Wehrdienst vorbereitenden Tätigkeiten und die Einberufung. Der Beschwerdeführer habe Syrien illegal verlassen, weshalb ihm bei einer Rückkehr aus dem Westen und aus einem von der Opposition beherrschten Gebiet, eine oppositionelle politische Gesinnung vom Regime unterstellt werde (AS 231ff.).

8. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 19.01.2024, zugestellt am 29.01.2024, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Syrien zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Das BFA stellte im angefochtenen Bescheid fest, der Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt der Entscheidung 16 Jahre alt und unterliege weder der allgemeinen Wehrpflicht noch der Selbstverteidigungspflicht. Eine persönliche Verfolgung oder Bedrohung im Herkunftsstaat liege weder aufgrund der Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe noch aufgrund des Auslandsaufenthaltes vor. Die Heimatregion des Beschwerdeführers befinde sich derzeit unter kurdischer Kontrolle und sei über den Grenzübergang Semalka erreichbar. Eine Zwangsrekrutierung als Minderjähriger sei weder durch die freie syrische Armee, die kurdische YPG noch die syrische Armee maßgeblich wahrscheinlich vergleiche Bescheid Seite 10f. AS 278).

9. Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht am 16.02.2024 Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, wegen mangelhafter Beweiswürdigung, sowie wegen der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer bekräftigte sein bisheriges Fluchtvorbringen und gab an zu fürchten, bei einer Rückkehr aufgrund seiner baldigen Volljährigkeit zum Wehrdienst durch das syrische Regime eingezogen zu werden. Zudem befürchte er eine Zwangsrekrutierung durch die Kurden oder die FSA. Außerdem befürchte er eine Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien und der Antragstellung auf internationalen Schutz im Ausland. Das syrische Regime sei im Herkunftsgebiet Manbij präsent und eine Rückkehr ohne Kontakt zu diesem sei ihm nicht möglich. Es wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, sowie den angefochtenen Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt römisch eins. zu beheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und an das BFA zurückzuverweisen vergleiche Seite 2f. der Beschwerde, AS 435f.).

10. Am 27.02.2024 langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein. Mit dieser gab das BFA eine Stellungnahme ab, in der im Wesentlichen vorgebracht wurde, es sei im angefochtenen Bescheid auf Zwangsrekrutierungen von Kindern durch die syrische Armee oder andere Konfliktparteien eingegangen worden und auch auf die Erreichbarkeit der Herkunftsregion. Es sei keine konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohung aufgezeigt worden. Die allgemeine Möglichkeit einer Zwangsrekrutierung erfülle die Voraussetzungen zur Gewährung des Asylstatus nicht. Der Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt der Entscheidung 16 Jahre alt und daher noch mehrere Jahre von der Erreichung der Volljährigkeit entfernt. Es könne nicht beurteilt werden wie sich die Lage in Syrien bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Beschwerdeführers entwickeln werde (OZ/1). Mit der Stellungnahme wurden zwei polizeiliche Abschlussberichte vom 14.01.2024 und vom 31.01.2024 betreffend den Verdacht des Diebstahls durch den Beschwerdeführer, sowie die Vollmachtsauflösung der Diakonie vom 01.02.2024 vorgelegt.

11. Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom 22.03.2024 wurde die gegenständliche Rechtssache der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen (OZ/3).

12. Mit Schreiben vom 16.04.2024, zugestellt am 22.04.2024, informierte die zuständige Staatsanwaltschaft von der Einstellung des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer in der Jugendstrafsache wegen Verdachts auf Diebstahl (OZ/5). Am 24.04.2024 langten zwei Abschlussberichte der zuständigen Landespolizeidirektion vom 10.04.2024 einerseits betreffend den Verdacht des Diebstahls und andererseits betreffend den Verdacht der mutwilligen Auslösung des Brandmeldealarms in der Betreuungseinrichtung, durch den Beschwerdeführer ein (OZ/6).

13. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 25.04.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer im Beisein einer Vertrauensperson und seiner Rechtsvertretung sowie eines Dolmetschers persönlich einvernommen wurde. Es nahm unentschuldigt kein Vertreter des BFA an der Verhandlung teil. Im Rahmen der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer insbesondere ausführlich zu seiner Identität, seiner Herkunft, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen Familienverhältnissen und seinem Leben in Syrien sowie seinen Fluchtgründen befragt. Das erkennende Gericht brachte neben dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren ein (OZ/7).

14. Mit Stellungnahme vom 10.05.2024 brachte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vor, es müsse sein Alter im Rahmen einer Prognoseentscheidung beachtet werden und dem 16-jährigen Beschwerdeführer drohe bei einer Rückkehr die Zwangsrekrutierung. Es sei ihm aufgrund des Alters auch nicht möglich, sich vom Wehrdienst bei der syrischen Armee freizukaufen. Verschiedene Kriegsparteien würden in Syrien Kinder zwangsrekrutieren, das syrische Regime sei für fast 65% der Fälle von rekrutierten Minderjährigen verantwortlich. Es gelte der Grundsatz des Kindeswohls. Der Beschwerdeführer sei unbescholten, es lägen bis dato keine Verurteilungen vor (OZ/8).

15. Mit Parteiengehör vom 27.06.2024 wurde weitere Erkenntnisquellen in das Verfahren eingebracht.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Beschwerdeführer:

1.1.1. Zu seiner Person:

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen und das Geburtsdatum. Er ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Kurden an und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer spricht Kurdisch, Kurmanchi, als Muttersprache und Türkisch. Er kann in diesen Sprachen lesen und schreiben. Außerdem spricht er Arabisch, kann diese Sprache aber nicht lesen und schreiben vergleiche AS 19f., BFA-EV = Einvernahme des BFA am 22.11.2023, Seite 6f. AS 168, OZ/7 Verhandlungsprotokoll vom 25.04.2024, Seite 2, 5, 6).

Die Familie des Beschwerdeführers besteht aus seinem Vater, seiner Mutter, einer älteren Schwester und sieben jüngeren Geschwistern. Die Familie des Beschwerdeführers lebt seit 12 Jahren in der Türkei, in römisch 40 . Der Beschwerdeführer hat regelmäßigen Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern. Der Beschwerdeführer hat einen Großcousin väterlicherseits, mit dem er nach Österreich gekommen ist und der in Österreich lebt. Der Beschwerdeführer hat mehrere Verwandte in Deutschland und mehrere Onkel und Tanten in römisch 40 , in Syrien vergleiche AS 167, OZ/7 Verhandlungsprotokoll vom 25.04.2024, Seite 6, 7).

Der Beschwerdeführer wurde in Syrien in Al Hasaka geboren, lebte dann aber durchgehend in Manbij, bis er im Alter von fünf Jahren Syrien mit seiner Familie illegal verlassen hat.

Der Beschwerdeführer besuchte die Schule im Herkunftsort Manbij in Syrien nur ein Monat lang. Er reiste mit seiner Familie im Alter von fünf Jahren aus Syrien aus und lebte fortan in der Türkei. In der Türkei besuchte er vier Jahre lang die Schule und arbeitete anschließend vier Jahre in der Landwirtschaft. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation der Familie musste der Beschwerdeführer arbeiten und konnte die Schule nicht weiter besuchen vergleiche AS 19f., BFA-EV Seite 5 AS 168f., OZ/7 Seite 6).

Der Beschwerdeführer ist gesund und nimmt keine Medikamente ein.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer wurde in Syrien in Al Hasaka geboren, lebte dann aber durchgehend in Manbij, bis er im Alter von fünf Jahren Syrien mit seiner Familie illegal verlassen hat. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers in Syrien ist Manbij, da er zu diesem die größte Bindung hat. Der Beschwerdeführer verließ seinen Herkunftsort Manbij und Syrien im Jahr 2012 im Alter von ca. fünf Jahren gemeinsam mit seiner Familie und reist in die Türkei aus vergleiche AS 19f., AS 163f., OZ/7 Seite 7).

Der Herkunftsort des Beschwerdeführers Manbij im Nordosten Syriens liegt im Gebiet der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria – AANES) und befindet sich somit unter der Kontrolle der kurdischen Streitkräfte. Manbij im Gouvernement Aleppo steht unter kurdischer Kontrolle, ebenso die angrenzenden Gebiete in der näheren Umgebung. Das syrische Regime verfügt im großräumigen Gebiet der Herkunftsregion, entlang des Grenzstreifens zur Türkei, über militärische Präsenz zur Abschreckung türkischer Kräfte.

Der Beschwerdeführer ist ein im Entscheidungszeitpunkt 16,5 Jahre alter syrischer Staatsangehöriger. Er ist minderjährig und wird von der BH römisch 40 , Referat für Jugend und Familie, gesetzlich vertreten.

Der Beschwerdeführer lehnt die Ableistung eines Militärdienstes in Syrien im Allgemeinen ab.

1.1.2.1. Zur vorgebrachten drohenden Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime:

Der Beschwerdeführer hat in Syrien keinen Militärdienst geleistet. Er ist gesund und wehrdienstfähig. Ein Befreiungsgrund liegt in seinem Fall nicht vor. Einen Aufschub des Militärdienstes für die syrische Armee hat er nicht erwirkt und es liegt keine Befreiung vom Militärdienst durch Freikauf vor. Der Beschwerdeführer hat keine Einberufung zur syrischen Armee erhalten und besitzt auch kein Militärbuch der syrischen Armee.

Für männliche, syrische Staatsangehörige im Alter zwischen 18 und 42 Jahren ist die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend. Dies gilt ab 1. Jänner des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird. Im Alter von 17 Jahren sind die jungen Männer dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Für den Beschwerdeführer besteht somit in wenigen Monaten die im syrischen Recht verankerte Verpflichtung, die für den Wehrdienst vorbereitenden Tätigkeiten auszuführen und in etwas über einem Jahr hat er den Wehrdienst anzutreten. Er wäre nach Erreichen des 18. Lebensjahres – also im Falle einer Rückkehr nach Syrien in naher Zukunft – wehrpflichtig und müsste spätestens ab jenem Zeitpunkt in Syrien damit rechnen, zum Dienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden.

Der Herkunftsort des Beschwerdeführers Manbij befindet sich aber unter der Kontrolle der kurdischen Streitkräfte. Das syrische Regime kann in jenem Gebiet, welches sich unter kurdischer Kontrolle befindet, de facto keine Personen zum Militärdienst einberufen. Es ist nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer an einem Checkpoint des syrischen Regimes im Selbstverwaltungsgebiet für Nord- und Ostsyrien angehalten und zum Wehrdienst eskortiert wird.

Im gegenwärtigen Zeitpunkt droht dem Beschwerdeführer somit in seinem Herkunftsgebiet nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die zwangsweise Rekrutierung durch die Streitkräfte des syrischen Regimes oder sonstige Verfolgung durch die syrische Regierung.

Das syrische Regime ist aktuell teilweise im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers präsent. Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in dieses Gebiet auszudehnen. Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken. Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent. Das syrische Regime führt in den Gebieten, in denen es präsent ist, auch Personenkontrollen durch. Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass Personen, die für den Militärdienst gesucht werden und einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte in der Nähe von Manbij passieren, zur Wehrpflicht eskortiert werden können. Der Beschwerdeführer wird jedoch nicht dezidiert zum Wehrdienst gesucht, er hat weder einen Einberufungsbefehl noch ein Wehrdienstbuch erhalten, da er im Alter von fünf Jahren aus Syrien ausgereist ist.

1.1.2.2. Zur vorgebrachten drohenden Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Streitkräfte:

Der Beschwerdeführer wurde nicht von kurdischen Kräften aufgefordert, einen Wehrdienst abzuleisten. Der aktuell 16-jährige Beschwerdeführer, der im Alter von fünf Jahren aus Syrien ausgereist ist, hat den Militärdienst für die Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien nicht abgeleistet. Ein konkreter Versuch zur Einziehung des Beschwerdeführers zur Ableistung des Militärdienstes von Seiten kurdischer Kräfte hat nicht stattgefunden. Er müsste bei einer Rückkehr mit einer baldigen Rekrutierung zur Selbstverteidigungspflicht im Alter von 18 Jahren rechnen. Befreiungsgründe liegen nicht vor. Gegenüber dem Beschwerdeführer besteht aktuell keine maßgebliche Gefahr, als Minderjähriger bei einer Rückkehr durch die kurdische SDF zwangsrekrutiert zu werden.

Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht", das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männern über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen. Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit. Somit ergibt sich eine Selbstverteidigungspflicht im Kurdengebiet im Alter zwischen 18 und 26 Jahren.

Im Falle einer Einziehung durch die kurdischen Streitkräfte ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sich der Beschwerdeführer an völkerrechtswidrigen Militäraktionen beteiligen müsste. Zudem besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass ihm im Falle der Weigerung unverhältnismäßige Bestrafung, Folter oder die Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung drohen würde.

Die Autonomiebehörden sehen eine Verweigerung des als „Selbstverteidigungspflicht“ bezeichneten Militärdienstes nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung an. Der Beschwerdeführer hat kein Verhalten gesetzt, aufgrund dessen ihm seitens der kurdischen Autonomiebehörden eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird. Zudem vertritt der Beschwerdeführer keine politische Haltung oder religiöse Überzeugung, welche der Ableistung des Militärdienstes der AANES entgegensteht.

Dem Beschwerdeführer droht keine Zwangsrekrutierung durch eine andere Kriegspartei in Syrien wie durch die Freie Syrische Armee (FSA). Im von den kurdischen Streitkräften kontrollierten Herkunftsgebiet Manbij haben die FSA keine Zugriffsmöglichkeit auf den Beschwerdeführer. Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung durch die FSA, den Islamischen Staat (IS) oder andere oppositionelle Gruppierungen in Syrien.

Der Beschwerdeführer ist wegen seiner Ausreise aus Syrien, wegen seines Aufenthalts in Österreich, wegen seiner Asylantragstellung und/oder wegen seiner allgemeinen Wertehaltung in Syrien keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt. Es ist überdies nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Zugehörigkeit zu seiner Familie von einer der syrischen Konfliktparteien als oppositionell wahrgenommen wird. Er ist auch nicht aus sonstigen Gründen bedroht, von einer der syrischen Konfliktparteien als politischer Gegner angesehen zu werden.

Dem Beschwerdeführer droht in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Diskriminierung oder Verfolgung auf Grund seiner ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung.

1.1.3. Zur Möglichkeit der Rückkehr:

Dem Beschwerdeführer ist die Einreise in Syrien sowie die Weiterreise in seinen Herkunftsort ohne Kontakt zum syrischen Regime möglich. Er kann über den nicht von der syrischen Regierung kontrollierten Grenzübergang Semalka - Faysh Khabour vom Irak aus in das Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien gelangen. Der Grenzübergang Semalka-Faysh Khabour ist für den privaten Personenverkehr zum Übertritt über die irakisch-syrische Grenze geöffnet. Der Beschwerdeführer hätte somit bei seiner (hypothetischen) Rückkehr in seine Heimatregion keine Gebiete zu durchqueren, die vom syrischen Regime kontrolliert werden.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Im Verfahren wurden folgende Quellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers herangezogen:

●             Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, aus dem Country of Origin - Content Management System (COI-CMS) - Syrien, Version 11 vom 27.03.2024

●             Die EUAA Country Guidance zu Syrien vom April 2024

●             Die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen 6. aktualisierte Fassung, März 2021

●             Die Karte betreffend die Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien, unter https://syria.liveuamap.com/

●             Die Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front, September 2023

●             Die Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierung Wehrpflichtiger durch die syrische Regierung in Manbidsch (Provinz Aleppo), September 2023

●             Die Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker·innen ermöglichen, August 2023

●             Themenbericht der Staatendokumentation: Syrien – Grenzübergänge, Version 1 vom 25.10.2023

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, Version 11 vom 27.03.2024, wiedergegeben:

1.2.1. Politische Lage

„Letzte Änderung 2024-03-08 10:59

Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).

Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).

Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).

Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).

Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).

Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024). […]

Syrische Interimsregierung und syrische Heilsregierung

Letzte Änderung 2023-07-11 09:24

Im März 2013 gab die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte als höchste offizielle Oppositionsbehörde die Bildung der syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG) bekannt, welche die Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes im ganzen Land verwalten soll. Im Laufe der Zeit schrumpften die der Opposition angehörenden Gebiete jedoch, insbesondere nach den Vereinbarungen von 2018, die dazu führten, dass Damaskus die Kontrolle über den Süden Syriens und die Oppositionsgebiete im Süden von Damaskus und im Umland übernahm. Der Einfluss der SIG ist nun auf die von der Türkei unterstützten Gebiete im Norden Aleppos beschränkt (SD 18.3.2023). Formell erstreckt sich ihr Zuständigkeitsbereich auch auf die von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierte Zone. Dort wurde sie von der HTS jedoch an den Rand gedrängt (Brookings 27.1.2023). Die von der HTS kontrollierten Gebiete in Idlib und Teile der Provinzen Aleppo und Latakia werden inzwischen von der syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG), dem zivilen Flügel der HTS, regiert (SD 18.3.2023).

Nicht-staatliche Akteure in Nordsyrien haben systematisch daran gearbeitet, sich selbst mit Attributen der Staatlichkeit auszustatten. Sie haben sich von aufständischen bewaffneten Gruppen in Regierungsbehörden verwandelt. In Gebieten, die von der HTS, einer sunnitischen islamistischen politischen und militärischen Organisation, kontrolliert werden, und in Gebieten, die nominell unter der Kontrolle der SIG stehen, haben bewaffnete Gruppen und die ihnen angeschlossenen politischen Flügel den institutionellen Rahmen eines vollwertigen Staates mit ausgefeilten Regierungsstrukturen wie Präsidenten, Kabinetten, Ministerien, Regulierungsbehörden, Exekutivorganen usw. übernommen (Brookings 27.1.2023).

Die nordwestliche Ecke der Provinz Idlib, an der Grenze zur Türkei, ist die letzte Enklave der traditionellen Opposition gegen Assads Herrschaft. Sie beherbergt Dutzende von hauptsächlich islamischen bewaffneten Gruppen, von denen die HTS die dominanteste ist (MEI 26.4.2022). Mit der im November 2017 gegründeten (NPA 4.5.2023) syrischen Heilsregierung hat die HTS ihre Möglichkeiten zur Regulierung, Besteuerung und Bereitstellung begrenzter Dienstleistungen für die Zivilbevölkerung erweitert. Doch wie jüngste Studien gezeigt haben, sind diese Institutionen Mechanismen, die hochrangige Persönlichkeiten innerhalb der herrschenden Koalitionen ermächtigen und bereichern (Brookings 27.1.2023). In dem Gebiet werden keine organisierten Wahlen abgehalten und die dortigen Lokalräte werden von bewaffneten Gruppen beherrscht oder von diesen umgangen. Die HTS versucht in Idlib, eine autoritäre Ordnung mit einer islamistischen Agenda durchzusetzen. Obwohl die Mehrheit der Menschen in Idlib sunnitische Muslime sind, ist HTS nicht beliebt. Die von der HTS propagierten religiösen Dogmen sind nur ein Aspekt, der den Bürgerinnen und Bürgern missfällt. Zu den anderen Aspekten gehören der Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, willkürliche Verhaftungen, Gewalt und Missbrauch (BS 23.2.2022).

In den von der Türkei besetzten und kontrollierten Gebieten in Nordwest- und Nordzentral-Syrien ist die SIG die nominelle Regierungsbehörde. Innerhalb der von der Türkei kontrollierten Zone ist eine von der Türkei unterstützte Koalition bewaffneter Gruppen, die Syrische Nationale Armee (SNA) - nicht zu verwechseln mit Assads Syrischen Streitkräften -, mächtiger als die SIG, die sie routinemäßig ignoriert oder außer Kraft setzt (Brookings 27.1.2023). Beide wiederum operieren de facto unter der Autorität der Türkei (Brookings 27.1.2023; vergleiche SD 18.3.2023). Die von der Türkei unterstützten Oppositionskräfte bildeten nach ihrer Machtübernahme 2016 bzw. 2018 in diesem Gebiet Lokalräte, die administrativ mit den angrenzenden Provinzen der Türkei verbunden sind. Laut einem Forscher des Omran Center for Strategic Studies können die Lokalräte keine strategischen Entscheidungen treffen, ohne nicht die entsprechenden türkischen Gouverneure einzubinden. Gemäß anderen Quellen variiert der Abhängigkeitsgrad der Lokalräte von den türkischen Behörden von einem Rat zum nächsten (SD 18.3.2023). Die Anwesenheit der Türkei bringt ein gewisses Maß an Stabilität, aber ihre Abhängigkeit von undisziplinierten lokalen Vertretern, ihre Unfähigkeit, die Fraktionsbildung unter den Dutzenden bewaffneter Gruppen, die mit der SNA verbunden sind, zu überwinden, und ihre Toleranz gegenüber deren Missbrauch und Ausbeutung der Zivilbevölkerung haben dazu geführt, dass ihre Kontrollzone die am wenigsten sichere und am brutalsten regierte im Norden Syriens ist (Brookings 27.1.2023). […]“

1.2.2. Sicherheitslage

„Letzte Änderung 2024-03-08 11:17

Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).

Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse

Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Im Wesentlichen gibt es drei Militärkampagnen: Bestrebungen durch eine Koalition den Islamischen Staat zu besiegen, Kampfhandlungen zwischen der Syrischen Regierung und Kräften der Opposition und türkische Militäroperationen gegen syrische Kurden (CFR 24.1.2024). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).

Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 60 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 2.2.2024). (…)“

1.2.2.1. Nordost-Syrien (Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) und das Gebiet der SNA (Syrian National Army)

„Letzte Änderung 2024-03-08 15:02

Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war (REU 4.10.2023). Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (HRW 26.10.2023; vergleiche AA 2.2.2024).

Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der Volksverteidigungseinheiten (YPG) als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.11.2021).

Der Think Tank Newslines Institute for Strategy and Policy sieht auf der folgenden Karte besonders die Gebiete von Tal Rifa'at, Manbij und Kobanê als potenzielle Ziele einer türkischen Offensive. Auf der Karte sind auch die Strecken und Gebiete mit einer Präsenz von Regime- und pro-Regime-Kräften im Selbstverwaltungsgebiet ersichtlich, die sich vor allem entlang der Frontlinien zu den pro-türkischen Rebellengebieten und entlang der türkisch-syrischen Grenze entlangziehen. In Tal Rifa'at und an manchen Grenzabschnitten sind sie nicht präsent:
Karte Syriens mit eingekreisten Ortschaften, Manbij, Tal Rifaat und Kobane, wo mögliche türkische Operationen stattfinden könnten

Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die SDF zu schaffen (CMEC 2.10.2020) [Anm.: Siehe hierzu Unterkapitel türkische Militäroperationen in Nordsyrien im Kapitel Sicherheitslage]. Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021). Die Türkei stützte sich bei ihrer Militäroffensive im Oktober 2019 auch auf Rebellengruppen, die in der 'Syrian National Army' (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insbesondere auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB Damaskus 1.10.2021).

Auf der folgenden Karte sind die militärischen Akteure der Region wie auch militärische und infrastrukturelle Maßnahmen, welche zur Absicherung der kurdischen "Selbstverwaltung" (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) nötig wären, eingezeichnet. Auf dieser Karte ist entlang der gesamten Frontlinie zu pro-türkischen Gebieten bzw. der türkisch-syrischen Grenze die Präsenz einer Kooperation zwischen SDF, Regime und russischen Truppen mit Ausnahme entlang des Tigris im äußersten Nordosten verzeichnet:
(…)

Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB Damaskus 1.10.2021; vergleiche AA 29.11.2021; JsF 9.9.2022). Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 9.9.2022). Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (AA 2.2.2024).

SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vergleiche EUAA 9.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vergleiche EUAA 9.2022).

Die kurdischen YPG stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation IS in Syrien vorgehen (AA 29.11.2021). In Reaktion auf die Reorganisation der Truppen zur Verstärkung der Front gegen die Türkei stellten die SDF vorübergehend ihre Operationen und andere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Islamischen Staat ein. Dies weckte Befürchtungen bezüglich einer Stärkung des IS in Nordost-Syrien (Newlines 7.3.2023). Die SDF hatten mit Unterstützung US-amerikanischer Koalitionskräfte allein seit Ende 2021 mehrere Sicherheitsoperationen durchgeführt, in denen nach eigenen Angaben Hunderte mutmaßliche IS-Angehörige verhaftet und einzelne Führungskader getötet wurden (AA 2.2.2024).

Der IS führt weiterhin militärische Operationen in der AANES durch. Die SDF reagieren auf die Angriffe mit routinemäßigen Sicherheitskampagnen, unterstützt durch die Internationale Koalition. Bisher konnten diese die Aktivitäten des IS und seiner affiliierten Zellen nicht einschränken. SOHR dokumentierte von Anfang 2023 bis September 2023 121 Operationen durch den IS, wie bewaffnete Angriffe und Explosionen, in den Gebieten der AANES. Dabei kamen 78 Personen zu Tode, darunter 17 ZivilistInnen und 56 Mitglieder der SDF (SOHR 24.9.2023).

Mit dem Angriff auf die Sina’a-Haftanstalt in Hassakah in Nordostsyrien im Januar 2022 und den daran anschließenden mehrtägigen Kampfhandlungen mit insgesamt ca. 470 Todesopfern (IS-Angehörige, SDF-Kämpfer, Zivilisten) demonstrierte der IS propagandawirksam die Fähigkeit, mit entsprechendem Vorlauf praktisch überall im Land auch komplexe Operationen durchführen zu können (AA 29.3.2023). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer (AM 26.1.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (AJ 26.1.2022). Die Gefechte dauerten zehn Tage, und amerikanische wie britische Kräfte kämpften aufseiten der SDF (HRW 12.1.2023). US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.1.2022). Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.1.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.1.2022; vergleiche NYT 25.1.2022, EUAA 9.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS (TWP 24.2.2022). Die geflohenen Bewohner durften danach zurückkehren (MPF 8.2.2022), wobei Unterkünfte von mehr als 140 Familien scheinbar von den SDF während der Militäraktionen zerstört worden waren. Mit Berichtszeitpunkt Jänner 2023 waren Human Rights Watch keine Wiederaufpläne, Ersatzunterkünfte oder Kompensationen für die zerstörten Gebäude bekannt (HRW 12.1.2023).

Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nutzt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z. B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung zusammenarbeiteten (TWP 24.2.2022). Das Ausüben von koordinierten und ausgeklügelten Anschlägen in Syrien und im Irak wird von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden (NYT 25.1.2022). Trotz der laufenden Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung hat der IS im Nordosten Syriens an Stärke gewonnen und seine Aktivitäten im Gebiet der SDF intensiviert. Am 28.9.2022 gaben die SDF bekannt, dass sie eines der größten Waffenverstecke des IS seit Anfang 2019 erobert haben. Sowohl die Größe des Fundes als auch sein Standort sind ein Beleg für die wachsende Bedrohung, die der IS im Nordosten Syriens darstellt (TWI 12.10.2022). Bei einem weiteren koordinierten Angriff des IS auf das Quartier der kurdischen de facto-Polizeikräfte (ISF/Asayish) sowie auf ein nahegelegenes Gefängnis für IS-Insassen in Raqqa Stadt kamen am 26.12.2022 nach kurdischen Angaben sechs Sicherheitskräfte und ein Angreifer ums Leben (AA 29.3.2023). Laut dem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom Juli 2022 sind einige der Mitgliedstaaten der Meinung, dass der IS seine Ausbildungsaktivitäten, die zuvor eingeschränkt worden waren, insbesondere in der Wüste Badiya wieder aufgenommen habe (EUAA 9.2022). Im Jahr 2023 haben die Aktivitäten von Schläferzellen des IS vor allem in der östlichen Wüste zugenommen (CFR 13.2.2024). […]

Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin knapp 30 Lager mit 11.000 internierten IS-Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in al-Hol (ÖB Damaskus 1.10.2021). Nach einigen Rückführungen und Repatriierungen beläuft sich die Gesamtzahl der Menschen in al-Hol nun auf etwa 53.000, von denen etwa 11.000 ausländische Staatsangehörige sind (MSF 7.11.2022b), auch aus Österreich (ÖB Damaskus 1.10.2021). Das Ziel des IS ist es, diese zu befreien, aber auch seinen Anhängern zu zeigen, dass man dazu in der Lage ist, diese Personen herauszuholen (Zenith 11.2.2022). Das Lager war einst dazu gedacht, Zivilisten, die durch den Konflikt in Syrien und im Irak vertrieben wurden, eine sichere, vorübergehende Unterkunft und humanitäre Dienstleistungen zu bieten. Der Zweck von al-Hol hat sich jedoch längst gewandelt, und das Lager ist zunehmend zu einem unsicheren und unhygienischen Freiluftgefängnis geworden, nachdem die Menschen im Dezember 2018 aus den vom IS kontrollierten Gebieten dorthin gebracht wurden (MSF 7.11.2022b). 65 Prozent der Bewohner von al-Hol sind Kinder, 52 Prozent davon im Alter von unter zwölf Jahren (MSF 19.2.2024), die täglicher Gewalt und Kriminalität ausgesetzt sind (STC 5.5.2022; vergleiche MSF 7.11.2022a). Das Camp ist zusätzlich zu einem Refugium für den IS geworden, um Mitglieder zu rekrutieren (NBC News 6.10.2022). Am 22.11.2022 schlugen türkische Raketen in der Nähe des Lagers ein. Das Chaos, das zu den schwierigen humanitären Bedingungen im Lager hinzukommt, hat zu einem Klima geführt, das die Indoktrination durch den IS begünstigt. Die SDF sahen sich zudem gezwungen, ihre Kräfte zur Bewachung der IS-Gefangenenlager abzuziehen, um auf die türkische Bedrohung zu reagieren (AO 3.12.2022).

Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens (Zenith 11.2.2022). Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien befindet sich heute in einer zunehmend prekären politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage (TWI 15.3.2022). Wie in anderen Bereichen üben die dominanten Politiker der YPG, der mit ihr verbündeten Organisationen im Sicherheitsbereich sowie einflussreiche Geschäftsleute Einfluss auf die Wirtschaft aus, was verbreiteten Schmuggel zwischen den Kontrollgebieten in Syrien und in den Irak ermöglicht (Brookings 27.1.2023). Angesichts der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen im Nordosten Syriens haben die SDF zunehmend drakonische Maßnahmen ergriffen, um gegen abweichende Meinungen im Land vorzugehen und Proteste zum Schweigen zu bringen, da ihre Autorität von allen Seiten bedroht wird (Etana 30.6.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.8.2021) sowie gegen steigende Treibstoffpreise (AM 30.5.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish [Anm: Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion] in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.8.2021; vergleiche AM 30.5.2021). Die Türkei verschärft die wirtschaftliche Lage in AANES absichtlich, indem sie den Wasserfluss nach Syrien einschränkt (KF 5.2022). Obwohl es keine weitverbreiteten Rufe nach einer Rückkehr des Assad-Regimes gibt, verlieren einige Einwohner das Vertrauen, dass die kurdisch geführte AANES für Sicherheit und Stabilität sorgen kann (TWI 15.3.2022).

Im August 2023 brachen gewaltsame Konflikte zwischen den kurdisch geführten SDF und arabischen Stämmen in Deir ez-Zor aus (AJ 30.8.2023), in dessen Verlauf es den Aufständischen gelungen war, zeitweise die Kontrolle über Ortschaften entlang des Euphrat zu erlangen. UNOCHA dokumentierte 96 Todesfälle und über 100 Verwundete infolge der Kampfhandlungen, schätzungsweise 6.500 Familien seien durch die Gewalt vertrieben worden. Nach Rückerlangung der Gebietskontrolle durch die SDF kam es auch in den folgenden Wochen zu sporadischen Attentaten auf SDF sowie zu vereinzelten Kampfhandlungen mit Stammeskräften (AA 2.2.2024). […]“

1.2.3. Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen

„Letzte Änderung 2023-07-14 13:52

1.2.3.1. Die syrischen Streitkräfte – Wehr- und Reservedienst

Letzte Änderung 2024-03-11 06:50

Rechtliche Bestimmungen

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend (ÖB Damaskus 12.2022). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Artikel 4, Litera b, gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben (PAR 1.6.2011). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 2.2.2024). In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden (ÖB Damaskus 12.2022). Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können (DIS 4.2023). Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert (EB 17.1.2023). Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen (DIS 4.2023).

Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind (ÖB Damaskus 12.2022). Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge sollen Männer auch unabhängig ihres Gesundheitszustandes eingezogen und in der Verwaltung eingesetzt worden sein (NMFA 8.2023).

Die im März 2020, Mai 2021 und Jänner 2022 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetz, darunter Fahnenflucht. Die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB Damaskus 12.2022).

Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen (AA 2.2.2024). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 2.2.2024; vergleiche ICWA 24.5.2022).

Männliche Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge, die zwischen 1948 und 1956 nach Syrien kamen und als solche bei der General Administration for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) registriert sind (NMFA 5.2022), bzw. palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht (AA 13.11.2018; vergleiche Action PAL 3.1.2023, ACCORD 21.9.2022). Ihren Wehrdienst leisten sie für gewöhnlich in einer Unterabteilung der syrischen Armee, die den Namen Palästinensische Befreiungsarmee trägt: Palestinian Liberation Army (PLA) (BAMF 2.2023, (AA 13.11.2018; vergleiche ACCORD 21.9.2022). Es konnten keine Quellen gefunden werden, die angeben, dass Palästinenser vom Reservedienst ausgeschlossen seien (ACCORD 21.9.2022; vergleiche BAMF 2.2023).

Frauen können als Berufssoldatinnen dem syrischen Militär beitreten. Dies kommt in der Praxis tatsächlich vor, doch stoßen die Familien oft auf kulturelle Hindernisse, wenn sie ihren weiblichen Verwandten erlauben, in einem so männlichen Umfeld zu arbeiten. Dem Vernehmen nach ist es in der Praxis häufiger, dass Frauen in niedrigeren Büropositionen arbeiten als in bewaffneten oder leitenden Funktionen. Eine Quelle erklärt dies damit, dass Syrien eine männlich geprägte Gesellschaft ist, in der Männer nicht gerne Befehle von Frauen befolgen (NMFA 5.2022).

Mit Stand Mai 2023 werden die regulären syrischen Streitkräfte immer noch von zahlreichen regierungsfreundlichen Milizen unterstützt (CIA 9.5.2023). Frauen sind auch regierungsfreundlichen Milizen beigetreten. In den Reihen der National Defence Forces (NDF) dienen ca. 1.000 bis 1.500 Frauen, eine vergleichsweise geringe Anzahl. Die Frauen sind an bestimmten Kontrollpunkten der Regierung präsent, insbesondere in konservativen Gebieten, um Durchsuchungen von Frauen durchzuführen (FIS 14.12.2018).

Die Umsetzung

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten (STDOK 8.2017; vergleiche DIS 7.2023). Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).

Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen (NMFA 5.2022; vergleiche AA 29.3.2022), wobei zuletzt von einer "Verkürzung" des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden (ÖB Damaskus 12.2022). Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden (NMFA 5.2022).

Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein. Im Oktober 2021 wurde ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Einberufung von männlichen Syrern im wehrpflichtigen Alter angekündigt wurde. Auch in den wiedereroberten Gebieten müssen Männer im wehrpflichtigen Alter den Militärdienst ableisten (EUAA 9.2022). Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 2.2.2024).

Rekrutierungspraxis

Es gibt, dem Auswärtigen Amt zufolge, zahlreiche glaubhafte Berichte, laut denen wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden (AA 2.2.2024). Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert (AA 2.2.2024; vergleiche NMFA 5.2022), wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt (NMFA 5.2022; vergleiche NLM 29.11.2022). Im September 2022 wurde beispielsweise von der Errichtung eines mobilen Checkpoints im Gouvernement Dara'a berichtet, an dem mehrere Wehrpflichtige festgenommen wurden (SO 12.9.2022). In Homs führte die Militärpolizei gemäß einem Bericht aus dem Jahr 2020 stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 6.3.2020). Im Jänner 2023 wurde berichtet, dass Kontrollpunkte in Homs eine wichtige Einnahmequelle der Vierten Division seien (EB 17.1.2023). Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 2.2.2024).

Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Lokale Medien berichteten, dass die Sicherheitskräfte der Regierung während der Fußballweltmeisterschaft der Herren 2022 mehrere Cafés, Restaurants und öffentliche Plätze in Damaskus stürmten, wo sich Menschen versammelt hatten, um die Spiele zu sehen, und Dutzende junger Männer zur Zwangsrekrutierung festnahmen (USDOS 20.3.2023).

Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z. B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vergleiche ICG 9.5.2022, EB 6.3.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden (DIS 5.2020). Hausdurchsuchungen finden dabei v.a. eher in urbanen Gebieten statt, wo die SAA stärkere Kontrolle hat, als in ruralen Gebieten (DIS 1.2024). Mehrere Quellen berichteten im Jahr 2023 wieder vermehrt, dass Wehr- und Reservedienstpflichtige aus ehemaligen Oppositionsgebieten von der syrischen Regierung zur Wehrpflicht herangezogen wurden, um mehr Kontrolle über diese Gebiete zu erlangen bzw. um potenzielle Oppositionskämpfer aus diesen Gebieten abzuziehen (NMFA 8.2023; vergleiche DIS 7.2023). Eine Quelle des Danish Immigration Service geht davon aus, dass Hausdurchsuchungen oft weniger die Rekrutierung als vielmehr eine Erpressung zum Ziel haben (DIS 1.2024).

Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht (STDOK 8.2017). Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren (STDOK 8.2017; vergleiche FIS 14.12.2018). Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020). Anfang April 2023 wurde beispielsweise von verstärkten Patrouillen der Regierungsstreitkräfte im Osten Dara'as berichtet, um Personen aufzugreifen, die zum Militär- und Reservedienst verpflichtet sind (ETANA 4.4.2023). Glaubhaften Berichten zufolge gab es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 4.12.2020).

Während manche Quellen berichten, dass sich die syrische Regierung bei der Rekrutierung auf Alawiten und regierungstreue Gebiete konzentrierte (EASO 4.2021), berichten andere, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen nun weniger stark in Anspruch nimmt (ÖB Damaskus 12.2022; vergleiche EASO 4.2021). Da die Zusammensetzung der syrisch-arabischen Armee ein Spiegelbild der syrischen Bevölkerung ist, sind ihre Wehrpflichtigen mehrheitlich sunnitische Araber, die vom Regime laut einer Quelle als "Kanonenfutter" im Krieg eingesetzt wurden. Die sunnitisch-arabischen Soldaten waren (ebenso wie die alawitischen Soldaten und andere) gezwungen, den größeren Teil der revoltierenden sunnitisch-arabischen Bevölkerung zu unterdrücken. Der Krieg forderte unter den alawitischen Soldaten bezüglich der Anzahl der Todesopfer einen hohen Tribut, wobei die Eliteeinheiten der SAA, die Nachrichtendienste und die Shabiha-Milizen stark alawitisch dominiert waren (Al-Majalla 15.3.2023).

Im Rahmen sog. lokaler "Versöhnungsabkommen" in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Sowohl in Ost-Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben (AA 2.2.2024).

Staatenlose Palästinenser werden meistens in die Palestinian Liberation Army (PLA) rekrutiert, seltener auch in die reguläre SAA. Sie sind ebenfalls reservepflichtig. Allerdings dauert ihre Pflicht zum Reservedienst weniger lange, nämlich nur viereinhalb Jahre. Den meisten Quellen des Danish Immigration Service waren keine Fälle bekannt, wonach staatenlose Palästinenser in Syrien zum Reservedienst in der PLA einberufen wurden. Die PLA wurde auch an die Front geschickt (DIS 1.2024).

Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle

Nach dem Abkommen zwischen den Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung Mitte Oktober 2019, das die Stationierung von Truppen der syrischen Regierung in zuvor kurdisch kontrollierten Gebieten vorsah, wurde berichtet, dass syrische Kurden aus dem Gebiet in den Irak geflohen sind, weil sie Angst hatten, in die SAA eingezogen zu werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Die Absolvierung des "Wehrdiensts" gemäß der "Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria (AANES)] befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien. Die syrische Regierung verfügt über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet. In Qamishli und al-Hassakah tragen diese die Bezeichnung "Sicherheitsquadrate" (al-Morabat al-Amniya), wo sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung befinden. Während die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen können, gehen die Aussagen über das Rekrutierungsverhalten in den Regimeenklaven bzw. "Sicherheitsquadraten" auseinander - auch bezüglich etwaiger Unterschiede zwischen dort wohnenden Wehrpflichtigen und Personen von außerhalb der Enklaven, welche die Enklaven betreten (DIS 6.2022). Ein befragter Rechtsexperte der ÖB Damaskus berichtet, dass die syrische Regierung in den Gebieten unter Kontrolle der Selbstverwaltung dort rekrutieren kann, wo sie im "Sicherheitsquadrat" im Zentrum der Gouvernements präsent ist, wie z. B. in Qamishli oder in Deir ez-Zor (Rechtsexperte 14.9.2022). Dies wird auch von SNHR bestätigt, die ebenfalls angeben, dass die Rekrutierung durch die syrischen Streitkräfte an deren Zugriffsmöglichkeiten gebunden ist (ACCORD 7.9.2023). Ein befragter Militärexperte gab dagegen an, dass die syrische Regierung grundsätzlich Zugriff auf die Wehrpflichtigen in den Gebieten unter der Kontrolle der PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat] hat, diese aber als illoyal ansieht und daher gar nicht versucht, sie zu rekrutieren (BMLV 12.10.2022). Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich zwischen den Gebieten unter Kontrolle der SDF und der Regierungstruppen hin- und herbewegen, können von Rekrutierungsmaßnahmen auf beiden Seiten betroffen sein, da keine der beiden Seiten die Dokumente der anderen Seite [z.B. über einen abgeleisteten Wehrdienst, Aufschub der Wehrpflicht o. Ä.] anerkennt (EB 15.8.2022).

Das Gouvernement Idlib befindet sich außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung, die dort keine Personen einberufen kann (Rechtsexperte 14.9.2022), mit Ausnahme einiger südwestlicher Sub-Distrikte (Nahias) des Gouvernements, die unter Regierungskontrolle stehen (ACLED 1.12.2022; vergleiche Liveuamap 17.5.2023). Die syrische Regierung kontrolliert jedoch die Melderegister des Gouvernements Idlib (das von der syrischen Regierung in das Gouvernement Hama verlegt wurde), was es ihr ermöglicht, auf die Personenstandsdaten junger Männer, die das Rekrutierungsalter erreicht haben, zuzugreifen, um sie für die Ableistung des Militärdienstes auf die Liste der "Gesuchten" zu setzen. Das erleichtert ihre Verhaftung zur Rekrutierung, wenn sie das Gouvernement Idlib in Richtung der Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung verlassen (Rechtsexperte 14.9.2022).

Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) ist die zweitgrößte Oppositionspartei, die sich auf das Gouvernement Aleppo konzentriert. Sie wird von der Türkei unterstützt und besteht aus mehreren Fraktionen der Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army, FSA). Sie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Nordsyrien, wird aber von politischen Analysten bisweilen als türkischer Stellvertreter gebrandmarkt. Die SNA hat die Kontrolle über die von der Türkei gehaltenen Gebiete (Afrin und Jarabulus) in Syrien und wird von der Türkei geschützt. Die syrische Regierung unterhält keine Präsenz in den von der Türkei gehaltenen Gebieten und kann keine Personen aus diesen Gebieten für die Armee rekrutieren, es sei denn, sie kommen in Gebiete, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Auch mit Stand Februar 2023 hat die syrische Armee laut einem von ACCORD befragten Syrienexperten keine Zugriffsmöglichkeit auf wehrdienstpflichtige Personen in Jarabulus (ACCORD 20.3.2023). (…)“

1.2.3.2. Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts

„Letzte Änderung 2024-03-11 07:21

[…] Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vergleiche FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Auch für Wehrpflichtige, die ins Ausland reisen möchten, ist ein Aufschub von bis zu 6 Monaten möglich und wird von Oppositionsangehörigen genützt, nachdem sie im Rahmen von Versöhnungsabkommen ihren "Status geregelt" haben (DIS 1.2024). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vergleiche DRC/DIS 8.2017).

Als einziger Sohn der Familie kann man sich vom Wehrdienst befreien lassen. Mehrere Quellen des Danish Immigration Service haben angegeben, dass es keine Fälle gibt, in denen die einzigen Söhne einer Familie trotzdem zur Wehrpflicht herangezogen worden sind (DIS 1.2024).

Einem von der European Union Asylum Agency (EUAA) befragten syrischen Akademiker zufolge werden Wehrpflichtbefreiungen erlassen für Personen mit Erkrankungen, die es ihnen verunmöglichen, militärische Pflichten zu erfüllen, wie beispielsweise Herzerkrankungen oder Sehschwächen. Teilweise werden aber anstatt einer Befreiung, diese Personen auf Positionen ohne Gefechtsbereitschaft bzw. auf denen sie keiner physischen Belastung ausgesetzt sind, wie in der Administration, verpflichtet (EUAA 10.2023; vergleiche DIS 01.2024). Zur Entscheidung, ob und welcher Art eine Person wehrpflichtig ist, errechnen die Behörden einen Prozentgrad der Behinderung bzw. der gesundheitlichen Beeinträchtigung zum Zeitpunkt der medizinischen Untersuchung (DIS 1.2024). Wobei eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums angibt, dass sechs Monate Grundausbildung unabhängig des Gesundheitszustandes komplett zu durchlaufen sind (NMFA 8.2023). Welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen zur Untauglichkeit bzw. zum eingeschränkten Wehrdienst führen ist unklar, wobei es bestimmte, offensichtliche Behinderungen gibt, die eine Untauglichkeit bedingen, wie Blindheit oder Lähmungen. Oft werden auch Männer, die an Fettleibigkeit, Sehbehinderungen, Krebs, psychischen Krankheiten leiden oder denen eine Gliedmaße fehlt, vom Wehrdienst befreit. Gewisse gesundheitliche Beeinträchtigungen, wie Diabetes, Sehschwächen bis zu einem bestimmten Grad, Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Hörbeeinträchtigungen, Deformierungen an Händen oder Füßen, Asthma oder andere chronische Erkrankungen gelten meist als Gründe, um den Wehrdienst nicht im Feld ausüben zu müssen (DIS 1.2024). Einer vom niederländischen Außenministerium befragten Quelle zufolge werden medizinische Befreiungen häufig ignoriert und die Betroffenen müssen dennoch ihren Wehrdienst ableisten (NMFA 5.2022). Die tatsächliche Handhabung der Tauglichkeitskriterien ist schwer eruierbar, da sie von den Entscheidungen der medizinischen Ausschüsse abhängen (DIS 5.2020; vergleiche DIS 1.2024). Der Prozess nimmt manchmal auch viel Zeit in Anspruch, sogar bei offensichtlichen Beeinträchtigungen, wie dem Downsyndrom (DIS 1.2024). Wer aus medizinischen Gründen befreit werden will oder in einer administrativen Position seinen Wehrdienst versehen möchte, hat mit Hürden zu rechnen und Erpressungen sowie das Bezahlen von Bestechungsgeldern ist weit verbreitet (EUAA 10.2023; vergleiche NMFA 8.2023). So zahlen laut einem Experten, der vom Danish Immigration Service befragt wurde, manche Wehrpflichtige 3.000-4.000 USD, um ihren Wehrdienst in einem Büro statt am Gefechtsfeld zu leisten oder höhere Summen, um als gänzlich untauglich klassifiziert zu werden (DIS 7.2023). Manchmal müssen auch Personen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung Bestechungsgelder bezahlen, um als untauglich eingestuft zu werden (DIS 1.2024). Wer für den Gefechtsdienst untauglich erklärt wurde, kann sich durch eine Zahlung von 3.000 USD gänzlich von der Wehrpflicht befreien. Weswegen viele Männer Bestechungsgelder bezahlen, um sich für den Gefechtsdienst untauglich schreiben zu lassen, um anschließend Gebrauch von dieser Ausnahmeregelung machen zu können (DIS 1.2024). Wenn die Behörden erkennen, dass medizinische Ausnahmen ungerechtfertigt, beispielsweise durch Bestechung, gewährt wurden, müssen sich die betroffenen Wehrpflichtigen einer erneuten medizinischen Untersuchung unterziehen (EUAA 10.2023). Demgegenüber berichten mehrere Quellen des Danish Immigration Service, dass die Zahlung eines Betrags von 3.000 USD für die Befreiung vom Wehrdienst für den Gefechtsdienst untaugliche Personen, von der Syrischen Regierung meist akzeptiert wird. Allerdings können sich nur wenige Personen diese hohen Geldbeträge überhaupt leisten (DIS 1.2024).

Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB Damaskus 12.2022).

Am 1.12.2023 trat das neue Gesetzesdekret Nr.37 in Kraft, wonach sich Rekruten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und noch nicht in den Reservedienst eingetreten sind, sich von ebendiesem freikaufen können durch eine Zahlung von 4.800 USD. Für jeden Monat, in dem derjenige den Reservedienst bereits geleistet hat, werden 200 USD abgezogen (SANA 1.12.2023). (…)“

1.2.3.3. Wehrdienstverweigerung/Desertion

„Letzte Änderung 2024-03-12 13:44

Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme, Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter (DIS 5.2020). Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten Zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und vergleichsweise wenige wurden nach diesem Zeitpunkt deswegen verhaftet (Landinfo 3.1.2018).

In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 2.2.2024).

Der verpflichtende Militärdienst führt weiterhin zu einer Abwanderung junger syrischer Männer, die vielleicht nie mehr in ihr Land zurückkehren werden (ICWA 24.5.2022).

Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern

In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Rechtsexperten der Free Syrian Lawyers Association (FSLA) mit Sitz in der Türkei beurteilen, dass das syrische Regime die Verweigerung des Militärdienstes als schweres Verbrechen betrachtet und die Verweigerer als Gegner des Staates und der Nation behandelt. Dies spiegelt die Sichtweise des Regimes auf die Opposition wie auch jede Person wider, die versucht, sich seiner Politik zu widersetzen oder ihr zu entkommen (STDOK 25.10.2023). Der Syrien-Experte Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt "ihr Land zu verteidigen". Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann. Hinzu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit "gerettet" haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021). Ein für eine internationale Forschungsorganisation mit Schwerpunkt auf den Nahen Osten tätiger Syrienexperte, der allerdings angibt, dazu nicht eigens Forschungen durchgeführt zu haben, geht davon aus, dass das syrische Regime möglicherweise am Anfang des Konflikts, zwischen 2012 und 2014, Wehrdienstverweigerer durchwegs als oppositionell einstufte, inzwischen allerdings nicht mehr jeden Wehrdienstverweigerer als oppositionell ansieht (STDOK 25.10.2023). Gemäß Auswärtigem Amt legen einige Berichte nahe, dass Familienangehörige von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern ebenfalls Verhören und Repressionen der Geheimdienste ausgesetzt sein könnten (AA 2.2.2024).

Gesetzliche Lage

Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Artikel 98 -, 99, ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht (AA 2.2.2024; vergleiche Rechtsexperte 14.9.2022).

Desertion wird von Soldaten begangen, die bereits einer Militäreinheit beigetreten sind, während Wehrdienstverweigerung in den meisten Fällen von Zivilisten begangen wird, die der Einberufung zum Wehrdienst nicht gefolgt sind. Desertion wird meist härter bestraft als Wehrdienstverweigerung. Das Militärstrafgesetzbuch unterscheidet zwischen "interner Desertion" (farar dakhelee) und "externer Desertion" (farar kharejee). Interne Desertion in Friedenszeiten wird begangen, wenn sich der Soldat sechs Tage lang unerlaubt von seiner militärischen Einheit entfernt. Ein Soldat, der noch keine drei Monate im Dienst ist, gilt jedoch erst nach einem vollen Monat unerlaubter Abwesenheit als Deserteur. Interne Desertion liegt außerdem vor, wenn der reisende Soldat trotz Ablauf seines Urlaubs nicht innerhalb von 15 Tagen nach dem für seine Ankunft oder Rückkehr festgelegten Datum zu seiner militärischen Einheit zurückgekehrt ist (Artikel 100/1/b des Militärstrafgesetzbuchs). Interne Desertion wird mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft, und wenn es sich bei dem Deserteur um einen Offizier oder einen Berufsunteroffizier handelt, kann er zusätzlich zu der vorgenannten Strafe mit Entlassung bestraft werden (Artikel 100/2). In Kriegszeiten können die oben genannten Fristen auf ein Drittel verkürzt und die Strafe verdoppelt werden (Artikel 100/4). Eine externe Desertion in Friedenszeiten liegt vor, wenn der Soldat ohne Erlaubnis die syrischen Grenzen überschreitet und seine Militäreinheit verlässt, um sich ins Ausland zu begeben. Der betreffende Soldat wird in Friedenszeiten nach Ablauf von drei Tagen seit seiner illegalen Abwesenheit und in Kriegszeiten nach einem Tag als Deserteur betrachtet (Artikel 101/1) (Rechtsexperte 14.9.2022). Externe Desertion wird mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren bestraft (Artikel 101/2) (Rechtsexperte 14.9.2022; vergleiche AA 2.2.2024). Die Haftstrafen können sich bei Vorliegen bestimmter Umstände noch erhöhen (z. B. Desertion während des Dienstes, Mitnahme von Ausrüstung) (Rechtsexperte 14.9.2022). Die Todesstrafe ist gemäß Artikel 102, bei Überlaufen zum Feind und gemäß Artikel 105, bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen (AA 2.2.2024).

Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure (DIS 5.2020) und Wehrdienstverweigerer Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 4.12.2020; vergleiche DIS 5.2020).

Freikauf vom Wehrdienst

Nach dem Wehrpflichtgesetz ist es syrischen Männern im wehrpflichtigen Alter möglich, sich durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freizukaufen, sofern sie mindestens ein Jahr ohne Wiedereinreise nach Syrien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten (AA 2.2.2024). Drei vertrauliche Quellen, die vom niederländischen Außenministerium im März 2023 und November 2022 befragt wurden, gehen davon aus, dass jemand, der sich vom Militärdienst freigekauft hat, auch nicht mehr zum Militärdienst einberufen wird. Der zu zahlende Betrag hängt dabei davon ab, wie lange die Männer im Ausland waren und variiert zwischen 7.000 und 10.000 Dollar. Auch Wehrdienstpflichtige, die das Land illegal verlassen haben, können sich durch eine solche Zahlung von der Wehrpflicht freikaufen. Möglich ist dies in einer syrischen Botschaft oder einem Konsulat unter Vorlage eines Nachweises, dass man im Ausland lebt. Es besteht die Möglichkeit, dass die Botschaft die Namen derer veröffentlicht, die sich auf diese Art von der Wehrpflicht befreit haben. Andererseits kann die Person sich auch durch einen Verwandten in Syrien an ein lokales Rekrutierungsbüro wenden, um sich von der Liste der Wehrdienstverweigerer streichen zu lassen (NMFA 8.2023). Die Zahlung des Wehrersatzgeldes ist an die Vorlage von Dokumenten geknüpft, die eine Vielzahl der ins Ausland Geflüchteten aufgrund der Umstände ihrer Flucht nicht beibringen können oder die nicht ohne ein Führungszeugnis der Sicherheitsdienste des syrischen Regimes nachträglich erworben werden können, wie etwa einen Nachweis über Aus- und Einreisen (Ausreisestempel) oder die Vorlage eines Personalausweises (AA 2.2.2024). Die Person bekommt einen Beleg für den Freikauf, den sie bei der Einreise am Flughafen vorweisen kann. Um auch möglichst problemlos Checkpoints passieren zu können, muss die Person zusätzlich zum Beleg einen Eintrag in sein Militärbuch machen lassen (DIS 7.2023). Die syrische Regierung respektiert die Zahlung dieser Befreiungsgebühr mehreren Experten, die vom Danish Immigration Service befragt wurden, zufolge und zieht Männer, die diese Gebühr bezahlt haben, im Allgemeinen nicht ein. Eine Quelle gibt auch an, dass Personen, die die Gebühr bezahlt haben problemlos ins Land einreisen können. Probleme bekommen vor allem jene Männer, die ihre Dokumente zum Beweis, dass sie befreit sind, nicht vorweisen können. Des Weiteren berichten Quellen des Danish Immigration Service von Fällen, bei denen Personen, die ihren Status mit der Regierung geklärt hatten, dennoch verhaftet worden sind, weil sie aus Gründen der Sicherheit von den Sicherheitskräften gesucht worden sind. Eine Quelle sprach auch von Racheaktionen gegenüber Wehrpflichtigen, die aus ehemaligen Oppositionsgebieten kommen, bei denen die syrischen Behörden diese an Checkpoints festhalten und erpressen (DIS 1.2024). Auch das Auswärtige Amt schreibt, dass staatlich ausgestellte Nachweise über die Ableistung des Wehrdienstes bzw. Zahlung des Wehrersatzgeldes an Kontrollstellen der Sicherheitsdienste des Regimes durchgängig anerkannt werden (AA 2.2.2024).

Das syrische Wehrpflichtgesetz (Artikel 97,) ermöglicht es, das Vermögen von Männern zu beschlagnahmen, die sich bis zum Erreichen des 43. Lebensjahres (Altersgrenze zur Einberufung) der Wehrpflicht entzogen haben und sich weigern, ein Wehrersatzgeld in Höhe von 8.000 USD zu entrichten. Das Gesetz erlaubt die Beschlagnahme des Vermögens nicht nur von Männern, die nicht im Militär gedient haben, sondern auch von deren unmittelbaren Familienangehörigen, einschließlich Ehefrauen und Kindern (AA 2.2.2024 vergleiche Rechtsexperte 14.9.2022; vergleiche NMFA 8.2023).

Ein Freikauf vom Reservedienst ist gemäß Quellen des niederländischen Außenministeriums nicht möglich, wobei mit Stand August 2023 aufgrund der aktuellen geringen Intensität der Kampfhandlungen es nur selten zur Einberufung von Reservisten gekommen ist (NMFA 8.2023). Das Italian Institute for International Political Studies (ISPI) hingegen schreibt, dass seit der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 auch Reservisten sich durch eine Gebühr von 5.000 USD nach einem Auslandsaufenthalt von mindesten einem Jahr freikaufen können (ISPI 5.6.2023). Auch die staatliche Nachrichtenagentur SANA schrieb im Dezember 2023 vom Legislaturdekret Nr. 37, wonach Reservisten, die das 40. Lebensjahr erreicht haben und noch nicht im Dienst waren, sich durch eine Befreiungsgebühr von 4.800 USD vom Reservedienst freikaufen können (SANA 1.12.2023; vergleiche EB 3.12.2023). Das Auswärtige Amt schreibt, dass es zahlreiche Berichte darüber gäbe, dass auch Reservisten zum Militärdienst eingezogen werden (AA 2.2.2024).

Männern, die sich in Syrien aufhalten, ist ein Freikauf von der Wehrpflicht grundsätzlich nicht möglich. Eine Ausnahme hierfür ist nur durch die Möglichkeit, sich vom Reservedienst freizukaufen, für Männer im Alter von mindestens 40 Jahren geboten (DIS 1.2024). […]

Handhabung

Die Gesetzesbestimmungen werden nicht konsistent umgesetzt (Landinfo 3.1.2018), und die Informationslage bezüglich konkreter Fälle von Bestrafung von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren ist eingeschränkt, da die syrischen Behörden hierzu keine Informationen veröffentlichen (Rechtsexperte 14.9.2022). Manche Quellen geben an, dass Betroffene sofort (DIS 5.2020; vergleiche Landinfo 3.1.2018) oder nach einer kurzen Haftstrafe (einige Tage bis Wochen) eingezogen werden, sofern sie in keinerlei Oppositionsaktivitäten involviert waren (DIS 5.2022). Andere geben an, dass Wehrdienstverweigerer von einem der Nachrichtendienste aufgegriffen und gefoltert oder "verschwindengelassen" werden können. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018).

Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit mangelhafter oder ohne Ausbildung direkt an die Front geschickt wird (Balanche 13.12.2021). Die Strafe für Wehrdienstentzug ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als "Kanonenfutter"), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur Üngör wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit die aktivsten Kampfgebiete sich beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter) (Üngör 15.12.2021). Dem hingegegn gibt ein von EUAA interviewter Experte an, dass Wehrdienstverweigerer, die von der syrischen Regierung gefasst werden, der Militärpolizei übergeben werden und schließlich in Trainingslager zur Ausbildung und Stationierung gesendet werden (EUAA 10.2023). Bis zum Beginn einer Wehrdienstausbildung, die normalerweise im April und September geplant sind, bleibt der Wehrdienstverweigerer bei der Militärpolizei (NMFA 8.2023). Selbst für privilegierte Personen mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen - es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen (Khaddour 24.12.2021). Auch einige Quellen des Danish Immigration Service geben an, dass Wehrdienstverweigerer mit einer Haftstrafe von bis zu neun Monaten rechnen müssen. Andere Quellen des Danish Immigration Service wiederum berichteten, dass Wehrdienstverweigerer direkt zum Wehrdienst eingezogen, ohne vorher inhaftiert zu werden. Wer an einem Checkpoint als Wehrdienstverweigerer erwischt wird, wird dem Geheimdienst übergeben. Ein Wehrdienstverweigerer, der nicht aus anderen Gründen gesucht wird, wird dem Militär zur Ableistung des Wehrdienstes übergeben. Wehrdienstverweigerer werden meist direkt an die Front geschickt (DIS 1.2024). Wehrdienstverweigerer aus den Gebieten, die von der Opposition kontrolliert wurden, werden dabei mit größerem Misstrauen betrachtet und mit größerer Wahrscheinlichkeit inhaftiert oder verhaftet (NMFA 8.2023).

Bei militärischer Desertion gibt es Fälle, die dem Militärgericht übergeben werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Mehrere Quellen berichten, dass Deserteure verfolgt und mit einer Haftstrafe bestraft werden und dann ihren Wehrdienst ableisten müssen (DIS 1.2024). Eine Quelle berichtet im Jahr 2020, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt (DIS 5.2020). Dem gegenüber berichtet ein vom Danish Immigraton Service 2023 interviewter Experte, dass Deserteure aus ehemaligen Oppositionsgebieten, sowie Überläufer, die sich an Handlungen gegen das Regime beteiligt haben, zum Tode verurteilt werden könnten. SNHR berichtet, dass Deserteure ein bestimmtes Zeitlimit, wie beispielsweise ein Jahr haben, um sich freiwillig den Behörden stellen und straffrei davonkommen zu können. Wer sich innerhalb der Frist nicht meldet, wird in Abwesenheit verurteilt (DIS 1.2024). Überläufer, die sich freiwillig stellen, würden vor ein Militärgericht gestellt und müssen entweder nach Ableistung einer Haftstrafe oder, wenn eine Amnestie erlassen wurde, sofort den verbleibenden Wehrdienst in der Einheit, aus der sie desertierten, absolvieren (EUAA 10.2023). Das Omran Center for Strategic Studies wiederum gibt an, dass kein Unterschied zwischen Deserteuren und Überläufern gemacht wird. Die Haftstrafe für Wehrpflichtige und Reservisten, die desertiert sind, beträgt bis zu neun Monate. Wer ein zweites Mal desertiert wird bis zu zwei Jahre inhaftiert, wer ein drittes Mal desertiert für fünf Jahre (DIS 1.2024). Ein Syrienexperte, der von EUAA interviewt wurde, gibt an, dass die Behandlung von Deserteuren und Überläufern abhängig ist von einerseits der Art ihrer Flucht und andererseits den Strafen, die vorgesehen sind in den Artikeln 100 und 104 im Strafgesetzbuch (EUAA 10.2023). Anfang September verfügte Präsident Assad mittels Dekret (32/2023) die Auflösung von ad hoc Gefechtsfeldtribunalen, die laut Menschenrechtsorganisationen mit hunderten Todesurteilen gegen vermeintliche Deserteure und andere Personen in Verbindung gebracht werden (AA 2.2.2024).

Manche Quellen berichten, dass Wehrdienstverweigerung und Desertion für sich genommen momentan nicht zu Repressalien für die Familienmitglieder der Betroffenen führen. Hingegen berichten mehrere andere Quellen von Repressalien gegenüber Familienmitgliedern von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern, wie Belästigung, Erpressung, Drohungen, Einvernahmen und Haft. Eine Quelle berichtete sogar von Folter. Betroffen sind vor allem Angehörige ersten Grades (DIS 1.2024). Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z. B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vergleiche DIS 1.2024). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020; vergleiche DIS 1.2024). Insbesondere die politische oder militärische Haltung gegenüber der Syrischen Regierung wirkt sich auf die Art der Behandlung der Familie des Deserteurs bzw. Wehrdienstverweigerer aus. Familien von Deserteuren sind dabei einem höheren Risiko ausgesetzt als jene von Wehrdienstverweigerern (DIS 1.2024).

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen berichtete im zweiten Halbjahr 2022 weiterhin von willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen durch die Regierungskräfte, darunter auch von Personen, die sich zuvor mit der Regierung "ausgesöhnt" hatten. Andere wurden vor der am 21.12.2022 angekündigten Amnestie für Verbrechen der "internen und externen Desertion vom Militärdienst" aufgrund von Tatbeständen im Zusammenhang mit der Wehrpflicht inhaftiert (UNHRC 7.2.2023).

"Versöhnungsabkommen" und Rückkehr von Wehrpflichtigen

Versöhnungsabkommen dienen der Regierung auch zur Rekrutierung von Wehrpflichtigen, die entweder direkt in die SAA integriert werden oder in eine der mit der Regierung zusammenarbeitenden Milizen (EUAA 10.2023). Im Rahmen sog. lokaler „Versöhnungsabkommen“ in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus dem Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert (AA 2.2.2024). Deserteure bekommen eine einmonatige Frist, um zu ihrer Einheit zurückzukehren (SD 9.6.2023). Zumindest Erstere wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten (AA 2.2.2024). Als Anreiz können Wehrpflichtige im Rahmen dieser Abkommen in Dara‘a eine Reiseerlaubnis sowie einen Reisepass bekommen, um außer Landes zu reisen (SD 9.6.2023; vergleiche EB 14.6.2023). Einer Quelle von EUAA zufolge ist ein "Versöhnungsprozess" auch die Voraussetzung, um sich für die immer wieder ausgesprochenen Amnestien zu qualifizieren (EUAA 10.2023). Dem Bericht der Commission of Inquiry (CoI), der Vereinten Nationen vom Augsut 2023 zufolge, waren Personen im Gouvernement Dara'a von Repressionen betroffen, obwohl sie den offiziellen "Versöhnungsprozess" durchlaufen hatten (AA 2.2.2024).

Ein Monitoring durch die Vereinten Nationen oder andere Akteure zur Situation der Rückkehrer ist nicht möglich, da vielerorts kein Zugang für sie besteht; viele möchten darüber hinaus nicht als Flüchtlinge identifiziert werden. Sowohl in Ost-Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben. Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein (AA 2.2.2024). Einzelne Personen in Aleppo berichteten, dass sie durch die Teilnahme am "Versöhnungsprozess" einem größeren Risiko ausgesetzt wären, bei späteren Interaktionen mit Sicherheitsbeamten verhaftet und erpresst zu werden. Selbst für diejenigen, die nicht im Verdacht stehen, sich an oppositionellen Aktivitäten zu beteiligen, ist das Risiko der Einberufung eine große Abschreckung, um zurückzukehren (ICG 9.5.2022). Auch SNHR berichtet von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren, die den Versöhnungsprozess durchlaufen haben und im Zuge dessen von den syrischen Behörden aufgrund anderer Sicherheitsbedenken einvernommen und sogar zum Tode gefoltert wurden, weil sie Verbindungen zur Opposition hatten (DIS 1.2024). Zudem sind in den "versöhnten Gebieten" Männer im entsprechenden Alter auch mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert (FIS 14.12.2018).

In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten viele Deserteure und Überläufer, denen durch die "Versöhnungsabkommen" Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).

Aufgrund der fehlenden Überwachung durch internationale Organisationen ist unklar, wie systematisch und weit verbreitet staatliche Übergriffe auf Rückkehrer sind. Die Tatsache, dass der zuständige Beamte am Grenzübergang oder in der örtlichen Sicherheitsdienststelle die Befugnis hat, seine eigene Entscheidung über den einzelnen Rückkehrer zu treffen, trägt dazu bei, dass es hierbei kein klares Muster gibt (DIS 5.2022). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Glaubwürdige Berichte über Einzelschicksale legen nahe, dass auch eine zuvor ausgesprochene Garantie des Regimes, auf Vollzug der Wehrpflicht bzw. Strafverfolgung aufgrund von Wehrentzug, etwa im Rahmen sogenannter "Versöhnungsabkommen" zu verzichten, keinen effektiven Schutz vor Zwangsrekrutierung bietet (AA 2.2.2024).

Einem Experten sind hingegen keine Berichte von Wehrdienstverweigerern bekannt, die aus dem Ausland in Gebiete unter Regierungskontrolle zurückgekehrt sind. Ihm zufolge kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, was in so einem Fall passieren würde. Laut dem Experten wäre es aber "wahnsinnig", als Wehrdienstverweigerer aus Europa ohne Sicherheitsbestätigung und politische Kontakte zurückzukommen. Wenn keine "Befreiungsgebühr" bezahlt wurde, müssen zurückgekehrte Wehrdienstverweigerer ihren Wehrdienst ableisten. Wer die Befreiungsgebühr entrichtet hat und offiziell vom Wehrdienst befreit ist, wird nicht eingezogen (Balanche 13.12.2021). […]“

1.2.3.4. Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedene Organisationen

„Letzte Änderung 2024-03-13 15:01

Neben der Gefährdung durch sexualisierte Gewalt und Kampfhandlungen bleibt die Zwangsrekrutierung von Kindern im Syrienkonflikt durch verschiedenste Parteien ein zentrales Problem. Neben Somalia und Nigeria zählte Syrien 2020 laut UNICEF zu den Ländern mit den höchsten Rekrutierungsquoten von Kindersoldaten. Als Verantwortliche benennen die Vereinten Nationen insbesondere die Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), bewaffnete Gruppierungen der ehemaligen Free Syrian Army (FSA), die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) sowie in geringerem Maße regimenahe Milizen (AA 29.3.2023). Der im Juni 2022 veröffentlichte Jahresbericht des Generalsekretärs an die UN-Generalversammlung über Kinder in bewaffneten Konflikten berichtet über die Rekrutierung und den Einsatz von insgesamt 1.296 Kindern (1.258 Buben und 38 Mädchen) im Konflikt in Syrien zwischen Januar und Dezember 2021. Dem Bericht zufolge wurden 1.285 der Kinder im Kampf eingesetzt. 569 verifizierte Fälle werden der Syrian National Army (SNA) zugeschrieben, 380 der HTS, 220 der YPG und den mit der YPG verbundenen Frauenschutzeinheiten (YPJ) und 46 den regimenahen Kräften und Milizen, neben anderen Akteuren (UNGA 23.6.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). Der UN zufolge wurde die Mehrheit der Minderjährigen auch in bewaffneten Konflikten eingesetzt und nur eine kleine Minderheit in nicht kämpferischen Rollen, beispielsweise als Köche oder für Reinigungsarbeiten (UNSC 27.10.2023).

Im August 2021 hat die syrische Regierung ein Kinderschutzgesetz, Gesetz Nr. 21 von 2021 erlassen. Das Gesetz verbietet die Rekrutierung oder Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten und allen anderen damit verbundenen Aktivitäten (OSS 18.1.2023; vergleiche UNSC 27.10.2023). Auch das Gesetz Nr. 11/2013 kriminalisiert alle Formen von Rekrutierung und Einsatz von Kindern unter 18 Jahren durch die syrischen Streitkräfte und bewaffnete Oppositionsgruppen (USDOS 29.7.2022).

Laut einem Bericht des US-amerikanischen Außenministeriums vom Juli 2022 hat die Regierung jedoch keine Bemühungen gezeigt, den Einsatz von Kindersoldaten durch Regierungs- und regierungstreue Milizen, bewaffnete Oppositionsgruppen und terroristische Organisationen zu verfolgen. Die Regierung berichtet nicht von der Untersuchung, Verfolgung oder Verurteilung von verdächtigten Menschenhändlern, noch werden Regierungsmitarbeiter, die an Menschenhandel, inklusive der Rekrutierung von Kindern, beteiligt waren, überprüft, verfolgt oder verurteilt. Die Regierung führt weiterhin Verhaftungen und Inhaftierungen durch und misshandelt Opfer von Menschenhandel schwer - inklusive Kindersoldaten - und bestraft diese für illegale Taten, zu denen sie von Menschenhändlern gezwungen werden. Sie inhaftiert regelmäßig Kinder für die vermeintliche Verbindung zu bewaffneten Gruppen, vergewaltigt, foltert und exekutiert. Sie zeigt keine Bemühungen, diesen Kindern irgendwelche Schutzdienste zur Verfügung zu stellen. Die Regierung schützt Kinder auch nicht vor der Rekrutierung und dem Einsatz durch bewaffnete Oppositionsgruppen und Terrororganisationen (USDOS 29.7.2022). Dem gegenüber steht ein Bericht des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, wonach Vertreter der Syrischen Regierung im Jahr 2022 an Awareness-Workshops über Kinder im Konflikt teilgenommen haben und die Regierung sich mit den Vereinten Nationen auf einen handlungsorientierten Dialog zur Beendigung und Vermeidung von sowie Reaktion auf schwere Verbrechen gegen Minderjährige durch das Syrische Regime oder mit ihm verbundene Gruppierungen geeinigt haben (UNSC 27.10.2023). In einem Bericht gibt das Syrian Network for Human Rights (SNHR) an, dass das syrische Regime für fast 65% der Fälle von rekrutierten Minderjährigen verantwortlich ist und führt weiter aus, dass das Regime auf verschiedene Arten der Rekrutierung zurückgreift, weil Kinder weniger kostspielig sind als Erwachsene. Das Regime würde dabei allerdings nicht offiziell vorgehen, also nicht durch die offiziellen Streit- und Sicherheitskräfte rekrutieren, sondern dies auf inoffiziellen Wegen durchführen, beispielsweise über lokale oder ausländische Milizen, wie die regierungstreuen Milizen, die als National Defence Forces (NDF) oder "Shabiha" bekannt sind, die Kinder direkt in ihren Hauptquartieren rekrutieren (SNHR 20.11.2023). Das wird auch vom Danish Immigration Service bestätigt. Wonach die SAA nicht dirtek Kinder rekrutiert, aber dem Verteidigungsministerium unterstehende Milizen, sowie insbesondere auch die Gruppe Wagner (DIS 1.2024). Manche bewaffneten Gruppen, die für die syrische Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF rekrutieren zwangsweise Kinder im Alter von sechs Jahren. Der Iran rekrutierte im Iran minderjährige Afghanen - darunter auch Zwölfjährige - unter Androhung von Abschiebung nach Afghanistan sowie iranische Minderjährige für schiitische Milizen in Syrien. Jabhat an-Nusra und der sogenannte Islamische Staat (IS) haben Kinder auch als menschliche Schutzschilder, Selbstmordattentäter, Scharfschützen und Henker eingesetzt. Bewaffnete Gruppierungen haben auch Kinder für Zwangsarbeit oder als Informanten eingesetzt, wodurch diese Vergeltungsschlägen und extremer Bestrafung ausgesetzt waren (USDOS 29.7.2022).

Praxis in der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien"

Laut den Vereinten Nationen und dem SNHR wurden zwischen Januar 2014 und September 2020 mindestens 911 Kinder durch die YPG zwangsrekrutiert (AA 29.3.2023). Im Juni 2019 wurde von den Syrian Democratic Forces (SDF) [Anm.: YPG und YPJ sind Kernbestandteile der SDF] und dem Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte ein Aktionsplan zur Beendigung und Verhinderung der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern unter 18 Jahren unterzeichnet. 2020 beschloss der Exekutivrat der Selbstverwaltung [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] die Einrichtung von Kinderschutzbüros und es gibt anhaltende Bemühungen der SDF, der Praxis der Rekrutierung von Kindern ein Ende zu setzen (UNHRC 7.2.2023; vergleiche SNHR 20.11.2023; vergleiche AA 2.2.2024). Allerdings schreibt das Auswärtige Amt, dass die Praxis nach wie vor nicht eingestellt worden zu sein scheint (AA 2.2.2024).

Seit Inkrafttreten des Abkommens zwischen den SDF und den Vereinten Nationen im Jahr 2019 wurden rund 700-750 Kinder aus den Diensten der SDF entlassen (DIS 6.2022). Einem Bericht der UN zufolge waren es im Zeitraum von 1.7.2020 bis 30.9.2022 278 Kinder, die aus dem Dienste der SDF entlassen wurden und in weiteren 1.025 Fällen wurde die Rekrutierung durch die SDF verhindert, zumindest eigenen Angaben der SDF gemäß. Besonders im Jahr 2021 verzeichnet die UN in ihrem Bericht eine positive Entwicklung. Die SDF nahmen eine Resolution an, wonach ihre Trainings internationalem Recht entsprechen müssen sowie zur Errichtung eines Komitees zur Einhaltung internationaler Regulierungen zum Schutz von Minderjährigen. Des Weiteren eröffneten die SDF neun Büros zum Schutz Minderjähriger in bewaffneten Konflikten (UNSC 27.10.2023). Dennoch wurde im zweiten Halbjahr 2022 weiterhin von der Rekrutierung von Kindern in die SDF berichtet (UNHRC 7.2.2023). Die UN spricht ebenfalls von Rückschlägen in der Einhaltung dieses Plans im Jahr 2022. So wurden beispielsweise die Büros zum Schutz Minderjähriger in bewaffneten Konflikten im Mai 2022 geschlossen und erst im April 2023 wieder geöffnet (UNSC 27.10.2023). SNHR verzeichnete einen Anstieg an Rekrutierungen Minderjähriger und berichtet, dass die Rekrutierung Minderjähriger zu einer systematischen Policy der SDF gehören und viele Unterorganisationen an Rekrutierungen von Kindern beteiligt sind und sogar viele Schulen der AANES. Insbesondere nach Angriffen auf die von der SDF kontrollierten Gebiete steigt laut SNHR die Zahl an rekrutierten Minderjährigen an, weil die SDF die verlorenen Kräfte kompensieren möchten (SNHR 20.11.2023). Bezüglich der Frage, wie es zu Rekrutierungen, bzw. möglichen Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen für die SDF kommt, gibt es verschiedene Erklärungen, darunter die schlechte Wirtschaftslage, welche das Gehalt der SDF attraktiv macht (DIS 6.2022). SNHR berichtet dazu von einigen Fällen, die zwangsrekrutiert wurden durch Entführungen aus Schulen oder direkt von der Straße (SNHR 20.11.2023). Einige Familien wandten sich an die Kinderschutzbüros, um Fälle zu melden, in denen Kinder im Alter von 14 Jahren rekrutiert wurden, aber ihnen wurde gesagt, dass keine Maßnahmen ergriffen werden könnten, da die Kinder von der Bewegung der kurdischen Revolutionären Jugend entführt worden seien. Trotz Anfragen von Familien blieb der Verbleib einiger rekrutierter Kinder unbekannt (UNHRC 7.2.2023).

Menschenrechtsorganisationen, darunter das Syria Justice and Accountability Center (SJAC), dokumentierten die Rekrutierung von Kindern durch die Revolutionäre Jugend, eine mit den SDF verbundene Organisation, die Jugendliche auf den Dienst bei der YPG und den Asayish, dem internen Sicherheits- und Geheimdienst der AANES, vorbereitet. Einige Minderjährige, die für Kampfeinsätze rekrutiert wurden, waren unter fünfzehn Jahre alt, eine Praxis, die nach Angaben von SJAC ein Kriegsverbrechen darstellt. Medienberichten zufolge erfolgt die Rekrutierung häufig über den Unterricht in Fächern wie Musik oder Sport, der von der Revolutionären Jugend durchgeführt wird. In diesen Klassen werden die Kinder schrittweise in der Ideologie der Organisation geschult, und in vielen Fällen werden sie dann in militärischen Ausbildungslagern untergebracht, ohne dass die Eltern über den Verbleib ihrer Kinder informiert werden. Andere werden unter dem Vorwand einer Anstellung angelockt (SJAC 3.2023). Die SDF und Asayish scheinen Rekrutierungen von Minderjährigen durch die Revolutionäre Jugend nicht zu verhindern. Ein Mitarbeiter des Kinderschutzbüros erklärte, dass das Büro nicht auf die Beschwerden über die Revolutionäre Jugend eingehen kann, da es nur für die SDF zuständig sei (DIS 6.2022). SJAC dokumentierte auch mehrere Fälle, in denen die Revolutionäre Jugend und andere SDF-Mitglieder die Familien von rekrutierten und vermissten Kindern einschüchterten und belästigten, wenn sie versuchten, Informationen über ihre Kinder zu erhalten (SJAC 3.2023). […]“

1.2.3.5. Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien

„Letzte Änderung 2024-03-13 15:41

[…] Wehrpflichtgesetz der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien"

Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union] dominierte "Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen "Freiwilligen" im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG [Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten] dient (AA 2.2.2024). Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht", das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen (EB 15.8.2022; vergleiche DIS 6.2022). Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit (ANHA, 4.9.2021). Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS 6.2022). Mit Stand September 2023 war das Dekret noch immer in Kraft (ACCORD 7.9.2023).

Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde [Anm.: Siehe weiter unten]. Es ist unklar, ob die Wehrpflicht auch für Personen aus Afrin gilt, das sich nicht mehr unter der Kontrolle der "Selbstverwaltung" befindet. Vom Danish Immigration Service (DIS) befragte Quellen machten hierzu unterschiedliche Angaben. Die Wehrpflicht gilt nicht für Personen, die in anderen Gebieten als den AANES wohnen oder aus diesen stammen. Sollten diese Personen jedoch seit mehr als fünf Jahren in den AANES wohnen, würde das Gesetz auch für sie gelten. Wenn jemand in seinem Ausweis als aus Hasakah stammend eingetragen ist, aber sein ganzes Leben lang z.B. in Damaskus gelebt hat, würde er von der "Selbsverwaltung" als aus den AANES stammend betrachtet werden und er müsste die "Selbstverteidigungspflicht" erfüllen. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur "Selbstverteidigungspflicht" eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert (DIS 6.2022; vergleiche NMFA 8.2023).

Ursprünglich betrug die Länge des Wehrdiensts sechs Monate, sie wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert (DIS 6.2022). Artikel zwei des Gesetzes über die "Selbstverteidigungspflicht" vom Juni 2019 sieht eine Dauer von zwölf Monaten vor (RIC 10.6.2020). Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je nach Gebiet entschieden wird. Beispielsweise wurde der Wehrdienst 2018 aufgrund der Lage in Baghouz um einen Monat verlängert. In Afrin wurde der Wehrdienst zu drei Gelegenheiten in den Jahren 2016 und 2017 um je zwei Monate ausgeweitet. Die Vertretung der "Selbstverwaltung" gab ebenfalls an, dass der Wehrdienst in manchen Fällen um einige Monate verlängert wurde. Wehrdienstverweigerer können zudem mit der Ableistung eines zusätzlichen Wehrdienstmonats bestraft werden (DIS 6.2022).

Nach dem abgeleisteten Wehrdienst gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall "höherer Gewalt" einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt (DIS 6.2022).

Einsatzgebiet von Wehrpflichtigen

Die Selbstverteidigungseinheiten [Hêzên Xweparastinê, HXP] sind eine von den SDF separate Streitkraft, die vom Demokratischen Rat Syriens (Syrian Democratic Council, SDC) verwaltet wird und über eigene Militärkommandanten verfügt. Die SDF weisen den HXP allerdings Aufgaben zu und bestimmen, wo diese eingesetzt werden sollen. Die HXP gelten als Hilfseinheit der SDF. In den HXP dienen Wehrpflichtige wie auch Freiwillige, wobei die Wehrpflichtigen ein symbolisches Gehalt erhalten. Die Rekrutierung von Männern und Frauen in die SDF erfolgt dagegen freiwillig (DIS 6.2022).

Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der "Selbsverteidigungspflicht" erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hasakah, wo es im Jänner 2022 zu dem Befreiungsversuch des sogenannten Islamischen Staats (IS) mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa (DIS 6.2022).

Rekrutierungspraxis

Die Aufrufe für die "Selbstverteidigungspflicht" erfolgen jährlich durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Es gibt keine individuellen Verständigungen an die Wehrpflichtigen an ihrem Wohnsitz. Die Wehrpflichtigen erhalten dann beim "Büro für Selbstverteidigungspflicht" ein Buch, in welchem ihr Status bezüglich Ableistung des Wehrdiensts dokumentiert wird - z. B. die erfolgte Ableistung oder Ausnahme von der Ableistung. Es ist das einzige Dokument, das im Zusammenhang mit der Selbstverteidigungspflicht ausgestellt wird (DIS 6.2022). Das Wehrpflichtgesetz von 2014 wird laut verschiedenen Menschenrechtsorganisationen mit Gewalt durchgesetzt. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Jungen und Mädchen (AA 2.2.2024).

Wehrdienstverweigerung und Desertion

Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen (ÖB Damaskus 12.2022). Die Selbstverwaltung informiert einen sich dem Wehrdienst Entziehenden zweimal bezüglich der Einberufungspflicht durch ein Schreiben an seinen Wohnsitz, und wenn er sich nicht zur Ableistung einfindet, sucht ihn die "Militärpolizei" unter seiner Adresse. Die meisten sich der "Wehrpflicht" entziehenden Männer werden jedoch an Checkpoints ausfindig gemacht (DIS 6.2022).

Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil (ÖB Damaskus 12.2022). Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird das "Selbstverteidigungspflichtgesetz" auch mit Gewalt durchgesetzt (AA 2.2.2024), während der DIS nur davon berichtet, dass Wehrpflichtige, welche versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, laut Gesetz durch die Verlängerung der "Wehrpflicht" um einen Monat bestraft würden - zwei Quellen zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft "für eine Zeitspanne". Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für die Betreffenden zu finden (DIS 6.2022). Ähnliches berichteten ein von ACCORD befragter Experte, demzufolge alle Wehrdienstverweigerer nach dem Gesetz der Selbstverteidigungspflicht gleich behandelt würden. Die kurdischen Sicherheitsbehörden namens Assayish würden den Wohnort der für die Wehrpflicht gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleibe, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft (ACCORD 6.9.2023). Die ÖB Damaskus erwähnt auch Haftstrafen zusätzlich zur [Anm.: nicht näher spezifizierten] Verlängerung des Wehrdiensts. Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB Damaskus 12.2022). Einem von ACCORD befragten Syrienexperten zufolge hängen die Konsequenzen für die Wehrdienstverweigerung vom Profil des Wehrpflichtigen ab sowie von der Region, aus der er stammt. In al-Hasakah beispielsweise könnten Personen im wehrpflichtigen Alter zwangsrekrutiert und zum Dienst gezwungen werden. Insbesondere bei der Handhabung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht gegenüber Arabern in der AANES gehen die Meinungen der Experten auseinander. Grundsätzlich gilt die Pflicht für Araber gleichermaßen, aber einem Experten zufolge könne die Behandlung je nach Region und Zugriffsmöglichkeit der SDF variieren und wäre aufgrund der starken Stammespositionen oft weniger harsch als gegenüber Kurden. Ein anderer Experte wiederum berichtet von Beleidigungen und Gewalt gegenüber arabischen Wehrdienstverweigerern (ACCORD 6.9.2023).

Bei Deserteuren hängen die Konsequenzen abseits von einer Zurücksendung zur Einheit und einer eventuellen Haft von ein bis zwei Monaten von den näheren Umständen und eventuellem Schaden ab. Dann könnte es zu einem Prozess vor einem Kriegsgericht kommen (DIS 6.2022).

Eine Möglichkeit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen besteht nicht (DIS 6.2022; vergleiche EB 12.7.2019).

Aufschub des Wehrdienstes

Das Gesetz enthält Bestimmungen, die es Personen, die zur Ableistung der "Selbstverteidigungspflicht" verpflichtet sind, ermöglichen, ihren Dienst aufzuschieben oder von der Pflicht zu befreien, je nach den individuellen Umständen. Manche Ausnahmen vom "Wehrdienst" sind temporär und kostenpflichtig. Frühere Befreiungen für Mitarbeiter des Gesundheitsbereichs und von NGOs sowie von Lehrern gelten nicht mehr (DIS 6.2022). Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden (EB 12.7.2019). Im Ausland (Ausnahme: Türkei und Irak) lebende, unter die "Selbstverteidigungspflicht" fallende Männer können gegen eine Befreiungsgebühr für kurzfristige Besuche zurückkehren, ohne den "Wehrdienst" antreten zu müssen, wobei zusätzliche Bedingungen eine Rolle spielen, ob dies möglich ist (DIS 6.2022).

Proteste gegen die "Selbstverteidigungspflicht"

Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der SDF gewehrt. Proteste im Mai 2021 richteten sich außerdem gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen Verwaltungseinheiten. Sechs bis acht Menschen wurden am 1.6.2021 in Manbij (Menbij) bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 2.6.2021 einigten sich die SDF, der Militärrat von Manbij und der Zivilrat von Manbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen (COAR 7.6.2021). Diese Einigung resultierte nach einer Rekrutierungspause in der Herabsetzung des Alterskriteriums auf 18 bis 24 Jahre, was später auf die anderen Gebiete ausgeweitet wurde (DIS 6.2022). Im Sommer 2023 kam es in Manbij zu Protesten gegen die SDF insbesondere aufgrund von Kampagnen zur Zwangsrekrutierung junger Männer in der Stadt und Umgebung (SO 20.7.2023).

Militärdienst von Frauen

Frauen können freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten [YPJ - Frauenverteidigungseinheiten] (AA 2.2.2024; vergleiche DIS 6.2022) oder in den Selbstverteidigungseinheiten (HXP) leisten (DIS 6.2022). Es gibt Berichte von Zwangsrekrutierungen von Frauen (AA 2.2.2024; vergleiche SNHR 26.1.2021) und minderjährigen Mädchen (Savelsberg 3.11.2017; vergleiche HRW 11.10.2019; vergleiche SNHR, 25.11.2023). […]

Rekrutierung für den nationalen syrischen Wehrdienst

Die Absolvierung des "Wehrdiensts" gemäß der Selbstverwaltung befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien (DIS 6.2022). Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich zwischen den Gebieten unter Kontrolle der SDF und der Regierungstruppen hin- und herbewegen, können von Rekrutierungsmaßnahmen auf beiden Seiten betroffen sein, da keine der beiden Seiten die Dokumente der anderen Seite [z. B. über einen abgeleisteten Wehrdienst, Aufschub der Wehrpflicht o.ä.] anerkennt (EB 15.8.2022).

Laut mehreren von ACCORD für eine Anfragebeantwortung interviewten Experten gibt es de facto keine Möglichkeit des syrischen Regimes, in den von den SDF kontrollierten Gebieten zu rekrutieren, obwohl es teilweise Patrouillen des syrischen Regimes in der AANES gibt. Lediglich in jenen Gebieten, die von den Regierungstruppen kontrolliert werden, können die Personen auch rekrutiert werden (ACCORD 24.8.2023). Ebenso gibt der Syrienexperte van Wilgenburg an, dass die Kontrollpunkte der syrischen Armee nicht die Befugnis haben, Menschen in den Städten zu kontrollieren, sondern der Abschreckung der Türkei dienen (van Wilgenburg 2.9.2023). Dem widerspricht SNHR, das ebenfalls von ACCORD befragt wurde mit der Angabe, dass das syrische Regime an Checkpoints und Kontrollpunkten sehr wohl auf vom Regime gesuchte Wehrpflichtige zugreifen könnte und würde und diese in die von der Regierung kontrollierten Gebiete eskortieren würde (ACCORD 24.8.2023). […]“

1.2.4. Relevante Bevölkerungsgruppen

„Kinder

Letzte Änderung 2024-03-13 16:20

Das Kinderschutzgesetz, Gesetz Nr. 21 von 2021, wurde im August 2022 veröffentlicht und ist das erste seiner Art in Syrien. Es soll die Kinder schützen, versorgen und die wissenschaftliche, kulturelle, psychologische und soziale Rehabilitation aller Kinder sicherstellen. Demnach hat der syrische Staat die Pflicht, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte von Kindern zu gewährleisten (OSS 18.1.2023).

Unverändert kommt es in Syrien regelmäßig zu schwersten Verletzungen der Rechte von Kindern (AA 2.2.2024). Trotz Bemühungen der Vereinten Nationen (VN) werden noch immer Kinder für den Dienst an der Waffe rekrutiert. Für das Jahr 2022 wurden durch die VN insgesamt 1.669 Fälle dokumentiert (1.593 Jungen und 103 Mädchen). Rekrutierungen von Kindern werden, nach dem Bericht der VN, vor allem durch die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) und die assoziierten YPG/YPJ (Kurdish People’s Protection Units, Women’s Protection Units), durch die Milizen der Syrian National Army (SNA) und durch Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) vorgenommen, vereinzelt auch durch das Regime und ihm nahestehende Milizen. Die meisten Kinder seien von den verschiedenen Konfliktparteien auch im Kampf eingesetzt worden. Dazu konnten die VN für das Jahr 2022 insgesamt 711 Fälle dokumentieren, in denen Kinder getötet (307) oder verstümmelt (404) wurden. Hauptverantwortliche seien das Regime (178 Fälle), SDF (73) und SNA (47). In 364 Fällen konnte die Verantwortlichkeit nicht zugeordnet werden. Viele Kinder werden dabei durch explosive Ladungen oder Munitionsreste getötet bzw. verletzt (375). Weitere Hauptursachen sind Artillerieangriffe (217), Luftangriffe (63) und Schusswaffen (52) (AA 2.2.2024). Im Jahr 2021 wurden 301 Kinder durch syrische Regierungskräfte in Oppositionsgebieten getötet. Zwischen dem Jahr 2011 und März 2022 wurden 22,941 Kinder durch Regierungskräfte getötet (OSS 18.1.2023).

Zu weiteren Menschenrechtsverletzungen gegen Kinder zählten insbesondere die Rekrutierung und der Einsatz von Kindersoldaten, Inhaftierung und Folter, Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt gegen Kinder, Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser sowie die Verweigerung humanitärer Hilfsleistungen (AA 29.3.2023). 6.358 Kinder befinden sich weiterhin in Gefangenschaft oder sind in Regierungsgefängnissen 'verschwunden' worden. Im Jahr 2021 wurden 48 neue Inhaftierungen von Kindern durch Regierungskräfte verzeichnet (OSS 18.1.2023). Für das Jahr 2022 dokumentierte SNHR willkürlicher oder unrechtmäßiger Verhaftungen von 148 Kindern (AA 29.3.2023).

Die Anzahl der Kinder unter den Binnenvertriebenen wächst weiterhin - mit Stand Februar 2022 2,4 Millionen Kinder, von denen ungefähr eine Million in Ansiedlungen und Lagern lebte (USDOS 20.3.2023) Anmerkung, Siehe dazu auch der Abschnitt Binnenvertriebene (IDPs) und Flüchtlinge im Kaptiel Bewegungsfreiheit!)

(..)

Nordwestsyrien

Laut UNOCHA hat weniger als eines von zehn Kindern Zugang zu adäquater und ausreichender Ernährung (AA 29.3.2023). Es wird berichtet, dass Familien im Nordwesten Syriens ihre Töchter zunehmend wiederholt für kurze Zeit gegen Geld verheiraten, was den Tatbestand des sexuellen Menschenhandels erfüllt. Früh- und Zwangsverheiratungen waren besonders in Idlib vermehrt verbreitet. Es wurden Fälle berichtet, in denen SNA (Syrian National Army)-Mitglieder der Sultan-Murad-Brigade kurdische Frauen in Afrin und Ra's al-'Ayn zwangsverheirateten (USDOS 30.3.2021) Anmerkung, Siehe dazu auch Kapitel Frauen, Unterkapitel Sexuelle Gewalt gegen Frauen und "Ehrverbrechen"). […]

(…)

Kindesmisshandlung und -missbrauch

Das Gesetz verbietet Kindesmisshandlung nicht ausdrücklich. Es sieht vor, dass Eltern ihre Kinder in einer Form disziplinieren können, die nach allgemeinem Brauch zulässig ist (USDOS 20.3.2023). Regierungstruppen setzen die Vergewaltigung von Kindern als "Kriegswaffe" ein und missbrauchen Kinder von Oppositionellen in Gefängnissen, an Kontrollpunkten und bei Hausdurchsuchungen systematisch und komplett ungestraft. Einem befragten Unteroffizier zufolge machten sie bei der Inhaftierung keinen Unterschied zwischen Erwachsenen und Minderjährigen, selbst in Fällen, in denen Folter angewendet wurde. Kinder werden absichtlich mit Erwachsenen zusammen eingesperrt, weshalb es auch zu Vergewaltigungen durch andere Gefangene kommt (ZI 2.7.2017). Regimemitarbeiter folterten Berichten zufolge Kinder auch wegen ihrer familiären Verbindungen - real oder angenommen - mit MenschenrechtsaktivistInnen und mit anderen AktivistInnen (USDOS 20.3.2023).

NGOs berichteten ausführlich über Regime- und regimefreundliche Kräfte sowie HTS und IS, die Kinder sexuell missbrauchen, foltern, festhalten, töten und anderweitig misshandeln. Die HTS hat Kinder in den von ihr kontrollierten Gebieten extrem hart bestraft und auch hingerichtet. Das gesetzliche Alter für die sexuelle Mündigkeit liegt bei 15 Jahren, wobei es keine Ausnahmeregelung für Minderjährige gibt. Vorehelicher Sex ist illegal, aber Beobachter berichteten, dass die Behörden das Gesetz nicht durchsetzen. Die Vergewaltigung eines Kindes unter 15 Jahren wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 21 Jahren und Zwangsarbeit bestraft. Es gab keine Berichte über die strafrechtliche Verfolgung in Vergewaltigungsfällen von Kindern durch das Regime (USDOS 20.3.2023).

Zwischen März 2011 und März 2023 dokumentierte SNHR den Tod von mindestens 15.272 Personen durch Folter, darunter 197 Kinder, durch die Konfliktparteien in Syrien, wobei das syrische Regime für 98,47 % dieser Todesfälle verantwortlich ist (SNHR 3.2023): (…)

Kinderarbeit und Nahrungsmittelversorgung

Das Gesetz sieht den Schutz von Kindern vor Ausbeutung am Arbeitsplatz vor und verbietet die schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Es gab nur wenige öffentlich zugängliche Informationen über die Durchsetzung des Kinderarbeitsgesetzes. Das Regime unternahm keine nennenswerten Anstrengungen zur Durchsetzung von Gesetzen, die Kinderarbeit verhindern oder beseitigen. Das Mindestalter für die meisten nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeiten beträgt 15 Jahre oder den Abschluss der Grundschule, je nachdem, was zuerst eintritt. Das Mindestalter für die Beschäftigung in Industrien mit schwerer Arbeit beträgt 17 Jahre. Für die Beschäftigung von Kindern unter 16 Jahren ist die Erlaubnis der Eltern erforderlich. Kinder, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen nicht mehr als sechs Stunden pro Tag arbeiten und keine Überstunden leisten oder in Nachtschichten, an Wochenenden oder offiziellen Feiertagen arbeiten. Das Gesetz sieht vor, dass die Behörden bei Verstößen "angemessene Strafen" verhängen sollen. Es gab jedoch keine Informationen, aus denen hervorging, welche Strafen angemessen waren. Die Beschränkungen für Kinderarbeit gelten nicht für Personen, die in Familienbetrieben arbeiten und kein Gehalt erhalten (USDOS 12.4.2022).

Kinderarbeit gibt es in Syrien sowohl in informellen Sektoren, einschließlich Betteln, Hausarbeit und Landwirtschaft, als auch in Positionen, die mit dem Konflikt zu tun haben, z. B. als Aufpasser, Spione und Informanten. Bei konfliktbezogener Arbeit sind Kinder erheblichen Gefahren durch Vergeltung und Gewalt ausgesetzt. Organisierte Bettelringe setzen die innerhalb des Landes vertriebenen Kinder weiterhin der Zwangsarbeit aus (USDOS 12.4.2022). Viele bewaffnete Gruppen rekrutieren Kinder als Soldaten. Binnenvertriebene und Flüchtlinge sind besonders vulnerabel bezüglich sexueller und Arbeitsausbeutung sowie Menschenhandel (FH 9.3.2023).

Die Zahl der chronisch unterernährten Kinder (unter fünf Jahren) stieg von 553.000 im Jahr 2022 auf 609.979 im Jahr 2023. Laut dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) sind 75.726 Kinder (zwischen sechs und 59 Monaten) akut unterernährt. Nicht zuletzt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine dürften sich diese Zahlen über das Jahr 2022 erhöht haben, auch aufgrund der Abhängigkeit insbesondere der Regimegebiete von Importen aus Russland. Rund 70 Prozent der Bevölkerung macht von negativen Bewältigungsmechanismen Gebrauch (z. B. Verschuldung, Kinderarbeit, Kinderehe, Auswanderung, Verringerung der Anzahl täglicher Mahlzeiten). Versorgungsengpässe halten an oder verschlimmern sich. Etwa 90 Prozent aller Haushalte geben über die Hälfte ihres Jahreseinkommens für Lebensmittel und andere Grundbedürfnisse (Wasser, Strom) aus, in 48 Prozent der Haushalte tragen Kinder zum Einkommen bei (AA 29.3.2023). Kinder als Straßenverkäufer oder auf Müllhalden wurden mit der anhaltenden Verschlechterung der Lebensbedingungen aller syrischen Familien ein regelmäßiger Anblick, weil Hunderttausende von Familien unterhalb der Armutsgrenze leben. Auch kam es zu einer Zunahme an obdachlosen Kindern, die allen Formen der Ausbeutung ausgesetzt sind (SNHR 20.11.2021). […]

Nicht-explodierte Kampfmittelrückstände, Landminen etc. als besondere Gefahr für Kinder

Das United Nations Mine Action Service (UNMAS) bezeichnet das Ausmaß, die Schwere und die Komplexität der Bedrohung durch Sprengstoffe in Syrien nach wie vor als ein großes Schutzproblem, das die humanitäre Krise und die Gefährdung der Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten verschärft (UNMAS 9.2022). Insgesamt wurden seit 2011 3.353 ZivilistInnen, darunter 889 Kinder, durch Anti-Personen-Landminen getötet (SNHR 4.4.2023). 1.435 SyrerInnen, darunter 518 Kinder, starben bisher durch Streumunition und ihre Überreste, die von den syrischen Streitkräften und Russland eingesetzt wurden (SNHR 30.1.2023).

Die Überreste der Waffen, die das syrische Regime und seine Verbündeten bei der massiven und wahllosen Bombardierung der nicht von ihnen kontrollierten Gebiete eingesetzt haben, und die es in jeder Form, Art und Größe gibt, gehören zu den größten Gefahren, die das Leben der Zivilbevölkerung und insbesondere der Kinder bedrohen - auch in Hinkunft. An erster Stelle stehen die Überreste von Streumunition, die in großem Umfang und wahllos eingesetzt wurde; die Submunition oder "Bomblets" dieser Waffen sind über große Gebiete verteilt, nachdem sie durch die erste Explosion nach dem Einschlag des Hauptsprengkörpers weiträumig verstreut wurden, wobei zwischen 10 Prozent und 40 Prozent dieser "Bomblets" nicht explodiert sind und daher eine tödliche Gefahr darstellen. Diese Submunition, die in großer Zahl auf landwirtschaftlichen Flächen, in den Ruinen von Städten und Dörfern und sogar in Flüchtlingslagern verstreut ist, ist in der Regel gut versteckt und kann jederzeit explodieren, weil sie durch jede noch so kleine Bewegung ausgelöst wird. Landminen, die von allen Konfliktparteien gelegt wurden, stellen in dieser Kategorie nach Streumunition die zweitgrößte tödliche Bedrohung dar. Die Überreste dieser Waffen haben zahlreiche zivile Opfer gefordert, vor allem unter Kindern, die am stärksten gefährdet sind, weil sie die Überreste nicht identifizieren oder ihre Gefahr nicht erkennen können. Diejenigen Kinder, welche durch die Explosionen dieser Überreste verletzt wurden, haben oft Gliedmaßen verloren oder sind anderweitig dauerhaft behindert und müssen für den Rest ihres Lebens mit diesen Beeinträchtigungen leben (SNHR 20.11.2021). […]“

1.2.5. Bewegungsfreiheit

„[…]

Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen

Letzte Änderung 2024-03-13 16:24

Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geografischen Gebiet verweigern (USDOS 20.3.2023). Das syrische Regime hat zudem Erfordernisse für Ausreisegenehmigungen eingeführt. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition oder Personen, die als solche wahrgenommen werden oder mit diesen oder mit Oppositionsgebieten in Verbindung stehen. Deshalb zögern diese sowie ihre Familien, eine Ausreise zu versuchen, aus Angst vor Angriffen/Übergriffen und Festnahmen an den Flughäfen und Grenzübergängen. Auch JournalistInnen und MenschenrechtsaktivistInnen sowie Personen, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren, sowie deren Familien und Personen mit Verbindungen zu ihnen werden oft mit einem Ausreiseverbot belegt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer. Erhalten AktivistInnen oder JournalistInnen eine Ausreiseerlaubnis, so werden sie bei ihrer Rückkehr verhört (USDOS 20.3.2023). Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten, und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 2.2.2024).

In Syrien betragen die Kosten für einen Reisepass aktuell 7 USD im regulären Verfahren und 56 USD im sogenannten „Expressverfahren“, welches dennoch mehrere Wochen dauern kann. Im Ausland liegen die Kosten bei 300 USD für das Regel- und 800 USD für das Expressverfahren. Die Gültigkeit beträgt in der Regel nur zwei Jahre. Damit ist der syrische Pass einer der teuersten der Welt. Seit Ende 2022 lässt sich beobachten, dass Ämter in Aleppo und Hama wieder Reisepässe für vertriebene syrische Staatsangehörige aus Oppositionsgebieten ausstellen, bei denen als Ausstellungsort „Idlib Center“ angegeben wird. Eine (nicht-repräsentative) Preisermittlung durch Forschungspartner des Auswärtigen Amts hat ergeben, dass etwa die Gebühren für Reisepässe für syrische Staatsangehörige in den Oppositionsgebieten nahe an den im Ausland erhobenen Preisen liegen (Idlib: 700 USD, Azaz 600 USD) und selbst einfache Auszüge um ein Vielfaches teurer sind als in den Regimegebieten (Idlib 60 USD, Azaz 50 USD). Eine Ausnahme bildet al-Qamishli im Nordosten, wo das Regime in Abstimmung mit den sogenannten Selbstverwaltungsbehörden ein Sicherheits- und Verwaltungszentrum unterhält, in dem entsprechende Dienstleistungen günstiger ausfallen (Reisepass: 300 USD, Registerauszug 6 USD). Die Selbstbeschaffung durch Passieren informeller Checkpoints an der Front ist sowohl lebensgefährlich als auch teuer (1.000 USD/Strecke) (AA 2.2.2024).

Flüchtlingsbewegungen finden in die angrenzenden Nachbarländer statt. Die Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen, bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden, und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 16.5.2023). Das Regime schließt regelmäßig den Flughafen von Damaskus sowie Grenzübergänge und begründet dies mit Gewalt, bzw. drohender Gewalt (USDOS 20.3.2023) Anmerkung, Bzgl. der Schließung von zivilen Flughäfen wegen israelischer Luftangriffe siehe auch Kapitel Sicherheitslage). Im Anschluss an israelische Luftschläge auf die Flughäfen Aleppo und Damaskus musste der Flugverkehr teilweise eingestellt werden (AA 2.2.2024).

Die auf Grund von COVID-19 verhängten Sperren der Grenzübergänge vom regierungskontrollierten Teil in den Libanon, nach Jordanien (Nasib) und in den Irak (Al-Boukamal) für den Personenverkehr wurden zwischenzeitig aufgehoben. Neue Einschränkungen seitens des Libanon sind mehr der Vermeidung illegaler Migration aus Syrien in den Libanon als COVID-Maßnahmen geschuldet. Der libanesische Druck zur freiwilligen Rückkehr einer wachsenden Zahl syrischer Flüchtlinge steigt. Die Grenzen zwischen der Türkei und den syrischen kurdisch besetzten Gebieten sind geschlossen; zum Irak hin sind diese durchlässiger (ÖB Damaskus 12.2022) Anmerkung, bzgl. Personenverkehr zwischen Türkei und Syrien seit 6.2.2023 siehe auch Kapitel Rückkehr).

Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 8.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen per Antrag an das Innenministerium die Ausreise aus Syrien zu verbieten, auch wenn Frauen, die älter als 18 Jahre sind, eigentlich das Recht haben, ohne die Zustimmung männlicher Angehöriger zu verreisen (USDOS 20.3.2023).

Einige in Syrien aufhältige PalästinenserInnen brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen. Dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (STDOK 8.2017).“

1.2.6. Rückkehr

„Letzte Änderung 2024-03-13 20:36

Seit 2011 waren 12,3 Millionen Menschen in Syrien gezwungen, zu flüchten - 6,7 Millionen sind aktuell laut OCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) Binnenvertriebene (HRW 11.1.2024).

Die offizielle politische Position des Regimes hinsichtlich der Rückkehr von Geflüchteten wurde im Berichtszeitraum angepasst. In einem anlässlich des UNHCR-Exekutivkomitees am 12.10.2023 veröffentlichten Statement versicherte das syrische Regime, dass es sichere Rückkehrbedingungen schaffe. Die Versprechungen, z. B. zum Wehrdienst, bleiben jedoch vage. Nach Einschätzung vieler Beobachter könne kaum mit großangelegter Flüchtlingsrückkehr gerechnet werden (AA 2.2.2024).

Die UNO konstatiert im Bericht der von ihr eingesetzten Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (COI) vom 7.2.2023 landesweit schwere Verstöße gegen die Menschenrechte sowie das humanitäre Völkerrecht durch verschiedene Akteure, welche Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen darstellen könnten, und sieht keine Erfüllung der Voraussetzungen für nachhaltige, würdige Rückkehr von Flüchtlingen gegeben (UNCOI 7.2.2023). Eine UNHCR-Umfrage im Jahr 2022 unter syrischen Flüchtlingen in Ägypten, Libanon, Jordanien und Irak ergab, dass nur 1,7 Prozent der Befragten eine Rückkehr in den nächsten 12 Monaten vorhatten (CNN 10.5.2023). Obwohl sich am Bestehen der Fluchtursachen, insbesondere im Hinblick auf verbreitete Kampfhandlungen sowie die in weiten Teilen des Landes katastrophale humanitäre, wirtschaftliche und Menschenrechtslage nichts geändert hat, erhöhen manche Aufnahmestaaten in der Region gezielt den politischen, rechtlichen und sozioökonomischen Druck auf syrische Geflüchtete, um eine „freiwillige Rückkehr“ zu erwirken (AA 2.2.2024).

RückkehrerInnen nach Syrien müssen laut Human Rights Watch mit einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen rechnen, von willkürlicher Verhaftung, Folter, Verschwindenlassen (HRW 12.1.2023; vergleiche Al Jazeera 17.5.2023) bis hin zu Beschränkungen beim Zugang zu ihren Herkunftsgebieten (HRW 11.1.2024). Vergleichbare Menschenrechtsverletzungen und Repressionen durch lokale Akteure wurden im Berichtszeitraum, in absoluten Zahlen betrachtet in geringerem Umfang, auch in Nicht-Regimegebieten dokumentiert. Unverändert besteht somit in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher Schutz für verfolgte Personen und Rückkehrende. Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar. Auch erschienen Berichte über erneute Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben von Rückkehrenden. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert oder eingeschüchtert wurden. Nach entsprechenden Berichten von Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) von September bzw. Oktober 2021 präsentierten der Zusammenschluss von Zivilgesellschaftsorganisationen Voices for Displaced Syrians Forum und der Think Tank Operations and Policy Center im Frühjahr 2022 eine gemeinsame Studie (Stand November 2022) zu Rückkehrenden aus Europa (Deutschland, Dänemark, Niederlande), der engeren Nachbarschaft (Türkei, Libanon, Jordanien, Irak, Ägypten) und anderen Regionen Syriens. Diese dokumentiert innerhalb eines Jahres schwierigste Rückkehrbedingungen in allen Regionen Syriens, darunter in einigen Fällen physische Gewalt und Verhaftungen der Betroffenen oder von Angehörigen sowie weitgehende Bewegungsbeschränkungen. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Rückkehrbedingungen nach Syrien in keiner Hinsicht erfüllt seien. UNHCR, IKRK und IOM vertreten unverändert die Auffassung, dass die Bedingungen für eine freiwillige Rückkehr von Geflüchteten nach Syrien in Sicherheit und Würde angesichts der unverändert bestehenden, signifikanten Sicherheitsrisiken in ganz Syrien nicht erfüllt sind. Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann derzeit insofern für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden (AA 2.2.2024).

Darüber hinaus können belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen nach geografischen Kriterien laut Auswärtigem Amt weiterhin nicht getroffen werden. Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass eine belastbare Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung nicht möglich ist (AA 2.2.2024).

Laut UNHCR sind von 2016 bis Ende 2020 170.000 Flüchtlinge (40.000 2020 gegenüber 95.000 im Jahr 2019) zurückgekehrt, der Gutteil davon aus dem Libanon und Jordanien (2019: 30.000), wobei die libanesischen Behörden weit höhere Zahlen nennen (bis 2019: 187.000 rückkehrende Flüchtlinge). COVID-bedingt kam die Rückkehr 2020 zum Erliegen. Die Rückkehr von Flüchtlingen wird durch den Libanon und die Türkei mit erheblichem politischem Druck verfolgt. Als ein Argument für ihre Militäroperationen führt die Türkei auch die Rückführung von Flüchtlingen in die von der Türkei kontrollierten Gebiete an. Die Rückkehrbewegungen aus Europa sind sehr niedrig. Eine von Russland Mitte November 2020 initiierte Konferenz zur Flüchtlingsrückkehr in Damaskus (Follow-up 2021 sowie 2022), an der weder westliche noch viele Länder der Region teilnahmen, vermochte an diesen Trends nichts zu ändern (ÖB Damaskus 12.2022).

Laut Vereinten Nationen (u. a. UNHCR) sind die Bedingungen für eine nachhaltige Flüchtlingsrückkehr in großem Umfang derzeit nicht gegeben (ÖB Damaskus 12.2022).

Hindernisse für die Rückkehr

Rückkehrende sind auch Human Rights Watch zufolge mit wirtschaftlicher Not konfrontiert wie der fehlenden Möglichkeit, sich Grundnahrungsmittel leisten zu können. Die meisten finden ihre Heime ganz oder teilweise zerstört vor, und können sich die Renovierung nicht leisten. Die syrische Regierung leistet keine Hilfe bei der Wiederinstandsetzung von Unterkünften (HRW 12.1.2023). In der von der Türkei kontrollierten Region um Afrin nordöstlich von Aleppo Stadt wurde überdies berichtet, dass Rückkehrer ihre Häuser geplündert oder von oppositionellen Kämpfern besetzt vorgefunden haben. Auch im Zuge der türkischen Militäroperation 'Friedensquelle' im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen (ÖB Damaskus 12.2022). Neben den fehlenden sozioökonomischen Perspektiven und Basisdienstleistungen ist es oft auch die mangelnde individuelle Rechtssicherheit, die einer Rückkehr entgegensteht. Nach wie vor gibt es Berichte über willkürliche Verhaftungen und das Verschwinden von Personen. Am stärksten betroffen sind davon Aktivisten, oppositionelle Milizionäre, Deserteure, Rückkehrer und andere, die unter dem Verdacht stehen, die Opposition zu unterstützen. Um Informationen zu gewinnen, wurden auch Familienangehörige oder Freunde von Oppositionellen bzw. von Personen verhaftet. Deutlich wird die mangelnde Rechtssicherheit auch laut ÖB Damaskus an Eigentumsfragen. Das Eigentum von Personen, die wegen gewisser Delikte verurteilt wurden, kann vom Staat im Rahmen des zur Terrorismusbekämpfung erlassenen Gesetzes Nr. 19 konfisziert werden. Darunter fällt auch das Eigentum der Familien der Verurteilten in einigen Fällen sogar ihrer Freunde. Das im April 2018 erlassene Gesetz Nr. 10 ermöglicht es Gemeinde- und Provinzbehörden, Zonen für die Entwicklung von Liegenschaften auszuweisen und dafür auch Enteignungen vorzunehmen. Der erforderliche Nachweis der Eigentumsrechte für Entschädigungszahlungen trifft besonders Flüchtlinge und Binnenvertriebene. Konkrete Pläne für die Einrichtung von Entwicklungszonen deuten auf Gebiete hin, die ehemals von der Opposition gehalten wurden. Von den großflächigen Eigentumstransfers dürften regierungsnahe Kreise profitieren. Auf Druck von Russland, der Nachbarländer sowie der Vereinten Nationen wurden einige Abänderungen vorgenommen, wie die Verlängerung des Fristenlaufs von 30 Tagen auf ein Jahr (ÖB Damaskus 12.2022). Flüchtlinge und Binnenvertriebene sind besonders von Enteignungen betroffen (BS 23.2.2022). Zudem kommt es zum Diebstahl durch Betrug von Immobilien, deren Besitzer - z. B. Flüchtlinge - abwesend sind (The Guardian 24.4.2023). Viele von ihren Besitzern verlassene Häuser wurden mittlerweile von jemandem besetzt. Sofern es sich dabei nicht um Familienmitglieder handelt, ist die Bereitschaft der Besetzer, das Haus oder Grundstück zurückzugeben, oft nicht vorhanden. Diese können dann die Rückkehrenden beschuldigen, Teil der Opposition zu sein, den Geheimdienst auf sie hetzen, und so in Schwierigkeiten bringen (Balanche 13.12.2021). Der Mangel an Wohnraum und die Sorge um zurückgelassenes Eigentum gehören zu den Faktoren, die syrische Flüchtlinge davon abhalten, nach Syrien zurückzukehren (AA 29.11.2021).

Laut einer Erhebung der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD) ist für 58 Prozent aller befragten Flüchtlinge die Abschaffung der Zwangsrekrutierung die wichtigste Bedingung für die Rückkehr in ihre Heimat (AA 4.12.2020). Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutzt das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach der Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar zum Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021).

Die laut Experteneinschätzung katastrophale wirtschaftliche Lage ist ein großes Hindernis für die Rückkehr: Es gibt wenige Jobs, und die Bezahlung ist schlecht (Balanche 13.12.2021). Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein (ÖB 1.10.2021).

Das geringe Angebot an Bildungs-, Gesundheits- und Grundversorgungsleistungen in Syrien wirken abschreckend auf potenzielle Rückkehrer. Eine geringere Lebensqualität im Exil erhöht nicht immer die Rückkehrbereitschaft. Es hat sich gezeigt, dass Flüchtlinge seltener in Bezirke zurückkehren, die in der Vergangenheit von intensiven Konflikten geprägt waren (Weltbank 2020). Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom IS gehalten wurden (z. B. Raqqa, Deir Ez-Zor). Laut aktueller Mitteilung von UNMAS vom November 2022 sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialien bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als zehn Mio. Menschen also rund 50 Prozent der Bevölkerung dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialien in Kontakt zu kommen. Dabei sind Männer aufgrund unterschiedlicher sozialer Rollen dem Risiko stärker ausgesetzt als Frauen. Im Schnitt gab es seit Kriegsbeginn alle zehn Minuten ein Opfer des Kriegs oder mittelbarer Kriegsfolgen. Ein Drittel der Opfer von Explosionen sind gestorben, 85 Prozent der Opfer sind männlich, fast 50 Prozent mussten amputiert werden und mehr als 20 Prozent haben Gehör oder Sehvermögen verloren. Zwei Drittel der Opfer sind lebenslang eingeschränkt. 39 Prozent der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34 Prozent auf landwirtschaftlichen Flächen, zehn Prozent auf Straßen oder am Straßenrand. Seit 2019 waren 26 Prozent der Opfer IDPs (ÖB Damaskus 12.2022) [Anm.: Infolge der Erdbeben im Februar 2023 erhöht sich die Gefahr, dass Explosivmaterialien wie Minen durch Erdbebenbewegungen, Wasser etc. verschoben werden].

Es ist wichtig, dass die Rückkehrer an ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann Zugang zu einem sozialen Netzwerk und/oder ihrem Stamm haben. Diejenigen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, verfügen nicht über ein solches Sicherheitsnetz (NMFA 7.2019). So berichtet UNHCR von einer 'sehr begrenzten' und 'abnehmenden' Zahl an Rückkehrern über die Jahre. Im 1. Quartal 2022 kehrten demnach insgesamt 22.052 Personen an ihre Herkunftsorte zurück. Hierbei handelte es sich allerdings zu 94 Prozent um Rückkehrer innerhalb Syriens (UNHCR 6.2022). Insgesamt ging im Jahr 2022 laut UN-Einschätzung die Bereitschaft zu einer Rückkehr zurück, und zwar aufgrund von Sicherheitsbedenken der Flüchtlinge. Stattdessen steigt demnach die Zahl der SyrerInnen, welche versuchen, Europa zu erreichen, wie beispielsweise das Bootsunglück vom 22.9.2022 mit 99 Toten zeigte. In diesem Zusammenhang wird Vorwürfen über die willkürliche Verhaftung mehrer männlicher Überlebender durch die syrische Polizei und den Militärnachrichtendienst nachgegangen (UNCOI 7.2.2023).

Während die syrischen Behörden auf internationaler Ebene öffentlich eine Rückkehr befürworten, fehlen syrischen Flüchtlingen, im Ausland arbeitenden SyrerInnen und Binnenflüchtlingen, die ins Regierungsgebiet zurückkehren wollen, klare Informationen für die Bedingungen und Zuständigkeiten für eine Rückkehr sowie bezüglich einer Einspruchsmöglichkeit gegen eine Rückkehrverweigerung (UNCOI 7.2.2023) (…)“

1.2.7. Auszug aus dem Themenbericht der Staatendokumentation, Syrien- Grenzübergänge, Version 1, vom 25.10.2023:

„(…) 5. Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES)

Stabilität der Lage

Der Grenzübergang von Semalka/Fishkhabur [Anm.: auch Faysh Khabour, Peshkhabour] ist politisch wie wirtschaftlich zentral für das Überleben des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES]. Er stellt die einzige Einreisemöglichkeit für die zahlreichen NGOs dar, welche unverzichtbare Hilfe für die Bevölkerung dieser Region leisten. Da die syrische Regierung für die Einreise über Semalka weiterhin eine Strafe von fünf Jahren Haft vorsieht, müssen die Organisationen darauf achten, keine Aktivitäten in von der Regierung kontrollierten Gebieten durchzuführen. Jeder Akkreditierungsantrag beim Syrischen Roten Halbmond für die Arbeit im Regimegebiet setzt die Zusage der NGO voraus, jegliche Aktivitäten einzustellen, welche die Einreise aus Nachbarländern in das Selbstverwaltungsgebiet bedingen. Während Assad so zumindest einen Aspekt seiner Grenzsouveränität wieder zu erlangen versucht, bemühen sich russische Patrouillen, trotz Widerstands der SDF (Syrian Democratic Forces) bis nach Semalka vorzudringen, und irakische Milizen drohen mit der Besetzung des Grenzübergangs auf irakischer Seite (TWI/Balanche 10.2.2021).

Vor den Wahlen am 14.5.2023 drohte auch die Türkei mit einer Invasion in Nordsyrien. Der Widerstand Russlands, Irans und der USA gebot dem jedoch Einhalt. Manche kurdische Aktivist:innen fürchten allerdings, dass die Türkei eine Militäroperation starten könnte, während die Welt durch den israelisch-palästinensischen Konflikt abgelenkt ist. Gemäß dem Journalisten Wladimir van Wilgenburg, dessen Schwerpunkt auf den Kurdengebieten in Syrien und im Irak liegt, sieht es zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht danach aus (van Wilgenburg 9.10.2023). Die Türkei übt allerdings durch die Lahmlegung von Infrastruktur Druck aus. Laut Thomas Schmidinger, einem Experten für die Lage in den kurdischen Gebieten Syriens, geht die Türkei ’systematisch’ gegen die zivile Infrastruktur vor und bombardierte Elektrizitätswerke, Getreidesilos sowie die Öl-, Gas- und Wasserversorgung. Mittlerweile sind gemäß Schmidinger alle Städte in der Selbstverwaltungsregion ohne Wasser- und Stromversorgung. Benzin, Öl und Gas sind kaum noch erhältlich, und wenn, dann zu extrem hohen Preisen. Der Großteil der heurigen Getreideernte ist vernichtet und Schmidinger warnt vor einer Hungersnot im Winter (Der Standard 13.10.2023). Der Journalist Hisham Arafat beschrieb die Lage gegenüber van Wilgenburg als ’fließend’, in der ’Allianzen und Rivalitäten weiterhin wechseln’, wobei aktuell keine größere Machtverschiebung im Nordosten in Sicht scheint. Die SDF haben die Lage großteils unter Kontrolle, vorausgesetzt die USA halten ihre Militärpräsenz im Nordosten aufrecht. Die US-Wahlen im November 2024 könnten diesbezüglich die Lage ändern, falls die Republikanische Partei gewinnt, und den Abzug aus Syrien (und sogar dem Irak) beschließen sollte (van Wilgenburg 9.10.2023).

Die Präsenz von Regierungskräften im Selbstverwaltungsgebiet

’Rojava’ (AANES) erhält nach dem Wissensstand von Hisham Arafat vom September 2021 eine gewisse De facto-Autonomie in Nord- und Ost-Syrien aufrecht, während das syrische Regime in einigen Gebieten und besonders entlang der Highways vertreten ist. Verhandlungen haben dann und wann zwischen den beiden Seiten stattgefunden, aber eine politische Einigung bleibt außer Reichweite (van Wilgenburg 9.10.2023). Innerhalb der Städte Qamishli und al-Hassakah gibt es Gebiete unter Regimekontrolle. In Qamishli gibt es einen ’Sicherheitsabschnitt’ (’security square’), der unter der Kontrolle der syrischen Armee steht, während der Rest der Stadt von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (KR: Yekîneyên Parastina Gel, YPG) kontrolliert wird. In al-Hassaka ist die Regierungskontrolle auf einen sehr kleinen Abschnitt beschränkt, der weniger als einen Quadratkilometer umfasst (ACCORD 14.6.2023). In beiden Städten können die syrischen Sicherheitskräfte beim Betreten der ’Sicherheitsabschnitte’ Kontrollen durchführen. Ein Checkpoint des Regimes befindet sich auch nach der Grenze, und der Flughafen [Anm.: von Qamishli] wird von syrischen Regierungskräften kontrolliert (van Wilgenburg 2.9.2023). In der Vergangenheit wurden einige Journalist:innen in Qamishli von Regierungskräften verhaftet, z. B. ein schwedischer Journalist im Jahr 2015. Dies geschah beim Filmen nach Betreten des ’Sicherheitsabschnitts’ (van Wilgenburg 9.10.2023), wobei der Journalist eine Woche später wieder freigelassen wurde (REU 22.2.2015). Das Betreten der regimekontrollierten Gebiete kann auch ohne Aufforderung zum Vorzeigen eines Identitätsnachweises erfolgen. Allerdings geht es im Sicherheitsabschnitt in al-Hassakah laut einem kurdischen Aktivisten strenger zu (van Wilgenburg 9.10.2023). In der Nähe des Flughafens von Qamishli befindet sich auch eine Zone im Graubereich, wo es ebenso möglich ist, von regierungsnahen Kräften festgenommen zu werden (ACCORD 14.6.2023). Auf dem Land im südlichen Qamishli gibt es ebenfalls syrische Checkpoints, an denen Personen angehalten werden können (van Wilgenburg 2.9.2023), wo es eine Anzahl arabischer Dörfer unter Regimekontrolle gibt (van Wilgenburg 9.10.2023). Die Armee-Checkpoints haben dort auch schon von Zeit zu Zeit US-Patrouillen aufgehalten und gezwungen, wieder wegzufahren (van Wilgenburg 9.10.2023). Die Checkpoints sind mit Mitgliedern der syrischen Armee (SAA - Syrian Arab Army) oder der National Defence Forces (NDF) besetzt. Einmal kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der NDF und Mitgliedern des Jubour-Stammes, nachdem ein Stammesmitglied im Sicherheitsabschnitt von al-Hassakah beleidigt worden war. Daraufhin entfernte die SAA die NDF-Kämpfer von dem Sicherheitsabschnitt und ersetzte deren Kommandanten wegen Rebellion gegen die Regierung (van Wilgenburg 9.10.2023). Überdies gibt es syrische Armee-Positionen in den Gebieten, die an Regionen unter Kontrolle pro-türkischer Gruppen grenzen - nahe Ain Issa/Tal Tamr - sowie an der Grenze zur Türkei. Dort werden jedoch keine Personenkontrollen durchgeführt. Dazu gibt es ein Abkommen zwischen den SDF (Syrian Democratic Forces) und dem Regime vom Oktober 2019, das Russland vermittelt hat. Es sind auch Regierungstruppen an der Grenze der Provinz Manbij stationiert. Die Armee-Checkpoints sind nicht in der Lage, Personenkontrollen in den Städten durchzuführen, sie dienen vielmehr zur Abschreckung der Türkei (van Wilgenburg 2.9.2023). In Tal Rifaat ist die Situation laut van Wilgenburg eine andere als in den übrigen Gebieten. Er kann aus diesem Grund nicht sagen, ob die Regierung in Tal Rifaat Personen zum Reservedienst einziehen könne oder nicht. Die Kurden gestatten es allgemein nicht, dass die Regierung Personen in den von ihnen kontrollierten Gebieten zum Militärdienst einzieht (ACCORD 24.3.2023). Laut einem im August 2023 von ACCORD kontaktierten Syrienexperten würden sich die Gebiete in und um Manbij zwar durch die Präsenz einiger Regierungstruppen auszeichnen, die SDF seien jedoch nach wie vor der Hauptakteur in der Region. Die SDF haben der Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern. Daher seien die Regierungstruppen zwar präsent, allerdings beschränke sich diese Präsenz auf die Durchführung von Patrouillen, meist zusammen mit der russischen Militärpolizei. In der Region sei die SDF zurzeit der wichtigste Kontrollakteur, der die Möglichkeit habe, die Lokalbevölkerung zu rekrutieren und zu verhaften. Der Syrienexperte bestätigte auf Nachfrage im September 2023, dass die syrische Regierung seines Wissens nach keine Wehrpflichtigen für den Militärdienst in Manbij einberufen könne, was auch van Wilgenburg bekräftigte. Die Menschenrechtsorganisation Syrian Network for Human Rights (SNHR) gab in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD im August 2023 dagegen an, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen und Reservisten durch die syrische Regierung an deren Zugriffsmöglichkeiten gebunden sei, was bedeute, dass junge Menschen, die einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte in der Nähe von Manbij passieren würden und für den Militärdienst gesucht würden, zur Wehrpflicht eskortiert würden (ACCORD 7.9.2023).

Die russischen Einheiten führen von Zeit zu Zeit Patrouillen zusammen mit der türkischen Armee oder den SDF durch. Sie überprüfen auch manchmal Orte, die von der Türkei bombardiert wurden. Sie unterhalten aber keine Checkpoints ebenso wenig wie die US-Armee. Diese betreibt Positionen in den Provinzen Deir ez-Zor und al-Hassakah, deren Perimeter von den SDF geschützt werden (van Wilgenburg 9.10.2023). In den anderen Gebieten ist es laut Auskunft von Bassam al-Ahmad, dem Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) viele Jahre her, dass die syrische Regierung jemanden festgenommen hat (van Wilgenburg 9.10.2023). Im nördlichen Aleppo, wo kurdische Kräfte aktiv sind, und vertriebene Flüchtlinge aus Afrin in Lagern leben, ist auch das Regime präsent. Dort ist die Lage anders. Mit der Partei der Demokratischen Union (PYD) alliierte Kräfte kontrollieren die Checkpoints von Sheikh Maqsoud und Ashrafiya [Anm.: zwei kurdische Stadtviertel in Aleppo Stadt], welche zuweilen von Regimekräften abgeriegelt werden, um Druck auf die AANES und die SDF auszuüben (van Wilgenburg 9.10.2023). […]

5.1 Einreisebestimmungen und ihre Umsetzung

Fishkhabour/Semalka als einziger für Personen offener Grenzübergang zum Irak ohne direkten Regimekontakt

Der Fluss Tigris trennt die beiden Seiten des Grenzübergangs Fishkhabour/Semalka [Anm.: verschiedene Umschriften möglich, z. B. auch Faysh Khabour, Peshkhabour]. Es gibt zwei Flussübergänge - einen für private bzw. zivile Reisebewegungen und einen für kommerzielle und humanitäre Güter. Auf der syrischen Seite kontrolliert die PYD (Partei der Demokratischen Union) den Semalka-Übergang, und laut Journalist Hisham Arafat sind zwei Organe der [Anm.: selbst ernannten] Selbstverwaltungsregion AANES (Autonomous Administration of North and East Syria) vor Ort: 1.) die Asayish (Sicherheitspolizei) in Form von Wachen (Polizei oder interne Sicherheitskräfte der AANES) und 2.) die zivile Grenzverwaltung, deren Personal für die Dokumente der Reisenden bei Ein- und Ausreise zuständig ist. Am Grenzübergang Semalka sind keine Beamten des syrischen Staates präsent (van Wilgenburg 9.10.2023). Auf der irakischen Seite betreibt das Kurdistan Regional Government (KRG) der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) unter der Leitung von Direktor Shawkat Barbuhari (Berbihary) den Grenzübergang Fishkhabour. Sein Stellvertreter ist Nazim Hamid Abdullah. Hamid Darbandi ist nicht nur Leiter der Abteilung für Public Relations der Präsidentschaft der KRG, sondern auch für die Beziehungen zu Syrien, bzw. den syrischen Kurd:innen. Er spielt eine Rolle bei Genehmigungen, besonders für Ausländer:innen, welche die Grenze überqueren wollen. Einer zweiten syrisch-kurdischen Quelle zufolge werden beide Seiten des Grenzübergangs von den 46 jeweiligen Innenministerien der kurdischen Regionalverwaltungen KRG und AANES betrieben. So sind es auch auf der irakischen Seite Asayish der KRI (Kurdistan Region Irak) bzw. der KDP, welche in manchen Fällen Personen bei der Einreise aus Syrien oder ihrer Rückkehr befragen, insbesondere, wenn es sich um Ausländer:innen handelt, die nach Syrien reisen (van Wilgenburg 9.10.2023). Der Grenzübergang Semalka gilt politisch, humanitär und wirtschaftlich als Lebensader der AANES. Nur hier können laut Thomas Schmidinger auch politische Delegationen, NGOs und andere humanitäre Organisationen den Norden und Osten Syriens erreichen (Al-Monitor 21.5.2023).

Behandlung bei der Ein- und Ausreise am Grenzübergang Semalka/Fishkhabour

Es gibt laut Wladimir van Wilgenburg nur wenige Rückweisungen am Grenzübergang (van Wilgenburg 9.10.2023). Dabei handelt es sich auf irakischer Seite um Fälle mit politischem Hintergrund, etwa Personen, gegen die in der KRI Dossiers vorliegen. So wurde Syrer:innen das Betreten der KRI wegen des Verdachts einer Verbindung zur PKK, YPG oder PYD (Kurdische Arbeiterpartei, Volksverteidigungseinheiten, Partei der Demokratischen Union), syrischen Nachrichtendiensten oder pro-türkischen Milizen wie der SNA (Syrian National Army) und FSA (Freie Syrische Armee) verwehrt. Personen mit wahrgenommenen Verbindungen zur Selbstverwaltung (AANES), YPG oder SDF (Syrian Democratic Forces) erlangen laut Einschätzung eines von van Wilgenburg befragten Aktivisten nicht so leicht Zutritt (van Wilgenburg 9.10.2023). Auf der syrischen Seite wurde auch syrischen Bewohner:innen der KRI die Rückkehr nach Syrien von AANES-Kräften verweigert - und zwar wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Verbindungen zur PDK-S (dem syrischen Zweig der irakischen KDP der Barzani-Familie), zum Kurdish National Council (KNC) [Kurdischer Nationalrat, von Barzani unterstützter Zusammenschluss kurdischer Parteien] oder zu türkischen Nachrichtendiensten, syrischen Oppositionsmilizen (SNA, FSA) oder dem Islamischen Staat etc. (van Wilgenburg 9.10.2023). Laut van Wilgenburg war es früher für Mitarbeiter:innen der AANES bzw. des Syrian Democratic Council (SDC) [Anm.: Syrischer Demokratischer Rat, politisches Gremium der AANES] leichter, in die KRI einzureisen, während in den letzten Jahren die Einreise durch die KRI verweigert wurde. Gleichzeitig hat die AANES ihrerseits Vertreter:innen des KNC die Einreise verweigert. Hintergrund sind die verstärkten Spannungen zwischen der PKK und der KDP im irakischen Kurdistan. Die syrische PYD ist mit der PKK verbunden, bzw. steht ihr nahe, während der KNC und PDK-S der KDP bzw. KRG nahestehen. Nach früheren, nie umgesetzten Vermittlungsabkommen gab es auch einen Versuch der USA im Jahr 2020, einen Dialog zwischen den beiden Seiten zu vermitteln, der scheiterte. Oft kam es nach dem Bruch der Abkommen zu Spannungen, und die Grenzübergänge wurden geschlossen, und die beiden Seiten verweigerten jeweils den KNC-Funktionären oder den PYD-Vertreter:innen die Einreise (van Wilgenburg 9.10.2023). Es kommt auch zu Fällen, wo die Grenzen ganz für Grenzübertritte geschlossen sind, und von beiden Seiten kein Passieren möglich ist (van Wilgenburg 9.10.2023). Es gibt nicht viele Verhaftungen direkt an der Grenze, auch wenn Leuten die Einreise verweigert wird. Einige Fälle von Verhaftungen und Misshandlungen ereigneten sich laut Hisham Arafat in den letzten Jahren aufgrund der politischen Ansichten der Reisenden, einer früheren Mitgliedschaft in einer (bewaffneten) Gruppe (van Wilgenburg 9.10.2023) oder weil die Betreffenden den Wehrdienst in der HXP (Selbstverteidigungseinheiten der AANES) vermieden hatten (van Wilgenburg 9.10.2023, van Wilgenburg 17.10.2023). Direkt am Grenzübergang kommt es nicht zu Misshandlungen (van Wilgenburg 9.10.2023). So erwähnte Arafat das Beispiel von Regin Sherro, einer Korrespondentin des Medienunternehmens Rudaw, die von Asayish der AANES wegen ihrer Arbeit für Rudaw misshandelt wurde. Rudaw ist eine der führenden Fernsehstationen in der KRI. Sie hatte vor sechs Jahren politische Differenzen mit der „von der PKK kontrollierten“ AANES. Dies ereignete sich jedoch nicht an der Grenze, ebenso wie andere Vorwürfe von Folter und Tod in Haft (van Wilgenburg 9.10.2023). Aufseiten der KRI wurden einige syrische kurdische Aktivist:innen durch KRI-Sicherheitskräfte misshandelt, weil sie verdächtigt wurden, mit der PKK oder anderen kurdischen Parteien in Verbindung zu stehen - so z. B. in einigen Fällen im Jahr 2015. Aber dies geschah auch nicht direkt an der Grenze (van Wilgenburg 9.10.2023). Bassam al-Ahmad, der geschäftsführende Direktor von Syrians for Truth and Justice, gibt an noch nie von Verhaftungen oder Misshandlungen auf einer der beiden Seiten [direkt] an der Grenze gehört zu haben. Auch andere syrisch-kurdische Quellen bestätigten, dass es keine Verhaftungen an der Grenze gab (van Wilgenburg 9.10.2023).

Ausweisungen von kurdischen Syrer:innen aus dem AANES-Gebiet in die KRI

Die Asayish gehen auch von Zeit zu Zeit gegen Unterstützer:innen des KNC im Gebiet der AANES vor, brennen ihre Büros nieder oder diese werden von den lokalen AANES-Behörden geschlossen. Der Spitzenvertreter des KNC Ibrahim Birro wurde im August 2016 verhaftet und ausgewiesen. Auch syrisch-kurdische Journalist:innen mit KNC-Sympathien wurden in die KRI ausgewiesen (van Wilgenburg 9.10.2023).

Legalität der Einreise via Fishkhabour/Semalka

Dastan Jasim weist darauf hin, dass dieser Grenzübergang weder von Syrien noch vom Irak offiziell anerkannt ist, und das Queren der Grenze ist illegal, auch wenn dies in den meisten Fällen nicht strafrechtlich verfolgt wird, weil sich beide Seiten unter kurdischer Kontrolle befinden (Jasim/STDOK 10.10.2023). Reist jemand aus dem Irak über Fishkhabour nach Syrien ein, ist keine legale Einreise in von der Regierung kontrollierte Gebiete möglich, so der Syrienexperte Fabrice Balanche. Wenn eine aus dem Ausland einreisende Person etwa nach Damaskus reisen wollte, müsste sie über einen offiziellen Grenzübergang unter Kontrolle der syrischen Regierung, etwa über den Libanon oder die jordanisch-syrische Grenze, einreisen. Eine Einreise über den Grenzübergang Fishkhabour gilt nicht offiziell als Einreise nach Syrien und der Reisepass wird nicht abgestempelt. Man erhält bei der Einreise lediglich ein ’Papiervisum’. Sollte eine Person, dennoch versuchen, zum Beispiel nach Damaskus weiterzureisen, würde sie festgenommen (ACCORD 14.6.2023). Semalka ist daher für viele Leute im Nordosten Syriens der bevorzugte Grenzübergang, weil er nicht von der syrischen Regierung anerkannt oder verwaltet wird. Der fehlende Eintrag im Reisepass ist auch für diejenigen Syrer:innen wichtig, die Angst haben, ihre Aufenthaltsgenehmigung im Ausland als Flüchtlinge zu verlieren, wenn ihre Reise nach Syrien aufscheinen würde (Al-Monitor 21.5.2023). Für Zivilist:innen ist das Überqueren der irakisch-syrischen Grenze abseits der Benutzung von Semalka großteils gefährlich, zumal diese schwer durchdringbar ist (Jasim/STDOK 10.10.2023).

Einreisebedingungen nach Syrien

1.) Syrische Staatsbürger:innen, die in der KRI leben, und die nach einer illegalen Einreise einen Aufenthaltstitel für Flüchtlinge in der KRI haben, benötigen für die Einreise nach Syrien via Fishkhabour folgende Dokumente: -

- Einwohner:innen der Provinz al-Hassakah und des Gebiets von Kobane:

•die KRI-Aufenthaltskarte für Flüchtlinge

•einen syrischen Personalauweis

•eine Genehmigung der Grenzbehörde der KRI in Fishkhabour (via https://peshabour.kr d/outapplication/), wofür Fragen zur Familie und anderen persönlichen Informationen zu beantworten sind (van Wilgenburg 9.10.2023).

Somit ist die Genehmigung des KRI-Grenzübergangs Fishkhabur vonnöten, damit Syrer:innen in die KRI reisen dürfen, oder Syrer:innen, die in der KRI leben, nach Syrien gelangen dürfen (van Wilgenburg 9.10.2023).

- Einwohner:innen von anderen Provinzen Syriens benötigen folgende Unterlagen:

•die KRI-Aufenthaltskarte für Flüchtlinge

•einen syrischen Personalauweis

•eine Genehmigung der Grenzbehörde der KRI in Fishkhabour (via https://peshabour.krd/ outapplication/)

•eine Genehmigung der AANES, welche einen Sponsor in Syrien bedingt [Anm.: zur Genehmigung - auch ’Expat-Karte’ genannt - siehe eigener Abschnitt weiter unten] (van Wilgenburg 9.10.2023). Wenn Syrer:innen, die illegal in die KRI eingereist sind und dort eine Aufenthaltskarte für Flüchtlinge erhalten haben, wieder aus der KRI ins AANES-Gebiet reisen möchten, benötigen sie keine vorhergehende Genehmigung des Grenzübergangs Fishkhabour oder der AANES-Behörden. Sie können sich direkt zum Grenzübergang begeben und müssen dort allerdings ihre KRI-Aufenthaltskarte für Flüchtlinge und das UNHCR-Dokument für Asylsuchende vorlegen. Sollte die Aufenthaltskarte abgelaufen sein, ist eine Strafe von 20.000 Dinar zu bezahlen. UNHCR weist die Rückkehrenden außerdem darauf hin, dass mit der freiwilligen Rückkehrentscheidung ihr temporärer Schutzstatus im Irak endet. UNHCR rät in dem Zusammenhang, sich zwecks Beratung an das Derabon Return Centre nahe des Fishkhabour-Grenzübergangs zu wenden (van Wilgenburg 9.10.2023).

2.) Syrische Bürger:innen, die in der KRI leben, dafür Aufenthaltsvisa haben und legal in die KRI kamen, benötigen folgende Papiere für die Einreise via Semalka nach Nordost-Syrien:

- Syrische Einwohner:innen der Provinz al-Hassakah und des Gebiets von Kobane:

•die KRI-Visa-Aufenthaltskarte

•den syrischen Reisepass

•die Genehmigung der Grenzbehörde der KRI in Fishkhabour (viahttps://peshabour.krd/ou tapplication/)

Somit benötigen Syrer:innen die Genehmigung der KRI-Behörde für den Grenzübergang Fishkhabour, egal ob sie in die KRI einreisen möchten oder als Syrer:innen, die in der KRI wohnen, nach Syrien reisen möchten (van Wilgenburg 9.10.2023).

- Syrer:innen, welche in anderen Provinzen Syriens wohnen:

•die KRI-Visa-Aufenthaltskarte

•den syrischen Reisepass

•die Genehmigung der Grenzbehörde der KRI in Fishkhabour (via https://peshabour.krd/ outapplication/)

•die Genehmigung der AANES, wofür ein Sponsor in Syrien nötig ist [Anm.: zur Genehmigung - auch ’Expat-Karte’ genannt - siehe eigener Abschnitt weiter unten](van Wilgenburg 9.10.2023).

Diese Kategorie von Syrer:innen mit KRI-Visa-Aufenthaltskarte, die legal durch den Flughafen in die KRI einreiste, kann die KRI nicht via Fishkhabour verlassen. Im Fall einer gerade erfolgten legalen Einreise durch den Flughafen und bei Vorliegen eines KRI-Visums, und ohne noch eine KRI-Visa-Aufenthaltskarte erhalten zu haben, ist eine Rückkehr nach Syrien via Fishkhabour möglich, indem eine Kopie des KRI-Visums beim Grenzübergang eingereicht wird. Van Wilgenburg hat selbst gesehen, dass Syrer:innen aus den Golfstaaten mit einem KRI-Visum so die Regimegebiete umgehen, und in die AANES-Region zurückkehren konnten (van Wilgenburg 9.10.2023).

Die Notwendigkeit von Sponsor:innen und einer ’Expat-Karte’ für die Ein- wie Durchreise und den Aufenthalt in der AANES

Personen, die in Zivilstandsregistern außerhalb der Gebiete unter AANES-Kontrolle eingetragen sind, können bei von der AANES ausgewiesenen Einrichtungen ’Expat-Karten’ beantragen [Anm.: ’Expat’ ist eine Bezeichnung für permanent im Ausland lebende Personen]. Diese gibt das Recht zu Einreise, Aufenthalt und Durchreise im AANES-Gebiet. Sie unterscheidet nicht zwischen Menschen, die aus Sicherheitsgründen, als Student:innen oder Patient:innen in das Gebiet kommen, und denjenigen, welche seit Jahrzehnten in der Provinz al-Hassakah leben, aber aufgrund ihrer Eintragung in einem Zivilstandsregister außerhalb des AANES-Gebiets eine ’Expat-Karte’ benötigen. Die syrische NGO Justice for life (JFL) nennt das Beispiel eines Syrers, der beim al-Sabbagh-Checkpoint auf dem Weg zu seinem Bauernhof an der Straße al-Hassakah-Qamishli zum Vorzeigen seiner Expat-Karte aufgefordert wurde, weil sein Zivilstandsregistereintrag in Deir ez-Zour erfolgte. Ihm wurde gesagt, dass er nächstes Mal nicht mehr [ohne diese] passieren dürfe. Der Mann lebte bereits seit mehr als 30 Jahren in al-Hassakah (JFL 2.2022).

Um diese ’Expat-Karte’ zu erhalten, müssen mehrere Papiere vorgelegt werden:

1. Hierfür wird zuerst ein/e Sponsor:in aus dem Gebiet benötigt, in welchem der Antrag für die Karte gestellt werden soll, was laut Einschätzung von JFL nicht einfach ist.

2. In einem speziellen Dokument, das von den internen Sicherheitskräften [Asayish] ausgestellt wird, werden die Stellungnahme des/der ’Expats’, die Daten seiner/ihrer Familie sowie die Aussagen von zwei Zeug:innen - einer davon der/die Sponsor:in - festgehalten.

3. Dabei ist den Asayish auch ein Mietvertrag für ein Haus in dem Gebiet vorzulegen.

4. Es ist auch ein Identitätszertifikat des ’Comin’ der Nachbarschaft vorzulegen, welches belegt, dass der Comin den/die ’Expat’ kennt.

5. Hinzukommen Kopien der Identitätskarten (nur als ’ID’ bezeichnet) des Antragstellers, bzw. Antragstellerin, der Familienmitglieder und der Zeugen.

6. Bei der Erneuerung der ’Expat-Karte’, die nur sechs Monate gültig ist, muss der/die Antragsteller:in wieder den/die Sponsor:in mitbringen (JFL 2.2022).

•Dabei kommt es für einige Personen zu weiteren Komplikationen bezüglich der Beantragung: JFL berichtet von einem IDP aus Deir ez-Zour, der seit fast 10 Jahren in al-Hassakah Stadt lebt. Er beschreibt die finanziellen Schwierigkeiten von IDPs in Bezug auf die Antragsbedingungen. In seinem Fall kann er die Karte nicht beantragen, weil dazu ein Mietvertrag nötig ist. Hierfür müsste er dem ’Büro’ eine Kommission zahlen, und die Mietgebühren würden bei jeder Erneuerung des Mietvertrags steigen. Wenn er nicht die Bedingungen des ’Büros’ und des Besitzers erfüllt, werden diese nicht unterzeichnen. Die langen Umwege, die er ohne Karte zur Vermeidung der SDF-Checkpoints fahren müsste, sind aber für ihn auf Dauer auch nicht machbar (JFL 2.2022).

•Ein erfolgreicher Antragsteller berichtet, dass es nicht einfach für ihn war, einen in Raqqa lebenden Sponsor zu finden, der auch dort im Zivilstandsregister eingetragen ist, denn Sponsor:innen müssen über eine Immobilienbestätigung oder eine Registrierung für Strom und Wasser auf ihren Namen verfügen, um ihren Wohnort in Raqqa zu belegen. Die meisten Leute, die der Antragsteller kannte, hatten aber ihre Dokumente auf der Flucht oder beim Bombardement der Stadt Raqqa schon vor Jahren verloren (JFL 2.2022). 51 Die Restriktionen durch die Checkpoints in Nordost-Syrien unterbinden laut JFL die Bewegungsfreiheit von Zivilist:innen, und haben negative Auswirkungen auf ihren Alltag in Bezug auf ihre Arbeit. Ein weiteres Beispiel von JFL bezieht sich auf einen Bewohner aus Deir ez-Zour mit Gesundheitsproblemen, für welche er in Deir ez-Zour keine Behandlung erlangen konnte. Ein SDF-Checkpoint an der südlichen Einfahrt der Stadt al-Hassakah verwehrte ihm den Zugang, um dort einen Arzt konsultieren zu können (JFL 2.2022).

Öffnungen und Schließungen des Grenzübergangs

Der Grenzübergang ist aktuell [Stand 9.10.2023] offen (van Wilgenburg 9.10.2023).

Semalka und Yaroubiya [Anm.: für Güter - siehe Unterkapitel ’Grenzübergänge’, auch Yaarubiyah] können von Schließungen betroffen sein. Semalka wird gelegentlich aus politischen Gründen von der KRG geschlossen, besonders wenn sich Spannungen zwischen der im Nordirak dominanten KDP und der PYD, welche die AANES dominiert, zuspitzen. Allerdings dauern diese Blockaden nicht lange, weil der Handel für beide Seiten sehr profitabel ist. Zwischen den beiden Autonomieverwaltungen gibt es ’diplomatische’ Beziehungen. Seit der Militäroffensive ’Claw Eagle Operations’ der Türkei im Jahr 2019 erhöht diese den Druck auf die KRG und den Irak, die Grenze zur AANES zu schließen, um diese zu isolieren (Jasim/STDOK 10.10.2023). Laut van Wilgenburg sorgten die Spannungen zwischen der KRG und der AANES und den mit ihr verbundenen Streitkräften besonders im Zeitraum 2013 bis 2018 für Schließungen von Semalka. Seither wurden die Schließungen weniger und die letzte war im Mai 2023, als die PYD bzw. AANES KNC-Funktionär:innen nicht erlaubte, zu einer Museumseröffnung in die KRI zu reisen. Im Dezember 2021 kam es zu einer Schließung aufgrund von Spannungen zwischen der KDP und PYD nach einem Protest oder Angriff einer PKK-Jugendgruppe an der Grenze. Im Jahr 2020 war die Grenze wegen der COVID-19-Pandemie geschlossen (van Wilgenburg 9.10.2023). Im Dezember 2021 kam es zu einer Schließung, die 40 Tage andauerte. Während der Schließung im Juni 2021 zum Höhepunkt neuerlicher inner-kurdischer Spannungen war der Grenzübergang für Reisende gesperrt, aber nicht für den humanitären Bereich (Al-Monitor 21.5.2023).

Gelegentlich zeigt auch die irakische Zentralregierung ihren Unmut über die Existenz der inoffiziellen Grenzübergänge der KRG, was dann dazu führt, dass diese für einige Tage geschlossen werden, bis die Aufmerksamkeit der Regierung geschwunden ist (Jasim/STDOK 10.10.2023).

Im Fall von Schließungen ist Nordost-Syrien dann nur über das Regierungsgebiet erreichbar (Al Monitor 21.5.2023). Die KDP hat bisher auch im Fall von Schließungen immer Nahrungsmittel und Medikamente passieren lassen (CAP 26.5.2021).

Die Selbstverwaltung AANES ist (auch) an der irakischen Grenze an den essenziellen Grenzübergängen Fishkhabour und Yaroubiya mit Gefahren konfrontiert. Das Grenzgebiet ist politisch zwischen PKK, irakischen Sicherheitskräften, schiitischen Milizen und mit Barzani verbündeten KDP-Kräften umstritten. Die Türkei hat überdies gedroht, im nahe gelegenen Sinjar zu intervenieren, was die Lage völlig verändern würde. Vor dem Hintergrund des Eigeninteresses der 52 US-Truppen an einer offenen Grenze und der Abhängigkeit der KDP von US-Unterstützung sollten die USA jedoch in der Lage sein, das Thema Fishkhabour zu regeln (CAP 26.5.2021).

Der Yarubiya-Grenzübergang ist insofern eine eigene Thematik, als dort nach einem russischen Veto im UN-Sicherheitsrat seit Jänner 2020 keine humanitäre Hilfe der UNO mehr passieren darf. Das schränkt die Einfuhr von essenziellem Medizinbedarf in die AANES ein - auch während der Pandemie gab Russland nicht nach (CAP 26.5.2021).

Informierung der syrischen Regierung über das Passieren des Grenzübergangs Semalka

Sowohl Hisham Arafat wie auch Bassam al-Ahmad sagten gegenüber van Wilgenburg aus, dass die syrische Regierung nicht am Grenzübergang präsent ist und keine Kontrollmöglichkeit hat (van Wilgenburg 9.10.2023). Bei einer Einreise in die AANES über den Grenzübergang Fishkhabour aus dem Irak erfährt die syrische Regierung offiziell nichts von der Einreise nach Syrien. Daran bestehen jedoch laut Balanche Zweifel, da eine informelle Vereinbarung zwischen der AANES und der syrischen Regierung zu bestehen scheint. Die syrische Regierung weiß seines Erachtens, wer über Fishkhabour nach Syrien einreist (ACCORD 14.6.2023). Laut dem kurdischen Journalist Hisham Arafat gibt es nur Gerüchte über einen Informationsaustausch zwischen AANES und der syrischen Regierung (van Wilgenburg 9.10.2023). Es könnte laut Balanche jedoch auch sein, dass sich Spitzel der syrischen Regierung in der Region befinden, da die syrische Regierung genau überwache, wer über Fishkhabour nach Syrien einreise (ACCORD 14.6.2023). […]“

1.2.8. Aus den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen 6. aktualisierte Fassung, März 2021:

„(…)

1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Demonstrierende; Aktivisten aus der Zivilgesellschaft und politische Aktivisten; (ehemalige) Mitglieder oppositioneller lokaler Räte; Journalisten und Bürgerjournalisten aus der Zivilbevölkerung; Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen und Freiwillige der Zivilverteidigung; Ärzte und sonstige medizinische Fachkräfte; Verteidiger der Menschenrechte; Hochschulangestellte; Personen, die als Mitglieder bewaffneter, regierungsfeindlicher Gruppen angesehen werden; und Zivilpersonen (insbesondere Männer und Jungen im kampffähigen Alter) aus derzeit oder ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten; (…)

2) Wehrdienstentzieher und Deserteure der syrischen Streitkräfte;

a) Wehrdienstentzieher

Pflichtwehrdienst und Reservewehrdienst

Der Wehrdienst ist für alle syrischen Männer zwischen 18 und 42 Jahren obligatorisch (sofern sie nicht vom Wehrdienst befreit oder ihnen Aufschub gewährt wurde; siehe unten)555, einschließlich derjenigen, die während eines Auslandsaufenthalts das wehrpflichtige Alter erreichen.556 Nachfahren palästinensischer Flüchtlinge, die zwischen 1948 und 1956 in Syrien eintrafen und bei der General Administration for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) registriert wurden, müssen ebenfalls den Pflichtwehrdienst ableisten.557 Die Gesetze sehen einen Pflichtwehrdienst von 18 oder 21 Monaten vor, je nach Ausbildungsstand.558 Seit 2011 wurden jedoch viele Rekruten gezwungen, über einen längeren Zeitraum zu dienen, der die gesetzlich festgelegte Dauer des Pflichtwehrdienstes überschreitet.559 Nach ihrer Entlassung aus dem Wehrdienst werden ehemalige Soldaten automatisch als Reservisten angesehen und können für den Reservedienst eingezogen werden.560 Das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist gesetzlich nicht anerkannt, und ein Ersatz- oder Alternativdienst ist nicht vorgesehen.561 Einige angehende Rekruten, Reservisten und Wehrdienstentzieher oder ihre Familien zahlen laut Berichten Bestechungsgelder, um den Wehrdienst zu umgehen, z. B. um einen Aufschub zu erhalten, Zusicherungen zu bekommen, dass sie die Kontrollstellen unbehelligt passieren können, oder um eine vorübergehende Streichung ihres Namens aus den Einberufungslisten zu erwirken.562 Mitglieder der Sicherheits- oder Geheimdienste verhaften laut Berichten Männer, die wegen des Wehrdienstes gesucht sind, um Bestechungsgelder von Verwandten zu erhalten, mit denen die Freilassung der Männer bewirkt wird. 563 Es gibt auch Berichte, nach denen Rekruten Bestechungsgeld bezahlen, um an sicheren Orten ihren Dienst leisten zu können sowie über Offiziere, die Rekruten nutzen, um nichtmilitärische Aufgaben auf den privaten Grundstücken der Offiziere auszuführen. 564

(…)

4) Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner der Syrian Democratic Forces (SDF) / Volksschutzeinheiten (YPG), der Partei der Demokratischen Union (PYD) und der Institutionen der Autonomieregion sind

UNHCR ist der Auffassung, dass Zivilpersonen, die einer der nachstehenden Kategorien angehören, wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen, je nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder ihrer religiösen oder ethnischen Identität:

a) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich Gegner der SDF/PYD/YPG und/oder der Institutionen der AANES sind, einschließlich Mitglieder kurdischer Oppositionsparteien, Journalisten und Bürgerjournalisten aus der Zivilbevölkerung, Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen sowie Aktivisten und Mitglieder der Zivilgesellschaft;

b) Personen, denen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft und/oder familiären Beziehungen eine Verbindung zu ISIS unterstellt wird;

c) Personen, denen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft und/oder familiären Beziehungen eine Kollaboration mit der Türkei oder der SNA unterstellt wird;

d) Männer, die eine Ableistung des Dienstes bei den „Selbstverteidigungseinheiten“ ablehnen,wenn die Ablehnung als Ausdruck einer SDF/YPG-feindlichen Gesinnung und/oder einer Unterstützung von ISIS oder SNA wahrgenommen wird.655

Je nach den Umständen des Einzelfalls benötigen auch Familienangehörige und sonstige Personen, die Menschen mit diesen Risikoprofilen nahestehen, aufgrund ihrer Verbindung zu den gefährdeten Personen möglicherweise internationalen Flüchtlingsschutz. Damit der zivile und humanitäre Charakter von Asyl gewahrt bleibt, sollten Anträge auf Flüchtlingsschutz, die von bewaffneten Akteuren eingereicht werden, unberücksichtigt bleiben, sofern nicht feststeht, dass sie tatsächlich und endgültig alle militärischen Aktivitäten eingestellt haben.656 Zudem ist bei Anträgen ehemaliger bewaffneter Akteure zu prüfen, ob Ausschlussgründe bezüglich der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.657 Angesichts der besonderen Situation und Schutzbedürftigkeit von Kindern ist bei der Anwendung der Ausschlussklauseln auf Kinder größte Zurückhaltung geboten.658 Sofern mit bewaffneten Gruppen verbundenen Kindern Straftaten vorgeworfen werden, ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sie möglicherweise nicht nur Täter, sondern auch Opfer von Verstößen gegen das Völkerrecht sind.659 (…)

10) Kinder mit bestimmten Profilen oder in speziellen Situationen

UNHCR ist der Auffassung, dass Kinder, die unter die nachstehenden Kategorien fallen, wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen, je nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (einschließlich der bestimmten sozialen Gruppe „Kinder in Syrien“), ihrer Religion, und/oder ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung:

a) Kinder, die sexuelle Gewalt, Zwangs- und/oder Kinderehen, häusliche Gewalt oder „Ehrendelikte“ überlebt haben oder einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind;

b) Kinder, die Rekrutierung von Minderjährigen885, Menschenhandel und andere extreme Formen von Kinderarbeit überlebt haben oder einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind.886

UNHCR ist der Auffassung, dass Kinder, die unter die nachstehenden Kategorien fallen, möglicherweise internationalen Flüchtlingsschutz benötigen, je nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund sonstiger relevanter Verfolgungsgründe im Sinne der GFK:

a) Kinder, die zu Arbeit verpflichtet werden, die je nach der Erfahrung und dem Alter des betreffenden Kindes und den sonstigen Umständen wahrscheinlich ihre Gesundheit, Sicherheit oder Sittlichkeit beeinträchtigt („gefährliche Arbeit“);887

b) Kinder im schulpflichtigen Alter, denen der Zugang zu Bildung systematisch verwehrt wird, einschließlich infolge zielgerichteter Angriffe auf Schulen, fehlender Ausweispapiere, Behinderungen oder diskriminierender Praktiken, die Mädchen den Zugang zu Bildung aufgrund ihres Geschlechts verwehren;

c) Kinder, denen der Zugang zu Geburtsurkunden und sonstigen Ausweisdokumenten verweigert wird oder bei denen eine entsprechende Gefahr besteht und die entweder keinen Zugang zu Rechtsbehelfsmöglichkeiten haben oder für die ein Rechtsbehelf ohne Wirkung bleibt. (…)“

1.2.9. Aus der Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierung Wehrpflichtiger durch die syrische Regierung in Manbidsch (Provinz Aleppo), September 2023:

„(…) Laut einem im August 2023 von ACCORD kontaktierten Syrienexperten würden sich die Gebiete in und um Manbidsch zwar durch die Präsenz einiger Regierungstruppen auszeichnen, die SDF (Syrian Democratic Forces) sei jedoch nach wie vor der Hauptakteur in der Region. Die SDF habe der Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern. Daher seien die Regierungstruppen zwar präsent, allerdings beschränke sich diese Präsenz auf die Durchführung von Patrouillen, meist zusammen mit der russischen Militärpolizei. In der Region sei die SDF zurzeit der wichtigste Kontrollakteur, der die Möglichkeit habe, die Lokalbevölkerung zu rekrutieren und zu verhaften (Syrienexperte, 17. August 2023). Der Syrienexperte bestätigt auf Nachfrage im September 2023, dass seines Wissens nach die syrische Regierung keine Wehrpflichtigen für den Militärdienst in Manbidsch einberufen könne (Syrienexperte, 4. August 2023).

Wladimir van Wilgenburg[1] bestätigt im September 2023 in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD, dass es in Manbidsch keinen Militärdienst der syrischen Regierung gebe. Die syrische Regierung könne in Gebieten, die von den SDF oder mit ihnen verbundenen Kräften kontrolliert würden, keine Wehrpflichtigen einziehen (Van Wilgenburg, 1. September 2023).

Das Syrian Network for Human Rights (SNHR), eine 2011 gegründete unabhängige Menschenrechtsorganisation, die Menschenrechtsverletzungen in Syrien beobachtet und dokumentiert, schreibt in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD vom August 2023, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen und Reservisten durch die syrischen Regierung an deren Zugriffsmöglichkeiten gebunden sei. Dies bedeute, dass wenn junge Menschen, einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte in der Nähe von Manbidsch passieren würden und für den Militärdienst gesucht würden, zur Wehrpflicht eskortiert würden (SNHR, 21. August 2023).

Die folgenden Informationen beziehen sich auf die Art der Präsenz der syrischen Regierungstruppen in den Gebieten in und um Manbidsch:

Kurdistan 24 berichtet im Juli 2022, dass die SDF (Syrian Democratic Forces) laut ihrem Oberbefehlshaber die Verstärkung einiger Posten, unter anderem in Manbidsch, durch die syrische Armee akzeptiert habe, mit dem Ziel, die syrischen Grenzen zu schützen (Kurdistan 24, 16. Juli 2022).

Al-Monitor fasst ebenfalls im Juli 2022 mehrere syrische Medienberichte über eine verstärkte Präsenz der syrischen Armee in Gebieten unter kurdischer Kontrolle zusammen. Laut der syrischen staatlichen Nachrichtenagentur SANA (Syrian Arab News Agency) habe die syrische Regierung Mitte Juli Verstärkung in die Städte Ain Issa (Provinz Raqqa), Manbidsch und Ain Al-Arab (Provinz Aleppo) entsandt. Die regierungsfreundliche Nachrichtenwebseite Al-Watan habe von militärischer Verstärkung durch die syrische Armee im nördlichen und nordöstlichen Umland von Aleppo, unter anderem am Stadtrand von Manbidsch berichtet. Auch Medienquellen aus den unter kurdischer Verwaltung stehenden Gebieten hätten gegenüber Al-Monitor bestätigt, dass die syrische Armee vor allem in Ain al-Arab, Manbidsch sowie Tell Abyad (im Norden von Raqqa) präsent sei. Den Quellen zufolge würden diese Einsätze dutzende Militär- und Panzerfahrzeuge, sowie schwere Artillerie und mehr als 400 Truppen der syrischen Armee umfassen. Laut einer anonymen Quelle gebe es militärische Checkpoints der syrischen Armee an den Demarkationslinien der von der Türkei unterstützten SNA (Syrian National Army). Die Regierungstruppen hätten Zementblöcke im Dorf Zaibat und am Rande des Dorfes Bozekeeg, nördlich von Manbidsch, aufgestellt. Die SDF hätten die Flagge der Regierung über Militärgebäuden in der Stadt Manbidsch gehisst (Al-Monitor, 20. Juli 2022).

Kurdistan 24 berichtet im August 2023, dass Berichten zufolge ein Militärposten der syrischen Regierung in der Nähe von Manbidsch von einer türkischen Drohne angegriffen worden sei (Kurdistan 24, 13. August 2023).

Es konnten keine weiteren Informationen dazu gefunden werden, ob die syrischen Behörden in Manbidsch Rekrutierungen zur Armee durchführen. Gesucht wurde auf Arabisch, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Syrien, syrische Armee, syrische Regierung, Checkpoints, Personenkontrollen, Wehrpflicht, einberufen, einziehen, Manbidsch, kurdische Kontrolle, AANES, Nordsyrien, Provinz Aleppo.“

1.2.10. Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker·innen ermöglichen, August 2023:

„(…) Es konnten als Teil der Onlinerecherche keine Informationen darüber gefunden werden, ob die syrischen Behörden in den genannten Gebieten Personen für den Reservedienst einziehen.

Gesucht wurde auf Arabisch, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Syrien, syrische Armee, syrische Regierung, Checkpoints, Personenkontrollen, Wehrpflicht, Reservedienst, einberufen, Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Grenzregion Türkei, Nordsyrien, Provinz Aleppo, Provinz Hasaka

Laut einem von ACCORD kontaktierten Syrienexperten sehe die allgemeine Realität in Nordostsyrien wie folgt aus: Die Regierung sei in kleinen Teilen der Stadt al-Qamischli und in zahlreichen Dörfern südlich der Stadt sowie in kleinen Teilen der Stadt al-Hasaka stark vertreten. Außerhalb dieser Gebiete sei die Kontrolle der Regierung locker und umstritten. Die Regierung sei daher nicht in der Lage, die Wehrpflicht durchzusetzen oder Oppositionelle zu verhaften. Die Gebiete in und um Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat und an der türkischen Grenze würden sich zwar durch Präsenz einiger Regierungstruppen auszeichnen, die SDF (Syrian Democratic Forces) seien jedoch nach wie vor der Hauptakteur in der Region. Die SDF hätten der Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern. Daher seien die Regierungstruppen zwar präsent, allerdings beschränke sich diese Präsenz auf die Durchführung von Patrouillen, meist zusammen mit der russischen Militärpolizei. Zurzeit seien die SDF der wichtigste Kontrollakteur, der die Möglichkeit habe, die Lokalbevölkerung zu rekrutieren und zu verhaften (Syrienexperte, 17. August 2023). (…)

Wladimir van Wilgenburg[1] legt in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD dar, dass die syrischen Behörden in den Gebieten um Manbij, Ain Al-Arab und in der Nähe der türkischen Grenze nicht in der Lage seien, Reservepersonal einzuziehen. In Tal Rifaat sei die Situation eine andere als in den anderen Gebieten. Van Wilgenburg könne aus diesem Grund nicht sagen, ob die Regierung in Tal Rifaat Personen zum Reservedienst einziehen könne oder nicht. Die Kurden würden es allgemein nicht gestatten, dass die Regierung Personen in den von ihnen kontrollierten Gebieten zum Militärdienst einziehe (Van Wilgenburg, 17. August 2023).

Das Syrian Network for Human Rights (SNHR), eine 2011 gegründete unabhängige Menschenrechtsorganisation, die Menschenrechtsverletzungen in Syrien beobachtet und dokumentiert, schreibt in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD vom August 2023, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen und Reservisten durch die syrischen Regierung an die Zugriffsmöglichkeiten gebunden sei. Dies bedeute, dass wenn junge Menschen, die für den Militärdienst benötigt würden, einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte in der Nähe von Manbij oder Ain Al-Arab, oder in den Vierteln der Stadt Al-Hasaka, passieren würden und für den Militärdienst gesucht würden, zur Wehrpflicht eskortiert würden (SNHR, 21. August 2023). (…)

Laut Fabrice Balanche würde eine Person, die sich dem Militärdienst der syrischen Armee entzogen habe oder desertiert sei, verhaftet, wenn sie die von der syrischen Regierung kontrollierten Gebiete in der Provinz betrete. Aus diesem Grund benötige eine solche Person Hilfe von Familienmitgliedern oder einem gesetzlichen Vertreter, wenn sie sich von einer staatlichen Stelle Dokumente ausstellen lassen wollte. Personen, die in den von der syrischen Regierung kontrollierten sogenannten „Sicherheitsbereichen“ („security squares“/ „Al-Morabat Al-Amniya“) in Qamischli oder Hasaka leben, müssten in der syrischen Armee dienen. Südlich von Qamischli gebe es zwölf arabische Dörfer, die zum regierungstreuen Tay-Stamm gehörten und die unter der Kontrolle der syrischen Regierung stünden. Die Bewohner dieser Dörfer müssten in der syrischen Armee dienen, würden allerdings in ihren eigenen Dörfern und nicht in anderen Gegenden Syriens eingesetzt. Die syrische Armee verfüge über Rekrutierungsbüros in Qamischli und Hasaka (DIS, Juni 2022, Sitzung 44).

Ein kurdischer Journalist und Autor aus Qamischli, der zum Zeitpunkt des Interviews in Erbil lebte, erklärt gegenüber DIS; dass die syrische Regierung nicht in der Lage sei, Personen gewaltsam zu rekrutieren, die in von der AANES kontrollierten Gebieten wohnen würden. Auch Personen, die in den „Sicherheitsbereichen“ wohnen, würden nicht rekrutiert. Es sei möglich, der syrischen Armee freiwillig beizutreten. Wenn jedoch eine Person für den Militärdienst der syrischen Armee gesucht werde und einen der „Sicherheitsbereiche“ betrete, könne diese Person festgenommen werden. Der Journalist kenne dementsprechende Fällen aus Qamischli und Hasaka. Südlich von Qamischli gebe es eine Reihe von Dörfern, die von Stämmen bewohnt würden, die mit der syrischen Regierung sympathisieren und die AANES nicht anerkennen würden. Einzelpersonen aus diesen Dörfern könnten der syrischen Armee freiwillig beitreten (DIS, Juni 2022, Sitzung 50).

Laut einem politischen Analysten sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein Araber, der zum Wehrdienst eingezogen werden soll und ein von der syrischen Regierung kontrolliertes Gebiet in Qamischli oder Hasaka betrete, festgenommen werde. Bei einer Person kurdischer Herkunft sei die Situation eine andere (DIS, Juni 2022, Sitzung 54).

Die Vertretung der AANES in der Autonomen Region Kurdistan im Irak gibt gegenüber DIS an, dass die Wahrscheinlichkeit hoch sei, dass eine Person, die zum Wehrdienst eingezogen werden soll und ein von der syrischen Regierung kontrolliertes Gebiet in Nordost-Syrien betrete, festgenommen werde. Wenn die syrischen Behörden eine gesuchte Person in Qamischli festnehmen würden, werde die Person daraufhin in andere Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung geschickt, wie zum Beispiel nach Damaskus. Es werde der Person nicht gestattet, ihren Militärdienst in Qamischli abzuleisten. Die Sicherheitskräfte der AANES würden in solchen Fällen gelegentlich eingreifen (DIS, Juni 2022, Sitzung 58-59).

Drei Bewohner von Gebieten unter Kontrolle der AANES in der Provinz Hasaka bestätigen gegenüber DIS, dass ihres Wissens nach eine Person, die von der syrischen Regierung wegen des Militärdienstes oder aus einem anderen Grund gesucht werde, und die von der Regierung kontrollierten Gebiete in Qamischli oder Hasaka betrete, einem hohen Risiko ausgesetzt sei, von den syrischen Behörden festgenommen zu werden. Die Sicherheitskräfte der AANES hätten sich in manchen Fällen um eine Freilassung der betreffenden Person bemüht. Laut den drei Bewohnern sei dies jedoch in der Regel nur der Fall, wenn die von der syrischen Regierung festgenommene Person enge Verbindungen zur AANES habe, zum Beispiel für die AANES tätig sei (DIS, Juni 2022, Sitzung 65).

Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker·innen ermöglichen

Es konnten als Teil der Onlinerecherche keine Informationen dazu gefunden werden, ob die syrischen Behörden in den genannten Gebieten Personenkontrollen durchführen und/oder Regierungskritiker·innen festnehmen.

Gesucht wurde auf Arabisch, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Syrien, syrische Armee, syrische Regierung, Checkpoints, Personenkontrollen, Verhaftung, Aufgriff, Regimekritiker, Zivilisten, Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Grenzregion Türkei, Nordsyrien, Provinz Aleppo, Provinz Hasaka

Laut Wladimir van Wilgenburg könnten die syrischen Behörden in den genannten Gebieten im allgemeine keine Personenkontrollen durchführen, die eine Festnahme von Regimekritiker·innen ermöglichen würden. Die meisten (von der Regierung besetzten) Checkpoints würden keine Kontrollen durchführen. In den Sicherheitsbereichen in den Städten Al-Hasaka und Qamischli oder am Flughafen [von Qamischli] könne die Situation eine andere sein. Van Wilgenburg habe schon lange nicht mehr von Verhaftungen von Regierungskritiker·innen im Nordosten Syriens gehört (Van Wilgenburg, 17. August 2023).

SNHR antwortet in seiner E-Mail-Auskunft auf die Frage, ob die syrischen Behörden in den genannten Gebieten Personenkontrollen durchführen würden, die zu Festnahmen führen könnten, dass während des Prozesses zum Einzug in den Wehrdienst die Identität der Männer überprüft werde. Wenn sie von einer Sicherheitsbehörde gesucht würden, würden sie aufgegriffen und der Behörde, von der sie gesucht würden, übergeben (SNHR, 21. August 2023).

Als Teil der Onlinerecherche konnten folgende Informationen über die Art der Präsenz der syrischen Regierungstruppen in den genannten Gebieten gefunden werden:

Kurdistan 24 berichtet im Juli 2022, dass laut ihrem Oberbefehlshaber die SDF (Syrian Democratic Forces) die Verstärkung einiger Posten in Ain Al-Arab (auch Kobane genannt), Manbij und im Grenzgebiet durch die syrische Armee akzeptiert habe, mit dem Ziel, die syrischen Grenzen zu schützen (Kurdistan 24, 16. Juli 2022).

Al-Monitor fasst ebenfalls im Juli 2022 mehrere syrische Medienberichte über eine verstärkte Präsenz der syrischen Armee in Gebieten unter kurdischer Kontrolle zusammen. Laut der syrischen staatlichen Nachrichtenagentur SANA (Syrian Arab News Agency) habe die syrische Regierung Mitte Juli Verstärkung in die Städte Ain Issa (Provinz Raqqa), Manbij und Ain Al-Arab (Provinz Aleppo) entsandt. Die regierungsfreundliche Nachrichtenwebseite Al-Watan habe von militärischer Verstärkung durch die syrische Armee im nördlichen und nordöstlichen Umland von Aleppo, unter anderem am Stadtrand von Manbij berichtet. Auch Medienquellen aus den unter kurdischer Verwaltung stehenden Gebieten hätten gegenüber Al-Monitor bestätigt, dass die syrische Armee vor allem in Ain al-Arab, Manbij sowie Tell Abyad (im Norden von Raqqa) präsent sei. Den Quellen zufolge würden diese Einsätze dutzende Militär- und Panzerfahrzeuge, sowie schwere Artillerie und mehr als 400 Truppen der syrischen Armee umfassen. Laut einer anonymen Quelle gebe es militärische Checkpoints der syrischen Armee an den Demarkationslinien der (von der Türkei unterstützten) SNA (Syrian National Army). Die Regierungstruppen hätten Zementblöcke im Dorf Zaibat und am Rande des Dorfes Bozekeeg, nördlich von Manbij, errichtet. Die SDF hätten die Flagge der Regierung über Militärgebäuden in der Stadt Manbij gehisst (Al-Monitor, 20. Juli 2022).

Asharq al-Awsat schreibt in einem Artikel vom Juni 2023, dass die syrische Armee an Militärcheckpoints in der Nähe der türkischen Grenze in der Provinz Hasaka stationiert sei (Asharq Al-Awsat, 27. Juni 2023).

Kurdistan 24 berichtet im August 2023, dass Berichten zufolge ein Militärposten der syrischen Regierung in der Nähe von Manbij von einer türkischen Drohne angegriffen worden sei (Kurdistan 24, 13. August 2023). (…)“

1.2.11. Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front, September 2023:

„Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften (Tod, Folter, Freiheitsentzug)

Das Rojava Information Center (RIC) veröffentlicht im Juni 2020 eine englische Übersetzung des Militärdienstgesetzes von Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES). Laut Artikel 13 werde jede Abwesenheit mit einer Verlängerung der Dienstzeit um einen Monat bestraft. Ein Wehrpflichtiger gelte als abwesend, wenn die Person kein Selbstverteidigungsdienstbuch erhalten habe und/oder nicht binnen 60 Tagen ab Datum des Einzugs in den Selbstverteidigungsbüros vorstellig geworden sei (RIC, Juni 2020).

(…) Fabrice Balanche, Associate Professor an der Universität von Lyon 2, ein/e Expert·in der International Crisis Group, der genannte syrisch-kurdische Journalist und Autor, ein syrisch-kurdischer politischer Analyst, ein/e Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan Irak und ein syrisch-kurdischer Universitätsprofessor im Irak bestätigen gegenüber DIS, dass eine Person, die den Selbstverteidigungsdienst verweigere oder sich ihm entziehe („draft evader“), wenn sie aufgegriffen werde, direkt in ein Trainingslager überstellt werde, um ihren Dienst anzutreten (DIS, Juni 2022, Sitzung 42; DIS, Juni 2022, Sitzung 45; DIS, Juni 2022, Sitzung 49; DIS, Juni 2022, Sitzung 57; DIS, Juni 2022, Sitzung 66). (…) Der/Die Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan Irak habe gegenüber DIS angegeben, dass es keine Strafe für Personen gebe, die sich der Selbstverteidigungspflicht entzogen hätten (DIS, Juni 2022, Sitzung 57). Fabrice Balanche habe erwähnt, dass Wehrdienstverweigerer weder eine Geldstrafe noch eine Gefängnisstrafe erhalten würden (DIS, Juni 2022, Sitzung 42; siehe auch: DIS, Juni 2022, Sitzung 49). (…)

Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern (als Gegner/ Oppositionelle)

Es konnten online keine Informationen über die Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern, gefunden werden. Gesucht wurde auf Arabisch, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Syrien, AANES, Rojava, Selbstverteidigungsdienst, Selbstverteidigungspflicht, Selbstverteidigungskräfte, verweigern, weglaufen, verstecken, Wahrnehmung, Probleme, Gegner, Oppositionelle, Anfeindung, Gesellschaft, Araber, Kurden, Stämme, Behörden

Fabrice Balanche schreibt in seiner E-Mail an ACCORD, dass Kurden Arabern im Allgemeinen nicht vertrauen und annehmen würden, dass sie gegen die AANES seien. Araber, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern würden, würden nicht als Terroristen wahrgenommen, sondern eher als Feiglinge und Gegner der AANES. Die Kurden seien pragmatisch und es sei ihnen lieber, Araber, die den Dienst verweigern, nicht in der Armee zu sehen, weil sie sich unter Umständen als Verräter entpuppen könnten (Balanche, 9. August 2023).

Laut dem von ACCORD kontaktierten Syrienexperten würden Araber, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern würden, als Gegner der kurdischen Hegemonie im Nordosten Syriens wahrgenommen (Syrienexperte, 15. August 2023).

Al-Mustafa erklärt in seiner E-Mail-Auskunft vom September 2023, dass arabische Wehrdienstverweigerer als Verräter der AANES angesehen werden könnten, die ihrer Pflicht nicht nachkommen würden, die von den SDF kontrollierten Gebiete zu schützen. Es könne ihnen vorgeworfen werden, Mitglieder des Islamischen Staates zu sein oder ausländische Kräfte zu unterstützen. Eine Quelle vor Ort habe Al-Mustafa berichtet, dass einige Personen während ihrer Verhaftung (weil sie der Pflicht des Selbstverteidigungsdienstes nicht nachgekommen seien) ihr Leben verloren hätten. Laut einer anderen Quelle gebe es in manchen Gebieten mit Stammeseinfluss mehr Flexibilität bei der Anwendung der Selbstverteidigungspflicht. SDF-Beamte würden jedoch bei jedem Meeting an die Notwendigkeit erinnert werden, dass alle, und insbesondere Araber, sich dem Selbstverteidigungsdienst anzuschließen hätten. Araber würden die Selbstverteidigungspflicht im Allgemeinen ablehnen und die SDF lediglich als „De-facto-Autorität“ betrachten (Al-Mustafa, 1. September 2023).

Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front

Laut RIC würden Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht normalerweise nicht an aktiver Front kämpfen. Sie würden in der Regel eine ideologische und militärische Ausbildung absolvieren, bevor sie an Checkpoints oder Straßensperren stationiert und logistische Unterstützung für freiwillige Streitkräfte leisten würden (RIC, Juni 2020).

Laut der syrisch-kurdischen Nachrichtenagentur North Press Agency (NPA) würden Rekruten des Selbstverteidigungsdienstes dazu eingesetzt, Militärgebäude zu bewachen und würden an Militäreinsätzen gegen den Islamischen Staat (IS) teilnehmen (NPA, 23. Februar 2022).

Die Interviewpartner·innen von DIS hätten übereinstimmend berichtet, dass die Wehrpflichtigen der Selbstverteidigungskräfte allgemein nicht an der Front eingesetzt würden (DIS, Juni 2022, Sitzung 37; DIS, Juni 2022, Sitzung 49; DIS, Juni 2022, Sitzung 57; DIS, Juni 2022, Sitzung 60; DIS, Juni 2022, Sitzung 63; DIS, Juni 2022, Sitzung 67; DIS, Juni 2022, Sitzung 71) Der Universitätsprofessor habe gegenüber DIS erklärt, dass der ideologische Zweck der Selbstverteidigungspflicht darin bestehe, die Jugend auf Sicherheitsnotsituationen vorzubereiten. Die Wehrpflichtigen würden hauptsächlich für Aufgaben der inneren Sicherheit in den Städten eingesetzt (DIS, Juni 2022, Sitzung 67). Der/die Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan Irak habe angegeben, dass die Aufgabe der Selbstverteidigungspflichtigen darin bestehe, das Sicherheitsvakuum in Nordostsyrien zu füllen. In städtischen Gebieten seien sie für die Bewachung der öffentlichen Gebäude und der AANES-Institutionen verantwortlich. Wehrpflichtige könnten auch an der Front eingesetzt werden, um professionelle Kräfte, die an vorderster Front kämpfen, zum Beispiel durch Logistik und Bewachung der eroberten Gebiete etc. zu unterstützen (DIS, Juni 2022, Sitzung 57). Laut Aram Hanna, Sprecher der SDF, würden die Selbstverteidigungspflichtigen zum Schutz von befreiten Gebieten, nicht jedoch zum Kampf in selbigen, eingesetzt (DIS, Juni 2022, Sitzung 37-38). Laut Wladimir von Wilgenburg sei es die Hauptaufgabe von Wehrpflichtigen, Versorgungswege im Hintergrund zu schützen (DIS, Juni 2022, Sitzung 71). Zwei lokale Bewohner hätten gegenüber DIS erklärt, dass es als Rekruten der Selbstverteidigungspflicht ihre Aufgabe gewesen sei, die Straße zwischen dem Al-Omar-Ölfeld und dem Al-Tanak-Ölfeld in der Provinz Deir Ezzour zu schützen und zu sichern. Andere hätten die drei Hauptstaudämme in Syrien, die sich in den von der AANES kontrollierten Gebieten befinden, geschützt (DIS, Juni 2022, Sitzung 63). Drei der Interviewpartner·innen hätten gegenüber DIS angegeben, dass die Wehrpflichtigen dafür eingesetzt würden, Checkpoints zu sichern (DIS, Juni 2022, Sitzung 43; DIS, Juni 2022, Sitzung 46; DIS, Juni 2022, Sitzung 71). Laut Fabrice Balanche gebe es Fälle, bei denen Rekruten an Checkpoints getötet worden seien (DIS, Juni 2022, Sitzung 43). Laut dem/r Experten/in der International Crisis Group würden Wehrpflichtige meist in ihren eigenen Provinzen eingesetzt. Araber hätten sich darüber beschwert, dass die Provinzen, in denen sie dienen, weniger sicher seien, da es dort mehr IS-Angriffe gebe als in anderen Gebieten Nordostsyriens (DIS, Juni 2022, Sitzung 46). Der Journalist und Autor habe angemerkt, dass es angesichts der Tatsache, dass es sich beim Selbstverteidigungsdienst um einen Militärdienst handle, möglich sei, dass Militärkommandanten entscheiden würden, Rekruten auch für Kämpfe einzusetzen (DIS, Juni 2022, Sitzung 49-50). Auch der syrisch-kurdische Journalist habe angegeben, dass Wehrpflichtige der Selbstverteidigungspflicht in Konfliktzeiten zum Kampf eingesetzt werden könnten (DIS, Juni 2022, Sitzung 60). Laut des politischen Analysten sowie dem/r Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan sei es möglich, dass Wehrpflichtige freiwillig kämpfen würden (DIS, Juni 2022, Sitzung 53; DIS, Juni 2022, Sitzung 57). Die drei lokalen Bewohner hätten angegeben, dass es Situation gegeben habe, in denen die Behörden die Selbstverteidigungskräfte für Kämpfe eingesetzt hätten, wie zum Beispiel während der Operation in Raqqa im Jahr 2017 und beim Gefängnisaufstand in Hasaka im Jänner 2022 (DIS, Juni 2022, Sitzung 63).

Fabrice Balanche merkte in seiner E-Mail-Auskunft an ACCORD an, dass es im Gebiet der AANES seit Oktober 2019 keine aktive Front mehr gebe. Wehrpflichtige würden nicht an die Front geschickt. Sie könnten jedoch durch Terroranschläge hinter der Frontlinie getötet werden. Es gebe gefährliche Gebiete, wie beispielsweise südöstlich der Provinz Deir Ezzour und Wehrpflichtige würden regelmäßig bei Patrouillen oder an Straßensperren getötet (Balanche, 9. August 2023).

Auch der kontaktierte Syrienexperte gab in seiner E-Mail an, dass ihm keine Fälle bekannt seien, in denen Rekruten an die Front geschickt würden. Die aktuelle Phase des Konflikts zeichne sich durch eingefrorene Frontlinien und einem Konflikt von geringer Intensität aus (Syrienexperte, 15. August 2023).

Laut Al-Mustafa könnten Rekruten an die Front geschickt werden. Einige von ihnen seien beim Einsatz an der Front getötet worden (Al-Mustafa, 1. September 2023). (…)“

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungs- und Gerichtsakt sowie in die zum Akt genommenen Urkunden. Überdies wurde eine mündliche Verhandlung am 25.04.2024 durchgeführt. Der Beschwerdeführer legte zudem bereits im Verfahren vor dem BFA mehrere Unterlagen in Kopie vor, die vom BFA dem Akt beigelegt wurden.

2.1. Zu den zum Beschwerdeführer getroffenen Feststellungen:

2.1.1. Zu seiner Person:

Die einzelnen Feststellungen beruhen auf den jeweils in der Klammer angeführten Beweismitteln. Die Feststellungen zur Identität, Staatsangehörigkeit und dem letzten Aufenthaltsort des Beschwerdeführers in Syrien stützen sich auf seine diesbezüglich gleichlautenden Angaben im Verfahren sowie insbesondere glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.04.2024.

Mit sachverständiger Volljährigkeitsbeurteilung vom 29.10.2022 wurde das Mindestalter des Beschwerdeführers festgestellt, womit das vom Beschwerdeführer angegebene Geburtsdatum vereinbar ist (AS 67ff.). Das Geburtsdatum ergibt sich somit aus dem glaubhaften Vorbringen des Beschwerdeführers in Übereinstimmung mit der sachverständigen Beurteilung und aus seinem vorgelegten und übersetzten Personenstandsregisterauszug (AS 213). Auch in dem vom Beschwerdeführer im Verfahren vorgelegten und übersetzten Familienbuch ist sein Geburtsdatum ersichtlich vergleiche Seite 13 des Familienbuches, Übersetzung in AS 207). Auch die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid von einem Alter des Beschwerdeführers von 16 Jahren zum Entscheidungszeitpunkt aus vergleiche Bescheid Seite 97).

Das BFA stellte die Identität des Beschwerdeführers aufgrund der fehlenden Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokumentes nicht fest und ging in der Beweiswürdigung auf das in den vorgelegten Dokumenten ersichtliche Geburtsdatum und die durchgeführte Altersfeststellung ein vergleiche Bescheid Seite 10 und 96, AS 278f.).

Die Feststellungen zur Herkunft des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinem Familienstand, seinem Leben und seiner Familie in Syrien und in der Türkei, ergeben sich aus den nachvollziehbaren Ausführungen vor dem BFA und den damit übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung beim BVwG vergleiche AS 163f., BFA-EV Seite 5f., OZ/7 Verhandlungsprotokoll vom 25.04.2024, Seite 5f.). Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen zu zweifeln. Auch die belangte Behörde traf dieselben Feststellungen über den Lebenslauf und die familiäre Situation des Beschwerdeführers vergleiche Seite 10f. des angefochtenen Bescheides). Die Feststellungen zu den Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers beruhen auf seinen diesbezüglich übereinstimmenden Angaben vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vergleiche OZ/7 Verhandlungsprotokoll vom 25.04.2024, Seite 6).

Der Beschwerdeführer brachte gleichlautend vor, im Alter von ca. fünf Jahren, somit im Jahr 2012, mit seiner Familie aus seinem Herkunftsort ausgereist zu sein und fortan in der Türkei gelebt zu haben vergleiche AS 19f., AS 163f., OZ/7 Seite 7).

Der Beschwerdeführer machte gleichlautende Angaben über seine Familienangehörigen vergleiche AS 19f., AS 163f., OZ/7 Seite 7). Er legte zudem ein Familienbuch auf Arabisch in Kopie vor, welches schriftlich übersetzt wurde und mit seinen Angaben übereinstimmt. Aus diesem ergeben sich die Feststellungen zu den Familienangehörigen des Beschwerdeführers vergleiche BFA-EV Seite 2 und Anlagen zur EV AS 177 bis AS 199 und Übersetzung AS 201 bis AS 2011).

Die Feststellung zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sind aus seinen übereinstimmenden Angaben vor dem BFA und BVwG vergleiche BFA- EV Seite 2 AS 164 und OZ/7 Verhandlungsprotokoll vom 25.04.2024, Seite 7) abzuleiten und dem Umstand, dass keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, aus welchen körperliche Beeinträchtigungen, regelmäßige medizinische Behandlungen oder eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit abzuleiten wären. Derartiges wurde vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in einen aktuellen Strafregisterauszug am 11.06.2024 zur Identität des Beschwerdeführers sowie zu seiner Aliasidentität (OZ/2).

2.1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Im Hinblick auf das Alter des Beschwerdeführers ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass bei der Würdigung der Aussagen zu seinen Fluchtgründen zu berücksichtigen ist, dass es sich beim Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Verlassens seines Heimatstaates sowie im Zeitpunkt der Entscheidung um einen Minderjährigen handelt. So ist gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich. Die Dichte dieses Vorbringens kann auch nicht anhand „normaler Maßstäbe“ gemessen werden. Zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des minderjährigen Beschwerdeführers ist im Hinblick auf die Schilderung der Fluchtgeschichte eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung vorzunehmen vergleiche VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0150; 24.09.2014, Ra 2014/19/0020). Das hat jedoch nicht zur Folge, dass jegliche Angaben eines Minderjährigen als wahr anzusehen sind. Im vorliegenden Fall wurden die vorgebrachten Fluchtgründe vom BVwG unter dem Aspekt seines Alters gewürdigt.

Die Feststellungen zum Herkunftsort des Beschwerdeführers Manbij ergeben sich aus den gleichlautenden Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren. Der Beschwerdeführer gab im Verfahren glaubhaft an, in Al Hasaka geboren worden zu sein, dann aber durchgehend in Manbij gelebt zu haben. Er habe in Manbij die Schule besucht und sei dort aufgewachsen und habe bis zu seiner Ausreise aus Syrien im Alter von fünf Jahren immer in Manbij gelebt vergleiche BFA-EV Seite 8 AS 170, OZ/7 Verhandlungsprotokoll vom 25.04.2024, Seite 6 und 11). In der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, aus römisch 40 zu kommen (AS 23). In der Verhandlung schilderte er dann aber glaubhaft, in Al Hasaka geboren worden zu sein, dass aber Aleppo, römisch 40 , eingetragen worden sei (OZ/7 Seite 5). Der in der Verhandlung anwesende Dolmetscher übersetzte auf Ansuchen des erkennenden Richters den auf dem vorgelegten Dokument (AS 193) vermerkten Geburtsort des Beschwerdeführers. Der Dolmetscher gab dazu an, dass der Geburtsort nicht eindeutig lesbar sei, dass als Registerort aber Aleppo angegeben worden sei (AS 202 sowie OZ/7 Seite 5). Auch das BFA stellte im angefochtenen Bescheid fest, der Beschwerdeführer habe mit seiner Familie in Manbij (auch bezeichnet als Manbidsch) gelebt, es ging gemäß den vorgelegten syrischen Dokumenten des Beschwerdeführers aber vom Geburtsort Khiznah in Al-Hasaka aus vergleiche Bescheid Seite 10 AS 278f.). Manbij ist als Herkunftsort des Beschwerdeführers anzusehen, da er zu diesem Ort in Syrien die größte Bindung hat.

Die Feststellung, dass sich der Herkunftsort des Beschwerdeführers Manbij im Gebiet der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien (AANES) befindet, und somit unter der Kontrolle der kurdischen Streitkräfte liegt, basiert auf den herangezogenen Länderberichten sowie einer aktuellen Nachschau unter https://syria.liveuamap.com sowie unter https://www.cartercenter.org/.

Die Feststellung, dass der BH römisch 40 die gesetzliche Vertretung des minderjährigen Beschwerdeführers zukommt, ergibt sich aus dem Beschluss des zuständigen Bezirksgerichtes vom 21.07.2023 mit welchem die Obsorge hinsichtlich des minderjährigen Beschwerdeführers dem Land römisch 40 als Jugendwohlfahrtsträger übertragen wurde (AS 121).

Die festgestellte fehlende Bereitschaft zur Ableistung des Militärdienstes in Syrien durch den Beschwerdeführer resultiert aus dem diesbezüglichen über das gesamte Asylverfahren beibehaltenen Vorbringen des Beschwerdeführers. Das BVwG übersieht zwar nicht, dass er diesbezügliches Vorbringen im Zuge der Erstbefragung und auch im Zuge der Einvernahme vor dem BFA am 22.11.2023 zu seinen Fluchtgründen befragt vergleiche BFA-EV Seite 8f., AS 170f.) noch nicht ins Treffen führte, jedoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt erst 15 Jahre alt war und dementsprechende einerseits andere, nämlich geringere, Erwartungen an ihn zu richten sind als an einen erwachsenen Antragssteller, andererseits (aus seiner subjektiv nachvollziehbaren Perspektive) die Ableistung des Wehrdienstes noch keine aktuelle Problematik darstellte, sondern dieser in weiter Ferne lag. An der Verweigerungshaltung bezüglich eines abzuleistenden Militärdienstes besteht sohin nach Ansicht des erkennenden Richters aber kein Zweifel, zumal der Beschwerdeführer diese in der mündlichen Verhandlung am 25.04.2024 glaubhaft zum Ausdruck brachte vergleiche OZ/7 Verhandlungsprotokoll vom 25.04.2024, Seite 8).

2.1.2.1. Zur vorgebrachten drohenden Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime:

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seinen verpflichtenden Wehrdienst in Syrien bislang noch nicht abgeleistet hat, ergibt sich aus seinem dahingehend gleichlautenden und glaubhaften Vorbringen über das gesamte Verfahren hinweg vergleiche BFA-EV Seite 9f., AS 171f.). Der Beschwerdeführer gab im Verfahren an, ihm sei in Syrien kein Militärbuch ausgestellt worden und er sei auch nicht auf Tauglichkeit untersucht worden vergleiche BFA-EV Seite 9f., AS 171f.). Zu beachten ist hierbei, dass der Beschwerdeführer Syrien im Alter von fünf Jahren verlassen hat.

In der am 06.12.2023 eingebrachten Stellungnahme, wurde von der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers im Verfahren erstmals vorgebracht, der Beschwerdeführer sei von drohender Zwangsrekrutierung durch das syrische Militär betroffen. Ihm drohe in wenigen Monaten die für den Wehrdienst vorbereitenden Tätigkeiten und die Einberufung. Der Beschwerdeführer habe Syrien illegal verlassen, weshalb ihm bei einer Rückkehr aus dem Westen und aus einem von der Opposition beherrschten Gebiet eine oppositionelle politische Gesinnung vom Regime unterstellt werde (AS 231ff.). Das BFA stellte im angefochtenen Bescheid fest, eine Zwangsrekrutierung als Minderjähriger sei weder durch die freie syrische Armee, die kurdische YPG noch die syrische Armee maßgeblich wahrscheinlich vergleiche Bescheid Seite 10f. AS 278). Das BFA argumentiert im angefochtenen Bescheid, der Beschwerdeführer unterliege mit 16 Jahren nicht der Wehrplicht, es ergebe sich aus den vorliegenden Länderinformationen, dass männliche syrische Staatsangehörige im Alter zwischen 18 und 42 Jahren einer Wehrpflicht unterliegen. Es könne nicht beurteilt werden, wie sich die Lage im Herkunftsstaat bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres entwickeln werde vergleiche Bescheid Seite 99, AS 278f.).

In der Beschwerde vom 16.02.2024 wurde vorgebracht, die belangten Behörde habe das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht unter ausreichender Berücksichtigung fallbezogener, aktueller Länderberichte zu Syrien gewürdigt und ein Abgleich mit einschlägigen, aktuellen Länderberichten sei der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides nicht zu entnehmen. In der Beschwerde wurde eine Gefahr der Zwangsrekrutierung von Minderjährigen durch das syrische Regime sowie kurdische und andere oppositionelle Streitkräfte vorgebracht vergleiche Seite 13 der Beschwerde, AS 435f.).

Der Beschwerdeführer brachte in der mündlichen Verhandlung am 25.04.2024 vor, er habe Syrien wegen des Krieges verlassen. Wenn er jetzt nach Syrien zurückkehren würde, würde er zum Wehrdienst eingezogen und in den Krieg geschickt werden. Er habe zwar Familie zu der er zurückkehren könne, er würde es aber nicht schaffen bei dieser anzukommen, weil ihn die Soldaten unterwegs mitnehmen würden vergleiche OZ/7 Verhandlungsprotokoll vom 25.04.2024, Seite 8). Der Beschwerdeführer brachte diesbezüglich in der Verhandlung befragt vor, er wolle keine Waffe tragen und keine Menschen umbringen. Er könne sich auch nicht vom Militärdienst freikaufen, selbst wenn er sich freikaufen würde, würde er wegen des Krieges ums Leben kommen vergleiche OZ/7 Verhandlungsprotokoll vom 25.04.2024, Seite 8).

Für eine Bedrohung oder Verfolgung durch das syrische Regime oder andere Bürgerkriegsparteien kommt es nicht (unbedingt) darauf an, ob eine Einberufung zum Militärdienst vor der Ausreise bereits erfolgt ist oder ob eine behördliche Suche (wegen des Militärdiensts) bereits (vor der Ausreise) stattgefunden hat, sondern vielmehr darauf, mit welcher Wahrscheinlichkeit von einem Einsatz beim Militär (im Falle einer nunmehrigen Rückkehr/Wiedereinreise in den Herkunftsstaat) auszugehen ist. Dies ist anhand der Situation (Mobilisierungsmaßnahmen) im Herkunftsstaat und anhand des Profils der betroffenen Person zu beurteilen. Die Feststellungen betreffend die in Syrien für männliche syrische Staatsbürger im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren bestehende Verpflichtung zur Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren ergibt sich aus den Länderinformationen vergleiche Punkt römisch II.1.2.3.1. „Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst“). Wie den hier zugrunde gelegten Länderfeststellungen zu entnehmen ist, ist für männliche syrische Staatsangehörige im Alter zwischen 18 und 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Artikel 4, Litera b, gilt dies ab 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert, wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt. Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben.

Der zum Zeitpunkt der Ausreise fünf Jahre alte Beschwerdeführer hat noch keinen Militärdienst abgeleistet, da er zu diesem Zeitpunkt noch zu jung und damit noch nicht wehrpflichtig war. Mittlerweile ist der Beschwerdeführer 16,5 Jahre alt, sodass der Eintritt der Volljährigkeit und damit der Eintritt des wehrpflichtigen Alters bereits absehbar ist. Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in absehbarer Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit von den syrischen Behörden zum Antritt des Wehrdiensts aufgefordert werden würde. Bezogen auf den konkreten Fall ist festzuhalten, dass der 16,5-jährige Beschwerdeführer in Syrien aktuell sowohl der staatlichen Wehrpflicht als auch der „Selbstverteidigungspflicht“ der AANES noch nicht unterliegt. Erst bei Erreichen seines 18-ten Lebensjahres unterliegt er beiden Wehrpflichten. Hinweise, dass in seinem Fall ein Grund für eine Befreiung vom Militärdienst vorliegt, sind im gegenständlichen Verfahren nicht hervorgekommen. Aufgrund seines Alters ist der Beschwerdeführer sowohl zur Ableistung des Wehrdienstes der syrischen Streitkräfte als auch zur Ableistung des Wehrdienstes der Streitkräfte der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien bei Erreichen des 18-ten Lebensjahres verpflichtet. Ebenso ist vor dem Hintergrund der weiterhin bestehenden Nachschubschwierigkeiten der syrischen Armee nicht völlig auszuschließen, dass gesunde und wehrfähige Jugendliche auch bereits vor ihrem 18. Geburtstag eingezogen werden, zumal bezüglich der Vollziehung des Wehrgesetzes vor allem im Hinblick auf das Alter der Betroffenen ein gewisses Maß an Willkür an den Tag gelegt wird.

Bei einer Rückkehr würde der Beschwerdeführer aber nicht in das Regimegebiet zurückkehren, sondern in seine Herkunftsregion Manbij, die unter der Kontrolle der kurdischen Streitkräfte steht. In der Beschwerde vom 16.02.2024 wird vorgebracht, bei der Annahme der belangten Behörde, dass sich die Herkunftsregion des Beschwerdeführers derzeit unter der Kontrolle der Kurden befinde vergleiche Sitzung 101 des belangten Bescheides), lasse die belangte Behörde außer Acht, dass in der Region Manbij auch Regierungstruppen stationiert seien. Es bestehe daher die Gefahr, dass der Beschwerdeführer aufgrund der baldigen Vollendung seines 17. Lebensjahres durch das syrische Regime zum Militär einberufen werde vergleiche Seite 14 der Beschwerde, AS 435f.).

Den Länderberichten zu Syrien ist zu entnehmen, dass die syrische Regierung die Wehrpflicht in Gebieten, die nicht unter ihrer Kontrolle stehen, nicht umsetzen kann. Die syrischen Behörden können im Allgemeinen keine Rekrutierungen im kurdischen Selbstverwaltungsgebiet durchführen. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht in diesem Zusammenhang nicht, dass das syrische Regime nach der Berichtslage in bestimmten Gebieten im Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien vertreten ist und dort staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung, eingerichtet hat. Die Sicherheitslage stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amtes besonders volatil im Nordosten Syriens dar vergleiche LIB 1.2.2.1. Nordost-Syrien). Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern. Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent vergleiche LIB 1.2.2.1. Nordost-Syrien). Entsprechend der im aktuellen LIB abgebildeten Karte, befindet sich auch im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers, in Manbij, eine gewisse Präsenz von Regimekräften vergleiche LIB 1.2.2.1. Nordost-Syrien). Die Situation in Manbij stellt sich entsprechend der Länderinformationen zwar generell als volatil dar, eine asylrelevante individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers ergibt sich daraus aber nicht.

Entsprechend der ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierung Wehrpflichtiger durch die syrische Regierung in Manbidsch (Provinz Aleppo), September 2023, berufe nach Auskunft eines Syrienexpertens, die syrische Regierung keine Wehrpflichtigen für den Militärdienst in Manbidsch ein vergleiche 1.2.9.). Das Syrian Network for Human Rights (SNHR), eine 2011 gegründete unabhängige Menschenrechtsorganisation, die Menschenrechtsverletzungen in Syrien beobachtet und dokumentiert, schreibt in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD vom August 2023 hingegen, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen und Reservisten durch die syrische Regierung an deren Zugriffsmöglichkeiten gebunden sei. Dies bedeute, dass, wenn junge Menschen einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte in der Nähe von Manbidsch passieren würden und für den Militärdienst gesucht würden, diese zur Wehrpflicht eskortiert würden vergleiche 1.2.9.). Der Beschwerdeführer wird jedoch nicht dezidiert zum Wehrdienst gesucht, er hat weder einen Einberufungsbefehl noch ein Wehrdienstbuch erhalten, da er im Alter von fünf Jahren aus Syrien ausgereist ist. Es besteht daher für ihn nicht die maßgebliche Gefahr bei einem Checkpoint, der unter der Kontrolle der Regierungskräfte steht, festgenommen zu werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer vom syrischen Regime festgenommen wird ist dadurch maßgeblich verringert, dass er sich noch keiner Musterung unterzogen hat, kein Wehrdienstbuch ausgestellt bekommen hat und keine Einberufung erhalten hat. Er wird somit vom syrischen Regime nicht als Wehrdienstverweigerer gesucht.

Entsprechend der genannten Anfragebeantwortung gibt es mehrere syrische Medienberichte über eine verstärkte Präsenz der syrischen Armee in Gebieten unter kurdischer Kontrolle vor allem im Bereich Manbidsch und Ain Al-Arab vergleiche 1.2.9.), somit im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers. Auch Medienquellen aus den unter kurdischer Verwaltung stehenden Gebieten hätten gegenüber Al-Monitor bestätigt, dass die syrische Armee vor allem in Ain al-Arab, Manbidsch sowie Tell Abyad (im Norden von Raqqa) präsent sei. Den Quellen zufolge würden diese Einsätze dutzende Militär- und Panzerfahrzeuge, sowie schwere Artillerie und mehr als 400 Truppen der syrischen Armee umfassen vergleiche 1.2.9.).

Entsprechend der Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker·innen ermöglichen vom August 2023 vergleiche 1.2.10.), sei die Regierung in kleinen Teilen der Stadt al-Qamischli und in zahlreichen Dörfern südlich der Stadt sowie in kleinen Teilen der Stadt al-Hasaka stark vertreten. Außerhalb dieser Gebiete sei die Kontrolle der Regierung locker und umstritten. Die Regierung sei daher nicht in der Lage, die Wehrpflicht durchzusetzen oder Oppositionelle zu verhaften. Die Gebiete in und um Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat und an der türkischen Grenze würden sich zwar durch Präsenz einiger Regierungstruppen auszeichnen, die SDF (Syrian Democratic Forces) seien jedoch nach wie vor der Hauptakteur in der Region. Die SDF hätten der Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern. Daher seien die Regierungstruppen zwar präsent, allerdings beschränke sich diese Präsenz auf die Durchführung von Patrouillen, meist zusammen mit der russischen Militärpolizei vergleiche 1.2.10.). Auch in dieser Anfragebeantwortung wird wiederum auf die Auskunft des Syrian Network for Human Rights (SNHR) eingegangen, welches dokumentiert, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen und Reservisten durch die syrische Regierung an die Zugriffsmöglichkeiten gebunden sei. Laut Fabrice Balanche würde eine Person, die sich dem Militärdienst der syrischen Armee entzogen habe oder desertiert sei, verhaftet, wenn sie die von der syrischen Regierung kontrollierten Gebiete in der Provinz betrete vergleiche 1.2.10.). Auch die Vertretung der AANES in der Autonomen Region Kurdistan im Irak gibt gegenüber DIS an, dass die Wahrscheinlichkeit hoch sei, dass eine Person, die zum Wehrdienst eingezogen werden soll und ein von der syrischen Regierung kontrolliertes Gebiet in Nordost-Syrien betrete, festgenommen werde vergleiche 1.2.10.).

In einer Anfragebeantwortung antwortet SNHR in seiner E-Mail-Auskunft auf die Frage, ob die syrischen Behörden in den genannten Gebieten Personenkontrollen durchführen würden, die zu Festnahmen führen könnten, dass während des Prozesses zum Einzug in den Wehrdienst die Identität der Männer überprüft werde. Wenn sie von einer Sicherheitsbehörde gesucht würden, würden sie aufgegriffen und der Behörde, von der sie gesucht werden, übergeben. Al-Monitor fasst ebenfalls im Juli 2022 mehrere syrische Medienberichte über eine verstärkte Präsenz der syrischen Armee in Gebieten unter kurdischer Kontrolle zusammen vergleiche 1.2.10.). Da der Beschwerdeführer weder desertiert ist noch sich dem Wehrdienst entzogen hat, wird der im Alter von fünf Jahren aus Syrien ausgereiste Beschwerdeführer nicht individuell vom syrischen Regime gesucht.

Insgesamt konnte aufgrund der Länderinformationen (im Besonderen aufgrund des aktuellen LIBs sowie der genannten Anfragebeantwortungen) somit keine Bedrohung des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsgebiet, trotz der teilweise in geringem Maße vorhandenen Präsenz des syrischen Regimes und der Zugriffsmöglichkeit auf Wehrdienstverweigerer und gesuchte Personen, festgestellt werden.

Dem Länderinformationsblatt ist zu entnehmen, dass die syrische Regierung über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet verfügt. In Qamischli und al-Hassakah tragen diese die Bezeichnung „Sicherheitsquadrate“ (Al-Morabat Al-Amniya), wo sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung, befinden. Der Beschwerdeführer stammt nicht aus einem dieser „Sicherheitsquadrate“, weshalb nicht davon auszugehen ist, dass das syrische Regime mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf diesen greifen kann. Nach der ACCORD- Anfragebeantwortung zu Syrien vom 24.08.2023 (Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat Personen für den Reservedienst einzuziehen) ergibt sich, dass die syrische Armee nicht in der Lage ist, Personen gewaltsam zu rekrutieren, die sich in von der AANES kontrollierten Gebieten aufhalten. Insoweit in den herangezogenen Länderinformationen eine Quelle zitiert wird (Syrian Network for Human Rights), die – abweichend von den übrigen Quellen – davon berichtet, dass junge Menschen, die für den Militärdienst gesucht werden, zur Wehrpflicht eskortiert werden, wenn sie in der Nähe von Manbij einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte passieren, ist darauf hinzuweisen, dass in diesem Zusammenhang nicht näher dargelegt wird, wie häufig es zu derartigen Vorfällen kommt vergleiche 1.2.9.). Angesichts des Umstands, dass die übrigen in den Berichten zitierten Quellen keine Kenntnis von derartigen Rekrutierungen an Checkpoints des syrischen Regimes im AANES-Gebiet haben, ist in einer Gesamtschau davon auszugehen, dass eine Rekrutierung des Beschwerdeführers durch das syrische Regime in seinem Heimatgebiet zwar nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, jedoch insgesamt nicht maßgeblich wahrscheinlich ist und weil er als Person nicht dezidiert für den Wehrdienst gesucht wird, eher sehr unwahrscheinlich ist. Individuelle Umstände, die dazu führen würden, dass das syrische Regime den Beschwerdeführer als politischen Gegner ansehen bzw. bei einer Rückkehr als oppositionell wahrnehmen würde, sind im konkreten Fall nicht zu erkennen. Hinzuweisen ist darauf, dass er Syrien im Alter von fünf Jahren und sohin noch vor Eintritt seiner Wehrpflicht verlassen hat. Der Beschwerdeführer wurde in der Vergangenheit nicht zur Abholung seines Militärbuches aufgefordert und war noch nie einem Rekrutierungsversuch des syrischen Regimes ausgesetzt. Auch sonst sind im Verfahren keine Hinweise hervorgekommen, die darauf schließen lassen, dass der Beschwerdeführer zu irgendeinem Zeitpunkt im Herkunftsstaat Schwierigkeiten mit den staatlichen Stellen gehabt oder sich in öffentlich wahrnehmbarer Weise kritisch gegen das syrische Regime geäußert hätte. Dadurch konnte auch die Feststellung getroffen werden, dass der Beschwerdeführer vom syrischen Regime nicht gesucht wird.

In Bezug auf die vom Beschwerdeführer geäußerte Furcht vor einer Einberufung durch das syrische Regime war vor dem Hintergrund der Machtverhältnisse im Herkunftsstaat festzustellen, dass dem Beschwerdeführer nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime droht. Der Beschwerdeführer stammt – wie bereits ausgeführt – aus einem unter der Kontrolle der „Autonomous Administration of North and East Syria – AANES“ stehenden Gebiet, in welchem das syrische Regime im Allgemeinen nicht in der Lage ist, Personen zur Ableistung des verpflichtenden Wehrdienstes in der syrischen Armee zu rekrutieren. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht in diesem Zusammenhang nicht, dass das syrische Regime nach der Berichtslage in bestimmten Gebieten im Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien vertreten ist und dort staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung, eingerichtet hat. Diese als „Sicherheitsabschnitte“ bzw. „Sicherheitsquadrate“ bezeichneten Gebiete befinden sich in der Stadt Qamishli, auf dem Land im südlichen Qamishli sowie in einem kleinen Teil der Stadt al-Hassaka. Laut einem Rechtsexperten der ÖB Damaskus existiert auch im Zentrum des Gouvernements Deir ez-Zor ein solches Sicherheitsquadrat. Anhaltspunkte, dass sich auch im Heimatort des Beschwerdeführers, in Manbij, ein Sicherheitsquadrat befindet, lassen sich allerdings weder den Länderberichten noch dem Vorbringen des Beschwerdeführers entnehmen. Vor diesem Hintergrund kann nicht angenommen werden, der Beschwerdeführer wäre dort der Gefahr einer Rekrutierung durch die Streitkräfte des syrischen Regimes ausgesetzt. Insoweit in den herangezogenen Länderinformationen eine Quelle zitiert wird, die – abweichend von den übrigen Quellen – davon berichtet, dass junge Menschen, die für den Militärdienst gesucht werden, zur Wehrpflicht eskortiert werden, wenn sie in der Nähe von Manbij einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte passieren, ist erneut darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer eben nicht dezidiert gesucht wird und in diesem Zusammenhang auch nicht näher dargelegt wird, wie häufig es zu derartigen Vorfällen kommt vergleiche dazu Punkte römisch II.1.2.3.1. „Die syrischen Streitkräfte – Wehr- und Reservedienst“ und römisch II.1.2.7. „Auszug aus dem Themenbericht der Staatendokumentation „Syrien – Grenzübergänge“; sowie ACCORD-Anfragebeantwortung zur Rekrutierung Wehrpflichtiger durch die syrische Regierung in Manbij vom 07.09.2023 in römisch II.1.2.9.). Es ergibt sich für den Fall des Beschwerdeführers, dass für sein Herkunftsgebiet Manbij, welches sich im kurdisch kontrollierten Teil der Provinz Aleppo befindet, eine Zugriffsmöglichkeit der syrischen Behörden auf Wehrpflichtige zwar nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Diese ist verglichen mit Gebieten unter Kontrolle der Regierung aber stark eingeschränkt, und es bestehen keine Hinweise darauf, dass Rekrutierungen dort auch tatsächlich durchgeführt werden. In einer Gesamtbetrachtung dieser Umstände ist es nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass die syrischen Behörden ihre – im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers stark eingeschränkten – Zugriffsmöglichkeiten gerade dafür verwenden würden, den Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr zum Wehrdienst einzuziehen.

Im Übrigen lässt sich der aktuellen Berichtslage auch nicht entnehmen, dass das syrische Regime in absehbarer Zeit im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers die Kontrolle übernehmen wird. In einer Gesamtschau kommt das Bundesverwaltungsgericht daher zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsort nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, zum verpflichtenden staatlichen Wehrdienst in Syrien eingezogen zu werden.

Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung aufgrund einer vermeintlich unterstellten oppositionellen Gesinnung durch das syrische Regime. Das BFA argumentiert im angefochtenen Bescheid, es lasse sich den Länderberichten nicht entnehmen, dass Rückkehrer per se als politisch oppositionell angesehen würden. Außerdem sei nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die syrische Regierung einem zum Zeitpunkt der Ausreise etwa fünf- oder sechsjährigen und nunmehr erst 16-jährigen Jugendlichen seine Ausreise dahingehend zum Vorwurf machen könnte, dass dieser in diesem Alter in der Vergangenheit nicht die Seite der Regierung ergriffen hätte. Ebenso wenig lasse sich den Länderinformationen entnehmen, dass Rückkehrer in Gebieten, die unter Kontrolle der kurdischen Selbstverteidigungseinheiten stehen, von diesen verübten systematischen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wären vergleiche Bescheid Seite 100, AS 278f.). Eine persönliche Verfolgung oder Bedrohung aufgrund der kurdischen Abstammung des Beschwerdeführers könne entsprechend dem BFA auch deshalb ausgeschlossen werden, da er über Familienangehörige in Syrien verfüge, die sich nach wie vor in kurdisch kontrollierten Gebieten aufhalten vergleiche Bescheid Seite 100, AS 278f.)

In der Beschwerde vom 16.02.2024 wird wiederum vorgebracht, der Beschwerdeführer befürchte neben der Zwangsrekrutierung durch diverse Gruppen auch eine Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien und der Antragstellung auf internationalen Schutz im Ausland. Das syrische Regime sei im Herkunftsgebiet Manbij präsent und eine Rückkehr ohne Kontakt zu diesem sei ihm nicht möglich vergleiche Seite 2f. der Beschwerde, AS 435f.). Der Beschwerdeführer brachte in der mündlichen Verhandlung am 25.04.2024 vor, er sei illegal aus Syrien ausgereist, weshalb er nicht nach Syrien zurückkehren könne vergleiche OZ/7 Verhandlungsprotokoll vom 25.04.2024, Seite 8).

Dem Beschwerdeführer droht neben der vorgebrachten Zwangsrekrutierung auch sonst keine asylrelevante Verfolgung durch das syrische Regime, da dieses auf ihn bei einer Rückkehr nicht zugreifen kann. Eine Verfolgung des Beschwerdeführers durch staatliche Organe ist – wie bereits näher ausgeführt – bereits aufgrund der fehlenden Zugriffsmöglichkeiten des syrischen Regimes in seinem Herkunftsgebiet nicht maßgeblich wahrscheinlich. Hinzu kommt, dass nach den aktuellen Länderberichten in Syrien vor allem Angehörige von „high-profile“ - Deserteuren mit gezielten Verfolgungshandlungen der syrischen Behörden zu rechnen haben. Bei „high profile“ –Deserteuren handelt es sich beispielsweise um solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben vergleiche Punkt römisch II.1.2.3.3. „Wehrdienstverweigerung/ Desertion“). Der Beschwerdeführer ist in Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer gezielt gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt, wenngleich Repressalien nicht zur Gänze ausgeschlossen werden können.

2.1.2.2. Zur vorgebrachten drohenden Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Streitkräfte:

Betreffend seine Flucht- und Verfolgungsgründe brachte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren vor, dass er im Herkunftsstaat real Gefahr laufe, von den kurdischen Streitkräften rekrutiert zu werden.

In der Einvernahme vor dem BFA brachte der Beschwerdeführer vor, bei einer Rückkehr nach römisch 40 würde ihn dort die YPG rekrutieren und er werde dazu gezwungen mitzukämpfen. Seinem Cousin väterlicherseits sei dies passiert, dieser sei im Alter von 17 Jahren festgenommen worden, er sei festgehalten worden und man habe ihm gesagt, er müsse entweder Geld zahlen oder den Militärdienst leisten. Die Familie habe dann Geld gezahlt und der Cousin sei wieder freigelassen worden vergleiche BFA-EV Seite 9f., AS 171f.).

In der am 06.12.2023 eingebrachten Stellungnahme brachte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vor, in der Herkunftsregion, der von Kurden kontrollierten Provinz Aleppo, würden Jugendliche zwangsrekrutiert werden. In der Stellungnahme wurde auf verschiedene Länderinformationen verwiesen wonach die Zwangsrekrutierung von Kindern im Syrienkonflikt durch verschiedenste Parteien eine Bedrohung darstelle. Der Beschwerdeführer sei von drohender Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Milizen betroffen (AS 231ff.).

Das BFA argumentiert im angefochtenen Bescheid, der Beschwerdeführer unterliege mit 16 Jahren nicht der Wehrplicht, in den kurdisch kontrollierten Gebieten gebe es eine Wehrpflicht für Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren. Es könne nicht beurteilt werden, wie sich die Lage im Herkunftsstaat bis zur Vollendung seines 18. Lebensjahres entwickeln werde vergleiche Bescheid Seite 99, AS 278f.). In der Beschwerde vom 16.02.2024 wird vorgebracht, die Ausreise aus Syrien, ohne den Wehrdienst auf Seiten der Kurden bisher abgeleistet zu haben, würde durch diese gegenüber dem Beschwerdeführer als kontra-politische Gesinnung ausgelegt werden. Er befürchte bei einer Rückkehr eine Zwangsrekrutierung durch die Kurden vergleiche Seite 14 der Beschwerde, AS 435f.). Die zwangsweise Rekrutierung für die Selbstverteidigungskräfte und die drohende Gefängnisstrafe seien jedenfalls als Verfolgungshandlungen iSd Artikel 9, der Status-RL zu werten. Die rechtlichen Sanktionen für Wehrdienstverweigerung würden jenen der syrischen Regierung ähneln vergleiche Seite 16 der Beschwerde, AS 435f.). In der mündlichen Verhandlung befragt, vor welchen Gruppierungen der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Syrien Angst habe, gab dieser an, er habe Angst vor allen Gruppierungen, weil sie ihn entweder in den Wehrdienst einziehen oder ihn umbringen würden vergleiche OZ/7 Verhandlungsprotokoll vom 25.04.2024, Seite 9).

Die Feststellungen betreffend die von der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien verordnete Wehrpflicht für Männer ab dem Alter von 18 Jahren basieren auf den aktuellen Länderfeststellungen vergleiche Punkt römisch II.1.2.3.5. „Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“). Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht", das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen. Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit. Somit ergibt sich eine Selbstverteidigungspflicht im Kurdengebiet im Alter zwischen 18 und 26 Jahren. Ursprünglich betrug die Länge des Wehrdiensts sechs Monate, aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der „Selbstverteidigungspflicht“ erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz. Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt. Im aktuellen Länderinformationsblatt werden dafür exemplarisch die Kämpfe gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa angeführt, es handelt sich sohin offenkundig um keine regelmäßige Praxis, welche mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch den Beschwerdeführer träfe, sondern lediglich um Ausnahmeerscheinungen in Zeiten absoluter Notwendigkeit.

Hinsichtlich dieses Vorbringens ist vorauszuschicken, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat noch nicht volljährig war und somit der Selbstverteidigungspflicht der kurdischen Autonomiebehörden noch nicht unterlegen ist.

Das BFA argumentiert im angefochtenen Bescheid, es verkenne nicht, dass es - trotz des Verbotes der Regierung - weiterhin zu Zwangsrekrutierungen von Kindern durch verschiedene Milizen komme, es lasse sich jedoch daraus noch kein für den Beschwerdeführer persönlich unmittelbar bestehendes Risiko einer Zwangsrekrutierung ableiten vergleiche Bescheid Seite 102, AS 278f.). Es ergebe sich entsprechend dem BFA, dass weder aus der UN-Kinderrechtskonvention noch dem Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern abgeleitet werden könne, dass die Asylrechtsgründe der GFK bei Kindern weiter auszulegen wären als bei Erwachsenen oder dem Beschwerdeführer aufgrund seines Alters generell Asyl zu gewähren wäre vergleiche Bescheid Seite 101, AS 278f.). Zur vorgebrachten Bedrohung der Zwangsrekrutierung durch die kurdische SDF argumentiert das BFA, es gebe anhaltende Bemühungen der SDF, der Praxis der Rekrutierung von Kindern ein Ende zu setzen vergleiche Bescheid Seite 102, AS 278f.).

Die Rekrutierung als Kindersoldat durch die kurdischen Kräfte bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers im aktuellen Alter von 16 Jahren ist nicht maßgeblich wahrscheinlich, zumal sich keine Anhaltspunkte dafür bieten. Zur vorgebrachten Asylrelevanz der Zwangsrekrutierung Minderjähriger ist anzumerken, dass dies angesichts der Ausführungen im gegenständlichen Erkenntnis lediglich im Hinblick auf das kurdische Selbstverwaltungsgebiet von Relevanz sein kann. Das Länderinformationsblatt legt hierzu dar, dass zwischen Jänner 2014 und September 2020 mindestens 911 Kinder durch die YPG zwangsrekrutiert wurden. Im Juni 2019 wurde von der SDF, deren Kernbestandteile die YPG und die YPJ sind, und dem Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte ein Aktionsplan zur Beendigung und Verhinderung der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern unter 18 Jahren unterzeichnet. 2020 beschloss der Exekutivrat der Selbstverwaltung die Einrichtung von Kinderschutzbüros und es gibt anhaltende Bemühungen der SDF, der Praxis der Rekrutierung von Kindern ein Ende zu setzen. Seit 2019 wurden 700 bis 750 Kinder aus den Diensten der SDF entlassen. Zwar wurden auch weiterhin Kinder rekrutiert, aus dem Länderinformationsblatt ergibt sich jedoch sinngemäß, dass einerseits die Autonomiebehörden – wenn auch teilweise erfolglos – grundsätzlich bestrebt sind, die Rekrutierung Minderjähriger zu unterbinden, und andererseits die Rekrutierungszahlen offensichtlich gesunken sind. Im Übrigen sind die angeführten Zahlen vor dem Hintergrund des Bevölkerungsreichtums der Selbstverwaltungsregion zu sehen, wodurch es zu einer weiteren Relativierung der Wahrscheinlichkeit individueller Betroffenheit kommt.

Unabhängig davon kann den Länderinformationen zwar entnommen werden, dass es zu Zwangsrekrutierung Minderjähriger in Syrien kommen kann. So ist es zwischen Januar und Dezember 2021 entsprechend den Länderinformationen insgesamt zur Rekrutierung von insgesamt 1.296 Kindern gekommen, wobei 1.285 der Kinder entsprechend der Berichtslage im Kampf eingesetzt wurden. 569 verifizierte Fälle werden der SNA zugeschrieben, 380 der HTS, 220 der YPG und den mit der YPG verbundenen Frauenschutzeinheiten und 46 den regimenahen Kräften und Milizen vergleiche LIB römisch II.1.2.3.4. Kapitel „Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedene Organisationen). Aus dem entsprechenden Quellenmaterial kann jedoch nicht entnommen werden, dass es zu einer systematischen Rekrutierung von Kindern durch entsprechende Konfliktparteien in Syrien kommt, zumal die syrische Regierung im August 2022 sogar ein Kinderschutzgesetz erlassen hat, welches die Rekrutierung oder Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten und allen anderen damit verbundenen Aktivitäten verbietet. Auch seitens der SDF zeigen sich Bemühungen, der Rekrutierung von Kindern ein Ende zu setzen. So wurde beispielweise im Juni 2019 ein Aktionsplan zur Beendigung und Verhinderung der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern unter 18 Jahren unterzeichnet. Tatsächlich wurden bereits rund 700-750 Kinder aus den Diensten der SDF entlassen, wenngleich es weiterhin zu Zwangsrekrutierungen kommt. Schon diesen Angaben lässt sich eine grundsätzlich rückläufige Tendenz bei der Rekrutierung von Minderjähriger entnehmen, was auch die eingangs angeführten Zahlen belegen. Somit kann dem herangezogenen Quellenmaterial nicht entnommen werden, dass vorrangig Kinder rekrutiert werden.

Betrachtet man die individuelle Situation des Beschwerdeführers im Rahmen einer Einzelfallbeurteilung, bestehen beim Beschwerdeführer keine Risikofaktoren, die eine Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Streitkräfte im Alter zwischen 16 und 18 Jahren, somit eine Zwangsrekrutierung vor der Volljährigkeit, maßgeblich wahrscheinlich machen. Konkret bestehen keine finanziellen Anreize für den Beschwerdeführer sich den kurdischen Streitkräften anzuschließen, da dieser über Familienangehörige in Syrien verfügt. Seine Eltern und Geschwister leben zwar in der Türkei, der Beschwerdeführer hat aber mehrere Onkel und Tanten im kurdisch beherrschten römisch 40 welches Nordöstlich von Manbij liegt. Die Familienmitglieder in der Türkei und im Gebiet der AANES römisch 40 könnten den Beschwerdeführer bei einer theoretischen Rückkehr vor Erreichen der Volljährigkeit finanziell unterstützen. Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren auch keine bereits stattgefundenen Rekrutierungsversuche von kurdischer Seite vor und er brachte auch nicht vor, dass der soziale Druck in der Herkunftsregion bezüglich eines Beitrittes zur Selbstverteidigungspflicht vor Erreichen der Volljährigkeit ungewöhnlich hoch gewesen wäre. Auch dem Vorbringen betreffend den minderjährigen Cousin des Beschwerdeführers, der mit 17 Jahren rekrutiert werden sollte, ist keine dem Beschwerdeführer gegenüber bestehende maßgebliche Gefahr einer Bedrohung abzuleiten, zumal sich der Cousin durch Bezahlung eines Geldbetrages von der ihm gegenüber bestandenen Aufforderung freikaufen konnte vergleiche BFA-EV Seite 9f., AS 171f.). Dem Vorbringen des Beschwerdeführers war auch kein Drang zu entnehmen, sich freiwillig vor Erreichen der Volljährigkeit als Kindersoldat den kurdischen Streitkräften anzuschließen. Im Gegenteil war sein Vorbringen von einer ablehnenden Haltung gegenüber der Beteiligung an der Selbstverteidigungspflicht geprägt. Es ergibt sich somit insgesamt nicht, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr im aktuellen Alter von 16 Jahren oder bis zum 18ten Lebensjahr, von einer Zwangsrekrutierung zur kurdischen Selbstverteidigungspflicht als Kindersoldat maßgeblich wahrscheinlich bedroht wäre.

Im Übrigen wird der Beschwerdeführer – wie im Beschwerdeschriftsatz auch an anderen Stellen wiederholt zur Begründung der Asylrelevanz des Vorbringens hervorgehoben – zeitnah das 18. Lebensjahr vollendet haben, womit auch die Gefahr des Einsatzes als Kindersoldat gänzlich obsolet sein wird.

In Bezug auf die Asylrelevanz der Rekrutierung von Minderjährigen ergibt sich aus der EUAA Country Guidance, dass nach den individuellen Umständen beurteilt werden muss, ob ein Verfolgungsgrund vorliegt. Beispielsweise kann im Fall von Kindern, die sich weigern, den kurdischen Streitkräften beizutreten, eine Verfolgung aus Gründen der (unterstellten) politischen Meinung erfolgen vergleiche EUAA Country Guidance: Syria, Stand Februar 2023, Sitzung 86). Fallbezogen lässt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers allerdings nicht ableiten, dass ihm im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Verfolgung aus politischen Gründen droht. So lässt sich den Schilderungen des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht weder entnehmen, dass der Beschwerdeführer durch die kurdischen Streitkräfte bereits gesucht worden wäre oder eine Zwangsrekrutierung versucht worden wäre, da der Beschwerdeführer sich seit seinem fünften Lebensjahr außerhalb Syriens aufhält. Der Beschwerdeführer hat mehrere Onkel und Tanten in römisch 40 in Syrien, von welchen nicht berichtet wurde, dass der Beschwerdeführer für die Selbstverteidigungspflicht gesucht sei. Ein solcher Sachverhalt wurde vom Beschwerdeführer auch nicht vorgebracht. Insgesamt bestehen somit keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer von den kurdischen Streitkräften bzw. den Autonomiebehörden als politischer Gegner angesehen und im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat gezielter Verfolgung ausgesetzt sein wird.

Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer vorgebrachten allgemeinen Furcht vor Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Streitkräfte SDF/YPG ist auszuführen, dass der im Jahr römisch 40 geborene Beschwerdeführer, wie bereits näher dargelegt, aktuell noch nicht der „Selbstverteidigungspflicht“ der Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien unterliegt. Er würde bei Erreichen der Volljährigkeit, somit in einem Jahr und sechs Monaten aber der Selbstverteidigungspflicht unterliegen. Eine Möglichkeit zur Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensgründen besteht nicht und im Fall des Beschwerdeführers liegen auch keine Befreiungsgründe vor. Aus den der gegenständlichen Entscheidung als Sachverhalt zugrunde gelegten Länderberichten ergibt sich zudem, dass die (de facto) Behörden der SDF/AANES die „Selbstverteidigungspflicht“ auch tatsächlich umsetzen. So ist den Berichten zu entnehmen, dass die Aufrufe für die "Selbstverteidigungspflicht" zunächst durch die Medien erfolgen. In weiterer Folge kommt es zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen vergleiche römisch II.1.2.3.5.). Ferner informiert die Selbstverwaltung einen sich dem Wehrdienst Entziehenden zweimal bezüglich der Einberufungspflicht durch ein Schreiben an seinen Wohnsitz. Wenn er sich nicht zur Ableistung einfindet, sucht ihn die "Militärpolizei" unter seiner Adresse vergleiche Punkt römisch II.1.2.3.5. „Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“). Folglich ist zu prognostizieren, dass der Beschwerdeführer im Fall der (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien von den kurdischen Streitkräften zur Ableistung des als „Selbstverteidigungspflicht" bezeichneten Militärdienstes einberufen wird und im Fall der Verweigerung – etwa infolge seines Aufgriffs an einem Checkpoint – von einer zwangsweisen Durchsetzung der „Selbstverteidigungspflicht“ bedroht ist.

Dem Beschwerdeführer ist es allerdings im gegenständlichen Verfahren nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass er die Ableistung des Militärdienstes der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien aufgrund seiner politischen Überzeugung oder aus Gewissensgründen ablehnt. Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt nicht näher darlegte, aus welchen Gründen er die Ableistung des Militärdienstes für die SDF/YPG ablehne. In der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte er schließlich auf Nachfrage aus, er wolle keine Waffe tragen und keine Menschen umbringen vergleiche OZ/7 Verhandlungsprotokoll vom 25.04.2024, Seite 8). Mit diesen vagen und bloß allgemein gehaltenen Ausführungen vermag der Beschwerdeführer jedoch keine politische Haltung oder religiöse Überzeugung darzutun, die sich gegen die kurdischen Streitkräfte richtet. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er wolle keine Waffe tragen und keine Menschen umbringen, erweist sich als nicht substantiiert, geht doch aus den Länderberichten hervor, dass die Einsätze der Rekruten im Rahmen der "Selbstverteidigungspflicht" normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz erfolgen (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hassakah, wo es im Jänner 2022 zu dem Befreiungsversuch des sogenannten Islamischen Staats (IS) mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa vergleiche Punkt römisch II.1.2.3.5. „Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“). Es ist sohin nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rekrutierung durch die kurdischen Streitkräfte an der Front eingesetzt würde und sich an Kämpfen aktiv beteiligen müsste. Auch vor diesem Hintergrund vermag der Beschwerdeführer mit seinen Angaben, wonach er keine Waffe tragen und keine Menschen umbringen wolle, keine persönliche Überzeugung oder Grundhaltung darzutun, welche mit der Ableistung des Militärdienstes der Autonomiebehörden nicht vereinbar wäre. Auch aus der Anfragebeantwortung zu Syrien und der unter anderem gestellten Frage des Einsatzes von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front vom September 2023, geht hervor, dass die Wehrpflichtigen der Selbstverteidigungskräfte allgemein nicht an der Front eingesetzt werden vergleiche römisch II.1.2.11.).

Aus den vorliegenden Länderberichten geht zudem hervor, dass die kurdischen Autonomiebehörden nicht jedem Wehrdienstverweigerer – ohne Hinzutreten individueller Umstände – eine oppositionelle Gesinnung unterstellen. Hinsichtlich der Konsequenzen der Wehrdienstverweigerung wird in der aktuellen Länderinformation Syrien zusammengefasst ausgeführt, dass das Gesetz betreffend die Selbstverteidigungspflicht auch mit Gewalt durchgesetzt wird. Weiters werden Berichte des DIS zitiert, wonach Wehrpflichtige, die versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, laut Gesetz durch die Verlängerung der Wehrpflicht um einen Monat bestraft würden, wobei diese Maßnahme mit einer vorhergehenden Haft „für eine Zeitspanne“ verbunden sei. Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für die Betreffenden zu finden. Insgesamt ergibt sich sohin aus den Länderberichten, dass die angedrohten Sanktionen der Durchsetzung der Wehrpflicht und nicht der Bestrafung infolge einer allen Wehrdienstverweigerern unterstellten oppositionellen Gesinnung dienen. Diese Einschätzung wird auch durch einen in der Länderinformation zitierten Bericht der ÖB Damaskus gestützt, wonach die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen dürften vergleiche zu alledem Punkt römisch II.1.2.3.5. „Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“).

Unter Zugrundelegung der Länderberichte liegen insgesamt weder stichhaltige Anhaltspunkte für unverhältnismäßige Strafen bei Wehrdienstverweigerung, noch hinreichende Hinweise dafür vor, dass Rekruten im Rahmen der Wehrpflicht zu menschenrechtswidrigen Handlungen gezwungen werden würden, wobei sich die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten insgesamt erkennbar weniger gravierend darstellt als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und dschihadistischer Gruppen befinden. Gegenteiliges lässt sich im Übrigen auch den UNHCR-Erwägungen sowie der EUAA Country Guidance Syria nicht entnehmen. So benötigen nach der Einschätzung von UNHCR Männer, die eine Ableistung des Dienstes bei den Selbstverteidigungseinheiten ablehnen, wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz, wenn die Ablehnung als Ausdruck einer SDF/YPG-feindlichen Gesinnung und/oder einer Unterstützung von ISIS oder SNA wahrgenommen wird vergleiche UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Syrischen Arabischen Republik fliehen, 6. aktualisierte Fassung, Sitzung 147. in römisch II.1.2.8.). Aus den UNHCR-Erwägungen geht demnach nicht hervor, dass bereits die bloße Tatsache der Wehrdienstverweigerung zur Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung durch die Autonomiebehörden führt. Auch EUAA vertritt die Auffassung, dass die Gefahr der Zwangsrekrutierung durch SDF/YPG nicht generell in Zusammenhang mit einem Verfolgungsgrund iSd der Genfer Flüchtlingskonvention steht. Vielmehr ist anhand der individuellen Umstände zu prüfen, ob die Folgen der Wehrdienstverweigerung einen solchen Zusammenhang – wie etwa eine unterstellte politische Gesinnung - begründen vergleiche EUAA Country Guidance: Syria, Stand Februar 2023, Sitzung 86). Fallbezogen wurden jedoch keine Umstände glaubhaft gemacht, welche darauf schließen lassen würden, dass im Fall des Beschwerdeführers die Entziehung vom Wehrdienst bzw. eine allfällige Wehrdienstverweigerung als Ausdruck einer SDF/YPG feindlichen Gesinnung wahrgenommen würde. Der Beschwerdeführer hat im gesamten Verfahren nicht einmal ansatzweise dargetan, sich jemals in öffentlich wahrnehmbarer Weise politisch betätigt oder gegen die SDF geäußert zu haben.

Unter Berücksichtigung der Länderberichte ist es zwar durchaus möglich, dass der Beschwerdeführer nach Vollendung des 18. Lebensjahres im Falle einer Rückkehr in seine Herkunftsregion von einer Einziehung in den Militärdienst in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ betroffen sein könnte. Es ist jedoch nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass er dann an Kampfhandlungen und/oder Menschenrechtsverletzungen beteiligt sein würde. Vielmehr werden den Länderberichten zufolge die „Rekruten“ normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz eingesetzt. Auch ist der Beschwerdeführer im Falle der Weigerung der „Selbstverteidigungspflicht“ nachzukommen, nicht der Gefahr ausgesetzt, von den kurdischen Autonomiebehörden als der Opposition zugehörig wahrgenommen oder unverhältnismäßig bestraft zu werden.

Wie bereits ausgeführt, hat der Beschwerdeführer im Übrigen auch nicht glaubhaft gemacht, dass ihn die kurdischen Milizen als oppositionellen Gegner ansehen, da er sich als Minderjähriger durch seine Ausreise aus Syrien einer Rekrutierung entzogen hat. In einer Gesamtschau kommt das Bundesverwaltungsgericht sohin zu dem Ergebnis, dass die Weigerung des Beschwerdeführers, den kurdischen Militärdienst abzuleisten, nicht Ausdruck einer politischen oder religiösen Überzeugung ist und er im Fall der Wehrdienstverweigerung von den Autonomiebehörden auch nicht als oppositionell wahrgenommen wird.

Bezüglich des Vorbringens, wonach ein Cousin väterlicherseits des Beschwerdeführers im Alter von 17 Jahren von den kurdischen Streitkräften festgenommen und festgehalten worden sei ist festzuhalten, dass der genannte Cousin entsprechend dem Vorbringen des Beschwerdeführers nach Bezahlung eines Geldbetrages freigelassen worden ist vergleiche BFA-EV Seite 9f., AS 171f.). Zudem wurde nicht näher präzisiert oder vorgebracht, aus welchen Gründen dem Beschwerdeführer als Angehöriger dieses Cousins Verfolgung durch die kurdischen Streitkräfte und/oder die kurdischen Autonomiebehörden drohen würde.

Der Beschwerdeführer hat somit insgesamt keine individuelle Verfolgung durch die kurdischen Streitkräfte glaubhaft gemacht. Bei einer Rekrutierung des Beschwerdeführers durch die kurdischen Streitkräfte würde ihm bei einer Weigerung wie dargelegt, keine asylrelevante Verfolgung drohen.

In der Einvernahme vor dem BFA brachte der Beschwerdeführer vor, bei einer Rückkehr nach Manbij würde ihn die freie syrische Armee rekrutieren. Er brachte vor, man werde dort dazu gezwungen mitzukämpfen. Die FSA würde Personen bis zum Alter von 18 Jahren festnehmen und dann müsse man den Militärdienst leisten vergleiche BFA-EV Seite 9f., AS 171f.). Das BFA argumentiert im angefochtenen Bescheid, eine Zwangsrekrutierung durch die freie syrische Armee erscheine für die Behörde schon allein aus dem Grund unwahrscheinlich, da die Heimatregion des Beschwerdeführers unter kurdischer Kontrolle stehe und nicht ersichtlich sei, wie er dort von der FSA rekrutiert werden sollte vergleiche Bescheid Seite 102, AS 278f.). Die Gefahr der Rekrutierung durch die FSA gründet der Beschwerdeführer in der gegenständlichen Beschwerde darauf, dass sie ihn im Falle einer Wiederanreise in seine Herkunftsregion an Checkpoints anhalten und zwangsweise rekrutieren könnten vergleiche Seite 14 der Beschwerde, AS 435f.). Auch in der mündlichen Verhandlung befragt, vor welchen Gruppierungen der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Syrien Angst habe, betonte dieser, er habe Angst vor allen Gruppierungen, weil sie ihn entweder in den Wehrdienst einziehen oder ihn umbringen würden vergleiche OZ/7 Verhandlungsprotokoll vom 25.04.2024, Seite 9).

Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf. Dem Beschwerdeführer droht insgesamt keine Zwangsrekrutierung durch eine andere Kriegspartei in Syrien wie durch die FSA. Dies schon aufgrund der Tatsache, dass sich das Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers Manbij unter der Kontrolle der kurdischen Streitkräfte befindet und sich aus den Länderinformationen nicht entnehmen lässt, dass die Freie Syrische Armee (FSA) über Zugriffs- oder Rekrutierungsmöglichkeiten im genannten Gebiet verfügen würde vergleiche römisch II.1.2.2.1.). Eine Verfolgungsgefahr konnte der Beschwerdeführer durch sein Vorbringen hinsichtlich der FSA sohin nicht glaubhaft machen.

Das Bundesverwaltungsgericht übersieht im Übrigen nicht, dass in Syrien ganz bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. In Bezug auf den Beschwerdeführer ergeben sich jedoch im Verfahren keine Hinweise darauf, dass allgemeine Berichte und darauf basierende Gefährdungsmomente im gegenständlichen Fall auf seine konkrete Situation anzuwenden sind. Hinsichtlich des Vorbringens, wonach der Beschwerdeführer aufgrund seiner Ausreise aus Syrien sowie der Asylantragstellung in Österreich im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat gezielt gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen zu gewärtigen hätte, ist festzuhalten, dass sich seine diesbezüglichen Ausführungen auf eine potenzielle Verfolgung durch das syrische Regime beziehen. Wie bereits mehrfach ausgeführt, kann der Beschwerdeführer in seine Herkunftsregion gelangen, ohne mit den syrischen Behörden in Kontakt treten zu müssen, weshalb bereits vor diesem Hintergrund eine Verfolgungsgefahr nicht angenommen werden kann. Außerdem ist nicht davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Ausreise im Alter von fünf Jahren eine oppositionelle Gesinnung durch das syrische Regime unterstellt werden würde. Im Übrigen ergeben sich aus den Länderberichten auch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Annahme, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsort seitens der AANES wegen seiner Flucht aus Syrien oder der Stellung des verfahrensgegenständlichen Antrags eine feindliche politische Gesinnung zugeschrieben wird. Darüber hinaus kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Stellung des Antrags auf internationalen Schutz einer der syrischen Konfliktparteien bekannt geworden ist, da es den österreichischen Behörden verboten ist, Daten über Asylwerber an Behörden aus deren Herkunftsstaat zu übermitteln. Ein Vorbringen, aus welchem abgeleitet werden könnte, dass die Asylantragstellung im Herkunftsstaat dennoch bekannt geworden wäre, wurde vom Beschwerdeführer nicht erstattet und es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, die auf einen solchen Sachverhalt schließen lassen würden.

Sohin finden sich keine ausreichend validen Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit unmittelbar konkret gefährdet ist, im Fall der (hypothetischen) Rückkehr in den Herkunftsstaat in das Blickfeld der AANES oder einer der sonstigen Konfliktparteien zu geraten und von dieser wegen einer ihm zugeschriebenen oppositionellen Gesinnung unmittelbar und konkret persönlich verfolgt zu werden.

Abschließend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer im Verfahren nicht dargetan hat, im Herkunftsstaat aufgrund seiner Volksgruppen- und/oder Religionszugehörigkeit einer gezielt gegen seine Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt zu sein. Auch aus den der gegenständlichen Entscheidung als Sachverhalt zugrunde gelegten Länderberichten lässt sich eine Gefährdung des Beschwerdeführers wegen seiner Volksgruppen- und/oder Religionszugehörigkeit nicht ableiten.

2.1.3. Zur Möglichkeit der Rückkehr:

Zur Möglichkeit der Rückkehr und der Heimatregion argumentiert das BFA im angefochtenen Bescheid, dass diese grundsätzlich über den Grenzübergang Semalka-Faysh Khabur an der kurdisch-irakischen und nordost-syrischen Grenzregion erreichbar sei. Obwohl die Wiedereinreise zwar an bestimmten Tagen eingeschränkt sei und von bürokratischen Hürden berichtet werde, befinde sich der Grenzübergang unter kurdischer Kontrolle und es sei dadurch eine grundlegend gegebene Möglichkeit zur Wiedereinreise nach Nordost-Syrien und nach Manbidsch, Kobane oder Al-Hasaka vorhanden. Der Beschwerdeführer könne daher seinen Herkunftsort ohne Kontakt zum syrischen Regime erreichen vergleiche Bescheid Seite 101, AS 278f.).

In der Beschwerde vom 16.02.2024 wird vorgebracht, dem Beschwerdeführer sei eine Rückkehr über den Grenzübergang Semalka nicht möglich, da dieser immer wieder gesperrt sei und der Beschwerdeführer als Zivilperson nicht zum eingeschränkten Personenkreis gehöre, welcher zum Grenzübertritt berechtigt sei vergleiche Seite 6 der Beschwerde, AS 435f.).

Aus der in der Länderinformation der Staatendokumentation abgebildeten Grafik von UNGeo, Stand Juni 2023, geht hervor, dass das Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien, aus welchem der Beschwerdeführer stammt, direkt an die irakische Autonome Region Kurdistans grenzt und über den Grenzübergang Semalka – Faysh Khabour erreicht werden kann. Betreffend diesen Grenzübergang ist dem Themenbericht der Staatendokumentation „Syrien-Grenzübergänge“ vom 25.10.2023 zusammengefasst und verfahrenswesentlich zu entnehmen, dass dieser für Zivilpersonen geöffnet ist. Der Grenzübergang steht auf syrischer Seite unter Kontrolle der PYD, während er auf irakischer Seite vom Kurdistan Region Government (KRG), der Demokratischen Partei Kurdistans, verwaltet wird. Die syrische Regierung ist an diesem Grenzübergang nicht präsent und hat keine Kontrollmöglichkeit vergleiche Punkt römisch II.1.2.7. „Auszug aus dem Themenbericht der Staatendokumentation „Syrien – Grenzübergänge“).

Am Weg vom Grenzübergang Semalka – Faysh Khabour zum Herkunftsort des Beschwerdeführers in Manbij müssen keine Gebiete durchquert werden, welche unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehen. Die zuvor erwähnten vereinzelten Sicherheitsquadrate des syrischen Regimes liegen weit entfernt vom Herkunftsort des Beschwerdeführers, sodass kein maßgebliches Risiko für ihn besteht, bei der Rückkehr in seinen Herkunftsort mit Vertretern des syrischen Regimes in Kontakt zu kommen.

Es wird fallbezogen nicht übersehen, dass es an der syrisch-irakischen Grenze – wie im Themenbericht der Staatendokumentation vom 25.10.2023 ausgeführt - zu (temporären) Einschränkungen und Sperren kommen kann und die Einreise darüber hinaus mit Sicherheitsrisiken verbunden ist. Diese Umstände sind allerdings der allgemeinen (Bürgerkriegs-) Situation geschuldet und vermögen auch nichts daran zu ändern, dass Zivilpersonen grundsätzlich in der Lage sind, über den Grenzübergang Semalka – Faysh Khabour vom Irak nach Syrien zu reisen. Informationen, wonach der Grenzübergang für Zivilpersonen gänzlich geschlossen wäre, liegen dem BVwG nicht vor. Aus den zur Verfügung stehenden Unterlagen geht hervor, dass immer wieder Grenzschließungen zu beobachten sind, die auch mehrere Wochen oder sogar wenige Monate andauern können. Allerdings ändert das nichts an der grundsätzlichen Durchlässigkeit des (auch für die wirtschaftliche Anbindung der kurdischen Autonomieregion in Syrien wichtigen) Grenzüberganges. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers lässt sich zudem nicht ableiten, dass er nicht in der Lage wäre, sich die für die Einreise erforderlichen Dokumente zu beschaffen. Es ist ihm allgemein möglich, sich entweder bei einer syrischen Vertretungsbehörde einen Reisepass oder – im Fall der Unzumutbarkeit dieser Vorgehensweise – als subsidiär Schutzberechtigter einen Fremdenpass ausstellen zu lassen. Den Länderberichten ist überdies zu entnehmen, dass grundsätzlich lediglich jene Personen, die in Zivilstandsregistern außerhalb der Gebiete unter AANES-Kontrolle eingetragen sind, eine Expat-Karte benötigen. Da der Beschwerdeführer aus einem Ort stammt, welcher im Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien gelegen ist, und er in Manbij von seiner Geburt in Al Hasaka an, bis zu seiner Ausreise aus Syrien im Alter von fünf Jahren gelebt hat, ist davon auszugehen, dass er keine Expat-Karte benötigt vergleiche im Detail zu den Voraussetzungen für die Ausstellung der Expat-Karte sowie zu den weiteren Voraussetzungen für die Einreise über den Grenzübergang Semalka – Faysh – Khabour Punkt römisch II.1.2.7. „Auszug aus dem Themenbericht der Staatendokumentation „Syrien – Grenzübergänge“). Vom Beschwerdeführer wurde die Kopie eines Personenstandsregisters ihn betreffend vorgelegt (AS 212 und Übersetzung AS 213) und aus seinen vorgelegten Dokumenten geht der Registerort Aleppo hervor (AS 202 sowie OZ/7 Seite 5). In der Verhandlung schilderte er glaubhaft, in Al Hasaka geboren worden zu sein, dass aber Aleppo, römisch 40 , eingetragen worden sei (OZ/7 Seite 5), somit ein Gebiet unter AANES-Kontrolle.

Selbst unter der Annahme, dass für Personen aus dem Distrikt Manbij – und sohin auch für den Beschwerdeführer – die Verpflichtung besteht, über eine Expat-Karte zu verfügen, da das Gouvernement Aleppo nicht ausschließlich unter AANES-Kontrolle steht, wäre davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer die Einreise in das AANES-Gebiet grundsätzlich möglich ist. Zusammengefasst ist sohin festzuhalten, dass zwar das Risiko einer Einreiseverweigerung nicht ausgeschlossen werden kann. Dies vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass eine Einreise über den Grenzübergang Semalka grundsätzlich möglich ist.

Die Machtverhältnisse in jenem im Nordosten Syriens gelegenen Gebietsabschnitt, den der Beschwerdeführer für den Fall seiner Wiedereinreise zu durchqueren hätte, ergeben sich aus der Einsichtnahme in aktuelles Kartenmaterial, aber auch aus den zitierten Berichten. Die kurdische Kontrolle im Großraum des Gebietes der AANES-Region vom Gouvernement al-Hasakah bis zum Gouvernement Aleppo war im Verfahren zu keinem Zeitpunkt strittig.

Aus den zur Verfügung stehenden Informationen geht somit hervor, dass immer wieder Grenzschließungen zu beobachten sind, die auch mehrere Wochen oder sogar wenige Monate andauern können. Allerdings ändert das nichts an der grundsätzlichen Durchlässigkeit des Grenzüberganges, welche sohin festgestellt werden kann. Hinsichtlich der Weiterreise bis zum Herkunftsort des Beschwerdeführers ist wiederum auf die ACCORD- Anfragebeantwortung zu Syrien vom 24.08.2023 zu verweisen, wonach die syrische Armee nicht in der Lage ist, auf Personen zuzugreifen, die sich in von der AANES kontrollierten Gebieten aufhalten. Da demnach zum einen eine Einreisemöglichkeit über den unter kurdischer Kontrolle befindlichen Grenzübergang Semalka-Faysh Khabur besteht und zum anderen auf dem Weg zum Herkunftsort lediglich von der AANES kontrollierte Gebiete zu durchqueren wären, käme der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Herkunftsregion nicht mit Angehörigen des syrischen Regimes in Kontakt. Dem Beschwerdeführer droht daher im Falle einer Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Rekrutierung durch die syrische Regierung bzw. Armee, ebenso wenig wie darauf aufbauende Konsequenzen einer etwaigen Wehrdienstverweigerung.

In einer Gesamtschau kommt daher das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer im Fall der (hypothetischen) Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, gegen seinen Willen zum verpflichtenden staatlichen Wehrdienst des syrischen Regimes eingezogen zu werden.

2.2. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen vergleiche oben römisch II.1.2.), insbesondere auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, aus dem Country of Origin - Content Management System (COI-CMS) – Syrien, Version 11 vom 27.03.2024 und auf die ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierung Wehrpflichtiger durch die syrische Regierung in Manbidsch (Provinz Aleppo) vom September 2023, sowie auf die ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker·innen ermöglichen vom August 2023 und auf den Themenbericht der Staatendokumentation, Syrien- Grenzübergänge, Version 1, vom 25.10.2023.

Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.

Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu A) Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:

Die vorliegende Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig, sie richtet sich gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides (Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten).

3.1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 3, AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6, AsylG 2005) gesetzt hat.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Flüchtling ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (VwGH 09.03.1999, 98/01/0370; 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen.

Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt auch einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren vergleiche VwGH 10.04.2020, Ra 2019/19/0415, mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat auch ausgesprochen, dass die Schutzfähigkeit und -willigkeit der staatlichen Behörden grundsätzlich daran zu messen ist, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind und ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat. Dabei muss auch bei Vorhandensein von Strafnormen und Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall geprüft werden, ob die revisionswerbenden Parteien unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände in der Lage sind, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben vergleiche VwGH 14.04.2021, Ra 2020/18/0126, mwN).

Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; 16.02.2000, 99/01/0097), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können jedoch im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen vergleiche Artikel 9, Absatz eins, der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen vergleiche VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).

Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht vergleiche VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „internen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

Aufgrund der oben dargestellten Erwägungen ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine ihm drohende Verfolgung in seinem Herkunftsstaat glaubhaft zu machen.

3.1.2. Zur vorgebrachten Bedrohung:

3.1.2.1. Die Bestimmung der Heimatregion des Asylwerbers ist Grundlage für die Prüfung, ob dem Asylwerber dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht und ob ihm - sollte dies der Fall sein - im Herkunftsstaat außerhalb der Heimatregion eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht vergleiche etwa VwGH 25.08.2022, Zl. Ra 2021/19/0442). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in Fällen, in denen Asylwerber nicht aufgrund eines eigenen Entschlusses, sondern unter Zwang aufgrund einer Vertreibung ihren dauernden Aufenthaltsort innerhalb des Herkunftsstaates gewechselt hatten und an dem neuen Aufenthaltsort nicht Fuß fassen konnten (Zustand innerer Vertreibung), der ursprüngliche Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen vergleiche VwGH 29.02.2024, Ra 2023/18/0370-13 mit Verweis auf VwGH 30.4.2021, Ra 2021/19/0024, mit Hinweisen auf VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0192, sowie VwGH 27.6.2016, Ra 2016/18/0055). Zur Bestimmung der Heimatregion kommt der Frage maßgebliche Bedeutung zu, wie stark die Bindungen des Asylwerbers an ein bestimmtes Gebiet sind. Hat er vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland nicht mehr in dem Gebiet gelebt, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist, ist der neue Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen, soweit der Asylwerber zu diesem Gebiet enge Bindungen entwickelt hat vergleiche VwGH 29.02.2024, Ra 2023/18/0370-13 mit Verweis auf VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0192, mit Hinweis auf VwGH 27.6.2016, Ra 2016/18/0055). Der Beschwerdeführer wurde in Syrien in Al Hasaka geboren, lebte dann aber durchgehend in Manbij, bis er im Alter von fünf Jahren Syrien mit seiner Familie illegal verlassen hat. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers in Syrien ist Manbij, da er zu diesem die größte Bindung hat. Zur Bestimmung der Heimatregion kommt in diesem Sinn der Frage maßgebliche Bedeutung zu, wie stark die Bindungen des Asylwerbers an ein bestimmtes Gebiet sind.

3.1.2.2. Zur vorgebrachten drohenden Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime:

In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird ausgeführt, dass drohende Bestrafung wegen der Weigerung der Teilnahme an einem von der Völkergemeinschaft verurteilten Kriegseinsatz dann zur Asylgewährung führen könne, wenn dem jeweiligen Asylwerber eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werde (siehe etwa VwGH 21.12.2000, 2000/01/0072). Der Verwaltungsgerichtshof vertritt darüber hinaus ausdrücklich die Auffassung, dass unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen – etwa gegen die Zivilbevölkerung – auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung darstellen kann (VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009). Dies ist auch in Artikel 9, Absatz 2, Litera e, der Richtlinie 2011/95/EU ausdrücklich festgehalten. Daher wäre eine (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 der genannten Richtlinie fallen, eine (drohende) asylrelevante Verfolgung.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt vergleiche VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn. 19, mwN). Würde der Wehrdienst dazu zwingen, an völkerrechtswidrigen Militäraktionen teilzunehmen, kann auch schon eine Bestrafung mit einer „bloßen“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein vergleiche VwGH 22.01.2024, Ra 2023/14/0437, Rz 10; sowie VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0274). Ist Letzteres der Fall, so kann dies aber auch auf der - generellen - Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhen, womit unabhängig von einer der Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion im konkreten Fall wirklich zugrundeliegenden religiösen oder politischen Überzeugung der erforderliche Zusammenhang zu einem Konventionsgrund gegeben wäre vergleiche VwGH 14.09.2016, Ra 2016/18/0085; 14.12.2004, 2001/20/0692).

In seinem Erkenntnis vom 28.02.2023, Ra 2023/20/0619, hielt der Verwaltungsgerichtshof zur - im Wesentlichen unverändert gebliebenen – Berichtslage weiters fest, dass sich aus den Länderberichten ein differenziertes Bild der Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und aus dieser Berichtslage nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass jedem den Militärdienst verweigernden Syrer eine oppositionelle Haltung unterstellt werde. Ferner verwies der Verwaltungsgerichtshof darauf, dass sich nach dieser Berichtslage gerade kein Automatismus dahingehend als gegeben annehmen lasse, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde vergleiche 28.02.2023, Ra 2023/20/0619, Rz 32; mwN). Selbige Aussage betreffend einen diesbezüglich nicht vorliegenden Automatismus traf der VwGH kürzlich erneut vergleiche VwGH 27.05.2024, Ra 2023/18/0495, Rz 20).

Wie der VwGH erneut festlegte vergleiche VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108, Rz 28), kommen alle Verfolgungshandlungen gegen Wehrdienstverweigerer - im Lichte des Unionsrechts - insbesondere solche nach Artikel 9, Absatz 2, Litera b,, c und e Statusrichtlinie in Betracht, also etwa eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung des Wehrdienstverweigerers (Artikel 9, Absatz 2, Litera c,) oder eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikel 12, Absatz 2, fallen (Artikel 9, Absatz 2, Litera e,); Letzteres betrifft u.a. Fälle, in denen der Militärdienst die Begehung von Kriegsverbrechen umfassen würde, einschließlich solcher, in denen der Asylwerber nur mittelbar an der Begehung solcher Verbrechen beteiligt wäre, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass er durch die Ausübung seiner Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde (EuGH 26.2.2015, C-472/13, Rs. Shepherd). Hätte der Wehrpflichtige seinen Militärdienst im Kontext eines allgemeinen Bürgerkriegs abzuleisten, der durch die wiederholte und systematische Begehung von Verbrechen oder Handlungen im Sinne von Artikel 12, Absatz 2, Statusrichtlinie durch die Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen gekennzeichnet ist, so besteht nach den Ausführungen des EuGH eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein Wehrpflichtiger unabhängig von seinem - allenfalls noch nicht bekannten - Einsatzgebiet dazu veranlasst sein würde, unmittelbar oder mittelbar an der Begehung der betreffenden Verbrechen teilzunehmen (EuGH 19.11.2020, C-238/19, Rs. EZ).

Selbst die Bejahung von Verfolgungshandlungen der geschilderten Art erübrigt es nicht, das Bestehen einer Verknüpfung zwischen (zumindest) einem der in Artikel 10, Statusrichtlinie bzw. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Verfolgungsgründe und den Verfolgungshandlungen individuell zu prüfen. Wie der EuGH bereits klargestellt hat, ist die Verweigerung des Militärdienstes in vielen Fällen Ausdruck politischer Überzeugungen (sei es, dass sie in der Ablehnung jeglicher Anwendung militärischer Gewalt oder in der Opposition zur Politik oder den Methoden der Behörden des Herkunftslandes bestehen), religiöser Überzeugungen oder sie hat ihren Grund in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. In diesen Konstellationen können die Verfolgungshandlungen aufgrund der Verweigerung des Wehrdienstes den einschlägigen Verfolgungsgründen zugeordnet werden vergleiche VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108, Rz 29f.).

In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass die (bloße) Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrelevante Verfolgung darstellt, sondern nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen kann vergleiche VwGH am 04.07.2023, Ra 2023/18/0108 Rz 32, VwGH 7.1.2021, Ra 2020/18/0491, mwN). Die Plausibilität der Verknüpfung zwischen der Verfolgungshandlung und den Verfolgungsgründen ist nach Auffassung des EuGH von den zuständigen nationalen Behörden in Anbetracht sämtlicher vom Asylwerber (oder der Asylwerberin) vorgetragenen Anhaltspunkte zu prüfen. Dabei spricht zwar eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Artikel 9, Absatz 2, Litera e, Statusrichtlinie genannten Voraussetzungen mit einem der fünf in Artikel 10, Statusrichtlinie genannten Gründe in Zusammenhang steht. Dies entbindet die Asylbehörde bzw. das nachprüfende BVwG aber nicht von der erforderlichen Plausibilitätsprüfung (EuGH Rs. EZ vergleiche dazu auch deutsches BVerwG, 19.1.2023, 1 C 22.21, u.a. Rn. 48 ff).

Entsprechend der zuletzt durch den VwGH am 24.04.2024 ergangenen Entscheidung vergleiche Ra 2024/20/0141) kann nicht allein aus der herangezogenen Berichtslage zur Situation in Syrien abgeleitet werden, dass jedem syrischen Staatsangehörigen, der ankündigt, den Militärdienst nicht ableisten zu wollen, im Heimatland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht. Es bedarf vielmehr unter Bedachtnahme auf die Verhältnisse in diesem Land immer einer Beurteilung unter Einbeziehung aller konkreten Umstände des Einzelfalls, ob im Fall der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus asylrechtlich relevanten Gesichtspunkten droht. Entsprechend dem VwGH ist es für die Asylzuerkennung für sich genommen nicht ausreichend, wenn der asylwerbende Fremde Gründe, warum er den Militärdienst nicht ableisten möchte, ins Treffen führt, die Ausdruck einer politischen oder religiösen Gesinnung sein können. Eine begründete Furcht vor Verfolgung muss in kausalem Zusammenhang mit einem der GFK-Fluchtgründen stehen vergleiche VwGH vom 24.04.2024, Ra 2024/20/0141, Rz 12ff).

Der Beschwerdeführer ist in seiner Heimatregion, welche sich im Einflussbereich der kurdischen Autonomiebehörden (SDF) befindet, unter Berücksichtigung der herangezogenen Länderberichte nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt, zum verpflichtenden Wehrdienst in der syrischen Armee einberufen zu werden bzw. aufgrund einer ihm zugeschriebenen oppositionellen Gesinnung vom syrischen Regime verfolgt zu werden, zumal das syrischen Regime grundsätzlich keinen Zugriff auf die dort lebende Bevölkerung hat und dort keine Rekrutierungen durchführen kann vergleiche zur Verfolgungsgefahr in einem kurdisch kontrollierten Gebiet VwGH 07.08.2023, Ra 2023/18/0139; 21.03.2023, Ra 2023/19/0013; 06.09.2018, Ra 2017/18/0055; sowie allgemein zu Gebieten ohne Zugriffsmöglichkeit des syrischen Regimes VwGH 26.09.2023, Ra 2023/18/0328).

Der Beschwerdeführer erfüllt zwar ein ausdrückliches Risikoprofil der Erwägungen des UNHCR zum Schutzbedarf von Personen, die aus Syrien fliehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Richtlinien von UNHCR Indizwirkung zu bzw. ist ihnen besondere Beachtung zu schenken vergleiche vergleiche VwGH 01.02.2022, Ra 2021/19/0056, Rn. 13, VwGH 05.03.2020, Ra 2018/19/0686; VwGH 13.02.2020, Ra 2019/19/0278). Der Beschwerdeführer erfüllt das Risikoprofil von Zivilpersonen (insbesondere Männer und Jungen im kampffähigen Alter) aus derzeit oder ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers liegt im Gouvernement Aleppo in der Stadt Manbij und befindet sich im Gebiet der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien und somit unter der Kontrolle der kurdischen Streitkräfte. Entsprechend dem Vorbringen im Verfahren würde der Beschwerdeführer zudem unter das UNHCR Risikoprofil von Kindern, die Rekrutierung von Minderjährigen überlebt haben oder einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind, fallen. Würde der Beschwerdeführer in Syrien vom syrischen Regime zwangsrekrutiert werden und er würde dies verweigern, würde er unter das Risikoprofil der Wehrpflichtverweigerer und daraus resultierende unterstellte Gesinnung, fallen. Ein solches Szenario stellt sich aus aktueller Sicht aber als sehr unwahrscheinlich dar.

3.1.2.3. Prognoseentscheidung:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die schutzsuchende Person in der Vergangenheit bereits verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung für sich genommen nicht hinreichend. Entscheidend ist vielmehr, dass der schutzsuchenden Person im Zeitpunkt der Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in der GFK bzw. in Artikel 10, Statusrichtlinie genannten fünf Verfolgungsgründe drohen würde vergleiche VwGH am 04.07.2023, Ra 2023/18/0108 Rz 16, mit Verweis auf VwGH 3.5.2016, Ra 2015/18/0212; VwGH 7.3.2023, Ra 2022/18/0284, mwN). Der VwGH stellte bereits mehrfach fest, dass sich das BVwG mit der zum Entscheidungszeitpunkt herrschenden Einberufungssituation in Syrien auseinandersetzen muss vergleiche VwGH 03.05.2022, Ra 2021/18/0250-8).

Der Verfassungsgerichtshof hat in vergleichbaren Fällen betreffend minderjährige Staatsangehörige Syriens festgehalten vergleiche zuletzt VfGH vom 26.02.2024, E 2721/2023-17), dass die asylrelevante Verfolgungsgefahr aktuell sein und somit im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes vorliegen muss (zB VfGH 19.9.2023, E1089/2023; vergleiche dazu auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, §3, K 61). Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylsuchende mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den Konventionsgründen zu befürchten habe (siehe VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Das BVwG darf demnach nicht ohne weiteres eine fehlende Aktualität der Verfolgung annehmen, sondern muss sich in einer Prognoseentscheidung mit einer etwaigen asylrelevanten Verfolgung im Zusammenhang mit der Gefahr der Einziehung zum Militärdienst bzw. einer Zwangsrekrutierung auseinandersetzen vergleiche zuletzt VfGH 10.06.2024, E 546/2024-16, Rz 15).

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich nicht nur mit der Gefahr einer möglichen Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers als Minderjähriger auseinanderzusetzen, sondern muss auch auf die Gefahr einer Zwangsrekrutierung bzw Einziehung zum Militärdienst eingehen, weil der Beschwerdeführer nach einer Rückkehr das "wehrfähige" Alter von 18 Jahren erreichen wird vergleiche zuletzt VfGH vom 26.02.2024, E 2721/2023-17).

Befindet sich der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Entscheidung in einem Alter von 16 Jahren und damit in einem Alter, in dem eine mögliche Zwangsrekrutierung ab Erreichen des 18. Lebensjahres – auch angesichts der bereits ein Jahr davor einsetzenden staatlichen Vorbereitungsmaßnahmen – bevorsteht, kann das Bundesverwaltungsgericht nicht allein mit dem Hinweis darauf, dass er derzeit das wehrfähige Alter von 18 Jahren noch nicht erreicht hat, eine Zwangsrekrutierung als Verfolgungsgefahr ausschließen vergleiche zuletzt VfGH vom 26.02.2024, E 2721/2023-17 mit Verweis auf VfGH 13.6.2023, E693/2023 ua; 27.2.2023, E3307/2022; 20.9.2022, E1138/2022; 13.6.2022, E2987/2022; 19.9.2023, E1089/2023).

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im Rahmen seiner Prognoseentscheidung mit einer etwaigen asylrelevanten Verfolgung im Zusammenhang mit der Gefahr einer Einziehung zum Militärdienst bzw einer Zwangsrekrutierung in solch einer Konstellation auseinanderzusetzen vergleiche zuletzt VfGH vom 26.02.2024, E 2721/2023-17, sowie VfGH vom 28.11.2023, E 46/2023 siehe auch VfGH 28.11.2023, E 1106/2023 und VfGH 27.11.2023, E 2533/2023).

Fallgegenständlich war somit zu bewerten, ob dem Beschwerdeführer aktuell bei einer Rückkehr Gefahr droht und eine Prognose abzugeben. Im vorliegenden Fall droht dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr aufgrund des noch nicht abgeleisteten Wehrdienstes keine unmittelbare individuelle Bedrohung.

Der Beschwerdeführer hat in Syrien keinen Militärdienst geleistet. Er ist gesund und wehdienstfähig. Ein Befreiungsgrund liegt in seinem Fall nicht vor. Einen Aufschub des Militärdienstes für die syrische Armee hat er nicht erwirkt und es liegt keine Befreiung vom Militärdienst durch Freikauf vor. Der Beschwerdeführer hat keine Einberufung zur syrischen Armee erhalten und besitzt auch kein Militärbuch der syrischen Armee.

Für männliche syrische Staatsangehörige zwischen 18 und 42 Jahren ist die Ableistung des Wehrdienstes in Syrien gesetzlich zwar verpflichtend und der Beschwerdeführer erreicht in weniger als zwei Jahren die Volljährigkeit. Im Alter von 17 Jahren sind die jungen Männer dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Für den Beschwerdeführer besteht somit in wenigen Monaten die im syrischen Recht verankerte Verpflichtung, die für den Wehrdienst vorbereitenden Tätigkeiten auszuführen und in etwas über einem Jahr hat er den Wehrdienst anzutreten. Der Beschwerdeführer ist in seiner Heimatregion, welche sich im Einflussbereich der kurdischen Autonomiebehörden befindet aber nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt, zum verpflichtenden Wehrdienst in der syrischen Armee einberufen zu werden, zumal das syrischen Regime grundsätzlich keinen Zugriff auf die dort lebende Bevölkerung hat und dort keine Rekrutierungen durchführen kann. Es ist nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer an einem Checkpoint des syrischen Regimes im Selbstverwaltungsgebiet für Nord- und Ostsyrien angehalten und zum Wehrdienst eskortiert wird.

Wie in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt, ist es dem Beschwerdeführer überdies möglich, in seinen Heimatort zu gelangen, ohne beim Grenzübertritt oder auf dem Weg in die Herkunftsregion mit Vertretern des syrischen Regimes in Kontakt zu kommen. Der Beschwerdeführer kann in den Herkunftsstaat über den auf syrischer Seite von den kurdischen Autonomiebehörden verwalteten Grenzübergang Semalka – Faysh Khabour einreisen und in der Folge über ein unter kurdischer Kontrolle stehendes Gebiet in seinen Herkunftsort Manbij im syrischen Gouvernement Aleppo reisen, ohne Gebiete im Einflussbereich der syrischen Regierung durchqueren zu müssen. Da der Beschwerdeführer sohin im Fall der (hypothetischen) Rückkehr nicht mit Vertretern des syrischen Regimes in Kontakt treten müsste, besteht schon aus diesem Grund keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass dem Beschwerdeführer beim Grenzübertritt oder bei der Rückkehr in seine Heimatregion asylrelevante Verfolgung durch das syrische Regime – insbesondere im Kontext der vorgebrachten Wehrdienstverweigerung – droht vergleiche VwGH 26.09.2023, Ra 2023/18/0328; 04.07.2023, Ra 2023/18/0108; VfGH 05.10.2023, E 1178/2023; 29.06.2023, E 3450/2022; zum Erfordernis, dass Verfolgungshandlungen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen, um Asylrelevanz zu entfalten vergleiche zB VwGH 13.06.2023, Ra 2023/20/0195; zur erforderlichen Prognosebeurteilung siehe auch VfGH 13.06.2023, E 2987/2022; VwGH 29.06.2023, Ra 2022/01/0285). Dass das syrische Regime im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers in naher Zukunft die Kontrolle übernehmen würde, ist nicht absehbar.

Es ist darauf hinzuweisen, dass dem Risiko des Beschwerdeführers, infolge der allgemein schlechten Sicherheitslage in seinen Rechten nach Artikel 2, EMRK und Artikel 3, EMRK verletzt zu werden, bereits durch die Gewährung von subsidiären Schutz Rechnung getragen und somit auch das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative iSd Artikel 8, Absatz eins, Status-RL verneint wurde. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 29.02.2024, Ra 2024/18/0043, festgehalten hat, kann es aus asylrechtlicher Sicht nicht darauf ankommen, ob die Einreise in einen verfolgungssicheren Landesteil aus der Sicht des potentiellen Verfolgers (hier: des syrischen Regimes) legal stattfindet, sondern nur, ob die den Grenzübergang beherrschenden Autoritäten eine Einreise in das sichere Gebiet zulassen vergleiche zuletzt VwGH 10.05.2024, Ra 2021/01/0141, sowie VwGH 29.02.2024, Ra 2024/18/0043, Rz 11). Fallbezogen ist sohin entscheidend, dass es dem Beschwerdeführer – wie in der Beweiswürdigung ausführlich dargestellt – möglich ist, in seinen Herkunftsort zu gelangen, ohne asylrechtlich relevanter Verfolgung ausgesetzt zu sein. Lediglich der Vollständigkeit halber ist in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer auch in der Lage ist, die für die Einreise erforderlichen Voraussetzungen zu erfüllen, wenngleich dies für ihn mit einem hohen Aufwand verbunden ist.

Dem Vorbringen, wonach dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat die Einziehung zum verpflichtenden staatlichen Wehrdienst drohe kann somit fallbezogen, aufgrund mangelnder Zugriffsmöglichkeit des syrischen Regimes auf den Beschwerdeführer, keine Asylrelevanz zukommt.

3.1.2.4. Zur vorgebrachten drohenden Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Streitkräfte:

Der Beschwerdeführer wurde nicht von kurdischen Kräften aufgefordert, einen Wehrdienst abzuleisten. Der aktuell 16-jährige Beschwerdeführer, der im Alter von fünf Jahren aus Syrien ausgereist ist, hat den Militärdienst für die Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien nicht abgeleistet. Gegenüber dem Beschwerdeführer besteht aktuell keine maßgebliche Gefahr, als Minderjähriger bei einer Rückkehr durch die kurdische SDF zwangsrekrutiert zu werden.

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bei Auseinandersetzung mit einem Minderjährigen Beschwerdeführer nicht nur mit der Gefahr einer möglichen Zwangsrekrutierung als Minderjähriger durch die SDF auseinanderzusetzen, sondern muss auch auf die Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die SDF, wenn der Beschwerdeführer nach einer Rückkehr das "wehrfähige" Alter erreicht, eingehen vergleiche VfGH 13.6.2023, E693/2023, Rz 13). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es zu Überprüfungen von möglichen Rekruten an Checkpoints und auch zu Ausforschungen komme und das "Dekret Nr. 3 vom 4. September 2021" teilweise mit Gewalt durchgesetzt werde, muss sich das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Prognoseentscheidung mit einer etwaigen asylrelevanten Verfolgung im Zusammenhang mit der Gefahr einer Zwangsrekrutierung in der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien" im Zuge des Erreichens der Volljährigkeit auseinandersetzen vergleiche VfGH 13.6.2023, E693/2023, Rz 15).

Bezüglich der vom Beschwerdeführer geäußerten Furcht vor Verfolgung durch die SDF/YPG ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer – wie in der Beweiswürdigung ausgeführt - der als „Selbstverteidigungspflicht“ bezeichneten Wehrpflicht der kurdischen Autonomiebehörden unterliegt und ihm im Fall der Verweigerung die zwangsweise Rekrutierung durch die kurdischen Streitkräfte droht. Er müsste bei einer Rückkehr mit einer baldigen Rekrutierung zur Selbstverteidigungspflicht im Alter von 18 Jahren rechnen.

Die „Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ ist ein de facto autonomes Gebiet im Nordosten von Syrien, das jedoch nicht anerkannt ist. Bereits aus diesem Grund, liegt – mangels Militärdienstes eines souveränen Staates – im Hinblick auf die „Selbstverteidigungspflicht“ in der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien der Tatbestand einer Verfolgungshandlung gemäß Artikel 9, Absatz 2, Litera e, der Statusrichtlinie nicht vor. Von einer – nicht asylrelevanten – Zwangsrekrutierung durch einen nichtstaatlichen Akteur ist jene Verfolgung zu unterscheiden, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Rekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht an. Dabei ist entscheidend, mit welchen Reaktionen auf Grund der Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, zu rechnen ist und ob in dem Verhalten eine – sei es auch nur unterstellte – politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird vergleiche VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0079).

Das Völkerrecht verleiht nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen nicht das Recht, Personen zwangsweise oder verpflichtend einzuziehen, gleichgültig, ob ein bestimmter Teil des Hoheitsgebiets de facto unter ihrer Kontrolle steht oder nicht vergleiche UNHCR-Richtlinien zum Internationalen Schutz Nr. 10: Anträge auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus Gründen des Militärdienstes im Zusammenhang mit Artikel 1 (A) 2 des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Sitzung 5). Folglich ist eine nicht freiwillige Rekrutierung durch SDF/YPG als Zwangsrekrutierung anzusehen, auch wenn sie im Rahmen der Pflicht zur Selbstverteidigung erfolgt vergleiche EUAA Country Guidance: Syria, Stand Februar 2023, Sitzung 86). Entsprechend der Länderinformationen ist es aber nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rekrutierung durch die kurdischen Streitkräfte an der Front eingesetzt werden würde und sich an Kämpfen aktiv beteiligen müsste. Rekruten werden normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz eingesetzt. Im Falle einer Einziehung durch die kurdischen Streitkräfte ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sich der Beschwerdeführer an völkerrechtswidrigen Militäraktionen beteiligen müsste. Zudem besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass ihm im Falle der Weigerung unverhältnismäßige Bestrafung, Folter oder die Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung drohen würde.

Im Verfahren wurde vorgebracht, der Beschwerdeführer würde dem UNHCR Risikoprofil von Personen unterliegen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner der Syrian Democratic Forces (SDF) / Volksschutzeinheiten (YPG), der Partei der Demokratischen Union (PYD) und der Institutionen der Autonomieregion sind. UNHCR ist der Auffassung, dass Männer wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen, die eine Ableistung des Dienstes bei den „Selbstverteidigungseinheiten“ ablehnen, wenn die Ablehnung als Ausdruck einer SDF/YPG-feindlichen Gesinnung und/oder einer Unterstützung von ISIS oder SNA wahrgenommen wird. Den UNHCR-Erwägungen aus März 2021 und dem EUAA-Bericht „Syria: Targeting of Individuals“ aus September 2022 ist entsprechend dem VwGH zwar die Notwendigkeit der Bedachtnahme auf Umstände des Einzelfalls, aber kein allgemeines Verfolgungsrisiko für ethnische Araber, die den Wehrdienst in den SDF ablehnen, zu entnehmen vergleiche VwGH 29.02.2024, Ra 2024/18/0043, Rz 15). Auch für den kurdischen Beschwerdeführer besteht kein allgemeines Verfolgungsrisiko.

Die Asylgewährung erfordert neben der Prüfung, ob die schutzsuchende Person bei Rückkehr in den Herkunftsstaat tatsächlich „Verfolgung“ im asylrechtlichen Sinne zu gewärtigen hätte, auch den Konnex dieser Verfolgungshandlung mit einem der fünf in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Konventionsgründe („Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“), die in Artikel 10, Statusrichtlinie näher umschrieben werden vergleiche dazu VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108, Rn 27 ff). Die Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch SDF/YPG als solche steht nicht generell in Zusammenhang mit einem der Konventionsgründe vergleiche EUAA Country Guidance: Syria, Stand Februar 2023, Sitzung 86). Nach den der gegenständlichen Entscheidung als Sachverhalt zugrunde gelegten Länderberichten sehen die kurdischen Autonomiebehörden eine Verweigerung des Militärdienstes in der „Demokratischen Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien“ mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung. Der Beschwerdeführer hat kein Verhalten gesetzt aufgrund dessen ihm seitens der kurdischen Autonomiebehörden eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird. Zudem vertritt der Beschwerdeführer keine politische Haltung oder religiöse Überzeugung, welche der Ableistung des Militärdienstes der AANES entgegensteht. Die Zwangsrekrutierung (mit allenfalls vorangehender kurzfristiger Inhaftierung) knüpft nicht an eine tatsächliche oder unterstellte politische oder religiöse Haltung des Beschwerdeführers (oder einen sonstigen in Artikel 10, Statusrichtlinie genannten Grund) an, sondern ist eine Maßnahme, die sämtliche von der „Selbstverteidigungspflicht“ umfasste Personen, die sich dieser – aus welchem Grund auch immer – entziehen, betrifft. Dem Beschwerdeführer ist es überdies im gegenständlichen Verfahren nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass er die Ableistung der „Selbstverteidigungspflicht“ aufgrund einer tatsächlichen politischen oder religiösen Haltung ablehnt. Soweit er im Verfahren anmerkte, dass er das Töten unschuldiger Menschen generell ablehne, ist nochmals festzuhalten, dass er im Fall der Zwangsrekrutierung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in eine Situation geraten würde, in der er sich an Kampfhandlungen zu beteiligen hätte. Konkrete Gründe (insbesondere politischer oder religiöser Natur), weshalb er den Dienst mit dem voraussichtlichen Einsatzgebiet (ideologische und militärische Ausbildung, Dienst an Bewachungsposten bzw. im Nachschub) ablehnt, nannte er im Verfahren nicht.

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt ist angesichts des Alters des Beschwerdeführers, weil er die „Selbstverteidigungspflicht“ noch nicht erfüllt hat und „Selbstverteidigungspflichtige“ auch einberufen und ausgeforscht werden, die von ihm vorgebrachte Furcht vor einer Einberufung zum Wehrdienst in der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien durchaus begründet. Eine Verbindung zwischen einer mit zumindest maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden Rekrutierungshandlung zu einem der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, genannten Gründe der GFK kann aber nicht erkannt werden: So folgt aus den Länderfeststellungen, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Verweigerung der „Selbstverteidigungspflicht“ in der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien keine politische oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde. Soweit der Beschwerdeführer von den Folgen der Verweigerung der „Selbstverteidigungspflicht“ in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ betroffen sein könnte, haben sich auch keinerlei konkrete Hinweise für eine auf Konventionsgründen beruhende unverhältnismäßige Bestrafung des Beschwerdeführers ergeben. Weder hat der Beschwerdeführer – unbeschadet obiger Ausführungen zur fehlenden Charakterisierung der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ als souveräner staatlicher Akteur - entsprechend der Feststellungen und der Beweiswürdigung im kurdischen Selbstverwaltungsgebiet mit derartigen unverhältnismäßigen Sanktionen zu rechnen noch steht die Teilnahme an völkerrechtswidrigen Militäraktionen im Raum. Auch wird dem Beschwerdeführer im Falle der Verweigerung keine oppositionelle Gesinnung unterstellt. Ob der Beschwerdeführer den Wehrdienst daher aus politischen oder religiösen Überzeugungen ablehnt, kann mangels Zutreffens der weiteren von den Höchstgerichten proklamierten Kumulativvoraussetzungen dahingestellt bleiben. Eine Verknüpfung zum Konventionsgrund der politischen Gesinnung ist daher bei gesamthafter Betrachtung der Reaktionen der de facto Behörden der kurdischen Selbstverwaltung nicht herzustellen.

Ebenso wenig kann eine Verknüpfung zum Konventionsgrund „bestimmte soziale Gruppe“ erkannt werden: Die Mitglieder der Gruppe müssen „angeborene Merkmale“ oder einen „Hintergrund, der nicht verändert werden kann“, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, „die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten“. Zum anderen muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Eine soziale Gruppe kann nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist vergleiche VwGH 28.05.2020, Ra 2019/18/0421, mwN). Aus den herangezogenen Länderberichten lässt sich jedenfalls nicht ableiten, dass Personen, die den Militärdienst verweigern, von der sie umgebenden Gesellschaft – den Bewohnern des Selbstverwaltungsgebietes in Nord- und Ostsyrien – als „andersartig“ betrachtet werden.

Eine "begründete Furcht vor Verfolgung" im Sinne von Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK, ist daher insoweit nicht gegeben.

3.1.2.5. Betreffend die weiteren Vorbringen:

Dem Beschwerdeführer droht auch keine Zwangsrekrutierung durch eine andere Kriegspartei in Syrien wie durch die FSA. Im von den kurdischen Streitkräften kontrollierten Herkunftsgebiet Manbij haben die FSA keine Zugriffsmöglichkeit auf den Beschwerdeführer. Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung durch den Islamischen Staat (IS) oder andere oppositionelle Gruppierungen in Syrien.

Ebenso wenig ergibt sich aus den Länderberichten eine Verfolgung aller Rückkehrer, die im Ausland um Asyl angesucht haben. Es liegen auch keine Anhaltspunkte vor, die darauf schließen lassen würden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu erwarten hätte.

3.1.2.6. Ergebnis:

Der Beschwerdeführer konnte zusammengefasst nicht glaubhaft machen, dass ihm im Herkunftsstaat seitens einer der syrischen Konfliktparteien aufgrund einer vermeintlich unterstellten politischen Gesinnung - oder aus anderen Gründen - Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht.

Wie ausgeführt besteht für den Beschwerdeführer, dessen Herkunftsregion Manbij im kurdisch kontrollierten Gebiet liegt, trotz des in absehbarer Zukunft liegenden Eintritts des wehrpflichtigen Alters im gegenständlichen Fall keine Gefahr, im Falle seiner Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zum Wehrdienst in der syrischen Armee einberufen zu werden. Eine maßgebliche Gefahr, dass er sich hier an völkerrechtswidrigen militärischen Aktionen beteiligen müsste, liegt damit ebenfalls nicht vor. Ebenso wenig droht ihm in Anbetracht dessen eine unverhältnismäßige Bestrafung oder die Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung im Weigerungs- oder Entziehungsfall durch das syrische Regime.

Gegenüber dem Beschwerdeführer besteht aktuell keine maßgebliche Gefahr, als Minderjähriger bei einer Rückkehr, durch die kurdische SDF zwangsrekrutiert zu werden. Die für den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr bestehende Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die SDF/YPG ab Erreichen der Volljährigkeit, steht nicht in Zusammenhang mit einem der Konventionsgründe. Soweit der Beschwerdeführer von den Folgen der Verweigerung der „Selbstverteidigungspflicht“ in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ betroffen sein könnte, haben sich auch keinerlei konkrete Hinweise für eine auf Konventionsgründen beruhende unverhältnismäßige Bestrafung des Beschwerdeführers ergeben.

Auch aus der allgemeinen Lage in Syrien lässt sich konkret für den Beschwerdeführer kein Status eines Asylberechtigten ableiten. Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden vergleiche etwa VwGH vom 14.03.1995, Zl. 94/20/0798 sowie VwGH vom 17.06.1993, Zl. 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen vergleiche z.B. VwGH vom 09.05.1996, Zl. 95/20/0161; vom 30.04.1997, Zl. 95/01/0529, sowie vom 08.09.1999, Zl. 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Anknüpfungspunkt – nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung – zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen wäre. Der Bürgerkriegszustand betrifft nicht speziell den Beschwerdeführer, sondern die gesamte syrische Bevölkerung in gleicher Weise und ist daher nicht asylrelevant. Der allgemeinen Gefährdung des Beschwerdeführers durch die derzeitige Lage in Syrien, wurde im gegenständlichen Verfahren bereits mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, AsylG 2005 durch die belangte Behörde Rechnung getragen.

Die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (gegen Spruchpunkt römisch eins. des gegenständlichen Bescheides) war daher als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2024:W250.2287276.1.00