Bundesverwaltungsgericht
15.07.2024
W119 2217686-2
W119 2217686-2/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde der römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Iran, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Manfred SCHIFFNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.08.2023, Zahl: 1209607703/231057735, nach einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin reiste unter Verwendung eines gefälschten slowenischen Reisepasses am 15.10.2018 gemeinsam mit ihrem Bruder in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz.
Anlässlich ihrer Erstbefragung am 16.10.2018 gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, Angehörige der Volksgruppe der Perser und Schiitin zu sein. Sie stamme aus dem Iran, wo sich nach wie vor ihre Mutter, ihre Schwester und ihr zweiter Bruder aufhielten, der Vater sei bereits verstorben. Zu ihrem Fluchtgrund gab sie im Wesentlichen zu Protokoll, sie habe eines Tages am Nachhauseweg von der Arbeit ein junges Mädchen kennengelernt. Sie hätten Gefallen aneinander gefunden und daraus sei eine geheime intime Beziehung geworden. Der Vater des Mädchens arbeite in der Regierung und habe etwas von der Beziehung mitbekommen. Das Mädchen habe der Beschwerdeführerin gesagt, wenn ihr Vater sie erwischen würde, würde er dafür sorgen, dass die Beschwerdeführerin gesteinigt würde.
Am 25.02.2019 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen und gab auf das Wesentlichste zusammengefasst an, sie stamme aus Teheran, habe im Iran 12 Jahre die Schule besucht, mit der Matura abgeschlossen, als Buchhalterin gearbeitet, danach eine Ausbildung als Make Up-Artist gemacht und dann vier Jahre als Make Up-Artist gearbeitet. Ihre Familie (Mutter, Schwester und Bruder) lebe noch im Iran. Die Beschwerdeführerin habe zu ihnen Kontakt. Sie sei ledig und habe keine Kinder.
Zu ihren Fluchtgründen gab sie im Wesentlichen an, sie habe zwei Monate vor ihrer Ausreise aus dem Iran am Nachhauseweg von der Arbeit im Bus eine Frau kennengelernt und auch erfahren, dass deren Vater für die Regierung arbeite. Sie hätten sich einige Male getroffen und es habe sich eine intime Beziehung zwischen ihnen entwickelt. Etwa nach einer Woche habe die Frau gesagt, dass ihre Familie von der Beziehung erfahren habe und ihr Vater würde die Person töten, wenn er herausfinde, wer es gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe bei der Beziehung mit der Frau bemerkt, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühle, und sie sei nach wie vor homosexuell. Der Vater der Frau würde sie im Fall einer Rückkehr in den Iran finden und töten. Außerdem habe sie im Iran keine Freiheit und müsse einen Hijab tragen.
Die Beschwerdeführerin legte Unterlagen vor (Fotos von einem Personalausweis und einer Geburtsurkunde, Zertifikate über den Abschluss von Ausbildungen zur Make Up-Spezialistin).
Mit Bescheid vom 26.02.2019, Zl. 1209607703-180987560, wies das Bundesamt den (ersten) Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran ab (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch II.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.). Es wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG in den Iran zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.) und dass gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt römisch VI.).
Dagegen wurde rechtzeitig Beschwerde erhoben.
Mit Urteil des Landesgerichtes römisch 40 vom römisch 40 wurde die Beschwerdeführerin wegen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach Paragraphen 223, Absatz 2,, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Die Beschwerdeführerin erstattete durch ihre Rechtsvertretung mit Schreiben vom 24.11.2022 eine Stellungnahme, in der auf die aktuelle Lage im Iran verwiesen wurde und auf die Situation von Frauen sowie Personen, die Teil der LGBTIQ Community sind. Der Beschwerdeführerin drohe aufgrund der kumulativen Gefährdungsfaktoren – westliche Orientierung, sexuelle Orientierung, langer Aufenthalt im Ausland und Asylantragstellung, äußeres Erscheinungsbild, Geschlecht – im Falle einer Rückkehr Verfolgung aufgrund der durch das iranische Regime zumindest unterstellten, oppositionellen Gesinnung. Außerdem drohe der Beschwerdeführerin Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen. Beigelegt waren Integrationsunterlagen.
Nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 28.11.2022 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2019, Zl. 1209607703-180987560, mit mündlich verkündetem Erkenntnis als unbegründet ab.
Am 19.12.2022 erfolgte die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.
Begründend wurde im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
„II.1.1. Zur Identität und sozialem Hintergrund der BF:
Die BF führt den im Spruch angeführten Namen und das dort genannte Geburtsdatum. Die Feststellungen zur Identität der BF gelten ausschließlich für die Identifizierung ihrer Person im Asylverfahren. Sie ist iranische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Perser. Sie bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Ihre Muttersprache ist Farsi. Sie ist geschieden und hat keine Kinder.
Die BF stammt aus Teheran und hat dort mit ihrer Familie gelebt. Sie hat zwölf Jahre die Schule besucht und diese mit Matura abgeschlossen. Danach hat sie zunächst als Buchhalterin gearbeitet. Dann hat sie eine Ausbildung als Make-Up Artistin absolviert und diesen Beruf vier Jahre lang ausgeübt. Die BF und ihre Familie konnten ihren Lebensunterhalt im Iran problemlos bestreiten.
Der Vater der BF ist bereits verstorben. Im Iran leben noch die Mutter, die Schwester und ein Bruder der BF. Die BF hat zu ihnen Kontakt. Die Schwester der BF ist verheiratet. Der Bruder arbeitet freiberuflich als Autoverkäufer. Die Mutter der BF erhält eine Rente vom verstorbenen Vater der BF. Die Familie der BF hat ein eigenes Haus, das ihrem Vater gehört hat und das vermietet wird. Die Familie der BF (Mutter und Bruder) lebt, wie bereits vor der Ausreise der BF aus dem Iran, in einer eigenen Wohnung.
Die BF ist gesund und arbeitsfähig.
römisch II.1.2. Zum Leben der BF in Österreich:
Die BF reiste am 15.10.2018 gemeinsam mit ihrem zweiten Bruder über Malaysia und Thailand auf dem Luftweg unter Verwendung eines gefälschten slowenischen Reisepasses in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Sie befindet sich seither in Österreich.
In Österreich lebt der genannte Bruder der BF, der in Österreich ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und dem von der belangten Behörde der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde. Die BF lebt mit ihm nicht im gemeinsamen Haushalt, die beiden sehen sich ab und zu. Ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis besteht nicht.
Die BF hat in Österreich ansonsten keine Familienangehörigen. Sie bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Sie hat in Österreich Deutschkurse bis zum Niveau B1 besucht und das ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A1 absolviert. Sie möchte sich für die Prüfung zum B1-Zertifikat anmelden und besucht einen Deutschkurs an der Universität. Die BF hat einen Lehrgang bzw. Basisbildungskurse abgeschlossen, bei denen die deutsche Sprache und digitale Kompetenzen vermittelt wurden. Die BF hat ehrenamtlich als Reinigungskraft gearbeitet. Sie ist in einem Verein römisch 40 ehrenamtlich als Mitarbeiterin tätig (u.a. Dolmetsch-Tätigkeiten). Sie hilft auch bei der Kleiderreinigung bei der Caritas und der Diakonie. Die BF lebt in Österreich in einer Unterkunft für Asylwerber, wo sie manchmal mit Dolmetsch-Tätigkeiten aushilft. Sie hat österreichische und iranische Freunde und Bekannte in Österreich.
Die BF ist in Österreich strafgerichtlich nicht unbescholten:
Sie wurde mit Urteil des Landesgerichtes römisch 40 vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , rechtskräftig wegen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach Paragraphen 223, Absatz 2,, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass die BF im Zuge ihrer Einreise nach Österreich eine falsche ausländische öffentliche Urkunde, die gemäß Paragraph 2, FPG inländischen öffentlichen Urkunden gleichgestellt ist, nämlich einen falschen slowenischen Reisepass im Rechtsverkehr zum Beweis ihres Rechtes zur Einreise gebraucht hat, indem sie diesen bei der Einreisekontrolle vorwies.
römisch II.1.3. Zu den Fluchtgründen der BF:
Hinsichtlich der BF kann keine individuelle Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention im Herkunftsstaat festgestellt werden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF im Iran sexuelle Beziehungen zu Frauen geführt hat. Die von der BF vorgebrachten Gründe für ihre Ausreise werden mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens nicht festgestellt. Es wird auch nicht festgestellt, dass die BF bei einer Rückkehr in den Iran vom Vater ihrer damaligen angeblichen Partnerin bedroht bzw. verfolgt wäre. Eine Verfolgung der BF aufgrund homosexueller Aktivitäten im Iran liegt nicht vor. Die BF lebt aktuell in keiner Partnerschaft. Dass die BF homosexuell oder bisexuell orientiert ist, wird nicht festgestellt.
Die BF hat ihren Herkunftsstaat nicht aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen und hätte nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch keine asylrelevanten Übergriffe in diesem Zusammenhang zu befürchten. Im Falle der Rückkehr in den Iran droht der BF aus den vorgebrachten Gründen weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch den iranischen Staat oder Privatpersonen.
Eine grundlegende und verfestigte Änderung der Lebensführung der BF, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Iran nicht gelebt werden könnte, liegt nicht vor.
Die BF tritt nicht spezifisch gegen den Islam oder Religion generell auf. Sie hat keine Verhaltensweisen verinnerlicht, die bei einer Rückkehr in den Iran als Abkehr vom Islam gewertet werden würden.
Die BF war im Herkunftsland nicht politisch tätig und gehörte keiner politischen Organisation oder Partei an. Sie hatte keine Probleme mit den Behörden ihres Heimatlandes. Sie hatte auch keine Probleme aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit. Zudem hatte sie keine Probleme mit Privatpersonen, Personengruppen oder kriminellen Organisationen. Die BF hat weder damals im Iran noch aktuell in Österreich regimekritische Aktivitäten gesetzt oder dahingehende Äußerungen getätigt. Sie hat nicht an Demonstrationen teilgenommen und sich nicht als Aktivistin betätigt und derartige Aktivitäten der BF sind auch im Fall einer Rückkehr in den Iran nicht zu erwarten.
Die BF konnte insgesamt nicht glaubhaft machen, dass sie ihren Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte.“
Am 29.11.2022 wurde ein Verfahren zur Durchsetzung und Effektuierung der Ausreiseentscheidung eingeleitet. Mit Mandatsbescheid vom 25.01.2023 wurde der Beschwerdeführerin aufgetragen, sich ein iranisches Reisedokument zu beschaffen, mit Mandatsbescheid vom 21.02.2023 wurden ihr Auflagen während der Frist zu ihrer freiwilligen Ausreise mitgeteilt.
Am 01.06.2023 stellte die Beschwerdeführerin daraufhin den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.
Am 05.10.2023 fand ihre polizeiliche Erstbefragung im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi statt. Befragt zu der Änderung ihrer Fluchtgründe gab die Beschwerdeführerin an, ihre Religion habe sich geändert, sie sei zum Christentum konvertiert. Zudem sei sie dreimal wegen niedrigen Blutzuckers im Krankenhaus gewesen, habe dreimal einen Psychotherapeuten aufgesucht und sich zudem Anfang Jänner eine Woche im Frauenhaus aufgehalten.
Bei einer Rückkehr würde sie wegen ihrer Konversion die Todesstrafe erwarten. Konvertiert sei sie vor drei Monaten, seit damals besuche sie die Kirche.
Am 31.07.2023 fand die Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt im Beisein einer weiblichen Dolmetscherin, ihrer ausgewählten Vertrauensperson und unter Leitung einer weiblichen Verfahrensführerin statt und legte sie zusätzlich folgende Unterlagen vor:
- Iranische ID-Card im Original, in Kopie und mit Übersetzung;
- Bestätigung der Ledigkeit/Scheidung im Iran in Kopie mit Übersetzung;
- Zwei Arbeitszertifikate im Original mit Übersetzungen;
- Diverse Kursbestätigungen im Original aus Österreich, eine Bestätigung des Vereins römisch 40 sowie ein ÖSD Zertifikat A1.
Ihren iranischen Reisepass habe sie in Malaysia „weggeschmissen“.
Die Beschwerdeführerin sei gesund. Sie habe drei psychotherapeutische Termine gehabt, aber ihre Psychotherapeutin sei im Urlaub. Die Beschwerdeführerin nehme keine Medikamente, sie mache nur eine Therapie. Sie habe viel Angst wegen der Rückkehr in den Iran und deshalb Schlafstörungen gehabt. Sie mache sich viele Gedanken.
Im Iran befänden sich noch ihre Mutter, die geschiedene Schwester und ein Bruder, alle im selben Haushalt. Es gebe auch Tanten und Onkel. Die Angehörigen befänden sich in Teheran, sie hätten Kontakt. Die Mutter erhalte eine Pension, der Bruder sei arbeitslos. Ein älterer Bruder lebe in Wien.
Die persönliche Situation bzw. Lage im Iran seit dem ersten Asylverfahren habe sich dahingehend geändert, dass die Beschwerdeführerin konvertiert sei und nunmehr als Religionszugehörigkeit „Christentum. Evangelisch, protestantisch“ habe.
Nachgefragt, wann sie erstmals auf das Christentum aufmerksam geworden wäre, erklärte die Beschwerdeführerin: „Genau in diesem Jahr, im Februar oder März. Ich habe diese Informationen von einem Freund erhalten. Sie sagte mir, wenn ich zum Christentum konvertiere, finde ich meinen richtigen Weg.“
Seit damals interessiere sie sich dafür. Sie habe von einer Freundin eine Nummer von einem Mann namens römisch 40 erhalten und zeigte diesbezüglich einen Brief vor. Getauft sei sie noch nicht, weil römisch 40 im Urlaub sei. Termin habe sie auch keinen, wenn er aus dem Urlaub zurückkehre, würden sie darüber reden. Eigentlich wohne römisch 40 in Wien, ein- oder zweimal komme er nach römisch 40 , die Beschwerdeführerin habe ihn nur dreimal getroffen. Sie habe ihm eine Nachricht geschickt und wisse nicht, wann er aus dem Urlaub zurückkehre und was er dann entscheide. Wegen der Taufe habe sie keine Vorbereitungen gehabt, aber jeden Sonntag gehe sie in die „Klasse“, gemeint die Kirche. „Wir lesen das Buch dort, reden darüber und diskutieren darüber.“ Ihre Familie habe Kenntnis davon, dass sie derzeit eine evangelische Kirche besuche.
Dass sie gerade zum evangelischen Zweig konvertiert sei, erklärte die Beschwerdeführerin damit, sie habe mehr Informationen von dieser Richtung bekommen und wolle auch in dieser Richtung bleiben. In ihrem Heimatland habe sie Interesse gehabt, aber im Iran dürfe man nicht konvertieren. Die Leute versteckten das alles.
Die Taufe bedeute Wiederleben oder ein neues Leben. Die Beschwerdeführerin habe in „diesem Buch“ gelesen und sie hätten darüber in der Klasse geredet. „Wir sagen spezielles Buch oder sauberes Buch. Ich weiß nicht, wie es auf Deutsch heißt, es steht nur auf Farsi darauf.“ Sie wisse nicht, ob es sich um eine Bibel handelt. Gelesen habe die Beschwerdeführerin nur dieses spezielle Buch auf Farsi. Sie habe auch viele Filme über Jesus gesehen, konkret auf Farsi „Die Schwierigkeiten und Probleme von Jesus“ auf YouTube.
Nachgefragt, wie sie ihren christlichen Glauben im Alltag praktiziere, erwiderte die Beschwerdeführerin: „Ja. Einmal in der Woche, am Sonntag, von 10:00 bis 15:15.“ Unter der Woche gehe sie nicht in die Kirche, aber lese selbst das Buch. Unter der Woche sei niemand in der Kirche. Diese sei in einem Hotel in römisch 40 , sie hätten dort ein Zimmer gemietet. Die Beschwerdeführerin kenne nur diesen Platz. Wenn jemand konvertiere, dann komme er in dieses Zimmer und dort „lesen wir“. Sie kenne viele Kirchen in römisch 40 , aber persönlich sei sie noch nie dort gewesen.
Der Ablauf in ihrer Kirche gestalte sich folgendermaßen:
„Es ist ein amerikanisches Ehepaar. Die beiden lesen uns das Buch vor, es gibt auch einen Dolmetscher, der das übersetzt. Man kann dort sitzen, wo man will. Einmal im Monat gibt es dort auch Essen und auch dazwischen haben wir 15 Minuten Pause. Dann beten wir gemeinsam alle.“ Es gebe keine Pflichten oder Regeln.
Die Beschwerdeführerin sei deswegen eine Woche im Frauenhaus gewesen, weil ein iranischer Mann aus Deutschland gekommen sei und gewollt habe, dass sie ihn unbedingt heirate. Sie habe abgelehnt und er sie deswegen bedroht, sie habe Anzeige erstattet und ihn danach nicht mehr gesehen.
Mit dem gegenständlich bekämpften Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 01.06.2023 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.), als auch gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.) und gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt römisch IV.). Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß Paragraph 46, FPG in den Iran zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.) und gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise in der Dauer von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt römisch VI.).
Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, die Konversion der Beschwerdeführerin sei nicht glaubhaft und ihr drohe im Iran keine Verfolgung.
Dagegen wurde rechtzeitig Beschwerde in vollem Umfang erhoben. In dieser wurde im Wesentlichen vorgebracht, die Beschwerdeführerin habe bereits im Iran von einer Kollegin vom Christentum erfahren und sich dafür interessiert. Nachdem sie ihren italienischen Freund in Österreich kennengelernt habe, habe sie begonnen, sich mehr mit der Religion zu beschäftigen. Im ersten Asylverfahren habe sie sich jedoch noch nicht intensiv mit dem Christentum befasst. Ihr christlicher Glauben habe sich seit ihrer Beziehung mit ihrem italienischen Verlobten stark intensiviert. Die Beschwerdeführerin besuche jeden Sonntag den römisch 40 in römisch 40 , am 03.09.2023 sei sie getauft worden, Taufzertifikat und Empfehlungsschreiben wurden angehängt. Die Beschwerdeführerin habe wegen ihres Abfalls vom Islam und ihrer Konversion zum Christentum bei einer Rückkehr in den Iran damit zu rechnen, aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen verfolgt zu werden. Es sei für sie unvorstellbar, wieder ein Leben nach islamischen Regeln zu leben, wie sie es im Iran müsste, um einer Verfolgung aufgrund des Abfalls vom Islam zu entgehen.
Die Beschwerdeführerin stehe den aktuellen Entwicklungen in Iran und dem brutalen Vorgehen des iranischen Regimes gegenüber Frauen und Protestierenden äußerst kritisch gegenüber und habe an einer Demonstration gegen das iranische Regime in römisch 40 teilgenommen. Sie habe jedoch Angst ihre Meinung öffentlich bekannt zu geben, da ihre Familie noch in Iran lebe.
Seit dem Beginn der Proteste zeichne sich das islamische Regime durch eine sehr hohe Gewaltbereitschaft und Willkür aus und gehe skrupellos gegen jegliche Art von „Andersdenkenden“ vor. Insbesondere für die Beschwerdeführerin verstärke sich diese Gefahr noch, da es sich bei ihr um eine alleinstehende Frau handle, welche einen westlichen Kleidungsstil habe und das Tragen der traditionellen islamischen Kleider – wie insbesondere einer Hijab – ablehne. Vor allem Personen, die mit dem Ausland in Verbindung gebracht würden, seien gefährdet. Für die Beschwerdeführerin bestehe jedenfalls das reale Risiko, dass auch sie aufgrund des langen Aufenthaltes in Österreich und der Asylantragstellung besonders gefährdet sei, bei der Einreise über einen vom iranischen Regime kontrollierten Flughafen, festgenommen, inhaftiert oder gar zu einer langen Haftstrafe verurteilt zu werden.
Die belangte Behörde habe sich zudem nicht näher mit der aktuellen Situation von Frauen und westlich orientierten Personen im Iran auseinandergesetzt.
Am 29.05.2024 langten beim Bundesverwaltungsgericht Kopien der bisher vorgelegten Dokumente der Beschwerdeführerin ein.
Am 29.05.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.
Dabei legte die Beschwerdeführerin zwei Bestätigungen vor, wonach sie seit 01.12.2023 im römisch 40 beschäftigt ist und gab dabei an, wöchentlich vierzig Stunden zu arbeiten.
Sie sei in Teheran geboren, habe zwölf Jahre die Schule besucht und mit Matura abgeschlossen. Danach habe sie acht Jahre als Buchhalterin und vier Jahre lang als Make Up Artistin gearbeitet. Zuletzt habe sie geheiratet, sich im Jahr 1394 (umgerechnet: 2015) nach sechs Monaten Ehe scheiden lassen, und sei bis zur Ausreise 2018 von ihrer Mutter finanziell unterstützt worden.
Ihre Mutter, ihr jüngerer Bruder und ihre Schwester lebten im gemeinsamen Haushalt im Iran, es gebe Kontakt zu ihnen.
Im Iran sei die Beschwerdeführerin Muslima gewesen, aber nicht gläubig, ihre Familie glaube „nicht so viel“. Sie selbst habe die Moschee nicht besucht.
Dass sie sich jetzt den christlichen Glauben zugewandt habe, begründete die Beschwerdeführerin damit, im Christentum gebe es keine Gewalt, keine Tötungen, auch würden die Leute nicht erhängt bzw. zum Tode verurteilt werden.
Im Iran sei die Sittenpolizei unterwegs. Die Beschwerdeführerin habe ein etwas kürzeres Gewand getragen und sei von der Sittenpolizei angehalten worden. Dadurch, dass sie nicht geschminkt gewesen sei und ein langärmliges Gewand und eine Hose angehabt habe, hätten sie es zu diesem Zeitpunkt bei einer Verwarnung gelassen. Das Kopftuch habe sie tragen müssen.
Bereits im Iran habe sie Christin werden wollen, aber nicht gekonnt. Einmal habe sie die Kirche besuchen wollen, aber man habe ihr mitgeteilt, dass sie ein Schreiben von dem Ministerium für Erschad (laut Dolmetscherin dem Ministerium für Kultur und islamische Führung, dort befinde sich die Sittenpolizei), benötige. Eine christliche Kirche sei nicht ganz in der Nähe, aber es wäre möglich gewesen, die Kirche zu besuchen und dorthin zu gehen. Dass sie sich diese Bestätigung vom Ministerium für Erschad nicht geholt habe, begründete sie damit, sie sei Muslima gewesen und dieses Schreiben zu verlangen, wäre ihr Todesurteil. Dem Islam den Rücken zu kehren, sei dort verpönt, man werde als Abtrünnige bezeichnet und zum Tode verurteilt. Weiters erklärte sie: „Ich war bei dem Ministerium, und habe das Schreiben verlangt. Man fragte mich, warum ich dieses Schreiben verlangen wolle und was ich in dort in der Kirche wolle. Ich sagte, dass ich lediglich die Kirche besuchen wolle, aber man hat mir dieses Schreiben nicht ausgestellt.“
Dem Christentum tatsächlich öffnen können habe sie sich erst im Bundesgebiet. „Ich habe Christentum als eine sehr nette Religion empfunden. Christentum ist eine Religion, das man wirklich lieben muss. Es gibt keine Zwänge. Ich kann meine Freiheiten haben. Ich kann mir aussuchen, was ich mir anziehen soll oder wie ich mich verhalten oder sprechen soll.“ Nachgefragt, wann sie diese Empfindungen das erste Mal in Österreich verspürt habe, antwortete die Beschwerdeführerin: „Das war am Heiligabend im Ende des Jahres 2023.“ Vorgehalten, beim Bundesamt habe sie auf die Frage, wann sie das erste Mal auf das Christentum aufmerksam geworden wäre, geantwortet, im Februar oder März 2023, durch einen Freund, erwiderte die Beschwerdeführerin: „Ja, das ist richtig. Ich hatte einen italienischen Freund und am Heiligabend 2023 habe ich diese schöne Atmosphäre und freundliche Umstände dort erlebt. Da habe ich mich dem Christentum geöffnet. Klar, dass man nicht gleich das sagt, was man denkt, das hat sich auch, wie ich gesagt habe, im Februar oder März 2023 dann geäußert und ich wurde aktiv.“ Diesen Zeitablauf bestätigte sie auf Nachfrage nochmals. Vorgehalten, Heiligabend 2023 sei viel später als Februar/März 2023, korrigierte die Beschwerdeführerin sich dahingehend, sie habe Heiligabend 2022 und nicht 2023 gemeint.
Im Februar oder März 2023 habe sie dann die Kirche besucht. Vorgehalten, beim Bundesamt habe sie angegeben, dass sie im Februar oder März 2023 die Information erhalten habe, wenn sie zum Christentum konvertierte, würde sie ihren richtigen Weg finden, bejahte sie dies. Dass sie eine Freundin dazu geführt habe, verneinte sie: „Niemand hat mir das gesagt. Mein Freund damals ist Italiener gewesen und er ist Christ.“ Vorgehalten, diese Freundin habe ihr dem Bundesamt zufolge die Nummer von einem Mann namens römisch 40 gegeben, womit vermutlich der geladene Zeuge gemeint sei, erklärte die Beschwerdeführerin: „Ich habe keine Freundin. Das war eine Bekannte, eine iranische Frau. Aber es ist richtig, sie hat mir die Nummer von römisch 40 gegeben.“
Dann sei die Beschwerdeführerin sonntags in die Kirche gegangen und habe gebetet. Es sei ein Zimmer im römisch 40 gemietet worden, dort finde diese Sitzung statt. Mit diesem römisch 40 habe sie Kontakt aufgenommen, er sei Pfarrer und lebe in Wien, aber habe amerikanische Freunde, die dort unterrichteten. Er selbst komme nur einmal im Monat.
Nachgefragt, wie der Name dieser Kirche laute, antwortete sie, römisch 40 . „Wir nennen die römisch 40 . Es gibt ein Schreiben, wenn Sie das möchten. Wir nennen sie römisch 40 .“ Darauf hingewiesen, dass demnach diese Institution römisch 40 heiße, erklärte die Beschwerdeführerin, in die Kirche kämen Leute aus diversen Ländern, auch dunkelhäutige und diverse andere Menschen. „Die Freunde von römisch 40 kommen. Wir haben einen iranischen Dolmetscher. Es wird Englisch oder Deutsch gesprochen und es wird für uns dann in Farsi gedolmetscht. Personen, die Englischsprachig sind, verstehen das dann sowieso und für uns wird es dann auf Farsi übersetzt.“ Dabei würde über die Vorfälle, die Jesus Christus passiert seien, und über die Wunder von Jesu gesprochen. Sie beteten gemeinsam. Auch verwendeten sie die Bibel auf Farsi. Nach dieser Sitzung räume die Beschwerdeführerin den Raum auf, räume die Becher weg, oder ordne die Stühle, diese Dinge habe sie mehrmals gemacht. Eine andere römisch 40 kenne sie nicht.
Ihre Mutter wisse von der Konversion, ihr in Österreich lebender Bruder von den Kirchenbesuchen. Religiös sei die Familie nicht. Für den Koran habe sich die Beschwerdeführerin nicht interessiert, ebenso wenig für andere Kirchengemeinschaften.
Nachgefragt, ob sie im Islam an Gott geglaubt habe, erwiderte die Beschwerdeführerin: „Gott ist immer in unseren Herzen.“
Zu ihrem Taufunterricht gefragt, antwortete sie: „Ich besuche diese Kirche, über diese Kirche wurde ich getauft. Ich habe jetzt nicht verstanden, meinen Sie, ich sollte extra Unterricht deswegen haben“ Sie habe keinen gehabt.
Abgesehen von dem Taufzertifikat habe sie nichts. Sie sei nicht bei der evangelischen Kirche gewesen und wisse nicht, ob sie das akzeptieren. Nachgefragt, ob sie evangelischen Glaubens sei, antwortete sie: „Ich kenne mich nicht aus, ich war in keiner evangelischen Kirche.“
Getauft worden sei die Beschwerdeführerin in der römisch 40 , und zwar von römisch 40 persönlich. Zeugen habe es keinen gegeben, römisch 40 habe unterschrieben. Abgesehen von ihnen beiden sei niemand dabei gewesen. Auf dem Taufzertifikat stehe, dass die Beschwerdeführerin wieder neu geboren worden sei. Es werde von der Kirche entschieden, wer eine Taufe benötige und wann es soweit sei. Benötigt würde eine Taufe, wenn sie feststellten, dass eine Person jetzt wirklich bereit dafür wäre. Sie glaube, dass es damit zusammenhänge, wie sie die Fragen nach dem Unterricht beantworten könnten. Dann könnten sie feststellen, dass „wir“ einiges gelernt hätten. Sie glaube, nach ca. drei, vier Monaten würde man getauft.
Wann genau die Beschwerdeführerin das erste Mal diese Kirche besucht habe wisse sie nicht, aber es sei März gewesen. Getauft worden sei sie am 3. September. Die Taufe bedeute, dass man wieder neu geboren und einem die Sünden vergeben worden seien. Vorgehalten, dass nach dem Wissen der erkennenden Richterin mit der Taufe der Beitritt zu einer kirchlichen Gemeinschaft erfolge, erwiderte die Beschwerdeführerin, sie sei schon bereits in der Kirche gewesen.
Die Beschwerdeführerin sei Mitglied der römisch 40 , helfe ihnen und habe dort viele andere Leute vorgestellt. Sie könne sich nicht daran erinnern, was die Dreifaltigkeit bedeute. Zu der Sitzung im römisch 40 sagten sie „wir gehen zur Kirche“. Dabei würden Bibelverse gelesen und erklärt, Fragen gestellt und beantwortet. Dann gebe es dieses Abendmahl und es würde gebetet. Wenn man die Taufe bekomme, wisse man, dass man andere Menschen zum Glauben bringen müsse. Dies habe sie bereits getan. Sie habe iranische Freunde, die sie missioniert habe.
Die Beschwerdeführerin gab auf konkretes Nachfragen ihrer rechtlichen Vertretung an, sie bete täglich, danke Gott für alles und versuche im Laufe des Tages Menschen zu helfen. Sie arbeite zurzeit und helfe dort den Menschen. Christliche Feiertage begehe sie mit ihren Freunden. Im Iran habe sie sich unterdrückt gefühlt, es sei schwer gewesen, das Kopftuch zu tragen. Im Falle einer Rückkehr würde die Beschwerdeführerin den christlichen Glauben nicht aufgeben.
Der im Rahmen der Verhandlung einvernommene Zeuge gab zunächst an, er sei als Evangelist tätig. Dies sei jemand, der das Evangelium weitergebe und Kirchen gründe, des Weiteren auch aufbaue und später die Bischöfe einsetze, die dann die Kontrolle über diese Kirche übernehmen würden. Eine anerkannte Kirche müsse eine bestimmte Vorgabe erfüllen von 300 Einwohnern, die diesen Glauben ausüben und leben und so viele hätten sie noch nicht. Auch dürften sie erst nach fünf Jahren anfragen. Deshalb seien sie ein Verein. Die Beschwerdeführerin sei keine Muslima, sie gehöre dem Christentum an. Vor der Taufe werde jeder gefragt, ob er glaube, dass Jesus Christus Sohn Gottes sei und Jesus nachfolgen wolle. Wenn das bestätigt werde, würde getauft. Nachgefragt, ob die Beschwerdeführerin offiziell den Glauben einer römisch 40 habe, erwiderte der Zeuge, er würde sagen, Christin. Sie seien eine Kirche, natürlich könnten sie durch eine Taufe den Glauben verleihen. Das könnte jeder tun, wenn er die biblischen Vorschriften einhält und so sei die Kirche auch gewachsen. Am 1. April habe er von der Beschwerdeführerin eine Message bekommen, ob sie ihn anrufen dürfe. Sie habe geschrieben, dass sie eine Kirche suche wie ein verlorenes Schaf. Der Zeuge habe in römisch 40 den Kontakt vermittelt, wo die Beschwerdeführerin daraufhin sonntags in die Kirche gegangen sei.
In den Bibelstunden gebe der Zeuge die Möglichkeit, dass die Teilnehmer Fragen stellen dürfen. Danach halte er eine zusätzliche Lektion, zuletzt gingen sie das Johannes Evangelium durch, um den Text zu ergründen und dann versuchten sie den Text auf das tägliche Leben anzuwenden. In diesem Verein seien rein Farsi sprechende Mitglieder. Vorgehalten, die Beschwerdeführerin habe angegeben, dass sich dort auch Farbige befänden, bejahte der Zeuge dies, in römisch 40 gebe es auch Farbige.
Im römisch 40 seien „wir“ mit einem Tisch in römisch 40 gestanden, um Essen anzubieten und Leute zu den Bibelstunden einzuladen. Anfangs habe ihnen Gott nur Afrikaner geschickt, im Sommer darauf ein Ehepaar aus Afghanistan und das sei die Initialzündung für eine Farsi sprechende Gemeinde gewesen.
Der Taufunterricht laufe so ab, dass Personen, die getauft werden wollten, gefragt würden, wie lange sie schon in der Bibel lesen würden, ob sie bereits in Afghanistan oder Iran in der Kirche gewesen und wie lange sie schon gläubig seien, auch warum sie sich taufen lassen wollten und was sie darunter verstünden. Wenn er bemerkte, dass sie genug wüssten und so auch wirklich nachfolgen wollten, das Ganze dauere eine halbe bis eine Dreiviertelstunde, dann seien sie für die Taufe qualifiziert.
Die Beschwerdeführerin habe durch die Zeit, die sie in der Kirche gewesen sei, Vorkenntnisse zum Glauben besessen. Laut der Bibel sei es erforderlich, Missionstätigkeiten durchführen, die Beschwerdeführerin spreche gerne mit Leuten darüber und habe auch Leute zur Kirche gebracht. Auch habe sie bereits anderen Geschwistern geholfen und Sachen organisiert.
Der Zeuge habe das Taufzertifikat ausgestellt und als Zeuge unterschrieben. Es seien nur er und die Beschwerdeführerin bei der Taufe dabei gewesen.
In weiterer Folge bestätigte die Beschwerdeführerin, mit dem in der Beschwerde angeführten italienischen Staatsbürger keine Beziehung mehr zu führen. Sie habe nur das Sprachzertifikat 1 erreicht. Beim BFI habe sie einen Deutschkurs gemacht und dort keine weiteren Zertifikate bekommen, aber die Vortragenden bzw. Deutschlehrer hätten gemeint, dass sie schon das Niveau B1 bzw. B2 hätte.
Seit zwei Jahren sei sie bei dem Verein römisch 40 beschäftigt, wenn sie Zeit habe, arbeite sie für ihn. Sie wohne im Personalhaus des Hotels, Kontakt zu ihrem in Österreich lebenden Bruder habe sie. Er lebe in Wien. Die in der Folge einvernommene Zeugin sei eine Freundin. Die Beschwerdeführerin habe im Dezember ihre Tätigkeit beim Roten Kreuz beendet, nachdem sie begonnen habe, ganztägig zu arbeiten. Sie habe soziale Kontakte zur österreichischen Gesellschaft, dort wo sie arbeite, ihre Kollegin und ihre Chefs seien Österreicher.
Im Bundesgebiet habe die Beschwerdeführerin an Demonstrationen teilgenommen, konkret in römisch 40 . Von wem diese organisiert worden seien, wisse sie nicht, erfahren habe sie davon über Freunde, über Instagram. Die Demonstration habe Ende 2022 stattgefunden, es sei um den Tod von Mahsa AMINI gegangen. Sie selbst habe daran teilgenommen, weil dieser Tod komplett sinnlos gewesen sei. Mahsa AMINI habe ihr Leben wegen eines Schals verloren. Dies sei die einzige Demonstration gewesen, an der die Beschwerdeführerin teilgenommen habe. Probleme mit den Behörden habe es keine gegeben.
Die in weiterer Folge einvernommene Zeugin gab an, die Beschwerdeführerin seit ungefähr eineinhalb Jahren zu kennen. Sie habe sich sehr gefreut, dass sich die Beschwerdeführerin für den christlichen Glauben interessiere und sie hätten sich ausgetauscht. Die beiden träfen sich spontan, die Beschwerdeführerin sei sehr aufgeschlossen und kommunikativ. Die Zeugin sei überrascht gewesen, dass die Beschwerdeführerin auch während der Corona Zeit die deutsche Sprache alleine gelernt habe. Sie denke, sie habe auch viele Kontakte und auch von ihren Gesprächen mitbekommen, dass sie sich bemühe, dass auch andere die deutsche Sprache erlernen. Die Beschwerdeführerin nehme die Konversion sehr ernst und regelmäßig an den Sitzungen am Sonntag teil.
Die Länderfeststellungen der Staatendokumentation zur Situation im Iran vom 26.01.2024 wurden in das Verfahren eingeführt und eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt.
Am 20.06.2024 langte beim Bundesverwaltungsgericht die Beschäftigungsbewilligung der Beschwerdeführerin ein.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt römisch eins. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
Die Beschwerdeführerin ist iranische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Perser. Ihre Muttersprache ist Farsi. Sie ist geschieden und kinderlos.
Die Beschwerdeführerin stammt aus Teheran, hat dort mit ihrer Familie gelebt, zwölf Jahre die Schule besucht und diese mit Matura abgeschlossen. Danach hat sie zunächst acht Jahre als Buchhalterin gearbeitet, dann eine Ausbildung als Make-Up Artistin absolviert und diesen Beruf vier Jahre lang ausgeübt. Die Beschwerdeführerin und ihre Familie konnten ihren Lebensunterhalt im Iran problemlos bestreiten.
Der Vater der Beschwerdeführerin ist bereits verstorben, im Iran leben noch die Mutter, die Schwester und ein Bruder, ihre Mutter erhält eine Rente vom verstorbenen Vater. Die Beschwerdeführerin hat zu den Angehörigen Kontakt.
Die Beschwerdeführerin ist gesund, arbeits- und selbsterhaltungsfähig.
Sie legte ein „Taufzertifikat“ vom 04.09.2023, ausgestellt vom römisch 40 vor. Seit Februar oder März 2023 nimmt sie dort an den sonntäglichen Bibelstunden teil. Für andere Kirchengemeinschaften hat sie sich nicht interessiert. Die Beschwerdeführerin hat sich nicht aus innerer Überzeugung dem Christentum zugewandt.
Sie tritt nicht spezifisch gegen den Islam auf. Die Beschwerdeführerin hat keine Verhaltensweisen verinnerlicht, die bei einer Rückkehr in den Iran als Abkehr vom Islam gewertet werden würden.
Die Beschwerdeführerin hat ihren Herkunftsstaat nicht aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen und hätte nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch keine asylrelevanten Übergriffe in diesem Zusammenhang zu befürchten. Im Falle der Rückkehr in den Iran droht der Beschwerdeführerin aus den vorgebrachten Gründen weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch den iranischen Staat oder Privatpersonen.
Eine grundlegende und verfestigte Änderung der Lebensführung der Beschwerdeführerin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Iran nicht gelebt werden könnte, liegt nach wie vor nicht vor.
Die Beschwerdeführerin war im Herkunftsland nicht politisch tätig und gehörte keiner politischen Organisation oder Partei an. Sie hatte keine Probleme mit den Behörden ihres Heimatlandes. Sie hatte auch keine Probleme aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit. Zudem hatte sie keine Probleme mit Privatpersonen, Personengruppen oder kriminellen Organisationen. Sie hat damals im Iran keine regimekritischen Aktivitäten gesetzt oder dahingehende Äußerungen getätigt. Sie hat dort auch nicht an Demonstrationen teilgenommen und sich nicht als Aktivistin betätigt.
Die Beschwerdeführerin ist auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wegen der (einzigen) Teilnahme an einer Demonstration gegen das iranische Regime in römisch 40 Ende 2022 von Verfolgung bedroht. Sie ist nicht ins Blickfeld des iranischen Regimes geraten und hatte keine besondere Aufgabe im Zusammenhang mit dieser Demonstration. Ein zwischenzeitlich entstandenes ernsthaftes politisches Engagement konnte die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft darlegen, ebenso wenig eine nachvollziehbare ernsthafte (politische) Motivation für die Demonstrationsteilnahme. Sie würde im Fall ihrer Rückkehr in den Iran keine regimekritische Haltung nach außen hin erkennbar vertreten und insbesondere nicht an Massenprotesten teilnehmen.
Im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (Teheran) droht der Beschwerdeführerin kein reales Risiko einer Verletzung der Artikel 2, oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.
Sie würde im Falle einer Rückkehr in keine existenzgefährdende Notsituation geraten und wäre als Zivilpersonen keiner ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes ausgesetzt.
Die Beschwerdeführerin reiste am 15.10.2018 gemeinsam mit ihrem zweiten Bruder über Malaysia und Thailand auf dem Luftweg unter Verwendung eines gefälschten slowenischen Reisepasses in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz. Sie befindet sich seither in Österreich.
Mit Bescheid vom 26.02.2019, Zl. 1209607703-180987560, wies das Bundesamt den (ersten) Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran ab (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.). Es wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG in den Iran zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.) und dass gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt römisch VI.).
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.2022, GZ W231 2217686-1/25E, als unbegründet abgewiesen.
Am 29.11.2022 wurde ein Verfahren zur Durchsetzung und Effektuierung der Ausreiseentscheidung eingeleitet. Mit Mandatsbescheid vom 25.01.2023 wurde der Beschwerdeführerin aufgetragen, sich ein iranisches Reisedokument zu beschaffen. Mit Mandatsbescheid vom 21.02.2023 wurden ihr Auflagen während der Frist zu ihrer freiwilligen Ausreise mitgeteilt.
Die Beschwerdeführerin missachtete ihre Ausreiseverpflichtung, verblieb illegal im Bundesgebiet und stellte am 01.06.2023 den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.
In Österreich befindet sich ein Bruder der Beschwerdeführerin, dem von der belangten Behörde der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde. Die Beschwerdeführerin lebt mit ihm nicht im gemeinsamen Haushalt, die beiden sehen sich ab und zu. Ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis besteht nicht.
Die Beschwerdeführerin hat in Österreich ansonsten keine Familienangehörigen. Sie hat – wie bereits im Vorverfahren festgestellt - in Österreich Deutschkurse bis zum Niveau B1 besucht, das ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A1 absolviert und einen Lehrgang bzw. Basisbildungskurse abgeschlossen, bei denen die deutsche Sprache und digitale Kompetenzen vermittelt wurden. Die Beschwerdeführerin hat ehrenamtlich als Reinigungskraft gearbeitet und ist in einem Verein römisch 40 ehrenamtlich als Mitarbeiterin tätig (u.a. Dolmetsch-Tätigkeiten). Sie half auch bei der Kleiderreinigung bei der Caritas und der Diakonie und hat österreichische und iranische Freunde und Bekannte in Österreich.
Seit 04.12.2023 ist die Beschwerdeführerin in einem Hotelbetrieb als Commis de rang regulär erwerbstätig (40 Wochenstunden für € 1900 brutto monatlich). Sie hat dort eine Unterkunft und legte eine Unterstützungserklärung ihres Arbeitgebers vor.
Die BF ist in Österreich strafgerichtlich nicht unbescholten:
Sie wurde mit Urteil des Landesgerichtes römisch 40 vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , rechtskräftig wegen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach Paragraphen 223, Absatz 2,, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass die Beschwerdeführerin im Zuge ihrer Einreise nach Österreich eine falsche ausländische öffentliche Urkunde, die gemäß Paragraph 2, FPG inländischen öffentlichen Urkunden gleichgestellt ist, nämlich einen falschen slowenischen Reisepass im Rechtsverkehr zum Beweis ihres Rechtes zur Einreise gebraucht hat, indem sie diesen bei der Einreisekontrolle vorwies.
Zur Situation im Herkunftsstaat:
Proteste 2022/2023
Nach dem Tod der 22-Jährigen Mahsa Jîna (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023) in Gewahrsam der sogenannten Sittenpolizei (gasht-e ershâd) in Teheran (BPB 16.2.2023) aufgrund eines angeblich unkorrekt getragenen Hijabs kam es in Iran zu den größten Protesten seit Jahren (EN 1.2.2023). Während in den letzten Jahren in Iran häufig Demonstrationen stattfanden, waren die Proteste hinsichtlich ihrer geographischen Verbreitung und Dauer beispiellos (ACLED 12.4.2023).
Als Frau sunnitischer Konfession und als Kurdin verkörperte Mahsa Jina Amini alle drei Dimensionen der systematischen Diskriminierung durch die Islamische Republik: Geschlecht, Konfession und ethnische Zugehörigkeit (Posch/Chatham 5.5.2023). Die Proteste in Iran richteten sich gegen Diskriminierung und fokussierten auf Menschenrechte. Die Wut der Tausenden von Demonstranten, die auf die Straße gingen, konzentrierte sich auf die Tatsache, dass weder das Geschlecht noch die ethnische Zugehörigkeit die Ursache für den Tod eines iranischen Bürgers in Gewahrsam sein sollte, was eine eindeutige Menschenrechtsfrage darstellt (Posch 2023). Der von den Demonstranten verwendete Spruch "Frau, Leben, Freiheit" (auf Farsi: "zan, zendegi, âzâdi") stammt dabei ursprünglich von der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) (auf Kurdisch "jin, jîyan, azadî"). Er war zunächst unter iranischen Demonstranten im Westen zu hören. Dann begannen auch in Iran die säkularen und linken Teile der Gesellschaft, ihn zu verwenden, bevor er sich landesweit über Klassen- und ethnische Grenzen hinweg verbreitete (Posch/Chatham 5.5.2023). Die Proteste wurden insbesondere von den folgenden Gruppen getragen: Frauen, Jugendliche, Studentinnen und Studenten sowie von marginalisierten Ethnien - insbesondere Kurden und Belutschen (BPB 16.2.2023). Die auf Menschen- und Bürgerrechten basierende Agenda der Proteste konnte jedoch sowohl säkulare Teheraner aus der Mittelschicht als auch sunnitische Fundamentalisten aus den marginalisierten Grenzprovinzen Irans mobilisieren. Unter anderem kritisierten auch prominente Stimmen wie Kak Hasan Amini, einer der profiliertesten sunnitischen Geistlichen Irans, oder Moulana Abdulhamid aus Belutschistan, Führer der sunnitischen Gemeinschaft im Osten des Irans, das Regime (Posch 2023).
Dieses reagierte mit massiver Repression auf die Proteste. Zeitweise wurden rund 20.000 Personen inhaftiert (BPB 16.2.2023). Bis Mitte Februar 2023 zählte die NGO Human Rights Activists News Agency (HRANA) 530 Todesopfer unter den Protestteilnehmern (DIS 3.2023; vergleiche BPB 16.2.2023). Auch wurden im Rahmen der Proteste zwischen September 2022 und April 2023 rund 50 Angehörige der Basij, Revolutionsgarden und Polizei getötet (ACLED 12.4.2023), laut HRANA waren es beinahe 70 Regimekräfte (BPB 16.2.2023). Eine unbekannte Zahl von Personen, wie z.B. Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Studenten, Künstler, Akademiker, Rechtsanwälte, medizinisches Personal, das sich um Protestteilnehmer gekümmert hat, Minderjährige und Personen, die sich online an anti-Regierungsaktivitäten beteiligt haben, wurde wegen "Verbreitung von Propaganda", "Absprachen zur Begehung von Straftaten und Handlungen gegen die nationale Sicherheit" oder "Kriegsführung gegen Gott" sowie "Korruption auf Erden" verurteilt, wobei diese Tatbestände vor den iranischen Revolutionsgerichten mit hohen Strafen geahndet werden (DIS 3.2023).
Die Proteste zeichneten sich durch ihre Dezentralität, die Bedeutung von zivilem Ungehorsam und Flashmobs als Protestform - insbesondere durch Frauen, die ihr Kopftuch ablegen - und, wie vor allem in europäischen Debatten oft bemängelt wird, durch fehlende Organisations- und Führungsstrukturen aus (BPB 16.2.2023). Die fehlenden Führungsstrukturen waren sowohl Stärke als auch Schwäche der Proteste, bei denen das Internet und soziale Medien eine große Rolle zur Mobilisierung und Verbreitung der Protestbotschaften spielten: Einerseits machen die fehlenden Führungsstrukturen staatliche Repression schwieriger, andererseits erschweren sie auch die Herausbildung einer Bewegung, welche eine politische Alternative zum derzeitigen System darstellen könnte (FR24 16.12.2022).
Bis zum Sommer 2023 sind die Straßenproteste schließlich abgeflaut und die Regierung hat beispielsweise versucht, die Strafen für Verstöße gegen die Hijab-Regeln zu verschärfen (USIP 6.9.2023). Die Islamische Republik blieb weiterhin funktionsfähig und im Zuge der Proteste konnte nicht beobachtet werden, dass eine Einheit des hochkompetitiven iranischen Sicherheitsapparats geschwächelt hätte oder sich illoyal verhalten habe (Posch/Chatham 5.5.2023). Die Regierung ist darauf bedacht, ihre Anhängerschaft zu halten, versucht aber auch, Menschen am Rande der Gesellschaft zu Anhängern der Islamischen Republik zu machen. So haben die staatlichen Medien jüngst beispielsweise neue Fernsehsendungen produziert und eine größere Anzahl von Gästen eingeladen, um heikle politische Themen zu diskutieren. Die Regierung möchte aufgeschlossen und sympathisch erscheinen, um ein gewisses Maß an Legitimität aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen. Die Regierungsvertreter sind sich allerdings darüber im Klaren, dass die Legitimität des Regimes erodiert ist, insbesondere seit der gewaltsamen Niederschlagung der landesweiten Demonstrationen, die durch den Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam im Jahr 2022 ausgelöst worden sind (USIP 17.11.2023). Die Proteste scheinen im Jahr 2023 abgeklungen zu sein, aber die dort artikulierten Missstände bleiben weiterhin bestehen (CRS 29.9.2023).
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung 2023-04-12 13:23
Folter ist nach Artikel 38, der iranischen Verfassung (AA 30.11.2022) und dem Strafgesetzbuch verboten, ebenso wie die Verwendung von unter Zwang erlangten Geständnissen in Gerichtsprozessen (UNHRC 13.1.2022). Dennoch sind psychische und physische Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 30.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023) bzw. weit verbreitet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022a). Folter wird in politischen Fällen nicht nur geduldet, sondern mitunter angeordnet (AA 30.11.2022). Ziel der Folter sind einerseits Geständnisse, auf die das iranische Justizsystem stark angewiesen ist (IrWire 17.2.2023; vergleiche AA 30.11.2022). Ehemalige Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 10.3.2023). Andererseits dient die systematische und weitverbreitete Anwendung von Folter der Abschreckung. Das dritte Motiv für die Folter, das mit zuvor genanntem verbunden ist und ausschließlich für politische Gefangene gilt, ist die öffentliche Zurschaustellung von gebrochenen Persönlichkeiten. Die Folterung von politischen Gegnern mit dem Ziel, falsche Geständnisse zu erlangen und diese öffentlich zu verbreiten, ist eine Botschaft an die Gesellschaft, dass die Regierung jeden Widerstand niederschlagen kann (IrWire 17.2.2023; vergleiche AA 30.11.2022). Durch Folter erzwungene "Geständnisse" wurden im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt und regelmäßig für Schuldsprüche herangezogen (AI 29.3.2022a).
Der Tod einer jungen Frau im September 2022, nachdem sie von der Moralpolizei in Teheran wegen eines "unangemessen" getragenen Hijabs verhaftet worden war, führte zu weitverbreiteten Protesten, wobei in jüngster Zeit mehrere Vorfälle bekannt wurden, bei denen die Polizei unrechtmäßig Gewalt gegen Frauen anwandte, die sich nicht an die auferlegten Bekleidungsvorschriften für Frauen hielten (HRW 16.9.2022). Im Zuge der Niederschlagung der Proteste festgenommene Personen waren Berichten zufolge mitunter der Folter ausgesetzt, teilweise mit Todesfolge, (BBC 19.12.2022; vergleiche RFE/RL 3.2.2023, NDR 1.2.2023, IrWire 17.2.2023) ebenso wie sexuellem Missbrauch und Vergewaltigungen (USDOS 20.3.2023). Laut einer Untersuchung von IranWire [Anm.: regimekritische Nachrichtenorganisation] lassen sich die Todesursachen von Gefangenen oder vor Kurzem aus der Haft Entlassenen, darunter auch Protestteilnehmern, in folgende Hauptkategorien unterteilen: 1. verweigerte medizinische Behandlung; 2. unmittelbare Zufügung extremer und qualvoller körperlicher Verletzungen; 3. unmittelbare Zufügung extremer und qualvoller mentaler und emotionaler Schäden. Die Ursache für den Tod von Gefangenen kurz nach der Entlassung ist in den meisten Fällen Selbstmord, der auf die Haftbedingungen oder die Angst vor einer Rückkehr in diese Bedingungen zurückzuführen ist (IrWire 17.2.2023).
Folter wird sowohl seitens der Polizei, im parallelen System der Basij/Pasdaran als auch in Gefängnissen angewandt (ÖB Teheran 11.2021). Fälle von Folter wie auch Todesfälle aufgrund von Gewaltanwendung wurden überdies in verschiedenen Prozessstadien verzeichnet, beispielsweise während Voruntersuchungen und in Haftzentren von ermittelnden Polizeieinheiten (Agahi), dem Geheimdienstministerium, der regulären Stadtpolizei sowie von Grenz- und Einwanderungspolizei, Cyber-Polizei, den Revolutionsgarden (UNHRC 13.1.2022) wie auch der Moralpolizei (HRW 16.9.2022). Menschenrechtsorganisationen verwiesen häufig auf Haftanstalten, in denen politische Gegner grausam und über längere Zeit gefoltert wurden, insbesondere in den Abteilungen Nr. 209 und Nr. 2 des Evin-Gefängnisses, die Berichten zufolge von den Revolutionsgarden kontrolliert werden (USDOS 20.3.2023) bzw. dem Geheimdienstministerium unterstehen und in dem politische Gefangene inhaftiert sind (AA 30.11.2022). Die Behörden unterhalten angeblich auch inoffizielle Geheimgefängnisse und Haftanstalten außerhalb des staatlichen Gefängnissystems, in denen es zu Misshandlungen kommt (USDOS 20.3.2023).
Straflosigkeit ist nach wie vor ein weitverbreitetes Problem bei allen Sicherheitskräften (USDOS 20.3.2023).
Gerichte verhängen weiterhin körperliche Strafen, wie zum Beispiel Auspeitschungen, Blendung, Steinigung und Amputation. Diese werden von der iranischen Regierung als "Strafe" und nicht als Folter betrachtet (USDOS 20.3.2023). Bei Delikten, die im Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischt-geschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 11.2021).
Meinungs- und Pressefreiheit, Internet
Letzte Änderung 2024-01-26 11:49
Die Verfassung sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung vor, auch für Mitglieder der Presse und anderer Medien, es sei denn, etwas wird als "schädlich für die Grundprinzipien des Islam oder die Rechte der Öffentlichkeit" angesehen (USDOS 20.3.2023; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 30.11.2022; vergleiche HRW 12.1.2023), sowohl online als auch offline (FH 10.3.2023). Die Gesetzgebung sieht die strafrechtliche Verfolgung von Personen vor, die der Anstiftung zu Straftaten gegen den Staat oder die nationale Sicherheit oder der "Beleidigung" des Islam beschuldigt werden. Die Regierung nutzt Gesetze, um Personen, welche die Regierung direkt kritisieren oder Menschenrechtsprobleme ansprechen, einzuschüchtern oder strafrechtlich zu verfolgen, sowie um normale Bürger zur Einhaltung des Moralkodex der Regierung zu zwingen (USDOS 20.3.2023).
Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol (AA 30.11.2022; vergleiche Landinfo 9.11.2022). Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet (AA 30.11.2022). Satellitenschüsseln sind verboten, und Übertragungen in persischer Sprache aus dem Ausland werden regelmäßig gestört (sogenanntes Jamming). Die Polizei führt regelmäßig Razzien in Privathäusern durch und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 10.3.2023).
Mit Stand Jänner 2023 nutzten beinahe 80 % der Bevölkerung das Internet (FH 4.10.2023), wobei mehr als 60 % des Internetverkehrs über mobiles Internet läuft (RSF 5.10.2022). Seit 2009 haben die Behörden erhebliche Mittel in den Ausbau der Infrastruktur, aber auch in die Kontrolle ihrer Nutzung investiert (Landinfo 9.11.2022). Die Investitionen der Regierung in die IKT-Infrastruktur im Rahmen des National Information Network (NIN - auf Farsi SHOMA (Medium 3.10.2019) haben die Internetanbindung ländlicher Gebiete verbessert und die Kluft zwischen Stadt und Land etwas verringert, auch wenn die Preise weiterhin hoch sind (FH 4.10.2023). Die Telekommunikationsfirma, die den Internetverkehr nach und aus Iran kontrolliert, befindet sich in Besitz der Revolutionsgarden (Landinfo 9.11.2022). Mit dem NIN haben die iranischen Behörden eine lokalisierte Internetarchitektur aufgebaut. Damit sind die Behörden in der Lage, die Verbindungen zum globalen Internet zu kappen und gleichzeitig die inländischen Dienste online zu halten. Über das NIN soll eine "mehrschichtige" oder "abgestufte" Internetstruktur eingeführt werden, bei der bestimmte Personengruppen Zugang zum globalen Internet haben, während der Rest auf das inländische Netz angewiesen ist. Die Umsetzung würde die Zensur- und Überwachungsmöglichkeiten der Regierung erweitern, da ein Großteil der Bevölkerung gezwungen wäre, inländische Apps und Plattformen zu nutzen, die nur schwache Datenschutz- und Sicherheitsfunktionen bieten. Behördenangaben zum Entwicklungsstand des NIN waren in der Vergangenheit umstritten. Nach Ankündigungen des zuständigen Ministers vom April 2023 soll das Netzwerk bis Jahresende fertiggestellt werden [Anm.: Diesbezüglich konnten in einer Kurzrecherche Ende des Jahres keine weiteren Informationen gefunden werden] (FH 4.10.2023). Die Regierung versucht auch, Internetnutzer mittels Preisanreizen zur Nutzung nationaler Plattformen zu bewegen (FH 4.10.2023; vergleiche Filterwatch 27.1.2023). Beispielsweise sind die Tarife zum Abrufen der Videoplattform Aparat, die Youtube ähnelt (FH 4.10.2023), oder bei Nutzung iranischer Apps günstiger. Nutzer sind auch gezwungen, iranische Messaging-Apps wie Rubika, Bale, Gap, Eita und Soroush herunterzuladen, um Zugang zu bestimmten Diensten wie E-Government und Bankfunktionen zu erhalten (Filterwatch 27.1.2023). Diese Apps und Dienste sind anfälliger für staatliche Kontrolle, sie können den Zugriff auf Daten und die Überwachung von Nutzern und Inhalten ermöglichen (Filterwatch 27.1.2023; vergleiche FH 4.10.2023).
Auch wenn die iranische Presselandschaft bislang eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums widergespiegelt hat, ist mit der Amtsübernahme der ultrakonservativen Regierung eine deutlich strengere Berichterstattung auf Regimelinie feststellbar. Geprägt wird die Presse ohnehin von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter "roter Linien" des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen drohen Sanktionen bis hin zum Verbot von Zeitungen (AA 30.11.2022). Der staatliche Rundfunk wird von Hardlinern streng kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert, wobei das staatliche Fernsehen für die iranische Bevölkerung eine wichtige Informationsquelle ist (FH 10.3.2023). Zensur und Überwachung sind umfassend. Es wurde eine Cyberpolizei eingerichtet, und auch mehrere andere Regierungsbehörden haben Aufgaben im Zusammenhang mit der Überwachung des Internets und der sozialen Medien (Landinfo 9.11.2022).
Nach dem Gesetz wird jeder, der in irgendeiner Form "Propaganda" gegen die Islamische Republik Iran oder zur Unterstützung oppositioneller Gruppen und Vereinigungen betreibt, mit drei Monaten bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft [Anm.: bei Verurteilungen z. B. wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit" oder "Korruption auf Erden" fallen höhere Strafen an] (USDOS 20.3.2023), wobei "Propaganda" nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden. Dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 11.2021). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung (ÖB Teheran 11.2021) sowie Einschüchterung ihrer Angehörigen konfrontiert (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 30.11.2022). Infolge der Mitte September 2022 ausgebrochenen landesweiten Proteste hat der Druck auf Journalistinnen und Journalisten weiter zugenommen (AA 30.11.2022). Es kam zu einer Welle an Festnahmen und Verhaftungen iranischer Medienschaffender, die über den Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini und die darauffolgenden Proteste berichtet hatten (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023).
Inhaftierte Journalisten sind – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt, die sich aufgrund der COVID-19-Pandemie noch verschärft haben. Unter politischen Gefangenen kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, auch gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung (AA 30.11.2022). Reporter ohne Grenzen bezeichnet Iran als eines der repressivsten Länder weltweit für Journalistinnen und Journalisten (RSF o.D.b). 2022 belegte das Land Rang 178 von 180 in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen [Anm.: je höher der Rang, desto geringer die Pressefreiheit] (RSF 2022).
Ebenso unter Druck stehen Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als "unislamisch" oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dies unterliegt einer Genehmigungspflicht). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist "regimefeindlicher Propaganda" und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 11.2021).
Die regimekritische Debatte findet weitgehend in den sozialen Medien statt. Für illegale Oppositionsparteien ist das Internet der bevorzugte Kanal für den Informationsaustausch (Landinfo 9.11.2022). Die sozialen Medien sind ein wichtiger Bestandteil der Protestbewegung seit Mitte September 2022 und werden zur Mobilisierung wie auch zur Verbreitung der Protestbotschaften verwendet (DW 15.11.2022). Irans vage definierte Redebeschränkungen, harte strafrechtliche Sanktionen und die staatliche Überwachung der Online-Kommunikation gehören zu den Faktoren, welche die Bürgerinnen und Bürger davon abhalten, sich an offenen und freien privaten Diskussionen zu beteiligen. Trotz der Risiken und Einschränkungen äußern viele ihre abweichende Meinung in den sozialen Medien und umgehen in einigen Fällen die offiziellen Sperren auf bestimmten Plattformen (FH 10.3.2023).
Millionen Internetseiten sind gesperrt bzw. nur via Virtual Private Network (VPN) erreichbar (ÖB Teheran 11.2021). Soziale Medienplattformen und Messaging-Tools wie Telegram, Twitter, Facebook, YouTube und Signal werden blockiert, aber verschiedene "Umgehungswerkzeuge" wie VPNs sind weit verbreitet (Landinfo 9.11.2022), wenn auch illegal (USDOS 20.3.2023). Im Zuge der Repressionen gegen die Proteste seit September 2022 nahm die Regierung auch VPNs ins Visier (RSF 5.10.2022).
Im November 2019 verhängten die Behörden zum ersten und bislang einzigen Mal eine landesweite, fast vollständige Abschaltung des Internets für mindestens sieben Tage. Die Entscheidung, das Land vom weltweiten Internet zu trennen, wurde vom Nationalen Sicherheitsrat nach einer Protestwelle getroffen, die durch die plötzliche Ankündigung einer erheblichen Erhöhung der Treibstoffpreise ausgelöst worden war. Örtlich begrenzte Internetabschaltungen werden häufig eingesetzt, um Proteste zu unterbinden und eine genaue Berichterstattung über Demonstrationen zu verhindern, so auch mehrfach bei den Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini im September 2022 in den Provinzen Kurdistan, Khuzestan sowie Sistan und Belutschistan (FH 4.10.2023). Auch kommt es zu Drosselungen der Internetgeschwindigkeit (NatGeo 17.10.2022; vergleiche Intercept 28.10.2022). Die Behörden haben im Rahmen der Niederschlagung der Proteste auch den Zugang zu WhatsApp und Instagram blockiert und VPNs wie auch Proxy-Server gefiltert (FH 4.10.2023).
Der Internetverlauf kann "gefiltert" bzw. mitgelesen werden. Jede Person, die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen "Cyberkrieg" gegen das Land führen zu wollen und Proteste anzustacheln (AA 30.11.2022). Der Staat überwacht soziale Medien auf Aktivitäten, die er für illegal hält. Die Cyberpolizei FATA hat unter anderem die Aufgabe, soziale Medien im Rahmen der Bekämpfung der Cyberkriminalität zu überwachen und zu verfolgen. Im Mai 2020 kündigte die FATA an, dass das Nichttragen des Hijabs im Internet als Straftat gilt und Zuwiderhandlungen strafrechtlich verfolgt werden. Mehrere Frauen wurden verhaftet, weil sie Fotos oder Videos von sich unverschleiert ins Internet gestellt hatten. Das Regime ergriff drakonische Maßnahmen zur Bestrafung von Online-Nutzern, und mehrere Personen wurden wegen ihrer Online-Inhalte vom Regime zum Tode verurteilt oder hingerichtet. Im Mai 2023 wurden beispielsweise zwei Männer wegen atheistischer Inhalte auf Telegram-Kanälen exekutiert. Mehrere Blogger und Social-Media-Nutzer wurden wegen ihrer Online-Inhalte, die häufig die Proteste nach dem Tod von Mahsa Jina Amini unterstützten, zu harten Haftstrafen verurteilt (FH 4.10.2023). Nach Beginn der Massenproteste Ende September 2022 verhafteten die Behörden Tausende von Menschen, darunter Prominente, Menschenrechtsaktivisten und andere, die ihre Unterstützung für die Bewegung durch Beiträge in den sozialen Medien oder durch die öffentliche Missachtung der Hijab-Vorschriften, die zu Mahsa Aminis Verhaftung und Tod geführt hatten, zum Ausdruck gebracht haben. Die Revolutionsgarden (IRGC) forderten die Justiz auf, jeden strafrechtlich zu verfolgen, der "falsche Nachrichten und Gerüchte" verbreitet (FH 10.3.2023).
Abseits von Maßnahmen, wie der Überwachung von Inhalten im Internet (AA 30.11.2022) und der Drosselung der allgemeinen Internetgeschwindigkeit (NatGeo 17.10.2022), ist wenig über die konkrete Vorgehensweise der Behörden bei der Unterdrückung der Proteste bekannt. Es wird vermutet, dass die Behörden ein Computersystem verwenden, das hinter den Kulissen der iranischen Mobilfunknetze arbeitet und den Betreibern eine breite Palette von Fernbefehlen zur Verfügung stellt, mit denen sie die Nutzung der Telefone ihrer Kunden verändern, stören und überwachen können, wie zum Beispiel die Datenverbindungen verlangsamen, die Verschlüsselung von Telefongesprächen knacken, die Bewegungen von Einzelpersonen oder großen Gruppen verfolgen und detaillierte Zusammenfassungen von Metadaten darüber erstellen, wer mit wem, wann und wo gesprochen hat (Intercept 28.10.2022). Beobachterinnen der Proteste ab September 2022 berichteten, dass viele Demonstranten nicht auf den Straßen verhaftet wurden, sondern ein oder zwei Tage später zu Hause (Wired 10.1.2023). Iranische Mobiltelefonnutzer berichteten von SMS, die sie von lokalen Polizeistationen mit dem Hinweis erhalten haben, dass sie sich in einem "Unruhegebiet" aufgehalten hätten und dieses Gebiet nicht noch einmal aufsuchen oder nicht noch einmal mit "anti-revolutionären" Regierungsgegnern online in Verbindung treten sollten (Intercept 28.10.2022).
Das iranische Regime setzt auch eine "Cyber-Armee" ein (IrWire 5.6.2023), um Narrative in den sozialen Medien zu beeinflussen (NLM 5.9.2023 vergleiche IrWire 5.6.2023) und Desinformation zu verbreiten. Ziel der Desinformationskampagnen ist es dabei weniger, Personen vom eigenen Narrativ zu überzeugen, als Zweifel zu säen, sodass Internetnutzer schließlich gar keinen Quellen in den sozialen Medien - auch per se glaubwürdigen Personen - mehr vertrauen. Neben dem Stiften von Verwirrung ist die Diskreditierung und Unterminierung der Opposition ein wesentlicher Bestandteil der iranischen Cyberaktivitäten. Zum Teil geschieht das auch durch Hacking-Angriffe auf Oppositionsmitglieder (Wired 21.3.2023), wobei die Menschenrechtsorganisation Miaan Group im Jahr 2023 beispielsweise über 100 Phishing-Angriffe auf Journalisten, Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger inner- und außerhalb Irans dokumentierte. Vor allem Angehörige ethnischer Minderheiten wie der Kurden und Aserbaidschaner sowie Unterstützer der Proteste wurden dabei anvisiert (Filterwatch 27.11.2023). Die Diskreditierung von Oppositionellen geschieht auch durch falsche Konten in den sozialen Medien. Unterschiedliche Fraktionen der Opposition sollen so gegeneinander ausgespielt werden. Diese Bemühungen sind ebenfalls Teil einer umfassenderen Anstrengung, den Eindruck zu erwecken, dass niemand vertrauenswürdig und niemand glaubwürdig ist (Wired 21.3.2023). Im Jänner 2024 deckten "Cyber-Agenten" des Regimes laut der oppositionellen Nachrichtenseite Iran International zudem die Identitäten von Personen auf, die bislang anonym oppositionelle Social Media-Auftritte betrieben haben. Im Rahmen der Online-Kampagne wurden mehrere Personen verhaftet, was als eine breit angelegte Einschüchterungsaktion gegen Regimekritiker interpretiert wird (IRINTL 6.1.2024).
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung 2024-01-26 15:22
In der Verfassung heißt es, dass öffentliche Demonstrationen zulässig sind, wenn sie "den Grundprinzipien des Islam nicht abträglich sind". In der Praxis sind in der Regel nur staatlich genehmigte Demonstrationen erlaubt (FH 10.3.2023). Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen somit unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen der Opposition sind seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch in kleinem Umfang statt (AA 30.11.2022). Die Sicherheitskräfte lösten in den letzten Jahren nicht genehmigte Versammlungen gewaltsam auf, nahmen Teilnehmer fest und wendeten tödliche Gewalt gegen sie an (FH 10.3.2023). Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studierende teilweise verpflichtet werden (AA 30.11.2022).
Proteste gegen das Regime fanden in der Islamischen Republik Iran in der Vergangenheit immer wieder statt. Die [bis zu den Protesten ab Mitte September 2022] größte Protestwelle wurde durch den massiven Betrug bei den Präsidentschaftswahlen 2009 ausgelöst und brachte Millionen von Menschen auf die Straße, bis die Behörden gegen die Führer der sogenannten Grünen Bewegung, Mir Hossein Mousavi und Mehdi Karroubi, vorgingen (TWI 28.9.2022). Zuletzt fanden 2019 weitreichende Proteste statt, nachdem die Regierung beschlossen hatte, die Benzinpreise zu erhöhen (TWI 28.9.2022). Die iranischen Sicherheitsbehörden setzten zur Unterdrückung der Proteste auch tödliche Gewalt ein, darunter scharfe Munition, die wahllos auf Demonstranten abgefeuert wurde. Die Anzahl der Todesopfer ist schwierig zu verifizieren. Schätzungen reichen von 304 verifizierten Todesopfern bis zu 1.500 in unbestätigten Berichten (DIS 1.7.2020). 2021 gab es Proteste von Arbeitnehmern, Rentnern und Landwirten in Bezug auf Löhne, Arbeitsplatzsicherheit und das Recht auf kollektive Organisierung (UNHRC 13.1.2022) sowie in der Provinz Khuzestan Proteste aufgrund mangelnden Zugangs zu Wasser (HRW 22.7.2021). Letztere wurden gewaltsam niedergeschlagen (HRW 22.7.2021; vergleiche UNHRC 13.1.2022).
Jüngste Proteste
Nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Jina (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023) kam es in Iran zu den größten Protesten seit Jahren (EN 1.2.2023; vergleiche GD 17.2.2023). Sie dauerten im Februar 2023 noch an (GD 17.2.2023) und flauten bis zum Sommer schließlich ab (USIP 6.9.2023).
Amini war kurz vor ihrem Tod von der Sittenpolizei des Landes wegen angeblicher Verstöße gegen die Bekleidungsvorschriften für Frauen verhaftet und laut Augenzeugenberichten geschlagen worden (BBC 16.9.2022). Angehörige von Amini wie auch Protestteilnehmer und -teilnehmerinnen wiesen die Behauptung der Behörden zurück, Amini sei aufgrund einer unentdeckten Vorerkrankung gestorben (EN 1.2.2023). Den Protesten unter der Parole „Frau, Leben, Freiheit“ (in kurdischer Sprache: „Jin, Jîyan, Azadî“) (NatGeo 17.10.2022), die im Wesentlichen von Frauen gestartet wurden (EN 1.2.2023), schlossen sich Iraner und Iranerinnen aller Altersgruppen und Ethnien an, wobei sie vor allem von den jüngeren Generationen auf die Straße getragen wurden (NatGeo 17.10.2022). Die Proteste fanden in allen größeren sowie vielen kleineren Städten Irans statt. Die iranischen Behörden reagierten gewaltsam darauf, mitunter kam es auch zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Demonstrantinnen und Demonstranten mit den Sicherheitsbehörden (EN 1.2.2023).
Laut Menschenrechtsaktivisten wurden im Zeitraum September 2022 bis Februar 2023 über 500 Demonstrantinnen und Demonstranten getötet, darunter 71 Minderjährige (REU 17.2.2023). Human Rights Watch (HRW) dokumentierte, dass Sicherheitskräfte Schrotflinten, Sturmgewehre und Handfeuerwaffen gegen Demonstranten eingesetzt haben, und zwar in weitgehend friedlichem Umfeld und oft in überlaufenen Gegenden (HRW 12.1.2023). Ethnische Minderheiten waren überproportional stark von den Repressionen gegen die Proteste betroffen (UNHRC 7.2.2023; VOA 16.11.2022). Am 30.9.2022 eröffneten beispielsweise Sicherheitskräfte das Feuer auf Demonstrantinnen und Demonstranten in der Stadt Zahedan (Provinz Sistan und Belutschistan), wobei Dutzende von Menschen getötet und verletzt worden sind [Anm.: siehe zu diesem Vorfall auch das Kapitel "Ethnische Minderheiten / Belutschen"] (HRW 12.1.2023). In den kurdischen Gebieten wurden Truppen, schwere Waffen und Militärfahrzeuge in Stellung gebracht, um die Demonstranten niederzuschlagen (EN 1.2.2023).
Rund 20.000 Protestteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden zeitweise inhaftiert (REU 17.2.2023; vergleiche DW 13.3.2023). Laut staatsnahen iranischen Medien ist ein bedeutender Anteil der Festgenommenen minderjährig (AI 16.3.2023; vergleiche UNHRC 7.2.2023). Festgenommene berichteten von Folter während der Inhaftierung (NDR 1.2.2023; AI 16.3.2023), darunter auch von Minderjährigen (AI 16.3.2023), sowie von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung (FH 10.3.2023; vergleiche AI 16.3.2023). Nach Angaben der Justizbehörden wurden mit Stand Februar 2023 vier Personen im Zusammenhang mit den Protesten gehängt (REU 17.2.2023). Bis Mitte Jänner wurden 18 weitere Personen im Zusammenhang mit den Protesten zum Tod verurteilt (BBC 18.1.2023), und laut der NGO Iran Human Rights (IHRNGO) laufen rund 100 weitere Protestteilnehmer und -teilnehmerinnen Gefahr, zum Tod verurteilt zu werden (IHRNGO 27.12.2022). Vor den Nowruz-Feierlichkeiten im März 2023 kündigten die iranischen Justizbehörden an, dass rund 22.000 Menschen, die im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen worden waren, begnadigt würden. Menschenrechtsgruppen hatten die Zahl der inhaftierten Protestteilnehmer zuvor auf rund 19.700 geschätzt (DW 13.3.2023). Die meisten Minderjährigen sind nach Einschätzung von Amnesty International (AI) mit Stand März 2023 wieder freigelassen worden, manche auf Kaution und mit laufenden Verfahren. Viele wurden erst freigelassen, nachdem sie gezwungen wurden, "Reue"-Schreiben zu unterzeichnen und sich zu verpflichten, von "politischen Aktivitäten" abzusehen und an regierungsfreundlichen Kundgebungen teilzunehmen (AI 16.3.2023). Laut dem Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats zu Iran hat das iranische Regime im Zusammenhang mit der Protestniederschlagung Verstöße begangen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten (BBC 20.3.2023).
Viele Gegnerinnen und Gegner der Regierung drücken ihren Protest derzeit durch zivilen Ungehorsam aus, etwa indem sie den Kopftuchzwang ignorieren (Spiegel 19.1.2023; vergleiche IRINTL 3.12.2023a, DW 23.11.2023). Im November 2022 ging ein Video eines tanzenden Paares vor dem Teheraner Wahrzeichen Azadi-Turm [Azadi: Freiheit in Farsi] viral, wobei die weibliche Tanzpartnerin keinen Hijab trug, und Tanzen in der Öffentlichkeit für Frauen verboten ist. Das Paar wurde nach Veröffentlichung des Videos von einem Teheraner Revolutionsgericht aufgrund der "Förderung von Korruption und öffentlicher Prostitution" sowie "Versammlungen mit der Absicht, die nationale Sicherheit zu stören" zu jeweils über zehn Jahren Gefängnis verurteilt und mit Ausreiseverboten sowie Zugangsbeschränkungen zum Internet belegt (GD 31.1.2023).
Nach dem Ausbruch der landesweiten Proteste im September 2022 verschwand die Sittenpolizei weitgehend von den Straßen. Der Regierung schien klar zu sein, dass die Ordnungshüter in ihren allgegenwärtigen weißen Transportern den Unmut der Öffentlichkeit noch stärker auf sich ziehen würden. Als die Patrouillen nachließen, zeigten sich immer mehr Frauen ohne Hijab in der Öffentlichkeit. Die Sittenpolizei wurde jedoch nie aufgelöst. Die iranische Regierung hielt an ihrer Position fest, indem sie die Durchsetzung der Vorschriften später wieder verstärkte. Im Juli 2023 setzte sie die Sittenpolizei wieder ein (USIP 6.9.2023; vergleiche RFE/RL 20.7.2023). Es wird von punktuellen Protesten in diesem Zusammenhang berichtet, beispielsweise im Juli 2023 in der Stadt Rasht, nachdem die Sittenpolizei drei Frauen angeblich wegen Verstößen gegen die Hijab-Pflicht festnehmen wollte (RFE/RL 20.7.2023), und im Dezember wurde eine Basis der Sittenpolizei in Shiraz laut der exiliranischen Nachrichtenseite Iran International angezündet, was die Seite mit anti-Hijab-Protesten in Verbindung brachte [Anm.: Entsprechende Beiträge wurden auch in den sozialen Medien geteilt (s. z.B. emilyshar1 3.12.2023, SabziPoloBaMahee 3.12.2023), darüber hinaus konnten hierzu jedoch keine weiteren Informationen gefunden werden] (IRINTL 3.12.2023a).
Religionsfreiheit
Letzte Änderung 2024-01-26 13:39
In Iran leben schätzungsweise rund 87,6 Millionen Menschen (CIA 7.3.2023), von denen nach offiziellen Angaben ungefähr 99 % dem Islam angehören. Etwa 90 % der Bevölkerung sind demnach Schiiten, ca. 9 % sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq (Yaresan) und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (STDOK 3.5.2018; vergleiche USDOS 15.5.2023). Im Rahmen einer vielbeachteten und breit diskutierten (NYMAG 21.10.2022) Onlinebefragung der Organisation Gamaan aus dem Jahr 2020, an der sich 40.000 innerhalb Irans lebende Iraner sowie rund 10.000 im Ausland lebende Iraner beteiligt haben, wurden folgende Einstellungen bzw. religiösen Ausrichtungen angegeben: nur rund 32 % der Bevölkerung bekennen sich zum Schiitentum, 5 % zum Sunnitentum und rund 8 % zum Zoroastrismus. 9 % identifizierten sich dagegen als Atheisten, 7 % als "spirituell" und 6 % als Agnostiker. Andere gaben an, dem Sufismus, Humanismus, Christentum, dem Baha'i-Glauben oder dem Judentum zu folgen (Anteile zwischen rd. 0,1 und 3 %) und rund 22 % der Befragten wollten sich mit keiner der genannten Gruppierungen identifizieren (GAMAAN 25.8.2020). Auch wenn nicht genau gesagt werden kann, inwiefern die von Gamaan vorgelegten Zahlen auf die Gesamtbevölkerung Irans umlegbar sind, zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zum nationalen Zensus. Aus der Studie lässt sich eine erosionsartige Fragmentierung des religiösen Feldes zumindest bei den befragten Iranerinnen und Iranern ablesen. Interessant ist unter anderem die Vielfalt an verschiedenen Glaubensbekenntnissen von Konfessionslosigkeit und Atheismus, beides eigentlich Tabus in einer offiziell islamischen Gesellschaft wie der iranischen, über Zoroastrismus und Trends zu spirituellen und esoterischen Sekten, bis hin zum Agnostizismus, zu sufischen Bewegungen, den Bahai und zum Christentum. Letztere stellen laut der Studie lediglich eine relativ kleine Gruppe dar (BAMF 5.2022).
Nachstehender Karte können die Hauptsiedlungsgebiete der größten Glaubensgruppen in Iran entnommen werden. Demnach leben Sunniten mehrheitlich in den Grenzregionen im äußersten Nordwesten Irans, im Norden in einem Gebiet an der Grenze zu Turkmenistan [Provinz Golistan] sowie im Süden bei Bandar-e Abbas [Provinz Hormuzgan] und an der Grenze zu Pakistan sowie dem Südwesten Afghanistans [in Iran: Provinz Sistan und Belutschistan]. Der größte Teil des Landes wird mehrheitlich von Schiiten bewohnt. Minderheitengruppen wie Zoroastrier, Bahai, Juden und Sikhs werden auf der Karte nicht dargestellt; insbesondere in urbanen Zentren ist die Bevölkerung sehr heterogen und kann auf dieser Karte nicht dargestellt werden (BMI/BMLVS 2017).
Christen
Letzte Änderung 2024-01-26 13:41
Nach Angaben des staatlichen iranischen Statistikzentrums aus dem Jahr 2016 gibt es 117.700 Christen in Iran. Einige Schätzungen deuten jedoch darauf hin, dass es deutlich mehr sind, als tatsächlich angegeben (USDOS 15.5.2023). Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran. Den größten Anteil [unter den anerkannten christlichen Gemeinschaften] stellen dabei armenische Christen (STDOK 3.5.2018), wobei Vertreter dieser Religionsgemeinschaft ihre Gesamtanzahl auf 40.000-50.000 schätzen. Die Anzahl der Assyrer und Chaldäer wird auf insgesamt rund 7.000 geschätzt (USDOS 15.5.2023). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben (ÖB Teheran 11.2021), wobei erstere auf rund 21.000 Personen geschätzt werden, während es zu letzteren keine belastbaren Daten gibt. Viele Protestanten praktizieren ihren Glauben im Geheimen (USDOS 15.5.2023). Schätzungen zufolge stellen Konvertiten aus dem Islam mit mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 30.11.2022). Armenische Christen leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan (STDOK 3.5.2018).
Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt, dies gilt allerdings nicht für evangelikale Freikirchen. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt (ÖB Teheran 11.2021): Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur diese historisch ansässigen Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als solche bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen. Mit der Registrierung sind bestimmte Rechte verbunden, darunter die Verwendung von Alkohol zu religiösen Zwecken. Die Behörden können eine Kirche schließen und ihre Leiter verhaften, wenn die Kirchenbesucher sich nicht registrieren lassen oder wenn nicht registrierte Personen an den Gottesdiensten teilnehmen (USDOS 15.5.2023).
Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt (ÖB Teheran 11.2021); christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 11.2021), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Soweit ethnische Christen die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie kaum behindert oder verfolgt. Dies trifft insbesondere auf armenische und assyrische Christen zu. Konvertiten vom Islam zum Christentum und Mitglieder protestantischer Freikirchen sind demgegenüber willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt (AA 30.11.2022). Die iranischen Behörden gestatten Konvertiten nicht, die Kirchen der armenischen und assyrischen Gemeinschaften zu besuchen (ARTICLE18 o.D.). Einerseits wird immer wieder von Razzien und Verhaftungen von Christinnen und Christen berichtet, was ein hartes staatliches Vorgehen signalisiert. Die Gemeinden sollen durch diese Unvorhersehbarkeit in Angst und Unsicherheit gehalten werden. Andererseits belegen Einzelbeispiele, dass es immer darauf ankommt, welche Person dem Beschuldigten gegenübersitzt. Auch persönliche Einstellungen und Charakteristika von Amtsträgern spielen eine Rolle. Dabei kann es fallweise erhebliche Unterschiede geben. Die Aussage, dass Pastoren, Missionare oder Organisatoren von Hauskirchen besonders im Fokus der Sicherheitsdienste stehen, bedeutet nicht, dass sich das Risiko für normale, nicht in entsprechende Aktivitäten involvierte Gemeindemitglieder automatisch auf null reduzieren würde (BAMF 5.2022).
Historisch ansässige Christen genießen Kultusfreiheit innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen (ÖB Teheran 11.2021) und sind in familienrechtlichen Angelegenheiten weitgehend autonom (BAMF 5.2022). Jedoch haben Nichtmuslime weder Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit noch Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit. Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und der Anwerbung von Andersgläubigen ist verboten (Proselytismusverbot) und wird streng bestraft. Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden, wobei im November 2021 berichtet wurde, dass es in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam (ÖB Teheran 11.2021). Im September 2022 wurde jedoch bekannt, dass zwei Aktivistinnen für die Rechte von Angehörigen sexueller Minderheiten, denen die Behörden neben anderen Anklagepunkten auch "Missionierung für das Christentum" vorwarfen, zum Tod verurteilt worden sind (BAMF 1.1.2023; vergleiche OMCT 22.9.2022).
Für das iranische Regime besonders bedrohlich erscheinen Religionen wie das evangelikale Christentum, welches die aktive Ausübung des christlichen Glaubens etwa im Rahmen von Hauskirchen und missionarischen Aktivitäten einfordert. Die möglichen Verbindungen zu evangelikalen Gruppierungen und Organisationen in Ländern wie Großbritannien und den USA, die seit 1979 als Feinde des Landes und seines politischen Systems gelten, verstärken den Eindruck einer Bedrohung. Diese Gemengelage führt die iranischen Machthaber und Behörden zur Einschätzung, dass man es hier mit einer Bedrohung der nationalen Sicherheit zu tun hat (BAMF 5.2022). Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen ('Hauskirchen') oft hart vorgegangen (u. a. Verhaftungen und Beschlagnahmungen). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot. Kirchenvertreter sind angehalten, die Behörden zu informieren, bevor sie neue Mitglieder in ihre Glaubensgemeinschaft aufnehmen (ÖB Teheran 11.2021).
Es gibt auch Einschränkungen, mit denen anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht (STDOK 3.5.2018). Im Weltverfolgungsindex von Christen für das Jahr 2023, den die NGO Open Doors jährlich veröffentlicht, befindet sich Iran auf dem achten Platz (2022: Platz neun). Der Weltverfolgungsindex ist eine Rangliste der 50 Länder, in denen Christen der stärksten Verfolgung und Diskriminierung wegen ihres Glaubens ausgesetzt sind. Je niedriger die Zahl, desto höher die Verfolgung. Der durchschnittliche Druck in Iran ist weiterhin extrem hoch. Die Zahl dokumentierter gewaltsamer Übergriffe, einschließlich Entführungen, ist laut Open Doors in Iran zuletzt gestiegen (OpD 18.1.2023).
Ausländische christliche Gemeinden können ihre Religion weitgehend ungehindert ausüben, werden jedoch von staatlicher Seite dabei genau beobachtet. Eine nachhaltige Gemeindearbeit wird durch staatliche Schikanen verhindert (z. B. Verweigerung der Visaverlängerung für in Iran praktizierende, ausländische Priester oder Visaverweigerung). Dadurch könnten die Gemeinden langfristig "aussterben". Insbesondere Iraner, die sich aktiv für nicht-muslimische Glaubens- und Gemeindearbeit einsetzen, laufen Gefahr, ins Visier der Sicherheitsbehörden zu geraten (AA 30.11.2022). Ausländischen Christen ist es streng verboten, mit iranischen christlichen Konvertiten aus dem Islam in Kontakt zu treten, geschweige denn sie in ihre Gemeinden aufzunehmen (OpD 20.2.2023).
Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind (STDOK 3.5.2018; vergleiche Qantara o.D.). Anerkannte christliche Religionsgemeinschaften haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden (STDOK 3.5.2018), wobei Schüler und Schülerinnen, die einer anerkannten religiösen Minderheit angehören, auch Kurse in schiitischem Islam belegen und bestehen müssen (USDOS 15.5.2023).
Es gehört zum Erscheinungsbild in den Großstädten, dass christliche Symbole im Modebereich als Accessoires Verwendung finden und auch in den entsprechenden Geschäften angeboten werden. Auch Dekorationen mit christlichen Motiven sind nicht ungewöhnlich. Eine solche kommerzielle Präsentation führte bisher nach Darstellung der in Teheran vertretenen westlichen Botschaften zu keinen Strafverfahren (BAMF 3.2019). Weihnachtsdekoration ist in vielen Städten Irans beliebt, man kann sie ohne Probleme finden (MRAI 19.6.2023; vergleiche BAMF 3.2019). Vor einigen Kirchen in Teheran stehen anlässlich der Weihnachtsfeiertage, zu denen von staatlicher Seite immer wieder Glückwünsche übermittelt werden, Weihnachtsbäume (BAMF 3.2019). Die gestiegene Beliebtheit von christlichen Weihnachtsfeiern und Christbäumen (unter Nicht-Christen) wurde von konservativer Seite allerdings auch kritisiert (IRJ 30.12.2019). Der Staat kann zwar Bedenken äußern oder Beschränkungen für Geschäfte, die diese Dekorationen verkaufen, auferlegen, aber er erhebt normalerweise keine Anklage wegen Besitzes oder Verwendung dieser Dekorationen (MRAI 19.6.2023). Unter anderem versucht er auch, das in Iran verbreitete Feiern des Valentinstages zu unterbinden, der zeitlich mit dem Jahrestag der Islamischen Revolution zusammenfällt. Seit über zwei Jahrzehnten ist die Herstellung von Postern, Broschüren, Schachteln und Karten mit Liebesherzsymbolen und roten Rosen, wie sie zum Valentinstag verschenkt werden, offiziell verboten. Dennoch werden derartige Waren von Ladenbesitzern angeboten und von Kunden gekauft, wobei Ladenbesitzer Sanktionen wie temporäre Geschäftsschließungen riskieren (NLM 14.2.2022). Das Tragen von christlichen Symbolen [wie z. B. Kreuzanhängern] kann nach Angaben einer iranischen Rechtsanwältin für Personen allerdings je nach Interpretation der Sittenpolizei zu Problemen führen. Die Behördenvertreter können dies beispielsweise als allgemeines und zweideutiges Vergehen im Zusammenhang mit Straftaten gegen die Keuschheit und die öffentliche Moral einstufen. Letztendlich ist es Sache des Richters oder der Polizei zu entscheiden, ob die Verwendung christlicher Symbole unter diese Straftatbestände fällt. Ein weiterer möglicher Ansatz besteht darin, Personen der "Störung der öffentlichen Werte" zu beschuldigen. Es gibt Fälle, in denen die Sittenpolizei Menschen wegen des Tragens christlicher Symbole verhaftet hat (MRAI 19.6.2023). Einer Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge kann ein Richter sichtbare christliche Tätowierungen oder im Rahmen einer Verhaftung eines Konvertiten beschlagnahmten Schmuck oder Bilder mit christlicher Symbolik in die Beweislast im Zusammenhang mit einer Konversion einbeziehen. Dies kann jedoch von Fall zu Fall variieren (MBZ 9.2023).
Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen
Letzte Änderung 2024-01-26 13:44
Abfall vom Islam, Apostasie (Farsi: ertedad) fällt in den Bereich der sog. Hadd-Strafen der Sharia, die allgemein mit der Todesstrafe geahndet werden, obwohl die islamischen autoritativen Rechtsquellen wie der Koran und Hadithe (Aussagen des Propheten) nicht immer eindeutig und zuweilen auch widersprüchlich sind. Das Strafgesetzbuch der Islamischen Republik Iran (IStGB) ist nicht mit der Sharia identisch und Apostasie wird nicht als Straftatbestand im IStGB aufgeführt. In Fällen wie diesen erlaubt Artikel 167, der Verfassung Richtern den Rückgriff auf traditionelle islamische Rechtsquellen (Koran, Hadith und Fatwas, sog. Rechtsgutachten). Damit besteht rechtlich zumindest in der Theorie die Möglichkeit, bei Apostasie eine Bestrafung gemäß den islamischen Rechtsquellen und Fatwas vorzunehmen. Obwohl die iranischen Behörden zuweilen mit Apostasie-Anklagen drohen, sind solche jedoch sehr selten (BAMF 5.2022; vergleiche ARTICLE 19 6.7.2022). Gerichte können somit immer noch Todesurteile wegen Apostasie verhängen, indem sie sich in Artikel 167, des Strafgesetzbuches auf die Scharia berufen. Zwischen 1990 und 2020 haben sie das - vermutlich auf internationalen Druck - nur dreimal getan. Die einzige Hinrichtung aufgrund von Apostasie fand 1990 statt (OpD 20.2.2023; vergleiche IRB 9.3.2021). Ein Teilnehmer an den Protesten vom September 2022 wurde im Dezember 2022 von einem Revolutionsgericht unter anderem wegen Apostasie zum Tod verurteilt. Ihm war die Verbrennung eines Korans vorgeworfen worden, wobei er laut Amnesty International durch Folter zu einem Geständnis gezwungen worden war. Das Urteil wurde im Mai 2023 aufgehoben, der Protestteilnehmer verstarb jedoch in Haft, bevor es zu einer Neuverhandlung kommen konnte (AI 7.9.2023; vergleiche BBC 31.8.2023).
Zum Christentum Konvertierte können auch auf Grundlage anderer Straftatbestände angeklagt werden, wobei diese Anklagepunkte zu den sogenannten Taʿzir-Strafen (Ermessensstrafen) zählen, bei denen die Urteilsfindung und das Strafmaß im Ermessen des vorsitzenden Richters liegen. Mögliche Anklagepunkte, die lt. IStGB mit unterschiedlich langen Haftstrafen geahndet werden, sind z.B.: Aktionen gegen die nationale Sicherheit (IStGB 5. Buch/Art. 498-99), Propaganda gegen das System (IStGB 5. Buch/Art. 500), Beleidigung heiliger islamischer Werte und Prinzipien (IStGB 5. Buch/Art. 513), Versammlung und Verschwörung zur Unterminierung der Landessicherheit (IStGB/Art. 610) oder Alkoholgenuss [im Zuge der Heiligen Kommunion] (IStGB/Art. 701) (BAMF 5.2022), wobei der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021). Andere politisch motivierte Anklagen wie Feindschaft gegen Gott (moharebeh) und Verderbtheit auf Erden (efsad-e fi’l-arz) wurden ebenfalls verschiedentlich dokumentiert, sind im Zusammenhang mit Bekenntnissen zu religiösen Alternativen allerdings eher selten (BAMF 5.2022).
Christen, insbesondere Evangelikale und andere Konvertiten aus dem Islam, sind nach Angaben christlicher Nichtregierungsorganisationen weiterhin unverhältnismäßig vielen Verhaftungen und Inhaftierungen sowie einem hohen Maß an Schikanen und Überwachung ausgesetzt. Menschenrechtsorganisationen und christliche NGOs berichten weiterhin, dass die Behörden Christen, einschließlich Mitglieder nicht anerkannter Kirchen, aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit oder ihrer Aktivitäten verhaften und sie beschuldigen, illegal in Privathäusern zu operieren oder "feindliche" Länder zu unterstützen und deren Hilfe anzunehmen. Das katholische Medienunternehmen AsiaNews hat berichtet, dass die Behörden zwischen Jänner und Juni 2022 58 christliche Konvertiten verhaftet haben, verglichen mit 72 im gesamten Jahr 2021. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen setzt die Regierung auch das Verbot der Missionierung weiter durch (USDOS 15.5.2023).
Trotz des Verbots des "Abfalls vom Islam" ist in Iran ein anhaltender Trend von Konversion zum Christentum festzustellen. Unter den Christinnen und Christen des Landes stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen. Viele vor allem jüngere Iranerinnen und Iraner haben sich von der Religion auch gänzlich abgewendet, weil sie mit den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen seit der Islamischen Revolution nicht einverstanden sind (AA 30.11.2022). Das Regime ist bestrebt, die Werte der Islamischen Revolution von 1979 zu schützen, von denen es seine Legitimität ableitet. Der christliche Glaube gilt als gefährlicher westlicher Einfluss und als Bedrohung der islamischen Identität der Republik (OpD 20.2.2023). Konversion und Bekenntnis zum Christentum sind damit Akte des Protests, der Fundamentalopposition und des Bruches mit der Islamischen Republik (BAMF 5.2022). Dies erklärt, warum insbesondere Konvertiten, die sich vom Islam ab- und dem christlichen Glauben zugewandt haben, wegen "Verbrechen gegen die nationale Sicherheit" verurteilt werden (OpD 20.2.2023). Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft auch Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z. B. Zionisten) (ÖB Teheran 11.2021). Freikirchliche Protestanten werden des "evangelikalen und zionistischen" Christen- bzw. Sektentums bezichtigt (BAMF 5.2022).
Missionarische Tätigkeit – d. h. jegliches nicht-islamisches religiöses Agieren in der Öffentlichkeit - ist verboten und wird geahndet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 15.5.2023). Das Strafgesetz sieht für Proselytismus formell die Todesstrafe vor, wobei es laut Auskunft der österreichischen Botschaft in Teheran vom November 2021 in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil gekommen ist (ÖB Teheran 11.2021). Im September 2022 wurde jedoch bekannt, dass zwei Aktivistinnen für die Rechte von Angehörigen sexueller Minderheiten, denen die Behörden neben anderen Anklagepunkten auch "Missionierung für das Christentum" vorwarfen, zum Tod verurteilt worden sind (BAMF 1.1.2023; vergleiche OMCT 22.9.2022).
Die Aktivitäten anerkannter christlicher Gemeinschaften sind streng geregelt, um Missionstätigkeit zu verhindern. Anerkannte christliche Gruppen lehnen Missionierungsarbeit daher ab, was von den Behörden regelmäßig auch überprüft wird (DFAT 24.7.2023). Alle Christen und christlichen Kirchen müssen bei den Behörden registriert sein, und nur anerkannte Christen dürfen die Kirche besuchen. Die Sicherheitsbehörden überwachen die registrierten Kirchen genau, um sicherzustellen, dass die Gottesdienste nicht auf Farsi abgehalten werden (sie müssen in der traditionellen Sprache der Kirche und nicht in der Volkssprache abgehalten werden), und führen regelmäßige Identitätskontrollen der Gläubigen durch, um zu überprüfen, dass keine Nichtchristen oder Konvertiten an den Gottesdiensten teilnehmen. Kirchen, die sich nicht daran halten, müssen mit der Schließung rechnen (DFAT 24.7.2023; vergleiche ARTICLE18 o.D.).
Einige Konvertiten haben sich daher den "Assemblies of God"-Kirchen angeschlossen, andere gehören verschiedenen evangelikalen Hauskirchen-Netzwerken an (RFE/RL 5.5.2022). Die Schließungen von "Assembly of God"-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen. Einer vom Danish Immigration Service (DIS) befragten Quelle zufolge zeigt die steigende Zahl von Hauskirchen, dass sie Spielraum für ihre Tätigkeit haben, obwohl sie illegal sind (DIS 23.2.2018). Die Größe der Hauskirchen, ihre Art und Struktur variieren. Die meisten sind klein und informell, sie bestehen aus engen Verwandten und Freunden, die sich regelmäßig zum Beten und Bibellesen oder zum Ansehen von christlichen Fernsehprogrammen auf Farsi treffen (DFAT 24.7.2023).
Die hauskirchlichen Vereinigungen stehen unter besonderer Beobachtung, ihre Versammlungen werden regelmäßig aufgelöst und ihre Angehörigen gelegentlich festgenommen (AA 30.11.2022). Die Behörden fürchten die Ausbreitung der Hauskirchen und beobachten sie. Allerdings ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die ungewöhnliche Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Weiters setzen die Behörden Informanten ein. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit, eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind. Erfolgreiche Hauskirchen sind einem größeren Risiko ausgesetzt: Ob Behörden eingreifen, hängt auch von der Größe der Gemeinde ab. Eine andere Quelle gab dagegen an, dass Hauskirchen systematisch durchsucht werden. Eine Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet, wenn ein Christ das Interesse der Behörden geweckt hat. So können zum Beispiel Stichwörter wie "Kirche", "Christ", "Jesus" oder "Taufe" als Grundlage für eine elektronische Überwachung dienen (DIS 23.2.2018).
Einige derjenigen Christen, die die schwersten Strafen erhalten haben (2-10 Jahre Gefängnis), wurden wegen der Leitung/Organisation von Hauskirchen verurteilt (Landinfo 20.6.2022). Typischerweise werden die Leiter von Hauskirchen verhaftet und wieder freigelassen, da die Behörden die Hauskirche schwächen wollen (DIS 23.2.2018). Gewöhnliche Mitglieder von Hauskirchen riskieren ebenfalls, in einer Hauskirche verhaftet zu werden (DIS 23.2.2018; vergleiche OpD 20.2.2023, BAMF 5.2022). Manche der Festgenommenen werden später nicht verurteilt und inhaftiert (Landinfo 20.6.2022). Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden steht, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen meist nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten folgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden in der Regel nicht über ihn Bescheid wissen (DIS 23.2.2018). Die Aussage, dass Pastoren, Missionare oder Organisatoren von Hauskirchen besonders im Fokus der Sicherheitsdienste befinden, bedeutet allerdings nicht, dass sich das Risiko für normale, nicht in entsprechende Aktivitäten involvierte Gemeindemitglieder automatisch auf null reduzieren würde. So berichtete Landinfo über die Verhaftung eines Mannes im Jahr 2016, der kein auffälliges Profil aufwies, das Rückschluss auf eine wie auch immer geartete Exponiertheit erlauben würde (BAMF 5.2022).
Im November 2021 entschied der Oberste Gerichtshof, dass neun christliche Konvertiten, die wegen ihrer Beteiligung an Hauskirchen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden waren, nicht wegen "Handelns gegen die nationale Sicherheit" angeklagt werden sollten. In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs heißt es: "Die bloße Verkündigung des Christentums und die Förderung der 'evangelikalen zionistischen Sekte', wobei beides offensichtlich die Propagierung das Christentum durch Familientreffen [Hauskirchen] bedeutet, ist kein Ausdruck der Zusammenkunft und der geheimen Absprache, um die Sicherheit des Landes zu stören, weder im Inneren noch nach außen" (ARTICLE18 25.11.2021; vergleiche RFE/RL 5.5.2022). Anders als die Berufungsgerichte kann der Oberste Gerichtshof keine neuen Urteile erlassen, sondern entscheidet lediglich über die Wiederaufnahme von Gerichtsverfahren. Der Fall wurde nun an eine Zweigstelle des Berufungsgerichtshofes innerhalb des Revolutionsgerichts überstellt, das nun unabhängig von den bislang ergangenen Gerichtsurteilen - aber auch unabhängig vom Obersten Gerichtshof - zu einem Urteil in der Sache gelangen konnte. Die Konvertiten wurden daraufhin im Februar 2022 freigesprochen und bis auf eine Person, die wegen ihrer christlichen Aktivitäten noch eine andere Haftstrafe verbüßt, freigelassen. Gegen zwei der Freigelassenen wurden umgehend neue Anklagen erhoben (BAMF 5.2022). In einem ähnlich gelagerten Fall wurde ein zum Christentum konvertiertes Ehepaar, das 2020 aufgrund der Teilnahme an hauskirchlichen Treffen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden ist, im Mai 2023 freigesprochen und aus der Haft entlassen. Auch hier hatte ein Berufungsgericht geurteilt, dass die Organisation, Mitgliedschaft und Teilnahme an christlichen Gruppen keine Handlungen gegen die Sicherheit des Landes darstellen würden (BAMF 15.5.2023). Menschenrechtsorganisationen betonen einerseits eine mögliche Signalwirkung der Urteile (BAMF 15.5.2023; vergleiche ARTICLE18 25.11.2021), andererseits wurde beispielsweise im September 2022 bekannt, dass mehrere Christen aufgrund ihrer Beteiligung an Hauskirchen unter dem Anklagepunkt "Bildung und Betrieb illegaler Organisationen, mit dem Ziel die Sicherheit des Landes zu stören", von einem Berufungsgericht teilweise zu langen Haftstrafen verurteilt worden sind (ET 24.9.2022; vergleiche OpD 22.9.2022).
Inhaftierten Christen, besonders christlichen Konvertiten, wird oft eine Entlassung gegen Kaution angeboten. Dabei geht es meist um hohe Geldbeträge, die Berichten zufolge zwischen 2.000 und 150.000 US-Dollar liegen. Die betroffenen Christen oder deren Familien werden dadurch gezwungen, ihre Häuser oder Geschäfte mit Hypotheken zu belasten. Personen, die gegen Kaution freigelassen werden, schweigen oft, da sie den Verlust ihres Familienbesitzes fürchten müssen. Das iranische Regime drängt sie, das Land zu verlassen und damit ihre Kaution zu verlieren. Es wird angenommen, dass Regierungsbeamte das Kautionssystem nutzen, um sich zu bereichern und Christen finanziell in den Ruin zu treiben (OpD 20.2.2023).
Die von der Regierung ausgeübte Kontrolle ist in städtischen Gegenden am höchsten. Ländliche Gebiete werden weniger stark überwacht. In der Anonymität der Städte haben Christen jedoch mehr Freiheiten, Treffen und Aktivitäten zu organisieren als in ländlichen Gebieten, in denen die soziale Kontrolle stärker ist (OpD 20.2.2023).
Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z. B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 11.2021). Informanten in westlichen Ländern berichten dem iranischen Geheimdienst über Aktivitäten iranischer Christen im Ausland (OpD 20.2.2023).
Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein 'high-profile'-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber dies kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber zu Problemen führen (DIS 23.2.2018). Eine befragte Rechtsanwältin schilderte in diesem Zusammenhang auch, dass es Fälle gibt, bei denen Personen aufgrund von Beiträgen in den sozialen Netzwerken mit nur geringer Reichweite oder Beiträgen von lediglich "privat" einsehbaren Profilen inhaftiert wurden, da sie von Personen aus ihrem Umfeld gemeldet wurden. Der Staat ist rechtlich dazu in der Lage, Personen in derartigen Fällen aufgrund von "Vergehen gegen die nationale Sicherheit" oder "Vergehen gegen den Islam" zu verfolgen (MRAI 19.6.2023). Die iranischen Behörden fokussieren bei der Überwachung von Konvertiten zuletzt zunehmend auf Online-Aktivitäten (Landinfo 20.6.2022). Dies fällt unter den Kompetenzbereich des Cyber Defense Commands der Revolutionsgarden sowie des Centre to Investigate Organized Crimes (CIOC), da dies als Angelegenheit der nationalen Sicherheit wahrgenommen wird (Landinfo/et al. 12.2021).
Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS 23.2.2018). Open Doors gibt im Weltverfolgungsindex 2023 an, dass die Taufe als öffentliches Zeichen der Abwendung vom Islam gesehen wird und deshalb verboten ist (OpD 20.2.2023).
Christlichen NGOs zufolge werden die staatlichen Beschränkungen für die Veröffentlichung von religiösem Material fortgesetzt, obwohl staatlich genehmigte Bibelübersetzungen Berichten zufolge weiterhin erhältlich sind. Regierungsbeamte beschlagnahmen häufig Bibeln und ähnliche nicht schiitische religiöse Literatur und üben Druck auf Verlage aus, die nicht genehmigtes nicht-muslimisches religiöses Material drucken, um ihre Tätigkeit einzustellen (USDOS 15.5.2023). Der Besitz christlicher Literatur in Farsi, besonders in größeren Stückzahlen, legt den Verdacht nahe, dass sie zur Weitergabe an muslimische Iraner gedacht ist (OpD 20.2.2023). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der 'Katholischen Jerusalem Bibel' ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den 'Katechismus der Katholischen Kirche' ins Farsi. Beide Produkte waren mit Stand 2019 ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).
In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind. Die Probleme, die durch Konversion auftreten können, sind breit gefächert. Sie beginnen in der Schule, wo Kinder aus konvertierten Familien einen Verweis oder die Verwehrung des Hochschuleintritts riskieren, sollten sie den Fächern Religionsunterricht, Islamische Lehre und Koranstunde fernbleiben (ÖB Teheran 11.2021).
Atheismus
Rechtlich gesehen ist es im Iran nicht möglich, sich nicht zu einer Religion zu bekennen. Es gibt mehrere Situationen, in denen Iraner den Behörden ihre Religionszugehörigkeit mitteilen müssen (MBZ 9.2023). Personen, die sich öffentlich vom Islam lossagen, können wegen Apostasie (DFAT 24.7.2023) und Blasphemie angeklagt werden (SäkF 24.8.2020; vergleiche RFE/RL 8.5.2023). Beispielsweise im Mai 2023 exekutierte das iranische Regime zwei atheistische Aktivisten, die wegen Blasphemie zum Tod verurteilt worden waren, da sie in den sozialen Medien angeblich "Atheismus und die Beleidigung von religiösen und islamischen Heiligtümern" gefördert hätten (RFE/RL 8.5.2023; vergleiche AJ 8.5.2023). Atheisten sind daher üblicherweise diskret bei der Zurschaustellung ihrer Anschauung (DFAT 24.7.2023; vergleiche USDOS 15.5.2023). Wenn sie diese nicht weithin bekannt machen, ist es eher unwahrscheinlich, dass die Behörden auf sie aufmerksam werden (DFAT 24.7.2023). Unter anderem verbietet auch das Pressegesetz ausdrücklich eine Verbreitung von atheistischen Inhalten oder von Inhalten, die als schädlich für die islamischen Kodizes oder als Beleidigung islamischer Rechtsgelehrter angesehen werden. Die weit gefassten Definitionen erleichtern hierbei eine umfassende Zensur und verwehren den Bürgern den Zugang zu verschiedenen Informationsquellen (ARTICLE19 27.2.2018).
Atheisten aus konservativen Familien könnten mit familiärem Druck und potenzieller Ächtung konfrontiert werden, wenn ihr Atheismus bekannt würde. Atheisten aus liberaleren Familien und Teilen des Landes, wie dem Norden Teherans, sind solchem Druck dagegen nicht ausgesetzt (DFAT 24.7.2023). Gemäß einer anderen Quelle gaben Atheisten dagegen an, dass sie ihren Atheismus in den meisten gesellschaftlichen und sogar familiären Kontexten zu ihrer eigenen Sicherheit verbergen müssen (IrWire 27.2.2023).
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen
Letzte Änderung 2024-01-23 10:02
Generell genießt die Familie in Iran, ebenso wie in den meisten anderen islamischen Gesellschaften, einen hohen Stellenwert. Der Unterschied zwischen Stadt und Land macht sich aber auch hier bemerkbar in Bezug auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau sowie hinsichtlich der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Auf dem Land hat das traditionelle islamische Rollenmodell weitgehende Gültigkeit, der Tschador, der Ganzkörperschleier, dominiert hier das Straßenbild. In den großen Städten hat sich dieses Rollenverständnis inzwischen verschoben, wenn auch nicht in allen Stadtteilen. Während des Iran-Irak-Krieges war, allen eventuellen ideologischen Bedenken zum Trotz, die Arbeitskraft der Frauen unabdingbar. Nach dem Krieg waren Frauen aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken oder gar zu entfernen. Die unterschiedliche und sich verändernde Stellung der Frau zeigt sich auch an den Kinderzahlen: Während in vielen ländlichen - v. a. in den abgelegeneren - Gebieten fünf Kinder der Normalfall sind, sind es in Teheran und Isfahan im Durchschnitt unter zwei. Insbesondere junge Frauen begehren heute gegen die nominell sehr strikten Regeln auf, besonders anhand der Kleidungsvorschriften für Frauen wird heute der Kampf zwischen einer eher säkular orientierten Jugend der Städte und dem System in der Öffentlichkeit ausgefochten (GIZ 12.2020a).
Frauen und Mädchen spielen eine zentrale Rolle bei den landesweiten Protesten (AI 27.3.2023) seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Jina (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023). Amini war kurz vor ihrem Tod von der Sittenpolizei wegen angeblicher Verstöße gegen die Bekleidungsvorschriften für Frauen verhaftet und laut Augenzeugenberichten geschlagen worden (BBC 16.9.2022). Den Protesten unter der weitverbreiteten Parole: "Frau, Leben, Freiheit" (in kurdischer Sprache: "Jin, Jîyan, Azadî") (NatGeo 17.10.2022), die im Wesentlichen von Frauen gestartet wurden (EN 1.2.2023), schlossen sich Iraner und Iranerinnen aller Altersgruppen und Ethnien an, wobei sie v. a. von den jüngeren Generationen auf die Straße getragen wurden (NatGeo 17.10.2022). Viele Gegnerinnen der Regierung drücken ihren Protest derzeit auch durch zivilen Ungehorsam aus, etwa indem sie den Kopftuchzwang ignorieren (Spiegel 19.1.2023; vergleiche HRW 7.3.2023). Nach dem Beginn der Massenproteste Ende September 2022 verhafteten die Behörden Tausende von Menschen, darunter Prominente, Menschenrechtsaktivisten und andere, die ihre Unterstützung für die Bewegung durch Beiträge in den sozialen Medien oder durch die öffentliche Missachtung der Hijab-Pflicht, die zu Mahsa Aminis Verhaftung und Tod geführt hatte, zum Ausdruck gebracht hatten (FH 10.3.2023).
Verschiedene gesetzliche Verbote machen es Frauen unmöglich, im gleichen Maße wie Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (strenge Kleiderordnung, Verbot des Zugangs zu Sportveranstaltungen, Genehmigungsvorbehalt des Ehemannes oder Vaters bezüglich Arbeitsaufnahme oder Reisen). In rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind iranische Frauen also vielfältigen Diskriminierungen unterworfen, die jedoch zum Teil relativ offen diskutiert werden (AA 30.11.2022). Iran hat die "Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" (CEDAW) als einer von wenigen Staaten weltweit nicht unterzeichnet (FNS 8.12.2022; vergleiche UNHRC o.D.). Im Global Gender Gap Report 2022 des World Economic Forum liegt Iran auf Platz 143 von 146 (WEF 13.7.2022; vergleiche AA 30.11.2022).
Frauen haben das aktive Wahlrecht (USDOS 20.3.2023), sind jedoch von einigen staatlichen Funktionen (u. a. Richteramt, Staatspräsident) gesetzlich oder aufgrund entsprechender Ernennungspraxis ausgeschlossen (AA 30.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). Frauen ist es seit 1979 gesetzlich verboten, als Richterinnen zu arbeiten. Entsprechend qualifizierte Frauen können das Amt der "beratenden Richterin" an Zivil- oder Familiengerichten bekleiden (IrWire 20.1.2023). Die Urteile werden dort jedoch von männlichen Richtern gesprochen, welche die Ratschläge der "beratenden Richterinnen" annehmen oder ablehnen können (IrWire 20.1.2023; vergleiche BAMF 7.2020). Nur eine Frau gehört dem Kabinett von Staatspräsident Raisi an, die Vizepräsidentin für Frauen- und Familienangelegenheiten Ensieh Khazali. Die ultrakonservative Politikerin gilt als Befürworterin der frühen Heirat von Mädchen (AA 30.11.2022).
Kleidungsvorschriften und kulturelle Teilhabe
Dem Gesetz nach müssen alle Frauen in Iran ab einem Alter von neun Jahren die islamischen Bekleidungsvorschriften in der Öffentlichkeit einhalten (BAMF 7.2020). Frauen, die in der Öffentlichkeit ohne "angemessene Kleidung", wie z. B. einen Stoffschal über dem Kopf (Hijab) und einem Mantel, oder einen Tschador [bodenlanger Umhang, der nur das Gesicht freilässt] auftreten, können zu Auspeitschung oder einem Bußgeld verurteilt werden. In Ermangelung einer klaren gesetzlichen Definition von "angemessener Kleidung", oder der damit verbundenen Bestrafung, sind Frauen dem Ermessen der Disziplinar- und Sicherheitskräfte ausgesetzt (USDOS 20.3.2023). Eine Frau, die ihre Haare oder die Konturen ihres Körpers nicht verhüllt, kann mit einer Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) und/oder einer Geldbuße bestraft werden (AA 30.11.2022; vergleiche DIS 3.2023). Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich. Dazu kommt es in der Regel nicht, da die Familien von der Möglichkeit des Freikaufs überwiegend Gebrauch machen (AA 30.11.2022). Um die Zahl der Strafverfahren zu verringern, kommen Frauen bei Verstößen in vielen Fällen mit einer Verwarnung davon (DIS 3.2023). Auch wenn es in der Regel nur zu Verwarnungen kommt, ist die sogenannte Sittenpolizei "Gasht-e Ershad" in Iran jedoch gefürchtet. Bei Kontrollen soll sie regelmäßig Gewalt anwenden (AA 30.11.2022). Darüber hinaus wurden einige Frauen, die sich an Online- und Offline-Kampagnen gegen den Hijab beteiligt haben, wegen Sicherheitsdelikten angeklagt, da sie den Hijab in der Öffentlichkeit nicht korrekt getragen hatten (DIS 3.2023). Laut offiziellen Statistiken sind aktuell 70 % der iranischen Bevölkerung gegen den verpflichtenden Hijab (BAMF 1.2023).
Nach dem Amtsantritt von Präsident Raisi hat die Zahl der Patrouilleneinheiten zur Einhaltung der Kleidervorschriften zugenommen, sodass es bereits am 12.7.2022, dem iranischen nationalen "Hijab- und Keuschheitstag", zu weitverbreiteten Protesten von Frauen im Land gekommen ist. Viele Frauen gingen ohne Kopfbedeckung auf die Straße, was zu einer Reihe von Festnahmen und Inhaftierungen führte. Insgesamt will die Regierung mit den neuen Regeln v. a. öffentliche und private Angestellte dazu bringen, Frauen, die gegen die Kleidungsvorschriften verstoßen, zu melden. Erfüllen Angestellte ihre Meldepflichten nicht, so haben sie selbst mit Strafen oder Bußgeldern zu rechnen. Diese Regelungen sollen ab August 2022 nach und nach in allen Regierungsbehörden, Banken, Gewerbe- und Dienstleistungseinrichtungen, Bildungseinrichtungen, auf öffentlichen Straßen und Plätzen, in öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln, in virtuellen Räumen wie dem Internet, in Nachbarschaften und dem eigenen Haus und in der eigenen Familie umgesetzt werden (BAMF 1.2023).
Auch nach den landesweiten Protesten seit September 2022 bekräftigten iranische Regierungsvertreter ihre Entschlossenheit, die Hijabpflicht für Frauen weiter durchzusetzen (BBC 1.4.2023). Im Frühjahr 2023 hat die Regierung in diesem Zusammenhang einen neuen Ansatz in ihrer Kampagne zur Durchsetzung des Hijab-Gesetzes ausprobiert und innerhalb von nur 24 Stunden 150 Geschäfte geschlossen, weil sie ordnungswidrig verschleierte Frauen bedient hatten. Außerdem kündigte sie an, dass die Behörden Überwachungskameras und andere Mittel einsetzen würden, um Frauen zu verfolgen, die gegen das Gesetz verstoßen (NYT 5.5.2023). Die Anzahl der Überwachungskameras soll dabei erhöht werden und unter anderem soll zur Überwachung der Einhaltung der Hijabpflicht auch künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. Frauen, die wiederholt auf Überwachungsvideos unverschleiert in der Öffentlichkeit zu sehen sind, könnten strafrechtlich verfolgt werden (IrWire 16.6.2023; vergleiche NYT 5.5.2023). Wenn sie beim Autofahren ohne Kopftuch erwischt werden, ist laut einer Ankündigung der Polizei auch eine Beschlagnahmung ihres Autos möglich. Einige Aspekte der Maßnahmen sind dabei nicht neu (NYT 5.5.2023). Die iranischen Behörden versenden seit 2020 Textnachrichten an Frauen, die ohne Hijab im Auto gesehen wurden. Bei wiederholten Verstößen gegen die Kleidungsordnung wird den Frauen manchmal mit rechtlichen Schritten gedroht (DIS 3.2023), ansonsten luden die Behörden Frauen, die von Verkehrskameras beim Fahren ohne Schleier ertappt wurden, vor und schickten sie in Erziehungszentren für Sittlichkeit. Die neuerlichen Ankündigungen legen nahe, dass die Überwachungstechnologie nun möglicherweise umfangreicher eingesetzt wird (NYT 5.5.2023). Anfang Dezember 2023 wurde von der Beschlagnahmung mehrerer PKWs in Teheran aufgrund der Missachtung von Bekleidungsvorschriften durch ihre Halterinnen berichtet. Die Frauen waren per SMS von den bevorstehenden Beschlagnahmungen informiert worden. Ein derartiges Vorgehen sowie weitere Maßnahmen wurden im Nachgang der landesweiten Proteste im Jahr 2022 angekündigt und werden in unterschiedlichem Ausmaß umgesetzt(BAMF 4.12.2023).
Gleichwohl ignorieren viele Frauen, v. a. in den Städten, trotz etwaiger Gegenmaßnahmen weiterhin die Einhaltung der Kopftuchpflicht (BAMF 4.12.2023). Seit Mai 2023 entwickelten sich beispielsweise die U-Bahnstationen in Teheran zu Kampffeldern zwischen Gegnerinnen und Befürwortern des verpflichtenden Hijabs. Frauen, die grüne Schulterschärpen mit der Aufschrift "Orientierungsbotschafterinnen" tragen, halten dort Frauen an, die kein Kopftuch tragen, und ermahnen sie zur Einhaltung der Hijab-Pflicht (IRINTL 25.11.2023), wobei sich manche der Frauen über eine harte Behandlung durch diese "Botschafterinnen" beschwerten (IrWire 23.11.2023). Die Behörden sind dabei noch mehr in Alarmbereitschaft, seit eine 17-Jährige [lt. manchen Quellen auch 16-Jährige] im Oktober nach einer Konfrontation mit der Sittenpolizei in der Teheraner U-Bahn gestorben ist (RFE/RL 6.11.2023). Laut Zeugenaussagen war die junge Frau, die kein Kopftuch trug, von einer Hijab-Vollstreckerin gestoßen worden, sodass sie mit dem Kopf auf einen Metallgegenstand fiel. Sie verlor daraufhin das Bewusstsein und verstarb nach einigen Wochen im Koma (TIME 28.10.2023; vergleiche RFE/RL 6.11.2023).
Im September 2023 stimmte das iranische Parlament einem Gesetzesentwurf zu Hijab- und Keuschheitsregeln zu, der erweiterte Strafen bei Verstößen wie der "Verbreitung und Förderung von Nacktheit", "Unsittlichkeit", Hijab-Verletzungen oder "unangemessene Kleidung" in der Öffentlichkeit, in sozialen oder in ausländischen Medien vorsieht. Eine Erweiterung der Zuständigkeiten von Sicherheitsbehörden für die Überwachung und Durchsetzung der Kleiderordnung ist ebenfalls vorgesehen (BAMF 25.9.2023). Die Reform sieht in ihrer jüngsten Fassung harte Strafen bei Missachtung der islamischen Kleidungsregeln vor. Diese umfassen bei mehrfachen Verstößen etwa Geldbußen. In Extremfällen können sogar bis zu 15 Jahre Haft und umgerechnet mehr als 5.000 Euro Strafe verhängt werden. Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, sollen auch mit Berufsverboten von bis zu 15 Jahren belegt werden können, und die Justiz soll die Befugnis erhalten, ein Zehntel ihres Vermögens zu beschlagnahmen (taz 20.9.2023). Der Wächterrat, der das Gesetz ratifizieren muss, verwies es im November jedoch mit der Begründung an das Parlament zurück, dass es formale Fehler enthalten würde, wie zum Beispiel unklare Definitionen von Begriffen wie "Unkeuschheit" (IRINTL 9.11.2023; vergleiche RFE/RL 25.10.2023). Ein weiteres Problem seien unklare Gesetzesgrenzen (RFE/RL 25.10.2023).
Vor Gericht werden bei Prozessen wegen Verstößen gegen die Hijabpflicht unter anderem auch Beiträge in den sozialen Medien als Beweise herangezogen (DIS 3.2023).
Zahlreiche Beschränkungen zielen auf Frauen in Sport und Kultur ab (Verbot des Singens außer im Chor, Verbot des Tanzens, Verbot des Zugangs zu Fußballstadien, etc.). Die Regierung Raisi hat angekündigt, das Verbot für Frauen, Rad und Motorrad zu fahren, streng durchzusetzen (ÖB Teheran 11.2021). Seit 1979 wird Frauen der Zutritt zu großen Fußballstadien verwehrt. Auf Druck der FIFA und anderer Organisationen durften Frauen in den letzten Jahren bei einer Handvoll nationaler Spiele anwesend sein. Im August 2022 durften sie zum ersten Mal ein Ligaspiel besuchen (AJ 25.8.2022). Im März 2022 verweigerten Polizeikräfte den rund 2.000 weiblichen Fußballfans mit Eintrittstickets dagegen den Zugang zu einem WM-Qualifikationsspiel, anschließende Proteste der Fans beantworteten sie mit Pfefferspray (RFE/RL 9.9.2022).
Wirtschaftliche Teilhabe
Mehr als die Hälfte der Universitätsabsolventen sind Frauen, die Arbeitslosenrate von Frauen ist jedoch doppelt so hoch wie jene der Männer (FA 2.2.2023). Nur etwa 15 % aller Frauen über 15 Jahren sind in Iran laut den aktuellsten Daten (2022) berufstätig (WB 5.9.2023a), während es unter den Männern rund 68 % sind (Daten von 2021) (WB 5.9.2023b). Laut offiziellen Angaben liegt die Arbeitslosenrate bei Frauen bei knapp 18 %, unter Frauen mit höherer Bildung liegt sie noch deutlich höher (AA 30.11.2022). Die verstärkte Rezession, die auf den Ausbruch der COVID-19-Pandemie folgte, vergrößerte die Kluft zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt noch weiter (BS 23.2.2022). Gründe für die stärkere Betroffenheit von Frauen von Arbeitslosigkeit sind neben der COVID-19-Pandemie auch die US-Sanktionen und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage. Die Stärkung der Schattenwirtschaft, und damit von religiösen Stiftungen und Unternehmen im Besitz der Revolutionsgarden, in denen konservative Männer dominieren, hat die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen besonders eingeschränkt (ÖB Teheran 11.2021). Die ultrakonservative Regierung wird die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt nicht vorantreiben, weil sie die traditionelle Rolle der Frau in der islamischen Familie stärken und die Geburtenrate erhöhen will (AA 30.11.2022). Der Zugang zum Arbeitsmarkt und die beruflichen Möglichkeiten für Frauen sind durch soziale und rechtliche Regelungen eingeschränkt, mit dem Ziel der Beschränkung von Frauen auf deren Rolle als Mutter und Ehefrau. Oftmals wird von Frauen das Einverständnis des Ehemannes oder Vaters verlangt, um eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können. Gesetzlich kann ein Ehemann seiner Ehefrau jederzeit verbieten, arbeiten zu gehen. Stellenausschreibungen werden oft geschlechtsspezifisch nur für Männer ausgeschrieben. Regelmäßig werden Frauen nach Rückkehr aus der neunmonatigen Karenz gekündigt. Die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit verhindern den gewerkschaftlichen Zusammenschluss erwerbstätiger Frauen. Konservative Politiker haben in der Vergangenheit mehrmals versucht, die Erwerbstätigkeit von Frauen weiter einzuschränken oder in manchen Sektoren zu verbieten (ÖB Teheran 11.2021).
Rechtliche Rahmenbedingungen
Die iranische Verfassung schreibt eine "Gleichberechtigung aller vor dem Gesetz" vor, allerdings steht diese zugleich unter dem Vorbehalt der Ziele der Islamischen Republik, die nur unter "Beachtung der islamischen Normen" erreicht werden können (BAMF 1.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023). Da alle einfachgesetzlichen Normen mit der Scharia vereinbar sein müssen und in Iran einer traditionellen Rechtsauslegung der Scharia gefolgt wird, kommt es v. a. in den Bereichen zum Ehe- und Scheidungsrecht, dem Sorgerecht und bei Erbschaftsangelegenheiten zu erheblichen Benachteiligungen für Frauen (BAMF 1.2023). Prägend ist dabei die Rolle der (Ehe-) Frau als dem (Ehe-) Mann untergeordnet, wie sich sowohl in Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechtes, der Ehescheidung als auch des Erbrechts erkennen lässt (AA 30.11.2022; vergleiche AI 27.3.2023, HRW 12.1.2023, BAMF 1.2023).
Beispielsweise darf eine verheiratete Frau ohne die schriftliche Genehmigung ihres Mannes (oder Vaters) keinen Reisepass erhalten oder ins Ausland reisen (HRW 12.1.2023; vergleiche BAMF 1.2023). Ehefrauen können allerdings Ehevertragsklauseln mit ihrem Ehemann vereinbaren, um eine generelle Ausreisegenehmigung zu erhalten (BAMF 1.2023; vergleiche IrWire 2.11.2019). Kinder unter 18 Jahren benötigen für die Ausstellung des Reisepasses die schriftliche Erlaubnis ihres Vaters. Wenn der Ehemann oder Vater nicht anwesend ist, hat sich die Frau bei einem Wunsch zur Ausreise an die zuständige Behörde des Außenministeriums zu wenden, sofern keine schriftliche Erlaubnis vorliegt (BAMF 7.2020). Unverheiratete und geschiedene Frauen sowie Witwen benötigen keine Erlaubnis ihres Vaters oder eines männlichen Vormunds, um zu reisen (CGRS-CEDOCA 30.3.2020; vgl.TehVak 22.2.2023, Ettelaat 1.2.2017). Unverheiratete Frauen benötigen jedoch zur Beantragung ihres Reisepasses die Zustimmung ihrer Eltern (BAMF 7.2020; vergleiche Ettelaat 1.2.2017). Nach dem Gesetzbuch für Zivilrecht hat ein Ehemann das Recht, den Wohnort zu wählen, und kann seine Frau daran hindern, bestimmte Berufe auszuüben (HRW 12.1.2023). Im Straf- bzw. Strafprozessrecht sind Mädchen bereits mit neun Jahren vollumfänglich strafmündig (Buben mit 15 Jahren) (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Zeugenaussagen von Frauen werden nur zur Hälfte gewichtet (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023), und die finanzielle Entschädigung, die der Familie eines weiblichen Opfers nach ihrem Tod gewährt wird, ist nur halb so hoch wie die Entschädigung für ein männliches Opfer (FH 10.3.2023; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Selbst KFZ-Versicherungen zahlen bei Personenschäden von Frauen nur die Hälfte. Auch erben Frauen nur die Hälfte des Erbanteils von Männern (ÖB Teheran 11.2021).
Heirat, Scheidung, Obsorge und Vormundschaft für Kinder
Das Gesetz erkennt Ehen zwischen muslimischen Frauen und nicht-muslimischen Männern nicht an (USDOS 20.3.2023; vergleiche IrWire 13.2.2014). Muslimische Männer dürfen nicht-muslimische Frauen aus den drei anerkannten Buchreligionen dagegen auf jeden Fall in Zeitehen [auch: Sigheh, Mut'a-Ehe] heiraten, während die Meinungen bezüglich permanenter Ehen auseinandergehen. Manche Rechtsgelehrte gehen von ihrer Zulässigkeit aus, andere nicht (IrWire 13.2.2014). Es ist Männern gesetzlich erlaubt, bis zu vier Ehefrauen und eine unbegrenzte Anzahl von "Ehefrauen auf Zeit" zu haben, basierend auf einem schiitischen Brauch, der zivile und religiöse Verträge mit begrenzter Dauer zulässt. Das Gesetz gewährt Frauen kein Recht auf mehrere Ehemänner (USDOS 20.3.2023). In der Praxis ist Polygamie von Männern in Iran jedoch nicht weit verbreitet (USIP 4.8.2023).
Eine Frau kann sich nur unter bestimmten Voraussetzungen scheiden lassen (USDOS 20.3.2023: vergleiche BAMF 7.2020), wie z. B. wenn ihr Ehemann einen Vertrag unterzeichnet, der ihr dieses Recht einräumt, wenn er seine Familie nicht versorgen kann, wenn er gegen die Bestimmungen des Ehevertrags verstößt oder wenn er drogenabhängig, geisteskrank oder impotent ist. Ein Mann kann sich ohne Angabe von Gründen von seiner Frau scheiden lassen (USDOS 20.3.2023). Das Gesetz erkennt das Recht einer geschiedenen Frau auf einen Teil des gemeinsamen Vermögens und auf Unterhalt an (USDOS 20.3.2023; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Dies wird nicht immer durchgesetzt (USDOS 20.3.2023). Frauen können dieses Recht einklagen, allerdings ist dies ein zeit- und kostenintensiver Prozess (MRAI 19.6.2023).
Nach iranischem Recht fordert die Familie der Frau im Fall einer dauerhaften Eheschließung eine nicht unerhebliche Morgen- bzw. Brautgabe (Mehrieh) in Form von Geld, Immobilien oder Goldmünzen (BAMF 1.2023). Mahr [Mehrieh] wird als traditioneller islamischer Ehevertrag angesehen. Gemäß den Bedingungen der Vereinbarung/des Vertrags erklärt sich der Ehemann dabei bereit und verpflichtet sich, eine vereinbarte Summe in Form der Morgengabe an die Frau zu zahlen (Maclean 17.7.2019). Die Erfüllung dieser Vereinbarung kann zu jeder Zeit während der Ehe oder auch während der Scheidung von der Frau verlangt werden. Die Mehrieh oder Morgengabe dient in einer konservativen islamischen Gesellschaft der Vorsorge für die Frau im Falle der Scheidung (BAMF 7.2020). Manche Frauen nutzen ihre Mehrieh auch, um ihre Männer zur Scheidung zu bewegen, indem sie auf die Zahlung verzichten, oder indem sie eine geringere Summe verlangen, wenn der Gatte der Scheidung zustimmt (IRINTL 8.8.2022; vergleiche MRAI 19.6.2023). Mehrieh ist in diesen Fällen ein wichtiges Instrument für Frauen. Sie können es als Druckmittel einsetzen, um andere Rechte, wie das Recht auf Scheidung, auszuhandeln - allerdings auf Kosten ihrer finanziellen Absicherung. Vor rund 15 Jahren galten Eheverträge in Iran noch als etwas, das nur die Eliten nutzen. Inzwischen ist es kein Tabuthema mehr, allerdings ist schwer zu sagen, wie weit Eheverträge tatsächlich verbreitet sind. Vermutlich sind sie unter gebildeten oder urbanen Bevölkerungsgruppen üblicher als in anderen Gesellschaftsteilen. Die drei wichtigsten Klauseln in Eheverträgen betreffen meist Scheidungsfragen, die Aufteilung von gemeinsamem Eigentum (MRAI 19.6.2023) und das Recht auf Reisefreiheit der Ehefrauen ohne Zustimmung der Ehemänner (MRAI 19.6.2023; vergleiche IrWire 2.11.2019). Eheverträge können dagegen keine Klauseln betreffend der Obsorge für etwaige Kinder enthalten, da dies erst nach der Geburt der Kinder entschieden werden kann. Nach der Geburt eines Kindes kann jedoch eine entsprechende offizielle Vereinbarung getroffen werden (MRAI 19.6.2023).
Die Vormundschaft für Minderjährige liegt laut den gesetzlichen Bestimmungen beim Vater oder Großvater väterlicherseits. Wenn diese nicht in der Lage sind, die Verantwortung zu übernehmen, kann vom Gericht ein Ersatz bestellt werden (Landinfo 5.8.2022; vergleiche MRAI 19.6.2023). In Abwesenheit eines Vaters bzw. Großvaters gibt es eine Möglichkeit für die Mutter, die Vormundschaft für ihr Kind zu übernehmen, so ein Gericht zustimmt. Laut einem von Landinfo befragten Experten ist es unter islamischen Rechtsgelehrten jedoch sehr umstritten, ob Mütter tatsächlich die Vormundschaft übernehmen können (Landinfo 5.8.2022). Eine iranische Rechtsanwältin betont, dass die Vormundschaft von anderen Gerichten als den Familiengerichten entschieden wird. Diese Gerichte gehen bei der Vergabe der Vormundschaft an Frauen sehr restriktiv vor. Überraschenderweise sprachen sie selbst in Fällen, bei denen kein Vater oder Großvater vorhanden war, nicht der Mutter, sondern einer Drittpartei die Vormundschaft zu. Die Vormundschaft ist bei der Schulanmeldung, zur Eröffnung von Bankkonten und anderen bedeutsamen Fragen ausschlaggebend. Die Entscheidungen in diesen Fragen liegen somit immer noch bei den Vätern bzw. Großvätern (MRAI 19.6.2023).
Das Gesetz sieht dagegen vor, dass geschiedenen Frauen vorzugsweise das Sorgerecht für ihre Kinder bis zu deren siebentem Lebensjahr gegeben werden soll. Danach soll das Sorgerecht dem Vater übertragen werden, außer dieser ist dazu nicht imstande. Heiraten geschiedene Frauen erneut, verlieren sie das Sorgerecht für Kinder aus einer früheren Ehe (ÖB Teheran 11.2021). Im Bereich der Obsorge waren in den letzten Jahren positive Entwicklungen zu beobachten: Aufgrund von Gesetzesänderungen haben Richter nun mehr Spielraum, um die Bedürfnisse von Kindern zu berücksichtigen, und Mütter erhalten nun häufiger das Sorgerecht als früher. Es lässt sich jedoch eine Bandbreite an unterschiedlichen Zugängen der Richter in dieser Frage beobachten, die Entscheidungen werden von Fall zu Fall getroffen (MRAI 19.6.2023).
Fehlt alleinstehenden Frauen der Rückhalt ihres Partners bzw. ihrer eigenen Familie, so befinden sie sich schnell am Rande der Gesellschaft und sind gezwungen, sich zum Wohle ihres Kindes mit der Gesellschaft zu arrangieren. Zwar sind die leiblichen Eltern unehelicher Kinder verpflichtet, ihren elterlichen Pflichten in Hinblick auf die Personensorge nachzukommen, und der leibliche Vater bzw. auch der biologische Großvater väterlicherseits sind auch einem unehelichen Kind gegenüber unterhaltspflichtig. Im Fall, dass beide unbekannt sind bzw. sich beide ihrer Verantwortung entziehen, muss die Mutter ihr Kind allerdings finanziell allein versorgen (BAMF 1.2023). Angaben über mögliche (finanzielle) Unterstützung vom Staat für alleinerziehende bzw. alleinstehende Frauen sind nicht eruierbar (ÖB Teheran 11.2021).
Aufgrund der Schwierigkeit für Frauen, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist der familiäre Rückhalt für alleinstehende Frauen umso bedeutender. Jedoch erhalten manche Frauen, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm leben (wie zum Beispiel lesbische Frauen oder Prostituierte), keine Unterstützung durch die Familie und können Opfer von häuslicher Gewalt und Zwangsheirat werden. Alleinstehende Frauen haben oft Schwierigkeiten, eine Wohnung oder Arbeit zu finden, da sie für Prostituierte gehalten werden (ÖB Teheran 11.2021).
Schutz vor Gewalt
Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen (AA 30.11.2022). Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Gesetze zur Verhinderung und Bestrafung geschlechtsspezifischer Gewalt existieren nicht. Ein geplantes Gesetz "gegen Gewalt gegen Frauen" ist noch immer nicht verabschiedet worden (AA 30.11.2022; vergleiche MRAI 19.6.2023). Vergewaltigung ist illegal und unterliegt strengen Strafen, einschließlich der Todesstrafe. Das Gesetz betrachtet Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe per Definition als einvernehmlich und behandelt daher keine Vergewaltigung in der Ehe, auch nicht in Fällen von Zwangsheirat. Die meisten Vergewaltigungsopfer melden Verbrechen nicht, weil sie staatliche Vergeltungsmaßnahmen oder Strafen für Vergewaltigungen befürchten, wie zum Beispiel Anklagen wegen Unanständigkeit, unmoralischem Verhalten oder Ehebruch. Ehebruch wiederum ist ebenfalls mit der Todesstrafe bedroht. Auch gesellschaftliche Repressalien oder Ausgrenzung werden von Vergewaltigungsopfern befürchtet (USDOS 20.3.2023). Eine ehemals in Iran tätige Rechtsanwältin mit umfangreichem Erfahrungsschatz in diesem Bereich gab an, dass sie ihren Klientinnen bei sexuellen Übergriffen oder Vergewaltigung nie dazu riet, diese anzuzeigen, da sie dann Gefahr laufen, außerehelicher Beziehungen beschuldigt zu werden. Hinzu kommt, dass der Zugang zu Rechtsberatung oftmals eingeschränkt ist und Rechtsanwälte teuer sind. Während sich Personen in Strafrechtssachen zwar an die Rechtsanwaltsvereinigung wenden können, ist die Qualität der vom Staat gestellten Pflichtverteidiger im Allgemeinen eher schlecht. Sie sind unterbezahlt und ihnen fehlt in derartigen Fällen oftmals die Expertise. Dies hat zu einer Vielzahl an Problemen bei Steinigungs- und Selbstverteidigungsfällen von Frauen geführt (MRAI 19.6.2023).
Sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz und in der Familie sind weit verbreitet, für die Männer herrscht gänzliche Straflosigkeit. Ein iranischer 'Me-Too'-Moment im Sommer 2020, als eine junge Frau Interviews mit Überlebenden sexueller Gewalt veröffentlichte, zeigte das Ausmaß des ansonsten totgeschwiegenen Problems auf. Krisenzentren und Frauenhäuser nach europäischem Modell existieren in Iran nicht (ÖB Teheran 11.2021).
Ehrenmorde
Unter Ehrenmord (qatl-e namusi) wird ein Mord verstanden, der innerhalb einer Familie, von einem Vater, einem Ehemann oder einem sonstigen männlichen Verwandten begangen wird, um ein Familienmitglied (in der Regel Frauen und Mädchen) zu bestrafen, das den Ruf und die Ehre der Familie beschädigt hat. Typische Ursachen für die Beschädigung der Familienehre sind vor- oder außerehelicher Geschlechtsverkehr, Vergewaltigung, Widerstand gegen eine Zwangsverheiratung und die Weigerung, eine arrangierte Ehe einzugehen. Ehrenmorde, die von einem Vater, Großvater oder einem männlichen Verwandten begangen werden, gehören nach Artikel 301, des Iranischen Strafgesetzbuchs (IStGB) 2013 nicht zu den Qisas-Strafen (Vergeltungsstrafrecht) [Anm.: s. Kap. "Rechtsschutz / Justizwesen" für Begriffserklärungen zu Hadd, Qisas, Ta'zir und Diyah]. Stattdessen sind hier die Zahlung eines Blutgelds [Diyah] sowie Ta'zir- bzw. Ermessensstrafen vorgesehen. Nur wenn nach Artikel 612, IStGB 1996 der Ehrenmord eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Gesellschaft darstellt, wird der Täter zu einer Freiheitsstrafe von drei bis zu zehn Jahren verurteilt. Nach Artikel 630, IStGB 1996 wird ein Ehemann nicht nach dem Vergeltungsstrafrecht (Qisas) bestraft, wenn er seine Ehefrau beim Ehebruch mit einem anderen Mann erwischt und tötet bzw. sich sicher ist, dass es sich um keine Vergewaltigung handelt. Auch entfällt in diesem Fall die Zahlung eines Blutgeldes (Diyah). Wird die Ehefrau von einem anderen Mann vergewaltigt (Ehebruch gegen den Willen der Ehefrau), kann der Ehemann nur den Täter straffrei töten (BAMF 1.2023).
Ehrenmorde sind v. a. in den ländlichen Gebieten verbreitet und richten sich meistens gegen Frauen und Mädchen. Größtenteils werden sie in den folgenden Provinzen verzeichnet: West-Aserbaidschan, Kurdistan, Kermanshah, Ilam, Lurestan und Khuzestan. Hier leben v. a. arabische, kurdische und lurische Bevölkerungsgruppen (BAMF 1.2023). Die genaue Zahl solcher Morde in Iran ist nicht bekannt und wird unter Verschluss gehalten. Im Dezember 2019 berichtete die Nachrichtenagentur ISNA jedoch, dass es jährlich zwischen 375 und 450 solcher Morde im ganzen Land gibt. Angesichts der mangelnden Transparenz des Regimes und fehlender transparenter Berichterstattung über solche Todesfälle dürfte die Zahl weitaus höher liegen (IRINTL 17.10.2023). Auch, weil viele Suizide als Ehrenmorde einzustufen sind und Ehrenmorde häufig nicht als solche öffentlich werden, liegen keine offiziellen Statistiken hierzu vor (BAMF 1.2023; vergleiche MEI 26.8.2021).
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung 2024-01-26 11:31
Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltenteilung ist in der Praxis stark eingeschränkt (AA 30.11.2022; vergleiche BS 23.2.2022). Artikel 57, der Verfassung verleiht dem Revolutionsführer weitreichende Aufsichtsbefugnisse über das Justizwesen (BS 23.2.2022). Er ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023), der wiederum für die Ernennung und Entlassung der Gerichtsleiter (Soltani/Shooshinasab 8.2022) und von Richtern zuständig ist (BS 23.2.2022). Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben (AA 30.11.2022). Während die Gerichte innerhalb des herrschenden Establishments ein gewisses Maß an Autonomie genießen, wird das Justizsystem regelmäßig als Instrument eingesetzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 10.3.2023). Der Sicherheitsapparat (AA 30.11.2022) - insbesondere die Revolutionsgarden (BS 23.2.2022) - nehmen v. a. in politischen Fällen jedoch massiven Einfluss auf Urteilsfindung und Strafzumessung (AA 30.11.2022; vergleiche BS 23.2.2022). Das Justizwesen ist geprägt von Korruption (AA 30.11.2022; vergleiche USIP 1.8.2015). Es wird von Fällen berichtet, in denen Richter bestochen wurden, um Gerichtsprozesse zu beeinflussen (IrWire 28.4.2021).
Iranische Gerichte, insbesondere Revolutionsgerichte, sind regelmäßig weit davon entfernt, faire Gerichtsverfahren zu gewährleisten (HRW 12.1.2023). So verweigerten die Behörden z. B. Untersuchungshäftlingen den Zugang zu einem Rechtsbeistand, ließen Inhaftierte "verschwinden" oder hielten sie ohne Kontakt zur Außenwelt fest (AI 27.3.2023), ließen in Prozessen "Geständnisse" als Beweise zu, die unter Folter erpresst worden waren (AI 27.3.2023; vergleiche HRW 12.1.2023), und führten summarische und geheime Scheinprozesse durch, die keinerlei Ähnlichkeit mit fairen Verfahren aufwiesen, in denen jedoch Haftstrafen, Körperstrafen und Todesurteile verhängt wurden (AI 27.3.2023). Im Zusammenhang mit den weitverbreiteten Protesten haben die Justizbehörden im September und November 2022 über 1.000 Anklagen erhoben (HRW 12.1.2023), wobei in den ersten Wochen der Proteste über 15.000 Personen inhaftiert worden sind. Im Laufe des Jahres 2022 wurden Tausende Menschen willkürlich inhaftiert und/oder zu Unrecht strafrechtlich verfolgt, nur weil sie friedlich ihre Menschenrechte wahrgenommen haben. Unzählige weitere bleiben zu Unrecht in Haft (AI 27.3.2023).
Das Recht ist in allen Rechtsbereichen umfassend kodifiziert, so etwa das Zivilrecht, das Familien- und Erbrecht oder das Strafrecht. Die iranischen Gerichte müssen auf der Grundlage dieser Gesetze Recht sprechen. Die Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz ist somit formal gewahrt (LTO 26.10.2022). Der Grundsatz der Rechtmäßigkeit ist zwar durch die Verfassung geschützt, aber mit einem Vorbehalt versehen. In Artikel 167 der Verfassung, einem der umstrittensten Artikel, heißt es, dass die Richter verpflichtet sind, sich zu bemühen, jeden Fall auf der Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Falle des Fehlens, der Unzulänglichkeit, der Kürze oder der Widersprüchlichkeit der Gesetze müssen die Richter den Fall jedoch auf der Grundlage der maßgeblichen islamischen Quellen und der authentischen Fatwas (fatāwā) entscheiden, um zu verhindern, dass ein Fall unentschieden bleibt (Islamic Law Blog 22.11.2015).
Gerichtswesen
Die iranische Justiz verwaltet ein vielschichtiges Gerichtssystem. Die Strafverfolgung geht von niedrigeren Gerichten aus und kann bei höheren Gerichten angefochten werden. Der Oberste Gerichtshof überprüft Fälle von Kapitalverbrechen und entscheidet über Todesurteile. Er hat auch die Aufgabe, für die ordnungsgemäße Anwendung der Gesetze und die Einheitlichkeit der Gerichtsverfahren zu sorgen (USIP 1.8.2015). Bestimmte Urteile können vor dem Obersten Gerichtshof angefochten werden (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vergleiche Landinfo/et al. 12.2021). Anders als die Berufungsgerichte ist der Oberste Gerichtshof nicht befugt, ein neues Urteil zu fällen. Im Falle einer erfolgreichen Anfechtung verweist er den betroffenen Fall wieder an ein zuständiges Gericht zurück (Landinfo/et al. 12.2021).
Die allgemeinen Gerichte des Iran sind offiziell damit beauftragt, alle Arten von Fällen und Streitigkeiten zu schlichten. Diese verteilen sich auf die kleineren Landkreise, Bezirke und Distrikte des Landes. In den Strafgerichten werden Fälle gemäß der iranischen Strafprozessordnung behandelt, in den Zivilgerichten [Anm.: auf Englisch "legal courts"] gilt die Zivilprozessordnung (IrWire 9.9.2020).
Seit 2001 gibt es darüber hinaus sogenannte Streitschlichtungsräte (Shurāhā-I hal-e ikhtilāf) als alternative Konfliktlösungskörperschaften. Die Richter dieser Räte können in Abstimmung mit den Ratsmitgliedern in bestimmten Fragen in den Bereichen Finanzen, Miete, Erbschaft, Mitgift und Unterhalt sowie bestimmten Ta'zir-Vergehen Fälle anhören und Urteile sprechen. Sie können aber z. B. keine Scheidungsfragen behandeln und sind auch nicht dazu befugt, Körper- oder Haftstrafen auszusprechen. Die Zuständigkeit der Streitbeilegungsräte in den Dörfern beschränkt sich auf Friedens- und Kompromissentscheidungen (Soltani/Shooshinasab 8.2022).
Die Zivilgerichte verhandeln über lokale materielle und immaterielle zivilrechtliche Streitigkeiten, die nicht in die Zuständigkeit der Streitschlichtungsräte fallen. Die Familiengerichte entscheiden hierbei unter anderem bei Ehe- und Scheidungsfragen, Obsorge wie auch geschlechtsangleichenden Operationen. Die Urteile werden von einem männlichen Richter gefällt, nachdem er eine beratende Richterin schriftlich konsultiert hat (Soltani/Shooshinasab 8.2022).
Die Strafgerichte unterteilen sich in verschiedene Untereinheiten (IrWire 9.9.2020). Neben den Strafgerichten 1 und 2 gibt es die Revolutionsgerichte, Jugendgerichte und Militärgerichte (Landinfo/et al. 12.2021; vergleiche Soltani/Shooshinasab 8.2022). Darüber hinaus gibt es mehrere Sondergerichte (IrWire 9.9.2020), darunter beispielsweise ein Sondergericht für die Geistlichkeit (Dadgah-e Vīzheh-ye Rouhaniyat), das als einziges Gericht nicht dem Justizchef, sondern direkt dem Revolutionsführer untersteht (Landinfo/et al. 12.2021). Es wird u. a. dazu genutzt, um prominente Kleriker, welche Kritik am Regime äußern, strafrechtlich zu verfolgen (IrWire 9.9.2020; vergleiche USIP 1.8.2015). Das Gesetz ermöglicht die Einsetzung eines zuständigen Gerichts zur Behandlung von Verstößen gegen das Pressegesetz von 1986 - das sogenannte Pressegericht - das unter Einbeziehung von Schöffen tagen soll. Derzeit werden Journalisten allerdings eher vor Revolutionsgerichten wegen Vergehen gegen die nationale Sicherheit, "Propaganda gegen den Staat" und/oder das "Schüren von Angst in der öffentlichen Meinung" angeklagt - nach Ansicht eines Experten, um Prozesse unter Anwesenheit von Schöffen zu vermeiden. Das Pressegericht ist derzeit nicht im Einsatz (Landinfo/et al. 12.2021).
Die Revolutionsgerichte haben verschiedene Zweige in der Hauptstadt, in den Provinzen und in manchen Justizdistrikten (Landinfo/et al. 12.2021). Die Verfassung sieht weder ihre Einrichtung noch ein Mandat für die Revolutionsgerichte vor. Sie wurden gemäß dem Dekret des ehemaligen obersten Führers, Ayatollah Khomeini, unmittelbar nach der Revolution von 1979 geschaffen, wobei ein Scharia-Richter zum Leiter der Gerichte ernannt worden ist. Die Revolutionsgerichte waren ursprünglich als vorübergehende Maßnahme gedacht, um hochrangige Beamte der abgesetzten Monarchie vor Gericht zu stellen, aber sie wurden später institutionalisiert und arbeiten weiterhin parallel zum restlichen Strafjustizsystem (USDOS 20.3.2023). Sie sollten eigentlich von der Justiz beaufsichtigt werden (IrWire 9.9.2020). In der Praxis werden sie allerdings von und für Sicherheitsbehörden betrieben, die außerhalb des Gesetzes stehen (IrWire 9.9.2020; vergleiche MRAI 19.6.2023). Manche Quellen gehen davon aus, dass die Revolutionsgerichte in Zusammenarbeit mit den Revolutionsgarden und dem Geheimdienstministerium (MOIS) operieren (Landinfo/et al. 12.2021).
Die Revolutionsgerichte unterscheiden sich bezüglich der Angelegenheiten, welche sie behandeln, von anderen Gerichten. Sie befassen sich in erster Linie mit Straftaten im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit, was im Grunde alle politischen und sozialen Aktivitäten von Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten einschließt (MRAI 19.6.2023). Weiters sind sie auch für bestimmte Finanzverbrechen zuständig (Soltani/Shooshinasab 8.2022). Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf die folgenden Delikte:
● Alle Verbrechen gegen die nationale und internationale Sicherheit, "mohārebeh" (Waffenaufnahme gegen Gott und Staat) oder "baghei" (bewaffneter Aufstand gegen die Regierung) (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vergleiche IrWire 9.9.2020) und "efsād fe-l-arz" ["Korruption auf Erden"] - jeweils definiert und kriminalisiert in den Artikeln 279 bis 285 und 286 bis 288 des islamischen Strafgesetzbuchs von 2013 (Soltani/Shooshinasab 8.2022);
● Rebellion, geheime Absprachen und Versammlungen gegen die Islamische Republik Iran oder bewaffnete Aktionen, Brandanschläge, Zerstörung und Verschwendung von Eigentum, um sich gegen das Regime zu stellen (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vergleiche JIS 8.9.2018);
● Spionage gegen das Regime (JIS 8.9.2018);
● Beleidigung des Revolutionsgründers Ayatollah Khomeini und aller Revolutionsführer, die ihm nachfolgen (JIS 8.9.2018; vergleiche Soltani/Shooshinasab 8.2022);
● Alle Straftaten im Zusammenhang mit Drogen, psychotropen Stoffen und deren Vorläufersubstanzen sowie dem Schmuggel von Waffen, Munition und anderen einschlägigen Gegenständen (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vergleiche JIS 8.9.2018);
● Andere Fälle, für die laut Gesetz das Revolutionsgericht zuständig ist (Artikel 303 der Strafprozessordnung 2014) (Soltani/Shooshinasab 8.2022): z.B. in Artikel 49, der Verfassung erwähnte Delikte wie Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (JIS 8.9.2018; vergleiche Soltani/Shooshinasab 8.2022).
Strafrecht und Scharia
Die Verfassung Irans ist ein hybrides System aus republikanisch-demokratischen und theokratisch-autoritären Elementen unter dem Vorrang des islamischen Rechts der Ja'afari-Rechtsschule (BAMF 5.2021). Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen (ÖB Teheran 11.2021). Von den drei Staatsgewalten haben die Geistlichen in der Judikative die stärkste Präsenz, wobei sie eine Ausbildung in islamischer Rechtswissenschaft oder Abschlüsse von religiösen Rechtsschulen haben müssen, um Richter zu werden. Der Chef der Justiz, der Generalstaatsanwalt des Landes und alle Richter des Obersten Gerichtshofs müssen hochrangige Geistliche oder Mujtahids sein (USIP 1.8.2015), also Rechtsgelehrte, die nach schiitischer Auslegung dazu qualifiziert sind, Ijtihad zu betreiben (EB o.D.a), d. h. islamische Texte in ungeklärten Rechtsfragen unabhängig auszulegen (EB o.D.b). Die iranische Justiz ist insofern ein einzigartiges System, als sie islamische Prinzipien und eine vom französischen System inspirierte Gesamtstruktur kombiniert. Nach der islamischen Revolution wurde das Justizsystem stark verändert, um die Scharia einzubeziehen. Das neue System wurde jedoch auf einer bereits bestehenden säkularen Struktur aufgebaut, wodurch ein sehr komplexes Justizwesen entstanden ist (Landinfo/et al. 12.2021).
Mit der islamischen Revolution von 1979 kam es zur Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, das die bisherige, vom "code pénal napoléon" von 1810 beeinflusste Gesetzgebung, ablöste und sich aus drei eigenständigen Teilbereichen zusammensetzt (BAMF 5.2021). Die Schwere und Art einer Straftat sowie die vorgeschriebene Strafe bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung des Falles zuständig ist. Artikel 14, des Islamischen Strafgesetzbuches (IStGB) unterteilt Verbrechen in vier Strafkategorien gemäß der Scharia: hadd, qisas, diyah und ta’zīr (Landinfo/et al. 12.2021).
Hadd-Delikte umfassen Unzucht/Ehebruch (zina), Sodomie (levat), lesbische Beziehung (mosaheqeh), Beschaffung von Prostitution (qavadī), falsche Anschuldigung der Unzucht/Sodomie (qazf), Verleumdung des Propheten (sabb-e nabī), Alkoholkonsum (shorb-e khamr), Raub/Diebstahl, Waffennahme gegen Gott (mohārebeh ba khoda), Korruption auf Erden (mofsad/efsad fe-l-arz) und Rebellion (baghei). Zu den hadd-Strafen gehören die Todesstrafe, Steinigung, Kreuzigung, Auspeitschung, Amputation (von Hand und Fuß), lebenslange Haft und Verbannung. Art und Umfang dieser Strafen werden vom islamischen Recht bestimmt und gelten als von Gott festgelegt, sie können daher von einem Richter nicht abgeändert oder begnadigt werden. Aufgrund der Schwere der Strafen und der Tatsache, dass sie unveränderlich sind, gelten strenge Beweis- und andere Anforderungen (Landinfo/et al. 12.2021), wie zum Beispiel eine bestimmte Anzahl an Zeugen. Darüber hinaus gibt es auch die Beweisregelung des "richterlichen Wissens" (‘elm-e qāzī) (Landinfo/et al. 12.2021; vergleiche MRAI 19.6.2023), die in vielen hadd-Fällen angewandt wird. Sie bedeutet, dass der Richter auf Grundlage von Indizien entscheiden muss, ob der Angeklagte schuldig ist oder nicht. Eine Strafrechtsnovelle im Jahr 2013 hat die Anwendung dieser Regelung bei Ehebruchsfällen abgeschwächt. Bei Anklagen aufgrund der hadd-Tatbestände mohārebeh und mofsad/efsād fe-l-arz ist das "richterliche Wissen" immer noch einer der Hauptfaktoren zur Ermittlung der Schuld oder Unschuld eines Angeklagten (MRAI 19.6.2023).
Iranische Aktivisten und Dissidenten, darunter Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten, werden normalerweise mit vage formulierten und weit gefassten Anklagen konfrontiert, die aus dem IStGB stammen. Die hadd-Verbrechen "Waffennahme gegen Gott" (mohārebeh) und "Korruption auf Erden" (efsād fe-l-arz) sind dabei die berüchtigtsten (Landinfo/et al. 12.2021). Manche Interpretationen von mohārebeh schließen selbst Messer als Waffen ein. Es kann daher passieren, dass Personen des mohārebeh beschuldigt werden, weil sie ein Messer bei sich trugen. Dieser Straftatbestand wird insbesondere gegen Minderheitengruppen wie kurdische Gemeindemitglieder verwendet, wenn ihnen Verbindungen zu militanten Gruppierungen vorgeworfen werden. Mofsad/efsad fe-l-arz ist dagegen eine völlig andere Kategorie. Die Definition dieses Begriffs obliegt dem jeweiligen Richter. Dies kann ein sexuelles Vergehen ebenso sein, wie Wirtschaftskriminalität, wenn die Handlung als so schwerwiegend interpretiert wird, dass sie eine ernsthafte Bedrohung für die Gesellschaft darstellt (MRAI 19.6.2023). Hadd-Strafen werden im zweiten Buch des IStGB (Artikel 217 –, 288,) behandelt (BAMF 5.2021).
Qisas-Vebrechen sind sogenannte Talions- oder Vergeltungsstrafen (Landinfo/et al. 12.2021; vergleiche BAMF 5.2021). Sie basieren auf einem Prinzip des islamischen Rechts, den Opfern eine analoge Vergeltung für Gewaltverbrechen wie Totschlag oder Körperverletzung zu erlauben - unter der Voraussetzung, dass die Taten vorsätzlich waren. Angehörige eines Tötungsopfers (nächste Familienangehörige) und Opfer von Körperverletzung können alternativ ihre Forderung nach Vergeltung gegen Geldentschädigung (diyah), also Blutgeld, zurücknehmen und den Täter freilassen. Sie können dem Täter auch ganz vergeben und auf diyah verzichten. Das iranische Rechtssystem betrachtet diese Verbrechen als Angelegenheit zwischen Privatpersonen. Die Rolle des Staates besteht darin, die Ermittlungen und Gerichtsverfahren in diesen Fällen zu erleichtern und sicherzustellen, dass nachfolgende Bestrafungen in organisierter Form erfolgen. Doch selbst wenn die Bluträcher auf ihren Anspruch auf Vergeltung verzichten, kann der Staat eine zusätzliche Strafe verhängen, wenn er der Ansicht ist, dass das Verbrechen die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Gesellschaft stört. In Fällen von Körperverletzung ist Vergeltung selten. Auch bei Mord ist es für die Angehörigen oftmals attraktiver, diyah anzunehmen. Bei nicht vorsätzlicher Körperverletzung oder Totschlag ist diyah dagegen grundsätzlich vorgesehen (und nicht nur als Alternative zu Vergeltung, so die Opfer oder ihre Angehörigen zustimmen). Diyah wird weiters auch in manchen Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung angewendet, in denen Vergeltung verboten oder undurchführbar ist (Landinfo/et al. 12.2021). Qisas-Strafen werden im dritten Buch (Artikel 289 –, 447,) und im vierten Buch das Blutgeld bzw. diyah (Artikel 448 –, 728,) behandelt (BAMF 5.2021).
Für alle sonstigen aus Sicht der Rechtsordnung strafwürdigen Taten sind ta’zīr-Strafen (BAMF 5.2021; vergleiche Landinfo/et al. 12.2021) - Ermessensstrafen - und sogenannte "Abschreckungsstrafen" (mojāzāt-e bāzdārandeh) vorgesehen. Letztere dienen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Während hadd, qisas und diyah durch islamisches Recht definiert werden, leiten sich ta'zir und Abschreckungsstrafen aus dem staatlichen Recht ab. In diese Kategorien fallen zum Beispiel Straftaten gegen die interne und externe Sicherheit des Staates (Artikel 498 -, 512 und 610-611 IStGB); Fälschung (Artikel 523 -, 542, IStGB); Vergehen gegen öffentliche Moral und Anstand (Artikel 637 -, 641, IStGB) - beispielsweise ungehörige Beziehungen zwischen Männern und Frauen, wie z.B. Berührungen und Küsse (Artikel 637,), oder unislamische Kleidung (Artikel 638,); Diebstahl (Artikel 651 -, 667, IStGB); sowie öffentliche Konsumation von Alkohol, Glücksspiel und Vagabundieren (Artikel 701 -, 713, IStGB). Ta’zīr-Strafen werden nach Art und Umfang nach Ermessen des Richters (auf der Grundlage des kodifizierten Rechts) verhängt (Landinfo/et al. 12.2021).
Wenn sich Gesetze, die seit der Gründung der Islamischen Republik erlassen wurden, mit einer spezifischen Rechtssituation nicht befassen, rät die Regierung den Richtern, ihrer Kenntnis und Auslegung der Scharia (islamisches Gesetz) Vorrang einzuräumen. Bei dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen "göttlichen Wissens" [divine knowledge] für schuldig erklären (USDOS 20.3.2023).
Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis, Rechtsschutz
Bei Delikten, die im starken Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden (ÖB Teheran 11.2021). Im iranischen Strafrecht sind also körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 30.11.2022). Auf die Anwendung der Vergeltungsstrafen (qisas) der Amputation (z. B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung kann der Geschädigte gegen Erhalt eines Abstandsgeldes (diyah) verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom Geschädigten gegen diyah verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021). Stattdessen hat sich die islamische Führung auf die Hinrichtung als Alternative verlegt. Im Jahr 2023 wurden beispielsweise zwei Todesurteile aufgrund des Straftatbestands Ehebruch verhängt (RFE/RL 3.11.2023).
Verlässliche Aussagen zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch Willkür auszeichnet. Mitunter bewusst unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine unzureichende Kontrolle innerhalb der Justiz ermöglichen ein willkürliches Handeln von Richtern. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass Gerichte in politischen Verfahren nicht unabhängig agieren. Auch willkürliche Verhaftungen kommen häufig vor und führen dazu, dass Häftlinge ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht eigentlich garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht einer Straftat unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht bewusst verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erfolgt die Anklage oft aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat oft unverhältnismäßig hoch, besonders bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (Kopftuchzwang) (AA 30.11.2022).
Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 30.11.2022).
Rechtsschutz ist nur eingeschränkt gegeben (AA 30.11.2022). Es gibt Fälle von Rechtsanwälten, welche Dissidenten vertraten und daraufhin inhaftiert und mit einem Berufsverbot belegt worden sind (FH 10.3.2023). Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert, zum Teil auch selbst inhaftiert und verurteilt (AA 30.11.2022). Eine Rechtsanwältin, die in der Vergangenheit Angeklagte in politischen Fällen vor Revolutionsgerichten vertreten hat, berichtete unter anderem von permanenter Überwachung, sobald derartige Fälle übernommen werden. Auch drohen manchen Rechtsanwälten derzeit sehr lange Haftstrafen (MRAI 19.6.2023). Der Anwalt Amirsalar Davoudi, der u. a. politische Gefangene vertrat und öffentlich Missstände im Justizsystem anprangerte, wurde 2019 beispielsweise zu 30 Jahren Haft verurteilt (IHRNGO 1.12.2022), was auf andere Anwälte äußerst abschreckend wirkt (MRAI 19.6.2023).
Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen. Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen. Üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (AA 30.11.2022).
Während es an allen iranischen Gerichten bestimmte Probleme gibt, sind die Revolutionsgerichte besonders dafür berüchtigt, selbst die grundlegendsten Rechte nicht einzuhalten (MRAI 19.6.2023). Strafverfahren vor den Revolutionsgerichten finden oft hinter verschlossenen Türen unter dem Vorsitz von Geistlichen statt, ohne dass Standardgarantien eines Strafverfahrens, wie etwa die Gewährung von Zeit und Zugang zu Anwälten zur Vorbereitung einer Verteidigung, gewährleistet sind (Conversation 13.1.2023). Laut Menschenrechtsgruppen und internationalen Beobachtern werden vor Revolutionsgerichten, die im Allgemeinen die Fälle politischer Gefangener anhören, routinemäßig grob unfaire Gerichtsprozesse ohne ordnungsgemäße Verfahren abgehalten; es werden vorab festgelegte Urteile verkündet und Hinrichtungen für politische Zwecke befürwortet. Diese unlauteren Praktiken treten Berichten zufolge in allen Phasen der Strafverfahren vor den Revolutionsgerichten auf (USDOS 20.3.2023). Die Revolutionsgerichte haben sich bei der Verurteilung von Personen im Zusammenhang mit den Protesten seit September 2022 auf unter Folter oder durch andere Zwangsmittel erzwungene Geständnisse als Beweismittel gestützt, unter anderem auch bei Todesurteilen (UNHRC 7.2.2023).
Anwälte benötigen vor Revolutionsgerichten in der Regel schon alleine dafür eine Erlaubnis der Richter, um den Gerichtssaal betreten zu können. Anwälten von Personen, die in der Vergangenheit wegen mohārebeh angeklagt waren, wurde manchmal die Teilnahme am Prozess verweigert. In anderen sicherheitsrelevanten Fällen durften sie teilnehmen, aber ihr Recht auf eine angemessene Verteidigung wurde eingeschränkt (Landinfo/et al. 12.2021). Eine Novelle der Strafprozessordnung im Jahr 2015 höhlte die ohnehin begrenzten Beschuldigtenrechte bei Prozessen wegen Vergehen gegen die nationale Sicherheit weiter aus. Den Beschuldigten und ihren Anwälten wurde mit der Novelle beispielsweise das Recht auf eine Kopie der Gerichtsakten verweigert (MRAI 19.6.2023) und Angeklagte dürfen zumindest im Anfangsstadium des Verfahrens (AA 30.11.2022) - dem Untersuchungsstadium (MRAI 19.6.2023) - nur aus einer Liste mit vom Staat zugelassenen und damit mutmaßlich systemfreundlichen Anwälten auswählen (AA 30.11.2022; vergleiche MRAI 19.6.2023). In dieser bedeutsamen Prozessphase werden oftmals sensible Informationen aufgedeckt, diese Einschränkung der Auswahl gibt Anlass zur Sorge über die Fairness und Transparenz der Prozesse (MRAI 19.6.2023).
Die Revolutionsgerichte sehen meist davon ab, das Urteil an die Angeklagten zu übermitteln. In der Regel laden sie den Anwalt des Angeklagten vor Gericht und verlesen das Urteil. Solche Urteile sind folglich auf der elektronischen Datenbank Adliran nicht zugänglich. Rechtsanwälte dürfen Urteile lediglich direkt bei Gericht lesen und sich dort Notizen machen (Landinfo/et al. 12.2021).
In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA), deren Unabhängigkeit die Judikative einzuschränken versucht. Anwälte der IBA sind staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen ausgesetzt (AA 30.11.2022). Um eine Anwaltslizenz zu erhalten, mussten Anwärter bislang unter anderem eine Prüfung bei der IBA ablegen (MBZ 9.2023; vergleiche Soltani/Shooshinasab 8.2022). Im August 2023 verabschiedete das iranische Parlament ein Gesetz, das die Kontrolle zur Erteilung von Anwaltslizenzen an das Ministerium für Industrie, Bergbau und Handel übertrug (MBZ 9.2023).
Doppelbestrafung (ne bis in idem), im Ausland begangene Vergehen, Verurteilung in Abwesenheit
Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge hält sich der Iran an den Grundsatz ne bis in idem, wenn es um ta'zir-Strafen geht. Im Falle von hadd- und qisas-Strafen ist eine doppelte Strafverfolgung dagegen möglich. Auch ist es möglich, dass ein Gericht eine ta'zir-Strafe gegen eine Person verhängt, der Staatsanwalt jedoch im Nachhinein angibt, dass dies ein Fehler war und das Vergehen unter einen hadd-Tatbestand fällt. In diesem Fall kann eine Person zweimal für dieselbe Straftat verurteilt werden, in der Praxis kommt dies jedoch selten vor (MBZ 9.2023).
Iranische Staatsbürger unterliegen auch im Ausland der iranischen Gesetzgebung und können nach Artikel 7 des IStGB 2013 für Vergehen, die im Ausland begangen wurden, in Iran belangt werden (Landinfo 9.11.2022). Das Verbot der Doppelbestrafung gilt in diesem Fall nur stark eingeschränkt. Nach dem IStGB werden Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen [Anm.: hadd- und qisas-Strafen] haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen (AA 30.11.2022). Ein von Landinfo im Jahr 2021 befragter Rechtsanwalt zeichnete jedoch ein differenzierteres Bild und gab an, dass insbesondere im Ausland begangene Vergehen, welche die innere und äußere Sicherheit betreffen, in Iran strafrechtlich verfolgt werden. Laut dem Rechtsanwalt werden beispielsweise Alkoholkonsum oder "unzüchtiges" Verhalten iranischer Staatsbürger im Ausland in Iran nicht strafrechtlich verfolgt (Landinfo 9.11.2022). In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 30.11.2022).
Es kommt in der Praxis vor, dass Personen in Iran in Abwesenheit aufgrund von im Ausland durchgeführten Tätigkeiten verurteilt werden, beispielsweise aufgrund von Veröffentlichungen von kritischen Beiträgen in den sozialen Medien. Mehrere Quellen berichteten von derartigen Fällen von bekannten Aktivisten im Ausland (MBZ 9.2023). Der ehemalige, in Dubai wohnhafte Profifußballer Ali Karimi wurde zum Beispiel von den iranischen Behörden in absentia verurteilt, nachdem er nach Mahsa Aminis Tod kritische Texte auf Instagram gepostet hatte (MBZ 9.2023; vergleiche ArTR 16.12.2022).
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung 2024-01-24 12:58
Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Im Prinzip respektiert die Regierung diese Rechte, es gibt jedoch einige Einschränkungen, besonders für Frauen und Flüchtlinge. Die Regierung verlangt von allen Bürgern für Auslandsreisen eine Ausreisebewilligung (USDOS 20.3.2023). Bestimmte Gruppen, wie Angestellte in sensiblen Bereichen, iranische Studenten im Ausland und alle Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren, die ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben, benötigen eine besondere Ausreisebewilligung (Landinfo 21.1.2021 vergleiche CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Bürger, die auf Staatskosten ausgebildet wurden oder Stipendien erhalten haben, müssen diese entweder zurückzahlen, oder erhalten befristete Ausreisebewilligungen. Die Regierung schränkt auch die Reisefreiheit von einigen religiösen Führern, Mitgliedern von religiösen Minderheiten und Wissenschaftlern in sensiblen Bereichen ein. Journalisten, Akademiker, oppositionelle Politiker, Künstler sowie Menschen- und Frauenrechtsaktivisten sind von Reiseverboten und Konfiszierung der Reisepässe betroffen (USDOS 20.3.2023).
Zur rechtmäßigen Ausreise aus der Islamischen Republik Iran benötigen iranische Staatsangehörige einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (gestaffelte Gebühr: derzeit 4 bis 8 Millionen Rial [Stand 31.3.2023: 8,7 bis 17 Euro - Wechselkurse schwanken stark]). Die illegale Ausreise erfolgt zumeist auf dem Landweg unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Türkei (AA 30.11.2022). Verheiratete Frauen dürfen nicht ohne die Zustimmung ihrer Männer ins Ausland reisen (USDOS 20.3.2023; vergleiche FH 10.3.2023). Unverheiratete Frauen über 18 Jahren brauchen nicht die Zustimmung ihres Vaters oder Vormunds, um einen Pass zu bekommen oder ins Ausland zu reisen (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).
Ein vom Staatsanwalt bei Gericht eingebrachter Antrag auf ein Ausreiseverbot kann von der Person, gegen die ein Ausreiseverbot verhängt worden ist, nicht im SANA-System eingesehen werden (MBZ 9.2023).
Zu den Gerichtsurteilen gehört manchmal die interne Verbannung nach der Haftentlassung. So werden Personen daran gehindert, in bestimmte Provinzen zu reisen. Frauen benötigten oft die Aufsicht eines männlichen Vormunds oder einer Aufsichtsperson, um reisen zu können. Sie werden mitunter behördlichen und gesellschaftlichen Schikanen ausgesetzt, wenn sie alleine reisen (USDOS 20.3.2023).
Rückkehr
Die freiwillige Rückkehr registrierter afghanischer Flüchtlinge sank bis Ende August 2022 mit 246 Personen erneut deutlich (2021: 800 Personen) (AA 30.11.2022), insgesamt kehrten im Jahr 2022 376 Afghanen mit Unterstützung von UNHCR freiwillig von Iran nach Afghanistan zurück (UNHCR 31.12.2022). Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan 2021 sind laut IOM (Stand August 2022) mit 982.680 Personen weniger nicht-registrierte Afghanen aus Iran nach Afghanistan zurückgekehrt als zuvor. Trotz Stellungnahme von UNHCR zur Einhaltung des völkerrechtlichen Prinzips des non-refoulement führt Iran nach Angaben von UNHCR weiter Abschiebungen durch. UNHCR schätzt, dass 65 % der neu ankommenden afghanischen Flüchtlinge abgeschoben werden (AA 30.11.2022). Die iranischen Behörden haben bereits vor dem Fall Afghanistans an die Taliban jährlich hunderttausende Afghanen nach Afghanistan zurückgeschickt. Die vom IOM verzeichneten Rückreisen nach Afghanistan waren seit Jahren ansteigend. Viele kehrten dabei auch freiwillig zurück – oft, um später wieder nach Iran einzureisen (zirkuläre Migration). Iran hat in den Grenzregionen verschiedene Transitzentren eingerichtet, von wo aus die afghanischen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgeschickt werden. UNHCR zeigt solche Zentren auf einer Karte von März 2022 in den Provinzen Razavi Khorasan, in Süd-Khorasan und in Sistan und Belutschistan. Die Einrichtungen werden als überfüllt und schmutzig beschrieben, mit mangelnder Ernährung und medizinischer Versorgung. Sicherheitskräfte haben demnach die Flüchtlinge – besonders diejenigen, die kein Geld für den Rücktransport vorweisen konnten – wiederholt geschlagen und angegriffen sowie ihres Geldes oder des Mobiltelefons beraubt. Internationale Organisationen, inkl. UNHCR, haben nur beschränkten Zugang zu diesen Lagern bzw. zur Grenzregion insgesamt (SEM 30.3.2022). Iran hat die Abschiebung von Afghanen seit einer Ankündigung vom September 2023, alle Migranten ohne Papiere auszuweisen, intensiviert (RFE/RL 18.10.2023). Ende 2023 berichteten die Grenzbehörden der Taliban von einer Zunahme an Abschiebungen von Afghanen aus Iran (FR24 8.11.2023; vergleiche TN 11.12.2023), zwischen September und Dezember 2023 betraf dies demnach über 345.000 Afghanen (TN 11.12.2023).
Exiliraner, Behandlung von Aktivisten bei Rückkehr, Auswirkungen der Protestwelle von 2022
Letzte Änderung 2024-01-26 15:22
Der Logik folgend, dass das Überleben des iranischen Regimes dessen wichtigstes Ziel ist, bekämpfen die iranischen Behörden interne und externe Bedrohungen, wo auch immer diese identifiziert werden (UKHO 1.3.2022), wobei die weit gefasste Definition des iranischen Regimes, wer eine Bedrohung für die Islamische Republik darstellt, zum Umfang und Intensität der transnationalen Repressionsbemühungen beiträgt (FH 2021). Die Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen und Einzelpersonen stellt im Inland wie auch [europäischen] Ausland den Schwerpunkt iranischer nachrichtendienstlicher Aktivitäten dar (BMIH/BfV 20.6.2023; vergleiche Säkerhetspolisen 22.2.2023). Iran ist aufgrund der Unruhen und Proteste im eigenen Land verstärkt bemüht, die im Ausland lebenden Dissidentinnen und Dissidenten sowie Regimekritikerinnen und Regimekritiker aufzuklären (BMI/DSN 12.5.2023). Die Aktivitäten iranischer Nachrichtendienste umfassten in Europa, dem Nahen Osten und Nordamerika unter anderem Ermordungen, Entführungen, Einschüchterung im digitalen Raum, den Einsatz von Spionagesoftware (FH 2021; vergleiche Landinfo 28.11.2022), Bewegungseinschränkungen und Interpol-Missbrauch [Anm.: durch das Erstellen von "Red Notices", sodass Personen in Drittstaaten festgehalten werden] sowie Nötigung durch Dritte (FH 2021).
Bei den bekannten Opfern von Mord, versuchtem Mord und Entführung durch iranische Regimekräfte handelt es sich um Führungskräfte großer Oppositionsgruppen oder separatistischer Organisationen wie der Volksmudschahedin (MEK) und dem Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz (ASMLA), sowie um Anführer und Aktivisten der iranisch-kurdischen Exilparteien und Aktivisten im Ausland, die in Iran durch ihre Online-Kampagnen viel Aufmerksamkeit erregt haben (Landinfo 28.11.2022; vergleiche IRINTL 7.1.2024). Es sind Fälle bekannt, in denen iranische Staatsangehörige, insbesondere, wenn diese als Journalisten oder Blogger eine große Reichweite haben und sich kritisch zu politischen Themen in Iran (Menschrechtsverletzungen, Korruption und Bereicherung von Amtsträgern, Frauenrechte, interne Machtkämpfe) geäußert haben, in Drittländern entführt wurden, um sie nach Iran zu verbringen, wo sie in (Schau-)Prozessen verurteilt worden sind (AA 30.11.2022).
Die iranischen Nachrichtendienste bemühen sich aktiv um die Anwerbung von Informanten innerhalb der Oppositionsgruppen (Landinfo 28.11.2022). Ein Experte merkte im Juni 2019 gegenüber ACCORD an, dass es den iranischen Behörden gelungen sei, die meisten oppositionellen Organisationen [im Exil] zu unterwandern (ACCORD 5.7.2019). Im Fokus der Behörden stehen dabei unter anderem die MEK, ethnische Gruppen (ACCORD 5.7.2019; vergleiche Landinfo 28.11.2022) und sunnitische Dschihadisten (ACCORD 5.7.2019). Fälle von aufgedeckten Informanten sind zum Beispiel aus Schweden (betreffend der ASMLA) und den USA (betreffend der MEK) bekannt (Landinfo 28.11.2022). Der Experte hält weiters fest, dass es den iranischen Behörden bewusst ist, dass sich beispielsweise iranische Auslandsstudenten und -studentinnen - auch in der Hoffnung, Asyl oder Bleiberecht zu erhalten - Oppositionsgruppen anschließen oder zum Christentum konvertieren. Dadurch werden diese Personen demnach verwundbar und, sofern sie sich politisch auffällig verhalten, von den iranischen Behörden unter Druck gesetzt. Gerade bei Studenten hat der iranische Staat demnach mehrere Druckmittel, wie etwa beim Verlängern von Reisepässen oder bei Auslands-Aufenthaltsgenehmigungen. Dem Experten sind Fälle bekannt, in denen solche Verlängerungen nicht gewährt worden sind und den Studenten bedeutet worden ist, sich zwecks Unterredung mit den Behörden nach Iran zurückzubegeben (ACCORD 5.7.2019).
Nach Auskunft eines außerhalb Irans lebenden Experten besteht für politisch aktive Personen bei einer Rückkehr ein "größeres" Risiko. Personen, die politisch sehr aktiv oder bekannt sind, können nicht nach Iran zurückkehren. "Einfache" Bürger und Bürgerinnen würden bei der Rückkehr möglicherweise keine Probleme haben, dies ist allerdings sehr einzelfallabhängig. Personen, die in Iran an Protesten teilgenommen haben, dann ins Ausland gegangen sind und dort nicht politisch aktiv waren, müssen nach einer Rückkehr nicht mit Konsequenzen rechnen, es sei denn, es sind Verfahren, Vorwürfe oder Strafen gegen sie anhängig. In diesem Fall würden die betroffenen Personen verhaftet werden. Personen, die im Ausland zwar politisch aktiv waren, es dabei aber geschafft haben, anonym zu bleiben, können laut dem Experten zurückkehren, während es ausgeschlossen ist, dass sie, wenn sie unter ihrem Klarnamen aufgetreten sind, zurückkehren können (IRB 22.2.2021; vergleiche DFAT 24.7.2023).
Ein von CEDOCA befragter Experte geht davon aus, dass die iranischen Behörden Bildmaterial von Teilnehmern an Demonstrationen im Ausland sammeln, betont aber, dass er bislang [Stand 18.11.2022] keine Beweise gesehen hat, wonach sie dann die abgebildeten Personen tatsächlich verfolgen. Laut dieser Quelle ist es unwahrscheinlich, dass die iranischen Behörden Personen, die lediglich an Demonstrationen im Ausland teilnehmen, als hochrangige Ziele betrachten. Derselbe Experte gibt jedoch an, dass er sich hinsichtlich Personen, die an den Protesten teilgenommen haben und nach Iran zurückkehren, Sorgen machen würde, wobei dies nicht bedeutet, dass diese Personen bei der Rückkehr sofort verhaftet werden. Dies hängt vom Profil der Personen ab. Die Organisatoren der Proteste würden bei einer Rückkehr auf Probleme stoßen. Eine andere von CEDOCA befragte Expertin gibt an, dass Agenten des Regimes die iranische Diaspora seit dem Ausbruch der Proteste Mitte September 2022 deutlicher und offener überwachen. Sie führte an, dass iranische Demonstranten im Ausland Personen identifizieren, die Demonstranten filmen, und ihre Gesichter in den sozialen Medien veröffentlichen. Mehrere Personen, die 2009 im Rahmen der Grünen Bewegung vor der iranischen Botschaft in London demonstrierten, berichteten beispielsweise, dass das iranische Konsulat sie als Demonstranten identifizierte und sich weigerte, ihre Konsularangelegenheiten zu bearbeiten. Im Zusammenhang mit den Mitte September 2022 ausgebrochenen Protesten sind bislang keine derartigen Fälle bekannt. Die Bildqualität der Kameras vor Botschaften hat sich inzwischen allerdings verbessert und der iranische Staat verwendet nach Eigenangaben Gesichtserkennungstechnologie (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).
Iranische Aktivisten berichteten unter anderem von Einschüchterungsversuchen in Österreich und Deutschland, beispielsweise durch auffälliges Filmen und Fotografieren von Protestierenden, durch Drohanrufe oder -nachrichten (Standard 29.3.2023; vergleiche BMP 11.3.2023, CGRS-CEDOCA 10.5.2023), und auch durch einen mutmaßlichen Einbruch (BMP 11.3.2023). Sie gehen davon aus, dass die iranischen Sicherheitsbehörden hinter den Vorfällen stecken (Standard 29.3.2023; vergleiche BMP 11.3.2023). Im Herbst 2022 wurde von zwei Angriffen auf Kundgebungen von Exiliranerinnen und -iranern in Berlin berichtet, wobei das Motiv der Angriffe vorerst nicht bekannt war (Zeit online 13.11.2023; vergleiche taz 14.11.2022).
Mizan, das Nachrichtenportal der iranischen Justiz, verkündete im September 2023, dass das Informationsministerium [auch Geheimdienstministerium, VAJA/MOIS] mehrere mutmaßliche Protestanführer im Ausland verhaftet habe. Hierzu ist ein Video veröffentlicht worden, das Geständnisse mehrerer Männer zeigen soll, die in den USA, Deutschland und Großbritannien als Anführer von Demonstrationen in Erscheinung getreten sein sollen (BAMF 18.9.2023; vergleiche Mizan 12.9.2023). Das von Mizan veröffentlichte Video beinhaltet auch mehrere Videomitschnitte aus sozialen wie traditionellen Medien, welche Demonstrationen von Exiliranerinnen und Exiliranern in den genannten Ländern zeigen, wobei unter anderem die Fahnen Kurdistans, der MEK und der Monarchisten sowie Bilder von Shah Reza Pahlewi zu sehen sind (Mizan 12.9.2023). Wann und wo die Männer festgenommen wurden, ging aus dem Bericht nicht hervor. Die Authentizität und der Wahrheitsgehalt der Angaben lassen sich nicht unabhängig verifizieren (BAMF 18.9.2023).
Ein maßgeblicher Teil der Überwachung durch die Sicherheitsbehörden findet online statt (CGRS-CEDOCA 10.5.2023), wobei die Behörden diesbezügliche Bemühungen nach Protestbeginn Mitte September 2022 verstärkt haben (LOT 15.12.2022). Die Behörden überwachen Aktivisten im Exil, haben aber nicht die Kapazitäten, alle von ihnen zu überwachen. Das Regime setzt auf Grundlage seiner Interessen Prioritäten, und diese Prioritäten können sich auch ändern. Gemäß einer von CEDOCA befragten Quelle lag der Fokus mit Stand 13.9.2022 [Anm.: d. h. kurz vor Beginn der umfangreichen Protestwelle] auf Journalisten und Aktivisten ethnischer Minderheiten. Der Quelle zufolge ist die Menge an Kritik, die eine Person am Regime übt, kein wesentlicher Faktor, der das Risiko erhöht, als online-Dissident im Exil überwacht zu werden. Vielmehr bestimmt der Einfluss, den eine Person hat, ob diese für das Regime Priorität hat (CGRS-CEDOCA 10.5.2023), wobei hierbei insbesondere zwei Faktoren ausschlaggebend sind: Zugang zu öffentlicher Aufmerksamkeit und Verbindungen zum Heimatland (Michaelsen 2020). Als einflussreich gilt beispielsweise, wer in Fernsehsendern wie Iran International oder Voice of America (VOA) zu sehen ist. In den sozialen Medien kann die Anzahl der Follower einerseits als gewisser Richtwert gesehen werden, andererseits gibt es dazu keine einfache Formel. Im Zentrum steht vielmehr die Frage, ob es einer Person gelingt, mit ihren Beiträgen den Diskurs mitzuprägen. Eine von CEDOCA befragte Quelle hält es jedenfalls für sehr unwahrscheinlich, dass ein Facebook-Profil von jemandem außerhalb Irans mit rund 500 "Freunden", das die iranische Regierung kritisiert, von den Behörden überwacht wird, wobei die Plattformen twitter.com, Instagram und Telegram bedeutsamer sind, um ein iranisches Publikum zu erreichen, als Facebook oder Blogs (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).
Die Art und Weise, wie iranische Behörden Iraner im Ausland überwachen, hängt vom Ziel ab. Die iranischen Behörden zielen mit Malware auf einige bekannte ("high profile") Dissidenten in der Diaspora ab. Auch Social-Media-Profile von Personen, die nicht zu den profilierten Dissidenten gehören, können überwacht werden. So können die iranischen Behörden beispielsweise lesen, worüber jemand twittert, oder sehen, wer im Netzwerk einer Person ist. Hierfür verwenden die iranischen Behörden öffentlich zugängliche Informationen und überwachen keine privaten [d. h. nicht öffentlich einsehbaren] Konten. Dieser Quelle zufolge haben es die iranischen Behörden bei der Überwachung der iranischen Diaspora v. a. auf Führungspersönlichkeiten und Organisatoren abgesehen, d. h. auf Personen, die eine Gruppe oder Partei anführen oder auf Personen, die von einer Gruppe von Menschen gehört werden. Das Regime könnte hochrangige politische Aktivisten als Bedrohung ansehen und dann ausgeklügelte Cybersecurity-Angriffe gegen sie starten (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Während sich das Regime bei der Überwachung üblicherweise auf bedeutsame Persönlichkeiten fokussiert, sind laut einer anderen Quelle auch Aktivisten aus der "mittleren Ebene" von Hacking-Angriffen betroffen und auch "einfache" Iraner werden mitunter überwacht, da jede Art von Information für die Behörden nützlich ist (IRB 22.2.2021). Eine befragte iranische Rechtsanwältin merkte [im Gespräch über die Verbreitung von christlichen Inhalten in den sozialen Medien] zudem an, dass es Fälle von Personen gibt, die aufgrund von Beiträgen in den sozialen Medien mit geringer Reichweite oder mit privaten Konten Probleme mit den Behörden bekommen haben, weil sie von Personen aus ihrem Umfeld gemeldet wurden. Der Staat ist rechtlich dazu in der Lage, derartige Personen zu verfolgen (MRAI 19.6.2023).
Zwar gibt es keine klaren Kriterien dafür, gegen wen ermittelt wird und wer bestraft wird (DIS 7.2.2020), doch laufen enge Familienmitglieder von politischen Aktivistinnen und Aktivisten (DIS 7.2.2020; vergleiche FH 2021) wie auch von Mitgliedern kurdischer Oppositionsparteien mit Stützpunkt im Nordirak Gefahr, von den Behörden ins Visier genommen zu werden (Landinfo 28.11.2022), nicht jedoch die Großfamilie. Eine andere Quelle widerspricht dem und geht - allerdings ohne Beispiele zu nennen - davon aus, dass die Behörden die Familienangehörigen politischer Aktivisten gut behandeln, um der Welt zu zeigen, dass es in Iran Freiheit gibt, und dass den Rückkehrern kein Leid zugefügt werden wird (DIS 7.2.2020). Im Jänner 2023 wurde von einem Fall berichtet, bei dem eine in Frankreich lebende Iranerin, die an den Protesten nach dem Tod von Mahsa Jina Amini teilgenommen hat, von jemandem, der sich am Telefon als Mitarbeiter des MOIS vorstellte, gedroht wurde, dass ihre in Iran lebenden Eltern und andere Familienmitglieder inhaftiert werden würden, sollte sie von weiteren Aktivitäten gegen das Regime nicht Abstand nehmen (IRINTL 7.1.2023; vergleiche CNN 21.4.2023). Unter anderem wies der MOIS-Mitarbeiter die Iranerin an, auf Instagram keine Inhalte zu den Protesten mehr zu teilen, wobei sie angegeben hat, dass ihr Profil dort auf "privat" gestellt ist und von ihr geteilte Beiträge somit nur von ihren Followern gesehen werden können [Anm.: im Rahmen einer zeitlich begrenzten Recherche konnten keine weiterführenden Informationen dazu gefunden werden, was das Interesse der Behörden an der Person konkret geweckt hat] (IRINTL 7.1.2023). In Iran lebende Familienmitglieder von Journalisten der Farsi-sprachigen Sparte der BBC, BBC Persian (BBC 12.1.2023), und der Farsi-Redaktion der Deutschen Welle berichteten ebenfalls von Drohungen der iranischen Behörden (FAZ 28.11.2023).
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in die Akten der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben der Beschwerdeführerin vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid, in den Beschwerdeschriftsatz, in die zitierten Länderberichte sowie in die Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts sämtliche Verfahren die Beschwerdeführerin betreffend, in die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen und insbesondere durch die Einvernahme der Beschwerdeführerin und der beiden Zeugen in der mündlichen Verhandlung und den persönlichen Eindruck, den die erkennende Richterin dort gewinnen konnte.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und zur Religionszugehörigkeit, zum Familienstand, zur Herkunft, Ausbildung, Berufserfahrung sowie den Familienangehörigen und zu den Lebensumständen im Herkunftsstaat ergeben sich aus den diesbezüglich im gesamten Verfahren im Wesentlichen einheitlichen, schlüssigen, weitgehend chronologisch stringenten und vor dem Hintergrund der bestehenden sozio-ökonomischen Strukturen im Iran plausiblen Angaben der Beschwerdeführerin. Ihre Identität steht zudem aufgrund der nunmehr im Original vorgelegten iranischen ID-Card fest, ihr Familienstand wird durch die vorgelegte Bestätigung der Ledigkeit/Scheidung im Iran bekräftigt.
Die Feststellungen zur Muttersprache beruhen auf ihren Ausführungen vor dem Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung sowie dem Umstand, dass sie unter Beiziehung von Dolmetschern für die Sprache Farsi einvernommen werden konnte und keine Hinweise auf Verständigungsschwierigkeiten hervorgekommen sind.
Die Feststellungen zu ihrem Gesundheitszustand und der Arbeitsfähigkeit resultieren aus den Angaben in der mündlichen Verhandlung sowie aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin einer Erwerbstätigkeit nachgeht und keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, aus denen notwendige medizinische Behandlungen oder die Einnahme von Medikamenten hervorgehen würden.
Dass die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft machen konnte, aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert zu sein, basiert zunächst darauf, dass ihre Ausführungen und Kenntnisse über ihren Glauben sowohl vor der belangten Behörde als auch vor der erkennenden Richterin sehr oberflächlich und vage blieben und sich schon deshalb nicht darauf schließen lässt, dass sie sich tatsächlich mit dem Christentum ausreichend intensiv auseinandergesetzt hat.
So gab sie vor dem Bundesamt an, die persönliche Situation bzw. Lage im Iran seit dem ersten Asylverfahren habe sich dahingehend geändert, dass die Beschwerdeführerin konvertiert sei und nunmehr als Religionszugehörigkeit „Christentum. Evangelisch, protestantisch“ habe.
Nachgefragt, wann sie erstmals auf das Christentum aufmerksam geworden wäre, erklärte die Beschwerdeführerin: „Genau in diesem Jahr, im Februar oder März. Ich habe diese Informationen von einem Freund erhalten. Sie sagte mir, wenn ich zum Christentum konvertiere, finde ich meinen richtigen Weg.“ In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass demnach ihr Interesse am Glauben bzw. einer Konversion ca. zwei Monate nach dem abweisenden Vorerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes erwacht ist. Zudem gab sie im Widerspruch dazu wenig später in derselben Einvernahme erstmals unsubstantiiert an, in ihrem Heimatland habe sie Interesse gehabt, aber im Iran dürfe man nicht konvertieren. Auch im Rahmen der Verhandlung erklärte sie vage, bereits im Iran habe sie Christin werden wollen, aber nicht gekonnt, wobei nicht nachvollziehbar ist, warum sie dies nicht im ersten Asylverfahren auch nur ansatzweise erwähnt hat. Einmal habe sie die Kirche besuchen wollen, aber man habe ihr mitgeteilt, dass sie ein Schreiben von dem Ministerium für Erschad (laut Dolmetscherin dem Ministerium für Kultur und islamische Führung, dort befinde sich die Sittenpolizei), benötige. Ausdrücklich brachte sie vor, eine christliche Kirche sei nicht ganz in der Nähe, aber es wäre möglich gewesen, die Kirche zu besuchen und dorthin zu gehen. Dass sie sich diese Bestätigung vom Ministerium für Erschad nicht geholt habe, begründete sie zunächst damit, sie sei Muslima gewesen und dieses Schreiben zu verlangen, wäre ihr Todesurteil. Dem Islam den Rücken zu kehren, sei dort verpönt, man werde als Abtrünnige bezeichnet und zum Tode verurteilt. Weiters erklärte sie jedoch: „Ich war bei dem Ministerium, und habe das Schreiben verlangt. Man fragte mich, warum ich dieses Schreiben verlangen wolle und was ich in dort in der Kirche wolle. Ich sagte, dass ich lediglich die Kirche besuchen wolle, aber man hat mir dieses Schreiben nicht ausgestellt.“ Besondere Konsequenzen behauptete sie nicht ansatzweise. Dem Christentum tatsächlich öffnen können habe sie sich erst im Bundesgebiet. Lediglich allgemein brachte sie dazu vor: „Ich habe Christentum als eine sehr nette Religion empfunden. Christentum ist eine Religion, das man wirklich lieben muss. Es gibt keine Zwänge. Ich kann meine Freiheiten haben. Ich kann mir aussuchen, was ich mir anziehen soll oder wie ich mich verhalten oder sprechen soll.“ Nachgefragt, wann sie diese Empfindungen das erste Mal in Österreich verspürt habe, antwortete die Beschwerdeführerin: „Das war am Heiligabend im Ende des Jahres 2023.“ Vorgehalten, beim Bundesamt habe sie auf die Frage, wann sie das erste Mal auf das Christentum aufmerksam geworden wäre, geantwortet, im Februar oder März 2023, durch einen Freund, erwiderte die Beschwerdeführerin: „Ja, das ist richtig. Ich hatte einen italienischen Freund und am Heiligabend 2023 habe ich diese schöne Atmosphäre und freundliche Umstände dort erlebt. Da habe ich mich dem Christentum geöffnet. Klar, dass man nicht gleich das sagt, was man denkt, das hat sich auch, wie ich gesagt habe, im Februar oder März 2023 dann geäußert und ich wurde aktiv.“ Diesen Zeitablauf bestätigte sie auf Nachfrage nochmals. Vorgehalten, Heiligabend 2023 sei viel später als Februar/März 2023, korrigierte sie sich wiederum dahingehend, sie habe Heiligabend 2022 und nicht 2023 gemeint. Im Februar oder März 2023 habe sie dann die Kirche besucht. Vorgehalten, beim Bundesamt habe sie angegeben, dass sie im Februar oder März 2023 die Information erhalten habe, wenn sie zum Christentum konvertierte, würde sie ihren richtigen Weg finden, bejahte sie dies.
Aber auch die Art, wie das Interesse am Glauben erweckt wurde, schilderte die Beschwerdeführerin unterschiedlich. Eingangs erklärte sie, hier habe sie von einer Freundin eine Nummer von einem Mann namens römisch 40 erhalten und zeigte vor dem Bundesamt diesbezüglich einen Brief vor. Wegen der Taufe habe sie keine Vorbereitungen gehabt, aber jeden Sonntag gehe sie in die „Klasse“, gemeint die Kirche. „Wir lesen das Buch dort, reden darüber und diskutieren darüber.“ Dass sie eine Freundin dazu geführt habe, verneinte sie dann aber wieder vor dem Bundesverwaltungsgericht: „Niemand hat mir das gesagt. Mein Freund damals ist Italiener gewesen und er ist Christ.“ Vorgehalten, diese Freundin habe ihr dem Bundesamt zufolge die Nummer von einem Mann namens römisch 40 gegeben, womit vermutlich der geladene Zeuge gemeint sei, räumte die Beschwerdeführerin wieder ein: „Ich habe keine Freundin. Das war eine Bekannte, eine iranische Frau. Aber es ist richtig, sie hat mir die Nummer von römisch 40 gegeben.“
Dass sie gerade zum evangelischen Zweig konvertiert sei, erklärte die Beschwerdeführerin vor der Behörde auch nur oberflächlich damit, sie habe mehr Informationen von dieser Richtung bekommen und wolle auch in dieser Richtung bleiben.
Lediglich ausweichend brachte sie vor dem Bundesamt vor, die Taufe bedeute Wiederleben oder ein neues Leben. Die Beschwerdeführerin habe in „diesem Buch“ gelesen und sie hätten darüber in der Klasse geredet. „Wir sagen spezielles Buch oder sauberes Buch. Ich weiß nicht, wie es auf Deutsch heißt, es steht nur auf Farsi darauf.“ Sie wisse nicht, ob es sich um eine Bibel handelt, was schon gar nicht nachvollziehbar ist. Gelesen habe die Beschwerdeführerin nur dieses spezielle Buch auf Farsi. Sie habe auch viele Filme über Jesus angeschaut konkret auf Farsi „Die Schwierigkeiten und Probleme von Jesus“ auf YouTube.
Nachgefragt, wie sie ihren christlichen Glauben im Alltag praktiziere, erwiderte die Beschwerdeführerin vor der Behörde: „Ja. Einmal in der Woche, am Sonntag, von 10:00 bis 15:15.“ Unter der Woche gehe sie nicht in die Kirche, aber lese selbst das Buch. Unter der Woche sei niemand in der Kirche. Die Kirche sei in einem römisch 40 , sie hätten dort ein Zimmer gemietet. Die Beschwerdeführerin kenne nur diesen Platz. Wenn jemand konvertiere, dann komme er in dieses Zimmer und dort „lesen wir“. Sie kenne viele Kirchen in römisch 40 , aber persönlich sei sie noch nie in der Kirche gewesen, was besonders dagegenspricht, dass die Beschwerdeführerin tatsächliches Interesse am Glauben hat.
Auch vor der erkennenden Richterin konnte sie eine innere Überzeugung nicht glaubhaft darlegen, weil sie oberflächlich blieb und wichtige Grundkenntnisse nicht aufwies.
Nachgefragt, wie der Name dieser Kirche laute, antwortete sie, römisch 40 . „Wir nennen die römisch 40 . Es gibt ein Schreiben, wenn Sie das möchten. Wir nennen sie römisch 40 .“ Darauf hingewiesen, dass demnach diese Institution römisch 40 heiße, erklärte die Beschwerdeführerin ausweichend, in die Kirche kämen Leute aus diversen Ländern, auch dunkelhäutige und diverse andere Menschen. Dabei würde über die Vorfälle, die Jesus Christus passiert seien, und über die Wunder von Jesu gesprochen. Sie beteten gemeinsam. Auch verwendeten sie die Bibel auf Farsi. Nach dieser Sitzung räume die Beschwerdeführerin den Raum auf, räume die Becher weg oder ordne die Stühle, diese Dinge habe sie mehrmals gemacht. Eine andere römisch 40 kenne sie nicht.
Festzuhalten ist, dass die Beschwerdeführerin betonte, sich nicht für andere Kirchengemeinschaften interessiert zu haben, was auch gegen eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema spricht.
Zu ihrem Taufunterricht gefragt, antwortete sie: „Ich besuche diese Kirche, über diese Kirche wurde ich getauft. Ich habe jetzt nicht verstanden, meinen Sie, ich sollte extra Unterricht deswegen haben“ Sie habe keinen gehabt. Abgesehen von dem Taufzertifikat habe sie nichts. Sie sei nicht bei der evangelischen Kirche gewesen und wisse nicht, ob sie das akzeptieren. Nachgefragt, ob sie evangelischen Glaubens sei, antwortete sie: „Ich kenne mich nicht aus, ich war in keiner evangelischen Kirche.“ Auch dies spricht nicht für eine tatsächliche Hinwendung zum Christentum.
Getauft worden sei die Beschwerdeführerin in der römisch 40 , und zwar von römisch 40 persönlich. Zeugen habe es keinen gegeben, römisch 40 habe unterschrieben. Abgesehen von ihnen beiden sei niemand dabei gewesen. Wann genau die Beschwerdeführerin das erste Mal diese Kirche besucht habe wisse sie nicht, aber es sei März gewesen. Getauft worden sei sie am 3. September. Die Taufe bedeute, dass man wieder neu geboren und einem die Sünden vergeben worden seien. Vorgehalten, dass nach dem Wissen der erkennenden Richterin mit der Taufe der Beitritt zu einer kirchlichen Gemeinschaft erfolge, erwiderte die Beschwerdeführerin, sie sei schon bereits in der Kirche gewesen.
Die Beschwerdeführerin sei Mitglied der römisch 40 , helfe ihnen und habe dort viele andere Leute vorgestellt. Sie könne sich nicht daran erinnern, was die Dreifaltigkeit bedeutet, womit schon wesentliches Basiswissen fehlt. Zu der Sitzung im römisch 40 sagten sie „wir gehen zur Kirche“. Dabei würden Bibelverse gelesen und erklärt, Fragen gestellt und beantwortet. Dann gebe es dieses Abendmahl und es würde gebetet. Wenn man die Taufe bekomme, wisse man, dass man andere Menschen zum Glauben bringen müsse. Dies habe sie bereits getan. Sie habe iranische Freunde, die sie missioniert habe.
Somit konnte die Beschwerdeführerin wegen ihrer äußerst oberflächlichen Kenntnisse über ihren angeblichen neuen Glauben und den Widersprüchen zu ihrer Konversion nicht glaubhaft machen, sich aus innerer Überzeugung dem Christentum zugewandt zu haben.
Die Beschwerdeführerin gab auch erst auf konkretes Nachfragen ihrer rechtlichen Vertretung an, sie bete täglich, danke Gott für alles und versuche im Laufe des Tages Menschen zu helfen. Sie arbeite zurzeit und helfe dort den Menschen. Christliche Feiertage begehe sie mit ihren Freunden.
Der im Rahmen der Verhandlung einvernommene Zeuge erklärte zunächst, er sei als Evangelist tätig. Dies sei jemand, der das Evangelium weitergibt und Kirchen gründet, des Weiteren auch aufbaut und später die Bischöfe einsetzt, die dann die Kontrolle über diese Kirche übernehmen. Eine anerkannte Kirche müsse eine bestimmte Vorgabe erfüllen von 300 Einwohnern, die diesen Glauben ausüben und leben und so viele hätten sie noch nicht. Auch dürfte sie erst nach fünf Jahren anfragen. Deshalb seien sie ein Verein. Vor der Taufe werde jeder gefragt, ob er glaube, dass Jesus Christus Sohn Gottes sei und Jesus nachfolgenden wolle. Wenn das bestätigt werde, würde getauft. Nachgefragt, ob die Beschwerdeführerin offiziell den Glauben einer römisch 40 habe, erwiderte der Zeuge, er würde sagen, Christin. Sie seien eine Kirche, natürlich könnten sie durch eine Taufe den Glauben verleihen. Das könnte jeder tun, wenn er die biblischen Vorschriften einhält. Der Taufunterricht laufe so ab, dass Personen, die getauft werden wollten, gefragt würden, wie lange sie schon in der Bibel läsen, ob sie bereits in Afghanistan oder Iran in der Kirche gewesen und wie lange sie schon gläubig seien, auch warum sie sich taufen lassen wollten und was sie darunter verstünden. Wenn er bemerkte, dass sie genug wüssten und so auch wirklich nachfolgen wollten, das Ganze dauert eine halbe bis eine Dreiviertelstunde, dann seien sie für die Taufe qualifiziert.
Dies spricht in einer Gesamtschau gerade nicht dafür, dass eine tatsächliche Vorbereitung und innere Überzeugung für die Taufe durch diesen Verein notwendig ist. Daran ändert es auch nichts, dass der Zeuge angab, laut der Bibel sei es erforderlich, Missionstätigkeiten durchführen, und bestätigte, die Beschwerdeführerin spreche gerne mit Leuten darüber und habe auch Leute zur Kirche gebracht. Auch habe sie bereits anderen Geschwistern geholfen und Sachen organisiert.
Insgesamt ist nicht davon auszugehen, dass bei der Beschwerdeführerin tatsächlich eine Konversion aus innerer Überzeugung erfolgt ist.
Festzuhalten ist auch, dass sie vor der erkennenden Richterin ausdrücklich angab, im Iran sei die Beschwerdeführerin Muslima gewesen, aber nicht gläubig, ihre Familie glaube „nicht so viel“. Sie selbst habe die Moschee nicht besucht. Besondere Vorfälle oder Repressionen deswegen, dass sie dies nicht getan hat, wurden nicht ansatzweise behauptet und brachte sie abgesehen von einer Verwarnung auf der Straße durch die Sittenpolizei wegen ihrer Kleidung keine einzigen Vorfälle mit Behörden oder Privatpersonen vor.
Bezüglich der vorgebrachten einzigen Demonstrationsteilnahme in römisch 40 ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin laut eigenen Angaben vor der erkennenden Richterin nicht einmal angeben konnte, von wem diese organisiert worden sei, erfahren habe sie davon über Freunde, über Instagram. Die Demonstration habe Ende 2022 stattgefunden, es sei um den Tod von Mahsa AMINI gegangen. Dies sei die einzige Demonstration gewesen, an der die Beschwerdeführerin teilgenommen habe, was für sich genommen gegen ein tatsächliches politisches Engagement spricht. Ausdrücklich erklärte sie, Probleme mit den Behörden habe es keine gegeben. Sie selbst habe daran teilgenommen, weil dieser Tod komplett sinnlos gewesen sei. Mahsa AMINI habe ihr Leben wegen eines Schals verloren.
Dass die derzeitige Lage im Iran die Beschwerdeführerin belastet, ist verständlich, in diesen Ausführungen ist jedoch keine tiefgreifende Auseinandersetzung mit der politischen Situation und den aktuellen Geschehnissen im Iran zu erblicken. Insoweit kann auch trotz der notorischen aktuellen Entwicklungen im Iran vergleiche die oben unter römisch II.1 zitierten Auszüge aus den Länderberichten sowie die in der Beschwerde zitierten Passagen) keine Gefahr einer Verfolgung für die Beschwerdeführerin erkannt werden.
Bereits im Vorerkenntnis wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin keine „westliche Orientierung“ verinnerlicht hat, die sie im Iran asylrelevant exponieren würde und sind diesbezüglich keine neuen Tatsachen hinzugekommen bzw. wurden sie auch nicht substantiiert vorgebracht. Dass die Beschwerdeführerin in Österreich einen nicht-konservativen Kleidungsstil pflegt, und kein Kopftuch trägt, wird nicht in Abrede gestellt. Jedoch kann – wie im Vorerkenntnis angemerkt - in den im Iran vorherrschenden Kleider- und Verhaltensvorschriften per se keine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte erblickt werden und wurde seitens der Beschwerdeführerin auch nicht substantiiert vorgebracht, dass damit ein maßgeblicher Eingriff in ihre körperliche oder physische Unversehrtheit verbunden wäre oder ihr die Verhaltensvorschriften jegliche Lebensgrundlage entziehen würden. Die Beschwerdeführerin konnte auch weiterhin nicht glaubhaft machen, dass sie eine „westliche Lebensweise“ in Österreich angenommen hätte, bei deren weiterer Pflege im Herkunftsstaat sie einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre.
Dem Bundesverwaltungsgericht ist durchaus bewusst, dass das Leben als Frau im Iran nicht dem in Österreich – vor allem in Hinblick auf die im Bundesgebiet gegebenen Freiheiten – entspricht. Allerdings konnte auch zuletzt in der Verhandlung weiterhin nicht der Eindruck vermittelt werden, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine in ihrer Grundeinstellung „westlich orientierte“ Frau handeln würde, die im Iran allein aufgrund ihrer Gesinnung und der Fortführung ihres Lebensstils der potentiellen Gefahr einer Verfolgung, Bedrohung oder Gefährdung in ihrem Heimatstaat unterliegen würde.
Auch ist auf die oben getroffenen Feststellungen zur Situation im Iran zu verweisen, wonach allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen auslöst. Ausgenommen davon sind Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht. Dass dies speziell bei der Beschwerdeführerin vorliegen würde, wurde nicht substantiiert vorgebracht.
Insgesamt ist festzuhalten, dass die in der Beschwerde vorgebrachten kumulativen Gefährdungsfaktoren (Konversion, westliche Orientierung, langer Aufenthalt im Ausland und Asylantragstellung, äußeres Erscheinungsbild, Geschlecht bzw. alleinstehende Frau), die im Falle einer Rückkehr Verfolgung nach sich ziehen würden, vom Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht erkannt werden können. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Konversion aus innerer Überzeugung ist nicht glaubhaft, ebenso war bei ihr wie auch schon im Vorverfahren keine sie im Iran exponierende westliche Orientierung festzustellen. Auf allfällige regimekritische Verhaltensweisen und die Asylantragstellung im Ausland wurde ebenfalls bereits eingegangen. Der Beschwerdeführerin droht aus diesen Gründen keine Verfolgung im Iran. Da sich im Iran noch ein Bruder, ihre Mutter und die Schwester befinden, handelt es sich bei ihr auch nicht um eine alleinstehende Frau und ist darauf hinzuweisen, dass es ihr durchaus möglich war, zu maturieren und als Buchhalterin und Make up-Artist ihr Einkommen zu erwerben.
Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten in Zusammenschau mit den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin.
Die Beschwerdeführerin ist gesund, arbeitsfähig und fällt nicht in eine vulnerable Gruppe. Ihr Herkunftsgebiet wird von den iranischen Behörden kontrolliert, es liegen dort keine kriegs- oder bürgerkriegsähnlichen Zustände vor. In Teheran ist die Grundversorgung und die medizinische Versorgung gesichert. Wie ausgeführt, verfügt die Beschwerdeführerin über eine heimatliche zwölfjährige Schulbildung mit Matura und verdiente sich jahrelang ihr Einkommen als Buchhalterin, bis sie sich zum Make up Artist ausbilden ließ und weitere Jahr als solche tätig war. Zudem leben ihre Mutter, ein Bruder und eine Schwester in Teheran, zu denen sie Kontakt hält.
Die Feststellungen zur Einreise und Aufenthalt bis zur Folgeantragstellung lassen sich dem betreffenden Vorakt des Bundesverwaltungsgerichts, v.a. dem Erkenntnis GZ W231 2217686-1/25E vom 19.12.2022, sowie den Verwaltungsakten des Bundesamtes entnehmen.
Die Feststellungen zum in Österreich befindlichen Bruder ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin, etwa in der mündlichen Verhandlung. Demnach lebe er mit ihr nicht im gemeinsamen Haushalt, sondern in Wien, ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis wurde nicht vorgebracht. Dass der Bruder in Österreich den Status des Asylberechtigten genießt und dieser ihm von der belangten Behörde zuerkannt wurde, wurde bereits im Vorverfahren rechtskräftig festgestellt.
Die Feststellung zur aktuellen Berufsausübung und der Unterkunftsmöglichkeit basiert auf dem vorgelegten AMS-Bescheid sowie den vorgelegten Bestätigungen des Arbeitgebers.
Die Feststellungen zu dem erreichten A1-Zertifikat, den Kursbesuchen und ehrenamtlichen Tätigkeiten resultieren aus den entsprechenden vorgelegten Zeugnissen und Dokumenten sowie den Angaben der Beschwerdeführerin vor der erkennenden Richterin und decken sich im Wesentlichen mit den Feststellungen im Vorerkenntnis. Die sozialen Beziehungen werden durch die im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 29.05.2024 einvernommene Zeugin bestätigt.
Die Verurteilung ergibt sich aus dem aktenkundigen Strafurteil.
Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat
Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in der Mongolei ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Die Feststellungen wurden im Rahmen der mündlichen Verhandlung unter Einräumung einer Stellungnahmemöglichkeit vorgehalten und es wurde ihnen nicht substantiiert entgegengetreten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß Paragraph 6, des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 10 aus 2013,, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
In vorliegendem Fall ist in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen und obliegt somit in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. römisch eins 2013/33 i.d.F. BGBl. römisch eins 2013/122, geregelt (Paragraph eins, leg.cit.). Gemäß Paragraph 59, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, Bundesgesetzblatt Nr. 194 aus 1961,, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, Bundesgesetzblatt Nr. 173 aus 1950,, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, Bundesgesetzblatt Nr. 29 aus 1984,, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß Paragraph 3, Bundesgesetz über die Einrichtung und Organisation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA-Einrichtungsgesetz - BFA-G) Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012, idgF obliegt dem Bundesamt die Vollziehung des BFA-VG (Ziffer eins,), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl.I Nr. 100 (Ziffer 2,), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), Bundesgesetzblatt römisch eins Nr.100 (Ziffer 3,) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, BGBl.I Nr.100 (Ziffer 4,).
Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012,, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß Paragraph 27, VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (Paragraph 9, Absatz , Ziffer 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (Paragraph 9, Absatz 3,) zu überprüfen. Gemäß Paragraph 9, Absatz , VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Ziffer 3,) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Ziffer 4,) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 51 aus 2012,, wurde zu Paragraph 27, VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene Paragraph 27, legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde vergleiche Paragraph 66, Absatz 4, AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."
Zu Spruchteil A)
Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974, (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.
Als Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Dem Vorbringen des Asylwerbers kommt dabei zentrale Bedeutung zu. Es muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen vergleiche VwGH 09.11.2022, Ra 2022/01/0152, mwN).
Die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung ist auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden VwG vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom VwG nicht getroffen werden vergleiche VwGH 13.01.2022, Ra 2021/14/0386, mwN).
Unter „Verfolgung“ iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK anzusehen, sondern nur solche Maßnahmen, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen vergleiche Artikel 9, Absatz eins, der Statusrichtlinie) vergleiche VwGH 27.09.2022, Ra 2021/01/0305).
Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht vergleiche VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste vergleiche VwGH 30.08.2022, Ra 2022/18/0129, mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren vergleiche VwGH 18.03.2021, Ra 2020/18/0450, mwN).
Eine Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention kann gemäß Paragraph 3, Absatz 2, AsylG 2005 auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat (subjektive Nachfluchtgründe).
Ein in der Praxis häufiges Beispiel für sogenannte subjektive Nachfluchtgründe ist die (meist im Zufluchtsstaat erfolgende) Konversion zum Christentum insbesondere bei Asylwerbern aus islamischen Staaten. Auch wenn in einem solchen Fall der Nachweis einer (religiösen) Überzeugung, die bereits im Heimatstaat bestanden hat, nicht erbracht werden kann, drohen dem Antragsteller bei seiner Rückkehr in den Heimatstaat gegebenenfalls Sanktionen, die von ihrer Intensität und ihrem Grund her an sich asylrelevant sind. Die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt in diesen Fällen nicht darauf ab, ob die entsprechende Überzeugung bereits im Heimatland bestanden hat (VwGH 17.09.2008, 2008/23/0675). Vielmehr ist bei der Frage der asylrechtlichen Relevanz einer Konversion zum Christentum wesentlich, ob der vom Islam zum Christentum Übergetretene bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden vergleiche VwGH 29.05.2019, Ra 2019/20/0230; 07.05.2018, Ra 2018/20/0186).
Bei einer Konversion ist zu prüfen, ob diese allenfalls bloß zum Schein erfolgt ist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (ua VwGH 22.02.2018, Ra 2017/18/0426; VwGH 23.06.2015, Ra 2014/01/0117 mwN; in diesem Sinne auch VfGH 12.12.2013, U 2272/2012). Mangelndes religiöses Grundwissen kann für das Vorliegen einer Scheinkonversion sprechen, ist aber alleine nicht ausreichend (VwGH 14.11.2007, 2004/20/0215; 14.11.2007, 2004/20/0485). Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (VwGH 21.04.2021, Ra 2021/18/0155).
Wie beweiswürdigend eingehend ausgeführt, war dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Konversion aus innerer Überzeugung insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen und handelt es sich bei ihr um eine zum Schein konvertierte Person.
Ebenso ergibt sich auch der lediglich einmaligen Demonstrationsteilnahme Ende 2022 keine Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat und ist die Beschwerdeführerin dabei nicht ins Blickfeld des Regimes geraten.
Eine die Beschwerdeführerin im Iran exponierende westliche Orientierung konnte im Verfahren weiterhin nicht festgestellt werden. Auch die Asylantragstellung in Österreich würde die nicht der Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Insgesamt ist nochmals darauf zu verweisen, dass die im Verfahren (erneut) vorgebrachten kumulativen Gefährdungsfaktoren nicht festgestellt werden konnten und es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr in den Iran eine oppositionelle Gesinnung durch das iranische Regime unterstellt würde. Die Beschwerdeführerin ist vor ihrer Ausreise nicht in den Fokus der iranischen Regierung geraten und aus den oben dargelegten Gründen ist auch nicht anzunehmen, dass für sie im Fall einer Rückkehr eine Gefährdung durch das Regime besteht (und auch nicht durch private Personen oder Gruppierungen).
Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 abzuweisen.
Zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Ziffer eins,), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Ziffer 2,), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß Paragraph 8, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.
Gemäß Paragraph 8, Absatz 3, AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des Paragraph 11, offen steht.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Artikel 3, EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Artikel 3, EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Artikel 3, EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Artikel 3, EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen vergleiche VwGH 25.04.2022, Ra 2021/20/0448).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung auch festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Artikel 2, oder Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen vergleiche VwGH 03.05.2021, Ra 2020/01/0485, mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes obliegt es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 3, EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Fall der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde vergleiche VwGH 05.04.2022, Ra 2022/14/0001, mwN).
Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass es im Iran Spannungen gibt, die sich zuletzt noch verstärkt haben, aber die Sicherheitslage ist – wie sich aus den Länderberichten ergibt – nicht derart, dass die Beschwerdeführerin allein aufgrund ihrer Anwesenheit im Iran einem realen Risiko für ihre körperliche Unversehrtheit oder ihr Leben ausgesetzt wäre. Es wurde bereits festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, dass sie nicht ins Blickfeld des Regimes geraten und auch nicht ernsthaft politisch engagiert ist. Im Verfahren sind auch keine Hinweise darauf hervorgekommen, dass sich die Beschwerdeführerin in der Zukunft regimekritisch betätigen würde.
Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine gesunde und arbeitsfähige Frau, bei welcher die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Sie verfügt zudem über heimatliche Matura, Berufsausbildung und Arbeitserfahrung weshalb davon auszugehen ist, dass sie im Herkunftsstaat grundsätzlich in der Lage sein wird, sich gegebenenfalls mit Gelegenheitsarbeiten ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Hinzu kommt, dass sie den überwiegenden Teil ihres Lebens im Herkunftsland lebte, dort sozialisiert wurde, die Landessprache als Muttersprache spricht, und sich in ihrem Herkunftsort nach wie vor ihre Mutter, ein Bruder und ihre Schwester befinden, die Schutz und Unterstützung bieten könnten. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Artikel 3, EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt daher nicht vor.
Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde die Beschwerdeführerin somit nicht in Rechten nach Artikel 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958, idgF, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, Bundesgesetzblatt Nr. 138 aus 1985, idgF, und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, Bundesgesetzblatt Teil 3, Nr. 22 aus 2005, idgF, verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführerin als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.
Daher ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.
Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß Paragraph 58, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Gemäß Paragraph 57, Absatz eins, AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin ist nicht geduldet. Sie brachte zwar in der Erstbefragung vage vor, eine Woche im Frauenhaus gewesen zu sein, jedoch wurde nicht behauptet bzw. ist auch aus ihren weiteren Angaben im Verfahren nicht ersichtlich, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist. Ansonsten ist sie nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 liegen daher nicht vor.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheides ist daher als unbegründet abzuweisen.
Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch IV. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt wird.
Gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (Paragraph 10, AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Die Beschwerdeführerin ist als Staatsangehörige des Iran keine begünstigte Drittstaatsangehörige und es kommt ihr kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz, sohin mit Erlassung der gegenständlichen Entscheidung, das Aufenthaltsrecht nach Paragraph 13, AsylG 2005 endet.
Gemäß Paragraph 55, Absatz , AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn 1. dies gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 9, Integrationsgesetz (IntG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 68 aus 2017,, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (Paragraph 5, Absatz 2, Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 189 aus 1955,) erreicht wird. Nach Paragraph 55, Absatz 2, AsylG 2005, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Absatz eins, Ziffer eins, vorliegt.
Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG lautet:
(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraphen 45 und 48 oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre.
Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Artikel 8, EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in Paragraph 9, Absatz 2, BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus Paragraph 9, Absatz 3, BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden vergleiche VwGH 21.11.2022, Ra 2021/19/0457, mwN).
Ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienlebens im Sinn des Artikel 8, EMRK ein Familienleben vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jeweils von den konkreten Umständen ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Artikel 8, Absatz eins, EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen vergleiche VwGH 30.09.2022, Ra 2022/20/0240, mwN).
Nach der st. Rsp. des EGMR ist das nach Artikel 8, EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Beziehungen beschränkt, sondern erfasst auch faktische Familienbindungen, bei welchen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben. Zur Frage, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Familienleben im Sinne des Artikel 8, EMRK begründet, stellt der EGMR auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen ab, die sich in einer Reihe von Umständen - etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder - äußern können. (VwGH 28.6.2011 2008/01/0527)
Im konkreten Fall ist der Bruder der Beschwerdeführerin in Österreich aufhältig und genießt den Status des Asylberechtigten. Sie lebt mit ihm jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt, die beiden sehen sich lediglich ab und zu. Eine gegenseitige Abhängigkeit wurde nicht behauptet. Somit ist ein Eingriff in das Recht der Beschwerdeführerin Achtung des Familienlebens mangels einer entscheidungsrelevanten Beziehungsintensität jedenfalls zu verneinen. Die Beschwerdeführerin hat in Österreich ansonsten keine Familienangehörigen, von ihrem in der Beschwerde genannten Verlobten ist sie laut eigenen Angaben mittlerweile getrennt.
Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (EGMR, Maslov/Österreich, 23.06.2008, 1638/03, RN 63). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration der Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt vergleiche dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Artikel 8, MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Eine von Artikel 8, EMRK geschützte Integration ist erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen vergleiche Thym, EuGRZ 2006, 541).
Ein schützenswertes Privatleben iSd Artikel 8, EMRK und eine nennenswerte Integration in Österreich können vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen nicht angenommen werden.
Die Beschwerdeführerin reiste am 15.10.2018 gemeinsam mit ihrem zweiten Bruder über Malaysia und Thailand auf dem Luftweg unter Verwendung eines gefälschten slowenischen Reisepasses in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz. Sie befindet sich seither in Österreich.
Mit Bescheid vom 26.02.2019, Zl. 1209607703-180987560, wies das Bundesamt den (ersten) Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran ab (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.). Es wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG in den Iran zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.) und dass gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt römisch VI.).
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.2022, GZ W231 2217686-1/25E, als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin missachtete ihre Ausreiseverpflichtung, verblieb illegal im Bundesgebiet und stellte am 01.06.2023 den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.
Sie hat – wie bereits im Vorverfahren festgestellt - in Österreich Deutschkurse bis zum Niveau B1 besucht und das ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A1 absolviert, einen Lehrgang bzw. Basisbildungskurse abgeschlossen, bei denen die deutsche Sprache und digitale Kompetenzen vermittelt wurden, ehrenamtlich als Reinigungskraft gearbeitet und ist in einem Verein römisch 40 ehrenamtlich als Mitarbeiterin tätig (u.a. Dolmetsch-Tätigkeiten). Sie half auch bei der Kleiderreinigung bei der Caritas und der Diakonie und hat österreichische und iranische Freunde und Bekannte in Österreich.
Zwar ist die Beschwerdeführerin nunmehr seit 04.12.2023 in einem Hotelbetrieb als Commis de rang regulär erwerbstätig (40 Wochenstunden für € 1900 brutto monatlich), hat dort eine Unterkunft und legte eine Unterstützungserklärung ihres Arbeitgebers vor, jedoch ist besonders zu beachten, dass auch dieses Privatleben in Österreich zu einem Zeitpunkt begründet wurde, als sich die Zulässigkeit des Aufenthalts allein auf den unbegründeten Antrag auf internationalen Schutz stützen konnte. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass das negative Vorerkenntnis und somit die erste – und in weiterer Folge missachtete - Rückkehrentscheidung zu diesem Zeitpunkt bereits mündlich verkündet waren und die Beschwerdeführerin somit davon Kenntnis hatte.
Im Hinblick auf die relativ geringe Zeitspanne, in der sich die Beschwerdeführerin in Österreich aufhält (ab Oktober 2018), kann selbst unter Miteinbeziehung der geschilderten integrativen Merkmale eine von Artikel 8, EMRK geschützte „Aufenthaltsverfestigung“ noch nicht angenommen werden vergleiche VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479, wonach ein dreijähriger Aufenthalt „jedenfalls“ nicht ausreichte, um daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abzuleiten; vergleiche auch VwGH 20.12.2007, 2007/21/0437, zu Paragraph 66, Absatz eins, FPG, wonach der 6-jährigen Aufenthaltsdauer eines Fremden im Bundesgebiet, der Unbescholtenheit, eine feste soziale Integration, gute Deutschkenntnisse sowie einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, jedoch keine Familienangehörigen geltend machen konnte, in einer Interessensabwägung keine derartige „verdichtete Integration“ zugestanden wurde, da der Aufenthalt „letztlich nur auf einem unbegründeten Asylantrag fußte“; ähnlich auch VwGH 25.02.2010, 2010/18/0026; 30.04.2009, 2009/21/0086; 08.07.2009, 2008/21/0533; 08.03.2005, 2004/18/0354). Somit kann nicht festgestellt werden, dass dem subjektiven Interesse der Beschwerdeführerin am Verbleib im Inland Vorzug gegenüber dem maßgeblichen öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8, Absatz 2, EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt vergleiche VwGH 22.01.2013, 2011/18/0036; 10.05.2011, 2011/18/0100; 22.03.2011, 2007/18/0628; 26.11.2009, 2007/18/0305), zu geben ist.
Im gegenständlichen Fall kommt noch hinzu, dass die Beschwerdeführerin in Österreich strafrechtlich nicht unbescholten ist, sondern rechtskräftig wegen der Fälschung besonders geschützter Urkunden zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt wurde. Eine fehlende strafgerichtliche Unbescholtenheit (Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 6, BFA-VG) erhöht grundsätzlich nicht nur das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, sondern ist auch bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens zu berücksichtigen, indem sie die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland und eine erfolgte Integration relativieren kann (VwGH 21.02.2022, Ra 2021/01/0277). Die für die Integration eines Fremden wesentliche soziale Komponente wird durch vom Fremden begangene Straftaten erheblich beeinträchtigt vergleiche etwa VwGH 30.01.2007, 2004/21/0045 mwH).
Den privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8, Absatz 2, EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).
Die Beschwerdeführerin verfügt nicht zuletzt über enge Bindungen zu ihrem Heimatstaat. So hat sie ihr gesamtes bisheriges Leben bis zum Verlassen des Herkunftsstaates im Iran verbracht. Sie wuchs dort auf, ging dort zur Schule, absolvierte die Matura und hat Erwerbstätigkeiten ausgeübt. Die Beschwerdeführerin wurde dort sozialisiert, beherrscht die Landessprache Farsi als Muttersprache und ist mit den kulturellen Gepflogenheiten im Herkunftsstaat vertraut. Zudem leben noch Familienangehörige im Iran, zu denen Kontakt besteht. Es ist daher davon auszugehen, dass sie sich bei ihrer Rückkehr in die Gesellschaft ihres Herkunftsstaates wieder eingliedern können wird.
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des Paragraph 9, BFA-VG ist davon auszugehen, dass die Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.
Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt römisch IV. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.
Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt römisch fünf. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
Nach Paragraph 50, Absatz eins, FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, oder Artikel 3, der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach Paragraph 50, Absatz 2, FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Artikel 33, Ziffer eins, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974,), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005).
Nach Paragraph 50, Absatz 3, FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Die Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des Paragraph 50, FPG ergeben würde.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch fünf. des angefochtenen Bescheides ist daher als unbegründet abzuweisen.
Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt römisch VI. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach Paragraph 55, Absatz 2, FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch VI. des angefochtenen Bescheides ist daher als unbegründet abzuweisen.
Zu Spruchteil B):
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), Bundesgesetzblatt Nr. 10 aus 1985, idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten wiedergegeben. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist – auch wenn sie teilweise zur früheren Rechtslagen ergangen ist – nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
ECLI:AT:BVWG:2024:W119.2217686.2.00