Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

04.07.2024

Geschäftszahl

W285 2275254-1

Spruch


W285 2275254-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 , geboren am römisch 40 , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger der Stadt Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zahl römisch 40 , betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.03.2024 zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 3, Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht nichtzulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

Der minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 25.08.2022 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 26.08.2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers zu seinem Antrag auf internationalen Schutz statt.

Zur Altersfeststellung wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein medizinisches Fachgutachten in Auftrag gegeben. Dieses mit 29.10.2022 datierte Gutachten errechnete als spätestmögliches „fiktives“ Geburtsdatum den römisch 40 . Das vom Beschwerdeführer behauptete Geburtsdatum ( römisch 40 ) sei mit dem festgestellten, wahrscheinlichen Mindestalter nicht vereinbar.

Mit Verfahrensanordnung vom 09.11.2022 wurde das Geburtsdatum des Beschwerdeführers mit römisch 40 festgestellt.

Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Graz, wurde der Beschwerdeführer am 07.03.2023 niederschriftlich einvernommen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 06.06.2023 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 25.08.2022 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte ihm in Spruchpunkt römisch II. gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm in Spruchpunkt römisch III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG für ein Jahr. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es das Bundesamt für ausgeschlossen und nicht glaubhaft halte, dass die Taliban tatsächlich ernsthaft versucht hätten, den Beschwerdeführer zu rekrutieren. Nach den Angaben des Beschwerdeführers hätten die Taliban dreimal nach ihm gesucht, er habe jedoch nicht angeführt, sich an einem schwer zu findenden Ort aufgehalten zu haben, der Beschwerdeführer wäre sicher gefunden worden. Die sonstigen Angaben des Beschwerdeführers seien dermaßen vage und unkonkret gewesen, dass aus ihnen keinesfalls eine glaubhafte Bedrohung abgeleitet werden könne. Der Bescheid wurde am 09.06.2023 rechtswirksam zugestellt.

Mit dem am 06.07.2023 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingebrachten Schriftsatz vom 05.07.2023 erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung gegen Spruchpunkt römisch eins. des dargestellten Bescheides, mit dem der Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde, das Rechtsmittel der Beschwerde. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen; den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG zuerkannt werde; in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt worden sei. Der Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt der fluchtauslösenden Ereignisse erst vierzehn Jahre alt gewesen. Die Bedrohung des Vaters des Beschwerdeführers stelle aufgrund der von den Taliban geübten Praxis der Sippenhaftung gleichermaßen eine Gefahr für den Beschwerdeführer dar. Dem mj. Beschwerdeführer drohe sowohl aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seines Vaters, als auch aufgrund der ihm von den Taliban unterstellten politischen bzw. oppositionellen Gesinnung in Afghanistan unmittelbare, konkrete und persönliche Verfolgung.

Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 16.06.2023 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Mit Bescheid vom 18.08.2023 des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Bescheid vom 06.06.2023 dahingehend berichtigt, dass der fälschlich mit „ römisch 40 “ angegebene Vorname des Beschwerdeführers auf „ römisch 40 korrigiert wurde.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 14.03.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, seine Rechtsvertretung, eine Vertrauensperson sowie ein Dolmetscher für die Sprache Paschtu teilnahmen. Der Vertreter des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ist nicht erschienen. Im Zuge der Verhandlung wurden dem Beschwerdeführer die im Verfahren herangezogenen Berichte zur Beurteilung der Lage in seinem Herkunftsstaat (Länderinformationen der Staatendokumentation, aktuelle Berichte der EUAA sowie die UNHCR-Erwägungen zu Afghanistan) zur Kenntnis gebracht.

Mit Parteiengehör vom 29.04.2024 wurden dem Beschwerdeführer die aktualisierten Länderinformationen der Staatendokumentation, Stand 10.04.2024, zur Kenntnis gebracht und es wurde ihm eine Möglichkeit zur Stellungnahme innerhalb von 14 Tagen eingeräumt; diese Frist verstrich ungenutzt.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und den Lebensumständen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität (Name und Geburtsdatum), ist Staatsangehöriger Afghanistans und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, seine Muttersprache ist Paschtu. Der Beschwerdeführer ist Moslem sunnitischer Glaubensrichtung vergleiche Einvernahme BFA 07.03.2023 AS 89), er stammt aus römisch 40 , Afghanistan und hat vier Jahre lang eine Schule besucht vergleiche Erstbefragung 26.08.2022, AS 7f; Einvernahme AS 89; Verhandlungsprotokoll 14.03.2024 S.4). Vater, Mutter und drei Geschwister leben im Iran (Vgl. Verhandlungsprotokoll Sitzung 4). Innerhalb der EU hat der Beschwerdeführer keine Angehörigen (Vgl. Einvernahme BFA AS.90). Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt aus Afghanistan aus und gelangte über Pakistan, den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn irregulär nach Österreich vergleiche Erstbefragung 26.08.2022, AS 11, S.7).

Der Beschwerdeführer ist gesund (vgl.Einvernahme BFA AS 88).

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten. Er geht in Österreich derzeit keiner Erwerbstätigkeit nach.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.2.1. Dem Beschwerdeführer drohen bei einer Rückkehr nach Afghanistan weder physische noch psychische Bedrohungen von erheblicher Intensität durch Angehörige der Taliban oder durch andere Personen.

Der Beschwerdeführer sowie sein Vater wurden nicht von den Taliban bedroht oder verfolgt. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bzw. sein Vater von den Taliban aufgesucht worden sind, um die Herausgabe des Beschwerdeführers zu erzwingen.

Der Vater des Beschwerdeführers hat in Afghanistan keine Verfolgung aufgrund eines ungeklärten Mordfalles oder aufgrund von behaupteten Beziehungen zur früheren afghanischen Regierung zu befürchten und auch der Beschwerdeführer ist im Zusammenhang damit keiner Verfolgung ausgesetzt.

1.3. Zur entscheidungsrelevanten Lage im Afghanistan:

Politische Lage

Letzte Änderung 2024-04-05 15:33

Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert (AA 26.6.2023). Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt (UNSC 1.6.2023a). Sie bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USIP 17.8.2022; vergleiche VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem "islamischen Recht und den afghanischen Werten" regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweise bestimmen (USIP 17.8.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Im September 2022 betonte der Justizminister der Taliban, dass eine Verfassung für Afghanistan nicht notwendig sei (AA 26.6.2023).

Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban auch schnell staatliche Institutionen (USIP 17.8.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 7.7.2022a; vergleiche REU 7.9.2021a, VOA 19.8.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 8.9.2021; vergleiche DIP 4.1.2023). Haibatullah hat sich dem Druck von außen, seine Politik zu mäßigen, widersetzt (UNSC 1.6.2023a) und baut seinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen auf nationaler und subnationaler Ebene auch im Jahr 2023 weiter aus (UNGA 20.6.2023). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass andere in Kabul ansässige Taliban-Führer die Politik wesentlich beeinflussen können. Kurz- bis mittelfristig bestehen kaum Aussichten auf eine Änderung (UNSC 1.6.2023a). Innerhalb weniger Wochen nach der Machtübernahme kündigten die Taliban "Interims"-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.8.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.8.2022; vergleiche HRW 4.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge "Sittenpolizei" berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.8.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.8.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.9.2021; vergleiche Guardian 20.9.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 26.6.2023).

Der Ernennung einer aus 33 Mitgliedern bestehenden geschäftsführenden Übergangsregierung im September 2021 folgten zahlreiche Neuernennungen und Umbesetzungen auf nationaler, Provinz- und Distriktebene in den folgenden Monaten, wobei Frauen weiterhin gar nicht und nicht-paschtunische Bevölkerungsgruppen nur in geringem Umfang berücksichtigt wurden (AA 26.6.2023).

Darstellung der vorläufigen Regierung der Taliban mit Namen und politischen Positionen BBC 7.9.2021

Die Regierung der Taliban wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der sogenannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 8.9.2021; vergleiche REU 7.9.2021b, Afghan Bios 18.7.2023).

Stellvertretende vorläufige Premierminister sind Abdul Ghani Baradar (AJ 7.9.2021; vergleiche REU 7.9.2021b, Afghan Bios 16.2.2022), der die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in Doha vertrat und das Abkommen mit ihnen am 29.2.2021 unterzeichnete (AJ 7.9.2021; vergleiche VOA 29.2.2020), und Abdul Salam Hanafi (REU 7.9.2021b; vergleiche Afghan Bios 7.7.2022b), der unter dem ersten Taliban-Regime Bildungsminister war (Afghan Bios 7.7.2022b; vergleiche UNSC o.D.a). Im Oktober 2021 wurde Maulvi Abdul Kabir zum dritten stellvertretenden Premierminister ernannt (Afghan Bios 27.11.2023; vergleiche 8am 5.10.2021, UNGA 28.1.2022).

Weitere Mitglieder der vorläufigen Taliban-Regierung sind unter anderem Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerkes (Afghan Bios 4.3.2023; vergleiche JF 5.11.2021) als Innenminister (REU 7.9.2021b; vergleiche Afghan Bios 4.3.2023) und Amir Khan Mattaqi als Außenminister (REU 7.9.2021b; vergleiche Afghan Bios 14.12.2023), welcher die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen vertrat und im ersten Taliban-Regime unter anderem den Posten des Kulturministers innehatte (Afghan Bios 14.12.2023; vergleiche UNSC o.D.b). Der Verteidigungsminister der vorläufigen Taliban-Regierung ist Mohammed Yaqoob (REU 7.9.2021b; vergleiche Afghan Bios 6.9.2023), dem 2020 der Posten des militärischen Leiters der Taliban verliehen wurde (Afghan Bios 6.9.2023; vergleiche RFE/RL 29.8.2020).

Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.8.2022). Diese Dynamik wurde am 23.3.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.8.2022; vergleiche RFE/RL 24.3.2022, UNGA 15.6.2022). Seitdem ist die Bildung von Mädchen und Frauen und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von "duellierenden Machtzentren" zwischen den in Kabul und Kandahar ansässigen Taliban zu sprechen (USIP 17.8.2022) und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 3.6.2022a). Doch der Emir und sein Kreis von Beratern und Vertrauten in Kandahar kontrollieren nicht jeden Aspekt der Regierungsführung. Mehrere Ad-hoc-Ausschüsse wurden ernannt, um die Politik zu untersuchen und einen Konsens zu finden, während andere Ausschüsse Prozesse wie die Versöhnung und die Rückkehr politischer Persönlichkeiten nach Afghanistan umsetzen. Viele politische Maßnahmen unterscheiden sich immer noch stark von einer Provinz zur anderen des Landes. Die Taliban-Beamten haben sich, wie schon während ihres Aufstands, als flexibel erwiesen, je nach den Erwartungen der lokalen Gemeinschaften. Darüber hinaus werden viele Probleme nach wie vor über persönliche Beziehungen zu einflussreichen Taliban-Figuren gelöst, unabhängig davon, ob deren offizielle Position in der Regierung für das Problem verantwortlich ist (USIP 17.8.2022).

In seiner traditionellen jährlichen Botschaft zum muslimischen Feiertag Eid al-Fitr im Jahr 2023 sagte Haibatullah Akhundzada, sein Land wünsche sich positive Beziehungen zu seinen Nachbarn, den islamischen Ländern und der Welt, doch dürfe sich kein Land in deren innere Angelegenheiten einmischen. Er vermied es, direkt auf das Bildungsverbot von Mädchen und die Beschäftigungseinschränkungen von Frauen einzugehen, sagte jedoch, dass die Taliban-Regierung bedeutende Reformen in den Bereichen Kultur, Bildung, Wirtschaft, Medien und anderen Bereichen eingeleitet hat, und "die schlechten intellektuellen und moralischen Auswirkungen der 20-jährigen Besatzung" dabei seien, zu Ende zu gehen (AnA 18.4.2023; vergleiche BAMF 30.6.2023).

Anfang Juni 2023 wurde berichtet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Taliban die Stadt Kandahar zu ihrem Stützpunkt machen würden. Dies wir als ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der gemäßigteren Taliban-Mitglieder in der Hauptstadt Kabul gesehen, während das Regime seine repressive Politik weiter verschärft. In den letzten Monaten haben Vertreter des Regimes Delegationen aus Japan und Katar nach Kandahar eingeladen, anstatt sich mit anderen Beamten in Kabul zu treffen. Der oberste Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, und ein zweiter Informationsbeauftragter aus Nordafghanistan, Inamullah Samangani, wurden von ihren Büros in Kabul nach Kandahar verlegt (WP 5.6.2023; vergleiche BAMF 30.6.2023).

Im Mai 2023 traf sich der Außenminister der Taliban mit seinen Amtskollegen aus Pakistan und China in Islamabad. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Einbeziehung Afghanistans in den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) sowie die Situation von Frauen in Afghanistan (AnA 5.5.2023; vergleiche VOA 6.5.2023).

Am 22.11.2023 verkündeten die Taliban den Abschluss einer zweitägigen Kabinettssitzung in der Provinz Kandahar unter der Leitung von Hebatullah Akhundzada. Auffallend war, dass Themen wie das Recht der Frauen auf Arbeit und Zugang zu Bildung sowie ihre Teilhabe an der Gesellschaft nicht Gegenstand der Beratungen waren. Es wurden Gespräche über Themen wie die Rückführung von Migranten, die Entwicklung diplomatischer Beziehungen zur Bewältigung bestehender Probleme, Import-Export- und Transitfragen sowie die Beibehaltung der Geldpolitik der Taliban geführt (AT 22.11.2023; vergleiche AMU 22.11.2023).

Internationale Anerkennung der Taliban

Mit Anfang 2024 hat noch kein Land die Regierung der Taliban anerkannt (TN 9.1.2024; vergleiche VOA 10.12.2023) dennoch sind Vertreter aus Indien, China, Usbekistan, der Europäischen Union, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kabul präsent (TN 30.10.2022). Im März 2023 gab der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid bekannt, dass Diplomaten in mehr als 14 Länder entsandt wurden, um die diplomatischen Vertretungen im Ausland zu übernehmen (PBS 25.3.2023; vergleiche OI 25.3.2023). Im November 2023 sagte der stellvertretende Taliban-Außenminister, dass derzeit 20 Botschaften in Nachbarländern aktiv wären (TN 29.11.2023), einschließlich der afghanischen Botschaft in Teheran (TN 27.2.2023) und des strategisch wichtigen Generalkonsulats in Istanbul (Afintl 27.2.2023; vergleiche KP 23.2.2023a). Berichten zufolge nahm auch die Türkei im Oktober 2023 einen neuen von den Taliban ernannten Diplomaten in der afghanischen Botschaft in Ankara auf (Afintl 14.2.2024). Eine Reihe von Ländern verfügt auch weiterhin über offizielle Botschafter in Afghanistan. Dazu gehören China und andere Nachbarländer wie Pakistan, Iran und die meisten zentralasiatischen Republiken, aber auch Russland, Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Japan (AAN/Ruttig 7.12.2023). Aber auch westliche Länder (mit Ausnahme Australiens) haben weder ihre Botschaften in Kabul offiziell geschlossen noch die diplomatischen Beziehungen offiziell abgebrochen. Vielmehr unterhalten sie kein diplomatisches Personal im Land. Einige Länder haben immer noch amtierende Botschafter oder nachrangige Diplomaten, die nicht in Kabul ansässig sind, und es gibt auch eine (schrumpfende) Anzahl von Sonderbeauftragten für Afghanistan (im Rang eines Botschafters). Die meisten westlichen Kontakte mit Taliban-Beamten finden in Katars Hauptstadt Doha statt, wo Diplomaten unterhalb der Botschafterebene ihre Länder bei den Treffen vertreten (AAN/Ruttig 7.12.2023).

Am 24.11.2023 entsandten die Taliban ihren ersten Botschafter in die Volksrepublik China (KP 26.11.2023; vergleiche AMU 25.11.2023). Dieser Schritt folgt auf die Ernennung eines Botschafters Chinas in Afghanistan zwei Monate zuvor, womit China das erste Land ist, das einen Botschafter nach Kabul unter der Taliban-Regierung entsandt hat (AMU 25.11.2023; vergleiche VOA 10.12.2023). Nach Ansicht einiger Analysten sowie ehemaliger Diplomatinnen und Diplomaten bedeutet dieser Schritt die erste offizielle Anerkennung der Taliban-Übergangsregierung durch eine große Nation (VOA 31.1.2024; vergleiche REU 13.9.2023). Nach Angaben des US-Außenministeriums prüfen die USA die Möglichkeit von konsularischem Zugang in Afghanistan. Dies solle keine Anerkennung der Taliban-Regierung bedeuten, sondern dem Aufbau funktionaler Beziehungen dienen, um eigene Ziele besser verfolgen zu können (USDOS 31.10.2023). Ebenso am 24.11.2023 wurde die afghanische Botschaft in Neu-Delhi, die von loyalen Diplomaten der Vor-Taliban-Regierung geleitet wurde, endgültig geschlossen. Einige Tage später erklärten Taliban-Vertreter, dass die Botschaft bald wieder eröffnet und von ihren Diplomaten geleitet werden wird (Wilson 12.12.2023; vergleiche VOA 29.11.2023).

Drogenbekämpfung

Im April 2022 verfügte der oberste Taliban-Führer Haibatullah Akhundzada, dass der Anbau von Mohn, aus dem Opium, die wichtigste Zutat für die Droge Heroin, gewonnen werden kann, streng verboten ist (BBC 6.6.2023).

Die vom Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) im Jahr 2023 durchgeführte Opiumerhebung in Afghanistan ergab, dass der Schlafmohnanbau nach einem von den Taliban-Behörden im April 2022 verhängten Drogenverbot um schätzungsweise 95 % zurückgegangen ist (UNODC 11.2023; vergleiche UNGA 1.12.2023), wobei ein anderer Experte den Rückgang des Mohnanbaus zwischen 2022 und 2023 auf 80 % schätzt (BBC 6.6.2023). Der Opiumanbau ging in allen Teilen des Landes von 233.000 Hektar auf 10.800 Hektar im Jahr 2023 zurück, was zu einem Rückgang des Opiumangebots von 6.200 Tonnen im Jahr 2022 auf 333 Tonnen im Jahr 2023 führte. Der drastische Rückgang hatte unmittelbare humanitäre Folgen für viele gefährdete Gemeinschaften, die auf das Einkommen aus dem Opiumanbau angewiesen sind. Das Einkommen der Bauern aus dem Verkauf der Opiumernte 2023 an Händler sank um mehr als 92 % von geschätzten 1,36 Milliarden Dollar für die Ernte 2022 auf 110 Millionen Dollar im Jahr 2023 (UNODC 11.2023; vergleiche UNGA 1.12.2023). Der weniger rentable Weizenanbau hat den Mohn auf den Feldern verdrängt - und viele Landwirte berichten, dass sie finanziell darunter leiden (BBC 6.6.2023).

Am 30.9.2023 veröffentlichte der Oberste Gerichtshof der Taliban eine Reihe von Drogenstrafverfahren, die Strafen für den Anbau, den Verkauf, den Transport, die Herstellung und den Konsum von Mohn, Marihuana und anderen Rauschmitteln vorsehen. Die vorgeschriebenen Freiheitsstrafen reichen von einem Monat bis zu sieben Jahren ohne die Möglichkeit, eine Geldstrafe zu zahlen (UNGA 1.12.2023).

Anfang 2024 verkündete der amtierende Verteidigungsminister der Taliban, dass im Zuge der Bekämpfung der Drogenproduktion im Jahr 2023 4.472 Tonnen Rauschgift vernichtet, 8.282 an der Produktion und am Schmuggel beteiligte Personen verhaftet und 13.904 Hektar Mohnanbaufläche gerodet wurden. Experten gehen jedoch davon aus, dass die Armut in den ländlichen und landwirtschaftlichen Gemeinden wieder zum Mohnanbau führen könnte (VOA 3.1.2024). So gab ein Farmer, dessen Feld von den Taliban wegen Mohnanbaus zerstört wurde an, dass er durch Weizenanbau nur einen Bruchteil dessen verdienen würde, was er mit Mohn verdienen könnte (BBC 6.6.2023).

Sicherheitslage

Letzte Änderung 2024-04-05 15:33

Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15.8.2021 ist das allgemeine Ausmaß des Konfliktes zurückgegangen (UNGA 28.1.2022, vergleiche UNAMA 27.6.2023). Nach Angaben der Vereinten Nationen gab es beispielsweise weniger konfliktbedingte Sicherheitsvorfälle wie bewaffnete Zusammenstöße, Luftangriffe und improvisierte Sprengsätze (IEDs) (UNGA 28.1.2022) sowie eine geringere Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung (UNAMA 27.6.2023; vergleiche UNAMA 7.2022). Die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) hat jedoch weiterhin ein erhebliches Ausmaß an zivilen Opfern durch vorsätzliche Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs) dokumentiert (UNAMA 27.6.2023).

UNAMA registrierte im Zeitraum 15.08.2021 - 30.05.2023 mindestens 3.774 zivile Opfer, davon 1.095 Tote (UNAMA 27.6.2023; vergleiche AA 26.6.2023) und vom 20.5.2023 bis 22.10.2023 mindestens 344 zivile Opfer, davon 96 Tote (UNGA 18.9.2023; vergleiche UNGA 1.12.2023). Im Vergleich waren es in den ersten sechs Monaten nach der Machtübernahme der Taliban 1.153 zivile Opfer, davon 397 Tote, während es in der ersten Jahreshälfte 2021 (also vor der Machtübernahme der Taliban) 5.183 zivile Opfer, davon 1.659 Tote gab. In der Mehrzahl handelte es sich um Anschläge durch Selbstmordattentäter und IEDs. Bei Anschlägen auf religiöse Stätten wurden 1.218 Opfer, inkl. Frauen und Kinder, verletzt oder getötet. 345 Opfer wurden unter den mehrheitlich schiitischen Hazara gefordert. Bei Angriffen auf die Taliban wurden 426 zivile Opfer registriert (AA 26.6.2023).

Im Jahr 2023 war ein Rückgang der von ACLED (Armed Conflict Location & Event Data Project) und UCDP (Uppsala Conflict Data Program) erfassten sicherheitsrelevanten Vorfälle zu verzeichnen. Die Zahl der von ACLED bis September 2023 erfassten Ereignisse ging im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2022 um 34,8 % zurück (1.979 gegenüber 689 Ereignissen), während die UCDP-Daten für denselben Zeitraum einen Rückgang um 48,2 % anzeigten (720 gegenüber 347 Ereignissen) (EUAA 12.2023; vergleiche ACLED 17.10.2023).

EUAA 12.2023; vergleiche ACLED 17.10.2023

Nach Angaben der Vereinten Nationen entwickelten sich die sicherheitsrelevanten Vorfälle seit der Machtübernahme der Taliban folgend:

●             19.8.2021 - 31.12.2021: 985 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 91 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 28.1.2022)

●             1.1.2022 - 21.5.2022: 2.105 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 467 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 15.6.2022)

●             22.5.2022 - 16.8.2022: 1.642 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 77,5 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 14.9.2022)

●             17.8.2022 - 13.11.2022: 1.587 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 23 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 7.12.2022)

●             14.11.2022 - 31.1.2023: 1.088 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 10 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 27.2.2023)

●             1.2.2023 - 20.5.2023: 1.650 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 20.6.2023)

●             25.5.2023 - 31.7.2023: 1.259 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 18.9.2023)

●             1.8.2023 - 21.10.2023: 1.414 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 2 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 1.12.2023)

Ende 2022 und während des Jahres 2023 nehmen die Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppierungen und den Taliban weiter ab (UNGA 27.2.2023; vergleiche UNGA 20.6.2023, UNGA 18.9.2023, UNGA 20.6.2023), wobei diese nach Einschätzung der Vereinten Nationen den Taliban die Kontrolle über ihr Gebiet nicht streitig machen können (UNGA 1.12.2023). Die dem Taliban-Verteidigungsministerium unterstehenden Sicherheitskräfte führten weiterhin Operationen gegen Oppositionskämpfer durch, darunter am 11.4.2023 eine Operation gegen die Afghanische Freiheitsfront (AFF) im Distrikt Salang in der Provinz Parwan, bei der Berichten zufolge acht Oppositionskämpfer getötet wurden (UNGA 20.6.2023).

Ca. 50 % der sicherheitsrelevanten Vorfälle des Jahres 2023 entfielen auf die Regionen im Norden, Osten und Westen wobei die Provinzen Nangarhar, Kunduz, Herat (UNGA 20.6.2023), Takhar (UNGA 18.9.2023) und Kabul am stärksten betroffen waren (UNGA 1.12.2023).

Die Vereinten Nationen berichten, dass Afghanistan nach wie vor ein Ort von globaler Bedeutung für den Terrorismus ist, da etwa 20 terroristische Gruppen in dem Land operieren. Es wird vermutet, dass das Ziel dieser Terrorgruppen darin besteht, ihren jeweiligen Einfluss in der Region zu verbreiten und theokratische Quasi-Staatsgebilde zu errichten (UNSC 25.7.2023). Die Grenzen zwischen Mitgliedern von Al-Qaida und mit ihr verbundenen Gruppen, einschließlich TTP (Tehreek-e Taliban Pakistan), und der Gruppierung Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) sind zuweilen fließend, wobei sich Einzelpersonen manchmal mit mehr als einer Gruppe identifizieren und die Tendenz besteht, sich der dominierenden oder aufsteigenden Macht zuzuwenden (UNSC 25.7.2023).

Hatten sich die Aktivitäten des ISKP nach der Machtübernahme der Taliban zunächst verstärkt (UNGA 28.1.2022; vergleiche UNGA 15.6.2022, UNGA 14.9.2022, UNGA 7.12.2022), so nahmen auch diese im Lauf der Jahre 2022 (UNGA 7.12.2022; vergleiche UNGA 27.2.2023) und in 2023 wieder ab (UNGA 20.6.2023; vergleiche UNGA 18.9.2023, UNGA 1.12.2023). Die Gruppe verübte weiterhin Anschläge auf die Zivilbevölkerung, insbesondere auf die schiitischen Hazara (HRW 12.1.2023; vergleiche UNAMA 22.1.2024). Die Taliban-Sicherheitskräfte führten Operationen zur Bekämpfung des ISKP durch, unter anderem in den Provinzen Kabul, Herat, Balkh, Faryab, Jawzjan, Nimroz, Parwan, Kunduz und Takhar (UNGA 20.6.2023).

Mit Verweis auf das United Nations Department of Safety and Security (UNDSS) berichtet IOM (International Organization for Migration), dass organisierte Verbrechergruppen in ganz Afghanistan an Entführungen zur Erlangung von Lösegeld beteiligt sind. 2023 wurden 21 Entführungen dokumentiert, 2024 waren es, mit Stand Februar 2024, zwei. Anscheinend werden nicht alle Entführungen gemeldet, und oft zahlen die Familien das Lösegeld. Die meisten Entführungen (soweit Informationen verfügbar waren) fanden in oder in der Nähe von Wohnhäusern statt und nicht auf der Straße. Von den 21 im Jahr 2023 gemeldeten Entführungen ereigneten sich vier in Kabul. Zwei der Vorfälle in Kabul betrafen die Entführung ausländischer Staatsangehöriger, wobei nur wenige Einzelheiten über die Umstände der Entführungen bekannt wurden. Die Taliban-Sicherheitskräfte reagierten aktiv auf Entführungsfälle. Im Juni 2023 leiteten die Taliban beispielsweise in Kabul eine erfolgreiche Rettungsaktion eines entführten ausländischen Staatsangehörigen. In der Provinz Balkh führte eine Reaktion der Taliban gegen die Entführer im Februar 2023 zum Tod eines Entführers und zur Festnahme von zwei weiteren Personen (IOM 22.2.2024).

Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul-Stadt, Herat-Stadt und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie gaben 68,3 % der Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese Ergebnisse nicht auf die gesamte Region oder das ganze Land hochgerechnet werden können. Die Befragten wurden gefragt, wie sicher sie sich in ihrer Nachbarschaft fühlen, was sich davon unterscheidet, ob sie sich unter dem Taliban-Regime sicher fühlen oder ob sie die Taliban als Sicherheitsgaranten betrachten, oder ob sie sich in anderen Teilen ihrer Stadt oder anderswo im Land sicher fühlen würden. Das Sicherheitsgefühl ist auch davon abhängig, in welchem Ausmaß die Befragten ihre Nachbarn kennen und wie vertraut sie mit ihrer Nachbarschaft sind und nicht darauf, wie sehr sie sich in Sachen Sicherheit auf externe Akteure verlassen. Nicht erfasst wurde in der Studie, inwieweit bei den Befragten Sicherheitsängste oder Bedenken in Hinblick auf die Taliban oder Gruppen wie den ISKP vorliegen. In Bezug auf Straßenkriminalität und Gewalt gaben 70,7 % bzw. 79,7 % der Befragen an, zwischen September und Oktober 2021 keiner Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. An dieser Stelle ist zu beachten, dass die Ergebnisse nicht erfassen, welche Maßnahmen der Risikominderung von den Befragten durchgeführt werden, wie z. B.: die Verringerung der Zeit, die sie außerhalb ihres Hauses verbringen, die Änderung ihres Verhaltens, einschließlich ihres Kaufverhaltens, um weniger Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sowie die Einschränkung der Bewegung von Frauen und Mädchen im Freien (ATR/STDOK 18.1.2022).

Im Dezember 2022 wurde von ATR Consulting erneut eine Studie im Auftrag der Staatendokumentation durchgeführt. Diesmal ausschließlich in Kabul-Stadt. Hier variiert das Sicherheitsempfinden der Befragten, was laut den Autoren der Studie daran liegt, dass sich Ansichten der weiblichen und männlichen Befragten deutlich unterscheiden. Insgesamt gaben die meisten Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen, wobei die relativ positive Wahrnehmung der Sicherheit und die Antworten der Befragten, nach Meinung der Autoren, daran liegt, dass es vielen Befragten aus Angst vor den Taliban unangenehm war, über Sicherheitsfragen zu sprechen. Sie weisen auch darauf hin, dass die Sicherheit in der Nachbarschaft ein schlechtes Maß für das Sicherheitsempfinden der Menschen und ihre Gedanken über das Leben unter dem Taliban-Regime ist (ATR/STDOK 3.2.2023).

Verfolgungungspraxis der Taliban, neue technische Möglichkeiten

Letzte Änderung 2024-04-03 14:28

Trotz mehrfacher Versicherungen der Taliban, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitsbehörden abzusehen (AA 26.6.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023), wurde nach der Machtübernahme der Taliban berichtet, dass diese auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten. Ein Mitglied einer Rechercheorganisation, welche einen (nicht öffentlich zugänglichen) Bericht zu diesem Thema für die Vereinten Nationen verfasste, sprach von einer "schwarzen Liste" der Taliban und großer Gefahr für jeden, der sich auf dieser Liste befände (BBC 20.8.2021a; vergleiche DW 20.8.2021). Im Zuge der Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden (HRW 1.11.2021; vergleiche NYT 29.8.2021), unter anderem auf eine biometrische Datenbank mit Angaben zu aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Armee und Polizei bzw. zu Afghanen, die den internationalen Truppen geholfen haben (Intercept 17.8.2021). Auch Human Rights Watch (HRW) zufolge kontrollieren die Taliban Systeme mit sensiblen biometrischen Daten, die westliche Geberregierungen im August 2021 in Afghanistan zurückgelassen haben. Diese digitalen Identitäts- und Gehaltsabrechnungssysteme enthalten persönliche und biometrische Daten von Afghanen, darunter Irisscans, Fingerabdrücke, Fotos, Beruf, Wohnadressen und Namen von Verwandten. Die Taliban könnten diese Daten nutzen, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen, und Untersuchungen von Human Rights Watch deuten darauf hin, dass sie die Daten in einigen Fällen bereits genutzt haben könnten (HRW 30.3.2022). So wurde beispielsweise berichtet, dass ein ehemaliger Militäroffizier nach seiner Abschiebung von Iran nach Afghanistan durch ein biometrisches Gerät identifiziert wurde und danach von den Taliban gewaltsam zum Verschwinden gebracht wurde. Ein weiterer Rückkehrer aus Iran berichtet, dass im Zuge der Abschiebung aus Iran Daten der Rückkehrer vom iranischen Geheimdienst an die Taliban weitergegeben werden (KaN 18.10.2023).

Die Taliban sind in den sozialen Medien aktiv, unter anderem zu Propagandazwecken. Die Gruppierung nutzt soziale Medien und Internettechnik jedoch nicht nur für Propagandazwecke und ihre eigene Kommunikation, sondern auch, um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren (Golem 20.8.2021; vergleiche BBC 20.8.2021a, 8am 14.11.2022), was dazu führt, dass Afghanen seit der Machtübernahme der Taliban in den sozialen Medien Selbstzensur verüben, aus Angst und Unsicherheit (Internews 12.2023). So wurde beispielsweise ein afghanischer Professor verhaftet, nachdem er die Taliban via Social Media kritisierte (FR24 9.1.2022), während ein junger Mann in der Provinz Ghor Berichten zufolge nach einer Onlinekritik an den Taliban verhaftet wurde (8am 14.11.2022). Einem afghanischen Journalisten zufolge verwenden die Taliban soziale Netzwerke wie Facebook und LinkedIn, um jene Afghanen zu identifizieren, die mit westlichen Gruppen und der US-amerikanischen Hilfsagentur USAID zusammengearbeitet haben (ROW 20.8.2021). Ein hochrangiges Mitglied der ehemaligen Streitkräfte berichtet, dass ihm vor seiner Rückkehr verschiedene Versprechen gemacht wurden, er bei Ankunft auf dem Flughafen in Kabul jedoch wie ein Feind behandelt wurde. Er wurde sofort erkannt, da die Taliban sein Bild und weitere Informationen zu seiner Person über die sozialen Medien verbreiteten. Mit Stand Oktober 2023 lebt er in Kabul, sein Haus wurde mehrfach durch die Taliban durchsucht und sein Bankkonto gesperrt. Ein anderes Mitglied der ehemaligen Streitkräfte gab an, dass seine Informationen vor seiner Rückkehr auf Twitter [Anm.: jetzt X] verbreitet wurden und ein weiterer Rückkehrer berichtete, dass er eine biometrische Registrierung durchlaufen musste (KaN 18.10.2023).

Im Sommer 2023 wurde berichtet, dass die Taliban ein groß angelegtes Kameraüberwachungsnetz für afghanische Städte aufbauen (AI 5.9.2023; vergleiche VOA 25.9.2023), das die Wiederverwendung eines Plans beinhalten könnte, der von den Amerikanern vor ihrem Abzug 2021 ausgearbeitet wurde, so ein Sprecher des Taliban-Innenministeriums. Die Taliban-Regierung hat sich auch mit dem chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei über eine mögliche Zusammenarbeit beraten, sagte der Sprecher (VOA 25.9.2023; vergleiche RFE/RL 1.9.2023), wobei Huawei bestritt, beteiligt zu sein (RFE/RL 1.9.2023). Beobachter befürchten jedoch, dass die Taliban ihr Netz von Überwachungskameras auch dazu nutzen werden, abweichende Meinungen zu unterdrücken und ihre repressive Politik durchzusetzen (RFE/RL 1.9.2023), einschließlich der Einschränkung des Erscheinungsbildes der Afghanen, der Bewegungsfreiheit, des Rechts zu arbeiten oder zu studieren und des Zugangs zu Unterhaltung und unzensierten Informationen (RFE/RL 1.9.2023).

Regionen Afghanistans

Letzte Änderung 2024-04-05 15:34

Karte Afghanistan aufgeteilt in fünf Regionen. Hauptverkehrswege sowie internationale Flughäfen dargestellt STDOK-OSIF 7.9.2023a

Afghanistan verfügt über 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.230 Quadratkilometern (CIA 1.2.2024) leben ca. 34,3 (NSIA 4.2022) bis 39,2 Millionen Menschen (CIA 1.2.2024). Es grenzt an sechs Länder: China (91 km), Iran (921 km) Pakistan (2.670 km), Tadschikistan (1.357 km), Turkmenistan (804 km), Usbekistan (144 km) (CIA 1.2.2024). Seit der beinahe kampflosen Einnahme Kabuls durch die Taliban am 15.8.2021 steht Afghanistan nahezu vollständig unter der Kontrolle der Taliban (AA 26.6.2023; vergleiche EUAA 12.2023).

NSIA 4.2022

Nord-Afghanistan

West-Afghanistan

Zentral-Afghanistan

Ost-Afghanistan

Süd-Afghanistan

Badakhshan

Badghis

Bamyan

Khost

Helmand

Baghlan

Farah

Daikundi

Kabul

Kandahar

Balkh

Herat

Ghazni

Kapisa

Zabul

Faryab

Nimroz

Ghor

Kunar

 

Jawzjan

 

Maidan Wardak

Laghman

 

Kunduz

 

Parwan

Logar

 

Nuristan

 

Uruzgan

Nangarhar

 

Panjsher

 

 

Paktia

 

Samangan

 

 

Paktika

 

Sar-e Pul

 

 

 

 

Takhar

 

 

 

 

Anmerkung: Die in jeweiligen Unterkapiteln "Aktuelle Lage und jüngste Entwicklungen" angeführten Ereignisse (Sicherheitsrelevante Vorfälle, Naturkatastrophen ... usw.) erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. In Afghanistan herrscht (vor allem seit der Machtübernahme durch die Taliban) ein genereller Mangel an ausführlichen Berichten und Quellen. Auch ist es möglich, dass über bestimmte Ereignisse nicht oder nicht ausführlich berichtet wurde. Deshalb sollten die angeführten Ereignisse als Übersicht über die jeweilige Region und nicht als abschließende Auflistung verstanden werden.

Ost-Afghanistan

Letzte Änderung 2024-04-03 15:25

Karte Ost-Afghanistan unterteilt in Provinzen mit Hauptverkehrswegen und Flughafen STDOK-OSIF 8.9.2023d

Der Osten Afghanistans grenzt an Pakistan und ist ein wichtiger Teil des paschtunischen Heimatlandes, dessen Stammeseinfluss sich bis nach Westpakistan erstreckt. Jalalabad, die Hauptstadt der Provinz Nangarhar, liegt auf halbem Weg zwischen Torkham (Ende des Khyber-Passes/Grenze zu Pakistan) und Kabul. Sie gilt als die wichtigste afghanische Stadt im Osten und als das Tor nach Afghanistan vom Khyber-Pass aus. Berge und Täler (oft sehr abgelege) dominieren die Region (NPS o.D.d).

NSIA 4.2022 *geschätzte Bevölkerungszahl 2022-23

Provinz

Provinzhauptstadt

Bevölkerungszahl*

Kabul

Kabul

5,572.630

Kapisa

Mahmud-i-Raqi

505.500

Khost

Khost

659.100

Kunar

Asad Abad

517.180

Laghman

Mehtarlam

510.930

Logar

Pul-e-Alam

449.810

Nangarhar

Nangarhar

1.769.990

Paktia

Gardez

633.870

Paktika

Sharan (auch Sharana)

802.860

Distrikte nach Provinz (NSIA 4.2022)

Kabul: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara, Surubi/Surobi/Sarobi

Kapisa: Alasay, Hesa Awal Kohistan, Hesa Duwum Kohistan, Koh Band, Mahmud Raqi, Nijrab, Tagab

Khost: Ali Sher (Tirzayee), Baak, Gurbuz, Jaji Maidan, Khost (Matun), Manduzay (Esmayel Khil), Muza Khel, Nadir Shah Kot, Qalandar, Sabari (Yaqubi), Shamul, Spera, Tanay

Kunar: Bar Kunar (auch Asmar), Chapa Dara, Sawkay (auch Chawkay), Dangam, Dara-e-Pech (auch Manogi), Ghazi Abad, Khas Kunar, Marawara, Narang wa Badil, Nari, Noorgal, Sar Kani, Shigal, Watapoor sowie der temporäre Distrikt Sheltan

Laghman: Alingar, Alishing, Dawlat Shah, Mehtarlam, Qarghayi, Bad Pash (also Bad Pakh)

Logar: Azra, Baraki Barak, Charkh, Khar War, Khushi, Mohammad Agha, Pul-e-Alam

Nangarhar: Achin, Bati Kot, Behsud, Chaparhar, Dara-e-Nur, Deh Bala (auch Haska Mena), Dur Baba, Goshta, Hesarak, Jalalabad, Kama, Khugyani, Kot, Kuzkunar, Lalpoor, Muhmand Dara, Nazyan, Pachiragam, Rodat, Sher Zad, Shinwar, Surkh Rud

Paktia: Ahmadaba, Jaji, Dand Patan, Gardez, Jani Khel, Laja Ahmad Khel (auch Laja Mangel), Samkani (auch Chamkani, Tsamkani), Sayyid Karam (auch Mirzaka), Shwak, Wuza Zadran, Zurmat sowie die vier temporären Distrikte Laja Mangel, Mirzaka, Garda Siray, Rohany Baba

Paktika: Barmal, Dila Wa Khushamand, Gomal, Giyan, Jani Khel, Mata Khan, Nika (Naka), Omna, Surobi, Sar Rawzah, Sharan, Turwo, Urgoon, Wazakhwah, Wormamay, Yahya Khel, Yosuf Khel, Zarghun Shahr (auch Khairkot), Ziruk sowie die vier temporären Distrikte Shakeen, Bak Khil, Charbaran, Shakhil Abad

Aktuelle Lage und jüngste Entwicklungen

Letzte Änderung 2024-04-03 15:25

2023

Die National Resistance Front (NRF) behauptete, am 24.1.2023 in Kapisa drei Taliban-Kämpfer getötet und zwei weitere verletzt zu haben (BAMF 30.6.2023; vergleiche 8am 25.1.2023).

Die Afghanistan Freedom Front (AFF) gab bekannt, dass drei Taliban-Mitglieder getötet und vier weitere verwundet wurden, nachdem sie am 8.5.2023 einen Raketenangriff auf das Gouverneursbüro der Taliban in Mahmud-i-Raqi, der Hauptstadt von Kapisa, verübt hatten (Afintl 10.5.2023; vergleiche 8am 9.5.2023). Ein Sprecher der Taliban in Kapisa wies jedoch die Behauptungen der AFF zurück (Afintl 10.5.2023).

Im Distrikt Paghman in Kabul wurden im Juli 2023 vier Menschen wegen "moralischer Verbrechen" öffentlich ausgepeitscht (ANI 12.7.2023; vergleiche AMU 12.7.2023), darunter auch eine Frau (BAMF 31.12.2023).

Die NRF gab 5.8.2023 an, im Distrikt Shakar Dara in Kabul vier Mitglieder der Taliban getötet zu haben. Die Taliban haben nicht auf die Erklärung der NRF reagiert (Afintl 5.8.2023).

Am 19.8.2023 wurde Berichten zufolge ein hochrangiger Kommandant der pakistanischen Taliban (TTP) in Nangarhar durch einen Luftangriff getötet (KaN 19.8.2023; vergleiche BAMF 31.12.2023).

Berichten zufolge wurden bei einem Angriff der AFF in Laghman am 3.9.2023 zwei Taliban getötet und vier weitere verletzt (KaN 3.9.2023). Darauf erfolgte ein Gegenangriff der Taliban gegen die AFF in verschiedenen Regionen des Distriktes Dawlat Shah in Laghman (Afintl 31.8.2023).

Berichten zufolge wurden am 6.12.2023 in Kunar 25 Schüler der Amra Khan High School aus der Stadt Asad-Abad während ihrer Abschlussfeier in einem Park festgenommen, weil sie sich mit der Flagge der [Anm.: ehemaligen] Republik gezeigt hätten (BAMF 31.12.2023; vergleiche 8am 6.12.2023).

Zentrale Akteure

Taliban

Letzte Änderung 2024-04-05 15:33

Die Taliban sind eine überwiegend paschtunische, islamisch-fundamentalistische Gruppe (CFR 17.8.2022), die 2021 nach einem zwanzigjährigen Aufstand wieder an die Macht in Afghanistan kam (CFR 17.8.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). Die Taliban bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USDOS 20.3.2023; vergleiche VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen (USIP 17.8.2022).

Die Taliban-Regierung weist eine starre hierarchische Struktur auf, deren oberstes Gremium die Quetta-Shura ist (EER 10.2022), benannt nach der Stadt in Pakistan, in der Mullah Mohammed Omar, der erste Anführer der Taliban, und seine wichtigsten Helfer nach der US-Invasion Zuflucht gesucht haben sollen. Sie wird von Mawlawi Hibatullah Akhundzada geleitet (CFR 17.8.2022; vergleiche Rehman A./PJIA 6.2022), dem obersten Führer der Taliban (Afghan Bios 7.7.2022a; vergleiche CFR 17.8.2022, Rehman A./PJIA 6.2022). Er gilt als die ultimative Autorität in allen religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten (EUAA 8.2022; vergleiche Afghan Bios 7.7.2022a, REU 7.9.2021a).

Nach der Machtübernahme versuchten die Taliban sich von "einem dezentralisierten, flexiblen Aufstand zu einer staatlichen Autorität" zu entwickeln (EUAA 8.2022; vergleiche NI 24.11.2021). Im Zuge dessen herrschten Berichten zufolge zunächst Unklarheiten unter den Taliban über die militärischen Strukturen der Bewegung (EUAA 8.2022; vergleiche DW 11.10.2021) und es gab in vielen Fällen keine erkennbare Befehlskette (EUAA 8.2022; vergleiche REU 10.9.2021). Dies zeigte sich beispielsweise in Kabul, wo mehrere Taliban-Kommandeure behaupteten, für dasselbe Gebiet oder dieselbe Angelegenheit zuständig zu sein. Während die frühere Taliban-Kommission für militärische Angelegenheiten das Kommando über alle Taliban-Kämpfer hatte, herrschte Berichten zufolge nach der Übernahme der Kontrolle über das Land unter den Kämpfern vor Ort Unsicherheit darüber, ob sie dem Verteidigungsministerium oder dem Innenministerium unterstellt sind (EUAA 8.2022; vergleiche DW 11.10.2021).

Haqqani-Netzwerk

Das Haqqani-Netzwerk hat seine Wurzeln im Afghanistan-Konflikt der späten 1970er-Jahre. Mitte der 1980er-Jahre knüpfte Jalaluddin Haqqani, der Gründer des Haqqani-Netzwerks (GSSR 12.11.2023), eine Beziehung zum Führer von al-Qaida, Osama bin Laden (UNSC o.D.c; vergleiche FR24 21.8.2021). Jalaluddin schloss sich 1995 der Taliban-Bewegung an (UNSC o.D.c; vergleiche ASP 1.9.2020), behielt aber seine eigene Machtbasis an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan (UNSC o.D.c). Der Kern der Ideologie der Gruppe ist eine antiwestliche, regierungsfeindliche und "sunnitisch-islamische Deobandi"-Haltung, die an die Einhaltung orthodoxer islamischer Prinzipien glaubt, die durch die Scharia geregelt werden, und die den Einsatz des Dschihad zur Erreichung der Ziele der Gruppe befürwortet. Die Haqqanis lehnen äußere Einflüsse innerhalb des Islams strikt ab und fordern, dass die Scharia das Gesetz des Landes ist (GSSR 12.11.2023).

Nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 übernahm Jalaluddins Sohn, Sirajuddin Haqqani, die Kontrolle über das Netzwerk (UNSC o.D.c, vergleiche VOA 4.8.2022). Er ist seit 2015 auch einer der Stellvertreter des Taliban-Anführers Haibatullah Akhundzada (FR24 21.8.2021; vergleiche UNSC o.D.c). Das Haqqani-Netzwerk gilt dank seiner finanziellen und militärischen Stärke - und seines Rufs als skrupelloses Netzwerk - als halbautonom (FR24 21.8.2021), auch wenn es den Taliban angehört (UNSC 21.11.2023; vergleiche FR24 21.8.2021).

Das Netzwerk unterhält Verbindungen zu al-Qaida und, zumindest zeitweise bis zur Machtübernahme der Taliban, der Gruppierung Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) (VOA 30.8.2022; vergleiche UNSC 26.5.2022). Es wird angemerkt, dass nach der Machtübernahme und der Eskalation der ISKP-Angriffe kein Raum mehr für Unklarheiten in der strategischen Konfrontation der Taliban mit ISKP bestand und es daher nicht im Interesse der Haqqanis lag, solche Verbindungen zu pflegen (UNSC 26.5.2022). Zudem wird vermutet, dass auch enge Verbindungen zum pakistanischen Geheimdienst (VOA 30.8.2022; vergleiche DT 7.5.2022) und den Tehreek-e-Taliban (TTP), den pakistanischen Taliban, bestehen (UNSC 26.5.2022).

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung 2024-04-10 20:17

Unter der vorherigen Regierung beruhte die afghanische Rechtsprechung auf drei parallelen und sich überschneidenden Rechtssystemen oder Rechtsquellen: dem formellen Gesetzesrecht, dem Stammesgewohnheitsrecht und der Scharia (Hakimi A./Sadat M. 2020). Informelle Rechtssysteme zur Schlichtung von Streitigkeiten waren weit verbreitet, insbesondere in ländlichen Gebieten. Dies ist nach wie vor der Fall, auch wenn die Taliban seit ihrer Machtübernahme versucht haben, einige lokale Streitbeilegungspraktiken zu kontrollieren (FH 24.2.2022a; vergleiche STDOK/VQ AFGH 4.2024).

Nach 23 Jahren Krieg (1978-2001) und dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 konnte Afghanistan 2004 eine neue Verfassung verkünden, die sowohl islamische als auch modern-progressive Werte enthält. Die juristischen und politikwissenschaftlichen Fakultäten sowie die Scharia waren zwei Institutionen, die zur Ausbildung des Justizpersonals beitrugen, indem sie Hunderte von jungen Männern und Frauen ausbildeten, die später als Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte tätig waren. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die internationale Gemeinschaft zahlreiche Entwicklungsprogramme durchgeführt, die auf den Wiederaufbau des afghanischen Rechtssystems und den Ausbau der Kapazitäten des Personals der Justizbehörden abzielen. Darüber hinaus hat die [Anm.: frühere] afghanische Regierung ein Justizverwaltungssystem eingeführt, das alle Justizeinrichtungen dazu verpflichtet, ihre Fälle und Verfahren aufzuzeichnen und zu dokumentieren (STDOK/Nassery 4.2024).

Nach ihrem Sturz im Jahr 2001 gelang es den Taliban, in den von ihnen kontrollierten, meisten ländlichen, Gebieten Gerichte einzurichten und den Menschen den Zugang zur Rechtsprechung auf lokaler Ebene zu erleichtern. Dies geschah zu einer Zeit, als die staatlichen Justizorgane aufgrund der weitverbreiteten Korruption ihre Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung weitgehend verloren hatten. Daher zogen die Menschen es vor, sich an die Gerichte der Taliban zu wenden, anstatt an die Gerichte der Regierung (STDOK/Nassery 4.2024; vergleiche AA 22.10.2021). In den vergangenen zwanzig Jahren gelang es dem Justizsystem der Taliban, mit seinen praktischen Maßnahmen das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Die Taliban-Richter fungierten sowohl als Richter im juristischen Bereich als auch als Gelehrte (ulama) im religiösen Bereich. Die Taliban-Richter absolvierten ihre Ausbildung an Deobandi-Schulen in Pakistan und Afghanistan, die sich hauptsächlich auf die hanafitische Rechtsprechung stützten (STDOK/Nassery 4.2024).

Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 übernahmen sie die vollständige Kontrolle über das Justizsystem des Landes (Rawadari 4.6.2023; vergleiche AA 26.6.2023) und setzten die Verfassung von 2004 außer Kraft (UNGA 28.1.2022). Bisher haben sich die Taliban noch nicht zu den Gesetzen geäußert, insbesondere nicht zu den Strafgesetzen, zur nationalen Sicherheit und zu den Gerichten (STDOK/Nassery 4.2024). Ein Experte für islamisches Recht schließt aus den Äußerungen der Taliban, dass sie diese Gesetze und Rechtsvorschriften in den meisten Bereichen, insbesondere Strafrecht, Familienrecht, Jugend- und Frauenrechte, ignorieren und erwartet, auch als Folge der Auflösung unabhängiger Institutionen wie der Association of Defense Lawyers und der Afghanistan Independent Human Rights Commission (AIHRC), weitere schwerwiegende Probleme für die Rechtsprechung in Afghanistan (STDOK/Nassery 4.2024).

Den Taliban zufolge bildet die hanafitische Rechtsprechung die Grundlage für das Rechtssystem (USDOS 15.5.2023; vergleiche STDOK/Nassery 4.2024), und derzeit verfügt das Land nicht über einen klaren und kohärenten Rechtsrahmen, ein Justizsystem oder Durchsetzungsmechanismen. Den Taliban zufolge bleiben Gesetze, die unter der Regierung vor August 2021 erlassen wurden, in Kraft, sofern sie nicht gegen die Scharia verstoßen (USDOS 15.5.2023; vergleiche AA 26.6.2023). Die Taliban-Führer zwingen den Bürgern ihre Politik weitgehend durch Leitlinien oder Empfehlungen auf, in denen sie akzeptable Verhaltensweisen festlegen (USDOS 15.5.2023; vergleiche Rawadari 4.6.2023), die sie aufgrund ihrer Auslegung der Scharia und der vorherrschenden kulturellen Normen, die die Taliban für akzeptabel halten, rechtfertigen (USDOS 15.5.2023).

Einem Experten für islamisches Recht zufolge betrafen die Änderungen im afghanischen Justizsystem seit der Machtübernahme der Taliban vor allem formale und administrative Bereiche, aber keine konkreten Änderungen in der Rechtsprechung der Gerichte (STDOK/Nassery 4.2024). So wurden beispielsweise Richter und Verwaltungsangestellte der Gerichte durch Angehörige der Taliban ersetzt, von denen die meisten nicht über ausreichend juristische Kenntnisse und Erfahrungen mit der Arbeit an den Gerichten verfügten (STDOK/Nassery 4.2024; vergleiche AA 26.6.2023). Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Rawadari sind die meisten Richter und "Muftis" an Taliban-Gerichten Studenten oder Absolventen religiöser Koranschulen, vor allem in Pakistan. Einige der derzeitigen Richter waren während des Krieges als Richter in den von den Taliban kontrollierten Gebieten tätig. Nur wenige Richter, beispielsweise in den Provinzen Herat und Panjsher, verfügen über eine formale Hochschulausbildung und haben an juristischen oder Scharia-Fakultäten von Universitäten studiert (Rawadari 4.6.2023).

Des weiteren kam es zur Absetzung von Richterinnen und Anwältinnen und es werden keine Lizenzen mehr an Strafverteidigerinnen vergeben (STDOK/Nassery 4.2024).

Die Taliban haben zwar nicht ausdrücklich behauptet, bestimmte Gesetze außer Kraft zu setzen, aber sie haben immer wieder betont, dass sie im Einklang mit der Scharia regieren und jedes Gesetz ablehnen, das ihr zuwiderläuft (USDOS 15.5.2023; vergleiche AA 26.6.2023). Taliban-Mitglieder haben erklärt, dass sie nur die Teile der Verfassungen von 2004 und 1964 befolgen, die nicht im Widerspruch zur Scharia stehen. Einige Beobachter weisen auch darauf hin, dass keine der beiden Verfassungen in vollem Umfang in Kraft ist, sodass sie nur begrenzte Bedeutung für den geltenden Rechtsrahmen haben. Diesen Beobachtern zufolge wäre jede Abweichung von der Verfassung von 2004 insofern von Bedeutung, als diese besagt, dass Anhänger anderer Religionen als des Islams "ihren Glauben frei ausüben und ihre religiösen Riten innerhalb der Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen vollziehen können", eine Bestimmung, die die Taliban ablehnen (USDOS 15.5.2023).

Die Taliban haben Anfang Juli 2023 ein Tonband veröffentlicht, das dem Emir Hibatullah Akhundzada zugeschrieben wird, der offenbar eine Predigt nach dem Eid al-Adha-Gebet am Mittwoch in Kandahar gehalten hat. Darin verkündet dieser, dass ein neues Rechtssystem auf der Grundlage der Scharia und Hanafi-Rechtsprechung von den entsprechenden Ministerien und der Talibanführung ausgearbeitet wird. Damit werden die unter der ehemaligen Verfassung geltenden Gesetze, u. a. auch gesonderte schiitische Rechtsprechung, ersetzt. Er erklärte, in Afghanistan gebe es jetzt ein vollständiges islamisches System, die Sicherheit sei gewährleistet, und in keinem Teil des Landes herrsche Unordnung oder Ungehorsam. Die meisten Angelegenheiten des Landes werden nun auf der Grundlage von Richtlinien und Dekreten geregelt, die dem Emir zugeschrieben werden. Er sagte, „unter der Herrschaft des Islamischen Emirats wurden konkrete Maßnahmen ergriffen, um Frauen von vielen traditionellen Unterdrückungen zu befreien“. In der Paschto- und Dari-Fassung der Botschaft begrüßt der oberste Taliban-Führer auch die Einführung von Scharia-Gerichten und -Praktiken, einschließlich Qisas (z. B. Auspeitschungen oder Hinrichtungen), die die Öffentlichkeit mit eigenen Augen sieht (BAMF 31.12.2023).

Im November 2022 ordnete Taliban-Staatsoberhaupt Emir Hibatullah Akhundzada die Umsetzung der Scharia inklusive Körperstrafen wieder an (AA 26.6.2023). Seitdem wurden zahlreiche öffentliche Auspeitschungen vorgenommen (AP 20.6.2023; vergleiche AI 23.2.2024, AA 26.6.2023). Diese Strafe wurde u. a. für Drogen- und Alkoholkonsum (AA 26.6.2023) oder für "moralische" Verbrechen verhängt (AMU 12.7.2023; vergleiche BAMF 31.12.2023). Am 7.12.2022 kam es zur ersten öffentlichen Hinrichtung durch die Taliban seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan (AI 7.12.2022) und im Juni 2023 (AP 20.6.2023; vergleiche AJ 20.6.2023) sowie im Februar 2024 kam es zu weiteren Hinrichtungen (AI 23.2.2024; vergleiche ABC News 26.2.2024).

Anmerkung.: Für weitere Informationen zum Rechtssystem unter den Taliban sei auf den Themenbericht der Staatendokumentation "Afghanistan: Afghan legal system under the Taliban" verwiesen (STDOK/Nassery 4.2024). Dieser ist auch über die Plattform COI-CMS verfügbar.

Relevante Bevölkerungsgruppen

Kinder

Letzte Änderung 2024-04-05 14:46

Ca. 40 % (CIA 1.2.2024) bis 43 % (UNFPA 2023) der afghanischen Bevölkerung (ca. 15,6 Millionen) ist unter 14 Jahren und das Bevölkerungswachstum liegt 2023 bei 2,26 % (CIA 1.2.2024). Das Medianalter in Afghanistan liegt zwischen 17 (WoM 2023) und 19,5 Jahren (CIA 1.2.2024) und die Geburtenrate liegt im Jahr 2023 bei ca. 4,5 Kindern pro Frau (CIA 1.2.2024; vergleiche UNFPA 2023).

Weiterhin fortbestehende Probleme sind sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen sowie Kinderarbeit und Prostitution (AA 26.6.2023). Die NGO Rawadari dokumentierte Vorfälle über sexuellen Missbrauch in Madrassas, die von den Ausbildern dieser Einrichtungen begangen werden, wobei aufgrund des hohen Grades der Stigmatisierung viele dieser Fälle verheimlicht werden (Rawadari 11.2023). Berichten zufolge sind auch Früh- und Zwangsverheiratungen weiterhin weit verbreitet (USDOS 20.3.2023; vergleiche AI 7.8.2023), obwohl die Taliban Anfang Dezember 2021 ein Verbot der Zwangsverheiratung in Afghanistan verkündeten. In dem Erlass wurde kein Mindestalter für die Eheschließung genannt, das bisher auf 16 Jahre festgelegt war (AP 3.12.2021; vergleiche AJ 3.12.2021). NGOs führen dies auf Faktoren zurück, von denen viele direkt auf Einschränkungen durch und das Verhalten der Taliban zurückzuführen sind. Zu den häufigsten Ursachen für Kinder-, Früh- und Zwangsverheiratung seit August 2021 gehören die wirtschaftliche und humanitäre Krise, fehlende Bildungs- und Berufsperspektiven für Mädchen (AI 7.2022), das Bedürfnis der Familien, ihre Töchter vor der Heirat mit einem Taliban-Mitglied zu schützen (AI 7.2022; vergleiche RFE/RL 14.12.2022), Familien, die Frauen und Mädchen zwingen, Taliban-Mitglieder zu heiraten und Taliban-Mitglieder, die Frauen und Mädchen zwingen, sie zu heiraten (AI 7.2022). Rawadari konnte mehrere Fälle von Zwangsverheiratungen junger (minderjähriger) Mädchen, beispielsweise in Kandahar und Helmand, mit älteren Männern gegen Geld feststellen und verifizieren. Auch über Zwangsehen von Minderjährigen mit Mitgliedern der Taliban wird berichtet (Rawadari 11.2023).

Die Kinderarbeit ist seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan angestiegen (RFE/RL 17.5.2023). Die afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok Afghan News berichtet im November 2023, dass jedes fünfte Kind in Afghanistan von Kinderarbeit betroffen ist. Es wird ausgeführt, dass die Zahl der arbeitenden Kinder in den Provinzen Khost, Bamyan und Helmand im Landesvergleich besonders hoch ist, während andere Provinzen wie Kabul, Badakhshan und Laghman weniger davon betroffen sind (PAN 23.11.2023). Laut einem Bericht von Save the Children aus dem Jahr 2023, im Zuge dessen Erwachsene und Kinder in sechs Provinzen Afghanistans (Balkh, Faryab, Jawzjan, Kabul, Nangarhar und Sar-e-Pul) interviewt wurden, sind mehr als ein Drittel der befragten Kinder zur Arbeit gezwungen, um ihren Familien zu helfen. Ebenso gaben mehr als 75 % der befragten Kinder an, dass sie weniger essen würden, als im selben Zeitraum des Vorjahres (STC 15.8.2023). Human Rights Watch schätzt, dass in Afghanistan Millionen von Kindern von Unterernährung betroffen sind (HRW 12.2.2024), während UNICEF die Zahl der von akuter Unterernährung betroffenen Kinder für das Jahr 2023 auf rund 2,3 Millionen schätzt (UNICEF 7.8.2023). Nach Angaben von Save the Children ist das Ausmaß des Hungers im Norden Afghanistans höher, wo Familien stark von der Landwirtschaft abhängig sind (STC 15.8.2023).

Kinder litten bis zur Machtübernahme der Taliban besonders unter dem bewaffneten Konflikt und wurden Opfer von Zwangsrekrutierung, vor allem vonseiten der Taliban (AA 26.6.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023) und einige Quellen berichten, dass es auch nach der Machtübernahme zu Zwangsrekrutierungen von Kindern kam (Rawadari 11.2023; vergleiche USDOS 15.6.2023). Einem afghanischen Analysten zufolge haben die Taliban eine Kommission gebildet, um Kindersoldaten aus ihren Reihen zu entfernen, und heute vermeiden die Taliban in der Regel die Rekrutierung zu junger Männer, indem sie Kinder ohne Bart ablehnen (EUAA 12.2023). Rawadari berichtet jedoch, dass beispielsweise einige Moschee-Imame und Taliban-Funktionäre in den südlichen Provinzen das Erlernen gewaltsamer Kriegstaktiken offen fördern und die Kinder ermutigen, sich den Reihen der Taliban anzuschließen (Rawadari 11.2023).

Bacha Bazi

Während das Eingestehen oder Diskutieren von Sex zwischen Männern in der heutigen Zeit ein großes Tabu ist und gleichgeschlechtliche Beziehungen illegal sind, ist Sex zwischen Männern ein offenes Geheimnis in Afghanistan. Die Einstellung zu Homosexualität - ebenso wie die sexuelle Gewalt gegen Männer und Jungen - ist stark von Bacha Bazi ("Jungenspiel") geprägt, einer seit Langem bestehenden Missbrauchspraxis - im Unterschied zu einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Beziehungen - bei der feminisierte, vorpubertäre Jungen von Kriegsherren, Polizeikommandeuren und anderen mächtigen Männern in einer Art sexueller Sklaverei gehalten werden (HRW 1.2022; vergleiche USDOL 28.9.2022).

Die Taliban hatten lange Zeit darauf bestanden, dass Bacha Bazi gegen das islamische Recht verstößt; mehrere Menschenrechtsgruppen berichteten jedoch, dass Bacha Bazi in vielen Teilen des Landes verbreitet ist, auch durch Taliban-Mitglieder. In mindestens vier Fällen im ganzen Land berichteten Jungen im Alter von 14-16 Jahren im Jahr 2022, dass sie von den Taliban missbraucht wurden. Berichten zufolge haben die Vorfälle im Zusammenhang mit Bacha Bazi im Laufe des Jahres 2022 zugenommen, obwohl die Praxis verboten ist (USDOS 20.3.2023).

Außerhalb dieser Praxis werden Jugendliche und vulnerable erwachsene Männer häufig zur Zielscheibe sexueller Gewalt, und die Behörden fügen den Opfern oft noch mehr Schaden zu und unternehmen kaum Anstrengungen, die Täter zu bestrafen. Aktivisten, die solche Gewalt anprangerten, waren manchmal Repressalien ausgesetzt (HRW 1.2022). Da es nicht genügend Heime für Jungen gab, nahmen die Behörden missbrauchte Jungen, darunter viele Opfer von Bacha Bazi, in Rehabilitationszentren für Jugendliche in Gewahrsam, weil ihnen Gewalt drohte, wenn sie zu ihren Familien zurückkehrten, und keine andere Unterkunft zur Verfügung stand (USDOS 20.3.2023).

Mitglieder der ehemaligen Regierung / Streitkräfte / ausländischer Organisationen

Letzte Änderung 2024-03-29 09:57

Die Taliban haben offiziell eine "Generalamnestie" für Angehörige der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräfte angekündigt (AA 26.6.2023; vergleiche UNAMA 22.8.2023). Hochrangige Taliban, auch das Oberhaupt der Bewegung, Emir Haibatullah Akhundzada, haben die Taliban-Kämpfer wiederholt zur Einhaltung der Amnestie aufgefordert und angeordnet, von Vergeltungsmaßnahmen abzusehen (AA 26.6.2023; vergleiche UNAMA 22.8.2023). Berichte über Verstöße gegen diese Amnestie wurden von den Taliban-Behörden zurückgewiesen und erklärt, dass diese Verstöße auf "persönlicher Feindschaft oder Rache" beruhten und nicht auf einer offiziellen Anweisung zu solchen Handlungen (UNAMA 22.8.2023). Außerhalb offizieller Kommunikation jedoch verbreiten Taliban-Offizielle bzw. ihnen nahestehende Kommentatoren, u. a. in den sozialen Medien, das Narrativ, dass ehemalige Regierungsmitglieder bzw. -angestellte, aber auch Personen, die mit ausländischen Regierungen gearbeitet haben, Verräter am Islam und an Afghanistan sind (AA 26.6.2023). Es wird berichtet, dass sich die Kampagnen der Taliban auch gegen die Familienmitglieder ehemaliger Militär- und Polizeikräfte richten (KaN 18.10.2023).

Während zielgerichtete, groß angelegte Vergeltungsmaßnahmen gegen ehemalige Angehörige der Regierung oder Sicherheitskräfte, oder Verfolgung bestimmter Bevölkerungsgruppen, bislang nicht nachgewiesen werden konnten (AA 26.6.2023), berichten Menschenrechtsorganisationen allerdings über Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte (AA 26.6.2023; vergleiche HRW 12.1.2023). Diese Fälle lassen sich zumindest teilweise eindeutig Taliban-Sicherheitskräften zuordnen. Inwieweit diese Taten politisch angeordnet wurden, ist nicht zu verifizieren. Sie wurden aber durch die Taliban-Regierung trotz gegenteiliger Aussagen mindestens toleriert bzw. nicht juristisch verfolgt (AA 26.6.2023).

Im März 2022 gründeten die Taliban die Kommission für die Verbindungsaufnahme und Rückführung afghanischer Persönlichkeiten (KaN 18.10.2023; vergleiche SIGAR 2.2023), um mit hochrangigen ehemaligen Beamten und Spitzenmilitärs über ihre Rückkehr ins Land zu verhandeln und ihnen Sicherheit und Schutz zu versprechen. Die Rückkehrer erhalten "Immunitätskarten", um sicherzustellen, dass sie nicht aufgrund ihrer früheren Tätigkeit inhaftiert werden. Einige müssen sich die Karten nach ihrer Rückkehr besorgen, was sich als äußerst schwierig erweist, da die Taliban keine speziellen Registrierungszentren bekannt gegeben haben und der Zugang zur Kommission nach wie vor schwierig ist. Die Kommission wird von Shahabuddin Delawar, dem Taliban-Minister für Bergbau und Erdöl, geleitet und umfasst sechs weitere hochrangige Taliban-Mitglieder aus Militär und Geheimdienst (KaN 18.10.2023; vergleiche TN 17.3.2022). Seit ihrer Gründung ist es der Kommission gelungen, eine Reihe ehemaliger Beamter, darunter hochrangige Militär- und Polizeibeamte, zur Rückkehr in das Land zu bewegen. Während einige von ihnen der Rückkehr zugestimmt haben, haben viele aus Angst vor den "falschen Versprechungen" der Taliban beschlossen, nicht zurückzukehren. Die Taliban haben sich jedoch jeden prominenten Rückkehrer zunutze gemacht, indem sie ihn auf dem Flughafen von Kabul gefilmt und die Videos dann in den sozialen Medien als Werbematerial verbreitet haben. Die meisten Rückkehrer werden später zu Taliban-Unterstützern, befürworten ihre Ideologie und fordern weltweite Anerkennung. Manche sehen diese Rückkehr als eine Treueerklärung an die Taliban. Einige Mitglieder der ehemaligen Streitkräfte, die nach Versprechungen der Taliban nach Afghanistan zurückgekehrt waren, gaben an, wie Feinde behandelt worden zu sein, und dass ihre persönlichen Daten über Social-Media verbreitet wurden. Während einer angab, dass er kurzfristig verhaftet und verhört und sein Haus im Anschluss mehrfach von den Taliban durchsucht wurde, gab ein anderer Rückkehrer an, dass er zusätzlich einen Taliban-Beamten mit 50.000 AFN bestechen musste, um eine "Immunitätskarte" zu erhalten. Zusätzlich mussten Rückkehrer einen Treueid auf die Taliban leisten (KaN 18.10.2023).

Die Vereinten Nationen (VN) (UNAMA 22.1.2023), Nichtregierungsorganisationen (NGOs) (HRW 11.1.2024) sowie Medien (Afintl 3.2.2024; vergleiche RFE/RL 13.11.2023, KaN 18.10.2023, 8am 23.7.2023) berichten von Entführungen und Ermordungen von ehemaligen Regierungs- und Sicherheitskräften seit August 2021 (AA 26.6.2023; vergleiche ACLED 11.8.2023). Täter können davon ausgehen, dass auch persönlich motivierte Taten gegen diesen Personenkreis nicht geahndet werden (AA 26.6.2023).

Für den Zeitraum vom 16.8.2021 - 30.5.2023 verzeichnet ACLED über 400 Gewalttaten gegen ehemalige Regierungs- und Sicherheitsbeamte, von denen 290 von den Taliban verübt wurden (siehe nachstehende Grafik). Bei vielen Angriffen, die von nicht identifizierten Angreifern verübt wurden, haben lokale Quellen oder Familien der Opfer die Taliban beschuldigt, dafür verantwortlich zu sein (ACLED 11.8.2023).

Angriff auf ehemalige Mitglieder der Regierung Zeitachse August 2021 bis Juni 2023 ACLED 11.8.2023

UNAMA dokumentiert für denselben Zeitraum (15.8.2021 - 30.6.2023) sogar mindestens 800 Menschrechtsverletzungen gegen ehemalige Regierungs- und Sicherheitsbeamte, darunter außergerichtliche Tötungen, gewaltsames Verschwinden, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen sowie Drohungen (UNAMA 22.8.2023).

Darstellung von Berichten über Menschenrechtsverletzungen von ehemaligen Mitarberitern der Regierung und ehemaigen ANDSF Mitglieder UNAMA 22.8.2023

Nach Angaben von UNAMA sind ehemalige Angehörige der afghanischen Nationalarmee am stärksten von Menschenrechtsverletzungen bedroht, gefolgt von der Polizei (sowohl der afghanischen Nationalpolizei (ANP) als auch der afghanischen Lokalpolizei (ALP)) und Beamten der National Directorate of Security (NDS). Menschenrechtsverletzungen gegen ehemalige Regierungsbeamte und Angehörige der ANDSF wurden in allen 34 Provinzen registriert, wobei die meisten Verletzungen in den Provinzen Kabul, Kandahar und Balkh verzeichnet wurden. Die oben genannten Gruppen sind zwar in allen Provinzen gefährdet, doch scheint es in einigen Gegenden zu einer verstärkten gezielten Gewalt zu kommen. So dokumentierte UNAMA mindestens 33 Menschenrechtsverletzungen gegen ehemalige ANP-Mitglieder in Kandahar (mehr als ein Viertel aller Menschenrechtsverletzungen gegen ehemalige ANP-Mitglieder im ganzen Land) und mindestens elf Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Khost gegen ehemalige Mitglieder der Khost Protection Force (KPF), darunter außergerichtliche Tötungen, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen sowie Folter und Misshandlungen (UNAMA 22.8.2023).

Für die meisten der von UNAMA berichteten Verstöße liegen nur begrenzte Informationen über die Maßnahmen vor, die von den Taliban-Behörden ergriffen wurden, um die Vorfälle zu untersuchen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. In einigen Fällen hat UNAMA Berichte erhalten, dass die mutmaßlichen Täter von Vorfällen, die sich gegen ehemalige Regierungsbeamte und ANDSF-Mitglieder richteten, festgenommen wurden. Die Taliban-Behörden haben auch öffentlich ihre Absicht angekündigt, bestimmte Vorfälle zu untersuchen (UNAMA 22.8.2023).

Afghanische Flüchtlinge in Iran und Pakistan

Iran

Letzte Änderung 2024-04-05 06:01

Iran hat die Genfer Flüchtlingskonvention mit Vorbehalten unterzeichnet. Die Regierung ist restriktiv in der Vergabe des Flüchtlingsstatus, jedoch bietet die Islamische Republik Iran seit Jahrzehnten Millionen von afghanischen (SEM 30.3.2022) sowie irakischen Flüchtlingen und Migranten Zuflucht und Unterstützung (AA 30.11.2022). Iran duldet viele afghanische Staatsangehörige, die sich irregulär im Land aufhielten. Ein beträchtlicher Anteil befindet sich im Rahmen der Arbeitsmigration in Iran, die ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor für das Land ist. Im Rahmen verschiedener Regularisierungsinitiativen haben die iranischen Behörden einigen von ihnen einen regulären Aufenthalt bzw. eine Duldung ermöglicht (SEM 30.3.2022).

Die Behörden arbeiten mit UNHCR zusammen, um Flüchtlingen, aus Iran nach Afghanistan zurückkehrenden Flüchtlingen, Asylwerbern und anderen Personen Hilfe bereitzustellen (USDOS 12.4.2022b), vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Lebensunterhalt (UNHCR 8.11.2022). Die Regierung unterstützt eine integrative und progressive Politik gegenüber Flüchtlingen, die bei der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse vor großen Herausforderungen stehen (UNHCR 31.3.2022). Internationale Organisationen wie UNHCR und NGOs bestätigen, dass Iran afghanische Flüchtlinge einerseits in den vergangenen Jahren sehr großzügig aufgenommen und behandelt, andererseits aber sehr wenig internationale Unterstützung erhalten hat (ÖB Teheran 11.2021).

Die iranische Regierung ist über das Amt für Ausländer- und Einwanderungsangelegenheiten (Bureau for Aliens and Foreign Immigrant´s Affairs, BAFIA) für die Registrierung von Asylwerbern und Flüchtlingen sowie für die Feststellung des Flüchtlingsstatus in Iran gemäß den iranischen Rechtsvorschriften zuständig. UNHCR in Iran nimmt keine Asylanträge an und entscheidet nicht über diese (UNHCR 26.9.2021).

Grundsätzlich haben Asylsuchende in Iran die folgenden regulären Aufenthaltsmöglichkeiten: Flüchtlingsstatus (Afghanen: Inhaber der Amayesh-Karte; Iraker: Hoviat-Karte (UNHCR o.D.a)), Aufenthalt mit Visa, oder Duldung durch Registrierung (sog. headcount von Ausländern ohne Aufenthaltsstatus) (SEM 30.3.2022). Im Jahr 2022 beherbergte Iran über vier Millionen Afghanen, darunter 750.000 afghanische Flüchtlinge (Inhaber der Amayesh-Karte) und fast 600.000 Afghanen mit afghanischen Pässen und iranischen Visa. Hinzu kamen rund 2,6 Millionen Afghanen ohne Papiere, die bei einer Ende Juni 2022 abgeschlossenen Zählung und Registrierung erfasst wurden und "Laissez-passers" als zeitlich befristeten Schutz vor Rückführungen erhalten haben. Weitere 500.000 Afghanen, die sich laut den iranischen Behörden ohne Papiere im Land aufhalten, haben nicht an der Zählung teilgenommen. Hinzu kamen mit Stand 31.12.2022 rund 12.000 irakische Inhaber von Hoviat-Karten, welche in Iran leben (UNHCR 31.12.2022).

Seit der Machtübernahme der Taliban hat die traditionell hohe Migration von afghanischen Staatsangehörigen nach Iran zugenommen. Regulär einreisen kann, wer im Besitz eines gültigen Passes und Visums für Iran ist. Iran hatte seine konsularischen Dienste nach Machtübernahme der Taliban vorübergehend teils eingestellt (z. B. in Herat), sodass keine neuen Visa mehr beantragt werden konnten. Inzwischen können wieder regulär Visumsanträge gestellt werden. Dennoch findet die große Mehrheit der Einreisen nach Iran irregulär statt. Die meisten afghanischen Flüchtlinge gelangen über die südliche Route – über den Schmuggel-Drehpunkt Zaranj direkt oder häufiger über Pakistan – nach Iran. Genaue Zahlen zu irregulären Einreisen liegen nicht vor (SEM 30.3.2022). Nach vorläufigen Schätzungen der iranischen Behörden kamen im Jahr 2021 zwischen 500.000 und 1,5 Millionen Afghanen neu nach Iran. Aufgrund der instabilen Sicherheitslage und der Verschlechterung der Menschenrechtssituation, wie auch der sozio-ökonomischen Lage in Afghanistan, hielten die Ankünfte im Jahr 2022 an (UNHCR 29.9.2022), wobei UNHCR für das Jahr 2022 rund 57.000 Neuankünfte von Afghanen vermeldete, die um internationalen Schutz ansuchten (UNHCR 31.12.2022).

Amnesty International (AI) berichtete über Fälle von Rückschiebungen von Afghanen durch die iranischen Sicherheitsbehörden an der Grenze, ohne dass deren individueller Bedarf an internationalem Schutz bewerten worden wäre (AI 31.8.2022). Neu geflüchtete Personen können beim BAFIA ein Asylgesuch stellen, erhalten mit wenigen Ausnahmen de facto jedoch kein Asyl. In der Regel hindert die Regierung sie an einer Registrierung (SEM 30.3.2022). Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan bestand die übliche Strategie der iranischen Regierung darin, Neuankömmlinge in Lagern unterzubringen, indem neue Standorte in den Grenzgebieten eingerichtet wurden. Es kamen viele neue Flüchtlinge aus Afghanistan in den Lagern an und benötigten dringend humanitäre Hilfe (IOM 4.5.2022). Aufgrund der bis zu 1,5 Millionen Personen, die laut Angaben der iranischen Behörden aus dem Nachbarland nach Iran gekommen waren - wobei UNHCR diese Zahl aufgrund mangelnden Zugangs zur Grenzregion nicht verifizieren kann - forderte Iran substanzielle finanzielle Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft (AA 30.11.2022).

Amayesh-Programm

Mit der Durchführung des Amayesh-Programms für Flüchtlinge in Iran wurde in der Zeit von 2001 bis 2003 begonnen. Im Jahr 2001 begann man mit den Vorregistrierungen und im Jahr 2003 wurde die erste Amayesh-Runde durchgeführt. Die Personen, die durch das Programm registriert worden sind, bekamen sogenannte Amayesh-Karten ausgestellt, die unter anderem das Recht auf medizinische Versorgung und Ausbildung einschließen. Die Amayesh-Karten haben eine begrenzte Gültigkeit, und um ihren legalen Status in Iran nicht zu verlieren, müssen sich Amayesh-registrierte Personen bei jeder Registrierungsrunde, die in Iran durchgeführt wird, erneut registrieren (Migra 10.4.2018; vergleiche UNHCR o.D.a). Der Prozess zur erneuten Registrierung ist immer noch mit Schwierigkeiten und unterschiedlichen Ausgaben verbunden, die in den verschiedenen Provinzen variieren können. Normalerweise geschieht die Erneuerung jedes Jahr (Migra 10.4.2018). Bei der jüngsten Registrierungsrunde ("Amayesh 17") lagen die Registrierungskosten für eine Familie mit fünf Personen bei 13,625.000 Rial [offizieller Umrechnungskurs: rund 325 Euro, am freien Markt (Stand 11.4.2023) rd. 24 Euro] (Shahrara 19.7.2022; EUAA 1.12.2022). Hierin sind die Kosten für die Arbeitserlaubnis für eine Person sowie die Provinzsteuer inkludiert. Die iranischen Behörden geben im Internet bekannt, wenn es Zeit für eine neue Amayesh-Runde ist. Sie informieren auch über andere Regeln online und erwarten, dass sich die Betroffenen auf dem Laufenden halten, was nicht immer der Fall ist. Hilfsorganisationen richten sich mit Sonderinformationen an die am meisten schutzbedürftigen Gruppen, damit sie nicht verpassen, sich erneut für eine neue Amayesh-Karte oder den Schulbesuch der Kinder zu registrieren (Migra 10.4.2018).

Die Afghanen, die vor 2001 nach Iran gekommen sind, werden – vorausgesetzt, dass sie sich bei sämtlichen Amayesh-Registrierungen registriert haben – von den iranischen Behörden als Flüchtlinge betrachtet. Das Amayesh-System ist aber kein offenes System, was bedeutet, dass neu eingereiste Afghanen kein Asyl in Iran beantragen können. Seit 2001 werden im Prinzip keine Neuregistrierungen mehr vorgenommen. Zu den Ausnahmen gehören wenige, besonders schutzbedürftige Fälle. Kinder von Amayesh-registrierten Eltern werden registriert. Wenn eine Person ihren Amayesh-Status infolge einer verpassten Registrierung verliert, gibt es keine Möglichkeit zur erneuten Registrierung. Amayesh-Registrierte verlieren ihren Status, wenn sie Iran verlassen, weil der Amayesh-Status keine Ausreise erlaubt (Migra 10.4.2018). Inhaber von Amayesh- (und Hoviat)-Karten, welche außerhalb der Provinz reisen wollen, in welcher sie registriert sind, müssen dafür bei der BAFIA-Niederlassung in ihrer Provinz um ein temporäres Laissez-Passer ansuchen, und es gibt designierte Gebiete, in welche die Karteninhaber nicht reisen dürfen (UNHCR o.D.b).

Registrierung von Personen ohne Aufenthaltsstatus

Als Teil der Bestrebungen der iranischen Behörden, Kontrolle über die sich illegal im Land aufhaltenden Afghanen zu bekommen, wurde 2017 ein Programm zur Identifikation und Registrierung afghanischer Staatsbürger durchgeführt. Dieser sogenannte 'headcount' richtete sich zu Beginn nur auf Afghanen, wurde aber später auch auf irakische Staatsbürger im Land ausgeweitet. Hinsichtlich sich illegal im Land aufhaltender Afghanen wurde das Hauptaugenmerk in der ersten Runde auf drei besondere Kategorien gelegt:

1.           Unregistrierte Afghanen mit in die Schule gehenden Kindern;

2.           Unregistrierte Afghanen, die mit Amayesh-registrierten Personen verheiratet sind;

3.           Unregistrierte Afghanen, die mit iranischen Staatsbürgern verheiratet sind (Migra 10.4.2018).

Personen aus diesen Kategorien, die eine dem Programm entsprechende Identifikation durchlaufen haben, haben einen Papierbeleg (headcount slip) erhalten, der sie bis auf Weiteres davor schützt, aus Iran deportiert zu werden (Migra 10.4.2018). Beim letzten Zählungszyklus für Afghanen, der im Juni 2022 endete, wurden drei Kategorien von Berechtigten registriert:

1.           Besitzer von Papierbelegen der Zählung von 2017;

2.           Afghanische Staatsangehörige ohne Papiere, die bereits ihre "Impfeinführungsbriefe" von Kefalat-Zentren erhalten haben und nicht an der Zählung von 2017 teilgenommen haben;

3.           Ausländer ohne Papiere, die an keiner der bisherigen Zählungen/Impfplänen teilgenommen haben (UNHCR o.D.c).

Die iranischen Behörden kündigten an, dass die Registrierten eine zeitweilige Aufenthaltserlaubnis von sechs Monaten erhalten, die erneuert werden kann (AJ 12.6.2022). Die Kosten für die Registrierung und Teilnahme von Afghanen ohne Aufenthaltsstatus an der Zählung belaufen sich auf 270.000 Rial pro Person [Anm.: mit Stand Februar 2023 rd. 6 Euro], wenn die Person sich an die Pishkhan-Zentren wendet, und auf 310.000 Rial pro Person [rd. 6,80 Euro], wenn die Person ein Impfzertifikat besitzt und sich an die Kefalat-Zentren wendet (UNHCR o.D.c). Pishkan- und Kefalat-Zentren sind lokale Servicezentren, die von den iranischen Behörden in Kooperation mit privaten Anbietern eingerichtet wurden (Landinfo 5.1.2021, UNHCR o.D.a).

Im Juli 2022 kündigte BAFIA an, dass sich Afghanen, die an der im Juni abgeschlossenen Zählung teilgenommen haben und vorübergehenden Schutz mit sechsmonatiger Gültigkeit (bis zum 22.10.2022) genießen, nur in der Provinz ihres Wohnsitzes (die zum Zeitpunkt der Teilnahme an der Zählung registrierte Provinz) aufhalten und sich innerhalb dieser bewegen dürfen. In der Mitteilung der Regierung wird darauf hingewiesen, dass Reisen in andere Gebiete und Provinzen untersagt sind, eine Verletzung dieser Regelung wird laut Ankündigung "die Abschiebung der betroffenen Personen auf dem Rechtsweg zur Folge haben" (UNHCR 3.8.2022).

Rechte und Zugang zu Leistungen

Während Afghanen unabhängig von ihrem Status beispielsweise freien Zugang zum Schulwesen haben und viele von ihnen die versteckten Subventionen nutzen können, die die Regierung zur Kontrolle der Preise für Lebensmittel, Medikamente und Benzin bereitstellt, sind Personen ohne Aufenthaltsstatus beispielsweise nicht in der Lage, Bankkonten zu eröffnen oder Wohnungen und SIM-Karten für Mobiltelefone zu kaufen (AJ 12.6.2022). Amayesh- und Hoviat-Karteninhaber (UNHCR o.D.b) sowie durch den headcount registrierte Afghanen sind in ihrer Bewegungsfreiheit im Land eingeschränkt (UNHCR 3.8.2022). Besitzer gültiger Visa können sich dagegen frei im Land bewegen (IOM 4.5.2022). Im Dezember 2023 kündigte ein Behördenvertreter an, dass es afghanischen Staatsbürgern entsprechend einer neuen Direktive verboten sei, in 16 iranische Provinzen [Anm.: von insg. 31] zu reisen, dort zu wohnen oder zu arbeiten (RFE/RL 4.12.2023; vergleiche IRINTL 3.12.2023). Der Beamte berichtete auch über die Verhaftung von Arbeitgebern in der Provinz Kermanshah, die zuwiderhandelnde Personen eingestellt hatten (IRINTL 3.12.2023).

Von iranischer Seite gibt es einige NGOs, die sich um afghanische Flüchtlinge kümmern. Die iranischen Behörden haben den Spielraum dieser unabhängigen Organisationen in den letzten Jahren eingeschränkt. Betroffen war besonders die Imam Ali Society, ehemals eine der größten NGOs in Iran, die sich u. a. um afghanische Flüchtlinge gekümmert hat. Ihr Gründer wurde 2020 festgenommen und die Organisation 2021 gerichtlich aufgelöst. Sie scheint jedoch nach wie vor aktiv zu sein. Folgende Organisationen unterstützen beispielsweise ebenfalls afghanische Flüchtlinge bzw. speziell Frauen als Gewaltopfer: die landesweit tätige Organization for Defending Victims of Violence und Association for Protection of Refugee Women and Children (HAMI) oder die in Teheran aktive Omid-Mehr Foundation; die Society for Recovery Support (SRS) und die Rebirth Charity Organization im Bereich Drogensucht; und weitere Organisationen wie die World Relief Foundation (WRF), die Chain of Hope (COH); das Pars Development Activists Institute (PDA), die Iranian Life Quality Improvement Association (ILIA) oder die Kiyana Cultural and Social Group (KIYANA) (SEM 30.3.2022).

Bildungswesen

Seit 2015 ist die Schulpflicht auf alle afghanischen Kinder, auch jene ohne legalen Aufenthaltsstatus, ausgedehnt. Familien, deren Kind oder Kinder in Iran die Schule besuchen, können nicht abgeschoben werden. Die Schulgebühren für Flüchtlingskinder wurden 2016 aufgehoben. Dennoch finden nicht alle Kinder einen Schulplatz, etwa weil erschwingliche Transportmöglichkeiten fehlen, die Kinder illegal arbeiten geschickt werden, die allgemeine Einschreibegebühr von umgerechnet 60 US-Dollar zu hoch ist, oder Eltern iranischer Kinder gegen die Aufnahme von afghanischen Kindern sind (ÖB Teheran 11.2021). Nach der Machtübernahme der Taliban wurde auch von Schwierigkeiten des iranischen Bildungsministeriums bei der Unterbringung der gestiegenen Anzahl an schulpflichtigen Kindern in iranischen Schulen berichtet (UNHCR 29.9.2022). Registrierte Schüler können sich direkt an Schulen in ihrer Nähe wenden, um sich einzuschreiben. Schüler ohne Registrierung müssen zuerst das BAFIA aufsuchen, um die erforderlichen Papiere auszufüllen (IOM 4.5.2022). Sie können sich mit einer speziellen "Bildungsschutzkarte" oder blue card an Schulen anmelden, die vom BAFIA ausschließlich für die Einschreibung an Schulen in einer bestimmten Provinz ausgestellt wird. In Ermangelung ordnungsgemäßer Unterlagen enthält dieses Dokument Angaben des Antragstellers zu seinen persönlichen Daten und ist jeweils ein Jahr lang gültig (UNHCR o.D.a).

Flüchtlingskinder lernen Seite an Seite mit ihren iranischen Klassenkameraden nach dem iranischen Lehrplan. Es gibt einige von der afghanischen Gemeinschaft betriebene Schulen, in denen in Dari oder anderen in Afghanistan gesprochenen Sprachen unterrichtet wird. Diese Schulen sind mittlerweile anerkannt, nachdem sie zuvor regelmäßig von den Behörden geschlossen wurden (ACCORD 4.5.2020).

Bildung auf höherem Niveau ist nur für Inhaber eines Visums zugänglich. Flüchtlinge (Inhaber einer Amayesh-Karte) und Migranten ohne Registrierung können sich nicht für ein Hochschulstudium oder eine Berufsausbildung einschreiben (IOM 4.5.2022). Um an einer Universität zu studieren, müssen Inhaber einer Amayesh-Karte und Inhaber einer Aufenthaltsgenehmigung ihren Status aufheben, das Land verlassen und erneut ein Visum für die Ausbildung beantragen, um nach Iran einzureisen (IOM 4.5.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Angesichts der volatilen Lage in Afghanistan kündigte das iranische Wissenschaftsministerium im Oktober 2021 an, dass Afghanen, die in Iran studieren wollen, zur Beantragung des Studentenvisums nun nicht mehr nach Afghanistan reisen müssen, sondern das Visum von der Insel Kish aus beantragen können (UNHCR 26.10.2021), die im Süden Irans liegt und eine Visa-freie Zone ist. Zuvor bestand diese Möglichkeit nur für Frauen (IOM 4.5.2022; vergleiche EUAA 1.12.2022). Mit Stand November 2022 war die neue Regelung in Kraft (EUAA 1.12.2022). Nach dem Studium besteht die Gefahr, keine Aufenthaltserlaubnis mehr zu erlangen. Infolgedessen beantragen viele stattdessen Asyl in Europa, um dort ihre Ausbildung fortzusetzen, obwohl sie dies lieber in Iran gemacht hätten (ÖB Teheran 11.2021).

Gesundheitswesen

Medizinische Grundversorgung ist für alle Menschen in Iran gratis zugänglich, nicht registrierte Flüchtlinge haben jedoch oft Angst, abgeschoben zu werden, und nehmen diese nicht in Anspruch (ÖB Teheran 11.2021). Der Zugang zur staatlichen Krankenversicherung ist hingegen abhängig vom konkreten Aufenthaltsstatus (SEM 30.3.2022). Seit 2016 können sich alle registrierten Flüchtlinge [Anm.: Inhaber einer Amayesh-Karte] in der staatlichen Krankenversicherung registrieren, müssen allerdings eine Gebühr zahlen, die sich viele nicht leisten können. UNHCR zahlt diese Gebühr für die vulnerabelsten Flüchtlinge (ÖB Teheran 11.2021). Inhaber der Amayesh-Karte sind über das von UNHCR unterstützte Versicherungssystem krankenversichert, Visuminhaber meist über eine Beschäftigung bei einer iranischen Organisation oder einem Unternehmen. Migranten ohne Papiere haben keinen Zugang zu einer Krankenversicherung, und wenn sie eine Gesundheitseinrichtung aufsuchen wollen, müssen sie alle Kosten selbst tragen. Es gibt keine ausreichenden Kapazitäten von NGOs, um Migranten ohne Aufenthaltstitel bei der Deckung medizinischer Kosten zu unterstützen. Lediglich bei den Grundkosten kann der UNHCR teilweise helfen (IOM 4.5.2022). Die Krankenversicherungsleistungen für registrierte Flüchtlinge sollen erweitert und möglichst alle Flüchtlinge in medizinische Betreuungsmaßnahmen aufgenommen werden. Dazu bedient sich die Flüchtlingsbehörde BAFIA zunehmend eines Überweisungssystems von besonders schwierigen Fällen an internationale NGOs oder UNHCR. UNHCR ist mit Gesundheitsstationen in vielen Provinzen tätig und leistet mit einem zusätzlichen Versicherungsangebot innerhalb des bestehenden Krankenversicherungssystems für Geflüchtete (UPHI Universal Public Health Insurance) im aktuellen 8. Zyklus, der am 24.2.2023 abläuft, Hilfe in bis zu 120.000 Härtefällen. Zudem sind Flüchtlinge Teil der staatlichen COVID-19-Impfkampagne (AA 30.11.2022).

Arbeitsmöglichkeiten

Amayesh-registrierte Afghanen im Alter von 18 bis 60 Jahren können mit der Amayesh-Verlängerung eine Arbeitsgenehmigung erhalten (Diaran 25.7.2022). Männer in diesem Alter sind dazu verpflichtet, dies in Zusammenhang mit der Amayesh-Registrierung zu tun. Amayesh-registrierte Frauen können keine offizielle Arbeitserlaubnis in Iran beantragen, aber in der Praxis arbeiten auch einige afghanische Frauen – oft zu Hause. Der Arbeitsmarkt für Afghanen in Iran ist reguliert, und Afghanen haben das Recht, in 87 verschiedenen Berufen zu arbeiten. Ein Problem für Amayesh-registrierte, ausgebildete Personen ist, dass die Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt bedeuten können, dass sie nicht in dem Bereich arbeiten können, für den sie ausgebildet sind. In einzelnen Fällen, wo eine Amayesh-registrierte Person eine gewisse Berufskompetenz besitzt, die nicht unter die 87 erlaubten Berufe fällt, kann eine Ausnahme gestattet werden (Migra 10.4.2018). Die meisten Flüchtlinge gehen eher minderwertigen und schlecht bezahlten Arbeiten v. a. im informellen Sektor (Bau, Reinigung/Müllabfuhr oder Landwirtschaft) nach, die offiziell versicherungspflichtig sind (AA 30.11.2022). Afghanen, die keine Amayesh-Karte und kein bestehendes Arbeitsvisum besitzen, müssen das folgende Verfahren durchlaufen: Rückkehr nach Afghanistan, um sich bei der iranischen Botschaft in Afghanistan ein Arbeitsvisum ausstellen zu lassen, dann können sie auf der Grundlage des Arbeitsvisums wieder nach Iran einreisen. Dieses Verfahren ist für viele Migranten aufgrund von Sicherheitsbedenken und der Tatsache, dass nicht garantiert ist, dass sie nach der Ausreise aus Iran ein Arbeitsvisum für die Wiedereinreise erhalten können, schwierig anzuwenden. Daher verbleiben viele afghanische Migranten in ihrer derzeitigen Situation und arbeiten illegal im informellen Sektor (IOM 4.5.2022).

Zugang zu Wohnraum

Nach iranischem Recht ist es Ausländern nicht gestattet, unbewegliches Eigentum wie Grundstücke und Gebäude zu besitzen, es sei denn, es gelten ganz besondere Bedingungen und Vereinbarungen zwischen Iran und anderen Ländern. Legale Migranten und Flüchtlinge (Inhaber einer Amayesh-Karte) können Geschäftsräume und Wohnungen zu Wohnzwecken mieten. Es ist verboten, Immobilien an Migranten ohne Papiere zu vermieten (IOM 4.5.2022). Die Wohnungskosten stellen einen der größten Ausgabenposten für Afghanen in Iran dar. Bei der Anmietung eines Hauses wird eine Kaution an den Besitzer bezahlt, und je größer die Kaution, die hinterlegt werden kann, desto billiger werden die Mietkosten (Migra 10.4.2018). Nach Angaben des UNHCR leben trotzdem nur etwa 6 % der Afghanen in Iran in Lagern, während die überwiegende Mehrheit unter der iranischen Bevölkerung lebt (AJ 12.6.2022).

Zugang zu afghanischen Dokumenten, Hochzeit und Staatsbürgerschaft von Kindern

Afghanen, die eine Tazkira beantragen wollen, müssen manchmal zwei Monate oder länger auf den ersten Termin bei der afghanischen Botschaft in Iran warten. Da die Tazkira in Afghanistan ausgestellt wird, müssen die Antragsteller eine Person in Afghanistan benennen, die ihren Antrag in ihrem Namen weiterverfolgt und die notwendigen Formalitäten in Afghanistan erledigt. Das Fehlen einer vertrauenswürdigen oder erreichbaren Person (z. B. schlechte Telefon- oder Internetverbindung) in Afghanistan, die die nötige Papierarbeit erledigt, ist eine der größten Herausforderungen für die Antragsteller, insbesondere für diejenigen, die ihre familiären Bindungen in Afghanistan verloren haben. Der Besitz einer Tazkira ist eine Voraussetzung für die Ausstellung eines Reisepasses und für die Beantragung einer Amayesh-Karte (IOM 4.5.2022).

Afghanische Staatsangehörige können unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus in Iran heiraten, sofern sie ein gültiges Ausweisdokument besitzen. Ihre Ehe unterliegt den afghanischen Gesetzen und wird bei der afghanischen Botschaft registriert (IOM 4.5.2022). Hochzeiten zwischen Iranern und afghanischen Flüchtlingen sind, obwohl keine Seltenheit, schwierig, da die iranischen Behörden dafür Dokumente der Botschaft oder der afghanischen Behörden benötigen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche IOM 4.5.2022). Staatenlosen wird von einigen Provinzverwaltungen Zugang zur öffentlichen Grundversorgung und das Ausstellen von Reisedokumenten und sonstigen Papieren verwehrt; eine einheitliche Praxis fehlt (ÖB Teheran 11.2021).

Mittlerweile ist es möglich, dass iranische Frauen ihre Staatsbürgerschaft an Kinder mit einem ausländischen Vater weitergeben können (USDOS 12.4.2022b; vergleiche FH 24.2.2022b). Iran wendet sowohl den Grundsatz des jus soli als auch den des jus sanguinis an. So erhält ein Kind, das von einem iranischen Vater und einer afghanischen Mutter im Rahmen einer offiziellen Ehe geboren wird, automatisch die iranische Staatsangehörigkeit (IOM 4.5.2022).

Weitere Aspekte

Kulturell, sprachlich, religiös und in den Grenzbereichen auch ethnisch bestehen Gemeinsamkeiten zwischen Iranern und Afghanen (ÖB Teheran 11.2021). Die iranischen Behörden sind sich jedoch uneins darüber, wie sie mit der wachsenden Zahl illegaler afghanischer Einwanderer umgehen sollen (IRINTL 28.9.2023). Iranische Behörden fürchten einerseits einen noch größeren Zustrom von Afghanen und verweisen auf die bereits große afghanische Gemeinde in Iran, die schlechte Wirtschaftslage angesichts der US-Sanktionen und die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. Es werden Spannungen zwischen ansässiger Bevölkerung und Neuankömmlingen befürchtet (ÖB Teheran 11.2021). Bereits bisher werden Afghanen teilweise diskriminiert (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche Stimson 24.10.2023), und es kommt zu anti-afghanischen Protesten (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche IRINTL 14.10.2023), z. B. gegen die Aufnahme afghanischer Kinder in Schulen (ÖB Teheran 11.2021). Im Oktober 2023 wurde auch von zwei Vorfällen gewalttätiger Angriffe auf Afghanen berichtet (IRINTL 14.10.2023; vergleiche RFE/RL 18.10.2023). Andererseits werben manche Hardliner-Medien auch angesichts der gesunkenen Geburtenrate und gestiegenen Emigration von Iranern um eine Akzeptanz der Afghanen (IRINTL 28.9.2023). Die meisten Flüchtlinge gehen gering qualifizierten und schlecht bezahlten Arbeiten v. a. im informellen Sektor (Bau, Reinigung/Müllabfuhr oder Landwirtschaft) nach (AA 30.11.2022) und sehen sich mit Vorurteilen und negativen Stereotypen konfrontiert (Stimson 24.10.2023). Sie sind im Großen und Ganzen - auch wenn sie zum Teil bereits in der zweiten Generation in Iran leben - wenig integriert (AA 30.11.2022). Die Tötung zweier schiitischer Geistlicher in Maschhad Anfang April 2022 hat reflexartige anti-afghanische und anti-sunnitische Vorurteile offenbart (AA 30.11.2022; vergleiche AJ 12.6.2022). Es wurde von Rassismus gegen Afghanen berichtet (Inkstick 6.1.2023) und im Jahr 2022 kam es in Afghanistan zu anti-iranischen Protesten, nachdem im Internet mehrere Videos veröffentlicht wurden, die angeblich zeigen, wie Flüchtlinge von iranischen Grenzsoldaten geschlagen werden (AJ 12.6.2022; vergleiche Inkstick 6.1.2023).

Die Revolutionsgarden sollen Tausende von in Iran lebenden afghanischen Migranten mithilfe von Zwangsmaßnahmen für den Kampf in Syrien rekrutiert haben. Human Rights Watch berichtete, dass sich unter den Rekrutierten auch Kinder im Alter von 14 Jahren befinden (FH 24.2.2022b; vergleiche USDOS 12.4.2022b).

Rückkehr

Die freiwillige Rückkehr registrierter afghanischer Flüchtlinge sank bis Ende August 2022 mit 246 Personen erneut deutlich (2021: 800 Personen) (AA 30.11.2022), insgesamt kehrten im Jahr 2022 376 Afghanen mit Unterstützung von UNHCR freiwillig von Iran nach Afghanistan zurück (UNHCR 31.12.2022). Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan 2021 sind laut IOM (Stand August 2022) mit 982.680 Personen weniger nicht-registrierte Afghanen aus Iran nach Afghanistan zurückgekehrt als zuvor. Trotz Stellungnahme von UNHCR zur Einhaltung des völkerrechtlichen Prinzips des non-refoulement führt Iran nach Angaben von UNHCR weiter Abschiebungen durch. UNHCR schätzt, dass 65 % der neu ankommenden afghanischen Flüchtlinge abgeschoben werden (AA 30.11.2022). Die iranischen Behörden haben bereits vor dem Fall Afghanistans an die Taliban jährlich hunderttausende Afghanen nach Afghanistan zurückgeschickt. Die vom IOM verzeichneten Rückreisen nach Afghanistan waren seit Jahren ansteigend. Viele kehrten dabei auch freiwillig zurück – oft, um später wieder nach Iran einzureisen (zirkuläre Migration). Iran hat in den Grenzregionen verschiedene Transitzentren eingerichtet, von wo aus die afghanischen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgeschickt werden. UNHCR zeigt solche Zentren auf einer Karte von März 2022 in den Provinzen Razavi Khorasan, in Süd-Khorasan und in Sistan und Belutschistan. Die Einrichtungen werden als überfüllt und schmutzig beschrieben, mit mangelnder Ernährung und medizinischer Versorgung. Sicherheitskräfte haben demnach die Flüchtlinge – besonders diejenigen, die kein Geld für den Rücktransport vorweisen konnten – wiederholt geschlagen und angegriffen sowie ihres Geldes oder des Mobiltelefons beraubt. Internationale Organisationen, inkl. UNHCR, haben nur beschränkten Zugang zu diesen Lagern bzw. zur Grenzregion insgesamt (SEM 30.3.2022). Iran hat die Abschiebung von Afghanen seit einer Ankündigung vom September 2023, alle Migranten ohne Papiere auszuweisen, intensiviert (RFE/RL 18.10.2023). Ende 2023 berichteten die Grenzbehörden der Taliban von einer Zunahme an Abschiebungen von Afghanen aus Iran (FR24 8.11.2023; vergleiche TN 11.12.2023), zwischen September und Dezember 2023 betraf dies demnach über 345.000 Afghanen (TN 11.12.2023).

Pakistan

Letzte Änderung 2024-04-09 06:30

Rechtlicher Status

Pakistan ist eines der weltweit größten Aufnahmeländer von Flüchtlingen und beherbergt seit rund vier Jahrzehnten Millionen afghanische Staatsbürger (AA 8.8.2022). Pakistan hat zwar kein nationales Asylsystem und ist kein Unterzeichnerstaat der Flüchtlingskonvention von 1951, allerdings blickt es auf eine Jahrzehnte währende Tradition der Aufnahme und des Schutzes afghanischer Flüchtlinge zurück. Afghanische Flüchtlinge wurden vom Fremdengesetz ausgenommen und gegenüber den registrierten afghanischen Flüchtlingen hält Pakistan das Non-Refoulement ein (UNHCR 16.3.2023). Die Regierung arbeitet mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um - unter anderen - den afghanischen Flüchtlingen und Asylsuchenden Schutz und Hilfe zu bieten (USDOS 12.4.2022).

Mit Stand 31.1.2023 schätzt UNHCR die Zahl der afghanischen Flüchtlinge in Pakistan auf 3,7 Millionen (UNHCR 31.1.2023). Diese unterteilen sich nach ihrem rechtlichen Status in drei Kategorien (VB Islamabad 6.5.2021):

Zum einen sind dies registrierte afghanische Flüchtlinge, UNHCR beziffert sie mit Stand 31.12.2022 auf 1.316.257 (UNHCR 31.12.2022). Sie sind sogenannte Proof-of-Residence-(PoR)-Karteninhaber unter UNHCR-Mandat. Die Lage dieser registrierten Flüchtlinge ist aufgrund ihres legalen Aufenthaltsstatus in der Regel geprägt von höherer Rechtssicherheit und einem besseren Zugang zu Unterstützungsangeboten des UNHCR sowie zu bestimmten staatlichen Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheitswesen (AA 8.8.2022). Seit 2007 hat Pakistan allerdings keine Personen mehr als Flüchtlinge registriert (FP 22.11.2021).

Die zweite Kategorie umfasst rund 880.000 afghanische Staatsangehörige im Besitz der sogenannten „Afghan Citizen Card“ (ACC), die ebenfalls einen legalen Aufenthaltstitel bietet (AA 8.8.2022). Die Inhaber der ACC haben keinen Flüchtlingsstatus. Die Gültigkeit dieser Karten wurde typischerweise für kurze Zeiträume verlängert, dies lief am 30. Juni 2020 aus. Die PoR-Karten wurden seit 2015 durch Kabinettsbeschlüsse in unregelmäßigen Abständen verlängert, liefen aber ebenfalls am 30. Juni 2020 aus (USDOS 12.4.2022)

Am 15. April 2021 wurde der Beginn der Umsetzung des DRIVE-Programmes (Documentation Renewal and Information Verification Exercise) eingeläutet (VB Islamabad 6.5.2021). DRIVE wurde durch das Ministry of States and Frontier Regions, den Chief Commissioner für afghanische Flüchtlinge und die "National Database and Registration Authority" (NADRA) - in Unterstützung durch den UNHCR im Februar 2022 abgeschlossen. Ziel war es, die Daten der registrierten afghanischen Flüchtlinge in Pakistan zu erneuern und den Bedarf an neuen Ausweisdokumenten für afghanische Flüchtlinge in Pakistan zu decken. Diese neuen Smartcards ermöglichen einen schnelleren und sichereren Zugang zu Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung und Bankwesen (UNHCR 5.10.2022). Die "Smartcards" wurden somit jenen afghanischen Flüchtlingen in Pakistan ausgestellt, die Inhaber einer PoR-Karte sind. Die neuen Karten sind technologisch kompatibel mit Systemen, die in Pakistan zur Verifikation der Identität der eigenen Staatsbürger beim Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verwendet werden. Zudem werden Fertigkeiten, Bildungsniveau sowie die sozio-ökonomischen Umstände afghanischer Flüchtlinge erfasst. Dies dient – laut Behördenangaben – zur Ermöglichung einer gezielteren Unterstützung in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Lebensunterhalt (VB Islamabad 6.5.2021; vergleiche UNHCR 15.4.2021). PoR-Karteninhaber können ihre Registrierungsdaten in elf speziellen Zentren im ganzen Land laufend aktualisieren (UNHCR 5.10.2022). Die Zentren werden von der NADRA betrieben und sind dafür zuständig, PoR-Karten zu korrigieren, auszustellen und zu erneuern. Mit Stand Februar 2023 wurden beinahe eine Million der neuen Smart-PoR ausgestellt. Die PoR-Karten sind Identitätsdokumente, die afghanische Flüchtlinge u. a. dazu berechtigen, in Pakistan zu leben, Unterkünfte zu mieten und Bankkonten zu eröffnen (UNHCR 6.2.2023).

In Zusammenarbeit mit der Regierung bereitet IOM einen zweiten Dokumentationsdurchgang vor, der den Status der ACC-Karteninhaber neu verifizieren, und - dies ist noch unter Prüfung der Regierung - auch die Daten der undokumentierten Afghanen aufnehmen soll (UNHCR 16.3.2023).

Schließlich halten sich neben den beiden Kategorien von registrierten Afghanen nach Schätzungen der pakistanischen Regierung zwischen 500.000 und 1 Mio. nicht-dokumentierte afghanische Staatsbürger in Pakistan auf (AA 8.8.2022). Das Innenministerium teilte im Dezember 2022 mit, dass die Amnestieregelung für illegale Ausländer am 31. Dezember 2022 auslaufen wird, und erklärte, dass Ausländer, die sich illegal in Pakistan aufhalten, ab dem 1. Jänner 2023 mit Geldstrafen belegt werden (MinuteMirror 29.12.2022; vergleiche DialoguePakistan 29.12.2022).

Grenzübertritte und Neuankommende

Seit der Machtübernahme der Taliban hat Pakistan Neuzugänge aus Afghanistan zurückgedrängt, seine Grenzrestriktionen verstärkt und einige Personen ohne Visa abgeschoben. Viele Afghanen wurden an Grenzen zurückgewiesen, die sie zuvor noch leicht überqueren konnten. Diese Einstellung gegenüber den Neuankommenden spiegelt die Ängste eines Staates wieder, der die Bürde der Unterbringung vieler Flüchtlinge trägt und besorgt über seine eigene nationale Sicherheit ist. Menschenrechtsgruppen berichten, dass Afghanen für die Regierung und Teile der Öffentlichkeit hinsichtlich ökonomischer Unsicherheit und Extremismus oft als Sündenböcke dienen. Die Möglichkeiten für Afghanen in Pakistan Unterschlupf zu finden, sind begrenzt. Haben sie es geschafft, finden sie sich in prekärer Lage in einem System, das sie offiziell nicht anerkennt (FP 22.11.2021).

Es gibt keine speziellen Maßnahmen für den Einlass von Personen, die um Asyl ansuchen wollen. UNHCR arbeitet daran, dem Thema bei den Behörden Gehör zu verschaffen (UNHCR 15.12.2021; vergleiche UNHCR 16.3.2023). UNHCR stellt Zertifikate aus, die auch die Neuankommenden als Asylsuchende bestätigen, doch verhandelt es noch mit der pakistanischen Regierung über deren Rechte (FP 22.11.2021). UNHCR führt dabei auch eine Registrierung von Personen mit erhöhtem Schutzbedürfnis durch. Dazu führt es ein Vorab-Screening durch, um Risikoprofile und Schutzbedürfnisse zu erheben (UNHCR 14.1.2022). UNHCR versucht, dies zu verstärken, um die am stärksten gefährdeten und besonders schutzbedürftigen Personen für eine Umsiedlung / Resettlement zu identifizieren (UNHCR 17.6.2022).

Flüchtlingsorganisationen berichten, dass die fehlenden politischen Vorgaben zu den Neuankünften es den Hilfsorganisationen schwer machen, diesen zu helfen. Sie müssen auf persönliche Netzwerke zurückgreifen, um ihre Grundbedürfnisse zu decken. Viele Menschen versuchen, aus Angst vor den Behörden unter dem Radar zu bleiben. Wachsende Ressentiments gegen die Flüchtlinge haben das Problem vergrößert. Seit der Machtübernahme der Taliban haben außerdem manche Provinzen Einwohner, welche Afghanen Unterschlupf gewährten, gestraft (FP 22.11.2021).

Die pakistanische Politik zeigt sich ambivalent gegenüber der Annahme der neuen Flüchtlinge. Trotz der Aussage, keine neuen Flüchtlinge zu akzeptieren, passierten viele Neuankommende die offiziellen Grenzübergänge. Im Sindh protestierten Parteien ethnischer Sindhi, um Druck auf die Zentralregierung auszuüben, damit diese den Zuzug afghanischer Flüchtlinge in die Provinz nicht zulässt. 2021 gab es Fälle von sofortiger Abschiebung von Neuankömmlingen (EUAA 5.2022). So wurden einem Medienbericht zufolge im September 2021 mehr als 200 afghanische Staatsangehörige, die über den Grenzübergang Chaman nach Quetta [Belutschistan] gelangt waren, abgeschoben. Ein weiterer Bericht sprach von 750 Personen, die illegal aus Afghanistan nach Belutschistan eingereist waren und nach Afghanistan abgeschoben wurden (USDOS 12.4.2022). Außerdem wurden provisorische Camps geräumt. Ein konsistentes, striktes Vorgehen wurde seitens der pakistanischen Regierung nicht gezeigt, doch wurde auch keine klare Politik gegenüber Neuankömmlingen vorgegeben (EUAA 5.2022).

Der Grenzübertritt am Übergang Torkham ist beschränkt auf Personen, die gültige Pässe und Visa haben. Am Grenzübergang Chaman gilt eine Ausnahmeregelung für Einwohner der benachbarten Grenzregionen. Außerdem an beiden Übergängen bei Personen mit kritischen medizinischen Problemen Ausnahmen gemacht werden (UNHCR 17.11.2022). Der Grenzübergang Chaman ist zeitweise immer wieder auch geschlossen. Der Hauptteil der Grenze zu Afghanistan ist mit einem Zaun gesichert und wird von der Armee patrouilliert. Dennoch finden Afghanen einen Weg über die Grenze. Familien zahlen z. B. für Identitätsdokumente, die sie als Einwohner der Grenzregionen ausweisen (FP 22.11.2021). Die pakistanische Menschenrechtsorganisation HRCP kritisierte, dass bei den Grenzpatrouillen und bei der Polizei eine besorgniserregende Unklarheit zum Umgang mit Ankömmlingen vorherrscht. Es gibt Berichte über Erpressung von Geld, bevorzugte Behandlung, Verweigerung der Einreise oder Gewalt durch die Behörden (HRCP 22.11.2021). Ein Massenzustrom an Neuankömmlingen an den offiziellen Grenzübergängen wurde nicht beobachtet, es gibt allerdings einen stetigen Zufluss über inoffizielle Grenzpässe (UNHCR 17.11.2022)

Die Regierung schätzt die Zahl der seit August 2021 neu angekommenen Afghanen mit Stand 31. Jänner 2023 auf 600.000. 266.000 Neuankömmlinge haben sich an UNHCR gewandt (UNHCR 31.1.2023). Laut UNHCR waren 74 Prozent der Neuankommenden, die sich an UNHCR gewandt haben, Frauen und Kinder (UNHCR 16.3.2023). Von den durch IOM erfassten Afghanen, die zwischen dem 30. April und dem 15. August 2022 von Afghanistan nach Pakistan kamen, waren allerdings 69 Prozent männlich (EUAA‌ 9.2022). Von den zwischen Jänner 2021 und Februar 2022 neu in Pakistan angekommenen 117.547 Afghanen schätzte UNHCR, dass 62 Prozent Paschtunen, 17 Prozent Hazara und 11 Prozent Tadschiken waren (UNHCR 11.2.2022).

Ankünfte nach Monat aus Afghanistan
UNHCR 11.2.2022

Zugang zum Rechtswesen, Verhaftungen

Afghanische Flüchtlinge haben Zugang zu Polizei und Gerichten, doch insbesondere Ärmere fürchten sich davor (USDOS 12.4.2022). Berichten zufolge war insbesondere nach dem Großanschlag auf die Army Public School in Peschawar ab 2014 eine Erhöhung der Kontrollen, Razzien, Verhaftungen und auch Belästigungen durch die Polizei feststellbar. Ab 2017 ist u. a. anhand der Daten zu Razzien und Festnahmen ein Rückgang dieser Vorgehensweise erkennbar. Mit dem neuen Zufluss afghanischer Flüchtlinge nach der Machtübernahme der Taliban hat sich der argwöhnische Umgang der Polizei mit Afghanen wieder verstärkt. Allerdings korreliert dies auch mit verstärkten Sicherheitskontrollen aufgrund der Zunahme der Anschlagszahlen (EUAA 5.2022).

So zählte UNHCR für den Zeitraum zwischen Jänner und Juni 2021 374 Festnahmen von Flüchtlingen durch die Sicherheitsbehörden. Davon wurden 81 Prozent ohne formale Anklage freigelassen, acht Prozent nach dem Fremdengesetz angeklagt und festgehalten und 11 Prozent aufgrund verschiedener Verstöße angeklagt (USDOS 12.4.2022). Seit Oktober 2022 haben die Festnahmen und Inhaftierungen von afghanischen Flüchtlingen zugenommen (Guardian 10.1.2023). Berichten zufolge nahm die Polizei in Karatschi bei mehreren Razzien allein im Dezember mindestens 1.200 afghanische Staatsangehörige fest, die ohne gültige Reisedokumente nach Karatschi eingereist waren (AP News 7.1.2023, TorontoStar 7.1.2023). Unter den Inhaftierten waren mindestens 129 Frauen und 178 Kinder. Eine in Karatschi ansässige Menschenrechtsanwältin berichtete außerdem, dass beinahe 400 der verhafteten Afghanen gültige Visa in ihren Pässen oder PoR-Karten hatten (Guardian 10.1.2023). Die afghanische Botschaft in Pakistan berichtete im Jänner 2023 zuerst von der Freilassung von 1.300 Afghanen, woraufhin in den folgenden Tagen nochmals 120 und 130 folgten. Außerdem wurden weitere Freilassungen angekündigt. Die Botschaft sprach außerdem von 1.500 Afghanen ohne Aufenthaltsgenehmigung, die weiterhin inhaftiert sind und für deren Freilassung man sich einsetze (Siasat 2.2.2023; vergleiche weitere Berichte im Zeitraum mit unterschiedlichen Daten zu Verhaftungen und Freilassungen: AP News 7.1.2023, TorontoStar 7.1.2023, ModernDiplomacy 1.3.2023).

UNHCR betreibt neun Zentren zur Rechtsberatung und Unterstützung in jenen Gebieten, in denen die Mehrheit der Flüchtlinge lebt. Ein Fokus liegt auf der Freilassung von festgenommenen und inhaftierten Personen (UNHCR 5.10.2022).

Abschiebungen

Fälle zwangsweiser Rückführungen von PoR-Karteninhabern nach Afghanistan sind nicht bekannt. Bei ACC-Karteninhabern und insbesondere bei nicht-dokumentierten afghanischen Staatsangehörigen finden diese jedoch statt (AA 8.8.2022).

Die Zahl der Abschiebungen nach Afghanistan hatte sich nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan erhöht. Im September und Oktober 2021 wurden laut UNHCR 1.800 Personen zurückgeführt (UNHCR 15.12.2021). Hingegen wurden zwischen Juli und September 2022 laut IOM insgesamt 843 Afghanen ohne Aufenthaltspapiere behördlich rückgeführt (IOM 10.11.2022). Die Zahl der Abschiebungen hat Berichten zufolge ab Jänner 2023 allerdings zugenommen (VB Islamabad 27.2.2023). So wurden im zweiwöchigen Erhebungszeitraum zwischen 17. Dezember und 31. Dezember 2022 64 Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung behördlich rückgeführt (IOM 9.1.2023). Zwischen 15. und 28. Jänner 2023 waren dies 48 Personen ohne gültige Aufenthaltspapiere (IOM 28.1.2023). Zwischen 12. und 25. Feber waren 212 Personen ohne Aufenthaltstitel von einer Rückführung betroffen (IOM 25.2.2023). Laut Medienbericht wurden allerdings im Jänner 2023 mehr als 600 Afghanen aus der Provinz Sindh nach Afghanistan abgeschoben, darunter 63 Frauen und 71 Kinder (Guardian 10.1.2023). Der weitaus überwiegende Anteil der Abschiebungen erfolgt aus der Provinz Sindh (VB Islamabad 27.2.2023).

Pakistanische Behörden kündigten im Jänner 2023 an, dass alle ausländischen Staatsangehörigen, einschließlich afghanischer Staatsangehöriger, ohne gültige Papiere inhaftiert und nach einem Gerichtsurteil in ihr Heimatland zurückgewiesen werden (BBC Farsi 23.1.2023).

Freiwillige Rückkehr

UNHCR unterhält in Pakistan zwei Zentren zur Unterstützung einer freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, eines in Khyber Pakhtunkhwa und eines in Belutschistan (UNHCR 5.10.2022). Laut UNHCR kehrten im Jahr 2022 insgesamt 6.029 Afghanen von Pakistan nach Afghanistan unter dem Voluntary Repatriation Programme des UNHCR zurück, 2.596 davon zwischen Oktober und Dezember. Das Programm sieht finanzielle Unterstützung, medizinische Versorgung sowie wenn nötig vorübergehende Unterbringung vor (UNHCR 25.1.2023). Von den 3.549 zwischen Jänner und September mit Unterstützung des UNHCR freiwillig zurückgekehrten Afghanen gaben als Grund das Land zu verlassen 50 Prozent die strengen Einreisebestimmungen an, 25 Prozent den Verlust der Möglichkeit den Lebensunterhalt zu bestreiten (UNHCR 18.1.2023).

Im Erhebungszeitraum zwischen dem 30. April und dem 15. August 2022 waren 69 Prozent der afghanischen Staatsangehörigen, die von Pakistan nach Afghanistan zurückkehrten, männlich (EUAA‌ 9.2022).

IOM Pakistan sammelt Daten über die Abwanderung afghanischer Migranten ohne Aufenthaltspapiere an den Grenzübergängen Torkham und Chaman. Im Zeitraum zwischen Juli und September 2022 kehrten - zusätzlich zu den behördlich Rückgeführten - 14.806 Afghanen ohne Aufenthaltspapiere selbstständig nach Afghanistan zurück (IOM 10.11.2022). Insgesamt kehrten zwischen Jänner und Dezember 2022 74.132 afghanische Migranten ohne Aufenthaltspapiere selbstständig an den beiden Grenzübergängen nach Afghanistan zurück. Als Gründe, Pakistan zu verlassen ("Push-Faktoren"), wurden von 35 Prozent der Befragten die fehlende Möglichkeit, die Unterkunft zu bezahlen, von 28 Prozent die fehlende Möglichkeit die Grundversorgung zu bestreiten und von 19 Prozent eine fehlende Arbeit angegeben. Als Gründe für die Rückkehr nach Afghanistan ("Pull-Faktoren") wurden von 58 Prozent die Möglichkeit von Unterstützung und von 39 Prozent die Wiedervereinigung mit der Familie angegeben. Von dem im zweiwöchigen Erhebungszeitraum zwischen 17. Dezember und 31. Dezember 2022 erfassten 1.462 unregistrierten Afghanen, die nach Afghanistan zurückkehrten, gingen in Pakistan 63 Prozent einer Hauptbeschäftigung als ungelernte Arbeitskraft, 21 Prozent als Facharbeiter und 16 Prozent im Handel nach. Die drei größten Herausforderungen, die die Rückkehrer in Afghanistan selbst sahen, waren: den Lebensunterhalt bestreiten, in eine neue Stadt ziehen und Einkommensmöglichkeiten zu finden (IOM 9.1.2023).

Monatliche freiwillige Rückkehr UNHCR 18.1.2023

Return trends IOM 9.1.2023
Verteilung und Grundversorgung

Unter der afghanischen Bevölkerung in Pakistan ist etwa jeder vierte ein erwachsener Mann. Darüber hinaus wird angenommen, dass mehr als zwei Drittel der Afghanen in Pakistan paschtunischer Abstammung sind (EUAA 9.2022). Ungefähr 52,5 Prozent der afghanischen Flüchtlinge leben in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, 24,2 Prozent in Belutschistan, 14,3 im Punjab, 5,5 im Sindh und 3,1 in der Hauptstadt Islamabad (UNHCR 31.12.2022). Darüber hinaus berichtet UNHCR, dass 68,4 Prozent in städtischen Gebieten leben (UNHCR 16.3.2023). 30 Prozent der registrierten afghanischen Flüchtlinge leben in einem der 52 Flüchtlingslager oder Flüchtlingsdörfer, die restlichen 70 Prozent leben in Aufnahmegemeinden in ländlichen und städtischen Gebieten und suchen dort den Zugang zur Grundversorgung (USDOS 12.4.2022). Sie setzen damit die bereits belasteten lokalen Systeme öffentlicher Dienstleistungen, wie für Bildung und Gesundheit sowie den Arbeitsmarkt zusätzlich unter Druck (UNHCR 6.7.2020). Die Zahl der Neuankömmlinge stellt eine zusätzliche Belastung dar (UNHCR 16.3.2023).

Schwierig ist die soziale und wirtschaftliche Lage der Afghanen in den Flüchtlingssiedlungen, vor allem aber in den Ballungszentren der Großstädte (AA 8.8.2022). Die pakistanische Menschenrechtsorganisation HRCP berichtet z. B. über schlechte hygienische Bedingungen in Flüchtlingslagern, und dass Flüchtlinge Schikanierungen und Xenophobie durch die lokalen Behörden und die Bevölkerung ausgesetzt sind (HRCP 22.11.2021). Es gibt keine formale Berechtigung für Flüchtlinge, legal zu arbeiten, aber es gibt auch kein Gesetz, das es ihnen verbietet. Viele Flüchtlinge arbeiten als Tagelöhner oder in der Schattenwirtschaft. Die lokalen Arbeitgeber beuten die Flüchtlinge auf dem informellen Arbeitsmarkt oft mit niedrigen oder unbezahlten Löhnen aus. Frauen und Kinder sind besonders gefährdet und nehmen unterbezahlte und unerwünschte Arbeit an (USDOS 12.4.2022). Undokumentierte Afghanen haben nur begrenzten Zugang zu Arbeit, Unterkunft und Bildung. Ohne rechtlichen Schutz sind sie Ziel von Diskriminierung und Schikanen durch die Behörden (FP 22.11.2021).

Die Bedingungen für afghanische Flüchtlinge haben sich durch die Verschlechterung der ökonomischen Situation in den umliegenden Ländern erschwert. Die Lebenserhaltungskosten sind gestiegen, die Einkommensmöglichkeiten gesunken, was besonders Ärmere betrifft. Außerdem hat die Flutkatastrophe in Pakistan auch Auswirkungen auf die Flüchtlingspopulationen. Geschätzt 800.000 von ihnen leben in Distrikten, die besonders von der Flut betroffen waren(UNHCR 16.3.2023).

Die Verfassung garantiert kostenfreie und verpflichtende Bildung für alle Kinder zwischen fünf und sechzehn, unabhängig von ihrer Nationalität. Alle registrierten Flüchtlingskinder haben theoretisch Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen (USDOS 12.4.2022). Der Zugang wird allerdings durch die Verfügbarkeit von Plätzen bestimmt. Die meisten registrierten Flüchtlingskinder besuchen private afghanische Schulen oder Schulen finanziert durch die internationale Gemeinschaft (USDOS 30.3.2021). Für ältere Kinder, besonders Mädchen in Flüchtlingslagern, ist der Zugang zu Bildung schwierig. Registrierte afghanische Flüchtlinge haben das Recht auf Einschreibung an den Universitäten (USDOS 12.4.2022). UNHCR unterhält Projekte zum Aufbau der Fähigkeit zur Selbstversorgung und zur wirtschaftlichen Eingliederung von Flüchtlingen in den Flüchtlingsgemeinden. Dies umfasst Ausbildungen in Handwerk und Landwirtschaft sowie unterschiedlichen Berufen ebenso wie die Unterstützung beim Zugang zu akademischer Bildung. UNHCR versucht, die Einschulungsrate afghanischer Kinder im regulären Schulsystem zu erhöhen. Außerdem vergibt es auch Universitätsstipendien (UNHCR 5.10.2022). Laut der mit den Smartcards verbundenen Information Verification Exercise haben 61 Prozent aller registrierten afghanischen Flüchtlinge keine Ausbildung und von jenen mit Ausbildung sind nur 38 Prozent Frauen (UNHCR 16.3.2023).

Es gibt keine Berichte über Flüchtlinge, denen der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen aufgrund ihrer Nationalität verweigert wurde (USDOS 12.4.2022). Das Gesundheitswesen in Pakistan ist vollständig integrativ, d. h. PoR- und ACC-Karteninhaber haben im Prinzip gleichen uneingeschränkten Zugang zu allen Ebenen der Gesundheitsversorgung wie pakistanische Staatsangehörige. Durch die schwierige wirtschaftliche Lage wird dies erschwert (UNHCR 17.11.2022; vergleiche UNHCR 16.3.2023). Auch Afghanen ohne Aufenthaltsdokument haben Zugang zu den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen (UNHCR 16.3.2023). Ein kostenloser Zugang zu Gesundheitsdiensten ist allerdings verbunden mit dem Status als registrierter Afghane, also PoR- und ACC-Kartenbesitzer. PoR-Karteninhaber werden auch in einige Vorsorgeprogramme miteinbezogen. Für undokumentierte Afghanen ist der Zugang schwieriger. In öffentlichen Einrichtungen erhalten sie zwar Behandlungen, Medikamente müssen sie allerdings selbst erwerben. Eine Studie aus dem Jahr 2021 zeigte, dass Betroffene mit Schwierigkeiten rechnen und es so eine gängige Praxis ist, PoR- oder ACC-Karten auszuborgen (EUAA 5.2022).

UNHCR unterstützt den Zugang der Flüchtlinge und der lokalen Aufnahmebevölkerung zur staatlichen medizinischer Versorgung, indem es z.B. medizinische Ausrüstung für öffentliche Spitäler zur Verfügung stellt. Damit geht UNHCR von der früheren Strategie, Parallelstrukturen für Flüchtlinge zu unterstützen, im Sinne einer Inklusion zu Programmen über, die sowohl die lokale als auch die Flüchtlingspopulation begünstigen (UNHCR 17.6.2022). Im Bereich der psychischen Gesundheit unterzeichneten UNHCR und das Balochistan Institute of Psychiatry and Behavioral Sciences im Dezember 2022 ein Memorandum of Understanding um die Zusammenarbeit zu verstärken und den Zugang von afghanischen Flüchtlingen zu Unterstützungsleistungen der psychischen Gesundheit und Drogenrehablitation zu verbessern (UNHCR 6.2.2023).

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf die im Rahmen der Feststellungen jeweils in Klammer angeführten Beweismittel und im Übrigen auf nachstehende Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates und seiner Situation im Fall der Rückkehr beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers in seiner Erstbefragung, der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt, den Ausführungen in der Beschwerde sowie den Angaben im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Im Ergebnis konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass er Afghanistan aus dem von ihm geschilderten Grund verlassen habe.

Der Beschwerdeführer hat im Rahmen des gegenständlichen Verfahrens den Eindruck, den er im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren vor dem Bundesamt in Bezug auf die Glaubhaftigkeit seiner Fluchtgründe hinterlassen hat, nicht korrigieren können. Auch auf wiederholtes Nachfragen sowohl bei der Einvernahme vor dem Bundesamt als auch bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht konnte der Beschwerdeführer seine sehr vagen, unergiebigen Angaben zum Fluchtvorbringen nicht näher erläutern und die damaligen Umstände und seine Eindrücke nicht ausführlicher schildern. Auf Widersprüche hingewiesen, konnte er diese nicht auflösen und wiederholte nur mechanisch seine Angaben.

Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt den Umstand, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der vorgebrachten fluchtauslösenden Ereignisse - gemäß dem durch Gutachten bestimmten Mindestalter des Beschwerdeführers - möglicherweise noch nicht ganz fünfzehn Jahre alt war und bei einem Minderjährigen beweiswürdigend nicht dieselben Maßstäbe angelegt werden können wie bei einem Erwachsenen. Doch auch wenn die Dichte der Schilderung keine übermäßigen Anforderungen gestellt wird, ist es doch auffällig, dass der Beschwerdeführer seine Angaben überhaupt nicht konkretisieren konnte. Hätten die behaupteten Ereignisse tatsächlich stattgefunden, müsste der Beschwerdeführer irgendwelche näheren Umstände angeben können. Ein Ereignis, bei dem man einer Bedrohung ausgesetzt ist (wie bei dem vom Beschwerdeführer behaupteten Rekrutierungsversuch durch die Taliban), bleibt generell lebhaft im Gedächtnis, deshalb müsste der Beschwerdeführer darüber Erinnerungen haben, egal ob relevante oder nicht, die über die Eckpfeiler des Geschehens hinausgehen. Dort, wo der Beschwerdeführer sich bemühte, seine Angaben etwas konkreter auszugestalten, wurden sie regelmäßig widersprüchlich und unplausibel. Die diesbezüglichen Mängel des Vorbringens waren auch bei einem Minderjährigen beweiswürdigend zu berücksichtigen.

2.1. Zum Vorbringen der drohenden Zwangsrekrutierung:

Der Beschwerdeführer brachte in der Einvernahme vor dem Bundesamt vor, die Taliban hätten das Wohnhaus der Familie drei Mal aufgesucht und die Herausgabe des Beschwerdeführers gefordert. Der Beschwerdeführer habe sie nicht gesehen, weil er sich bei allen drei Besuchen in seinem Zimmer in der Dusche versteckt habe, die Taliban hätten gesucht, ihn aber nicht gefunden. Beim dritten Mal sei der Besuch „ernsthafter“ gewesen, die Taliban hätten ihn und den Vater mit dem Tod bedroht, wenn der Vater ihn nicht hergebe vergleiche Einvernahme BFA AS 93ff).

Die Schilderung des Beschwerdeführers von den angeblichen Besuchen der Taliban ist nicht glaubhaft. Die wenigen konkreten Angaben zu diesem Vorbringen wurden meist erst auf Nachfrage gemacht und wirken wie aus Verlegenheit improvisiert, so etwa die Angabe, der Beschwerdeführer habe sich in der Dusche in seinem Zimmer versteckt (AS 93f). Der Beschwerdeführer konnte nicht angeben, ob es etwa einen Duschvorhang gab. Es ist nicht glaubhaft, dass die Taliban ihn bei einer mehrmaligen Nachschau nicht gefunden haben sollen, genauso wenig, dass sich der Beschwerdeführer auch bei den weiteren Besuchen kein besseres Versteck überlegte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hielt der Beschwerdeführer diese offensichtlich nicht glaubhaften Angaben auch nicht aufrecht und behaupte - nachdem er zuerst wieder angegeben hatte, er sei in seinem Zimmer gewesen vergleiche Verhandlungsprotokoll S.5) - er habe sich im Schlafzimmer der Eltern versteckt, und die Taliban hätten zwar das Haus durchsucht, aber im Schlafzimmer der Eltern nicht nachgesehen, weil sie Zimmer, wo sich Frauen aufhalten, nicht betreten würden vergleiche Verhandlungsprotokoll Sitzung 7). Auch dieser neuen Version kommt keine größere Glaubhaftigkeit zu, da die Taliban, wenn sie eine solche Rücksichtnahme überhaupt an den Tag legen würden, einen Weg gefunden hätten, des Beschwerdeführers habhaft zu werden, etwa indem sie die Frauen aus dem Zimmer befohlen hätten.

Fragen beantwortete der Beschwerdeführer meist entweder nicht oder ausweichend oder widersprüchlich, etwa gab er zuerst an, der Vater habe den Taliban nur gesagt, er sei nicht da, dann, er sei bei seinem Onkel (AS 94). In der Einvernahme vor dem Bundesamt gab der Beschwerdeführer an, er sei bei allen drei Besuchen der Taliban zu Hause gewesen vergleiche Einvernahme BFA 07.03.2023 AS 93f). In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer hingegen an, er sei beim dritten Mal bei seinem Onkel gewesen. Nicht nachvollziehbar ist auch die Angabe des Beschwerdeführers, sein Vater hätte gegenüber den Taliban immer angegeben, der Beschwerdeführer sei bei seinem Onkel, an einem Ort, wo sich der Beschwerdeführer nach dessen Angaben sehr oft und während des dritten Besuchs der Taliban gerade eben dort aufhielt. Widersprüche weisen die Angaben des Beschwerdeführers auch in anderer Hinsicht auf, laut Einvernahme vor dem Bundesamt hat er die Taliban bei keinem ihrer Besuche gesehen (AS 95), in der Beschwerdeverhandlung gab er an, er habe die Taliban aus dem Fenster beobachtet, wie sie mit seinem Vater sprachen vergleiche Verhandlungsprotokoll S.5).

In Summe konnte nicht glaubhaft gemacht werden, dass sich die behaupteten Besuche der Taliban tatsächlich ereignet hätten.

Das den Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat zu entnehmende Bild zeigt zwar grundsätzlich ein mögliches Risiko einer Zwangsrekrutierung. Dennoch ist in diesen festgehalten, dass die Taliban auch vor ihrer Machtübernahme an keinem Mangel an Freiwilligen bzw. Rekruten litten und Zwangsrekrutierungen daher einen Ausnahmefall darstellen und keinesfalls systematisch betrieben wurden. Umso mehr ist das nach der Machtübernahme der Fall, es wurden nur vereinzelte Fälle berichtet. Da der Beschwerdeführer wie dargelegt kein diesbezügliches Risikoprofil verwirklicht, ist auch vor dem Hintergrund der Länderberichte von keiner Gefährdung des Beschwerdeführers durch eine mögliche Zwangsrekrutierung auszugehen.

2.2. Zum Vorbringen, der Vater sei wegen eines Mordes in der Nachbarschaft in Verdacht geraten und der Beschwerdeführer deswegen einer Verfolgung ausgesetzt:

Der Beschwerdeführer gab an, er habe wegen eines unaufgeklärten Mordes Probleme bekommen, sein Vater sei als Täter verdächtigt worden.

Auch die Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens leidet am Mangel konkreter Angaben des Beschwerdeführers. Weder konnte der er zu dem angeblichen Mord oder zur Person des Opfers Näheres angeben, noch dazu, aus welchen Gründen der Vater eine Verdacht auf sich gezogen haben soll vergleiche Einvernahme BFA, AS 97). Zudem weisen auch die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers erhebliche Widersprüche auf. Nach dem Zeitpunkt des Mordes befragt, gab der Beschwerdeführer in der Einvernahme an, der Mord sei nach seiner Ausreise aus Afghanistan begangen worden. Wie jedoch aus den übrigen Angaben des Beschwerdeführers hervorging, muss der Mord, mit dessen Begehung der Vater verdächtigt worden sein soll, zur Zeit der Besuche der Taliban bzw. kurz davor geschehen sein, die Leiche soll ja zu dieser Zeit vor das Haus gelegt worden sein vergleiche Einvernahme BFA, AS 93, Verhandlungsprotokoll S.5). Auf die Frage seiner rechtlichen Vertretung gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht schließlich explizit an, er sei zu diesem Zeitpunkt noch in Afghanistan gewesen vergleiche Verhandlungsprotokoll Sitzung 9). Dieser Punkt ist auch deshalb von Belang, da der Mord der Grund für die Ausreise des Vaters gewesen sein soll. Auch bezüglich des Zeitpunkts der Ausreise des Vaters verwickelte sich der Beschwerdeführer in Widersprüche. Zunächst gab er in der Einvernahme vor dem Bundesamt an, die Ausreise seiner Familie sei zweieinhalb Monate (AS 90) bzw. drei Monate (AS 95) vor der Einvernahme erfolgt, was ein Ausreisedatum der Familie Ende 2022 bedeuten würde. Darauf hingewiesen, dass dies einen Zeitraum von eineinhalb Jahren nach der Ausreise des Beschwerdeführers ergäbe, gab der Beschwerdeführer nun an, die Familie sei doch schon vor acht oder neun Monaten weggegangen, die Familie wäre somit Mitte 2022 ausgereist.

In der mündlichen Verhandlung ging der Beschwerdeführer zu der Behauptung über, „vielleicht“ habe seine Familie das Land einen Monat oder weniger nach ihm verlassen vergleiche Verhandlungsprotokoll S.5) „er glaube“, die Familie (und somit auch der Vater) habe das Herkunftsland einen Monat nach dem Beschwerdeführer verlassen vergleiche Verhandlungsprotokoll S.9), das wäre dann September oder Oktober 2021. Dies ist nicht nur aufgrund der oben genannten Angaben nicht glaubhaft, zumal der Beschwerdeführer sogar in derselben Verhandlung zuvor noch ausgeführt hatte, dass er zum Zeitpunkt der Ausreise der Familie aus Afghanistan bereits in Österreich gewesen sei vergleiche Verhandlungsprotokoll Sitzung 4), wonach die Familie ebenfalls erst frühestens im Herbst 2022 ausgereist sein könnte. Auch in der Erstbefragung am 26.8.2022 hatte der Beschwerdeführer angegeben, dass sich sein Vater in AFG befinden würde vergleiche AS 9).

In Summe ist davon auszugehen, dass der Vater des Beschwerdeführers sich nach dem Mord, den der Beschwerdeführer als Verfolgungsgrund angibt, mindestens noch ein Jahr im Herkunftsstaat aufgehalten hat. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Vater des Beschwerdeführers unter der Bedrohung, wegen Mordes von den Taliban belangt zu werden, so lang offenbar unbehelligt ausgeharrt und die Flucht nicht früher bewerkstelligt hat. Die Behauptung von der Messerwunde, die sein Vater erlitten haben soll, wurde vor der Beschwerdeverhandlung nicht erwähnt und ist nicht durch nähere Angaben substantiiert worden. Auch die vorgelegten Bilder haben keinerlei Aussagewert, da die Aufnahme nur einen anonymen Bauch zeigt und keiner Person zuordenbar ist. Der Beschwerdeführer konnte weder angeben, wann der Messerangriff geschehen sein soll, noch wie die Bilder zu ihm gelangt sind. Insgesamt ist von einer nicht glaubhaften Steigerung des Fluchtvorbringens auszugehen.

2.3. Zum Vorbringen, es wären viele Mitarbeiter der früheren Regierung zu Gast gewesen und der Vater sei deshalb von den Taliban verfolgt worden:

Dass der Vater des Beschwerdeführers, der nach dessen Angaben einen Obstgarten bewirtschaftete, derartige Beziehungen zur Regierung gehabt haben soll, konnte vom Beschwerdeführer nicht plausibel dargelegt werden. Das Vorbringen ließ sich zu keinen anderen Angaben des Beschwerdeführers in Beziehung setzen und war auch aufgrund des Umstandes, dass es erstmals kurz vor Schluss der Beschwerdeverhandlung geäußert wurde vergleiche Verhandlungsprotokoll Sitzung 9), als nicht glaubhaft zu bewerten.

Aufgrund all dieser Umstände hält das Bundesverwaltungsgericht die Angaben zu einer Verfolgung des Vaters des Beschwerdeführers durch die Taliban nicht für glaubhaft, und somit ist auch keine Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund der Zugehörigkeit zur Familie des Vaters bzw. aufgrund von „Sippenhaftung“ anzunehmen.

Aus einer Gesamtschau der oben angeführten Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren ergibt sich somit, dass der Beschwerdeführer mit dem genannten Vorbringen eine im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bestehende Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft gemacht hat. Auch in Anbetracht der zum Zeitpunkt der vorgebrachten Ereignisse noch vorliegende Minderjährigkeit des Beschwerdeführers konnte der gravierende Mangel an Konsistenz und Konkretheit des Vorbringens beweiswürdigend nicht unberücksichtigt bleiben.

Es konnte weder eine konkret gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete asylrelevante Verfolgung festgestellt werden, noch sind im Verfahren sonst Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine mögliche Verfolgung im Herkunftsstaat für wahrscheinlich erscheinen lassen hätten.

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (in der Folge: GFK) droht.

Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG liegt es am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht.

Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich jedoch, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist. Er hat nicht glaubhaft machen können, dass er von den Taliban bedroht worden ist und ihm individuell und konkret eine Verfolgung durch Zwangsrekrutierung durch die Taliban droht. Es sind auch im Verfahren sonst keine Gründe hervorgekommen, warum gerade der Beschwerdeführer von der Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban betroffen sein soll.

Der Beschwerdeführer hat zudem nicht glaubhaft gemacht, dass er oder sein Vater einer Verfolgung aufgrund von Verdächtigungen im Zusammenhang mit einem unaufgeklärten Mordfall ausgesetzt wäre. Auch konnte der Beschwerdeführer eine Verfolgungsgefahr in Afghanistan seitens der Taliban wegen der Beziehungen seines Vaters zu Mitarbeitern der früheren afghanischen Regierung nicht glaubhaft machen.

Im Ergebnis liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, nicht vor.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.


European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2024:W285.2275254.1.00