Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

04.06.2024

Geschäftszahl

W268 2253635-1

Spruch


W268 2253635-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Iris GACHOWETZ als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 StA. Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. römisch 40 ,nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 02.05.2024 zu Recht:

A)

römisch eins. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

römisch II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

römisch III. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

römisch IV. Die Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 22.08.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 23.08.2021 fand eine Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Am 11.11.2021 wurde eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durchgeführt.

Als Fluchtgründe gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen die schlechte Sicherheitslage und die Dürre in Somalia an.

2. Am 16.11.2021 erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zur Länderinformation der Staatendokumentation.

3. Mit im Spruch angeführtem Bescheid vom römisch 40 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.) und gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) sowie gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß Paragraph 46, FPG nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG wurde für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen festgelegt (Spruchpunkt römisch VI.).

4. Gegen den am 16.02.2022 rechtswirksam zugestellten Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner rechtlichen Vertretung fristgerecht am 11.03.2022 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und beantragte unter anderem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

5. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.01.2024 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W268 neu zugewiesen.

6. Am 02.05.2024 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers statt.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist somalischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Darod und dem Clan römisch 40 an. Seine Identität steht fest. Er bekennt sich zum sunnitischen Islam und spricht muttersprachlich Somalisch sowie Arabisch und Englisch. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer wurde in römisch 40 , Puntland (Somalia) geboren, wo er auch bis zum Tod des Vaters mit seiner Familie wohnte. Er verließ Somalia im Alter von sieben Jahren und hielt sich anschließend vierzehn Jahre in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf, wovon er zwölf Jahre die Schule besuchte und zwei Jahre als Angestellter arbeitete. Der Beschwerdeführer hat in Somalia keine Angehörigen mehr. Die Mutter des Beschwerdeführers lebt zusammen mit den (Halb)geschwistern des Beschwerdeführers und ihrem neuen Ehemann in Äthiopien.

Der Beschwerdeführer verließ die Vereinigten Arabischen Emirate Ende 2020 legal mit dem Flugzeug in die Türkei, wo er sich legal neun Monate aufhielt. Im Sommer 2021 verließ er die Türkei und reiste über Griechenland, Albanien, den Kosovo, Serbien und Ungarn irregulär ins Bundesgebiet ein und stellte am 22.08.2021 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich seither durchgehend in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Mit Bescheid des AMS vom 06.06.2023 wurde ihm eine Beschäftigungsbewilligung erteilt und er geht derzeit einer Beschäftigung in der Gastronomie nach. Er bezieht ein monatliches Bruttogehalt von etwa 1800€ und besucht nebenbei Deutschkurse.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist im Zusammenhang mit der behaupteten, an seinem Vater verübten Blutrache, keinen Verfolgungshandlungen und Bedrohungen ausgesetzt (gewesen). Er ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und es drohen ihm weder aufgrund seines Religionsbekenntnisses noch seiner Volksgruppen- bzw. Clanzugehörigkeit oder aus politischen Gründen Probleme bzw. eine Verfolgung durch Privatpersonen oder die somalischen Behörden.

1.3. Zur Rückkehrmöglichkeit nach Somalia:

Der Beschwerdeführer kann aufgrund der dort schlechten allgemeinen Versorgungslage nicht in seinen Herkunftsort zurückkehren. Er kann sich auch nicht an einem anderen Ort wie Mogadischu niederlassen und seinen Unterhalt verdienen, um dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen.

1.4. Zur maßgeblichen Lage in Somalia werden nachfolgende Feststellungen getroffen (Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zu Somalia, Version 6, Stand 08.01.2024):

Politische Lage

Letzte Änderung 2024-01-03 09:48

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 15.5.2023). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2022a).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung 2024-01-03 09:48

Staatlichkeit: Somalia wird als der am meisten gescheiterte Staat der Welt beschrieben, das Land verfügt über keine einheitliche Regierung. Seit dem Zusammenbruch des autoritären Regimes von Mohamed Siad Barre im Jahr 1991 kämpft Somalia darum, eine Regierung zu bilden (Rollins/HIR 27.3.2023). Nach anderen Angaben ist Somalia zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind demnach sehr schwach, wesentliche Staatsfunktionen können von ihnen nicht ausgeübt werden. Es gibt jedenfalls keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 15.5.2023). Denn obwohl das Land nominell von Präsident Hassan Sheikh Mohamud regiert wird, steht ein Großteil des Landes nicht unter staatlicher Kontrolle. Al Shabaab kontrolliert fast 70 % von Süd-/Zentralsomalia (Rollins/HIR 27.3.2023).

Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, ihren Pflichten aus dem Gesellschaftsvertrag (nach westlicher Konzeption des Nationalstaates) in und um Mogadischu auch nur teilweise nachzukommen, geschweige denn ein landesweites Gewaltmonopol zu errichten. Sie bietet ihren Bürgern derzeit nur wenige wesentliche Dienstleistungen an. Die ständige Instabilität bleibt ein prägendes Merkmal des Lebens. Viele Menschen verlassen sich hinsichtlich grundlegender Dienstleistungen und Schutz weiterhin auf bestehende traditionelle, informelle Institutionen (Sahan/SWT 5.6.2023). Denn der Staat leidet an gescheiterten Institutionen, vom Gesundheitswesen bis zu den Sicherheitskräften. Persönlichkeitsorientierter Politik wird Vorrang gewährt. Informelle politische und Clanbeziehungen dominieren einen fragilen Staat. Und die immer noch offene institutionelle Lücke wird durch eine Reihe anderer Akteure – darunter al Shabaab – aufgefüllt (Sahan/Awad 28.8.2023).

Die Bundesregierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 2023a), da sie nur wenige Gebiete kontrolliert (BS 2022a). Gleichzeitig gilt Somalia als eines der korruptesten Länder der Welt und die Regierung ist zum Überleben stark auf internationale Hilfe angewiesen (Rollins/HIR 27.3.2023). Die Unfähigkeit, gegen die endemische Korruption vorzugehen, behindert den Staatsbildungsprozess und den Aufbau von Institutionen; der politische Machtkampf hat das Vertrauen der Bevölkerung in bestehende staatliche Institutionen weiter geschwächt, die politischen Konflikte haben die Kluft zwischen den Fraktionen vergrößert (BS 2022a).

Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten (USDOS 12.4.2022). Seit 2016 und 2017 die fünf Bundesstaaten gegründet wurden, stockt der Verfassungsprozess. Grundlegende Fragen des Staatsaufbaus sind nicht geklärt. Dies lähmt staatliches Handeln und fördert politische Spannungen zwischen Mogadischu und den föderalen Gliedstaaten, weil eben die Verfassungsgebung und Kompetenzverteilung noch immer nicht abgeschlossen sind (AA 15.5.2023).

Regierung: Unter der bestehenden Übergangsverfassung aus dem Jahr 2012 wird der Präsident für eine Amtszeit von vier Jahren von einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments gewählt. Der Präsident teilt sich seine exekutive Macht mit dem Premierminister, der wiederum nur mit Unterstützung des Parlaments arbeiten kann (FH 2023a).

2017 wurde Farmaajo als Präsident gewählt, sein Mandat endete eigentlich Anfang 2021 (FH 2023a), er regierte aber bis Mai 2022 weiter (AA 15.5.2023). Somalia stürzte in eine schwere Verfassungs- und politische Krise (Sahan/Bryden 9.2.2021), in deren Folge es in Mogadischu zwischen Kräften der Regierung und Kräften der Opposition auch zu Kampfhandlungen kam (UNSC 19.5.2021). Mit der erneuten Wahl des ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamud (2012-2017) am 15.5.2022 wurde der Wahlprozess mit großer Verzögerung abgeschlossen. Trotz aller Bekundungen konnten die - eigentlich für Ende 2020 geplanten - Parlamentswahlen nicht demokratisch gestaltet werden. Stattdessen wurde wieder auf einen Selektionsprozess ähnlich wie bei den Wahlen 2016 zurückgegriffen (AA 15.5.2023; vergleiche ÖBN 11.2022). Es gab 33 Kandidaten für das Präsidentenamt, darunter eine Frau. Die Präsidentschaftswahlen selbst wurden als friedlich und transparent bezeichnet (UNSC 1.9.2022a). In der letzten Wahlrunde erhielt Farmaajo 110 Stimmen, Hassan Sheikh Mohamud 214 Stimmen (FH 2023a). Der Wahlsieg wurde allgemein akzeptiert (AA 15.5.2023; vergleiche UNSC 1.9.2022a). Am 9.6.2022 wurde der neue Präsident ins Amt eingeführt (UNSC 1.9.2022a). Hamza Abdi Barre trat im Juni 2022 sein Amt als Premierminister an. Im August 2022 wurde ein neues Kabinett bestehend aus 75 Ministern, stellvertretenden Ministern und Staatsministern ernannt (FH 2023a). Gleichzeitig arbeitet die Regierung vermehrt mit Sonderbeauftragten. Damit sollen mitunter Akteure der vormaligen Regierung umgangen werden (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Zudem musste Hassan Sheikh viele seiner Unterstützer inkludieren, damit diese nicht zur Opposition wechseln. Insgesamt ist die Regierung laut einer Quelle ausgewogen (DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023).

Parlament, Wahlen und Demokratie: Die provisorische Verfassung sieht ein Zweikammernparlament mit einem 275-köpfigen Unterhaus und einem 54 Senatoren umfassenden Oberhaus vor (HIPS 1.11.2021). Die Mitglieder zum Oberhaus werden von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt. Die Wahlen zum Oberhaus begannen im Juli 2021 und konnten nach Monaten der Streitigkeiten im November 2021 abgeschlossen werden (FH 2023a). Sie wurden auf voller Breite manipuliert, nur um 15 der 54 Sitze gab es tatsächlich einen Wettstreit. Die meisten Senatoren sind nunmehr de facto von den Präsidenten der Bundesstaaten nominierte (HIPS 8.2.2022) Alliierte, Freunde und manchmal auch Familienangehörige. Insgesamt hat es sich nicht um einen glaubwürdigen Wahlbewerb gehandelt, der Vorgang kann kaum als "Wahl" bezeichnet werden (HIPS 1.11.2021).

Bei der Wahl zum Unterhaus wählen Älteste und Gruppen der Zivilgesellschaft eines bestimmten Subclans Wahlmänner, welche als Delegierte dann wiederum einen Abgeordneten küren. Senatoren und Abgeordnete wählen schlussendlich den Präsidenten. Der Manipulation sind Tür und Tor geöffnet (FP 22.9.2021). Eigentlich war für die Wahlen vorgesehen, dass jeder einzelne Unterhausabgeordnete von 101 Wahldelegierten seines Clans gewählt wird (2017 waren es 51 Delegierte pro Sitz). Später wurde die Zahl auf 67 Delegierte pro Sitz gesenkt (HIPS 1.11.2021). Insgesamt wurden die Wahlen durch innenpolitische Streitigkeiten für mehr als ein Jahr verzögert. Die Abgeordneten wurden in indirekter Wahl von Delegierten gewählt (AA 15.5.2023; vergleiche UNSC 13.5.2022). In diesem Wahlsystem spielt eine begrenzte Anzahl an Volksvertretern eine sehr eingeschränkt demokratische Rolle (BS 2022a). Es musste eine allseits akzeptierte Repräsentation der verschiedenen Clans sowie der Gliedstaaten sichergestellt werden, was den Prozess der Delegiertenbestimmung sehr langwierig und intransparent machte. Die Legitimität der letzten Wahlprozesse war noch weitestgehend akzeptiert. Der derzeitige Prozess wird von verschiedenen nationalen und internationalen Politikern und Beobachtern hinsichtlich seiner Legitimität in Frage gestellt (AA 15.5.2023). Tatsächlich ist es auf breiter Front zu Wahlmanipulationen gekommen (HIPS 8.2.2022; vergleiche ÖBN 11.2022) bzw. gab es zahlreiche Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten und einen Mangel an Transparenz (UNSC 8.2.2022) sowie hinsichtlich Bestechung (AA 15.5.2023; vergleiche Sahan/SWT 18.8.2023). Der Wahlvorgang wird von einer Quelle als die korrupteste, intransparenteste und teuerste Wahl in der jüngeren Geschichte Somalias bezeichnet. Viele der Abgeordneten haben demnach ihre Stimme an den Höchstbietenden verkauft (Sahan/SWT 18.7.2022; vergleiche FH 2023a).

Am 28.4.2022 wurde der Wahlprozess der am 29.7.2021 begonnenen Parlamentswahlen abgeschlossen (AA 15.5.2023). Alle 275 Abgeordneten zum Unterhaus waren gewählt, 20 % davon sind Frauen (UNSC 13.5.2022). Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den [sogenannten] kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 20.3.2023; vergleiche AA 15.5.2023; ÖBN 11.2022; BS 2022a). Seit dem Jahr 2000 gilt diese 4.5-Formel, die eigentlich dazu bestimmt war, Somalia vorübergehend Stabilität zu verleihen. Allerdings hat sie sich bezüglich der Entwicklung des Landes als kontraproduktiv erwiesen. Denn mit ihr sind Clanzugehörigkeit und -Loyalität wieder wichtiger geworden als die Loyalität zum Staat (Sahan/SWT 28.3.2022). Zudem sind im Rahmen der 4.5-Formel die Toppositionen der Bundesregierung für Darod und Hawiye reserviert (ACLED 28.7.2023). Trotzdem sorgt dieses System dafür, dass viele Clans repräsentiert werden (Sahan/SWT 16.6.2023). Nach Angabe eines Experten ist das 4.5-System zwar in vielerlei Hinsicht unfair; doch es ist gegenwärtig jenes System, das wenigstens ein Minimum an Stabilität garantiert (AQ21 11.2023).

Seit Jahrzehnten hat es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder nationaler Ebene mehr gegeben (AA 15.5.2023; vergleiche FH 2023a). In Süd-/Zentralsomalia gibt es keine demokratischen Institutionen. Somalia ist keine Wahldemokratie und hat auch keine strikte Gewaltenteilung, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2022a). Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung demokratisch nicht legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clanstrukturen) vergeben (AA 15.5.2023). Eine andere Quelle gibt zu bedenken: Auch wenn sie nicht wirklich frei und fair waren, so haben die in den letzten zwei Jahrzehnten in Somalia durchgeführten indirekten Wahlen zu Ergebnissen geführt, die im Allgemeinen von den politischen Akteuren und der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert wurden. So wurden durch einen - gewaltfreien - Wahlprozess jeweils schwache, aber akzeptierte Institutionen geschaffen (HIPS 1.11.2021). Generell sind zwar immer wieder progressive Bemühungen zu beobachten, jedoch scheint der Druck der konservativen Eliten im Land oftmals größer zu sein als das tatsächliche Bewusstsein in Bezug auf Demokratie und Menschenrechte (ÖBN 11.2022).

Im Mai 2023 wurde beschlossen, dass am 30.6.2024 Kommunalwahlen und am 30.11.2024 Wahlen auf Bundesstaatsebene stattfinden sollen. Beide Wahlen sollen als allgemeine Wahlen durchgeführt werden (UNSC 15.6.2023; vergleiche Sahan/SWT 9.6.2023). Dies scheint allerdings unrealistisch (Sahan/SWT 9.6.2023).

Aktuelle politische Lage: Der Präsident setzt auf ein klares und geregeltes Verhältnis zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten - auch wenn dabei noch ein weiter Weg zu gehen sein wird. Hassan Sheikh versucht zudem, Versäumnisse der Vorgängerregierung aufzuholen. Er hat in den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit mehr Gesetzesvorschläge (z.B. zum Nachrichtendienst, zur Stromversorgung, zur Fischerei) im Parlament zur Abstimmung gebracht als sein Vorgänger in fünf Jahren (BMLV 1.12.2023). Seine moderat-islamische politische Ausrichtung (BMLV 1.12.2023; vergleiche Sahan/SWT 28.6.2022) entspricht de facto der Ausrichtung der Muslimbruderschaft (BMLV 1.12.2023). Der Präsident stützt sich dabei auf die von ihm gegründete politische Partei, Union for Peace and Development (AQ13 6.2023; vergleiche BMLV 1.12.2023), der fast alle vom Präsidenten ernannten Personen angehören und über deren Inhalte wenig bekannt ist (AQ13 6.2023), und die islamische Gruppierung Damul Jadiid (Neues Blut) (BMLV 1.12.2023).

Präsident Hassan Sheikh hat von seinem Vorgänger eine politisierte, parteiische und unfähige Bürokratie geerbt. Die Nabad iyo Nolol (N&N, Friede und Leben), die Partei von Ex-Präsident Farmaajo, hat fünf Jahre damit verbracht, die Verwaltung zu zentralisieren (Sahan/SWT 17.6.2022). Zudem hatte die salafistische al I'tisaam unter Präsident Farmaajo an Macht gewonnen. Die Gruppe erachtet die Demokratie als Verletzung der Scharia (Sahan/SWT 5.9.2022) und gilt als ideologischer Bruder von al Shabaab (Sahan/Bacon/Guiditta 7.8.2023). Al I'tisaam verfolgt de facto die gleichen Ziele wie al Shabaab – aber ohne Gewalt. Dafür versucht die Gruppe die Wirtschaft zu beeinflussen. Gleichzeitig gibt es zwischen beiden Gruppen einen Dialog (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Mit dieser Nähe ist unter Farmaajo die Grenze zwischen Regierung und Rebellen verschwommen. Al Shabaab hat damals mitunter auch Gegner des Präsidenten angegriffen und getötet. Präsident Hassan Sheikh ist eindeutig gegen al Shabaab eingestellt (IO-D/STDOK/SEM 4.2023), die Bundesregierung dem Kampf gegen die Gruppe verpflichtet (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Der Präsident hat die internationale Gemeinschaft und Clanmilizen mobilisiert und war damit relativ erfolgreich. Größerer Teile von Galmudug und HirShabelle konnten so eingenommen werden (IO-D/STDOK/SEM 4.2023).

Um den Einfluss von N&N zu tilgen und eine inklusive Politik umzusetzen, wird es Zeit brauchen. Gleichzeitig wird N&N alles daran setzen, von Hassan Sheikh vorangetriebene Reformen zu sabotieren (Sahan/SWT 17.6.2022). Folglich ist das Machtzentrum Somalias nach der Machtübernahme durch den neuen Präsidenten paralysiert. Eine Elite im Wettstreit stehender islamistischer Fraktionen, die allesamt dem Föderalismus abgeneigt sind, versucht, Reformen zu hintertreiben oder rückgängig zu machen. Präsident Hassan Sheikh möchte eine eigene Fraktion, Damul Jadiid, stärken. Insgesamt ist die Politik in Somalia zunehmend in der Hand von Eliten und fraktioniert (Sahan/SWT 28.6.2022). Ex-Präsident Farmaajo nutzt massiv die Sozialen Medien, um gegen Präsident Hassan Sheikh zu agieren (AQ14 8.2023; vergleiche DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023). Andererseits besteht der Verdacht, dass jene Personen, die zuletzt wegen Korruption verfolgt worden sind, aufgrund politischer Rivalitäten verfolgt werden. Die Vorgangsweise bedeutet, dass die NISA nach wie vor politisch agiert (AQ14 8.2023).

Es läuft ein verzweifelter Kampf um die Macht zwischen Damul Jadiid und der Gegenseite (Daljir) (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Vierzehn Monate nach Beginn der Amtszeit von Hassan Sheikh deutet alles auf Zwietracht hin. Grundlegende Brüche beginnen wieder zum Vorschein zu kommen (Sahan/SWT 7.7.2023). Eine direkte, ernste Konfrontation ist demnach nicht auszuschließen, und die Regierung wankt (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Der Präsident steht am Rand; er muss die Offensive gegen al Shabaab gewinnen, sonst gewinnt die Gegenseite an Stärke. römisch fünf.a. Abgaal sind dabei, die Pläne des Präsidenten zu manipulieren (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Und es ist nicht auszuschließen, dass Farmaajo nur deshalb friedlich sein Amt geräumt hat, um nach Hassan Sheikh wieder an die Macht zurückzukehren (DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023).

Generell ist die politische Landschaft durch ein komplexes Zusammenspiel von Clandynamiken, regionalen Rivalitäten und Machtkämpfen auf oberen Ebenen gekennzeichnet. Clanbasierte Politik und Identitäten haben die Bildung politischer Allianzen und Konflikte im ganzen Land erheblich beeinflusst. Verschiedene Fraktionen und regionale Regierungen wetteifern um die Macht, was zu politischer Fragmentierung und einem Mangel an kohärenter Regierungsführung geführt hat. Der erste nennenswerte Ausdruck der Zwietracht in der aktuellen Regierung kam im Jänner 2023, als Puntland sich bis zur Verabschiedung der endgültigen somalischen Verfassung für unabhängig von der Bundesregierung erklärt hatte. Im Juni 2023 verkündete der ehemalige Gouverneur Ali Jeyte Osman einseitig die Trennung der Region Hiiraan vom Bundesstaat HirShabelle. Im Bundesstaat SWS kam es zu Spannungen in Baraawe, und auch in der zum Bundesstaat Jubaland gehörenden Region Gedo sind erneut Spannungen aufgetreten (Sahan/SWT 7.7.2023).

Föderalisierung: Die Übergangsverfassung sieht föderale Strukturen mit zwei Regierungsebenen vor: Die Bundesregierung (Federal Government) sowie die Bundesstaaten (Federal Member States), welche auch Lokalregierungen umfassen (SIDRA/Salim 1.12.2022). Seit damals sind sechs Entitäten durch die Bundesregierung als Bundesstaaten anerkannt worden: Puntland, Galmudug, Jubaland, South West State (SWS) und HirShabelle. Jeder dieser Bundesstaaten hat eine eigene Verfassung. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet (UNHCR 22.12.2021). Die Hauptstadtregion Benadir (Mogadischu) verbleibt als Banadir Regional Administration/BRA unter direkter Kontrolle der Bundesregierung (HIPS 8.2.2022). Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (STDOK 8.2017).

Ein Jahrzehnt nach Einführung der föderalen Verfassung gibt es nur geringe Fortschritte hinsichtlich der Implementierung funktionierender Beziehungen zwischen den Regierungsebenen. Die Judicial Service Commission sowie das Verfassungsgericht wurden immer noch nicht eingerichtet, es gibt keine Möglichkeit, Konflikte zwischen den Regierungsebenen geregelt zu lösen. Die Verfassungen der Bundesstaaten widersprechen teilweise der Bundesverfassung, was wiederum zu Spannungen in den Beziehungen zwischen den Regierungsebenen führt. So sieht z.B. die puntländische Verfassung diplomatische Beziehungen des Bundesstaates vor, obgleich die Außenpolitik laut Bundesverfassung bei der Bundesregierung liegt (SIDRA/Salim 1.12.2022). Gleichzeitig wurden zahlreiche Befugnisse nicht geklärt. Das betrifft die Verteidigung, welche militärischen Truppen und Polizeieinheiten vor Ort eingesetzt werden können, die Frage der Ressourcenverteilung, die Verteilung von internationalen Hilfsgeldern. Auch Entwicklungszusammenarbeitsprojekte werden über die Zentralregierung in Mogadischu abgewickelt, und die Verteilung auf die Regionen ist strittig, ebenso die Fragen, wer welche Hoheiten über welche Verträge hat (ACCORD 31.5.2021).

Präsident Farmaajo hatte versucht, die Macht wieder zu zentralisieren (TNYT 14.4.2021). Unter der neuen Regierung sind die Spannungen zwischen den Bundesstaaten und der Regierung vorerst weitestgehend abgeflaut (BMLV 1.12.2023; vergleiche ÖBN 11.2022). Eine Ausnahme bildet Puntland, das die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung aufgekündigt hat (BMLV 1.12.2023). Trotzalledem hat sich der National Consultative Council (NCC) im Jahr 2023 bereits zweimal getroffen. Dieser umfasst die Führungen von Bundesregierung und Bundesstaaten (UNSC 15.6.2023). Bei den NCCs war Puntland nicht vertreten (UNSC 15.6.2023; vergleiche DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023).

Demokratie - Bundesstaaten: Die Bundesstaaten nutzen bei der Bildung ihrer Legislative ebenfalls Clan-basierte Machtteilungssysteme statt direkter Wahlen (FH 2023a). Abgesehen von Puntland werden sich die Wahlen in den Bundesstaaten Galmudug, HirShabelle, Jubaland und dem SWS verzögern. Die Parlamente dieser Bundesstaaten haben letztes Jahr beschlossen, die Amtszeit der jeweiligen Präsidenten auf fünf Jahre zu verlängern (ACLED 28.7.2023). Sowohl in Jubaland als auch im SWS gibt es diesbezüglich Widerstand der Opposition. Fast jeder Bundesstaat erlebt derzeit irgendeine Form von politischem Aufruhr aufgrund von Meinungsverschiedenheiten im Wahlzeitplan. Galmudug bereitet sich auf Wahlen vor und wartet gleichzeitig auf die Möglichkeit einer verlängerten Amtszeit des Präsidenten, und die Verfassungskrisen in Puntland gehen weiter (Sahan/SWT 22.9.2023).

Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)

Letzte Änderung 2024-01-03 07:56

Benadir ist die einzige Region, über welche die Bundesregierung volle Kontrolle ausübt. Die Übergangsverfassung sieht vor, dass das Bundesparlament über den Status der Region Benadir - und damit den Status von Mogadischu - entscheiden muss. Bislang wurde keine Entscheidung gefällt, der Status von Benadir bleibt unklar (HIPS 8.2.2022). Der Status von Mogadischu ist eines der wichtigsten, nach wie vor unentschiedenen politischen Themen (SDP/SPA 14.9.2022). Da die Hauptstadt direkt der Bundesregierung untersteht, ernennt der somalische Präsident Bürgermeister (gleichzeitig Gouverneur von Benadir) und Stellvertreter (HIPS 8.2.2022; vergleiche SDP/SPA 14.9.2022) sowie alle District Commissioners. Zudem verwaltet die Bundesregierung alle in der Stadt eingehobenen Erträge (SDP/SPA 14.9.2022).

De facto wird Mogadischu von der Bundesregierung verwaltet (SDP/SPA 14.9.2022) und steht unter deren direkter Kontrolle. Diese wehrt sich auch dagegen, dass Benadir ein eigener Bundesstaat wird. Dadurch würde sie stark an Einfluss verlieren (HIPS 8.2.2022). Derzeit die BRA verfügt über eine funktionierende Regionalregierung und wird vom Bürgermeister von Mogadischu geführt (AI 13.2.2020). Die BRA konnte ihre Autorität innerhalb der Mischung informeller Machtmakler in Mogadischu langsam stärken. So werden z.B. Mietverträge zwischen IDP-Siedlungen und Grundbesitzern – zuvor mündlich – nunmehr schriftlich niedergelegt und bei der BRA hinterlegt. Damit ist auch die Zahl der Zwangsräumungen zurückgegangen (NH 17.8.2023).

In Mogadischu spielen die Hawiye/Abgaal sowie die Hawiye/Habr Gedir und die Hawiye/Murusade aufgrund der Bevölkerungsstruktur auch weiterhin eine dominierende Rolle (BMLV 1.12.2023).

Puntland (Bari, Nugaal, Teile von Mudug)

Letzte Änderung 2024-01-03 09:48

Puntland hat sich 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Es strebt nicht nach Unabhängigkeit von Somalia, hat sich aber eine entsprechende Option offengelassen. Heute ist Puntland einer von fünf Bundesstaaten Somalias – allerdings mit größerer Autonomie (AA 15.5.2023; vergleiche BS 2022b). Der Bundesstaat kann auf eigene staatliche Institutionen zurückgreifen, um Sicherheit und Verwaltung umzusetzen. Dabei agiert Puntland nahezu unabhängig von der Bundesregierung und boykottiert auch oft deren Entscheidungen (PGN 10.2020). Der Bundesstaat hat sich aus dem somalischen Staatsbildungsprozess weitgehend zurückgezogen. Zudem verfügt Puntland über eine größere finanzielle Unabhängigkeit von der Bundesregierung (AA 15.5.2023). Puntland hat einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert (AA 15.5.2023). Zudem beherrscht Puntland fast alle eigenen Landesteile. Damit ist Puntland der stabilste und am meisten entwickelte Bundesstaat Somalias (BS 2022b).

Anfang 2019 wählte das Parlament Saed Abdullahi Deni zum neuen Präsidenten. Der bisherige Präsident Abdiweli Mohamed Ali 'Gaas' wurde abgewählt, er akzeptierte die Niederlage (USDOS 12.4.2022). Die erste Amtsperiode von Präsident Deni endet im Jänner 2024 (Sahan/SWT 28.10.2022). Puntland verfolgt den Plan, im Jänner 2024 allgemeine Wahlen durchzuführen. Bis dato dienen die Parlamentarier eher der Regierung, als dass sie Volksvertreter darstellen würden. Zudem soll die Staatsgewalt künftig dezentralisiert werden (PP 18.8.2022). Parteien orientierten sich an Clanlinien und wohlhabenden Vorsitzenden, das Wahlverhalten spiegelt die Clanzusammensetzung der Bezirke wider. Eine inhaltliche Ausrichtung bzw. ein Wettbewerb der Parteien war nicht erkennbar (AA 15.5.2023). Das Wahlsystem in Puntland ist bislang stark Clan-bezogen. Die Majerteen-Clans erhalten den Präsidenten; die Dhulbahante den Vizepräsidenten; und die Warsangeli den Parlamentssprecher. Das Amt des Präsidenten rotiert zwischen Subclans der Majerteen (ACLED 28.7.2023).

Die von der Regierung angesetzte Wählerregistrierung für die angesetzten allgemeinen Lokalwahlen 2023 stieß in Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung. Diesbezüglich kam es am 6.2.2023 in Garoowe zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Zwei Gründe für die Ablehnung der Wählerregistrierung sind einerseits die bei den Wahlen 2021 festgestellte Korruption und andererseits die teilweise Ablehnung des Wahl- und Parteiensystems. Der aktuellen Regierung von Präsident Deni ist es nicht gelungen, diese Ablehnung zu beschwichtigen oder auszuräumen (BMLV 9.2.2023).

Am 25.5.2023 hat Puntland erfolgreich seine ersten direkten Kommunal- bzw. Gemeinderatswahlen seit 53 Jahren durchgeführt (HO 3.7.2023; vergleiche Sahan/SWT 26.5.2023). Insgesamt haben 3.775 Kandidaten von sieben politischen Parteien um 774 Sitze gekämpft. Allerdings haben einige einflussreiche Politiker und Mitglieder von Oppositionsgruppen in der Region Nugaal in Puntland die Wahlen boykottiert und die Übergangswahlkommission von Puntland gezwungen, die Wahlen in drei der 33 Bezirke, darunter auch in der Landeshauptstadt Garoowe, zu verschieben (HO 3.7.2023). Nach anderen Angaben wurden die Wahlen in 33 Bezirken durchgeführt und in drei Bezirken verschoben (ACLED 28.7.2023). Die Übergangswahlkommission hat erklärt, dass bei den Lokalwahlen ca. 173.000 der 385.000 registrierten Wähler tatsächlich auch gewählt haben (FTL 27.5.2023).

Die Gewinner der Wahl - namentlich Kaah, Mideeye und Sincad - werden als politische Parteien eingetragen. 17 % der gewählten Vertreter waren weiblich (UNSC 15.6.2023). Manche der im Mai gewählten Personen konnten aufgrund der politischen Unstimmigkeiten ihre Mandate nicht übernehmen (Sahan/SWT 30.8.2023). Zudem hatte die Opposition – u.a. die Partei Horseed, Mustaqbal und Ifeye – die Wahlen boykottiert. Im Vorfeld der Wahlen gab es politische Streitigkeiten und auch Gewalt (Sahan/SWT 26.5.2023).

Ende Juni 2023 hat das Parlament den Wahlprozess (Artikel 56, der Verfassung) geändert. Präsident und Vizepräsident sollen demnach nicht mehr vom Parlament, sondern in direkten Wahlen gewählt werden. Zudem sollen mehr Parteien zugelassen werden (HO 26.6.2023). Präsident Deni steht unter dem Verdacht, seine Amtszeit verlängern zu wollen (Sahan/SWT 26.6.2023a; vergleiche Sahan/SWT 30.8.2023). Der Versuch von Deni, die kontroversen Verfassungsänderungen durchzusetzen, hat eine bewaffneter Reaktion ausgelöst. Die tödliche Gewalt in Garoowe zwischen Oppositionskräften unter der Führung von Danaab-General Jim’aale Jama’ Takaar und regionalen Streitkräften von Puntland markiert eine besorgniserregende Eskalation. Auslöser war der vorgeschlagene Schritt zu einer Verfassungsänderung. Namentlich sollte Artikel 46 geändert werden, um die Zahl der registrierten politischen Parteien von drei auf fünf zu erhöhen; sowie Artikel 79, um die Amtszeit des Präsidenten zu verlängern. Der erste Änderungsantrag soll demnach den Einfluss der Oppositionsparteien schwächen, und der zweite soll Denis Amtszeit ausdehnen. Die Opposition lehnt beide Maßnahmen strikt ab (Sahan/SWT 26.6.2023a; vergleiche ACLED 30.6.2023). Die Spannungen sind im Juni 2023 eskaliert, mindestens 26 Menschen wurden bei Zusammenstößen zwischen Oppositions- und Regierungskräften in Garoowe getötet (ACLED 30.6.2023).

Die politische Lage in Puntland bleibt also weiterhin von den Auseinandersetzungen um die Abhaltung der anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen geprägt. Punkte wie die Wählerregistrierung, Wahltermine oder zugelassene Parteien werden in öffentlichen Aussagen gerne ins Treffen geführt bzw. beanstandet. Tatsächlich geht es bei dem Konflikt aber darum, dass einer der mächtigen Subclans der Darod / Majerteen / Mohamud Saleebaan (nämlich die Issa Mohamud) darauf besteht, dass der Präsidentenkreislauf zuerst beendet wird, bevor über allgemeine Wahlen oder Ähnliches gesprochen wird (BMLV 1.12.2023). Von den drei großen Clans der Majerteen / Ali Saleeban haben bereits zwei je zweimal den Präsidenten gestellt. Der dritte ist erst einmal zum Zug gekommen. Man will folglich erst dann allgemeine Wahlen haben, wenn auch der dritte Clan bedient worden ist. Deni hingegen forciert Wahlen. Dies hat zu den Unruhen geführt und sorgt weiter für Unruhe (BMLV 14.9.2023; vergleiche Sahan/SWT 30.8.2023). Tatsächlich können sich die Majerteen nicht darauf einigen, wer Puntland kontrollieren soll. Seit Wochen schwelt ein Streit über die Pläne des Präsidenten von Puntland, seine Amtszeit zu verlängern, was gegen eine informelle Machtteilungsvereinbarung zwischen mehreren Subclans der Majerteen verstoßen würde (NLM/Barnett 7.8.2023). Politiker und Oppositionsparteien haben vor dem Verfassungsgerichtshof von Puntland gegen die Verfassungsänderungen geklagt (Sahan/SWT 30.8.2023).

Gemäß einer Quelle vom 11.12.2023 hat Präsident Deni im Streit um die Wahlen nachgegeben. Demnach wird am 8.1.2024 durch die 66 Abgeordneten ein neuer Präsident gewählt werden (Sahan/SWT 11.12.2023).

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

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Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2023). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, wird die Lage über die Kontrolle geringer Teilgebiete von Puntland von al Shabaab beeinflusst - und in noch geringeren Teilen vom Islamischen Staat in Somalia - während es hauptsächlich an Clandifferenzen liegt, wenn Puntland tatsächlich keinen Zugriff auf gewisse Gebiete hat. In Süd-/Zentralsomalia ist die Situation noch viel komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (BMLV 1.12.2023).

Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 sind Hargeysa, Berbera, Burco, Garoowe und – in gewissem Maße – Dhusamareb sichere Städte. Alle anderen Städte variieren demnach von einem Grad zum anderen. Auch Kismayo selbst ist sicher, aber hin und wieder gibt es Anschläge. Bossaso ist im Allgemeinen sicher, es kommt dort aber zu gezielten Attentaten. Dies gilt auch für Galkacyo (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer weiteren Quelle sind Baidoa, Jowhar und Belet Weyne diesbezüglich innerhalb des Stadtgebietes wie Kismayo zu bewerten (BMLV 1.12.2023). Laut einer anderen Quelle sind alle Hauptstädte der Bundesstaaten relativ sicher (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023).

Eine Quelle gibt die Lage mit Stand 23.1.2023 folgendermaßen wieder:

Das Bild zeigt eine Landkarte von Somalia, in welcher verzeichnet ist, welche Teile von welchem Akteur beeinflusst oder kontrolliert werden PGN 23.1.2023

Eine andere Quelle vermittelt ein ähnliches Bild und verortet auch "violent events linked to al Shabaab" für das Jahr 2022:

Dieses Bild zeigt die Gebiete unter Kontrolle unterschiedlicher Akteure sowie "violent events linked to al Shabaab" für das Jahr 2022. Williams/ACSS 17.4.2023

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

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Die Sicherheitslage bleibt volatil (BS 2022a), mit durchschnittlich 234 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Monat (Zeitraum Feber-Juni 2023). Insgesamt gab es im Zeitraum 8.2.-7.6.2023 935 Vorfälle, davon 355 mit terroristischem Hintergrund. Al Shabaab führt immer wieder komplexe Angriffe durch, so etwa am 19. und 22.4. in Bud Bud und Masagway (Galgaduud) und am 26.5. in Buulo Mareer (Lower Shabelle). U.a. bei Sprengstoffanschlägen kommen Menschen ums Leben oder werden verletzt (UNSC 15.6.2023). Weiterhin führt der Konflikt zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (ÖBN 11.2022). Im o.g. Zeitraum waren 11 % der davon Betroffenen Zivilisten. Die Zahl an terroristischen Vorfällen war im ersten Quartal 2023 überdurchschnittlich. Am meisten von Sprengsätzen betroffen waren in diesem Zeitraum Mogadischu/Benadir, Lower Shabelle, Hiiraan und Lower Juba. Mogadischu wird immer wieder auch von indirektem Feuer der al Shabaab getroffen (UNSC 15.6.2023). Im Zusammenhang mit der laufenden Offensive am meisten betroffen sind Middle Shabelle, Mudug, Galgaduud und Hiiraan (ACAPS 17.8.2023; vergleiche BMLV 1.12.2023). Die österreichische Botschaft spricht in diesem Zusammenhang von einem bewaffneten Konflikt (ÖBN 11.2022), während das deutsche Auswärtige Amt von Bürgerkrieg und bürgerkriegsähnlichen Zuständen in vielen Teilen Süd-/Zentralsomalias berichtet (AA 15.5.2023).

In den vergangenen Jahren wurden Offensiven gegen al Shabaab durchgeführt, die sich zunächst aus militärischer Sicht als erfolgreich erwiesen haben. Anfängliche territoriale Erfolge bringen aber oft eine weitaus schwierigere Herausforderung mit sich: die Stabilisierung eroberter Gebiete. Das Versäumnis, befreite Gebiete wirksam zu stabilisieren, hat wiederholt zum Rückzug von Regierungskräften geführt. Und das Versäumnis, gespaltene Gemeinschaften zu versöhnen, hat dazu geführt, dass auch in Absenz von al Shabaab neue Konflikte entstehen konnten. So wurde al Shabaab etwa im Rahmen der Operation Badbaado in Lower Shabelle in den Jahren 2019–2020 aus mehreren Städten vertrieben. Drei Jahre danach kämpft die Bundesregierung aber immer noch darum, die befreiten Gebiete zu stabilisieren. Hilfsleistungen und staatliche Dienstleistungen bleiben unzureichend und oberflächlich (Sahan/SWT 4.8.2023). Generell hat es die Bundesregierung nach wie vor nicht geschafft, die Reichweite staatlicher Institutionen in Bezug auf die Bereitstellung von Dienstleistungen für Bürger und den Schutz ihres Lebens und ihres Eigentums über Mogadischu hinaus auszuweiten (BMLV 1.12.2023). Ein Experte merkt allerdings an, dass sich sowohl die Verwaltung der Bundesregierung als auch die Bundesarmee verbessert haben, und dadurch bei der Bevölkerung der Widerstandswille gegen al Shabaab gewachsen ist (AQ21 11.2023).

ATMIS hält in Kooperation mit der somalischen Armee, regionalen Sicherheitskräften sowie mit regionalen und lokalen Milizen die Kontrolle über die seit 2012 eroberten Gebiete (BS 2022a). Die somalische Regierung und ATMIS können keinen Schutz vor allgemeiner oder terroristischer Kriminalität im Land garantieren (AA 20.10.2023).

Generell ist die Regierung nicht in der Lage für Sicherheit zu sorgen. Dafür ist sie in erster Linie auf ATMIS, aber auch auf Unterstützung anderer Staaten angewiesen (BMLV 9.2.2023; vergleiche BS 2022a). Dabei wurde ATMIS im Juni 2023 um 2.000 Mann reduziert, die nächste Truppenreduktion um 3.000 Mann steht mit Ende Dezember 2023 an. Die Ausbildung neuer Soldaten für die Bundesarmee machte 2023 gute Fortschritte, es mussten aber auch hohe Verluste hingenommen werden. Das größte Problem derzeit ist neben der Truppenstärke die fehlende Ausrüstung (schwere Waffen, Luftkomponente, etc.) (BMLV 1.12.2023). Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 ist das Szenario, wonach al Shabaab bei einem Abzug von ATMIS das Land übernimmt, nicht mehr plausibel (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Auch eine weitere Quelle gibt an, dass die Bundeskräfte nach einem Abzug von ATMIS nicht kollabieren werden, und al Shabaab nicht nach Mogadischu zurückkehren wird (Think/STDOK/SEM 4.2023). Eine weitere Quelle erklärt, dass es für al Shabaab nun sehr schwer geworden ist, die Bundesregierung zu überrennen (AQ21 11.2023). Eine andere Quelle erklärt, dass nur bei völligem Wegfall jeglicher externen Unterstützung der Fall eintreten könnte, dass die Bundesregierung zusammenbricht (BMLV 1.12.2023).

Macawiisley-Offensive: Gegen Ende der Amtsperiode von Ex-Präsident Farmaajo war al Shabaab stärker denn je (Bryden/TEL 8.11.2021). Insgesamt konnte die Gruppe unter Ausnutzung der politischen Instabilität im Jahr 2021 in Galmudug, HirShabelle, Jubaland und dem SWS sogar Geländegewinne erzielen (HIPS 8.2.2022). Die Situation war lange Zeit statisch (THLSC 20.3.2023). Doch seit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten im Mai 2022 und dem Beschluss der USA, wieder Truppen in Somalia zu stationieren, haben die militärischen Operationen gegen al Shabaab zugenommen (UNSC 10.10.2022). Die im August 2022 begonnene neue Offensive baut auf die gestiegene Unzufriedenheit bzw. Entfremdung der Lokalbevölkerung in einigen Gebieten Zentralsomalias mit al Shabaab. Die Gruppe hat lokale Clans genötigt, Buben zu übergeben, hat trotz der anhaltenden Dürre weiterhin Steuern eingetrieben, hat zu gewaltsamen Maßnahmen und Kollektivstrafen gegriffen (ICG 21.3.2023) und lokale Clans gezwungen, der Gruppe Frauen und Mädchen zuzuführen. Letztendlich hat sich al Shabaab im Zuge der Dürre als wenig hilfreich erwiesen (Sahan/SWT 23.9.2022).

Mehrere Subclans Zentralsomalias haben al Shabaab schon zuvor Widerstand geleistet (ICG 21.3.2023) - laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 bereits ab 2018 (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Manche Clans haben später aber Abkommen mit al Shabaab geschlossen, was zu einer Form der Koexistenz geführt hat. So wurde al Shabaab etwa bei den Hawiye / Habr Gedir / Saleban, die in Galmudug leben, toleriert. Aufgrund der politischen Streitigkeiten in Mogadischu konnte al Shabaab in Zentralsomalia expandieren. 2019 forderte die Gruppe junge männliche Rekruten. Dies war für die streng im Sufismus verankerten Saleban zuviel. Die Verweigerung der Rekrutierungen stieß eine Konfliktspirale an (ICG 21.3.2023), lokale (Clan-)Milizen, die Macawiisley, begannen eine Revolte gegen al Shabaab (Sahan/SWT 23.9.2022). Als Letztere den Hauptort der Saleban, Baxdo, im Juni 2022 angriff, töteten Saleban-Milizen schätzungsweise 70 Kämpfer der al Shabaab. Ein anderes Beispiel sind die Hawiye / Hawadle in Hiiraan, die nie gute Beziehungen zu al Shabaab hatten. Als Letztere 2021 die Straße von Belet Weyne nach Galmudug unterbrach, und Belet Weyne damit von mehreren Seiten abgeschnitten war, wuchs der Zorn der Lokalbevölkerung (ICG 21.3.2023). Die Unterdrückung der Hawadle und anderer Clans durch al Shabaab bildete also das Rückgrat der erfolgreichen Offensive (Sahan/SWT 13.9.2023).

Während vorherige Offensiven immer von ATMIS bzw. AMISOM geführt worden waren, handelte es sich dieses Mal um eine somalische Offensive. An der Spitze des Kampfes standen die Macawiisley. Sie kennen das Terrain und die Bevölkerung und sind motiviert für ihr eigenes Gebiet zu kämpfen (Economist 3.11.2022; vergleiche Sahan/SWT 4.8.2023, ICG 21.3.2023). Diese lokalen Milizen, die von den UN "community defence forces" genannt werden (UNSC 15.6.2023) und die sich v.a. aus Hawiye zusammensetzen, haben in ihrem Kampf gegen al Shabaab die Bundesregierung um Hilfe gerufen (Detsch/FP 23.8.2023). Nach anderen Angaben wurde die erfolgreiche Offensive der Clans von der Bundesregierung mehr oder weniger "gekapert" (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Die Bundesarmee bot und bietet den Macawiisley Aufklärung, Informationen und Versorgung, ATMIS und die USA sowie türkische Drohnen geben Luftunterstützung (Economist 3.11.2022; vergleiche ICG 21.3.2023, Researcher/STDOK/SEM 4.2023, IO-D/STDOK/SEM 4.2023); u.a. kamen auch die Spezialeinheiten Danaab und Gorgor zum Einsatz (IO-D/STDOK/SEM 4.2023).

Jedenfalls befand sich al Shabaab in der Defensive. Koordinierte Bundes- und regionale Kräfte eroberten zusammen mit den Macawiisley rasch Teile des von al Shabaab kontrollierten Territoriums, darunter mehrere Städte und wichtige Routen (Sahan/SWT 7.6.2023). Es konnten die größten territorialen Gewinne seit Mitte der 2010er-Jahre erzielt werden. Bundesarmee und lokale Milizen haben al Shabaab aus signifikanten Teilen Zentralsomalias vertrieben (ICG 21.3.2023; vergleiche Economist 3.11.2022, Sahan/SWT 13.9.2023). Die Offensive wird als größter Erfolg seit der vollständigen Einnahme von Mogadischu im Jahr 2011 erachtet (Detsch/FP 23.8.2023). Die Gebietsgewinne wurden in der ersten Phase der Offensive - bis etwa Jänner 2023 - erzielt. Al Shabaab wurde aus mehreren Gebieten in den Regionen Middle Shabelle, Hiiraan, Galgaduud und Mudug vertrieben und verlor die Kontrolle über mehrere strategische Städte wie die Hafenstadt Xaradheere (Mudug), Ceel Dheere, Adan Yabaal (BBC 15.6.2023; vergleiche ICG 21.3.2023), Galcad und Runirgod (Galgaduud und Middle Shabelle). Diese Städte wurden fast 15 Jahre lang von al Shabaab kontrolliert und leisteten einen erheblichen Beitrag zu ihren Finanzen (BBC 15.6.2023). Zudem verlor die Gruppe die Kontrolle über Orte wie Tedan, Rage Ceele, Gulane, Darusalaam und Mabah (Sahan/SWT 15.9.2023). Insgesamt hat die Bundesregierung mehr als 100 Orte einnehmen können (ACLED 15.9.2023) - insgesamt ein Drittel des Gebietes der Gruppe (VOA/Maruf 28.3.2023). Während früher vorwiegend Städte erobert wurden, hat man diesmal außerdem versucht, al Shabaab auch aus dem Zwischengelände zu vertreiben (BBC 15.6.2023). Die Möglichkeit dazu war durch die Teilnahme von Clanmilizen und Ältesten gegeben (Sahan/SWT 4.8.2023).

Die Gruppierung der al Shabaab in Galmudug und Hiiraan wurde von jener im Süden getrennt (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Zudem hält al Shabaab derzeit keine Räume oder Orte mehr an der Küste in Galmudug oder HirShabelle, allerdings wird diese auch nicht lückenlos von der Regierung kontrolliert (BMLV 1.12.2023). Trotzdem ist dies hinsichtlich von Waffenlieferungen aus dem Jemen und dem Iran von Bedeutung (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Durch die Gebietsgewinne seitens der Regierung wurde al Shabaab von lukrativen Handelsrouten abgedrängt (Economist 3.11.2022). Die Gruppe kann nun teilweise nicht mehr einfach aus dem ländlichen Raum heraus zu Hauptrouten vordringen und diese blockieren oder Konvois angreifen. Insgesamt wurde die Zahl an Angriffen reduziert: Al Shabaab selbst hat angegeben, im Zeitraum Oktober 2022 bis Jänner 2023 monatlich durchschnittlich 153 Anschläge und Angriffe durchgeführt zu haben; im Zeitraum Feber bis April 2023 waren es demnach hingegen durchschnittlich nur 104 (BBC 15.6.2023). Für den Zeitraum Juli-Oktober 2023 werden folgende Zahlen für Süd-/Zentralsomalia angegeben: 150 Gefechte und 60 Vorfälle mit Sprengstoff monatlich. Im November gab es aufgrund der Regenfälle einen merklichen Rückgang von 50 % (BMLV 1.12.2023).

Eine Darstellung der Offensive mit Stand 9.4.2023:

Das Bild zeigt eine Landkarte mit den Fortschritten der Macawiisley-Offensive Rafal R./X 9.4.2023

Operation Black Lion (OBL): Die sogenannte Frontline States Task Force ist eine regionale Initiative von Nachbarstaaten Somalias. Diese ist mit ATMIS übereingekommen, die Zusammenarbeit im Kampf gegen al Shabaab zu verstärken (ATMIS 6.8.2023; vergleiche GO 9.8.2023). Am 1.2.2023 verkündeten der somalische Präsident und die sogenannten "Frontstaaten" (Kenia, Äthiopien, Dschibuti) eine Einigung zur Entsendung zusätzlicher Truppen dieser Länder. Damit hätte die von der Regierung geplante OBL unterstützt werden sollen (Sahan/SWT 3.7.2023; vergleiche UNSC 15.6.2023). Diese sollte sich auf Jubaland und insbesondere auf Middle Juba konzentrieren. In der Vergangenheit ging es maßgeblich um die Eindämmung von al Shabaab; im Raumen von OBL steht deren Vernichtung im Vordergrund (GO 9.8.2023; vergleiche Detsch/FP 23.8.2023). Al Shabaab soll so weit dezimiert bzw. ihr die relevanten finanziellen Pfründe ausgetrocknet werden, dass die Gruppe für Somalia und die Nachbarstaaten keine Gefahr mehr darstellt. Damit soll gleichzeitig der Abzug von ATMIS ermöglicht werden (ATMIS 6.8.2023; vergleiche IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Die Regierung versucht, für OBL ein gemeinsames Kommando von Bund und Bundesstaaten einzurichten (GN 28.8.2023).

Tatsächlich waren bis Anfang Juli 2023 hinsichtlich einer neuen Offensive kaum Fortschritte zu beobachten (Sahan/SWT 3.7.2023), die Frontlinie verblieb für Monate statisch (Sahan/STDOK/SEM 4.2023), "they took a break" (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Der tatsächliche Zeithorizont für künftige Offensiven ist ungewiss (BMLV 14.9.2023; vergleiche Sahan/SWT 1.9.2023). Somalia hat sich diesbezüglich von den Nachbarstaaten abhängig gemacht (AQ21 11.2023). Es bleibt unklar, ob Kenia, Äthiopien und Dschibuti – wie im Jänner 2023 vereinbart – tatsächlich zusätzliche Truppen für eine nächste Phase der Offensive entsenden werden (GN 28.8.2023; vergleiche IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Dschibuti hat bereits erklärt, nur mit Material und Gerät unterstützen zu wollen. Kenia wird Truppen keinesfalls östlich des Juba einsetzen und nur mitmachen, wenn Äthiopien dies auch tut; Äthiopien wiederum kann aufgrund der internen Probleme u.U. gar keine Truppen freimachen (BMLV 14.9.2023; vergleiche Sahan/SWT 1.9.2023). Zudem sind die Clans am Juba in Südsomalia weniger organisiert, schlechter bewaffnet und auch in geringerem Maße bereit, den Kampf gegen al Shabaab aufzunehmen (Detsch/FP 23.8.2023; vergleiche ICG 21.3.2023, Economist 3.11.2022). Viele dieser Clans befinden sich tendenziell auf der Seite von al Shabaab - wenn auch teils durch Nötigung (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). In diesem Sinne ist die Regionalregierung auch weitaus weniger bereit, die Clans im selben Maß zu bewaffnen, wie dies in HirShabelle oder Galmudug der Fall war (BMLV 1.12.2023). Die Kräfte im SWS sind zu schwach, um eine Offensive führen zu können. Ein Experte erklärt, dass eine neue Offensive bei gleichzeitigem Auffüllen von durch ATMIS geräumten Stützpunkten auf keinen Fall möglich sein wird. Neu aufgestellte Brigaden der Bundesarmee sind qualitativ nicht in der Lage, sich gegen al Shabaab zu verteidigen. Folglich kann OBL in Südsomalia erst stattfinden, wenn die Offensive in Zentralsomalia beendet und al Shabaab dort besiegt ist (BMLV 14.9.2023).

Trend: Nach den Erfolgen der Macawiisley-Offensive hat man es wieder nicht geschafft, erobertes Gebiet ausreichend abzusichern. Dort wo die Bundesarmee in Richtung neuer Ziele abgerückt ist, konnte al Shabaab teils schnell wieder an Einfluss gewinnen (Sahan 22.3.2023). Ein Grund dafür ist das Fehlen von Darawish-Kräften, die mit lokalen Gegebenheiten und der Lokalbevölkerung vertraut sind (Sahan 22.3.2023; vergleiche Sahan/SWT 9.8.2023, INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Generell stehen keine bzw. zu wenige leistungsfähige und verlässliche Truppen zur Verfügung, um diese Orte zu halten, wenn die Angriffstruppen weiterziehen (BMLV 1.12.2023). Die Macawiisley erfüllen eine wichtige Hilfsfunktion, man kann sich jedoch nicht darauf verlassen, dass sie als wirksame Haltetruppe in neu eroberten Gebieten dienen (Sahan/SWT 9.8.2023). Zudem könnten sie sich selbst zum Problem entwickeln: Sie sind schwer zu kontrollieren (IO-D/STDOK/SEM 4.2023) und können jahrelang schwelende Clankonflikte befeuern (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023).

Gleichzeitig ist es kontraproduktiv, al Shabaab nur mit militärischer Gewalt zu bekämpfen, weil die Gruppe in vielen Bereichen als Pseudostaat agiert. Da al Shabaab nämlich Güter und Dienste zur Verfügung stellt, besteht nach Angriffen auf die Gruppe die Gefahr, dass lebenswichtige Hilfe und öffentliche Dienste gestört und dadurch vulnerable Gemeinschaften im Stich gelassen werden (Rollins/HIR 27.3.2023). Zudem kennen viele Menschen dort kein anderes System, als jenes von al Shabaab. Viele erachteten die Gruppe als Befreier. Sie haben so lange unter al Shabaab gelebt, dass es großer Anstrengungen bedarf, um die Gehirnwäsche rückgängig zu machen und eine Akzeptanz der neuen Verhältnisse zu erlangen. Doch das geschieht nicht automatisch, es braucht dafür die Zurverfügungstellung gewisser Dienste (DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023). Tatsächlich gibt es keine Kapazitäten, um die befreiten Gebiete zu administrieren (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023, Sahan/STDOK/SEM 4.2023), und man hat es versäumt, eine adäquate Verwaltung für neu eingenommene Gebiete vorzubereiten (AQ21 11.2023). Vor Ort gibt es entweder überhaupt keine Verwaltungsstrukturen mehr oder aber eine rudimentäre Verwaltung über die Clans (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Vielen Gemeinden, die "befreit" worden sind, werden keine sinnvollen grundlegenden Dienstleistungen zur Verfügung gestellt. Die Bundesarmee hat zwar eine Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln aufgebaut – dies aber zusätzlich zu ihrer bereits bestehenden Doppelfunktion, nämlich Gebiete zu räumen und zu halten (Sahan/SWT 9.8.2023). So geben mehrere Quellen der FFM Somalia 2023 an, dass das Hauptproblem der Offensive die Nachhaltigkeit ist (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche Researcher/STDOK/SEM 4.2023, UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023, DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023). Die neu befreiten Gebiete brauchen Stabilität (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Die Menschen dort brauchen Rechtsstaatlichkeit, Wasser, Infrastruktur, medizinische Versorgung, Lehrer - zumindest all das, was zuvor von al Shabaab geboten worden ist (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023). Bei einem Vakuum und ohne funktionierende Verwaltung (Sahan/STDOK/SEM 4.2023) sowie einer Überdehnung der Regierungskräfte kann al Shabaab bald wieder Raum gewinnen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Doch auch bis etwas aufgebaut werden kann, müssen die Gebiete gehalten werden (DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023).

Nach anderen Angaben tut die Regierung ihr bestes, um die Bevölkerung zumindest in einigen Gebieten mit Medikamenten und Nahrungsmittelhilfe zu versorgen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer weiteren Quelle hat die Regierung verstanden, dass sie nicht alleine mit militärischen Mitteln gewinnen kann (GO 25.8.2023). Sie stützt sich bei ihrer Offensive daher wesentlich auf Clans, um die Unterstützung lokaler Gemeinden zu mobilisieren (GO 25.8.2023; vergleiche ACAPS 17.8.2023). Zudem werden Gemeinden und Älteste eingebunden, und es wird versucht, grundlegende Dienste zur Verfügung zu stellen (GO 25.8.2023). So wurde etwa in Galmudug ein Programm zur Rehabilitierung von Schulen in neu eroberten Gebieten eingerichtet, die Städte Ceel Dheere, Galcad und Xaradheere stehen dabei im Fokus (Halqabsi 27.8.2023). In wichtigen Orten, wie Adan Yabaal (Middle Shabelle) und Maxaas (Hiiraan) gibt es Stabilisierungsmaßnahmen (z.B. Installation von Solarleuchten, Bau von Verwaltungsgebäuden), in anderen neu eingenommenen Gebieten, darunter Xaradheere und Ceel Dheere (Galgaduud), Verteilung von Hilfsgütern und Wassertransporte (UNSC 15.6.2023).

Die Beziehungen der Bundesregierung zu manchen im Kampf gegen al Shabaab erfolgreichen Clans (v.a. die Hawadle) haben sich aufgrund politischer Verwerfungen abgekühlt. Al Shabaab konnte daraus Vorteile ziehen und hat mit einigen Clanmilizen in HirShabelle und Galmudug Abkommen ausgehandelt. Während al Shabaab nun versucht, den einen Teil der Hawiye gegen die Bundesregierung zu mobilisieren (v.a. Habr Gedir Mohamud Hirab, Murusade und Abgal Wacaysle), versucht die Bundesregierung, den anderen Teil (z.B. Habr Gedir) gegen al Shabaab in Stellung zu bringen (ACLED 15.9.2023). Al Shabaab hat versucht sich anzupassen – etwa im Umgang mit der Lokalbevölkerung. Die Gruppe setzt nun mehr auf Anreize als auf Zwang und Erpressung. Bereits Ende Dezember 2022 wurde mit Teilen der Saleban ein neues Abkommen geschlossen (ICG 21.3.2023). Gleichzeitig schürt al Shabaab unter den Clans Angst, dass fremde Clanmilizen über sie herzufallen drohen. Diese Propaganda dient auch als Rekrutierungsmittel, z.B. bei den Murusade in Zentralsomalia (BMLV 14.9.2023). Spannungen in neu eroberten Gebieten haben teils zu Kampfhandlungen zwischen Clans geführt (AQ21 11.2023).

Dahingegen konnte auch der Präsident neue Clankräfte mobilisieren. Zudem haben sich mehrere Brigaden der Bundesarmee neu organisiert. Insgesamt steht eine äußerst komplexe Säuberungsoffensive in Zentralsomalia bevor, die durch die Gebietsverluste Ende August noch komplizierter geworden ist (Sahan/SWT 13.9.2023). Denn die Front der Offensive im südlichen Galmudug ist Ende August 2023 zusammengebrochen (Sahan/SWT 1.9.2023). Schon seit Anfang 2023 (Ende der ersten Phase der Offensive) mussten die Regierungstruppen erhebliche Rückschläge hinnehmen, dadurch wurde die zweite Phase der Offensive verzögert (Sahan/SWT 7.6.2023). Ein verheerender Angriff der al Shabaab auf Kräfte der Bundesarmee im Dorf Osweyne hat einen kaskadenartigen Rückzug der Armee aus mehreren strategisch relevanten Städten ausgelöst – darunter Bud Bud, Galcad und Wabxo. Auch aus Ceel Buur hat sich die Armee zurückgezogen, al Shabaab ist dort wieder eingezogen (Sahan/SWT 1.9.2023; vergleiche ACLED 15.9.2023) und hat die Kontrolle über Teile der verlorenen Gebiete wiedererlangt. Teils haben sich Sicherheitskräfte und Clanmilizen aus Angst vor Angriffen der al Shabaab zurückgezogen (ACLED 15.9.2023). Anderswo haben sich Clanmilizen aufgrund politischer Querelen zurückgezogen, etwa aus einigen Orten in Hiiraan (ACAPS 17.8.2023). Der Konkurrenzkampf zwischen den Clans um die Kontrolle über befreite Gebiete in Teilen von HirShabelle löste etwa wochenlange angespannte Auseinandersetzungen und in einigen Fällen tödliche Zusammenstöße aus. Viele befreite Gebiete sind mittlerweile wieder in einen Zustand der Halbanarchie zurückgekehrt, ohne dass eine klare Autorität erkennbar wäre. Dies hat die Armee überdehnt, und sie hat dadurch auch die Kontrolle über mehrere FOBs verloren (Sahan/SWT 9.8.2023).

Auch die FOBs von ATMIS haben bisher entscheidend zum Halten und zur Sicherung einiger von al Shabaab befreiter Gebiete beigetragen (Sahan/SWT 23.6.2023; vergleiche ACAPS 17.8.2023). ATMIS ist maßgeblich an der Kontrolle des Territoriums beteiligt. Zudem bietet die Mission Munition sowie medizinische und logistische Unterstützung. römisch fünf.a. in städtischen Gebieten fungiert ATMIS als Haltetruppe und ist für die Sicherheit der somalischen Führung und der Wirtschaftsquellen des Landes, einschließlich Häfen und Flughäfen, maßgeblich verantwortlich. Dahingegen konzentrieren sich die somalischen Sicherheitskräfte auf das Vordringen in weniger besiedelte Gebiete. ATMIS wird aber Stück für Stück reduziert. Ein fortgesetzter Abzug der Mission verringert die Fähigkeit der somalischen Kräfte, zurückeroberte Gebiete zu halten und zu kontrollieren. Bei einer Ausweitung der Offensive verringert sich diese Fähigkeit noch weiter, weil die Zahl der zu sichernden Standorte zunimmt. Daher ist mit einer Intensivierung der Angriffe durch al Shabaab zu rechnen (ACAPS 17.8.2023). Die Bundesarmee ist zunehmend überdehnt (Sahan/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Mit Ende September wäre ATMIS planmäßig um 3.000 Mann auf 14.626 reduziert worden (ATMIS 27.8.2023), sechs Stützpunkte wären davon betroffen gewesen (BMLV 1.12.2023). Am 19.9.2023 hat Somalia bei den UN allerdings eine 90-tägige vorübergehende "technische Pause" beim Abzug von ATMIS erbeten, damit Mogadischu sich von den jüngsten Rückschlägen auf dem Schlachtfeld erholen und sich neu organisieren kann (Sahan/SWT 25.9.2023). Dieser Aufschub ist gewährt worden. Demnach muss ATMIS bis Ende des Jahres 2023 3.000 Mann abziehen (BMLV 1.12.2023). Die entsprechende Finanzierung ist allerdings unklar (AQ21 11.2023).

Dementsprechend ist die Hoffnung, dass bald ein größerer Vorstoß in den Süden Somalias möglich sein würde, ist dadurch geschwunden (Sahan/SWT 1.9.2023). Es wird geschätzt, dass die Regierung in den letzten Monaten über 3.000 Soldaten verloren hat (Sahan/SWT 25.9.2023). Jedenfalls hat ein Mangel an Kräften der Regierung dazu geführt, dass sich al Shabaab in einigen der befreiten Gebiete wieder einrichtet, was wiederum Versuche, eine Zivilverwaltung und grundlegende Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, erschwert (Sahan/SWT 22.5.2023). Zudem hat al Shabaab auf die Offensive mit Terror reagiert. Alleine im Jänner 2023 detonierte die Gruppe in Städten Zentralsomalias zwölf in Fahrzeugen verbaute Sprengsätze (ICG 21.3.2023). Insgesamt ist die Offensive dort am erfolgreichsten, wo der Widerstand der Lokalbevölkerung gegen al Shabaab am größten ist. Dort wo der lokale Widerstand geringer ist, tun sich die Regierungskräfte in der Offensive ungleich schwerer. In diesem Sinne kann die gesamte Offensive als eine Serie von Kriegen zwischen einzelnen Clans und al Shabaab charakterisiert werden, wobei die Regierungskräfte die Clans unterstützen (ICG 21.3.2023).

Insgesamt ist also die Offensive seit Anfang 2023 zum Stillstand gekommen (Sahan/SWT 4.9.2023; vergleiche Sahan/SWT 23.6.2023). Al Shabaab hat diese Pause genutzt, um sich zu konsolidieren (Weiss/LWJ 6.10.2023), um Rekrutierung und Ausbildung zu intensivieren, Erpressungsaktivitäten auszuweiten und Angriffe auf hochwertige Ziele zu verstärken (Sahan/SWT 3.7.2023; vergleiche ACLED 30.6.2023). Die Gruppe hat flexibel auf die Offensive reagiert: Kämpfer und Waffen wurden aus bedrohten Gebieten abgezogen und dort gesammelt, wo lokale Gemeinden der Gruppe positiv gegenüberstehen (BBC 15.6.2023). Die übliche Ramadan-Offensive wurde 2023 nicht durchgeführt, um Kräfte für die anstehenden Kämpfe aufzusparen (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Laut zweier Quellen ist al Shabaab nun stärker als zuvor (BMLV 1.12.2023; vergleiche Sahan/SWT 3.7.2023). Die letzten Monate waren geprägt von zusätzlichen Rekrutierungen, wobei al Shabaab gleichzeitig größere Verluste vermeiden konnte – anders als die Bundesarmee. Selbst während der intensiven Phase der Gefechte erlitt die Gruppe geringere Verluste als ihr Gegner (BMLV 1.12.2023). Im September 2023 hat al Shabaab so viele Selbstmordattentate versucht und ausgeführt wie in keinem Monat zuvor: 14, drei davon wurden vereitelt. Die Hälfte der Attentate ereignete sich in Zentralsomalia (Weiss/LWJ 6.10.2023).

Al Shabaab überrannte einen Stützpunkt von Danaab in Galcad (Galmudug) und einen Stützpunkt der Bundesarmee in Janay Abdale in der Nähe von Kismayo (Sahan/SWT 3.7.2023). Zudem griff die Gruppe im Mai 2023 den ugandischen ATMIS-Stützpunkt in Buulo Mareer an, Dutzende Soldaten wurden getötet (BBC 15.6.2023; vergleiche Soufan 3.7.2023). Am 7.6.2023 führte al Shabaab einen (weniger erfolgreichen) Angriff gegen äthiopische Truppen in Doolow. Am 9.6.2023 stürmten Kämpfer das Pearl Beach Hotel in Mogadischu, der erste größere Angriff dort innerhalb von drei Monaten. Mindestens 15 Menschen kamen dabei ums Leben (BBC 15.6.2023). Alles deutet darauf hin, dass es al Shabaab in den letzten Monaten gelungen ist, mehr Waffen und Munition zu erbeuten als in den vier Jahren zuvor (Sahan/SWT 3.7.2023). Gleichzeitig haben politische Streitigkeiten eine weitere Offensive der Bundesregierung verzögert (ACLED 15.9.2023; vergleiche ACAPS 17.8.2023). Am 13.7.2023 hat al Shabaab die Kontrolle über den Stützpunkt der Bundesarmee und jubaländischer Darawish in Geriley (Gedo) übernommen. Dieser Stützpunkt, der nur 12 km von der kenianischen Grenze entfernt liegt, war nur zwei Wochen vorher von ATMIS (Kenia) geräumt und an die Bundesarmee übergeben worden. Der Stützpunkt war von den Kenianern fast ein Jahrzehnt lang besetzt worden (Sahan/SWT 21.7.2023). Bemannt werden übergebene FOBs von in Uganda, Eritrea oder Ägypten schlecht ausgebildeten neuen Brigaden, die nicht in der Lage sind, sich zu verteidigen. Von den bisher übergebenen FOBs wurden Stand Mitte September bereits sechs von al Shabaab vernichtet. Dieses Vorgehen hat System, denn solche Stützpunkte wieder aufzubauen und aufzufüllen – mit Männern, Ausrüstung und Material – ist für die Bundesarmee mit sehr großem Aufwand verbunden (BMLV 14.9.2023; vergleiche Sahan/SWT 25.9.2023). Al Shabaab hat also im August 2023 eine eigene Offensive begonnen, um die Gewinne der Bundesarmee wieder aufzulösen. Dazu hat die Gruppe auch einen Brückenkopf am Ostufer des Shabelle eingerichtet (Rafal R./X 9.4.2023).

Zentralsomalia aus Sicht des ISW vom 4.10.2023:

Das Bild zeigt Kontrollzonen in Zentralsomalia Anfang Oktober 2023 ISW/Karr 4.10.2023

Durch Konflikte Vertriebene: Mitte November wurde angegeben, dass 2023 über 1,5 Millionen Menschen zu Vertriebenen im Land geworden sind, 473.000 davon aufgrund von Dürre und 419.000 aufgrund von Überschwemmungen. Ca. 600.000 wurden durch Konflikte vertrieben. Die meisten neuen IDPs aufgrund von Konflikten gab es - abseits von Somaliland - 2023 bis Mitte November in den Regionen Galgaduud (101.000), Mudug (82.000), Lower Shabelle (53.000) und Middle Shabelle (48.000). Dahingegen wurden in Benadir/Mogadischu (800), Bari (1.000) und Hiiraan (2.000) deutlich weniger Menschen neu vertrieben (UNHCR 2023).

Al Shabaab [siehe auch Al Shabaab] stand gemäß Aussagen des Experten Rashid Abdi vom November 2022 mit dem Rücken zur Wand. Die Gruppe hatte viele Gebiete verloren und stand gleichzeitig einer Revolte mehrere Clans gegenüber. Damit befand sich auch das Wirtschaftsimperium al Shabaab unter Druck (GN 5.11.2022; vergleiche BMLV 9.2.2023). Die Gruppe hatte in den ersten Monaten der Offensive zig Millionen US-Dollar und laut einer Quelle 1.200 (Gorfayn 27.3.2023), laut somalischen Regierungsangaben vom Juni 2023 sogar 3.000 getötete und 3.700 verletzte Kämpfer zu verkraften. Laufende Erfolge von al Shabaab lassen hinsichtlich dieser Zahlen allerdings Skepsis aufkommen (BBC 15.6.2023). Trotz der nominell hohen Verluste, die al Shabaab durch Luftangriffe und Gefechte zugefügt worden sind, hat die Gruppe jedenfalls keinen Mangel an Kämpfern. Zumindest ist es nicht gelungen, Angriffe von al Shabaab auf Militärstützpunkte einzudämmen. Sie ist auch immer noch in der Lage, Angriffe in Mogadischu, gegen Stützpunkte der ATMIS und über die Grenzen der ATMIS-Mitgliedsstaaten Äthiopien und Kenia hinweg zu verüben (Soufan 3.7.2023). Al Shabaab greift weiterhin regierungsnahe Kräfte und Ziele sowie Zivilisten im ganzen Land an. Die Gruppe übt Druck auf Zivilisten aus, ihre extremistische Ideologie zu unterstützen (USDOS 15.5.2023). Angegriffen werden Regierungseinrichtungen und Sicherheitskräfte, aber auch Hotels, Märkte und andere öffentliche Einrichtungen (AA 20.10.2023). In Zentralsomalia hält sich al Shabaab weiterhin im freien Gelände zwischen den Ortschaften auf und greift bei jeder Gelegenheit die Orte selbst bzw. die Bewegungen zwischen den Ortschaften an. Insgesamt haben die militärischen Kräfte der al Shabaab in Zentralsomalia zwar hohe Verluste hinnehmen müssen, sind aber bei Weitem nicht geschlagen (BMLV 1.12.2023).

Al Shabaab verwendet gewalttätige, extremistische Taktiken. Die Gruppe bleibt die signifikanteste Bedrohung für Frieden, Stabilität und Sicherheit. Sie ist in hohem Maß anpassungsfähig und mobil und kann ihren Einfluss auch in Gebieten außerhalb der eigenen Kontrolle geltend machen. Die Gruppe bedient sich neben politischen und kriminellen Mitteln (wie Einschüchterung, Erpressung, etc.) zur Kontrolle der Bevölkerung im militärischen Bereich zur Erreichung der Ziele der gesamten Bandbreite der asymmetrischen Kriegsführung. Mit unterschiedlichen Methoden gelingt es al Shabaab, die Bevölkerung zu kontrollieren, Einfluss auf die Politik zu nehmen und in Süd-/Zentralsomalia für ein Klima der Angst zu sorgen: Kontrolle großer Gebiete; sogenannte Hit-and-Run-Angriffe gegen Städte und militärische Positionen; Ausnutzung von Clanstreitigkeiten mit einer Taktik des "teile und herrsche"; Unterbrechung von Hauptversorgungsrouten und Blockade von Städten; und in wichtigen Städten (z.B. Mogadischu, Baidoa, Galkacyo, Jowhar) gezielte Attentate, Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen und Mörserangriffe. Zusätzlich ist die Gruppe auch weiterhin in der Lage, größere - sogenannte "komplexe" - Angriffe durchzuführen. Al Shabaab verfolgt eine klassische Guerilla-Doktrin: Die Einkreisung von Städten aus dem ländlichen Raum heraus (BMLV 1.12.2023).

Als al Shabaab an den Fronten an Boden verloren hat, steigerte die Gruppe ihre terroristischen Aktivitäten. Dadurch soll suggeriert werden, dass die Gruppe jederzeit an jedem Ort zuschlagen kann (Sahan/SWT 14.12.2022). Beim Einsatz von improvisierten Sprengsätzen ist hinsichtlich der Anzahl in den letzten Jahren keine Veränderung eingetreten. Allerdings sind die Opferzahlen seit 2020 stetig nach oben gegangen. Im Jahr 2020 wurden 501 Menschen durch improvisierte Sprengsätze getötet; 2021 waren es 669; und in den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 gab es mindestens 855 Opfer (UNSC 10.10.2022). Auch die Zahl an terroristischen Vorfällen im ersten Quartal 2023 war überdurchschnittlich. Es wurden 61 Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen gezählt (höchste Zahl seit 2017), bei denen 291 Menschen ums Leben gekommen sind. Als Reaktion auf die anhaltende Offensive werden häufig Regierungs- und lokale Clanmilizen ins Visier genommen. Am meisten davon Sprengsätzen betroffen waren Mogadischu/Benadir, Lower Shabelle, Hiiraan und Lower Juba. Mogadischu ist immer wieder auch von indirektem Feuer der al Shabaab betroffen (UNSC 15.6.2023).

Während eines Großteils der Trump-Jahre konnten Kämpfer der al Shabaab aufgrund der Intensität der Luftangriffe nicht in Konvois reisen (Sahan/SWT 2.8.2023). Heute ist besorgniserregend, wie leicht sich die Gruppe in weiten Teilen Somalias bewegen kann, z.B. als sie Anfang Juli 2023 den Stützpunkt der Bundesarmee in Geriley (Gedo) angegriffen hat (Sahan/SWT 2.8.2023; vergleiche BMLV 14.9.2023). Al Shabaab ist nun wieder in der Lage, Hunderte Kräfte zu konzentrieren, um Stützpunkte der Bundesarmee oder ihrer Verbündeten zu vernichten (BMLV 14.9.2023).

Kampfhandlungen: In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es regelmäßig zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. ATMIS und al Shabaab (AA 15.5.2023; vergleiche AA 20.10.2023, ÖBN 11.2022). Die aktuelle Offensive konzentriert sich im Wesentlichen auf die Regionen Galgaduud, Hiiraan, Middle Shabelle und Mudug. Sie soll zu einem späteren Zeitpunkt auf den SWS und Jubaland ausgeweitet werden (ACAPS 17.8.2023; vergleiche AA 15.5.2023). Auch entlang der Hauptversorgungsrouten unterhält al Shabaab weiterhin Angriffe, und die Gruppe hat einige davon einnehmen können (USDOS 20.3.2023). Die Schwerpunkte sicherheitsrelevanter Vorfälle verlagern sich aber mitunter. So gibt ACLED für den Zeitraum 27.5.-23.6.2023 Lower Shabelle als Schwerpunkt an (ACLED 30.6.2023). Für Juli-September 2023 wird der Schwerpunkt der Kampfhandlungen mit Galgaduud und Middle Shabelle angegeben. Insgesamt verzeichnet ACLED im Zeitraum 22.7. bis 8.9.2023 375 sicherheitsrelevante Vorfälle. Davon war die überwiegende Mehrheit direkte Kampfhandlungen (230) und Explosionen (100) (ACLED 15.9.2023).

Gebietskontrolle: Innerhalb der letzten zehn Jahre ist es der Regierung und den Truppen von AMISOM/ATMIS gelungen, die Kontrolle über viele Teile des Landes zurückzuerlangen (THLSC 20.3.2023). Al Shabaab wurde erfolgreich aus den großen Städten gedrängt (ÖBN 11.2022). Während ATMIS und die Armee die Mehrheit der Städte halten, übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes die Kontrolle aus oder kann dort zumindest Einfluss geltend machen (USDOS 15.5.2023; vergleiche BBC 15.6.2023). Gleichzeitig hat al Shabaab die Fähigkeit behalten, in Mogadischu zuzuschlagen (USDOS 15.5.2023). Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias befinden sich also teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle von al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 15.5.2023). In Baidoa und Jowhar hat sie stärkeren Einfluss. Ihre Verbündeten kontrollieren viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin. Viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und ATMIS sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Gebessert hat sich die Lage in Ost-Hiiraan und in Middle Shabelle, wo auch Bewegungen zwischen den Orten möglich sind (BMLV 1.12.2023). In Gebieten, in welchen al Shabaab keine direkte Kontrolle ausübt - sei es wegen der Präsenz von somalischen oder internationalen Sicherheitskräften, sei es wegen der Präsenz von Clanmilizen - versucht die Gruppe die lokale Bevölkerung und die Ältesten durch Störoperationen entlang der Hauptversorgungsrouten zu bestrafen bzw. deren Unterstützung zu erzwingen (UNSC 6.10.2021; vergleiche BMLV 1.12.2023, AQ21 11.2023). Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle hält al Shabaab Blockaden aufrecht (HRW 12.1.2023). Als "Inseln" zu bezeichnen sind etwa Xudur, Waajid, Diinsoor, Wanla Weyne und Baraawe (BMLV 1.12.2023). In den zuletzt von der Regierung eroberten Gebieten findet sich die Bundesarmee v.a. in kritischen Teilen - etwa entlang der Hauptversorgungsrouten (Sahan/STDOK/SEM 4.2023).

Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia befinden sich unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab. Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind:

1.           das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; de facto die gesamte Region Middle Juba;

2.           Jamaame und Badhaade in Lower Juba;

3.           größere Gebiete um Ceel Cadde und Qws Qurun in der Region Gedo;

4.           Gebiete nördlich und entlang des Shabelle in Lower Shabelle, darunter Sablaale und Kurtunwaarey;

5.           der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor;

6.           Gebiete rechts und links der Grenze von Bay und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;

7.           die südliche Hälfte von Galgaduud mit der Stadt Ceel Buur (PGN 23.1.2023; vergleiche BMLV 1.12.2023); nach neueren Angaben reicht das Gebiet dort nur ein Stück nach Galgaduud hinein (IO-D/STDOK/SEM 4.2023);

8.           sowie die Region Bakool abzüglich eines Streifens entlang der äthiopischen Grenze und der Städte Xudur und Waajid (BMLV 1.12.2023).

In Süd-/Zentralsomalia kann kein Gebiet als frei von al Shabaab bezeichnet werden. – Insbesondere durch die Infiltration mit verdeckten Akteuren kann al Shabaab nahezu überall aktiv werden. Ein Vordringen größerer Kampfverbände von al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch ATMIS und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Städte mit konsolidierter Sicherheit – i.d.R. mit Stützpunkten von Armee und ATMIS – können von al Shabaab zwar angegriffen, aber nicht eingenommen werden. Immer wieder gelingt es al Shabaab, kurzfristig kleinere Orte oder Stützpunkte einzunehmen, um sich nach wenigen Stunden oder Tagen wieder zurückzuziehen (BMLV 1.12.2023). Al Shabaab hat sich – in begrenztem Ausmaß – fähig gezeigt, Territorien, die bereits durch die Bundesarmee und ATMIS befreit wurden, wieder zurückzuerobern. In der Vergangenheit war das Scheitern, eroberte Territorien erfolgreich zu halten, mit dem Mangel an Polizeipräsenz in den eroberten Gebieten und der allgemein schlechten Moral in der Bundesarmee verbunden, die auf sehr geringe und oftmals verzögerte Besoldung zurückzuführen war (ÖBN 11.2022).

Andere Akteure: Kämpfe zwischen Clans und Subclans, insbesondere um Wasser- und Landressourcen sind weit verbreitet, insbesondere in den Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle bzw. in Regionen, in denen die Regierung oder staatliche Behörden schwach oder nicht vorhanden sind (ÖBN 11.2022). Es kommt immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 20.10.2023) sowie zwischen Milizen einzelner Subclans bzw. religiöser Gruppierungen (AA 15.5.2023). Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es auch zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten (USDOS 20.3.2023). Generell sind Clan-Auseinandersetzungen üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer - generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter - Gewalt verbunden sein (BMLV 1.12.2023).

Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 15.5.2023). Gewaltakte durch bewaffnete Gruppen und Banden und Armutskriminalität sind im gesamten Land weit verbreitet. Bewaffnete Überfälle, Autoraub („Carjacking“), sexueller Missbrauch und auch Morde kommen häufig vor (AA 20.10.2023).

Im Zeitraum August 2022 bis Juni 2023 erwähnen die Berichter der UN nur einen Angriff des sogenannten Islamischen Staats in Somalia (ISIS), namentlich die Ermordung eines hochrangigen Beamten in Mogadischu mit einem improvisierten Sprengsatz (UNSC 16.2.2023; vergleiche UNSC 15.6.2023). ISIS ist in Puntland weiterhin präsent, verfügt jedoch nicht über die Fähigkeit, große Gebiete zu kontrollieren oder bedeutende Operationen durchzuführen (UNSC 31.7.2023).

Zivile Opfer: Al Shabaab ist für einen Großteil der zivilen Opfer verantwortlich [siehe Tabelle weiter unten]. Nach eigenen Angaben greift al Shabaab einfache Zivilisten nicht gezielt an (C4/Jamal 15.6.2022; FDD/Roggio 11.10.2023). Laut einer Quelle trifft es zwar zu, dass al Shabaab bei Sprengstoffanschlägen meist nicht mutwillig Zivilisten angreift und diese Taktik im Vergleich zu anderen Gruppen gezielter anwendet; dennoch wählt sie in regelmäßigen Abständen Ziele aus, bei denen die Gruppe weiß, dass viele Zivilisten Kollateralschäden erleiden werden - etwa bei Angriffen auf Hotels, Kaffee- oder Teehäuser, Restaurants oder belebte Straßenkreuzungen (FDD/Roggio 11.10.2023). Jedenfalls gelten die meisten Anschläge außerhalb von Mogadischu den somalischen Sicherheitskräften und vermehrt auch Führungspersonen aus Clans, die sich dem Kampf gegen al Shabaab verpflichtet haben (AA 15.5.2023). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (BMLV 9.2.2023).

Allgemein ist die Datenlage zu Zahlen ziviler Opfer unklar und heterogen. Der Experte Matt Bryden veranschaulicht dies mit den Angaben mehrerer Organisationen. So gab es laut UNMAS (Mine Action Service) 2020 wesentlich weniger zivile Tote und Verletzte: 454 zu 1.140 im Jahr 2019. Dahingegen berichtet US-AFRICOM von 776 Vorfällen mit insgesamt 2.395 Opfern im Jahr 2020 und 676 Vorfällen mit 1.799 Opfern 2019. US-AFRICOM zählt zivile und militärische Opfer zusammen. Dementsprechend wären 2020 wesentlich mehr Sicherheitskräfte untern den Opfern gewesen als Zivilisten – ein Widerspruch zu den Angaben der UN, wonach Zivilisten die Hauptlast der Sprengstoffanschläge tragen würden. Dies wird auch von ATMIS bestätigt: Demnach richteten sich 2019 28 % der Anschläge direkt gegen Zivilisten, 2020 waren es 20 % (Sahan/Bryden 6.4.2021).

Von der UN werden die Zahlen ziviler Opfer (Tote und Verletzte) wie folgt angegeben:

Diese Tabelle zeigt die zivilen Opferzahlen, wie sie in Berichten der UN von 2020 bis 2023 angegeben worden sind

(UNSC 15.6.2023; UNSC 16.2.2023; UNSC 1.9.2022b; UNSC 13.5.2022; UNSC 8.2.2022; UNSC 11.11.2021; UNSC 10.8.2021; UNSC 19.5.2021; UNSC 17.2.2021; UNSC 13.11.2020; UNSC 13.8.2020; UNSC 13.5.2020; UNSC 13.2.2020)

Die letzte halbwegs glaubwürdige Volkszählung wurde im Jahr 1975 durchgeführt - auch diese mit signifikanten Einschränkungen (Sahan/SWT 10.5.2023). Neueste Schätzungen gehen von rund 17 Millionen Einwohnern aus (IPC 13.12.2022). In diesem Zusammenhang lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:10.235 [Anm.: Rechnung auf Basis der in vorgenannten Quellen angegebenen Zahlen].

Luftangriffe: Immer wieder kommt es zu Luftschlägen, v.a. durch die USA. Unter der Trump-Regierung wurden innerhalb von vier Jahren fast 220 Luftangriffe durchgeführt (Sahan/SWT 2.8.2023). Dahingegen waren es 2021 nur elf (HRW 13.1.2022) und 2022 15 (BMLV 9.2.2023). Im Zeitraum Jänner-August 2023 waren es 13 (Sahan/SWT 2.8.2023). Bei Luftangriffen auf al Shabaab und den ISIS sind zwischen 2017 und 2021 ca. 1.000 Kämpfer getötet worden (HIPS 2021). Auch Kenia führt nach wie vor Luftschläge in Somalia durch, z.B. am 22.6.2022 im Grenzgebiet von Gedo zu Kenia (GN 22.6.2022); und es kommt auch zu äthiopischen Luftangriffen (VOA 8.8.2022), z.B. am 30.7.2022 in der Region Bakool (SG 31.7.2022). Nach Angaben somalischer Armeevertreter sind auch türkische Drohnen bei Operationen gegen al Shabaab aktiv (VOA/Maruf 30.11.2022). Generell hat die Zahl an Luftangriffen aber erheblich abgenommen, die durchgeführten konzentrieren sich auf höherrangige Angehörige der al Shabaab (BMLV 1.12.2023).

Puntland (Bari, Nugaal, Teile von Mudug)

Letzte Änderung 2024-01-03 09:48

[Zu Auseinandersetzungen im Grenzgebiet zu Somaliland (v.a. Sool) siehe Somaliland und Unterkapitel.]

Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 ist Puntland im Wesentlichen stabil (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Clanmilizen spielen eine untergeordnete Rolle, wenngleich sie weiterhin präsent sind (AA 15.5.2023). Die wichtigsten Clans sind in das staatliche Gefüge Puntlands eingebunden, obgleich die Streitigkeiten um die Wählerregistrierung diesbezüglich manche Fragen aufwerfen (BMLV 9.2.2023). Allerdings sind die Grenzen im Süden und Nordwesten nicht klar definiert. Dies führt mitunter zu kleineren Scharmützeln, an der Grenze zu Somaliland auch zu schwereren Auseinandersetzungen. So kommt es etwa um die Stadt Galkacyo fallweise zu Auseinandersetzungen (AA 15.5.2023). Generell sind die Städte in Puntland sicherer als ländliche Gegenden. So konnte etwa die Wählerregistrierung in den östlichen Bezirken nur unter Beteiligung der Sicherheitskräfte durchgeführt werden (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023).

Im Juni 2023 kam es in Garoowe zu Kampfhandlungen zwischen Clan- und Sicherheitskräften [siehe weiter unten]. Die Gewalt ließ schnell nach, die Ältesten des Majerteen-Clans verhandelten einen vorläufigen Waffenstillstand. Doch die allgemeinen politischen Spannungen nehmen noch lange nicht ab (Sahan/SWT 26.6.2023b).

Fallweise kommt es auch in Puntland zu Anschlägen durch al Shabaab und den Islamischen Staat in Somalia (ISIS) - insbesondere in und um Bossaso (AA 15.5.2023). Hier kommt es zur gezielten Tötung von Geschäftsleuten, aber auch von Politikern und einflussreichen Menschen, die der Regierung nahestehen (ACCORD 31.5.2021). Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 sind Personen in Garoowe und Bossaso vor al Shabaab einigermaßen sicher, die Gruppe kann dort 'nicht einfach machen, was sie will' - auch wenn es zu Drohungen kommt (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Eine Quelle bestätigt diese Informationen (BMLV 1.12.2023).

In Garoowe gibt es hinsichtlich al Shabaab wenig nennenswerte Vorfälle, die Stadt wird als nahezu frei von al Shabaab beschrieben (BMLV 1.12.2023). Quellen der FFM Somalia 2023 erklären, dass Garoowe relativ stabil (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023) bzw. eine sichere Stadt ist (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Eine Quelle erklärt, dass sich die Sicherheitslage in Garoowe aber verschlechtert hat, und die Lage dort schlechter bewertet wird als etwa in Hargeysa. Für internationale Mitarbeiter sind die Auflagen in Garoowe jedenfalls größer, lokale Mitarbeiter bewegen sich frei (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023).

Wegen der innenpolitischen Auseinandersetzungen kam es aber in den letzten Monaten wiederholt zu bewaffneten Auseinandersetzungen in der Stadt (v.a. zwischen unterschiedlichen Teilen der Streit- und Sicherheitskräfte), denen auch Zivilisten zum Opfer gefallen sind (BMLV 1.12.2023). So wurden etwa am 20.6.2023 bei schweren Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften mindestens 26 Personen getötet und 30 verletzt worden - darunter Zivilisten. Ausgebrochen waren die Gefechte nach einer Parlamentssitzung zu den kommenden Wahlen in Puntland und damit verbundenen Verfassungsänderungen (REU 20.6.2023; vergleiche AJ 21.6.2023). Am 19.11.2023 verlegten Teile der Puntland Maritime Police Force nach Garoowe, um die Sicherheitslage in den Griff zu bekommen - eine außergewöhnliche Maßnahme (BMLV 1.12.2023).

Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass Bossaso nicht als stabil zu bezeichnen ist (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer anderen Quelle ist Bossaso generell sicher (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Es kommt dort aber zu gezielten Attentaten (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche Researcher/STDOK/SEM 4.2023) und zu Angriffen auf Unternehmen. Einige gezielte Tötungen stehen direkt mit Geldforderungen in Zusammenhang. Insgesamt agiert al Shabaab hier aber nicht so systematisch wie im Süden, dafür mischt hier auch ISIS mit (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Zudem ist es 2022 in Bossaso zu Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften gekommen. Dieser Konflikt ist zwar vorbei, er kann aber jederzeit wieder ausbrechen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).

Al Shabaab kontrolliert in Puntland keine relevanten Gebiete, sondern ist nur in wenigen, schwer zugänglichen Bergregionen mit Lagern vertreten (AA 15.5.2023; vergleiche PGN 23.1.2023, INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Von dort aus unternimmt die Gruppe - meist kleinere - Operationen ins Umland. Manchmal sickern Insurgenten nach Bossaso ein, wo sie in gewissem Ausmaß auch tatsächlich eine Bedrohung darstellen, und wo es öfters v.a. zu kleineren Anschlägen kommt. Zumindest in Bossaso treibt al Shabaab auch Steuern ein. Insgesamt haben sich Präsenz und Aktivitäten der Gruppe in Puntland in den letzten Jahren nicht verändert. Al Shabaab verfügt in Puntland über finanzielle Netzwerke sowie über Möglichkeiten zur Rekrutierung, Propaganda und Indoktrination. Beim Einheben von Steuern in Bossaso konkurriert al Shabaab mit dem ISIS [siehe unten] (BMLV 1.12.2023). Überhaupt schwächen sich die zwei Gruppen in Puntland gegenseitig, indem sie sich bekämpfen (IO-D/STDOK/SEM 4.2023).

Generell ist al Shabaab in Puntland aber mangels Ressourcen und Kapazitäten in ihren Aktivitäten eingeschränkt (BMLV 9.2.2023; vergleiche IO-D/STDOK/SEM 4.2023, INGO-F/STDOK/SEM 4.2023) - auch wenn die Gruppe dort über die relevanten Vorgänge informiert ist (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Zudem hat Puntland bemerkenswerte Kapazitäten aufgebaut. Durch die Glaubwürdigkeit der bestehenden Institutionen entstand Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verwaltung. Dies wiederum erschwert al Shabaab ihre Operationen (Schwartz/HO 12.9.2021). Laut einer Quelle sind in jüngerer Vergangenheit Hunderte Kämpfer der Gruppe nach Nordsomalias und an die Grenze zu Somaliland entsendet worden. Die meisten davon finden sich demnach in Bari in Puntland (Sahan/SWT 22.5.2023).

Der sogenannte, von Abdiqadir Mumin geführte Islamische Staat in Somalia (ISIS) ist weiterhin in Puntland präsent, verfügt jedoch nicht über die Fähigkeit, große Gebiete zu kontrollieren oder bedeutende Operationen durchzuführen (UNSC 31.7.2023). Diese IS-Fraktion kontrolliert keine Gebiete, sondern ist nur in wenigen, schwer zugänglichen Bergregionen mit Lagern vertreten (AA 15.5.2023; vergleiche PGN 23.1.2023). Nach unterschiedlichen Schätzungen verfügt die Gruppe über 100-200 (UNSC 31.7.2023), 150-300 (BMLV 9.2.2023), 200-250 (Sahan/SWT 8.9.2023) oder ca. 250-300 Kämpfer (VOA/Maruf 14.3.2023; vergleiche USDOS 15.5.2023). Im Jahr 2019 betrug die Stärke noch 340 Mann, diese ist aber nach Verlusten zurückgegangen (UNSC 6.10.2021). Dem ISIS mangelt es an Fähigkeiten, größere Aktionen durchzuführen. Außerdem leidet er an Abgängen (BMLV 9.2.2023). Die Eliminierung eines Strategen des ISIS im Jänner 2023 durch eine Operation der USA in Puntland war für die Gruppe ein schwerer Schlag (JF 31.3.2023).

Die IS-Fraktion befindet sich im Gebiet um die Almiskat-Berge (PGN 23.1.2023; vergleiche VOA/Maruf 14.3.2023). Nach Angaben des US-Außenministeriums kassierte der ISIS im Jahr 2022 fast zwei Millionen US-Dollar an Erpressungssteuern, was jedoch einen Rückgang von 500.000 US-Dollar gegenüber 2021 bedeutet (Sahan/SWT 8.9.2023). Die Gruppe kann sich in Puntland nicht frei bewegen und konnte bislang selbst in Bossaso keine permanente Präsenz aufbauen (BMLV 9.2.2023). Generell wechselt die Gruppe zwischen Höhlen und Ansiedlungen und hat keine brauchbare Operationsbasis (VOA/Maruf 14.3.2023). In Bossaso verfügt er nur über Sympathisanten. Allerdings stattet der ISIS Geschäftstreibenden in Bossaso regelmäßige Besuche ab, um Abgaben einzutreiben (BMLV 9.2.2023). Mitte 2023 gab es Berichte, wonach Geschäfte in Bossaso aufgrund des Drucks des ISIS geschlossen blieben. Es gab Erpressungsanrufe und mindestens ein Geschäft wurde Ziel eines Angriffs. Die Geschäftswelt von Bossaso hat sich im August mit der Verwaltung der Region Bari getroffen, um gegen die Erpressungen zu protestieren. Auch wenn die Erpressung von Unternehmern in Bossaso besorgniserregend ist, stellt ISIS keine wesentliche Bedrohung für die allgemeine Sicherheit Somalias dar (Sahan/SWT 8.9.2023).

Die Berichte des UN-Sicherheitsrates aus dem ersten Halbjahr 2023 beinhalten nur zwei Einträge zu Aktivitäten des ISIS in Puntland: Im Jänner kam es im Bezirk Bossaso zu einem Scharmützel mit puntländischen Sicherheitskräften (UNSC 16.2.2023); und im Feber zu einem missglückten Anschlag ebendort (UNSC 15.6.2023). Seit März 2023 gibt es zudem wieder Berichte über Zusammenstöße zwischen al Shabaab und dem ISIS - mit erheblichen Opfern (Sahan/SWT 22.5.2023; vergleiche Sahan/SWT 8.9.2023).

Vorfälle: In den beiden Regionen Nugaal (572.139) und Bari (1,102.760) leben nach Angaben einer Quelle 1,674.896 Millionen Einwohner (IPC 13.12.2022). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2021 insgesamt zehn Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "violence against civilians"). Bei neun dieser zehn Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2022 waren es acht derartige Vorfälle (davon alle mit je einem Toten) (ACLED 2023). In der Zusammenschau von Bevölkerungszahl und violence against civilians ergeben sich für 2022 folgende Zahlen (Vorfälle je 100.000 Einwohner): Bari 0,45; Nugaal 0,52;

In der Folge eine Übersicht für die Jahre 2013-2022 zur Gesamtzahl an Vorfällen mit Todesopfern sowie zur Subkategorie "violence against civilians", in welcher auch "normale" Morde inkludiert sind. Die Zahlen werden in zwei Subkategorien aufgeschlüsselt: Ein Todesopfer; mehrere Todesopfer. Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt:

Dieses Bild zeigt Grafiken zur Entwicklung der gewaltsamen Vorfälle in den Regionen Bari und Nugaal in den Jahren 2013 bis 2022. ACLED 2023 (und Vorgängerversionen)

Minderheiten und Clans

Letzte Änderung 2023-03-17 08:31

Zu Clanschutz siehe auch Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen

Der Clan ist die relevanteste soziale, ökonomische und politische Struktur in Somalia. Er bestimmt den Zugang zu Ressourcen sowie zu Möglichkeiten, Einfluss, Schutz und Beziehungen (SPC 9.2.2022). Dementsprechend steht Diskriminierung in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke haben (AA 28.6.2022, Sitzung 11). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2022, Sitzung 10). Selbst relative starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan 30.9.2022).

Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessenvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des Xeer. Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler. Al Shabaab installiert oft Älteste, welche die Gruppe repräsentieren. Er wird so zum Bindeglied zwischen der Gemeinschaft und al Shabaab. So werden zuvor legitime Strukturen in Geiselhaft genommen (Sahan 26.10.2022).

In ganz Somalia sehen sich Menschen, die keinem der großen Clans angehören, in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56) und für ökonomische sowie politische Partizipation (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56; vergleiche BS 2022, Sitzung 23). Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2022, Sitzung 23). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UNOCHA 14.3.2022).

Recht: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Weder das traditionelle Recht (Xeer) (SEM 31.5.2017, Sitzung 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, Sitzung 42; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 4). Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen (ÖB 11.2022, Sitzung 4). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, Sitzung 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, Sitzung 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, Sitzung 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14).

Angehörige von Minderheiten stehen vor Hindernissen, wenn sie Identitätsdokumente erhalten wollen - auch im Falle von Reisepässen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 58).

Politik: Politische Repräsentation, politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren - und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel (ÖB 11.2022, Sitzung 3). Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhalten (ÖB 11.2022, Sitzung 3; vergleiche USDOS 12.4.2022, Sitzung 31f; FH 2022a, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 2022a, B4). Sie werden von relevanten politischen Posten ausgeschlossen und die wenigen Angehörigen von Minderheiten, die solche Posten halten, haben kaum die Möglichkeit, sich für ihre Gemeinschaften einzusetzen (SPC 9.2.2022). So ist also selbst die gegebene, formelle Vertretung nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die 4.5-Formel hat bisher nicht zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bezogenen Gleichberechtigung beigetragen (ÖB 11.2022, Sitzung 4).

Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41; vergleiche AA 28.6.2022, Sitzung 14; FH 2022a, F4). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 28.6.2022, Sitzung 14). Zudem sind die Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen weniger gut ausgebaut, und sie verfügen über geringere Ressourcen (Sahan 24.10.2022) und erhalten weniger Remissen (Sahan 24.10.2022; vergleiche SPC 9.2.2022). Die mächtigen Gruppen erhalten den Löwenanteil an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird (Sahan 24.10.2022). Dementsprechend stehen Haushalte, die einer Minderheit angehören, einem höheren Maß an Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung gegenüber. Meist sind Minderheitenangehörige von informeller Arbeit abhängig, und die allgemeinen ökonomischen Probleme haben u.a. die Nachfrage nach Tagelöhnern zurückgehen lassen. Dadurch sind auch die Einkommen dramatisch gesunken (UNOCHA 14.3.2022).

Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41). In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (FIS 7.8.2020, Sitzung 39).

Al Shabaab: Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt (BS 2022, Sitzung 19; vergleiche ÖB 11.2022 Sitzung 6). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen "noblen" Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, Sitzung 11; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 4). Al Shabaab hat sich die gesellschaftliche Benachteiligung von Gruppen zunutze gemacht (Sahan 24.10.2022). Ein überproportionaler Teil von al Shabaab setzt sich aus Angehörigen der am meisten marginalisierten Gruppen Somalias zusammen (Sahan 30.9.2022). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist ein weiterer Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Missstände treiben ganze Gemeinden in die Arme von al Shabaab. Sie suchen ein taktisches Bündnis – haben dabei aber keine dschihadistische Vision, sondern wollen ihre Rivalen ausstechen. Al Shabaab nimmt derartige Spannungen gerne auf und verwendet sie für eigene Zwecke (Sahan 30.9.2022). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB 11.2022, Sitzung 4f).

Bevölkerungsstruktur

Letzte Änderung 2022-07-26 10:05

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Somalia ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings sei der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung unklar (AA 28.6.2022, Sitzung 11/14). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 12.4.2022, Sitzung 40). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UNOCHA 14.3.2022; vergleiche NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44; vergleiche SEM, 31.5.2017, Sitzung 12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 5).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2022, Sitzung 34). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, Sitzung 8).

Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

●             Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

●             Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

●             Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

●             Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

●             Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, Sitzung 9).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, Sitzung 25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, Sitzung 38ff).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, Sitzung 9). Zudem gewinnt die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation immer mehr an Bedeutung. Dadurch kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden (BS 2022, Sitzung 25).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation

Letzte Änderung 2023-03-17 08:32

Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums (SEM 31.5.2017, Sitzung 11). Die soziale Stellung der einzelnen ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich (SEM 31.5.2017, Sitzung 14). Sie werden aber als minderwertig (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44) und mitunter als Fremde erachtet (SPC 9.2.2022). So können Angehörige ethnischer Minderheiten auf Probleme stoßen - bis hin zu Staatenlosigkeit - wenn sie z. B. in einem Flüchtlingslager außerhalb Somalias geboren wurden (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 58).

Generell sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Verfolgung mehr ausgesetzt, wie dies Anfang der 1990er der Fall war (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44). Dies gilt auch für Mogadischu. Allerdings sind dort all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, Sitzung 3). In den Städten ist die Bevölkerung aber allgemein gemischt, Kinder gehen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Schule und Menschen ins Spital (UNFPA/DIS 25.6.2020).

Nach anderen Angaben drohen ethnischen Minderheiten Stigmatisierung, soziale Absonderung, Verweigerung von Rechten und ein niedriger sozialer, ökonomischer und politischer Status (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44), Arbeitslosigkeit und ein Mangel an Ressourcen. Sie werden am Arbeitsmarkt diskriminiert und vom Rest der Gesellschaft ausgeschlossen. Die meisten Angehörigen marginalisierter Gruppen haben keine Aussicht auf Rechtsschutz, nur selten werden solche Personen in die Sicherheitskräfte aufgenommen. Auch im Xeer werden sie marginalisiert. In Mogadischu mangelt es den Minderheiten auch an politischem Einfluss. Andererseits ändert sich die Situation langsam zum Besseren, die Einstellung v. a. der jüngeren Generation ändert sich; die Clanzugehörigkeit ist für diese nicht mehr so wichtig wie für die Älteren (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff).

Die Bantu sind die größte Minderheit in Somalia (SEM 31.5.2017, Sitzung 12f; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 41). Es gibt zahlreiche Bantu-Gruppen bzw. -Clans, wie z. B. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli, Oji oder Gobaweyne; pejorativ werden sie auch Adoon (Sklaven) oder Jareer (Kraushaar) genannt. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Juba und Shabelle (SEM 31.5.2017, Sitzung 12f; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Von den ca. 900.000 IDPs, die sich im Großraum Mogadischu aufhalten (Stand 2020), sind rund 700.000 Bantu (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff).

Die Bantu werden überall in Somalia rassistisch stigmatisiert (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25) und diskriminiert (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25; vergleiche BS 2022, Sitzung 9; USDOS 12.4.2022, Sitzung 41; GIGA 3.7.2018). Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu, die zum Teil einst als Sklaven ins Land gekommen waren, herab (SEM 31.5.2017, Sitzung 14; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Sie sind das dramatischste Beispiel für die Schlechterbehandlung durch dominierende Gruppen (Sahan 30.9.2022) und werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2022, Sitzung 9) und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 9f). Auch in IDP-Lagern werden sie diskriminiert, Bantu-Frauen mangelt es dort an Schutz durch die traditionelle Clanstruktur (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41; vergleiche LIFOS 19.6.2019, Sitzung 8). 80 % der Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt finden sich unter ihnen (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff). Überhaupt befinden sich Bantu in einer vulnerablen Situation, da zuvor bestehende Patronageverhältnisse (welche Schutz gewährleisteten) im Bürgerkrieg erodiert sind. Dadurch haben Bantu heute kaum Zugang zum Xeer (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 9f). Bantu sind besonders schutzlos (ÖB 11.2022, Sitzung 4; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 42). Andererseits sind einige Bantu-Gruppen mit lokal mächtigen Clans Allianzen eingegangen, um sich dadurch zu schützen (FIS 7.8.2020, Sitzung 44).

Mischehen werden stigmatisiert (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 7). Im September 2018 wurde ein Bantu in Mogadischu in Zusammenhang mit einer Mischehe getötet. Allerdings war dies ein sehr außergewöhnlicher Vorfall, über welchen viele Somali ihre Entrüstung äußerten (NLMBZ 3.2019, Sitzung 43). Al Shabaab hingegen hat zahlreiche Kinder der Bantu entführt oder zwangsrekrutiert. Trotzdem genießt die Gruppe bei dieser Minderheit größere Unterstützung (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 7ff). Die meisten Fußsoldaten von al Shabaab, die aus Middle Shabelle stammen, gehören zu Gruppen mit niedrigem Status – etwa zu den Bantu. Al Shabaab hat diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von "noblen" Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).

Einem Bericht zufolge sind aus den USA deportierte somalische Bantu - manchmal schon am Flughafen in Mogadischu - von Bewaffneten entführt worden, um Lösegeld zu erpressen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 58).

Benadiri ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben (z. B. Mogadischu, Merka, Baraawe) und sich traditionell im Handel betätigen. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien, Persien, Indien und Portugal (SEM 31.5.2017, Sitzung 13f; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos. Heute werden Benadiri gemeinhin als Händler respektiert (SEM 31.5.2017, Sitzung 13f). In Mogadischu stellen die Benadiri die zweitgrößte Minderheitengruppe. Einige von ihnen haben es geschafft, reich zu werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 41ff). Im Gegensatz zu den Bantu kommt ihnen kein geringerer Status zu, Mischehen sind kein Problem (LI 14.6.2018, Sitzung 17). Auch von Sicherheitsproblemen wird (in Mogadischu) nicht berichtet (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 45). Vielen Reer Xamar (Teil der Benadiri) ist es gelungen, ihre vormaligen Immobilien im Bezirk Xamar Weyne (Mogadischu) durch Zahlungen zurückzuerhalten. Dort stellen sie auch die Bevölkerungsmehrheit (LI 21.5.2019b, Sitzung 2f).

Die Bajuni sind ein kleines Fischervolk, das auf den Bajuni-Inseln im Süden Somalias sowie in Kismayo (SEM 31.5.2017, Sitzung 14; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57) aber auch entlang der kenianischen Küste bis Lamu lebt. Der UNHCR zählt die Bajuni zu den Benadiri (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57).

Kinder von Mischehen der al-Shabaab: Einige somalische Mädchen und Frauen haben ausländische Kämpfer (z.B. aus Europa, USA, Asien) der al Shabaab geheiratet. Die aus solchen Ehen hervorgegangenen Kinder sind teils leicht zu identifizieren (ICG 27.6.2019, Sitzung 9).

Grundversorgung/Wirtschaft

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Wirtschaft und Arbeit

Letzte Änderung 2023-03-17 09:48

Mehrere Schocks haben die Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Erholung des Landes unterminiert, darunter Überschwemmungen, eine Heuschreckenplage und die Covid-19-Pandemie (AFDB 25.5.2022). Die somalische Wirtschaft hat sich allerdings als resilienter erwiesen, als zuvor vermutet: Ursprünglich war für 2020 ein Rückgang des BIP um 2,5 % prognostiziert worden (UNSC 13.11.2020, Absatz 17,), tatsächlich sind es dann nur minus 0,4 % geworden (UNSC 10.8.2021, Absatz 17,), nach anderen Angaben sogar nur 0,1 %. Für 2021 war ein Wachstum von 2,4 % prognostiziert, geworden sind es dann 2,9 % (FTL 29.11.2022). Für das Jahr 2022 prognostiziert die Weltbank ein Wachstum von 3,2 % (WB 6.2021, Sitzung 20).

Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Erholung sind Remissen und anhaltende Investitionen (UNSC 17.2.2021, Absatz 19,). Ein resilienter Privatsektor und starke Remissen aus der Diaspora bleiben Grundlage für Optimismus. Zudem gibt es unentwickelte Möglichkeiten aufgrund der Urbanisierung, sowie auf den Gebieten neuer Technologien, Bildung und Gesundheit Ausschussbericht 22.6.2022). Die Geldrückflüsse nach Somalia sind 2021 im Vergleich zu 2020 noch einmal gestiegen, von 30,8 % des BIP auf 31,3 % (AFDB 25.5.2022). Neben der Diaspora (VICE 1.3.2020) sind auch zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) tatkräftig dabei, das Land wiederaufzubauen (ÖB 11.2022, Sitzung 21). Das Maß an privaten Investitionen bleibt konstant. Die Inflation lag 2021 bei 4,6 %, für 2022 werden aufgrund höherer Nahrungsmittel- und Treibstoffpreise sowie der herrschenden Dürre 9,4 % prognostiziert (AFDB 25.5.2022).

Allerdings war das Wirtschaftswachstum schon in besseren Jahren für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern hätte können (UNSC 21.12.2018, Sitzung 4). Der Bevölkerungszuwachs nivelliert das Wirtschaftswachstum und hemmt die Reduzierung von Armut (BS 2022, Sitzung 30). Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt 875 US-Dollar (BS 2022, Sitzung 3). Zusätzlich bleibt die somalische Wirtschaft im Allgemeinen weiterhin fragil. Dies hängt mit der schmalen Wirtschaftsbasis zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist von Landwirtschaft und Fischerei abhängig und dadurch externen und Umwelteinflüssen besonders ausgesetzt (ÖB 11.2022, Sitzung 15). Landwirtschaft, Handel, Kommunikation und mobile Geldtransferdienste tragen maßgeblich zum BIP bei; alleine die Viehwirtschaft macht rund 60 % des BIP (BS 2022, Sitzung 31) und 80 % der Exporte aus (BS 2022, Sitzung 25). Der Großteil der Wirtschaft bzw. der wirtschaftlichen Aktivitäten ist dem informellen Sektor zuzurechnen (UNSC 10.10.2022, Absatz 64,). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft schwierig bis unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB 11.2022, Sitzung 2/15) bzw. sind vertrauenswürdige Daten kaum vorhanden (BS 2022, Sitzung 30).

Al Shabaab und andere nicht staatliche Akteure behindern kommerzielle Aktivitäten in Bakool, Bay, Gedo und Hiiraan (USDOS 12.4.2022, Sitzung 25).

Staatshaushalt: Die Regierung ist stark abhängig von externer Hilfe. Ein Großteil der Regierungsausgaben wird durch externe Akteure bezahlt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29; vergleiche BS 2022, Sitzung 40). Alleine die offizielle Entwicklungshilfe betrug 2019 1,9 Milliarden US-Dollar – 40 % des BIP (BS 2022, Sitzung 40). Aufgrund der fehlenden Kontrolle über das Territorium – aber auch hinsichtlich technischer Fähigkeiten – war die Regierung bisher nicht in der Lage, ein nationales Steuersystem aufzubauen. Selbst für grundlegende Staatsausgaben ist das Land auf externe Geber angewiesen (BS 2022, Sitzung 36). Von den Bundesstaaten gelingt es neben Puntland nur Jubaland, ein relevantes Maß an Einnahmen selbst zu generieren (WB 6.2021, Sitzung 16).

Dabei entwickelten sich die Budgetzahlen in den letzten Jahren stetig nach oben:

https://stp-intern-p.justiz.cal.local/at.gv.bfa.coicms-p/services/file/cb4fb8d0ed6617922e4729e24ff660d2fb4a28b6

38 % der Staatsausgaben entfallen auf Verteidigung und Sicherheit (BS 2022, Sitzung 28), in den Jahren 2017 bis 2021 waren es durchschnittlich 31 % (AI 18.8.2021, Sitzung 19). Das Budget für das Jahr 2023 sieht mehr Geld für öffentliche Dienste wie Gesundheitszentren, Bildungseinrichtungen und Sicherheitskräfte vor (RD 28.12.2022).

Im Jahr 2020 hatte Somalia mit der Normalisierung der Beziehungen zu internationalen Finanzinstitutionen (Weltbank, Währungsfonds, Afrikanische Entwicklungsbank) einen Meilenstein erreicht. Das Land kann wieder partizipieren (HIPS 2021, Sitzung 4/23).

Arbeitsmarkt: Es gibt kein nationales Mindesteinkommen. Ca. 95 % der Berufstätigen arbeiten im informellen Sektor (USDOS 12.4.2022, Sitzung 48). In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund sowie vom Ort ab (BS 2022, Sitzung 30).

Das Unternehmertum spielt in der somalischen Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Schätzungen zufolge werden alleine dadurch mehr als drei Viertel aller Arbeitsplätze geschaffen (WB 22.3.2022). Zum Beispiel hat der Telekom-Konzern Hormuud Telecom in den vergangenen Jahren tausende Arbeitsplätze geschaffen und beschäftigt heute mehr als 20.000 Frauen und Männer (EAT 14.2.2021). Überhaupt sind zwei Drittel der aktiven Erwerbsbevölkerung Selbständige (WB 13.7.2022)

Einerseits wird berichtet, dass die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge und zurückkehrende Flüchtlinge in Süd-/Zentralsomalia limitiert sind. So berichten etwa Personen, die aus Kenia zurückgekehrt sind, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 27). Andererseits wird ebenso berichtet, dass die besten Jobs oft an Angehörige der Diaspora fallen – etwa wegen besserer Sprachkenntnisse (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Am Arbeitsmarkt spielen Clanverbindungen eine Rolle (USDOS 12.4.2022, Sitzung 48). Gerade, um eine bessere Arbeit zu erhalten, ist man auf persönliche Beziehungen und das Netzwerk des Clans angewiesen. Dementsprechend schwer tun sich IDPs, wenn sie vor Ort über kein Netzwerk verfügen; meist sind sie ja nicht Mitglieder der lokalen Gemeinde (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen (DI 6.2019, Sitzung 22f; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden (OXFAM 6.2018, Sitzung 10); außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise (DI 6.2019, Sitzung 22f). Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem wird von Ausbeutung und Unterbezahlung berichtet (OXFAM 6.2018, Sitzung 10).

Ende Mai 2022 hat die Regierung die National Youth Development Initiative gestartet. Mit dieser sollen Arbeitsplätze für Jugendliche geschaffen werden (WB 13.7.2022). Die von der EU finanzierte Dalbile Youth Initiative wurde im August 2020 gestartet und läuft weiter fort. Mit diesem Programm wird das Leben von ca. 5.000 jungen Menschen verändert werden, durch Unternehmertum, soziale Unternehmungen, Management Training, Mentorship, Ausbildung und Geldern für Start-ups (RD 23.9.2022). Im Rahmen dieses und anderer Programme hat UNFPA diverse Maßnahmen umgesetzt, um Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt besserzustellen. Im ersten Jahr der Dalbile Youth Initiative wurden mehr als 1.500 Jugendliche (davon ca. die Hälfte weiblich) mit Kapazitätsbildungsmaßnahmen erreicht. 68 Start-ups wurden mit Krediten versorgt (UNFPA 27.7.2022). Ein Programm von IOM unterstützt Jugendliche dabei, neue Fähigkeiten zu erwerben, die auf dem Arbeitsmarkt von Vorteil sind – etwa als Schneider, Installateur oder Elektriker. In Baidoa und Kismayo wurden 300 Jugendliche finanziell unterstützt, um bei lokalen Firmen Berufspraktika absolvieren zu können. Die meisten der Absolventen des Programms können danach ihren Lebensunterhalt mit eigenem Einkommen finanzieren (IOM 27.12.2022).

Einkommen, Tätigkeiten: An Arbeitstätigkeiten genannt werden: Träger am Bau; Arbeiten am Hafen (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f) Köhler; Hilfsarbeiter am Bau; Koranlehrer; Rickshaw-Fahrer; Transporteur mit einer Eselkarre; Transporteur mit einer Scheibtruhe (Khalil 1.2019, Sitzung 30). Arzt; Krankenschwester (FIS 5.10.2018, Sitzung 36); Universitätslektor (TG 8.6.2022); angestellte und selbstständige Überlandfahrer; Fleischverkäufer (RE 18.2.2021); Magd; Hausangestellte; Wäscherin; Marktverkäuferin. In der Verwaltung sind nur wenige Stellen verfügbar, besser stellt sich die Situation bei Polizei und Armee dar. Viele Menschen leben vom Kleinhandel oder von ihrer Arbeit in Restaurants oder Teehäusern. Allerdings ist eine Arbeit in der Gastwirtschaft mit niedrigem Ansehen verbunden. Die Mehrheitsbevölkerung ist derartige Tätigkeiten sowie jene auf Baustellen äußerst abgeneigt. Dort finden sich vielmehr marginalisierte Gruppen – z. B. IDPs – die oft auch als Tagelöhner arbeiten. Weibliche IDPs arbeiten als Mägde, Hausangestellte oder Wäscherinnen. Manche verkaufen Früchte auf Märkten (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Durch den Niedergang der Landwirtschaft, der maßgeblich durch die Dürre verursacht worden ist, ist auch die Nachfrage nach Arbeitskräften in der Landwirtschaft gesunken bzw. haben sich die Löhne dort verringert (IPC 4.6.2022).

IOM berichtet aus Mogadischu, dass dort für ungelernte Arbeitskräfte Jobs zur Verfügung stehen - etwa als Reinigungskraft, Träger oder im Zustelldienst, als Ziegelmacher, Wäscherin oder auch als Buchhalter. Oft werden derartige Jobs aber von Arbeitgebern an eigene Verwandte vergeben. Zu finden sind Jobs meist über die eigene Verwandtschaft oder persönliche Netzwerke. Es gibt aber auch Websites zur Arbeitsvermittlung: Shaqodoon.net und Qaranjobs.com. Frauen mit Ausbildung können sich um einen Job umsehen. Frauen ohne Ausbildung übernehmen üblicherweise Aufgaben im Haushalt oder aber sie finden eine Anstellung über Familienkontakte, oder indem sie von Tür zu Tür gehen. Frauen ohne Kontakte in Mogadischu müssen oft die am schlechtesten bezahlten Jobs annehmen - etwa als Wäscherin oder Reinigungskraft (IOM 2.3.2023)

Gesucht werden in Mogadischu Fachkräfte in den Bereichen Medizin (Ärzte, Krankenpfleger), Hotellerie, Wirtschaft und IT (IOM 2.3.2023).

Hier einige Beispiele zu Einkommen:

https://stp-intern-p.justiz.cal.local/at.gv.bfa.coicms-p/services/file/8928546906e97b895db0c90a89654c791d777aa1

IOM berichtet im Feber 2023 von folgenden durchschnittlichen Einkommen in Mogadischu:

IOM 2.3.2023
Arbeitslosenquote: Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch (USDOS 12.4.2022, Sitzung 27), wobei es zu konkreten Zahlen unterschiedlichste und teils widersprüchliche Angaben gibt: Laut einer Quelle lag die Erwerbsquote (labour force participation) 2018 bei Männern bei 58 %, bei Frauen bei 37 % (UNSC 21.12.2018, Sitzung 4). Die Zahl für Frauen wird auch von einer Quelle im Jahr 2021 erwähnt (SLS 6.4.2021). Zwei Quellen nennen 2022 eine Jugendarbeitslosigkeit (15-29 Jahre) von 67-68 % (RD 10.6.2022; vergleiche UNFPA 27.7.2022). Allerdings suchen laut einem Bericht der ILO nur 40 % der Jugendlichen tatsächlich nach einer Arbeit (UNFPA 27.7.2022). Eine weitere Quelle erklärte 2016, dass 58 % der männlichen Jugendlichen (Altersgruppe 15-35) ökonomisch aktiv waren, während drei von zehn Jugendlichen arbeitslos waren (UNFPA 8.2016, Sitzung 4). In einer anderen Quelle wird die Arbeitslosenrate für 2020 mit 13,1 % angeführt (BS 2022, Sitzung 23); die Weltbank nennt für das Jahr 2021 für ganz Somalia eine Arbeitslosenquote bei der Erwerbsbevölkerung von 19,9 % (WB 2022). Eine weitere Quelle nannte 2018 bei 15-24-Jährigen eine Quote von 48 % (OXFAM 6.2018, Sitzung 22, FN8) und die österreichische Botschaft in Nairobi erklärt, dass unterschiedliche Quellen unterschiedliche Kriterien verwenden und die Schätzungen zwischen 19,9 % und 47,4 % schwanken (ÖB 11.2022, Sitzung 15). Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben hingegen nur 14,3 % der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6 %, Kismayo 13 %, Baidoa 24 %) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von „arbeitslos“ unklar ist (z.B. informeller Sektor) (IOM 2.2016).

Nach Angaben einer Quelle hat sich die Arbeitslosigkeit - und damit auch die Armut - infolge der Covid-19-Pandemie verstärkt. 21 % mussten ihre Arbeit niederlegen; und das, obwohl nur 55 % der Bevölkerung überhaupt am Arbeitsmarkt teilnehmen. 78 % der Haushalte berichteten über einen Rückgang des Einkommens (WB 6.2021, Sitzung 23).

[Zur Arbeitsmarktlage in Somalia gibt es kaum aktuelle, v. a. kaum detaillierte Informationen.] In einer eingehenden Analyse hat UNFPA im Jahr 2016 Daten zur Ökonomie in der somalischen Gesellschaft erhoben. Dabei wird festgestellt, dass nur knapp die Hälfte der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (15-64) überhaupt am Arbeitsleben teilnimmt. Der Rest ist „ökonomisch inaktiv“; in diese Gruppe fallen in erster Linie Hausfrauen, gefolgt von Schülern/Studenten, pensionierten oder arbeitsunfähigen Personen. Bei den ökonomisch Aktiven wiederum finden sich in allen Lebensbereichen deutlich mehr Männer (UNFPA 2016):

●             Ländlich: 68,8 % der Männer - 40,5 % der Frauen

●             Urban: 52,6 % der Männer - 24,6 % der Frauen

●             IDP-Lager: 55,2 % der Männer - 32,6 % der Frauen

●             Nomaden: 78,9 % der Männer - 55,6 % der Frauen (UNFPA 2016)

Aufgeschlüsselt für Puntland und Süd-/Zentralsomalia ergibt sich aus den UNFPA-Daten, dass dort 44,4 % der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeiten. 11,4 % gelten als Arbeitssuchende. 44,2 % der Bevölkerung sind ökonomisch inaktiv. Als arbeitend werden in der Studie folgende Personen bezeichnet: jene, die in den der Erhebung vorangegangenen zwölf Monaten bezahlter Arbeit nachgegangen sind oder selbstständig waren. Darunter fällt auch unbezahlte (aber produktive) Arbeit in der Familie, bei welcher direkt Einkommen generiert wird (etwa Viehhüten, Arbeit am eigenen Ackerland; Wirtschaftstreibende, Dienstleister im eigenen Betrieb). Als arbeitslos werden jene Personen bezeichnet, die in diesen zwölf Monaten nach Arbeit gesucht haben und bereit waren, eine Arbeit anzunehmen (UNFPA 2016, Sitzung 29):

https://stp-intern-p.justiz.cal.local/at.gv.bfa.coicms-p/services/file/8a062d7a35f6448da846981a3470f4c6e9b5cbc5 (UNFPA 2016, S.29)

In der gleichen Studie wurde der Status bzgl. Arbeit auch auf Geschlechter heruntergebrochen. Folglich waren zum damaligen Zeitpunkt in Puntland und Süd-/Zentralsomalia 13,8 % der Männer und 9 % der Frauen im Alter von 15-64 Jahren auf der Arbeitssuche, wohingegen 55,8 % der Männer und 32,9 % der Frauen einer Arbeit nachgingen (UNFPA 2016, Sitzung 31):

https://stp-intern-p.justiz.cal.local/at.gv.bfa.coicms-p/services/file/f70a8f8a0a603960159f1c86b6c9c20540cabe47 (UNFPA 2016, S.31)

Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen in Puntland und Süd-/Zentralsomalia arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (65,6 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (13,5 %) (UNFPA 2016, Sitzung 36f):

https://stp-intern-p.justiz.cal.local/at.gv.bfa.coicms-p/services/file/bef9e4201fcbc1fa5f7689815015890a9872571f (UNFPA 2016, S.36f)

Frauen: Der vor allem unter Männern vorherrschende Khat-Konsum, der im langjährigen Konflikt geforderte Blutzoll an der männlichen Bevölkerung und die hohe Scheidungsrate haben dazu geführt, dass Frauen immer mehr in ehemals männlich dominierte Wirtschaftsbereiche vorstoßen – etwa bei der Viehzucht, in der Landwirtschaft und im Handel. Frauen tragen nunmehr oft den Hauptteil zum Familieneinkommen bei (ICG 27.6.2019, Sitzung 10f). Gerade auch die Hungersnot von 2011 und die Dürre 2016/17 haben den Vorstoß von Frauen in männliche Domänen weiter vorangetrieben (DI 6.2019, Sitzung 22). In Süd-/Zentralsomalia und Puntland sind Frauen in 43 % der Haushalte mittlerweile die Hauptverdiener (OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Frauen spielen - außer bei den großen Betrieben - eine führende Rolle beim Unternehmertum. In Mogadischu und Bossaso sind ca. 45 % der formellen Unternehmen im Besitz von Frauen (WB 22.3.2022).

Trotzdem bietet sich für vom Land in Städte ziehende Frauen meist nur eine Tätigkeit als z. B. Wäscherin an, da es diesen Frauen i. d. R. an Bildung und Berufsausbildung mangelt. Allerdings können sie z. B. auch als Kleinhändlerin tätig werden. Sie verkaufen Treibstoff, Milch, Fleisch, Früchte, Gemüse oder Khat auf Märkten oder auf der Straße. 80-90 % des derart betriebenen Handels wird von Frauen kontrolliert. Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f), oder sie verkaufen Kleidung und Essen (RE 19.2.2021). Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin (OXFAM 6.2018, Sitzung 10) oder aber auch auf Baustellen (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Viele der hunderten Straßenreiniger in Mogadischu sind Witwen und die alleinigen Geldverdiener ihrer Familien. Das höchste hier verfügbare Einkommen beträgt 150 US-Dollar im Monat; manche bekommen Essensrationen. Die Stadtverwaltung versucht auch, männliche Reinigungskräfte anzuwerben, hat aber wenig Erfolg. Viele Männer weigern sich demnach, solche Arbeiten zu verrichten (AJ 21.7.2022). All die zuvor genannten Tätigkeiten führen Frauen jenseits des ihnen traditionell zugeschriebenen Bereichs des eigenen Haushalts aus (OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Natürlich gibt es für Frauen auch weiterhin kulturelle Einschränkungen bezüglich der Berufsausübung, z. B. können sie nicht Taxifahrerin werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f). Sie haben hinsichtlich Einkommensmöglichkeiten eine eingeschränkte Auswahl. Von Frauen abgehaltene Workshops (z. B. Schneiderei-, Henna- und Kochkurse) in Mogadischu tragen zur Verbesserung der Situation bei (DW 11.3.2021). Allerdings ist auch bekannt, dass Frauen eine geringere Aussicht auf eine Vollzeitanstellung haben (SLS 6.4.2021).

Lebensunterhalt: Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, kleine Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar (BS 2022, Sitzung 25f). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1 %). 6,9 % arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8 % als Handwerker, 4,7 % als Techniker, 4,1 % als Hilfsarbeiter und 2,3 % als Manager (UNFPA 2016, Sitzung 22).

Die Mehrheit der IDPs verdingt sich als Tagelöhner. Frauen gehen oft von Tür zu Tür und bieten ihre Dienste an, etwa als Wäscherinnen oder in der Hausarbeit. Männer gehen häufig auf Baustellen - die Städte werden ja wieder aufgebaut und daher braucht es auch viele Tagelöhner. Die begehrtesten Jobs sind jene auf Baustellen, wo der Verdienst höher ist als in anderen Bereichen. Es gibt auch viele Kleinstunternehmer beiderlei Geschlechts. Dabei bekommen die Menschen nicht immer einen Job, sie arbeiten z. B. nur 2-3 Tage in der Woche. Daneben gibt es humanitäre Hilfe, aber damit sind die Menschen nicht ausreichend versorgt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Nach anderen Angaben bieten NGOs und der Privatsektor den Menschen grundlegende Dienste – vor allem in urbanen Zentren (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Zudem haben Menschen in IDP-Lagern - v.a. wenn sie länger dort leben - in der Regel auch eine Nachbarschaftshilfe aufgebaut (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23).

In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60 %) und von Verwandten im Ausland (27 %) versorgt zu werden (IOM 2.2016, Sitzung 42f). Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/32f; vergleiche GIGA 3.7.2018) bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen – z. B. bei Krankenkosten – und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus (GIGA 3.7.2018). Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z. B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 9/32ff). Erweiterte Familie und Clan stellen also das grundlegende soziale Sicherheitsnetz dar (BS 2022, Sitzung 29).

Aufgrund des Fehlens eines formellen Bankensystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debt-credit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clanverbindungen eine wichtige Rolle – und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greißler anschreiben lassen (RVI 9.2018, Sitzung 4). Zusätzlich ist es 2019 gelungen, die Gargaara Company Ltd. zu etablieren. Über diese Institution werden Kredite an Mikro-, Klein- und mittlere Unternehmen vergeben. Gargaara spielt auch beim Abfedern von Auswirkungen der Covid-19-Pandemie eine Rolle (WB 6.2021, Sitzung 7).

Die Lebenshaltungskosten in Mogadischu liegen bei mindestens 200 US-Dollar im Monat, für mittlere Standards jedenfalls bei 300 US-Dollar (IOM 2.3.2023). Die Inflation zeigt Auswirkungen auf die Bewertung von Einkommen. Ein Universitätslektor in Mogadischu erörtert, dass vorher 130 US-Dollar ausgereicht haben, um für die Kinder Milch und Nahrung zu besorgen. Nun aber reichen nicht einmal 250 US-Dollar. Er verdient 800 US-Dollar und damit konnte er mit seiner Frau und sieben Kindern ein komfortables Leben führen. Jetzt erklärt er, kaum alle lebenswichtigen Kosten abdecken zu können (TG 8.6.2022).

Beispiele für Lebenshaltungskosten:

●             Ein Bauarbeiter in Middle Shabelle gibt an, 9 US-Dollar am Tag verdient zu haben. Dies reicht für den Unterhalt der Familie und das Schulgeld für zwei Kinder aus. Zudem konnte eine Tochter auf eine Krankenschwesternschule in Mogadischu geschickt werden, und für die Familie wurde ein dreiräumiges Haus gekauft (RE 6.12.2022).

●             Ein anderer Bauarbeiter in Jowhar erklärt, dass er 4,5 US-Dollar am Tag verdient hat und damit seiner Familie zwei tägliche Mahlzeiten garantieren konnte. Zudem wurde damit die Miete für ein zweiräumiges Haus (40 US-Dollar) bezahlt (RE 6.12.2022).

●             Ein Lehrer an einer Privatschule in Mogadischu berichtet, dass er dort 120 US-Dollar im Monat verdient. Die Hälfte davon gibt er für die Miete eines kleinen Hauses aus, den Rest für die Erhaltung seiner Familie. Pro Tag geht sich demnach nur eine Mahlzeit aus (RE 29.11.2022).

●             Ein Lehrer für Arabisch und Islam an einer Volksschule im Bezirk Hodan, Mogadischu, erklärt, dass er 100 US-Dollar im Monat verdient. Damit fällt es ihm schwer, seine vier Kinder ernähren zu können (RE 29.11.2022).

●             Ein Bauarbeiter in Cadaado berichtet, dass er 12-14 US-Dollar pro Tag und rund 350 US-Dollar im Monat verdient. Die Preise sind derart gestiegen, dass er damit seine Familie nicht mehr erhalten kann. Zuvor reichten dafür 250 US-Dollar im Monat (RE 3.8.2022).

●             Ein 36-jähriger Bauarbeiter aus Bakool berichtet, dass sein Einkommen ca. 7,5 US-Dollar pro Tag betragen hat. Damit konnten er und seine Familie leben und drei Mahlzeit am Tag konsumieren. Mit den Preisanstiegen von teils 70 % ist dies nicht mehr möglich (RE 16.8.2022).

●             An Privatschulen in Mogadischu zahlen Schüler 10-15 US-Dollar im Monat (RE 29.11.2022), die Schulgebühren in Kismayo betragen 10-18 US-Dollar (RE 24.8.2022). Ein Vater von vier Kindern in Galkacyo berichtet, dass er für vier Kinder insgesamt 30 US-Dollar Schulgeld bezahlt (RE 18.12.2022).

●             Eine Viehmaklerin an einem Markt in Luuq, Gedo, gibt an, 4-5 US-Dollar pro Tag zu verdienen. Damit kann sie vier ihrer acht Kinder in die Schule schicken – Kostenpunkt 51 US-Dollar – und ihrer Familie zwei Mahlzeiten pro Tag garantieren. Zudem konnte sie 3.000 US-Dollar ansparen und mit weiteren 1.800 geborgten US-Dollar ein Stück Land erwerben und darauf ein Haus bauen (RE 30.11.2022).

●             Eine andere Viehmaklerin aus Luuq – ebenfalls IDP – berichtet, dass sie pro verkaufter Ziege 30-70 US-Cent erhält. Sie Verkauft am Tag 5-10 Ziegen. Die Frau gibt an, ihrer Familie zwei Mahlzeiten am Tag garantieren zu können. Zuvor hat sie bei Lebensmittelhändlern Schulden gemacht (RE 30.11.2022).

●             Ein IDP aus Bay, der in Luuq Bauarbeiter ist, kann mit seinem Einkommen sich und seinen neun Geschwistern zwei Mahlzeiten am Tag gewähren. Anfangs wohnten sie im IDP-Lager bei Verwandten, mit verdientem Geld konnte der Mann sich und seinen Geschwistern eine eigene Hütte bauen. Sich selbst hat er in einer Abendschule eingeschrieben und zahlt dort 10 US-Dollar Schulgeld (RE 26.10.2022).

●             Ein 29-jähriger Mann aus Bakool, der nach Luuq in Gedo geflüchtet ist, erklärt, dass er als Bauarbeiter 6-8 US-Dollar am Tag verdient. Jede Woche schickt er 24 US-Dollar an seine in Bakool verbliebene Familie. Damit kann sich diese zwei Mahlzeiten pro Tag leisten (RE 26.10.2022).

●             Eine Teeverkäuferin in Cadaado berichtet, dass die Miete für ein Haus dort bei rund 25 US-Dollar / Monat liegt (RE 3.8.2022). Eine IDP-Frau in Galkacyo gibt an, für eine kleine Hütte im Lager in Buulo Jawan 10 US-Dollar Miete pro Monat bezahlt zu haben (RE 1.12.2022).

●             Ein Taxifahrer in Cadaado berichtet, dass er und seine fünfköpfige Familie zuvor von 4 US-Dollar am Tag gelebt haben, die Lebenshaltungskosten aber nun auf 7 US-Dollar gestiegen sind (RE 3.8.2022).

●             Eine Schneiderin in Galkacyo berichtet, dass sie 2-3 US-Dollar am Tag verdient. Sie bezahlt 15 US-Dollar Miete für ein Haus und insgesamt 35 US-Dollar Schulgeld pro Monat für ihre vier Kinder (RE 18.12.2022).

Remissen: Im Jahr 2020 wurden insgesamt 2,8 Milliarden US-Dollar (2019: 2,3 Milliarden) nach Somalia zurück überwiesen. Davon flossen 1,6 Milliarden an Privathaushalte (2019: 1,3 Milliarden) (WB 6.2021, Sitzung 11f). Wie erwähnt, sind für viele Haushalte Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle (FIS 7.8.2020, Sitzung 34) bzw. ermöglichen sie es vielen somalischen Staatsbürgern, den Lebensunterhalt zu bestreiten (BS 2022, Sitzung 26). Diese Remissen, die bis zu 40 % eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen also wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei (BS 2022, Sitzung 29) und fördern die Resilienz der Haushalte (DI 6.2019, Sitzung 5). Städtische Haushalte erhalten viel eher regelmäßige monatliche Remissen, dort sind es 72 %. Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Überweisungen beträgt 229 US-Dollar (RVI 9.2018, Sitzung 1f). IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen (DI 6.2019, Sitzung 28). Auch die Bevölkerung in Südsomalia – und hier v. a. im ländlichen Raum – empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist (RVI 9.2018, Sitzung 2).

Mindestens 65 % der Haushalte, welche Remissen beziehen, erhalten diese regelmäßig (monatlich), der Rest erhält sie anlassbezogen oder im Krisenfall. Remissen können folglich Fluktuationen im Einkommen bzw. gestiegene Ausgaben ausgleichen. Dies ist gerade in Zeiten einer humanitären Krise - etwa jener von 2017 - wichtig. Durch Remissen können Haushalte Quantität und Qualität der für den Haushalt besorgten Lebensmittel verbessern, und ein sehr großer Teil der Überweisungen wird auch für Lebensmittel aufgewendet. Zusätzlich wird in Somalia in Zeiten der Krise auch geteilt. Menschen bitten z. B. andere Personen, von welchen sie wissen, dass diese Remissen erhalten, um Hilfe (RVI 9.2018, Sitzung 2f).

Grundversorgung und humanitäre Lage

Letzte Änderung 2024-01-03 09:48

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Die Ausmaße der historische Dürre sowie der anhaltende Konflikt mit al Shabaab verschärfen dieses Problem (AA 15.5.2023). Öffentliche Dienste gibt es kaum, meist finden sich Angebote wie Wasser- und Stromversorgung sowie Bildung und Gesundheitsdienste bei privaten Dienstleistern. Für viele Menschen sind derartige Dienste nur schwer oder gar nicht zugänglich (BS 2022a). Der Gouverneur der somalischen Zentralbank erklärt, dass es für die Zurverfügungstellung eines finanziellen Sicherheitsnetzes für Bedürftige seitens der Regierung keinerlei budgetären Spielraum gibt (BN 29.6.2022).

Armut: Weite Teile der Bevölkerung in Somalia leiden unter Armut und Ernährungsunsicherheit. Die Weltbank schätzt, dass 71 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag sowie 10 % knapp darüber leben. Besonders stark und weit verbreitet ist Armut in ländlichen Gebieten und in den Siedlungen von Binnenvertriebenen (ÖBN 11.2022). Es gibt viele IDPs und Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten (USDOS 20.3.2023). Generell sind somalische Haushalte aufgrund von Naturkatastrophen, Epidemien, Verletzung oder Tod für Notsituationen anfällig. Mangelnde Bildung, übermäßige Abhängigkeit von landwirtschaftlichem Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit, geringer Wohlstand und große Haushaltsgrößen tragen weiter dazu bei (ÖBN 11.2022). Zwei Drittel der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Sie sind absolut vom Regen abhängig. In den vergangenen Jahren haben Frequenz und Dauer von Dürren zugenommen. Deswegen wurde auch die Kapazität der Menschen, derartigen Katastrophen zu begegnen, reduziert. Mit jeder Dürre wurden ihre Vermögenswerte reduziert: Tiere starben oder wurden zu niedrigen Preisen verkauft, Ernten blieben aus; es fehlte das Geld, um neues Saatgut anzuschaffen (Guardian 8.7.2019). Die Zahl der Menschen, die in Somalia humanitäre Hilfe benötigen, ist im Laufe der Jahre stetig gestiegen, von 5,2 Millionen im Jahr 2020 auf 5,9 Millionen im Jahr 2021; von 7,7 Millionen im Jahr 2022 auf derzeit 8,25 Millionen Menschen im Jahr 2023 (SOYDA 4.9.2023).

Dürre, Regenfälle, Überschwemmungen: Die Gu-Regenzeit (April-Juni) 2023 brachte unterschiedliche Erträge. In Nordsomalia sowie im südlichen Gedo und in Lower Juba gab es durchschnittliche bis überdurchschnittliche Niederschläge, in den zentralen Regionen nahezu durchschnittliche bis durchschnittliche Niederschläge. Damit wurde das Ende der Dürrebedingungen in den meisten Teilen Somalias signalisiert (FSNAU 18.9.2023a). Die Dürre hatte mit fünf ausgefallene Regenzeiten zu einer Dezimierung von Viehbeständen und Ernten geführt, das Land stand am Rand einer Hungersnot (STC 16.11.2023; vergleiche IPC 28.2.2023). Die Dürre hat zum Verlust von Menschenleben und von wichtigen Nahrungs- und Einkommensquellen und damit zu schweren Schäden an der Lebensgrundlage geführt. Viele ländliche Haushalte haben eine Erosion ihrer Lebensgrundlagen und ihrer Bewältigungskapazitäten erlebt und sahen sich mit wachsenden Lücken in der Nahrungsmittelversorgung konfrontiert. Diese Faktoren haben zum Anstieg der Zahl an Menschen geführt, die aus ländlichen Gebieten in IDP-Lager geflüchtet sind (IPC 28.2.2023). Von der Dürre waren fast 50 % der Bevölkerung betroffen (UNSC 1.9.2022a).

Schon im Rahmen der Gu-Regenzeit kam es zu Überschwemmungen in Hiiraan, Middle Shabelle und Lower Shabelle. Schwere Sturzfluten verursachten in Teilen von Gedo, Bay und Bakool sowie in Teilen der nordwestlichen Regionen schwere Schäden. Menschen mussten flüchten, es kam zu erheblichen Ernteverlusten sowie Einkommensverlusten aus der landwirtschaftlichen Beschäftigung (FSNAU 18.9.2023b; vergleiche SOYDA 4.9.2023). In Belet Weyne wurden 97 % der Wasserquellen zerstört oder verseucht (WHO 10.9.2023). Bereits im November 2022 wurde festgehalten, dass es Jahre dauern wird, bevor sich Somalia von der Dürre erholt haben wird (REU 21.11.2022). So werden etwa pastoralistische Haushalte in Nord- und Zentralsomalia werden mehrere Saisonen brauchen, bis sie sich von den Verlusten der jüngeren Vergangenheit erholt haben (IPC 28.2.2023).

Doch nun folgt auf die o.g. schlimmste Dürre seit 40 Jahren das Wetterphänomen El Niño, das ungewöhnlich starke Regenfälle, Gewitter und extreme Überschwemmungen mit sich bringt (STC 16.11.2023; vergleiche UN OCHA 23.11.2023). El Niño wird von einem positiven Dipol im Indischen Ozean begleitet (UN OCHA 23.11.2023). Somalia wird von einer Flutkatastrophe heimgesucht (UNICEF 31.10.2023). Schon ein Monat nach Beginn der Deyr-Regenzeit (Oktober bis Dezember) ist Somalia 2023 mit einer Überschwemmungskatastrophe konfrontiert (UN OCHA 23.11.2023; vergleiche IRC 20.11.2023). Laut FAO/SWALIM war die Regenmenge und -intensität in den Regionen Hiiraan, Bakool, Bay und Gedo sowie im Bezirk Saakow (Middle Juba) schon im Oktober 2023 außergewöhnlich hoch. In mehreren Gebieten fielen innerhalb von sieben Tagen bis zu 300 mm Niederschlag – weit mehr, als üblicherweise in der gesamten Regenzeit. Sowohl der Juba als auch der Shabelle führen Hochwasser (UN OCHA 14.11.2023). Stand 20.11.2023 waren von den Überschwemmungen 1,69 Millionen Menschen betroffen, 654.000 mussten fliehen, 40 Menschen kamen zu Tode und knapp 6.000 Häuser waren beschädigt oder zerstört (UN OCHA 20.11.2023). In Belet Weyne waren 90 % der Stadt überschwemmt (UN OCHA 17.11.2023). Ackerland, Vieh und Infrastruktur (etwa die Juba-Brücke von Buurdhuubo und eine Brücke bei Baardheere) wurden vernichtet. Gleichzeitig wird erwartet, dass die Regenfälle bis zum Ende des Jahres 2023 anhalten. Dies wird die humanitäre Lage verschärfen. Schätzungen zufolge könnten schlussendlich 4,3 Millionen Menschen Hunger leiden, nicht zuletzt, weil 1,5 Millionen Hektar Ackerland und damit auch die landwirtschaftliche Produktion betroffen sein werden (IRC 20.11.2023; vergleiche UN OCHA 17.11.2023), nicht zuletzt auch aufgrund der Zerstörung von Pumpen, Kanälen und Bewässerungsrohren (UN OCHA 17.11.2023). Die folgenden Bezirke waren von den Überschwemmungen im Herbst 2023 maßgeblich betroffen:

Die Tabelle zeigt die von den Überschwemmungen im Herbst 2023 maßgeblich betroffenen Bezirke und die Zahl an Vertriebenen. UN OCHA 20.11.2023

Humanitäre Organisationen, Behörden und lokale Gemeinschaften haben die Hilfe für die betroffenen Menschen verstärkt (UN OCHA 17.11.2023). Bis Ende November 2023 konnten bereits 820.000 Betroffene erreicht werden (UN News 30.11.2023). Auch z.B. CARE hat auf die Katastrophe reagiert und ein Programm zur finanziellen Unterstützung von 198.000 Personen ausgerollt (CARE 29.11.2023).

Überschwemmungen und Dürre stellen für Somalia kein neues Phänomen dar. Immer spielt Wasser eine Rolle: Entweder gibt es zu viel davon, oder zu wenig. Derartige Katastrophen ereignen sich seit Jahrzehnten. Im Zuge der Dürre im Jahr 1973 in Nordsomalia wurden mehr als 100.000 Familien nach Lower Shabelle und in die Juba-Regionen übersiedelt. Bei der Hungersnot in den Jahren 1991-1992 starben 300.000 Menschen, im Jahr 2011 mehr als 260.000 - die Hälfte davon Kinder unter fünf Jahren (Ali/TEL 28.1.2022). Somalia ist hinsichtlich des Klimawandels das am zweitstärksten vulnerable Land der Welt (TRT 10.8.2023) und ist dementsprechend als Frontstaat zu bezeichnen. Das Land hat in Ostafrika bislang den größten Temperaturanstieg zu verzeichnen (HIPS 8.2.2022; vergleiche DW 17.6.2022). Seit 1990 war das Land mehr als 30 klimabedingten Gefahren ausgesetzt, darunter Dürren und Überschwemmungen. Das ist eine Verdreifachung gegenüber dem Zeitraum zwischen 1970 und 1990 (UN OCHA 23.11.2023).

Landwirtschaft, Nahrungsmittel, Preise: Die Getreideproduktion der Gu-Saison 2023 lag in Südsomalia um 34 % unter dem langjährigen Durchschnitt, im Nordwesten sogar um 60 %. Das niedrige Produktionsniveau ist das Ergebnis einer Kombination von Faktoren, darunter unterdurchschnittliche Niederschläge, Unsicherheit, Überschwemmungen, Schädlinge und ein Mangel an landwirtschaftlichen Betriebsmitteln (FSNAU 18.9.2023b).

Der Somalische Shilling ist im Allgemeinen stabil. Die Inflation liegt im Jahr 2023 bei 4,2 %, 2024 bei 4,0 % (FSNAU 18.9.2023a). Seit Juli 2023 sind die Preise für Mais und Sorghum aufgrund des gestiegenen Angebots aus der Gu-Ernte 2023 auf ein Niveau unter dem Vorjahresniveau gesunken und liegen derzeit nahezu im Durchschnitt. Die Preise für importierte Lebensmittel haben sich im vergangenen Jahr auf den meisten Märkten aufgrund des ausreichenden Angebots stabilisiert oder sind gesunken, sie bleiben über dem Fünfjahresdurchschnitt (FSNAU 18.9.2023b).

Somalia gehört weltweit zu den Ländern mit der größten Rate an Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Laut UNICEF benötigen acht Millionen Menschen, darunter fast fünf Millionen Kinder, Unterstützung im Hygienebereich und bei der Wasserversorgung (UNICEF 31.10.2023; vergleiche SOYDA 4.9.2023). Laut anderen Angaben sind 3,9 Millionen Menschen von Wasserunsicherheit betroffen (ÖBN 11.2022). Die mäßigen bis starken Gu-Regenfälle (April–Juni) 2023 haben auch den Zugang zu Wasser und Weideland verbessert und den Menschen eine gewisse Erleichterung gebracht. Die Wasserpreise sind teils um etwa 40 % gesunken (UNSC 15.6.2023).

Bereits mit Stand Feber 2023 hatten die Pegelstände in den Flüssen Juba und Shabelle wieder annähernd Normalniveau erreicht (IPC 28.2.2023). Mit der Gu-Regenzeit 2023 hat sich der Zustand des Weidelandes deutlich verbessert. Spätestens für Ende 2023 wird sich das Weideland in ganz Somalia erholt haben (FSNAU 18.9.2023a). Die Dürre hat mindestens ein Drittel des Viehbestands in Somalia vernichtet (UN OCHA 1.3.2023). Seit Mitte 2021 sind rund 3,8 Millionen Stück Vieh umgekommen (UNSC 15.6.2023). Die Viehwirtschaft hat bis dahin maßgeblich zur Versorgung der Familien – mit Milch und Fleisch – beigetragen (AP 8.6.2022). Zudem finden sich in der Viehwirtschaft 90 % der informellen Beschäftigten und Vieh bildet 90 % der Exporte des Landes (UN OCHA 1.3.2023). Die Dürre hatte also akute Auswirkungen auf die Lebensgrundlage von Haushalten. In den meisten Fällen kam es zu einem vollständigen oder nahezu vollständigen Verlust der Viehbestände und zu erheblichen Unterbrechungen landwirtschaftlicher Aktivitäten. 40 % der im Rahmen einer Studie befragten Haushalte verfügten vor der Dürre über ein landwirtschaftliches Einkommen. Danach waren es 12 %. Auch der Verkauf von Produktionsgütern wie Vieh ist überall deutlich zurückgegangen, von 16 % auf 3 % (Elsamahi/Ochieng/Bedelian 9.6.2023).

Fluchtbewegungen aufgrund von Dürre (Überschwemmungen siehe weiter oben): Im Jahr 2022 sind in Süd-/Zentralsomalia 1,179.000 Menschen aufgrund der Dürre vertrieben worden (UNHCR 31.12.2022). 2023 waren es Stand November 528.000; die meisten diesbezüglich Vertriebenen stammen aus den Regionen Bay (152.000), Lower Shabelle (109.000), Gedo (90.000), Bakool (62.000), Middle Juba (29.000), Bari (24.000) und Lower Juba (19.000). Die wenigsten Menschen flohen aus Woqooyi Galbeed (Somaliland; 0), Benadir (900), Nugaal (1.000), Galgaduud (2.000) und Sanaag, Sool und Togdheer (Somaliland, je 4.000) sowie Awdal (Somaliland; 6.000) (UNHCR 2023).

Hunger, Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot]. Mit Stand September 2023 befanden sich ca. 2,8 Millionen Menschen in IPC-Stufe 3 (17 % der Bevölkerung); ca. 920.000 in Stufe 4 (5 %) und keine in Stufe 5 (Hungersnot). Zusammen mit den rund 5,6 Millionen in IPC 2 ist (FSNAU 9.2023) die Hälfte der Gesamtbevölkerung von 17 Millionen Menschen Ernährungsunsicherheit ausgesetzt. Knapp 1,8 Millionen Kinder leiden an Unterernährung (IR 30.8.2023). Humanitäre Hilfe verhindert in vielen Bereichen eine Verschlechterung der Ernährungssicherheit und der Ernährungslage. Im Zeitraum August-September 2023 besonders betroffen war das Küstengebiet von Zentralsomalia sowie Laascaanood (IPC 4). Die meisten pastoralen und agropastoralen Lebensräume [livelihoods] in den nördlichen und zentralen Regionen; die agro-pastoralen in ganz Somalia; sowie die Flusslebensräume in Hiiraan, Middle Shabelle, Lower Shabelle und Gedo werden auf Krisenniveau eingestuft (IPC 3); dies gilt auch für die meisten der wichtigsten IDP-Lager im Land. Die meisten städtischen Bevölkerungsgruppen stehen demnach unter Stress (IPC 2) (FSNAU 18.9.2023b).

Die folgenden IPC-Food-Insecurity-Lagekarten zeigen die Situation im Zeitraum Juli 2022 bis September 2023 sowie eine Prognose bis Dezember 2023. Angesichts der IPC-Karten ist die Stadtbevölkerung oft von IPC 3 oder IPC 4 anteilig weniger betroffen als Menschen in ländlichen Gebieten:

Die folgenden IPC-Food-Insecurity-Lagekarten zeigen die Situation im Zeitraum Juli 2022 bis September 2023 sowie eine Prognose bis Dezember 2023 FSNAU 18.9.2023b, FSNAU 28.2.2023a, FSNAU 11.9.2022a

Generell finden sich unter IDPs mehr Personen, die unter Ernährungsunsicherheit sowie an Mangel- oder Unterernährung leiden (USDOS 20.3.2023).

IPC-Verteilung nach Gebieten in Prozent der Bevölkerung für Mai und Dezember 2022 sowie September 2023:

Das Bild zeigt eine Tabelle mit der Verteilung der IPC-Stufen auf die somalischen Regionen (bevölkerungsanteilig) FSNAU 18.9.2023b, IPC 28.2.2023

Eine weitere Kartensammlung, in welcher ausschließlich mehrere, für die Nahrungsmittelversorgung alarmierende Werte zusammengefasst dargestellt werden, zeigt die Entwicklung der vergangenen Jahre (je dunkler das Rot, desto mehr Alarmwerte wurden überschritten):

eine Kartensammlung, in welcher ausschließlich mehrere, für die Nahrungsmittelversorgung alarmierende Werte zusammengefasst dargestellt werden, zeigt die Entwicklung der vergangenen Jahre. FSNAU 17.10.2023

Eine Quelle gibt die Zahl der Hungertoten alleine für das Jahr 2022 mit ca. 43.000 an - die Hälfte davon Kinder unter fünf Jahren. Am stärksten betroffen waren die Regionen Bay, Bakool und Benadir (UNSC 15.6.2023; vergleiche XIN 20.3.2023, IR 30.8.2023). römisch fünf.a. Bay und die dortige Hauptstadt Baidoa waren massiv betroffen. Zu den 500.000 Einwohnern der Stadt kamen 600.000 Menschen aus dem Umland (AQ21 11.2023). Für das Jahr 2023 wurde bereits im März eine Übersterblichkeit von 18.000-34.000 prognostiziert (UNSC 15.6.2023; vergleiche XIN 20.3.2023), eine andere Quelle schätzt die Zahl an Menschen, die im ersten Halbjahr 2023 aufgrund der Dürre gestorben sind, auf 135 pro Tag (UNiSOM 20.3.2023).

Die Situation hinsichtlich akuter Unterernährung hat sich im Vergleich zu 2022 im Allgemeinen verbessert. Für den Zeitraum August 2023 bis Juli 2024 wird die Zahl an Kindern unter 5 Jahren, die an akuter Unterernährung leiden, auf ca. 1,5 Millionen geschätzt; davon 330.630 mit schwerer Unterernährung. Auch bei IDPs ist die Quote an Unterernährten zurückgegangen - namentlich in Mogadischu, Baidoa und in Hiiraan. Von Gu 2022 bis Gu 2023 konnten die Zahl von an akuter Unterernährung betroffenen Kindern unter fünf Jahren um 19 % gesenkt werden, jene der Kinder mit schwerer Unterernährung um 36 % (FSNAU 18.9.2023b). Im Zeitraum Feber 2021 bis September 2023 zeigte sich die Situation hinsichtlich Unterernährung bei unter Fünfjährigen wie folgt [GAM = akute Unterernährung; SAM = schwere akute Unterernährung]:

Das Bild zeigt eine Tabelle. Diese präsentiert die Zahlen für den Zeitraum Feber 2021 bis September 2023 zur Situation hinsichtlich Unterernährung bei unter Fünfjährigen [GAM = akute Unterernährung; SAM = schwere akute Unterernährung]: FSNAU 18.9.2023c, FSNAU 1.3.2023, FSNAU 10.2.2022, FSNAU 4.2.2021

Die IPC-Stufen zur Unter- und Mangelernährung haben sich seit Herbst 2022 wie folgt entwickelt (inkl. Prognose bis Dezember 2023):

Karten zeigen die Verteilung an Mangelernährung in den Jahren 2022 und 2023 FSNAU 18.9.2023b, FSNAU 28.2.2023b, FSNAU 11.9.2022b

Humanitäre Hilfe: In Somalia ist die längstdienende humanitäre Mission tätig, jährlich werden Milliarden US-Dollar ausgegeben (Ali/TEL 28.1.2022). Somalia ist auch der am besten finanzierte sog. Humanitarian Plan weltweit; um eine Hungersnot zu vermeiden, umfasste das Engagement im Jahr 2022 2,27 Milliarden US-Dollar, für das Jahr 2023 sind 2,6 Milliarden vorgesehen (AQ21 11.2023). Davon waren aber laut Angaben der UN bis November 2023 erst 42 % finanziert (UN News 30.11.2023). Mit Stand Oktober 2023 waren in Somalia in 71 von 74 Bezirken 248 humanitäre Organisationen aktiv, 115 davon befassten sich in 69 Bezirken mit Ernährungssicherheit (UN OCHA 16.11.2023). In Zusammenarbeit mit Partnern konnte UNICEF in den ersten zehn Monaten des Jahres 2023 in 70 von 74 Bezirken 517.090 Kinder mit schwerer akuter Unterernährung mit lebensrettender Behandlung versorgen (UNICEF 31.10.2023). Humanitäre Hilfe spielt weiterhin eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Lage hinsichtlich Ernährungsunsicherheit und in vielen anderen Bereichen. Nahrungsmittel- und Bargeldhilfe erreichten im Zeitraum Jänner-März 2023 durchschnittlich 4,4 Millionen Menschen pro Monat. Diese Zahl ging im Zeitraum April-Juni 2023 auf 3,6 Millionen Menschen pro Monat zurück. Aufgrund von Finanzierungsengpässen musste die humanitäre Hilfe eingeschränkt werden (FSNAU 18.9.2023b).

Bis zum Geldtransferprogramm Baxnaano gab es kein Programm für ein soziales Sicherheitsnetz. Baxnaano ist das erste von der Bundesregierung geleitete Geldtransferprogramm, es wird vom WFP unterstützt und von der Weltbank finanziert. Stand Juni 2023 wurden über dieses Programm monatlich bedingungslose Geldtransfers an 200.000 arme und gefährdete Haushalte mit Kindern bereitgestellt und damit ca. 1,2 Millionen Menschen erreicht (IMF 31.7.2023). Humanitäre Hilfe erfolgt z.B. durch den Danish Refugee Council (DRC). Dieser stellte etwa in Dayniile (Mogadischu) hunderten bedürftigen Haushalten von der EU finanziertes Geld über mobile Lösungen zu. In Galkacyo hat der DRC mit EU-Geldern Brunnen, Tanks und Wasserleitungen für 800 Haushalte gebaut (DRC 15.11.2022). Ein anderes Beispiel ist jenes Projekt von der FAO und von USAID, mit welchem von der Dürre betroffene Menschen mit Bargeld und Beiträgen zum Lebensunterhalt unterstützt werden, um einen besseren Zugang zu Nahrung und anderen Grundbedürfnissen gewährleisten zu können. In Bossaso stellte die FAO z.B. 400 gefährdeten Fischerfamilien sechs Monate lang Bargeld und Fischverarbeitungsausrüstung zur Verfügung, damit sie ihre dringendsten Bedürfnisse erfüllen und sich besser im Fischereisektor engagieren können. Diese Art der Unterstützung geht mit Schulungen zum effizienten Umgang mit begrenzten Ressourcen einher. Zusätzlich zu den Ausrüstungen erhielten die Teilnehmer sechs Monate lang Geldtransfers in Höhe von 75 US-Dollar pro Monat (FAO 1.8.2023). Andere Hilfe leistete wiederum UNHCR in Galkacyo, wo 40 Betreiber kleiner Geschäfte, die einem Straßenbau weichen mussten, von UNHCR mit je 1.000 US-Dollar kompensiert worden sind. So konnten sie sich an einem neuen Ort ihr Geschäft wieder aufbauen (RE 18.12.2022).

Die Sicherheitslage beeinträchtigt die Arbeit humanitärer Kräfte. Ca. 740.000 Menschen in von nicht-staatlichen Gruppen kontrollierten Gebieten können nur schwerlich an humanitäre Hilfe gelangen (UNSC 1.9.2022b).

Ohne humanitäre Hilfe würden mehr Menschen an Hunger sterben (IR 30.8.2023). Aber auch die humanitären Organisationen stoßen auf Grenzen und haben nicht genügend Ressourcen, um allen zu helfen (IR 30.8.2023; vergleiche AA 15.5.2023). Selbst in Mogadischu haben - anekdotischen Berichten zufolge - nicht alle IDPs Zugang zu Nahrungsmittelhilfe (RE 11.11.2022; vergleiche NPR 23.12.20222). Anfang 2023 konnten fast 90 % der IDPs in Mogadischu, Garoowe, Hargeysa und Burco können ihre Grundbedürfnisse nicht abdecken (UN OCHA 1.3.2023). Menschen werden mitunter aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit von Hilfe ausgeschlossen. Zudem ist in kurzer Zeit sehr viel Geld mit wenig Kontrolle nach Somalia geflossen, einiges davon kommt nicht bei den Bedürftigen an. Es kommt zu Diebstahl und Fehlleitung humanitärer Güter sowie zur Besteuerung humanitärer Hilfe (AQ21 11.2023). In Somalia sind es die mächtigen Gruppen, die den Löwenanteil erhalten: an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird. Weitere Gründe sind, dass diese Gruppen traditionell über weniger Ressourcen verfügen, weniger Remissen erhalten und Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen nicht so gut ausgebaut sind. Al Shabaab hat sich diese Benachteiligung zunutze gemacht (Sahan 24.10.2022).

Gesellschaftliche Unterstützung: [Bis auf das o.g. Programm Baxnaano] gibt es kein öffentliches Wohlfahrtssystem (BS 2022a), keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe (AA 15.5.2023). Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor (BS 2022a). Das eigentliche soziale Sicherungsnetz ist die erweiterte Familie, der Subclan oder der Clan. Sie bieten oftmals zumindest einen rudimentären Schutz (AA 15.5.2023). Ein Vorteil der somalischen Sozialstruktur ist die Verpflichtung zur Hilfe. Wenn eine Person des eigenen Clans Unterstützung braucht, dann ist die Gewährung derselben nicht verhandelbar (Sahan 24.10.2022). Vorrangig stellt die patrilineare (väterliche) Abstammungsgemeinschaft die Solidaritäts- und Schutzgruppe. Aber daneben gibt es auch die Patri-(Vater)-Linie der Mutter und zusätzlich möglicherweise noch angeheiratete Verwandtschaft. Alle drei Linien bilden i.d.R. - wie es ein Experte formuliert - "einen ganz beachtlichen Verwandtschaftskosmos". Und in diesem Netzwerk kann Hilfe und Solidarität gesucht werden, es besteht diesbezüglich eine moralische Pflicht. Allerdings müssen verwandtschaftliche Beziehungen auch gepflegt werden. Entscheidend ist also nicht unbedingt die Quantität an Verwandten, sondern die Qualität der Beziehungen. Wer als schwacher Akteur in diesem Netzwerk positioniert ist, der wird schlechter behandelt als die stark Positionierten (ACCORD 31.5.2021). Eine Frau in Baidoa berichtet etwa, dass, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, sie und ihre Kinder von ihrem Bruder erhalten werden, der als Tagelöhner arbeitet (NPR 23.12.2022). In einer Dokumentation der Deutschen Welle wird ein junger Mann gezeigt, der im Sudan medizinisch versorgt und von dort zurückgeholt werden musste. Die Ältesten bzw. Sultans sammeln Geld im ganzen Clan, und dieser gab dafür schließlich 7.000 US-Dollar aus. Danach hat der Clan dem Mann um 3.000 US-Dollar ein Tuk-Tuk finanziert, damit er den gefährlichen Weg der Migration nicht noch einmal antritt (DW 3.2021). Diese Art des "Fundraising" (Qaraan) erfolgt in Somalia und in der Diaspora als nicht nur, um sogenanntes Blutgeld im Fall eines Mordes zu sammeln, sondern auch, um andere Bedürfnisse eines Clanmitglieds abzudecken. Darunter fallen auch Probleme bei der Nahrungsmittelversorgung (Majid/Abdirahman/Hassan 2017).

In Somalia sind soziale Kontakte im Fall von Dürren und anderen Krisen seit Langem eine Quelle der Widerstandsfähigkeit, ein effizienter Teil der Bewältigungsstrategie (Elsamahi/Ochieng/Bedelian 9.6.2023; vergleiche DI 1.6.2019), die zum Überleben von Haushalten beigetragen hat. Die bei einer Studie am häufigsten angegebenen Unterstützungsquellen sind Familie, Freunde und Nachbarn (24 %), gefolgt von internationalen (15 %) und lokalen NGOs (8 %). Soziale Kontakte haben auch während der aktuellen Dürre eine entscheidende Rolle gespielt (Elsamahi/Ochieng/Bedelian 9.6.2023). Ohne die gegenseitige Unterstützung - ohne Teilen - wäre die Katastrophe noch viel größer geworden (Spiegel/Hoffmann 24.9.2022). Die Haushalte haben sich gegenseitig auf vielfältige Weise unterstützt, auf materielle und immaterielle Art, darunter mit Bargeld, Lebensmitteln, Informationen und emotionaler Unterstützung. Oft teilen diejenigen mit mehr sozialen Verbindungen und besserem Zugang zu Ressourcen mit weniger gut vernetzten Haushalten. Der Zusammenhalt erstreckte sich mitunter auch auf externe Hilfe - etwa Bargeldhilfen durch humanitäre Organisationen. Lokale Führer haben Gemeinschaftstöpfe eingerichtet, in welche die Haushalte Teile der erhaltenen Hilfe einzahlen. So wurde einerseits sichergestellt, dass vulnerable Haushalte nicht leer ausgehen, und andererseits wurden derart Spannungen zwischen Haushalten, die Hilfe erhalten, und solchen, die keine Hilfe erhalten, abgemildert. Zu den gefährdeten Gemeindemitgliedern gehören in diesem Zusammenhang z.B. ältere und/oder behinderte Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können, Waisen und Witwen (Elsamahi/Ochieng/Bedelian 9.6.2023). NRC berichtet beispielsweise von einer IDP-Familie, die nach Baidoa geflüchtet ist. Dort siedelte sie sich gezielt in einem Lager an, wohin schon vorher Menschen aus der eigenen Community geflüchtet waren. Ein Nachbar ist in diesem Kontext manchmal ein Dorfbewohner von zu Hause, ein entfernter Verwandter. So entsteht ein Unterstützungssystem (NRC 16.11.2023). Bei einem anderen Beispiel wird hinsichtlich der Überschwemmungen im Rahmen der Deyr-Regenzeit 2023 berichtet, dass die meisten Familien aus dem überfluteten Horseed-1-IDP-Lager in Baidoa bei Verwandten untergekommen sind (UN OCHA 23.11.2023).

Neben Familie und Clan helfen hierbei auch andere soziale Verbindungen – seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z.B. Unterkunft und Nahrung finden können (DI 1.6.2019). Soziale Unterstützung erfolgt auch über islamische Wohltätigkeitsorganisationen und NGOs (BS 2022a). Generell ist es auch üblich, Kinder bei engen oder fernen Verwandten unterzubringen, wenn eine Familie diese selbst nicht erhalten kann (SIDRA 6.2019). 22 % der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten, 28 % bei institutionellen Pflegeeinrichtungen (7 %) untergebracht. Weitere 28 % schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn (OXFAM/Fanning 6.2018).

In der somalischen Gesellschaft - auch bei den Bantu - ist die Tradition des Austauschs von Geschenken tief verwurzelt (DI 1.6.2019). Menschen, die selbst wenig haben, teilen ihre wenigen Habseligkeiten und helfen anderen beim Überleben. Es herrscht eine starke Solidarität (ACCORD 31.5.2021). Eine Gemeindeführer eines Dorfes bei Garoowe erklärt beispielsweise, dass Menschen ihre Verwandten nicht zurücklassen würden. Es wird demnach geteilt, so lange es etwas zu teilen gibt (UN OCHA 23.11.2023). Auch Remissen werden mitunter mit Nachbarn, Verwandten und Freunden geteilt (DI 1.6.2019). Oft borgen Haushalte also Geld oder Waren von lokalen Betrieben (Elsamahi/Ochieng/Bedelian 9.6.2023). Selbst Kleinhändlerinnen in IDP-Lagern, die ihre Ware selbst nur auf Kredit bei einem größeren Geschäft angeschafft haben, lassen anschreiben und streichen manchmal die Schulden von noch ärmeren Menschen (RE 19.2.2021).

Eine Hilfestellung bieten Remissen aus dem Ausland (BS 2022a). Nach Somalia fließen jährlich mehr als 1,7 Milliarden US-Dollar (KNOMAD 2023; vergleiche UNCDF 4.2023, ÖBN 11.2022). Remissen spielen damit eine entscheidende Rolle bei der Verringerung der Armut (ÖBN 11.2022). Sie steuerten in den Jahren 2021 und 2022 jeweils 27,3 % zum BIP bei (AFDB 23.6.2023). So kommt weit mehr Geld ins Land als durch Entwicklungshilfe (SRF 27.12.2021). Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22 % der städtischen, 12 % der ländlichen und 6 % der IDP-Haushalte Remissen beziehen (IPC 1.3.2021). Diese stellen einen bedeutenden Anteil des Budgets von Privathaushalten dar, v.a. für die unteren 40 %, wo Remissen 54 % aller Haushaltsausgaben decken (WB 1.6.2021). Laut einer Studie von IOM aus dem Jahr 2021 sind 67 % der Empfänger von Remissen arbeitslos. Für viele Menschen sind die Überweisungen ein Rettungsanker (Sahan/SWT 2.9.2022; vergleiche OXFAM 15.12.2023, Star 30.8.2022). Überweisungen werden hauptsächlich für allgemeine Haushaltsausgaben (z.B. Nahrung, Wasser) sowie Bildung und Gesundheit verwendet (UNCDF 4.2023; vergleiche OXFAM 15.12.2023). Minderheiten mangelt es oft am Zugang zu Remissen (SPC 9.2.2022). In einem Artikel berichtet ein Geschäftsmann und zehnfacher Vater, der seinen Betrieb zusperren musste, dass er von seiner Schwester in Saudi-Arabien mit 200 US-Dollar pro Monat unterstützt wird. Ein anderer Verkäufer, dem es wegen der Dürre ähnlich ergangen ist, erhält pro Monat 150 US-Dollar von einem Onkel in Südafrika, der auch noch für zwei seiner Brüder die Semestergebühren an der Universität in Mogadischu finanziert. Ein weiterer Verkäufer hat sich einerseits an einen Onkel in Großbritannien gewandt und ist andererseits mit seiner Familie zurück zu seinen Eltern gezogen, um sich die 20 US-Dollar Miete zu sparen. Vom Onkel in Großbritannien erhält er 250 US-Dollar im Monat (RE 22.7.2022).

Gegenwärtig sind die Systeme sozialer Absicherung allerdings deutlich überdehnt (IPC 28.2.2023). Diese Überlastung zeigt sich auch an der hohen Anzahl an IDPs (IPC 4.6.2022). Auch generell sind manche Clans nicht mehr in der Lage, der Armut ihrer Mitglieder entsprechend zu begegnen. Wenn Menschen in weit von ihrer eigentlichen Clanheimat entfernte Gebiete fliehen, verlieren sie zunehmend an Rückhalt und setzen sich größeren Risiken aus (DI 1.6.2019). Bei einer Studie haben 56 % der befragten Haushalte angegeben, über keinerlei Unterstützungsquellen zu verfügen. 85 % gaben an, dass sie es nicht geschafft haben, irgendwo einen Kredit zu bekommen (Elsamahi/Ochieng/Bedelian 9.6.2023). Ein Viehzüchter aus Awdal berichtet beispielsweise, dass er aufgrund des Verlusts von Vieh bei einem lokalen Geschäft auf Kredit eingekauft hat. Als seine Schulden 1.000 US-Dollar erreicht haben, wurden ihm weitere Einkäufe versagt; seitdem leben er und seine Familie von dem, was Verwandte ihnen geben (RE 6.9.2023).

Rückkehrspezifische Grundversorgung

Letzte Änderung 2023-03-17 10:02

Einkommen: Somalis aus der Diaspora - aus Europa oder den USA - die freiwillig zurückkehren, nehmen oft keine Hilfspakete in Anspruch, sondern kehren einfach zurück. Viele der Rückkehrer aus Kenia und dem Jemen gehen in die großen Städte Kismayo, Mogadischu und Baidoa, weil sie sich dort bessere ökonomische Möglichkeiten erwarten (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). Der UNHCR hat für eine repräsentative Studie von 2018 bis Dezember 2021 fast 2.900 Haushalte mit mehr als 17.000 Angehörigen – darunter vor allem unterstützte Rückkehrer aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen – zu ihrer Situation in Somalia befragt. Insgesamt haben 59 % der Rückkehrerhaushalte angegeben, dass ihr Einkommen nicht ausreicht. Dies wird zu 43 % auf mangelnde Jobmöglichkeiten zurückgeführt. Die meisten Rückkehrer leben von Einkommen als Taglöhner oder als Selbstständige sowie von humanitärer Hilfe (UNHCR 22.3.2022).

Nach Angaben einer Quelle ist Somalia auf eine Rückkehr von Flüchtlingen in großem Ausmaß nicht vorbereitet, und es kann davon ausgegangen werden, dass sich ein erheblicher Teil der Rückkehrer als IDPs wiederfinden wird (ÖB 11.2022, Sitzung 14). Arbeitslose Rückkehrer im REINTEG-Programm (siehe unten) berichten über mangelnde Möglichkeiten; über eingeschränkte Erfahrungen, Fähigkeiten und Informationen über den Arbeitsmarkt. Nur 30 % der REINTEG-Rückkehrer sind mit ihrer ökonomischen Situation zufrieden, viele klagen über niedriges Einkommen und lange Arbeitsstunden (IOM 3.12.2020). Viele von ihnen sind diesbezüglich Druck seitens ihrer Familie ausgesetzt – v. a. wenn sie aufgrund ihrer „abgebrochenen“ Migration noch Schulden offen haben. Manche Rückkehrer gehen deshalb explizit nicht in Regionen, wo Mitglieder des eigenen Clans leben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24).

Andererseits werden in Kismayo Somali, die nach Jahrzehnten in Kenia nach Somalia zurückgekehrt sind, auch in der Verwaltung eingesetzt – mitunter in hohen Funktionen. Anekdotische Berichte belegen, dass viele der Rückkehrer aus Kenia in ganz Somalia für Behörden oder NGOs arbeiten (AJ 14.9.2022a). Laut einer Quelle muss eine nach Mogadischu zurückgeführte Person nicht damit rechnen, ohne Angehörige zu verhungern. Selbst wenn jemand tatsächlich überhaupt niemanden kennen sollte, dann würde diese Person in ein IDP-Lager gehen und dort in irgendeiner Form Hilfe bekommen. Die Person ist auf Mitleid angewiesen; Hilfe findet sich vielleicht auch in einer Moschee. Jedenfalls würde eine solche Person so schnell wie möglich versuchen, dorthin zu gelangen, wo sich ein Familienmitglied befindet. Dass gar keine Familie existiert, ist sehr unwahrscheinlich (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 37).

Rückkehrer, die im Ausland ausgebildet wurden, können - bei vorhandenen, besseren Fähigkeiten - am Arbeitsmarkt Vorteile haben. Jedenfalls sind Netzwerke aus Familie, Nachbarn und Freunden für Rückkehrer höchst relevant. Die Unterstützung, die ein Rückkehrer aus diesen Netzwerken ziehen kann, hängt maßgeblich davon ab, wie sehr er diese Netzwerke während seines Auslandsaufenthalts gepflegt hat. Natürlich spielen auch Clannetzwerke eine Rolle. Dies ist mit ein Grund dafür, dass Rückkehrer sich oft in Gebieten ansiedeln, die von eigenen Clanmitgliedern bewohnt werden (EASO 9.2021a).

Unterstützung / Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z. B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/31f). Jedenfalls versucht die Mehrheit der Rückkehrer in eine Region zu kommen, wo zumindest Mitglieder ihres Clans leben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24), denn eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden (ÖB 11.2022, Sitzung 14). Nach anderen Angaben ist es bei einer Rückkehr weniger entscheidend, ob jemand Verwandte hat oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, wie diese persönlichen Verwandtschaftsbeziehungen funktionieren und ob sie aktiv sind, ob sie gepflegt wurden. Denn Solidarität wird nicht bedingungslos gegeben. Wer sich lange nicht um seine Beziehungen gekümmert hat, wer einen (gesellschaftlichen) Makel auf sich geladen hat oder damit behaftet ist, der kann - trotz vorhandener Verwandtschaft - nicht uneingeschränkt auf Solidarität und Hilfe hoffen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 39f). Laut Angestellten von IOM in Somaliland würde ein Rückkehrer ohne Beziehungen oder Kontakten in Hargeysa in der Stadt trotzdem mit Wasser, Nahrung und Unterkunft versorgt werden. Dies erfolgt informell und aus Gründen der Gastfreundschaft und anderen kulturellen Werten. Die Verfügbarkeit derartiger kulturell bedingter Unterstützung kann aber weder geplant werden, noch ist diese längerfristig garantiert (IOM 2.3.2023).

Auch in Mogadischu sind Freundschaften und Clannetzwerke sehr wichtig. Zur Aufnahme kleinerer oder mittelgroßer wirtschaftlicher Aktivitäten ist aber kein Netzwerk notwendig (FIS 7.8.2020, Sitzung 39). Insgesamt herrschen am Arbeitsmarkt Nepotismus und Korruption (SIDRA 6.2019a, Sitzung 5).

Unterstützung extern: Für Rückkehrer aus dem Jemen (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63) und Kenia gibt es seitens des UNHCR Rückkehrpakete (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Deutschland unterstützt in Jubaland ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient (AA 28.6.2022, Sitzung 23). Der UNHCR unterstützt ausgewählte Haushalte in unterschiedlichen Teilen Somalias mit Ausbildungs-, Schulungs- und finanziellen Maßnahmen (UNHCR 27.6.2021, Sitzung 9).

Rückkehrprogramme: Bis Ende 2022 setzt IOM für Österreich das Rückkehrprogramm Restart römisch III um, das auch Somalia umfasst. Das Programm bietet Rückkehrern 500 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro Sachleistungen - etwa im Rahmen einer Unternehmensgründung oder für Bildungsmaßnahmen; Beratung nach der Rückkehr; situationsspezifische Unterstützung vor Ort - etwa für vulnerable Rückkehrer; Zuweisung zu weiteren spezifischen Organisationen; Monitoring (IOM 26.11.2021; vergleiche IOM o.D.).

Die auf Rückkehrer spezialisierte Organisation IRARA kooperiert mit Frontex, um u. a. in Somalia eine Reintegration zu gewährleisten. Hierbei werden nicht nur freiwillige, sondern auch unfreiwillige Rückkehrer unterstützt und vom Programm abgedeckt. Einerseits bietet IRARA Leistungen bei der Ankunft (Abholung vom Flughafen; Unterstützung bei der Weiterreise; temporäre Unterkunft; dringende medizinische Betreuung; spezielle Betreuung vulnerabler Personen; Geldaushilfe). Zum anderen bietet die Organisation auch sogenannte post-return assistance (Hilfe beim Aufbau eines Betriebes; langfristige Unterstützung bei der Unterkunft; soziale, rechtliche und medizinische Unterstützung; Hilfe bei der Arbeitssuche; Bildung und Berufsausbildung; Geldaushilfe (IRARA 2022).

Im ebenfalls von IOM geführten Programm RESTART römisch III wird Somalia als Projektland für freiwillige Rückkehr angeführt. Dieses wird dort über Büros in Mogadischu und Bossaso abgewickelt. Voraussetzung einer Rückführung ist hier eine Freigabe durch somalische Behörden vor der Rückkehr (Kontakt über Operations bei IOM Österreich) (IOM 12.2021).

Unterkunft: Der Zugang zu einer Unterkunft oder zu Bildung wird von Rückkehrern im REINTEG-Programm als problematisch beschrieben (IOM 3.12.2020). Ein Appartementzimmer in einer sichereren Wohngegend Mogadischus kostet rund 200 US-Dollar im Monat, in Gegenden mit niedrigerem Lebensstandard zahlt eine Einzelperson für ein Zimmer in einem Mietshaus 80-100 US-Dollar. Mieten für Wellblechhäuser beginnen bei 45 US-Dollar. Nach Angaben von IOM-Mitarbeitern in Mogadischu spielt die Clanmitgliedschaft bei der Anmietung einer Unterkunft keine Rolle (IOM 2.3.2023). Grundsätzlich braucht es zur Anmietung eines Objektes einen Bürgen, der vor Ort bekannt ist. Dies ist i. d. R. ein Mann (FIS 7.8.2020, Sitzung 31f). Für eine alleinstehende Frau gestaltet sich die Wohnungssuche dementsprechend schwierig, dies ist kulturell unüblich (IOM 2.3.2023; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 31f) und wirft unter Umständen Fragen auf (FIS 7.8.2020, Sitzung 31f). In Hargeysa kann es vorkommen, dass mehrere alleinstehende Frauen zusammen ein Objekt anmieten. In Mogadischu verfügen viele Haushalte über Fließwasser. Es gibt auch kollektive Wasserstellen. Im Feber 2023 kostete ein Kubikmeter Wasser 1,5 US-Dollar (IOM 2.3.2023).

Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63; vergleiche AA 28.6.2022, Sitzung 24); nach anderen Angaben finden sich viele der Rückkehrer aus dem Jemen und aus Kenia schlussendlich in IDP-Lagern wieder (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). IOM-Mitarbeiter erklären, dass der durchschnittliche Rückkehrer sich vorübergehend nur eine Wellblechhütte oder eine traditionelle Wohnstatt als Unterkunft leisten kann (IOM 2.3.2023). Gemäß der bereits weiter oben erwähnten Rückkehrer-Studie des UNHCR haben hingegen nur 22 % der unterstützten und 38 % der nicht unterstützten, von UNHCR befragten 2.900 Rückkehrerhaushalte angegeben, in einem IDP-Lager zu wohnen (UNHCR 22.3.2022).

Vom Returnee Management Office (RMO) der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein inner-somalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden und die Grundvoraussetzungen für eine freiwillige Rückkehr nicht gewährleistet sind (AA 28.6.2022, Sitzung 24f).

Frauen und Minderheiten: Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das i. d. R. enge Familienangehörige – geführt von einem männlichen Verwandten – umfasst. Für alleinstehende Frauen ist es mitunter schwierig, eine Unterkunft zu mieten oder zu kaufen (FIS 5.10.2018, Sitzung 23). Auch für Angehörige von Minderheiten – etwa den Bantus – gestaltet sich eine Rückkehr schwierig. Ein Mangel an Netzwerken schränkt z. B. den Zugang zu humanitärer Hilfe ein (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 8). Für eine weibliche Angehörige von Minderheiten, die weder Aussicht auf familiäre noch Clanunterstützung hat, stellt eine Rückkehr tatsächlich eine Bedrohung dar (ÖB 11.2022, Sitzung 12).

Rückkehr

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung 2023-03-17 10:28

Rückkehr international: Seit Jahren steigt die Anzahl der nach Somalia zurückgekehrten somalischen Flüchtlinge (ÖB 11.2022, Sitzung 13). Seit 2009 kommen Somali der Diaspora zurück in ihre Heimat, viele mit Bildung, Fähigkeiten und einer unternehmerischen Einstellung. Zuerst tröpfelten sie nur ins Land, ab 2012 fluteten sie zurück (Sahan 27.5.2022). Viele lokale Angestellte internationaler NGOs oder Organisationen sind aus der Diaspora zurückgekehrte Somali. Andere kommen nach Somalia auf Urlaub oder eröffnen ein Geschäft (BFA 3./4.2017). Viele Somalis in der Diaspora wollen zurückkommen und das Land aufbauen. Manche tun es nicht, weil es in Somalia keine adäquate Schulbildung für ihre Kinder gibt (SRF 27.12.2021). Andere schicken ihre Kinder gezielt nach Somalia: Alleine im Jahr 2019 wurden hunderte Kinder der somalischen Diaspora in London nach Somalia, Somaliland und Kenia gebracht, weil sich die Eltern zunehmend Sorgen um die Zunahme von Drogenbanden und Gewalt in England machten (TG 9.3.2019).

Die USA, Kanada, Großbritannien, Finnland, Dänemark, die Niederlande, Belgien und Norwegen führen grundsätzlich Abschiebungen nach Mogadischu durch (AA 28.6.2022, Sitzung 25). Aus Europa wurden im Jahr 2022 – in geringen Zahlen – jedenfalls Somali aus Belgien, Norwegen, Dänemark, der Schweiz und Schweden nach Somalia rückgeführt, die meisten davon freiwillig (ÖB 14.12.2022). Pandemiebedingt und aufgrund der schwierigen Zusammenarbeit mit den somalischen Behörden finden nur wenige bis keine Rückführungen statt (AA 28.6.2022, Sitzung 25). Österreich beteiligt sich am von IOM geführten Programm RESTART römisch III, das freiwillige Rückkehr nach Somalia abwickelt (IOM 12.2021). Insgesamt hat IOM von 2020 bis 2022 bei 187 freiwilligen Rückführungen aus Europa Unterstützung geleistet. Die Rückkehrer kamen u. a. aus Belgien (14), Deutschland (66), Finnland (12), Griechenland (20), den Niederlanden (8), Österreich (8), der Schweiz (22) und Zypern (14). 33 der Rückgeführten waren weiblich. 141 verblieben in Mogadischu, die anderen reisten weiter nach Garoowe (6) und Hargeysa (34) (IOM 2.3.2023).

Rückkehr regional: Die Rückkehrbewegung nach Somalia hat sich seit 2020 deutlich verlangsamt. Insgesamt sind von Ende 2014 bis Jänner 2022 knapp 134.000 Menschen mit oder ohne Unterstützung nach Somalia zurückgekehrt. Im Jahr 2021 waren es ca. 2.500 – vor allem aus dem Jemen (UNHCR 10.2.2022). Verursacht wurde der Rückgang nicht zuletzt von der COVID-19-Pandemie (UNHCR 22.3.2022). In den ersten drei Monaten des Jahres 2022 kehrten nur 187 Personen von UNHCR assistiert nach Somalia zurück (UNHCR 22.4.2022).

Aus dem Jemen kamen mehr als 5.400 somalische Flüchtlinge mit Unterstützung durch den UNHCR zurück in ihr Land. Weitere knapp 46.000 sind aus dem Jemen ohne Unterstützung zurückgekehrt (AA 28.6.2022, Sitzung 23). Somaliland ist zwar der Hauptankunftsort für Flüchtlinge und Rückkehrer aus dem Jemen, doch UNHCR und Partnerorganisationen unterstützen somalische Rückkehrer bei der Weiterreise zu den Herkunftsgebieten in anderen Teilen Somalias (ÖB 11.2022, Sitzung 19).

Der UNHCR und andere internationale Partner unterstützen seit 2014 die freiwillige Rückkehr von Somaliern aus Kenia. Grundlage ist ein trilaterales Abkommen zwischen Kenia, Somalia und dem UNHCR (AA 28.6.2022, Sitzung 23). Seit Abschluss des trilateralen Abkommens kehrten mit Unterstützung des UNHCR über 85.000 Menschen aus Kenia nach Somalia zurück (AA 28.6.2022, Sitzung 23; vergleiche NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 69). Diese gingen vor allem nach Kismayo und das südliche Jubaland (AA 28.6.2022, Sitzung 23). Noch nie wurde ein Bus, welcher Rückkehrer transportiert, angegriffen (FIS 7.8.2020, Sitzung 28). Allerdings kommt es aufgrund von Gewalt und Konflikten sowie durch die Pandemie bedingte Reisebeschränkungen immer wieder zu Unterbrechungen bei der Rückkehrbewegung (USDOS 12.4.2022, Sitzung 26). Trotz seiner Rolle bei der Rückführung aus Kenia warnt der UNHCR angesichts der aktuellen Lage in Somalia davor, Personen in Gebiete in Süd- oder Zentralsomalia zwangsweise zurückzuschicken, da die Sicherheit nicht gewährt werden kann (ÖB 11.2022, Sitzung 14).

Seit Frühjahr 2018 unterstützt die sogenannte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration rückkehrwillige somalische Migranten vornehmlich in Libyen und Äthiopien. Die Leistungen umfassen Beratung zu Möglichkeiten der Rückkehr sowie der Integration in den somalischen Arbeitsmarkt. Außerdem wird die Entwicklung von standardisierten Rückführungsverfahren nach Somalia gefördert. Mit Unterstützung von IOM sind 2021 803 Personen nach Somalia zurückgekehrt, davon 340 aus Saudi-Arabien, 295 aus dem Jemen und 16 aus Deutschland (AA 28.6.2022, Sitzung 24).

Behandlung: Die Zahl der von westlichen Staaten zurückgeführten somalischen Staatsangehörigen nimmt stetig zu. Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professionalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt. Das RMO hat für alle Rückführungsmaßnahmen nach Somalia eine einheitliche Prozedur festgelegt, die konsequent zur Anwendung gebracht wird (AA 28.6.2022, Sitzung 24). Es liegen keine Informationen dahingehend vor, dass abgelehnte Asylwerber am Flughafen in Mogadischu Probleme seitens der Behörden erfahren (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 71). Das RMO befragt sie hinsichtlich Identität, Nationalität, Familienbezügen sowie zum gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete minderjährige und andere Rückkehrer. Eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug kann vom RMO organisiert werden, die Rechnung begleichen die rückführenden Staaten. Staatliche Repressionen sind nicht die Hauptsorge der Rückkehrer. Nach vorliegenden Erkenntnissen werden Rückkehrer vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt (AA 28.6.2022, Sitzung 24f). Eine strukturelle Diskriminierung von Rückkehrern aus dem Ausland gibt es nicht (AA 28.6.2022, Sitzung 20).

Rückkehrstudie von UNHCR: Der UNHCR hat für eine repräsentative Studie von 2018 bis Dezember 2021 fast 2.900 Haushalte mit mehr als 17.000 Angehörigen – darunter vor allem unterstützte Rückkehrer aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen – zu ihrer Situation in Somalia befragt. Dabei hatten 48% der Befragten angegeben, wegen der verbesserten Sicherheitslage nach Somalia zurückgegangen zu sein. 14 % machten diesen Schritt wegen besserer ökonomischer Möglichkeiten. Nur 24 % der befragten Haushalte gaben an, in einem "IDP-Lager" zu wohnen [Anführungszeichen von UNHCR übernommen]. 94 % der Rückkehrer gaben an, nach ihrer Rückkehr keinerlei Form von Gewalt (Drohungen, Einschüchterungen, physische Gewalt) erlebt zu haben. 90 % gaben an, sich in ihrer Gemeinde und im Bezirk frei bewegen zu können. 91 % der Befragten gaben an, dass sie nicht als Rückkehrer diskriminiert würden; und 88 % wurden auch nicht wegen ihrer ethnischen oder Clan-Zugehörigkeit diskriminiert. 88 % der Befragten haben keine Streitigkeiten austragen müssen. Von jenen, die in Konflikte verwickelt waren, gaben 38 % Wohnungs- und Landstreitigkeiten als Gründe an, weitere 27 % Familienstreitigkeiten (UNHCR 22.3.2022).

Erreichbarkeit: Einen regelmäßigen internationalen Direktflugverkehr nach Mogadischu gibt es aus Istanbul, Addis Abeba, Nairobi, Doha und Entebbe (AQ9 1.2022). Darüber hinaus fliegen regionale Fluglinien, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und private Chartermaschinen Mogadischu aus Nairobi regelmäßig an (AA 18.4.2021, Sitzung 24). Von Bossaso (Puntland) aus wird Addis Abeba und Dubai angeflogen, von Garoowe (Puntland) Addis Abeba und Nairobi (AQ9 1.2022). Für Rückführungen somalischer Staatsbürger wurden vor der COVID-19-Pandemie die Verbindungen der Turkish Airlines via Istanbul bzw. via Nairobi mit Jubba Airways bevorzugt. Bei Ersterer erfolgte meist eine polizeiliche Eskortierung bis Mogadischu, bei Letzterer nur bis Nairobi, da die Fluglinie sich dann gegen die Zahlung einer Gebühr um die Sicherheit kümmerte (AA 18.4.2021, Sitzung 24).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf seinen Angaben im Verfahren vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht sowie der vorgelegten Kopie eines Reisepasses. Die Feststellungen unter 1.1. zur Person des Beschwerdeführers, seiner Familie, seinem Herkunftsort und zu seinem Aufenthalt und Schulbesuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten stützen sich auf seine gleichbleibenden Angaben in der Erstbefragung, in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde sowie in der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Die Feststellung, dass die Mutter des Beschwerdeführers zusammen mit den (Halb)geschwistern des Beschwerdeführers und ihrem neuen Ehemann in Äthiopien lebt, ergibt sich aus den diesbezüglichen glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

Dass der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat Ende 2020 verließ, im August 2021 irregulär ins Bundesgebiet einreiste und am 22.08.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte, ergibt sich aus seinen im Verfahren getätigten Angaben. Die Feststellungen zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Österreich ergeben sich zudem unstrittig aus dem Zeitpunkt seiner Asylantragstellung.

Die Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand beruhen auf seinen Angaben in der Einvernahme vor dem Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung und insbesondere auf dem Umstand, dass keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, aus welchen körperliche Beeinträchtigungen, regelmäßige medizinische Behandlungen und eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit abzuleiten wären.

Die Feststellungen zu seiner Beschäftigung in Österreich und zum Besuch von Deutschkursen stützen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers sowie auf vorgelegte Lohnzettel und ein ÖSD-Zertifkat A1.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, war einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister zu entnehmen.

2.2. Zu den Gründen für das Verlassen von Somalia konnte der Beschwerdeführer eine Bedrohungslage nicht glaubhaft machen.

Der Beschwerdeführer brachte in der Erstbefragung und in der Einvernahme vor dem Bundesamt als Fluchtgrund im Wesentlichen Bedenken wegen der schlechten Sicherheitslage vor (Vgl. AS 15, 42). Er gab an, nicht zu wissen, warum sein Vater getötet worden sei, dieser sei „grundlos“ gestorben, er habe Angst, auch selbst grundlos getötet zu werden. Zu Clanstreitigkeiten äußerte sich der Beschwerdeführer in der Einvernahme nur ganz allgemein, seine Mutter hätte ihm anlässlich des Ablaufs seines Aufenthaltstitels in Dubai gesagt, er solle nicht nach Somalia zurückkehren, da es Clan-Streitigkeiten innerhalb des Darod-Clans gebe (Vgl. AS 41). In der Beschwerde führte der Beschwerdeführer schließlich aus, sein Vater sei aufgrund eines Clanstreits zwischen Ali Salman und Ali Jibrail getötet worden (S.2).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer als neues Vorbringen an, sein Vater hätte jemanden umgebracht, deswegen sei sein Vater aus Rache von einem anderen Clan getötet worden, dieser Clan habe auch den Beschwerdeführer töten wollen (Vgl. Verhandlungsprotokoll Sitzung 8).

Nachgefragt, warum er das nicht schon früher vorgebracht habe, führte der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung Sprachprobleme an. Dies ist als Begründung nicht glaubhaft, denn der Beschwerdeführer hatte bei den früheren Einvernahmen jeweils bestätigt, dass er den Dolmetscher gut verstanden habe, zudem zeigen seine Antworten insgesamt, dass er die Fragen generell richtig auffasste. Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, warum der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem Bundesamt nur ganz allgemein „Clanstreitigkeiten innerhalb des Darod-Clans“ erwähnte, ohne einen Zusammenhang mit dem Tod seines Vaters zu erwähnen, und warum er ausdrücklich angab, er wisse nicht, warum der Vater ermordet worden sei, wenn das spätere Vorbringen, der Vater sei aufgrund einer Blutfehde ermordet worden, den Tatsachen entspräche.

Auch wenn man davon ausgeht, dass Blutrache auch an Personen verübt werden kann, die nach Jahren nach Somalia zurückkehren, war der Beschwerdeführer im konkreten Fall nicht in der Lage, schlüssig darzulegen, warum der andere Clan nach so langer Zeit noch immer ein Interesse daran haben sollte, ihn zu töten, zumal der Beschwerdeführer Somalia schon im Alter von sieben Jahren verließ. Diesbezüglich nachgefragt, äußerte sich der Beschwerdeführer nur ausweichend und vage mit dem Hinweis auf seine Schutzlosigkeit (Vgl. Verhandlungsprotokoll, Sitzung 9).

Auffällig ist überdies, dass der Beschwerdeführer zwar Clanstreitigkeiten bzw. Blutrache als Fluchtgrund angab, aber auf Nachfrage nichts über seinen Clan zu sagen wusste. Wiewohl der Beschwerdeführer sein Herkunftsland bereits mit sieben Jahren verließ, stand er doch mit seiner Familie in Kontakt und müsste zu seinem Clan irgendwelche Angaben machen können, insbesondere, wenn sein Fluchtvorbringen darauf basiert.

Laut Angaben des Beschwerdeführers wurde er wegen der Ermordung des Vaters in ein Waisenhaus gebracht. Es handelte sich um eine Einrichtung für Kinder, die vom Vater keine Unterstützung erhalten. Die Gründe für die Unterbringung lagen demgemäß in der finanziellen Lage der Familie und nicht in der behaupteten Bedrohung durch die Mörder des Vaters. Es wäre auch nicht klar, wieso der Beschwerdeführer im Waisenhaus vor dem Zugriff von Verfolgern sicher sein sollte. Auch die Ausreise aus Somalia wurde von der Einrichtung bewerkstelligt und stand in keinem ersichtlichen Zusammenhang mit einer Verfolgung des Beschwerdeführers.

Auch von den Länderberichten wird das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht gestützt. Zwar ist die weite Verbreitung der Blutrache in Somalia nicht zu bestreiten, jedoch lassen sich daraus für den speziellen Fall nicht die in der Beschwerde gezogenen Schlussfolgerungen ableiten. Auch die dort zitierten Stellen sprechen nur davon, dass bei der Blutrache für einen Getöteten eine Person des gegnerischen Clans getötet wird. Das wäre mit der Ermordung des Vaters bereits geschehen. Dass dabei sämtliche männliche Angehörige umgebracht werden, um damit eine Reaktion zu verhindern, ist den Länderberichten nicht zu entnehmen.

Der Darstellung des Beschwerdeführers zufolge will der gegnerische Clan seine Familie vernichten. Auf Vorhalt, dass der restliche Teil der Familie ja in Somalia geblieben sei, gab der Beschwerdeführer an, sie [die Verfolger] würden den Mädchen und den Frauen nichts tun, sie würden sie nicht umbringen (Vgl. Verhandlungsprotokoll Sitzung 8). Auch damit setzte sich der Beschwerdeführer in Widerspruch zu in der Beschwerde selbst zitierten Länderberichten, denen zufolge sowohl Frauen als auch Männer von einer Blutfehde betroffen sein können (Vgl. Beschwerde, Sitzung 6.).

Dem Beschwerdeführer gelang es auch sonst nicht, eine individuell und konkrete asylrelevante Verfolgung mit ausreichender Intensität aufgrund seiner vorgebrachten Clanzugehörigkeit in Somalia substantiiert darzulegen.

In einer Gesamtschau der dargelegten Erwägungen war von der fehlenden Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zur behaupteten Furcht vor Verfolgung im gesamten Herkunftsstaat auszugehen.

2.3. Die fallbezogenen Feststellungen zur Lage in Somalia stützen sich auf das vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.01.2024, Version 6. Die Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Somalia ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln. Der Beschwerdeführer ist den Berichten auch nicht substantiiert entgegengetreten.

2.4. Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Heimatort bzw. in eine andere Region Somalias ergeben sich aus den oben angeführten Länderinformationen in Zusammenschau mit nachstehenden Erwägungen:

Die aktuell schlechte Versorgungslage in Somalia geht aus der wiedergegebenen Länderinformation deutlich hervor. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Regelmäßig wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen wie auch Überflutungen, zuletzt auch die Heuschreckenplage, die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zu einem Land mit hohen humanitären Nöten. Besonders hervorzuheben ist gegenwärtig die katastrophale humanitäre Situation durch die Folgen der Dürre und der Überschwemmungen. Auch stark gestiegene Lebensmittelpreise, Konflikte/Unsicherheiten und Krankheitsausbrüche tragen zur akuten Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung bei. Den Länderberichten ist zu entnehmen, dass es kein öffentliches Wohlfahrtssystem, keinen sozialen Wohnraum sowie keine Sozialhilfe gibt und in Krisenzeiten die Hilfe durch das soziale Netzwerk die am meisten effiziente und verwendete Bewältigungsstrategie darstellt.

Der Beschwerdeführer verfügt zwar aufgrund des zwölfjährigen Schulbesuchs (in den Vereinigten Arabischen Emiraten) über eine für somalische Verhältnisse sehr gute Schulbildung, schwerer wiegt jedoch, dass er sein Heimatland bereits im Alter von sieben Jahren verlassen hat und somit mit den somalischen Verhältnissen und der somalischen Kultur nicht vertraut ist. Deshalb hat er auch keine Erfahrungen mit dem Erwerbsleben im Land. Er verfügt über keinerlei persönliche oder familiäre Anknüpfungspunkte, da auch seine Familie das Land verlassen hat. Zudem ist die Versorgungslage insbesondere für IDPs gemäß den zitierten Länderberichten gerade in Bossaso sehr schlecht vergleiche LIB Sitzung 280ff).

Nach Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts kann daher unter Einbeziehung der skizzierten schlechten Versorgungslage nicht mit der für ein Asylverfahren notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Heimatort einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne des Artikel 15, Litera c, Statusrichtlinie ausgesetzt sein könnte.

Der Beschwerdeführer, welcher nicht aus Mogadischu stammt, kann auch nicht in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in andere Landesteile Somalias, insbesondere nach Mogadischu, verwiesen werden:

Für Rückkehrer ohne Netzwerk oder Geld gestaltet sich die Situation schwierig. Im herausfordernden Umfeld von Mogadischu sind entweder ein funktionierendes Netzwerk oder aber genügend Eigenressourcen notwendig, um ein Auslangen finden zu können. Ein Netzwerk ist z. B. hinsichtlich Arbeitssuche wichtig. Somit läuft der Beschwerdeführer Gefahr, in ein IDP-Camp gehen zu müssen. In diesem Zusammenhang ergibt sich aus den Länderberichten, dass sich ein erheblicher Teil der Rückkehrer als IDPs wiederfinden wird und es zu Vertreibung bzw. Zwangsräumungen von IDPs gekommen ist. IDPs gehören in Somalia generell zu den am meisten gefährdeten Personengruppen. In Mogadischu sind die Bedingungen für IDPs in Lagern hart. Oft fehlt es dort an simplen Notwendigkeiten, wie etwa Toiletten. Die Rate an Unterernährung ist hoch, der Zugang zu grundlegenden Diensten eingeschränkt. Es mangelt ihnen zumeist an Zugang zu genügend Lebensmitteln und akzeptablen Unterkünften. Auch wenn es in Mogadischu viel mehr Arbeitsmöglichkeiten gibt, als an anderen Orten Somalias, ist dennoch zu berücksichtigen, dass freie Arbeitsplätze häufig über die Verwandtschaft oder den Clan vergeben werden. Da der Beschwerdeführer keinem der dortigen Mehrheitsclans angehört, verfügt er in Mogadischu über keine Clanunterstützung. Er könnte nicht mit der nötigen Wahrscheinlichkeit seinen notdürftigsten Lebensunterhalt erwirtschaften und liefe Gefahr, in kürzester Zeit in eine existenzbedrohende Lage zu geraten.

In Zusammenschau der derzeitigen Situation mit den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers erscheint eine Ansiedlung in einem anderen Landesteil, insbesondere Mogadischu, daher derzeit nicht zumutbar.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

3.1. Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:

3.1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974, (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.1.2. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ vergleiche VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vergleiche VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.07.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird vergleiche VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

3.1.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass der Beschwerdeführer eine ihm in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen landesweit drohende Verfolgung nicht glaubhaft gemacht hat:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Wie beweiswürdigend dargelegt, konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass er einer konkreten, individuellen Bedrohung aufgrund einer Verfolgung durch Angehörige eines anderen Subclans, die den Vater des Beschwerdeführers wegen einer Blutfehde ermordet hätten und auch ihm aus diesem Grund nach dem Leben trachten würden, ausgesetzt war bzw. ist.

Sonstige Gründe einer aktuellen, asylrelevanten Bedrohung sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Es besteht somit keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Beschwerdeführers in Somalia aus Konventionsgründen.

Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen keine Verfolgung im Sinne der GFK dar. In allgemeinen schlechten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen kann keine Verfolgung gesehen werden vergleiche VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0597 unter Bezugnahme auf VwGH 24.10.1996, Zl. 95/20/0321, 0322; VwGH 17.02.1993, Zl. 92/01/0605) und es ist auch eine existenzgefährdende Schlechterstellung des Beschwerdeführers aus Gründen der GFK nicht ersichtlich.

3.1.4. Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, war in der Folge davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht existiert. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. war somit als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

3.2.1. Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 2, AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 3, AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des Paragraph 11, offen steht.

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Absatz eins, oder aus den Gründen des Absatz 3, oder 6 abzuweisen, so hat gemäß Paragraph 8, Absatz 3 a, AsylG 2005 in der Fassung FrÄG 2009 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß Paragraph 9, Absatz 2, AsylG 2005 in der Fassung FrÄG 2009 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

Es ist somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Artikel 2, EMRK (Recht auf Leben), Artikel 3, EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben vergleiche VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. Gesetzgebungsperiode zu Paragraph 8, AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikel 3, EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Artikel 2, oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen vergleiche etwa VwGH 01.03.2018, Ra 2017/19/0425; VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, mwN insbesondere zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofes).

Die bloße Möglichkeit einer dem Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des Paragraph 57, FrG (nunmehr: Paragraph 50, Absatz eins, FPG bzw. Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005) als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Artikel 3, EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vergleiche auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Artikel 3, EMRK in Verbindung mit Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 bzw. Paragraph 50, Absatz eins, FPG bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vergleiche VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059).

Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Artikel 3, EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Artikel 3, EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr („real risk“) – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Artikel 3, EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Artikel 3, EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen vergleiche etwa VwGH 20.11.2018, Ra 2018/20/0528; VwGH 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, mwN).

In diesem Zusammenhang ist auf die ständige Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hinzuweisen, wonach es – abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Artikel 3, EMRK darstellen würde – grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde vergleiche etwa VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, mit Verweis auf EGMR 05.09.2013, römisch eins gegen Schweden, Nr. 61 204/09). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Artikel 3, EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (Paragraph 11, AsylG 2005). Ihre Inanspruchnahme muss dem Fremden zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort). Dass das mögliche Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des Paragraph 11, Absatz eins, AsylG 2005, wonach sich die innerstaatliche Fluchtalternative, die als ein Kriterium u.a. die Zumutbarkeit des Aufenthalts in einem bestimmten Teil des Staatsgebietes vorsieht, auf den „Antrag auf internationalen Schutz“ und somit auch auf jenen auf Zuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten bezieht vergleiche hierzu auch VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233).

Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat; es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härte zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001). Dabei handelt es sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, mwN).

Nach Artikel 10, Absatz 3, Litera b, der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrens-Richtlinie) haben die Mitgliedstaaten bei der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz u.a. sicherzustellen, dass hierfür genaue und aktuelle Informationen aus verschiedenen Quellen, wie etwa von UNHCR und EASO Anmerkung, nunmehr EUAA), eingeholt werden. Die besondere Bedeutung von Berichten von UNHCR und EASO ergibt sich daher schon aus dem Unionsrecht, UNHCR-Richtlinien kommt zudem nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Indizwirkung zu vergleiche u.a. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103; vergleiche auch VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118).

3.2.2.   Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG gegeben sind:

Wie dargelegt, ist bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Heimatort aufgrund der schlechten Versorgungslage und der individuellen Umstände ernstlich zu befürchten, dass der Beschwerdeführer in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Lage geraten würde. Ihm ist auch eine Rückkehr in eine andere Region Somalias aufgrund seiner individuellen Umstände in Verbindung mit der im ganzen Land äußerst angespannten Versorgungslage aktuell nicht zumutbar.

Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten individuellen Fall zum Entscheidungszeitpunkt zum Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Somalia aktuell eine Verletzung seiner durch Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte droht.

Ausschlussgründe nach Paragraph 8, Absatz 3 a, in Verbindung mit Paragraph 9, Absatz 2, AsylG liegen nicht vor, weil sie einerseits nicht hervorgekommen sind (Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer eins und 2 AsylG) und der Beschwerdeführer andererseits strafrechtlich unbescholten ist (Ziffer 3, leg. cit).

Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides ist daher stattzugeben und dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuzuerkennen.

3.3.       Zur Behebung der Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI.:

Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiären Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt für ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Im gegenständlichen Fall hat daher das Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten dem Beschwerdeführer auch eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr zu erteilen. Aufgrund der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer waren die Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides zu beheben.

Zu Spruchteil B)

Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab vergleiche dazu die zu Spruchpunkt A zitierte Rechtsprechung), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist – soweit diese nicht unvertretbar ist – nicht revisibel (z.B. VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0002, mwN).). Auch bei Gefahrenprognosen im Sinne des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 handelt es sich letztlich um einzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (z.B. 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 12.10.2016, Ra 2016/18/0039).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2024:W268.2253635.1.00