Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

21.05.2024

Geschäftszahl

W277 2276407-1

Spruch


W277 2276407-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a ESCHLBÖCK, MBA, über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am römisch 40 , zu Recht:

A)

römisch eins. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

römisch II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und römisch 40 , geb. römisch 40 , nach Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

römisch III. Nach Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 wird römisch 40 , geb. römisch 40 , eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

römisch IV. Die Spruchpunkte römisch III., römisch IV., römisch fünf. und römisch VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

römisch eins. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) stellte am römisch 40 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

1.1. Am römisch 40 wurde er durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt (AS 23 ff). Hierbei gab er an am römisch 40 in römisch 40 geboren zu sein und sich dem römisch 40 Glauben zu bekennen. Er sei Staatsangehöriger von Somalia und gehöre dem Clan der römisch 40 an (AS 23, AS 25). Vor seiner Ausreise sei er zuletzt in römisch 40 wohnhaft gewesen (AS 27).

Im Herkunftsstaat habe er römisch 40 eine Grundschule in römisch 40 besucht und sei ebendort zuletzt als römisch 40 tätig gewesen (AS 25).

Sein Vater namens römisch 40 , welcher römisch 40 alt sei, seine Mutter namens römisch 40 , welche römisch 40 alt sei, seine Schwester namens römisch 40 , welche römisch 40 alt sei, seine Schwester namens römisch 40 , welche römisch 40 alt sei, sowie seine Schwester namens römisch 40 , welche römisch 40 alt sei, würden in Somalia leben.

Der BF sei verheiratet. Seine Ehefrau namens römisch 40 , welche römisch 40 alt sei, wäre mit der Tochter namens römisch 40 , welche römisch 40 alt sei, in einem Flüchtlingslager in römisch 40 aufhältig (AS 23, AS 27). Das Sorgerecht für das Kind würde sich der BF mit seiner Ehefrau teilen (AS 29).

Zu seinen Fluchtgründen brachte er vor, dass seine Volksgruppe römisch 40 eine Minderheit in Somalia sei und diskriminiert werde. Seine Frau gehöre der Volksgruppe römisch 40 an. Als ihre Familie von der Heirat erfahren habe, hätten diese ihn töten wollen. Weitere Fluchtgründe habe er nicht (AS 33).

Bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat befürchte er, getötet zu werden. Konkrete Hinweise, dass ihn bei Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe oder er im Falle seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen habe, gebe es nicht (AS 33).

Den Entschluss zur Ausreise aus seinem Herkunftsstaat habe er im römisch 40 gefasst und sei im römisch 40 illegal und ohne Reisedokument via Flugzeug in die römisch 40 ausgereist. Sein Reiseziel römisch 40 wäre gewesen, „weil es sicher sein soll“ (AS 29, AS 31). Der BF habe nie einen offiziellen Reisepass besessen und könne keine Identitätsdokumente vorweisen (AS 23, AS 31).

Sein Vater habe die Reise mithilfe von Schleppern organisiert. Die Kontaktperson sei durch seinen Vater kontaktiert worden und der BF habe den Schlepper oder den Fahrer nie gesehen. Die Ausreisekosten hätten sich insgesamt auf römisch 40 belaufen.

Zu seiner Reiseroute führte der BF aus, sich römisch 40 in der römisch 40 , römisch 40 in römisch 40 , römisch 40 in römisch 40 und ca. römisch 40 in römisch 40 aufgehalten zu haben, bevor er über römisch 40 ins Bundesgebiet eingereist sei. In römisch 40 und römisch 40 sei er lediglich durchgereist und habe in diesen Ländern keinen Behördenkontakt gehabt bzw. auch in keinem anderen Land einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt oder einen Aufenthaltstitel erhalten (AS 31, AS 33).

Der BF verfüge zum Befragungszeitpunkt weiters über römisch 40 an Barmitteln (AS 29).

2. Am römisch 40 übermittelte der BF an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) E-Mails mit folgendem Inhalt (AS 43):

- „Hallo magaceega römisch 40 waxan joga römisch 40 waxan halkan kunolahay mudo römisch 40 iyo römisch 40 wax intarviyo ah ma heesto wan idin bariyaa icaawiya isoo jawaba mahad sanidiin“

- römisch 40

2.1. Am römisch 40 wurde seitens des BF eine weitere E-Mail mit folgendem Inhalt an das BFA übermittelt (AS 47):

„Hallo Ihren namen römisch 40 Ich wurde geboren römisch 40 Bitte helfen sie mir dabei Interview Danke“

2.2. Am römisch 40 richtete das BFA hierzu via E-Mail einen Schriftsatz an den BF, welchem im Wesentlichen zu entnehmen ist, dass es in Einzelfällen zu einer etwas längeren Bearbeitungszeit kommen könne. Das BFA sei aber jedenfalls in allen Fällen bestrebt, einen Verfahrenabschluss in erster Instanz innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist zu gewährleisten. Es werde ersucht von Beschwerden wegen langer Verfahrensdauer abzusehen (AS 45).

3. Am römisch 40 wurde der BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich befragt (AS 59 ff).

Hierbei gab er an römisch 40 zu heißen und am römisch 40 in römisch 40 geboren und ebendort aufgewachsen zu sein (AS 61, AS 67). Er sei somalischer Staatsangehöriger, bekenne sich dem islamischen Glauben und gehöre dem Clan römisch 40 an (AS 67).

Der BF habe römisch 40 lang eine Schule in römisch 40 besucht. Danach habe er bis zu seiner Ausreise römisch 40 im römisch 40 römisch 40 durchgeführt und Software bedient. Das Geschäft sei römisch 40 zu Fuß von seinem Wohnort „in einem anderen Bezirk in römisch 40 “ entfernt gewesen (AS 67, AS 71).

Zu römisch 40 führte der BF weiters aus, dass es in zwei Richtungen größere Städte gebe, „einmal römisch 40 , danach kommt römisch 40 und römisch 40 und die andere Richtung römisch 40 “. Sein Heimatort liege in ca. römisch 40 Entfernung zur römisch 40 (AS 67).

Seine Mutter und seine drei Schwestern würden in römisch 40 leben, sein Vater lebe in römisch 40 . Der BF habe keine sonstigen Verwandten, welche in Somalia aufhältig seien (AS 67).

Der BF sei seit römisch 40 mit einer somalischen Frau namens römisch 40 verheiratet, welche zum Befragungszeitpunkt römisch 40 alt wäre. Die Ehe sei in Somalia in Abwesenheit ihrer Familien vor einem Sheikh geschlossen worden. Es gebe keine offizielle Urkunde über die Eheschließung und wären lediglich römisch 40 Freunde hierbei anwesend gewesen. Zuvor habe der BF bei der Familie seiner Frau offiziell um Erlaubnis zur Eheschließung gebeten, „aber sie wollten das nicht“.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, aufgrund seiner Clanzugehörigkeit Probleme gehabt zu haben, zumal „sie“ diskriminiert worden wären (AS 67). Auch habe er Probleme in seiner Arbeit gehabt (AS 69).

Aufgrund seiner Clanzugehörigkeit habe er weiters mit der Familie seiner Ehefrau Probleme gehabt, weil sie als Clanangehörige der römisch 40 nicht gewollt hätten, dass der BF seine Ehefrau heirate. Der BF habe vor der Eheschließung ohne Erlaubnis eine Beziehung zu seiner Ehefrau gepflegt und auch nach der Hochzeit nicht ihr zusammengelebt, sondern sich an seiner Arbeitsstätte bzw. in der Wohnung eines Freundes getroffen.

Nachdem die Familie seiner Ehefrau erfahren hätte, dass sei schwanger sei, hätten sie den BF im römisch 40 im römisch 40 in römisch 40 festgenommen, gefoltert und töten wollen. Sie hätten ihn „gebrannt mit Feuer“ und er könne Narben vorweisen (AS 69).

Weiters schilderte der BF, dass am Tag seiner diesbezüglichen „Festnahme“ bewaffnete Männer in römisch 40 gekommen wären und verlangt hätten, dass er das Geschäft schließe. Er habe nicht gewusst, ob es sich hierbei um „Männer der Regierung oder der al Shabaab“ handle. Der BF sei im römisch 40 in ein Haus gebracht worden. Dort hätte man ihn, ausgezogen, geschlagen und „gebrannt“ bis er bewusstlos geworden wäre. Darüber hinaus sei ihm „ein Zahn ausgeschlagen“ und wäre er am Kiefer verletzt worden. Nach der Folter hätten „sie ihn dann aufs Meer geworfen“ und geglaubt, dass er tot sei (AS 73).

Nach dem Vorfall sei der BF in einem Krankenhaus aufgewacht. Er wisse nicht, wie er in das dorthin gekommen sei. Auch gab er an, dass er von seinem Vater und dessen Freund in ein privates Spital in römisch 40 hingebracht worden wäre. Wie er von seinem Vater im römisch 40 gefunden worden wäre, könne er nicht angeben (AS 69, AS 71).

Insgesamt römisch 40 habe der BF in einem Krankenhaus verbracht, wobei er weiter ausführte, dass er nach seinem Aufenthalt in einem Krankenhaus in römisch 40 in ein Spital in römisch 40 gebracht worden wäre. Seine Spitalskosten habe sein Vater durch den Verkauf eines Grundstücks finanziert (AS 69, AS 71).

Da er einem Minderheitsstamm angehöre, habe ihm niemand in dieser Situation helfen können.

Während seinen Krankenhausaufenthalts habe die Familie seiner Ehefrau verlangt, dass diese die Schwangerschaft abbreche. Ein Arzt habe ihr jedoch davon abgeraten, weil ihre Schwangerschaft bereits so weit fortgeschritten gewesen wäre.

Nach dem Krankenhausaufenthalt habe seine Familie beschlossen, dass er das Land verlassen müsse (AS 69). In römisch 40 habe er nicht bleiben können, weil sein Vater Angst um das Leben des BF gehabt hätte. Überdies habe der Vater des BF auch Angst vor „der Familie“, weshalb auch er selbst Somalia verlassen hätte (AS 73).

Im römisch 40 habe der BF den Herkunftsstaat verlassen (AS 67), nachdem ein Freund seines Vaters ihm römisch 40 einen Reisepass und ein Visum für die römisch 40 beim Passamt römisch 40 organisiert hätte (AS 73). Den Reisepass habe der BF „zwischen römisch 40 und römisch 40 “ verloren (AS 65).

In der römisch 40 wäre der BF römisch 40 lang aufhältig gewesen. Erst dort habe er wieder den Kontakt zu seiner Ehefrau via römisch 40 aufgenommen und erfahren, dass diese eine Tochter geboren und in römisch 40 aufhältig sei (AS 67, AS 73). Seine Tochter namens römisch 40 sei zum Befragungszeitpunkt römisch 40 alt (AS 65).

Zu seiner Situation im Bundesgebiet führte der BF aus, bislang keinen Deutschkurs besucht zu haben, weil das „ohne Titel nicht möglich“ sei. Er versuche „über das Internet die deutsche Sprache zu erlernen“. Er habe keine Angehörigen in Österreich, jedoch Bekanntschaften beim Fußball spielen geschlossen (AS 75).

4. Mit Bescheid des BFA vom römisch 40 , Zl. römisch 40 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom römisch 40 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia nach Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch II.) ab und erteilte dem BF keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nach Paragraph 57, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch III.). Nach Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung nach Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und nach Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Unter Spruchpunkt römisch VI. wurde nach Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG die Frist zur freiwilligen Ausreise mit römisch 40 ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (AS 81 ff).

Den Feststellungen auf AS 91 f. ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass der BF ein volljähriger, somalischer Staatsangehöriger römisch 40 Glaubens sei. Seine Identität stehe nicht zweifelsfrei fest. Auch habe die behauptete Clanangehörigkeit oder eine Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan nicht festgestellt werden können.

Der BF stamme aus der Stadt römisch 40 in der Region römisch 40 , habe im Herkunftsstaat eine Koranschule besucht und bis zu seiner Ausreise im gemeinsamen Haushalt mit seiner Familie gelebt.

Er verfüge über Familienangehörige und ein soziales Netzwerk im Herkunftsstaat. Er sei nach traditionellem Ritus verheiratet und habe mit seiner Frau nie im gemeinsamen Haushalt gelebt. Der BF sei Vater eines Kindes. Der konkrete Aufenthaltsort seiner Kernfamilie und sonstiger Angehöriger in Somalia habe nicht festgestellt werden können.

Der BF habe sich im römisch 40 entschlossen, seinen Herkunftsstaat zu verlassen und sei problemlos via Flughafen aus dem Herkunftsstaat ausgereist.

Er habe mit seinem Vorbringen eine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht glaubhaft machen können (AS 91). Auch sei aus amtswegiger Wahrnehmung eine drohende asylrelevante Verfolgung aus anderen Gründen nicht hervorgekommen.

Der BF sei im Herkunftsstaat weder einer konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt gewesen, noch habe festgestellt werden können, dass ihm in Somalia aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung bzw. zu einer ethnischen Gruppe und/oder Clans Verfolgung drohe (AS 91). Dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung seiner Person nach Somalia bzw. römisch 40 eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde, habe auch nicht festgestellt werden können (AS 91 f).

Der BF sei ein gesunder, leistungsfähiger und arbeitswilliger Mann im berufsfähigen Alter ohne besonderen Schutzbedarf (AS 91), welchem bei einer Rückkehr in seinen Heimatort bzw. in die römisch 40 grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse finanzieren bzw. finanzielle oder beratende Unterstützung durch Hilfsorganisationen im Herkunftsstaat erwarten sowie Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen könne. Seine Ausreise aus dem Herkunftsstaat sei mit Hilfe seiner Familie organisiert bzw. finanziert worden und es sei davon auszugehen, dass er auch im Falle einer Rückkehr Unterstützung durch seine Familie erfahren werde. Zumal er mit den Gepflogenheiten in Somalia vertraut sei und die Landessprache beherrsche, werde er sich bei möglichen, anfänglichen Schwierigkeiten selbst versorgen können.

Dem BF sei es auch grundsätzlich möglich, sich in der via Flugzeug aus Österreich sicher erreichbaren römisch 40 niederzulassen und ebendort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen.

Es würden weder Familienangehörigen des BF im Bundesgebiet leben, noch bestehe seinerseits ein Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis zu einer in Österreich lebenden Person. Er verfüge in Österreich über keinen nennenswerten Freundeskreis und weise keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf. Der im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholtene BF sei nicht erwerbstätig und stehe in keinem Ausbildungsverhältnis (AS 91 f).

Beweiswürdigend führte das BFA zunächst zur behaupteten Clanzugehörigkeit des BF aus, dass er diese „in der Hoffnung erfunden habe, um damit Asyl in Österreich zu erhalten“ vorgebracht hätte, zumal er nur über wenig Wissen über seinen vorgegebenen Clan römisch 40 verfüge und durchwegs vage Angaben hierzu getätigt habe. Seine geschilderten Befürchtungen, von einem Angehörigen eines anderen Clans getötet werden zu können, seien vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft (AS 196). Eine Feststellung zu seiner tatsächlichen Clanangehörigkeit sei nicht möglich gewesen. Seine diesbezügliche Unglaubwürdigkeit wirke sich weiters negativ auf die Beurteilungen seiner sonstigen Behauptungen zu seinem bisherigen Leben in Somalia aus (AS 195).

Sein Fluchtgrund, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Minderheit der römisch 40 in Somalia diskriminiert zu werden, sei – auch unabhängig davon, dass die Zugehörigkeit zu dieser Minderheit nicht festgestellt werden könnte– aufgrund seines vagen und unkonkreten Vorbringens nicht glaubhaft und stelle lediglich ein gedankliches Konstrukt dar (AS 196). Dass der BF von der Familie seiner Ehefrau gefoltert und misshandelt worden wäre, sei ebenso wenig glaubwürdig (AS 197). Es werde davon ausgegangen, dass der BF tatsächlich einem wohlhabenden Mehrheitsclan angehöre.

Ein Indiz dafür, dass er im Herkunftsland keiner Bedrohung ausgesetzt gewesen sei, ergebe sich daraus, dass der BF „nach seiner angeblichen Heirat im Herkunftsdorf verblieben“ sei, obwohl ihm bewusst gewesen wäre, dass die Familie seiner „Ehefrau“ gegen diese Beziehung gewesen sei. Wäre er „tatsächlich einer Verfolgung ausgesetzt gewesen, so wäre er bestimmt nicht in seinem Dorf geblieben, sondern hätte er seinen Wohnort zusammen mit seiner Ehefrau verlegt“. Es wäre ihm auch möglich und zumutbar gewesen, nach römisch 40 zu ziehen, da er dort nicht mehr unter dem Einfluss der Familie seiner Ehefrau gestanden wäre und somit auch keine Verfolgung zu erwarten gehabt hätte (AS 197 f, AS 199).

Darüber hinaus sei sein Vorbringen hinsichtlich seines langen Krankenhausaufenthalts nicht glaubhaft, zumal der BF weder eine diesbezügliche Bestätigung noch sonstige Beweise hierzu habe vorweisen können. Auch wenn „das Spitalswesen in Somalia eine andere Handlungsweise als in römisch 40 “ aufweise, sei es unglaubwürdig, dass nach so einem langen Krankenhausaufenthalt „keinerlei Nachweise über den Vorfall bzw. die Verletzungen“ erbracht hätten werden können.

Zu beträchtlichen und berechtigen Zweifel bezogen auf seine Herkunft aus einem benachteiligten Minderheitenclan habe auch seine Ausführung, dass für seine Ausreise römisch 40 organisiert hätten werden können, geführt. Vielmehr zeige sich darin „finanzielle und gesellschaftliche Stärke“, wonach sein Fluchtvorbringen -aufgrund seiner Minderheitenclan-Zugehörigkeit verfolgt zu werden- als gänzlich unglaubwürdig anzusehen sei. Somit stehe zweifelsfrei fest, dass der BF selbst bei Zugrundelegung seiner Angaben über eine Bedrohungssituation die Möglichkeit gehabt hätte, vor einer Verfolgung von dieser Seite durch Niederlassung außerhalb seiner Herkunftsregion Sicherheit zu finden. Dies erscheine für ihn aufgrund seiner Sprachkenntnisse und seiner Lebenserfahrung zumutbar, zumal er seinen Lebensunterhalt auch durch Gelegenheitsarbeiten und durch Unterstützung seiner Verwandten bestreiten könnte (AS 198).

Es sei auch keineswegs nachvollziehbar, weshalb bei einer bestehenden Bedrohung, welche den Schilderungen des BF die gesamte Familie betroffen habe, römisch 40 dafür aufgebracht werden würden, um eine Person nach Österreich reisen zu lassen und nicht prioritär versucht werde, der gesamten Familie mit dieser beträchtlichen Summe eine Niederlassung in römisch 40 in Sicherheit zu ermöglichen.

Selbst bei hypothetischer Wahrunterstellung seines Vorbringens ergebe sich aus den Länderfeststellungen kein Hinweis auf eine maßgebliche Verfolgungsgefahr. Es gebe kein Risiko der Verfolgung allein aufgrund einer Clanzugehörigkeit in Somalia und würden Angehörige von Minderheitenclans nicht systematisch verfolgt werden. Minderheitenangehörige würden auch nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit marginalisiert oder belästigt werden, zumal sich die „Sicherheitslage für Angehörige kleiner, schwacher Clans oder ethnischer Minderheiten wesentlich verbessert“ hätte. Zudem gebe es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen und würden daher die Menschen in römisch 40 und anderen großen Städten nicht automatisch wissen bzw. erkennen können, welchem Clan eine Person angehöre (AS 199).

Es sei davon auszugehen, dass der BF in Somalia weiterhin über enge familiäre Beziehungen, Obdach und auch Versorgungsmöglichkeiten verfüge, sowie die Familie des BF „hochangesehen“ und wohlhabend sei.

Zumal die somalische Regierung und AMISOM unverändert die Kontrolle über römisch 40 hätten (AS 199 f), sowie der BF über eine Schulbildung und Lebenserfahrung verfüge, stehe es ihm frei, zu seinem früheren Herkunftsort zurückzukehren, um ebendort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen.

In der rechtlichen Beurteilung wurde weiters ausgeführt, dass die Zugehörigkeit des BF zum Clan der römisch 40 nicht glaubhaft sei. Die in Somalia noch bestehende Diskriminierung bzw. Marginalisierung von Angehörigen ethnischer Minderheiten und berufsständischer Minderheiten erreiche gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Somalia Angehörige der römisch 40 wegen ihrer Clanzugehörigkeit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten. Außerdem gehöre der BF keinem Minderheitenclan an (AS 203 f).

Auch habe der BF nicht darlegen können, aus einem Gebiet zu stammen, in welchem die Nahrungsmittelversorgung nicht ausreichend gewährleistet wäre. Selbst wenn der BF keine familiäre Unterstützung vorfinden würde, würde er durch seine Lebenserfahrung, seine Gesundheit, seine Sprachkenntnisse sowie aufgrund der Tatsache, dass er ein junger gesunder Mann im arbeitsfähigen Alter sei, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein, eine Beschäftigungsmöglichkeit zu finden, um ein menschenwürdiges Leben zu führen (AS 209).

4.1. Das BFA stellt dem BF amtswegig einen Rechtsberater zur Seite (AS 221).

5. Mit Schriftsatz vom römisch 40 erhob der BF, vertreten durch die BBU GmbH (Vollmacht vom römisch 40 ), binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde (AS 229 ff).

Hierbei wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht vollständig erhoben und wesentliche Aspekte des Parteienvorbringens nicht berücksichtigt worden seien, sowie dass eine Plausibilitätskontrolle des Vorbringens des BF vor dem Hintergrund aktueller und ausgewogener Länderberichte fehle (AS 267).

Der BF gehöre dem Clan der römisch 40 an, welcher als Minderheit gesehen werde. Er sei im Alltag massiv diskriminiert worden und habe kaum Rechte gehabt. Die nunmehrige Frau des BF sei Angehörige des Clans der römisch 40 , weshalb es dem BF nicht gestattet gewesen sei, sie zu heiraten und sie daher heimlich geheiratet hätten. Zudem sei die nunmehrige Ehefrau des BF schwanger gewesen. Der Clan der Ehefrau habe von der Heirat und der Schwangerschaft erfahren und habe die beiden ausfindig gemacht. Der BF sei zusammengeschlagen und gefoltert worden. Als „sie“ gedacht hätten, dass der BF tot sei, hätten „sie“ ihn ins Meer geworfen. Danach sei er ins Krankenhaus gebracht worden. Der BF habe sich für eine kurze Zeit verstecken können, jedoch habe jederzeit die abermalige Gefahr des Gefundenwerdens durch die Familienmitglieder seiner Ehefrau bestanden, weshalb dem BF keine andere Wahl geblieben sei, als Somalia zu verlassen (AS 232).

Dem BF drohe bei einer Rückkehr eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe seiner Familie bzw. von Personen, die aufgrund einer Mischehe verfolgt werden würden, sowie aufgrund der Zugehörigkeit zum Minderheitenclan der römisch 40 .

Mehreren Länderberichten zufolge seien Mischehen verboten und würden Mitglieder von Minderheitenclans, insbesondere römisch 40 , von größeren Clans diskriminiert werden. Diesen Personen komme kein ausreichender Schutz zu. Neben diesem Risikoprofil erfülle der BF jenes der Personen, die in „Inter-Clan Konflikte“ involviert seien. Weder der Clan des BF noch der somalische Staat habe ihn vor der Ausreise aus Somalia schützen können und könne dies auch bei einer allfälligen Rückkehr nicht (AS 234 f).

Das Vorbringen des BF sei schlüssig, lebensnah und entspreche den in der Beschwerdeschrift zitierten Länderberichten. „Mischehen“ zwischen Clans, die eine unterschiedliche Stellung hätten, würden zumeist von den höheren Clans nicht geduldet werden. Vor allem sei die Schwangerschaft dafür ausschlaggebend, dass sich die Familie am BF habe rächen wollen und dies auch getan habe. Der BF habe sich einige Zeit verstecken können, jedoch sei die Gefahr des Gefundenwerdens immanent geworden und dem BF somit keine andere Wahl geblieben, als Somalia zu verlassen (AS 254 f). Für den BF bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative, da die Gefahr des Gefundenwerdens im gesamten Staatsgebiet bestehe (AS 232) und es lediglich eine Frage der Zeit wäre, bis er von Familienmitgliedern gefunden werden würde (AS 254 f).

Darüber hinaus werde in den UNHCR-Erwägungen zu Somalia von römisch 40 festgehalten, dass in Somalia häufig Rachemorde stattfänden und von Blutfehde betroffene Personen internationalen Schutz benötigen könnten. Personen wie der BF hätten daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit „zur sozialen Gruppe der in eine Blutfehde verstrickte Familie“ zu erwarten (AS 258).

Darüber hinaus sei die aktuelle Sicherheits- und Versorgungslage in Somalia derzeit so schlecht, dass bei einer Rückkehr nach Somalia jedenfalls eine Gefährdung des Artikel 2 und 3 EMRK vorliege (AS 253).

Zu römisch 40 gebe es aktuelle Berichte, welche die aktuelle Situation ebendort als „instabil“ und „unsicher“ beschreiben würden. Dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia sei zu entnehmen, dass al Shabaab nach wie vor in römisch 40 aktiv sei und ebendort auch Rekrutierungen durchführe (AS 237 ff).

Angesichts der derzeitigen Sicherheits-, Menschenrechts-, Wirtschafts- und humanitären Lage in römisch 40 sei eine IFA/IRA in der Stadt generell nicht möglich. Für die ausnahmsweise Annahme einer IFA für den BF in römisch 40 müsste er ein alleinstehender, gesunder und arbeitsfähiger Mann ohne identifizierte Vulnerabilitäten sein und zu einem Mehrheitsclan in römisch 40 gehören (AS 239 f).

Die Behörde habe sich im Hinblick auf die Situation des BF im Fall einer Rückkehr nicht ausreichend mit seiner individuellen Situation auseinandergesetzt (AS 256) und keine Feststellungen zur allfälligen Rückkehr des BF getroffen (AS 264).

Der BF gehöre der Minderheit römisch 40 an, weshalb er von seinem Clan keine Unterstützung zu erwarten habe und bei einer Rückkehr nach Somalia weder auf eine Unterstützung durch seinen Clan noch die Familie zurückgreifen könnte und auf sich allein gestellt wäre (AS 256). Zudem sei der somalische Staat nicht in der Lage und gewillt, den BF vor Verfolgung zu beschützen (AS 258). Dem LIB zufolge könnte der BF keine ausreichende rückkehrspezifische Unterstützung als Rückkehrer nach Somalia erhalten und müsste sich deshalb in ein IDPs- Lager begeben.

Ebenso werde festgehalten, dass es für eine tatsächliche Unterstützung durch Familienangehörige darauf ankomme, wie intensiv man die Beziehungen pflege und ein vorhandenes Familiennetzwerk nicht automatisch zur Schutzgewährung führe (AS 240). Der BF hätte somit in römisch 40 keinen Zugang zur Unterstützung durch einen Mehrheitsclan und daher auch keinen Zugang zu den von UNHCR vorausgesetzten Ressourcen (AS 241).

Für den BF komme eine Neuansiedlung in einem anderen Teil Somalias oder römisch 40 keinesfalls in Betracht und habe es die belangte Behörde verabsäumt, konkrete Ermittlungen dahingehend anzustellen, in welchem Teil von Somalia der BF sich konkret ansiedeln könnte (AS 264 f).

Davon abgesehen sei für den BF eine innerstaatliche Fluchtalternative in römisch 40 nicht möglich, da eine regelmäßige medizinische Kontrolle seines Knies erforderlich sei (AS 264).

Außerdem sei die belangte Behörde aufgrund mangelhafter Interessensabwägung zu Unrecht zu dem Schluss gelangt, dass die Verhängung einer Rückkehrentscheidung zulässig sei. Der BF halte sich zwar erst seit etwa über römisch 40 in Österreich auf, versuche jedoch Deutsch zu lernen und sei bemüht, sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren (AS 266).

6. Mit Beschwerdevorlage vom römisch 40 , eingelangt am römisch 40 , legte das BFA die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge: BVwG) vor (OZ 1).

6.1. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom römisch 40 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung römisch 40 abgenommen und neu zugewiesen (OZ 2).

7. Das BVwG führte am römisch 40 eine mündliche, öffentliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Somali durch, an welcher der BF und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Das BFA verzichtete vorab mit Schreiben vom römisch 40 auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung (OZ 7). Ein Vertreter der belangten Behörde ist folglich nicht erschienen.

Der BF wurde ausdrücklich zu seiner Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihm Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen, sich zu seinen Rückkehrbefürchtungen und der Integration im Bundesgebiet zu äußern, sowie zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und ihm mit der Ladung zugestellten Länderberichten Stellung zu nehmen.

8. Im Strafregister der Republik Österreich scheinen keine Verurteilungen des BF auf.

römisch II. Für das Bundesverwaltungsgericht ergibt sich daraus wie folgt:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person des BF

Der volljährige BF ist somalischer Staatsangehöriger römisch 40 Glaubens.

Er ist ein Clangehöriger der römisch 40 .

In der Stadt römisch 40 (andere Schreibweise im Akt: römisch 40 ) in der Region römisch 40 hat er römisch 40 lang eine Grundschule sowie auch eine Koranschule besucht, sowie seinen Lebensunterhalt mittels beruflicher Tätigkeit in römisch 40 bestritten. Eine Berufsausbildung hat er nicht genossen.

Die Mutter des BF stammt aus dem römisch 40 , ist gegenwärtig mit den drei Schwestern des BF in römisch 40 aufhältig und finanziert ihren sowie den Lebensunterhalt ihrer Töchter durch gelegentlichen Gemüseverkauf am Markt. Der Vater des BF ist aktuell nicht im Herkunftsstaat aufhältig.

Der BF ist gesund.

Im Bundesgebiet ist er strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF

Das Fluchtvorbringen des BF ist nicht glaubhaft.

Er ist keiner konkreten, asylrelevanten Verfolgung bzw. Bedrohung im Herkunftsstaat Somalia ausgesetzt.

1.3. Zur maßgeblichen, entscheidungsrelevanten Situation in Somalia

Aus dem ins Verfahren eingeführten:

- aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia (in der Folge: LIB) vom römisch 40 ,

- der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation SOMALIA Clan Gaameedle ( römisch 40 , Gendershe), römisch 40 , sowie den Berichten

- „Clans in Somalia“, J. Gundel, aus römisch 40 ,

- „Minderheiten in Somalia“, Informationszentrum Asyl und Migration, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, aus römisch 40 , und

- „Focus Somalia Clans und Minderheiten“, Schweizerische Eidgenossenschaft, vom römisch 40 ,

ergibt sich -unter Berücksichtigung der vorgebrachten UNHCR-Richtlinien sowie der Leitlinien der EUAA zu Somalia- entscheidungsrelevant Folgendes:

1.3.1. Politische Lage

1.3.1.1. Süd-/Zentralsomalia

Das Gebiet von Somalia ist faktisch zweigeteilt, nämlich in die somalischen Bundesstaaten und Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 15.5.2023 - Auswärtiges Amt [Deutschland] (15/5/2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia). Süd-/Zentralsomalia war seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen (BS 2022a - Bertelsmann Stiftung (2022a): BTI 2022 Country Report Somalia).

Somalia wird als der am meisten gescheitertete Staat der Welt beschrieben, das Land verfügt über keine einheitliche Regierung. Seit dem Zusammenbruch des autoritären Regimes von Mohamed Siad Barre im Jahr 1991 kämpft Somalia darum, eine Regierung zu bilden (Rollins/HIR 27.3.2023 - Kay Rollins (Autor), Harvard International Review (Herausgeber) (27/3/2023): No Justice, No Peace: Al-Shabaab's Court System).

Nach anderen Angaben ist Somalia zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind demnach sehr schwach, wesentliche Staatsfunktionen können von ihnen nicht ausgeübt werden. Es gibt jedenfalls keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 15.5.2023). Obwohl das Land nominell von Präsident Hassan Sheikh Mohamud regiert wird, steht ein Großteil des Landes nicht unter staatlicher Kontrolle. Al Shabaab kontrolliert fast 70 % von Süd-/Zentralsomalia (Rollins/HIR 27.3.2023).

1.3.1.2. South West State (SWS)- Lower Shabelle

Der SWS wurde in den Jahren 2014/2015 etabliert (HIPS 2021 - Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review).

Abdulaziz Hassan Mohamed 'Laftagareen' wurde 2018 ins Amt gewählt, nachdem sein Konkurrent im Wahlkampf, der ehemalige hohe Funktionär der al Shabaab und nunmehrige Bundesreligionsminister, Mukhtar Robow, in Haft gesetzt worden war. Der Rat der Präsidentschaftskandidaten des SWS stellte sich gegen die Ambition Laftagareens. Zudem ist in Baidoa eine Miliz namens Salvation Army of South West aufgetreten, die der Opposition zuzurechnen ist. Die Amtszeit von Laftagareen war im April 2020 vom Parlament verlängert worden (TEA 25.12.2022 The East African (25/12/2022): Somalia stares at old problem on term limits for state leaders) - und zwar bis 2024 (HIPS 24.3.2023 - Heritage Institute for Policy Studies (24/3/2023): State of Somalia 2022 Report, Year in Review). Die Opposition erklärt dazu, dass es dafür keine Rechtsbasis gegeben hat (TEA 25.12.2022).

Bei Unruhen im Dezember 2022 waren mindestens zehn Menschen getötet und zwanzig weitere verletzt worden, als Kräfte der Opposition mit den Sicherheitskräften zusammenstießen (Halbeeg 2.1.2023 - Halbeeg (2/1/2023): Gov’t forms technical committee to facilitate South West reconciliation conference; vergleiche HIPS 24.3.2023). Die Bundesregierung, zu der gute Beziehungen bestehen, hat zwischen den Streitparteien vermittelt (DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche Halbeeg 2.1.2023). Im Feber 2023 wurde ein Abkommen zur weiteren Regelung des Wahlablaufs geschlossen. Dieses war durch die Vermittlung des Vorsitzenden des Bundesparlaments zwischen Laftagareen und der Opposition geschlossen worden. Das Abkommen sieht die Wahl der Parlamentsabgeordneten durch die Clanältesten im Zeitraum November bis Dezember 2023 und die anschließende Wahl des Regionalpräsidenten durch das Parlament im Jänner 2024 vor (HIPS 24.3.2023). Beim im Mai 2023 tagenden NCC wurde allerdings vereinbart, dass die Wahltermine aller Bundesstaaten harmonisiert und auf den 30.11.2024 gelegt werden sollen - mit voller Unterstützung von Präsident Laftagareen. Dabei handelt es sich zwar nur um einen rechtlich nicht bindenden Vorschlag, trotzdem wurde damit für Unruhe gesorgt (BMLV 1.12.2023).

Aus anderen Gründen kam es im Juni 2023 zu Auseinandersetzungen zwischen clanbasierten Sicherheitskräften über die Steuererhebung, wobei Angehörige der somalischen Armee (v.a. Hawiye), mit Polizeikräften des SWS (v.a. Rahanweyn) in Lower Shabelle zusammengestoßen sind (ACLED 30.6.2023 - Armed Conflict Location and Event Data (30/6/2023): Somalia: Political Turmoil Threatens the Fight Against Al-Shabaab). Man wirft Laftagareen vor, als Taktik, seine Macht im Griff zu behalten, absichtlich alle bedeutenden Offensiven gegen al Shabaab zu verzögern. Prominente Politiker stoßen sich an der Machtkonzentration in den Familien- und Clannetzwerken von Laftagareen (Sahan/SWT 22.9.2023).

Politisch hat die Regierung des SWS bedeutende Fortschritte bei der Dezentralisierung der Macht und der Bildung von Bezirksräten gemacht, namentlich in Waajid, Diinsoor, Xudur, Berdale und Baraawe (HIPS 24.3.2023). In den Gebieten, die in Bay von der Regionalregierung kontrolliert werden, funktioniert die Verwaltung einigermaßen. Beim Aufbau der Verwaltung konnten seit 2021 keine weiteren Fortschritte erzielt werden (BMLV 1.12.2023).

1.3.1.3. Banadir Regional Administration (BRA)- Mogadischu

Benadir ist die einzige Region, über welche die Bundesregierung volle Kontrolle ausübt. Die Übergangsverfassung sieht vor, dass das Bundesparlament über den Status der Region Benadir - und damit den Status von Mogadischu - entscheiden muss. Bislang wurde keine Entscheidung gefällt, der Status von Benadir bleibt unklar (HIPS 8.2.2022).

Der Status von Mogadischu ist eines der wichtigsten, nach wie vor unentschiedenen politischen Themen (SDP/SPA 14.9.2022 - Somali Dialogue Platform, Somali Public Agenda (14/9/2022): Policy options for resolving th status of Mogadishu, Policy paper SDP.F20.05). Da die Hauptstadt direkt der Bundesregierung untersteht, ernennt der somalische Präsident Bürgermeister (gleichzeitig Gouverneur von Benadir) und Stellvertreter (HIPS 8.2.2022; vergleiche SDP/SPA 14.9.2022) sowie alle District Commissioners. Zudem verwaltet die Bundesregierung alle in der Stadt eingehobenen Erträge (SDP/SPA 14.9.2022).

De facto wird Mogadischu von der Bundesregierung verwaltet (SDP/SPA 14.9.2022) und steht unter deren direkter Kontrolle. Diese wehrt sich auch dagegen, dass Benadir ein eigener Bundesstaat wird. Dadurch würde sie stark an Einfluss verlieren (HIPS 8.2.2022).

Derzeit verfügt die BRA über eine funktionierende Regionalregierung und wird vom Bürgermeister von Mogadischu geführt (AI 13.2.2020 - Amnesty International (13/2/2020): "We live in perpetual fear": Violations and Abuses of Freedom of Expression in Somalia [AFR 52/1442/2020]).

1.3.2. Sicherheitslage

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2023 - Armed Conflict Location and Event Data (2023): Curated Data - Africa (6 January 2022)). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. In Süd-/Zentralsomalia ist die Situation noch viel komplexer.

Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 sind Hargeysa, Berbera, Burco, Garoowe und – in gewissem Maße – Dhusamareb sichere Städte. Alle anderen Städte variieren demnach von einem Grad zum anderen. Auch Kismayo selbst ist sicher, aber hin und wieder gibt es Anschläge. Bossaso ist im Allgemeinen sicher, es kommt dort aber zu gezielten Attentaten. Dies gilt auch für Galkacyo (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023 - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), Internationale NGO F, Senior Aid Official (Autor) (4.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023).

Laut einer weiteren Quelle sind Baidoa, Jowhar und Belet Weyne diesbezüglich innerhalb des Stadtgebietes wie Kismayo zu bewerten (BMLV 1.12.2023). Laut einer anderen Quelle sind alle Hauptstädte der Bundesstaaten relativ sicher (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023 - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), Senior UN Official römisch zehn (Autor) (4.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023).

Eine Quelle gibt die Lage mit Stand 23.1.2023 folgendermaßen wieder:

Das Bild zeigt eine Landkarte von Somalia, in welcher verzeichnet ist, welche Teile von welchem Akteur beeinflusst oder kontrolliert werden

1.3.2.1. Sicherheitslage in Süd-/Zentralsomalia

Die Sicherheitslage bleibt volatil (BS 2022a), mit durchschnittlich 234 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Monat (Zeitraum Feber-Juni 2023). Insgesamt gab es im Zeitraum 8.2.-7.6.2023 935 Vorfälle, davon 355 mit terroristischem Hintergrund. Al Shabaab führt immer wieder komplexe Angriffe durch, so etwa am 19. und 22.4. in Bud Bud und Masagway (Galgaduud) und am 26.5. in Buulo Mareer (Lower Shabelle). U.a. bei Sprengstoffanschlägen kommen Menschen ums Leben oder werden verletzt (UNSC 15.6.2023). Weiterhin führt der Konflikt zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (ÖBN 11.2022). Im o.g. Zeitraum waren 11 % der davon Betroffenen Zivilisten. Die Zahl an terroristischen Vorfällen war im ersten Quartal 2023 überdurchschnittlich. Am meisten von Sprengsätzen betroffen waren in diesem Zeitraum Mogadischu/Benadir, Lower Shabelle, Hiiraan und Lower Juba. Mogadischu wird immer wieder auch von indirektem Feuer der al Shabaab getroffen (UNSC 15.6.2023). Im Zusammenhang mit der laufenden Offensive am meisten betroffen sind Middle Shabelle, Mudug, Galgaduud und Hiiraan (ACAPS 17.8.2023 - Assessment Capacities Project, The (17.8.2023): Risk of worsening existing humanitarian needs in conflict-affected areas; Anticipatory analysis; vergleiche BMLV 1.12.2023).

In den vergangenen Jahren wurden Offensiven gegen al Shabaab durchgeführt, die sich zunächst aus militärischer Sicht als erfolgreich erwiesen haben. Anfängliche territoriale Erfolge bringen aber oft eine weitaus schwierigere Herausforderung mit sich: die Stabilisierung eroberter Gebiete. Das Versäumnis, befreite Gebiete wirksam zu stabilisieren, hat wiederholt zum Rückzug von Regierungskräften geführt. Und das Versäumnis, gespaltene Gemeinschaften zu versöhnen, hat dazu geführt, dass auch in Absenz von al Shabaab neue Konflikte entstehen konnten. So wurde al Shabaab etwa im Rahmen der Operation Badbaado in Lower Shabelle in den Jahren 2019–2020 aus mehreren Städten vertrieben. Drei Jahre danach kämpft die Bundesregierung aber immer noch darum, die befreiten Gebiete zu stabilisieren. Hilfsleistungen und staatliche Dienstleistungen bleiben unzureichend und oberflächlich (Sahan/SWT 4.8.2023 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (4.8.2023): Sequencing for Success: Liberation, Stabilisation and Reconciliation, in: The Somali Wire Issue No. 574).

Generell hat es die Bundesregierung nach wie vor nicht geschafft, die Reichweite staatlicher Institutionen in Bezug auf die Bereitstellung von Dienstleistungen für Bürger und den Schutz ihres Lebens und ihres Eigentums über Mogadischu hinaus auszuweiten (BMLV 1.12.2023). Ein Experte merkt allerdings an, dass sich sowohl die Verwaltung der Bundesregierung als auch die Bundesarmee verbessert haben, und dadurch bei der Bevölkerung der Widerstandswille gegen al Shabaab gewachsen ist (AQ21 11.2023).

ATMIS hält in Kooperation mit der somalischen Armee, regionalen Sicherheitskräften sowie mit regionalen und lokalen Milizen die Kontrolle über die seit 2012 eroberten Gebiete (BS 2022a). Die somalische Regierung und ATMIS können keinen Schutz vor allgemeiner oder terroristischer Kriminalität im Land garantieren (AA 20.10.2023 - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.10.2023): Somalia: Reise- und Sicherheitshinweise (Reisewarnung)).

Generell ist die Regierung nicht in der Lage für Sicherheit zu sorgen. Dafür ist sie in erster Linie auf ATMIS, aber auch auf Unterstützung anderer Staaten angewiesen (BMLV 9.2.2023 - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (9.2.2023): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation; vergleiche BS 2022a). Dabei wurde ATMIS im Juni 2023 um 2.000 Mann reduziert, die nächste Truppenreduktion um 3.000 Mann steht mit Ende Dezember 2023 an. Die Ausbildung neuer Soldaten für die Bundesarmee machte 2023 gute Fortschritte, es mussten aber auch hohe Verluste hingenommen werden. Das größte Problem derzeit ist neben der Truppenstärke die fehlende Ausrüstung (schwere Waffen, Luftkomponente, etc.) (BMLV 1.12.2023).

Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 ist das Szenario, wonach al Shabaab bei einem Abzug von ATMIS das Land übernimmt, nicht mehr plausibel (IO-D/STDOK/SEM 4.2023).

Auch eine weitere Quelle gibt an, dass die Bundeskräfte nach einem Abzug von ATMIS nicht kollabieren werden, und al Shabaab nicht nach Mogadischu zurückkehren wird (Think/STDOK/SEM 4.2023 - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Think Tank (Autor), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber) (4.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023).

Eine weitere Quelle erklärt, dass es für al Shabaab nun sehr schwer geworden ist, die Bundesregierung zu überrennen (AQ21 11.2023). Eine andere Quelle erklärt, dass nur bei völligem Wegfall jeglicher externen Unterstützung der Fall eintreten könnte, dass die Bundesregierung zusammenbricht (BMLV 1.12.2023).

In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es regelmäßig zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. ATMIS und al Shabaab (AA 15.5.2023; vergleiche AA 20.10.2023, ÖBN 11.2022). Die aktuelle Offensive konzentriert sich im Wesentlichen auf die Regionen Galgaduud, Hiiraan, Middle Shabelle und Mudug. Sie soll zu einem späteren Zeitpunkt auf den SWS und Jubaland ausgeweitet werden (ACAPS 17.8.2023; vergleiche AA 15.5.2023). Auch entlang der Hauptversorgungsrouten unterhält al Shabaab weiterhin Angriffe, und die Gruppe hat einige davon einnehmen können (USDOS 20.3.2023). Die Schwerpunkte sicherheitsrelevanter Vorfälle verlagern sich aber mitunter. So gibt ACLED für den Zeitraum 27.5.-23.6.2023 Lower Shabelle als Schwerpunkt an (ACLED 30.6.2023). Für Juli-September 2023 wird der Schwerpunkt der Kampfhandlungen mit Galgaduud und Middle Shabelle angegeben. Insgesamt verzeichnet ACLED im Zeitraum 22.7. bis 8.9.2023 375 sicherheitsrelevante Vorfälle. Davon war die überwiegende Mehrheit direkte Kampfhandlungen (230) und Explosionen (100) (ACLED 15.9.2023).

Gegen Ende der Amtsperiode von Ex-Präsident Farmaajo war al Shabaab stärker denn je (Bryden/TEL 8.11.2021 - The Elephant (Herausgeber), Matt Bryden (Autor) (8.11.2021): Fake Fight: The Quiet Jihadist Takeover of Somalia). Insgesamt konnte die Gruppe unter Ausnutzung der politischen Instabilität im Jahr 2021 in Galmudug, HirShabelle, Jubaland und dem SWS sogar Geländegewinne erzielen (HIPS 8.2.2022). Die Situation war lange Zeit statisch (THLSC 20.3.2023 - The Henry L. Stimson Center (20.3.2023): US Security Assistance to Somalia). Doch seit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten im Mai 2022 und dem Beschluss der USA, wieder Truppen in Somalia zu stationieren, haben die militärischen Operationen gegen al Shabaab zugenommen (UNSC 10.10.2022 - United Nations Security Council (10.10.2022): Letter dated 10 October 2022 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council: Letter dated 1 September 2022 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2022/754]).

Die im August 2022 begonnene neue Offensive baut auf die gestiegene Unzufriedenheit bzw. Entfremdung der Lokalbevölkerung in einigen Gebieten Zentralsomalias mit al Shabaab. Die Gruppe hat lokale Clans genötigt, Buben zu übergeben und trotz der anhaltenden Dürre weiterhin Steuern eingetrieben sowie zu gewaltsamen Maßnahmen und Kollektivstrafen gegriffen (ICG 21.3.2023 - International Crisis Group (21.3.2023): Sustaining Gains in Somalia’s Offensive against Al-Shabaab) Letztendlich hat sich al Shabaab im Zuge der Dürre als wenig hilfreich erwiesen (Sahan/SWT 23.9.2022 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (23.9.2022): The promise and the peril of the Ma’awiisley, in: The Somali Wire Issue No. 455).

Mehrere Subclans Zentralsomalias haben al Shabaab schon zuvor Widerstand geleistet (ICG 21.3.2023) - laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 bereits ab 2018 (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Manche Clans haben später aber Abkommen mit al Shabaab geschlossen, was zu einer Form der Koexistenz geführt hat. So wurde al Shabaab etwa bei den Hawiye / Habr Gedir / Saleban, die in Galmudug leben, toleriert. Aufgrund der politischen Streitigkeiten in Mogadischu konnte al Shabaab in Zentralsomalia expandieren.

2019 forderte die Gruppe junge männliche Rekruten. Dies war für die streng im Sufismus verankerten Saleban zuviel. Die Verweigerung der Rekrutierungen stieß eine Konfliktspirale an (ICG 21.3.2023), lokale (Clan-)Milizen, die Macawiisley, begannen eine Revolte gegen al Shabaab (Sahan/SWT 23.9.2022). Als Letztere den Hauptort der Saleban, Baxdo, im Juni 2022 angriff, töteten Saleban-Milizen schätzungsweise 70 Kämpfer der al Shabaab.

Ein anderes Beispiel sind die Hawiye / Hawadle in Hiiraan, die nie gute Beziehungen zu al Shabaab hatten. Als Letztere 2021 die Straße von Belet Weyne nach Galmudug unterbrach, und Belet Weyne damit von mehreren Seiten abgeschnitten war, wuchs der Zorn der Lokalbevölkerung (ICG 21.3.2023). Die Unterdrückung der Hawadle und anderer Clans durch al Shabaab bildete also das Rückgrat der erfolgreichen Offensive (Sahan/SWT 13.9.2023 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (13.9.2023): A re-engagement of the clans, in: The Somali Wire Issue No. 591).

Während vorherige Offensiven immer von ATMIS bzw. AMISOM geführt worden waren, handelte es sich dieses Mal um eine somalische Offensive. An der Spitze des Kampfes standen die Macawiisley. Sie kennen das Terrain und die Bevölkerung und sind motiviert für ihr eigenes Gebiet zu kämpfen (Economist 3.11.2022 - Economist, The (3.11.2022): Somali clans are revolting against jihadists; vergleiche Sahan/SWT 4.8.2023, ICG 21.3.2023). Diese lokalen Milizen, die von den UN "community defence forces" genannt werden (UNSC 15.6.2023) und die sich v.a. aus Hawiye zusammensetzen, haben in ihrem Kampf gegen al Shabaab die Bundesregierung um Hilfe gerufen (Detsch/FP 23.8.2023 - Jack Detsch (Autor), Foreign Policy (Herausgeber) (23.8.2023): The Somali Underdogs Taking on Terrorists).

Nach anderen Angaben wurde die erfolgreiche Offensive der Clans von der Bundesregierung mehr oder weniger "gekapert" (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Die Bundesarmee bot und bietet den Macawiisley Aufklärung, Informationen und Versorgung, ATMIS und die USA sowie türkische Drohnen geben Luftunterstützung (Economist 3.11.2022; vergleiche ICG 21.3.2023, Researcher/STDOK/SEM 4.2023, IO-D/STDOK/SEM 4.2023); u.a. kamen auch die Spezialeinheiten Danaab und Gorgor zum Einsatz (IO-D/STDOK/SEM 4.2023).

Jedenfalls befand sich al Shabaab in der Defensive. Koordinierte Bundes- und regionale Kräfte eroberten zusammen mit den Macawiisley rasch Teile des von al Shabaab kontrollierten Territoriums, darunter mehrere Städte und wichtige Routen (Sahan/SWT 7.6.2023 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (7.6.2023): Countering Al-Shabaab Encroachment on Somalia’s Forward Operating Bases, in: The Somali Wire Issue No. 550).

Es konnten die größten territorialen Gewinne seit Mitte der 2010er-Jahre erzielt werden. Bundesarmee und lokale Milizen haben al Shabaab aus signifikanten Teilen Zentralsomalias vertrieben (ICG 21.3.2023; vergleiche Economist 3.11.2022, Sahan/SWT 13.9.2023). Die Offensive wird als größter Erfolg seit der vollständigen Einnahme von Mogadischu im Jahr 2011 erachtet (Detsch/FP 23.8.2023). Die Gebietsgewinne wurden in der ersten Phase der Offensive - bis etwa Jänner 2023 - erzielt. Al Shabaab wurde aus mehreren Gebieten in den Regionen Middle Shabelle, Hiiraan, Galgaduud und Mudug vertrieben und verlor die Kontrolle über mehrere strategische Städte wie die Hafenstadt Xaradheere (Mudug), Ceel Dheere, Adan Yabaal (BBC 15.6.2023 - British Broadcasting Corporation (15.6.2023): Analysis: Al-Shabab fights back as army offensive threatens its grip on Somalia; vergleiche ICG 21.3.2023), Galcad und Runirgod (Galgaduud und Middle Shabelle). Diese Städte wurden fast 15 Jahre lang von al Shabaab kontrolliert und leisteten einen erheblichen Beitrag zu ihren Finanzen (BBC 15.6.2023). Zudem verlor die Gruppe die Kontrolle über Orte wie Tedan, Rage Ceele, Gulane, Darusalaam und Mabah (Sahan/SWT 15.9.2023 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (15.9.2023): Stabilisation: More than Security, in: The Somali Wire Issue No. 592). Insgesamt hat die Bundesregierung mehr als 100 Orte einnehmen können (ACLED 15.9.2023 - Armed Conflict Location and Event Data (15.9.2023): Situation Update September 2023; Somalia: The Government and al-Shabaab Vie for the Support of Clan Militias) - insgesamt ein Drittel des Gebietes der Gruppe (VOA/Maruf 28.3.2023 - Voice of America (Herausgeber), Harun Maruf (Autor) (28.3.2023): Al-Shabab Has Lost Third of its Territory, US Ambassador Says). Während früher vorwiegend Städte erobert wurden, hat man diesmal außerdem versucht, al Shabaab auch aus dem Zwischengelände zu vertreiben (BBC 15.6.2023). Die Möglichkeit dazu war durch die Teilnahme von Clanmilizen und Ältesten gegeben (Sahan/SWT 4.8.2023).

Die Gruppierung der al Shabaab in Galmudug und Hiiraan wurde von jener im Süden getrennt (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Zudem hält al Shabaab derzeit keine Räume oder Orte mehr an der Küste in Galmudug oder HirShabelle, allerdings wird diese auch nicht lückenlos von der Regierung kontrolliert (BMLV 1.12.2023). Trotzdem ist dies hinsichtlich von Waffenlieferungen aus dem Jemen und dem Iran von Bedeutung (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Durch die Gebietsgewinne seitens der Regierung wurde al Shabaab von lukrativen Handelsrouten abgedrängt (Economist 3.11.2022). Die Gruppe kann nun teilweise nicht mehr einfach aus dem ländlichen Raum heraus zu Hauptrouten vordringen und diese blockieren oder Konvois angreifen. Insgesamt wurde die Zahl an Angriffen reduziert. Al Shabaab selbst hat angegeben, im Zeitraum Oktober 2022 bis Jänner 2023 monatlich durchschnittlich 153 Anschläge und Angriffe durchgeführt zu haben; im Zeitraum Feber bis April 2023 waren es demnach hingegen durchschnittlich nur 104 (BBC 15.6.2023). Für den Zeitraum Juli-Oktober 2023 werden folgende Zahlen für Süd-/Zentralsomalia angegeben: 150 Gefechte und 60 Vorfälle mit Sprengstoff monatlich. Im November gab es aufgrund der Regenfälle einen merklichen Rückgang von 50 % (BMLV 1.12.2023).

Das Bild zeigt eine Landkarte mit den Fortschritten der Macawiisley-Offensive

Quelle: Rafal R./X 9.4.2023 (Rafal R. on römisch zehn (Autor), römisch zehn (vormals Twitter), 9.4.2023: After making some monthly maps of the #Somali #AlShabaab offensive)

Die sogenannte Frontline States Task Force (Operation Black Lion - OBL) ist eine regionale Initiative von Nachbarstaaten Somalias. Diese ist mit ATMIS übereingekommen, die Zusammenarbeit im Kampf gegen al Shabaab zu verstärken (ATMIS 6.8.2023 - African Union Transition Mission in Somalia (6.8.2023): ATMIS, Frontline States agree to enhance collaboration on security; vergleiche GO 9.8.2023 - Garowe Online (9.8.2023): Somalia: New strategy to defeat Al-Shabaab unveiled). Am 1.2.2023 verkündeten der somalische Präsident und die sogenannten "Frontstaaten" (Kenia, Äthiopien, Dschibuti) eine Einigung zur Entsendung zusätzlicher Truppen dieser Länder. Damit hätte die von der Regierung geplante OBL unterstützt werden sollen (Sahan/SWT 3.7.2023 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (3.7.2023): Kenya and Ethiopia under pressure from Al-Shabaab: Uncertainty among Front Line States, in: The Somali Wire Issue No. 560; vergleiche UNSC 15.6.2023). In der Vergangenheit ging es maßgeblich um die Eindämmung von al Shabaab; im Raumen von OBL steht deren Vernichtung im Vordergrund (GO 9.8.2023; vergleiche Detsch/FP 23.8.2023). Al Shabaab soll so weit dezimiert bzw. ihr die relevanten finanziellen Pfründe ausgetrocknet werden, dass die Gruppe für Somalia und die Nachbarstaaten keine Gefahr mehr darstellt. Damit soll gleichzeitig der Abzug von ATMIS ermöglicht werden (ATMIS 6.8.2023; vergleiche IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Die Regierung versucht, für OBL ein gemeinsames Kommando von Bund und Bundesstaaten einzurichten (GN 28.8.2023 - Goobjoog News (28.8.2023): FGS-FMS to form ‘joint war command’ to fight Al-Shabaab-communique).

Gleichzeitig ist es kontraproduktiv, al Shabaab nur mit militärischer Gewalt zu bekämpfen, weil die Gruppe in vielen Bereichen als Pseudostaat agiert. Da al Shabaab nämlich Güter und Dienste zur Verfügung stellt, besteht nach Angriffen auf die Gruppe die Gefahr, dass lebenswichtige Hilfe und öffentliche Dienste gestört und dadurch vulnerable Gemeinschaften im Stich gelassen werden (Rollins/HIR 27.3.2023).

Zudem kennen viele Menschen dort kein anderes System, als jenes von al Shabaab. Viele erachteten die Gruppe als Befreier. Sie haben so lange unter al Shabaab gelebt, dass es großer Anstrengungen bedarf, um die Gehirnwäsche rückgängig zu machen und eine Akzeptanz der neuen Verhältnisse zu erlangen. Doch das geschieht nicht automatisch, es braucht dafür die Zurverfügungstellung gewisser Dienste (DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023).

Tatsächlich gibt es keine Kapazitäten, um die befreiten Gebiete zu administrieren (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023, Sahan/STDOK/SEM 4.2023), und man hat es versäumt, eine adäquate Verwaltung für neu eingenommene Gebiete vorzubereiten (AQ21 11.2023). Vor Ort gibt es entweder überhaupt keine Verwaltungsstrukturen mehr oder aber eine rudimentäre Verwaltung über die Clans (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Vielen Gemeinden, die "befreit" worden sind, werden keine sinnvollen grundlegenden Dienstleistungen zur Verfügung gestellt. Die Bundesarmee hat zwar eine Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln aufgebaut – dies aber zusätzlich zu ihrer bereits bestehenden Doppelfunktion, nämlich Gebiete zu räumen und zu halten (Sahan/SWT 9.8.2023). So geben mehrere Quellen der FFM Somalia 2023 an, dass das Hauptproblem der Offensive die Nachhaltigkeit ist (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche Researcher/STDOK/SEM 4.2023, UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023, DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023). Die neu befreiten Gebiete brauchen Stabilität (Sahan/STDOK/SEM 4.2023).

Laut einer weiteren Quelle hat die Regierung verstanden, dass sie nicht alleine mit militärischen Mitteln gewinnen kann (GO 25.8.2023 - Garowe Online (25.8.2023): OP-ED: The Importance of Liberating El Bur and the Fight Against Al Shabab). Sie stützt sich bei ihrer Offensive daher wesentlich auf Clans, um die Unterstützung lokaler Gemeinden zu mobilisieren (GO 25.8.2023; vergleiche ACAPS 17.8.2023). Zudem werden Gemeinden und Älteste eingebunden, und es wird versucht, grundlegende Dienste zur Verfügung zu stellen (GO 25.8.2023).

Die Beziehungen der Bundesregierung zu manchen im Kampf gegen al Shabaab erfolgreichen Clans (v.a. die Hawadle) haben sich aufgrund politischer Verwerfungen abgekühlt. Al Shabaab konnte daraus Vorteile ziehen und hat mit einigen Clanmilizen in HirShabelle und Galmudug Abkommen ausgehandelt. Während al Shabaab nun versucht, den einen Teil der Hawiye gegen die Bundesregierung zu mobilisieren (v.a. Habr Gedir Mohamud Hirab, Murusade und Abgal Wacaysle), versucht die Bundesregierung, den anderen Teil (z.B. Habr Gedir) gegen al Shabaab in Stellung zu bringen (ACLED 15.9.2023).

Innerhalb der letzten zehn Jahre ist es der Regierung und den Truppen von AMISOM/ATMIS gelungen, die Kontrolle über viele Teile des Landes zurückzuerlangen (THLSC 20.3.2023). Al Shabaab wurde erfolgreich aus den großen Städten gedrängt (ÖBN 11.2022). Während ATMIS und die Armee die Mehrheit der Städte halten, übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes die Kontrolle aus oder kann dort zumindest Einfluss geltend machen (USDOS 15.5.2023; vergleiche BBC 15.6.2023). Gleichzeitig hat al Shabaab die Fähigkeit behalten, in Mogadischu zuzuschlagen (USDOS 15.5.2023). Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias befinden sich also teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle von al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 15.5.2023). In Baidoa und Jowhar hat sie stärkeren Einfluss. Ihre Verbündeten kontrollieren viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin. Viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und ATMIS sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Gebessert hat sich die Lage in Ost-Hiiraan und in Middle Shabelle, wo auch Bewegungen zwischen den Orten möglich sind (BMLV 1.12.2023). In Gebieten, in welchen al Shabaab keine direkte Kontrolle ausübt - sei es wegen der Präsenz von somalischen oder internationalen Sicherheitskräften, sei es wegen der Präsenz von Clanmilizen - versucht die Gruppe die lokale Bevölkerung und die Ältesten durch Störoperationen entlang der Hauptversorgungsrouten zu bestrafen bzw. deren Unterstützung zu erzwingen (UNSC 6.10.2021 - United Nations Security Council (6.10.2021): Letter dated 5 October 2021 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council: Final report of the Panel of Experts on Somalia (S/2021/849); vergleiche BMLV 1.12.2023, AQ21 11.2023). Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle hält al Shabaab Blockaden aufrecht (HRW 12.1.2023 - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Somalia). Als "Inseln" zu bezeichnen sind etwa Xudur, Waajid, Diinsoor, Wanla Weyne und Baraawe (BMLV 1.12.2023). In den zuletzt von der Regierung eroberten Gebieten findet sich die Bundesarmee v.a. in kritischen Teilen - etwa entlang der Hauptversorgungsrouten (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Al Shabaab ist für einen Großteil der zivilen Opfer verantwortlich.

Nach eigenen Angaben greift al Shabaab einfache Zivilisten nicht gezielt an (C4/Jamal 15.6.2022 - Channel 4 (Herausgeber), Osman Jamal (Autor) (15.6.2022): Inside Al Shabaab: The extremist group trying to seize Somalia (Video); FDD/Roggio 11.10.2023 - Foundation for Defense of Democracies’ Long War Journal (Herausgeber), Bill Roggio (Autor) (11.10.2023): Shabaab responds to FDD’s Long War Journal study on its suicide bombings). Laut einer Quelle trifft es zwar zu, dass al Shabaab bei Sprengstoffanschlägen meist nicht mutwillig Zivilisten angreift und diese Taktik im Vergleich zu anderen Gruppen gezielter anwendet; dennoch wählt sie in regelmäßigen Abständen Ziele aus, bei denen die Gruppe weiß, dass viele Zivilisten Kollateralschäden erleiden werden - etwa bei Angriffen auf Hotels, Kaffee- oder Teehäuser, Restaurants oder belebte Straßenkreuzungen (FDD/Roggio 11.10.2023). Jedenfalls gelten die meisten Anschläge außerhalb von Mogadischu den somalischen Sicherheitskräften und vermehrt auch Führungspersonen aus Clans, die sich dem Kampf gegen al Shabaab verpflichtet haben (AA 15.5.2023). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (BMLV 9.2.2023).

Allgemein ist die Datenlage zu Zahlen ziviler Opfer unklar und heterogen. Der Experte Matt Bryden veranschaulicht dies mit den Angaben mehrerer Organisationen. So gab es laut UNMAS (Mine Action Service) 2020 wesentlich weniger zivile Tote und Verletzte: 454 zu 1.140 im Jahr 2019. Dahingegen berichtet US-AFRICOM von 776 Vorfällen mit insgesamt 2.395 Opfern im Jahr 2020 und 676 Vorfällen mit 1.799 Opfern 2019. US-AFRICOM zählt zivile und militärische Opfer zusammen. Dementsprechend wären 2020 wesentlich mehr Sicherheitskräfte untern den Opfern gewesen als Zivilisten – ein Widerspruch zu den Angaben der UN, wonach Zivilisten die Hauptlast der Sprengstoffanschläge tragen würden. Dies wird auch von ATMIS bestätigt: Demnach richteten sich 2019 28 % der Anschläge direkt gegen Zivilisten, 2020 waren es 20 % (Sahan/Bryden 6.4.2021 - Matt Bryden (Autor), Sahan (Herausgeber) (6.4.2021): Measuring Somalia’s IED Problem, in: The Somali Wire Issue No. 116).

Kämpfe zwischen Clans und Subclans, insbesondere um Wasser- und Landressourcen sind weit verbreitet, insbesondere in den Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle bzw. in Regionen, in denen die Regierung oder staatliche Behörden schwach oder nicht vorhanden sind (ÖBN 11.2022). Es kommt immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 20.10.2023) sowie zwischen Milizen einzelner Subclans bzw. religiöser Gruppierungen (AA 15.5.2023). Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es auch zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten (USDOS 20.3.2023). Generell sind Clan-Auseinandersetzungen üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer - generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter - Gewalt verbunden sein (BMLV 1.12.2023).

Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 15.5.2023). Gewaltakte durch bewaffnete Gruppen und Banden und Armutskriminalität sind im gesamten Land weit verbreitet. Bewaffnete Überfälle, Autoraub („Carjacking“), sexueller Missbrauch und auch Morde kommen häufig vor (AA 20.10.2023).

Im Zeitraum August 2022 bis Juni 2023 erwähnen die Berichter der UN nur einen Angriff des sogenannten Islamischen Staats in Somalia (ISIS), namentlich die Ermordung eines hochrangigen Beamten in Mogadischu mit einem improvisierten Sprengsatz (UNSC 16.2.2023 - United Nations Security Council (16.2.2023): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2023/109]; vergleiche UNSC 15.6.2023). ISIS ist in Puntland weiterhin präsent, verfügt jedoch nicht über die Fähigkeit, große Gebiete zu kontrollieren oder bedeutende Operationen durchzuführen (UNSC 31.7.2023 - United Nations Security Council (31.7.2023): Seventeenth report of the Secretary-General on the threat posed by ISIL (Da’esh) to international peace and security and the range of United Nations efforts in support of Member States in countering the threat [S/2023/568]).

1.3.2.2.South West State (SWS) - Lower Shabelle

Die Verwaltung des SWS beansprucht die Kontrolle über 14 Bezirke. In Wirklichkeit kontrolliert sie einige städtische Gebiete in diesen 14 Bezirken, während al Shabaab die ländlichen Gebiete und vier Bezirke vollständig kontrolliert (Sahan/SWT 24.7.2023 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (24/7/2023): Baidoa blockade lifted, in: The Somali Wire Issue No. 569).

In den größeren von der Regierung kontrollierten Städten besteht eine grundlegende Verwaltung. Es gibt Bürgermeister, eine lokale Rechtsprechung und Ordnungskräfte. Die Regierung konnte mit internationaler Unterstützung ihre eigene, lokal rekrutierte Armee, die South West State Special Police Force (SWSSPF), weiter ausbauen. Diese wird von Äthiopien versorgt. Hauptträger des Kampfes in Bay ist mittlerweile die Bundesarmee (BMLV 1.12.2023).

Al Shabaab unterhält Checkpoints an den wichtigen Hauptversorgungsrouten. Damit werden humanitäre Hilfe, Bewegungsfreiheit und Gütertransport eingeschränkt (HIPS 24.3.2023). Sicheres Reisen erfolgt über den Luftweg. Alle Verbindungsstraßen nach Baidoa werden von al Shabaab kontrolliert. Selbst gepanzerte Fahrzeuge werden mit dem Flugzeug eingeflogen, weil der Straßentransport aus Mogadischu als zu gefährlich eingestuft wird (BMLV 1.12.2023).

Da der SWS maßgeblich von den Häfen Kismayo und Mogadischu abhängig ist, müssen Güter durch von al Shabaab kontrolliertes Gebiet transportiert werden (HIPS 8.2.2022). Von den zehn Bezirken, aus denen die Regionen Bay und Bakool bestehen, wurden nur drei noch nie zuvor einer Blockade ausgesetzt. In den anderen sieben kam es wiederholt zu Blockaden, die die Bewohner dazu zwangen, Hilfe und Güter per Luftbrücke oder Eselskarren zu erhalten. Die drei, die nicht blockiert wurden, sind Buur Hakaba, Baidoa und Berdale (Sahan/SWT 21.8.2023 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (21/8/2023): South West State: A Destablising Contest Looms, in: The Somali Wire Issue No. 581).

Al Shabaab bleibt in der Lage, die somalische Armee und ATMIS im Gebiet anzugreifen. Nach wie vor mangelt es den Regierungskräften an Kapazitäten, um erobertes Gebiet auch zu halten (BMLV 1.12.2023). Im Jahr 2022 haben mehrere kleinere Siedlungen immer wieder die Kontrolle gewechselt. Dies gilt etwa für Daynuuney (HIPS 24.3.2023), eine 25 km außerhalb von Baidoa gelegene Stadt an der Straße nach Mogadischu, die Stand Juli 2023 von al Shabaab kontrolliert wurde (Sahan/SWT 14.7.2023 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (14/7/2023): Al-Shabaab’s Blockade of Baidoa, in: The Somali Wire Issue No. 565; vergleiche BMLV 1.12.2023); oder auch für Goof Gaduud Buurey (HIPS 24.3.2023), das (Stand November 2023) von der Regierung kontrolliert wird. Sowohl Daynuuney wie auch Goof Gaduud Buurey sind Schüsselstellungen für die Sicherheit und Kontrolle von Baidoa. Beide Orte (bzw. die dort gelegenen FOBs) sind hart umkämpft und haben ebenfalls in den letzten Monaten mehrfach den Besitzer gewechselt (BMLV 1.12.2023).

Staatlicherseits gibt es im SWS so gut wie keine militärischen Operationen gegen al Shabaab (Sahan/SWT 13.9.2023). Ohne politischen Konsens rund um Präsident Laftagareen ist es höchst unwahrscheinlich, dass die großen Clans des SWS und deren Milizen sich vollständig an der bereits verzögerten Phase römisch II der Offensive im SWS und in Jubaland beteiligen werden (Sahan/SWT 22.9.2023).

Stößt al Shabaab auf den Widerstand lokaler Clanmilizen, so wie dies bei den Leysan (Rahanweyn) in Bay und Bakool oder den Galja'el (Hawiye) in Lower Shabelle geschehen ist, und wo es kaum Schutz durch Sicherheitskräfte gibt, dann entführt die Gruppe mitunter Älteste, und es kommt zur Zwangsvertreibung ganzer Dörfer (BMLV 9.2.2023; vergleiche UNSC 6.10.2021).

Afgooye liegt aufgrund seines strategischen Wertes im ständigen Fokus aller Konfliktparteien - die Stadt gilt als Schlüssel zu Mogadischu. Trotzdem kann Afgooye hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Die Lage in der Stadt hat sich in den vergangenen Monaten verbessert (BMLV 1.12.2023).

Merka kann hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 1.12.2023). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass Habr Gedir und Biyomaal in Merka nunmehr ohne größere Animositäten zusammenleben - ein großer Fortschritt. Die Stadt ist demnach friedlich, neue Polizeistationen wurden errichtet. Al Shabaab verfügt in Merka nur noch über wenig Einfluss, während die Gruppe sich im landwirtschaftlichen Teil des Bezirks frei bewegen kann. Insgesamt hat sich die Situation in Merka in den letzten sieben Jahren signifikant verbessert (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023).

Aus Baraawe gibt es auch weiterhin nur wenige sicherheitsrelevante Meldungen (BMLV 1.12.2023). Im Juni 2023 kam es dort zu Auseinandersetzungen zwischen Kräften der Armee und Darawish des SWS (MUST 18.6.2023 - Mustaqbal Media (18/6/2023): Somalia: The 10-member fact finding committee appointed by Madobe to investigate inter security forces clashes in Barawe kick off the process). Dabei sind mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen (HO 14.6.2023 - Hiiraan Online (14/6/2023): Fatal clash in Barawe sparks condemnation from federal lawmakers). Die Darawish setzen sich v.a. aus Rahanweyn zusammen, die Kräfte der Armee in Baraawe werden v.a. von Hawiye dominiert (Horn 14.6.2023 - Horn Observer (14/6/2023): At least 10 killed as rival armed groups clash in Elbarde town of Somalia).

Die großen Städte - Baidoa, Buur Hakaba, Diinsoor - werden von Regierungskräften und ATMIS kontrolliert, dies gilt auch für Qansax Dheere und Berdale (PGN 23.1.2023). Die drei erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Im Umfeld der Stadt Diinsoor, die als Frontstadt bezeichnet werden kann, ist al Shabaab aktiv (BMLV 1.12.2023). Ab Feber 2022 hat al Shabaab wiederholt Armee- und ATMIS-Stützpunkte in Diinsoor angegriffen und dort auch zunehmend Gewalt gegen Zivilisten angewendet. Im März 2022 haben die Einwohner die Stadt temporär geräumt (UNSC 10.10.2022) - aufgrund von Feindseligkeiten von al Shabaab. Mehr als 17.000 Menschen sind damals geflohen. Am 5.2.2022 konnte al Shabaab Diinsoor sogar für kurze Zeit besetzen; immer wieder wurde die Stadt auch mit Mörsern beschossen (UNSC 13.5.2022). Al Shabaab kontrolliert große Teile von Bay (PGN 23.1.2023). Die Straße nach Baidoa bleibt demnach für Zwecke der Regierung geschlossen. Die Kontrolle über den an der diesbezüglichen Straße gelegenen Ort Leego ungewiss (BMLV 1.12.2023; vergleiche PGN 23.1.2023).

Die Sicherheitslage in Baidoa ist stabil, die Stadt wird als relativ sicher beschrieben. Es gibt dort regelmäßig Sicherheitsoperationen und Razzien durch Sicherheitskräfte (BMLV 1.12.2023). Auch laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 ist Baidoa sicher (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023).

Die Einsatzfähigkeit der SWS Police Force (SWSPF) hat sich nach der Aufnahme lokaler Rekruten verbessert. In Baidoa sind zudem eine sogenannte Formed Police Unit und einzelne Polizisten von ATMIS stationiert. Diese Polizisten bilden die lokale Polizei nicht nur aus, sondern unterstützen sie auch im Einsatz. Gleichzeitig ist Baidoa auf die Anwesenheit der äthiopischen ATMIS-Truppen angewiesen. Al Shabaab ist in der Lage, Baidoa in der Nacht zu infiltrieren (BMLV 1.12.2023). Am 22.12.2022 kam es in Baidoa zu politisch motivierten Auseinandersetzungen mit mindestens zehn Todesopfern und zwanzig Verletzten (HIPS 24.3.2023; vergleiche Halbeeg 2.1.2023). Letztendlich konnten die Differenzen auf dem Verhandlungsweg gelöst werden (HIPS 24.3.2023). Al Shabaab hat im Juli 2023 eine zehntägige Blockade gegen Baidoa aufrecht erhalten (Sahan/SWT 21.8.2023). LKW mit Nahrungsmittelhilfe wurden an Checkpoints außerhalb der Stadt zurückgewiesen. Niemand durfte ohne besondere Erlaubnis der al Shabaab Güter in die Stadt bringen (Sahan/SWT 14.7.2023). In und um Baidoa gibt es aber fast 500 IDP-Lager mit fast 600.000 Bewohnern (HIPS 24.3.2023; vergleiche Sahan/SWT 21.8.2023), die mitunter von Hilfe abhängig sind. Mit der Belagerung hat die Gruppe ihre Stärke unter Beweis gestellt und gleichzeitig ihre Bereitschaft demonstriert, die Bevölkerung einer Stadt katastrophalen humanitären und wirtschaftlichen Bedingungen auszusetzen (Sahan/SWT 21.8.2023).

Ceel Barde, Yeed, Xudur und Waajid werden von Regierungskräften und ATMIS kontrolliert (PGN 23.1.2023). Die drei letztgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Ein mindestens 20 km breiter Grenzstreifen an der Grenze zu Äthiopien, der von durch Äthiopien gesponserte, lokale Clanmilizen beherrscht wird, ist frei von al Shabaab. Große Teile von Bakool werden von al Shabaab kontrolliert, darunter auch die Städte Rab Dhuure und Tayeeglow (BMLV 1.12.2023; vergleiche PGN 23.1.2023). In Xudur aber auch in Waajid befinden sich Stützpunkte der Armee. Außerdem operieren in Bakool unabhängige Clanmilizen. Die Verwaltung von Bakool steht massiven Problemen gegenüber, um die Bevölkerung zu erreichen (BMLV 1.12.2023). Xudur ist von einer Blockade betroffen. Gütertransporte werden immer wieder angegriffen (HRW 12.1.2023; vergleiche BMLV 1.12.2023). Die Versorgungsstraße nach Xudur wird nur fallweise freigekämpft. Insgesamt gibt es in Bakool nur geringe Kampfhandlungen (BMLV 1.12.2023).

Im Juli und August 2022 kam es in den Gebieten von Yeed, Ato und Washaaqo zu schweren Kämpfen zwischen äthiopischer Liyu-Police und al Shabaab (VOA/Maruf 20.7.2022 - Voice of America (Herausgeber), Harun Maruf (Autor) (20/7/2022): Al-Shabab Attacks Somali Towns Close to Ethiopian Border; vergleiche UNSC 1.9.2022b - United Nations Security Council (1/9/2022b): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2022/665]). Diese Angriffe, die auch nach Äthiopien hinein zielten und von Bakool ausgegangen sind, weisen darauf hin, dass al Shabaab hier relativ einfach stärkere Kräfte (in diesem Fall rund 1.100 Mann) zusammenziehen kann (BMLV 9.2.2023). Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 sind entlang der Grenze zu Äthiopien die Liyu seither durch Kräfte der äthiopischen Armee ersetzt worden (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Eine andere Quelle bestätigt dies (BMLV 14.9.2023).

Mitte Juni 2023 sind mindestens zehn Personen ums Leben gekommen, als in Ceel Barde Kämpfe zwischen Darawish und Kräften der Bundesarmee ausgebrochen sind. Bei den Darawish, einer von der EU, Großbritannien und den UN ausgebildeten und ausgerüsteten Polizeieinheit, handelt es sich v.a. um Rahanweyn; bei den Kräften der Armee v.a. um Ogadeni, die von Äthiopien ausgebildet worden sind. Die Frage über die Kontrolle von Ceel Barde war schon immer zwischen den beiden Clans umstritten (Horn 14.6.2023).

In den Regionen Bakool (492.487), Bay (1,287.587) und Lower Shabelle (1,425.393) leben nach Angaben einer Quelle 3,205.467 Einwohner (IPC 13.12.2022 - Integrated Food Security Phase Classification (13/12/2022): Nearly 8.3 million people across Somalia face Crisis (IPC Phase 3) or worse acute food insecurity outcomes). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2021 insgesamt 55 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie violence against civilians). Bei 44 dieser 55 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2022 waren es ebenfalls 55 derartige Vorfälle (davon 39 mit je einem Toten) (ACLED 2023). In der Zusammenschau von Bevölkerungszahl und "violence against civilians" ergeben sich für 2022 folgende Zahlen (Vorfälle je 100.000 Einwohner): Bakool 0,41; Bay 1,24; Lower Shabelle 2,60 […]

1.3.2.3. Banadir Regional Administration (BRA) - Mogadischu

Die Sicherheitslage in Mogadischu ist weiterhin dadurch gekennzeichnet, dass al Shabaab Angriffe auf Behörden und ihre Unterstützer verübt. Zugleich stecken hinter der Gewalt in der Stadt neben al Shabaab auch Regierungskräfte, der sogenannte Islamische Staat in Somalia (ISIS) und Unbekannte (Landinfo 8.9.2022 - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (8/9/2022): Somalia: Sikkerhetssituasjonen i Mogadishu og al-Shabaabs innflytelse i byen). In der Stadt befinden sich die Polizei, die Präsidentengarde, die Bundesarmee, die National Intelligence and Security Agency (NISA), private Sicherheitskräfte und Clanmilizen in unterschiedlichem Umfang im Einsatz (Sahan/SWT 6.9.2023 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (6/9/2023): Securing Mogadishu, in: The Somali Wire Issue No. 588). Nichtstaatliche Sicherheitskräfte, darunter Clan-Milizen, üben trotz wiederholter Versuche, sie auf Linie zu bringen, erheblichen Einfluss in der Stadt aus. Die Teile dieser Patchwork-Sicherheitsarchitektur konkurrieren regelmäßig um Checkpoints und den Zugang zu Ressourcen (Sahan/SWT 6.9.2023).

Noch vor zehn Jahren kontrollierte al Shabaab die Hälfte der Stadt, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Kämpfe war (BBC 18.1.2021 - British Broadcasting Corporation (18/1/2021): Somali concern at US troop withdrawal; vergleiche Sahan/SWT 18.1.2022 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (18/1/2022): The rise of Mogadishu’s street gangs, in: The Somali Wire Issue No. 309). 2011 war Mogadischu eine halb entleerte Ruinenstadt, Einschusslöcher, zerstörte Häuser und Milizen in Kampfwagen prägten das Bild. Es gab keinerlei staatliche Dienste (Sahan/SWT 18.1.2022). Seit 2014 ist das Leben nach Mogadischu zurückgekehrt (SRF 27.12.2021 - Schweizer Radio und Fernsehen (27/12/2021): Ein Staat ohne Macht - Somalia: Leben im gescheiterten Staat) und die Stadt befindet sich unter Kontrolle von Regierung und ATMIS (PGN 23.1.2023). Die Sicherheitslage hat sich in den vergangenen zehn Jahren im Allgemeinen verbessert (Sahan/SWT 6.9.2023). Immer neue Teile von Mogadischu werden wieder aufgebaut. Er herrscht große Aktivität, viel Geld wird investiert (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Nun ist Mogadischu eine pulsierende Stadt mit hohen Apartmentblocks und Einkaufszentren. Der berühmte Lido-Strand ist am Wochenende voll mit Familien. Historische Gebäude und Monumente wurden renoviert und sind der Öffentlichkeit zugänglich. Unzählige Kaffeehäuser sind aus dem Boden geschossen. Der private und der öffentliche Sektor sind aufgrund der relativen Stabilität der Stadt stark gewachsen. Sechs Banken und Dutzende internationaler Firmen haben in Mogadischu eine Niederlassung eröffnet. Es gibt Investitionsmöglichkeiten, und es sind neue Arbeitsplätze entstanden (Sahan/SWT 18.1.2022). Die Stimmung der Menschen in der Stadt ist laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 relativ positiv. Dies hat mit den Bemühungen der Regierung im Kampf gegen al Shabaab zu tun (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023).

Nach der Wahl von Hassan Sheikh Mohamed hat sich die Atmosphäre in Mogadischu dramatisch verändert, die Stadt ist ruhiger geworden (Sahan/SWT 8.6.2022 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (8/6/2022): Editor’s Pick – Somalia’s new president seeks peace at home and abroad, in: The Somali Wire Issue No. 400).

Generell haben sich seit 2014 die Lage für die Zivilbevölkerung sowie die Kapazitäten der Sicherheitsbehörden verbessert (BMLV 9.2.2023). Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 hat sich die Sicherheitslage in der Stadt seit 2017 weiter verbessert (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer anderen Quelle der FFM ist die Lage heute ähnlich wie 2017, jedenfalls aber besser als etwa 2012-2014 (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023).

Eine andere Quelle erklärt, dass sich die Sicherheitslage in Mogadischu im Jahr 2023 gegenüber 2022 verbessert hat und auch besser ist als 2016 oder 2017 (BMLV 14.9.2023). Mehrere lokale Quellen der norwegischen COI-Einheit beschrieben im Mai 2022 die Sicherheitsentwicklungen in der Stadt als positiv. Jedenfalls ist die Zahl an Vorfällen und Todesopfern in den vergangenen Jahren relativ stabil geblieben. Diesbezüglich muss zudem berücksichtigt werden, dass gleichzeitig die Zahl an Einwohnern deutlich gestiegen ist (Landinfo 8.9.2022). So hat UNFPA die Einwohnerzahl im Jahr 2014 mit 1,65 Millionen angegeben (UNFPA 10.2014 - United Nations Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 – Somalia), während die Zahl im Jahr 2022 auf fast 2,9 Millionen geschätzt wird (IPC 13.12.2022). Laut UN leben in Mogadischu nun mehr als 900.000 IDPs (Sahan/SWT 6.9.2023).

Die Stadt hat 17 Bezirke und mehrere sogenannte "residential areas", die noch nicht zu Bezirken gemacht worden sind. In jedem Bezirk gibt es eine Polizeistation, in der ganzen Stadt mit ca. 18.000 Mann ausreichend Sicherheitskräfte (Sahan/SWT 7.11.2022 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (7/11/2022): TA plan to secure Mogadishu, in: The Somali Wire Issue No. 472), davon 5.000-6.000 Polizisten. In jedem Bezirk gibt es eine Polizeistation (Sahan/SWT 6.9.2023). Seit April 2022 wird eine neue paramilitärische Einheit in Mogadischu eingesetzt (RD 10.4.2023 - Radio Dalsan (10/4/2023): Banadir Regional Administration holds a first-ever talks with notorious Ciyaal Weero gang). Dabei handelt es sich um in Uganda ausgebildete Kräfte (JOWH 10.4.2023 - Jowhar (10/4/2023): Ciidamo cusub oo la wareegay amniga degmooyinka dhaca duleedyada Muqdisho). Diese Militärpolizei - eine Einheit der Bundesarmee - wurde mit der Stabilisierung Mogadischus beauftragt (FTL 14.4.2023 - Facility for Talo and Leadership (14/4/2023): Military Police Launch Security Operations in Various Mogadishu Neighborhoods; vergleiche JOWH 10.4.2023). Es kommt nun auch in Außenbezirken zu Razzien, etwa am 24.8.2023 in Heliwaa, Yaqshiid und Warta Nabadda. Dabei arbeitet die Polizei mitunter mit der Militärpolizei zusammen (Halqabsi 24.8.2023 - Halqabsi News (24/8/2023): Somali Security Forces Conduct Sweeping Operations in Mogadishu Districts). Mit der Operation "Ciiltire" soll die Sicherheitslage in Mogadischu weiter verbessert werden. In diesem Rahmen soll auch das neue Waffengesetz (Capital Arms Control Act), das den illegalen Waffenverkauf und -Besitz in der Hauptstadt reduzieren soll, durchgesetzt werden. Involviert sind die Polizei und die Militärpolizei sowie Sicherheitskräfte der Region Benadir (Halqabsi 18.4.2023 - Halqabsi News (18/4/2023): Somali Government Announces New Security Operation “Ciiltire” to Strengthen Mogadishu’s Security). Der Einsatz der 2.000 Mann der Militärpolizei ist ein massiver Beitrag für die Sicherheitslage in der Stadt. Die Einheit kümmert sich u.a. um die militärische Sicherung von Mogadischu (BMLV 14.9.2023). Allerdings reicht die gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte weiterhin nicht aus, um Aktivitäten der al Shabaab gänzlich zu unterbinden (BMLV 1.12.2023). Auch eine weitere Quelle vertritt die Ansicht, dass die somalischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage sind, der von al Shabaab ausgehenden Bedrohung für die gesamte Region Benadir entgegenzutreten (UNSC 10.10.2022). Unter den Sicherheitskräften herrscht mangelnde Koordination und Kommunikation, dafür aber Korruption. Und gleichzeitig erschweren fehlende Personalausweise und Register (etwa für Fahrzeuge) und Adressen die Sicherheitskontrolle (Sahan/SWT 7.11.2022). Zudem ist die Polizei nicht unbedingt effizient und diszipliniert (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023) und zudem überfordert. Sie musste in den vergangenen Jahren mit einem wachsenden Drogenmilieu und Bandenwesen sowie mit al Shabaab und einer zunehmenden Politisierung der Sicherheitskräfte unter dem Ex-Präsident Farmaajo kämpfen. Seit der Stationierung der o.g. von Uganda ausgebildeten Kräfte gibt es aber zunehmend Versuche, z.B. illegale Checkpoints zu räumen (Sahan/SWT 6.9.2023). Die Sicherheitskräfte können zudem nun großteils jene Gebiete kontrollieren, in welchen al Shabaab zuvor ungehindert agieren konnte. Zuvor verfügte die Bundesregierung nicht flächendeckend über ausreichend staatliche Institutionen hinsichtlich der Bereitstellung von Dienstleistungen für Bürger und den Schutz ihres Lebens und ihres Eigentums. Die diesbezügliche Lage hat sich gebessert (BMLV 1.12.2023).

Gleichzeitig bietet die Stadt für al Shabaab alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele. Innerhalb der Stadt hat sich die Sicherheit zwar verbessert, al Shabaab kann aber nach wie vor Anschläge durchführen. Andererseits gilt es als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurückerlangt. In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)Rekrutierung zu entziehen (BMLV 1.12.2023).

Noch im Jahr 2022 sind Quellen davon ausgegangen, dass Mogadischu im Falle eines Abzugs von ATMIS die Rückkehr von al Shabaab drohte (Robinson/TGO 27.1.2022 - Colin Robinson (Autor), The Global Observatory (Herausgeber) (27/1/2022): New Name, but Little Sign of Change: The Revised Agreement on the African Union Mission in Somalia; vergleiche Meservey/RCW 22.11.2021 - Real Clear World (Herausgeber), Joshua Meservey (Autor) (22/11/2021): Missing Opportunities in Somaliland). Nun aber haben zwei Quellen der FFM Somalia 2023 angegeben, dass sie diese Gefahr nicht (mehr) sehen (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche Think/STDOK/SEM 4.2023). Auch eine weitere Quelle geht nicht davon aus. Demnach ist nunmehr ein rascher Zusammenbruch des Staates nur noch dann zu erwarten, wenn jegliche externe Unterstützung eingestellt wird (BMLV 1.12.2023).

Al Shabaab kontrolliert in Mogadischu keine Gebiete (AQ21 11.2023), ist aber im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich (BMLV 9.2.2023). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische (BMLV 1.12.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023, Landinfo 8.9.2022). In den Außenbezirken hat al Shabaab größeren Einfluss, auch die Unterstützung durch die Bevölkerung ist dort größer (BMLV 1.12.2023).

Die Gruppe verfügt in Mogadischu über keine nennenswerte institutionelle Präsenz. Trotzdem erhebt die Gruppe den Zakat (islamische Steuer) von Unternehmen in der Stadt. Zudem macht al Shabaab ihre Präsenz insofern bemerkbar, dass sie ihre Form der "Moral" umsetzt. So tötete die Gruppe beispielsweise Anfang März 2023 zehn Personen, denen der Verkauf von Drogen in den Stadtbezirken Yaqshiid und Dayniile vorgeworfen worden war (Sahan/SWT 6.9.2023).

Bei allen Möglichkeiten, über welche al Shabaab verfügt, so hat die Gruppe in Mogadischu kein freies Spiel. Regierungskräfte sind in allen Bezirken der Stadt präsent – etwa mit Checkpoints; und es werden Razzien durchgeführt. Die Anzahl an Mitgliedern, Unterstützern und Ressourcen in Mogadischu sind begrenzt, und daher muss al Shabaab diesbezügliche Prioritäten setzen (Landinfo 8.9.2022). Quellen der FFM Somalia 2023 erklären: Al Shabaab ist weiter abgedrängt worden und daher kommen komplexe Angriffe seltener vor. Ein Stadtviertel nach dem anderen wurde gesichert, Häuserblock für Häuserblock durchsucht (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). An den Kontrollpunkten an Straßen wird ein großer Aufwand bei Durchsuchungen betrieben (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). In Dayniile sind keine Flaggen der al Shabaab mehr zu sehen. Die Polizei ist nun in der ganzen Stadt vertreten – auch an der Peripherie (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Die Arbeit der Regierung ist laut einer Quelle beeindruckend. Demnach antworten Menschen in der Stadt teilweise nicht mehr auf Anrufe durch al Shabaab (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Üblicherweise galt, dass al Shabaab jede Person töten konnte, die sie töten wollte. Nunmehr gilt dies laut einer Quelle nicht mehr uneingeschränkt (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Auch eine andere Quelle erklärt, dass die Fähigkeiten von al Shabaab, sich in der Stadt zu bewegen und Menschen gezielt zu töten, durch Sicherheitsmaßnahmen eingeschränkt worden sind (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Der Austausch des Personals an den Checkpoints der Regierung hat zur Einschränkung der Fähigkeiten von al Shabaab erheblich beigetragen. Zuvor bestochene und/oder infiltrierte Checkpoints wurden so für die Gruppe wertlos. Laut Expertenmeinung herrscht ein Krieg um Mogadischu, der nicht unbedingt mit Kugeln geführt wird. Die Bundesregierung versucht al Shabaab mit Maßnahmen - Checkpoints, Einschränkung der Finanzoperationen, Bekämpfung der Justiz von al Shabaab - von ihren "steuerlichen" Pfründen in der Stadt zu entkoppeln. Al Shabaab wiederum setzt sich dagegen zur Wehr. Dieser Kampf ist noch nicht entschieden (AQ21 11.2023).

Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Gruppe in Mogadischu aktiv Deserteure sucht und liquidiert (Landinfo 8.9.2022; vergleiche BMLV 9.2.2023). Laut einer Quelle rekrutiert al Shabaab in der Stadt auch keine neuen Mitglieder (Landinfo 8.9.2022). Nach Angaben einer anderen Quelle ist aufgrund des massiven Bevölkerungsanstiegs und der zahlreichen Jugendlichen ohne Auskommen für al Shabaab ohnehin ein großes Rekrutierungspotenzial gegeben, das auch genutzt wird (BMLV 9.2.2023).

Die Zahl an Angriffen der al Shabaab ist Anfang des Jahres 2023 gefallen, Mogadischu hat eine relative ruhige Periode durchlebt. Die Stationierung neuer Sicherheitskräfte an Checkpoints am Stadtrand hat zur Abschreckung von al Shabaab beigetragen. Die Gruppe analysiert ihre neue Situation und reorganisiert sich. Die niedrige Zahl an Gewaltvorfällen in den Monaten März-Mai 2023 darf aber nicht zur Annahme verleiten, dass die Kapazitäten von al Shabaab signifikant geschädigt worden wären (AQ20 5.2023 - Anonyme Quelle 20 / Analysten zur Sicherheitslage in Somalia (5.2023): Lagebericht). Die relative Flaute bei Angriffen der al Shabaab in Mogadischu im ersten Halbjahr 2023 endete mit der Wiederaufnahme der Regierungsoffensive in Zentralsomalia.

Die Gruppe hat ihre gezielten Angriffe auf staatsnahe Personen und Sicherheitskräfte wieder aufgenommen (Sahan/SWT 6.9.2023). Seit Mitte des Jahres 2023 kommt es wieder vermehrt zu Hit-and-Run-Angriffen auf Checkpoints der Sicherheitskräfte, v.a. aus Dayniile heraus. Damit möchte al Shabaab Präsenz zeigen. Die Gruppe ist nicht aus der Stadt verschwunden. Aber es gibt weniger Anschläge, al Shabaab spürt den Druck in Zentralsomalia (BMLV 14.9.2023). Trotzdem verbreitet die Gruppe auch weiterhin Angst (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Mogadischu ist eine Großstadt und steht zur Infiltrierung offen. Es ist schwer auszumachen, wer zu al Shabaab gehört und wer nicht (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Die Gruppe ist in der Lage, jede Person in Mogadischu ausfindig zu machen. Demnach herrscht bei den Bürgern die Angst, dass jederzeit etwas passieren könnte (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Ein Mitarbeiter einer internationalen NGO gibt an, dass er und Kollegen Drohanrufe bekommen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Die Gruppe kann immer noch den Sitz des Präsidenten mit Mörsern beschießen. Und es gibt auch weiterhin gezielte Attentate (IO-D/STDOK/SEM 4.2023) und Anschläge auf Regierungstruppen und ATMIS (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Al Shabaab ist also auch weiterhin in der Stadt aktiv. Die Gruppe hat zahlreiche Informanten innerhalb der Sicherheitskräfte (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-C/STDOK/SEM 4.2023), auch relevante Verwaltungsstrukturen gelten als unterwandert (Landinfo 8.9.2022; vergleiche INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Al Shabaab verlangt von Geschäftsleuten in der Stadt die Zahlung von "Steuern" (Mohamed/VOA 9.11.2022 - Ahmed Mohamed (Autor), Voice of America (Herausgeber) (9/11/2022): Somalia’s Al-Shabab Militants Widening Revenue Base; vergleiche Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Zwischen Mai und Juli 2022 erhielten zahlreiche Besitzer von gemauerten oder mehrstöckigen Häusern eine Zahlungsaufforderung von al Shabaab. Dabei liegt die jährliche Abgabe zwischen 100 und 300 US-Dollar. Zudem wird die Errichtung von Häusern besteuert. Für Zahlungsverzögerungen drohen Strafzahlungen (Mohamed/VOA 9.11.2022). Al Shabaab war zumindest 2022 in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben und die Bevölkerung einzuschüchtern (Sahan/SWT 7.11.2022).

Im Zeitraum Jänner 2020 bis November 2022 gab es mehr als 166 Vorfälle, wo Sprengsätze innerhalb der Stadt detoniert sind oder aber gefunden und entschärft werden konnten (Sahan/SWT 7.11.2022). Die Gruppe ist zudem weiterhin in der Lage, in Mogadischu auch größere Sprengstoffanschläge durchzuführen (BMLV 1.12.2023). Üblicherweise zielt al Shabaab mit Angriffen auf Sicherheitskräfte und Vertreter des Staates ["officials"] (UNSC 6.10.2021). Zivilisten stellen im Allgemeinen kein Ziel von Angriffen der al Shabaab dar (Landinfo 8.9.2022). Sie leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Jene, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden, sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt (BMLV 9.2.2023). Und natürlich besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und damit zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (BMLV 1.12.2023; vergleiche Landinfo 8.9.2022). Denn al Shabaab greift auch jene Örtlichkeiten an, die von Regierungsvertretern und Wirtschaftstreibenden sowie Sicherheitskräften frequentiert werden, z.B. Restaurants, Hotels oder Einkaufszentren (BS 2022a; vergleiche Landinfo 8.9.2022). Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der al Shabaab. Die Hauptziele von al Shabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal. Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Allerdings kommt es dort öfter zu gezielten Tötungen (BMLV 1.12.2023). 70 % der von ACLED aufgezeichneten gewalttätigen Zwischenfälle in Mogadischu im Zeitraum Jänner 2021 bis Juni 2022 richteten sich gegen militärische Ziele. Viele dieser Angriffe ereigneten sich in den Außenbezirken der Stadt. Letztendlich widmet die Gruppe Zufallsopfern aber wenig Aufmerksamkeit. Sie erachtet bei Angriffen getötete Zivilisten als Märtyrer (Landinfo 8.9.2022).

Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Am Stadtrand ist die Unterstützung größer, die meisten Bewohner haben al Shabaab gegenüber aber eine negative Einstellung. Sie befolgen die Anweisungen der Gruppe nur deshalb, weil sie Repressalien fürchten. Al Shabaab agiert wie eine Mafia: Sie droht jenen mit ernsten Konsequenzen, welche sich Wünschen der Gruppe entgegensetzen (BMLV 1.12.2023; vergleiche FIS 7.8.2020 - Finnische Einwanderungsbehörde [Finnland] (7/8/2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020).

Auf die Frage nach den größten Gefahren im täglichen Leben in Mogadischu erklärt eine Quelle der FFM Somalia 2023: Erstens Erpressung durch al Shabaab; die Gruppe versucht immer, an Geld zu kommen. Daher besteht immer das Risiko, von ihr einen Drohanruf oder eine bedrohliche Textnachricht zu erhalten. Zweitens besteht für einen Durchschnittsbürger zwar kein Risiko, gezielt angegriffen zu werden; aber natürlich besteht immer das Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Auch eine andere Quelle nennt dieses Risiko („wrong place, wrong time“). Demnach werden Normalbürger nicht angegriffen. Es muss immer ein bestimmtes Interesse an einer Person herrschen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Eine Quelle gibt zu bedenken, dass man sich in Mogadischu nicht so leicht verstecken, nicht einfach isolieren kann. Man besucht die Familie, geht auf den Markt oder ins Spital etc. Personen sind demnach einfach aufzuspüren (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Zum Ziel werden jene, die für die Regierung arbeiten. Diese Personen brauchen geeigneten Schutz. Auch Journalisten tragen ein höheres Risiko, insbesondere jene, die sich kritisch zu al Shabaab geäußert haben. Üblicherweise wird gezielt eine Person angegriffen, nicht aber deren Familienmitglieder (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).

Die Menschen wissen um die Gefahr bestimmter Örtlichkeiten und versuchen daher, diese zu meiden. Sie bewegen sich in der Stadt, vermeiden aber unnötige Wege. Für viele Bewohner der Stadt ist die Instabilität Teil ihres Lebens geworden. Sie versuchen, Gefahren auszuweichen, indem sie Nachrichten mitverfolgen und sich gegenseitig warnen (FIS 7.8.2020). An neuralgischen Punkten der Stadt befinden sich Checkpoints, allerdings weniger als früher. An den Einfahrtsstraßen wird jedes Fahrzeug kontrolliert. Insgesamt wird an diesen Straßensperren professioneller vorgegangen als noch vor einigen Jahren. Präsident Hassan Sheikh Mohamud hat die Auflösung der meisten innerstädtischen Checkpoints angeordnet. Größere Einschränkungen gibt es aktuell nur mehr bei besonderen Anlässen - dies wird mittlerweile aber im Vorfeld angekündigt (BMLV 9.2.2023). Immer wieder kommt es zu Angriffen von Regierungskräften auf Fahrer und Passagiere von Tuk-Tuks und anderen Fahrzeugen. Oft ereignen sich derartige Vorfälle an Checkpoints. Die Zugehörigkeit zu einem starken Clan oder Verbindungen zu mächtigen Personen in der Stadt können an Checkpoints oder beim Zusammentreffen mit Regierungskräften von Vorteil sein. Als starke Clans erachtet werden in Mogadischu v.a. die Hawiye / Abgaal und die Hawiye / Habr Gedir (Landinfo 8.9.2022). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass Mogadischu hinsichtlich der Clanzugehörigkeit generell als kosmopolitisch erachtet werden kann. Eine Rolle spielt der Clan allerdings bei sozialen Angelegenheiten, bei Eheschließungen, beim Ringen um Macht, in der Politik (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023).

Quellen der FFM Somalia 2023 berichten Folgendes: Einige Checkpoints werden von NISA kontrolliert (z.B. am Flughafen); innerhalb der Stadt aber meist von der Polizei. Die neu eingesetzte Militärpolizei unterhält Kontrollpunkte in den Vororten und Ausfallstraßen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Für normale Bürger gibt es hinsichtlich der Bewegungsfreiheit allgemein keine Probleme in Mogadischu (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Clan oder Geschlecht spielen hier keine Rolle (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023, UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Frauen können sich auch problemlos alleine bewegen, nur spät in der Nacht könnte es hier zu Sicherheitsproblemen kommen. Insgesamt haben alle Menschen die gleichen Probleme: Die Freiheit wird manchmal durch Straßensperren massiv eingeschränkt – etwa an Feiertagen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023) oder wenn wichtige Delegationen in der Stadt sind. Wenn gerade kein besonderer Anlass gegeben ist, gibt es für beide Geschlechter und alle Clans Bewegungsfreiheit (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer weiteren Quelle fragen Polizisten an Checkpoints häufig um ein Trinkgeld, um die Bezahlung ihres Essens, um Zigaretten. Tatsächlich werden aber nur Autos – und hier meist die Fahrer – kontrolliert, Fußgänger und Tuk-Tuks können passieren (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).

Es gibt Bandenwesen und Straßenkriminalität. Teile von Karaan, Heliwaa und Yaqshiid bzw. alle Ränder der Stadt sind hoher Kriminalität ausgesetzt (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Für Zivilisten besteht nach wie vor die Sorge vor Raubüberfällen und Gewalt, insbesondere nachts. Dabei ist die Ermordung von Raubopfern keine Seltenheit. Dies steht insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufstieg von Jugendbanden (bekannt als "ciyaal weero" oder "aggressive Kinder") seit 2021 (Sahan/SWT 6.9.2023; vergleiche INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Diese Gangs haben ursprünglich Passagiere von Tuk-Tuks (Bajaj) tyrannisiert. Sie haben geraubt, was die Menschen gerade bei sich hatten (Sahan/SWT 27.7.2022 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (27/7/2022): The rise of Mogadishu’s street gangs, in: The Somali Wire Issue No. 431). Viele Gang-Mitglieder nehmen auch Drogen oder trinken Alkohol (Sahan/SWT 27.7.2022; vergleiche Sahan/SWT 29.8.2022 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (29/8/2022): Mogadishu’s gang proliferation, in: The Somali Wire Issue No. 444). Die gestiegene Zahl an Delikten wie Diebstahl und Raub ist teilweise der Beschaffungskriminalität zuzurechnen (Sahan/SWT 29.8.2022). Diesen Gangs werden mittlerweile aber auch andere Verbrechen vorgeworfen, darunter sexuelle Übergriffe (Sahan/SWT 6.9.2023; vergleiche Sahan/SWT 27.7.2022), Raubüberfälle und Morde (Sahan/SWT 27.7.2022). Gleichzeitig sind Jugendgangs nach Gebieten organisiert und reklamieren verschiedene Teile der Stadt für sich (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche Sahan/SWT 29.8.2022), was zu weiterer Gewalt führt (Sahan/SWT 29.8.2022). Denn mit zunehmender Ausbreitung haben sie begonnen, sich gegenseitig zu bekämpfen. Zwar hat die Polizei bei Razzien immer wieder Gang-Mitglieder festgenommen, diese kamen aber - vermutlich durch Bestechung - immer frei, bevor ihnen der Prozess gemacht worden ist (Sahan/SWT 27.7.2022). Manche Sicherheitskräfte beteiligen sich an den Gangs, manche sind in den Drogenhandel involviert (Sahan/SWT 29.8.2022).

In Mogadischu kommt es mitunter auch zu Landkonflikten, z.B. im August 2023 in Xamar Weyne. Dort wurden in Folge von Gewalt auch mehrere Menschen vertrieben (Sahan/Gedo 7.8.2023 - Gedo Times (Autor), Sahan (Herausgeber) (7/8/2023): Banaadir Governor addresses Mogadishu land disputes, in: The Somali Wire Issue No. 575).

Bei manchen Vorfällen ist unklar, von wem oder welcher Gruppe die Gewalt ausgegangen ist; Täter und Motiv bleiben unbekannt. Es kommt zu Rachemorden zwischen Clans, zu Gewalt aufgrund wirtschaftlicher Interessen oder aus politischer Motivation. Lokale Wirtschaftstreibende haben in der Vergangenheit auch schon al Shabaab engagiert, um Auftragsmorde durchzuführen. Mit Stand 2020 berichtet die finnische COI-Einheit: Die Bewohner haben eine hohe Hemmschwelle, um sich an die Polizei zu wenden. Das Vertrauen ist gering. Die Fähigkeit der Behörden, bei kleineren Delikten wie etwa Diebstahl zu intervenieren, ist derart gering, dass Menschen keinen Nutzen darin sehen, Anzeige zu erstatten. Hat eine Person Angst vor al Shabaab, dann kann ein Hilfesuchen bei der Polizei - aufgrund der Unterwanderung selbiger - die Gefahr noch verstärken. Die Polizei ist auch nicht in der Lage, Menschen bei gegebenen Schutzgeldforderungen seitens al Shabaab zu unterstützen (FIS 7.8.2020). Nach neueren Angaben ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei aufgrund der neu eingesetzten Kräfte gestiegen. Auch wenn diese streng genommen der Bundesarmee angehören, heben sie das Ansehen der Sicherheitskräfte. Sowohl Polizei als auch Bundesarmee bleiben aber weiterhin von al Shabaab unterwandert (BMLV 1.12.2023).

Der sogenannte Islamische Staat in Somalia (ISIS) verfügt in Mogadischu nur über sehr begrenzten Einfluss. Die Gruppe versucht u.a. auf dem Bakara-Markt Steuern einzutreiben (Landinfo 8.9.2022). Im Jänner 2022 haben Geschäftsleute auf dem Markt aus Protest dagegen für einige Tage ihre Geschäfte geschlossen (Landinfo 8.9.2022; vergleiche Sahan/SWT 17.8.2022 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (17/8/2022): The threat that locally organised clan militias pose to Al-Shabaab, in: The Somali Wire Issue No. 439). Die Gruppe hatte zuvor jeden Händler, der kein Schutzgeld abführt, mit dem Tod bedroht (Sahan/SWT 17.8.2022).

In Benadir/Mogadischu leben nach Angaben einer Quelle 2,874.431 Einwohner (IPC 13.12.2022). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2021 insgesamt 85 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "violence against civilians"). Bei 79 dieser 85 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2022 waren es 105 derartige Vorfälle (davon 94 mit je einem Toten) (ACLED 2023). In der Zusammenschau von Bevölkerungszahl und violence against civilians ergeben sich für 2022 folgende Zahlen (Vorfälle je 100.000 Einwohner): 3,7.

2022 waren besonders die Bezirke Dayniile (74 Vorfälle), Hodan (39), Dharkenley (36), Yaqshiid (35), Wadajir/Medina (33) und Karaan (30), in geringerem Ausmaß die Bezirke und Hawl Wadaag (18), Heliwaa (14), Wardhiigleey (11) und Xamar Jabjab (10) von tödlicher Gewalt betroffen. Zivilisten waren 2022 v.a. in den Bezirken Dayniile (16 Vorfälle) und in geringerem Ausmaß in Dharkenley (12), Wadajir/Medina (12), Hodan (10) und Karaan (10) von gegen sie gerichteter, tödlicher Gewalt betroffen (ACLED 2023).

1.3.3. Al Shabaab

Al Shabaab ist eine mafiöse Organisation, die Schutzgelder im Austausch für Sicherheits-, Sozial- und Finanzdienstleistungen verlangt. Ihre konsequente Botschaft ist, dass die Alternative - die Bundesregierung - eigennützig und unzuverlässig ist (Sahan/SWT 25.8.2023 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (25/8/2023): Confronting Al-Shabaab’s Patronage System, in: The Somali Wire Issue No. 583).

Die Gruppe ist weiterhin eine gut organisierte und einheitliche Organisation mit einer strategischen Vision: die Eroberung Somalias (BMLV 9.2.2023) bzw. die Durchsetzung ihrer eigenen extremen Interpretation des Islams und der Scharia in "Großsomalia" (USDOS 15.5.2023) und der Errichtung eines islamischen Staates in Somalia (CFR 6.12.2022 - Council on Foreign Relations (6/12/2022): Backgrounder: Al-Shabaab).

Al Shabaab ist eine tief verwurzelte, mafiöse Organisation, die in fast allen Facetten der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik integriert ist (GITOC/Bahadur 8.12.2022 - Jay Bahadur (Autor), Global Initiative Against Transnational Organized Crime (Herausgeber) (8/12/2022): Terror and Taxes. Inside al-Shabaab’s revenue-collection machine). Die Gruppe ist vermutlich die reichste Rebellenbewegung in Afrika (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 finanziert al Shabaab die al-Qaida - und nicht anders herum (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Ausländische Kämpfer haben nur noch einen begrenzten Einfluss in der Gruppe; und die Beziehungen zur al-Qaida haben sich nachhaltig geändert (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Der Anführer von al Shabaab ist Ahmed Diriye alias Sheikh Ahmed Umar Abu Ubaidah (BBC 15.6.2023). Al I'ttisam gilt als ideologischer Bruder von al Shabaab (Sahan/Bacon/Guiditta 7.8.2023).

Al Shabaab ist mit al-Qaida affiliiert (THLSC 20.3.2023) und wird häufig und korrekterweise als die größte zu al-Qaida zugehörige Gruppe bezeichnet (Sahan/Bacon/Guiditta 7.8.2023). Die Gruppe weist eine stärkere innere Kohärenz auf als die Bundesregierung und einige der Bundesstaaten. Al Shabaab nutzt erfolgreich lokale Missstände, um taktische Allianzen zu schmieden und Kämpfer zu rekrutieren (Sahan/SWT 27.3.2023 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (27/3/2023): Al-Shabaab’s Uncertain Future: The Mafia Scenario, in: The Somali Wire Issue No. 523). Die Gruppe erkennt die Bundesregierung nicht als legitime Regierung Somalias an (UNSC 10.10.2022) und lehnt die gesamte politische Ordnung Somalias, die sie als unislamisch bezeichnet, ab (Sahan/SWT 9.6.2023). Al Shabaab wendet eine Strategie des asymmetrischen Guerillakriegs an, die bisher sehr schwer zu bekämpfen war. Zudem bietet die Gruppe in den Gebieten unter ihrer Kontrolle Sicherheit und eine grundlegende Regierungsführung (Sahan/SWT 27.3.2023).

Al Shabaab hat versucht sich anzupassen – etwa im Umgang mit der Lokalbevölkerung. Die Gruppe setzt nun mehr auf Anreize als auf Zwang und Erpressung. (ICG 21.3.2023). Al Shabaab verwendet gewalttätige, extremistische Taktiken. Die Gruppe bleibt die signifikanteste Bedrohung für Frieden, Stabilität und Sicherheit. Sie ist in hohem Maß anpassungsfähig und mobil und kann ihren Einfluss auch in Gebieten außerhalb der eigenen Kontrolle geltend machen. Die Gruppe bedient sich neben politischen und kriminellen Mitteln (wie Einschüchterung, Erpressung, etc.) zur Kontrolle der Bevölkerung im militärischen Bereich zur Erreichung der Ziele der gesamten Bandbreite der asymmetrischen Kriegsführung. Mit unterschiedlichen Methoden gelingt es al Shabaab, die Bevölkerung zu kontrollieren, Einfluss auf die Politik zu nehmen und in Süd-/Zentralsomalia für ein Klima der Angst zu sorgen: Kontrolle großer Gebiete; sogenannte Hit-and-Run-Angriffe gegen Städte und militärische Positionen; Ausnutzung von Clanstreitigkeiten mit einer Taktik des "teile und herrsche"; Unterbrechung von Hauptversorgungsrouten und Blockade von Städten; und in wichtigen Städten (z.B. Mogadischu, Baidoa, Galkacyo, Jowhar) gezielte Attentate, Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen und Mörserangriffe. Zusätzlich ist die Gruppe auch weiterhin in der Lage, größere - sogenannte "komplexe" - Angriffe durchzuführen. Al Shabaab verfolgt eine klassische Guerilla-Doktrin: Die Einkreisung von Städten aus dem ländlichen Raum heraus (BMLV 1.12.2023).

Al Shabaab kontrolliert auch weiterhin den größeren Teil Süd-/Zentralsomalias (BMLV 9.2.2023; vergleiche Rollins/HIR 27.3.2023) und übt auf weitere Teile, wo staatliche Kräfte die Kontrolle haben, Einfluss aus. Nachdem al Shabaab in den vergangenen zehn Jahren weiter Gebiete verlustig ging, hat sich die Gruppe angepasst. Ohne Städte physisch kontrollieren zu müssen, übt al Shabaab durch eine Mischung aus Zwang und administrativer Effektivität dort Einfluss und Macht aus (BMLV 9.2.2023). Gleichzeitig ist die Zahl der unter direkter Kontrolle von al Shabaab lebenden Menschen laut einer (anonymen) Quelle drastisch zurückgegangen. Früher lebten noch rund eine Million Menschen in deren Gebieten, heute sind es - v.a. aufgrund von Abwanderungen und Flucht im Rahmen der Dürre - noch etwa 500.000 (AQ21 11.2023).

In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (BMLV 1.12.2023). Wanla Weyne, Afgooye, Qoryooley, Merka und Baraawe befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS, Kurtunwaarey und Sablaale werden von al Shabaab kontrolliert (PGN 23.1.2023; vergleiche Sahan/SWT 21.8.2023). Dies gilt auch für große Teile des Hinterlandes nördlich des Shabelle (PGN 23.1.2023) bzw. des ländlichen Raumes (Sahan/SWT 21.8.2023). Lower Shabelle ist nach wie vor von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen den Städten liegt im Fokus der al Shabaab. Zwischen Afgooye und Merka kann die Gruppe weiterhin das Gelände zwischen den größeren Orten, die mehrheitlich unter Regierungskontrolle sind, nutzen (BMLV 1.12.2023).

In Süd-/Zentralsomalia kann kein Gebiet als frei von al Shabaab bezeichnet werden. – Insbesondere durch die Infiltration mit verdeckten Akteuren kann al Shabaab nahezu überall aktiv werden. Ein Vordringen größerer Kampfverbände von al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch ATMIS und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Städte mit konsolidierter Sicherheit – i.d.R. mit Stützpunkten von Armee und ATMIS – können von al Shabaab zwar angegriffen, aber nicht eingenommen werden. Immer wieder gelingt es al Shabaab, kurzfristig kleinere Orte oder Stützpunkte einzunehmen, um sich nach wenigen Stunden oder Tagen wieder zurückzuziehen (BMLV 1.12.2023). Al Shabaab hat sich – in begrenztem Ausmaß – fähig gezeigt, Territorien, die bereits durch die Bundesarmee und ATMIS befreit wurden, wieder zurückzuerobern. In der Vergangenheit war das Scheitern, eroberte Territorien erfolgreich zu halten, mit dem Mangel an Polizeipräsenz in den eroberten Gebieten und der allgemein schlechten Moral in der Bundesarmee verbunden, die auf sehr geringe und oftmals verzögerte Besoldung zurückzuführen war (ÖBN 11.2022).

Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia befinden sich unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab. Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind:

1.           das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; de facto die gesamte Region Middle Juba;

2.           Jamaame und Badhaade in Lower Juba;

3.           größere Gebiete um Ceel Cadde und Qws Qurun in der Region Gedo;

4.           Gebiete nördlich und entlang des Shabelle in Lower Shabelle, darunter Sablaale und Kurtunwaarey;

5.           der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor;

6.           Gebiete rechts und links der Grenze von Bay und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;

7.           die südliche Hälfte von Galgaduud mit der Stadt Ceel Buur (PGN 23.1.2023; vergleiche BMLV 1.12.2023); nach neueren Angaben reicht das Gebiet dort nur ein Stück nach Galgaduud hinein (IO-D/STDOK/SEM 4.2023);

8.           sowie die Region Bakool abzüglich eines Streifens entlang der äthiopischen Grenze und der Städte Xudur und Waajid (BMLV 1.12.2023).

Al Shabaab verfügt weiterhin über ein starkes Hinterland (AQ21 11.2023). Die Gruppe wurde zwar aus den meisten Städten vertrieben, bleibt aber auf dem Land in herausragender Position bzw. hat sie dort eine feste Basis. Zudem schränkt sie regionale sowie Kräfte des Bundes auf städtischen Raum ein, ohne dass diese die Möglichkeit hätten, sich zwischen den Städten frei zu bewegen (BMLV 1.12.2023). Al Shabaab kontrolliert Gebiete in den Regionen Lower Juba und Gedo (Jubaland); Bakool, Bay und Lower Shabelle (SWS); Hiiraan und - in sehr geringem Maße - Middle Shabelle (HirShabelle); Galgaduud und - in sehr geringem Maße - Mudug (Galmudug). Die Region Middle Juba wird zur Gänze von al Shabaab kontrolliert (PGN 23.1.2023; vergleiche BMLV 1.12.2023).

Während al Shabaab terroristische Aktionen durchführt und als Guerillagruppe agiert, versucht sie unterhalb der Oberfläche eine Art Verwaltungsmacht zu etablieren - z.B. im Bereich der humanitären Hilfe und beim Zugang zu islamischer Gerichtsbarkeit (ACCORD 31.5.2021; vergleiche FP 22.9.2021). römisch fünf.a. bei der Justiz hat al Shabaab geradezu eine Nische gefunden. Im Gegensatz zur Regierung ist al Shabaab weniger korrupt, Urteile sind konsistenter und die Durchsetzbarkeit ist eher gegeben (FP 22.9.2021). Bei der Durchsetzung von Rechtssprüchen und Kontrolle setzt al Shabaab vor allem auf Gewalt und Einschüchterung (BS 2022a).

Im eigenen Gebiet hat die Gruppe umfassende Verwaltungsstrukturen geschaffen (AQ21 11.2023; vergleiche BS 2022a). Dort übt al Shabaab alle Grundfunktionen einer normalen Regierung aus: Sie hebt Steuern ein, bietet Sicherheit und sorgt mitunter für Sozialhilfe für bedürftige Bevölkerungsgruppen (Rollins/HIR 27.3.2023).

Al Shabaab ist es gelungen, dort ein vorhersagbares Maß an Besteuerung, Sicherheit, Rechtssicherheit und sozialer Ordnung zu etablieren und gleichzeitig weniger korrupt als andere somalische Akteure zu sein sowie gleichzeitig mit lokalen Clans zusammenzuarbeiten (Schwartz/HO 12.9.2021 - Stephen Schwartz (Autor), Hiiraan Online (Herausgeber) (12/9/2021): Somalia’s Leaders Need to Seize Immediately the Lessons of Afghanistan). Die Gruppe investiert daher in lokale Regierungssysteme.

Al Shabaab setzt Zwang und Überredung ein, um die Treue zum Clan zu erzwingen. Im Gegenzug bietet die Gruppe ihre eigene Art von "Recht und Ordnung" sowie bescheidene Grunddienstleistungen (Sahan/SWT 30.6.2023 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (30/6/2022): Somalia’s Security Sector is Broken: here’s how the new government can fix it (Part 2), in: The Somali Wire Issue No. 416). Durch das Anbieten öffentlicher Dienste - v.a. hinsichtlich Sicherheit und Justiz - genießt al Shabaab in einigen Gebieten ein gewisses Maß an Legitimität. Mit der Hisba verfügt die Gruppe über eine eigene Polizei (GITOC/Bahadur 8.12.2022). Offensichtlich führt al Shabaab auch eine Art Volkszählung durch. Auf den diesbezüglich bekannten Formularen müssen u.a. Clan und Subclan, Zahl an Kindern in und außerhalb Somalias, Quelle des Haushaltseinkommens und der Empfang von Remissen angegeben werden (UNSC 10.10.2022). Völkerrechtlich kommen al Shabaab als de-facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihr kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 15.5.2023).

Die Gebiete von al Shabaab werden als relativ sicher und stabil beschrieben, bei einer Absenz von Clankonflikten und geringer Kriminalität (BMLV 9.2.2023; vergleiche JF 18.6.2021 - Jamestown Foundation, The (18/6/2021): Somaliland Elections Disrupt al-Shabaab's Regional Expansion; Terrorism Monitor Volume: 19 Issue: 12). Die Unterdrückung von Clankonflikten ist ein Bereich, in welchem die Gruppe Erfolge erzielen konnte. Z.B. wurde ein Waffenstillstand zwischen Clans in den Distrikten Adan Yabaal und Moqokori, HirShabelle, durchgesetzt; und in Galmudug hat al Shabaab Älteste bestraft, deren Clanmitglieder sich an Clankriegen beteiligt haben (SW 3.2023 - Saferworld (3.2023): Defining the endgame. Civil society voices on how to build a just, stable Somalia). Al Shabaab duldet nicht, dass irgendeine andere Institution außer ihr selbst auf ihren Gebieten Gewalt anwendet, sie beansprucht das Gewaltmonopol für sich. Jene, die dieses Gesetz brechen, werden bestraft. Al Shabaab unterhält ein rigoroses Justizsystem, welches Fehlverhalten – etwa nicht sanktionierte Gewalt gegen Zivilisten – bestraft. Daher kommt es kaum zu Vergehen durch Kämpfer der al Shabaab. Die Verwaltung von al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BMLV 9.2.2023). Hinsichtlich Korruption ist die Gruppe sehr aufmerksam (AQ21 11.2023).

Insgesamt nimmt die Gruppe im Vergleich zur Regierung effizienter Steuern ein, lukriert mehr Geld, bietet ein höheres Maß an Sicherheit, eine höhere Qualität an Rechtsprechung (Bryden/TEL 8.11.2021 - The Elephant (Herausgeber), Matt Bryden (Autor) (8/11/2021): Fake Fight: The Quiet Jihadist Takeover of Somalia).

Al Shabaab hat etwa als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie Gesundheitszentren eingerichtet und führt sogar Schulen und Programme, um Mitglieder zur Ausbildung an Universitäten im Ausland zu schicken (Rollins/HIR 27.3.2023). Zudem ermöglicht al Shabaab Fortbildungsmöglichkeiten – auch für Frauen. In Jilib gehen laut einer Quelle Mädchen zur Schule, und Frauen werden von al Shabaab durchaus ermutigt, einer Arbeit nachzugehen (C4/Jamal 15.6.2022 - Channel 4 (Herausgeber), Osman Jamal (Autor) (15/6/2022): Inside Al Shabaab: The extremist group trying to seize Somalia (Video)). Gemäß anderer Angaben schränkt al Shabaab die Freiheiten von Frauen und Mädchen allgemein stark ein, bietet aber in einigen Fällen eine anders nicht vorhandene Form des Schutzes vor sexueller Gewalt und Entführung (SW 3.2023).

Mitunter konsultieren lokale Verwalter der al Shabaab auch Clanälteste oder lassen bestehende Bezirksstrukturen weiterbestehen (USDOS 20.3.2023). Andererseits nutzt al Shabaab auch Spannungen und Clankonflikte aus, um eigene Ziele zu erreichen (AQ21 11.2023; vergleiche SPC 9.2.2022 - Somalia Protection Cluster (9/2/2022): Protection Analysis Update, February 2022). Dies beruht jedoch auf Gegenseitigkeit, denn auch manche Clans nutzen al Shabaab, um politische Vorteile zu erlangen oder sich an Rivalen zu rächen (SPC 9.2.2022). Gemäß den Angaben einer Quelle der FFM 2023 hat sich al Shabaab etwa gezielt an Minderheiten gewendet, die nicht von der Regierung repräsentiert werden. Die Gruppe hat sich so im Süden die Loyalität jeder einzelnen Minderheit erkauft (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Generell steht bei Entscheidungen immer die Sicherheit des eigenen Clans als höchstes Ziel im Vordergrund. Manche Clans schließen sich freiwillig al Shabaab an; mit anderen Clans hat al Shabaab Abkommen geschlossen (AQ21 11.2023). Und wieder andere Clans werden mit Zwang und Gewalt in Partnerschaft zu al Shabaab gehalten. Die Gruppe organisiert mitunter Feiern zur Ernennung neuer Clanältester (Nabadoon, Suldaan, Ugaas, Wabar) und stattet Letztere mit z.B. einem Fahrzeug und einer Waffe aus. Dies geschah beispielsweise bei somalischen Bantu im Bezirk Jamaame, aber auch bei Elay, Wa’caysle, Sheikhal oder Mudulod (UNSC 6.10.2021). Dazu erklärt eine Quelle der FFM Somalia 2023, dass al Shabaab in den meisten Teilen Süd-/Zentralsomalias über 'eigene' Älteste verfügt. Es werden parallele Clanführungsstrukturen unterhalten - und zwar in allen Gebieten, in denen al Shabaab aktiv ist. Manchmal sind dann die eigentlichen Ältesten zur Flucht gezwungen. Die von al Shabaab eingesetzten Ältesten dienen der Konfliktlösung und polizeilicher Arbeit sowie dem Standeswesen (Eheschließungen, Scheidungen). Sie können vor den Gerichten der al Shabaab auch eigene Clanmitglieder vertreten. Und wenn ein Clanmitglied ein Problem mit al Shabaab hat, dann wendet es sich an den entsprechenden Ältesten, der sich wiederum an al Shabaab wendet (Researcher/STDOK/SEM 4.2023).

Trotz des Einflusses, den die Gruppe in weiten Teilen Somalias ausüben kann, folgen nur wenige Somali der fremden und unflexiblen Theologie, den brutalen Methoden zur Kontrolle und der totalitären Vision von Staat und Gesellschaft (Sahan/SWT 30.6.2022 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (30/6/2022): Somalia’s Security Sector is Broken: here’s how the new government can fix it (Part 2), in: The Somali Wire Issue No. 416). Es gibt einige wenige, ideologisch positionierte Anhänger; Personen, die religiös gebildet sind und sich bewusst auf dieser Ebene mit al Shabaab solidarisieren. Es gibt aber eine viel größere Anzahl von Menschen, die pragmatisch agieren. Sie akzeptieren al Shabaab als geringeres Übel (ACCORD 31.5.2021). Die Präsenz von al Shabaab bietet besorgten Gemeinden eine Form der Schirmherrschaft und des Schutzes, welche die somalische Regierung nur sporadisch gewähren kann. Die Gruppe verspricht Vorteile und faire Behandlung für diejenigen, die ihren Geboten folgen. Allen anderen droht sie mit Vergeltung (Sahan/SWT 25.8.2023).

Die Hälfte der Mitglieder von al Shabaab stellt den militärischen Arm (jabhat), welcher an der Front gegen die somalische Regierung und ATMIS bzw. AMISOM kämpft. Die andere Hälfte sind entweder Polizisten, welche Gesetze und Gerichtsurteile durchsetzen und Verhaftungen vornehmen; oder Richter. Außerdem verfügt al Shabaab in der Regierung, in der Armee und in fast jedem Sektor der Gesellschaft über ein fortschrittliches Spionagenetzwerk (Maruf/Westminster 14.11.2018 - Harun Maruf (Autor), Westminster Institute (Herausgeber) (14/11/2018): Inside Al-Shabaab: The Secret History of Al-Qaeda’s Most Powerful Ally). Der Gouverneur von Bakool gibt im März 2023 an, dass seiner Einschätzung nach al Shabaab über mindestens 20.000 Kämpfer verfügt. Der nationale Sicherheitsberater des Präsidenten gibt die Zahl hingegen mit 10.000 von einst 14.000, die es noch vor einigen Jahren gewesen sind (VOA/Maruf 14.3.2023 - Voice of America (Herausgeber), Harun Maruf (Autor) (14/3/2023): Officials Warn Against Underestimating Al-Shabab and IS in Somalia). Auch eine andere Quelle berichtet von 14.000 - "doppelt so viele wie noch vor drei Jahren". Allerdings finden sich demnach darunter viele zwangsrekrutierte Kinder (Detsch/FP 23.8.2023). Das US-Afrikakommando berichtet von 10.000 Kämpfern (Sahan/SWT 8.9.2023 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (8/9/2023): Beyond Puntland: The Islamic State in Somalia, in: The Somali Wire Issue No. 589). Eine andere Quelle berichtet im von einer Stärke von 7.000-12.000 Mann (JF 31.3.2023 - Jamestown Foundation, The (31/3/2023): Bilal al-Sudani’s Death Weakens Islamic State Influence in Somalia, Terrorism Monitor Volume: 21 Issue: 7); eine weitere Quelle bestätigt diese Zahl (BMLV 9.2.2023). Schließlich nennt eine Quelle eine Zahl von 5.000-10.000 gut bewaffneten Kämpfern (Williams/ACSS 17.4.2023 - Africa Center for Strategic Studies (Herausgeber), Wendy Williams (Autor) (17/4/2023): Reclaiming Al Shabaab’s Revenue) und eine letzte 7.000 "Vollzeitkämpfer" (AQ21 11.2023). Die Kämpfe der letzten Monate haben bei al Shabaab erhebliche Spuren hinterlassen. Die Angaben der Bundesregierung von angeblich 3.500 getöteten Kämpfern von al Shabaab seit Juni 2022 müssen allerdings angezweifelt werden. Zur Kompensation rekrutiert die Gruppe jedenfalls neue Kräfte (BMLV 1.12.2023). Insgesamt sind die Zahlen also sehr unterschiedlich. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass al Shabaab über zahlreiche "Teilzeitkräfte" und "Freiberufler" verfügt, die nur bei Bedarf zum Einsatz kommen. Ein Experte schätzt die Gesamtzahl allen verfügbaren Personals auf 25.000-30.000 (AQ21 11.2023).

Generell hat al Shabaab die somalische Gesellschaft dermaßen tief infiltriert, dass es schwierig oder sogar unmöglich ist, zu erkennen, wer Mitglied der Gruppe ist. Hinzugezählt werden die Kämpfer der Armee (jabahat), die Agenten des Amniyat und die Polizisten (Hisba); alle Schätzungen zur Größe von al Shabaab scheinen sich auf dieses Personal zu konzentrieren. Doch die Gruppe verfügt auch über einen beträchtlichen Kader, der nicht direkt an der Gewalt beteiligt ist, aber für die Reichweite der Organisation in Somalia gleichermaßen wichtig ist. Es handelt sich um eine komplexe Organisation, die eine Mischung aus Terroristengruppe, Rebellenorganisation, Mafia und Schattenregierung ist. Und es gibt Personal für all diese Funktionen. Al Shabaab beschäftigt u.a. Verwaltungsbeamte, Richter und Steuereintreiber. Der Amniyat verfügt neben Agenten über Doppelagenten, Quellen und Informanten, die in die Institutionen, die Wirtschaft und die ganze Gesellschaft Somalias eingedrungen sind. Einige arbeiten heimlich, in Teilzeit oder auf Ad-hoc-Basis mit der Gruppe zusammen. Sie bewegen Nachschub, überbringen Nachrichten und berichten über alles - von der Zusammenarbeit mit der Regierung bis hin zur Wirtschaftstätigkeit. Es ist unmöglich, sie zu zählen (Sahan/Bacon/Guiditta 7.8.2023).

Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen ATMIS manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt al Shabaab mit dem Amniyat über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk (BMLV 1.12.2023). Der Amniyat ist die wichtigste Stütze der al Shabaab, und diese Teilorganisation hat ihre Fähigkeiten in den vergangenen Jahren ausgebaut. Er ist auch für die Erhebung ausnützbarer Clanrivalitäten zuständig (JF 18.6.2021). Al Shabaab verfügt jedenfalls über ein extensives Netzwerk an Informanten und ist in der Lage, der Bevölkerung Angst einzuflößen (UNSC 6.10.2021; vergleiche INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Auch Namen von Nachbarn und sogar die Namen der Verwandten der Nachbarn werden in Datenbanken geführt (Maruf/Westminster 14.11.2018).

Gemeinschaften, die unter der Kontrolle von al Shabaab stehen, werden häufig vom Rest Somalias und von der internationalen Unterstützung abgekoppelt. Die Kontrollpunkte und Blockaden der militanten Gruppe schränken den Personen- und Warenverkehr ein (Sahan/SWT 15.9.2023). In Gebieten, die an von der Regierung kontrollierte und von al Shabaab unter Blockade gestellte Städte grenzen, hat die Gruppe strenge Regeln hinsichtlich ökonomischer und beruflicher Tätigkeiten eingeführt. Al Shabaab setzt diese mit Drohungen und Gewalt durch und bestraft jene, die diese Regeln brechen (UNSC 10.10.2022).

Prinzipiell hat al Shabaab wiederholt gezeigt, dass sie gegenüber Druck anpassungsfähig und in der Lage ist, sich zurückzuziehen und neu zu formieren, bevor sie zurückschlägt (Sahan/SWT 4.8.2023). Al Shabaab ist weiterhin in der Lage, komplexe Angriffe z.B. in und um Mogadischu durchzuführen. Die Fähigkeit der Gruppe, Waffen zu beschaffen und Kämpfer neu zu verteilen, bleibt weitgehend intakt (Sahan/SWT 22.5.2023). Dabei geht die Einflusssphäre der Gruppe über jene Gebiete, die sie tatsächlich unter Kontrolle hat, hinaus (UNSC 10.10.2022). Der Amniyat hat die Politik, lokale Behörden, Betriebe und Gemeinschaften unterwandert. Dies gilt auch für die NISA (Geheimdienst) und die Polizei. Bis zu 30 % der Polizisten in Mogadischu sind demnach kompromittiert (Williams/ACSS 17.4.2023).

Al Shabaab hat jedoch nicht genügend Kapazitäten, um ständig und überall präsent zu sein. Das Einsatzgebiet von der Gruppe ist fast so groß wie Deutschland. In diesem weitläufigen und infrastrukturell wenig erschlossenen Gebiet muss die Gruppe mit ca. 10.000 bewaffneten Kämpfern auskommen. Das bedeutet, dass al Shabaab zu keinem Zeitpunkt eine permanente Kontrolle über alle strategisch wichtigen Punkte ausüben kann. Die Gruppe kann nicht alle wichtigen Straßen kontrollieren, kann nicht in allen Orten des Hinterlandes mit permanenter Präsenz aufwarten, kann sich nicht um alle Konflikte vor Ort gleichzeitig kümmern (ACCORD 31.5.2021). Gemäß einer Quelle verfügt al Shabaab bei Clans über Verbindungsleute (Kilmurry/RUSI 1.4.2022 - Hope Kilmurry (Autor), Royal United Services Institute (Herausgeber) (1/4/2022): Somaliland: Avoiding Past Mistakes: Why Stabilisation in Somalia Needs to Change); laut einer anderen Quelle hält al Shabaab in ihrem Gebiet vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen und zielt damit in erster Linie auf das Einheben von Steuern ab und übt Einfluss aus (Landinfo 21.5.2019 - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (21/5/2019): Somalia: Al-Shabaab-områder i Sør-Somalia). Eine andere Quelle erklärt, dass, auch wenn es dort keine permanenten Stationen gibt, die Polizei von al Shabaab regelmäßig auch entlegene Gebiete besucht. Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuzuschlagen, bzw. kann sie sich auch in vielen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen (BMLV 1.12.2023). Al Shabaab funktioniert in nahezu ganz Südsomalia als Schattenregierung bzw. -Verwaltung (GITOC/Bahadur 8.12.2022). "Kontrolliert" wird - wie es ein Experte ausdrückt - durch "exemplarische Gewalt", etwa bei Körperstrafen; durch das Streuen von Gerüchten; durch terroristische Anschläge zur Einschüchterung der Bevölkerung. All das erfolgt aber nur so intensiv und so oft, wie es nötig ist, um die lokale Bevölkerung zu erschrecken und dafür zu sorgen, dass ein Großteil der Menschen sich tatsächlich - zwangsläufig - mit der Herrschaft von al Shabaab arrangiert (ACCORD 31.5.2021). Dort wo al Shabaab nicht in der Lage ist, ein angemessenes Maß an Gewaltandrohung glaubhaft darstellen zu können, sind die Erpressungsversuche auch weniger erfolgreich. So lehnen etwa Wirtschaftstreibende, die ausschließlich in Baidoa und Kismayo agieren, Zahlungsforderungen mitunter ab (Williams/ACSS 17.4.2023). Zudem hat die Gruppe aus vergangenen Fehlern gelernt und so die Kontrolle über einige Gebiete zurückerlangt, die sie 2022 verloren hat. Einige Übereinkommen mit Clans in Zentralsomalia wurden wieder aufgenommen. Al Shabaab hebt weiter illegale Steuern ein, ohne dabei so weit zu gehen, lokale Clans zu gewalttätigem Widerstand zu provozieren. Die Gruppe ist nun darauf bedacht, die Gemeinschaften, von denen sie abhängig ist, nicht zu sehr auszubeuten (Sahan/SWT 12.6.2023 - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (12/6/2023): römisch eins s it important to undermine Al-Shabaab’s ideology? in: The Somali Wire Issue No. 552).

Al Shabaab gilt als "wohlhabend", verfügt über ein finanzielles Polster und damit auch über einen Hebel hinsichtlich Neurekrutierungen (AQ21 11.2023).

In den Gebieten der al Shabaab gibt es ein zentralisiertes Steuersystem. Die Besteuerung scheint systematisch, organisiert und kontrolliert zu erfolgen (BS 2022a). Al Shabaab führt ein Register über den Besitz "ihrer" Bürger, um darauf jährlich 2,5 % Zakat zu beanspruchen (Williams/ACSS 17.4.2023). Das Steuersystem der Gruppe hat sich immer mehr entwickelt – bis hin zu Eigentumssteuern (Researcher/STDOK/SEM 4.2023).

Schätzungen von Experten zufolge nimmt al Shabaab alleine an Checkpoints pro Jahr mehr als 100 Millionen US-Dollar ein (GITOC/Bahadur 8.12.2022; vergleiche Williams/ACSS 17.4.2023). Laut einer anderen Schätzung kann al Shabaab jährlich bis zu 120 Millionen US-Dollar generieren (VOA 17.5.2022 - Voice of America (17/5/2022): New Somali President Welcomes Return of US Troops). Nach anderen Angaben geht die US-amerikanische Regierung davon aus, dass al Shabaab alleine in Mogadischu bis zu 100 Millionen US-Dollar im Jahr einbringt (Detsch/FP 23.8.2023). Gemäß Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 lukriert die Gruppe sogar rund 180 Millionen US-Dollar pro Jahr - bei Ausgaben von nur etwa 100 Millionen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Eine weitere Quelle bestätigt diese Angaben (Rollins/HIR 27.3.2023). Al Shabaab investiert einen Teil ihres Budgets in Immobilien und Klein- und Mittelbetriebe (Williams/ACSS 17.4.2023).

Ein Teil der Einkünfte wird an einem Netzwerk an Straßensperren eingehoben. Insgesamt ist al Shabaab in der Lage, in ganz Süd-/Zentralsomalia erpresserisch Zahlungen zu erzwingen - auch in Gebieten, die nicht unter ihrer direkten Kontrolle stehen (UNSC 6.10.2021). Die Gruppe hebt in 10 von 18 somalischen Regionen Steuern ein (Williams/ACSS 17.4.2023). Eingehoben werden Steuern und Gebühren etwa auf die Landwirtschaft, auf Fahrzeuge, Transport und den Verkauf von Vieh (BS 2022a; vergleiche UNSC 6.10.2021); sowie auf manche Dienstleistungen (HIPS 2020 - Heritage Institute for Policy Studies (2020): State of Somalia Report, Year in Review). Al Shabaab erhebt Steuern auf Importe (Williams/ACSS 17.4.2023). Für jeden Container, der in Mogadischu anlandet, müssen Abgaben an al Shabaab entrichtet werden. Die Gruppe erpresst Schutzgeld auf alles, was 'segelt, rollt oder sich bewegt' (Detsch/FP 23.8.2023) sowie vom Bauwesen bzw. von Baufirmen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023) und am Immobiliensektor generell (Williams/ACSS 17.4.2023). Auch Beamte und kleine Unternehmen müssen Geld abführen (Detsch/FP 23.8.2023). Dieser Faktor belegt aber auch den Pragmatismus von al Shabaab als mafiöser Organisation, wo Geld vor Ideologie gereiht wird (HI 1.10.2020 - Hiraal Institute (1/10/2020): A Losing Game: Countering Al-Shabab’s Financial System).

Die Höhe der Steuer ist oft verhandelbar. Jedenfalls haben die Menschen de facto keine Wahl, sie müssen al Shabaab bezahlen (WP 31.8.2019 - Washington Post, The (31/8/2019): ‘If römisch eins don’t pay, they kill me’: Al-Shabab tightens grip on Somalia with growing tax racket). Wirtschaftstreibende nehmen die Macht von al Shabaab zur Kenntnis und zahlen Steuern an die Gruppe – auch weil die Regierung sie nicht vor den Folgen beschützen kann, die bei einer Zahlungsverweigerung drohen (Bryden/TEL 8.11.2021). Denn al Shabaab agiert wie ein verbrecherisches Syndikat (Weiss/FDD 11.8.2021 - Foundation for Defense of Democracies’ Long War Journal (Herausgeber), Caleb Weiss (Autor) (11/8/2021): Analysis – Somaliland’s lingering jihadi threat). Die Gruppe baut auf ihre Reputation der Omnipräsenz und Einschüchterung - typisch für eine mafiöse Organisation. Der Zakat wird vom Amniyat durchgesetzt – und zwar durch Einschüchterung und Gewalt. Bei Zahlungsverweigerung droht die Ermordung (Williams/ACSS 17.4.2023). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass es al Shabaab in der Vergangenheit diesbezüglich zu weit getrieben hat. In manchen Landesteilen war die Gruppe zu gierig und brachte die Bevölkerung gegen sich auf. Al Shabaab schreckt nicht davor zurück, Menschen durch Gewalt gefügig zu machen. Menschen werden entführt, Vieh weggenommen (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Teilweise flieht die Bevölkerung vor der Besteuerung (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Eine Quelle gibt an, dass al Shabaab in Folge des Aufstands der Macawiisley nun einen weniger autoritären Umgang mit den Clans pflegt und sich die Gruppe demnach den Umständen angepasst hat (Researcher/STDOK/SEM 4.2023).

Quellen der FFM Somalia 2023 ist Folgendes zu entnehmen: Mit einer neuen Gesetzgebung hat die Regierung Zahlungen an al Shabaab verboten; zudem gibt es entsprechende Kampagnen gegen Zahlungen an die Gruppe (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Zusätzlich droht die Regierung den Wirtschaftstreibenden, und einige von ihnen haben in Mogadischu aufgehört, Geld an al Shabaab abführen (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Die Bundesregierung bekämpft die Gruppe also auf finanzieller Ebene. Auch einige Konten von al Shabaab wurden eingefroren (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Nun versucht die Gruppe, in den Gebieten unter ihrer Kontrolle so viel wie möglich von der Bevölkerung zu erpressen (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Tatsächlich gibt es bei der finanziellen Bekämpfung von al Shabaab allerdings erhebliche Schwierigkeiten (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Die ganze Wirtschaft ist von al Shabaab abhängig, wenn es z.B. um den Warentransport geht (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Zudem sind die tief wurzelnden Strukturen der Gruppe im Wirtschaftsbereich Mogadischus nur schwer zu beseitigen (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Die ganze Wirtschaft in der Hauptstadt zahlt Steuern an al Shabaab (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Und auch viele Menschen führen weiterhin 'Steuern' an die Gruppe ab, weil sie nicht davon ausgehen, dass die Regierung in der Lage ist, sie vor al Shabaab zu schützen. Denn bis zuletzt galt: Bei Nichtzahlung drohen Konsequenzen, z.B. die Zerstörung von Eigentum oder Betriebsmitteln. Oder aber al Shabaab sorgt dafür, dass Unternehmen keine Aufträge mehr erhalten. Wirtschaftstreibende verschweigen es üblicherweise, wenn sie Geld an al Shabaab abführen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).

Die Rebellion von al Shabaab hat mit 20 Jahren die durchschnittliche Lebensdauer von Rebellionen überstiegen. Möglicherweise sucht die Gruppe neue Orientierung. Al Shabaab ist kaum mehr in der Lage, die ideologische Karte zu spielen bzw. die Idee der Schaffung eines islamischen Staates zu propagieren. Sie schafft sich also ein Wirtschaftsimperium, denn al Shabaab verfügt über entsprechende Kompetenzen. Morde gegen Bezahlung scheinen für al Shabaab zum Geschäftsmodell zu werden. Zudem hat die Gruppe in vielen Sparten investiert, Reichtümer angehäuft (Sahan/STDOK/SEM 4.2023) und betreibt einige Unternehmen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Mittlerweile erscheint die Gruppe eher als "Wagner-style mafia" (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Auch eine andere Quelle erklärt, dass al Shabaab außerhalb des eigenen Gebietes wie ein Kartell bzw. wie eine Mafia agiert. Für al Shabaab ist es nicht schwierig, eine Telefonnummer zu bekommen. So kann die Gruppe jede Person erreichen. In Mogadischu rufen sie z.B. Mitarbeiter einer Quelle an und sagen: "Kommen Sie zum Ort römisch zehn und geben sie uns 2.000 US-Dollar." In anderen Gebieten hat al Shabaab einen direkteren Zugriff (IO-D/STDOK/SEM 4.2023).

Folgende Personengruppen sind bezüglich eines gezielten Attentats durch al Shabaab einem erhöhten Risiko ausgesetzt (JF 14.1.2020 - Jamestown Foundation (14.1.2020): Islamic State’s Mixed Fortunes Become Visible in Somalia, Terrorism Monitor Volume: 18 Issue: 1):

●             Angehörige der AMISOM bzw. ATMIS (BS 2022, Sitzung 34; vergleiche USDOS 2.6.2022, Sitzung 1 - US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom - Somalia);

●             nationale und regionale Behördenvertreter und -Mitarbeiter (BS 2022, Sitzung 7/34; vergleiche USDOS 2.6.2022, Sitzung 1);

●             Angehörige der Sicherheitskräfte (BS 2022, Sitzung 7/34; vergleiche USDOS 2.6.2022, Sitzung 1);

●             Regierungsangehörige, Parlamentarier, Offizielle (BS 2022, Sitzung 34; vergleiche UNSC 10.10.2022, Absatz 117,) und Wahlkandidaten (UNSC 10.10.2022, Absatz 117,); al Shabaab greift z. B. gezielt Örtlichkeiten an, wo sich Regierungsvertreter treffen (BS 2022, Sitzung 7);

●             mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15; vergleiche BS 2022, Sitzung 7);

●             Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15);

●             Wirtschaftstreibende (BS 2022, Sitzung 7; vergleiche Sahan 7.9.2022), insbesondere dann, wenn sie sich weigern, Schutzgeld ("Steuer") an al Shabaab abzuführen (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 57);

●             Älteste und Gemeindeführer (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15; vergleiche Sahan 7.9.2022 - Sahan / Somali Wire Team (7.9.2022): The threat that locally organised clan militias pose to Al-Shabaab, in: The Somali Wire Issue No. 448; BS 2022, Sitzung 7); gemäß somalischen Regierungsangaben hat al Shabaab innerhalb von zehn Jahren 324 Älteste ermordet. Einige der Opfer waren in Wahlprozesse involviert (KM 31.8.2022 - Keydmedia (31.8.2022): Al-Shabaab killed 324 elders involved in elections – minister). In jüngerer Vergangenheit hat al Shabaab v. a. solche Älteste ermordet, die ihre Clans zur Beteiligung an der Offensive gegen die Gruppe aufgerufen bzw. deren Teilnahme öffentlich unterstützt haben (BMLV 9.2.2023).

●             Wahldelegierte und deren Angehörige (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15; vergleiche BS 2022, Sitzung 7; UNSC 10.10.2022, Absatz 117,); dabei hat al Shabaab in der Vergangenheit Delegierte vor die Wahl gestellt, entweder zu ihnen zu kommen und sich zu entschuldigen, oder aber einem Todesurteil zu unterliegen. Die große Mehrheit entschuldigte sich (Mohamed 17.8.2019 - Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia). Immer wieder werden jedenfalls an Wahlen Beteiligte ermordet, so z. B. ein Delegierter und Ältester am 13.6.2022 sowie ein weiterer Delegierter Mitte April 2022 – beide in Hodan (Mogadischu). Al Shabaab bekennt sich nicht immer zu derartigen Attentaten, hat in der Vergangenheit allerdings betont, jede an Wahlen beteiligte Person zum Ziel zu machen (HO 14.6.2022 - Hiiraan Online (14.6.2022): Second former electoral delegate shot dead in Mogadishu);

●             Angehörige diplomatischer Missionen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15);

●             prominente und Menschenrechts- und Friedensaktivisten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15; vergleiche Sahan 7.9.2022);

●             religiöse Führer (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 57f; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 8);

●             Journalisten (BS 2022, Sitzung 34) und Mitarbeiter von Medien (USDOS 12.4.2022, Sitzung 48);

●             Telekommunikationsarbeiter (USDOS 12.4.2022, Sitzung 48);

●             mutmaßliche Kollaborateure und Spione (HRW 13.1.2022; vergleiche BS 2022, Sitzung 19; USDOS 12.4.2022, Sitzung 15f);

●             Deserteure (FIS 7.8.2020, Sitzung 8);

●             als glaubensabtrünnig Bezeichnete (Apostaten) (BS 2022, Sitzung 19);

●             (vermeintliche) Angehörige oder Sympathisanten des IS (AA 28.6.2022, Sitzung 16); den IS hat al Shabaab als Seuche bezeichnet, welche ausgerottet werden müsse.

Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie kein Schutzgeld bzw. "Steuern" an al Shabaab abführen. Gleichzeitig muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde auf o. g. Personengruppen politisch motiviert oder einfache Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen (BMLV 9.2.2023).

Al Shabaab greift Zivilisten, die nicht in einer oben genannten Kategorie fallen, nicht spezifisch an. Für diese besteht das größte Risiko darin, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (BMLV 9.2.2023; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 24ff) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (BMLV 9.2.2023; vergleiche LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25 - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia; FIS 7.8.2020, Sitzung 24).

Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit al Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor – etwa Auspeitschen (LI 28.6.2019, Sitzung 11). Reisende passen sich daher üblicherweise den Kleidungs- und Verhaltensvorschriften von al Shabaab an, um nicht herauszustechen (LI 28.6.2019, Sitzung 4).

In von al Shabaab kontrollierten Gebieten gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden (AA 28.6.2022, Sitzung 19). Al Shabaab tötet - meist nach unfairen Verfahren - Personen, denen Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung oder ausländischen Kräften vorgeworfen wird (HRW 13.1.2022; vergleiche USDOS 2.6.2022, Sitzung 1/6; UNSC 6.10.2021). Beispiele für Hinrichtungen wegen angeblicher Spionage (für Lokalregierungen, die Bundesregierung oder ausländische Kräfte: 2/2022, Buulo Fulay (Bay): 1 Mann (BAMF 7.2.2022 - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.2.2022): Briefing Notes); 7/2022, Bay: 6 Männer, öffentlich (RD 31.7.2022 - Radio Dalsan (31.7.2022): Al-Shabaab publicly executes 6 people for spying; vergleiche GN 1.8.2022 - Goobjoog News (1.8.2022): Al-Shabaab executes seven men by firing squad); 8/2022, Kunyo Baarow (Lower Shabelle): 6 Männer, öffentlich (Menschen werden gezwungen, der Exekution beizuwohnen) (GN 22.8.2022 - Goobjoog News (1.8.2022): Al-Shabaab executes seven men by firing squad); 9/2022, Jilib (Lower Juba): 5 Männer, öffentlich (Halbeeg 5.9.2022 - Al-Shabab publicly executes five men).

Al Shabaab bedroht Menschen, die mit der Regierung in Verbindung gebracht werden. Zivilisten können bestraft oder auch getötet werden, wenn sie für die Regierung oder die Armee arbeiten (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 20). Die Schwelle dessen, was al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, ist mitunter sehr niedrig angesetzt (BFA 8.2017, Sitzung 40f - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM). So wurden etwa im Feber 2021 in Mogadischu drei Frauen erschossen, die im Verteidigungsministerium als Reinigungskräfte gearbeitet hatten (Sahan 15.2.2021a - Sahan / Keydmedia (15.2.2021a): The Somali Wire Issue No. 82). Nach eigenen Angaben greift al Shabaab solche Personen hingegen nicht gezielt an (C4 15.6.2022 - Channel 4 / Osman, Jamal (15.6.2022): Inside Al Shabaab: The extremist group trying to seize Somalia (Video)). Generell sind aber das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt. Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen: a) die Kollaboration ist offensichtlich; b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu; c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen; d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat (BFA 8.2017, Sitzung 40ff).

Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen (BMLV 9.2.2023).

Auf der anderen Seite kollaborieren viele Menschen mit al Shabaab. Verwaltungsstrukturen und Sicherheitskräfte sind unterwandert. Eine derartige Kollaboration kann aus finanziellen oder ideologischen Gründen erfolgen, oft aber auch aus Angst. Es scheint wenig ratsam, ein "Angebot" von al Shabaab abzulehnen (BMLV 9.2.2023).

1.3.4. Bevölkerungsstruktur

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Somalia ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings sei der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung unklar (AA 28.6.2022, Sitzung 11/14).

Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 12.4.2022, Sitzung 40). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018 - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A).

Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UNOCHA 14.3.2022; vergleiche NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44; vergleiche SEM, 31.5.2017, Sitzung 12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, Sitzung 12 - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 5).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2022, Sitzung 34). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, Sitzung 8).

1.3.4.1. Clans

Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Weder das traditionelle Recht (Xeer) (SEM 31.5.2017, Sitzung 42 - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, Sitzung 42; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 4).

Der Clan ist die relevanteste soziale, ökonomische und politische Struktur in Somalia. Er bestimmt den Zugang zu Ressourcen sowie zu Möglichkeiten, Einfluss, Schutz und Beziehungen (SPC 9.2.2022 - Somalia Protection Cluster (9.2.2022): Protection Analysis Update, February 2022).

Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

●             Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

●             Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

●             Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

●             Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

●             Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, Sitzung 9).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, Sitzung 25).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, Sitzung 9 - Landinfo [Norwegen] (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia). Zudem gewinnt die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation immer mehr an Bedeutung. Dadurch kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden (BS 2022, Sitzung 25).

Für eine Person ohne Clanidentität ist gesellschaftlicher Schutz nicht vorhanden. Dies führt nicht automatisch zu Misshandlung, fördert aber die Vulnerabilität. Sollte eine Person ohne Clanidentität und ohne Ressourcen zurückkehren, wird es im gegenwärtigen somalischen Kontext für diese physisch und wirtschaftlich sehr schwierig, zu überleben (ACCORD 29.5.2019, Sitzung 2f - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (29.5.2019): Anfragebeantwortung a-11008 (Auskunftsperson: Lidwien Kapteijns)).

Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessenvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des Xeer. Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler. Al Shabaab installiert oft Älteste, welche die Gruppe repräsentieren. Er wird so zum Bindeglied zwischen der Gemeinschaft und al Shabaab. So werden zuvor legitime Strukturen in Geiselhaft genommen (Sahan 26.10.2022 - Sahan / Somali Wire Team (26.10.2022): The deaths of clan elders in the struggle against Al-Shabaab, in: The Somali Wire Issue No. 468).

Al Shabaab wird von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, Sitzung 11; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 4). Al Shabaab hat sich die gesellschaftliche Benachteiligung von Gruppen zunutze gemacht (Sahan 24.10.2022). Ein überproportionaler Teil von al Shabaab setzt sich aus Angehörigen der am meisten marginalisierten Gruppen Somalias zusammen (Sahan 30.9.2022). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist ein weiterer Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Missstände treiben ganze Gemeinden in die Arme von al Shabaab. Sie suchen ein taktisches Bündnis – haben dabei aber keine dschihadistische Vision, sondern wollen ihre Rivalen ausstechen. Al Shabaab nimmt derartige Spannungen gerne auf und verwendet sie für eigene Zwecke (Sahan 30.9.2022). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB 11.2022, Sitzung 4f).

In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (FIS 7.8.2020, Sitzung 39). Die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade in Mogadischu verfügen über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, Sitzung 38ff). In Mogadischu ist es im Allgemeinen schwierig, Menschen die dort aufgewachsen sind, nach Clans zu differenzieren. Es gibt keine äußerlichen Unterschiede, auch der Akzent ist der gleiche. Selbst anhand von Namen lassen sich die Menschen nicht einmal ethnisch zuordnen, da vor allem arabische Namen verwendet werden (UNFPA/DIS 25.6.2020).

1.3.4.2. Ethnische Minderheiten

Generell sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Verfolgung mehr ausgesetzt, wie dies Anfang der 1990er der Fall war (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44).

Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums (SEM 31.5.2017, Sitzung 11). Die soziale Stellung der einzelnen ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich (SEM 31.5.2017, Sitzung 14). Sie werden aber als minderwertig (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44) und mitunter als Fremde erachtet (SPC 9.2.2022). So können Angehörige ethnischer Minderheiten auf Probleme stoßen - bis hin zu Staatenlosigkeit - wenn sie z. B. in einem Flüchtlingslager außerhalb Somalias geboren wurden (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 58).

Auch Angehörige starker Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. So sehen sich beispielsweise die Biyomaal als exponierter Dir-Clan in Südsomalia manchmal in dieser Rolle. Generell gerät eine Einzelperson immer dann in die Rolle der Minderheit, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Die Position als "Gast" ist schwächer als jene des "Gastgebers". Im System von "hosts and guests" sind Personen, die sich außerhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. In Mogadischu gelten etwa Angehörige der Isaaq, Rahanweyn und Darod als "Gäste". Dieses System gilt auch für IDPs (SEM 31.5.2017, Sitzung 11f/32f).

In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus. Diskriminierung erfolgt etwa auch beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Gerichtsverfahren (USDOS 12.4.2022, Sitzung 40). Angehörige eines (Sub-)Clans können in von einem anderen (Sub-)Clan dominierten Gebiete auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser (AA 18.4.2021, Sitzung 12). In Mogadischu ist es im Allgemeinen schwierig, Menschen die dort aufgewachsen sind, nach Clans zu differenzieren. Es gibt keine äußerlichen Unterschiede, auch der Akzent ist der gleiche. Selbst anhand von Namen lassen sich die Menschen nicht einmal ethnisch zuordnen, da vor allem arabische Namen verwendet werden (UNFPA/DIS 25.6.2020).

1.3.4.3. Benadiri

Benadiri ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben (z. B. Mogadischu, Merka, Baraawe) und sich traditionell im Handel betätigen. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien, Persien, Indien und Portugal (SEM 31.5.2017, Sitzung 13f; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57).

Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos. Heute werden Benadiri gemeinhin als Händler respektiert (SEM 31.5.2017, Sitzung 13f).

In Mogadischu stellen die Benadiri die zweitgrößte Minderheitengruppe. Einige von ihnen haben es geschafft, reich zu werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 41ff). Im Gegensatz zu den Bantu kommt ihnen kein geringerer Status zu, Mischehen sind kein Problem (LI 14.6.2018, Sitzung 17 - Landinfo [Norwegen] (14.6.2018): Somalia: Marriage and divorce).

Auch von Sicherheitsproblemen wird (in Mogadischu) nicht berichtet (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 45). Vielen Reer Xamar (Teil der Benadiri) ist es gelungen, ihre vormaligen Immobilien im Bezirk Xamar Weyne (Mogadischu) durch Zahlungen zurückzuerhalten. Dort stellen sie auch die Bevölkerungsmehrheit (LI 21.5.2019b, Sitzung 2f).

1.3.5. Mischehen

Die Ehe ist extrem wichtig, und es ist in der somalischen Gesellschaft geradezu undenkbar, dass eine junge Person unverheiratet bleibt. Gleichzeitig besteht gegenüber der Braut die gesellschaftliche Erwartung, dass sie bei ihrer ersten Eheschließung Jungfrau ist (LIFOS 16.4.2019, Sitzung 38).

Bei Eheschließungen gilt das Scharia-Recht. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 11.2022, Sitzung 10). Es gibt keine Zivilehe (LI 14.6.2018, Sitzung 7).

Eheschließungen über Clangrenzen hinweg sind normal (FIS 5.10.2018, Sitzung 26f). Gerade bei der ersten Ehe ist die arrangierte Ehe die Norm (LI 14.6.2018, Sitzung 8f).

Bereits eine Quelle aus dem Jahr 2004 besagt, dass sich die Tradition gewandelt hat, und viele Ehen ohne Einbindung, Wissen oder Zustimmung der Eltern geschlossen werden (LI 14.6.2018, Sitzung 9f). Viele junge Somali akzeptieren arrangierte Ehen nicht mehr (LIFOS 16.4.2019, Sitzung 11). Gerade in Städten ist es zunehmend möglich, den Ehepartner selbst zu wählen (LIFOS 16.4.2019, Sitzung 11; vergleiche LI 14.6.2018, Sitzung 8f). In der Hauptstadt ist es nicht unüblich, dass es zu – freilich oft im Vorfeld mit den Familien abgesprochenen – Liebesehen kommt (LI 14.6.2018, Sitzung 8f). Dort sind arrangierte Ehen eher unüblich. Gemäß einer Schätzung konnten sich die Eheleute in 80 % der Fälle ihren Partner selbst aussuchen bzw. bei der Entscheidung mitreden. Zusätzlich gibt es auch die Tradition der "runaway marriages", bei welcher die Eheschließung ohne Wissen und Zustimmung der Eltern erfolgt (FIS 5.10.2018, Sitzung 26f). Diese Art der Eheschließung ist in den vergangenen Jahren immer verbreiteter in Anspruch genommen worden (LI 14.6.2018, Sitzung 11).

1.3.6. Wehrdienst und Rekrutierungen (durch den Staat und Dritte)

Die somalische Armee ist eine Freiwilligenarmee (BMLV 19.7.2022 - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (19.7.2022): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation). Es gibt keinen verpflichtenden Militärdienst. Allerdings rekrutieren Clans regelmäßig – und teils unter Androhung von Zwangsmaßnahmen für die Familie – junge Männer zum Dienst in einer Miliz, bei den staatlichen Sicherheitskräften oder bei al Shabaab. Dadurch soll für den eigenen Clan oder Subclan Schutz erlangt werden (AA 28.6.2022, Sitzung 16 - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia).

1.3.6.1. (Zwangs-) Rekrutierungen und Kindersoldaten

Allen Konfliktparteien wird vorgeworfen, Kinder zu rekrutieren (BS 2022, Sitzung 19 - Bertelsmann Stiftung (2022): BTI 2022 - Somalia Country Report). Im Jahr 2021 gab es immer wieder Berichte über den Einsatz von Kindersoldaten durch die Bundesarmee, alliierte Milizen, die Sufi-Miliz Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ) und al Shabaab (USDOS 12.4.2022, Sitzung 16).

Al Shabaab ist weniger an die Rekrutierung Erwachsener als an der Rekrutierung von 8-12-jährigen Kindern interessiert. Diese sind leichter zu indoktrinieren und formbarer (Sahan 6.5.2022 - Sahan / Somali Wire Team (6.5.2022): ‘Teach them well and let them lead the way’ – the plight of Somalia’s children, in: The Somali Wire Issue No. 382). Der Hauptrekrutierungsbereich von al Shabaab ist Süd-/Zentralsomalia (ÖB 11.2022, Sitzung 6) bzw. die meisten Rekruten stammen aus ländlichen Gebieten – v. a. in Bay und Bakool. Bei den meisten neuen Rekruten handelt es sich um Kinder, die das Bildungssystem der al Shabaab durchlaufen haben, was wiederum ihre Loyalität zur Gruppe fördert (HI 12.2018, Sitzung 1 - Hiraal Institute (12.2018): Al-Shabab's Military Machine).

Direkter Zwang wird bei einer Rekrutierung in der Praxis nur selten angewendet (Ingiriis 2020), jedenfalls nicht strategisch und nur eingeschränkt oder unter spezifischen Umständen (Marchal 2018, Sitzung 92 - Marchal, R. (2018): Une lecture de la radicalisation djihadiste en Somalie [Lecture on jihadist radicalisation in Somalia], in: Politique Africaine, Vol. 2018/1 (no. 149), S.89-111).

Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch al Shabaab (BMLV 9.2.2023; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 17f). Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)rekrutierung zu entziehen (BMLV 9.2.2023). Laut dem Experten Marchal rekrutiert al Shabaab zwar in Mogadischu; dort werden aber Menschen angesprochen, die z. B. ihre Unzufriedenheit oder ihre Wut über AMISOM bzw. ATMIS oder die Regierung äußern (EASO 9.2021c, Sitzung 21).

Wenn al Shabaab ein Gebiet besetzt, dann verlangt es von lokalen Clanältesten die Zurverfügungstellung von bis zu mehreren Dutzend – oder sogar hundert – jungen Menschen oder Waffen (Marchal 2018, Sitzung 105). Insgesamt handelt es sich bei Rekrutierungsversuchen aber oft um eine Mischung aus Druck oder Drohungen und Anreizen (FIS 7.8.2020, Sitzung 18; vergleiche ICG 27.6.2019, Sitzung 2 - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency).

Etwa zwei Drittel der Angehörigen von al Shabaab sind der Gruppe entweder aus finanziellen Gründen beigetreten, oder aber aufgrund von Kränkungen in Zusammenhang mit Clan-Diskriminierung oder in Zusammenhang mit Misshandlungen und Korruption seitens lokaler Behörden (Felbab 2020, Sitzung 120f - Felbab-Brown, Vanda (2020): The Problem with Militias in Somalia; in: Hybrid Conflict, Hybrid Peace: How Militias and Paramilitary Groups Shape Post-conflict Transitions, Adam Day (Hrsg.), UN University). Feldforschung unter ehemaligen Mitgliedern von al Shabaab hat ergeben, dass 52 % der höheren Ränge der Gruppe aus religiösen Gründen beigetreten waren, bei den Fußsoldaten waren dies nur 15 % (Botha 2019). Ökonomische Anreize locken insbesondere Jugendliche, die oft über kein (regelmäßiges) Einkommen verfügen (SIDRA 6.2019a, Sitzung 4 - Somali Institute for Development Research and Analysis (6.2019a): The Idle Youth Labor Force in Somalia: A blow to the Country’s GDP). Von Deserteuren wurde der monatliche Sold für verheiratete Angehörige der Polizei und Armee von al Shabaab mit 50 US-Dollar angegeben; Unverheiratete erhielten nur Gutscheine oder wurden in Naturalien bezahlt. Jene Angehörigen von al Shabaab, welche höherbewertete Aufgaben versehen (Kommandanten, Agenten, Sprengfallenhersteller, Logistiker und Journalisten) verdienen 200-300 US-Dollar pro Monat; allerdings erfolgen Auszahlungen nur inkonsequent (Khalil 1.2019, Sitzung 16). Nach neueren Angaben verdienen Fußsoldaten und niedrige Ränge 60-100 US-Dollar, Finanzbedienstete z. B. 250 US-Dollar im Monat (UNSC 10.10.2022, Absatz 52,). Gemäß somalischen Regierungsangaben erhalten neue Rekruten 30 US-Dollar im Monat, ein ausgebildeter Fußsoldat oder ein Fahrer 70 US-Dollar; den höchsten Sold erhält demnach mit 25.000 US-Dollar der Emir selbst (FGS 2022, Sitzung 99 - Federal Government [Somalia] (2022): National Risk Assessment on Money Laundering ans Terrorist Financing). Feldforschung unter ehemaligen Mitgliedern von al Shabaab hat ergeben, dass 84 % der Fußsoldaten und 31 % der höheren Ränge überhaupt nicht bezahlt worden sind (Botha 2019 - Botha, A. / Security Institute for Governance and Leadership in Africa, Stellenbosch University (2019): Reasons for joining and staying in al-Shabaab in Somalia, Research Brief 5/2019).

Im Übrigen ist auch die Loyalität von al Shabaab ein Anreiz. Während die Regierung kriegsversehrten Soldaten keinerlei Unterstützung zukommen lässt, sorgt al Shabaab für die Hinterbliebenen gefallener Kämpfer (FIS 7.8.2020, Sitzung 17). Manche versprechen sich durch ihre Mitgliedschaft bei al Shabaab auch die Möglichkeit einer Rache an Angehörigen anderer Clans (Khalil 1.2019, Sitzung 14f; vergleiche EASO 9.2021c, Sitzung 20). Für Angehörige marginalisierter Gruppen bietet der Beitritt zu al Shabaab zudem die Möglichkeit, sich selbst und die eigene Familie gegen Übergriffe anderer abzusichern (FIS 5.10.2018, Sitzung 34 - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018). Auch die Aussicht auf eine Ehefrau wird als Rekrutierungswerkzeug verwendet (USDOS 12.4.2022, Sitzung 42f). So z. B. bei somalischen Bantu, wo Mischehen mit somalischen Clans oft Tabu sind. Al Shabaab hat aber eben diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von starken somalischen Clans – etwa den Hawiye oder Darod – zu heiraten (Ingiriis 2020).

1.3.6.2. Verweigerung der Rekrutierung

Üblicherweise richtet al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Diese "Vorschreibung" - also wieviele Rekruten ein Dorf, ein Gebiet oder ein Clan stellen muss - erfolgt üblicherweise jährlich, und zwar im Zuge der Vorschreibung anderer jährlicher Abgaben. Die meisten Rekruten werden über Clans rekrutiert. Es wird also mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt. Dabei wird mitunter auch Druck ausgeübt. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer, denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan. Damit al Shabaab die Verweigerung akzeptiert, muss eine Form der Kompensation getätigt werden. Entweder der Clan oder das Individuum zahlt, oder aber die Nicht-Zahlung wird durch Rekruten kompensiert. So gibt es also für Betroffene manchmal die Möglichkeit des Freikaufens (BMLV 9.2.2023).

Eltern versuchen, durch Geldzahlungen die Rekrutierung ihrer Kinder zu verhindern (UNSC 10.10.2022, Absatz 127,). Diese Wahlmöglichkeit ist freilich nicht immer gegeben. In den Städten liegt der Fokus von al Shabaab eher auf dem Eintreiben von Steuern, in ländlichen Gebieten auf der Aushebung von Rekruten (BMLV 9.2.2023).

Sich einer Rekrutierung zu entziehen ist möglich, aber nicht einfach. Die Flucht aus von al Shabaab kontrolliertem Gebiet gestaltet sich mit Gepäck schwierig, eine Person würde dahingehend befragt werden (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 18 - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (1.12.2021): Algemeen ambtsbericht Somalië). Trotzdem schicken Eltern ihre Kinder mitunter in von der Regierung kontrollierte Gebiete – meist zu Verwandten (UNSC 10.10.2022, Absatz 127,).

Es besteht die Möglichkeit, dass einem Verweigerer bei fehlender Kompensationszahlung die Exekution droht. Insgesamt finden sich allerdings keine Beispiele dafür, wo al Shabaab einen Rekrutierungsverweigerer exekutiert hat (BMLV 9.2.2023). Ein Experte erklärt, dass eine einfache Person, die sich erfolgreich der Rekrutierung durch al Shabaab entzogen hat, nicht dauerhaft und über weite Strecken hin verfolgt wird (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 40). Stellt allerdings eine ganze Gemeinde den Rekrutierungsambitionen von al Shabaab Widerstand entgegen, kommt es mitunter zu Gewalt (BMLV 9.2.2023; vergleiche UNSC 28.9.2020, Annex 7.2).

1.3.7. Bewegungsfreiheit und Relokation in Süd- und Zentralsomalia

Gesetze schützen das Recht auf Bewegungsfreiheit im Land und das Recht zur Ausreise. Diese Rechte sind in einigen Landesteilen eingeschränkt (USDOS 12.4.2022, Sitzung 24) – v. a. durch die Unsicherheit entlang der wichtigsten Straßen (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 37), durch Checkpoints und Straßenblockaden der jeweiligen Machthaber in bestimmten Gebieten aber auch durch Kampfhandlungen. IDPs sind in den Lagern in und um Mogadischu teils strikten Beschränkungen bezüglich ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen. Davon abgesehen sind keine Einschränkungen für bestimmte Gruppen bekannt (ÖB 11.2022, Sitzung 10).

Reisende werden durch die zahlreichen, von unterschiedlichen Gruppen betriebenen Straßensperren in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt (USDOS 12.4.2022, Sitzung 24f). Zudem sind sie dort Plünderung, Erpressung, Belästigung und Gewalt ausgesetzt (USDOS 12.4.2022, Sitzung 24f; vergleiche FH 2022a, G1). Neben den Straßensperren kann auch das Aufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen ein Risiko darstellen (FH 2022a, G1). Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle führt al Shabaab eine Blockade durch und greift manchmal Zivilisten an, welche die Blockade durchbrechen wollen (HRW 13.1.2022). Einige Bezirke sind demnach auf Luftbrücken angewiesen (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 37).

Der durchschnittliche Somali kann eine Überlandreise antreten, muss aber mit einem gewissen Risiko rechnen, während das Risiko für Sicherheitskräfte oder Regierungsbedienstete höher ist (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 38). Trotzdem bereisen Zivilisten und Wirtschaftstreibende tagtäglich die Überlandverbindungen. Die Menschen reisen nicht uninformiert. Reisende und Fahrer versuchen ihre Reise nach neuesten sicherheitsrelevanten Informationen zu adaptieren (LI 28.6.2019, Sitzung 4/9 - Landinfo [Norwegen] (28.6.2019): Somalia: Praktiske og sikkerhetsmessige forhold på reise i Sør-Somalia). Überlandreisen werden bevorzugt mit Minibussen (9-Sitzer), auf Lastwägen oder aber zu Fuß unternommen. Es ist einfach, sich in Mogadischu eine solche Fahrt zu organisieren. Straßenzustand und Sicherheitsüberlegungen können den Zugang zu einzelnen Destinationen fallweise verunmöglichen. Generell können Menschen aber jedes Ziel in Süd-/Zentralsomalia erreichen. Um in kleinere Dörfer zu gelangen, muss meist in der nächstgelegenen Bezirkshauptstadt umgestiegen werden (LI 28.6.2019, Sitzung 7).

In Mogadischu gibt es mehrere Hundert permanente oder mobile Kontrollpunkte, dadurch wird die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dort werden keine offiziellen Gebühren eingehoben, es kann aber zur Forderung nach Bestechungsgeldern kommen (EASO 9.2021a, Sitzung 22f - European Asylum Support Office (9.2021a): Somalia – Key socio-economic indicators). Gemäß neueren Angaben wurde die Mehrzahl der Checkpoints innerhalb des Stadtgebietes geräumt (Ausnahme: in den Bereichen wichtiger Infrastruktur wie der Villa Somalia, des Parlamentsgebäudes, dem Flughafen u. a.). Einschränkungen ergeben sich durch Sicherheitsmaßnahmen zu besonderen Anlässen wie Staatsbesuchen, die teilweise wichtige Straßenzüge für den zivilen Verkehr unpassierbar machen. Die Dauer dieser Auswirkungen ist unterschiedlich: von mehreren Stunden bis zu mehreren Tagen (BMLV 9.2.2023). Clanälteste, Bundes- und Bundesstaatsminister sowie Abgeordnete können sich in der Stadt nicht ohne Leibwächter frei bewegen (FGS 2022, Sitzung 99). Insgesamt können sich Menschen in Mogadischu aber unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit frei bewegen und sich niederlassen (FIS 7.8.2020, Sitzung 39).

Innerstaatliche Fluchtalternativen bestehen jedenfalls für einen Teil der somalischen Bevölkerung (ÖB 11.2022, Sitzung 12). Im Fall einer nicht durch individuelle Verfolgung begründeten Flucht aus von al Shabaab kontrollierten Gebieten bieten urbane Zentren und ländliche Gebiete unter staatlicher Kontrolle relativ größere Sicherheit. Dabei ist es schwierig, relativ sichere Zufluchtsgebiete pauschal festzulegen, denn je nach Ausweichgrund und persönlichen Umständen ist eine Person möglicherweise in einem anderen Gebiet Somalias dann von anderen Menschenrechtsverletzungen oder Verletzungen des humanitären Völkerrechts bedroht. Die soziale und wirtschaftliche Integration in „clanfremden“ Gebieten kann zum Teil schwierig sein (AA 28.6.2022, Sitzung 20).

Menschen aus Süd-/Zentralsomalia können sich auch in Somaliland und Puntland ansiedeln. Dort werden sie jedoch nur "halb" akzeptiert, in Somaliland kommen ihnen keine Staatsbürgerrechte zu (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25f). Trotzdem herrscht in Somaliland und Puntland (außer in den umstrittenen Gebieten) mehr Freiheit (AA 28.6.2022, Sitzung 20). Üblicherweise genießen Somalis außerdem den Schutz ihres eigenen Clans, weshalb man davon ausgehen kann, dass sie in Gebieten, in denen ihr Clan Einfluss genießt, grundsätzlich in Sicherheit sind (ÖB 11.2022, Sitzung 12). Selbst IDPs tun sich bei einer Integration leichter, wenn sie z. B. in Mogadischu über Beziehungen und Clanverbindungen verfügen. Manchmal helfen bei einer Integration auch spezielle berufliche Fähigkeiten (FIS 7.8.2020, Sitzung 36). Zudem gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. In Mogadischu und anderen großen Städten ist es nicht automatisch nachvollziehbar, welchem Clan eine Person angehört (LI 4.4.2016, Sitzung 9). Dort leben Angehörige aller somalischen Clans, sie können sich dort frei bewegen und auch niederlassen (FIS 7.8.2020, Sitzung 39).

Generell hat die Binnenmigration seit 2012 stark zugenommen, v. a. der Zuzug in urbane Gebiete. Menschen erhoffen sich in der Stadt eine bessere Zukunft und bessere Lebensbedingungen als etwa auf dem Land, wo wiederkehrende Dürren und Überschwemmungen ein nomadisches oder landwirtschaftliches Leben schwer gemacht haben (FIS 7.8.2020, Sitzung 36; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 16/24). Immer mehr Menschen flüchten und kommen nach Mogadischu (TG 8.6.2022 - The Guardian / Mohamed Ahmed, Fathi (8.6.2022): Mogadishu shops shuttered as soaring food prices add to desperation in Somalia).

1.3.7.1. Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch Straßensperren der al Shabaab

Al Shabaab bleibt auch weiterhin die größte Bedrohung hinsichtlich Bewegungsfreiheit entlang von Hauptversorgungsrouten in Süd-/Zentralsomalia. Die Gruppe verwendet entlang dieser Straßen Sprengsätze und legt Hinterhalte. Manchmal placiert al Shabaab Sprengsätze auch deswegen, um dadurch den Verkehr auf Straßen umzulenken, an welchen sie Checkpoints unterhält, wo Gebühren eingehoben werden (UNSC 6.10.2021).

Al Shabaab kontrolliert den Ort Leego an der Straße zwischen Wanla Weyne und Buur Hakaba (BMLV 9.2.2023). Damit ist die Route von Mogadischu nach Baidoa für Zwecke der Regierung geschlossen; diese gilt auch für die Hauptversorgungsroute nach Baraawe (Bryden 8.11.2021 - Bryden, Matt / The Elephant (8.11.2021): Fake Fight: The Quiet Jihadist Takeover of Somalia). Die Verbindung von Mogadischu nach Belet Weyne ist hingegen offen, die Zahl an Reisebewegungen auf dieser Route ist zuletzt stark angestiegen (BMLV 9.2.2023). Der Teil von Buulo Barde nach Belet Weyne wurde gesäubert, und damit ist diese Hauptverbindungsstraße nach 13 Jahren wieder frei (GN 21.9.2022 - Goobjoog News (21.9.2022): SNA clears main road previously under Al-Shabaab control for the last 13 years). Die Route von Belet Weyne nach Dhusamareb ist weitgehend sicher (BMLV 9.2.2023). Al Shabaab kontrolliert etwa auch an der Hauptversorgungsroute von Kismayo nach Dhobley (UNSC 10.10.2022, Absatz 41,). Al Shabaab verfügt an allen Ausfallstraßen aus Kismayo – sowohl in Richtung Jamaame, als auch in Richtung Dhobley oder Kolbiyow – über Checkpoints (GITOC 8.12.2022). Generell kann es an den Straßenverbindungen in der Region Lower Juba zu Übergriffen durch al Shabaab kommen. Dies gilt auch in der Region Gedo für die Verbindungen südlich von Garbahaarey. Dahingegen kommt es im Gebiet zwischen Doolow und Luuq nur selten zu Zwischenfällen. In Bakool kommt es entlang der Verbindungsstraßen zwischen Waajid, Yeed und Ceel Barde nur selten zu Zwischenfällen. Die Verbindungen von und nach Xudur unterliegen wiederkehrenden Angriffen von al Shabaab (BMLV 9.2.2023), Xudur ist von al Shabaab eingekreist (BMLV 9.2.2023; vergleiche PGN 2.2021, Sitzung 12 - Political Geography Now (2.2021): Somalia Control Map & Timeline - February 2021). In Bay bzw. Lower Shabelle kann es an der Route von Baidoa nach Mogadischu zu Übergriffen durch unterschiedliche Akteure kommen. Al Shabaab hat Zugriff auf die gesamte Straße, sie kontrolliert die Verbindung von Baidoa nach Buur Hakaba und weiter nach Bali Doogle. Rund um Baidoa betreibt die Gruppe Straßensperren (BMLV 9.2.2023).

In ganz Süd-/Zentralsomalia gibt es Straßensperren (Checkpoints), an welchen Fahrzeuge aufgehalten und Personen kontrolliert werden. Prinzipiell geht es an einer Straßensperre um die Einhebung von Wegzoll (LI 28.6.2019, Sitzung 8), wobei die Höhe des Zolls mitunter willkürlich ist. Es gibt permanente und ad hoc Straßensperren, betrieben von Sicherheitskräften, al Shabaab oder Clanmilizen (LI 28.6.2019, Sitzung 8; vergleiche USDOS 12.4.2022, Sitzung 24f). Häufig kommt es an Checkpoints zwischen Clanmilizen, aber auch mit und unter staatlichen Einheiten, die sich um die Kontrolle und um Einnahmen streiten, zu kämpfen (AA 28.6.2022, Sitzung 9).

Das Netzwerk an Straßensperren bzw. Checkpoints bleibt stabil, es ist auch für einen großen Teil der Einnahmen von al Shabaab verantwortlich. Die Gruppe betreibt über 100 Checkpoints in Süd-/Zentralsomalia (UNSC 10.10.2022, Absatz 41 f,). In ländlichen Gebieten der gesamten Südhälfte Somalias ist jederzeit mit spontan errichteten Checkpoints der al Shabaab zu rechnen (AA 17.5.2022 - Auswärtiges Amt [Deutschland] (17.5.2022): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung). Al Shabaab kontrolliert die Versorgungsrouten zwischen den meisten Städten (BS 2022, Sitzung 6). Außerhalb der tatsächlich von der Regierung und ihren Alliierten kontrollierten Gebieten besteht eine große Wahrscheinlichkeit, auf eine Straßensperre von al Shabaab zu stoßen (LI 28.6.2019, Sitzung 4/10). Straßensperren zielen in erster Linie auf die Einhebung von Steuern und Abgaben (BS 2022, Sitzung 6; vergleiche LI 28.6.2019, Sitzung 9f) ab, und in zweiter Linie darauf, Spione zu identifizieren. Generell ist es weder Ziel von al Shabaab, Menschen am Reisen zu hindern, noch sind Reisende selbst ein Ziel. Menschen können z. B. aus den Gebieten von al Shabaab in Städte reisen, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen (LI 28.6.2019, Sitzung 9f). Ein Bericht über die „Besteuerung“ von Straßenverkehr und Gütern an Checkpoints der al Shabaab zeigt, dass der Verkehr in Süd-/Zentralsomalia aus, in und durch das Territorium der al Shabaab möglich ist. Die Studie dokumentiert mehr als 800 Fahrzeuge, die im Zeitraum Dezember 2020 bis Oktober 2021 in Lower und Middle Juba, Lower Shabelle, Bay, Bakool und Gedo unterwegs waren. Passagierfahrzeuge müssen an Straßensperren der al Shabaab nur einen vergleichsweise geringen Betrag abführen (GITOC 8.12.2022).

Allerdings verhält sich al Shabaab an Straßensperren unberechenbar. Menschen können nie voraussehen, wie sie dort behandelt werden. Gebühren werden eingehoben, die Identität aller Reisenden wird verifiziert. Al Shabaab kennt den Hintergrund vieler Menschen, ihr Nachrichtendienst ist effizient (FIS 7.8.2020, Sitzung 28). Wenn also eine Person in eine solche Kontrolle gerät, und über diese Person im Rahmen der ausführlichen Netzwerke der al Shabaab eine Meldung vorliegt, dass diese Person z. B. vor ein paar Monaten negativ aufgefallen ist, dann kann dies zu Repressalien führen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 40).

Angst vor al Shabaab müssen in erster Linie jene Reisenden haben, die öffentlich Bedienstete sind oder die Verbindungen zur Regierung haben. Außerhalb größerer Städte können sie jederzeit auf eine Straßensperre von al Shabaab treffen (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 38). Sie befinden sich in Lebensgefahr. Dies gilt insbesondere an Straßensperren in jenen Gebieten, die nicht vollständig unter Kontrolle von al Shabaab stehen. Dort dürfen Spione standrechtlich – ohne Verfahren – exekutiert werden. In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab werden Verdächtige i.d.R. verhaftet und vor Gericht gestellt. Auch dies hat - bei einem Schuldspruch - den Tod zur Folge. Außerdem kann es Personen treffen, die von al Shabaab – etwa wegen des Mitführens von bestimmten Objekten (Smartphones, Regierungsdokumente, Symbole, die mit der Regierung assoziiert werden etc.) – als mit der Regierung in Zusammenhang stehend oder als Spione verdächtigt werden (LI 28.6.2019, Sitzung 9f). Auch Reisende, die im Gebiet der Reisebewegung weder über Familien- noch Clanverbindungen verfügen, können von al Shabaab unter Umständen als Spione verdächtigt werden (außer sie haben einen Bürgen). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Reiseziel der Person im von der al Shabaab kontrollierten Gebiet liegt (LI 28.6.2019, Sitzung 4/11).

Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit al Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor – etwa Auspeitschen (LI 28.6.2019, Sitzung 11). Reisende passen sich daher üblicherweise den Kleidungs- und Verhaltensvorschriften von al Shabaab an, um nicht herauszustechen (LI 28.6.2019, Sitzung 4).

1.3.7.2. Luftweg

Die sicherste Arte des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen (FIS 7.8.2020, Sitzung 29; vergleiche LI 28.6.2019, Sitzung 6f). Regierungsvertreter nutzen das Flugzeug, wo es nur geht (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 38).

Einen regelmäßigen internationalen Direktflugverkehr nach Mogadischu gibt es aus Istanbul, Addis Abeba, Nairobi, Doha und Entebbe (AQ9 1.2022 - Anonyme Quelle 9 (1.2022): Bei der Quelle handelt es sich um eine Migrationsanalyse). Darüber hinaus fliegen regionale Fluglinien, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und private Chartermaschinen Mogadischu aus Nairobi regelmäßig an (AA 18.4.2021, Sitzung 24). Von Bossaso (Puntland) aus wird Addis Abeba und Dubai angeflogen, von Garoowe (Puntland) Addis Abeba und Nairobi (AQ9 1.2022). Für Rückführungen somalischer Staatsbürger wurden vor der COVID-19-Pandemie die Verbindungen der Turkish Airlines via Istanbul bzw. via Nairobi mit Jubba Airways bevorzugt. Bei Ersterer erfolgte meist eine polizeiliche Eskortierung bis Mogadischu, bei Letzterer nur bis Nairobi, da die Fluglinie sich dann gegen die Zahlung einer Gebühr um die Sicherheit kümmerte (AA 18.4.2021, Sitzung 24).

Von Mogadischu aus können Baidoa, Kismayo, Garoowe, Galkacyo, Bossaso, Cadaado und Guri Ceel mit Linienflügen erreicht werden (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 39). Anbieter ab Mogadischu gibt es auch für Flüge nach Cabudwaaq, Belet Weyne und Dhobley (EASO 9.2021a). Die Kosten für ein One-Way-Ticket im Binnenflugverkehr belaufen sich auf 100-150 US-Dollar (FIS 7.8.2020, Sitzung 29; vergleiche LI 28.6.2019, Sitzung 6f).

Eine effektive Ausreisekontrolle an den Grenzübergängen von Somalia in die Nachbarländer findet nicht statt. Sowohl die Landgrenze als auch die Seegrenze werden weitgehend nicht überwacht. Kontrollen werden dagegen bei Flugreisen ab Mogadischu, Garoowe und Bossaso durchgeführt (AA 28.6.2022, Sitzung 26).

1.3.8. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge in Süd- und Zentralsomalia

Die somalische Regierung arbeitet mit dem UNHCR und IOM zusammen, um Flüchtlinge, zurückkehrende Flüchtlinge, Asylwerber, Staatenlose und andere relevante Personengruppen zu unterstützen. Der UNHCR setzt sich für den Schutz von IDPs ein und gewährt etwas an finanzieller Unterstützung (USDOS 12.4.2022, Sitzung 25f).

Rund 2,9 Millionen Menschen gelten als intern Vertriebene (UNSC 13.5.2022, Absatz 38,). Im Jahr 2022 wurden mehr als 1,8 Millionen Menschen neu vertrieben (2021: 874.000), davon flohen 607.000 vor Konflikten (2021: 544.000) und 1,179.000 in Zusammenhang mit der anhaltenden Dürre (2021: 245.000). Überflutungen stellten 2022 so gut wie keine Quelle an IDPs dar (UNHCR 31.12.2022 - UN High Commissioner for Refugees (31.12.2022): Somalia - Internal Displacements Monitored by Protection & Return Monitoring Network (PRMN) - December 2022).

Es gibt mehr als 2.400 IDP-Lager in Somalia (UNOCHA 10.2.2022 - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (10.2.2022): Somalia Humanitarian Bulletin, January 2022). Die Migration vom Land in die Stadt hat zu einem enormen und unregulierten Städtewachstum geführt. Hinsichtlich der IDP-Zahlen müssen zwei Faktoren berücksichtigt werden: Einerseits gibt es für Somalia keine Zahlen zur "normalen" Urbanisierung. Andererseits werden i.d.R. nur jene IDPs gezählt, die in Lagern wohnen. Mitglieder großer Clans kommen aber üblicherweise bei Verwandten unter und leben daher nicht in Lagern (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 16/26f).

In Städten wurde die Urbanisierung durch den Zuzug vieler IDPs verstärkt. Dies hat zu einer hohen Nachfrage nach Land aber auch zu nochmaligen Zwangsräumungen geführt (SPC 9.2.2022). So leben etwa in Baidoa mittlerweile mindestens 600.000 Vertriebene - deutlich mehr als die Stadt Einwohner hat. Somalia verzeichnet eine der höchsten Urbanisierungsraten der Welt, und manche bezeichnen Baidoa als die am schnellsten wachsende Stadt Afrikas – wegen der Dürre (Spiegel 24.9.2022 - Spiegel.de / Heiner Hoffmann (24.9.2022): „Es gibt kein Leben mehr in dieser Gegend“).

Allerdings ist die Zahl dieser Zwangsräumungen seit 2019 rückläufig (SPC 9.2.2022). Im ersten Quartal 2022 wurden ca. 31.000 IDPs zwangsweise vertrieben (UNOCHA 12.4.2022 - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (12.4.2022): Somalia Humanitarian Bulletin, March 2022). Zehntausende IDPs wurden auch 2021 vertrieben - v.a. in Mogadischu (HRW 13.1.2022). Im Jahr 2020 waren es insgesamt 143.000 gewesen - zwei Drittel davon im Großraum Mogadischu, außerdem auch in Baidoa und Kismayo. Insgesamt bleiben Zwangsräumungen von IDPs und armer Stadtbevölkerung ein Problem (AA 28.6.2022, Sitzung 22). Bewohner von Lagern leben daher in ständiger Ungewissheit, da sie immer eine Zwangsräumung befürchten müssen (FIS 7.8.2020, Sitzung 37). Die Mehrheit der betroffenen Menschen zog in der Folge in entlegene und unsichere Außenbezirke der Städte, wo es lediglich eine rudimentäre bzw. gar keine soziale Grundversorgung gibt (AA 28.6.2022, Sitzung 22).

Generell befinden sich derartige Relocation Areas am Stadtrand oder sogar weit außerhalb der jeweiligen Stadt. Allerdings bieten diese Lager wesentlich bessere Unterkünfte - etwa Häuser aus Wellblech oder sogar Stein (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 21).

Ende 2019 hat die Bundesregierung die Konvention der Afrikanischen Union zum Schutz von IDPs ratifiziert. Die Regionalverwaltung von Benadir (BAR) hat ein Büro für nachhaltige Lösungen für IDPs geschaffen. Auch eine nationale IDP-Policy wurde angenommen. Im Jänner 2020 präsentierte die BAR eine Strategie für nachhaltige Lösungen (UNOCHA 6.2.2020 - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (6.2.2020): Somalia Humanitarian Bulletin, 1 January – 6 February 2020, Sitzung 4; vergleiche RI 12.2019 - Refugees International (12.2019): Durable Solutions in Somalia, Moving from Policies to Practice for IDPs in Mogadishu, Sitzung 11f). Diesbezüglich wurden nationale Richtlinien zur Räumung von IDP-Lagern erlassen. Insgesamt sind dies wichtige Schritte, um die Rechte von IDPs zu schützen und nachhaltige Lösungen zu ermöglichen (RI 12.2019, Sitzung 4).

1.3.8.1. Menschenrechtsverletzungen in IDP-Lagern

IDPs sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nicht-staatlichen – aber auch staatlichen – Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkung und Diskriminierung aufgrund von Clanzugehörigkeit sind an der Tagesordnung (AA 28.6.2022, Sitzung 22; vergleiche UNSC 13.5.2022, Absatz 38,). Dies trifft in erster Linie Bewohner von IDP-Lagern – in Mogadischu v.a. jene IDPs, die nicht über Clanbeziehungen in der Stadt verfügen (FIS 7.8.2020, Sitzung 36).

Für IDPs in Lagern gibt es keinen Rechtsschutz, und es gibt in Lagern auch keine Polizisten, die man im Notfall alarmieren könnte (FIS 7.8.2020, Sitzung 36).

In Mogadischu sind die Bedingungen für IDPs in Lagern hart. Oft fehlt es dort an simplen Notwendigkeiten, wie etwa Toiletten (FIS 7.8.2020, Sitzung 36). Landesweit fehlen in 80 % der IDP-Lager Wasserstellen – v. a. in Benadir, dem SWS und Jubaland (UNOCHA 1.2021 - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (1.2021): Somalia Humanitarian Bulletin, January 2021, Sitzung 5). Die Rate an Unterernährung ist hoch, der Zugang zu grundlegenden Diensten eingeschränkt (RI 12.2019, Sitzung 9). Es mangelt ihnen zumeist an Zugang zu genügend Lebensmitteln und akzeptablen Unterkünften (ÖB 11.2022, Sitzung 13). Allerdings ist der Zustand von IDP-Lagern unterschiedlich. Während die neueren meist absolut rudimentär sind, verfügen ältere Lager üblicherweise über grundlegende Sanitär-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen (FIS 7.8.2020. Sitzung 36). Oft wurde dort auch eine Nachbarschaftshilfe aufgebaut (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Trotzdem werden noch weniger Kinder von IDPs eingeschult, als es schon bei anderen Kindern der Fall ist (USDOS 12.4.2022, Sitzung 42).

1.3.9. Arbeitsmarkt

Es gibt kein nationales Mindesteinkommen. Ca. 95 % der Berufstätigen arbeiten im informellen Sektor (USDOS 12.4.2022, Sitzung 48). In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund sowie vom Ort ab (BS 2022, Sitzung 30).

Einerseits wird berichtet, dass die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge und zurückkehrende Flüchtlinge in Süd-/Zentralsomalia limitiert sind. So berichten etwa Personen, die aus Kenia zurückgekehrt sind, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 27). Andererseits wird ebenso berichtet, dass die besten Jobs oft an Angehörige der Diaspora fallen – etwa wegen besserer Sprachkenntnisse (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f).

Am Arbeitsmarkt spielen Clanverbindungen eine Rolle (USDOS 12.4.2022, Sitzung 48). Gerade, um eine bessere Arbeit zu erhalten, ist man auf persönliche Beziehungen und das Netzwerk des Clans angewiesen. Dementsprechend schwer tun sich IDPs, wenn sie vor Ort über kein Netzwerk verfügen; meist sind sie ja nicht Mitglieder der lokalen Gemeinde (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f).

Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen (DI 6.2019, Sitzung 22f; vergleiche OXFAM 6.2018 - OXFAM / REACH (6.2018): Drought, Displacement and Livelihoods in Somalia/Somaliland. Time for gender-sensitive and protection-focused approaches, Sitzung 10).

Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden (OXFAM 6.2018, Sitzung 10); außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise (DI 6.2019, Sitzung 22f).

Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem wird von Ausbeutung und Unterbezahlung berichtet (OXFAM 6.2018, Sitzung 10).

An Arbeitstätigkeiten genannt werden: Träger am Bau; Arbeiten am Hafen (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f) Köhler; Hilfsarbeiter am Bau; Koranlehrer; Rickshaw-Fahrer; Transporteur mit einer Eselkarre; Transporteur mit einer Scheibtruhe (Khalil 1.2019, Sitzung 30). Arzt; Krankenschwester (FIS 5.10.2018, Sitzung 36); Universitätslektor (TG 8.6.2022); angestellte und selbstständige Überlandfahrer; Fleischverkäufer (RE 18.2.2021 - Radio Ergo (18.2.2021): Conflict along Hiran-Galmudug road affects jobs and local markets); Magd; Hausangestellte; Wäscherin; Marktverkäuferin. In der Verwaltung sind nur wenige Stellen verfügbar, besser stellt sich die Situation bei Polizei und Armee dar. Viele Menschen leben vom Kleinhandel oder von ihrer Arbeit in Restaurants oder Teehäusern. Allerdings ist eine Arbeit in der Gastwirtschaft mit niedrigem Ansehen verbunden. Die Mehrheitsbevölkerung ist derartige Tätigkeiten sowie jene auf Baustellen äußerst abgeneigt. Dort finden sich vielmehr marginalisierte Gruppen – z. B. IDPs – die oft auch als Tagelöhner arbeiten. Weibliche IDPs arbeiten als Mägde, Hausangestellte oder Wäscherinnen. Manche verkaufen Früchte auf Märkten (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Durch den Niedergang der Landwirtschaft, der maßgeblich durch die Dürre verursacht worden ist, ist auch die Nachfrage nach Arbeitskräften in der Landwirtschaft gesunken bzw. haben sich die Löhne dort verringert (IPC 4.6.2022 - Integrated Food Security Phase (4.6.2022): Somalia Updated IPC and Famine Risk Analysis Technical Release - 4th June 2022).

IOM berichtet aus Mogadischu, dass dort für ungelernte Arbeitskräfte Jobs zur Verfügung stehen - etwa als Reinigungskraft, Träger oder im Zustelldienst, als Ziegelmacher, Wäscherin oder auch als Buchhalter. Oft werden derartige Jobs aber von Arbeitgebern an eigene Verwandte vergeben. Zu finden sind Jobs meist über die eigene Verwandtschaft oder persönliche Netzwerke. (IOM 2.3.2023 - Internationale Organisation für Migration (2.3.2023): Information on the socio-economic situation in Somalia/Somaliland; Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation)

Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch (USDOS 12.4.2022, Sitzung 27). Nach Angaben einer Quelle hat sich die Arbeitslosigkeit - und damit auch die Armut - infolge der Covid-19-Pandemie verstärkt. 21 % mussten ihre Arbeit niederlegen; und das, obwohl nur 55 % der Bevölkerung überhaupt am Arbeitsmarkt teilnehmen. 78 % der Haushalte berichteten über einen Rückgang des Einkommens (WB 6.2021, Sitzung 23).

Eine Quelle erklärte 2016, dass 58 % der männlichen Jugendlichen (Altersgruppe 15-35) ökonomisch aktiv waren, während drei von zehn Jugendlichen arbeitslos waren (UNFPA 8.2016 - UN Population Fund (8.2016): Somali youth in figures - better data, better lives, Sitzung 4). In einer anderen Quelle wird die Arbeitslosenrate für 2020 mit 13,1 % angeführt (BS 2022, Sitzung 23); die Weltbank nennt für das Jahr 2021 für ganz Somalia eine Arbeitslosenquote bei der Erwerbsbevölkerung von 19,9 % (WB 2022 - Weltbank (2022): World Bank - Data, Unemployment, total (% of total labor force) (modeled ILO estimate) - Somalia). Eine weitere Quelle nannte 2018 bei 15-24-Jährigen eine Quote von 48 % (OXFAM 6.2018, Sitzung 22, FN8) und die österreichische Botschaft in Nairobi erklärt, dass unterschiedliche Quellen unterschiedliche Kriterien verwenden und die Schätzungen zwischen 19,9 % und 47,4 % schwanken (ÖB 11.2022, Sitzung 15). Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben hingegen nur 14,3 % der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6 %, Kismayo 13 %, Baidoa 24 %) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von „arbeitslos“ unklar ist (z.B. informeller Sektor) (IOM 2.2016 - Internationale Organisation für Migration (2.2016): Youth, Employment and Migration in Mogadishu, Kismayo and Baidoa).

Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, kleine Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar (BS 2022, Sitzung 25f). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1 %). 6,9 % arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8 % als Handwerker, 4,7 % als Techniker, 4,1 % als Hilfsarbeiter und 2,3 % als Manager (UNFPA 2016, Sitzung 22).

Die Mehrheit der IDPs verdingt sich als Tagelöhner. Männer gehen häufig auf Baustellen - die Städte werden ja wieder aufgebaut und daher braucht es auch viele Tagelöhner. Die begehrtesten Jobs sind jene auf Baustellen, wo der Verdienst höher ist als in anderen Bereichen. Es gibt auch viele Kleinstunternehmer beiderlei Geschlechts. Dabei bekommen die Menschen nicht immer einen Job, sie arbeiten z. B. nur 2-3 Tage in der Woche. Daneben gibt es humanitäre Hilfe, aber damit sind die Menschen nicht ausreichend versorgt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23).

In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60 %) und von Verwandten im Ausland (27 %) versorgt zu werden (IOM 2.2016, Sitzung 42f).

Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/32f; vergleiche GIGA 3.7.2018) bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen – z. B. bei Krankenkosten – und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus (GIGA 3.7.2018). Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z. B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 9/32ff). Erweiterte Familie und Clan stellen also das grundlegende soziale Sicherheitsnetz dar (BS 2022, Sitzung 29).

1.3.10. Klimawandel

Somalia ist hinsichtlich des Klimawandels das am zweitstärksten vulnerable Land der Welt (TRT 10.8.2023 - TRT World (10.8.2023): Why Somalia needs long-term planning to battle the crippling climate crisis) und ist dementsprechend als Frontstaat zu bezeichnen. Das Land hat in Ostafrika bislang den größten Temperaturanstieg zu verzeichnen (HIPS 8.2.2022; vergleiche DW 17.6.2022 - Deutsche Welle (17.6.2022): Somalia faces grim humanitarian catastrophe). Seit 1990 war das Land mehr als 30 klimabedingten Gefahren ausgesetzt, darunter Dürren und Überschwemmungen. Das ist eine Verdreifachung gegenüber dem Zeitraum zwischen 1970 und 1990 (UN OCHA 23.11.2023).

Schon im Rahmen der Gu-Regenzeit kam es zu Überschwemmungen in Hiiraan, Middle Shabelle und Lower Shabelle. Schwere Sturzfluten verursachten in Teilen von Gedo, Bay und Bakool sowie in Teilen der nordwestlichen Regionen schwere Schäden. Menschen mussten flüchten, es kam zu erheblichen Ernteverlusten sowie Einkommensverlusten aus der landwirtschaftlichen Beschäftigung (FSNAU 18.9.2023b - Food Security and Nutrition Analysis Unit Somalia (18.9.2023b): Somalia IPC Acute Food Insecurity Malnutrition Report, Aug Dec 2023; vergleiche SOYDA 4.9.2023). Pastoralistische Haushalte in Nord- und Zentralsomalia werden mehrere Saisonen brauchen, bis sie sich von den Verlusten der jüngeren Vergangenheit erholt haben (IPC 28.2.2023).

Überschwemmungen und Dürre stellen für Somalia kein neues Phänomen dar. Immer spielt Wasser eine Rolle: Entweder gibt es zu viel davon, oder zu wenig. Derartige Katastrophen ereignen sich seit Jahrzehnten. Im Zuge der Dürre im Jahr 1973 in Nordsomalia wurden mehr als 100.000 Familien nach Lower Shabelle und in die Juba-Regionen übersiedelt. Bei der Hungersnot in den Jahren 1991-1992 starben 300.000 Menschen, im Jahr 2011 mehr als 260.000 - die Hälfte davon Kinder unter fünf Jahren (Ali/TEL 28.1.2022 - The Elephant (Herausgeber), Hodan Ali (Autor) (28.1.2022): Somalia’s Famines, Government Apathy and the Aid Industry).

Generell sind somalische Haushalte aufgrund von Naturkatastrophen, Epidemien, Verletzung oder Tod für Notsituationen anfällig. Mangelnde Bildung, übermäßige Abhängigkeit von landwirtschaftlichem Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit, geringer Wohlstand und große Haushaltsgrößen tragen weiter dazu bei (ÖBN 11.2022). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Die Ausmaße der historische Dürre sowie der anhaltende Konflikt mit al Shabaab verschärfen dieses Problem (AA 15.5.2023). Öffentliche Dienste gibt es kaum, meist finden sich Angebote wie Wasser- und Stromversorgung sowie Bildung und Gesundheitsdienste bei privaten Dienstleistern. Für viele Menschen sind derartige Dienste nur schwer oder gar nicht zugänglich (BS 2022a).

Weite Teile der Bevölkerung in Somalia leiden unter Armut und Ernährungsunsicherheit. Die Weltbank schätzt, dass 71 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag sowie 10 % knapp darüber leben. Besonders stark und weit verbreitet ist Armut in ländlichen Gebieten und in den Siedlungen von Binnenvertriebenen (ÖBN 11.2022). Es gibt viele IDPs und Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten (USDOS 20.3.2023).

Zwei Drittel der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Sie sind absolut vom Regen abhängig. In den vergangenen Jahren haben Frequenz und Dauer von Dürren zugenommen. Deswegen wurde auch die Kapazität der Menschen, derartigen Katastrophen zu begegnen, reduziert. Mit jeder Dürre wurden ihre Vermögenswerte reduziert: Tiere starben oder wurden zu niedrigen Preisen verkauft, Ernten blieben aus; es fehlte das Geld, um neues Saatgut anzuschaffen (Guardian 8.7.2019 - Guardian - The Guardian (8.7.2019): In Somalia, the climate emergency is already here. The world cannot ignore it).

Die Zahl der Menschen, die in Somalia humanitäre Hilfe benötigen, ist im Laufe der Jahre stetig gestiegen, von 5,2 Millionen im Jahr 2020 auf 5,9 Millionen im Jahr 2021; von 7,7 Millionen im Jahr 2022 auf derzeit 8,25 Millionen Menschen im Jahr 2023 (SOYDA 4.9.2023 - Somali Young Doctors Association (4.9.2023): Monthly Progressive Narrative Report).

Ohne humanitäre Hilfe würden mehr Menschen an Hunger sterben (IR 30.8.2023). Aber auch die humanitären Organisationen stoßen auf Grenzen und haben nicht genügend Ressourcen, um allen zu helfen (IR 30.8.2023; vergleiche AA 15.5.2023). Die Sicherheitslage beeinträchtigt die Arbeit humanitärer Kräfte. Ca. 740.000 Menschen in von nicht-staatlichen Gruppen kontrollierten Gebieten können nur schwerlich an humanitäre Hilfe gelangen (UNSC 1.9.2022b).

Selbst in Mogadischu haben nicht alle IDPs Zugang zu Nahrungsmittelhilfe (RE 11.11.2022 - Radio Ergo (11.11.2022): Women and children fleeing Somali villages wracked by drought and conflict to find no aid in Mogadishu IDP camps; vergleiche NPR 23.12.20222 - National Public Radio (23.12.2022): This is what displaced Somalians want you to know about their humanitarian crisis). Anfang 2023 konnten fast 90 % der IDPs in Mogadischu, Garoowe, Hargeysa und Burco können ihre Grundbedürfnisse nicht abdecken (UN OCHA 1.3.2023).

Neben Familie und Clan helfen hierbei auch andere soziale Verbindungen – seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z.B. Unterkunft und Nahrung finden können (DI 1.6.2019).

1.3.11. Rückkehrspezifische Grundversorgung

Insgesamt haben 59 % der Rückkehrerhaushalte angegeben, dass ihr Einkommen nicht ausreicht. Dies wird zu 43 % auf mangelnde Jobmöglichkeiten zurückgeführt. Die meisten Rückkehrer leben von Einkommen als Taglöhner oder als Selbstständige sowie von humanitärer Hilfe (UNHCR 22.3.2022 - UN High Commissioner for Refugees (22.3.2022): Somalia, Post Return Monitoring Snapshot, PRM Round 7, February 2022).

Nach Angaben einer Quelle ist Somalia auf eine Rückkehr von Flüchtlingen in großem Ausmaß nicht vorbereitet, und es kann davon ausgegangen werden, dass sich ein erheblicher Teil der Rückkehrer als IDPs wiederfinden wird (ÖB 11.2022, Sitzung 14).

Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z. B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/31f). Jedenfalls versucht die Mehrheit der Rückkehrer in eine Region zu kommen, wo zumindest Mitglieder ihres Clans leben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24), denn eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden (ÖB 11.2022, Sitzung 14).

Nach anderen Angaben ist es bei einer Rückkehr weniger entscheidend, ob jemand Verwandte hat oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, wie diese persönlichen Verwandtschaftsbeziehungen funktionieren und ob sie aktiv sind, ob sie gepflegt wurden. Denn Solidarität wird nicht bedingungslos gegeben. Wer sich lange nicht um seine Beziehungen gekümmert hat, wer einen (gesellschaftlichen) Makel auf sich geladen hat oder damit behaftet ist, der kann - trotz vorhandener Verwandtschaft - nicht uneingeschränkt auf Solidarität und Hilfe hoffen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 39f). Laut Angestellten von IOM in Somaliland würde ein Rückkehrer ohne Beziehungen oder Kontakten in Hargeysa in der Stadt trotzdem mit Wasser, Nahrung und Unterkunft versorgt werden. Dies erfolgt informell und aus Gründen der Gastfreundschaft und anderen kulturellen Werten. Die Verfügbarkeit derartiger kulturell bedingter Unterstützung kann aber weder geplant werden, noch ist diese längerfristig garantiert (IOM 2.3.2023).

Auch in Mogadischu sind Freundschaften und Clannetzwerke sehr wichtig. Zur Aufnahme kleinerer oder mittelgroßer wirtschaftlicher Aktivitäten ist aber kein Netzwerk notwendig (FIS 7.8.2020, Sitzung 39). Insgesamt herrschen am Arbeitsmarkt Nepotismus und Korruption (SIDRA 6.2019a, Sitzung 5).

1.3.12. Medizinische Versorgung

Das somalische Gesundheitssystem ist das zweitfragilste weltweit (WB 6.2021, Sitzung 32). Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft (AA 28.6.2022, Sitzung 24) und nicht durchgängig gesichert (AA 17.5.2022). Die Infrastruktur bei der medizinischen Versorgung ist minimal und beschränkt sich meist auf Städte und sichere Gebiete. Die Ausrüstung reicht nicht, um auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung ausreichend abdecken zu können. Es mangelt an Geld, Personal, Referenzsystemen, Diagnoseeinrichtungen, an Ausbildungseinrichtungen, Regulierungen und Managementfähigkeiten (HIPS 5.2020, Sitzung 38).

Insgesamt zählt die Gesundheitslage zu den schlechtesten der Welt (ÖB 11.2022, Sitzung 16). Die durchschnittliche Lebenserwartung ist zwar von 45,3 Jahren im Jahr 1990 auf heute 57,1 Jahre beträchtlich gestiegen, bleibt aber immer noch niedrig (WB 6.2021, Sitzung 29). Erhebliche Teile der Bevölkerung haben keinen Zugang zu trinkbarem Wasser oder zu hinreichenden sanitären Einrichtungen (AA 28.6.2022, Sitzung 24); daran sterben jährlich 87 von 100.000 Einwohnern (HIPS 5.2020, Sitzung 24).

Es mangelt an Personal für die medizinische Versorgung. Besonders akut ist der Mangel an Psychiatern, an Technikern für medizinische Ausrüstung und an Anästhesisten. Am größten aber ist der Mangel an einfachen Ärzten (HIPS 5.2020, Sitzung 42).

In ganz Somalia gibt es elf öffentliche und 50 andere Spitäler. In Mogadischu gibt es demnach vier öffentliche und 46 andere Gesundheitszentren (FIS 7.8.2020, Sitzung 31). Jedenfalls müssen Patienten oft lange Wegstrecken zurücklegen, um an medizinische Versorgung zu gelangen (HIPS 5.2020, Sitzung 39).

In Mogadischu gibt es mindestens zwei Spitäler, die für jedermann zugänglich sind. In manchen Spitälern kann bei Notlage über die Ambulanzgebühr verhandelt werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 36).

Zudem sind die öffentlichen Krankenhäuser mangelhaft ausgestattet (AA 28.6.2022, Sitzung 24; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 31f), was Ausrüstung, medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht (AA 28.6.2022, Sitzung 24). Die am besten ausgerüsteten Krankenhäuser Somalias befinden sich in Mogadischu (SPA 31.8.2022). Der Standard von Spitälern außerhalb Mogadischus ist erheblich schlechter (FIS 5.10.2018, Sitzung 36). Die Mehrheit der Krankenhäuser bietet außerdem nicht alle Möglichkeiten einer tertiären Versorgung (HIPS 5.2020, Sitzung 38). Speziellere medizinische Versorgung – etwa Chirurgie – ist nur eingeschränkt verfügbar – in öffentlichen Einrichtungen fast gar nicht, unter Umständen aber in privaten. So werden selbst am Banadir Hospital – einem der größten Spitäler des Landes, das über vergleichsweise gutes Personal verfügt und auch Universitätsklinik ist – nur einfache Operationen durchgeführt (FIS 5.10.2018, Sitzung 35). Relativ häufig müssen daher Patienten von öffentlichen Einrichtungen an private verwiesen werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 31).

Versorgungs- und Gesundheitsmaßnahmen internationaler Hilfsorganisationen mussten auch immer wieder wegen Kampfhandlungen oder aufgrund von Anordnungen unterbrochen werden (AA 28.6.2022, Sitzung 24). Zudem mangelt es an Rettungsdiensten. So gibt es selbst in Mogadischu bei einer Bevölkerung von ca. drei Millionen Menschen nur zwei Krankenwagen, die kostenfrei Covid-19-Patienten transportieren (AI 29.3.2022).

Es gibt keine lokale Medikamentenproduktion, alle Medikamente werden importiert. Im Jahr 2014 gelangten 30 % der verfügbaren Medikamente durch Spenden der internationalen Gemeinschaft ins Land. Der Rest wird v.a. aus Indien, der Türkei, auch Ägypten und der VR China importiert (Sahan 12.9.2022).

1.3.13. Aktuelle Situation hinsichtlich Covid 19

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet.

Somalia ist eines jener Länder, dass hinsichtlich des Umgangs mit der Pandemie die geringsten Kapazitäten aufweist (UNFPA 12.2020, S.1). Covid-19-Testungen sind in Somalia so gut wie inexistent. Die offiziellen Todeszahlen sind niedrig, das wahre Ausmaß wird aber wohl nie wirklich bekannt werden (STC 4.2.2021). Die Zahl an Infektionen dürfte höher liegen, als offiziell bekannt. Viele potenziell Infizierte melden sich nicht, da sie eine gesellschaftliche Stigmatisierung fürchten (UNFPA 12.2020, S.1). Auch, dass es in Spitälern kaum Kapazitäten für Covid-19-Patienten gibt, ist ein Grund dafür, warum viele sich gar nicht erst testen lassen wollen – ein Test birgt für die Menschen keinen Vorteil (DEVEX 13.8.2020). Die informellen Zahlen zur Verbreitung von Covid-19 in Somalia und Somaliland sind um ein Vielfaches höher als die offiziellen.

IDPs wurden in den vergangenen Jahren vielerorts – aus Angst vor Ansteckung- von der Gastgemeinde gemieden. Dies hat auch zum Verlust von Arbeitsplätzen – z. B. als Haushaltshilfen – geführt (DEVEX 13.8.2020).

1.4. Zur Rückkehrsituation des BF

Dem BF ist gegenwärtig eine Rückkehr in den Herkunftsstaat- etwa nach römisch 40 - oder ein Zuzug nach römisch 40 - aufgrund der aktuell prekären Versorgungslage vor dem Hintergrund der Wirtschaftslage im Herkunftsstaat nicht zumutbar, da er über kein soziales Netzwerk ebendort verfügt.

Es ist nicht davon auszugehen, dass er gegenwärtig bei einer Rückkehr durch seine aus dem römisch 40 stammenden Mutter, welche weder einem somalischen Clan angehört, noch Clanschutz genießt, bzw. seine nicht berufstätigen Schwestern Unterstützung erhalten können wird. Auch leben keine weiteren Angehörigen des BF im Herkunftsstaat, welche ihm Unterstützung bieten könnten.

Der BF läuft im Falle einer Rückkehr zum gegenwärtigen Zeitpunkt Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und folglich in eine existenzgefährdende Notlage zu geraten.

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person des BF

Mangels Vorlage eines entsprechenden Originaldokuments kann die Identität des BF nicht festgestellt werden, weshalb hinsichtlich des Namens römisch 40 und des Geburtsdatums römisch 40 lediglich Verfahrensidentität vorliegt (AS 91, Niederschrift der mündlichen Verhandlung: in der Folge; NSV Sitzung 8).

Dass der BF ein aus römisch 40 stammender, somalischer Staatsangehöriger römisch 40 Glaubens ist, wurde seitens der belangten Behörde festgestellt (AS 91). Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG haben sich diesbezüglich keine Zweifel ergeben (NSV. Sitzung 8; AS 15f, AS 77, AS 80). Aufgrund der phonetischen Ähnlichkeit von römisch 40 (AS 17) und römisch 40 (AS 77) bzw. römisch 40 , sowie römisch 40 , römisch 40 , und römisch 40 (AS 17) stellen die hierzu unterschiedlichen Schreibweisen im Akt keine Widersprüchlichkeiten in seinen Angaben dar.

Den Feststellungen des belangten Bescheides zu Zl. römisch 40 ist zu entnehmen, dass die Clanzugehörigkeit des BF nicht festgestellt werden könnte (AS 91). Vor dem Hintergrund der diesbezüglich widerspruchsfreien, detaillierten Angaben des BF ist nach einer Gesamtbetrachtung davon auszugehen, dass der BF ein Clangehöriger der römisch 40 ist (AS 33, AS 67, NSV S.18, S.32).

Seitens der belangten Behörde wurde weiters festgestellt, dass der BF im Herkunftsstaat eine Koranschule besucht hat (AS 91). Die Feststellung zu dem Schulbesuch des BF im Herkunftsstaat unter römisch II.1.1. folgen den diesbezüglich widerspruchsfreien und detaillierten Angaben des BF (AS 16, AS 79, NSV S.20). Der BF gab weiters glaubhaft an, keine Berufsausbildung genossen, jedoch eine römisch 40 durch seinen Vater erlernt zu haben (NSV Sitzung 13, 21). Es haben sich nach einer Gesamtbetrachtung seiner diesbezüglichen Angaben somit keine Hinweise ergeben, welche daran zweifeln ließen, dass der BF zwar keinen Beruf erlernt, jedoch seinen Lebensunterhalt unter anderem mittels beruflicher Tätigkeit in römisch 40 bestritten hat (NSV S.14).

Weiters konnte der BF glaubhaft schildern, dass seine aus dem römisch 40 stammende Mutter gegenwärtig mit den drei Schwestern des BF in römisch 40 aufhältig ist sowie mittels gelegentlichem Gemüseverkauf am Markt den Lebensunterhalt der Kernfamilie bestreitet, zumal der Vater des BF aktuell nicht im Herkunftsstaat aufhältig ist (NSV Sitzung 14).

Es haben sich keine Hinweise ergeben, an seinen Angaben, gesund zu sein, zu zweifeln (AS 74, NSV Sitzung 6). Medizinische Befunde wurden nicht vorgelegt (NSV Sitzung 7). Dass - wie in dem Beschwerdeschriftsatz angeführt (AS 264) - eine medizinische Kontrolle seines Knies erforderlich sei, hat der BF in der mündlichen Verhandlung bestritten (NSV Sitzung 6).

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage aus dem Strafregister der Republik Österreich (OZ 3).

2.2. Zum Fluchtvorbringen des BF

2.2.1. Die Feststellung, dass der BF aktuell keiner konkreten, asylrelevanten Verfolgung bzw. Bedrohung im Herkunftsstaat ausgesetzt ist, ergibt sich daraus, dass das Fluchtvorbringen des BF nicht glaubhaft ist.

2.2.2. In der Erstbefragung vom römisch 40 gab der BF im Wesentlichen an, Somalia verlassen zu haben, weil seine Volksgruppe römisch 40 eine Minderheit in Somalia sei und diskriminiert werde. Seine Frau gehöre der Volksgruppe römisch 40 an. Als ihre Familie von der Heirat erfahren habe, hätten diese ihn töten wollen. Weitere Fluchtgründe habe er nicht (AS 33)

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA gab der BF im Wesentlichen an, im Herkunftsstaat aufgrund seiner Clanzugehörigkeit Probleme gehabt zu haben (AS 67). Auch habe es Probleme in seiner Arbeit gegeben (AS 69). Weiters bestünden Probleme mit der Familie seiner Ehefrau, weil diese als Clanangehörige der römisch 40 nicht gewollt hätten, dass der BF seine Ehefrau heirate. Sie hätten den BF im römisch 40 im römisch 40 in römisch 40 festgenommen, gefoltert und töten wollen (AS 69). Weiters schilderte der BF auch, dass am Tag seiner diesbezüglichen „Festnahme“ bewaffnete Männer in römisch 40 gekommen wären und ihn in einem Haus im römisch 40 ausgezogen, geschlagen und „gebrannt“ sowie in weitere Folge ins Meer geworfen hätten, weil sie dachten, dass er tot sei. Wer diese Männer seien, wisse er nicht (AS 73).

Dem Beschwerdeschriftsatz ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass der BF dem Minderheitenclan römisch 40 angehöre. Er habe seine Ehefrau heimlich geheiratet. Nachdem der Clan der Ehefrau habe von der Heirat und ihrer Schwangerschaft erfahren habe, hätten sie zusammengeschlagen und gefoltert. Nachdem „sie“ davon ausgingen, dass der BF tot sei, hätten „sie“ ihn ins Meer geworfen (AS 232).

In der mündlichen Verhandlung gab der BF im Wesentlichen zu seinen Rückkehrbefürchtungen an, Angst vor der Familie seiner Ehefrau zu haben (NSV S.26). Er könne keine näheren Angaben zu den Familienangehörigen seiner Ehefrau machen und wisse nicht, wo diese sich konkret aufhalten würden. Er wisse nicht, von wem er vor seiner Ausreise gefoltert worden wäre und würde nur vermuten, dass es sich um die Angehörigen seiner Ehrefrau handle (NSV S.25). Diese Männer würden davon ausgehen, dass der BF nach der Folter verstorben sei (NSV S.26). Wenn er jedoch in den Herkunftsstaat zurückkehren würde, würde er gefunden werden (NSV S.26).

2.2.3. In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG gab der BF an, dass er –entgegen seinen diesbezüglichen Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz- kein Clanangehöriger der römisch 40 ist (AS 235, NSV S.18).

Wie unter römisch II.1.1. festgestellt und unter römisch II.2.1. beweiswürdigend ausgeführt, ist der BF ein Clanangehöriger der römisch 40 .

2.2.3.1. Den unter römisch II.1.3.4.3. zitierten Länderberichten ist zu entnehmen, dass Mischehen in Somalia kein Problem darstellen. Die Angaben des BF, dass „ römisch 40 von anderen aus einem Mehrheitsclan verheiratet werden, aber umgekehrt man den römisch 40 die Frauen aus Mehrheitsclans nicht zur Ehe geben will“, ist vor dem Hintergrund der aktuellen Länderberichte nicht objektivierbar. Anderslautende Berichte wurden nicht vorgelegt (NSV Sitzung 32).

Vor dem Hintergrund der unter römisch II.1.3.5. zitierten Länderberichte ist vielmehr davon auszugehen, dass Eheschließungen über Clangrenzen hinweg als „normal“ angesehen werden und sich die Tradition insofern gewandelt hat, dass viele Ehen ohne Einbindung, Wissen oder Zustimmung der Eltern geschlossen werden. Eine Verfolgungsgefahr für den BF aufgrund einer geschlossenen „Mischehe“ ist folglich nicht gegeben.

2.2.3.2. Den unter römisch II.1.3.4. zitierten Länderberichten ist weiters zu entnehmen, dass der Clan der römisch 40 im Herkunftsstaat als römisch 40 respektiert werden. Auch über Sicherheitsproblemen für Angehörige des Clans der römisch 40 im Herkunftsstaat ist den aktuellen Länderberichten nichts zu entnehmen. Anderslautende Berichte wurden nicht vorgelegt (NSV Sitzung 32). Vielmehr ergibt sich aus den unter römisch II.1.3.4.2. zitierten Länderberichten, dass selbst Angehörige von Minderheitenclans keiner systematischen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt sind. Auch ist es nicht ersichtlich, dass Clanangehörige der römisch 40 der Gefahr einer Diskriminierung im Herkunftsstaat ausgesetzt sind.

Eine Verfolgungsgefahr des BF aufgrund seiner Clanzugehörigkeit ist folglich nicht gegeben.

2.2.3. Auch sind in einer hiervon unabhängigen Betrachtung die Angaben des BF hinsichtlich seiner „Mitnahme“ und Folter nicht glaubhaft und widersprüchlich.

Der BF schilderte einerseits von Angehörigen seiner Ehefrau, andererseits jedoch von ihm unbekannten Männern, welche der al Shabaab angehören könnten, „mitgenommen“ und gefoltert worden zu sein (AS 69, AS 232, AS 73, NSV Sitzung 25).

Weiters schilderte er einerseits von seinem Vater an einem unbekannten Ort außerhalb des Wohnbezirk des BF gefunden und in ein Spital gebracht worden zu sein (AS 69, AS 71), um andererseits zu behaupten, dass er von unbekannten Personen in ein Krankenhaus gebracht worden wäre (NSV Sitzung 26).

Auch vermochten die dunklen Verfärbungen am Oberkörper (NSV S.9) nicht die diesbezügliche Unglaubwürdigkeit des BF in Zweifel zu ziehen, zumal die bloße Existenz von Narben allein nicht geeignet, die Nachvollziehbarkeit des Fluchtvorbringens zu belegen vergleiche hierzu VwGH 20.2.2018, Ra 2017/20/0464, mwN).

Nach einer Gesamtbetrachtung ist das Fluchtvorbringen folglich nicht glaubhaft.

2.2.4. Weiters ist es nicht nachvollziehbar, dass der BF eine Verfolgung durch die Familie seiner Ehefrau fürchten könnte, deren aktueller Verbleib ihm unbekannt ist und welche nach seinen Schilderungen davon ausgehen müssten, dass er bereits verstorben wäre (NSV Sitzung 26):

„R: Nach Ihren Schilderungen haben diese Männer Sie dann freiwillig wieder entlassen. BF: Weil sie mich für Tod gehalten haben, deswegen haben sie mich rausgelegt.

R: Seither hatten Sie zu diesen Männern keinen Kontakt. Ist das richtig? BF: Ja, sie haben mich nicht mehr kontaktiert.

R: Dann müssten diese Männer doch davon ausgehen, dass Sie nicht mehr am Leben sind. BF: Ja, sie müssten davon ausgehen, dass ich nicht mehr am Leben bin.

R: Dann würden diese Männer Sie ja aktuell nicht mehr verfolgen. BF: Ja aber, wenn ich nach Somalia zurückkehren würde, würde ich sicher irgendwann einmal gesehen werden.

R: römisch 40 , wer würde Sie in ganz Somalia erkennen? BF: In Somalia ist es so, dass in jedem Gebiet bestimmte Clans beheimatet sind. Wenn jemand neues dazukommt und einem anderen Clan angehört, würde es sofort auffallen.

R: In Großstädten römisch 40 leben verschiedene Clans miteinander und ich entnehme den Länderberichten, dass die Clanzugehörigkeiten in den Großstädten nicht so relevant sind. Wer würde Sie dort finden? BF: Doch, man würde auffallen. römisch 40 , jeder Bezirk wird von einem bestimmten Clan bewohnt.“

Eine Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat durch Familienangehörige seiner Ehefrau ist auch vor dem Hintergrund dieser Angaben folglich nicht gegeben.

2.2.5. Weiters ergeben sich Ungereimtheiten hinsichtlich den Schilderungen zu der Schwangerschaft seiner Ehefrau römisch 40 , welche der BF aufgrund vager Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht aufzuklären vermochte (NSV Sitzung 16 und S.27):

„R: Wann wurde Ihre Tochter geboren? BF: Ich weiß es nicht. Erst, als ich in die römisch 40 gekommen bin, hat mir die Frau von der Geburt der Tochter erzählt. Sie hat die Tochter im Ausland zur Welt gebracht.

R: Wo wurde Ihre Tochter geboren? BF: In römisch 40 .“

(…)

„R: Ihre Schilderungen passen in der zeitlichen Abfolge nicht zusammen. Wenn Ihre Ehefrau im römisch 40 so bemerkbar in ihrer Schwangerschaft fortgeschritten war, dass man es bereits gesehen hat, dann kann sie das Kind doch nur zur Welt gebracht haben, während Sie noch in Somalia waren.

BF: Man hat es nicht gemerkt, weil es körperlich sichtbar war, sondern, weil sie sich oft übergeben hat. Sie hat an Appetitlosigkeit gelitten.“

Es ist daher davon auszugehen, dass die Angaben des BF hinsichtlich der Schwangerschaft seiner Ehefrau im römisch 40 in der dargestellten Version nicht der Wahrheit entsprechen.

2.2.6. Dass der Onkel väterlicherseits seiner Ehefrau ein Mitglied der al Shabaab sei, ist unzweifelhaft als Steigerung seines Fluchtvorbringens zu werten (NSV S.24).

Der BF gab weiters in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG an keine Verfolgung durch die al Shabaab im Herkunftsstaat zu befürchten (NSV S.25). Eine konkrete Verfolgungsgefahr für den BF ist auch nicht objektivierbar, zumal den unter römisch II.1.3.6. zitierten Länderberichten zu entnehmen ist, dass al Shabaab weniger an der Rekrutierung Erwachsener als an der Rekrutierung von römisch 40 Kindern interessiert ist, da diese leichter zu indoktrinieren und formbarer wären.

Den unter römisch II.1.3.3. zitierten Länderberichten ist in diesem Zusammenhang weiters zu entnehmen, dass die al Shabaab Zivilisten nicht spezifisch angreift. Dass er diesbezüglich in eine besonders gefährdete Personengruppe fallen würde, hat der BF auch nicht substantiiert behauptet. Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen stellt - den Länderberichten folgend - im Kontext mit al Shabaab kein Problem dar.

Nach einer Gesamtbetrachtung ist die Gefahr einer Verfolgung bzw. Bedrohung durch die al Shabaab im gegenständlichen Fall folglich nicht gegeben.

2.2.7. Andere Fluchtgründe wurden vom BF weder im behördlichen Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG vorgebracht und sind auch vor dem Hintergrund der ins Verfahren eingebrachten Länderberichte nicht hervorgekommen.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus den im aktuellen LIB wiedergegebenen und zitierten Länderberichten zu dem Herkunftsstaat des BF, welche in das Verfahren aufgenommen wurden (NSV Sitzung 30f.). Das LIB gründet sich auf den jeweils angeführten Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das BVwG kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal ihnen –auch unter Berücksichtigung der vorgebrachten UNHCR-Richtlinien sowie der Leitlinien der EUAA zu Somalia- nicht substantiiert entgegengetreten wurde. Die konkret den Feststellungen zugrundeliegenden Quellen wurden unter römisch II.1.3. zitiert.

2.4. Zur Rückkehrsituation des BF

Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration in Somalia ist in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig.

Im gegenständlichen Fall stammt die Mutter des BF aus dem römisch 40 und genießt ohne (väterlicherseits vererbter) Clanzugehörigkeit keinen gesellschaftlichen Clanschutz (s. römisch II.1.2.4.) Sie bestreitet den Lebensunterhalt durch gelegentliche Markttätigkeiten und versorgt mit Hilfe dieser Tätigkeit auch den Unterhalt der nicht berufstätigen Schwestern des BF (NSV S.14). Die Familie verfügt weder über ein Haus, noch über Grundstücke, vielmehr lebt die Mutter mit ihren Töchtern in einer gemieteten Hütte (NSV S.11). Der Vater des BF lebt nicht im Herkunftsstaat (NSV S.11). Vor dem Hintergrund der glaubhaften Schilderungen des BF verfügt er über keine weiteren Angehörigen im Herkunftsstaat, zumal der Vater keine Geschwister hat. Die Onkel und Tante mütterlicherseits des BF leben römisch 40 (NSV S.13). Nach einer Gesamtbetrachtung kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der BF familiäre Unterstützung im Herkunftsstaat erfahren wird.

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Den unter römisch II.1.3.4.1. zitierten Länderberichten ist zu entnehmen, dass der Jilib als untere Ebene im Clansystem unter anderem dafür verantwortlich ist, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das Xeer als traditionelles Recht bildet ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Es daher davon auszugehen, dass sich ein somalischer Staatsangehöriger im Falle einer Rückkehr grundsätzlich an den Jilib bzw. an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) wenden könnte.

Zumal der BF über keine Familienangehörigen im Herkunftsstaat verfügt, welche ihn unterstützen könnten und weiters keine Berufsausbildung genossen hat, kann jedoch im gegenständlichen Fall nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass das soziale Netzwerk in der aktuellen Situation für seinen Lebensunterhalt tatsächlich aufkommen würde und könnte, zumal der Arbeitsmarkt in Somalia notorisch durch die vormalige römisch 40 und – Berichten von UNHCR folgend - Lieferungsengpässen aufgrund römisch 40 strapaziert ist.

Der BF ist zwar ein gesunder, arbeitsfähiger Mann, welcher auch schon vor seiner Ausreise seinen Lebensunterhalt - auch mit Hilfe der finanziellen Unterstützung seines Vaters - in Somalia finanzieren konnte. Den Länderberichten ist jedoch zu entnehmen, dass gegenwärtig die wirtschaftliche Lage im Herkunftsstaat äußerst fragil ist. Zumal der Vater nicht mehr im Herkunftsstaat lebt, kann nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der BF ohne seine Unterstützung bzw. eine Berufsausbildung bei einer aktuellen Rückkehr seinen Lebensunterhalt bestreiten können wird.

Darüber hinaus kann römisch 40 zwar hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet, jedoch den unter römisch II.1.3.7.2. zitierten Länderberichten folgend nicht sicher von römisch 40 aus erreicht werden.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative - bspw. in römisch 40 - ist dem BF nicht zumutbar, zumal er ebendort über keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte verfügt.

Der BF läuft daher Gefahr, sich im Herkunftsstaat in ein IDP-Camp begeben zu müssen. IDPs gehören in Somalia generell zu den am meisten gefährdeten Personengruppen. Die Regierung und Regionalbehörden bieten nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung. Außerdem gibt es für sie weniger Beschäftigungsmöglichkeiten. Üblicherweise überleben sie aufgrund der Überweisung von Remissen und mittels internationaler Unterstützung.

Ferner ist den Länderberichten zu entnehmen, dass UNHCR vor der nicht-existenten Infrastruktur und mangelnden Einrichtungen für somalische Rückkehrer warnt, sodass auch unter diesem Aspekt der Aufbau einer Existenzgrundlage für einen Rückkehrer ohne soziale und/oder familiäre Kontakte auch in römisch 40 oder in anderen Landesteilen kaum möglich ist. Auch wenn es in römisch 40 viel mehr Arbeitsmöglichkeiten gibt, als an anderen Orten Somalias, ist dennoch zu berücksichtigen, dass freie Arbeitsplätze häufig über die Verwandtschaft oder den Clan vergeben werden.

Die für den BF zu prognostizierende Rückkehrsituation in Somalia erweist sich somit in einer Gesamtbetrachtung aufgrund der objektiven Berichtslage in Zusammenschau mit den individuellen Umständen des BF zum Entscheidungszeitpunkt dergestalt, dass im Falle einer aktuellen Rückkehr davon auszugehen ist, dass der BF Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Ad Spruchpunkt A) Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides

3.1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.

3.1.2. Flüchtling iSd. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist demnach, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.“

Zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

3.1.3. Das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ist ganzheitlich unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens zu würdigen vergleiche VwGH 26.11.2003, Ra 2003/20/0389). Die Glaubwürdigkeit des Vorbringens nimmt folglich die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung ein (VwGH vom 20.06.1990, 90/01/0041).

3.1.4. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an vergleiche VwGH 30.09.2015, Ra 2015/19/0066). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher BF im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste vergleiche VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht vergleiche VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

3.1.5. Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr iSd Genfer Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht vergleiche VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

3.1.6. Der BF ist hinsichtlich seiner vorgebrachten Fluchtgründe persönlich unglaubwürdig. Die Glaubhaftmachung ist ein wesentliches Tatbestandsmerkmal für die Gewährung von Asyl.

Es ist dem BF nicht gelungen, einen aus dem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Grund einer aktuell drohenden Verfolgung maßgeblicher Intensität schlüssig darzulegen. Die Angaben im Zuge des gesamten Verfahrens sind nicht hinreichend konsistent, sondern vielmehr überwiegend widersprüchlich und vage. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb er im Herkunftsstaat einer ernstlichen Bedrohung ausgesetzt sei bzw. Gefahr liefe, asylrelevante Übergriffe zu erleiden.

Der BF konnte weiters auch nicht substantiiert angeben, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung gegeben ist bzw. diese mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht. Die durch den BF konkret ins Treffen geführten Gründe beziehen sich im Wesentlichen darauf, dass er im Herkunftsstaat eine Verfolgung durch die Familie seiner Ehefrau fürchte. Wie in der Beweiswürdigung unter römisch II.2.2. dargelegt, ist das Vorbringen zur Gänze nicht glaubhaft.

Eine Verfolgung aufgrund seiner Clanzugehörigkeit ist vor dem Hintergrund der unter römisch II.1.3.4.f. zitierten Länderberichte nicht objektivierbar. Auch hat der BF eine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den römisch 40 in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG nicht behauptet (NSV S.28).

Weiters sind vor dem Hintergrund der aktuellen Länderberichte keine Hinweise hervorgekommen, dass der BF in Somalia nach objektiver Wahrscheinlichkeit sonstigen ernstlichen Bedrohungen ausgesetzt wäre, die als asylrelevant zu qualifizieren sind.

Es kann im gegenständlichen Fall insgesamt – auch unter Berücksichtigung der UNHCR-Richtlinien sowie der Leitlinien der EUAA zu Somalia – nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht, weshalb ihm im Ergebnis der Status eines Asylberechtigten nicht zuzuerkennen war. Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten durch das BFA ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.

3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides

3.1.2.1. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß Artikel 2, EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Artikel 3, EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen vergleiche VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573, mwN auf die Judikatur des EGMR).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, MRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden hg. Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen vergleiche VwGH vom 8.09.2016, Ra 2016/20/0063).

3.2.2.2. Vor dem Hintergrund der unter Punkt römisch II.1.3. zitierten, aktuellen Länderberichte und der unter Punkt römisch II.2.4. angeführten, gegenwärtigen Rückkehrsituation des BF ergeben sich konkrete Hindernisse betreffend seine sofortige Rückverbringung in den Herkunftsstaat Somalia.

Der BF verfügt weder über eine Berufsausbildung, noch über finanzielle Mittel. Er verfügt über kein unterstützungsfähiges Netzwerk im Herkunftsstaat. Eine finanzielle Unterstützung durch seinen Clan ist nicht denkunmöglich, jedoch vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschafts- und Versorgungslage im Herkunftsstaat nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

Nach einer Gesamtbetrachtung ist im gegenständlichen Fall aufgrund der gegenwärtig fragilen Wirtschafts- und Versorgungslage in Somalia davon auszugehen, dass der BF bei einer aktuellen Rückkehr ebendort der die Gefahr ausgesetzt ist, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen und in eine ausweglose Situation geraten zu können, und in weiterer Folge der realen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre. Denn nicht nur Handlungen, sondern auch unmenschliche Bedingungen und Zustände können eine Verletzung von Artikel 3, EMRK auslösen, selbst wenn der Staat keinerlei Absicht hegt, dem Betroffenen Leid zuzufügen und auch wenn die Zustände in diesem Land als „normal“ gelten würden.

Auch kann im gegenständlichen Fall eine römisch 40 in andere Landesteile des Herkunftsstaates zu keinem anderen Ergebnis führen (s. römisch II.2.4.)

Ausschlussgründe liegen nicht vor. Der BF ist im Bundesgebiet unbescholten.

Folglich ist dem BF, welcher gegenwärtig weder über soziale Anknüpfungspunkte, noch über eine Berufsausbildung bzw. finanzielle Eigenmittel verfügt vor dem Hintergrund der unter römisch II.1.3. zitierten, aktuellen Länderberichte und der unter Punkt römisch II.2.4. angeführten, gegenwärtigen Rückkehrsituation nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass er hinreichende Unterstützung durch seinen Clan erfahren würde, gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuzuerkennen.

3.1.2.3. Nach Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom BVwG gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr zu erteilen.

3.2.1. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides

Aufgrund der Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten sind die Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben.

3.2. Ad Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im gegenständlichen Fall konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Es ist somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.


European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2024:W277.2276407.1.00