Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

13.05.2024

Geschäftszahl

W242 2277442-1

Spruch


W242 2277442-1/14E
W242 2277446-1/9E
W242 2277444-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIk

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HEUMAYR als Einzelrichter über die Beschwerden der 1) römisch 40 , geb. römisch 40 , 2) römisch 40 , geb. römisch 40 und 3) römisch 40 , geb. römisch 40 , alle StA. Iran, die minderjährigen Beschwerdeführer vertreten durch die Kindesmutter, diese vertreten durch Mag.a Nadja LORENZ, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116/17-19, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 2023, Zlen. 1) römisch 40 , 2) römisch 40 und 3) römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am römisch 40 2023 zu Recht:

A)

römisch eins. Den Beschwerden wird stattgegeben und 1) römisch 40 , geb. römisch 40 , 2) römisch 40 , geb. römisch 40 und 3) römisch 40 , geb. römisch 40 , gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass 1) römisch 40 , geb. römisch 40 , 2) römisch 40 , geb. römisch 40 und 3) römisch 40 , geb. römisch 40 , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

römisch II. Die Spruchpunkte römisch II. bis römisch VI. der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers (im Folgenden: BF2) und der Drittbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF3).

1. Die Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), Staatsangehörige Irans, reisten am römisch 40 2022 legal mit iranischen Reisepässen und Visa der Kategorie C, gültig von römisch 40 2022 bis römisch 40 2022, auf dem Luftweg von Teheran nach Wien und stellten am römisch 40 2022 Anträge auf internationalen Schutz.

2. Am römisch 40 2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi und der Rechtsberaterin der BF eine niederschriftliche Erstbefragung statt. Dabei gab die BF1 zu ihren Fluchtgründen befragt an, sie sei am römisch 40 2022 mit ihren Kindern im Auto unterwegs gewesen und von der Revolutionsgarde angehalten worden. Ihr sei vorgehalten worden, dass sie ihren Schleier nicht ordnungsgemäß trage. Sie habe zuvor einen Streit mit ihrem Ehemann gehabt und habe sich in keiner guten Verfassung befunden. Die Beamten hätten sie nach der Anhaltung gleich aus dem Auto gezerrt und ihr nicht die Möglichkeit gegeben, ihren Schleier zu richten. Sie habe sich gewehrt, woraufhin ihr die Beamten Pfefferspray ins Gesicht gesprüht hätten. Sie sei abgeführt worden und habe sich eine Nacht in Untersuchungshaft befunden. In weiterer Folge habe sie einen Termin für eine Gerichtsverhandlung am römisch 40 2022 erhalten. Vor dieser Verhandlung habe sie sich gefürchtet, denn es sei ungewiss gewesen, womit und wie sie bestraft worden wäre. Sie habe sich von ihrem Ehemann, der um 17 Jahre älter sei als sie, scheiden lassen wollen. In Iran habe sie sich bereits in Psychotherapie befunden. Als Frau habe sie keinerlei Rechte. Im Falle einer Scheidung hätte ihr Ehemann das alleinige Sorgerecht für beide Kinder erhalten. Sie sei ein Einzelkind und ihre Eltern hätten große Angst um sie gehabt. Da die Strafe, die sie zu erwarten gehabt habe, unklar gewesen sei und klar gewesen sei, dass ihr Ehemann die Kinder bekommen würde, hätten ihr ihre Eltern geholfen, gemeinsam mit ihren Kindern die Flucht aus der Heimat zu ergreifen. Sie hätten auch die Flucht finanziert. Sie sei dann zu ihrer Großmutter nach Österreich gegangen. Bei einer Rückkehr nach Iran fürchte sie den Staat sowie ihren Ehemann. Ihre Kinder seien seit ihrer Geburt in ihrer Begleitung bzw. Obhut und hätten keine eigenen Fluchtgründe. Die von ihr angegeben Fluchtgründe würden für ihre Kinder ebenso gelten. Die BF1 stellte auch für ihre Kinder, den BF2 und die BF3, Asylanträge.

3. Am römisch 40 2023 wurde die BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Farsi und in Anwesenheit ihrer Regierungsvorlage niederschriftlich einvernommen. Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die BF1 im Wesentlichen an, sie habe mit ihrem Mann gestritten, daher habe sie mit ihren beiden Kindern zu ihren Eltern nach Teheran fahren wollen. Auf der Autobahn sei sie von einem Streifenwagen der Sittenpolizei aufgefordert worden, anzuhalten. Ein Polizist habe sie aufgefordert auszusteigen, weil ihr Kopftuch nur die Hälfte der Haare bedeckt hätte. Sie sei nicht ausgestiegen, woraufhin mit Gewalt die Tür geöffnet und sie aus dem Auto gezerrt worden sei. Ihre Kinder hätten geweint. Sie habe zu den Beamten gesagt, es sei nicht in Ordnung, dass sie so behandelt werde sowie, dass sie bereit sei eine Strafe zu bezahlen. Die Beamten hätten sie weiter von ihrem Fahrzeug wegzerren wollen, damit sie mit dem Fahrzeug zu einer Garage fahren und es so sicherstellen könnten. Um das zu verhindern, habe sie sich vor die Fahrertür ihres Autos gesetzt. Als die Polizisten gesehen hätten, dass sie Widerstand leiste, hätten sie ihr mit einem Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Seit diesem Vorfall sei ihre Gesichtshaut sehr gereizt und sie habe brennende Gefühle in ihrem Schläfenbereich sowie weiterhin Brandnarben. Es sei den Beamten letztendlich gelungen, die Kinder aus dem Auto aussteigen zu lassen und mit dem Fahrzeug wegzufahren. Daraufhin seien ihre Kinder und sie mit dem Polizeiauto zur Polizeiinspektion VOZARA in Teheran gebracht worden. Sie sei einen Tag lang inhaftiert gewesen. Am nächsten Tag sei sie gegen die Hinterlegung des Grundbuches der Wohnung ihres Ehemannes als Kaution vorläufig entlassen worden. Ihnen sei mitgeteilt worden, dass die Gerichtsverhandlung am römisch 40 2022 stattfinden werde und sie erscheinen müsse. Ihr Fahrzeug sei noch immer in der Garage und sie bekomme es nicht zurück, solange sie den Gerichtstermin nicht wahrnehme. Dieser Vorfall habe am römisch 40 2022 stattgefunden. Sie habe durch Kontakte herausgefunden, dass sie nicht ausreisen dürfe. Sie habe zufällig den selben Nachnamen wie römisch 40 und die Beamten hätten ihrem Vater erzählt, dass sie ihr vorwerfen würden, dass zwischen ihrem Nichterscheinen bei Gericht und dem Vorfall mit römisch 40 eine Verbindung bestehe. Sie sei sich sicher, dass sie im Falle einer Rückkehr im Gefängnis EWIN in Teheran landen würde. Sie habe sowohl auf ihrer privaten Instagramseite als auch in ihrem Onlineshop viele Fotos online gestellt, die sie bei der Teilnahme an Demonstrationen in Wien zeigen würden. Frauen hätten in Iran keine Rechte zum Leben und in Bezug auf ihre eigenen Kinder keine Rechtsansprüche. Die Regierung sei ein "Blutsauger". Sie sauge das Blut der Bevölkerung. Siebenjährige Kinder seien auf dem Schulweg getötet worden. Die BF1 legte ihre Heiratsurkunde, eine Bescheinigung einer Psychotherapeutin sowie eine Bescheinigung ihres ehemaligen Arbeitgebers vor.

4. Am römisch 40 2023 fand unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Farsi und in Anwesenheit ihrer Regierungsvorlage eine weitere niederschriftliche Einvernahme der BF1 vor dem BFA statt. Die BF1 gab hinsichtlich ihrer Fluchtgründe zusammengefasst an, dass ihr Cousin väterlicherseits zur Todesstrafe verurteilt worden sei. Ihre Kinder seien in Iran wegen der Vergiftungsanschläge in der Schule nicht mehr sicher. Alle ihre Verwandten und Angehörigen würden ihre Kinder nicht mehr in die Schule schicken. Sie habe von ihrer Familie erfahren, dass ihr Cousin verurteilt worden sei, weil er auf der Straße demonstriert habe. Sie habe sich bei der Anhaltung derart verhalten, weil auf der Autobahn eine Frau mit zwei Kindern bei dieser Geschwindigkeit nicht angehalten, geschweige denn dazu aufgefordert werden dürften, aus dem Fahrzeug auszusteigen. Es gebe keine Sicherheit und man habe ihr gesagt, sie dürfe nicht stehenbleiben, wenn sie angehalten werde, weil sie nicht sicher sein könne, ob es tatsächlich Polizisten seien. Es sei oft vorgekommen, dass Personen mit einem Polizeiwagen mit der Aufschrift Polizei, die uniformiert gewesen seien und einen angehalten hätten, keine Polizisten gewesen seien. So hätten sie die Leute "ruiniert" und ihnen das Fahrzeug gestohlen. Es seien keine Polizisten gewesen, sondern Leute von der Sittenpolizei, welche keine Fahrzeuge anhalten dürften. Sie dürften sich nur auf die Straße stellen und die Leute kontrollieren, aber kein Auto anhalten. In den Wagen der Sittenpolizei seien in der Regel zwei Soldaten, die ihren Pflichtwehrdienst leisten würden, und zwei verschleierte Frauen. Bei ihr seien es jedoch drei Männer in Zivil gewesen. Sie hätten keine offizielle Polizeiuniform, sondern Soldatenbekleidung getragen. Sie habe sowohl angenommen, dass die drei Männer falsche Polizisten seien, als auch, dass es sich um die Sittenpolizei handle, welche sie nicht anhalten dürfe. Sie habe nicht gewusst, weshalb sie angehalten worden sei, weil ihr nicht aufgefallen sei, dass das Kopftuch runtergerutscht sei. Sie hätte auf keinen Fall auf der Autobahn angehalten werden dürfen. Sie habe die Gelegenheit gehabt, diesen Vorfall der Polizei zu sagen bzw. sich zu rechtfertigen. Die Polizei habe sie eine Nacht und einen ganzen Tag auf der Polizeistation angehalten und ihr einen Gerichtstermin gegeben. Sie sei gegen 20:00 bis 21:00 Uhr zu Hause gewesen. Sie hätten ihre Sicherheitskräfte versteckt, um besser gegen sittenwidrige Outfits der Frauen zu kämpfen. Sie habe schon bei ihrer legalen Ausreise mit einem Visum per Flugzeug die Absicht gehabt, nicht mehr nach Iran zurückzukehren. Deshalb habe sie den VIP-Ausgang nehmen müssen und sie habe dafür bezahlt. Sie habe einem Angestellten vom VIP Geld gegeben und zwei bis drei Polizeibeamte bestochen, um Ausreisen zu können. Sie sei wegen der bevorstehenden Gerichtsverhandlung geflüchtet. Ihr Ehemann und sie hätten Probleme gehabt und wegen dieses Vorfalls hätten sich die Probleme verschlechtert. Ihr Ehemann sei mit ihrer Ausreise einverstanden gewesen, weil er gewusst habe, welche Konsequenzen eine Gerichtsverhandlung für sie haben könnte. Alle hätten geholfen, damit sie flüchten könne. Ihr Ehemann habe von der Gerichtsverhandlung und dem möglichen Ausreiseverbot gewusst. Ihr Ehemann sei glücklich, dass sie geflüchtet sei. Ansonsten hätten ihre Kinder ihre Mutter verloren und sie hätte drei bis vier Jahre eine Haftstrafe verbüßen müssen. So sei ihr Ehemann zumindest sicher, dass es ihnen allen gut gehe. Sie sei seit dem Jahr 2008 verheiratet und es handle sich nicht um eine arrangierte Ehe, sondern sie habe selbst die Entscheidung getroffen, zu heiraten. Sie sei in der Ehe sehr eingeschränkt gewesen, weil ihr Ehemann mit vielen Sachen nicht einverstanden gewesen sei. Sie habe aber trotzdem in einem Kindergarten gearbeitet. Sie habe die Scheidung noch nicht eingereicht, ihre Mutter werde das in einem Monat veranlassen. Eine Scheidung in Iran wäre sehr schwer gewesen, weil man ihr die Kinder weggenommen hätte und ihre Morgengabe sehr hoch sei. Sie hätte alles verloren. Es wäre auch das Einverständnis ihres Mannes für die Scheidung erforderlich gewesen. Ihr Ehemann sei ihr gegenüber auch gewalttätig gewesen.

5. Am römisch 40 2023 wurde die Einvernahme der BF1 vor dem BFA unter Beiziehung einer Dolmetscherin und in Anwesenheit ihrer Regierungsvorlage fortgeführt. Hinsichtlich der Fluchtgründe gab die BF1 im Wesentlichen an, dass ihre Kinder keine eigenen Fluchtgründe hätten, sondern ihre Probleme auch ihre Kinder betreffen würden. Ihre Probleme mit ihrem Ehemann hätten aufgrund des großen Altersunterschiedes bestanden. Das habe dazu geführt, dass sie eine Psychotherapeutin aufgesucht habe. Sie sei in Iran in psychotherapeutischer Behandlung gestanden und sie werde weiterhin von ihrer Ärztin behandelt. In Iran seien viele ihrer Landsleute, auch junge Menschen, getötet worden. Sie habe an Demonstrationen in Wien teilgenommen und dies auch auf Instagram online gestellt, denn das sei das Einzige, was sie aus der Ferne tun könne. In Iran sei die Internetverbindung immer wieder abgebrochen worden, um zu verhindern, dass Leute sich informieren und versammeln sowie demonstrieren könnten. Von hier hätten sie Videos geschickt, damit die Leute in Iran erfahren würden, dass es Demonstrationen gebe. Sie habe seit ihrer Ankunft, abgesehen von der ersten Woche, wöchentlich an den Demonstrationen am Stephansplatz, in der Mariahilfer Straße oder vor der iranischen Botschaft teilgenommen. Letzte Woche habe sie am Samstag an der Demonstration in der Mariahilfer Straße teilgenommen. Herr römisch 40 würde alles organisieren und auch Videos auf Instagram posten. Herr römisch 40 aus Kanada sei der Hauptorganisator der Demonstrationen. Herr römisch 40 gehöre zu keinem Verein. Seine Frau und seine Tochter seien bei dem Flugzeugunglück in der Ukraine getötet worden. Damals sei ihr Flugzeug abgeschossen worden. Als die Probleme in Iran begonnen hätten, habe er begonnen, die Demonstrationen zu organisieren. Bei den Demonstrationen seien etwa 60 bis 70, maximal 100, Personen anwesend. Sie selbst habe keine Funktion bzw. Aufgabe bei den Demonstrationen gehabt, sondern habe sich lediglich versammelt. Sie habe die Demo auf Instagram gepostet, weil sie dadurch ihre Landsleute verteidigen wolle. Sie sei wegen dieser Umstände, die dort herrschen würden, nach Österreich gekommen. Sie habe zwei Instagram-Profile, ein privates und ein berufliches. Ihr beruflicher Account habe 16.000 Follower. Sie habe auch über Personen, die in Iran hingerichtet worden seien, ein Foto von römisch 40 sowie weitere politische Statements und betreffend eine Demonstration in Iran Postings veröffentlicht. Sie habe ein Video auf Instagram gepostet, das ihr von ihren Freunden in Iran gesendet worden sei. Sie poste das auf ihrem beruflichen Account. Auf ihrem beruflichen Profil poste sie keine Fotos, die sie selbst zeigen würden. Iran hätte sie eigentlich gar nicht verlassen dürfen, weil ein Ausreiseverbot gegen sie vorliege. Bei einer Rückkehr würde sie mit Problemen konfrontiert werden. Sie würde direkt vom Flughafen in ein Gefängnis eingeliefert werden, weil sie Iran illegal verlassen habe. Sie habe Kontakt mit ihrer Familie in Iran. Ihren Eltern gehe es gut. Die BF1 legte eine Anmeldebestätigung für den Kurs "A1/2 – A2/2 Semester Deutsch am Campus" des Sprachenzentrums der Universität Wien, medizinische Unterlagen sowie Fotos von Demonstrationen und von Postings in den sozialen Medien vor.

6. Am 13.04.2023 brachten die BF durch ihre Regierungsvorlage eine Stellungnahme beim BFA ein. Darin wurden zunächst die bereits vorgebrachten Fluchtgründe wiederholt. Weiters wurde im Wesentlichen ausgeführt, die BF1 lebe derzeit ohne religiöses Bekenntnis und setze sich im Exil für Frauenrechte in Iran ein. Sie sei, seit sie in Österreich lebe, nahezu wöchentlich bei Demonstrationen gegen das iranische Regime gewesen. Von ihrer Teilnahme gebe es auch Fotos im Internet. Zudem teile sie regimekritische Inhalte auf der Social Media Plattform Instagram. Im Falle einer Rückkehr nach Iran würde sich die BF1 nicht freiwillig dem Hijab-Zwang unterwerfen. Frauen, die in der Öffentlichkeit ihr Kopftuch nicht oder "nicht richtig" tragen würden, würden den zahlreichen öffentlich zugänglichen Berichten zufolge von der Sittenpolizei festgenommen und müssten in Gewahrsam mit Folter und Misshandlung rechnen. Aufgrund der Nichtbefolgung der Ladung zur Gerichtsverhandlung am römisch 40 2022 seien Beamte bei ihren Eltern in Teheran gewesen. Sie hätten sowohl ihren Eltern als auch an ihre Adresse mehrere Ladungen geschickt. Ihr Vater sei festgenommen worden und habe den Grundbuchsauszug seines Hauses als Kaution hinterlegen müssen, um zu garantieren, dass sich die BF1 dem Verfahren stellen würde. Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Iran mit der letzten Aktualisierung im Mai 2022 sei angesichts der notorischen Entwicklungen im letzten Jahr nicht hinreichend aktuell. Neuerdings werde zu noch drastischeren Mitteln zur Durchsetzung des Kopftuchzwangs gegriffen. Vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte sei den BF der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Die BF1 sei bereits vor ihrer Flucht Verfolgungshandlungen durch das iranische Regime ausgesetzt gewesen und habe sich durch ihre Flucht dem Verfahren, das gegen sie geführt werde, entzogen. Es habe für sie auch nie eine reale Möglichkeit gegeben, sich aus der Ehe mit ihrem 17 Jahre älteren Mann, in der sie unterdrückt worden sei, zu befreien. Ihre Flucht und die Tatsache, dass sie sich dem Verfahren entzogen habe, sei den iranischen Behörden bekannt. Die im Bundesgebiet ausgeübten Aktivitäten der BF1 seien für Dritte wahrnehmbar und es könne nicht ausgeschlossen werden, dass diese den iranischen Behörden bekannt geworden seien. Es würde daher hinsichtlich der BF1 die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung aus politischen bzw. religiösen Gründen bestehen.

7. Mit Bescheiden des BFA vom römisch 40 2023 wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) als auch gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß Paragraph 57, AsylG wurde den BF nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.) und gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt römisch IV.). Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG nach Iran zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.) und gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt römisch VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es der BF1 nicht gelungen sei, ein fundiertes und substantiiertes Vorbringen darzulegen. Insbesondere habe sich ihr Vorbringen widersprüchlich dargestellt und sei sie in persönlicher Hinsicht als höchst unglaubwürdig in Erscheinung getreten. Mit der bereits bei der Ausreise bestehenden Absicht, nicht mehr in den Herkunftsstaat zurückzukehren, habe sie fast einen Monat später einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Ihre Angaben bezüglich der behaupteten Verkehrskontrolle seien widersprüchlich und nicht plausibel. Einerseits habe sie angegeben, von "Scheinpolizisten", mit Polizeiuniform und einem Kleinbus – Aufschrift "Sittenpolizei" – angehalten worden zu sein, andererseits habe sie behauptet, die Männer hätten Soldatenuniform getragen. In Anbetracht des Umstandes, dass die BF1 – wie sie behauptet habe – seit ihrem 18. Lebensjahr im Besitz eines iranischen Führerscheins sei und sie mehrmals täglich mit dem Auto unterwegs gewesen sei, seien ihre Behauptungen absolut nicht plausibel, zumal in logischer Konsequenz davon ausgegangen werden könne, dass sie die örtlichen Einrichtungen der Polizei, Sittenpolizei sowie die heimatlichen Gesetze und Regeln kenne. Entgegen ihrer Behauptung, dass sie am römisch 40 2022 einen Gerichtstermin wahrzunehmen gehabt hätte, sei ihr und ihren beiden Kindern am römisch 40 2022 von den iranischen Behörden ein iranischer Reisepass ausgestellt und ein Visum C für den Zeitraum vom römisch 40 2022 bis römisch 40 2022 erteilt bzw. genehmigt worden. Es seien keinerlei Ladungen bzw. ein Haftbefehl als Beweismittel vorgelegt worden. Das Vorbringen sei im Hinblick auf ihre Flucht gänzlich unglaubwürdig und entbehre jeglicher Realität. Die BF1 sei mit ihrer politischen Aktivität in Österreich nicht als überzeugtes und aktives Mitglied einer regimekritischen Bewegung nach außen erkennbar in Erscheinung getreten, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Veröffentlichungen im Internet den iranischen Behörden bekannt seien und ein Interesse der Behörden an ihrer Person begründen würden. Dass sie eine exponierte bzw. herausragende Stellung bei den Demonstrationen im Bundesgebiet eingenommen hätte, habe sie nicht vorgebracht. Es sei daher davon auszugehen, dass sie nicht aus der Masse oppositioneller Iraner herausgetreten sei. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der iranische Staat sämtliche Aktivitäten iranischer Staatsbürger in den öffentlichen Medien im Ausland überwache und er dazu die faktische Möglichkeit habe. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie im Rückkehrfall in den Fokus der iranischen Behörden geraten oder für diese von irgendeinem Interesse sein könnte. In diesem Fall hätten sich die iranischen Behörden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits an die im Heimatland aufhältigen Familienangehörigen gewandt. Es sei der BF1 nicht gelungen, ihr Vorbringen zur behaupteten Bedrohungssituation glaubhaft zu machen. Der BF2 und die BF3 hätten keine eigenen Fluchtgründe. Den BF drohe in Iran keine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2,, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention. Der Ehemann und die Eltern der BF1 würden sich nach wie vor im Heimatland aufhalten und sie sei eine junge, körperlich gesunde und arbeitsfähige Frau. Daher sei im Falle der gemeinsamen Rückkehr mit ihren Kindern davon auszugehen, dass sie wie vor ihrer Ausreise über eine Unterkunft und – bis zur eigenständigen Sicherung des Lebensunterhaltes – Unterstützungsmöglichkeiten verfügen würden. Die Grundversorgung sein in Iran gewährleistet. Die BF würden in Österreich weder über ein schützenswertes Privat- noch Familienleben verfügen.

8. Gegen diese Bescheide erhoben die BF im Wege ihrer Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerden in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Darin wurde nach der Darlegung des Sachverhaltes und Verfahrensganges zusammengefasst ausgeführt, dass die BF1 vorgebracht habe, aufgrund ihrer exilpolitischen Betätigung für Frauenrechte in Iran asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt zu sein. Sie unterstütze die Frauenbewegung in Iran, nehme wöchentlich an Demonstrationen in Wien teil und poste Fotos davon auf ihrem Instagram-Account. Weiters teile sie politische Statements auf Instagram. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wäre zunächst zu prüfen gewesen, ob die BF1 so in Erscheinung getreten sei, dass sie als auffällig regierungskritisch identifizierbar gewesen sei bzw. sei. Die belangte Behörde habe sich mit den entsprechenden Angaben der BF1 in keiner Weise beweiswürdigend auseinandergesetzt und sei dennoch zum Schluss gekommen, dass die BF1 nicht als überzeugtes und aktives Mitglied einer regimekritischen Bewegung nach außen erkennbar in Erscheinung getreten sei, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass die von ihr geschilderten Veröffentlichungen im Internet den iranischen Behörden bekannt seien. Dieser Vorhalt entbehre vor dem Hintergrund, dass die BF1, belegt durch Screenshots ihrer Instagram-Postings, vorgebracht habe, dass sie sich seit ihrer Ankunft in Österreich wöchentlich an den regimekritischen Protesten in Wien beteilige und sie somit ihre politische Haltung sichtbar nach außen trage, jeglichen Begründungswerts. Im Widerspruch zu den genannten Ausführungen habe die Behörde in weiterer Folge eingeräumt, dass die Teilnahme an Demonstrationen im Bundesgebiet feststehe, jedoch habe sie eine daraus resultierende Gefährdung der BF1 verneint, weil die BF1 mangels "herausragender Stellung" im Zuge der Teilnahme an den Protesten nicht "aus der Masse oppositioneller Iraner" herausgetreten sei und nicht davon ausgegangen werden könne, dass der iranische Staat sämtliche Aktivitäten iranischer Staatsangehöriger in den öffentlichen Medien im Ausland überwache und dazu die faktische Möglichkeit habe. Den Länderfeststellungen zufolge seien staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System oder Infragestellung der islamischen Grundsätze empfunden werde, besonders schwerwiegend und weitverbreitet. Jede Person, die sich im Internet regimekritisch äußere, laufe Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen "Cyberkrieg" gegen das Land führen zu wollen und Proteste anzustacheln. Der Staat überwache soziale Medien auf Aktivitäten, die er für illegal halte. Seit Beginn der Massenproteste Ende September 2022 hätten die Behörden tausende Menschen, die ihre Unterstützung für die Bewegung durch Beiträge auf sozialen Medien zum Ausdruck gebracht hätten, verhaftet. Die Revolutionsgarden würden die Justiz auffordern, jeden strafrechtlich zu verfolgen, der "falsche Nachrichten und Gerüchte" verbreite. Der Sicherheitsapparat verhafte umgehend alle Personen, die einen erkennbaren Grad an Sichtbarkeit oder Vernetzung mitbringen. Vor dem Hintergrund der Länderberichte sei davon auszugehen, dass die BF1 im Rückkehrfall aufgrund ihrer exilpolitischen Aktivitäten auf sozialen Medien und ihrer beachtlichen Reichweite sowie ihrer Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen als auffällig regimekritisch identifizierbar gewesen sei bzw. sei und die iranischen Behörden Kenntnis der exilpolitischen Aktivitäten hätten. In der Konsequenz wäre sie massiver politisch-motivierter Strafverfolgung ausgesetzt, da ihre Aktivitäten seitens des iranischen Regimes als staatsfeindlich bewertet werden würden. Die beweiswürdigenden Ausführungen der Behörde zum fluchtkausalen Ereignis und der westlichen Orientierung der BF1 würden jeglichen Begründungswerts entbehren. Vor dem notorischen Hintergrund, dass in Iran die Kopftuchpflicht seit mehr als 40 Jahren gesetzlich verankert sei, diese mit immer drastischeren Mitteln durchgesetzt werde und die neueste Strafreform sogar bis zu 15 Jahre Haft bei Missachtung der islamischen Kleidungsregeln vorsehe, bleibe kein Platz für Zweifel an der Plausibilität des Vorbringens der BF1, aufgrund der Missachtung der Kleidungsvorschriften strafrechtlich verfolgt zu werden. Die Behörde habe sich mit keinem Wort mit den diesbezüglichen Länderberichten auseinandergesetzt. Soweit die Behörde moniere, die BF1 hätte keinerlei Ladungen oder einen Haftbefehl als Beweismittel in Vorlage gebracht, ignoriere die Behörde die Ausführung der Regierungsvorlage in der Einvernahme, wonach sämtliche soziale Medien in Iran derzeit überwacht würden bzw. abgeschaltet seien. Das Versenden solcher Dokumente würde daher die Familie der BF1 massiv gefährden. Mit dem Vorbringen der BF1 zur Festnahme ihres Vaters wegen ihres Fernbleibens beim Gerichtstermin und seiner Freilassung auf Kaution habe sich die Behörde auch nicht auseinandergesetzt. Hinsichtlich des Vorhalts, dass die BF1 die örtlichen Einrichtungen der Polizei, Sittenpolizei sowie die heimatlichen Gesetze und Regeln kennen müsste, da sie seit ihrem 18. Lebensjahr einen iranischen Führerschein besitze und sie täglich mit dem Auto unterwegs sei, sei nicht nachvollziehbar, im Hinblick worauf die Behörde damit die Glaubwürdigkeit der BF1 schmälern wolle. Die BF1 habe auch vorgebracht, dass sie derzeit kein Bekenntnis habe und sich ihre Religion selbst aussuchen wolle. Die belangte Behörde habe sich in ihrer Beweiswürdigung mit keinem Wort mit diesem Vorbringen auseinandergesetzt. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

9. Am 01.09.2023 langten die Beschwerden mitsamt den bezughabenden Verwaltungsakten beim Bundesverwaltungsgericht ein.

10. Die Parteien wurden am 18.09.2023 über die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung sowie die Einbeziehung der Länderinformationen der Staatendokumentation zu Iran, Version 6 informiert.

11. Am 03.10.2023 brachten die BF durch ihre Regierungsvorlage zwei Ladungen des Gerichtshofes der Provinz Teheran sowie ein Schreiben der iranischen Rechtsanwältin der BF1 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

12. Mit Schreiben vom 12.10.2023 teilten die BF dem Bundesverwaltungsgericht durch ihre Regierungsvorlage mit, dass die BF1 am römisch 40 2023 vor der iranischen Botschaft in Wien an einer Versammlung von Iraner:innen teilgenommen habe. Ein Video darüber sei auf BBC Persia veröffentlicht worden. Darin sei die BF1 zu sehen.

13. Das Bundesverwaltungsgericht führte am römisch 40 2023 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die BF1 und ihre Vertreterin teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm unentschuldigt nicht teil. Auch der BF2 und die BF3 erschienen unentschuldigt nicht. Im Rahmen der Verhandlung wurde auch ein Zeuge einvernommen. Die BF1 legte ein Zeugnis der Universität Wien, ein Schreiben eines Pastors, eine Gerichtsladung betreffend die Obsorge für ihre Kinder, Chatverläufe mit ihrem Ehemann sowie Fotos von Demonstrationen und Postings in den sozialen Medien vor.

14. Mit Schreiben vom 04.12.2023 brachten die BF durch ihre Regierungsvorlage weitere Unterlagen (Erlaubnis des Vaters, die Kinder nach Österreich bringen zu dürfen, Scheidungsantrag, Beschluss über die Obhut der Kinder vom Familiengericht in Karaj, Iran) beim Bundesverwaltungsgericht ein.

15. Am 11.12.2023 und am 04.01.2024 langten beim Bundesverwaltungsgericht die Übersetzungen der von den BF vorgelegten Unterlagen ein.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Identitäten der BF stehen fest. Sie sind iranische Staatsangehörige. Ihre Muttersprache ist Farsi. Die BF2 und BF3 sind die minderjährigen Kinder der BF1. Die BF reisten am römisch 40 2022 mit Visa der Kategorie "C" (gültig von römisch 40 2022 bis römisch 40 2022), ausgestellt von der österreichischen Botschaft in Teheran, legal in das Bundesgebiet ein und stellten am römisch 40 2022 Anträge auf internationalen Schutz.

Die BF lebten vor ihrer Ausreise in der Stadt römisch 40 . Die BF1 hat in Iran zwölf Jahre lang die Grundschule besucht und sie mit Matura abgeschlossen. Anschließend studierte sie vier Jahre lang Translationswissenschaften von Englisch und erlangte den akademischen Grad Bachelor. Danach arbeitete sie von römisch 40 2017 bis römisch 40 2021 in einem Kindergarten. Das Arbeitsverhältnis endete, weil ihr Ehemann ihr nicht mehr erlaubte, dort zu arbeiten. Sie betrieb auch einen Instagram-Account, über den sie antike Gegenstände kaufte und verkaufte.

Die BF1 ist (noch) verheiratet, befindet sich aber in einem laufenden Scheidungsverfahren. Der Ehegatte der BF1 erlaubte ihr, gemeinsam mit ihren Kindern nach Österreich zu reisen. In Iran leben die Eltern der BF1, ihr Ehemann, ihre Großeltern sowie zwei Onkel und zwei Tanten samt ihren Familien. Mit ihren Eltern hat die BF1 regelmäßig Kontakt.

In Österreich verfügt die BF1 über eine Großmutter mütterlicherseits und vier Onkel sowie eine Cousine mütterlicherseits. Die BF leben in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt. Die BF1 besuchte von 06.03.2023 bis 16.06.2023 den Kurs "A1/2 - A2/2 Semester Deutsch am Campus" des Sprachenzentrums der Universität Wien und schloss diesen erfolgreich ab. Die BF1 ist nicht erwerbstätig und erhält Leistungen aus der Grundversorgung.

Die BF1 besuchte am römisch 40 2023 erstmals einen Gottesdienst der protestantischen Freikirche "Donau Gemeinde". Seither trifft sie sich regelmäßig mit dem Pastor, um die Bibel zu studieren und besucht sonntags den Gottesdienst.

Die BF leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohenden Krankheiten. Die BF1 hat nach eigenen Angaben psychische Probleme und nimmt Medikamente gegen eine Depression ein. Sie war bereits in Iran in psychotherapeutischer Behandlung. Abgesehen davon ist sie gesund. Der BF2 und die BF3 sind gesund und nehmen keine Medikamente ein.

Die BF sind strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Fest steht, dass die BF1 nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert ist. Ebenso steht fest, dass der BF1 im Falle der Rückkehr nach Iran aufgrund ihrer behaupteten Konversion zum christlichen Glauben keine Lebensgefahr oder Eingriffe in ihre körperliche Integrität durch Mitglieder der Regierung oder durch andere Personen drohen würde.

Weiters steht fest, dass der BF1 keine Verfolgung aufgrund des vorgebrachten fluchtauslösenden Ereignisses droht.

Die BF1 nahm seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet nahezu wöchentlich an Demonstrationen gegen das iranische Regime teil. Die BF1 veröffentlicht auf Instagram Fotos von Demonstrationen und andere regimekritische Beiträge. Auf ihrem öffentlichen bzw. beruflichen Account postet die BF1 keine dauerhaft abrufbaren Beiträge von den Demonstrationen und sie scheint auch nicht mit ihrem Klarnamen auf. In den Instagram-Stories ihres öffentlchen Accounts teilt sie auch regimekritische Beiträge. Ihr privates Instagram-Profil ist nicht öffentlich und damit für die Allgemeinheit nicht einsehbar. In einem von "BBC Persian" auf Instagram veröffentlichten Video ist die BF1 mehrere Sekunden bei einer regierungskritischen Demonstration zu sehen. Das Instagram-Profil von "BBC Persian" hat mehr als 20 Millionen Abonnenten.

Die BF1 hat eine Lebensweise angenommen und als wesentlichen Bestandteil ihrer Identität verinnerlicht, in der die Anerkennung und Inanspruchnahme ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt und die ein Abweichen von der in Iran vorherrschenden Geschlechterrolle bedeutet. Die Lebensweise der BF1 stellt einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Iran dar; eine Fortsetzung des Lebens, das sie derzeit in Österreich führt, wäre ihr in Iran nicht möglich. Sie lebt nicht nach der konservativ-iranischen Tradition, lehnt die Umstände, Lebensverhältnisse und Kleidungsvorschriften für Frauen in Iran ab und kann sich auch nicht vorstellen, nach der konservativ-iranischen Tradition zu leben. Die BF1 würde im Falle einer Rückkehr nach Iran als sich nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benehmende bzw. am "westlichen" Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau wahrgenommen werden und wäre aus diesem Grund mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Iran gewalttätigen Übergriffen und Bestrafungen, struktureller Gewalt, einem Klima ständiger latenter Bedrohung und Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit sowie beim Zugang zu Bildung und Erwerbstätigkeit ausgesetzt. Der BF würde diesbezüglich kein effizienter staatlicher Schutz zukommen.

Der BF2 und die BF3 haben keine eigenen Fluchtgründe.

1.3. Zur relevanten Situation im Herkunftsland:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 26.01.2024 wiedergegeben:

Politische Lage

Letzte Änderung: 25.01.2024

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (FAZ 24.3.2023). Sie kombiniert republikanisch-demokratische Elemente mit einem theokratischen System (BS 23.2.2022; vergleiche BPB 10.1.2020). Das Kernkonzept der Verfassung ist die "Rechtsgelehrtenherrschaft" (velayat-e faqih). Nach schiitischem Glauben gibt es einen verborgenen Zwölften Imam, den als Erlöser am Jüngsten Gericht von Gott gesandten Muhammad al-Mahdi (BPB 10.1.2020). Gemäß diesem Prinzip soll ein schiitischer Theologe praktisch in Stellvertretung des seit dem Jahr 874 in Verborgenheit weilenden Mahdi agieren und die Geschicke des Gemeinwesens lenken (BAMF 5.2022). Darauf aufbauend schuf Ajatollah Ruhollah Khomeini 1979 ein auf ihn zugeschnittenes Amt, das über allen gewählten Organen steht, und somit die republikanischen Verfassungselemente des Präsidenten und des Parlaments neutralisiert: das Amt des "Herrschenden Rechtsgelehrten" (vali-ye faqih), dessen Inhaber auch "Revolutionsführer" (rahbar) genannt wird. Der Revolutionsführer übt quasi stellvertretend für den Zwölften Imam bis zu dessen Rückkehr die Macht aus (BPB 10.1.2020).

Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 20.3.2023). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.9.2021), ist höchste Autorität des Landes, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und ernennt den Leiter des Justizwesens sowie des staatlichen Rundfunks und die Mitglieder des Schlichtungsrats (FH 10.3.2023). Ihm unterstehen auch die Islamischen Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inkl. der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen. In der Hand religiöser Stiftungen und der "Garden" liegen mächtige Wirtschaftsunternehmen, die von der infolge der US-Sanktionen wachsenden Schattenwirtschaft profitieren (ÖB Teheran 11.2021). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Die Revolutionsgarden, die direkt Revolutionsführer Khamenei unterstehen, bleiben ein militärischer, politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor (AA 30.11.2022).

Entscheidende Gremien sind der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern. Davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen (ÖB Teheran 11.2021). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der "Gesamtinteressen des Systems" zu achten (AA 14.9.2021). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 20.3.2023), er sollte die Arbeit des Revolutionsführers kontrollieren. In der Praxis scheint er die Entscheidungen des Revolutionsführers jedoch nicht herauszufordern (FH 10.3.2023). Auch wenn der Expertenrat nominell direkt von der Bevölkerung gewählt wird, hat der Revolutionsführer indirekt Einfluss auf dessen Zusammensetzung, da der Wächterrat, der zur Hälfte vom Revolutionsführer und zur Hälfte vom (durch den Revolutionsführer eingesetzten) Leiter des Justizwesens besetzt wird, die Kandidatenauswahl dafür vornimmt und den Wahlvorgang kontrolliert (USDOS 20.3.2023). Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt unter anderem auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 11.2021). Da der Wächterrat die Kandidaten für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen (Majles oder Islamische Beratende Versammlung) überprüft und regelmäßig eine bedeutsame Anzahl an Kandidaten von der Wahl ausschließt und den Wahlvorgang kontrolliert, übt der Revolutionsführer somit indirekt Einfluss auf die legislativen und exekutiven Institutionen des Landes aus (USDOS 20.3.2023). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2020).

Der Präsident ist nach dem Revolutionsführer der zweithöchste Amtsträger im Staat. Er bildet ein Regierungskabinett, das vom Parlament bestätigt werden muss (FH 10.3.2023). Das iranische Regierungssystem ist damit ein semipräsidiales und an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021). Der Präsident ist für das tagespolitische Geschäft zuständig und hat einen bedeutsamen Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik des Landes (BBC 8.10.2022). Seine Macht ist allerdings vergleichsweise beschränkt (BBC 8.10.2022; vergleiche BPB 10.1.2020). Der religiöse Führer hat das letzte Wort in allen staatlichen Angelegenheiten (DW 16.6.2021). Die Macht des Präsidenten wird auch durch das Parlament eingeschränkt und der Wächterrat muss neuen Gesetzen zustimmen oder kann ein Veto einlegen (BBC 8.10.2022).

[…]

Am 18.6.2021 fanden in Iran Präsidentschaftswahlen statt (AA 14.9.2021). Gewonnen hat die Wahl der konservative Hardliner und vormalige Justizchef Ebrahim Raisi mit mehr als 62 % der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 50 % und war somit niedriger als jemals zuvor bei einer Präsidentschaftswahl in der Geschichte der Islamischen Republik. In der Hauptstadt Teheran lag die Wahlbeteiligung bei nur 26 %. Zudem wurden mehr als 3,7 Millionen Stimmzettel für ungültig erklärt (Standard 19.6.2021). Der Wettbewerb um die Wählerstimmen war stark manipuliert. Der Wächterrat hatte im Vorfeld die meisten der 600 Präsidentschaftskandidaten - darunter auch 40 Frauen - abgelehnt. Drei der genehmigten Kandidaten zogen ihre Kandidatur wenige Tage vor der Wahl zurück. Die Behörden übten auf die Medien Druck aus, um kritische Berichterstattung über Raisi oder den Wahlvorgang zu verhindern (FH 10.3.2023). In Folge der Präsidentschaftswahlen vom Juni 2021 befindet sich die gesamte Befehlskette in konservativer bzw. erzkonservativer Hand (Oberster Führer, Präsident/Regierungschef, Leiter der religiösen Judikative, Regierung, Parlament, Wächterrat, Expertenrat) (ÖB Teheran 11.2021).

Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Die Bewerber um einen Parlamentssitz erhalten ihre Unterstützung nicht von Parteien, sondern von klerikalen und wirtschaftlichen Interessengruppen. Das Parlament ist die gesetzgebende Institution Irans. Allerdings muss bei Gesetzesvorhaben ihre Vereinbarkeit mit der islamischen Rechtstradition beachtet werden. Gesetzesvorschläge kommen von den Ministern oder den Abgeordneten. Ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz kann vom Wächterrat so lange an das Parlament zurückverwiesen werden, bis es seinen Vorstellungen entspricht (DW 16.6.2021). Bei den Parlamentswahlen vom 21.2.2020 haben (ultra-)konservative Kandidaten knapp 80 % der Sitze im Parlament gewonnen (AA 30.11.2022). Vor der Abstimmung disqualifizierte der Wächterrat mehr als 9.000 der 16.000 Personen, die sich für eine Kandidatur angemeldet hatten, darunter eine große Anzahl reformistischer und gemäßigter Kandidaten (FH 10.3.2023). Die Wahlbeteiligung lag bei 42,6 %, was als die niedrigste Wahlbeteiligung bei einer Parlamentswahl in die Geschichte der Islamischen Republik einging (FH 10.3.2023; vergleiche AA 30.11.2022).

Präsident, Parlament und Expertenrat werden also in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den vom Revolutionsführer und Justizchef ernannten Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023, BPB 31.1.2020a). Dennoch kommt es in kaum einem anderen Land des Nahen Ostens zu derart umkämpften Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Die bestehenden programmatischen Differenzen zwischen prinzipientreuem Klerus und neokonservativen Technokraten, wirtschaftsliberalen Pragmatikern und klerikalen oder gar säkularen Reformern spiegeln einen Pluralismus in Iran wider, der allerdings phasenweise aufs Schärfste bedroht ist (BPB 31.1.2020a).

Das Regime reagierte auch unter der moderaten Regierung von Ex-Präsident Rohani in den letzten Jahren auf die wirtschaftliche Krise und immer wieder hochkommenden Unmut und Demonstrationen mit einem harten Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivisten, religiöse und ethnische Minderheiten und Umweltaktivisten. Die Regierung Raisi ist noch dabei, ihre Machtstruktur auf allen Ebenen zu festigen. Sie hat jedoch bereits stärkere Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Sinne der "islamischen Gesellschaftsordnung" (Rolle der Frauen fokussiert auf Gebärfunktion), der Ablehnung "westlicher" Kultur, der Unterdrückung von Kritik (Internetzensur) und eine stärkere Ausrichtung auf Russland und China und deren politische Modelle angekündigt (ÖB Teheran 11.2021).

Frauen haben das aktive Wahlrecht, werden bei der politischen Teilhabe allerdings mit bedeutsamen rechtlichen, religiösen und kulturellen Hindernissen konfrontiert. Nach Interpretation des Wächterrats verwehrt die iranische Verfassung es Frauen, die Ämter des Revolutionsführers oder Präsidenten, Funktionen im Experten-, Wächter- und Schlichtungsrat sowie mancher Richterposten anzutreten (USDOS 20.3.2023). Unter 40-Jährige, die etwa drei Viertel der iranischen Bevölkerung ausmachen, waren bislang größtenteils von jeglicher politischen Partizipation ausgeschlossen. Politische Ämter werden überwiegend von Männern der ersten Generation der Elite der Islamischen Republik - den heute über 70-jährigen Gründungsvätern - und der zweiten Generation - den heute über 60-jährigen Veteranen des Iran-Irak-Kriegs sowie Vertretern der Revolutionsgarden - regiert (BPB 31.1.2020a).

Proteste 2022/2023

Nach dem Tod der 22-Jährigen Mahsa Jîna (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023) in Gewahrsam der sogenannten Sittenpolizei (gasht-e ershâd) in Teheran (BPB 16.2.2023) aufgrund eines angeblich unkorrekt getragenen Hijabs kam es in Iran zu den größten Protesten seit Jahren (EN 1.2.2023). Während in den letzten Jahren in Iran häufig Demonstrationen stattfanden, waren die Proteste hinsichtlich ihrer geographischen Verbreitung und Dauer beispiellos (ACLED 12.4.2023).

Als Frau sunnitischer Konfession und als Kurdin verkörperte Mahsa Jina Amini alle drei Dimensionen der systematischen Diskriminierung durch die Islamische Republik: Geschlecht, Konfession und ethnische Zugehörigkeit (Posch/Chatham 5.5.2023). Die Proteste in Iran richteten sich gegen Diskriminierung und fokussierten auf Menschenrechte. Die Wut der Tausenden von Demonstranten, die auf die Straße gingen, konzentrierte sich auf die Tatsache, dass weder das Geschlecht noch die ethnische Zugehörigkeit die Ursache für den Tod eines iranischen Bürgers in Gewahrsam sein sollte, was eine eindeutige Menschenrechtsfrage darstellt (Posch 2023). Der von den Demonstranten verwendete Spruch "Frau, Leben, Freiheit" (auf Farsi: "zan, zendegi, âzâdi") stammt dabei ursprünglich von der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) (auf Kurdisch "jin, jîyan, azadî"). Er war zunächst unter iranischen Demonstranten im Westen zu hören. Dann begannen auch in Iran die säkularen und linken Teile der Gesellschaft, ihn zu verwenden, bevor er sich landesweit über Klassen- und ethnische Grenzen hinweg verbreitete (Posch/Chatham 5.5.2023). Die Proteste wurden insbesondere von den folgenden Gruppen getragen: Frauen, Jugendliche, Studentinnen und Studenten sowie von marginalisierten Ethnien - insbesondere Kurden und Belutschen (BPB 16.2.2023). Die auf Menschen- und Bürgerrechten basierende Agenda der Proteste konnte jedoch sowohl säkulare Teheraner aus der Mittelschicht als auch sunnitische Fundamentalisten aus den marginalisierten Grenzprovinzen Irans mobilisieren. Unter anderem kritisierten auch prominente Stimmen wie Kak Hasan Amini, einer der profiliertesten sunnitischen Geistlichen Irans, oder Moulana Abdulhamid aus Belutschistan, Führer der sunnitischen Gemeinschaft im Osten des Irans, das Regime (Posch 2023).

Dieses reagierte mit massiver Repression auf die Proteste. Zeitweise wurden rund 20.000 Personen inhaftiert (BPB 16.2.2023). Bis Mitte Februar 2023 zählte die NGO Human Rights Activists News Agency (HRANA) 530 Todesopfer unter den Protestteilnehmern (DIS 3.2023; vergleiche BPB 16.2.2023). Auch wurden im Rahmen der Proteste zwischen September 2022 und April 2023 rund 50 Angehörige der Basij, Revolutionsgarden und Polizei getötet (ACLED 12.4.2023), laut HRANA waren es beinahe 70 Regimekräfte (BPB 16.2.2023). Eine unbekannte Zahl von Personen, wie z.B. Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Studenten, Künstler, Akademiker, Rechtsanwälte, medizinisches Personal, das sich um Protestteilnehmer gekümmert hat, Minderjährige und Personen, die sich online an anti-Regierungsaktivitäten beteiligt haben, wurde wegen "Verbreitung von Propaganda", "Absprachen zur Begehung von Straftaten und Handlungen gegen die nationale Sicherheit" oder "Kriegsführung gegen Gott" sowie "Korruption auf Erden" verurteilt, wobei diese Tatbestände vor den iranischen Revolutionsgerichten mit hohen Strafen geahndet werden (DIS 3.2023).

Die Proteste zeichneten sich durch ihre Dezentralität, die Bedeutung von zivilem Ungehorsam und Flashmobs als Protestform - insbesondere durch Frauen, die ihr Kopftuch ablegen - und, wie vor allem in europäischen Debatten oft bemängelt wird, durch fehlende Organisations- und Führungsstrukturen aus (BPB 16.2.2023). Die fehlenden Führungsstrukturen waren sowohl Stärke als auch Schwäche der Proteste, bei denen das Internet und soziale Medien eine große Rolle zur Mobilisierung und Verbreitung der Protestbotschaften spielten: Einerseits machen die fehlenden Führungsstrukturen staatliche Repression schwieriger, andererseits erschweren sie auch die Herausbildung einer Bewegung, welche eine politische Alternative zum derzeitigen System darstellen könnte (FR24 16.12.2022).

Bis zum Sommer 2023 sind die Straßenproteste schließlich abgeflaut und die Regierung hat beispielsweise versucht, die Strafen für Verstöße gegen die Hijab-Regeln zu verschärfen (USIP 6.9.2023). Die Islamische Republik blieb weiterhin funktionsfähig und im Zuge der Proteste konnte nicht beobachtet werden, dass eine Einheit des hochkompetitiven iranischen Sicherheitsapparats geschwächelt hätte oder sich illoyal verhalten habe (Posch/Chatham 5.5.2023). Die Regierung ist darauf bedacht, ihre Anhängerschaft zu halten, versucht aber auch, Menschen am Rande der Gesellschaft zu Anhängern der Islamischen Republik zu machen. So haben die staatlichen Medien jüngst beispielsweise neue Fernsehsendungen produziert und eine größere Anzahl von Gästen eingeladen, um heikle politische Themen zu diskutieren. Die Regierung möchte aufgeschlossen und sympathisch erscheinen, um ein gewisses Maß an Legitimität aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen. Die Regierungsvertreter sind sich allerdings darüber im Klaren, dass die Legitimität des Regimes erodiert ist, insbesondere seit der gewaltsamen Niederschlagung der landesweiten Demonstrationen, die durch den Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam im Jahr 2022 ausgelöst worden sind (USIP 17.11.2023). Die Proteste scheinen im Jahr 2023 abgeklungen zu sein, aber die dort artikulierten Missstände bleiben weiterhin bestehen (CRS 29.9.2023).

Anmerkung, Informationen zur Protestwelle ab September 2022 können insb. auch den Kapiteln "Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition" und "Ethnische Minderheiten" sowie den dazugehörigen Unterkapiteln entnommen werden.

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 26.01.2024

Verglichen mit Nachbarstaaten wie dem Irak, Libanon, Syrien und Afghanistan hat Iran eine sehr starke Zentralregierung mit mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsbehörden. Mit Ausnahme von einigen peripheren Grenzregionen ist die Regierung im Besitz der Kontrolle über das gesamte Staatsterritorium. In den Provinzen West-Aserbaidschan und Kermanshah, an der westlichen Staatsgrenze zu Irakisch-Kurdistan, kommt es regelmäßig zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Islamischen Revolutionsgarden (IRGC, Pasdaran) und separatistischen Gruppierungen, wie der Kurdistan Democratic Party of Iran (KDPI) und der Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (PJAK) (BS 23.2.2022).

Die schwierige Wirtschaftslage und die latenten Spannungen führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder an (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Es muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstrierenden sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Ab Mitte September 2022 kam es in zahlreichen Städten des Landes immer wieder zu Protesten gegen die Regierung. Bei Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstrierenden sind zahlreiche Personen getötet oder verletzt worden. Teilweise wird scharfe Munition eingesetzt (EDA 4.1.2024). Die Sicherheitskräfte gingen insbesondere in Randgebieten wie den Provinzen Kurdistan sowie Sistan und Belutschistan hart gegen Protestierende vor (Newsweek 1.12.2022; vergleiche UNHRC 7.2.2023). Während Mitglieder der Basij-Miliz in Teheran Demonstranten verprügelten, haben die Sicherheitsbehörden in Kurdistan, Belutschistan und Ahwaz beispielsweise schwere Maschinengewehre, gepanzerte Fahrzeuge, schwere Artillerie und sogar Kampfhubschrauber zur Bekämpfung der Proteste in Stellung gebracht (TWI 14.10.2022).

[Anm.: s. Kap. "Versammlungsfreiheit" sowie "ethnische Minderheiten" samt der Unterkapitel für weitergehende Informationen zu den Protesten.]

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Am 3.1.2024 forderte ein Anschlag anlässlich einer Gedenkfeier in der Stadt Kerman [Provinz Kerman] rund 100 Todesopfer und zahlreiche Verletzte. Im August 2023 sowie Oktober 2022 wurden mehrere Personen bei Attentaten auf den Shah Cheragh-Schrein in Shiraz [Provinz Fars] getötet oder verletzt. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 4.1.2024). Vor allem in Grenzregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Besonders betroffen sind die Provinzen Kurdistan und Sistan und Belutschistan, der Osten der Provinz Kerman sowie die Grenzgebiete zu Irak, Pakistan und Afghanistan. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 18.12.2023).

Der o.g. Anschlag in der Stadt Kerman am 3.1.2024 mit fast 100 Todesopfern und über 200 Verletzten ereignete sich während einer Gedenkfeier anlässlich des Todestags von Qassem Soleimani (IRINTL 3.1.2024; vergleiche Soufan 4.1.2024). Als Befehlshaber der Auslandsoperationen der Revolutionsgarden, der Quds-Kräfte (BBC 4.1.2024; vergleiche AP 4.1.2024), war Soleimani einer der Architekten der iranischen Politik in der Region. Er war für die geheimen Missionen der Quds-Kräfte und die Bereitstellung von Führung, Finanzierung, Waffen, Geheimdienstinformationen und logistischer Unterstützung für verbündete Regierungen und bewaffnete Gruppen, einschließlich der Hisbollah und der Hamas, verantwortlich (BBC 4.1.2024; vergleiche Soufan 4.1.2024). Er war auch im Irak und in Syrien aktiv, wo er das Assad-Regime gegen den Islamischen Staat (IS) und andere Gruppierungen unterstützt hat. Der in Iran populäre Soleimani wurde im Jahr 2020 bei einem Drohnenangriff der USA nahe Bagdad getötet (AP 4.1.2024). Zum Anschlag in Kerman bekannte sich der IS, wobei von einem US-amerikanischen Nachrichtendienst abgefangene Gespräche gemäß der Nachrichtenagentur Reuters bestätigen, dass der Ableger des IS in Afghanistan, der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP), für den Anschlag verantwortlich war (REU 5.1.2024; vergleiche FAZ 12.1.2024). Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem IS in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 18.12.2023; vergleiche TWI 31.10.2022). Die Anschläge im Oktober 2022 und August 2023 auf den schiitischen Shah Cheragh-Schrein in Shiraz haben iranische staatliche Medien ebenfalls dem IS zugeschrieben (AJ 26.10.2022) bzw. bekannte sich die Organisation selbst zu ihnen (AJ 13.8.2023). Dieser Anschlag war der erste des IS auf iranischem Boden seit 2018. Zuvor hatte der ISKP mehrere Drohungen gegen den iranischen Staat ausgesprochen (TWI 31.10.2022). Der ISKP hat seine Strategie nach der Machtübernahme der Taliban 2021 teils geändert und seine Operationsgebiete sowie Rekrutierungsbestrebungen "internationalisiert" (Conversation 11.1.2024; vergleiche FAZ 12.1.2024).

Die Grenzzone zu Afghanistan, das östliche Kerman und Sistan und Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändler- sowie von extremistischen Organisationen. Sie verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein (EDA 4.1.2024). Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 18.12.2023). Es kann jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 4.1.2024). In Sistan und Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) wurden zahlreiche Zusammenstöße zwischen Mitgliedern von Drogenbanden, Kämpfern, Zivilisten und Sicherheitskräften verzeichnet, bei denen Menschen getötet und verletzt wurden (MBZ 9.2023; vergleiche AA 18.12.2023, Arabiya 17.1.2024).

Im Dezember 2023 wurde ein Angriff auf eine Polizeistation in der Stadt Rask in Sistan und Belutschistan verübt, der mindestens elf Tote forderte. Laut dem staatlichen iranischen Fernsehen war die dschihadistische Gruppierung Jaysh al-Adl (JAA, auch JUA) für den Anschlag verantwortlich (Spiegel 15.12.2023; vergleiche NZZ 16.12.2023). Im Juli 2023 hatte sich die Gruppierung zu einem Angriff auf eine Polizeistation in Zahedan [Anm.: Hauptstadt von Sistan und Belutschistan] bekannt (IRJ 10.7.2023; vergleiche BAMF 10.7.2023). Mitte Jänner 2024 führten die Revolutionsgarden einen Raketenangriff auf eine angebliche Stellung der JAA auf pakistanischem Staatsgebiet durch (IRINTL 17.1.2024; vergleiche BBC 18.1.2024), woraufhin die pakistanischen Streitkräfte mehrere Ziele in der Ortschaft Saravan in der iranischen Provinz Sistan und Belutschistan angriffen, bei denen es sich nach pakistanischen Angaben um "terroristische Verstecke" handelte (IRINTL 18.1.2024; vergleiche BBC 18.1.2024). Zeitgleich tötete die JAA nach eigenen Angaben einen Kommandanten der Revolutionsgarden, als sie sein Fahrzeug nahe der pakistanischen Grenze unter Beschuss nahmen (IRINTL 17.1.2024; vergleiche AnA 18.1.2024). Die JAA bestätigte, dass bei dem Raketenbeschuss der Revolutionsgarden auf pakistanisches Territorium die Häuser zweier Mitglieder getroffen worden waren, wobei unter anderem zwei Kinder getötet wurden (IRINTL 17.1.2024). Bei den pakistanischen Angriffen auf Ziele in Saravan starben nach staatlichen iranischen Angaben drei Frauen und vier Kinder, die keine iranischen Staatsbürger waren (IRINTL 18.1.2024; vergleiche BBC 18.1.2024). Die JAA operiert vor allem von Pakistan aus (IRINTL 17.1.2024; vergleiche AnA 18.1.2024) und Iran war auch schon früher in bewaffnete Auseinandersetzungen mit der Gruppe entlang der Grenze verwickelt (IRINTL 17.1.2024).

Die Grenze [zu Afghanistan und Pakistan] ist durchlässig, größtenteils gebirgig und eine wichtige Schmuggelroute für Drogen und andere Waren, die das organisierte Verbrechen anzieht (DFAT 24.7.2023; vergleiche BAMF 10.7.2023). Die Beziehungen zwischen der iranischen Regierung und der Taliban-Regierung in Afghanistan sind teils angespannt (DFAT 24.7.2023). Seit die Taliban im August 2021 die Kontrolle übernommen haben, liefern sich iranische Soldaten und Taliban-Sicherheitskräfte entlang der gemeinsamen Grenze immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen (DFAT 24.7.2023; vergleiche IRINTL 3.9.2022). Iranische Nachrichtenagenturen mit Verbindungen zur Regierung behaupteten, dass die Kämpfe jeweils entweder mit den Taliban oder mit Drogenschmugglern stattfanden (DFAT 24.7.2023).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, Personal der Justiz und Angehörige des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt (AA 18.12.2023). Die Sicherheitskräfte sind in den Provinzen Kurdistan, Kermanshah und West-Aserbaidschan in großer Zahl präsent (MBZ 9.2023). In dieser von Kurden bewohnten Region an der Grenze zum Irak und der Türkei (Izady/Gulf 2000 o.D.) kam es zu einigen bewaffneten Zusammenstößen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Mitgliedern kurdischer Parteien, die Stützpunkte im Nordirak haben, manchmal auch mit Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Die iranischen Behörden behaupteten, dass die Proteste ab Mitte September 2022 auch aus dem Nordirak unterstützt wurden. Scheinbar als Reaktion darauf führten die Revolutionsgarden mehrfach Raketenangriffe und Drohnenangriffe gegen Stützpunkte und Mitglieder kurdischer Parteien im Nordirak durch (MBZ 9.2023). Im Herbst 2022 feuerten iranische Sicherheitskräfte zur Bekämpfung iranisch-kurdischer Gruppen mehr als 70 Raketen über die Grenze auf Gebiete des benachbarten Irak - der größte grenzüberschreitende Angriff des Landes seit den 1990er-Jahren (DW 13.11.2022; vgl.K24 28.11.2022, Rudaw 28.9.2022). Im Juni 2023 kam es an verschiedenen Orten in der Provinz Kurdistan zu Gefechten zwischen Mitgliedern der PJAK und Angehörigen der Revolutionsgarden, wobei auch Todesopfer gemeldet wurden (BAMF 19.6.2023; vergleiche RFE/RL 14.6.2023). Eine kurdische NGO warf den Revolutionsgarden vor, bei einem der Vorfälle unterschiedslos Häuser von Zivilisten beschossen zu haben (RFE/RL 14.6.2023).

Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen) (EDA 4.1.2024).

Gelegentlich wirken sich die Spannungen aus dem Grenzkonflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan auf die Sicherheitslage im iranischen Grenzgebiet aus (EDA 4.1.2024).

Mitunter kommt es im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Auch für unbeteiligte Personen besteht das Risiko, unversehens in einen Schusswechsel zu geraten (EDA 4.1.2024).

Iran und regionale Konflikte

Der neue de facto-Anführer von al-Qaida - sein Amtsantritt wurde bislang nicht offiziell bekannt gegeben - Sayf al-Adl befindet sich nach Einschätzungen von Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats in Iran (UNSC 13.2.2023).

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken (EDA 4.1.2024).

Iran hat eine lange Geschichte der Unterstützung von terroristischen Organisationen wie der Hisbollah, der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Jihad (JPOST 27.2.2023). Das Regime unterstützt auch verschiedene "Widerstands"-Milizen im Irak (TWI 20.12.2023), in Syrien, im Jemen und auch Bahrain (CFR 11.12.2023). Die Hilfen umfassen umfangreiche finanzielle und logistische Unterstützung (TWI 20.12.2023). Im Zentrum des iranischen Netzwerks steht die libanesische Hisbollah, die Iran dabei unterstützt hat, die schiitisch-arabisch-persische Kluft zu überbrücken. Die Hisbollah half dem Iran auch bei der Unterstützung des Regimes von Bashar al-Assad im Bürgerkrieg in Syrien, wo sie andere Milizen zur Verteidigung des Regimes heranzog (CFR 11.12.2023). Die geografische Ausdehnung von Irans Allianznetz ist derzeit so groß wie nie zuvor seit der Islamischen Revolution 1979. Die mit Iran verbündeten Milizen agieren laut dem Experten Walter Posch selbstständig. Doch bei allen Aktionen gibt es Spuren, die zurück nach Iran führen (NZZ 2.1.2024).

Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7.10.2023 haben die Spannungen in der Region zugenommen (IRINTL 11.1.2024; vergleiche BBC 16.1.2024a). Seitdem [Stand Mitte Jänner 2024] kommt es in einem Gebiet an der libanesisch-israelischen Grenze zu vermehrtem Raketenbeschuss zwischen der Hisbollah und Israel (DlF 4.1.2024; vergleiche ORF 14.1.2024). In Syrien und dem Irak haben iranische Stellvertreter seit dem 7.10.2023 mehr als 100 Mal US-Streitkräfte beschossen (Soufan 8.1.2024; vergleiche IRINTL 11.1.2024). Mitte Jänner 2024 haben die Revolutionsgarden auch direkt Ziele in der Kurdistan Region Irak (KRI) und in Nordwestsyrien angegriffen. Nach iranischen Angaben handelte es sich dabei um Vergeltungsschläge gegen den IS und israelische Spione anlässlich des Anschlags in Kerman am 3.1.2024 sowie gezielter Tötungen von ranghohen Verbündeten Irans in Syrien und dem Libanon, für die Israel verantwortlich gemacht wird. Iran hat auch schon zu früheren Zeitpunkten Stützpunkte separatistischer iranischer Oppositionsgruppen [s. Unterkap. " Kurdische separatistische Gruppierungen"] und "israelische Agenten" in der KRI angegriffen (IRINTL 16.1.2024; vergleiche BBC 16.1.2024a). Die von Iran unterstützte jemenitische Houthi-Bewegung hat nach dem 7.10.2022 Geschosse auf Israel abgefeuert, von denen fast alle abgefangen wurden (Soufan 8.11.2023). Mitte November sind die Houthis dazu übergegangen, Handelsschiffe im Roten Meer und vor der jemenitischen Küste ins Visier zu nehmen und bedrohen damit eine bedeutsame Welthandelsroute (Soufan 9.1.2024; vergleiche BBC 16.1.2024b). Die USA haben daraufhin gemeinsam mit dem Vereinigten Königreich eine Sicherheitsoperation im Roten Meer aufgestellt (Soufan 9.1.2024; vergleiche BBC 16.1.2024b) und Stellungen der Houthis im Jemen bombardiert (BBC 16.1.2024b). Mitte Jänner 2024 haben die Houthis auch ein US-Kriegsschiff beschossen. Die Houthis sind der Militärmacht der USA und des Vereinigten Königreichs nicht gewachsen, aber sie scheinen über genügend Entschlossenheit und Waffen zu verfügen - die von Iran bereitgestellt werden -, um das Rote Meer für die Schifffahrt unsicher zu machen und den Konflikt im Nahen Osten zu verschärfen (IRINTL 15.1.2024).

Seit 2010 hat Israel angeblich mindestens zwei Dutzend Operationen - darunter Attentate, Drohnenangriffe und Cyberangriffe - gegen Iran durchgeführt (USIP 30.1.2023). Die meisten Ziele standen im Zusammenhang mit dem umstrittenen Atomprogramm Teherans, das Israel als existenzielle Bedrohung betrachtet (USIP 30.1.2023; vergleiche TIS 29.12.2023). Im Jahr 2022 wurden zwei Einrichtungen, die Teil des zunehmend fortschrittlichen iranischen Drohnenprogramms waren, von Drohnen getroffen (USIP 30.1.2023). Israel hat Berichten zufolge auch Militärkommandeure ins Visier genommen, die für Operationen im Ausland verantwortlich sind (USIP 30.1.2023; vergleiche TIS 29.12.2023). 2023 wurde im Jänner (RFE/RL 31.1.2023) und April von israelischen Drohnenangriffen auf militärische Ziele in Iran berichtet (IRINTL 5.4.2023), im Dezember vermeldete der iranische Ölminister einen Cyberangriff, den er Israel und den USA zuschrieb (FR24 18.12.2023; vergleiche NZZ 2.1.2024).

Verbotene Organisationen

Letzte Änderung: 13.04.2023

Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, die die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 30.11.2022).

In den iranischen Oppositionsgruppen spiegeln sich unterschiedliche politische Missstände, ethnische Spannungen und ideologische Strömungen wider. Die sichtbarsten Gegner des Regimes sitzen teilweise oder ganz außerhalb Irans. Ihre Ziele sind entweder ein Regimewechsel oder die Selbstbestimmung einer ethnischen Gruppe innerhalb Irans. Die Regierung hat Mitglieder der nachstehend erwähnten Gruppierungen verfolgt und strafrechtlich belangt. Einige Gruppierungen haben Verbindungen zu benachbarten Regierungen in der Region, andere operieren von Europa aus (USIP 2.7.2020).

Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komala(h)-Partei(en), die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI), die Partiya Jiyana Azad a Kurdistane [Partei für ein freies Leben in Kurdistan] (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der türkischen Arbeiterpartei Kurdistans - PKK, zusammenarbeitet, die aus Belutschistan stammende Jundallah (AA 30.11.2022), ihre Absplitterung Jaish al-Adl (Armee der Gerechtigkeit [JAA, JUA]) und das Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz (ASMLA) in der Provinz Khuzestan. Die Mujahadeen-e Khalq (MEK) tritt vom Exil aus für einen Regimewechsel ein. Sie hat sich ab 2003 von der Gewalt losgesagt (USIP 2.7.2020).

Die iranischen Geheimdienste überwachen die Aktivitäten von Gruppierungen wie der MEK, Angehörige der separatistischen Befreiungsbewegung für die Ahwaz-Region sowie iranisch-kurdische Bewegungen auch im westlichen Ausland (BMP 7.10.2022). In einzelnen Fällen kam es auch zu Entführungen und Tötungen von Dissidenten im Ausland (USIP 5.4.2023).

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 26.01.2024

Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltenteilung ist in der Praxis stark eingeschränkt (AA 30.11.2022; vergleiche BS 23.2.2022). Artikel 57, der Verfassung verleiht dem Revolutionsführer weitreichende Aufsichtsbefugnisse über das Justizwesen (BS 23.2.2022). Er ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023), der wiederum für die Ernennung und Entlassung der Gerichtsleiter (Soltani/Shooshinasab 8.2022) und von Richtern zuständig ist (BS 23.2.2022). Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben (AA 30.11.2022). Während die Gerichte innerhalb des herrschenden Establishments ein gewisses Maß an Autonomie genießen, wird das Justizsystem regelmäßig als Instrument eingesetzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 10.3.2023). Der Sicherheitsapparat (AA 30.11.2022) - insbesondere die Revolutionsgarden (BS 23.2.2022) - nehmen v. a. in politischen Fällen jedoch massiven Einfluss auf Urteilsfindung und Strafzumessung (AA 30.11.2022; vergleiche BS 23.2.2022). Das Justizwesen ist geprägt von Korruption (AA 30.11.2022; vergleiche USIP 1.8.2015). Es wird von Fällen berichtet, in denen Richter bestochen wurden, um Gerichtsprozesse zu beeinflussen (IrWire 28.4.2021).

Iranische Gerichte, insbesondere Revolutionsgerichte, sind regelmäßig weit davon entfernt, faire Gerichtsverfahren zu gewährleisten (HRW 12.1.2023). So verweigerten die Behörden z. B. Untersuchungshäftlingen den Zugang zu einem Rechtsbeistand, ließen Inhaftierte "verschwinden" oder hielten sie ohne Kontakt zur Außenwelt fest (AI 27.3.2023), ließen in Prozessen "Geständnisse" als Beweise zu, die unter Folter erpresst worden waren (AI 27.3.2023; vergleiche HRW 12.1.2023), und führten summarische und geheime Scheinprozesse durch, die keinerlei Ähnlichkeit mit fairen Verfahren aufwiesen, in denen jedoch Haftstrafen, Körperstrafen und Todesurteile verhängt wurden (AI 27.3.2023). Im Zusammenhang mit den weitverbreiteten Protesten haben die Justizbehörden im September und November 2022 über 1.000 Anklagen erhoben (HRW 12.1.2023), wobei in den ersten Wochen der Proteste über 15.000 Personen inhaftiert worden sind. Im Laufe des Jahres 2022 wurden Tausende Menschen willkürlich inhaftiert und/oder zu Unrecht strafrechtlich verfolgt, nur weil sie friedlich ihre Menschenrechte wahrgenommen haben. Unzählige weitere bleiben zu Unrecht in Haft (AI 27.3.2023).

Das Recht ist in allen Rechtsbereichen umfassend kodifiziert, so etwa das Zivilrecht, das Familien- und Erbrecht oder das Strafrecht. Die iranischen Gerichte müssen auf der Grundlage dieser Gesetze Recht sprechen. Die Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz ist somit formal gewahrt (LTO 26.10.2022). Der Grundsatz der Rechtmäßigkeit ist zwar durch die Verfassung geschützt, aber mit einem Vorbehalt versehen. In Artikel 167 der Verfassung, einem der umstrittensten Artikel, heißt es, dass die Richter verpflichtet sind, sich zu bemühen, jeden Fall auf der Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Falle des Fehlens, der Unzulänglichkeit, der Kürze oder der Widersprüchlichkeit der Gesetze müssen die Richter den Fall jedoch auf der Grundlage der maßgeblichen islamischen Quellen und der authentischen Fatwas (fatāwā) entscheiden, um zu verhindern, dass ein Fall unentschieden bleibt (Islamic Law Blog 22.11.2015).

Gerichtswesen

Die iranische Justiz verwaltet ein vielschichtiges Gerichtssystem. Die Strafverfolgung geht von niedrigeren Gerichten aus und kann bei höheren Gerichten angefochten werden. Der Oberste Gerichtshof überprüft Fälle von Kapitalverbrechen und entscheidet über Todesurteile. Er hat auch die Aufgabe, für die ordnungsgemäße Anwendung der Gesetze und die Einheitlichkeit der Gerichtsverfahren zu sorgen (USIP 1.8.2015). Bestimmte Urteile können vor dem Obersten Gerichtshof angefochten werden (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vergleiche Landinfo/et al. 12.2021). Anders als die Berufungsgerichte ist der Oberste Gerichtshof nicht befugt, ein neues Urteil zu fällen. Im Falle einer erfolgreichen Anfechtung verweist er den betroffenen Fall wieder an ein zuständiges Gericht zurück (Landinfo/et al. 12.2021).

Die allgemeinen Gerichte des Iran sind offiziell damit beauftragt, alle Arten von Fällen und Streitigkeiten zu schlichten. Diese verteilen sich auf die kleineren Landkreise, Bezirke und Distrikte des Landes. In den Strafgerichten werden Fälle gemäß der iranischen Strafprozessordnung behandelt, in den Zivilgerichten [Anm.: auf Englisch "legal courts"] gilt die Zivilprozessordnung (IrWire 9.9.2020).

Seit 2001 gibt es darüber hinaus sogenannte Streitschlichtungsräte (Shurāhā-I hal-e ikhtilāf) als alternative Konfliktlösungskörperschaften. Die Richter dieser Räte können in Abstimmung mit den Ratsmitgliedern in bestimmten Fragen in den Bereichen Finanzen, Miete, Erbschaft, Mitgift und Unterhalt sowie bestimmten Ta'zir-Vergehen Fälle anhören und Urteile sprechen. Sie können aber z. B. keine Scheidungsfragen behandeln und sind auch nicht dazu befugt, Körper- oder Haftstrafen auszusprechen. Die Zuständigkeit der Streitbeilegungsräte in den Dörfern beschränkt sich auf Friedens- und Kompromissentscheidungen (Soltani/Shooshinasab 8.2022).

Die Zivilgerichte verhandeln über lokale materielle und immaterielle zivilrechtliche Streitigkeiten, die nicht in die Zuständigkeit der Streitschlichtungsräte fallen. Die Familiengerichte entscheiden hierbei unter anderem bei Ehe- und Scheidungsfragen, Obsorge wie auch geschlechtsangleichenden Operationen. Die Urteile werden von einem männlichen Richter gefällt, nachdem er eine beratende Richterin schriftlich konsultiert hat (Soltani/Shooshinasab 8.2022).

Die Strafgerichte unterteilen sich in verschiedene Untereinheiten (IrWire 9.9.2020). Neben den Strafgerichten 1 und 2 gibt es die Revolutionsgerichte, Jugendgerichte und Militärgerichte (Landinfo/et al. 12.2021; vergleiche Soltani/Shooshinasab 8.2022). Darüber hinaus gibt es mehrere Sondergerichte (IrWire 9.9.2020), darunter beispielsweise ein Sondergericht für die Geistlichkeit (Dadgah-e Vīzheh-ye Rouhaniyat), das als einziges Gericht nicht dem Justizchef, sondern direkt dem Revolutionsführer untersteht (Landinfo/et al. 12.2021). Es wird u. a. dazu genutzt, um prominente Kleriker, welche Kritik am Regime äußern, strafrechtlich zu verfolgen (IrWire 9.9.2020; vergleiche USIP 1.8.2015). Das Gesetz ermöglicht die Einsetzung eines zuständigen Gerichts zur Behandlung von Verstößen gegen das Pressegesetz von 1986 - das sogenannte Pressegericht - das unter Einbeziehung von Schöffen tagen soll. Derzeit werden Journalisten allerdings eher vor Revolutionsgerichten wegen Vergehen gegen die nationale Sicherheit, "Propaganda gegen den Staat" und/oder das "Schüren von Angst in der öffentlichen Meinung" angeklagt - nach Ansicht eines Experten, um Prozesse unter Anwesenheit von Schöffen zu vermeiden. Das Pressegericht ist derzeit nicht im Einsatz (Landinfo/et al. 12.2021).

Die Revolutionsgerichte haben verschiedene Zweige in der Hauptstadt, in den Provinzen und in manchen Justizdistrikten (Landinfo/et al. 12.2021). Die Verfassung sieht weder ihre Einrichtung noch ein Mandat für die Revolutionsgerichte vor. Sie wurden gemäß dem Dekret des ehemaligen obersten Führers, Ayatollah Khomeini, unmittelbar nach der Revolution von 1979 geschaffen, wobei ein Scharia-Richter zum Leiter der Gerichte ernannt worden ist. Die Revolutionsgerichte waren ursprünglich als vorübergehende Maßnahme gedacht, um hochrangige Beamte der abgesetzten Monarchie vor Gericht zu stellen, aber sie wurden später institutionalisiert und arbeiten weiterhin parallel zum restlichen Strafjustizsystem (USDOS 20.3.2023). Sie sollten eigentlich von der Justiz beaufsichtigt werden (IrWire 9.9.2020). In der Praxis werden sie allerdings von und für Sicherheitsbehörden betrieben, die außerhalb des Gesetzes stehen (IrWire 9.9.2020; vergleiche MRAI 19.6.2023). Manche Quellen gehen davon aus, dass die Revolutionsgerichte in Zusammenarbeit mit den Revolutionsgarden und dem Geheimdienstministerium (MOIS) operieren (Landinfo/et al. 12.2021).

Die Revolutionsgerichte unterscheiden sich bezüglich der Angelegenheiten, welche sie behandeln, von anderen Gerichten. Sie befassen sich in erster Linie mit Straftaten im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit, was im Grunde alle politischen und sozialen Aktivitäten von Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten einschließt (MRAI 19.6.2023). Weiters sind sie auch für bestimmte Finanzverbrechen zuständig (Soltani/Shooshinasab 8.2022). Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf die folgenden Delikte:

●             Alle Verbrechen gegen die nationale und internationale Sicherheit, "mohārebeh" (Waffenaufnahme gegen Gott und Staat) oder "baghei" (bewaffneter Aufstand gegen die Regierung) (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vergleiche IrWire 9.9.2020) und "efsād fe-l-arz" ["Korruption auf Erden"] - jeweils definiert und kriminalisiert in den Artikeln 279 bis 285 und 286 bis 288 des islamischen Strafgesetzbuchs von 2013 (Soltani/Shooshinasab 8.2022);

●             Rebellion, geheime Absprachen und Versammlungen gegen die Islamische Republik Iran oder bewaffnete Aktionen, Brandanschläge, Zerstörung und Verschwendung von Eigentum, um sich gegen das Regime zu stellen (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vergleiche JIS 8.9.2018);

●             Spionage gegen das Regime (JIS 8.9.2018);

●             Beleidigung des Revolutionsgründers Ayatollah Khomeini und aller Revolutionsführer, die ihm nachfolgen (JIS 8.9.2018; vergleiche Soltani/Shooshinasab 8.2022);

●             Alle Straftaten im Zusammenhang mit Drogen, psychotropen Stoffen und deren Vorläufersubstanzen sowie dem Schmuggel von Waffen, Munition und anderen einschlägigen Gegenständen (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vergleiche JIS 8.9.2018);

●             Andere Fälle, für die laut Gesetz das Revolutionsgericht zuständig ist (Artikel 303 der Strafprozessordnung 2014) (Soltani/Shooshinasab 8.2022): z.B. in Artikel 49, der Verfassung erwähnte Delikte wie Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (JIS 8.9.2018; vergleiche Soltani/Shooshinasab 8.2022).

Strafrecht und Scharia

Die Verfassung Irans ist ein hybrides System aus republikanisch-demokratischen und theokratisch-autoritären Elementen unter dem Vorrang des islamischen Rechts der Ja'afari-Rechtsschule (BAMF 5.2021). Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen (ÖB Teheran 11.2021). Von den drei Staatsgewalten haben die Geistlichen in der Judikative die stärkste Präsenz, wobei sie eine Ausbildung in islamischer Rechtswissenschaft oder Abschlüsse von religiösen Rechtsschulen haben müssen, um Richter zu werden. Der Chef der Justiz, der Generalstaatsanwalt des Landes und alle Richter des Obersten Gerichtshofs müssen hochrangige Geistliche oder Mujtahids sein (USIP 1.8.2015), also Rechtsgelehrte, die nach schiitischer Auslegung dazu qualifiziert sind, Ijtihad zu betreiben (EB o.D.a), d. h. islamische Texte in ungeklärten Rechtsfragen unabhängig auszulegen (EB o.D.b). Die iranische Justiz ist insofern ein einzigartiges System, als sie islamische Prinzipien und eine vom französischen System inspirierte Gesamtstruktur kombiniert. Nach der islamischen Revolution wurde das Justizsystem stark verändert, um die Scharia einzubeziehen. Das neue System wurde jedoch auf einer bereits bestehenden säkularen Struktur aufgebaut, wodurch ein sehr komplexes Justizwesen entstanden ist (Landinfo/et al. 12.2021).

Mit der islamischen Revolution von 1979 kam es zur Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, das die bisherige, vom "code pénal napoléon" von 1810 beeinflusste Gesetzgebung, ablöste und sich aus drei eigenständigen Teilbereichen zusammensetzt (BAMF 5.2021). Die Schwere und Art einer Straftat sowie die vorgeschriebene Strafe bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung des Falles zuständig ist. Artikel 14, des Islamischen Strafgesetzbuches (IStGB) unterteilt Verbrechen in vier Strafkategorien gemäß der Scharia: hadd, qisas, diyah und ta’zīr (Landinfo/et al. 12.2021).

Hadd-Delikte umfassen Unzucht/Ehebruch (zina), Sodomie (levat), lesbische Beziehung (mosaheqeh), Beschaffung von Prostitution (qavadī), falsche Anschuldigung der Unzucht/Sodomie (qazf), Verleumdung des Propheten (sabb-e nabī), Alkoholkonsum (shorb-e khamr), Raub/Diebstahl, Waffennahme gegen Gott (mohārebeh ba khoda), Korruption auf Erden (mofsad/efsad fe-l-arz) und Rebellion (baghei). Zu den hadd-Strafen gehören die Todesstrafe, Steinigung, Kreuzigung, Auspeitschung, Amputation (von Hand und Fuß), lebenslange Haft und Verbannung. Art und Umfang dieser Strafen werden vom islamischen Recht bestimmt und gelten als von Gott festgelegt, sie können daher von einem Richter nicht abgeändert oder begnadigt werden. Aufgrund der Schwere der Strafen und der Tatsache, dass sie unveränderlich sind, gelten strenge Beweis- und andere Anforderungen (Landinfo/et al. 12.2021), wie zum Beispiel eine bestimmte Anzahl an Zeugen. Darüber hinaus gibt es auch die Beweisregelung des "richterlichen Wissens" (‘elm-e qāzī) (Landinfo/et al. 12.2021; vergleiche MRAI 19.6.2023), die in vielen hadd-Fällen angewandt wird. Sie bedeutet, dass der Richter auf Grundlage von Indizien entscheiden muss, ob der Angeklagte schuldig ist oder nicht. Eine Strafrechtsnovelle im Jahr 2013 hat die Anwendung dieser Regelung bei Ehebruchsfällen abgeschwächt. Bei Anklagen aufgrund der hadd-Tatbestände mohārebeh und mofsad/efsād fe-l-arz ist das "richterliche Wissen" immer noch einer der Hauptfaktoren zur Ermittlung der Schuld oder Unschuld eines Angeklagten (MRAI 19.6.2023).

Iranische Aktivisten und Dissidenten, darunter Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten, werden normalerweise mit vage formulierten und weit gefassten Anklagen konfrontiert, die aus dem IStGB stammen. Die hadd-Verbrechen "Waffennahme gegen Gott" (mohārebeh) und "Korruption auf Erden" (efsād fe-l-arz) sind dabei die berüchtigtsten (Landinfo/et al. 12.2021). Manche Interpretationen von mohārebeh schließen selbst Messer als Waffen ein. Es kann daher passieren, dass Personen des mohārebeh beschuldigt werden, weil sie ein Messer bei sich trugen. Dieser Straftatbestand wird insbesondere gegen Minderheitengruppen wie kurdische Gemeindemitglieder verwendet, wenn ihnen Verbindungen zu militanten Gruppierungen vorgeworfen werden. Mofsad/efsad fe-l-arz ist dagegen eine völlig andere Kategorie. Die Definition dieses Begriffs obliegt dem jeweiligen Richter. Dies kann ein sexuelles Vergehen ebenso sein, wie Wirtschaftskriminalität, wenn die Handlung als so schwerwiegend interpretiert wird, dass sie eine ernsthafte Bedrohung für die Gesellschaft darstellt (MRAI 19.6.2023). Hadd-Strafen werden im zweiten Buch des IStGB (Artikel 217 –, 288,) behandelt (BAMF 5.2021).

Qisas-Vebrechen sind sogenannte Talions- oder Vergeltungsstrafen (Landinfo/et al. 12.2021; vergleiche BAMF 5.2021). Sie basieren auf einem Prinzip des islamischen Rechts, den Opfern eine analoge Vergeltung für Gewaltverbrechen wie Totschlag oder Körperverletzung zu erlauben - unter der Voraussetzung, dass die Taten vorsätzlich waren. Angehörige eines Tötungsopfers (nächste Familienangehörige) und Opfer von Körperverletzung können alternativ ihre Forderung nach Vergeltung gegen Geldentschädigung (diyah), also Blutgeld, zurücknehmen und den Täter freilassen. Sie können dem Täter auch ganz vergeben und auf diyah verzichten. Das iranische Rechtssystem betrachtet diese Verbrechen als Angelegenheit zwischen Privatpersonen. Die Rolle des Staates besteht darin, die Ermittlungen und Gerichtsverfahren in diesen Fällen zu erleichtern und sicherzustellen, dass nachfolgende Bestrafungen in organisierter Form erfolgen. Doch selbst wenn die Bluträcher auf ihren Anspruch auf Vergeltung verzichten, kann der Staat eine zusätzliche Strafe verhängen, wenn er der Ansicht ist, dass das Verbrechen die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Gesellschaft stört. In Fällen von Körperverletzung ist Vergeltung selten. Auch bei Mord ist es für die Angehörigen oftmals attraktiver, diyah anzunehmen. Bei nicht vorsätzlicher Körperverletzung oder Totschlag ist diyah dagegen grundsätzlich vorgesehen (und nicht nur als Alternative zu Vergeltung, so die Opfer oder ihre Angehörigen zustimmen). Diyah wird weiters auch in manchen Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung angewendet, in denen Vergeltung verboten oder undurchführbar ist (Landinfo/et al. 12.2021). Qisas-Strafen werden im dritten Buch (Artikel 289 –, 447,) und im vierten Buch das Blutgeld bzw. diyah (Artikel 448 –, 728,) behandelt (BAMF 5.2021).

Für alle sonstigen aus Sicht der Rechtsordnung strafwürdigen Taten sind ta’zīr-Strafen (BAMF 5.2021; vergleiche Landinfo/et al. 12.2021) - Ermessensstrafen - und sogenannte "Abschreckungsstrafen" (mojāzāt-e bāzdārandeh) vorgesehen. Letztere dienen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Während hadd, qisas und diyah durch islamisches Recht definiert werden, leiten sich ta'zir und Abschreckungsstrafen aus dem staatlichen Recht ab. In diese Kategorien fallen zum Beispiel Straftaten gegen die interne und externe Sicherheit des Staates (Artikel 498 -, 512 und 610-611 IStGB); Fälschung (Artikel 523 -, 542, IStGB); Vergehen gegen öffentliche Moral und Anstand (Artikel 637 -, 641, IStGB) - beispielsweise ungehörige Beziehungen zwischen Männern und Frauen, wie z.B. Berührungen und Küsse (Artikel 637,), oder unislamische Kleidung (Artikel 638,); Diebstahl (Artikel 651 -, 667, IStGB); sowie öffentliche Konsumation von Alkohol, Glücksspiel und Vagabundieren (Artikel 701 -, 713, IStGB). Ta’zīr-Strafen werden nach Art und Umfang nach Ermessen des Richters (auf der Grundlage des kodifizierten Rechts) verhängt (Landinfo/et al. 12.2021).

Wenn sich Gesetze, die seit der Gründung der Islamischen Republik erlassen wurden, mit einer spezifischen Rechtssituation nicht befassen, rät die Regierung den Richtern, ihrer Kenntnis und Auslegung der Scharia (islamisches Gesetz) Vorrang einzuräumen. Bei dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen "göttlichen Wissens" [divine knowledge] für schuldig erklären (USDOS 20.3.2023).

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis, Rechtsschutz

Bei Delikten, die im starken Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden (ÖB Teheran 11.2021). Im iranischen Strafrecht sind also körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 30.11.2022). Auf die Anwendung der Vergeltungsstrafen (qisas) der Amputation (z. B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung kann der Geschädigte gegen Erhalt eines Abstandsgeldes (diyah) verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom Geschädigten gegen diyah verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021). Stattdessen hat sich die islamische Führung auf die Hinrichtung als Alternative verlegt. Im Jahr 2023 wurden beispielsweise zwei Todesurteile aufgrund des Straftatbestands Ehebruch verhängt (RFE/RL 3.11.2023).

Verlässliche Aussagen zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch Willkür auszeichnet. Mitunter bewusst unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine unzureichende Kontrolle innerhalb der Justiz ermöglichen ein willkürliches Handeln von Richtern. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass Gerichte in politischen Verfahren nicht unabhängig agieren. Auch willkürliche Verhaftungen kommen häufig vor und führen dazu, dass Häftlinge ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht eigentlich garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht einer Straftat unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht bewusst verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erfolgt die Anklage oft aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat oft unverhältnismäßig hoch, besonders bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (Kopftuchzwang) (AA 30.11.2022).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 30.11.2022).

Rechtsschutz ist nur eingeschränkt gegeben (AA 30.11.2022). Es gibt Fälle von Rechtsanwälten, welche Dissidenten vertraten und daraufhin inhaftiert und mit einem Berufsverbot belegt worden sind (FH 10.3.2023). Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert, zum Teil auch selbst inhaftiert und verurteilt (AA 30.11.2022). Eine Rechtsanwältin, die in der Vergangenheit Angeklagte in politischen Fällen vor Revolutionsgerichten vertreten hat, berichtete unter anderem von permanenter Überwachung, sobald derartige Fälle übernommen werden. Auch drohen manchen Rechtsanwälten derzeit sehr lange Haftstrafen (MRAI 19.6.2023). Der Anwalt Amirsalar Davoudi, der u. a. politische Gefangene vertrat und öffentlich Missstände im Justizsystem anprangerte, wurde 2019 beispielsweise zu 30 Jahren Haft verurteilt (IHRNGO 1.12.2022), was auf andere Anwälte äußerst abschreckend wirkt (MRAI 19.6.2023).

Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen. Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen. Üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (AA 30.11.2022).

Während es an allen iranischen Gerichten bestimmte Probleme gibt, sind die Revolutionsgerichte besonders dafür berüchtigt, selbst die grundlegendsten Rechte nicht einzuhalten (MRAI 19.6.2023). Strafverfahren vor den Revolutionsgerichten finden oft hinter verschlossenen Türen unter dem Vorsitz von Geistlichen statt, ohne dass Standardgarantien eines Strafverfahrens, wie etwa die Gewährung von Zeit und Zugang zu Anwälten zur Vorbereitung einer Verteidigung, gewährleistet sind (Conversation 13.1.2023). Laut Menschenrechtsgruppen und internationalen Beobachtern werden vor Revolutionsgerichten, die im Allgemeinen die Fälle politischer Gefangener anhören, routinemäßig grob unfaire Gerichtsprozesse ohne ordnungsgemäße Verfahren abgehalten; es werden vorab festgelegte Urteile verkündet und Hinrichtungen für politische Zwecke befürwortet. Diese unlauteren Praktiken treten Berichten zufolge in allen Phasen der Strafverfahren vor den Revolutionsgerichten auf (USDOS 20.3.2023). Die Revolutionsgerichte haben sich bei der Verurteilung von Personen im Zusammenhang mit den Protesten seit September 2022 auf unter Folter oder durch andere Zwangsmittel erzwungene Geständnisse als Beweismittel gestützt, unter anderem auch bei Todesurteilen (UNHRC 7.2.2023).

Anwälte benötigen vor Revolutionsgerichten in der Regel schon alleine dafür eine Erlaubnis der Richter, um den Gerichtssaal betreten zu können. Anwälten von Personen, die in der Vergangenheit wegen mohārebeh angeklagt waren, wurde manchmal die Teilnahme am Prozess verweigert. In anderen sicherheitsrelevanten Fällen durften sie teilnehmen, aber ihr Recht auf eine angemessene Verteidigung wurde eingeschränkt (Landinfo/et al. 12.2021). Eine Novelle der Strafprozessordnung im Jahr 2015 höhlte die ohnehin begrenzten Beschuldigtenrechte bei Prozessen wegen Vergehen gegen die nationale Sicherheit weiter aus. Den Beschuldigten und ihren Anwälten wurde mit der Novelle beispielsweise das Recht auf eine Kopie der Gerichtsakten verweigert (MRAI 19.6.2023) und Angeklagte dürfen zumindest im Anfangsstadium des Verfahrens (AA 30.11.2022) - dem Untersuchungsstadium (MRAI 19.6.2023) - nur aus einer Liste mit vom Staat zugelassenen und damit mutmaßlich systemfreundlichen Anwälten auswählen (AA 30.11.2022; vergleiche MRAI 19.6.2023). In dieser bedeutsamen Prozessphase werden oftmals sensible Informationen aufgedeckt, diese Einschränkung der Auswahl gibt Anlass zur Sorge über die Fairness und Transparenz der Prozesse (MRAI 19.6.2023).

Die Revolutionsgerichte sehen meist davon ab, das Urteil an die Angeklagten zu übermitteln. In der Regel laden sie den Anwalt des Angeklagten vor Gericht und verlesen das Urteil. Solche Urteile sind folglich auf der elektronischen Datenbank Adliran nicht zugänglich. Rechtsanwälte dürfen Urteile lediglich direkt bei Gericht lesen und sich dort Notizen machen (Landinfo/et al. 12.2021).

In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA), deren Unabhängigkeit die Judikative einzuschränken versucht. Anwälte der IBA sind staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen ausgesetzt (AA 30.11.2022). Um eine Anwaltslizenz zu erhalten, mussten Anwärter bislang unter anderem eine Prüfung bei der IBA ablegen (MBZ 9.2023; vergleiche Soltani/Shooshinasab 8.2022). Im August 2023 verabschiedete das iranische Parlament ein Gesetz, das die Kontrolle zur Erteilung von Anwaltslizenzen an das Ministerium für Industrie, Bergbau und Handel übertrug (MBZ 9.2023).

Doppelbestrafung (ne bis in idem), im Ausland begangene Vergehen, Verurteilung in Abwesenheit

Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge hält sich der Iran an den Grundsatz ne bis in idem, wenn es um ta'zir-Strafen geht. Im Falle von hadd- und qisas-Strafen ist eine doppelte Strafverfolgung dagegen möglich. Auch ist es möglich, dass ein Gericht eine ta'zir-Strafe gegen eine Person verhängt, der Staatsanwalt jedoch im Nachhinein angibt, dass dies ein Fehler war und das Vergehen unter einen hadd-Tatbestand fällt. In diesem Fall kann eine Person zweimal für dieselbe Straftat verurteilt werden, in der Praxis kommt dies jedoch selten vor (MBZ 9.2023).

Iranische Staatsbürger unterliegen auch im Ausland der iranischen Gesetzgebung und können nach Artikel 7 des IStGB 2013 für Vergehen, die im Ausland begangen wurden, in Iran belangt werden (Landinfo 9.11.2022). Das Verbot der Doppelbestrafung gilt in diesem Fall nur stark eingeschränkt. Nach dem IStGB werden Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen [Anm.: hadd- und qisas-Strafen] haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen (AA 30.11.2022). Ein von Landinfo im Jahr 2021 befragter Rechtsanwalt zeichnete jedoch ein differenzierteres Bild und gab an, dass insbesondere im Ausland begangene Vergehen, welche die innere und äußere Sicherheit betreffen, in Iran strafrechtlich verfolgt werden. Laut dem Rechtsanwalt werden beispielsweise Alkoholkonsum oder "unzüchtiges" Verhalten iranischer Staatsbürger im Ausland in Iran nicht strafrechtlich verfolgt (Landinfo 9.11.2022). In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 30.11.2022).

Es kommt in der Praxis vor, dass Personen in Iran in Abwesenheit aufgrund von im Ausland durchgeführten Tätigkeiten verurteilt werden, beispielsweise aufgrund von Veröffentlichungen von kritischen Beiträgen in den sozialen Medien. Mehrere Quellen berichteten von derartigen Fällen von bekannten Aktivisten im Ausland (MBZ 9.2023). Der ehemalige, in Dubai wohnhafte Profifußballer Ali Karimi wurde zum Beispiel von den iranischen Behörden in absentia verurteilt, nachdem er nach Mahsa Aminis Tod kritische Texte auf Instagram gepostet hatte (MBZ 9.2023; vergleiche ArTR 16.12.2022).

Anmerkung: s. Kap. "Dokumente, Meldewesen und Personenstandsregister" für Informationen zur Justizdatenbank Adliran und SANA.

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 26.01.2024

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit. Das Informations- oder Geheimdienstministerium [vezarat -e etela’at - VAJA, wobei auch das englischsprachige Akronym MOIS weit verbreitet ist] und die Strafverfolgungsbehörden unterstehen dem Innenministerium, das dem Präsidenten verantwortlich ist. Die Islamischen Revolutionsgarden [sepah-e pasdaran -e enqhelab -e Islami - IRGC] unterstehen direkt dem Obersten Führer Khamenei. Die Basij, eine aus Freiwilligen bestehende paramilitärische Gruppierung, agieren zum Teil unter den Revolutionsgarden als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug. Die Revolutionsgarden und die nationale Armee (Artesh) sorgen für die externe Verteidigung (USDOS 20.3.2023). Die zivilen Behörden bzw. die Regierung behalten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 20.3.2023; vergleiche BS 23.2.2022) und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete (BS 23.2.2022). Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen (USDOS 20.3.2023).

Polizei - Strafverfolgungsbehörde NAJA

Die iranische Polizei wird offiziell "Strafverfolgungsbehörde" (nīrū-ye entezāmī-ye jomhūrī-ye eslāmī-ye īrān) genannt und ist auch unter ihrem Akronym in Farsi bekannt, nämlich NAJA. Sie unterteilt sich in verschiedene Zweige (Landinfo/et al. 12.2021): Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internet-, Drogen-, Militär-, Luftfahrt- sowie Grenzschutzpolizei, Küstenwache, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorismusbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 30.11.2022). Ungefähr die Hälfte der Polizeikräfte sind Wehrpflichtige, die in der Polizei ihren verpflichtenden Wehrdienst ableisten. Seit dem Jahr 2000 werden bestimmte Verwaltungsaufgaben in teilprivate, der NAJA angegliederte Firmen ausgelagert. Zu den Aufgaben dieser Firmen zählen beispielsweise die Ausstellung von Führerscheinen und Schutz- bzw. Wachdienste (Landinfo/et al. 12.2021).

Zu den Zweigen der NAJA gehört die Polizei für Geheimdienst und öffentliche Sicherheit (polīs-e ettelā’āt va amnīyat-e‘ omūmī - PAVA). Eine der Untereinheiten der PAVA ist die Sittenpolizei (polīs-e amnīyat-e akhlāqī). Ihr Auftrag ist die Überwachung von Bekleidungsvorschriften für Frauen (u. a. richtig getragene Hijabs) und Männer (Vermeidung eines "unislamischen" Erscheinungsbilds) in der Öffentlichkeit sowie die Überwachung (und Verhinderung) von Verhalten gegen die "islamische Moral" im Allgemeinen. Die Sittenstreife (gasht-e ershād [auch: "Belehrungsstreife"]) ist eine Untereinheit der Sittenpolizei. Sie besteht aus männlichen wie weiblichen Sicherheitskräften und ist üblicherweise in Polizeiautos auf öffentlichen Plätzen stationiert. Dort überwachen sie die Lage und verhaften Personen, insbesondere Frauen, die vorgeblich "unzüchtig" gekleidet sind, oder versuchen, eine Vermischung der Geschlechter zu unterbinden [Anm.: So die betroffenen Männer und Frauen nicht nah miteinander verwandt sind] (Landinfo/et al. 12.2021). Die Sittenpolizei wird beschuldigt, Frauen willkürlich wegen Übertretungen zu verhaften. Der Tod einer jungen Frau, die zuvor von der Sittenpolizei wegen eines angeblich unkorrekt getragenen Hijabs festgenommen worden war, hat zuletzt monatelange Proteste ausgelöst (DW 4.12.2022). Nach dem Ausbruch der landesweiten Proteste im September 2022 verschwand die Sittenpolizei weitgehend von den Straßen. Der Regierung schien klar zu sein, dass die Ordnungshüter in ihren allgegenwärtigen weißen Transportern den Unmut der Öffentlichkeit noch stärker auf sich ziehen würden (USIP 6.9.2023). Anfang Dezember 2022 berichteten Medien, dass die Sittenpolizei aufgelöst werden soll (DW 4.12.2022; vergleiche Tagesschau 11.3.2023), was als Zugeständnis an die Protestbewegung gewertet wurde (Tagesschau 11.3.2023). Tatsächlich wurde die Sittenpolizei jedoch nie aufgelöst. Die iranische Regierung hielt bezüglich der Umsetzung der Bekleidungsvorschriften an ihrer Position fest, indem sie die Durchsetzung der Vorschriften später wieder verstärkte. Im Juli 2023 setzte sie die Sittenpolizei wieder ein (USIP 6.9.2023; vergleiche RFE/RL 20.7.2023).

Revolutionsgarden

Die Revolutionsgarden (auch bekannt als Pasdaran oder Sepah) sind sowohl militärische Kampftruppe, Sicherheitsbehörde und Geheimdienstorganisation als auch eine soziale und kulturelle Macht und ein industrielles wie wirtschaftliches Konglomerat. Ihr Einfluss hat in allen genannten Bereichen im vergangenen Jahrzehnt zugenommen (Landinfo/et al. 12.2021). Die Revolutionsgarden nehmen eine Sonderrolle ein. Ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchdrungen und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eine fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie über engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 30.11.2022). Die Revolutionsgarden unterhalten auch eine eigene Bodenkampftruppe, Luftwaffe und Marine sowie mehrere Einheiten für nicht-konventionelle Kriegsführung und verdeckte Operationen. Den Revolutionsgarden unterstehen auch die Basij. Die Quds-Einheiten (sepāh-e qods) sind für alle verdeckten und militärischen Auslandseinsätze der Revolutionsgarden zuständig (Landinfo/et al. 12.2021). Heute sollen die Revolutionsgarden über ca. 190.000 Soldatinnen und Soldaten verfügen, während die regulären Streitkräfte 420.000 Mann unter Waffen haben. Hinzu kommen noch einmal 450.000 Reservisten als Teil der Basij-Milizen, die ebenfalls den Revolutionsgarden unterstellt sind (IRJ 1.2.2021), wobei Schätzungen über die Zahl der Basij weit auseinandergehen und bis zu mehreren Millionen reichen (ÖB Teheran 11.2021).

Die Revolutionsgarden spielen eine dominante Rolle in der iranischen Wirtschaft (FH 10.3.2023). In den vergangenen Jahrzehnten haben sie ihren ökonomischen Einfluss massiv ausgebaut. Sie besitzen ein Baukonglomerat, das bei vielen strategischen Infrastrukturprojekten und milliardenschweren Investitionen federführend ist: Khatam-al-Anbia. Die Revolutionsgarden betreiben gigantische Wirtschaftsunternehmen, bauen Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und U-Bahnen. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv. Wie groß der Anteil der iranischen Volkswirtschaft insgesamt ist, den die Revolutionsgarden inzwischen kontrollieren, lässt sich nicht sagen. Genaue Statistiken und Daten dazu fehlen (DW 7.3.2023). Die Unternehmen der Revolutionsgarden sind jedenfalls breit aufgestellt. Unter anderem betreiben sie auch Hotelketten, Versicherungen, private Banken und entwickeln Kriegsgerät (LMD 2020a). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern (DW 18.2.2016). Mittlerweile sind die wirtschaftlichen Aktivitäten der Revolutionsgarden außerhalb des normalen Marktgeschehens so umfangreich, dass der Privatsektor in vielen Bereichen nicht mehr existiert. Er wurde verdrängt und ist gegenüber der Marktbeherrschung der Garden nicht mehr wettbewerbsfähig (IRJ 1.2.2021).

Die Revolutionsgarden sind nicht nur in Iran, sondern auch in der Region aktiv. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland ausgebildet (Tagesschau 8.6.2017).

Wichtigste Nachrichten- und Geheimdienste

Die beiden wichtigsten Geheimdienste Irans sind das MOIS und der Geheimdienst der Revolutionsgarden (USIP 17.2.2023). Das MOIS ist mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst und den technischen Aufklärungsdienst. Der Inlandsgeheimdienst beobachtet die politische Opposition und übt Druck auf diese aus (AA 30.11.2022). Eine der Einheiten des MOIS trägt den Namen Herasat (sāzmān-e herāsat-e koll-e keshvar). Sie hat in allen Zivilorganisationen und Universitäten Zweige zur Identifizierung von Sicherheitsbedrohungen für das Regime (Landinfo/et al. 12.2021; vergleiche TWI 5.1.2018). Die Geheimdienstorganisation der Revolutionsgarden (sāzmān-e ettelā’āt-e sepāh-e pāsdārān-e enqelāb-e eslāmī) wurde im Zuge der Proteste im Jahr 2009 gegründet (Landinfo/et al. 12.2021). Laut dem Iran-Experten Walter Posch ist die Organisation allerdings nur nominell und aus historischen Gründen Teil der Revolutionsgarden, in Wirklichkeit ist sie ein eigenständiger Dienst (Posch/Chatham 5.5.2023).

Die Missionen des MOIS und des Geheimdienstes der Revolutionsgarden überlappen sich deutlich (USIP 17.2.2023; vergleiche Landinfo/et al. 12.2021), da beide Institutionen umfangreiche Aufgabenbereiche haben. Die Hauptaufgabe des MOIS wie des Geheimdienstes der Revolutionsgarden ist es, die Islamische Republik an der Macht zu halten. Die Überwachung von Dissidenten im In- und Ausland und die Unterdrückung organisierter Opposition sind wichtige Aufgabenfelder der Dienste (USIP 17.2.2023). Das MOIS ist laut dem Verfassungsschutz der Bundesrepublik Deutschland der Hauptakteur iranischer Nachrichtendienstaktivitäten in Deutschland. In seinem Fokus stehen insbesondere iranische Oppositionsgruppen. Darüber hinaus sind auch die geheimdienstlich agierenden Quds-Kräfte in Deutschland aktiv (BMIH/BfV 20.6.2023). Das Netzwerk iranischer Nachrichtendienste ist auch in Österreich präsent (BMI/DSN 2022). Bei ihren Operationen im westlichen Ausland stützen sich die iranischen Nachrichten- und Geheimdienste auch auf Dritte, wie zum Beispiel Kriminelle (WP 1.12.2022a). Der Leiter des MOIS hat einen Kabinettsposten inne und ist dem Präsidenten verantwortlich. Der Geheimdienst der Revolutionsgarden fällt dagegen unter die militärische Befehlskette und untersteht direkt dem Obersten Führer (USIP 17.2.2023).

Behörden zur Überwachung von Internetaktivitäten

Zur Überwachung des Internets wurde der "Hohe Rat für den Cyberspace" gegründet. Er setzt sich aus hochrangigen Militärs und Politikern zusammen (DlF 26.9.2022; vergleiche RSF o.D.a). Dem Innenministerium unterstellt ist darüber hinaus die Cyberpolizei (polīs-e fazā-ye toulīd va tabādol-e ettelā’āt - FATA), wortwörtlich die "Polizei für virtuellen Raum und Informationsaustausch" (Landinfo/et al. 12.2021), die auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste steht. Sie beschäftigt sich mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen, Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet (AA 30.11.2022). Die Ausforschung von Verkäufern von Virtual Private Network (VPN)-Zugängen zählt ebenfalls zu den Aufgaben der FATA (Landinfo/et al. 12.2021). Nach eigenen Angaben beschäftigt die FATA rund 42.000 Freiwillige, die Aufgaben bei der Überwachung des virtuellen Raums sowie bei der Erstellung und Bewerbung von Inhalten übernehmen (Medium 18.2.2019; vergleiche Landinfo 9.11.2022). Das Aufgabenfeld der FATA überlappt sich mit jenem des Zentrums zur Überwachung Organisierter Kriminalität (markaz-e barrasī-ye jarā’em-e sāzmān-yāfteh - CIOC) und dem Cyberverteidigungskommando der Revolutionsgarden (qarārgāh-e defā’-e sāiberī). Diese beschäftigen sich jedoch in stärkerem Ausmaß mit Fragen der nationalen Sicherheit, wie zum Beispiel der Verbreitung von Onlinematerial kurdischer Parteien und politischer Bewegungen, oder der Verbreitung des christlichen Glaubens in den sozialen Medien. Die FATA beschäftigt sich demgegenüber eher mit "einfachen" Verbrechen, darunter auch Sittenverbrechen (Landinfo/et al. 12.2021). Unter anderem überwacht sie die Inhalte von als apolitisch wahrgenommenen Influencerinnen in den sozialen Medien bezüglich der Einhaltung der Hijab-Pflicht (Medium 18.2.2019). Darüber hinaus spielen auch die Basij eine Rolle bei der Überwachung von Internetaktivitäten (Landinfo 9.11.2022).

Basij

Die Basij sind laut einer Quelle die größte zivile Milizorganisation der Welt, mit vierundzwanzig Abteilungen und vier Hauptkategorien an Mitgliedern: reguläre, aktive, Kader- und Spezialmitglieder. Sie bilden ein Netzwerk, das aus Basij-Basen, Distrikten und Regionen besteht. Die Basij-Basen sind aufgrund ihrer großen Sichtbarkeit (50.000 Standorte im gesamten Iran) das eigentliche Rückgrat der Organisation an der Basis (TWI 5.1.2018). Die Basij haben unter anderem in Schulen und Universitäten Stützpunkte, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist (ÖB Teheran 11.2021). Sie sind auch in Moscheen stationiert (DW 7.3.2023). Jeder Basij-Distrikt kontrolliert zehn bis fünfzehn Stützpunkte und beherbergt lokale Sicherheits- und Militärkräfte. Diese Distrikte werden wiederum von regionalen Abteilungen der Revolutionsgarden kontrolliert. Nicht alle Basij-Mitglieder sind an politischen Repressionen beteiligt. Dennoch verfügt die Organisation über mehrere Sicherheits- und Militäreinheiten, die sich aus aktiven oder freiwilligen Mitgliedern zusammensetzen (TWI 5.1.2018). Das Regime setzt eine ausgewählte Gruppe an Basij in Zivil für Sicherheitsagenden und zur "Kontrolle bei Massenansammlungen" ein (Kayhan 14.10.2022). Diese Einheiten sind bewaffnet und werden in Zivil zur gewaltsamen Unterdrückung von Demonstrationen eingesetzt. So spielen sie bei der Unterdrückung der Protestaktionen [ab September 2022] eine Schlüsselrolle (DW 7.3.2023). Die meist jungen Freiwilligen absolvieren normalerweise eine begrenzte Ausbildung, um als Hilfskräfte für die lokale Sicherheit zu dienen und die staatliche Kontrolle über die Gesellschaft durchzusetzen, indem sie Demonstrationen unterdrücken und Informationen sammeln (IRINTL 1.7.2022). Alle Basij-Mitglieder, die über 15 Jahre alt sind, müssen als Teil ihres Dienstes ein zweimonatiges Militärtraining bei den Revolutionsgarden absolvieren (FP 30.1.2023). In die Basij einzu­treten eröffnet vielen jungen Menschen Perspektiven für Bildung und Beruf. Um von einer Mitgliedschaft in vollem Maße zu profitieren und dadurch in den Genuss von Krediten, kürzerem Wehr­dienst und besseren Berufsaussichten zu kommen, müssen spezielle Trainingsprogramme absolviert werden, die mindestens sechs Monate dauern (SWP 19.4.2023).

Die Basij-Organisation ist in verschiedene Zweige mit unterschiedlichen Spezialisierungen unterteilt (USIP 6.10.2010; vergleiche ABC News 13.10.2022). Der Sicherheitsapparat der Basij umfasst bewaffnete Brigaden, Aufstandsbekämpfungseinheiten und ein umfangreiches Netzwerk an Informanten (ABC News 13.10.2022), wobei der Geheimdienst der Revolutionsgarden auf Letzteres zurückgreifen kann (TWI 5.1.2018). Darüber hinaus gibt es auch Zweige wie zum Beispiel die Schüler-Basij [basij-e danesh-amouzi], Studenten-Basij [basij-e daneshjouyi] oder die Arbeiter-Basij [basij-e karegaran], die ein Gegengewicht zu zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Gewerkschaften oder Studentenvereinigungen bilden sollen (USIP 6.10.2010). Die Studenten-Basij (auf Englisch Student Basij Organisation, SBO) ist der bedeutsamste Zweig der Basij. Sie war unter anderem in die gewaltsame Niederschlagung der Proteste an den Universitäten ab September 2022 involviert und in dieser Untergruppierung befinden sich die radikalsten Mitglieder der Basij (NLM 20.4.2023; vergleiche IRINTL 22.5.2023). Mitglieder der Studenten-Basij bilden auch den Kern von wissenschaftlichen Projekten der Revolutionsgarden, wie zum Beispiel deren atomare und ballistische Programme. Die Mitgliedschaft in der Gruppierung ist auch hilfreich, um eine Arbeitsstelle in der öffentlichen Verwaltung oder bei den Sicherheitsbehörden zu finden (NLM 20.4.2023).

Reguläre Armee - Artesh

Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung (AA 30.11.2022).

Behandlung der Zivilbevölkerung

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS 23.2.2018). Die kurdische Region ist das am stärksten militarisierte Gebiet Irans. Die Regierung überwacht die Bevölkerung dort durch ein Netzwerk von Kontrollpunkten (DIS 7.2.2020).

Angehörige der Sicherheitskräfte können Misshandlungen begehen, ohne befürchten zu müssen, bestraft zu werden. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, darunter Folter, Verschwindenlassen und Gewaltakte gegen Demonstranten und Umstehende bei öffentlichen Demonstrationen. Die Regierung unternimmt nur wenige Schritte, um Beamte, die Menschenrechtsverletzungen begehen, zu identifizieren, zu untersuchen, strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Die Straflosigkeit bleibt auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte allgegenwärtig (USDOS 20.3.2023).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie Basij de facto willkürlich handeln können. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen können den Unwillen zufällig anwesender Basij bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basij können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 11.2021). Bei der brutalen Durchsetzung von Regeln wie der Kopftuchpflicht für Frauen, die im September 2022 Auslöser der Proteste war, stehen nicht unbedingt die regulären Polizeieinheiten im Fokus, sondern "überambitionierte Freiwillige", die sich normalerweise aus den Basij-Milizen rekrutieren. Sie nennen sich die "Hezbollahis", also "Parteigänger Gottes" und vertreten dabei das islamische Prinzip des "Gebieten des Guten, Verbieten des Schlechten" (al-amr bi-l-maʿrūf wa-n-nahy ʿani-l-munkar) [Anm.: nicht gleichzusetzen mit der libanesischen Hisbollah]. Die Polizei hat wenig Anreiz, Frauen vor Willkür zu schützen und sich mit den übereifrigen, politisch bestens vernetzten Hezbollahis anzulegen, die sich als Schutzherren der öffentlichen Moral aufspielen. Sie lassen die Miliz gewähren und vertrauen darauf, dass sich die Gewalt im Rahmen hält (Zenith 21.9.2022).

Es wird sowohl von "großer" Korruption durch hochrangige Vertreter der Sicherheits- und Strafvollzugsbehörden berichtet (FP 28.2.2023; vergleiche IrWire 4.6.2021) als auch von der Zahlung von Bestechungsgeldern ("Teegeld") an Polizeibeamte, beispielsweise zur Vermeidung von Strafen wegen Geschwindigkeitsübertretungen oder Drogenbesitzes. Manchmal werden auch Mitglieder der Revolutionsgarden und Basij oder Richter bestochen, um Strafen wegen schwerwiegenderer Taten zu verhindern, oder um Gerichtsprozesse zu beeinflussen. Umgekehrt zahlen auch Einbruchsopfer manchmal Bestechungsgelder an Polizisten, um die "Chancen auf die Fassung des Diebes zu erhöhen" (IrWire 28.4.2021). Die Bestechung von Militärangehörigen, Polizeibeamten und anderen Mitgliedern der Strafvollzugsbehörden in Iran wurde als "systemisch" bezeichnet. Begünstigende Faktoren sind unter anderem die Anwerbung von Personen mit Vorstrafen als Polizeibeamte. Auch Ungleichheiten und Lohndiskriminierung spielen eine Rolle, ebenso wie das Fehlen einer angemessenen Aufsicht durch verantwortliche Beamte. Die Polizei leidet zudem an "ineffizienter Organisation" (IrWire 6.9.2021).

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 12.04.2023

Folter ist nach Artikel 38, der iranischen Verfassung (AA 30.11.2022) und dem Strafgesetzbuch verboten, ebenso wie die Verwendung von unter Zwang erlangten Geständnissen in Gerichtsprozessen (UNHRC 13.1.2022). Dennoch sind psychische und physische Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 30.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023) bzw. weit verbreitet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022a). Folter wird in politischen Fällen nicht nur geduldet, sondern mitunter angeordnet (AA 30.11.2022). Ziel der Folter sind einerseits Geständnisse, auf die das iranische Justizsystem stark angewiesen ist (IrWire 17.2.2023; vergleiche AA 30.11.2022). Ehemalige Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 10.3.2023). Andererseits dient die systematische und weitverbreitete Anwendung von Folter der Abschreckung. Das dritte Motiv für die Folter, das mit zuvor genanntem verbunden ist und ausschließlich für politische Gefangene gilt, ist die öffentliche Zurschaustellung von gebrochenen Persönlichkeiten. Die Folterung von politischen Gegnern mit dem Ziel, falsche Geständnisse zu erlangen und diese öffentlich zu verbreiten, ist eine Botschaft an die Gesellschaft, dass die Regierung jeden Widerstand niederschlagen kann (IrWire 17.2.2023; vergleiche AA 30.11.2022). Durch Folter erzwungene "Geständnisse" wurden im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt und regelmäßig für Schuldsprüche herangezogen (AI 29.3.2022a).

Der Tod einer jungen Frau im September 2022, nachdem sie von der Moralpolizei in Teheran wegen eines "unangemessen" getragenen Hijabs verhaftet worden war, führte zu weitverbreiteten Protesten, wobei in jüngster Zeit mehrere Vorfälle bekannt wurden, bei denen die Polizei unrechtmäßig Gewalt gegen Frauen anwandte, die sich nicht an die auferlegten Bekleidungsvorschriften für Frauen hielten (HRW 16.9.2022). Im Zuge der Niederschlagung der Proteste festgenommene Personen waren Berichten zufolge mitunter der Folter ausgesetzt, teilweise mit Todesfolge, (BBC 19.12.2022; vergleiche RFE/RL 3.2.2023, NDR 1.2.2023, IrWire 17.2.2023) ebenso wie sexuellem Missbrauch und Vergewaltigungen (USDOS 20.3.2023). Laut einer Untersuchung von IranWire [Anm.: regimekritische Nachrichtenorganisation] lassen sich die Todesursachen von Gefangenen oder vor Kurzem aus der Haft Entlassenen, darunter auch Protestteilnehmern, in folgende Hauptkategorien unterteilen: 1. verweigerte medizinische Behandlung; 2. unmittelbare Zufügung extremer und qualvoller körperlicher Verletzungen; 3. unmittelbare Zufügung extremer und qualvoller mentaler und emotionaler Schäden. Die Ursache für den Tod von Gefangenen kurz nach der Entlassung ist in den meisten Fällen Selbstmord, der auf die Haftbedingungen oder die Angst vor einer Rückkehr in diese Bedingungen zurückzuführen ist (IrWire 17.2.2023).

Folter wird sowohl seitens der Polizei, im parallelen System der Basij/Pasdaran als auch in Gefängnissen angewandt (ÖB Teheran 11.2021). Fälle von Folter wie auch Todesfälle aufgrund von Gewaltanwendung wurden überdies in verschiedenen Prozessstadien verzeichnet, beispielsweise während Voruntersuchungen und in Haftzentren von ermittelnden Polizeieinheiten (Agahi), dem Geheimdienstministerium, der regulären Stadtpolizei sowie von Grenz- und Einwanderungspolizei, Cyber-Polizei, den Revolutionsgarden (UNHRC 13.1.2022) wie auch der Moralpolizei (HRW 16.9.2022). Menschenrechtsorganisationen verwiesen häufig auf Haftanstalten, in denen politische Gegner grausam und über längere Zeit gefoltert wurden, insbesondere in den Abteilungen Nr. 209 und Nr. 2 des Evin-Gefängnisses, die Berichten zufolge von den Revolutionsgarden kontrolliert werden (USDOS 20.3.2023) bzw. dem Geheimdienstministerium unterstehen und in dem politische Gefangene inhaftiert sind (AA 30.11.2022). Die Behörden unterhalten angeblich auch inoffizielle Geheimgefängnisse und Haftanstalten außerhalb des staatlichen Gefängnissystems, in denen es zu Misshandlungen kommt (USDOS 20.3.2023).

Straflosigkeit ist nach wie vor ein weitverbreitetes Problem bei allen Sicherheitskräften (USDOS 20.3.2023).

Gerichte verhängen weiterhin körperliche Strafen, wie zum Beispiel Auspeitschungen, Blendung, Steinigung und Amputation. Diese werden von der iranischen Regierung als "Strafe" und nicht als Folter betrachtet (USDOS 20.3.2023). Bei Delikten, die im Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischt-geschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 11.2021).

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 12.04.2023

Die iranische Verfassung (IRV) vom 15.11.1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Artikel 4, IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene "Hohe Rat für Menschenrechte" untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten "Pariser Prinzipien" (AA 30.11.2022).

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:

●             Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR)

●             Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) (ICCPR)

●             Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD)

●             Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht) (CRC)

●             Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie (CRC-OP-SC)

●             Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD)

●             Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

●             UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen

●             UN-Apartheid-Konvention

●             Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 28.1.2022)

Bislang hat Iran auch 15 Konventionen und ein Protokoll der International Labor Organization (ILO) unterzeichnet (FITR 8.2.2023).

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:

●             Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT)

●             Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention (OP-CAT)

●             Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR)

●             Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)

●             Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (CED)

●             Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (CRC-OP-AC) (unterzeichnet aber nicht ratifiziert) (AA 28.1.2022).

Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Menschenrechtslage, insbesondere der politischen und bürgerlichen Rechte, wobei sich der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Menschenrechtsbereich in den letzten Jahren erheblich verengt hat (ÖB Teheran 11.2021). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 2020). Zu den wichtigsten Menschenrechtsproblemen gehören: rechtswidrige oder willkürliche Tötungen durch die Regierung und ihre Vertreter, vor allem Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard für "schwerste Verbrechen" entsprechen, oder für Verbrechen, die von jugendlichen Straftätern begangen wurden, sowie Hinrichtungen nach Gerichtsverfahren ohne ordnungsgemäßen Prozess; Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; systematische Inhaftierungen, einschließlich politischer Gefangener. Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte; Bestrafung von Familienmitgliedern, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets - einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigte Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und strafrechtliche Verfolgung sogar von Verleumdung und übler Nachrede; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung; weitverbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen; rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien; Menschenhandel; Gewalt gegen ethnische Minderheiten; strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten; Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten sowie Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten; und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften. Die Regierung unternimmt kaum Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (USDOS 20.3.2023).

Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamische Grundsätze infrage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, welche die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände vergleiche Artikel 279 bis 288 iStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Artikel eins bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr, der Spionage beschuldigt zu werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niedrigschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv (AA 30.11.2022).

Die Behörden haben im Jahr 2022 weitverbreitete Proteste, bei denen Grundrechte gefordert wurden, brutal unterdrückt, wobei die Sicherheitskräfte unrechtmäßig mit übermäßiger und tödlicher Gewalt gegen die Demonstranten vorgingen. Sie verhafteten und verurteilten im Jahr 2022 zahlreiche friedliche Menschenrechtsaktivisten aufgrund vager Anschuldigungen im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit und unterließen es, Berichten über Misshandlungen oder Folter durch Polizei und Sicherheitskräfte nachzugehen. Die Sicherheitskräfte nehmen ethnische und religiöse Minderheiten ins Visier und setzen diskriminierende Kleidervorschriften für Frauen gewaltsam durch (HRW 12.1.2023). Auch Umweltaktivisten sind von Geldbußen, Haftstrafen und Folter betroffen (BS 23.2.2022).

Meinungs- und Pressefreiheit, Internet

Letzte Änderung: 26.01.2024

Die Verfassung sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung vor, auch für Mitglieder der Presse und anderer Medien, es sei denn, etwas wird als "schädlich für die Grundprinzipien des Islam oder die Rechte der Öffentlichkeit" angesehen (USDOS 20.3.2023; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 30.11.2022; vergleiche HRW 12.1.2023), sowohl online als auch offline (FH 10.3.2023). Die Gesetzgebung sieht die strafrechtliche Verfolgung von Personen vor, die der Anstiftung zu Straftaten gegen den Staat oder die nationale Sicherheit oder der "Beleidigung" des Islam beschuldigt werden. Die Regierung nutzt Gesetze, um Personen, welche die Regierung direkt kritisieren oder Menschenrechtsprobleme ansprechen, einzuschüchtern oder strafrechtlich zu verfolgen, sowie um normale Bürger zur Einhaltung des Moralkodex der Regierung zu zwingen (USDOS 20.3.2023).

Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol (AA 30.11.2022; vergleiche Landinfo 9.11.2022). Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet (AA 30.11.2022). Satellitenschüsseln sind verboten, und Übertragungen in persischer Sprache aus dem Ausland werden regelmäßig gestört (sogenanntes Jamming). Die Polizei führt regelmäßig Razzien in Privathäusern durch und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 10.3.2023).

Mit Stand Jänner 2023 nutzten beinahe 80 % der Bevölkerung das Internet (FH 4.10.2023), wobei mehr als 60 % des Internetverkehrs über mobiles Internet läuft (RSF 5.10.2022). Seit 2009 haben die Behörden erhebliche Mittel in den Ausbau der Infrastruktur, aber auch in die Kontrolle ihrer Nutzung investiert (Landinfo 9.11.2022). Die Investitionen der Regierung in die IKT-Infrastruktur im Rahmen des National Information Network (NIN - auf Farsi SHOMA (Medium 3.10.2019) haben die Internetanbindung ländlicher Gebiete verbessert und die Kluft zwischen Stadt und Land etwas verringert, auch wenn die Preise weiterhin hoch sind (FH 4.10.2023). Die Telekommunikationsfirma, die den Internetverkehr nach und aus Iran kontrolliert, befindet sich in Besitz der Revolutionsgarden (Landinfo 9.11.2022). Mit dem NIN haben die iranischen Behörden eine lokalisierte Internetarchitektur aufgebaut. Damit sind die Behörden in der Lage, die Verbindungen zum globalen Internet zu kappen und gleichzeitig die inländischen Dienste online zu halten. Über das NIN soll eine "mehrschichtige" oder "abgestufte" Internetstruktur eingeführt werden, bei der bestimmte Personengruppen Zugang zum globalen Internet haben, während der Rest auf das inländische Netz angewiesen ist. Die Umsetzung würde die Zensur- und Überwachungsmöglichkeiten der Regierung erweitern, da ein Großteil der Bevölkerung gezwungen wäre, inländische Apps und Plattformen zu nutzen, die nur schwache Datenschutz- und Sicherheitsfunktionen bieten. Behördenangaben zum Entwicklungsstand des NIN waren in der Vergangenheit umstritten. Nach Ankündigungen des zuständigen Ministers vom April 2023 soll das Netzwerk bis Jahresende fertiggestellt werden [Anm.: Diesbezüglich konnten in einer Kurzrecherche Ende des Jahres keine weiteren Informationen gefunden werden] (FH 4.10.2023). Die Regierung versucht auch, Internetnutzer mittels Preisanreizen zur Nutzung nationaler Plattformen zu bewegen (FH 4.10.2023; vergleiche Filterwatch 27.1.2023). Beispielsweise sind die Tarife zum Abrufen der Videoplattform Aparat, die Youtube ähnelt (FH 4.10.2023), oder bei Nutzung iranischer Apps günstiger. Nutzer sind auch gezwungen, iranische Messaging-Apps wie Rubika, Bale, Gap, Eita und Soroush herunterzuladen, um Zugang zu bestimmten Diensten wie E-Government und Bankfunktionen zu erhalten (Filterwatch 27.1.2023). Diese Apps und Dienste sind anfälliger für staatliche Kontrolle, sie können den Zugriff auf Daten und die Überwachung von Nutzern und Inhalten ermöglichen (Filterwatch 27.1.2023; vergleiche FH 4.10.2023).

Auch wenn die iranische Presselandschaft bislang eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums widergespiegelt hat, ist mit der Amtsübernahme der ultrakonservativen Regierung eine deutlich strengere Berichterstattung auf Regimelinie feststellbar. Geprägt wird die Presse ohnehin von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter "roter Linien" des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen drohen Sanktionen bis hin zum Verbot von Zeitungen (AA 30.11.2022). Der staatliche Rundfunk wird von Hardlinern streng kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert, wobei das staatliche Fernsehen für die iranische Bevölkerung eine wichtige Informationsquelle ist (FH 10.3.2023). Zensur und Überwachung sind umfassend. Es wurde eine Cyberpolizei eingerichtet, und auch mehrere andere Regierungsbehörden haben Aufgaben im Zusammenhang mit der Überwachung des Internets und der sozialen Medien (Landinfo 9.11.2022).

Nach dem Gesetz wird jeder, der in irgendeiner Form "Propaganda" gegen die Islamische Republik Iran oder zur Unterstützung oppositioneller Gruppen und Vereinigungen betreibt, mit drei Monaten bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft [Anm.: bei Verurteilungen z. B. wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit" oder "Korruption auf Erden" fallen höhere Strafen an] (USDOS 20.3.2023), wobei "Propaganda" nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden. Dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 11.2021). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung (ÖB Teheran 11.2021) sowie Einschüchterung ihrer Angehörigen konfrontiert (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 30.11.2022). Infolge der Mitte September 2022 ausgebrochenen landesweiten Proteste hat der Druck auf Journalistinnen und Journalisten weiter zugenommen (AA 30.11.2022). Es kam zu einer Welle an Festnahmen und Verhaftungen iranischer Medienschaffender, die über den Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini und die darauffolgenden Proteste berichtet hatten (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023).

Inhaftierte Journalisten sind – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt, die sich aufgrund der COVID-19-Pandemie noch verschärft haben. Unter politischen Gefangenen kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, auch gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung (AA 30.11.2022). Reporter ohne Grenzen bezeichnet Iran als eines der repressivsten Länder weltweit für Journalistinnen und Journalisten (RSF o.D.b). 2022 belegte das Land Rang 178 von 180 in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen [Anm.: je höher der Rang, desto geringer die Pressefreiheit] (RSF 2022).

Ebenso unter Druck stehen Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als "unislamisch" oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dies unterliegt einer Genehmigungspflicht). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist "regimefeindlicher Propaganda" und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 11.2021).

Die regimekritische Debatte findet weitgehend in den sozialen Medien statt. Für illegale Oppositionsparteien ist das Internet der bevorzugte Kanal für den Informationsaustausch (Landinfo 9.11.2022). Die sozialen Medien sind ein wichtiger Bestandteil der Protestbewegung seit Mitte September 2022 und werden zur Mobilisierung wie auch zur Verbreitung der Protestbotschaften verwendet (DW 15.11.2022). Irans vage definierte Redebeschränkungen, harte strafrechtliche Sanktionen und die staatliche Überwachung der Online-Kommunikation gehören zu den Faktoren, welche die Bürgerinnen und Bürger davon abhalten, sich an offenen und freien privaten Diskussionen zu beteiligen. Trotz der Risiken und Einschränkungen äußern viele ihre abweichende Meinung in den sozialen Medien und umgehen in einigen Fällen die offiziellen Sperren auf bestimmten Plattformen (FH 10.3.2023).

Millionen Internetseiten sind gesperrt bzw. nur via Virtual Private Network (VPN) erreichbar (ÖB Teheran 11.2021). Soziale Medienplattformen und Messaging-Tools wie Telegram, Twitter, Facebook, YouTube und Signal werden blockiert, aber verschiedene "Umgehungswerkzeuge" wie VPNs sind weit verbreitet (Landinfo 9.11.2022), wenn auch illegal (USDOS 20.3.2023). Im Zuge der Repressionen gegen die Proteste seit September 2022 nahm die Regierung auch VPNs ins Visier (RSF 5.10.2022).

Im November 2019 verhängten die Behörden zum ersten und bislang einzigen Mal eine landesweite, fast vollständige Abschaltung des Internets für mindestens sieben Tage. Die Entscheidung, das Land vom weltweiten Internet zu trennen, wurde vom Nationalen Sicherheitsrat nach einer Protestwelle getroffen, die durch die plötzliche Ankündigung einer erheblichen Erhöhung der Treibstoffpreise ausgelöst worden war. Örtlich begrenzte Internetabschaltungen werden häufig eingesetzt, um Proteste zu unterbinden und eine genaue Berichterstattung über Demonstrationen zu verhindern, so auch mehrfach bei den Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini im September 2022 in den Provinzen Kurdistan, Khuzestan sowie Sistan und Belutschistan (FH 4.10.2023). Auch kommt es zu Drosselungen der Internetgeschwindigkeit (NatGeo 17.10.2022; vergleiche Intercept 28.10.2022). Die Behörden haben im Rahmen der Niederschlagung der Proteste auch den Zugang zu WhatsApp und Instagram blockiert und VPNs wie auch Proxy-Server gefiltert (FH 4.10.2023).

Der Internetverlauf kann "gefiltert" bzw. mitgelesen werden. Jede Person, die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen "Cyberkrieg" gegen das Land führen zu wollen und Proteste anzustacheln (AA 30.11.2022). Der Staat überwacht soziale Medien auf Aktivitäten, die er für illegal hält. Die Cyberpolizei FATA hat unter anderem die Aufgabe, soziale Medien im Rahmen der Bekämpfung der Cyberkriminalität zu überwachen und zu verfolgen. Im Mai 2020 kündigte die FATA an, dass das Nichttragen des Hijabs im Internet als Straftat gilt und Zuwiderhandlungen strafrechtlich verfolgt werden. Mehrere Frauen wurden verhaftet, weil sie Fotos oder Videos von sich unverschleiert ins Internet gestellt hatten. Das Regime ergriff drakonische Maßnahmen zur Bestrafung von Online-Nutzern, und mehrere Personen wurden wegen ihrer Online-Inhalte vom Regime zum Tode verurteilt oder hingerichtet. Im Mai 2023 wurden beispielsweise zwei Männer wegen atheistischer Inhalte auf Telegram-Kanälen exekutiert. Mehrere Blogger und Social-Media-Nutzer wurden wegen ihrer Online-Inhalte, die häufig die Proteste nach dem Tod von Mahsa Jina Amini unterstützten, zu harten Haftstrafen verurteilt (FH 4.10.2023). Nach Beginn der Massenproteste Ende September 2022 verhafteten die Behörden Tausende von Menschen, darunter Prominente, Menschenrechtsaktivisten und andere, die ihre Unterstützung für die Bewegung durch Beiträge in den sozialen Medien oder durch die öffentliche Missachtung der Hijab-Vorschriften, die zu Mahsa Aminis Verhaftung und Tod geführt hatten, zum Ausdruck gebracht haben. Die Revolutionsgarden (IRGC) forderten die Justiz auf, jeden strafrechtlich zu verfolgen, der "falsche Nachrichten und Gerüchte" verbreitet (FH 10.3.2023).

Abseits von Maßnahmen, wie der Überwachung von Inhalten im Internet (AA 30.11.2022) und der Drosselung der allgemeinen Internetgeschwindigkeit (NatGeo 17.10.2022), ist wenig über die konkrete Vorgehensweise der Behörden bei der Unterdrückung der Proteste bekannt. Es wird vermutet, dass die Behörden ein Computersystem verwenden, das hinter den Kulissen der iranischen Mobilfunknetze arbeitet und den Betreibern eine breite Palette von Fernbefehlen zur Verfügung stellt, mit denen sie die Nutzung der Telefone ihrer Kunden verändern, stören und überwachen können, wie zum Beispiel die Datenverbindungen verlangsamen, die Verschlüsselung von Telefongesprächen knacken, die Bewegungen von Einzelpersonen oder großen Gruppen verfolgen und detaillierte Zusammenfassungen von Metadaten darüber erstellen, wer mit wem, wann und wo gesprochen hat (Intercept 28.10.2022). Beobachterinnen der Proteste ab September 2022 berichteten, dass viele Demonstranten nicht auf den Straßen verhaftet wurden, sondern ein oder zwei Tage später zu Hause (Wired 10.1.2023). Iranische Mobiltelefonnutzer berichteten von SMS, die sie von lokalen Polizeistationen mit dem Hinweis erhalten haben, dass sie sich in einem "Unruhegebiet" aufgehalten hätten und dieses Gebiet nicht noch einmal aufsuchen oder nicht noch einmal mit "anti-revolutionären" Regierungsgegnern online in Verbindung treten sollten (Intercept 28.10.2022).

Das iranische Regime setzt auch eine "Cyber-Armee" ein (IrWire 5.6.2023), um Narrative in den sozialen Medien zu beeinflussen (NLM 5.9.2023 vergleiche IrWire 5.6.2023) und Desinformation zu verbreiten. Ziel der Desinformationskampagnen ist es dabei weniger, Personen vom eigenen Narrativ zu überzeugen, als Zweifel zu säen, sodass Internetnutzer schließlich gar keinen Quellen in den sozialen Medien - auch per se glaubwürdigen Personen - mehr vertrauen. Neben dem Stiften von Verwirrung ist die Diskreditierung und Unterminierung der Opposition ein wesentlicher Bestandteil der iranischen Cyberaktivitäten. Zum Teil geschieht das auch durch Hacking-Angriffe auf Oppositionsmitglieder (Wired 21.3.2023), wobei die Menschenrechtsorganisation Miaan Group im Jahr 2023 beispielsweise über 100 Phishing-Angriffe auf Journalisten, Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger inner- und außerhalb Irans dokumentierte. Vor allem Angehörige ethnischer Minderheiten wie der Kurden und Aserbaidschaner sowie Unterstützer der Proteste wurden dabei anvisiert (Filterwatch 27.11.2023). Die Diskreditierung von Oppositionellen geschieht auch durch falsche Konten in den sozialen Medien. Unterschiedliche Fraktionen der Opposition sollen so gegeneinander ausgespielt werden. Diese Bemühungen sind ebenfalls Teil einer umfassenderen Anstrengung, den Eindruck zu erwecken, dass niemand vertrauenswürdig und niemand glaubwürdig ist (Wired 21.3.2023). Im Jänner 2024 deckten "Cyber-Agenten" des Regimes laut der oppositionellen Nachrichtenseite Iran International zudem die Identitäten von Personen auf, die bislang anonym oppositionelle Social Media-Auftritte betrieben haben. Im Rahmen der Online-Kampagne wurden mehrere Personen verhaftet, was als eine breit angelegte Einschüchterungsaktion gegen Regimekritiker interpretiert wird (IRINTL 6.1.2024).

Anmerkung: Informationen zum Thema können auch der Kurzinformation - Iran "Netzaktivitäten - Netzüberwachung" des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) der Bundesrepublik Deutschland vom Juli 2023 entnommen werden.

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Letzte Änderung: 26.01.2024

In der Verfassung heißt es, dass öffentliche Demonstrationen zulässig sind, wenn sie "den Grundprinzipien des Islam nicht abträglich sind". In der Praxis sind in der Regel nur staatlich genehmigte Demonstrationen erlaubt (FH 10.3.2023). Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen somit unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen der Opposition sind seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch in kleinem Umfang statt (AA 30.11.2022). Die Sicherheitskräfte lösten in den letzten Jahren nicht genehmigte Versammlungen gewaltsam auf, nahmen Teilnehmer fest und wendeten tödliche Gewalt gegen sie an (FH 10.3.2023). Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studierende teilweise verpflichtet werden (AA 30.11.2022).

Proteste gegen das Regime fanden in der Islamischen Republik Iran in der Vergangenheit immer wieder statt. Die [bis zu den Protesten ab Mitte September 2022] größte Protestwelle wurde durch den massiven Betrug bei den Präsidentschaftswahlen 2009 ausgelöst und brachte Millionen von Menschen auf die Straße, bis die Behörden gegen die Führer der sogenannten Grünen Bewegung, Mir Hossein Mousavi und Mehdi Karroubi, vorgingen (TWI 28.9.2022). Zuletzt fanden 2019 weitreichende Proteste statt, nachdem die Regierung beschlossen hatte, die Benzinpreise zu erhöhen (TWI 28.9.2022). Die iranischen Sicherheitsbehörden setzten zur Unterdrückung der Proteste auch tödliche Gewalt ein, darunter scharfe Munition, die wahllos auf Demonstranten abgefeuert wurde. Die Anzahl der Todesopfer ist schwierig zu verifizieren. Schätzungen reichen von 304 verifizierten Todesopfern bis zu 1.500 in unbestätigten Berichten (DIS 1.7.2020). 2021 gab es Proteste von Arbeitnehmern, Rentnern und Landwirten in Bezug auf Löhne, Arbeitsplatzsicherheit und das Recht auf kollektive Organisierung (UNHRC 13.1.2022) sowie in der Provinz Khuzestan Proteste aufgrund mangelnden Zugangs zu Wasser (HRW 22.7.2021). Letztere wurden gewaltsam niedergeschlagen (HRW 22.7.2021; vergleiche UNHRC 13.1.2022).

Jüngste Proteste

Nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Jina (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023) kam es in Iran zu den größten Protesten seit Jahren (EN 1.2.2023; vergleiche GD 17.2.2023). Sie dauerten im Februar 2023 noch an (GD 17.2.2023) und flauten bis zum Sommer schließlich ab (USIP 6.9.2023).

Amini war kurz vor ihrem Tod von der Sittenpolizei des Landes wegen angeblicher Verstöße gegen die Bekleidungsvorschriften für Frauen verhaftet und laut Augenzeugenberichten geschlagen worden (BBC 16.9.2022). Angehörige von Amini wie auch Protestteilnehmer und -teilnehmerinnen wiesen die Behauptung der Behörden zurück, Amini sei aufgrund einer unentdeckten Vorerkrankung gestorben (EN 1.2.2023). Den Protesten unter der Parole „Frau, Leben, Freiheit“ (in kurdischer Sprache: „Jin, Jîyan, Azadî“) (NatGeo 17.10.2022), die im Wesentlichen von Frauen gestartet wurden (EN 1.2.2023), schlossen sich Iraner und Iranerinnen aller Altersgruppen und Ethnien an, wobei sie vor allem von den jüngeren Generationen auf die Straße getragen wurden (NatGeo 17.10.2022). Die Proteste fanden in allen größeren sowie vielen kleineren Städten Irans statt. Die iranischen Behörden reagierten gewaltsam darauf, mitunter kam es auch zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Demonstrantinnen und Demonstranten mit den Sicherheitsbehörden (EN 1.2.2023).

Laut Menschenrechtsaktivisten wurden im Zeitraum September 2022 bis Februar 2023 über 500 Demonstrantinnen und Demonstranten getötet, darunter 71 Minderjährige (REU 17.2.2023). Human Rights Watch (HRW) dokumentierte, dass Sicherheitskräfte Schrotflinten, Sturmgewehre und Handfeuerwaffen gegen Demonstranten eingesetzt haben, und zwar in weitgehend friedlichem Umfeld und oft in überlaufenen Gegenden (HRW 12.1.2023). Ethnische Minderheiten waren überproportional stark von den Repressionen gegen die Proteste betroffen (UNHRC 7.2.2023; VOA 16.11.2022). Am 30.9.2022 eröffneten beispielsweise Sicherheitskräfte das Feuer auf Demonstrantinnen und Demonstranten in der Stadt Zahedan (Provinz Sistan und Belutschistan), wobei Dutzende von Menschen getötet und verletzt worden sind [Anm.: siehe zu diesem Vorfall auch das Kapitel "Ethnische Minderheiten / Belutschen"] (HRW 12.1.2023). In den kurdischen Gebieten wurden Truppen, schwere Waffen und Militärfahrzeuge in Stellung gebracht, um die Demonstranten niederzuschlagen (EN 1.2.2023).

Rund 20.000 Protestteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden zeitweise inhaftiert (REU 17.2.2023; vergleiche DW 13.3.2023). Laut staatsnahen iranischen Medien ist ein bedeutender Anteil der Festgenommenen minderjährig (AI 16.3.2023; vergleiche UNHRC 7.2.2023). Festgenommene berichteten von Folter während der Inhaftierung (NDR 1.2.2023; AI 16.3.2023), darunter auch von Minderjährigen (AI 16.3.2023), sowie von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung (FH 10.3.2023; vergleiche AI 16.3.2023). Nach Angaben der Justizbehörden wurden mit Stand Februar 2023 vier Personen im Zusammenhang mit den Protesten gehängt (REU 17.2.2023). Bis Mitte Jänner wurden 18 weitere Personen im Zusammenhang mit den Protesten zum Tod verurteilt (BBC 18.1.2023), und laut der NGO Iran Human Rights (IHRNGO) laufen rund 100 weitere Protestteilnehmer und -teilnehmerinnen Gefahr, zum Tod verurteilt zu werden (IHRNGO 27.12.2022). Vor den Nowruz-Feierlichkeiten im März 2023 kündigten die iranischen Justizbehörden an, dass rund 22.000 Menschen, die im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen worden waren, begnadigt würden. Menschenrechtsgruppen hatten die Zahl der inhaftierten Protestteilnehmer zuvor auf rund 19.700 geschätzt (DW 13.3.2023). Die meisten Minderjährigen sind nach Einschätzung von Amnesty International (AI) mit Stand März 2023 wieder freigelassen worden, manche auf Kaution und mit laufenden Verfahren. Viele wurden erst freigelassen, nachdem sie gezwungen wurden, "Reue"-Schreiben zu unterzeichnen und sich zu verpflichten, von "politischen Aktivitäten" abzusehen und an regierungsfreundlichen Kundgebungen teilzunehmen (AI 16.3.2023). Laut dem Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats zu Iran hat das iranische Regime im Zusammenhang mit der Protestniederschlagung Verstöße begangen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten (BBC 20.3.2023).

Viele Gegnerinnen und Gegner der Regierung drücken ihren Protest derzeit durch zivilen Ungehorsam aus, etwa indem sie den Kopftuchzwang ignorieren (Spiegel 19.1.2023; vergleiche IRINTL 3.12.2023a, DW 23.11.2023). Im November 2022 ging ein Video eines tanzenden Paares vor dem Teheraner Wahrzeichen Azadi-Turm [Azadi: Freiheit in Farsi] viral, wobei die weibliche Tanzpartnerin keinen Hijab trug, und Tanzen in der Öffentlichkeit für Frauen verboten ist. Das Paar wurde nach Veröffentlichung des Videos von einem Teheraner Revolutionsgericht aufgrund der "Förderung von Korruption und öffentlicher Prostitution" sowie "Versammlungen mit der Absicht, die nationale Sicherheit zu stören" zu jeweils über zehn Jahren Gefängnis verurteilt und mit Ausreiseverboten sowie Zugangsbeschränkungen zum Internet belegt (GD 31.1.2023).

Nach dem Ausbruch der landesweiten Proteste im September 2022 verschwand die Sittenpolizei weitgehend von den Straßen. Der Regierung schien klar zu sein, dass die Ordnungshüter in ihren allgegenwärtigen weißen Transportern den Unmut der Öffentlichkeit noch stärker auf sich ziehen würden. Als die Patrouillen nachließen, zeigten sich immer mehr Frauen ohne Hijab in der Öffentlichkeit. Die Sittenpolizei wurde jedoch nie aufgelöst. Die iranische Regierung hielt an ihrer Position fest, indem sie die Durchsetzung der Vorschriften später wieder verstärkte. Im Juli 2023 setzte sie die Sittenpolizei wieder ein (USIP 6.9.2023; vergleiche RFE/RL 20.7.2023). Es wird von punktuellen Protesten in diesem Zusammenhang berichtet, beispielsweise im Juli 2023 in der Stadt Rasht, nachdem die Sittenpolizei drei Frauen angeblich wegen Verstößen gegen die Hijab-Pflicht festnehmen wollte (RFE/RL 20.7.2023), und im Dezember wurde eine Basis der Sittenpolizei in Shiraz laut der exiliranischen Nachrichtenseite Iran International angezündet, was die Seite mit anti-Hijab-Protesten in Verbindung brachte [Anm.: Entsprechende Beiträge wurden auch in den sozialen Medien geteilt (s. z.B. emilyshar1 3.12.2023, SabziPoloBaMahee 3.12.2023), darüber hinaus konnten hierzu jedoch keine weiteren Informationen gefunden werden] (IRINTL 3.12.2023a).

Gewerkschaftliche Aktivitäten, politische Parteien und Opposition

Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 10.3.2023). Unabhängige gewerkschaftliche Betätigung wird als "Propaganda gegen das System" und "Handlungen gegen die nationale Sicherheit" verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 30.11.2022), jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein. Im Juni 2022 berichtete der Koordinierungsrat der iranischen Lehrergewerkschaft beispielsweise, dass mehr als 100 Lehrer verhaftet worden waren, weil sie an einer landesweiten Protestaktion teilgenommen hatten, bei der bessere Arbeitsbedingungen und die Freilassung zuvor inhaftierter Lehrer gefordert wurden. Trotz solcher Repressalien haben die Arbeiterproteste in den letzten Jahren aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Not zugenommen (FH 10.3.2023). Im Februar 2023 fanden beispielsweise Streiks von Pensionistengruppen und Beschäftigten der Bäckergewerkschaft, der Stahlindustrie und der Zuckerfabriken statt, nachdem der iranische Rial weiter an Wert verloren hatte, und die Lebenserhaltungskosten gestiegen waren (IRINTL 26.2.2023). Im Dezember 2022 streikten Ölarbeiter im Süden Irans wegen mangelnder Arbeitsplatzsicherheit in diesem Sektor (RFE/RL 17.12.2022).

Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisationen so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems infrage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte, drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände ("regimefeindliche Propaganda", "Beleidigung des Obersten Führers" etc.) (ÖB Teheran 11.2021). Zwar gab es in der Vergangenheit einen gewissen Spielraum für Machtverschiebungen zwischen anerkannten Fraktionen innerhalb des Establishments, doch stellen Elemente der Realverfassung ein dauerhaftes Hindernis für Wahlsiege der Opposition und echte Machtwechsel dar (FH 10.3.2023). In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung. Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Sowohl bei Präsidentschafts- als auch bei Parlamentswahlen nimmt der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vor. Kandidaten werden unter fadenscheinigen Gründen aussortiert – dabei wurden auch schon ehemalige Präsidenten als "nicht geeignet" ausgeschlossen. Nach langen Debatten bewertete der Wächterrat – dem nur Männer angehören – die Kandidatur von Frauen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2021 als prinzipiell zulässig, dennoch wurde auch diesmal keine einzige der Kandidatinnen zugelassen (ÖB Teheran 11.2021). Reformistische Gruppen sind insbesondere seit 2009 verstärkt staatlichen Repressionen ausgesetzt, und Politiker, die ihnen angehören, werden willkürlich festgenommen und aufgrund vager strafrechtlicher Anschuldigungen inhaftiert (FH 10.3.2023).

Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u. a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.). Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen (ÖB Teheran 11.2021). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv (AA 30.11.2022). Führende Oppositionspolitiker werden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Mir Hossein Mousavi, Zahra Rahnavard und Mehdi Karroubi, die Führer der reformorientierten Grünen Bewegung, deren Proteste nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009 gewaltsam niedergeschlagen worden war, stehen seit 2011 ohne offizielle Anklage unter Hausarrest. Die Beschränkungen für Mousavi und Karroubi wurden in den letzten Jahren gelegentlich gelockert. Der reformorientierte ehemalige Präsident Mohammad Khatami unterliegt einem Medienverbot, das es der Presse untersagt, ihn zu erwähnen und seine Fotos zu veröffentlichen. Der ehemalige Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der in Ungnade gefallen ist, weil er Chamenei herausgefordert hat, durfte bei den Präsidentschaftswahlen 2017 und 2021 nicht mehr antreten (FH 10.3.2023).

An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, welche die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten (ÖB Teheran 11.2021). Das Fehlen oppositioneller Führung zeigte sich bei den Unruhen zum Jahreswechsel 2017/2018 sowie bei den Protesten im November 2019. Auch bei den im September 2022 begonnen Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini ist mit Stand 18.11.2022 keine Führungsfigur erkennbar, der Sicherheitsapparat verhaftet umgehend alle Personen, die einen erkennbaren Grad an Sichtbarkeit oder Vernetzung mitbringen. Der Protest zeichnet sich durch einen hohen Grad an dezentralen Aktivitäten aus, die weniger Sichtbarkeit als Großdemonstrationen mit sich bringen, aber dadurch auch weniger leicht kontrollierbar sind (AA 30.11.2022).

Haftbedingungen

Letzte Änderung: 12.04.2023

Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt. Gefangene beschweren sich häufig über schlechte Haftbedingungen, einschließlich der Verweigerung von medizinischer Versorgung (FH 10.3.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023). Auch wurde über unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln, die langfristig zu entsprechenden Folgeschäden führen kann (ÖB Teheran 11.2021), körperlichen Misshandlungen und unzureichenden sanitären Bedingungen berichtet. Es kam häufig zu Hungerstreiks der Gefangenen, um gegen ihre Behandlung zu protestieren. Mit der Zunahme der Verhaftungen während der Proteste [seit Mitte September 2022] verschlechterten sich die Bedingungen nach Berichten von NGOs und Medien durch den Zustrom von Häftlingen weiter (USDOS 20.3.2023), wobei Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass rund 20.000 Personen im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen worden sind (BBC 5.2.2023). Die Zellen sind auch schlecht belüftet und teils von Ungeziefer befallen. Da vielen Inhaftierten eine angemessene medizinische Versorgung verweigert wurde, waren diese einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus zu infizieren (AI 29.3.2022b). Der allgemeine Zustand der Gesundheitsversorgung, der sich während der COVID-19-Pandemie erheblich verschlechtert hat, ist nach wie vor prekär. Es gibt zahlreiche Berichte über Suizidversuche von Häftlingen, welche mit den Haftbedingungen in Verbindung gebracht werden (USDOS 20.3.2023).

Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet - vor allem während Verhören (AI 29.3.2022b) und während der Untersuchungshaft (USDOS 20.3.2023). Regelmäßig versterben Menschen in Haft (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 20.3.2023). Die Behörden verabsäumen es manchmal, Gewalt unter Häftlingen zu unterbinden (USDOS 20.3.2023).

Gelegentlich halten die Behörden Untersuchungshäftlinge zusammen mit verurteilten Gefangenen fest (USDOS 20.3.2023).

Die Haftbedingungen variieren im Einzelfall nach Gefängnis-Trakt und Status der Gefangenen, wobei generelle Aussagen nicht möglich sind. So ist im Evin-Gefängnis in Teheran ein Trakt für Ausländer reserviert, ein Trakt wird vom Geheimdienst der Revolutionsgarden verwaltet, manche Trakte sind unterirdisch. Das Quarchak-Frauengefängnis in Teheran dürfte als ehemaliger Hühnerstall sanitär unzureichend sein (ÖB Teheran 11.2021). Menschenrechtsorganisationen nennen häufig mehrere Haftanstalten, in denen politische Gegner grausam und über längere Zeit gefoltert werden, darunter folgende Gefängnisse: Evin in Teheran, Rajai-Shahr in Karaj, Qarcha, Adel-Abad, Vakilabad, Zahedan, Orumiyeh, das Zentralgefängnis in Isfahan (Dastgerd) und das Großgefängnis in Teheran. Insbesondere erwähnen sie auch die Abteilungen Nr. 209 und Nr. 2 des Evin-Gefängnisses, die Berichten zufolge von den Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) kontrolliert werden. Die Behörden unterhalten angeblich auch inoffizielle Geheimgefängnisse und Haftanstalten außerhalb des staatlichen Gefängnissystems, in denen es zu Misshandlungen kommt (USDOS 20.3.2023).

Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark voneinander ab (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse (AA 30.11.2022; vergleiche HRW 12.1.2023). Politische Gefangene werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 11.2021). Menschenrechtsorganisationen berichten, dass die Behörden die Verweigerung der medizinischen Versorgung als eine Form der Bestrafung politischer Gefangener und zur Einschüchterung von Gefangenen einsetzen, die Beschwerden einreichen oder die Behörden herausfordern. Berichte über Folter, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen gegen Protestteilnehmerinnen und -teilnehmer im Zuge der Protestwelle nach dem Tod von Mahsa Amini sind weit verbreitet (USDOS 20.3.2023).

Die Regierung lässt keine unabhängige Überwachung der Haftbedingungen zu. Gefangene und ihre Familien schreiben häufig Briefe an die Behörden und in einigen Fällen an UN-Gremien, um auf ihre Behandlung hinzuweisen und dagegen zu protestieren (USDOS 20.3.2023).

Sogenannte Hacktivisten veröffentlichten 2021 und 2022 Videos von Überwachungskameras aus dem Evin-Gefängnis (USDOS 20.3.2023). Die dort aufgenommenen und 2021 verbreiteten Videoaufnahmen zeigen Übergriffe und Misshandlungen von Gefangenen sowie Beweise für Überbelegung. Infolge dieser Videos wurden Strafverfahren gegen sechs Gefängniswärter eingeleitet (FH 10.3.2023). Im Oktober 2022 wurden Teile des Evin-Gefängnisses unter ungeklärten Umständen durch eine Reihe von Bränden zerstört, bei denen mindestens acht Menschen ums Leben kamen. Berichten zufolge griffen Sicherheitskräfte Gefangene an, die versuchten, aus den Bränden zu fliehen (FH 10.3.2023; vergleiche AA 30.11.2022). Es gibt zahlreiche Berichte über mangelhafte Versorgung der bei dem Brand Verletzten (AA 30.11.2022).

Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in "sichere Häuser" gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen. Dort werden sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten (ÖB Teheran 11.2021), wie zum Beispiel die beiden Anführer der "Grünen Bewegung" und Präsidentschaftskandidaten im Jahr 2009, Mir Hossein Mousavi und Mehdi Karroubi, die gemeinsam mit Mousavis Frau Zahra Rahnavard seit 2011 unter Hausarrest stehen (IrWire 15.8.2022; vergleiche AAA 28.2.2023).

[…]

Todesstrafe

Letzte Änderung: 12.04.2023

Die Todesstrafe wird nach unfairen Gerichtsverfahren verhängt, u.a. für Straftaten, die gemäß Völkerrecht nicht zu den "schwersten Verbrechen" zählen, wie Drogenhandel und Finanzkriminalität, sowie für Handlungen, die international nicht als Straftaten anerkannt sind. Todesurteile werden als Mittel der Unterdrückung gegen Demonstranten und Demonstrantinnen, Andersdenkende und ethnische Minderheiten eingesetzt (AI 29.3.2022b). Iran ist im weltweiten Vergleich nach China jenes Land, in welchem die Todesstrafe am häufigsten vollzogen wird (FH 10.3.2023). Laut der NGO Iran Human Rights (IHRNGO) wurden dort im Jahr 2022 über 500 Menschen hingerichtet. Dies ist die höchste Zahl seit fünf Jahren (IHRNGO 4.12.2022), wobei die genaue Anzahl aufgrund der intransparenten Vorgehensweise der iranischen Behörden nicht bekannt ist. Unter den Hingerichteten befanden sich auch drei Personen, die zum Zeitpunkt der Verurteilung [nach europäischen Standards] Kinder waren. Der UN-Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage in Iran zeigte sich alarmiert über die starke Zunahme der Hinrichtungen in Iran, insbesondere über den exponentiellen Anstieg der Hinrichtung von Drogendelinquenten, die kontinuierliche Hinrichtung von Personen, die als Kinder zum Tode verurteilt wurden, die Wiederaufnahme öffentlicher Hinrichtungen und die unverhältnismäßige Anwendung der Todesstrafe gegen Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten im Jahr 2022 (UNHRC 7.2.2023). Ethnische Minderheiten sind überproportional häufig von Todesurteilen betroffen (USDOS 20.3.2023). Rund 30 % aller Hinrichtungen betrafen Belutschen, obwohl diese nur rund 2-6 % der Gesamtbevölkerung ausmachen (UNHRC 7.2.2023).

Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, "Moharebeh" (Waffenaufnahme gegen Gott) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 11.2021); des weiteren auf terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslims mit einer Muslimin. Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden. Nach Kenntnis des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland ist es jedoch in den letzten 20 Jahren zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 30.11.2022). Vergewaltigungsopfer können neben den Tatbeständen der "Unsittlichkeit" und des "unmoralischen Verhaltens" auch wegen Ehebruchs belangt werden, für welchen die Todesstrafe verhängt werden kann (USDOS 20.3.2023). Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom "Geschädigten" gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021).

2017 trat eine Änderung des Strafgesetzes für Drogendelikte in Kraft, welche die Todesstrafen im Bereich der Drogenkriminalität auf bestimmte Fallkonstellationen beschränkte. Bagatelldelikte sind damit von der Todesstrafe ausgenommen. Entsprechend sank die Zahl der Hinrichtungen für Drogenkriminalität nach dieser Gesetzesänderung zunächst stark (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Seit Oktober 2021 ist, vermutlich wegen vermehrter Drogenkriminalität auch durch Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und damit einhergehender fehlender Grenzkontrollen auf afghanischer Seite, ein erneuter Anstieg bei der Zahl an Hinrichtungen für Drogenkriminalität zu verzeichnen (AA 30.11.2022). Freedom House bringt die Zunahme an Hinrichtungen dagegen mit dem Amtsantritt von Präsident Ebrahim Raisi [Anm.: August 2021] in Verbindung (FH 10.3.2023). 2022 wurden schätzungsweise 222 von insgesamt rund 500 Personen wegen Drogenvergehen hingerichtet (UNHRC 7.2.2023). Es ist außerdem davon auszugehen, dass es beim Kampf gegen Drogenhandel und Schmuggel vor allem in den Grenzregionen Sistan-Belutschistan und Kurdistan regelmäßig zu außergerichtlichen Hinrichtungen kommt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRANA 8.2.2023).

Iran ist eines der wenigen Länder der Welt, die noch die Todesstrafe für jugendliche Straftäter anwenden, auch wenn dies internationalen Verträgen widerspricht, welche von Iran unterzeichnet worden sind (IHRNGO 2.1.2023; vergleiche UNHRC 7.2.2023). Das 2013 verabschiedete islamische Strafgesetzbuch Irans definiert das "Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit" für Kinder ausdrücklich als das Alter der Reife nach der Scharia, was bedeutet, dass Mädchen über neun Mondjahre und Buben über 15 Mondjahre für eine Hinrichtung infrage kommen, wenn sie wegen "Verbrechen gegen Gott" [moharebeh] (wie Apostasie) oder "Vergeltungsverbrechen" [qisas] (wie Mord) verurteilt werden (IHRNGO 2.1.2023). Die Todesstrafe kann bei Erreichen der Volljährigkeit vollstreckt werden (AA 30.11.2022).

Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt auf Verurteilungen wegen Mordes (AA 30.11.2022). Das iranische Regime antwortete auf die Protestwelle nach dem Tod von Mahsa Amini unter anderem mit der Verhängung und Vollstreckung von Todesurteilen. Während den Hingerichteten Morde an Sicherheitsbeamten vorgeworfen wurden, dienten die Urteile laut Experten vor allem der Abschreckung (CNN 11.1.2023; vergleiche NBC 19.12.2022). Mit Stand Dezember 2022 geht die IHRNGO davon aus, dass mindestens 100 Protestteilnehmerinnen und Protestteilnehmer zum Tod verurteilt wurden oder ein derartiges Urteil befürchten müssen (IHRNGO 27.12.2022). Ein Protestteilnehmer, der ursprünglich wegen Mordes an einem Basij-Milizangehörigen festgenommen worden war, wurde im Dezember 2022 wegen "Korruption auf Erden" [Mofsed-e filarz/efsad-e filarz] zum Tod verurteilt (BBC 18.1.2023). Andere Protestteilnehmer wurden wegen Moharebeh zum Tod verurteilt und teils hingerichtet (UNHRC 7.2.2023). Menschenrechtsorganisationen bezeichneten Prozesse, welche mit Todesurteilen für Protestteilnehmer endeten, im Jänner 2023 als "grob unfaire Scheinprozesse" (BBC 18.1.2023). Während die iranischen Behörden Hinrichtungen zuletzt nicht mehr öffentlich durchgeführt hatten (ÖB Teheran 11.2021), fanden im Dezember 2022 wieder öffentliche Hinrichtungen von Protestteilnehmern statt (NBC 19.12.2022).

Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen. Die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 30.11.2022). Selbst nach der Hinrichtung durch das Regime werden repressive Maßnahmen gegen Angehörige fortgesetzt. Hingerichtete werden weit entfernt von ihrem früheren Wohnort begraben, manchmal ohne Benachrichtigung der Angehörigen. Totenfeiern sowie Grabbesuche für Regimegegner werden aufgelöst (ÖB Teheran 11.2021).

Regierung und NGOs sind bemüht, Hinrichtungen durch Förderung des Blutgeld-Prozesses zu verhindern, und es werden z. B. mit Spendenaufrufen Blutgelder gesammelt (ÖB Teheran 11.2021).

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 26.01.2024

In Iran leben schätzungsweise rund 87,6 Millionen Menschen (CIA 7.3.2023), von denen nach offiziellen Angaben ungefähr 99 % dem Islam angehören. Etwa 90 % der Bevölkerung sind demnach Schiiten, ca. 9 % sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq (Yaresan) und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (STDOK 3.5.2018; vergleiche USDOS 15.5.2023). Im Rahmen einer vielbeachteten und breit diskutierten (NYMAG 21.10.2022) Onlinebefragung der Organisation Gamaan aus dem Jahr 2020, an der sich 40.000 innerhalb Irans lebende Iraner sowie rund 10.000 im Ausland lebende Iraner beteiligt haben, wurden folgende Einstellungen bzw. religiösen Ausrichtungen angegeben: nur rund 32 % der Bevölkerung bekennen sich zum Schiitentum, 5 % zum Sunnitentum und rund 8 % zum Zoroastrismus. 9 % identifizierten sich dagegen als Atheisten, 7 % als "spirituell" und 6 % als Agnostiker. Andere gaben an, dem Sufismus, Humanismus, Christentum, dem Baha'i-Glauben oder dem Judentum zu folgen (Anteile zwischen rd. 0,1 und 3 %) und rund 22 % der Befragten wollten sich mit keiner der genannten Gruppierungen identifizieren (GAMAAN 25.8.2020). Auch wenn nicht genau gesagt werden kann, inwiefern die von Gamaan vorgelegten Zahlen auf die Gesamtbevölkerung Irans umlegbar sind, zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zum nationalen Zensus. Aus der Studie lässt sich eine erosionsartige Fragmentierung des religiösen Feldes zumindest bei den befragten Iranerinnen und Iranern ablesen. Interessant ist unter anderem die Vielfalt an verschiedenen Glaubensbekenntnissen von Konfessionslosigkeit und Atheismus, beides eigentlich Tabus in einer offiziell islamischen Gesellschaft wie der iranischen, über Zoroastrismus und Trends zu spirituellen und esoterischen Sekten, bis hin zum Agnostizismus, zu sufischen Bewegungen, den Bahai und zum Christentum. Letztere stellen laut der Studie lediglich eine relativ kleine Gruppe dar (BAMF 5.2022).

Nachstehender Karte können die Hauptsiedlungsgebiete der größten Glaubensgruppen in Iran entnommen werden. Demnach leben Sunniten mehrheitlich in den Grenzregionen im äußersten Nordwesten Irans, im Norden in einem Gebiet an der Grenze zu Turkmenistan [Provinz Golistan] sowie im Süden bei Bandar-e Abbas [Provinz Hormuzgan] und an der Grenze zu Pakistan sowie dem Südwesten Afghanistans [in Iran: Provinz Sistan und Belutschistan]. Der größte Teil des Landes wird mehrheitlich von Schiiten bewohnt. Minderheitengruppen wie Zoroastrier, Bahai, Juden und Sikhs werden auf der Karte nicht dargestellt; insbesondere in urbanen Zentren ist die Bevölkerung sehr heterogen und kann auf dieser Karte nicht dargestellt werden (BMI/BMLVS 2017).

[…]

Laut Verfassung ist Iran eine islamische Republik und der schiitische Zwölfer- oder Ja'afari-Islam ist die offizielle Staatsreligion. Die Verfassung schreibt vor, dass alle Gesetze und Vorschriften auf "islamischen Kriterien" und einer offiziellen Auslegung der Scharia beruhen müssen. In der Verfassung heißt es, dass die Bürger alle menschlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte "in Übereinstimmung mit islamischen Kriterien" genießen sollen (USDOS 15.5.2023). Für Frauen bedeutet dies beispielsweise unter anderem eine allgemeine Kopftuchpflicht in der Öffentlichkeit, die zuletzt im Zuge der Proteste anlässlich des Todes von Mahsa Amini von vielen Protestierenden abgelehnt wurde und in den Fokus der Auseinandersetzung zwischen dem Regime und seinen Gegnern geriet (Tagesschau 6.10.2022). Gleichwohl dürfen die in Artikel 13, der iranischen Verfassung anerkannten 'Buchreligionen' Christentum, Judentum und Zoroastrismus ihren Glauben in ihren Gemeinden relativ frei ausüben (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie (AA 30.11.2022).

Die Lehrpläne aller öffentlichen und privaten Schulen müssen einen Kurs über die schiitischen Lehren enthalten. Sunnitische Schüler und Schülerinnen, sowie jene, die einer anerkannten religiösen Minderheit angehören, müssen die Kurse über den schiitischen Islam belegen und bestehen, obwohl sie auch separate Kurse über ihre eigenen religiösen Überzeugungen belegen können. Anerkannte religiöse Minderheitengruppen, mit Ausnahme der sunnitischen Muslime, dürfen Privatschulen betreiben (USDOS 15.5.2023).

Anhänger religiöser Minderheiten unterliegen Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Lediglich schiitische Muslime dürfen in vollem Umfang am politischen Leben teilnehmen (AA 30.11.2022; vergleiche MRG 24.11.2022). Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 30.11.2022). Auch anerkannte religiöse Minderheiten (Zoroastrier, Juden, Christen) werden diskriminiert. Sie sind in ihrer Religionsausübung jedoch nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Sie haben gewisse rechtlich garantierte Minderheitenrechte (ÖB Teheran 11.2021). Im Parlament sind beispielsweise fünf der insgesamt 290 Sitze für ihre Vertreterinnen und Vertreter reserviert: zwei für armenische Christen, einer für Juden, einer für Zoroastrier und einer für assyrische Christen (Zeit online 19.1.2023; vergleiche FH 10.3.2023). Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (USDOS 15.5.2023) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 10.3.2023). Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche OpD 18.1.2023). Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert (ÖB Teheran 11.2021). Für nicht anerkannte religiöse Gruppen gibt es keine rechtlichen Schutzgarantien. Diese Gruppierungen - z.B. Baha'i, Sabäer-Mandäer, Yaresani [Anm.: auch Ahl-e Haqq] (MRG 24.11.2022; vergleiche BAMF 5.2022), Anhänger fernöstlicher oder esoterischer Philosophien und Kulte (IRINTL 25.1.2022), konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten - werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche OpD 18.1.2023).

Das Ministerium für Kultur und islamische Führung und das Ministerium für Nachrichtenwesen und Sicherheit (MOIS) überwachen religiöse Aktivitäten. Die Revolutionsgarden überwachen auch Kirchen (USDOS 15.5.2023; vergleiche OpD 18.1.2023). Die iranische Regierung verfolgt Angehörige religiöser Minderheiten bisweilen unter dem Vorwand, diese seien eine Gefahr für die nationale Sicherheit, und nicht, weil sie beispielsweise Christen sind (CNEN 4.2.2023). Führende Vertreter von Minderheitengruppen und Aktivisten werden oftmals unter dem allgemeinen Vorwurf der Bedrohung der "öffentlichen Moral" oder der nationalen Sicherheit zu langen Haftstrafen oder zum Tod verurteilt (MRG 24.11.2022; vgl.OpD 18.1.2023). Auch oppositionelle schiitische Geistliche und muslimische Sekten sind der Verfolgung ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021). Zur Sanktionierung von Vergehen wie "Irrlehre", "Abweichung" und "Propaganda" durch Geistliche besteht ein Sondergericht, das über eine eigene Polizei, Strafprozessordnung, Gefängnisse und einen eigenen Strafkatalog verfügt, zu dessen Strafen etwa Verbote, Seminare abzuhalten oder die Kleriker-Robe in der Öffentlichkeit zu tragen ebenso gehören wie Verbannung, Haftstrafen und Todesurteile (Qantara 16.5.2023). Das Sondergericht für Geistliche untersteht direkt dem Revolutionsführer und ist, wie auch die Revolutionsgerichte, in der Verfassung nicht vorgesehen (USDOS 15.5.2023).

Ethnische und religiöse Minderheiten, die jahrzehntelang unter systemischer und systematischer Diskriminierung und Verfolgung gelitten haben, waren von der Welle der Repression seit Beginn der Proteste im September 2022 unverhältnismäßig stark betroffen (UNHRC 7.2.2023). Im Zuge der Proteste übten auch prominente sunnitische Stimmen wie Kak Hasan Amini, einer der profiliertesten sunnitischen Geistlichen Irans, oder Moulana Abdulhamid aus Belutschistan, Führer der sunnitischen Gemeinschaft im Osten des Irans, Kritik am Regime (Posch 2023). Zum tödlichsten Zwischenfall im Rahmen der Proteste kam es nach einem Freitagsgebet Moulana Abdulhamids in Zahedan, als Sicherheitskräfte das Feuer auf Protestierende eröffneten [Anm.: s. Unterkap. "Sunniten" für weitere Informationen] (UNHRC 7.2.2023; vergleiche USIP 9.3.2023). Im Jänner 2023 wurde ein sunnitischer Geistlicher aus dem Umfeld von Moulana Abdulhamid verhaftet, dem die Behörden "Manipulation der öffentlichen Meinung" sowie "Kommunikation mit ausländischen Personen und Medien" vorwarfen (USIP 9.3.2023). Unter anderem verwehrten die iranischen Behörden Angehörigen von getöteten Protestteilnehmerinnen und Protestteilnehmern, Begräbnisse nach ihren religiösen Riten zu vollziehen (UNHRC 7.2.2023). Obwohl diese Vorkommnisse nicht völlig neu waren, kam es im Zuge der Proteste auch vermehrt zu Übergriffen auf schiitische Geistliche, die aufgrund der umfassenden Politisierung von Religion mit dem iranischen Regime gleichgesetzt werden und als Vollstrecker von dessen politischen Zielen fungieren (INSS 18.5.2023; vergleiche Qantara 16.5.2023).

Religiöse Minderheiten und Nichtgläubige berichteten auch von eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten, der Verweigerung oder Schwierigkeiten, Genehmigungen für die Gründung eigener Unternehmen zu erhalten, sowie eingeschränkten Bildungsmöglichkeiten und verhetzenden Äußerungen (IrWire 27.2.2023). Muslimische Geistliche rufen manchmal zu Gewalt gegen religiöse Minderheiten auf (OpD 18.1.2023). Dabei ist die iranische Gesellschaft weniger fanatisch als ihre Führung (OpD 18.1.2023; vergleiche NLM 23.2.2023). Dies ist zum Teil auf den weitverbreiteten Einfluss des gemäßigteren Sufi-Islams zurückzuführen sowie auf den Stolz des iranischen Volkes auf seine vorislamische persische Kultur (OpD 18.1.2023). Dennoch wird mitunter von bedrohlicher Diskriminierung von Nicht-Schiiten seitens des familiären oder gesellschaftlichen Umfelds berichtet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche OpD 18.1.2023).

Nach Einschätzung des australischen Außenministeriums sind nicht praktizierende iranische Muslime einem geringen Risiko behördlicher oder gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt, insbesondere in den Großstädten (DFAT 24.7.2023). Der Besuch von Moscheen ist in Iran beispielsweise nicht weit verbreitet, verglichen mit anderen muslimischen Ländern (Moaddel/FTJ 2022; vergleiche MRAI 19.6.2023), und Personen werden nicht per se als Atheisten betrachtet, weil sie keine Moscheen aufsuchen. Dies gilt auch im ländlichen Bereich. Auch halten sich viele Iraner im Privaten nicht strikt an die Fastenregeln des Ramadan. Solange die Fastenregeln nicht in der Öffentlichkeit gebrochen werden, führte dies bislang üblicherweise zu keinen Problemen (MRAI 19.6.2023). Der Konsum von Speisen und Getränken sowie Rauchen in der Öffentlichkeit während des Ramadan kann nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) jedoch mit Strafen wie Peitschenhieben sowie Haft geahndet werden. Während des Ramadan 2023 wurden Dutzende Geschäfte in Teheran wegen Verstößen gegen die Fastenregeln von der Polizei geschlossen und die Behörden riefen die Bevölkerung dazu auf, Verstöße gegen das Fasten in der Öffentlichkeit zu melden (IRINTL 27.3.2023).

Nach dem Gesetz dürfen Nicht-Muslime nicht missionieren oder versuchen, einen Muslim zu einem anderen Glauben zu bekehren. Das Gesetz betrachtet diese Aktivitäten als Bekehrungsversuche, die mit dem Tod bestraft werden können (USDOS 15.5.2023). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS 23.2.2018). Das Parlament höhlte das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit im Jänner 2021 weiter aus, indem es zwei neue Paragrafen in das IStGB aufnahm, wonach die "Diffamierung staatlich anerkannter Religionen, iranischer Bevölkerungsgruppen und islamischer Glaubensrichtungen" sowie "abweichende erzieherische oder missionarische Aktivitäten, die dem Islam widersprechen" mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und/oder einer Geldstrafe geahndet werden können. Im Juli 2021 wurden drei Männer, die zum Christentum konvertiert waren, auf dieser Grundlage zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (AI 29.3.2022b). Das Regime betrachtet auch fernöstliche oder esoterische Philosophien und Kulte kritisch (IRINTL 25.1.2022). Unter anderem wurde auch ein Yogalehrer wegen "Propaganda gegen die Heiligtümer des Islam" vor einem Revolutionsgericht angeklagt, wobei seine Rechtsanwältin angab, die Behörden hätten seine Tätigkeit als Meditations- und Yogalehrer fälschlicherweise als islamfeindlich interpretiert (RFE/RL 7.11.2023).

Menschen, deren Eltern von den Behörden als Muslime eingestuft wurden, laufen Gefahr, willkürlich inhaftiert, gefoltert oder wegen "Apostasie" mit der Todesstrafe belegt zu werden, wenn sie andere Religionen oder atheistische Überzeugungen annehmen (AI 29.3.2022b; vergleiche ÖB Teheran 11.2021), auch wenn Fälle von Hinrichtungen aus diesem Grund in den letzten Jahren nicht bekannt wurden. In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund gewesen ist (ÖB Teheran 11.2021).

Christen

Letzte Änderung: 26.01.2024

Nach Angaben des staatlichen iranischen Statistikzentrums aus dem Jahr 2016 gibt es 117.700 Christen in Iran. Einige Schätzungen deuten jedoch darauf hin, dass es deutlich mehr sind, als tatsächlich angegeben (USDOS 15.5.2023). Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran. Den größten Anteil [unter den anerkannten christlichen Gemeinschaften] stellen dabei armenische Christen (STDOK 3.5.2018), wobei Vertreter dieser Religionsgemeinschaft ihre Gesamtanzahl auf 40.000-50.000 schätzen. Die Anzahl der Assyrer und Chaldäer wird auf insgesamt rund 7.000 geschätzt (USDOS 15.5.2023). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben (ÖB Teheran 11.2021), wobei erstere auf rund 21.000 Personen geschätzt werden, während es zu letzteren keine belastbaren Daten gibt. Viele Protestanten praktizieren ihren Glauben im Geheimen (USDOS 15.5.2023). Schätzungen zufolge stellen Konvertiten aus dem Islam mit mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 30.11.2022). Armenische Christen leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan (STDOK 3.5.2018).

Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt, dies gilt allerdings nicht für evangelikale Freikirchen. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt (ÖB Teheran 11.2021): Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur diese historisch ansässigen Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als solche bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen. Mit der Registrierung sind bestimmte Rechte verbunden, darunter die Verwendung von Alkohol zu religiösen Zwecken. Die Behörden können eine Kirche schließen und ihre Leiter verhaften, wenn die Kirchenbesucher sich nicht registrieren lassen oder wenn nicht registrierte Personen an den Gottesdiensten teilnehmen (USDOS 15.5.2023).

Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt (ÖB Teheran 11.2021); christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 11.2021), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Soweit ethnische Christen die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie kaum behindert oder verfolgt. Dies trifft insbesondere auf armenische und assyrische Christen zu. Konvertiten vom Islam zum Christentum und Mitglieder protestantischer Freikirchen sind demgegenüber willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt (AA 30.11.2022). Die iranischen Behörden gestatten Konvertiten nicht, die Kirchen der armenischen und assyrischen Gemeinschaften zu besuchen (ARTICLE18 o.D.). Einerseits wird immer wieder von Razzien und Verhaftungen von Christinnen und Christen berichtet, was ein hartes staatliches Vorgehen signalisiert. Die Gemeinden sollen durch diese Unvorhersehbarkeit in Angst und Unsicherheit gehalten werden. Andererseits belegen Einzelbeispiele, dass es immer darauf ankommt, welche Person dem Beschuldigten gegenübersitzt. Auch persönliche Einstellungen und Charakteristika von Amtsträgern spielen eine Rolle. Dabei kann es fallweise erhebliche Unterschiede geben. Die Aussage, dass Pastoren, Missionare oder Organisatoren von Hauskirchen besonders im Fokus der Sicherheitsdienste stehen, bedeutet nicht, dass sich das Risiko für normale, nicht in entsprechende Aktivitäten involvierte Gemeindemitglieder automatisch auf null reduzieren würde (BAMF 5.2022).

Historisch ansässige Christen genießen Kultusfreiheit innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen (ÖB Teheran 11.2021) und sind in familienrechtlichen Angelegenheiten weitgehend autonom (BAMF 5.2022). Jedoch haben Nichtmuslime weder Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit noch Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit. Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und der Anwerbung von Andersgläubigen ist verboten (Proselytismusverbot) und wird streng bestraft. Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden, wobei im November 2021 berichtet wurde, dass es in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam (ÖB Teheran 11.2021). Im September 2022 wurde jedoch bekannt, dass zwei Aktivistinnen für die Rechte von Angehörigen sexueller Minderheiten, denen die Behörden neben anderen Anklagepunkten auch "Missionierung für das Christentum" vorwarfen, zum Tod verurteilt worden sind (BAMF 1.1.2023; vergleiche OMCT 22.9.2022).

Für das iranische Regime besonders bedrohlich erscheinen Religionen wie das evangelikale Christentum, welches die aktive Ausübung des christlichen Glaubens etwa im Rahmen von Hauskirchen und missionarischen Aktivitäten einfordert. Die möglichen Verbindungen zu evangelikalen Gruppierungen und Organisationen in Ländern wie Großbritannien und den USA, die seit 1979 als Feinde des Landes und seines politischen Systems gelten, verstärken den Eindruck einer Bedrohung. Diese Gemengelage führt die iranischen Machthaber und Behörden zur Einschätzung, dass man es hier mit einer Bedrohung der nationalen Sicherheit zu tun hat (BAMF 5.2022). Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen ('Hauskirchen') oft hart vorgegangen (u. a. Verhaftungen und Beschlagnahmungen). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot. Kirchenvertreter sind angehalten, die Behörden zu informieren, bevor sie neue Mitglieder in ihre Glaubensgemeinschaft aufnehmen (ÖB Teheran 11.2021).

Es gibt auch Einschränkungen, mit denen anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht (STDOK 3.5.2018). Im Weltverfolgungsindex von Christen für das Jahr 2023, den die NGO Open Doors jährlich veröffentlicht, befindet sich Iran auf dem achten Platz (2022: Platz neun). Der Weltverfolgungsindex ist eine Rangliste der 50 Länder, in denen Christen der stärksten Verfolgung und Diskriminierung wegen ihres Glaubens ausgesetzt sind. Je niedriger die Zahl, desto höher die Verfolgung. Der durchschnittliche Druck in Iran ist weiterhin extrem hoch. Die Zahl dokumentierter gewaltsamer Übergriffe, einschließlich Entführungen, ist laut Open Doors in Iran zuletzt gestiegen (OpD 18.1.2023).

Ausländische christliche Gemeinden können ihre Religion weitgehend ungehindert ausüben, werden jedoch von staatlicher Seite dabei genau beobachtet. Eine nachhaltige Gemeindearbeit wird durch staatliche Schikanen verhindert (z. B. Verweigerung der Visaverlängerung für in Iran praktizierende, ausländische Priester oder Visaverweigerung). Dadurch könnten die Gemeinden langfristig "aussterben". Insbesondere Iraner, die sich aktiv für nicht-muslimische Glaubens- und Gemeindearbeit einsetzen, laufen Gefahr, ins Visier der Sicherheitsbehörden zu geraten (AA 30.11.2022). Ausländischen Christen ist es streng verboten, mit iranischen christlichen Konvertiten aus dem Islam in Kontakt zu treten, geschweige denn sie in ihre Gemeinden aufzunehmen (OpD 20.2.2023).

Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind (STDOK 3.5.2018; vergleiche Qantara o.D.). Anerkannte christliche Religionsgemeinschaften haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden (STDOK 3.5.2018), wobei Schüler und Schülerinnen, die einer anerkannten religiösen Minderheit angehören, auch Kurse in schiitischem Islam belegen und bestehen müssen (USDOS 15.5.2023).

Es gehört zum Erscheinungsbild in den Großstädten, dass christliche Symbole im Modebereich als Accessoires Verwendung finden und auch in den entsprechenden Geschäften angeboten werden. Auch Dekorationen mit christlichen Motiven sind nicht ungewöhnlich. Eine solche kommerzielle Präsentation führte bisher nach Darstellung der in Teheran vertretenen westlichen Botschaften zu keinen Strafverfahren (BAMF 3.2019). Weihnachtsdekoration ist in vielen Städten Irans beliebt, man kann sie ohne Probleme finden (MRAI 19.6.2023; vergleiche BAMF 3.2019). Vor einigen Kirchen in Teheran stehen anlässlich der Weihnachtsfeiertage, zu denen von staatlicher Seite immer wieder Glückwünsche übermittelt werden, Weihnachtsbäume (BAMF 3.2019). Die gestiegene Beliebtheit von christlichen Weihnachtsfeiern und Christbäumen (unter Nicht-Christen) wurde von konservativer Seite allerdings auch kritisiert (IRJ 30.12.2019). Der Staat kann zwar Bedenken äußern oder Beschränkungen für Geschäfte, die diese Dekorationen verkaufen, auferlegen, aber er erhebt normalerweise keine Anklage wegen Besitzes oder Verwendung dieser Dekorationen (MRAI 19.6.2023). Unter anderem versucht er auch, das in Iran verbreitete Feiern des Valentinstages zu unterbinden, der zeitlich mit dem Jahrestag der Islamischen Revolution zusammenfällt. Seit über zwei Jahrzehnten ist die Herstellung von Postern, Broschüren, Schachteln und Karten mit Liebesherzsymbolen und roten Rosen, wie sie zum Valentinstag verschenkt werden, offiziell verboten. Dennoch werden derartige Waren von Ladenbesitzern angeboten und von Kunden gekauft, wobei Ladenbesitzer Sanktionen wie temporäre Geschäftsschließungen riskieren (NLM 14.2.2022). Das Tragen von christlichen Symbolen [wie z. B. Kreuzanhängern] kann nach Angaben einer iranischen Rechtsanwältin für Personen allerdings je nach Interpretation der Sittenpolizei zu Problemen führen. Die Behördenvertreter können dies beispielsweise als allgemeines und zweideutiges Vergehen im Zusammenhang mit Straftaten gegen die Keuschheit und die öffentliche Moral einstufen. Letztendlich ist es Sache des Richters oder der Polizei zu entscheiden, ob die Verwendung christlicher Symbole unter diese Straftatbestände fällt. Ein weiterer möglicher Ansatz besteht darin, Personen der "Störung der öffentlichen Werte" zu beschuldigen. Es gibt Fälle, in denen die Sittenpolizei Menschen wegen des Tragens christlicher Symbole verhaftet hat (MRAI 19.6.2023). Einer Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge kann ein Richter sichtbare christliche Tätowierungen oder im Rahmen einer Verhaftung eines Konvertiten beschlagnahmten Schmuck oder Bilder mit christlicher Symbolik in die Beweislast im Zusammenhang mit einer Konversion einbeziehen. Dies kann jedoch von Fall zu Fall variieren (MBZ 9.2023).

Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen

Letzte Änderung: 26.01.2024

Abfall vom Islam, Apostasie (Farsi: ertedad) fällt in den Bereich der sog. Hadd-Strafen der Sharia, die allgemein mit der Todesstrafe geahndet werden, obwohl die islamischen autoritativen Rechtsquellen wie der Koran und Hadithe (Aussagen des Propheten) nicht immer eindeutig und zuweilen auch widersprüchlich sind. Das Strafgesetzbuch der Islamischen Republik Iran (IStGB) ist nicht mit der Sharia identisch und Apostasie wird nicht als Straftatbestand im IStGB aufgeführt. In Fällen wie diesen erlaubt Artikel 167, der Verfassung Richtern den Rückgriff auf traditionelle islamische Rechtsquellen (Koran, Hadith und Fatwas, sog. Rechtsgutachten). Damit besteht rechtlich zumindest in der Theorie die Möglichkeit, bei Apostasie eine Bestrafung gemäß den islamischen Rechtsquellen und Fatwas vorzunehmen. Obwohl die iranischen Behörden zuweilen mit Apostasie-Anklagen drohen, sind solche jedoch sehr selten (BAMF 5.2022; vergleiche ARTICLE 19 6.7.2022). Gerichte können somit immer noch Todesurteile wegen Apostasie verhängen, indem sie sich in Artikel 167, des Strafgesetzbuches auf die Scharia berufen. Zwischen 1990 und 2020 haben sie das - vermutlich auf internationalen Druck - nur dreimal getan. Die einzige Hinrichtung aufgrund von Apostasie fand 1990 statt (OpD 20.2.2023; vergleiche IRB 9.3.2021). Ein Teilnehmer an den Protesten vom September 2022 wurde im Dezember 2022 von einem Revolutionsgericht unter anderem wegen Apostasie zum Tod verurteilt. Ihm war die Verbrennung eines Korans vorgeworfen worden, wobei er laut Amnesty International durch Folter zu einem Geständnis gezwungen worden war. Das Urteil wurde im Mai 2023 aufgehoben, der Protestteilnehmer verstarb jedoch in Haft, bevor es zu einer Neuverhandlung kommen konnte (AI 7.9.2023; vergleiche BBC 31.8.2023).

Zum Christentum Konvertierte können auch auf Grundlage anderer Straftatbestände angeklagt werden, wobei diese Anklagepunkte zu den sogenannten Taʿzir-Strafen (Ermessensstrafen) zählen, bei denen die Urteilsfindung und das Strafmaß im Ermessen des vorsitzenden Richters liegen. Mögliche Anklagepunkte, die lt. IStGB mit unterschiedlich langen Haftstrafen geahndet werden, sind z.B.: Aktionen gegen die nationale Sicherheit (IStGB 5. Buch/Art. 498-99), Propaganda gegen das System (IStGB 5. Buch/Art. 500), Beleidigung heiliger islamischer Werte und Prinzipien (IStGB 5. Buch/Art. 513), Versammlung und Verschwörung zur Unterminierung der Landessicherheit (IStGB/Art. 610) oder Alkoholgenuss [im Zuge der Heiligen Kommunion] (IStGB/Art. 701) (BAMF 5.2022), wobei der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021). Andere politisch motivierte Anklagen wie Feindschaft gegen Gott (moharebeh) und Verderbtheit auf Erden (efsad-e fi’l-arz) wurden ebenfalls verschiedentlich dokumentiert, sind im Zusammenhang mit Bekenntnissen zu religiösen Alternativen allerdings eher selten (BAMF 5.2022).

Christen, insbesondere Evangelikale und andere Konvertiten aus dem Islam, sind nach Angaben christlicher Nichtregierungsorganisationen weiterhin unverhältnismäßig vielen Verhaftungen und Inhaftierungen sowie einem hohen Maß an Schikanen und Überwachung ausgesetzt. Menschenrechtsorganisationen und christliche NGOs berichten weiterhin, dass die Behörden Christen, einschließlich Mitglieder nicht anerkannter Kirchen, aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit oder ihrer Aktivitäten verhaften und sie beschuldigen, illegal in Privathäusern zu operieren oder "feindliche" Länder zu unterstützen und deren Hilfe anzunehmen. Das katholische Medienunternehmen AsiaNews hat berichtet, dass die Behörden zwischen Jänner und Juni 2022 58 christliche Konvertiten verhaftet haben, verglichen mit 72 im gesamten Jahr 2021. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen setzt die Regierung auch das Verbot der Missionierung weiter durch (USDOS 15.5.2023).

Trotz des Verbots des "Abfalls vom Islam" ist in Iran ein anhaltender Trend von Konversion zum Christentum festzustellen. Unter den Christinnen und Christen des Landes stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen. Viele vor allem jüngere Iranerinnen und Iraner haben sich von der Religion auch gänzlich abgewendet, weil sie mit den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen seit der Islamischen Revolution nicht einverstanden sind (AA 30.11.2022). Das Regime ist bestrebt, die Werte der Islamischen Revolution von 1979 zu schützen, von denen es seine Legitimität ableitet. Der christliche Glaube gilt als gefährlicher westlicher Einfluss und als Bedrohung der islamischen Identität der Republik (OpD 20.2.2023). Konversion und Bekenntnis zum Christentum sind damit Akte des Protests, der Fundamentalopposition und des Bruches mit der Islamischen Republik (BAMF 5.2022). Dies erklärt, warum insbesondere Konvertiten, die sich vom Islam ab- und dem christlichen Glauben zugewandt haben, wegen "Verbrechen gegen die nationale Sicherheit" verurteilt werden (OpD 20.2.2023). Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft auch Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z. B. Zionisten) (ÖB Teheran 11.2021). Freikirchliche Protestanten werden des "evangelikalen und zionistischen" Christen- bzw. Sektentums bezichtigt (BAMF 5.2022).

Missionarische Tätigkeit – d. h. jegliches nicht-islamisches religiöses Agieren in der Öffentlichkeit - ist verboten und wird geahndet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 15.5.2023). Das Strafgesetz sieht für Proselytismus formell die Todesstrafe vor, wobei es laut Auskunft der österreichischen Botschaft in Teheran vom November 2021 in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil gekommen ist (ÖB Teheran 11.2021). Im September 2022 wurde jedoch bekannt, dass zwei Aktivistinnen für die Rechte von Angehörigen sexueller Minderheiten, denen die Behörden neben anderen Anklagepunkten auch "Missionierung für das Christentum" vorwarfen, zum Tod verurteilt worden sind (BAMF 1.1.2023; vergleiche OMCT 22.9.2022).

Die Aktivitäten anerkannter christlicher Gemeinschaften sind streng geregelt, um Missionstätigkeit zu verhindern. Anerkannte christliche Gruppen lehnen Missionierungsarbeit daher ab, was von den Behörden regelmäßig auch überprüft wird (DFAT 24.7.2023). Alle Christen und christlichen Kirchen müssen bei den Behörden registriert sein, und nur anerkannte Christen dürfen die Kirche besuchen. Die Sicherheitsbehörden überwachen die registrierten Kirchen genau, um sicherzustellen, dass die Gottesdienste nicht auf Farsi abgehalten werden (sie müssen in der traditionellen Sprache der Kirche und nicht in der Volkssprache abgehalten werden), und führen regelmäßige Identitätskontrollen der Gläubigen durch, um zu überprüfen, dass keine Nichtchristen oder Konvertiten an den Gottesdiensten teilnehmen. Kirchen, die sich nicht daran halten, müssen mit der Schließung rechnen (DFAT 24.7.2023; vergleiche ARTICLE18 o.D.).

Einige Konvertiten haben sich daher den "Assemblies of God"-Kirchen angeschlossen, andere gehören verschiedenen evangelikalen Hauskirchen-Netzwerken an (RFE/RL 5.5.2022). Die Schließungen von "Assembly of God"-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen. Einer vom Danish Immigration Service (DIS) befragten Quelle zufolge zeigt die steigende Zahl von Hauskirchen, dass sie Spielraum für ihre Tätigkeit haben, obwohl sie illegal sind (DIS 23.2.2018). Die Größe der Hauskirchen, ihre Art und Struktur variieren. Die meisten sind klein und informell, sie bestehen aus engen Verwandten und Freunden, die sich regelmäßig zum Beten und Bibellesen oder zum Ansehen von christlichen Fernsehprogrammen auf Farsi treffen (DFAT 24.7.2023).

Die hauskirchlichen Vereinigungen stehen unter besonderer Beobachtung, ihre Versammlungen werden regelmäßig aufgelöst und ihre Angehörigen gelegentlich festgenommen (AA 30.11.2022). Die Behörden fürchten die Ausbreitung der Hauskirchen und beobachten sie. Allerdings ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die ungewöhnliche Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Weiters setzen die Behörden Informanten ein. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit, eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind. Erfolgreiche Hauskirchen sind einem größeren Risiko ausgesetzt: Ob Behörden eingreifen, hängt auch von der Größe der Gemeinde ab. Eine andere Quelle gab dagegen an, dass Hauskirchen systematisch durchsucht werden. Eine Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet, wenn ein Christ das Interesse der Behörden geweckt hat. So können zum Beispiel Stichwörter wie "Kirche", "Christ", "Jesus" oder "Taufe" als Grundlage für eine elektronische Überwachung dienen (DIS 23.2.2018).

Einige derjenigen Christen, die die schwersten Strafen erhalten haben (2-10 Jahre Gefängnis), wurden wegen der Leitung/Organisation von Hauskirchen verurteilt (Landinfo 20.6.2022). Typischerweise werden die Leiter von Hauskirchen verhaftet und wieder freigelassen, da die Behörden die Hauskirche schwächen wollen (DIS 23.2.2018). Gewöhnliche Mitglieder von Hauskirchen riskieren ebenfalls, in einer Hauskirche verhaftet zu werden (DIS 23.2.2018; vergleiche OpD 20.2.2023, BAMF 5.2022). Manche der Festgenommenen werden später nicht verurteilt und inhaftiert (Landinfo 20.6.2022). Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden steht, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen meist nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten folgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden in der Regel nicht über ihn Bescheid wissen (DIS 23.2.2018). Die Aussage, dass Pastoren, Missionare oder Organisatoren von Hauskirchen besonders im Fokus der Sicherheitsdienste befinden, bedeutet allerdings nicht, dass sich das Risiko für normale, nicht in entsprechende Aktivitäten involvierte Gemeindemitglieder automatisch auf null reduzieren würde. So berichtete Landinfo über die Verhaftung eines Mannes im Jahr 2016, der kein auffälliges Profil aufwies, das Rückschluss auf eine wie auch immer geartete Exponiertheit erlauben würde (BAMF 5.2022).

Im November 2021 entschied der Oberste Gerichtshof, dass neun christliche Konvertiten, die wegen ihrer Beteiligung an Hauskirchen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden waren, nicht wegen "Handelns gegen die nationale Sicherheit" angeklagt werden sollten. In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs heißt es: "Die bloße Verkündigung des Christentums und die Förderung der 'evangelikalen zionistischen Sekte', wobei beides offensichtlich die Propagierung das Christentum durch Familientreffen [Hauskirchen] bedeutet, ist kein Ausdruck der Zusammenkunft und der geheimen Absprache, um die Sicherheit des Landes zu stören, weder im Inneren noch nach außen" (ARTICLE18 25.11.2021; vergleiche RFE/RL 5.5.2022). Anders als die Berufungsgerichte kann der Oberste Gerichtshof keine neuen Urteile erlassen, sondern entscheidet lediglich über die Wiederaufnahme von Gerichtsverfahren. Der Fall wurde nun an eine Zweigstelle des Berufungsgerichtshofes innerhalb des Revolutionsgerichts überstellt, das nun unabhängig von den bislang ergangenen Gerichtsurteilen - aber auch unabhängig vom Obersten Gerichtshof - zu einem Urteil in der Sache gelangen konnte. Die Konvertiten wurden daraufhin im Februar 2022 freigesprochen und bis auf eine Person, die wegen ihrer christlichen Aktivitäten noch eine andere Haftstrafe verbüßt, freigelassen. Gegen zwei der Freigelassenen wurden umgehend neue Anklagen erhoben (BAMF 5.2022). In einem ähnlich gelagerten Fall wurde ein zum Christentum konvertiertes Ehepaar, das 2020 aufgrund der Teilnahme an hauskirchlichen Treffen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden ist, im Mai 2023 freigesprochen und aus der Haft entlassen. Auch hier hatte ein Berufungsgericht geurteilt, dass die Organisation, Mitgliedschaft und Teilnahme an christlichen Gruppen keine Handlungen gegen die Sicherheit des Landes darstellen würden (BAMF 15.5.2023). Menschenrechtsorganisationen betonen einerseits eine mögliche Signalwirkung der Urteile (BAMF 15.5.2023; vergleiche ARTICLE18 25.11.2021), andererseits wurde beispielsweise im September 2022 bekannt, dass mehrere Christen aufgrund ihrer Beteiligung an Hauskirchen unter dem Anklagepunkt "Bildung und Betrieb illegaler Organisationen, mit dem Ziel die Sicherheit des Landes zu stören", von einem Berufungsgericht teilweise zu langen Haftstrafen verurteilt worden sind (ET 24.9.2022; vergleiche OpD 22.9.2022).

Inhaftierten Christen, besonders christlichen Konvertiten, wird oft eine Entlassung gegen Kaution angeboten. Dabei geht es meist um hohe Geldbeträge, die Berichten zufolge zwischen 2.000 und 150.000 US-Dollar liegen. Die betroffenen Christen oder deren Familien werden dadurch gezwungen, ihre Häuser oder Geschäfte mit Hypotheken zu belasten. Personen, die gegen Kaution freigelassen werden, schweigen oft, da sie den Verlust ihres Familienbesitzes fürchten müssen. Das iranische Regime drängt sie, das Land zu verlassen und damit ihre Kaution zu verlieren. Es wird angenommen, dass Regierungsbeamte das Kautionssystem nutzen, um sich zu bereichern und Christen finanziell in den Ruin zu treiben (OpD 20.2.2023).

Die von der Regierung ausgeübte Kontrolle ist in städtischen Gegenden am höchsten. Ländliche Gebiete werden weniger stark überwacht. In der Anonymität der Städte haben Christen jedoch mehr Freiheiten, Treffen und Aktivitäten zu organisieren als in ländlichen Gebieten, in denen die soziale Kontrolle stärker ist (OpD 20.2.2023).

Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z. B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 11.2021). Informanten in westlichen Ländern berichten dem iranischen Geheimdienst über Aktivitäten iranischer Christen im Ausland (OpD 20.2.2023).

Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein 'high-profile'-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber dies kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber zu Problemen führen (DIS 23.2.2018). Eine befragte Rechtsanwältin schilderte in diesem Zusammenhang auch, dass es Fälle gibt, bei denen Personen aufgrund von Beiträgen in den sozialen Netzwerken mit nur geringer Reichweite oder Beiträgen von lediglich "privat" einsehbaren Profilen inhaftiert wurden, da sie von Personen aus ihrem Umfeld gemeldet wurden. Der Staat ist rechtlich dazu in der Lage, Personen in derartigen Fällen aufgrund von "Vergehen gegen die nationale Sicherheit" oder "Vergehen gegen den Islam" zu verfolgen (MRAI 19.6.2023). Die iranischen Behörden fokussieren bei der Überwachung von Konvertiten zuletzt zunehmend auf Online-Aktivitäten (Landinfo 20.6.2022). Dies fällt unter den Kompetenzbereich des Cyber Defense Commands der Revolutionsgarden sowie des Centre to Investigate Organized Crimes (CIOC), da dies als Angelegenheit der nationalen Sicherheit wahrgenommen wird (Landinfo/et al. 12.2021).

Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS 23.2.2018). Open Doors gibt im Weltverfolgungsindex 2023 an, dass die Taufe als öffentliches Zeichen der Abwendung vom Islam gesehen wird und deshalb verboten ist (OpD 20.2.2023).

Christlichen NGOs zufolge werden die staatlichen Beschränkungen für die Veröffentlichung von religiösem Material fortgesetzt, obwohl staatlich genehmigte Bibelübersetzungen Berichten zufolge weiterhin erhältlich sind. Regierungsbeamte beschlagnahmen häufig Bibeln und ähnliche nicht schiitische religiöse Literatur und üben Druck auf Verlage aus, die nicht genehmigtes nicht-muslimisches religiöses Material drucken, um ihre Tätigkeit einzustellen (USDOS 15.5.2023). Der Besitz christlicher Literatur in Farsi, besonders in größeren Stückzahlen, legt den Verdacht nahe, dass sie zur Weitergabe an muslimische Iraner gedacht ist (OpD 20.2.2023). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der 'Katholischen Jerusalem Bibel' ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den 'Katechismus der Katholischen Kirche' ins Farsi. Beide Produkte waren mit Stand 2019 ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).

In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind. Die Probleme, die durch Konversion auftreten können, sind breit gefächert. Sie beginnen in der Schule, wo Kinder aus konvertierten Familien einen Verweis oder die Verwehrung des Hochschuleintritts riskieren, sollten sie den Fächern Religionsunterricht, Islamische Lehre und Koranstunde fernbleiben (ÖB Teheran 11.2021).

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Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Letzte Änderung: 23.01.2024

Generell genießt die Familie in Iran, ebenso wie in den meisten anderen islamischen Gesellschaften, einen hohen Stellenwert. Der Unterschied zwischen Stadt und Land macht sich aber auch hier bemerkbar in Bezug auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau sowie hinsichtlich der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Auf dem Land hat das traditionelle islamische Rollenmodell weitgehende Gültigkeit, der Tschador, der Ganzkörperschleier, dominiert hier das Straßenbild. In den großen Städten hat sich dieses Rollenverständnis inzwischen verschoben, wenn auch nicht in allen Stadtteilen. Während des Iran-Irak-Krieges war, allen eventuellen ideologischen Bedenken zum Trotz, die Arbeitskraft der Frauen unabdingbar. Nach dem Krieg waren Frauen aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken oder gar zu entfernen. Die unterschiedliche und sich verändernde Stellung der Frau zeigt sich auch an den Kinderzahlen: Während in vielen ländlichen - v. a. in den abgelegeneren - Gebieten fünf Kinder der Normalfall sind, sind es in Teheran und Isfahan im Durchschnitt unter zwei. Insbesondere junge Frauen begehren heute gegen die nominell sehr strikten Regeln auf, besonders anhand der Kleidungsvorschriften für Frauen wird heute der Kampf zwischen einer eher säkular orientierten Jugend der Städte und dem System in der Öffentlichkeit ausgefochten (GIZ 12.2020a).

Frauen und Mädchen spielen eine zentrale Rolle bei den landesweiten Protesten (AI 27.3.2023) seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Jina (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023). Amini war kurz vor ihrem Tod von der Sittenpolizei wegen angeblicher Verstöße gegen die Bekleidungsvorschriften für Frauen verhaftet und laut Augenzeugenberichten geschlagen worden (BBC 16.9.2022). Den Protesten unter der weitverbreiteten Parole: "Frau, Leben, Freiheit" (in kurdischer Sprache: "Jin, Jîyan, Azadî") (NatGeo 17.10.2022), die im Wesentlichen von Frauen gestartet wurden (EN 1.2.2023), schlossen sich Iraner und Iranerinnen aller Altersgruppen und Ethnien an, wobei sie v. a. von den jüngeren Generationen auf die Straße getragen wurden (NatGeo 17.10.2022). Viele Gegnerinnen der Regierung drücken ihren Protest derzeit auch durch zivilen Ungehorsam aus, etwa indem sie den Kopftuchzwang ignorieren (Spiegel 19.1.2023; vergleiche HRW 7.3.2023). Nach dem Beginn der Massenproteste Ende September 2022 verhafteten die Behörden Tausende von Menschen, darunter Prominente, Menschenrechtsaktivisten und andere, die ihre Unterstützung für die Bewegung durch Beiträge in den sozialen Medien oder durch die öffentliche Missachtung der Hijab-Pflicht, die zu Mahsa Aminis Verhaftung und Tod geführt hatte, zum Ausdruck gebracht hatten (FH 10.3.2023).

Verschiedene gesetzliche Verbote machen es Frauen unmöglich, im gleichen Maße wie Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (strenge Kleiderordnung, Verbot des Zugangs zu Sportveranstaltungen, Genehmigungsvorbehalt des Ehemannes oder Vaters bezüglich Arbeitsaufnahme oder Reisen). In rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind iranische Frauen also vielfältigen Diskriminierungen unterworfen, die jedoch zum Teil relativ offen diskutiert werden (AA 30.11.2022). Iran hat die "Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" (CEDAW) als einer von wenigen Staaten weltweit nicht unterzeichnet (FNS 8.12.2022; vergleiche UNHRC o.D.). Im Global Gender Gap Report 2022 des World Economic Forum liegt Iran auf Platz 143 von 146 (WEF 13.7.2022; vergleiche AA 30.11.2022).

Frauen haben das aktive Wahlrecht (USDOS 20.3.2023), sind jedoch von einigen staatlichen Funktionen (u. a. Richteramt, Staatspräsident) gesetzlich oder aufgrund entsprechender Ernennungspraxis ausgeschlossen (AA 30.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). Frauen ist es seit 1979 gesetzlich verboten, als Richterinnen zu arbeiten. Entsprechend qualifizierte Frauen können das Amt der "beratenden Richterin" an Zivil- oder Familiengerichten bekleiden (IrWire 20.1.2023). Die Urteile werden dort jedoch von männlichen Richtern gesprochen, welche die Ratschläge der "beratenden Richterinnen" annehmen oder ablehnen können (IrWire 20.1.2023; vergleiche BAMF 7.2020). Nur eine Frau gehört dem Kabinett von Staatspräsident Raisi an, die Vizepräsidentin für Frauen- und Familienangelegenheiten Ensieh Khazali. Die ultrakonservative Politikerin gilt als Befürworterin der frühen Heirat von Mädchen (AA 30.11.2022).

Kleidungsvorschriften und kulturelle Teilhabe

Dem Gesetz nach müssen alle Frauen in Iran ab einem Alter von neun Jahren die islamischen Bekleidungsvorschriften in der Öffentlichkeit einhalten (BAMF 7.2020). Frauen, die in der Öffentlichkeit ohne "angemessene Kleidung", wie z. B. einen Stoffschal über dem Kopf (Hijab) und einem Mantel, oder einen Tschador [bodenlanger Umhang, der nur das Gesicht freilässt] auftreten, können zu Auspeitschung oder einem Bußgeld verurteilt werden. In Ermangelung einer klaren gesetzlichen Definition von "angemessener Kleidung", oder der damit verbundenen Bestrafung, sind Frauen dem Ermessen der Disziplinar- und Sicherheitskräfte ausgesetzt (USDOS 20.3.2023). Eine Frau, die ihre Haare oder die Konturen ihres Körpers nicht verhüllt, kann mit einer Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) und/oder einer Geldbuße bestraft werden (AA 30.11.2022; vergleiche DIS 3.2023). Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich. Dazu kommt es in der Regel nicht, da die Familien von der Möglichkeit des Freikaufs überwiegend Gebrauch machen (AA 30.11.2022). Um die Zahl der Strafverfahren zu verringern, kommen Frauen bei Verstößen in vielen Fällen mit einer Verwarnung davon (DIS 3.2023). Auch wenn es in der Regel nur zu Verwarnungen kommt, ist die sogenannte Sittenpolizei "Gasht-e Ershad" in Iran jedoch gefürchtet. Bei Kontrollen soll sie regelmäßig Gewalt anwenden (AA 30.11.2022). Darüber hinaus wurden einige Frauen, die sich an Online- und Offline-Kampagnen gegen den Hijab beteiligt haben, wegen Sicherheitsdelikten angeklagt, da sie den Hijab in der Öffentlichkeit nicht korrekt getragen hatten (DIS 3.2023). Laut offiziellen Statistiken sind aktuell 70 % der iranischen Bevölkerung gegen den verpflichtenden Hijab (BAMF 1.2023).

Nach dem Amtsantritt von Präsident Raisi hat die Zahl der Patrouilleneinheiten zur Einhaltung der Kleidervorschriften zugenommen, sodass es bereits am 12.7.2022, dem iranischen nationalen "Hijab- und Keuschheitstag", zu weitverbreiteten Protesten von Frauen im Land gekommen ist. Viele Frauen gingen ohne Kopfbedeckung auf die Straße, was zu einer Reihe von Festnahmen und Inhaftierungen führte. Insgesamt will die Regierung mit den neuen Regeln v. a. öffentliche und private Angestellte dazu bringen, Frauen, die gegen die Kleidungsvorschriften verstoßen, zu melden. Erfüllen Angestellte ihre Meldepflichten nicht, so haben sie selbst mit Strafen oder Bußgeldern zu rechnen. Diese Regelungen sollen ab August 2022 nach und nach in allen Regierungsbehörden, Banken, Gewerbe- und Dienstleistungseinrichtungen, Bildungseinrichtungen, auf öffentlichen Straßen und Plätzen, in öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln, in virtuellen Räumen wie dem Internet, in Nachbarschaften und dem eigenen Haus und in der eigenen Familie umgesetzt werden (BAMF 1.2023).

Auch nach den landesweiten Protesten seit September 2022 bekräftigten iranische Regierungsvertreter ihre Entschlossenheit, die Hijabpflicht für Frauen weiter durchzusetzen (BBC 1.4.2023). Im Frühjahr 2023 hat die Regierung in diesem Zusammenhang einen neuen Ansatz in ihrer Kampagne zur Durchsetzung des Hijab-Gesetzes ausprobiert und innerhalb von nur 24 Stunden 150 Geschäfte geschlossen, weil sie ordnungswidrig verschleierte Frauen bedient hatten. Außerdem kündigte sie an, dass die Behörden Überwachungskameras und andere Mittel einsetzen würden, um Frauen zu verfolgen, die gegen das Gesetz verstoßen (NYT 5.5.2023). Die Anzahl der Überwachungskameras soll dabei erhöht werden und unter anderem soll zur Überwachung der Einhaltung der Hijabpflicht auch künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. Frauen, die wiederholt auf Überwachungsvideos unverschleiert in der Öffentlichkeit zu sehen sind, könnten strafrechtlich verfolgt werden (IrWire 16.6.2023; vergleiche NYT 5.5.2023). Wenn sie beim Autofahren ohne Kopftuch erwischt werden, ist laut einer Ankündigung der Polizei auch eine Beschlagnahmung ihres Autos möglich. Einige Aspekte der Maßnahmen sind dabei nicht neu (NYT 5.5.2023). Die iranischen Behörden versenden seit 2020 Textnachrichten an Frauen, die ohne Hijab im Auto gesehen wurden. Bei wiederholten Verstößen gegen die Kleidungsordnung wird den Frauen manchmal mit rechtlichen Schritten gedroht (DIS 3.2023), ansonsten luden die Behörden Frauen, die von Verkehrskameras beim Fahren ohne Schleier ertappt wurden, vor und schickten sie in Erziehungszentren für Sittlichkeit. Die neuerlichen Ankündigungen legen nahe, dass die Überwachungstechnologie nun möglicherweise umfangreicher eingesetzt wird (NYT 5.5.2023). Anfang Dezember 2023 wurde von der Beschlagnahmung mehrerer PKWs in Teheran aufgrund der Missachtung von Bekleidungsvorschriften durch ihre Halterinnen berichtet. Die Frauen waren per SMS von den bevorstehenden Beschlagnahmungen informiert worden. Ein derartiges Vorgehen sowie weitere Maßnahmen wurden im Nachgang der landesweiten Proteste im Jahr 2022 angekündigt und werden in unterschiedlichem Ausmaß umgesetzt (BAMF 4.12.2023).

Gleichwohl ignorieren viele Frauen, v. a. in den Städten, trotz etwaiger Gegenmaßnahmen weiterhin die Einhaltung der Kopftuchpflicht (BAMF 4.12.2023). Seit Mai 2023 entwickelten sich beispielsweise die U-Bahnstationen in Teheran zu Kampffeldern zwischen Gegnerinnen und Befürwortern des verpflichtenden Hijabs. Frauen, die grüne Schulterschärpen mit der Aufschrift "Orientierungsbotschafterinnen" tragen, halten dort Frauen an, die kein Kopftuch tragen, und ermahnen sie zur Einhaltung der Hijab-Pflicht (IRINTL 25.11.2023), wobei sich manche der Frauen über eine harte Behandlung durch diese "Botschafterinnen" beschwerten (IrWire 23.11.2023). Die Behörden sind dabei noch mehr in Alarmbereitschaft, seit eine 17-Jährige [lt. manchen Quellen auch 16-Jährige] im Oktober nach einer Konfrontation mit der Sittenpolizei in der Teheraner U-Bahn gestorben ist (RFE/RL 6.11.2023). Laut Zeugenaussagen war die junge Frau, die kein Kopftuch trug, von einer Hijab-Vollstreckerin gestoßen worden, sodass sie mit dem Kopf auf einen Metallgegenstand fiel. Sie verlor daraufhin das Bewusstsein und verstarb nach einigen Wochen im Koma (TIME 28.10.2023; vergleiche RFE/RL 6.11.2023).

Im September 2023 stimmte das iranische Parlament einem Gesetzesentwurf zu Hijab- und Keuschheitsregeln zu, der erweiterte Strafen bei Verstößen wie der "Verbreitung und Förderung von Nacktheit", "Unsittlichkeit", Hijab-Verletzungen oder "unangemessene Kleidung" in der Öffentlichkeit, in sozialen oder in ausländischen Medien vorsieht. Eine Erweiterung der Zuständigkeiten von Sicherheitsbehörden für die Überwachung und Durchsetzung der Kleiderordnung ist ebenfalls vorgesehen (BAMF 25.9.2023). Die Reform sieht in ihrer jüngsten Fassung harte Strafen bei Missachtung der islamischen Kleidungsregeln vor. Diese umfassen bei mehrfachen Verstößen etwa Geldbußen. In Extremfällen können sogar bis zu 15 Jahre Haft und umgerechnet mehr als 5.000 Euro Strafe verhängt werden. Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, sollen auch mit Berufsverboten von bis zu 15 Jahren belegt werden können, und die Justiz soll die Befugnis erhalten, ein Zehntel ihres Vermögens zu beschlagnahmen (taz 20.9.2023). Der Wächterrat, der das Gesetz ratifizieren muss, verwies es im November jedoch mit der Begründung an das Parlament zurück, dass es formale Fehler enthalten würde, wie zum Beispiel unklare Definitionen von Begriffen wie "Unkeuschheit" (IRINTL 9.11.2023; vergleiche RFE/RL 25.10.2023). Ein weiteres Problem seien unklare Gesetzesgrenzen (RFE/RL 25.10.2023).

Vor Gericht werden bei Prozessen wegen Verstößen gegen die Hijabpflicht unter anderem auch Beiträge in den sozialen Medien als Beweise herangezogen (DIS 3.2023).

Zahlreiche Beschränkungen zielen auf Frauen in Sport und Kultur ab (Verbot des Singens außer im Chor, Verbot des Tanzens, Verbot des Zugangs zu Fußballstadien, etc.). Die Regierung Raisi hat angekündigt, das Verbot für Frauen, Rad und Motorrad zu fahren, streng durchzusetzen (ÖB Teheran 11.2021). Seit 1979 wird Frauen der Zutritt zu großen Fußballstadien verwehrt. Auf Druck der FIFA und anderer Organisationen durften Frauen in den letzten Jahren bei einer Handvoll nationaler Spiele anwesend sein. Im August 2022 durften sie zum ersten Mal ein Ligaspiel besuchen (AJ 25.8.2022). Im März 2022 verweigerten Polizeikräfte den rund 2.000 weiblichen Fußballfans mit Eintrittstickets dagegen den Zugang zu einem WM-Qualifikationsspiel, anschließende Proteste der Fans beantworteten sie mit Pfefferspray (RFE/RL 9.9.2022).

Wirtschaftliche Teilhabe

Anmerkung, s. Kap. "Relevante Bevölkerungsgruppen / Kinder" für Informationen zur Teilhabe von Mädchen und jungen Frauen am Bildungswesen.

Mehr als die Hälfte der Universitätsabsolventen sind Frauen, die Arbeitslosenrate von Frauen ist jedoch doppelt so hoch wie jene der Männer (FA 2.2.2023). Nur etwa 15 % aller Frauen über 15 Jahren sind in Iran laut den aktuellsten Daten (2022) berufstätig (WB 5.9.2023a), während es unter den Männern rund 68 % sind (Daten von 2021) (WB 5.9.2023b). Laut offiziellen Angaben liegt die Arbeitslosenrate bei Frauen bei knapp 18 %, unter Frauen mit höherer Bildung liegt sie noch deutlich höher (AA 30.11.2022). Die verstärkte Rezession, die auf den Ausbruch der COVID-19-Pandemie folgte, vergrößerte die Kluft zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt noch weiter (BS 23.2.2022). Gründe für die stärkere Betroffenheit von Frauen von Arbeitslosigkeit sind neben der COVID-19-Pandemie auch die US-Sanktionen und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage. Die Stärkung der Schattenwirtschaft, und damit von religiösen Stiftungen und Unternehmen im Besitz der Revolutionsgarden, in denen konservative Männer dominieren, hat die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen besonders eingeschränkt (ÖB Teheran 11.2021). Die ultrakonservative Regierung wird die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt nicht vorantreiben, weil sie die traditionelle Rolle der Frau in der islamischen Familie stärken und die Geburtenrate erhöhen will (AA 30.11.2022). Der Zugang zum Arbeitsmarkt und die beruflichen Möglichkeiten für Frauen sind durch soziale und rechtliche Regelungen eingeschränkt, mit dem Ziel der Beschränkung von Frauen auf deren Rolle als Mutter und Ehefrau. Oftmals wird von Frauen das Einverständnis des Ehemannes oder Vaters verlangt, um eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können. Gesetzlich kann ein Ehemann seiner Ehefrau jederzeit verbieten, arbeiten zu gehen. Stellenausschreibungen werden oft geschlechtsspezifisch nur für Männer ausgeschrieben. Regelmäßig werden Frauen nach Rückkehr aus der neunmonatigen Karenz gekündigt. Die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit verhindern den gewerkschaftlichen Zusammenschluss erwerbstätiger Frauen. Konservative Politiker haben in der Vergangenheit mehrmals versucht, die Erwerbstätigkeit von Frauen weiter einzuschränken oder in manchen Sektoren zu verbieten (ÖB Teheran 11.2021).

Rechtliche Rahmenbedingungen

Die iranische Verfassung schreibt eine "Gleichberechtigung aller vor dem Gesetz" vor, allerdings steht diese zugleich unter dem Vorbehalt der Ziele der Islamischen Republik, die nur unter "Beachtung der islamischen Normen" erreicht werden können (BAMF 1.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023). Da alle einfachgesetzlichen Normen mit der Scharia vereinbar sein müssen und in Iran einer traditionellen Rechtsauslegung der Scharia gefolgt wird, kommt es v. a. in den Bereichen zum Ehe- und Scheidungsrecht, dem Sorgerecht und bei Erbschaftsangelegenheiten zu erheblichen Benachteiligungen für Frauen (BAMF 1.2023). Prägend ist dabei die Rolle der (Ehe-) Frau als dem (Ehe-) Mann untergeordnet, wie sich sowohl in Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechtes, der Ehescheidung als auch des Erbrechts erkennen lässt (AA 30.11.2022; vergleiche AI 27.3.2023, HRW 12.1.2023, BAMF 1.2023).

Beispielsweise darf eine verheiratete Frau ohne die schriftliche Genehmigung ihres Mannes (oder Vaters) keinen Reisepass erhalten oder ins Ausland reisen (HRW 12.1.2023; vergleiche BAMF 1.2023). Ehefrauen können allerdings Ehevertragsklauseln mit ihrem Ehemann vereinbaren, um eine generelle Ausreisegenehmigung zu erhalten (BAMF 1.2023; vergleiche IrWire 2.11.2019). Kinder unter 18 Jahren benötigen für die Ausstellung des Reisepasses die schriftliche Erlaubnis ihres Vaters. Wenn der Ehemann oder Vater nicht anwesend ist, hat sich die Frau bei einem Wunsch zur Ausreise an die zuständige Behörde des Außenministeriums zu wenden, sofern keine schriftliche Erlaubnis vorliegt (BAMF 7.2020). Unverheiratete und geschiedene Frauen sowie Witwen benötigen keine Erlaubnis ihres Vaters oder eines männlichen Vormunds, um zu reisen (CGRS-CEDOCA 30.3.2020; vgl.TehVak 22.2.2023, Ettelaat 1.2.2017). Unverheiratete Frauen benötigen jedoch zur Beantragung ihres Reisepasses die Zustimmung ihrer Eltern (BAMF 7.2020; vergleiche Ettelaat 1.2.2017). Nach dem Gesetzbuch für Zivilrecht hat ein Ehemann das Recht, den Wohnort zu wählen, und kann seine Frau daran hindern, bestimmte Berufe auszuüben (HRW 12.1.2023). Im Straf- bzw. Strafprozessrecht sind Mädchen bereits mit neun Jahren vollumfänglich strafmündig (Buben mit 15 Jahren) (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Zeugenaussagen von Frauen werden nur zur Hälfte gewichtet (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023), und die finanzielle Entschädigung, die der Familie eines weiblichen Opfers nach ihrem Tod gewährt wird, ist nur halb so hoch wie die Entschädigung für ein männliches Opfer (FH 10.3.2023; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Selbst KFZ-Versicherungen zahlen bei Personenschäden von Frauen nur die Hälfte. Auch erben Frauen nur die Hälfte des Erbanteils von Männern (ÖB Teheran 11.2021).

Heirat, Scheidung, Obsorge und Vormundschaft für Kinder

Anmerkung, Die drei in der iranischen Verfassung anerkannten Buchreligionen Judentum, Christentum und Zoroastrismus genießen in Fragen des Ehe- und Familienrechts verfassungsrechtlich Autonomie (AA 30.11.2022) und sind somit berechtigt, ihr eigenes Personenstandsrecht anzuwenden, das allerdings der iranischen Gesetzgebung zur öffentlichen Ordnung entsprechen muss (McGlinn 2001). Auch Sunniten dürfen in Personenstandsfragen eigene Gerichte betreiben. Personen, die als Angehörige der genannten religiösen Gruppen anerkannt werden, müssen Personenstandsfragen vor den Gerichten ihrer jeweiligen Religionsgemeinde klären. Sie können sich in diesen Fällen nicht an die staatlichen Gerichte wenden. In Hinblick auf ihre Rechte kann dies für Frauen in manchen Fällen positiv sein, in anderen ist es das nicht. Manche christliche Gemeinden sehen beispielsweise keine Möglichkeit zur Scheidung vor und in manchen sunnitischen Gemeinden haben Frauen kein Recht auf eine Erbschaft von ihrem Vater, während das für Schiiten geltende Personenstandsrecht diese Rechte gewährleistet. Manche christliche Gemeinden - allerdings nicht die Mehrheit der Gemeinden dieser anerkannten religiösen Minderheit - sind dagegen progressiver und gestehen Frauen die gleichen Rechte zu wie Männern (MRAI 19.6.2023). Nachstehend wird v. a. auf die rechtliche Situation von Frauen der schiitischen Mehrheitsgesellschaft - offiziell rd. 90 % der Bevölkerung (STDOK 3.5.2018) - sowie der nicht anerkannten Religionsgruppen (denen das Recht auf ein eigenes Ehe- und Familienrecht nicht zugesprochen wird) eingegangen. Für Informationen zur Heirat von unter-18-Jährigen, zur Behandlung von unehelichen Kindern sowie zur Weitergabe der Staatsbürgerschaft durch Mütter, s. Kap. "Relevante Bevölkerungsgruppen / Kinder".

Das Gesetz erkennt Ehen zwischen muslimischen Frauen und nicht-muslimischen Männern nicht an (USDOS 20.3.2023; vergleiche IrWire 13.2.2014). Muslimische Männer dürfen nicht-muslimische Frauen aus den drei anerkannten Buchreligionen dagegen auf jeden Fall in Zeitehen [auch: Sigheh, Mut'a-Ehe] heiraten, während die Meinungen bezüglich permanenter Ehen auseinandergehen. Manche Rechtsgelehrte gehen von ihrer Zulässigkeit aus, andere nicht (IrWire 13.2.2014). Es ist Männern gesetzlich erlaubt, bis zu vier Ehefrauen und eine unbegrenzte Anzahl von "Ehefrauen auf Zeit" zu haben, basierend auf einem schiitischen Brauch, der zivile und religiöse Verträge mit begrenzter Dauer zulässt. Das Gesetz gewährt Frauen kein Recht auf mehrere Ehemänner (USDOS 20.3.2023). In der Praxis ist Polygamie von Männern in Iran jedoch nicht weit verbreitet (USIP 4.8.2023).

Eine Frau kann sich nur unter bestimmten Voraussetzungen scheiden lassen (USDOS 20.3.2023: vergleiche BAMF 7.2020), wie z. B. wenn ihr Ehemann einen Vertrag unterzeichnet, der ihr dieses Recht einräumt, wenn er seine Familie nicht versorgen kann, wenn er gegen die Bestimmungen des Ehevertrags verstößt oder wenn er drogenabhängig, geisteskrank oder impotent ist. Ein Mann kann sich ohne Angabe von Gründen von seiner Frau scheiden lassen (USDOS 20.3.2023). Das Gesetz erkennt das Recht einer geschiedenen Frau auf einen Teil des gemeinsamen Vermögens und auf Unterhalt an (USDOS 20.3.2023; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Dies wird nicht immer durchgesetzt (USDOS 20.3.2023). Frauen können dieses Recht einklagen, allerdings ist dies ein zeit- und kostenintensiver Prozess (MRAI 19.6.2023).

Nach iranischem Recht fordert die Familie der Frau im Fall einer dauerhaften Eheschließung eine nicht unerhebliche Morgen- bzw. Brautgabe (Mehrieh) in Form von Geld, Immobilien oder Goldmünzen (BAMF 1.2023). Mahr [Mehrieh] wird als traditioneller islamischer Ehevertrag angesehen. Gemäß den Bedingungen der Vereinbarung/des Vertrags erklärt sich der Ehemann dabei bereit und verpflichtet sich, eine vereinbarte Summe in Form der Morgengabe an die Frau zu zahlen (Maclean 17.7.2019). Die Erfüllung dieser Vereinbarung kann zu jeder Zeit während der Ehe oder auch während der Scheidung von der Frau verlangt werden. Die Mehrieh oder Morgengabe dient in einer konservativen islamischen Gesellschaft der Vorsorge für die Frau im Falle der Scheidung (BAMF 7.2020). Manche Frauen nutzen ihre Mehrieh auch, um ihre Männer zur Scheidung zu bewegen, indem sie auf die Zahlung verzichten, oder indem sie eine geringere Summe verlangen, wenn der Gatte der Scheidung zustimmt (IRINTL 8.8.2022; vergleiche MRAI 19.6.2023). Mehrieh ist in diesen Fällen ein wichtiges Instrument für Frauen. Sie können es als Druckmittel einsetzen, um andere Rechte, wie das Recht auf Scheidung, auszuhandeln - allerdings auf Kosten ihrer finanziellen Absicherung. Vor rund 15 Jahren galten Eheverträge in Iran noch als etwas, das nur die Eliten nutzen. Inzwischen ist es kein Tabuthema mehr, allerdings ist schwer zu sagen, wie weit Eheverträge tatsächlich verbreitet sind. Vermutlich sind sie unter gebildeten oder urbanen Bevölkerungsgruppen üblicher als in anderen Gesellschaftsteilen. Die drei wichtigsten Klauseln in Eheverträgen betreffen meist Scheidungsfragen, die Aufteilung von gemeinsamem Eigentum (MRAI 19.6.2023) und das Recht auf Reisefreiheit der Ehefrauen ohne Zustimmung der Ehemänner (MRAI 19.6.2023; vergleiche IrWire 2.11.2019). Eheverträge können dagegen keine Klauseln betreffend der Obsorge für etwaige Kinder enthalten, da dies erst nach der Geburt der Kinder entschieden werden kann. Nach der Geburt eines Kindes kann jedoch eine entsprechende offizielle Vereinbarung getroffen werden (MRAI 19.6.2023).

Die Vormundschaft für Minderjährige liegt laut den gesetzlichen Bestimmungen beim Vater oder Großvater väterlicherseits. Wenn diese nicht in der Lage sind, die Verantwortung zu übernehmen, kann vom Gericht ein Ersatz bestellt werden (Landinfo 5.8.2022; vergleiche MRAI 19.6.2023). In Abwesenheit eines Vaters bzw. Großvaters gibt es eine Möglichkeit für die Mutter, die Vormundschaft für ihr Kind zu übernehmen, so ein Gericht zustimmt. Laut einem von Landinfo befragten Experten ist es unter islamischen Rechtsgelehrten jedoch sehr umstritten, ob Mütter tatsächlich die Vormundschaft übernehmen können (Landinfo 5.8.2022). Eine iranische Rechtsanwältin betont, dass die Vormundschaft von anderen Gerichten als den Familiengerichten entschieden wird. Diese Gerichte gehen bei der Vergabe der Vormundschaft an Frauen sehr restriktiv vor. Überraschenderweise sprachen sie selbst in Fällen, bei denen kein Vater oder Großvater vorhanden war, nicht der Mutter, sondern einer Drittpartei die Vormundschaft zu. Die Vormundschaft ist bei der Schulanmeldung, zur Eröffnung von Bankkonten und anderen bedeutsamen Fragen ausschlaggebend. Die Entscheidungen in diesen Fragen liegen somit immer noch bei den Vätern bzw. Großvätern (MRAI 19.6.2023).

Das Gesetz sieht dagegen vor, dass geschiedenen Frauen vorzugsweise das Sorgerecht für ihre Kinder bis zu deren siebentem Lebensjahr gegeben werden soll. Danach soll das Sorgerecht dem Vater übertragen werden, außer dieser ist dazu nicht imstande. Heiraten geschiedene Frauen erneut, verlieren sie das Sorgerecht für Kinder aus einer früheren Ehe (ÖB Teheran 11.2021). Im Bereich der Obsorge waren in den letzten Jahren positive Entwicklungen zu beobachten: Aufgrund von Gesetzesänderungen haben Richter nun mehr Spielraum, um die Bedürfnisse von Kindern zu berücksichtigen, und Mütter erhalten nun häufiger das Sorgerecht als früher. Es lässt sich jedoch eine Bandbreite an unterschiedlichen Zugängen der Richter in dieser Frage beobachten, die Entscheidungen werden von Fall zu Fall getroffen (MRAI 19.6.2023).

Fehlt alleinstehenden Frauen der Rückhalt ihres Partners bzw. ihrer eigenen Familie, so befinden sie sich schnell am Rande der Gesellschaft und sind gezwungen, sich zum Wohle ihres Kindes mit der Gesellschaft zu arrangieren. Zwar sind die leiblichen Eltern unehelicher Kinder verpflichtet, ihren elterlichen Pflichten in Hinblick auf die Personensorge nachzukommen, und der leibliche Vater bzw. auch der biologische Großvater väterlicherseits sind auch einem unehelichen Kind gegenüber unterhaltspflichtig. Im Fall, dass beide unbekannt sind bzw. sich beide ihrer Verantwortung entziehen, muss die Mutter ihr Kind allerdings finanziell allein versorgen (BAMF 1.2023). Angaben über mögliche (finanzielle) Unterstützung vom Staat für alleinerziehende bzw. alleinstehende Frauen sind nicht eruierbar (ÖB Teheran 11.2021).

Aufgrund der Schwierigkeit für Frauen, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist der familiäre Rückhalt für alleinstehende Frauen umso bedeutender. Jedoch erhalten manche Frauen, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm leben (wie zum Beispiel lesbische Frauen oder Prostituierte), keine Unterstützung durch die Familie und können Opfer von häuslicher Gewalt und Zwangsheirat werden. Alleinstehende Frauen haben oft Schwierigkeiten, eine Wohnung oder Arbeit zu finden, da sie für Prostituierte gehalten werden (ÖB Teheran 11.2021).

Schutz vor Gewalt

Anmerkung, s. Kap. "Relevante Bevölkerungsgruppen / Kinder" für Informationen zu weiblicher Genitalverstümmelung (FGM).

Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen (AA 30.11.2022). Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Gesetze zur Verhinderung und Bestrafung geschlechtsspezifischer Gewalt existieren nicht. Ein geplantes Gesetz "gegen Gewalt gegen Frauen" ist noch immer nicht verabschiedet worden (AA 30.11.2022; vergleiche MRAI 19.6.2023). Vergewaltigung ist illegal und unterliegt strengen Strafen, einschließlich der Todesstrafe. Das Gesetz betrachtet Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe per Definition als einvernehmlich und behandelt daher keine Vergewaltigung in der Ehe, auch nicht in Fällen von Zwangsheirat. Die meisten Vergewaltigungsopfer melden Verbrechen nicht, weil sie staatliche Vergeltungsmaßnahmen oder Strafen für Vergewaltigungen befürchten, wie zum Beispiel Anklagen wegen Unanständigkeit, unmoralischem Verhalten oder Ehebruch. Ehebruch wiederum ist ebenfalls mit der Todesstrafe bedroht. Auch gesellschaftliche Repressalien oder Ausgrenzung werden von Vergewaltigungsopfern befürchtet (USDOS 20.3.2023). Eine ehemals in Iran tätige Rechtsanwältin mit umfangreichem Erfahrungsschatz in diesem Bereich gab an, dass sie ihren Klientinnen bei sexuellen Übergriffen oder Vergewaltigung nie dazu riet, diese anzuzeigen, da sie dann Gefahr laufen, außerehelicher Beziehungen beschuldigt zu werden. Hinzu kommt, dass der Zugang zu Rechtsberatung oftmals eingeschränkt ist und Rechtsanwälte teuer sind. Während sich Personen in Strafrechtssachen zwar an die Rechtsanwaltsvereinigung wenden können, ist die Qualität der vom Staat gestellten Pflichtverteidiger im Allgemeinen eher schlecht. Sie sind unterbezahlt und ihnen fehlt in derartigen Fällen oftmals die Expertise. Dies hat zu einer Vielzahl an Problemen bei Steinigungs- und Selbstverteidigungsfällen von Frauen geführt (MRAI 19.6.2023).

Sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz und in der Familie sind weit verbreitet, für die Männer herrscht gänzliche Straflosigkeit. Ein iranischer 'Me-Too'-Moment im Sommer 2020, als eine junge Frau Interviews mit Überlebenden sexueller Gewalt veröffentlichte, zeigte das Ausmaß des ansonsten totgeschwiegenen Problems auf. Krisenzentren und Frauenhäuser nach europäischem Modell existieren in Iran nicht (ÖB Teheran 11.2021).

Ehrenmorde

Unter Ehrenmord (qatl-e namusi) wird ein Mord verstanden, der innerhalb einer Familie, von einem Vater, einem Ehemann oder einem sonstigen männlichen Verwandten begangen wird, um ein Familienmitglied (in der Regel Frauen und Mädchen) zu bestrafen, das den Ruf und die Ehre der Familie beschädigt hat. Typische Ursachen für die Beschädigung der Familienehre sind vor- oder außerehelicher Geschlechtsverkehr, Vergewaltigung, Widerstand gegen eine Zwangsverheiratung und die Weigerung, eine arrangierte Ehe einzugehen. Ehrenmorde, die von einem Vater, Großvater oder einem männlichen Verwandten begangen werden, gehören nach Artikel 301, des Iranischen Strafgesetzbuchs (IStGB) 2013 nicht zu den Qisas-Strafen (Vergeltungsstrafrecht) [Anm.: s. Kap. "Rechtsschutz / Justizwesen" für Begriffserklärungen zu Hadd, Qisas, Ta'zir und Diyah]. Stattdessen sind hier die Zahlung eines Blutgelds [Diyah] sowie Ta'zir- bzw. Ermessensstrafen vorgesehen. Nur wenn nach Artikel 612, IStGB 1996 der Ehrenmord eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Gesellschaft darstellt, wird der Täter zu einer Freiheitsstrafe von drei bis zu zehn Jahren verurteilt. Nach Artikel 630, IStGB 1996 wird ein Ehemann nicht nach dem Vergeltungsstrafrecht (Qisas) bestraft, wenn er seine Ehefrau beim Ehebruch mit einem anderen Mann erwischt und tötet bzw. sich sicher ist, dass es sich um keine Vergewaltigung handelt. Auch entfällt in diesem Fall die Zahlung eines Blutgeldes (Diyah). Wird die Ehefrau von einem anderen Mann vergewaltigt (Ehebruch gegen den Willen der Ehefrau), kann der Ehemann nur den Täter straffrei töten (BAMF 1.2023).

Ehrenmorde sind v. a. in den ländlichen Gebieten verbreitet und richten sich meistens gegen Frauen und Mädchen. Größtenteils werden sie in den folgenden Provinzen verzeichnet: West-Aserbaidschan, Kurdistan, Kermanshah, Ilam, Lurestan und Khuzestan. Hier leben v. a. arabische, kurdische und lurische Bevölkerungsgruppen (BAMF 1.2023). Die genaue Zahl solcher Morde in Iran ist nicht bekannt und wird unter Verschluss gehalten. Im Dezember 2019 berichtete die Nachrichtenagentur ISNA jedoch, dass es jährlich zwischen 375 und 450 solcher Morde im ganzen Land gibt. Angesichts der mangelnden Transparenz des Regimes und fehlender transparenter Berichterstattung über solche Todesfälle dürfte die Zahl weitaus höher liegen (IRINTL 17.10.2023). Auch, weil viele Suizide als Ehrenmorde einzustufen sind und Ehrenmorde häufig nicht als solche öffentlich werden, liegen keine offiziellen Statistiken hierzu vor (BAMF 1.2023; vergleiche MEI 26.8.2021).

Familienplanung und Abtreibung

Nach dem Ende des iranisch-irakischen Krieges (1980-1988), in dem die Familien ermutigt wurden, mehr Kinder zu bekommen, befürchtete die iranische Führung, dass das Bevölkerungswachstum des Landes die Ressourcen übersteigen könnte. Daher begann sie mit der Umsetzung landesweiter Familienplanungsprogramme. Unter der Leitung des damaligen Obersten Führers Ruhollah Khomeini ermutigte die Regierung Familien, nur ein oder zwei Kinder zu haben, riet von Schwangerschaften bei Minderjährigen ab, stellte kostenlos Kondome zur Verfügung und subventionierte Vasektomien, neben anderen Initiativen. Selbst in ländlichen Gebieten hatten Frauen und Schwangere im Allgemeinen verlässlichen Zugang zu Gesundheitsuntersuchungen in Kliniken und anderen Diensten zur Familienplanung. In einer Zeit des Bevölkerungsrückgangs scheint sich das Kalkül verschoben zu haben (WP 1.12.2021).

Am 1.11.2021 wurde ein neues Gesetz zur "Verjüngung der Gesellschaft und zum Schutz der Familie" verabschiedet, das von neun UN-Sonderberichterstattern und Menschenrechtsmechanismen als menschenrechtswidrig bezeichnet worden ist (ÖB Teheran 11.2021). Das Gesetz schränkt den Zugang von Frauen zu reproduktiven Rechten stark ein (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 30.11.2022) und enthält eine vage formulierte Bestimmung, die besagt, dass Abtreibung, wenn sie in großem Umfang durchgeführt wird, unter den Straftatbestand der "Korruption auf Erden" fällt und mit der Todesstrafe geahndet wird. Das neue Gesetz schränkt die bereits begrenzten Ausnahmen vom Abtreibungsverbot des Strafgesetzbuches weiter ein. Die endgültige Entscheidung über einen medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch - bei Gefahr für das Leben der Schwangeren oder bei Anomalien des Fötus - liegt nun in den Händen eines Gremiums, das sich aus einem Richter, einem Arzt und einem Gerichtsmediziner zusammensetzt, und nicht bei der Schwangeren. Das Gesetz verbietet auch die [bislang] kostenlose Verteilung von Verhütungsmitteln sowie freiwillige Sterilisationen für Männer und Frauen, abgesehen von Ausnahmefällen (UNHRC 16.11.2021). Auch wird eine Datenbank von Frauen, die gynäkologische Hilfe suchen, erstellt (ÖB Teheran 11.2021). Laut Aussagen eines iranischen Behördenvertreters werden rund 95 % aller Abtreibungen in Iran illegal durchgeführt (IRINTL 8.9.2022). Offiziellen Angaben zufolge werden im Iran jährlich schätzungsweise 300.000 bis 600.000 illegale Abtreibungen vorgenommen. Unsichere Abtreibungen sind nach internationalem Recht als eine Form der geschlechtsspezifischen Gewalt anerkannt worden (UNHRC 16.11.2021).

[…]

Kinder

Letzte Änderung: 24.01.2024

Iran hat das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit dem islamischen Recht) (CRC) und das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (CRC-OP-SC) ratifziert (AA 28.1.2022; vergleiche UNHRC o.D.). Nach einer Häufung von sogenannten Ehrenmorden hat das Parlament 2020 ein Gesetz verabschiedet, das den Schutz von Kindern vor Gewalttaten auch durch Verwandte stärken soll (AA 30.11.2022). Die Köpfung eines 14-jährigen Mädchens - mutmaßlich durch den eigenen Vater - löste landesweit Entrüstung aus und führte zur Annahme des Gesetzes "zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen". Es enthält neue Strafen für bestimmte Handlungen, welche die Sicherheit und das Wohlergehen eines Kindes beeinträchtigen, einschließlich körperlicher Schäden und der Verhinderung des Zugangs zu Bildung. Das Gesetz ermöglicht es den Behörden auch, Kinder in Situationen, die ihre Sicherheit ernsthaft gefährden, umzusiedeln. Das Gesetz geht jedoch nicht auf einige der schwerwiegendsten Bedrohungen für Kinder in Iran ein, wie Kinderehen oder die Verhängung der Todesstrafe (HRW 13.1.2021).

Rechtliche Bestimmungen und Behandlung im Strafwesen

Nach Anmerkung 1 zu Paragraph 1210, Zivilgesetzbuch (IZGB) beträgt das Volljährigkeitsalter für Knaben 15 Jahre, während die Volljährigkeit für Mädchen mit Vollendung des neunten Lebensjahres eintritt. Neben der Volljährigkeit gehört zur Geschäftsfähigkeit grundsätzlich auch die davon unabhängig zu beurteilende Reife. Gem. Paragraph 1208, IZGB ist diejenige Person unreif, deren Verfügungen über das eigene Vermögen oder die finanziellen Rechte unvernünftig sind. Nach dem zwischenzeitlich aufgehobenen Paragraph 1209, IZGB wurde bei Mädchen und Buben bis zum Ablauf des 18. Lebensjahrs die fehlende Reife vermutet. Obgleich die nötige Reife seit Aufhebung des Paragraph 1209, IZGB gesondert bestimmt werden muss, erfolgt in der Praxis keine gesonderte Feststellung. Vielmehr wird der aufgehobene Paragraph 1209, IZGB faktisch weiterhin angewendet. Die Unterscheidung in Anknüpfung an das Geschlecht in Bezug auf das Eintreten von Volljährigkeit findet sich ebenfalls im Strafgesetzbuch (IStGB) wieder. Demnach erreichen Mädchen mit neun und Knaben mit 15 Mondjahren die Strafmündigkeit (Artikel 147, IStGB) (BAMF 7.2020).

Im "Kapitel über die Strafen" des iranischen Strafgesetzbuches finden sich detaillierte Vorschriften, wie mit Jugendlichen umzugehen ist. Bei Straftaten, die mit Ta'zir-Strafen bedroht sind [Anm.: s. Kap. "Rechtsschutz / Justizwesen" für Begriffserklärungen zu Hadd, Qisas und Ta'zir], wird gegen Kinder und Jugendliche unter 15 Mondjahren eine Reihe von Erziehungsmaßnahmen verhängt, zwischen zwölf und 15 Jahren sind auch leichte Strafen möglich, wie die Ermahnung durch den Richter oder eine Selbstverpflichtung, keine Straftaten mehr zu begehen. Bei schweren und mittelschweren Straftaten ist die Unterbringung in einem Erziehungszentrum für drei Monate bis zu einem Jahr, unabhängig von den ebenso vorgesehenen milderen Strafen, möglich (Artikel 88, IStGB). Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren werden mit Unterbringung in einer Erziehungsanstalt bestraft, die bei schweren Straftaten bis zu fünf Jahren dauern kann. Bei mittelschweren und leichten Straftaten kann stattdessen eine Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit verhängt werden (Artikel 89, IStGB). Bei den Hadd- und Qisas-Delikten wird eine Person, welche die Strafmündigkeit erreicht hat, aber noch nicht 18 Jahre alt ist, und das Wesen der Straftat und ihres Verbots nicht erfasst hat, oder an deren geistiger und seelischer Reife Zweifel bestehen, je nach den Umständen mit denselben Strafen wie bei Ta'zir-Delikten bestraft (Artikel 91, IStGB). Zur Feststellung derartiger Zweifel kann das Gericht das Gutachten eines Gerichtsmediziners einholen; es kann sich aber auch jedes anderen Mittels bedienen (gesetzliche Erläuterung zu Artikel 91, IStGB). Das bedeutet, dass es beispielsweise Verwandte, Nachbarn, Lehrer oder andere Personen aus dem nahen Umfeld befragen kann. Damit hat das Gericht aber einen so großen Spielraum, dass es die schweren Hadd- und Qisas-Strafen bei Personen unter 18 Jahren fast immer vermeiden kann (BAMF 7.2020). Verurteilte können für Verbrechen, die sie im Alter von unter 18 Jahren begangen haben, jedoch hingerichtet werden (FH 10.3.2023). Die Verhängung der Todesstrafe ist gegen männliche Jugendliche ab dem 15. Lebensjahr, für Mädchen ab dem neunten Lebensjahr möglich und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden (AA 30.11.2022). 2022 wurden mindestens drei Personen hingerichtet, die zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahre alt waren. Mindestens 85 weiteren Personen, die zum Tatzeitpunkt minderjährig waren, droht die Hinrichtung (UNHRC 7.2.2023). Im November 2023 wurde ein 17-Jähriger hingerichtet, wobei von staatlicher iranischer Seite behauptet wurde, der Beschuldigte sei zum Zeitpunkt der Hinrichtung schon 18 Jahre alt gewesen (BAMF 27.11.2023). Diese Vorgehensweise widerspricht dem von Iran unterzeichneten Übereinkommen über die Rechte des Kindes (CRC) (UNHRC 7.2.2023).

Strafverfahren von unter-18-Jährigen werden gemäß Artikel 304, der iranischen Strafprozessordnung vor einem Gericht für Kinder und Heranwachsende behandelt (BAMF 7.2020).

In Gefängnissen sind Erwachsene und Minderjährige oftmals nicht getrennt untergebracht (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021).

Behandlung von Jugendlichen im Zusammenhang mit den Protesten ab September 2022

Junge Menschen haben bei den Protesten seit September 2022 eine herausragende Rolle gespielt und waren von der anschließenden Niederschlagung betroffen (WP 1.12.2022b). Die Regierung hat auf die Proteste von Jugendlichen mit der gleichen Taktik reagiert, die sie gegen Erwachsene anwendet. Laut Menschenrechtsgruppen, Anwälten und Eltern wurden einige erschossen und zu Tode geprügelt (NYT 14.11.2022), andere wurden festgenommen und gemeinsam mit Erwachsenen inhaftiert, Minderjährige wurden verhört und bedroht (NYT 14.11.2022; vergleiche AI 12.2023). Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHRNGO) wurden in den ersten beiden Monaten der Proteste über 60 Minderjährige von Sicherheitskräften getötet (IHRNGO 27.12.2022), bis zum 20.2.2023 erhöhte sich ihre Zahl laut der Organisation Human Rights Activists News Agency (HRANA) auf 71. 181 unter-18-Jährige wurden verhaftet (HRANA 21.2.2023; vergleiche DIS 3.2023). Die iranischen Behörden bestätigten die umfassende Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an den Protesten, sowie ihre Überrepräsentation unter den Festgenommenen (UNHRC 7.2.2023; vergleiche AI 16.3.2023). Amnesty International (AI) dokumentierte Fälle von Minderjährigen, die im Zuge der Proteste festgenommen und in Haft gefoltert, vergewaltigt und sexuell missbraucht worden sind (AI 16.3.2023; vergleiche AI 12.2023). Von den sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen waren Buben wie auch Mädchen betroffen (AI 12.2023).

Eine vom Danish Immigration Service (DIS) befragte Anwältin merkte an, dass die während der Proteste inhaftierten Minderjährigen in Jugendgefängnissen untergebracht werden sollten. In einigen Fällen wurden sie jedoch mit erwachsenen Gefangenen zusammengelegt. Da die Prozesse vor den Revolutionsgerichten für ihre Missachtung des Verfahrensrechts bekannt sind, ist es wahrscheinlich, dass ein Minderjähriger, der eine Straftat mit Auswirkungen auf die nationale Sicherheit und/oder die Politik begeht, vor einem Revolutionsgericht angeklagt wird, obwohl er minderjährig ist. Artikel 315 des iranischen Strafgesetzbuchs schreibt allerdings vor, dass eine spezielle Jugendkammer innerhalb des Ersten Strafgerichts für solche Fälle zuständig ist (DIS 3.2023).

Im Zusammenhang mit den Protesten nach dem Tod von Mahsa (Jina) Amini wurden 23 staatliche Übergriffe auf höhere Schulen in Städten in ganz Iran dokumentiert, bei denen Milizangehörige in Zivil und Geheimdienstagenten Schüler verhörten, schlugen und durchsuchten oder Schulbehörden Schüler bedrohten oder angriffen (NYT 14.11.2022). Bei Razzien an Universitäten wurden mehrere Hundert Studenten verhaftet (FH 10.3.2023), wobei die gewaltsame Niederschlagung der Proteste an den Universitäten oftmals nicht direkt von der Polizei oder den Revolutionsgarden durchgeführt wurde, sondern vom universitären Zweig der Basij-Miliz, der Student Basij Organisation (SBO) (NLM 20.4.2023).

Es wird von Fällen berichtet, bei denen Minderjährige, die beschuldigt wurden, die Proteste zu unterstützen, sowohl in Polizeigewahrsam als auch an Schulen gefoltert wurden. Im September 2022 schlugen Sicherheitskräfte angeblich ein Mädchen in der östlichen Stadt Iranshahr, nachdem sie Bilder von Ayatollah Khomeini aus ihrem Schulbuch entfernt hatte. Das Mädchen starb später an seinen Verletzungen. In einem Fall fiel ein 16-jähriges Mädchen aus der Stadt Dehlan Berichten zufolge ins Koma, nachdem Sicherheitskräfte sie und mehrere andere Schüler mit Schlagstöcken geschlagen hatten, weil sie an regierungsfeindlichen Protesten teilgenommen hatten (DIS 3.2023).

Der iranische Minister für Bildung und Ausbildung erklärte dagegen im Oktober 2022, dass die Polizei Schüler aus höheren Schulen in "psychologischen Beratungszentren" festgehalten habe und dass keine Schüler inhaftiert worden seien. Zweck der Beratungszentren sei die Rehabilitation der Schüler (DIS 3.2023). Kindern, die sich weigerten, eine Beratung in Anspruch zu nehmen, wurden einem Bericht zufolge psychiatrische Medikamente verschrieben (NYT 14.11.2022; vergleiche DIS 3.2023).

Anmerkung, s. Abschnitt "Bildungswesen" bzgl. Informationen zu Massenvergiftungsfällen, welche in zeitlicher Nähe zu den Protesten vorwiegend an Mädchenschulen begannen.

Geburtenregistrierung und Staatsbürgerschaft, rechtliche Behandlung unehelicher Kinder

Anmerkung, Für Informationen zu Vormundschaft und Sorgerecht s. Kap. "Relevante Bevölkerungsgruppen / Frauen".

Eine Geburt innerhalb der Landesgrenzen führt nicht zum Erwerb der Staatsbürgerschaft, es sei denn, ein Kind wird von unbekannten Eltern geboren, ein Teil der ausländischen Eltern wurde ebenfalls schon in Iran geboren, oder eine in Iran geborene Person mit ausländischem Vater lebt nach Vollendung des 18. Lebensjahrs noch mindestens ein Jahr in Iran (SEM 26.1.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023). Iranische Männer geben ihre Staatsbürgerschaft automatisch an ihre Kinder weiter, es sei denn, es handelt sich um eine Zeitehe. In dem Fall muss der Vater die Vaterschaft explizit anerkennen (SEM 26.1.2023). Dies gilt auch, wenn die Mütter und Ehefrauen ausländische Staatsbürgerinnen sind. Iranerinnen, die mit ausländischen Staatsbürgern verheiratet sind, können ihre Staatsbürgerschaft dagegen erst seit 2020 an ihre Kinder weitergeben, und zwar auf Antrag (USDOS 20.3.2023; vergleiche SEM 26.1.2023). Da das Geheimdienstministerium und der Geheimdienst der Revolutionsgarden die Antragsteller einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen und die Sicherheitskriterien vage formuliert sind, befürchten Menschenrechtsaktivisten, dass Anträge willkürlich abgelehnt werden könnten, wenn die Eltern als regimekritisch wahrgenommen werden (USDOS 20.3.2023). Die ersten Personalausweise für solche Kinder wurden im Juli 2021 ausgestellt (FH 10.3.2023).

Das Gesetz schreibt vor, dass alle Geburten innerhalb von 15 Tagen registriert werden müssen (USDOS 20.3.2023). Zuständig für die Registrierung und Ausstellung einer Geburtsurkunde (Shenasnameh) ist die Nationale Organisation für Bürgerregistrierungen (Standesamt). Antragsberechtigte sind der Vater, Großvater väterlicherseits oder die Mutter des Kindes (BAMF 1.2023).

Ein Recht auf Ausstellung einer Geburtsurkunde für uneheliche Kinder, welches auch mit der Scharia konform ist und Gesetzeskraft besitzt, besteht seit einem Urteil des Obersten Gerichtshofes ab 1997. Ein Antrag auf Ausstellung einer Geburtsurkunde für uneheliche Kinder ist jedoch nicht ohne Risiko. Sobald festgestellt wird, dass ein Kind von unverheirateten Eltern geboren wurde, gelten die Eltern per Gesetz als Straftäter, die unerlaubten Geschlechtsverkehr gehabt haben, und sie können nach Artikel 221, IStGB 2013 mit 100 Peitschenhieben bestraft werden. Auch in Fällen, in denen der Vater des Kindes unbekannt ist, kann die Mutter einen Antrag bei Gericht stellen, und nach Zustimmung des Generalstaatsanwalts eine Geburtsurkunde für ihr Kind erhalten. Diese Geburtsurkunde enthält dann den Nachnamen der Mutter. Dies ist die einzige Situation, in der das Gesetz erlaubt, den Nachnamen der Mutter ihrem Kind zuzuordnen. Ansonsten erhält das Kind automatisch den Nachnamen des Vaters. Die Geburtsurkunde darf in diesem Ausnahmefall jedoch nicht nur mit dem Vor- und Nachnamen der Mutter ausgestellt werden, sondern enthält auch einen "hypothetischen" Namen des unbekannten Vaters, um zu vermeiden, dass der Abschnitt mit dem Namen des Vaters leer bleibt (BAMF 1.2023).

Da bei Kindern von unverheirateten Eltern keine familiäre Abstammung angenommen wird, sind Erbansprüche grundsätzlich ausgeschlossen. Neben diesen Einschränkungen sind für Personen, die von unverheirateten Eltern geboren wurden, hohe Schlüsselpositionen in der iranischen Gesellschaft nicht möglich. In den Bereichen von Steuerangelegenheiten, von Heirat und Scheidung, beim Sorgerecht, bei Fragen der Vormundschaft und des Unterhaltes sind uneheliche Kinder jedoch ehelichen Kindern rechtlich grundsätzlich gleichgestellt, sofern den unehelichen Kindern eine Geburtsurkunde ausgestellt wird (BAMF 1.2023).

Es besteht die Möglichkeit, die Familie nachträglich nach der Geburt eines Kindes legalisieren zu lassen. Indem die Eltern eines unehelichen Kindes später heiraten, bekommt das Kind den Status eines ehelichen Kindes. Fehlt alleinstehenden Frauen allerdings der Rückhalt ihres Partners bzw. ihrer eigenen Familie, so befinden sie sich schnell am Rande der Gesellschaft und sind gezwungen, sich zum Wohle ihres Kindes mit der Gesellschaft zu arrangieren. Zwar sind nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofes die leiblichen Eltern unehelicher Kinder verpflichtet, ihren elterlichen Pflichten in Hinblick auf die Personensorge nachzukommen, und der leibliche Vater bzw. auch der biologische Großvater väterlicherseits sind dem unehelichen Kind gegenüber unterhaltspflichtig. Im Fall, dass beide unbekannt sind bzw. sich beide ihrer Verantwortung entziehen, muss die Mutter ihr Kind allerdings finanziell allein versorgen (BAMF 1.2023).

Heirat von Minderjährigen

Anmerkung, Die drei in der iranischen Verfassung anerkannten Buchreligionen Judentum, Christentum und Zoroastrismus genießen in Fragen des Ehe- und Familienrechts verfassungsrechtlich Autonomie (AA 30.11.2022) und dürfen somit ihr eigenes Personenstandsrecht anwenden, das allerdings der iranischen Gesetzgebung zur öffentlichen Ordnung entsprechen muss (McGlinn 2001). Auch Sunniten dürfen ihr eigenes Personenstandsrecht anwenden bzw. müssen in Personenstandsfragen sunnitische Gerichte aufsuchen (MRAI 19.6.2023). Bezüglich dieser Rechtsbereiche wird nachstehend vor allem auf die Situation der schiitischen Mehrheitsgesellschaft - rd. 90 % der Bevölkerung (STDOK 3.5.2018) - sowie der nicht anerkannten Religionsgruppen (denen das Recht auf ein eigenes Ehe- und Familienrecht nicht zugesprochen wird) eingegangen.

Zwangsverheiratungen von Minderjährigen kommen vor allem in ländlichen Gebieten vor. Dies betrifft meistens Mädchen und dient der finanziellen Entlastung der Familie (AA 30.11.2022). Nach dem iranischen Zivilgesetzbuch können Mädchen ab einem Alter von 13 und Buben ab einem Alter von 15 Jahren heiraten. Mit Zustimmung des Vaters – unter Umständen auch des Großvaters – und eines Richters kann eine Ehe auch vorher geschlossen werden (AA 30.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). Aus Sicht der vier sunnitischen Rechtsschulen, die gem. Artikel 12, der Verfassung hierzu eigene Personalstatuten haben, beträgt das Mindestheiratsalter bei Mädchen neun Jahre und bei Buben neun bis zwölf Jahre. Dies ist einer der Gründe, weshalb gerade in den von Sunniten besiedelten Gebieten, die als religiöse Minderheit in Iran gelten, Ehen von Mädchen im Kindesalter besonders häufig vorkommen. Obwohl es in den letzten Jahren vielfältige Reformvorhaben gegeben hat, die Gesetze zur Kinderehe in Iran zu ändern, scheiterten diese Vorhaben am Widerstand der konservativen Regierungsmitglieder (BAMF 1.2023).

Die meisten iranischen Frauen heiraten nicht vor ihren Zwanzigern, und das durchschnittliche Heiratsalter von Männern lag 2014 laut staatlichen iranischen Quellen bei 28 Jahren. Dennoch werden Hunderte Mädchen unter 13, oder sogar unter zehn Jahren, von ihren Familien zwangsverheiratet (USIP 4.8.2023) bzw. lag die Zahl der im Alter zwischen zehn und 14 Jahren verheirateten Mädchen von März bis November 2021 laut dem iranischen Statistikzentrum bei fast 10.000, eine Steigerung um 32 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (AA 30.11.2022), wobei die Ehefrauen bei rund einem Fünftel aller im Jahr 2020 registrierten Hochzeiten unter 18 Jahre alt waren, rund 5 % unter 15 (IrWire 1.4.2022). Kinderehen sind vor allem in den von ethnischen und religiösen Minderheiten bewohnten Randprovinzen stark verbreitet. So kommen diese besonders häufig in den sechs Provinzen Sistan und Belutschistan, Khuzestan, Khorasan Razavi, Golestan, Kerman und Ost-Aserbaidschan vor (BAMF 1.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023). Ursache von Kinderehen sind konservative religiöse und kulturelle Hintergründe; die Angst um eine Verletzung der Familienehre durch vorehelichen Geschlechtsverkehr; Drogensucht; Armut der Eltern; Landflucht; und ein niedriger Bildungsstand (BAMF 1.2023). Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen ist die Zunahme der Kinderehen zum Teil auf ein staatliches "Heiratsdarlehen"-Programm zurückzuführen, das armen Familien, die ihre Mädchen verheiraten wollen, finanzielle Erleichterungen verschafft (USDOS 20.3.2023). Eltern dürfen ihre adoptierten Kinder heiraten, sofern ein Gericht zustimmt (AA 30.11.2022).

Das gesetzliche Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr ist das gleiche wie für die Ehe, da Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe illegal ist. Es gibt keine speziellen Gesetze zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern, da solche Straftaten entweder unter die Kategorie Kindesmissbrauch oder Sexualdelikte des Ehebruchs fallen. Das Gesetz geht nicht direkt auf sexuelle Belästigung ein und sieht auch keine Strafe dafür vor. Die Unklarheit zwischen den gesetzlichen Definitionen von Kindesmissbrauch und sexueller Belästigung kann dazu führen, dass Fälle von sexueller Belästigung von Kindern nach dem Gesetz über Ehebruch verfolgt werden. Zwar gibt es keine gesonderte Bestimmung für die Vergewaltigung eines Kindes, doch kann das Verbrechen der Vergewaltigung unabhängig vom Alter des Opfers mit dem Tod bestraft werden (USDOS 20.3.2023).

Bildungswesen

Iran ist ein Land, in dem die Bildung einen hohen Stellenwert genießt (BAMF 7.2020). Iranische Schulen bieten sowohl Männern als auch Frauen eine qualitativ hochwertige Ausbildung in Natur- und Geisteswissenschaften, die mit anderen Ländern in der Region vergleichbar ist. Das iranische Schulsystem kann in zwei Grundstufen unterteilt werden: Grund- und Sekundarschulbildung. Viele Familien entscheiden sich jedoch dafür, ihr Kind auch in der Vorschule anzumelden, wobei etwa 64 % der Kinder im Alter von 5 Jahren die Vorschule besuchen. In Iran umfasst die Grundschule eine sechsjährige Schulzeit, die bei den meisten Kindern im Alter von sechs Jahren beginnt. Die Grundschulbildung ist verpflichtend und kostenlos, weshalb 99,8 % der iranischen Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren in Grundschulen eingeschrieben sind. Nach Abschluss der Grundschule treten iranische Schüler in die Sekundarstufe ein, die in zwei Phasen unterteilt ist: Sekundarstufe römisch eins und Sekundarstufe römisch II. Die Sekundarstufe römisch II ist in drei Zweige unterteilt: einen akademischen, einen technischen und einen beruflichen. Ob Schüler den akademischen Zweig antreten können, wird durch ihre Prüfungsergebnisse am Ende des Sekundarstufe römisch eins bestimmt. Alle drei Zweige umfassen einen Zeitraum von drei Jahren mit Absolvierung eines der Bildungsgänge, die zum Erwerb der Hochschulreife führen. Darüber hinaus erhalten diejenigen Schüler und Schülerinnen, die entweder den technischen oder den beruflichen Weg absolvieren, ein "Technikerzertifikat". Um den tertiären, akademischen Bildungsweg fortzusetzen, muss eine nationale standardisierte Aufnahmeprüfung absolviert werden, der "Konkur". Nur rund 10 % der Prüfungsabsolventinnen und -absolventen bekommen einen Platz an einer öffentlichen Universität. Der tertiäre Bildungsweg bleibt in Iran jedoch sehr beliebt: Fast 60 % der Iranerinnen und Iraner im Alter von 18 bis 22 Jahren sind an einer postsekundären Bildungseinrichtung eingeschrieben. In Iran findet die Hochschulbildung in einer Kombination aus öffentlichen und privaten Einrichtungen statt. Öffentliche tertiäre Einrichtungen sind meist kostenfrei, während private Einrichtungen üblicherweise Studiengebühren verlangen (AIC 12.7.2022). Die Grund- und Sekundarschulbildung ist kostenlos. Kindern, die keinen staatlichen Identitätsnachweis besitzen, wird das Recht auf Bildung verweigert. Der Gebrauch von Minderheitensprachen als Unterrichtssprache an Schulen ist nicht erlaubt (USDOS 20.3.2023).

Obwohl der Grundschulbesuch bis zum Alter von elf Jahren für alle kostenlos und verpflichtend ist, berichten Medien und andere Quellen über eine geringere Einschulung in ländlichen Gebieten, insbesondere bei Mädchen. Sie können von der Schulpflicht ausgenommen werden, wenn sie verheiratet sind. Ein Kinderschutzgesetz aus dem Jahr 2020 sieht finanzielle Strafen für Eltern oder Erziehungsberechtigte vor, die nicht für den Zugang ihrer Kinder zur Sekundarschulbildung sorgen (USDOS 20.3.2023). Auf der einen Seite gibt es an den Schulen eine institutionalisierte Ungleichheit der Geschlechter, welche die Qualität der Bildung, die Frauen erhalten, aktiv beeinträchtigt. Alle Schulen sind nach Geschlechtern getrennt, sowohl in Bezug auf Schüler als auch auf Lehrer. Es ist bekannt, dass iranische Schulbücher Bilder und Schriften enthalten, die Frauen zugunsten von Männern diskriminieren. Ferner wird berichtet, dass dreimal so viele Mädchen im schulpflichtigen Alter keine Bildung erhalten wie Buben (BAMF 7.2020; vergleiche AIC 12.7.2022). Im November 2023 kündigte der iranische Bildungsminister Pläne für eine grundlegende Umgestaltung des iranischen Bildungssystems mit der Einführung geschlechtsspezifischer Lehrbücher für männliche und weibliche Schüler an, was auf einen tiefgreifenden ideologischen Wandel in der Regierungsführung hindeutet (RFE/RL 13.11.2023). Andererseits hat Iran immense Fortschritte in den Bereichen Alphabetisierung von Frauen, Grundschulbildung und Hochschulbildung gemacht. Am bemerkenswertesten ist die weibliche Dominanz in der tertiären Bildung (AIC 12.7.2022). Frauen sind an den Universitäten des Landes stark vertreten (BAMF 7.2020; vergleiche AIC 12.7.2022). Mittlerweile ist die Mehrheit der Studierenden weiblich (BAMF 7.2020), wobei es für Frauen Zugangsbeschränkungen zu bestimmten Studienfächern gibt (Zeit online 10.3.2023). Universitäten bieten mehrheitlich den gemeinsamen Zugang für Männer sowie Frauen an. Es gibt jedoch einige Universitäten in Iran, die lediglich für Männer oder Frauen zugänglich sind (BAMF 7.2020). Im Oktober 2023 wurde von Studentenprotesten an der Technischen Universität (Sharif) gegen Maßnahmen zur Geschlechtertrennung in einzelnen Fakultäten und universitären Einrichtungen berichtet. Zu Beginn des laufenden akademischen Jahres sind im Zuge vermehrter Kontrollen der Einhaltung islamischer Bekleidungsvorschriften auch Maßnahmen zur Geschlechtertrennung im akademischen Umfeld verstärkt worden (BAMF 16.10.2023). Im November 2023 berichteten Medien, dass Studenten aufgrund der Teilnahme an einer gemischtgeschlechtlichen Studentenfeier an der Universität Ghom mit Studienverboten von einem bis vier Semestern belegt wurden (BAMF 13.11.2023).

Irans Schulen, insbesondere Mädchenschulen, wurden im vergangenen Jahr zu Brennpunkten der Unruhen, nachdem Mahsa Amini im September 2022 wegen eines Verstoßes gegen die Hijabpflicht in Polizeigewahrsam genommen wurde und kurz darauf verstarb. Das Regime antwortete nicht nur mit Razzien an Schulen, sondern entließ und verhaftete unter anderem auch Lehrer. Der iranische Bildungsminister gab nach Beginn des akademischen Jahres 2023/2024 bekannt, dass fast 20.000 Schuldirektoren ausgetauscht worden sind, um an den Schulen "einen Wandel herbeizuführen" (RFE/RL 13.11.2023). Im Oktober 2023 wurde von staatlicher Seite mitgeteilt, dass an iranischen Schulen ein Mangel an mindestens 250.000 bis 300.000 Lehrkräften drohe, wobei die Anzahl in den verschiedenen Provinzen unterschiedlich hoch ausfalle (BAMF 13.11.2023). Im Rahmen von landesweit angelegten Umstrukturierungen des Hochschulsystems wurden ca. 32.000 außerordentliche Universitätslehrkräfte von ihren Positionen an Zweigstellen der Islamischen Azad-Universität ausgeschlossen. Die Universität mit Sitz in Teheran ist ein privates Universitätssystem, dessen Präsident direkt vom Revolutionsführer ernannt wird. Es verfügt über ein umfangreiches Netzwerk von Bildungseinrichtungen mit 367 Campusstandorten landesweit. Die suspendierten Lehrkräfte sollen durch kurzfristig geschulte Promotionsstudierende ersetzt werden. Die Entlassungswelle kann laut Medienberichten als Folgewirkung der landesweiten Proteste im September 2022 gelten, in deren Nachgang es bereits zu Entlassungen akademischen Personals und zur Suspendierung von Studierenden kam (BAMF 16.10.2023).

Vor allem zwischen November 2022 und April 2023 wurde von Fällen von Massenvergiftungen vorwiegend an Mädchenschulen berichtet (IRINTL 7.10.2023). Im Herbst 2023 wurden weitere Fälle in mehreren Städten bekannt (IRINTL 4.11.2023; vergleiche IRINTL 7.10.2023). Nach Regierungsangaben wurden von November 2022 bis November 2023 insgesamt rund 13.000 Mädchen mit Symptomen von Gasvergiftungen in Medizinzentren behandelt (IRINTL 4.11.2023). Es kam zu mindestens einem Todesopfer (IRINTL 7.10.2023). Der Ausbruch an Mädchenschulen, der erstmals in der heiligen Stadt Ghom gemeldet wurde, löste erneute Proteste gegen die Regierung aus (USIP 16.3.2023). Auch aufgrund der Proteste von Eltern haben die Behörden inzwischen eingeräumt, dass es sich um vorsätzliche Vergiftungen handeln könnte (Zeit online 10.3.2023; vergleiche USIP 16.3.2023). Über die Täter und Motive gibt es derzeit allerdings nur Spekulationen (Zeit online 10.3.2023; vergleiche IRINTL 4.11.2023). Hochrangige Regierungsvertreter beschuldigten die Täter der Angriffe, Mädchen am Schulbesuch hindern zu wollen (USIP 16.3.2023).

Anmerkung, Siehe auch Abschnitt "Behandlung von Jugendlichen im Zusammenhang mit den Protesten ab September 2022" für Informationen zum staatlichen Vorgehen gegen Schüler im Zusammenhang mit den Protesten.

Kinderarbeit

Das iranische Recht verbietet Kinderarbeit bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres; bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gibt es diverse Einschränkungen (z.B. keine Schwer-/Nachtarbeit). In Familienbetrieben lässt das Gesetz allerdings die Beschäftigung von Kindern unter 15 Jahren zu. Der iranische Staat schätzt, dass zwei (AA 30.11.2022) bis drei Millionen Kinder arbeiten (USDOS 22.6.2023), nach inoffiziellen Schätzungen sind bis zu sieben Millionen Kinder betroffen (v.a. afghanische Geflüchtete) (AA 30.11.2022; vergleiche USDOS 22.6.2023). Afghanische Kinder, hauptsächlich Buben, werden gezwungen, als billige Arbeits- und Haushaltskräfte tätig zu sein, was oft mit schuldenbasiertem Zwang, Bewegungseinschränkungen, Nichtzahlung von Löhnen und körperlicher oder sexueller Misshandlung verbunden ist. Nach Angaben eines iranischen Regierungsvertreters aus dem Jahr 2021 dürfte die Anzahl der arbeitenden Kinder durch die COVID-19-Pandemie und den damit verbundenen wirtschaftlichen Abschwung zugenommen haben (USDOS 22.6.2023). Nach offiziellen Statistiken leben über zwei Millionen Kinder in Iran auf der Straße. Viele von ihnen sind als Straßenverkäufer tätig. Politische Initiativen, Straßenkinder in ihre Familien zurückzubringen, verliefen nicht erfolgreich (AA 30.11.2022). Die Revolutionsgarden sollen Tausende von in Iran lebenden afghanischen Migranten mithilfe von Zwangstaktiken für den Kampf in Syrien rekrutiert haben (FH 10.3.2023; vergleiche USDOS 22.6.2023). Unter den Rekrutierten sollen sich Kinder im Alter von 14 Jahren befinden (FH 10.3.2023). Die Revolutionsgarden und die mit ihr verbundenen paramilitärischen Basij-Milizen setzten Kinder im Alter von 12 bis 17 Jahren auch zur Aufstandsbekämpfung während der umfangreichen Proteste 2022 und Anfang 2023 ein (USDOS 22.6.2023).

Menschenhandel

Aufgrund der mangelnden Transparenz der Regierung bezüglich des Menschenhandels in Iran, insbesondere im Hinblick auf Frauen und Mädchen, werden keine Statistiken vorgelegt (NCRI 21.4.2021). Die Regierung meldete keine Strafverfolgungsmaßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels, und Beamte verüben weiterhin ungestraft Delikte in Bezug auf Menschenhandel, darunter die Zwangsrekrutierung und der Einsatz von Kindern und Erwachsenen in bewaffneten Konflikten in der Region. Das iranische Recht stellt nicht alle Formen des Menschenhandels unter Strafe. Ein Gesetz aus dem Jahr 2004 stellte den Menschenhandel durch Androhung oder Anwendung von Gewalt, Nötigung, Machtmissbrauch oder Ausnutzung der schutzlosen Lage des Opfers zum Zwecke der Prostitution, Sklaverei oder Zwangsheirat unter Strafe. Im Widerspruch zur Definition des Menschenhandels nach internationalem Recht verlangte das Gesetz eine Verbringung, um den Straftatbestand des Menschenhandels zu erfüllen, und verlangte in Fällen von sexuellem Kinderhandel den Nachweis von Gewalt, Betrug oder Nötigung (USDOS 22.6.2023).

Weitere geschlechtsspezifische Gewalt

Anmerkung, s. Kap. "Relevante Bevölkerungsgruppen / Frauen" für Informationen zu Ehrenmorden.

Weibliche Genitalverstümmelung (FGM) ist gesetzlich verboten. Es gibt kaum aktuelle Daten zur Durchführung von FGM in Iran, ältere Informationen legen jedoch nahe, dass diese Praxis vor allem in sunnitischen Shafi'i-Gemeinschaften in den Provinzen Hormuzgan, Kurdistan, Kermanshah und West-Aserbaidschan an fünf- bis achtjährigen Mädchen durchgeführt wurde (USDOS 20.3.2023). UNFPA berichtet vereinzelt von Fällen FGM innerhalb der sunnitischen Minderheit. Die iranische Mehrheitsgesellschaft lehnt FGM ab (AA 30.11.2022).

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 24.01.2024

Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Im Prinzip respektiert die Regierung diese Rechte, es gibt jedoch einige Einschränkungen, besonders für Frauen und Flüchtlinge. Die Regierung verlangt von allen Bürgern für Auslandsreisen eine Ausreisebewilligung (USDOS 20.3.2023). Bestimmte Gruppen, wie Angestellte in sensiblen Bereichen, iranische Studenten im Ausland und alle Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren, die ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben, benötigen eine besondere Ausreisebewilligung (Landinfo 21.1.2021 vergleiche CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Bürger, die auf Staatskosten ausgebildet wurden oder Stipendien erhalten haben, müssen diese entweder zurückzahlen, oder erhalten befristete Ausreisebewilligungen. Die Regierung schränkt auch die Reisefreiheit von einigen religiösen Führern, Mitgliedern von religiösen Minderheiten und Wissenschaftlern in sensiblen Bereichen ein. Journalisten, Akademiker, oppositionelle Politiker, Künstler sowie Menschen- und Frauenrechtsaktivisten sind von Reiseverboten und Konfiszierung der Reisepässe betroffen (USDOS 20.3.2023).

Zur rechtmäßigen Ausreise aus der Islamischen Republik Iran benötigen iranische Staatsangehörige einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (gestaffelte Gebühr: derzeit 4 bis 8 Millionen Rial [Stand 31.3.2023: 8,7 bis 17 Euro - Wechselkurse schwanken stark]). Die illegale Ausreise erfolgt zumeist auf dem Landweg unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Türkei (AA 30.11.2022). Verheiratete Frauen dürfen nicht ohne die Zustimmung ihrer Männer ins Ausland reisen (USDOS 20.3.2023; vergleiche FH 10.3.2023). Unverheiratete Frauen über 18 Jahren brauchen nicht die Zustimmung ihres Vaters oder Vormunds, um einen Pass zu bekommen oder ins Ausland zu reisen (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).

Ein vom Staatsanwalt bei Gericht eingebrachter Antrag auf ein Ausreiseverbot kann von der Person, gegen die ein Ausreiseverbot verhängt worden ist, nicht im SANA-System eingesehen werden (MBZ 9.2023).

Zu den Gerichtsurteilen gehört manchmal die interne Verbannung nach der Haftentlassung. So werden Personen daran gehindert, in bestimmte Provinzen zu reisen. Frauen benötigten oft die Aufsicht eines männlichen Vormunds oder einer Aufsichtsperson, um reisen zu können. Sie werden mitunter behördlichen und gesellschaftlichen Schikanen ausgesetzt, wenn sie alleine reisen (USDOS 20.3.2023).

Ausweichmöglichkeiten

Soweit Repressionen praktiziert werden, geschieht dies landesweit unterschiedslos. Zivile und militärische Verwaltungsstrukturen arbeiten effektiv. Ausweichmöglichkeiten bestehen somit nicht (AA 30.11.2022).

[…]

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 15.01.2024

Die Grundversorgung ist gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch ein enger Familienzusammenhalt sowie das islamische Spendensystem beitragen (AA 30.11.2022). Die iranische Regierung hat angekündigt, den monatlichen Mindestlohn ab März 2023 auf ca. 56 Millionen Rial festzulegen [mit Stand 12.4.2023 umgerechnet 100 Euro - aufgrund von Inflation und Wechselkursveränderung stark schwankend] (IRINTL 1.2.2023). Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines städtischen Haushalts lag 2019 (letzte offiziell verfügbare Zahlen) bei rund 747 Millionen Rial (AA 30.11.2022). Nach Angaben des iranischen Ministeriums für Kooperativen, Arbeit und Wohlfahrt benötigt eine Familie mit vier Personen in Teheran schätzungsweise mindestens 147 Millionen Rial [am 12.4.2023 ca. 260 Euro] monatlich, um nicht unter die Armutsgrenze zu rutschen, im Landesdurchschnitt sind es ca. 77 Millionen Rial [am 12.4.2023 ca. 140 Euro] (IRINTL 1.2.2023).

Angesichts der immer schärferen US-Sanktionen und des dramatischen Währungsverfalls hat sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche BS 23.2.2022). Iran befindet sich weiterhin in einer ökonomisch hochproblematischen Lage. Die Trends der vergangenen Jahre setzen sich weiter fort (BAMF 13.2.2023). Im Februar 2023 erreichte der Rial mit ca. 1:580.000 zum US-Dollar seinen bisherigen Tiefststand, wobei die Währung in den vergangenen zehn Jahren 94 % ihres Werts verloren hat (IRINTL 30.3.2023). Dies verteuert vor allem Importe auf breiter Front (BAMF 13.2.2023) und brachte im Februar 2023 viele Unternehmen fast zum Stillstand (IRINTL 26.2.2023). Gründe sind die US-Sanktionen und deren extraterritoriale Anwendung und damit Zurückhaltung europäischer Unternehmen vor Geschäften mit Iran, aber auch die Folgen der COVID-19-Pandemie. Viele Privatunternehmen mussten aufgrund fehlender Devisen und Importmöglichkeiten von Rohstoffen, Bestandteilen oder Ausrüstung die Produktion drosseln oder schließen (ÖB Teheran 11.2021).

Neben der Abwertung des Rial sieht sich das Land auch mit einer ungezähmten Inflation konfrontiert, die laut einem Bericht des Statistischen Zentrums Irans am 19.2.2023 bei mehr als 53 % lag (AJ 2.3.2023) und in den vergangenen vier Jahren durchgehend über 40 % betrug, was sich negativ auf die Kaufkraft der Haushalte auswirkt (WB 20.10.2022). Lebensmittel waren davon zuletzt besonders stark betroffen (AJ 2.3.2023; vergleiche BAMF 13.2.2023).

Gleichzeitig reichte die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht aus, um die große Zahl junger und gebildeter Berufsanfänger zu absorbieren (WB 20.10.2022). Neben Arbeitslosigkeit spielt auch Unterbeschäftigung eine Rolle. Ausgebildete Arbeitskräfte (Facharbeiter, Uni-Absolventen) finden oft keine ihrer Ausbildung entsprechenden Jobs. Daraus folgen soziale Spannungen, aber auch ein beträchtlicher "Braindrain", der die Gesellschaft und Wirtschaft beeinträchtigt. Angesichts der Kaufkrafteinbußen können viele Menschen ihre Lebenshaltungskosten nur sehr knapp abdecken, jede Verschlechterung führt zu Verzweiflung. So kam es zu lokal begrenzten kurzzeitigen Protesten und Streiks, etwa wegen Gehaltsrückständen und schlechter Arbeitsbedingungen oder aufgrund des Preisdrucks in der Produktion (ÖB Teheran 11.2021) oder aufgrund der gestiegenen Lebenshaltungskosten (IRINTL 26.2.2023).

Inoffizielle Schätzungen zur Armutsrate gehen von mindestens 15-20 Millionen Iranerinnen und Iranern aus (bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 83 Millionen), die in absoluter Armut leben, wobei die COVID-19-Pandemie und ihre Folgen das Armutsrisiko weiter erhöht haben (BS 23.2.2022). Laut einem Bericht des iranischen Ministeriums für Kooperativen, Arbeit und Wohlfahrt lebt rund ein Drittel der iranischen Bevölkerung in extremer Armut. Ihre Anzahl hat sich von 2020 auf 2021 verdoppelt. Rund zwei Drittel der Bevölkerung leben laut offiziellen Zahlen des Innenministeriums in relativer Armut (IRINTL 1.2.2023). Laut dem Human Development Index (HDI) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) befindet sich Iran mit einem Indexwert von 0,774 für das Jahr 2021 (letztverfügbare Daten) unter den Ländern mit einem hohen Entwicklungsstand. Der HDI misst den Entwicklungsstand von Staaten anhand der Faktoren "langes und gesundes Leben", "Zugang zu Bildung" und "menschenwürdige Lebensstandards für die Bevölkerung". Während die errechneten Indexwerte für Iran im Zeitraum 1990-2017 gestiegen sind, nehmen sie seit 2018 wieder ab (UNDP 8.9.2022).

Die Wirtschaft zeichnet sich durch ihren Kohlenwasserstoff-, Landwirtschafts- und Dienstleistungssektor sowie eine bemerkenswerte staatliche Präsenz in der verarbeitenden Industrie und den Finanzdienstleistungen aus. Iran steht weltweit an zweiter Stelle, was die Größe der Erdgasreserven betrifft, und bei den nachgewiesenen Rohölreserven an vierter Stelle (WB 20.10.2022). Obwohl die iranische Wirtschaft für ein erdölexportierendes Land relativ diversifiziert ist (WB 20.10.2022; vergleiche BPB 15.5.2020) und über ein Reservoir gut ausgebildeter Arbeitskräfte verfügt (BPB 15.5.2020), hängen die Wirtschaftstätigkeit und die Staatseinnahmen von den Öleinnahmen ab und sind daher volatil (WB 20.10.2022; vergleiche BPB 15.5.2020). Die unter US-Präsident Trump verhängten Sanktionen schränken die Fähigkeit Irans, Absatzmärkte für Öl zu finden, empfindlich ein. Außerdem bekam Iran nur unzureichend Zugang zu Hochtechnologien, was dazu beiträgt, dass die Erdölanlagen nur mangelhaft instandgehalten und das Potenzial der enormen Vorkommen an Naturgas nicht annähernd ausgeschöpft wird. Dies verschärft die Depression, in die das Land bereits 2018 geschlittert ist, noch weiter (BPB 31.1.2020b).

Der staatliche Sektor (staatliche und halbstaatliche Unternehmen) macht etwa 80 % der iranischen Wirtschaftstätigkeit aus, während der private und kooperative Sektor nur einen Anteil von rund 20 % hat. Viele Staatsbetriebe gehören nicht der Regierung, sondern wirtschaftlich starken religiösen, revolutionären und militärischen Stiftungen ("Bonyads"). Diese werden direkt oder indirekt vom Obersten Führer kontrolliert und genießen viele Privilegien, wie Steuerbefreiungen und exklusiven Zugang zu lukrativen Regierungsaufträgen (BS 23.2.2022). Das exakte Ausmaß der Vermögenswerte und Aktivitäten der Bonyads ist nicht bekannt, sie spielen in der iranischen Wirtschaft jedoch eine bedeutsame Rolle (MEI 7.6.2022). Die Bonyads beanspruchen für sich, eine Vielzahl von Aktivitäten im Zusammenhang mit Sozialarbeit, Beratungs-, Sozial- und Rehabilitationsdiensten durchzuführen (MEI 29.1.2009). Sie sind eine wichtige Säule im Machtapparat des Regimes (LMD 2020b). Die größten Organisationen sind die Imam-Reza-Stiftung (LMD 2020b) oder Astân Quds Razavi, eine Stiftung, die den Schrein von Imam Reza in Mashhad verwaltet und mit sechs großen Holdinggesellschaften und insgesamt 351 Firmen als größter Landbesitzer im Nahen Osten gilt; die Märtyrer-Stiftung (Bonyâd Shahid), die mehr als 250 Unternehmen kontrolliert (MEI 7.6.2022); die Stiftung für die Unterdrückten (Bonyâd Mostazâfan) (MEI 7.6.2022; vergleiche LMD 2020b), die mehr als 400 Unternehmen und Tochtergesellschaften in fast allen Sektoren der Industrie beaufsichtigt; die Imam Khomeini Relief Foundation (Comité Emdâd Emâm Khomeini), ein weiterer führender Akteur mit ihren vier Beteiligungen (MEI 7.6.2022); und das Stabszentrum zur Ausführung des Imam-Dekrets (Setâd Ejrâ-ye Farmân Emâm) (LMD 2020b; vergleiche MEI 7.6.2022), das in den meisten Industrie- und Unternehmenssektoren tätig ist (MEI 7.6.2022). Die Revolutionsgarden sind mit einigen der Bonyads eng verbunden (MEI 3.5.2022). Sie sind wirtschaftlich ebenso aktiv und haben ihre eigenen finanziellen, wirtschaftlichen, industriellen und landwirtschaftlichen Zweige. Das Wirtschaftskonglomerat Khatam al-Anbiyam, das sich im Besitz der Revolutionsgarden befindet, hat es geschafft, ein Monopol auf große Infrastrukturprojekte in Iran aufzubauen (MEI 7.6.2022). Die Vermengung der politischen mit der wirtschaftlichen Sphäre hat eine staatliche Verteilungs- und Klientelpolitik gefördert, die mit hoher Korruption einhergeht (BPB 31.1.2020b; vergleiche MEI 7.6.2022).

Die iranische Wirtschaft ist in vielen Bereichen zentralisiert und steht zu großen Teilen unter staatlicher Kontrolle. So haben viele iranische Unternehmen neben wirtschaftlichen auch politische Ziele zu erfüllen. Durch regelmäßige staatliche Eingriffe über Preisregulierungen und Subventionen, die in aller Regel politische Ursachen haben, konnte sich bisher eine eigenständige Wirtschaft nur bedingt entwickeln. Eine etablierte Privatwirtschaft gibt es vor allem auf dem Basar, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsgewerbe (GIZ 12.2020b). Der Staat hat einen erheblichen Einfluss auf die Preisgestaltung, die Festsetzung des [offiziellen] Wechselkurses und des Zollsatzes, die Kontrolle von Handel und Investitionen und die Verwaltung der Kernindustrien, insbesondere des Öl- und Petrochemiesektors. Das Ministerium für Arbeit und Soziales regelt die Lohnhöhe, berechnet die Inflation und analysiert die Wirtschaftslage (BS 23.2.2022).

Als die Behörden im November 2019 den Treibstoffpreis um 300 % erhöhten, kam es zu den bis zu diesem Zeitpunkt größten Protesten der Islamischen Republik (IrFocus 6.2.2023). Im Februar 2023 kündigte die Regierung einen Privatisierungsplan an, der in den nächsten zwei Jahren umgesetzt werden und das staatliche Budget aufbessern soll (IRINTL 4.2.2023). Ökonomen befürchten allerdings, dass von den Privatisierungen vor allem einflussreiche, gut vernetzte Unternehmer profitieren werden (Fanack 6.3.2023; vergleiche IRINTL 4.2.2023). Von 2001 bis 2013 fanden mehrere Privatisierungsrunden statt, bei denen größtenteils staatsnahe Akteure, wie die Basij, die Revolutionsgarden, Stiftungen, Geistliche und andere mit dem Regime verbundene Geschäftsleute Staatsbesitz erwarben. Als die Behörden in Reaktion auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie 2020 weitreichende Privatisierungen durchführten, von denen auch wieder v. a. Angehörige und Verbündete von hohen Regierungsvertretern profitierten, hat dies Proteste ausgelöst. Darüber hinaus führten die Privatisierungen in den meisten iranischen Städten zu groß angelegten Streiks, da neue Investoren die Kosten senkten, indem sie einen großen Anteil an Bergleuten während der Pandemie entlassen haben (Fanack 6.3.2023).

Iranische Banken sind seit der Wiedereinführung der Sanktionen im Jahr 2018 vom SWIFT-System ausgeschlossen (MEE 30.1.2023).

Sozialbeihilfen

Letzte Änderung: 15.01.2024

Dem Arbeitsministerium ist die Verantwortung für Sozialhilfe und Versicherungswesen übertragen. Es gibt verschiedene Versicherungsträger, welche alle dem im Sozialministerium angesiedelten "Hohen Versicherungsrat" (HIC) unterstehen, der die Versicherungspolitik plant, koordiniert, durchführt und überwacht. Der Hauptversicherer ist die "Organisation für Sozialversicherung" (SSIO). Alle Arbeitgeber und -nehmer zahlen in das System ein und erhalten dafür gewisse Unterstützungsleistungen. Viele Kliniken und Spitäler dieser Organisation befinden sich in städtischen Gegenden (ÖB Teheran 11.2021). Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die die Bereiche Rente, Unfall und Krankheit umfasst. Der Rentenanspruch entsteht in voller Höhe nach 30 Beitragsjahren (AA 30.11.2022).

Iranischen Bürgern stehen unterschiedliche Arten von Versicherungsschutz zur Verfügung. Bei der obligatorischen Versicherung werden Arbeitnehmer von den Arbeitgebern versichert. 7 % der Prämie werden von den Arbeitnehmern und 23 % von den Arbeitgebern bezahlt. Weiters steht den Eigentümern der Unternehmen eine freiwillige Abdeckung zur Verfügung. Es gibt drei Prämiensätze von 12 %, 14 % und 18 %, die zulasten der Versicherten gehen. Das System deckt alle Angestellten und Freiberuflichen ab, wobei Letztere zwischen verschiedenen Stufen wählen können. Ein freiwilliger Versicherungsschutz ist für zuvor versicherte Personen zwischen 18 und 50 Jahren verfügbar. Dieser ist vollständig von der versicherten Person zu bezahlen. Spezielle Systeme gibt es darüber hinaus für Staatsangestellte und Militärangehörige. Generell ist für Angestellte die Mitgliedschaft im Sozialversicherungssystem verpflichtend. Die Sozialversicherung schützt im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Berufsunfällen und auch bei altersbedingtem Ausscheiden. Seit 2003 wurden die zuständigen Institutionen zusammengelegt, um Ineffektivität und Redundanzen zu vermeiden. Zuschüsse und Leistungen werden auf Basis des Gehalts (insbesondere der letzten zwei Jahre) der zu versichernden Person berechnet, sowie auf Basis der monatlichen Zahlungen bei privat versicherten Personen. Solange Rückkehrer für eine iranische Organisation/Firma arbeiten, übernehmen die Arbeitgeber den Großteil der Beiträge. Ansonsten muss (je nach gewähltem Angebot) selbst eingezahlt werden. Angestellte müssen 7 % des monatlichen Gehalts abgeben, während Selbstständige und Private einen individuell abgestimmten Beitrag bezahlen (IOM 2021).

Die Mittel für die Altersrente werden durch gemeinsame Beiträge der versicherten Person, des Arbeitgebers und der Regierung gedeckt und variieren je nach Beitragsjahren. Die Altersrente wird über die Pensionskasse für Beamte, über die Organisation für soziale Sicherheit sowie über 16 weitere Pensionsfonds in Iran bereitgestellt. Die Hinterbliebenenrente wird an Angehörige einer versicherten verstorbenen Person gezahlt. Zu den Angehörigen zählen Witwe oder Witwer, Kinder (das heißt Söhne bis zum Alter von 20 Jahren und Töchter bis zur Heirat) und Eltern. Die Rente des Ehepartners beträgt 50 % der Alters- oder Invalidenrente der versicherten Person, während sie für Waisen 25 % und für Eltern 20 % beträgt. Die kombinierte Hinterbliebenenrente darf nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn oder über der Rente des Verstorbenen liegen. Rund 25 % der Beschäftigten, vor allem im informellen Sektor und unter Saisonarbeitern, haben keine Pensionsversicherung (Landinfo 12.8.2020).

In Iran gibt es einen gesetzlichen monatlichen Mindestlohn für ungelernte Arbeitnehmer, der unter Berücksichtigung der Inflation jährlich neu berechnet wird. Darüber hinaus zahlt der Staat (praktisch) jeder Familie eine Wohnungs- und Lebensmittelzulage in Form von monatlichen Geldtransfers (yaraneh-ye naqdi) (Landinfo 12.8.2020). Diese Subventionszahlung zur Sicherung der Grundversorgung beträgt monatlich rund 500.000 Rial [Stand Februar 2023: ca. 80 Cent] (AA 30.11.2022).

Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch in der Höhe von ca. 4,2 Millionen Rial pro Kind [Stand Februar 2023: ca. 7 Euro] (AA 30.11.2022). Die Familienbeihilfe wird gezahlt, bis das Kind 18 Jahre alt ist, oder - wenn es studiert - bis das Studium abgeschlossen ist. Die Familienbeihilfe wird monatlich gezahlt und als das Dreifache des gesetzlichen täglichen Mindestlohns eines ungelernten Arbeitnehmers für jedes Kind berechnet. Die Leistungen werden jährlich angepasst (Landinfo 12.8.2020). Ebenfalls besteht ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Höhe von 70-80 % des Gehaltes, das für mindestens ein Jahr gezahlt wird (AA 30.11.2022). Selbstständige und Beamte sind nicht Teil der Arbeitslosenversicherung, da angenommen wird, dass ihre Arbeitsverträge nicht gekündigt werden können (Landinfo 12.8.2020).

Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen, wie z. B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z. B. Frauengruppen) (AA 30.11.2022). Als Teil des Sozialwesens haben alle Bürger das Recht auf kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung. Alle Bürger können über die Wohlfahrtsorganisation TAMIN EJTEMAEI eine Sozialversicherung beantragen. Darüber hinaus können Leistungen von Arbeitgebern oder privaten Anbietern und Organisationen angeboten werden (IOM 2021).

Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt, um die 'sadeqe', die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße (GIZ 12.2020b). Die staatliche Wohlfahrtsorganisation betreibt Selbsthilfegruppen für Familien in schwierigen Situationen, die in Familienzentren organisiert sind. Einige erhalten Unterstützung bei der Arbeitssuche. Ein Projekt mit einem Mikrofinanzierungsansatz umfasst 50.000 Menschen - nicht nur Frauen, sondern auch Landbevölkerung und andere. Ziel ist es, die Armut zu verringern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf weiblichen Ernährern. Es gibt ca. drei Millionen Familien, die von Frauen geführt werden. 180.000 von ihnen werden von der staatlichen Wohlfahrtsorganisation betreut. Das Budget ist begrenzt und nicht alle Bedürftigen erhalten Hilfe. Die Leistungen gehen nicht unbedingt an die Frauen, sondern können beispielsweise Bildungskosten für die Kinder abdecken (Landinfo 12.8.2020).

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 15.01.2024

Grundsätzlich entspricht die medizinische Versorgung, insbesondere in ländlichen Gebieten, nicht (west-)europäischen Standards. Das Land hat in den Jahrzehnten seit der Revolution 1979 allerdings viel in das nationale Gesundheitssystem investiert (AA 30.11.2022). Seit damals hat sich das Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert allen Bürgern das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen. Die Verwirklichung dieses Zieles obliegt dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung (ÖB Teheran 11.2021).

Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität, deren Rektor die Verantwortung für das Gesundheitswesen in der betroffenen Provinz trägt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche IOM 2021). Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche Landinfo 12.8.2020). Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z. B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird (ÖB Teheran 11.2021). Neben den medizinischen Universitäten wird ein Teil der Dienstleistungen von Versicherungsunternehmen und den Provinz- und Bezirkseinheiten erbracht. Die dezentralen Einrichtungen (Gesundheitshäuser, ländliche Gesundheitszentren) bieten in den Räumlichkeiten der medizinischen Universitäten kostenlose Dienstleistungen an. An anderer Stelle bezahlt die erkrankte Person einen kleinen Betrag, um eine medizinische Behandlung zu erhalten (IOM 2021). Weitere staatliche Institutionen wie die Iranian National Oil Corporation, die Justiz und Revolutionsgarden betreiben ihre eigenen Krankenhäuser (Landinfo 12.8.2020).

Es gibt im ganzen Land viele NGOs und Wohltätigkeitsorganisationen, die Gesundheitseinrichtungen betreiben, deren Zugang auf einer Bedarfsanalyse basiert, ohne dass auf einen vorherigen Versicherungsschutz Bezug genommen wird. Die Mahak-Gesellschaft zur Unterstützung krebskranker Kinder ist beispielsweise ein bekanntes gemeinnütziges Forschungs-, Krankenhaus- und Rehabilitationszentrum für Kinder mit Krebs. Die Patienten werden von Ärzten im ganzen Land an Mahak überwiesen. Laut einem Vertreter von Mahak wird jedes Kind, bei dem Krebs diagnostiziert wird, entweder im Mahak-Krankenhaus oder in anderen Krankenhäusern behandelt. Mahak deckt auch die Behandlung von Patienten in anderen Krankenhäusern in Iran ab. Die Behandlung ist kostenlos und die Patienten müssen nicht versichert sein, um eine Behandlung zu erhalten. Verwandte können bei der Begleitung ihrer kranken Kinder eine Finanzierung für die Unterkunft erhalten. Mahak empfängt Krebspatienten auch aus mehreren Nachbarländern (Landinfo 12.8.2020).

Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 11.2021). In jedem Bezirk gibt es Ärzte, die dazu verpflichtet sind, Notfälle zu jeder Zeit aufzunehmen. In weniger dringenden Fällen sollte der Patient zunächst sein Gesundheitszentrum kontaktieren und einen Termin vereinbaren (IOM 2021). Ein zuverlässig funktionierendes Rettungswesen besteht auch in den Städten nicht überall (AA 8.2.2023).

Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Es ist zwar fast flächendeckend - laut WHO haben 98 % aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung - die Qualität schwankt jedoch (GIZ 12.2020a). Selbst in ländlichen Gebieten haben 85 % der Bevölkerung Zugang zur primären Gesundheitsversorgung, 90 % werden mit sauberem Trinkwasser versorgt, 80 % sind an entsprechende Sanitäranlagen angeschlossen. Dennoch haben bei weitem nicht alle Zugang zu komplexen, spezialisierten und damit auch teureren Diensten (AA 30.11.2022). Die spezialisierte, medizinische Versorgung, gerade bei Notfällen oder Unfällen, ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischem Standard. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich (AA 8.2.2023). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede zwischen den Regionen. Folgende Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als Teheran auf: Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Khorasan sowie Sistan und Belutschistan. Es ist davon auszugehen, dass sich eine Vielzahl an Haushalten keine ausreichende Gesundheitsversorgung leisten kann. Gesundheitsdienste sind geografisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 11.2021).

Die medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, die von jeweils einem männlichen und einer weiblichen "Behvarz" (Gesundheitspersonal, das nach der regulären elfjährigen Schulbildung zwei Jahre praktisch und theoretisch ausgebildet wird) geleitet werden. Jedes dieser Gesundheitshäuser ist für Gesundheitsvorsorge (u. a. Impfungen, Betreuung von Schwangerschaften) zuständig, wobei die Qualität der Versorgung als zufriedenstellend beurteilt wird. In Städten übernehmen sogenannte "Gesundheitsposten" in den Bezirken die Aufgabe der ländlichen Gesundheitshäuser. Auf der nächsten Ebene sind die ländlichen Gesundheitszentren zu finden, die jeweils von einem Allgemeinmediziner geleitet werden. Sie überwachen und beraten die Gesundheitshäuser, übernehmen ambulante Behandlungen und übergeben schwierigere Fälle an städtische, öffentliche Krankenhäuser, die in jeder größeren Stadt zu finden sind (ÖB Teheran 11.2021). Die medizinische Belegschaft in Iran umfasst insgesamt mehr als 51.000 Allgemeinärzte, 32.000 Fachärzte, 115.000 Krankenschwestern, 33.000 Hebammen und 35.000 örtliche Gesundheitshelfer (Behvarz) (Landinfo 12.8.2020). Das Überweisungssystem bei Hausärzten dazu beigetragen, dass Servicepakete für Prävention, Pflege und Behandlung auch in ländlichen Gebieten angeboten werden (IOM 2021).

Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen noch immer Selbstbehalte von den versicherten Personen geleistet werden (ÖB Teheran 11.2021). Allerdings ist der Anteil derartiger Zahlungen durch die Patienten in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen. Vor dem Health Transformation Plan im Jahr 2014 waren Selbstbehalte die Hauptfinanzierungsquelle und betrugen über 50 % der Kosten. Bis 2016 gingen sie auf 35,5 % zurück. Dies ist jedoch noch von dem erklärten Ziel entfernt, die Selbstbehalte auf unter 30 % zu senken. Dies bedeutet, dass das Zahlungssystem nach wie vor weitgehend auf Servicegebühren sowohl im öffentlichen als auch im privaten Gesundheitswesen basiert (Landinfo 12.8.2020). Die Kosten für Krankenhäuser werden unter anderem dadurch gesenkt, dass die Versorgung des Kranken mit Gütern des täglichen Bedarfs, etwa Essen, immer noch weitestgehend seiner Familie zufällt (GIZ 12.2020a). Iran verwendet interne Referenzpreise für Arzneimittel, was bedeutet, dass Arzneimittel zum Preis des Referenz-Arzneimittels erstattet werden und die Patienten die Möglichkeit haben, teurere Arzneimittel zu kaufen und die zusätzlichen Kosten zu bezahlen. Der Erstattungspreis wird von der Regierung festgelegt, während Hersteller, Händler oder Einzelhändler ihren eigenen Arzneimittelpreis festlegen können (Landinfo 12.8.2020).

Alle iranischen Staatsbürger, inklusive Rückkehrende haben Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen (PHC) sowie weitere Angebote. Es gibt zwei verschiedene Arten von Krankenversicherungen, jene über den Arbeitsplatz oder eine private Versicherung. Beide gehören zur staatlichen iranischen Krankenversicherung TAMIN EJTEMAEI www.tamin.ir/. Kinder sind zumeist durch die Krankenversicherung der Eltern abgedeckt. Um eine Versicherung zu erhalten, sind eine Kopie der iranischen Geburtsurkunde, ein Passfoto und eine komplette medizinische Untersuchung notwendig. Zusätzliche Dokumente können später gegebenenfalls angefordert werden (IOM 2021).

Allen iranischen Bürgern stehen mehrere Arten eines primären Krankenversicherungsschutzes zur Verfügung, darunter Tamin-Ejtemaei, Salamat, Khadamat-Darmani und Nirouhaye - Mosalah. Der Krankenversicherungsschutz umfasst medizinische Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten und Impfstoffen. Im Allgemeinen ist der primäre Krankenversicherungsschutz begrenzt. Für weitere medizinische Dienstleistungen kann zusätzlich eine private Krankenversicherung abgeschlossen werden (IOM 2021). Die "Organisation für die Versicherung medizinischer Dienste" (MSIO) wurde 1994 gegründet, um Beamte und alle Personen, die nicht von anderen Versicherungsorganisationen berücksichtigt wurden, zu versichern. Daneben kümmern sich Wohltätigkeitsorganisationen, u. a. die "Imam Khomeini Stiftung", um nicht versicherte Personen - etwa mittellose Personen oder nicht anerkannte Flüchtlinge. Registrierte afghanische Flüchtlinge können sich in der staatlichen Krankenversicherung registrieren (ÖB Teheran 11.2021).

Da es keine allgemein akzeptierte Definition für schutzbedürftige Personen gibt, ist es schwierig, diese Gruppe zu spezifizieren. Dennoch gibt es einige NGOs, die sich auf einen bestimmten Kreis Betroffener spezialisieren. Allgemein gibt es zwei Arten von Zentren, die Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen in Iran leisten, nämlich öffentliche und private. Die öffentlichen Einrichtungen sind in der Regel überlaufen und es gibt lange Wartezeiten, weshalb Personen, die über die nötigen Mittel verfügen, sich oft an kleinere, spezialisierte private Zentren wenden. Die populärste Organisation ist BEHZISTI, die Projekte zu Gender, alten Menschen, Menschen mit Behinderung (inklusive psychischer Probleme), ethnische und religiöse Minderheiten, etc. anbietet. Außerdem werden Drogensüchtige, alleinerziehende Mütter, Personen mit Einschränkungen etc. unterstützt. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem sozio-psychologische Betreuung, Beratungsgespräche, Unterkünfte, Rehabilitationsleistungen, Suchtbehandlung etc. Die Imam Khomeini Relief Foundation bietet Dienstleistungen für Frauenhaushalte, Waisen, Familien von Häftlingen usw. an, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Der Zugang zu öffentlichen Angeboten ist für alle Bürger gleich. Dennoch gibt es zusätzliche Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen, die von den Gemeinden/Organisationen abgedeckt werden (IOM 2021).

Im Zuge der aktuellen Sanktionen gegen Iran ist es zu gelegentlichen Engpässen beim Import von speziellen Medikamentengruppen gekommen (IOM 2021; vergleiche OHCHR 14.2.2023) und auch die Verfügbarkeit von medizinischen Geräten ist von den Sanktionen negativ betroffen (Akbarialiabad/et al. 2021). Obwohl auf dem Papier Medikamente und Lebensmittel von den Sanktionen nicht betroffen sind, ist es seit 2020 u. a. wegen fehlender Zahlungskanäle zu mehr Engpässen bei bestimmten Medikamenten wie z. B. Insulin gekommen. Das Gesundheitsministerium ist sehr bemüht, den Bedarf an Medikamenten zu decken. Aufgrund der mangelnden Devisen steigen aber die Preise der Medikamente, die aus dem Ausland eingeführt werden, sodass schwache Gesellschaftsschichten sich diese nicht mehr leisten können. Viele Medikamente werden in Iran selbst produziert, jedoch oftmals nicht in entsprechender Qualität (ÖB Teheran 11.2021). In den sozialen Netzwerken klagen Nutzer immer wieder über fehlende Spezialmedikamente, hohe Preise und eine "geringere Wirkung" iranischer Arzneimittel im Vergleich zu ausländischen Produkten (IRJ 15.6.2022). Der Rote Halbmond ist die zentrale Stelle für den Import von speziellen Medikamenten, die für Patienten in speziellen Apotheken erhältlich sind. Im Generellen gibt es keine ernsten Mängel an Medizin, Fachärzten oder Equipment im öffentlichen Gesundheitssystem. Pharmazeutika werden zumeist unter Führung des Gesundheitsministeriums aus dem Ausland importiert. Zusätzlich gibt es für Bürger Privatkrankenhäuser mit Spezialleistungen in größeren Ballungsräumen. Die öffentlichen Einrichtungen bieten zwar grundsätzlich fast alle Leistungen zu sehr niedrigen Preisen an, aber aufgrund langer Wartezeiten und überfüllter Zentren, entscheiden sich einige für die kostenintensivere Behandlung bei privaten Gesundheitsträgern (IOM 2021).

Der Iran wurde von sechs COVID-19-Infektionswellen heimgesucht, seit der Ausbruch von COVID-19 im März 2020 von den Behörden bekannt gegeben worden ist. Die beispiellose und unbekannte Art der Krankheit führte allmählich zu einer starken Belastung des Gesundheitspersonals, insbesondere bei denjenigen, die direkt an der Behandlung von Patienten mit COVID-19 beteiligt waren. Der Iran erlebte einen bemerkenswerten Anstieg der Auswanderungsrate von Krankenpflegern und Ärztinnen in Länder mit hohem Einkommen wie Deutschland, Italien und Kanada (Doshmangir/et al. 7.9.2022).

Rückkehr

Letzte Änderung: 26.01.2024

Die iranische Regierung verfolgt seit langem die Politik, keine zwangsweisen Rückführungen zuzulassen. Freiwillige Rückführungen sind möglich und werden manchmal von den rückführenden Regierungen oder der Internationalen Organisation für Migration (IOM) unterstützt. In Fällen, in denen eine iranische diplomatische Vertretung vorübergehende Reisedokumente ausgestellt hat, werden die Behörden über die bevorstehende Rückkehr der Person informiert (DFAT 24.7.2023).

Das Ansuchen um Asyl im Ausland ist an sich nicht strafbar und auch kein Grund, die iranische Staatsbürgerschaft zu verlieren (MBZ 31.5.2022). Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus (AA 30.11.2022). Eine von der belgischen Herkunfstländerrechercheeinheit CEDOCA im Jänner 2023 durchgeführte Recherche zu diesbezüglichen Fällen blieb ergebnislos (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Im Allgemeinen schenken die Behörden abgelehnten Asylwerbern bei ihrer Rückkehr nach Iran wenig Beachtung. Das australische Außenministerium geht davon aus, dass ihre Aktivitäten (einschließlich Beiträgen in sozialen Medien über Aktivitäten vor Ort) von den Behörden nicht routinemäßig untersucht werden. Die Behörden können allerdings in den sozialen Medien einsehbare Aktivitäten von in Australien (oder anderswo) bekannten Iranern überprüfen (DFAT 24.7.2023) und laut einem von CEDOCA befragten Experten wird es immer üblicher, dass die Behörden Rückkehrer anweisen, ihre Konten in sozialen Netzwerken offenzulegen (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Einer vom niederländischen Außenministerium befragten Quelle zufolge befragen die Behörden fast jede Person, von der sie wissen, dass sie einen Asylantrag gestellt hat, um herauszufinden, was der Grund für den Asylantrag war und ob sich die Person nicht politisch oder religiös betätigt hat. Ob Rückkehrer im Ausland einen Asylantrag gestellt haben, können die Behörden beispielsweise durch Angehörige oder Freunde der Betroffenen erfahren, durch abgehörte Kommunikation oder aufgrund einer Durchsicht von Inhalten in den sozialen Medien (MBZ 9.2023). An Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden, besteht ein Verfolgungsinteresse (AA 30.11.2022).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrer aufgrund der Protestbewegung ab September 2022 verstärkt von den Sicherheitsdiensten überprüft werden. Bereits vor den aktuellen Protesten ist es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen, deren Ausgang sich zum Beispiel der Kenntnis des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland entzieht. Bisher ist dem Auswärtigen Amt kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen dieser Befragungen psychisch oder physisch gefoltert worden sind (AA 30.11.2022). Eine andere Quelle betont, dass aus Europa zurückkehrende Asylwerber gefährdet sind, von den iranischen Behörden befragt, verhaftet und in manchen Fällen auch gefoltert und getötet zu werden, wenn die Behörden sie mit politischem Aktivismus in Verbindung bringen (DIS 7.2.2020).

Es gibt leicht unterschiedliche Ansichten darüber, was das Interesse der Behörden an einem abgelehnten Asylwerber wecken könnte. Allgemein herrscht der Eindruck vor, dass diejenigen, die vor ihrer Ausreise aus Iran Gegenstand negativer behördlicher Aufmerksamkeit waren, bei ihrer Rückkehr mit Reaktionen rechnen müssen. Als weiterer Faktor wird die Art der Informationen genannt, welche Behörden über die Aktivitäten einer Person im Ausland erhalten haben, und ob diese Aktivitäten dem Regime schaden - oder ihm möglicherweise nützen - könnten (Landinfo 21.1.2021). Einer Quelle zufolge spielt der ethnische oder religiöse Hintergrund oder die sexuelle Orientierung eines Rückkehrers für sich genommen keine Rolle. Einer anderen Quelle zufolge können diese Faktoren eine kumulierende Wirkung haben (MBZ 31.5.2022; vergleiche MBZ 9.2023).

Insbesondere in Fällen, in denen Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Im Rahmen der Befragung wird der Reisepass regelmäßig einbehalten und eine Ausreisesperre ausgesprochen (AA 30.11.2022). Wenn Personen mit einem Laissez-Passer anstelle eines regulären Reisedokuments ins Land zurückkehren, kann dies zu Befragungen führen, da dies bedeuten könnte, dass die betroffenen Personen illegal ausgereist sind und/oder um internationalen Schutz im Ausland angesucht haben (CGRS-CEDOCA 10.5.2023; vergleiche MBZ 9.2023). Eine juristische Quelle in Iran vom Dezember 2020 erklärte, dass im Falle einer illegalen Ausreise die häufigste Strafe eine Geldstrafe oder eine Gefängnisstrafe auf Bewährung ist, es sei denn, die Person wird zusätzlich anderer Straftaten verdächtigt. Wenn die Person Iran illegal verlassen hat, um einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen, oder in kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel, Menschenhandel oder Aktivitäten militanter Gruppen an der Grenze verwickelt ist, ist die Reaktion wesentlich schärfer (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).

Einige Mitglieder der iranischen Diaspora kehren regelmäßig nach Iran zurück, zum Beispiel für einen Urlaub oder um Verwandte zu besuchen (MBZ 9.2023). Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob jemand nach der Rückkehr befragt wird. Oft wird erst im Laufe der Zeit klar, ob eine echte Bedrohung vorliegt (MBZ 31.5.2022). Iranreisende - sowohl iranische als auch z. B. deutsche Staatsangehörige - müssen seit einiger Zeit verstärkt damit rechnen, dort willkürlich verhaftet und möglicherweise auch angeklagt zu werden (BMIH/BfV 20.6.2023). Politische Aktivisten und andere, die als Bedrohung angesehen werden, werden beobachtet und haben das Gefühl, sich nicht frei bewegen zu können (MBZ 31.5.2022). Ferner häufen sich seit 2022 gezielte nachrichtendienstliche Ansprachen zum Zweck einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit iranischen Nachrichtendiensten. Dies gilt insbesondere für Personen, die durch iranische Stellen mit einer oppositionellen Gruppierung in Verbindung gebracht werden oder bei denen Kontakte zu Personen aus der oppositionellen Szene vermutet werden. Zudem besteht die Gefahr, dass Mobilfunkgeräte und Informations- und Kommunikationshardware ausgelesen oder manipuliert werden (BMIH/BfV 20.6.2023). Es gibt auch Berichte, dass Einzelpersonen unter Druck gesetzt werden, die Passwörter ihrer Social-Media-Konten herauszugeben. Dadurch erhalten die Behörden Zugang zu sozialen Netzwerken innerhalb und außerhalb Irans (MBZ 9.2023). Eine Befragung von aus dem Ausland zurückkehrenden Iranerinnen und Iranern kann bei der Ankunft am Flughafen durch Geheimdienstmitarbeiter erfolgen (IRINTL 7.1.2022; vgl.MBZ 31.5.2022), oder zu einem späteren Zeitpunkt, in der Wohnung des Befragten und durch die lokalen Behörden (MBZ 31.5.2022). Ebenso kommt es vor, dass es Rückkehrern nach ihrer Ankunft am Flughafen erlaubt wird, nach Iran einzureisen, und sie dann zu einem späteren Zeitpunkt von den iranischen Behörden strafrechtlich verfolgt werden. Einer Quelle zufolge nehmen die Behörden Rückkehrer in der Regel nicht gleich bei der Ankunft am Flughafen fest, weil sie dort sichtbar sind und von den vielen anwesenden Personen mit ihren Handys gefilmt werden könnten. Den Rückkehrern wird dann am Flughafen zum Beispiel gesagt, dass etwas mit ihrem Pass nicht stimmt oder dass ein Bußgeld aussteht, und dass sie sich später an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit melden sollen (MBZ 9.2023).

Es gibt nur wenige Informationen über die Situation von Iranern, die nach Iran zurückkehren, im Allgemeinen und von zurückgekehrten Antragstellern auf internationalen Schutz im Besonderen (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Zum Thema Rückkehrer gibt es nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche CGRS-CEDOCA 10.5.2023). In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und beim Abstandnehmen von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglich vorgebrachten Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr (ÖB Teheran 11.2021).

Das iranische Außenministerium hat im Dezember 2021 ein Webportal eingerichtet, auf dem Iraner, die sich im Ausland aufhalten und eine Rückkehr nach Iran erwägen, ihre Daten hochladen können, woraufhin ihnen mitgeteilt wird, ob sie sicher und ungehindert ein- und ausreisen können oder ob es offene Fälle gegen sie gibt. Allerdings ist nicht jeder in der iranischen Diaspora davon überzeugt, dass dieses System funktioniert und dass er oder sie ohne Bedenken nach Iran reisen kann. Ein Grund dafür ist, dass nicht alle iranischen Nachrichtendienste koordiniert zusammenarbeiten und daher immer die Möglichkeit besteht, dass Rückkehrer dennoch aufgegriffen werden (IRINTL 7.1.2022; vergleiche MBZ 9.2023).

Nach derzeitigem Kenntnisstand können Asylantragsteller bzw. anerkannte Flüchtlinge Kontakt mit iranischen Auslandsvertretungen aufnehmen, um beispielsweise einen neuen iranischen Pass zu beantragen. Fälle von daraus folgenden Repressalien gegen die Antragsteller oder ggf. gegen deren Familien in Iran sind bislang nicht bekannt (AA 30.11.2022). Im April 2022 kündigte das Amt für Personenstandswesen an, hinkünftig "smarte" Identitätsnachweise an im Ausland lebende Iraner auszustellen. Antragsteller können sich unter anderem im iranischen Konsulat in Wien registrieren lassen, um den Identitätsnachweis zu erhalten (TEHT 10.4.2022).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, werden nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind jedoch keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 30.11.2022).

Iran erkennt Doppelstaatsbürgerschaften nicht an (RFE/RL 2.3.2023; vergleiche BBC 7.6.2022) und ist dafür bekannt, Doppelstaatsbürger als Geiseln zu nehmen, und sie in seinen Verhandlungen mit anderen Ländern als Verhandlungsmasse einzusetzen (IRINTL 7.1.2022). Eine Reihe von Doppelstaatsbürgern, die nach Iran zurückkehrten, werden so im Land festgehalten (CHRI 22.1.2022; vergleiche BBC 7.6.2022).

Exiliraner, Behandlung von Aktivisten bei Rückkehr, Auswirkungen der Protestwelle von 2022

Letzte Änderung: 26.01.2024

Der Logik folgend, dass das Überleben des iranischen Regimes dessen wichtigstes Ziel ist, bekämpfen die iranischen Behörden interne und externe Bedrohungen, wo auch immer diese identifiziert werden (UKHO 1.3.2022), wobei die weit gefasste Definition des iranischen Regimes, wer eine Bedrohung für die Islamische Republik darstellt, zum Umfang und Intensität der transnationalen Repressionsbemühungen beiträgt (FH 2021). Die Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen und Einzelpersonen stellt im Inland wie auch [europäischen] Ausland den Schwerpunkt iranischer nachrichtendienstlicher Aktivitäten dar (BMIH/BfV 20.6.2023; vergleiche Säkerhetspolisen 22.2.2023). Iran ist aufgrund der Unruhen und Proteste im eigenen Land verstärkt bemüht, die im Ausland lebenden Dissidentinnen und Dissidenten sowie Regimekritikerinnen und Regimekritiker aufzuklären (BMI/DSN 12.5.2023). Die Aktivitäten iranischer Nachrichtendienste umfassten in Europa, dem Nahen Osten und Nordamerika unter anderem Ermordungen, Entführungen, Einschüchterung im digitalen Raum, den Einsatz von Spionagesoftware (FH 2021; vergleiche Landinfo 28.11.2022), Bewegungseinschränkungen und Interpol-Missbrauch [Anm.: durch das Erstellen von "Red Notices", sodass Personen in Drittstaaten festgehalten werden] sowie Nötigung durch Dritte (FH 2021).

Bei den bekannten Opfern von Mord, versuchtem Mord und Entführung durch iranische Regimekräfte handelt es sich um Führungskräfte großer Oppositionsgruppen oder separatistischer Organisationen wie der Volksmudschahedin (MEK) und dem Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz (ASMLA), sowie um Anführer und Aktivisten der iranisch-kurdischen Exilparteien und Aktivisten im Ausland, die in Iran durch ihre Online-Kampagnen viel Aufmerksamkeit erregt haben (Landinfo 28.11.2022; vergleiche IRINTL 7.1.2024). Es sind Fälle bekannt, in denen iranische Staatsangehörige, insbesondere, wenn diese als Journalisten oder Blogger eine große Reichweite haben und sich kritisch zu politischen Themen in Iran (Menschrechtsverletzungen, Korruption und Bereicherung von Amtsträgern, Frauenrechte, interne Machtkämpfe) geäußert haben, in Drittländern entführt wurden, um sie nach Iran zu verbringen, wo sie in (Schau-)Prozessen verurteilt worden sind (AA 30.11.2022).

Die iranischen Nachrichtendienste bemühen sich aktiv um die Anwerbung von Informanten innerhalb der Oppositionsgruppen (Landinfo 28.11.2022). Ein Experte merkte im Juni 2019 gegenüber ACCORD an, dass es den iranischen Behörden gelungen sei, die meisten oppositionellen Organisationen [im Exil] zu unterwandern (ACCORD 5.7.2019). Im Fokus der Behörden stehen dabei unter anderem die MEK, ethnische Gruppen (ACCORD 5.7.2019; vergleiche Landinfo 28.11.2022) und sunnitische Dschihadisten (ACCORD 5.7.2019). Fälle von aufgedeckten Informanten sind zum Beispiel aus Schweden (betreffend der ASMLA) und den USA (betreffend der MEK) bekannt (Landinfo 28.11.2022). Der Experte hält weiters fest, dass es den iranischen Behörden bewusst ist, dass sich beispielsweise iranische Auslandsstudenten und -studentinnen - auch in der Hoffnung, Asyl oder Bleiberecht zu erhalten - Oppositionsgruppen anschließen oder zum Christentum konvertieren. Dadurch werden diese Personen demnach verwundbar und, sofern sie sich politisch auffällig verhalten, von den iranischen Behörden unter Druck gesetzt. Gerade bei Studenten hat der iranische Staat demnach mehrere Druckmittel, wie etwa beim Verlängern von Reisepässen oder bei Auslands-Aufenthaltsgenehmigungen. Dem Experten sind Fälle bekannt, in denen solche Verlängerungen nicht gewährt worden sind und den Studenten bedeutet worden ist, sich zwecks Unterredung mit den Behörden nach Iran zurückzubegeben (ACCORD 5.7.2019).

Nach Auskunft eines außerhalb Irans lebenden Experten besteht für politisch aktive Personen bei einer Rückkehr ein "größeres" Risiko. Personen, die politisch sehr aktiv oder bekannt sind, können nicht nach Iran zurückkehren. "Einfache" Bürger und Bürgerinnen würden bei der Rückkehr möglicherweise keine Probleme haben, dies ist allerdings sehr einzelfallabhängig. Personen, die in Iran an Protesten teilgenommen haben, dann ins Ausland gegangen sind und dort nicht politisch aktiv waren, müssen nach einer Rückkehr nicht mit Konsequenzen rechnen, es sei denn, es sind Verfahren, Vorwürfe oder Strafen gegen sie anhängig. In diesem Fall würden die betroffenen Personen verhaftet werden. Personen, die im Ausland zwar politisch aktiv waren, es dabei aber geschafft haben, anonym zu bleiben, können laut dem Experten zurückkehren, während es ausgeschlossen ist, dass sie, wenn sie unter ihrem Klarnamen aufgetreten sind, zurückkehren können (IRB 22.2.2021; vergleiche DFAT 24.7.2023).

Ein von CEDOCA befragter Experte geht davon aus, dass die iranischen Behörden Bildmaterial von Teilnehmern an Demonstrationen im Ausland sammeln, betont aber, dass er bislang [Stand 18.11.2022] keine Beweise gesehen hat, wonach sie dann die abgebildeten Personen tatsächlich verfolgen. Laut dieser Quelle ist es unwahrscheinlich, dass die iranischen Behörden Personen, die lediglich an Demonstrationen im Ausland teilnehmen, als hochrangige Ziele betrachten. Derselbe Experte gibt jedoch an, dass er sich hinsichtlich Personen, die an den Protesten teilgenommen haben und nach Iran zurückkehren, Sorgen machen würde, wobei dies nicht bedeutet, dass diese Personen bei der Rückkehr sofort verhaftet werden. Dies hängt vom Profil der Personen ab. Die Organisatoren der Proteste würden bei einer Rückkehr auf Probleme stoßen. Eine andere von CEDOCA befragte Expertin gibt an, dass Agenten des Regimes die iranische Diaspora seit dem Ausbruch der Proteste Mitte September 2022 deutlicher und offener überwachen. Sie führte an, dass iranische Demonstranten im Ausland Personen identifizieren, die Demonstranten filmen, und ihre Gesichter in den sozialen Medien veröffentlichen. Mehrere Personen, die 2009 im Rahmen der Grünen Bewegung vor der iranischen Botschaft in London demonstrierten, berichteten beispielsweise, dass das iranische Konsulat sie als Demonstranten identifizierte und sich weigerte, ihre Konsularangelegenheiten zu bearbeiten. Im Zusammenhang mit den Mitte September 2022 ausgebrochenen Protesten sind bislang keine derartigen Fälle bekannt. Die Bildqualität der Kameras vor Botschaften hat sich inzwischen allerdings verbessert und der iranische Staat verwendet nach Eigenangaben Gesichtserkennungstechnologie (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).

Iranische Aktivisten berichteten unter anderem von Einschüchterungsversuchen in Österreich und Deutschland, beispielsweise durch auffälliges Filmen und Fotografieren von Protestierenden, durch Drohanrufe oder -nachrichten (Standard 29.3.2023; vergleiche BMP 11.3.2023, CGRS-CEDOCA 10.5.2023), und auch durch einen mutmaßlichen Einbruch (BMP 11.3.2023). Sie gehen davon aus, dass die iranischen Sicherheitsbehörden hinter den Vorfällen stecken (Standard 29.3.2023; vergleiche BMP 11.3.2023). Im Herbst 2022 wurde von zwei Angriffen auf Kundgebungen von Exiliranerinnen und -iranern in Berlin berichtet, wobei das Motiv der Angriffe vorerst nicht bekannt war (Zeit online 13.11.2023; vergleiche taz 14.11.2022).

Mizan, das Nachrichtenportal der iranischen Justiz, verkündete im September 2023, dass das Informationsministerium [auch Geheimdienstministerium, VAJA/MOIS] mehrere mutmaßliche Protestanführer im Ausland verhaftet habe. Hierzu ist ein Video veröffentlicht worden, das Geständnisse mehrerer Männer zeigen soll, die in den USA, Deutschland und Großbritannien als Anführer von Demonstrationen in Erscheinung getreten sein sollen (BAMF 18.9.2023; vergleiche Mizan 12.9.2023). Das von Mizan veröffentlichte Video beinhaltet auch mehrere Videomitschnitte aus sozialen wie traditionellen Medien, welche Demonstrationen von Exiliranerinnen und Exiliranern in den genannten Ländern zeigen, wobei unter anderem die Fahnen Kurdistans, der MEK und der Monarchisten sowie Bilder von Shah Reza Pahlewi zu sehen sind (Mizan 12.9.2023). Wann und wo die Männer festgenommen wurden, ging aus dem Bericht nicht hervor. Die Authentizität und der Wahrheitsgehalt der Angaben lassen sich nicht unabhängig verifizieren (BAMF 18.9.2023).

Ein maßgeblicher Teil der Überwachung durch die Sicherheitsbehörden findet online statt (CGRS-CEDOCA 10.5.2023), wobei die Behörden diesbezügliche Bemühungen nach Protestbeginn Mitte September 2022 verstärkt haben (LOT 15.12.2022). Die Behörden überwachen Aktivisten im Exil, haben aber nicht die Kapazitäten, alle von ihnen zu überwachen. Das Regime setzt auf Grundlage seiner Interessen Prioritäten, und diese Prioritäten können sich auch ändern. Gemäß einer von CEDOCA befragten Quelle lag der Fokus mit Stand 13.9.2022 [Anm.: d. h. kurz vor Beginn der umfangreichen Protestwelle] auf Journalisten und Aktivisten ethnischer Minderheiten. Der Quelle zufolge ist die Menge an Kritik, die eine Person am Regime übt, kein wesentlicher Faktor, der das Risiko erhöht, als online-Dissident im Exil überwacht zu werden. Vielmehr bestimmt der Einfluss, den eine Person hat, ob diese für das Regime Priorität hat (CGRS-CEDOCA 10.5.2023), wobei hierbei insbesondere zwei Faktoren ausschlaggebend sind: Zugang zu öffentlicher Aufmerksamkeit und Verbindungen zum Heimatland (Michaelsen 2020). Als einflussreich gilt beispielsweise, wer in Fernsehsendern wie Iran International oder Voice of America (VOA) zu sehen ist. In den sozialen Medien kann die Anzahl der Follower einerseits als gewisser Richtwert gesehen werden, andererseits gibt es dazu keine einfache Formel. Im Zentrum steht vielmehr die Frage, ob es einer Person gelingt, mit ihren Beiträgen den Diskurs mitzuprägen. Eine von CEDOCA befragte Quelle hält es jedenfalls für sehr unwahrscheinlich, dass ein Facebook-Profil von jemandem außerhalb Irans mit rund 500 "Freunden", das die iranische Regierung kritisiert, von den Behörden überwacht wird, wobei die Plattformen twitter.com, Instagram und Telegram bedeutsamer sind, um ein iranisches Publikum zu erreichen, als Facebook oder Blogs (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).

Die Art und Weise, wie iranische Behörden Iraner im Ausland überwachen, hängt vom Ziel ab. Die iranischen Behörden zielen mit Malware auf einige bekannte ("high profile") Dissidenten in der Diaspora ab. Auch Social-Media-Profile von Personen, die nicht zu den profilierten Dissidenten gehören, können überwacht werden. So können die iranischen Behörden beispielsweise lesen, worüber jemand twittert, oder sehen, wer im Netzwerk einer Person ist. Hierfür verwenden die iranischen Behörden öffentlich zugängliche Informationen und überwachen keine privaten [d. h. nicht öffentlich einsehbaren] Konten. Dieser Quelle zufolge haben es die iranischen Behörden bei der Überwachung der iranischen Diaspora v. a. auf Führungspersönlichkeiten und Organisatoren abgesehen, d. h. auf Personen, die eine Gruppe oder Partei anführen oder auf Personen, die von einer Gruppe von Menschen gehört werden. Das Regime könnte hochrangige politische Aktivisten als Bedrohung ansehen und dann ausgeklügelte Cybersecurity-Angriffe gegen sie starten (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Während sich das Regime bei der Überwachung üblicherweise auf bedeutsame Persönlichkeiten fokussiert, sind laut einer anderen Quelle auch Aktivisten aus der "mittleren Ebene" von Hacking-Angriffen betroffen und auch "einfache" Iraner werden mitunter überwacht, da jede Art von Information für die Behörden nützlich ist (IRB 22.2.2021). Eine befragte iranische Rechtsanwältin merkte [im Gespräch über die Verbreitung von christlichen Inhalten in den sozialen Medien] zudem an, dass es Fälle von Personen gibt, die aufgrund von Beiträgen in den sozialen Medien mit geringer Reichweite oder mit privaten Konten Probleme mit den Behörden bekommen haben, weil sie von Personen aus ihrem Umfeld gemeldet wurden. Der Staat ist rechtlich dazu in der Lage, derartige Personen zu verfolgen (MRAI 19.6.2023).

Zwar gibt es keine klaren Kriterien dafür, gegen wen ermittelt wird und wer bestraft wird (DIS 7.2.2020), doch laufen enge Familienmitglieder von politischen Aktivistinnen und Aktivisten (DIS 7.2.2020; vergleiche FH 2021) wie auch von Mitgliedern kurdischer Oppositionsparteien mit Stützpunkt im Nordirak Gefahr, von den Behörden ins Visier genommen zu werden (Landinfo 28.11.2022), nicht jedoch die Großfamilie. Eine andere Quelle widerspricht dem und geht - allerdings ohne Beispiele zu nennen - davon aus, dass die Behörden die Familienangehörigen politischer Aktivisten gut behandeln, um der Welt zu zeigen, dass es in Iran Freiheit gibt, und dass den Rückkehrern kein Leid zugefügt werden wird (DIS 7.2.2020). Im Jänner 2023 wurde von einem Fall berichtet, bei dem eine in Frankreich lebende Iranerin, die an den Protesten nach dem Tod von Mahsa Jina Amini teilgenommen hat, von jemandem, der sich am Telefon als Mitarbeiter des MOIS vorstellte, gedroht wurde, dass ihre in Iran lebenden Eltern und andere Familienmitglieder inhaftiert werden würden, sollte sie von weiteren Aktivitäten gegen das Regime nicht Abstand nehmen (IRINTL 7.1.2023; vergleiche CNN 21.4.2023). Unter anderem wies der MOIS-Mitarbeiter die Iranerin an, auf Instagram keine Inhalte zu den Protesten mehr zu teilen, wobei sie angegeben hat, dass ihr Profil dort auf "privat" gestellt ist und von ihr geteilte Beiträge somit nur von ihren Followern gesehen werden können [Anm.: im Rahmen einer zeitlich begrenzten Recherche konnten keine weiterführenden Informationen dazu gefunden werden, was das Interesse der Behörden an der Person konkret geweckt hat] (IRINTL 7.1.2023). In Iran lebende Familienmitglieder von Journalisten der Farsi-sprachigen Sparte der BBC, BBC Persian (BBC 12.1.2023), und der Farsi-Redaktion der Deutschen Welle berichteten ebenfalls von Drohungen der iranischen Behörden (FAZ 28.11.2023).

Dokumente, Meldewesen und Personenstandsregister

Letzte Änderung: 13.04.2023

Alle iranischen Staatsbürger erhalten bei der Geburtsregistrierung ein Ausweisheft (Shenasnameh) [auch: Familienbuch/Stammbuch]. Dieses ist in zwei Versionen erhältlich: eine für Kinder bis zu 15 Jahren und ein für Personen über 15 Jahren. Das Shenasnameh wird bei Änderungen des Familienstandes und der Familienverhältnisse aktualisiert. Darüber hinaus stellen die iranischen Behörden für iranische Staatsbürger über 15 Jahren einen nationalen Personalausweis aus (Kart-e melli). Dabei handelt es sich inzwischen um eine elektronische Chipkarte, die allmählich zum wichtigsten Ausweisdokument der Iraner im täglichen Leben geworden ist. Sowohl die Shenasnameh als auch die Kart-e melli werden von der Nationalen Organisation für Zivilregistrierung (NOCR) ausgestellt. Die Pass- und Einwanderungspolizei stellt Reisepässe auf der Grundlage von Shenasnameh und Kart-e melli aus (Landinfo 5.1.2021).

Gefälschte bzw. mit falschen Angaben erstellte Dokumente sind in Iran einfach erhältlich (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 30.11.2022). Auch echte Dokumente unrichtigen Inhaltes sind einfach zu beschaffen. Dies betrifft insbesondere die Shenasnameh. So ist es relativ einfach, in eine echte Shenasnameh ein anderes Geburtsdatum eintragen zu lassen. Bei Kindern, die außerehelich geboren werden, wird zumeist ein beliebiger Name als Vater eingetragen, um die Kinder vor Benachteiligungen in der Schule und im Erwachsenenleben zu schützen. Frauen lassen sich nach einer Scheidung häufig eine neue Shenasnameh ausstellen, aus der die gescheiterte Ehe nicht hervorgeht (AA 30.11.2022). Die neuesten Ausgaben von Shenasnameh und Kart-e melli verfügen über fortschrittlichere Sicherheitsstandards als die Vorgängermodelle. Dies hat dazu beigetragen, die Authentizität der iranischen Ausweise zu verbessern. Es sind aber noch immer die alten Versionen in Gebrauch und diese sind weitaus leichter zu manipulieren (Landinfo 5.1.2021).

Sowohl die von iranischen Behörden als auch von der afghanischen Botschaft in Iran ausgestellten Dokumente bestätigen unrichtige Angaben. Eine Überprüfung ist seitens der österreichischen Botschaft nicht möglich. Die Überprüfung von Haftbefehlen kann von der Botschaft aufgrund von Datenschutz nicht durchgeführt werden (ÖB Teheran 11.2021). Auch für Justizunterlagen wie Urteile, Vorladungen etc. kann eine mittelbare Falschbeurkundung nicht ausgeschlossen werden. Denn einerseits ist auch das Justizsystem korruptionsanfällig, andererseits ist es in der iranischen Kultur nicht unüblich, auf der Grundlage von Beziehungsgeflechten Hilfeleistungen und Gefälligkeiten zu erbringen (AA 30.11.2022).

Meldewesen und Personenstandsregister

Es gibt kein, etwa mit dem deutschen, vergleichbares Meldewesen (AA 30.11.2022).

Es gibt ein zentral angelegtes, elektronisches Personenstandsregister (Saseman-e sabt-e Ahwal keschwar), in das Geburt, Eheschließung/Scheidung und Tod eingetragen werden. Registereinträge können von dem jeweiligen Bezirksamt für Personenstandsangelegenheiten erteilt werden. Auskünfte über die bei der Ehe grundsätzlich geschlossenen Eheverträge können zudem von dem Notar erteilt werden, bei dem sie geschlossen worden sind (AA 30.11.2022).

Die offizielle Registrierungsbehörde nimmt alle iranischen Staatsangehörigen in ihre Datenbank auf, nachdem zuvor die Identität durch Polizei- und Informationsdienste festgestellt worden ist. Auslandsvertretungen sind nicht ermächtigt, Auskünfte einzuholen. Ein formales Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren ist nicht bekannt (AA 30.11.2022).

SANA-System/Justizdatenbank Adliran

Durch die sukzessive Digitalisierung des Justizsystems können seit Ende 2016 Justizdokumente über das sog. SANA-System abgerufen werden (AA 30.11.2022). Bürgerinnen und Bürger können sich bei SANA elektronisch registrieren (Website www.sana.adliran.ir), um in der Datenbank Adliran Zugang zu ihren Gerichtsdokumenten zu erhalten (Landinfo/et al. 12.2021). Seit 2019 werden Justizdokumente in allen Provinzen in der Regel fast ausschließlich über diese Datenbank kommuniziert vergleiche Artikel 175, iranische StPO in der Fassung von 2013/14) (AA 30.11.2022). Während die Justiz versucht, elektronische Aufzeichnungen und Zustellungsdokumente über diese Methode zu erstellen, ist sie allerdings von einer landesweiten Akzeptanz der Registrierung bei Adliran noch entfernt. Die Registrierung ist nicht verpflichtend (obwohl dringend empfohlen) und Personen können relevante Rechtsdokumente auch über die traditionelle Zustellungsmethode erhalten, d. h. durch einen persönlich anwesenden Gerichtsvollzieher (Landinfo/et al. 12.2021). Sofern die Dokumente in der Justizdatenbank hinterlegt sind, kann von deren Echtheit ausgegangen werden (AA 30.11.2022).

Die Datenbank kann von Iran aus - oder unter Verwendung einer iranischen VPN-Verbindung - über die folgenden Links abgerufen werden: www.adliran.ir; http://eblagh.adliran.ir und http://eblagh1.adliran.ir. Ein Zugang ist auch über eine Handy-App mit dem Namen "mobile Justiz" (’edālat-e hamrāh) möglich (Landinfo/et al. 12.2021). Der Zugang zum Sana-System war aus dem Ausland aufgrund von Geo-Blocking bisher nicht möglich. Seit dem 21.04.2021 kann die Datenbank unter www.kharej.adliran.com oder unter www.international.adliran.ir auch aus dem Ausland abgerufen werden, um den Status laufender Gerichtsverfahren zu überprüfen. Die Systemabfrage setzt eine vorherige Registrierung der betroffenen Person voraus, die durch persönliche Vorsprache oder eine Art Video-Identitätsverfahren erfolgen kann. Ferner sind v. a. die Kart-e melli-Nummer und eine erreichbare iranische Mobilfunknummer erforderlich, an die ein temporäres Passwort versendet wird (AA 30.11.2022). Auch Dritte können auf die Justizdokumente einer Person zugreifen, wenn sie die zehnstellige "nationale Nummer" des Benutzers (den Benutzernamen) und das sechsstellige temporäre Passwort haben, das per SMS zugesandt wird. So kann jeder, einschließlich Familienmitgliedern und Rechtsvertretern eines Beschuldigten, auf die in der Datenbank gespeicherten Informationen zugreifen und Dokumente ausdrucken, so sie die Zugangsdaten dazu besitzen. Rechtsanwälte können allerdings auch persönlich bei Gericht erscheinen und um Kopien von Akteninhalten ansuchen, so diese vom Gericht zur Akteneinsicht freigegeben wurden (Landinfo/et al. 12.2021).

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Erstbefragung und der Einvernahmen durch das BFA, der Beschwerdeschriftsatz vom römisch 40 2023, die Länderinformationen der Staatendokumentation zu Iran vom 26.01.2024, Version 7, mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, die von den BF eingebrachten Unterlagen und die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am römisch 40 2023.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person der BF:

Die Identitäten der BF stehen aufgrund der vorgelegten authentischen Reisepässe fest. Aus diesen sowie einer VIS-Abfrage ergeben sich die Feststellungen zu den Visa der BF. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppenzugehörigkeit und zur Herkunft beruhen auf den diesbezüglich gleichbleibenden und glaubhaften Angaben der BF1 im Verfahren.

Die Feststellungen zur Ausbildung und zur Berufserfahrung der BF1 ergeben sich aus ihren glaubhaften Angaben (AS 56; Verhandlungsprotokoll Sitzung 12). Ihre Erwerbstätigkeit im Kindergarten im genannten Zeitraum wurde auch von ihrem damaligen Arbeitgeber bestätigt (AS 93).

Dass die BF1 noch verheiratet ist, sich aber in einem laufenden Scheidungsverfahren befindet, konnte aufgrund der diesbezüglichen Angaben der BF1 (Verhandlungsprotokoll Sitzung 10) sowie des vorgelegten Scheidungsantrages festgestellt werden. Dass der Ehemann der BF1 dieser erlaubte, gemeinsam mit den Kindern auszureisen, geht aus den glaubhaften Angaben der BF1 und der vorgelegten – vom Ehegatten abgegebenen – Einverständniserklärung für die Auslandsreise hervor. Die Feststellungen zu den Familienangehörigen der BF ergeben sich aus den Angaben der BF1 (Verhandlungsprotokoll Sitzung 12).

Die BF1 gab glaubhaft an, dass sie über die genannten Familienangehörigen in Österreich verfügt (AS 59; Verhandlungsprotokoll Sitzung 13).

Der Besuch sowie die erfolgreiche Absolvierung des Deutschkurses ergibt sich aus der vorgelegten Anmeldung und dem vorgelegten Zeugnis. Aus ZMR- und GVS-Auszügen ergibt sich, dass die BF in einem gemeinsamen Haushalt leben, nicht erwerbstätig sind und Leistungen aus der Grundversorgung erhalten.

Die Feststellungen, dass die BF1 seit römisch 40 2023 regelmäßig den Gottesdienst besucht und gemeinsam mit dem Pastor die Bibel studiert, ergeben sich aus dem vorgelegten Schreiben des Pastors und den Angaben des Pastors und der BF1 in der Beschwerdeverhandlung.

Dass die BF unter keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohenden Krankheiten leiden, konnte aufgrund der Angaben der BF1 festgestellt werden. Sie gab in der Beschwerdeverhandlung glaubhaft an, dass sie keine körperlichen Probleme habe, aber Tabletten gegen eine Depression einnehme. Dass die BF1 bereits in Iran in psychotherapeutischer Behandlung war, ergibt sich aus der vorgelegten Bescheinigung ihrer iranischen Psychotherapeutin (AS 91) und den Angaben der BF1 (AS 54, 55). Aus den vorgelegten Befunden gehen keine weiteren Krankheiten hervor. Dass der BF2 und die BF3 gesund sind, konnte aufgrund der Angaben der BF1 festgestellt werden (AS 56).

Dass die BF in Österreich strafgerichtlich unbescholten sind, steht aufgrund der Einsichtnahme in aktuelle Strafregisterauszüge fest.

2.2. Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen der BF:

Zum Vorbringen betreffend die Konversion zum Christentum:

Bei ihrer Einvernahme am römisch 40 2023 gab die BF1 an, sie sei grundsätzlich Muslimin, aber sie habe derzeit kein Bekenntnis, weil sie sich selbst eine Religion aussuchen wolle (AS 56). In der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab sie an, sie sei vor etwa zwei Monaten Christin geworden. Sie sei Protestantin und noch nicht getauft (Verhandlungsprotokoll Sitzung 9).

Zunächst ist festzuhalten, dass die BF1 noch nicht aus der islamischen Religionsgemeinschaft ausgetreten ist. Sie hat sich offenbar auch noch nicht mit einem Austritt beschäftigt, denn sie wusste etwa nicht, dass sie auch in Österreich austreten kann (Verhandlungsprotokoll Sitzung 9).

In der Beschwerdeverhandlung führte die BF1 an, sie habe in Iran viele christliche Freunde gehabt und sie habe schon immer die Neigung gehabt, zum Christentum zu konvertieren. Sie habe eine Freundin, die eine Kirche besuchte, regelmäßig begleitet (Verhandlungsprotokoll Sitzung 18). Sie sei Muslimin gewesen, weil sie die Religion von ihrer muslimischen Familie übernommen habe. Sie habe bereits in Iran ohne Bekenntnis gelebt, jedoch aus Zwang ein religiöses Leben geführt, weil ihr Ehemann sehr religiös gewesen sei. Sie sei vier bis fünf Mal mit ihrer Freundin zur Kirche gegangen und sie hätten dabei immer gemeinsam gebetet. Sie habe immer zu dieser Religion geneigt, weil sie den Menschen, den Gläubigen die Gelegenheit einräume, ein neues Leben ohne Sünden anzufangen. Sie habe immer dieser Religion angehören wollen. Diese Religion sei voller Liebe, es gebe keine Zwänge. Es sei keine Religion, die die Kinder der Mutter wegnehme. Ihre Motivation für die Begleitung ihrer Freundin sei gewesen, dass sie immer ein gutes Gefühl, eine innere Ruhe, gehabt habe, wenn sie in der Kirche gewesen sei (Verhandlungsprotokoll Sitzung 19). Diese Angaben sind nicht glaubhaft, denn die BF1 erwähnte ihren Wunsch, zum Christentum zu konvertieren, erstmals in der Beschwerdeverhandlung. Weiters begann sie in Österreich erst etwa ein Jahr nach ihrer Einreise damit, an Gottesdiensten teilzunehmen und sich mit dem Pastor über die Bibel zu unterhalten. Sie gab zwar an, dass sie davor etwa sechs Monate lang in die Kirche am Stephansplatz gegangen sei, jedoch habe sie dort lediglich alleine gebetet (Verhandlungsprotokoll Sitzung 21). Es ist nicht nachvollziehbar, dass sie mit dem Besuch von Gottesdiensten und einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Christentum derart lange gewartet hätte, wenn sie schon in Iran das Bedürfnis gehabt hätte, zum Christentum zu konvertieren. Insbesondere da auch die in Österreich lebende und vor mehreren Jahren zum Christentum konvertierte Cousine der BF1 – welche der BF1 schließlich auch die protestantischen Freikirche "Donau Gemeinde" vorstellte – regelmäßig den Gottesdienst besucht (Verhandlungsprotokoll Sitzung 21), wäre zu erwarten gewesen, dass die BF1 sich (mit Hilfe ihrer Cousine) bereits früher intensiver mit dem Christentum beschäftigen würde. Sie führte auch bei der Einvernahme vor dem BFA an, dass sie grundsätzlich Muslimin sei, aber derzeit kein Bekenntnis habe. Sie wolle sich ihre Religion selbst aussuchen (AS 56). Auch in der Stellungnahme vom römisch 40 2023 und in der Beschwerde vom römisch 40 2023 wurde vorgebracht, dass die BF1 derzeit ohne Bekenntnis lebe.

Nach den Unterschieden zwischen dem Islam und dem Christentum gefragt, gab die BF1 an, sie habe im Islam erlebt, dass Frauen zu Sklavinnen gemacht und ihnen alle Rechte genommen würden. Die Männer hätten alle Rechte, sie dürften auch gleichzeitig mit mehreren Frauen verheiratet sein. Wenn eine Frau ein Vergehen begehe, sei die Strafe die Steinigung. Das sei im Christentum nicht so. Die Menschen dürften nach der christlichen Lehre ihr Leben leben. Ihre Motivation für die Konversion sei, dass im Christentum ihre Sünden zu Lebzeiten vergeben würden und im Islam erst nach dem Tod (Verhandlungsprotokoll Sitzung 20). Weitere Unterschiede konnte die BF1 nicht nennen. Sie begründete das damit, dass sie sich erst seit Kurzem mit der Bibel beschäftige und erst langsam Fortschritte dabei mache, die Unterschiede zwischen den beiden Religionen herauszufinden (Verhandlungsprotokoll Sitzung 21). Dies deutet nicht auf eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Christentum hin und spricht auch gegen eine Konversion aus einer inneren Überzeugung. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die BF1 häufig auf gesellschaftliche Unterschiede zwischen Österreich und Iran und die Ausübung von Grundrechten verweist, die gesetzlich verankert sind und daher keine der jeweiligen Religion innenwohnende Besonderheit sind. So gab sie etwa auch an, sie lehne den Islam ab, weil der Islam eine Religion des Zwanges sei. Alle Rechte, insbesondere der Frauen, würden "unter Frage gestellt". Den Propheten Mohammed lehne sie ab, weil er den Islam begründet und den Koran verbreitet habe (Verhandlungsprotokoll Sitzung 23). Als spezifische religiöse Unterschiede nannte die BF lediglich den Zeitpunkt der Vergebung der Sünden.

Sie habe sich auch mit anderen Religionen beschäftigt, aber der Islam und das Judentum seien extremistische oder fundamentalistische Religionen. Sie würden den Gläubigen ihre Vorschriften aufzwingen wollen. Im Judentum gebe es etwa ein vierundzwanzigstündiges Fasten, das diejenigen, die sie kenne, nicht einhalten könnten. Das Christentum hingegen sei die Religion der Liebe und es lade die Gläubigen ein, mit Liebe Gott und eine innere Ruhe zu erreichen (Verhandlungsprotokoll Sitzung 23, 24). Diesen Ausführungen der BF1 ist entgegenzuhalten, dass auch das Christentum eine Vielzahl an Vorschriften für die Gläubigen kennt. Dies müsste die BF1 auch wissen, wenn sie sich intensiv mit dem Christentum beschäftigt hätte. Zudem besteht für Gläubige aller drei genannten Religionen in Österreich die Möglichkeit, ihren Glauben den eigenen Vorstellungen gemäß auszuüben. Insofern benennt die BF1 hinsichtlich des Zwanges in den Religionen gesellschaftliche Unterschiede zwischen Österreich sowie Iran und nicht etwa religiöse.

Die Frage, warum sie sich für ein evangelisches Bekenntnis entschieden habe, beantwortete die BF1 dahingehend, dass ihre Cousine sie in ihre Kirche mitgenommen habe und sie dort den Pastor der Kirche und dessen Familie sowie andere Gläubige kennengelernt habe. Sie habe ein sehr gutes Gefühl gehabt und sich deshalb gewünscht, Mitglied dieser Gemeinde zu werden (Verhandlungsprotokoll Sitzung 21). Demnach kann festgehalten werden, dass sich die BF1 nicht deshalb dem evangelischen Glauben zuwandte, weil sie nach einer intensiven Beschäftigung damit von diesem überzeugt war. Es sind keine Hinweise hervorgekommen, dass sich die BF mit unterschiedlichen Konfessionen innerhalb des Christentums beschäftigt hätte. Vielmehr besteht der Eindruck, dass die BF1 eine Gemeinschaft suchte, in der sie sich wohlfühlt. Das ist zwar legitim, es kann jedoch nicht davon gesprochen werden, dass sich die BF1 aus einer inneren Überzeugung zum evangelischen Glauben bekennt.

Die BF1 konnte aufgrund der vorstehenden Ausführungen nicht überzeugend darlegen, dass ihrer Motivation für die Konversion zum Christentum spezifische – sich aus dem Christentum ergebende religiöse Gründe – zugrunde lagen. Sie konnte auch kein persönliches Bekehrungserlebnis nachvollziehbar schildern.

Ihren Glauben übe sie in Österreich dadurch aus, dass sie jeden Tag am Vormittag eine Kerze anzünde und bete. Das Gleiche mache sie jeden Abend vor dem Schlafengehen. Jeden Samstag treffe sie den Pastor und sie würden über die christliche Lehre und über die Bibel reden. Jeden Sonntag gehe sie in die Kirche. Ihr Leben habe sich insofern verändert, seit sie Christin sei, als sie das Gefühl der inneren Ruhe erlebt habe. Sie habe das Gefühl, immer, wenn sie bete, würden ihre Gebete in Erfüllung gehen. Sie habe ein Leichtigkeitsgefühl (Verhandlungsprotokoll Sitzung 22). Aus den Angaben der BF1 können keine mit dem Religionswechsel einhergegangenen religionsbezogenen Verhaltens- oder Einstellungsänderung abgeleitet werden. Aus einem Gefühl der inneren Ruhe und einem Leichtigkeitsgefühl lassen sich keine mit dem christlichen Glauben verbundenen besonderen Werte ableiten.

Auf eine mangelnde intensive Auseinandersetzung mit dem Christentum deutet auch die Tatsache hin, dass die BF1 in der Beschwerdeverhandlung kein Gebet vortragen konnte. Sie nannte lediglich das Gebet "Danke" und das "Eucharistie-Gebet", meinte jedoch sie kenne diese nicht auswendig (Verhandlungsprotokoll Sitzung 24). Sie könne kein Gebet auswendig wiedergeben, da sie Neuling sei und sich noch nicht genug mit der christlichen Lehre auskenne. Auch die zehn Gebote konnte die BF1 nicht nennen (Verhandlungsprotokoll Sitzung 25). Die Tatsache, dass die BF1 weder das Glaubensbekenntnis noch das "Vater unser" wiedergeben konnte, legt die Vermutung nahe, dass die BF1 sich nicht aus voller Überzeugung mit dem Christentum beschäftigt. Der Pastor gab zwar an, dass seine Gemeinde stark auf das freie Gebet ausgerichtet ist (Verhandlungsprotokoll Sitzung 30), allerdings handelt es sich bei den genannten Gebeten um zwei der wichtigsten und bekanntesten Gebete des Christentums, die jedem gläubigen Christen bekannt sein sollten. Weiters gab die BF1, wie oben dargelegt an, dass sie jeden Tag am Vormittag und am Abend bete (Verhandlungsprotokoll Sitzung 22). Abgesehen von den Gottesdiensten und den Gesprächen über die Bibel mit dem Pastor an den Wochenenden beschränkt sich die Ausübung des christlichen Glaubens bei der BF1 somit im Wesentlichen auf die täglichen Gebete und das Lesen der Bibel. Auch wenn der Fokus in der Gemeinde auf dem freien Gebet liegt, ist es keinesfalls nachvollziehbar und völlig unplausibel, dass eine Person, die sich aus einer inneren Überzeugung zum Christentum bekennt und nach den eigenen Angaben täglich betet und auch die Bibel studiert, keine Gebete vortragen könnte.

Vollständigkeitshalber ist auch festzuhalten, dass die BF1 noch nicht getauft ist und sie auch noch keinen Taufvorbereitungskurs begonnen hat. Sie hat mit dem Pastor lediglich darüber gesprochen, dass unter Umständen Ende des Jahres 2024 die Taufe stattfinden könnte. Aus den Angaben des Pastors geht allerdings hervor, dass noch kein Tauftermin fixiert ist, sondern lediglich unverbindlich ein möglicher Zeitpunkt in Aussicht gestellt wurde. Die Durchführung der Taufe sei letztlich davon abhängig, ob die Person dafür bereit sei (Verhandlungsprotokoll Sitzung 31, 32)

Die BF1 verfügt über Grundkenntnisse betreffend das Christentum. Sie konnte etwa die vier Evangelisten nennen und wusste auch, dass die Bibel aus dem alten und dem neuen Testament besteht (Verhandlungsprotokoll Sitzung 22).

Obwohl die BF regelmäßig Gottesdienste besucht sowie mit dem Pastor die Bibel studiert und sich zwischenzeitlich oberflächliches Wissen über den christlichen Glauben aneignete (beispielsweise zählte sie in der mündlichen Verhandlung einzelne Feiertage sowie die vier Evangelisten auf, beschrieb eine Bibelstelle und kannte die Gliederung der Bibel in das alte und das neue Testament), gelangte das Gericht aufgrund des in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks, insbesondere der wenig überzeugenden Ernsthaftigkeit der Religionsausübung und Auseinandersetzung mit der von der BF gewählten Konfession, der mangelnden nachvollziehbaren Erläuterung der religionsbezogenen Motive für die Abwendung vom Islam und Hinwendung zum Christentum und der nicht erkennbaren Einstellungs- oder Verhaltensänderung, nicht zur Überzeugung, dass sich die BF aus innerer Überzeugung dem christlichen Glauben zugewandt hätte.

Zum Vorbringen betreffend das fluchtkausale Ereignis:

Die BF1 brachte hinsichtlich des fluchtkausalen Ereignisses im Wesentlichen vor, dass sie bei einer Autofahrt am römisch 40 2022 angehalten und ihr vorgeworfen worden sei, dass sie ihren Schleier nicht ordnungsgemäß trage. Polizeibeamte hätten sie aus dem Auto gezerrt, ihr mit Pfefferspray ins Gesicht gesprüht und sie für eine Nacht inhaftiert. Ihr Gerichtstermin hätte am römisch 40 2022 stattfinden sollen, jedoch sei sie aus Angst vor dem ungewissen Ausgang gemeinsam mit ihren beiden Kindern aus Iran geflohen.

Das diesbezügliche Vorbringen ist nicht glaubhaft. Die BF1 gab bei der Einvernahme vor dem BFA am römisch 40 2023 an, dass es gegen sie ein Ausreiseverbot gebe (AS 60). Sie wisse davon, weil sie eine Person beim Außenministerium kenne, welche wiederum jemanden kenne. Es seien auch einige Leute bestochen worden. So habe sie vom Ausreiseverbot erfahren können (AS 61). In der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab sie hingegen an, es habe eine Person in der österreichischen Botschaft in Iran gegeben, welche sie gefragt habe, ob ein Ausreiseverbot über sie verhängt worden sei. Er habe ihr gesagt, dass es sein kann, dass sie mit einem Ausreiseverbot belegt worden sei. Im Grunde wisse sie selbst nicht sicher, ob ein Ausreiseverbot verhängt worden sei. Sie sei jedoch auf jeden Fall gezwungen gewesen, ein Bestechungsgeld zu zahlen, damit sie keine Probleme bei der Ausreise erhalte (Verhandlungsprotokoll Sitzung 14). Die BF1 gab somit zunächst an, dass ein Ausreiseverbot verhängt worden sei und gab erst in der Beschwerdeverhandlung zu, dass sie eigentlich gar nicht wisse, ob ein Ausreiseverbot bestehe/bestanden habe. Auch die Angaben dazu, wie sie vom Ausreiseverbot erfahren hätte, unterscheiden sich maßgeblich. Es ist nicht nachvollziehbar, wie sich diese Angaben derart signifikant unterscheiden könnten, wenn tatsächlich ein Ausreiseverbot verhängt worden wäre und die BF1 Kenntnis von diesem erlangt hätte. Weiters ist festzuhalten, dass die Ausführungen der BF1 hiezu sehr vage blieben.

Die BF1 gab an, dass sie am römisch 40 2022 (Erstbefragung) bzw. am römisch 40 2022 (1. Einvernahme vor dem BFA) von der Polizei angehalten worden und sie dann eine Nacht inhaftiert gewesen sei. Nach ihrer Entlassung sei ihr mitgeteilt worden, dass am römisch 40 2022 die Gerichtsverhandlung stattfinden werde (AS 61). Es ist nicht plausibel, dass der BF – wenn tatsächlich ein Strafverfahren anhängig gewesen wäre – am römisch 40 2022 ein Reisepass ausgestellt worden wäre und sie am römisch 40 2022, also nur etwas mehr als zwei Monate vor dem Gerichtstermin, ein Visum erhalten hätte. Zudem reiste die BF1 mit ihren Kindern legal auf dem Luftweg vom Flughafen in Teheran nach Österreich. Dass das aufgrund einer Bestechung von Beamten bei der Grenzkontrolle möglich gewesen wäre, ist nicht glaubhaft. Bei der ersten Einvernahme vor dem BFA gab die BF1 an, ihre Mutter habe einen Beamten bei der Grenzkontrolle am Flughafen bestochen. Dann hätten sie über den VIP-Ausgang ausreisen können (AS 57). Bei der zweiten Einvernahme vor dem BFA erklärte sie, sie selbst habe einem Angestellten vom VIP Geld gegeben und in Wirklichkeit zwei bis drei Polizeibeamte bestochen, um ausreisen zu können (AS 115). In der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab die BF1 an, sie habe die Kontrollbeamten des Flughafens bestochen, da ein Ausreiseverbot gegen sie bestanden habe. So habe sie über das VIP-Gate ausreisen können. Die bestochenen Beamten hätten ihr das ermöglicht. Der Bruder ihrer Tante (Frau ihres Onkels ms), der am Zoll des Flughafens beschäftigt sei, habe ihr erklärt, dass sie durch die Bezahlung eines Bestechungsgeldes über das VIP-Gate ausreisen könnten. Sie habe eine Bankkontonummer erhalten und habe vier bis fünf Tage vor dem Abflug das verlangte Bestechungsgeld auf dieses Bankkonto überwiesen. Sie wisse nicht an wen das Geld gegangen sei. Sie habe keinen Kontoauszug, weil sie ihr Bankkonto in Iran gesperrt habe, seitdem sie diese Probleme habe. Auf Nachfrage gab sie an, ihre Konten seien seitens der Regierung gesperrt worden (Verhandlungsprotokoll Sitzung 13, 14). Diese Angaben zur Bestechung sind vage und widersprüchlich. Zunächst behauptete die BF1 ihre Mutter habe einen Beamten bestochen, bei den weiteren Befragungen hingegen, dass sie selbst jemanden bestochen habe. Auch die Angaben dazu, wer bestochen wurde, sind widersprüchlich. Zunächst war es ein Beamter, dann ein Angestellter und zwei bis drei Polizeibeamte und in der mündlichen Verhandlung behauptete sie, sie habe die Kontrollbeamten des Flughafens bestochen, wobei sie gar nicht gewusst hätte, an wen das Geld konkret gegangen wäre. Weiters erwähnte sie erst in der mündlichen Verhandlung, dass ihr ein Bekannter – der Bruder ihrer Tante – bei der Ausreise geholfen hätte. Auch, dass die Bezahlung per Überweisung erfolgt sei, behauptete die BF1 erstmals in der mündlichen Verhandlung. Die BF1 legte jedoch weder einen Kontoauszug vor, aus dem die Überweisung hervorgeht noch konnte sie ihre Behauptung, dass ihr Konto gesperrt worden sei, in irgendeiner Form belegen. Es ist auch festzuhalten, dass die Angaben der BF1 zu dieser Bestechung im gesamten Verfahren sehr vage blieben und sie ihren kurzen Ausführungen lediglich auf Nachfrage etwas hinzufügte.

Wenn die BF1 bei ihrer ersten Einvernahme vor dem BFA angab, dass ihr Vater festgenommen worden sei, weil sie nicht zum Gerichtstermin erschienen sei, und er gegen eine Kaution in der Form des Grundbuches seines Hauses freigelassen worden sei (AS 60), ist hiezu anzuführen, dass die BF1 dies weder bei dieser Einvernahme noch bei ihren weiteren Einvernahmen genauer ausführte und sie auch keinerlei Nachweise (etwa eine Bestätigung der Hinterlegung der Kaution) vorlegte.

Die BF1 legte zwar zwei Ladungen des Gerichtshofes der Provinz Teheran vor, wonach sie zur Verhandlung erscheinen müsse. Die Verhandlung betreffe die Anzeige gegen die BF1 wegen der Anwesenheit in der Öffentlichkeit ohne Tragen des Hijab und Ablegen des Hijab im Privatfahrzeug sowie die Nichtbeachtung einer Anhaltung durch die Sittenpolizei und die Beleidigung der Beamten der Sittenpolizei. Weiters legte die BF1 ein Schreiben ihrer iranischen Rechtsanwältin vor, worin die ihr drohende Strafhöhe erläutert wurde. Hiezu ist zunächst festzuhalten, dass lediglich Kopien vorgelegt wurden. Aus den Länderfeststellungen geht hervor, dass gefälschte bzw. mit falschen Angaben erstellte Dokumente in Iran einfach erhältlich sind. Auch echte Dokumente unrichtigen Inhaltes sind einfach zu beschaffen. In den beiden vorgelegten Ladungen ist auch nicht der römisch 40 2022 – den die BF1 wiederholt als Termin nannte – als Verhandlungstermin angeführt, sondern spätere Daten.

Zur "westlichen Orientierung":

Die BF1 hat erkennbar eine Lebensweise angenommen und verinnerlicht, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den in Iran verbreiteten gesellschaftlichen und religiösen Werten, insbesondere, wie sich Frauen zu kleiden und zu verhalten haben, darstellt. Es ist davon auszugehen, dass eine derartige "westliche" Lebensführung dem konservativen iranischen bzw. islamischen Gesellschaftsbild und der strikten Interpretation der Scharia widerspricht und als "unislamisch" angesehen wird. Zudem tritt die BF1 regimekritisch auf.

Die BF gab glaubhaft an, dass sie wöchentlich an Demonstrationen am Stephansplatz, in der Mariahilfer Straße sowie vor der iranischen Botschaft teilnahm. Sie habe keine Funktion oder besondere Aufgabe bei der Demonstration erfüllt. Die BF1 kritisierte die iranische Regierung auch im Rahmen ihrer Einvernahmen vor dem BFA. Die Regierung sei ein "Blutsauger". Damit meine sie, die Regierung sauge das Blut der Bevölkerung. So seien etwa siebenjährige Kinder auf dem Schulweg getötet worden und nur, weil Frauen, ihr Kopftuch nicht richtig tragen würden, würden viele Leute inhaftiert, gefoltert und hingerichtet (AS 62). Viele ihrer Landsleute seien getötet worden. Das Einzige, das sie aus der Ferne tun könne, ist sich zu versammeln und zu demonstrieren sowie den Menschen in Iran Videos zu schicken, damit sie erfahren würden, dass es auch im Ausland Demonstrationen gebe (AS 141). Sie poste Beiträge zu den Demonstrationen auf Instagram, um ihre Landsleute zu verteidigen. Wegen derartiger Umstände, die in Iran herrschen würden, sei sie nach Österreich gekommen. Die Teilnahme an den Demonstrationen sowie die Veröffentlichung von Fotos der Demonstrationen und anderer regimekritischer Beiträge belegte die BF1 auch durch die Vorlage von Screenshots. Die BF1 teilte unter anderem Beiträge über die Unterdrückung von Frauen in Iran sowie über die Tötungen von iranischen Frauen (etwa Armita Gravand und Mahsa Jina Amini). Sie legte auch ein Foto vor, das sie bei einer Demonstration zeigt, bei der sie unter anderem ein Bild von Mahsa Jina Amini hält und sie hinter einem Banner steht, auf dem unter anderem die Slogans "Nein zu erzwungenen Geständnissen" und "Nein zur Folter" stehen. Sie teilte auch einen Beitrag mit dem Hashtag "StopExecutionsInIran". Dass die BF1 in einem von "BBC Persian" veröffentlichten Video bei einer regierungskritischen Demonstration zu sehen ist sowie die Abonnentenzahl, konnte nach einem Aufruf des in einem Schreiben der Regierungsvorlage genannten Links sowie des Instagram-Profils von "BBC Persian" überprüft bzw. abgefragt werden.

Die BF1 gab in der Erstbefragung an, sie habe sich von ihrem Ehemann, der um 17 Jahre älter sei als sie, scheiden lassen wollen, aber ihr Ehemann hätte dann das alleinige Sorgerecht für beide Kinder erhalten. Als Frau habe sie in Iran keinerlei Rechte. Sie habe sich bereits in Iran in Psychotherapie gefunden. Bei den Einvernahmen vor dem BFA gab sie an, dass sie sich ihre Religion selbst aussuchen wolle. Ihr Arbeitsverhältnis habe sie beenden müssen, weil ihr Ehemann ihr nicht mehr erlaubt hätte, im Kindergarten zu arbeiten (AS 56). Sie sei in ihrer Ehe sehr eingeschränkt gewesen, da ihr Ehemann mit vielen Sachen nicht einverstanden gewesen sei. In Iran hätten die Männer alle Rechte. Im Fall der Scheidung hätte sie auf alles verzichten müssen und sie hätte auch ihre Kinder verloren. Auch wenn sie auf alles verzichtet hätte, wäre das Einverständnis ihres Ehemannes für die Scheidung erforderlich gewesen (AS 116). Frauen hätten in Iran keine Rechte zum Leben und in Bezug auf ihre eigenen Kinder keine Rechtsansprüche (AS 61,62). Bei ihrer Einvernahme vor dem BFA am römisch 40 2023 trug die BF1 ein T-Shirt mit dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit" und sie gab an, damit wolle sie die Frauenbewegung in Iran unterstützen (AS 62). Auch aus der vorgelegten Bescheinigung der Psychotherapeutin der BF1 in Iran geht hervor, dass aufgrund des großen Altersunterschieds, der verschiedenen Kultur und des verschiedenen Lebenslevels sowie des ungleichen Denkens in Bezug auf die Zukunft und die Erziehung der Kinder viele Probleme zwischen den Eheleuten hervorgegangen seien (AS 91). Sie gab auch glaubhaft an, dass sie in Iran gezwungenermaßen ein religiöses Leben führte, weil ihr Ehemann sehr religiös ist (Verhandlungsprotokoll Sitzung 19). Die BF1 konnte mit diesen Ausführungen glaubhaft darlegen, dass sie sich von ihrem Ehemann scheiden lassen wollte, aufgrund der rechtlichen Gegebenheiten in Iran jedoch keine reale Möglichkeit für sie bestand, eine Ehescheidung durchzuführen. Sie wurde in der Ehe unterdrückt und hätte im Fall der Scheidung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit unter anderem das Sorgerecht für ihre Kinder verloren, signifikante finanzielle Einbußen sowie potentielle gesellschaftliche Nachteile erlitten. Nachdem ihr Ehemann ihr die Ausübung ihrer Erwerbsarbeit nicht mehr erlaubte, musste sie diese aufgeben. Die BF1 stellte mittlerweile einen Scheidungsantrag und unternahm damit weitere konkrete Schritte, um in Zukunft ein von ihrem Ehemann unabhängiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Die BF1 gab glaubhaft an, dass sie in Österreich Physiotherapie studieren wolle (AS 143). Sie belegte auch, dass sie bereits einen Deutschkurs im Rahmen des Sprachenzentrums der Universität Wien absolvierte, um das erforderliche Deutsch-Niveau für die Zulassung zum Studium zu erreichen. Sie zeigt damit Bestrebungen zur Weiterbildung und einer selbstbestimmten Wahl ihrer beruflichen Zukunft, die ihr in Iran aufgrund des Verbotes durch ihren Ehemann versagt war. In der Stellungnahme vom 12.04.2023 wurde vorgebracht, dass die BF1 sich im Fall einer Rückkehr nicht freiwillig dem Hijab-Zwang unterwerfen würde. Die BF1 trägt in Österreich keinen Hijab, wie etwa aus den vorgelegten Fotos von den Demonstrationen, der Einsicht in Veröffentlichungen der BF1 in sozialen Medien und einem persönlichen Eindruck bei der Beschwerdeverhandlung hervorgeht. Auch in der Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA am römisch 40 2023 wurde festgehalten, dass die BF1 ein T-Shirt mit dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit" trage, was auch für einen "westlichen" Kleidungsstil spricht. Es ist zwar festzuhalten, dass alleine aus dem Kleidungsstil keine "westliche Orientierung" abgeleitet werden kann, allerdings wird dadurch auch der in der mündlichen Verhandlung gewonnene Eindruck der "westlichen Orientierung" der BF1 bestätigt. In der Beschwerdeverhandlung wurde durch das gesamte Auftreten der BF1 ersichtlich, dass die BF1 nicht nach den iranischen gesellschaftlichen-religiösen Traditionen lebt, sondern einen "westlichen" Lebens- und Bekleidungsstil pflegt und weiterhin leben möchte. Das "westliche" Erscheinungsbild, ihre Bestrebungen nach Weiterbildung, einer selbstbestimmten Berufswahl sowie einer von den Vorgaben ihres Ehemannes unabhängigen Lebensführung lassen eine "westliche" Lebensweise erkennen, die die BF1 in Iran nicht frei ausleben könnte. Auch durch die bei den Demonstrationen sowie in sozialen Medien geäußerte Kritik am iranischen Regime konnte die BF1 glaubhaft vermitteln, dass sie nicht mit der Situation der Frauen in Iran sowie der Unterdrückung fortschrittlicher Kräfte und der Niederschlagung der Proteste sowie der Verhängung der Todesstrafe einverstanden ist. Zudem verwies die BF1 – wie oben dargelegt – im Rahmen ihrer Ausführungen zur Konversion häufig auf gesellschaftliche Unterschiede zwischen Österreich und Iran und die Ausübung von Grundrechten.

Die BF1 hat ihre Unzufriedenheit mit der in Iran vorgegebenen Lebensweise für Frauen und ihre Ablehnung des politischen/religiösen Systems von Iran, insbesondere in Bezug auf die Beschneidung der Rechte der Frauen und das Vorgehen der iranischen Regierung/Führung gegen Andersdenkende, ins Treffen geführt, dies widerspiegelt sich in ihrem öffentlichen Auftreten gegen die iranische Regierung/Führung und das politische/religiöse Systems von Iran und in ihrem außenwirksamen Eintreten für Frauenrechte (nach einem "westlichen" Verständnis) und Unterstützen der aktuellen Protestbewegung. Damit hat sie eine Haltung dargelegt, die Kritik an der iranischen Regierung/Führung und am politischen/religiösen/gesellschaftlichen Systems von Iran nimmt. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen eine derartige – unter den Verhältnissen in Iran als "unislamisch" bzw. "politisch oppositionell" zu qualifizierende – Anschauung bei der BF1 nicht tatsächlich bestehen sollte.

Die BF1 konnte somit glaubhaft vermitteln, dass sie mit der Situation von Frauen in Iran nicht einverstanden ist und sie ein selbstbestimmtes Leben führen will. Sie tritt als selbstbewusste und emanzipierte Frau auf, für die das Leben als gleichberechtigtes Mitglied in einer Gesellschaft zur Selbstverständlichkeit und Identität geworden ist. Die BF1 hat in Österreich damit eine Lebensweise angenommen, in welcher die Anerkennung, die Inanspruchnahme und die Ausübung ihrer Grundrechte derart zum Ausdruck kommt, dass sie zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden sind.

Ihre Lebensweise steht nicht mit den in Iran vorherrschenden sozialen Normen und Geschlechterrollen im Einklang. Aus den Länderfeststellungen geht hervor, dass verschiedene gesetzliche Verbote es Frauen unmöglich machen, im gleichen Maße wie Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (strenge Kleiderordnung, Verbot des Zugangs zu Sportveranstaltungen, Genehmigungsvorbehalt des Ehemannes oder Vaters bezüglich Arbeitsaufnahme oder Reisen). In rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind iranische Frauen also vielfältigen Diskriminierungen unterworfen. Iran hat die "Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" als einer von wenigen Staaten weltweit nicht unterzeichnet. Im Global Gender Gap Report 2022 des World Economic Forum liegt Iran auf Platz 143 von 146. Frauen sind von einigen staatlichen Funktionen (ua. Richteramt, Staatspräsident) ausgeschlossen. Dem Gesetz nach müssen alle Frauen in Iran ab einem Alter von neun Jahren die islamischen Bekleidungsvorschriften in der Öffentlichkeit einhalten. Frauen, die in der Öffentlichkeit ohne "angemessene Kleidung", wie z. B. einen Stoffschal über dem Kopf (Hijab) und einem Mantel, oder einen Tschador [bodenlanger Umhang, der nur das Gesicht freilässt] auftreten, können zu Auspeitschung oder einem Bußgeld verurteilt werden. In Ermangelung einer klaren gesetzlichen Definition von "angemessener Kleidung", oder der damit verbundenen Bestrafung, sind Frauen dem Ermessen der Disziplinar- und Sicherheitskräfte ausgesetzt. Eine Frau, die ihre Haare oder die Konturen ihres Körpers nicht verhüllt, kann mit einer Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) und/oder einer Geldbuße bestraft werden. Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich. Die Sittenpolizei "Gasht-e Ershad" ist in Iran gefürchtet und wendet bei Kontrollen regelmäßig Gewalt an. Darüber hinaus wurden einige Frauen, die sich an Online- und Offline-Kampagnen gegen den Hijab beteiligt haben, wegen Sicherheitsdelikten angeklagt, da sie den Hijab in der Öffentlichkeit nicht korrekt getragen hatten. Die Regierung will mit neuen Regeln v. a. öffentliche und private Angestellte dazu bringen, Frauen, die gegen die Kleidungsvorschriften verstoßen, zu melden. Auch nach den landesweiten Protesten seit September 2022 bekräftigten iranische Regierungsvertreter ihre Entschlossenheit, die Hijabpflicht für Frauen weiter durchzusetzen. Im September 2023 stimmte das iranische Parlament einem Gesetzesentwurf zu Hijab- und Keuschheitsregeln zu, der erweiterte Strafen bei Verstößen wie der "Verbreitung und Förderung von Nacktheit", "Unsittlichkeit", Hijab-Verletzungen oder "unangemessene Kleidung" in der Öffentlichkeit, in sozialen oder in ausländischen Medien vorsieht. Eine Erweiterung der Zuständigkeiten von Sicherheitsbehörden für die Überwachung und Durchsetzung der Kleiderordnung ist ebenfalls vorgesehen. Vor Gericht werden bei Prozessen wegen Verstößen gegen die Hijabpflicht unter anderem auch Beiträge in den sozialen Medien als Beweise herangezogen. Zahlreiche Beschränkungen zielen auf Frauen in Sport und Kultur ab (Verbot des Singens außer im Chor, Verbot des Tanzens, Verbot des Zugangs zu Fußballstadien, etc.). Die Regierung Raisi hat angekündigt, das Verbot für Frauen, Rad und Motorrad zu fahren, streng durchzusetzen. Die ultrakonservative Regierung wird die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt nicht vorantreiben, weil sie die traditionelle Rolle der Frau in der islamischen Familie stärken und die Geburtenrate erhöhen will. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und die beruflichen Möglichkeiten für Frauen sind durch soziale und rechtliche Regelungen eingeschränkt, mit dem Ziel der Beschränkung von Frauen auf deren Rolle als Mutter und Ehefrau. Oftmals wird von Frauen das Einverständnis des Ehemannes oder Vaters verlangt, um eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können. Gesetzlich kann ein Ehemann seiner Ehefrau jederzeit verbieten, arbeiten zu gehen. Stellenausschreibungen werden oft geschlechtsspezifisch nur für Männer ausgeschrieben. Regelmäßig werden Frauen nach Rückkehr aus der neunmonatigen Karenz gekündigt. Die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit verhindern den gewerkschaftlichen Zusammenschluss erwerbstätiger Frauen. Konservative Politiker haben in der Vergangenheit mehrmals versucht, die Erwerbstätigkeit von Frauen weiter einzuschränken oder in manchen Sektoren zu verbieten. Da alle einfachgesetzlichen Normen mit der Scharia vereinbar sein müssen und in Iran einer traditionellen Rechtsauslegung der Scharia gefolgt wird, kommt es v. a. in den Bereichen zum Ehe- und Scheidungsrecht, dem Sorgerecht und bei Erbschaftsangelegenheiten zu erheblichen Benachteiligungen für Frauen. Prägend ist dabei die Rolle der (Ehe-) Frau als dem (Ehe-) Mann untergeordnet, wie sich sowohl in Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechtes, der Ehescheidung als auch des Erbrechts erkennen lässt. Beispielsweise darf eine verheiratete Frau ohne die schriftliche Genehmigung ihres Mannes (oder Vaters) keinen Reisepass erhalten oder ins Ausland reisen. Nach dem Gesetzbuch für Zivilrecht hat ein Ehemann das Recht, den Wohnort zu wählen, und kann seine Frau daran hindern, bestimmte Berufe auszuüben. Im Straf- bzw. Strafprozessrecht sind Mädchen bereits mit neun Jahren vollumfänglich strafmündig (Buben mit 15 Jahren). Es ist Männern gesetzlich erlaubt, bis zu vier Ehefrauen und eine unbegrenzte Anzahl von "Ehefrauen auf Zeit" zu haben, basierend auf einem schiitischen Brauch, der zivile und religiöse Verträge mit begrenzter Dauer zulässt. Das Gesetz gewährt Frauen kein Recht auf mehrere Ehemänner. Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Gesetze zur Verhinderung und Bestrafung geschlechtsspezifischer Gewalt existieren nicht. Vergewaltigung ist illegal und unterliegt strengen Strafen, einschließlich der Todesstrafe. Das Gesetz betrachtet Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe per Definition als einvernehmlich und behandelt daher keine Vergewaltigung in der Ehe, auch nicht in Fällen von Zwangsheirat. Die meisten Vergewaltigungsopfer melden Verbrechen nicht, weil sie staatliche Vergeltungsmaßnahmen oder Strafen für Vergewaltigungen befürchten, wie zum Beispiel Anklagen wegen Unanständigkeit, unmoralischem Verhalten oder Ehebruch. Ehebruch wiederum ist ebenfalls mit der Todesstrafe bedroht. Auch gesellschaftliche Repressalien oder Ausgrenzung werden von Vergewaltigungsopfern befürchtet. Sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz und in der Familie sind weit verbreitet, für die Männer herrscht gänzliche Straflosigkeit. Zu Beginn des laufenden akademischen Jahres sind im Zuge vermehrter Kontrollen der Einhaltung islamischer Bekleidungsvorschriften auch Maßnahmen zur Geschlechtertrennung im akademischen Umfeld verstärkt worden. Im November 2023 berichteten Medien, dass Studenten aufgrund der Teilnahme an einer gemischtgeschlechtlichen Studentenfeier an der Universität Ghom mit Studienverboten von einem bis vier Semestern belegt wurden.

Unter Zugrundelegung dessen ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die BF angesichts des sie in ganz Iran als Frau, die als (vermeintlich) gegen die sozialen Normen bzw. Sitten verstoßend wahrgenommen würde, betreffenden Risikos, Opfer von gewalttätigen Übergriffen und massiven Einschränkungen zu werden, keinen ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.

Die BF1 gab im Laufe des Verfahrens wiederholt an, dass ihre Kinder, der BF2 und die BF3, keine eigenen Fluchtgründe hätten.

2.3. Zu den Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zum Herkunftsland der BF basieren auf den angeführten Länderberichten zur aktuellen, im Hinblick auf das gegenständliche Verfahren relevanten Situation in Iran. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß Paragraph 6, BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. römisch eins 2013/33 in der Fassung BGBl. römisch eins 2013/122, geregelt (Paragraph eins, leg.cit.). Gemäß Paragraph 59, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, Bundesgesetzblatt Nr. 194 aus 1961,, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, Bundesgesetzblatt Nr. 173 aus 1950,, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, Bundesgesetzblatt Nr. 29 aus 1984,, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Paragraph eins, BFA-VG, BGBl. römisch eins 2012/87 idgF bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und im FPG bleiben unberührt.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (Paragraph 28, Absatz eins, VwGVG).

Zu A)

3.2. Zur Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides):

3.2.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, Asylgesetz 2005 (AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche etwa VwGH 19.01.2023, Ra 2022/20/0313, mwN). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH v. 26.02.1997, Zl. 95/01/0454; VwGH v. 09.04.1997, Zl. 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse vergleiche VwGH v. 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; vergleiche auch VwGH v. 16.02.2000, Zl. 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen vergleiche Artikel 9, Absatz eins, der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen vergleiche VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).

Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht vergleiche VwGH 23.01.2019, Ra 2018/01/0442, mwN). Die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung ist auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden VwG vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom VwG nicht getroffen werden vergleiche VwGH 28.06.2018, Ra 2018/19/0262, mwN).

Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen vergleiche VwGH 01.09.2021, Ra 2021/19/0233, mwN).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. - im vorliegenden Fall - des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste vergleiche VwGH 12.06.2020, Ra 2019/18/0440, mwN).

Im Rahmen einer "Wahrunterstellung" wird geprüft, ob im Fall der hypothetischen Richtigkeit des Vorbringens zum Sachverhalt aus den geltend gemachten Tatsachen – allenfalls in Verbindung mit bereits feststehenden Sachverhaltselementen – der behauptete Rechtsanspruch überhaupt begründet werden kann. Ist dies nicht der Fall, bedarf es keiner Ermittlungen und Feststellungen zur Richtigkeit des (allenfalls: übrigen, noch keinen Feststellungen unterworfenen) sachverhaltsbezogenen Vorbringens vergleiche VwGH 25.06.2019, Ra 2019/19/0032, mwN).

3.2.2. Hinsichtlich der behaupteten Konversion ist zunächst auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, wonach es gerade bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung ankommt, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist vergleiche VwGH 26.01.2023, Ra 2022/19/0103, mwN; siehe auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 23.09.2019, E 450/2019).

Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel vergleiche VwGH 21.11.2022, Ra Ra 2022/18/0189, mwN).

In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist entscheidend, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden vergleiche VwGH 07.05.2018, Ra 2018/20/0186, mwN).

Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es darauf an, ob der Asylbewerber aufgrund der Ausübung der Religionsfreiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden vergleiche das Urteil des EuGH vom 5.9.2012, C-71/11 bzw. C-99/11).

Für die Frage des Vorliegens des geltend gemachten Nachfluchtgrundes der Konversion des Fremden zum Christentum kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Fremde schon im Herkunftsstaat mit dem Christentum in Berührung gekommen ist vergleiche das Erk. des VwGH vom 17.9.2008, Zl. 2008/23/0675 hinsichtlich eines iranischen Staatsangehörigen).

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt, konnte die BF1 aufgrund der aufgetretenen Ungereimtheiten in Zusammenhang mit der Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, der wenig überzeugenden Motive für den Religionswechsel und der fehlenden Darlegung einer Verhaltens- oder Einstellungsänderung sowie der nicht vorhandenen Auseinandersetzung mit verschiedenen Konfessionen des Christentums nicht glaubhaft machen, dass sie in Österreich ernsthaft zum christlichen Glauben konvertiert ist, obwohl sie regelmäßig Gottesdienste besucht und sich zumindest oberflächliches Wissen des christlichen Glaubens aneignete. Für das Gericht steht daher fest, dass es sich in ihrem Fall um eine Scheinkonversion handelt und ist nicht davon auszugehen, dass sie das Bedürfnis hat, im Falle einer Rückkehr die christliche Religion zu praktizieren, nach außen zu tragen oder gar missionarisch tätig zu sein.

3.2.3. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Herkunftsstaat zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen vergleiche etwa VwGH 28.06.2018, Ra 2017/19/0579; 23.01.2018, Ra 2017/18/0301 bis 0306, mwN).

Wie beweiswürdigend dargelegt, hat die BF1 eine Lebensweise angenommen und als wesentlichen Bestandteil ihrer Identität verinnerlicht, in der die Anerkennung und Inanspruchnahme ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt und die ein Abweichen von der in Iran vorherrschenden Geschlechterrolle bedeutet. Sie lebt nicht nach der konservativ-iranischen Tradition, lehnt die Umstände, Lebensverhältnisse und Kleidungsvorschriften für Frauen in Iran ab und kann sich auch nicht vorstellen, nach der konservativ-iranischen Tradition zu leben; eine Unterdrückung ihrer praktizierten, nachhaltig verinnerlichten und nach außen getragenen Lebensweise ist der BF1 nicht zumutbar. Die Lebensweise der BF1 stellt einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Iran dar. Es ist zu prognostizieren, dass die BF1 im Falle ihrer Rückkehr nach Iran als sich nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benehmend wahrgenommen würde und aus diesem Grund mit hoher Wahrscheinlichkeit Eingriffen – seitens der Sittenpolizei bzw. anderer iranischer Behörden oder seitens Privatpersonen – von derart erheblicher Intensität in ihre persönliche physische und/oder psychische Sphäre, insbesondere willkürlichen gewalttätigen Übergriffen und Bestrafungen, struktureller Gewalt, einem Klima ständiger latenter Bedrohung und Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit und dem Zugang zu Bildung und Erwerbstätigkeit, ausgesetzt sein würde, welche eine Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme staatlichen Schutzes begründen. Wie aufgezeigt, würde ihr bezüglich dieser drohenden Eingriffe – sofern diese nicht ohnehin bereits von staatlicher Seite erfolgen – auch kein effizienter staatlicher Schutz zukommen. Der BF1 droht somit im Fall einer Rückkehr nach Iran mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung. Das dargestellte Verfolgungsrisiko liegt in der Zugehörigkeit der BF1 zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der Gruppe der am "westlichen" Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten iranischen Frauen vergleiche dazu VwGH 20.06.2002, 99/20/0172, mwN).

Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für die BF1 nicht, zumal im gesamten Staatsgebiet von Iran von einer Situation auszugehen ist, in der die BF1 aufgrund ihrer Lebensweise einem erhöhten Sicherheitsrisiko und den daraus resultierenden Einschränkungen ausgesetzt ist. Die iranische Regierung übt im gesamten Staatsgebiet die Herrschaftsgewalt aus und die BF1 wäre somit in keiner Region vor staatlicher Verfolgung sicher.

Da auch keiner der in Artikel eins, Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, ist der BF1 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.2.4. Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005 ist Familienangehöriger wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat.

Stellt ein Familienangehöriger iSd Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005 von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß Paragraph 34, Absatz eins, AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes. Die Behörde hat gemäß Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (Paragraph 2, Absatz 3, Asylg 2005) und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 7, AsylG 2005).

Gemäß Paragraph 34, Absatz 4, AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Absatz 2 und 3 des Paragraph 34, AsylG 2005 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.

Die BF1 ist die Mutter der minderjährigen BF2 und BF3. Die BF2 und BF3 sind damit Familienangehörige der BF1 im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005.

Ein in Paragraph 6, AsylG 2005 genannter Asylausschlussgrund ist im Verfahren für die BF2 und BF3 nicht hervorgekommen.

Da die BF1 – wie oben dargelegt – der Status des Asylberechtigten zu gewähren war, war dieser Status gem. Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 auch ihren minderjährigen und ledigen Kindern, den BF2 und BF3, zuzuerkennen.

3.2.5. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2024:W242.2277442.1.00