Bundesverwaltungsgericht
13.05.2024
W242 2217021-2
W242 2217021-2/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HEUMAYR als Einzelrichter über die Beschwerde der römisch 40 , geb. römisch 40 , Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, Pulverturmgasse 4/2/R1, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 2022, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am römisch 40 2022, zu Recht:
A)
römisch eins. Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 , geb. römisch 40 , gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 , geb. römisch 40 , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
römisch II. Die Spruchpunkte römisch II. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
römisch eins.1. Zum Vorverfahren:
Die zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine iranische Staatsangehörige, reiste gemeinsam mit ihren Eltern im Jahr 2018 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte am römisch 40 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Zuge der Erstbefragung am römisch 40 2018 führte die BF zu ihren Fluchtgründen aus, dass sie wegen der Probleme ihres Vaters geflohen seien und sie Angst habe, dass er verhaftet und getötet werde, sodass sie ihn nicht mehr sehen könne.
In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am römisch 40 2019 führte die BF zu ihren Fluchtgründen ergänzend aus, dass ihr Vater in Iran konvertiert sei. Sie selbst besuche die Kirche und bete dort, praktiziere den christlichen Glauben außerhalb der Kirche aber nicht und wisse auch nicht, ob sie sich taufen lassen wolle.
Mit Bescheid vom römisch 40 2019 wies das BFA den Antrag der BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) wie auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt römisch II.) ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt römisch III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch IV.), stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.) und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt römisch VI.).
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom römisch 40 2020, GZ. römisch 40 , ab.
römisch eins.2. Zum gegenständlichen Verfahren:
Am römisch 40 2021 stellte die BF den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.
Am römisch 40 2021 fand unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Farsi vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung der BF statt. Dabei führte sie zu ihren Fluchtgründen aus, dass sie vor etwa einem Jahr getauft worden sei und für das Christentum missioniere, weil sie davon überzeugt sei. Sie habe auf Instagram eine Seite für das Christentum aufgebaut. Ihre damaligen Freunde, Lehrer und Lehrerinnen wüssten davon. Sie habe Angst um ihr Leben und könne nicht nach Iran zurückkehren.
Am römisch 40 2021 fand vor dem BFA unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi die niederschriftliche Einvernahme der BF statt. Dabei führte sie ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen aus, dass ihre Mutter ihre Tante zum Christentum habe bewegen wollen, deren Mann streng gläubiger Muslim sei. Er habe Anzeige gegen ihre Mutter erstattet, als er davon erfahren habe. Vor etwa zwei Wochen sei die Geheimpolizei bei ihrer Großmutter gewesen und habe nach ihren Eltern gesucht. Dasselbe sei etwa vor sechs Monaten passiert, wobei sie nach ihrem Vater gesucht hätten. Sie hätten ihrer Großmutter mitgeteilt, dass sie sich alle – auch ihr Bruder – bei der Polizei stellen müssten. Auf ihrer Instagram-Seite, die öffentlich sei, poste sie Geschichten und Gebete über das Christentum. Ein paar Freunde aus dem Iran hätten sie ständig bedroht. Sie habe allerdings alle Kommentare mit Drohungen blockiert bzw. gelöscht. Einen Kommentar, den eine Freundin vor etwa einem Monat erstellt habe, habe sie ebenfalls gelöscht. Daraufhin habe sie ihr eine private Nachricht geschickt, die ersichtlich sei. Eine Schulkollegin aus dem Iran habe sie zum Christentum bewegt.
Am römisch 40 2022 wurde die BF erneut in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi vor dem BFA einvernommen. Dabei legte sie Bilder ihrer Instagram-Seite mit diversen Sprüchen und Versen aus der Bibel vor und führte ergänzend aus, dass der Mann ihrer Tante ihre Mutter weiterhin auf Instagram bedrohe, weil ihre Mutter ihre Tante missioniert habe. Ihre Mutter habe ihn mehrmals blockiert, jedoch erstelle er immer wieder ein neues Profil und bedrohe sie weiter. In Iran hätten sie in einer relativ kleinen Stadt gelebt, weshalb alle Einwohner ihre Instagram-Profile kennen und wissen würden, was sie veröffentlichen. Einige Freunde in Iran hätten bestätigt, dass sie von ihnen, den Lehrern und dem Schuldirektor für Abtrünnige gehalten werde.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom römisch 40 2022 wies das BFA den Antrag der BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran (Spruchpunkt römisch II.) ab und erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen sie wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Iran zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt römisch VI.).
Begründend führte das BFA aus, der BF sei es nicht gelungen, eine innere Überzeugung vom christlichen Glauben glaubhaft zu machen. Die BF leide an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, habe Kontakt zu sämtlichen nahen Verwandten im Iran, die ihr bei Bedarf die notwendige Unterstützung zukommen lassen könnten und bestehe die Möglichkeit, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Es sei insgesamt nicht zu erwarten, dass sie im Falle der Rückkehr einer Verletzung von Artikel 2, oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre. Die BF sei ihrer Ausreiseverpflichtung trotz einer rechtswidrigen negativen Entscheidung nicht nachgekommen und habe sich bei all ihren Integrationsschritten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müssen. Eine derart außergewöhnliche Integration, die zu einer rechtlich geschützten Aufenthaltsverfestigung führe, liege im Falle der BF nicht vor. Zudem sei von einer nach wie vor bestehenden engen Bindung zum Herkunftsstaat auszugehen, zumal die BF dort den Großteil ihres Lebens verbracht habe, sozialisiert worden sei und die Schule besucht habe. Insgesamt überwögen die öffentlichen Interessen an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften, die sich insbesondere darin manifestierten, dass das Asylrecht nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen dürfe, gegenüber den Interessen der BF am Verbleib in Österreich. Die Rückkehrentscheidung sei daher zulässig.
Gegen diesen Bescheid erhob die BF am römisch 40 2022 fristgerecht Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgrund unrichtiger Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung und brachte dazu vor, dass es keine Grundlage für die Annahme einer Scheinkonversion gebe und die Länderberichte nur unzureichend ausgewertet worden seien.
Am 02.06.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der BF sowie dem BFA die Ladung für die am römisch 40 2022 anberaumte mündliche Verhandlung sowie ein Schreiben, in dem auf die anberaumte mündliche Verhandlung verwiesen und ihnen Gelegenheit gegeben wurde, binnen zwei Wochen ab Zustellung die Einvernahme von Zeugen unter Angabe einer ladungsfähigen Adresse und des genau bezeichneten Beweisthemas zu beantragen sowie die als Beweismittel beabsichtigten Urkunden und Dokumente im Original und als Kopie vorzulegen, wobei ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass fremdsprachigen Dokumenten eine beglaubigte Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen ist.
Am 30.06.2022 übermittelte die BF ein Empfehlungsschreiben einer Nachbarin, eine Unterschriftenliste von Freunden und Bekannten sowie ein Schreiben der evangelischen Pfarrgemeinde A.B. ihrer Wohnsitzgemeinde.
Am römisch 40 2022 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi und des Rechtsvertreters der BF eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher die BF ausführlich zu ihrer Identität und Herkunft, ihren persönlichen Lebensumständen, ihren Fluchtgründen und ihrer Integration in Österreich befragt wurde.
Mit Erkenntnis des BVwG vom römisch 40 2023 wurde die Beschwerde der BF als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen betreffend die gegen ihre Mutter von deren Schwager erhobene Anzeige und die Hausdurchsuchungen im Elternhaus ihres Vaters aufgrund zahlreicher Widersprüche unglaubhaft sei. Aufgrund der dürftigen Darstellung der Glaubensausübung außerhalb der Kirche, der Unstimmigkeiten in Bezug auf die von der BF hervorgehobene Bedeutung von Gebeten sowie von Widersprüchen hinsichtlich der Glaubensausübung im innerfamiliären Umfeld würden erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Religionsausübung der BF bestehen. Obwohl die BF regelmäßig Gottesdienste besuche und sie sich zumindest oberflächliches Wissen über den christlichen Glauben angeeignet habe, sei nicht davon auszugehen, dass sie sich aus innerer Überzeugung dem christlichen Glauben zugewandt habe. Da sie weder vor ihrer Ausreise noch während ihres Aufenthaltes in Österreich in das Blickfeld der iranischen Behörden geraten sei, sei nicht davon auszugehen, dass sie im Falle der Rückkehr Gefahr laufen würde, von iranischen Behörden angehalten, verhaftet und bestraft zu werden. Auch sei nicht zu erwarten, dass die BF ihre Aktivitäten nach einer Rückkehr in Iran fortsetzen würde. Aus den Angaben der BF könne nicht abgeleitet werden, dass sie in Österreich eine Lebensweise angenommen hätte, in welcher die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte derart zum Ausdruck kommen würde, dass sie zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden wären. Eine der BF drohende Gewaltanwendung wegen der lediglich rudimentär angedeuteten westlichen Orientierung sei nicht wahrscheinlich.
Gegen dieses Erkenntnis erhob die BF im Wege ihrer Regierungsvorlage fristgerecht Beschwerde gemäß Artikel 144, Absatz eins, B-VG an den Verfassungsgerichtshof und beantragte das angefochtene Erkenntnis wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte aufzuheben, der Republik Österreich den Ersatz der Kosten aufzuerlegen sowie die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Im Beschwerdeschriftsatz wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die herangezogenen Länderberichte nicht hinreichend aktuell seien sowie, dass die BF aufgrund ihrer Konversion und der Weigerung, sich den in Iran obligatorischen Bekleidungsvorschriften zu unterwerfen, bei einer Rückkehr einer Verfolgung ausgesetzt wäre.
Der Verfassungsgerichtshof hob das angefochtene Erkenntnis mit Erkenntnis vom römisch 40 2024 ( römisch 40 ) wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (Art. römisch eins Absatz eins, B-VG) auf. Darin führte der Verfassungsgerichtshof im Wesentlichen aus, dass die BF im Zuge des Verfahrens – insbesondere auch in der mündlichen Verhandlung – angegeben habe, unter anderem auf Grund der Ungleichheit zwischen Mann und Frau sowie der Bekleidungsvorschriften im Iran bzw im Islam zum christlichen Glauben konvertiert zu sein. Dies habe auch das Bundesverwaltungsgericht festgehalten, wenn es das Vorbringen der BF dahingehend zusammenfasse, sie habe hinsichtlich der Ausübung von Grundrechten angedeutet, "dass sie nicht bereit sei, sich an die im Iran herrschenden Kleidungsvorschriften zu halten […] und mit der im Iran vorherrschenden Rolle des Mannes nicht einverstanden sei". Ferner habe das Bundesverwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung unter anderem ausgeführt, die BF habe auf der Startseite ihres Instagram-Profils die Hashtags "Geschlechtergleichberechtigung" und "Widerstand gegen Kopftuchzwang bzw Hidjabzwang" verwendet.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die BF führt den im Spruch genannten Namen und das Geburtsdatum und ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Iran. Ihre Identität steht fest. Die BF gehört der Volksgruppe der Perser an. Ihre Muttersprache ist Farsi. Die BF ist ledig und kinderlos. Sie wurde im islamisch-schiitischen Glauben erzogen.
Die BF besuchte in Iran zehn Jahre die Schule und lebte mit ihren Eltern in der Stadt römisch 40 in der Provinz römisch 40 in einer Wohnung.
In Iran leben ihre Großeltern mütterlicherseits, ihre Großmutter väterlicherseits und mehrere Onkel und Tanten, wobei zumindest zu ihren Großeltern regelmäßiger Kontakt besteht.
Die BF ist gesund und arbeitsfähig.
Zum (Privat-)Leben der Beschwerdeführerin in Österreich:
Die zum damaligen Zeitpunkt minderjährige BF reiste gemeinsam mit ihren Eltern im September 2018 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte am römisch 40 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, den das BFA mit Bescheid vom römisch 40 2019 zur Gänze abwies. Der dagegen eingebrachten Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom römisch 40 2020, GZ. römisch 40 , keine Folge.
Am römisch 40 2021 stellte die BF den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
In Österreich lebte die BF gemeinsam mit ihren Eltern zunächst in verschiedenen Asylunterkünften. Von römisch 40 2021 bis römisch 40 2023 lebten sie gemeinsam in einer Unterkunft der Caritas in römisch 40 nunmehr in einer Unterkunft des Roten Kreuzes in römisch 40 .
Die BF nahm am römisch 40 2019 an einem Werte- und Orientierungskurs teil und erwarb im Februar 2020 das ÖSD-Zertifikat auf Sprachniveau A1. Ab römisch 40 2021 besuchte sie 40 Einheiten zu je 60 Minuten eines von einer Deutsch-Trainerin im Pfarrhof ihrer Wohnsitzgemeinde angebotenen Deutschkurses auf Sprachniveau A2.
Von römisch 40 2019 bis römisch 40 2019 besuchte die BF einen Basisbildungskurs an der Volkshochschule und nahm am römisch 40 2019 im Rahmen der Basisbildung an einem Workshop zum Thema Energiesparen und Abfalltrennung im Haushalt teil. Ab Jänner 2019 erhielt die BF Gitarrenunterricht und besuchte von römisch 40 2019 bis römisch 40 2020 das Modul 1 der Minerva-Basisbildung und Vorbereitung auf den Einstieg in den externen Pflichtschulabschluss. Ab Februar 2020 besuchte sie den „Brückenkurs zum Pflichtschulabschluss“ des BFI, der die Fächer Deutsch, Englisch und Mathematik beinhaltete.
Die BF hat den Berufswunsch Hebamme und hat sich über die diesbezügliche Ausbildung bei einer Freundin erkundigt. Aktuell absolviert die BF jedoch weder eine Aus- noch eine Fortbildung, ist nicht ehrenamtlich tätig und auch nicht Mitglied in einem Verein.
In ihrer Wohnsitzgemeinde hat die BF mehrere Bekannte und Freunde. Sie ist strafgerichtlich unbescholten.
Die BF und ihre Eltern wurden im Oktober 2018 von ihrem Onkel (dem Bruder ihrer Mutter) der Baptistengemeinde römisch 40 und dem dortigen Pastor vorgestellt. Die BF und ihre Eltern besuchten etwa ab Oktober 2018 die wöchentlichen Gottesdienste der Farsi-Gemeinde der Baptistengemeinde römisch 40 und von Februar 2019 bis Oktober 2019 einen Glaubensgrundkurs der Farsi-Gemeinde, geleitet von farsisprachigen Gemeindemitgliedern. Zudem besuchte die BF deren Jugendgruppe. Die BF wurde gemeinsam mit ihren Eltern und drei weiteren Täuflingen am römisch 40 2020 in der Baptistengemeinde römisch 40 getauft.
Nach ihrem Umzug im März 2021 besuchte die BF regelmäßig Gottesdienste der evangelischen Pfarrgemeinde A.B. ihrer damaligen Wohnsitzgemeinde sowie gelegentlich auch Gottesdienste der evangelischen Pfarrgemeinde des Nachbarbezirkes.
Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
Fest steht, dass die BF nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert ist. Ebenso steht fest, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Iran aufgrund ihrer behaupteten Konversion zum christlichen Glauben keine Lebensgefahr oder Eingriffe in ihre körperliche Integrität durch Mitglieder der Regierung oder durch andere Personen drohen würde.
Die BF hat eine Lebensweise angenommen und als wesentlichen Bestandteil ihrer Identität verinnerlicht, in der die Anerkennung und Inanspruchnahme ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt und die ein Abweichen von der in Iran vorherrschenden Geschlechterrolle bedeutet. Die Lebensweise der BF stellt einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Iran dar; eine Fortsetzung des Lebens, das sie derzeit in Österreich führt, wäre ihr in Iran nicht möglich. Sie lebt nicht nach der konservativ-iranischen Tradition, lehnt die Umstände, Lebensverhältnisse und Kleidungsvorschriften für Frauen in Iran ab und kann sich auch nicht vorstellen, nach der konservativ-iranischen Tradition zu leben. Die BF würde im Falle einer Rückkehr nach Iran als sich nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benehmende bzw. am "westlichen" Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau wahrgenommen werden und wäre aus diesem Grund mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Iran gewalttätigen Übergriffen und Bestrafungen, struktureller Gewalt, einem Klima ständiger latenter Bedrohung und Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit sowie beim Zugang zu Bildung und Erwerbstätigkeit ausgesetzt. Der BF würde diesbezüglich kein effizienter staatlicher Schutz zukommen.
Zur maßgeblichen Situation in Iran:
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 26.01.2024 wiedergegeben:
Politische Lage
Letzte Änderung: 25.01.2024
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (FAZ 24.3.2023). Sie kombiniert republikanisch-demokratische Elemente mit einem theokratischen System (BS 23.2.2022; vergleiche BPB 10.1.2020). Das Kernkonzept der Verfassung ist die "Rechtsgelehrtenherrschaft" (velayat-e faqih). Nach schiitischem Glauben gibt es einen verborgenen Zwölften Imam, den als Erlöser am Jüngsten Gericht von Gott gesandten Muhammad al-Mahdi (BPB 10.1.2020). Gemäß diesem Prinzip soll ein schiitischer Theologe praktisch in Stellvertretung des seit dem Jahr 874 in Verborgenheit weilenden Mahdi agieren und die Geschicke des Gemeinwesens lenken (BAMF 5.2022). Darauf aufbauend schuf Ajatollah Ruhollah Khomeini 1979 ein auf ihn zugeschnittenes Amt, das über allen gewählten Organen steht, und somit die republikanischen Verfassungselemente des Präsidenten und des Parlaments neutralisiert: das Amt des "Herrschenden Rechtsgelehrten" (vali-ye faqih), dessen Inhaber auch "Revolutionsführer" (rahbar) genannt wird. Der Revolutionsführer übt quasi stellvertretend für den Zwölften Imam bis zu dessen Rückkehr die Macht aus (BPB 10.1.2020).
Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 20.3.2023). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.9.2021), ist höchste Autorität des Landes, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und ernennt den Leiter des Justizwesens sowie des staatlichen Rundfunks und die Mitglieder des Schlichtungsrats (FH 10.3.2023). Ihm unterstehen auch die Islamischen Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inkl. der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen. In der Hand religiöser Stiftungen und der "Garden" liegen mächtige Wirtschaftsunternehmen, die von der infolge der US-Sanktionen wachsenden Schattenwirtschaft profitieren (ÖB Teheran 11.2021). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Die Revolutionsgarden, die direkt Revolutionsführer Khamenei unterstehen, bleiben ein militärischer, politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor (AA 30.11.2022).
Entscheidende Gremien sind der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern. Davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen (ÖB Teheran 11.2021). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der "Gesamtinteressen des Systems" zu achten (AA 14.9.2021). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 20.3.2023), er sollte die Arbeit des Revolutionsführers kontrollieren. In der Praxis scheint er die Entscheidungen des Revolutionsführers jedoch nicht herauszufordern (FH 10.3.2023). Auch wenn der Expertenrat nominell direkt von der Bevölkerung gewählt wird, hat der Revolutionsführer indirekt Einfluss auf dessen Zusammensetzung, da der Wächterrat, der zur Hälfte vom Revolutionsführer und zur Hälfte vom (durch den Revolutionsführer eingesetzten) Leiter des Justizwesens besetzt wird, die Kandidatenauswahl dafür vornimmt und den Wahlvorgang kontrolliert (USDOS 20.3.2023). Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt unter anderem auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 11.2021). Da der Wächterrat die Kandidaten für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen (Majles oder Islamische Beratende Versammlung) überprüft und regelmäßig eine bedeutsame Anzahl an Kandidaten von der Wahl ausschließt und den Wahlvorgang kontrolliert, übt der Revolutionsführer somit indirekt Einfluss auf die legislativen und exekutiven Institutionen des Landes aus (USDOS 20.3.2023). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2020).
Der Präsident ist nach dem Revolutionsführer der zweithöchste Amtsträger im Staat. Er bildet ein Regierungskabinett, das vom Parlament bestätigt werden muss (FH 10.3.2023). Das iranische Regierungssystem ist damit ein semipräsidiales und an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021). Der Präsident ist für das tagespolitische Geschäft zuständig und hat einen bedeutsamen Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik des Landes (BBC 8.10.2022). Seine Macht ist allerdings vergleichsweise beschränkt (BBC 8.10.2022; vergleiche BPB 10.1.2020). Der religiöse Führer hat das letzte Wort in allen staatlichen Angelegenheiten (DW 16.6.2021). Die Macht des Präsidenten wird auch durch das Parlament eingeschränkt und der Wächterrat muss neuen Gesetzen zustimmen oder kann ein Veto einlegen (BBC 8.10.2022).
[…]
Am 18.6.2021 fanden in Iran Präsidentschaftswahlen statt (AA 14.9.2021). Gewonnen hat die Wahl der konservative Hardliner und vormalige Justizchef Ebrahim Raisi mit mehr als 62 % der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 50 % und war somit niedriger als jemals zuvor bei einer Präsidentschaftswahl in der Geschichte der Islamischen Republik. In der Hauptstadt Teheran lag die Wahlbeteiligung bei nur 26 %. Zudem wurden mehr als 3,7 Millionen Stimmzettel für ungültig erklärt (Standard 19.6.2021). Der Wettbewerb um die Wählerstimmen war stark manipuliert. Der Wächterrat hatte im Vorfeld die meisten der 600 Präsidentschaftskandidaten - darunter auch 40 Frauen - abgelehnt. Drei der genehmigten Kandidaten zogen ihre Kandidatur wenige Tage vor der Wahl zurück. Die Behörden übten auf die Medien Druck aus, um kritische Berichterstattung über Raisi oder den Wahlvorgang zu verhindern (FH 10.3.2023). In Folge der Präsidentschaftswahlen vom Juni 2021 befindet sich die gesamte Befehlskette in konservativer bzw. erzkonservativer Hand (Oberster Führer, Präsident/Regierungschef, Leiter der religiösen Judikative, Regierung, Parlament, Wächterrat, Expertenrat) (ÖB Teheran 11.2021).
Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Die Bewerber um einen Parlamentssitz erhalten ihre Unterstützung nicht von Parteien, sondern von klerikalen und wirtschaftlichen Interessengruppen. Das Parlament ist die gesetzgebende Institution Irans. Allerdings muss bei Gesetzesvorhaben ihre Vereinbarkeit mit der islamischen Rechtstradition beachtet werden. Gesetzesvorschläge kommen von den Ministern oder den Abgeordneten. Ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz kann vom Wächterrat so lange an das Parlament zurückverwiesen werden, bis es seinen Vorstellungen entspricht (DW 16.6.2021). Bei den Parlamentswahlen vom 21.2.2020 haben (ultra-)konservative Kandidaten knapp 80 % der Sitze im Parlament gewonnen (AA 30.11.2022). Vor der Abstimmung disqualifizierte der Wächterrat mehr als 9.000 der 16.000 Personen, die sich für eine Kandidatur angemeldet hatten, darunter eine große Anzahl reformistischer und gemäßigter Kandidaten (FH 10.3.2023). Die Wahlbeteiligung lag bei 42,6 %, was als die niedrigste Wahlbeteiligung bei einer Parlamentswahl in die Geschichte der Islamischen Republik einging (FH 10.3.2023; vergleiche AA 30.11.2022).
Präsident, Parlament und Expertenrat werden also in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den vom Revolutionsführer und Justizchef ernannten Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023, BPB 31.1.2020a). Dennoch kommt es in kaum einem anderen Land des Nahen Ostens zu derart umkämpften Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Die bestehenden programmatischen Differenzen zwischen prinzipientreuem Klerus und neokonservativen Technokraten, wirtschaftsliberalen Pragmatikern und klerikalen oder gar säkularen Reformern spiegeln einen Pluralismus in Iran wider, der allerdings phasenweise aufs Schärfste bedroht ist (BPB 31.1.2020a).
Das Regime reagierte auch unter der moderaten Regierung von Ex-Präsident Rohani in den letzten Jahren auf die wirtschaftliche Krise und immer wieder hochkommenden Unmut und Demonstrationen mit einem harten Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivisten, religiöse und ethnische Minderheiten und Umweltaktivisten. Die Regierung Raisi ist noch dabei, ihre Machtstruktur auf allen Ebenen zu festigen. Sie hat jedoch bereits stärkere Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Sinne der "islamischen Gesellschaftsordnung" (Rolle der Frauen fokussiert auf Gebärfunktion), der Ablehnung "westlicher" Kultur, der Unterdrückung von Kritik (Internetzensur) und eine stärkere Ausrichtung auf Russland und China und deren politische Modelle angekündigt (ÖB Teheran 11.2021).
Frauen haben das aktive Wahlrecht, werden bei der politischen Teilhabe allerdings mit bedeutsamen rechtlichen, religiösen und kulturellen Hindernissen konfrontiert. Nach Interpretation des Wächterrats verwehrt die iranische Verfassung es Frauen, die Ämter des Revolutionsführers oder Präsidenten, Funktionen im Experten-, Wächter- und Schlichtungsrat sowie mancher Richterposten anzutreten (USDOS 20.3.2023). Unter 40-Jährige, die etwa drei Viertel der iranischen Bevölkerung ausmachen, waren bislang größtenteils von jeglicher politischen Partizipation ausgeschlossen. Politische Ämter werden überwiegend von Männern der ersten Generation der Elite der Islamischen Republik - den heute über 70-jährigen Gründungsvätern - und der zweiten Generation - den heute über 60-jährigen Veteranen des Iran-Irak-Kriegs sowie Vertretern der Revolutionsgarden - regiert (BPB 31.1.2020a).
Proteste 2022/2023
Nach dem Tod der 22-Jährigen Mahsa Jîna (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023) in Gewahrsam der sogenannten Sittenpolizei (gasht-e ershâd) in Teheran (BPB 16.2.2023) aufgrund eines angeblich unkorrekt getragenen Hijabs kam es in Iran zu den größten Protesten seit Jahren (EN 1.2.2023). Während in den letzten Jahren in Iran häufig Demonstrationen stattfanden, waren die Proteste hinsichtlich ihrer geographischen Verbreitung und Dauer beispiellos (ACLED 12.4.2023).
Als Frau sunnitischer Konfession und als Kurdin verkörperte Mahsa Jina Amini alle drei Dimensionen der systematischen Diskriminierung durch die Islamische Republik: Geschlecht, Konfession und ethnische Zugehörigkeit (Posch/Chatham 5.5.2023). Die Proteste in Iran richteten sich gegen Diskriminierung und fokussierten auf Menschenrechte. Die Wut der Tausenden von Demonstranten, die auf die Straße gingen, konzentrierte sich auf die Tatsache, dass weder das Geschlecht noch die ethnische Zugehörigkeit die Ursache für den Tod eines iranischen Bürgers in Gewahrsam sein sollte, was eine eindeutige Menschenrechtsfrage darstellt (Posch 2023). Der von den Demonstranten verwendete Spruch "Frau, Leben, Freiheit" (auf Farsi: "zan, zendegi, âzâdi") stammt dabei ursprünglich von der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) (auf Kurdisch "jin, jîyan, azadî"). Er war zunächst unter iranischen Demonstranten im Westen zu hören. Dann begannen auch in Iran die säkularen und linken Teile der Gesellschaft, ihn zu verwenden, bevor er sich landesweit über Klassen- und ethnische Grenzen hinweg verbreitete (Posch/Chatham 5.5.2023). Die Proteste wurden insbesondere von den folgenden Gruppen getragen: Frauen, Jugendliche, Studentinnen und Studenten sowie von marginalisierten Ethnien - insbesondere Kurden und Belutschen (BPB 16.2.2023). Die auf Menschen- und Bürgerrechten basierende Agenda der Proteste konnte jedoch sowohl säkulare Teheraner aus der Mittelschicht als auch sunnitische Fundamentalisten aus den marginalisierten Grenzprovinzen Irans mobilisieren. Unter anderem kritisierten auch prominente Stimmen wie Kak Hasan Amini, einer der profiliertesten sunnitischen Geistlichen Irans, oder Moulana Abdulhamid aus Belutschistan, Führer der sunnitischen Gemeinschaft im Osten des Irans, das Regime (Posch 2023).
Dieses reagierte mit massiver Repression auf die Proteste. Zeitweise wurden rund 20.000 Personen inhaftiert (BPB 16.2.2023). Bis Mitte Februar 2023 zählte die NGO Human Rights Activists News Agency (HRANA) 530 Todesopfer unter den Protestteilnehmern (DIS 3.2023; vergleiche BPB 16.2.2023). Auch wurden im Rahmen der Proteste zwischen September 2022 und April 2023 rund 50 Angehörige der Basij, Revolutionsgarden und Polizei getötet (ACLED 12.4.2023), laut HRANA waren es beinahe 70 Regimekräfte (BPB 16.2.2023). Eine unbekannte Zahl von Personen, wie z.B. Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Studenten, Künstler, Akademiker, Rechtsanwälte, medizinisches Personal, das sich um Protestteilnehmer gekümmert hat, Minderjährige und Personen, die sich online an anti-Regierungsaktivitäten beteiligt haben, wurde wegen "Verbreitung von Propaganda", "Absprachen zur Begehung von Straftaten und Handlungen gegen die nationale Sicherheit" oder "Kriegsführung gegen Gott" sowie "Korruption auf Erden" verurteilt, wobei diese Tatbestände vor den iranischen Revolutionsgerichten mit hohen Strafen geahndet werden (DIS 3.2023).
Die Proteste zeichneten sich durch ihre Dezentralität, die Bedeutung von zivilem Ungehorsam und Flashmobs als Protestform - insbesondere durch Frauen, die ihr Kopftuch ablegen - und, wie vor allem in europäischen Debatten oft bemängelt wird, durch fehlende Organisations- und Führungsstrukturen aus (BPB 16.2.2023). Die fehlenden Führungsstrukturen waren sowohl Stärke als auch Schwäche der Proteste, bei denen das Internet und soziale Medien eine große Rolle zur Mobilisierung und Verbreitung der Protestbotschaften spielten: Einerseits machen die fehlenden Führungsstrukturen staatliche Repression schwieriger, andererseits erschweren sie auch die Herausbildung einer Bewegung, welche eine politische Alternative zum derzeitigen System darstellen könnte (FR24 16.12.2022).
Bis zum Sommer 2023 sind die Straßenproteste schließlich abgeflaut und die Regierung hat beispielsweise versucht, die Strafen für Verstöße gegen die Hijab-Regeln zu verschärfen (USIP 6.9.2023). Die Islamische Republik blieb weiterhin funktionsfähig und im Zuge der Proteste konnte nicht beobachtet werden, dass eine Einheit des hochkompetitiven iranischen Sicherheitsapparats geschwächelt hätte oder sich illoyal verhalten habe (Posch/Chatham 5.5.2023). Die Regierung ist darauf bedacht, ihre Anhängerschaft zu halten, versucht aber auch, Menschen am Rande der Gesellschaft zu Anhängern der Islamischen Republik zu machen. So haben die staatlichen Medien jüngst beispielsweise neue Fernsehsendungen produziert und eine größere Anzahl von Gästen eingeladen, um heikle politische Themen zu diskutieren. Die Regierung möchte aufgeschlossen und sympathisch erscheinen, um ein gewisses Maß an Legitimität aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen. Die Regierungsvertreter sind sich allerdings darüber im Klaren, dass die Legitimität des Regimes erodiert ist, insbesondere seit der gewaltsamen Niederschlagung der landesweiten Demonstrationen, die durch den Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam im Jahr 2022 ausgelöst worden sind (USIP 17.11.2023). Die Proteste scheinen im Jahr 2023 abgeklungen zu sein, aber die dort artikulierten Missstände bleiben weiterhin bestehen (CRS 29.9.2023).
Anmerkung, Informationen zur Protestwelle ab September 2022 können insb. auch den Kapiteln "Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition" und "Ethnische Minderheiten" sowie den dazugehörigen Unterkapiteln entnommen werden.
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 26.01.2024
Verglichen mit Nachbarstaaten wie dem Irak, Libanon, Syrien und Afghanistan hat Iran eine sehr starke Zentralregierung mit mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsbehörden. Mit Ausnahme von einigen peripheren Grenzregionen ist die Regierung im Besitz der Kontrolle über das gesamte Staatsterritorium. In den Provinzen West-Aserbaidschan und Kermanshah, an der westlichen Staatsgrenze zu Irakisch-Kurdistan, kommt es regelmäßig zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Islamischen Revolutionsgarden (IRGC, Pasdaran) und separatistischen Gruppierungen, wie der Kurdistan Democratic Party of Iran (KDPI) und der Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (PJAK) (BS 23.2.2022).
Die schwierige Wirtschaftslage und die latenten Spannungen führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder an (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Es muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstrierenden sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Ab Mitte September 2022 kam es in zahlreichen Städten des Landes immer wieder zu Protesten gegen die Regierung. Bei Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstrierenden sind zahlreiche Personen getötet oder verletzt worden. Teilweise wird scharfe Munition eingesetzt (EDA 4.1.2024). Die Sicherheitskräfte gingen insbesondere in Randgebieten wie den Provinzen Kurdistan sowie Sistan und Belutschistan hart gegen Protestierende vor (Newsweek 1.12.2022; vergleiche UNHRC 7.2.2023). Während Mitglieder der Basij-Miliz in Teheran Demonstranten verprügelten, haben die Sicherheitsbehörden in Kurdistan, Belutschistan und Ahwaz beispielsweise schwere Maschinengewehre, gepanzerte Fahrzeuge, schwere Artillerie und sogar Kampfhubschrauber zur Bekämpfung der Proteste in Stellung gebracht (TWI 14.10.2022).
[Anm.: s. Kap. "Versammlungsfreiheit" sowie "ethnische Minderheiten" samt der Unterkapitel für weitergehende Informationen zu den Protesten.]
Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Am 3.1.2024 forderte ein Anschlag anlässlich einer Gedenkfeier in der Stadt Kerman [Provinz Kerman] rund 100 Todesopfer und zahlreiche Verletzte. Im August 2023 sowie Oktober 2022 wurden mehrere Personen bei Attentaten auf den Shah Cheragh-Schrein in Shiraz [Provinz Fars] getötet oder verletzt. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 4.1.2024). Vor allem in Grenzregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Besonders betroffen sind die Provinzen Kurdistan und Sistan und Belutschistan, der Osten der Provinz Kerman sowie die Grenzgebiete zu Irak, Pakistan und Afghanistan. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 18.12.2023).
Der o.g. Anschlag in der Stadt Kerman am 3.1.2024 mit fast 100 Todesopfern und über 200 Verletzten ereignete sich während einer Gedenkfeier anlässlich des Todestags von Qassem Soleimani (IRINTL 3.1.2024; vergleiche Soufan 4.1.2024). Als Befehlshaber der Auslandsoperationen der Revolutionsgarden, der Quds-Kräfte (BBC 4.1.2024; vergleiche AP 4.1.2024), war Soleimani einer der Architekten der iranischen Politik in der Region. Er war für die geheimen Missionen der Quds-Kräfte und die Bereitstellung von Führung, Finanzierung, Waffen, Geheimdienstinformationen und logistischer Unterstützung für verbündete Regierungen und bewaffnete Gruppen, einschließlich der Hisbollah und der Hamas, verantwortlich (BBC 4.1.2024; vergleiche Soufan 4.1.2024). Er war auch im Irak und in Syrien aktiv, wo er das Assad-Regime gegen den Islamischen Staat (IS) und andere Gruppierungen unterstützt hat. Der in Iran populäre Soleimani wurde im Jahr 2020 bei einem Drohnenangriff der USA nahe Bagdad getötet (AP 4.1.2024). Zum Anschlag in Kerman bekannte sich der IS, wobei von einem US-amerikanischen Nachrichtendienst abgefangene Gespräche gemäß der Nachrichtenagentur Reuters bestätigen, dass der Ableger des IS in Afghanistan, der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP), für den Anschlag verantwortlich war (REU 5.1.2024; vergleiche FAZ 12.1.2024). Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem IS in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 18.12.2023; vergleiche TWI 31.10.2022). Die Anschläge im Oktober 2022 und August 2023 auf den schiitischen Shah Cheragh-Schrein in Shiraz haben iranische staatliche Medien ebenfalls dem IS zugeschrieben (AJ 26.10.2022) bzw. bekannte sich die Organisation selbst zu ihnen (AJ 13.8.2023). Dieser Anschlag war der erste des IS auf iranischem Boden seit 2018. Zuvor hatte der ISKP mehrere Drohungen gegen den iranischen Staat ausgesprochen (TWI 31.10.2022). Der ISKP hat seine Strategie nach der Machtübernahme der Taliban 2021 teils geändert und seine Operationsgebiete sowie Rekrutierungsbestrebungen "internationalisiert" (Conversation 11.1.2024; vergleiche FAZ 12.1.2024).
Die Grenzzone zu Afghanistan, das östliche Kerman und Sistan und Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändler- sowie von extremistischen Organisationen. Sie verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein (EDA 4.1.2024). Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 18.12.2023). Es kann jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 4.1.2024). In Sistan und Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) wurden zahlreiche Zusammenstöße zwischen Mitgliedern von Drogenbanden, Kämpfern, Zivilisten und Sicherheitskräften verzeichnet, bei denen Menschen getötet und verletzt wurden (MBZ 9.2023; vergleiche AA 18.12.2023, Arabiya 17.1.2024).
Im Dezember 2023 wurde ein Angriff auf eine Polizeistation in der Stadt Rask in Sistan und Belutschistan verübt, der mindestens elf Tote forderte. Laut dem staatlichen iranischen Fernsehen war die dschihadistische Gruppierung Jaysh al-Adl (JAA, auch JUA) für den Anschlag verantwortlich (Spiegel 15.12.2023; vergleiche NZZ 16.12.2023). Im Juli 2023 hatte sich die Gruppierung zu einem Angriff auf eine Polizeistation in Zahedan [Anm.: Hauptstadt von Sistan und Belutschistan] bekannt (IRJ 10.7.2023; vergleiche BAMF 10.7.2023). Mitte Jänner 2024 führten die Revolutionsgarden einen Raketenangriff auf eine angebliche Stellung der JAA auf pakistanischem Staatsgebiet durch (IRINTL 17.1.2024; vergleiche BBC 18.1.2024), woraufhin die pakistanischen Streitkräfte mehrere Ziele in der Ortschaft Saravan in der iranischen Provinz Sistan und Belutschistan angriffen, bei denen es sich nach pakistanischen Angaben um "terroristische Verstecke" handelte (IRINTL 18.1.2024; vergleiche BBC 18.1.2024). Zeitgleich tötete die JAA nach eigenen Angaben einen Kommandanten der Revolutionsgarden, als sie sein Fahrzeug nahe der pakistanischen Grenze unter Beschuss nahmen (IRINTL 17.1.2024; vergleiche AnA 18.1.2024). Die JAA bestätigte, dass bei dem Raketenbeschuss der Revolutionsgarden auf pakistanisches Territorium die Häuser zweier Mitglieder getroffen worden waren, wobei unter anderem zwei Kinder getötet wurden (IRINTL 17.1.2024). Bei den pakistanischen Angriffen auf Ziele in Saravan starben nach staatlichen iranischen Angaben drei Frauen und vier Kinder, die keine iranischen Staatsbürger waren (IRINTL 18.1.2024; vergleiche BBC 18.1.2024). Die JAA operiert vor allem von Pakistan aus (IRINTL 17.1.2024; vergleiche AnA 18.1.2024) und Iran war auch schon früher in bewaffnete Auseinandersetzungen mit der Gruppe entlang der Grenze verwickelt (IRINTL 17.1.2024).
Die Grenze [zu Afghanistan und Pakistan] ist durchlässig, größtenteils gebirgig und eine wichtige Schmuggelroute für Drogen und andere Waren, die das organisierte Verbrechen anzieht (DFAT 24.7.2023; vergleiche BAMF 10.7.2023). Die Beziehungen zwischen der iranischen Regierung und der Taliban-Regierung in Afghanistan sind teils angespannt (DFAT 24.7.2023). Seit die Taliban im August 2021 die Kontrolle übernommen haben, liefern sich iranische Soldaten und Taliban-Sicherheitskräfte entlang der gemeinsamen Grenze immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen (DFAT 24.7.2023; vergleiche IRINTL 3.9.2022). Iranische Nachrichtenagenturen mit Verbindungen zur Regierung behaupteten, dass die Kämpfe jeweils entweder mit den Taliban oder mit Drogenschmugglern stattfanden (DFAT 24.7.2023).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, Personal der Justiz und Angehörige des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt (AA 18.12.2023). Die Sicherheitskräfte sind in den Provinzen Kurdistan, Kermanshah und West-Aserbaidschan in großer Zahl präsent (MBZ 9.2023). In dieser von Kurden bewohnten Region an der Grenze zum Irak und der Türkei (Izady/Gulf 2000 o.D.) kam es zu einigen bewaffneten Zusammenstößen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Mitgliedern kurdischer Parteien, die Stützpunkte im Nordirak haben, manchmal auch mit Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Die iranischen Behörden behaupteten, dass die Proteste ab Mitte September 2022 auch aus dem Nordirak unterstützt wurden. Scheinbar als Reaktion darauf führten die Revolutionsgarden mehrfach Raketenangriffe und Drohnenangriffe gegen Stützpunkte und Mitglieder kurdischer Parteien im Nordirak durch (MBZ 9.2023). Im Herbst 2022 feuerten iranische Sicherheitskräfte zur Bekämpfung iranisch-kurdischer Gruppen mehr als 70 Raketen über die Grenze auf Gebiete des benachbarten Irak - der größte grenzüberschreitende Angriff des Landes seit den 1990er-Jahren (DW 13.11.2022; vgl.K24 28.11.2022, Rudaw 28.9.2022). Im Juni 2023 kam es an verschiedenen Orten in der Provinz Kurdistan zu Gefechten zwischen Mitgliedern der PJAK und Angehörigen der Revolutionsgarden, wobei auch Todesopfer gemeldet wurden (BAMF 19.6.2023; vergleiche RFE/RL 14.6.2023). Eine kurdische NGO warf den Revolutionsgarden vor, bei einem der Vorfälle unterschiedslos Häuser von Zivilisten beschossen zu haben (RFE/RL 14.6.2023).
Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen) (EDA 4.1.2024).
Gelegentlich wirken sich die Spannungen aus dem Grenzkonflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan auf die Sicherheitslage im iranischen Grenzgebiet aus (EDA 4.1.2024).
Mitunter kommt es im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Auch für unbeteiligte Personen besteht das Risiko, unversehens in einen Schusswechsel zu geraten (EDA 4.1.2024).
Iran und regionale Konflikte
Der neue de facto-Anführer von al-Qaida - sein Amtsantritt wurde bislang nicht offiziell bekannt gegeben - Sayf al-Adl befindet sich nach Einschätzungen von Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats in Iran (UNSC 13.2.2023).
Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken (EDA 4.1.2024).
Iran hat eine lange Geschichte der Unterstützung von terroristischen Organisationen wie der Hisbollah, der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Jihad (JPOST 27.2.2023). Das Regime unterstützt auch verschiedene "Widerstands"-Milizen im Irak (TWI 20.12.2023), in Syrien, im Jemen und auch Bahrain (CFR 11.12.2023). Die Hilfen umfassen umfangreiche finanzielle und logistische Unterstützung (TWI 20.12.2023). Im Zentrum des iranischen Netzwerks steht die libanesische Hisbollah, die Iran dabei unterstützt hat, die schiitisch-arabisch-persische Kluft zu überbrücken. Die Hisbollah half dem Iran auch bei der Unterstützung des Regimes von Bashar al-Assad im Bürgerkrieg in Syrien, wo sie andere Milizen zur Verteidigung des Regimes heranzog (CFR 11.12.2023). Die geografische Ausdehnung von Irans Allianznetz ist derzeit so groß wie nie zuvor seit der Islamischen Revolution 1979. Die mit Iran verbündeten Milizen agieren laut dem Experten Walter Posch selbstständig. Doch bei allen Aktionen gibt es Spuren, die zurück nach Iran führen (NZZ 2.1.2024).
Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7.10.2023 haben die Spannungen in der Region zugenommen (IRINTL 11.1.2024; vergleiche BBC 16.1.2024a). Seitdem [Stand Mitte Jänner 2024] kommt es in einem Gebiet an der libanesisch-israelischen Grenze zu vermehrtem Raketenbeschuss zwischen der Hisbollah und Israel (DlF 4.1.2024; vergleiche ORF 14.1.2024). In Syrien und dem Irak haben iranische Stellvertreter seit dem 7.10.2023 mehr als 100 Mal US-Streitkräfte beschossen (Soufan 8.1.2024; vergleiche IRINTL 11.1.2024). Mitte Jänner 2024 haben die Revolutionsgarden auch direkt Ziele in der Kurdistan Region Irak (KRI) und in Nordwestsyrien angegriffen. Nach iranischen Angaben handelte es sich dabei um Vergeltungsschläge gegen den IS und israelische Spione anlässlich des Anschlags in Kerman am 3.1.2024 sowie gezielter Tötungen von ranghohen Verbündeten Irans in Syrien und dem Libanon, für die Israel verantwortlich gemacht wird. Iran hat auch schon zu früheren Zeitpunkten Stützpunkte separatistischer iranischer Oppositionsgruppen [s. Unterkap. " Kurdische separatistische Gruppierungen"] und "israelische Agenten" in der KRI angegriffen (IRINTL 16.1.2024; vergleiche BBC 16.1.2024a). Die von Iran unterstützte jemenitische Houthi-Bewegung hat nach dem 7.10.2022 Geschosse auf Israel abgefeuert, von denen fast alle abgefangen wurden (Soufan 8.11.2023). Mitte November sind die Houthis dazu übergegangen, Handelsschiffe im Roten Meer und vor der jemenitischen Küste ins Visier zu nehmen und bedrohen damit eine bedeutsame Welthandelsroute (Soufan 9.1.2024; vergleiche BBC 16.1.2024b). Die USA haben daraufhin gemeinsam mit dem Vereinigten Königreich eine Sicherheitsoperation im Roten Meer aufgestellt (Soufan 9.1.2024; vergleiche BBC 16.1.2024b) und Stellungen der Houthis im Jemen bombardiert (BBC 16.1.2024b). Mitte Jänner 2024 haben die Houthis auch ein US-Kriegsschiff beschossen. Die Houthis sind der Militärmacht der USA und des Vereinigten Königreichs nicht gewachsen, aber sie scheinen über genügend Entschlossenheit und Waffen zu verfügen - die von Iran bereitgestellt werden -, um das Rote Meer für die Schifffahrt unsicher zu machen und den Konflikt im Nahen Osten zu verschärfen (IRINTL 15.1.2024).
Seit 2010 hat Israel angeblich mindestens zwei Dutzend Operationen - darunter Attentate, Drohnenangriffe und Cyberangriffe - gegen Iran durchgeführt (USIP 30.1.2023). Die meisten Ziele standen im Zusammenhang mit dem umstrittenen Atomprogramm Teherans, das Israel als existenzielle Bedrohung betrachtet (USIP 30.1.2023; vergleiche TIS 29.12.2023). Im Jahr 2022 wurden zwei Einrichtungen, die Teil des zunehmend fortschrittlichen iranischen Drohnenprogramms waren, von Drohnen getroffen (USIP 30.1.2023). Israel hat Berichten zufolge auch Militärkommandeure ins Visier genommen, die für Operationen im Ausland verantwortlich sind (USIP 30.1.2023; vergleiche TIS 29.12.2023). 2023 wurde im Jänner (RFE/RL 31.1.2023) und April von israelischen Drohnenangriffen auf militärische Ziele in Iran berichtet (IRINTL 5.4.2023), im Dezember vermeldete der iranische Ölminister einen Cyberangriff, den er Israel und den USA zuschrieb (FR24 18.12.2023; vergleiche NZZ 2.1.2024).
Verbotene Organisationen
Letzte Änderung: 13.04.2023
Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, die die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 30.11.2022).
In den iranischen Oppositionsgruppen spiegeln sich unterschiedliche politische Missstände, ethnische Spannungen und ideologische Strömungen wider. Die sichtbarsten Gegner des Regimes sitzen teilweise oder ganz außerhalb Irans. Ihre Ziele sind entweder ein Regimewechsel oder die Selbstbestimmung einer ethnischen Gruppe innerhalb Irans. Die Regierung hat Mitglieder der nachstehend erwähnten Gruppierungen verfolgt und strafrechtlich belangt. Einige Gruppierungen haben Verbindungen zu benachbarten Regierungen in der Region, andere operieren von Europa aus (USIP 2.7.2020).
Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komala(h)-Partei(en), die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI), die Partiya Jiyana Azad a Kurdistane [Partei für ein freies Leben in Kurdistan] (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der türkischen Arbeiterpartei Kurdistans - PKK, zusammenarbeitet, die aus Belutschistan stammende Jundallah (AA 30.11.2022), ihre Absplitterung Jaish al-Adl (Armee der Gerechtigkeit [JAA, JUA]) und das Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz (ASMLA) in der Provinz Khuzestan. Die Mujahadeen-e Khalq (MEK) tritt vom Exil aus für einen Regimewechsel ein. Sie hat sich ab 2003 von der Gewalt losgesagt (USIP 2.7.2020).
Die iranischen Geheimdienste überwachen die Aktivitäten von Gruppierungen wie der MEK, Angehörige der separatistischen Befreiungsbewegung für die Ahwaz-Region sowie iranisch-kurdische Bewegungen auch im westlichen Ausland (BMP 7.10.2022). In einzelnen Fällen kam es auch zu Entführungen und Tötungen von Dissidenten im Ausland (USIP 5.4.2023).
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 26.01.2024
Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltenteilung ist in der Praxis stark eingeschränkt (AA 30.11.2022; vergleiche BS 23.2.2022). Artikel 57, der Verfassung verleiht dem Revolutionsführer weitreichende Aufsichtsbefugnisse über das Justizwesen (BS 23.2.2022). Er ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023), der wiederum für die Ernennung und Entlassung der Gerichtsleiter (Soltani/Shooshinasab 8.2022) und von Richtern zuständig ist (BS 23.2.2022). Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben (AA 30.11.2022). Während die Gerichte innerhalb des herrschenden Establishments ein gewisses Maß an Autonomie genießen, wird das Justizsystem regelmäßig als Instrument eingesetzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 10.3.2023). Der Sicherheitsapparat (AA 30.11.2022) - insbesondere die Revolutionsgarden (BS 23.2.2022) - nehmen v. a. in politischen Fällen jedoch massiven Einfluss auf Urteilsfindung und Strafzumessung (AA 30.11.2022; vergleiche BS 23.2.2022). Das Justizwesen ist geprägt von Korruption (AA 30.11.2022; vergleiche USIP 1.8.2015). Es wird von Fällen berichtet, in denen Richter bestochen wurden, um Gerichtsprozesse zu beeinflussen (IrWire 28.4.2021).
Iranische Gerichte, insbesondere Revolutionsgerichte, sind regelmäßig weit davon entfernt, faire Gerichtsverfahren zu gewährleisten (HRW 12.1.2023). So verweigerten die Behörden z. B. Untersuchungshäftlingen den Zugang zu einem Rechtsbeistand, ließen Inhaftierte "verschwinden" oder hielten sie ohne Kontakt zur Außenwelt fest (AI 27.3.2023), ließen in Prozessen "Geständnisse" als Beweise zu, die unter Folter erpresst worden waren (AI 27.3.2023; vergleiche HRW 12.1.2023), und führten summarische und geheime Scheinprozesse durch, die keinerlei Ähnlichkeit mit fairen Verfahren aufwiesen, in denen jedoch Haftstrafen, Körperstrafen und Todesurteile verhängt wurden (AI 27.3.2023). Im Zusammenhang mit den weitverbreiteten Protesten haben die Justizbehörden im September und November 2022 über 1.000 Anklagen erhoben (HRW 12.1.2023), wobei in den ersten Wochen der Proteste über 15.000 Personen inhaftiert worden sind. Im Laufe des Jahres 2022 wurden Tausende Menschen willkürlich inhaftiert und/oder zu Unrecht strafrechtlich verfolgt, nur weil sie friedlich ihre Menschenrechte wahrgenommen haben. Unzählige weitere bleiben zu Unrecht in Haft (AI 27.3.2023).
Das Recht ist in allen Rechtsbereichen umfassend kodifiziert, so etwa das Zivilrecht, das Familien- und Erbrecht oder das Strafrecht. Die iranischen Gerichte müssen auf der Grundlage dieser Gesetze Recht sprechen. Die Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz ist somit formal gewahrt (LTO 26.10.2022). Der Grundsatz der Rechtmäßigkeit ist zwar durch die Verfassung geschützt, aber mit einem Vorbehalt versehen. In Artikel 167 der Verfassung, einem der umstrittensten Artikel, heißt es, dass die Richter verpflichtet sind, sich zu bemühen, jeden Fall auf der Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Falle des Fehlens, der Unzulänglichkeit, der Kürze oder der Widersprüchlichkeit der Gesetze müssen die Richter den Fall jedoch auf der Grundlage der maßgeblichen islamischen Quellen und der authentischen Fatwas (fatāwā) entscheiden, um zu verhindern, dass ein Fall unentschieden bleibt (Islamic Law Blog 22.11.2015).
Gerichtswesen
Die iranische Justiz verwaltet ein vielschichtiges Gerichtssystem. Die Strafverfolgung geht von niedrigeren Gerichten aus und kann bei höheren Gerichten angefochten werden. Der Oberste Gerichtshof überprüft Fälle von Kapitalverbrechen und entscheidet über Todesurteile. Er hat auch die Aufgabe, für die ordnungsgemäße Anwendung der Gesetze und die Einheitlichkeit der Gerichtsverfahren zu sorgen (USIP 1.8.2015). Bestimmte Urteile können vor dem Obersten Gerichtshof angefochten werden (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vergleiche Landinfo/et al. 12.2021). Anders als die Berufungsgerichte ist der Oberste Gerichtshof nicht befugt, ein neues Urteil zu fällen. Im Falle einer erfolgreichen Anfechtung verweist er den betroffenen Fall wieder an ein zuständiges Gericht zurück (Landinfo/et al. 12.2021).
Die allgemeinen Gerichte des Iran sind offiziell damit beauftragt, alle Arten von Fällen und Streitigkeiten zu schlichten. Diese verteilen sich auf die kleineren Landkreise, Bezirke und Distrikte des Landes. In den Strafgerichten werden Fälle gemäß der iranischen Strafprozessordnung behandelt, in den Zivilgerichten [Anm.: auf Englisch "legal courts"] gilt die Zivilprozessordnung (IrWire 9.9.2020).
Seit 2001 gibt es darüber hinaus sogenannte Streitschlichtungsräte (Shurāhā-I hal-e ikhtilāf) als alternative Konfliktlösungskörperschaften. Die Richter dieser Räte können in Abstimmung mit den Ratsmitgliedern in bestimmten Fragen in den Bereichen Finanzen, Miete, Erbschaft, Mitgift und Unterhalt sowie bestimmten Ta'zir-Vergehen Fälle anhören und Urteile sprechen. Sie können aber z. B. keine Scheidungsfragen behandeln und sind auch nicht dazu befugt, Körper- oder Haftstrafen auszusprechen. Die Zuständigkeit der Streitbeilegungsräte in den Dörfern beschränkt sich auf Friedens- und Kompromissentscheidungen (Soltani/Shooshinasab 8.2022).
Die Zivilgerichte verhandeln über lokale materielle und immaterielle zivilrechtliche Streitigkeiten, die nicht in die Zuständigkeit der Streitschlichtungsräte fallen. Die Familiengerichte entscheiden hierbei unter anderem bei Ehe- und Scheidungsfragen, Obsorge wie auch geschlechtsangleichenden Operationen. Die Urteile werden von einem männlichen Richter gefällt, nachdem er eine beratende Richterin schriftlich konsultiert hat (Soltani/Shooshinasab 8.2022).
Die Strafgerichte unterteilen sich in verschiedene Untereinheiten (IrWire 9.9.2020). Neben den Strafgerichten 1 und 2 gibt es die Revolutionsgerichte, Jugendgerichte und Militärgerichte (Landinfo/et al. 12.2021; vergleiche Soltani/Shooshinasab 8.2022). Darüber hinaus gibt es mehrere Sondergerichte (IrWire 9.9.2020), darunter beispielsweise ein Sondergericht für die Geistlichkeit (Dadgah-e Vīzheh-ye Rouhaniyat), das als einziges Gericht nicht dem Justizchef, sondern direkt dem Revolutionsführer untersteht (Landinfo/et al. 12.2021). Es wird u. a. dazu genutzt, um prominente Kleriker, welche Kritik am Regime äußern, strafrechtlich zu verfolgen (IrWire 9.9.2020; vergleiche USIP 1.8.2015). Das Gesetz ermöglicht die Einsetzung eines zuständigen Gerichts zur Behandlung von Verstößen gegen das Pressegesetz von 1986 - das sogenannte Pressegericht - das unter Einbeziehung von Schöffen tagen soll. Derzeit werden Journalisten allerdings eher vor Revolutionsgerichten wegen Vergehen gegen die nationale Sicherheit, "Propaganda gegen den Staat" und/oder das "Schüren von Angst in der öffentlichen Meinung" angeklagt - nach Ansicht eines Experten, um Prozesse unter Anwesenheit von Schöffen zu vermeiden. Das Pressegericht ist derzeit nicht im Einsatz (Landinfo/et al. 12.2021).
Die Revolutionsgerichte haben verschiedene Zweige in der Hauptstadt, in den Provinzen und in manchen Justizdistrikten (Landinfo/et al. 12.2021). Die Verfassung sieht weder ihre Einrichtung noch ein Mandat für die Revolutionsgerichte vor. Sie wurden gemäß dem Dekret des ehemaligen obersten Führers, Ayatollah Khomeini, unmittelbar nach der Revolution von 1979 geschaffen, wobei ein Scharia-Richter zum Leiter der Gerichte ernannt worden ist. Die Revolutionsgerichte waren ursprünglich als vorübergehende Maßnahme gedacht, um hochrangige Beamte der abgesetzten Monarchie vor Gericht zu stellen, aber sie wurden später institutionalisiert und arbeiten weiterhin parallel zum restlichen Strafjustizsystem (USDOS 20.3.2023). Sie sollten eigentlich von der Justiz beaufsichtigt werden (IrWire 9.9.2020). In der Praxis werden sie allerdings von und für Sicherheitsbehörden betrieben, die außerhalb des Gesetzes stehen (IrWire 9.9.2020; vergleiche MRAI 19.6.2023). Manche Quellen gehen davon aus, dass die Revolutionsgerichte in Zusammenarbeit mit den Revolutionsgarden und dem Geheimdienstministerium (MOIS) operieren (Landinfo/et al. 12.2021).
Die Revolutionsgerichte unterscheiden sich bezüglich der Angelegenheiten, welche sie behandeln, von anderen Gerichten. Sie befassen sich in erster Linie mit Straftaten im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit, was im Grunde alle politischen und sozialen Aktivitäten von Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten einschließt (MRAI 19.6.2023). Weiters sind sie auch für bestimmte Finanzverbrechen zuständig (Soltani/Shooshinasab 8.2022). Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf die folgenden Delikte:
● Alle Verbrechen gegen die nationale und internationale Sicherheit, "mohārebeh" (Waffenaufnahme gegen Gott und Staat) oder "baghei" (bewaffneter Aufstand gegen die Regierung) (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vergleiche IrWire 9.9.2020) und "efsād fe-l-arz" ["Korruption auf Erden"] - jeweils definiert und kriminalisiert in den Artikeln 279 bis 285 und 286 bis 288 des islamischen Strafgesetzbuchs von 2013 (Soltani/Shooshinasab 8.2022);
● Rebellion, geheime Absprachen und Versammlungen gegen die Islamische Republik Iran oder bewaffnete Aktionen, Brandanschläge, Zerstörung und Verschwendung von Eigentum, um sich gegen das Regime zu stellen (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vergleiche JIS 8.9.2018);
● Spionage gegen das Regime (JIS 8.9.2018);
● Beleidigung des Revolutionsgründers Ayatollah Khomeini und aller Revolutionsführer, die ihm nachfolgen (JIS 8.9.2018; vergleiche Soltani/Shooshinasab 8.2022);
● Alle Straftaten im Zusammenhang mit Drogen, psychotropen Stoffen und deren Vorläufersubstanzen sowie dem Schmuggel von Waffen, Munition und anderen einschlägigen Gegenständen (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vergleiche JIS 8.9.2018);
● Andere Fälle, für die laut Gesetz das Revolutionsgericht zuständig ist (Artikel 303 der Strafprozessordnung 2014) (Soltani/Shooshinasab 8.2022): z.B. in Artikel 49, der Verfassung erwähnte Delikte wie Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (JIS 8.9.2018; vergleiche Soltani/Shooshinasab 8.2022).
Strafrecht und Scharia
Die Verfassung Irans ist ein hybrides System aus republikanisch-demokratischen und theokratisch-autoritären Elementen unter dem Vorrang des islamischen Rechts der Ja'afari-Rechtsschule (BAMF 5.2021). Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen (ÖB Teheran 11.2021). Von den drei Staatsgewalten haben die Geistlichen in der Judikative die stärkste Präsenz, wobei sie eine Ausbildung in islamischer Rechtswissenschaft oder Abschlüsse von religiösen Rechtsschulen haben müssen, um Richter zu werden. Der Chef der Justiz, der Generalstaatsanwalt des Landes und alle Richter des Obersten Gerichtshofs müssen hochrangige Geistliche oder Mujtahids sein (USIP 1.8.2015), also Rechtsgelehrte, die nach schiitischer Auslegung dazu qualifiziert sind, Ijtihad zu betreiben (EB o.D.a), d. h. islamische Texte in ungeklärten Rechtsfragen unabhängig auszulegen (EB o.D.b). Die iranische Justiz ist insofern ein einzigartiges System, als sie islamische Prinzipien und eine vom französischen System inspirierte Gesamtstruktur kombiniert. Nach der islamischen Revolution wurde das Justizsystem stark verändert, um die Scharia einzubeziehen. Das neue System wurde jedoch auf einer bereits bestehenden säkularen Struktur aufgebaut, wodurch ein sehr komplexes Justizwesen entstanden ist (Landinfo/et al. 12.2021).
Mit der islamischen Revolution von 1979 kam es zur Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, das die bisherige, vom "code pénal napoléon" von 1810 beeinflusste Gesetzgebung, ablöste und sich aus drei eigenständigen Teilbereichen zusammensetzt (BAMF 5.2021). Die Schwere und Art einer Straftat sowie die vorgeschriebene Strafe bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung des Falles zuständig ist. Artikel 14, des Islamischen Strafgesetzbuches (IStGB) unterteilt Verbrechen in vier Strafkategorien gemäß der Scharia: hadd, qisas, diyah und ta’zīr (Landinfo/et al. 12.2021).
Hadd-Delikte umfassen Unzucht/Ehebruch (zina), Sodomie (levat), lesbische Beziehung (mosaheqeh), Beschaffung von Prostitution (qavadī), falsche Anschuldigung der Unzucht/Sodomie (qazf), Verleumdung des Propheten (sabb-e nabī), Alkoholkonsum (shorb-e khamr), Raub/Diebstahl, Waffennahme gegen Gott (mohārebeh ba khoda), Korruption auf Erden (mofsad/efsad fe-l-arz) und Rebellion (baghei). Zu den hadd-Strafen gehören die Todesstrafe, Steinigung, Kreuzigung, Auspeitschung, Amputation (von Hand und Fuß), lebenslange Haft und Verbannung. Art und Umfang dieser Strafen werden vom islamischen Recht bestimmt und gelten als von Gott festgelegt, sie können daher von einem Richter nicht abgeändert oder begnadigt werden. Aufgrund der Schwere der Strafen und der Tatsache, dass sie unveränderlich sind, gelten strenge Beweis- und andere Anforderungen (Landinfo/et al. 12.2021), wie zum Beispiel eine bestimmte Anzahl an Zeugen. Darüber hinaus gibt es auch die Beweisregelung des "richterlichen Wissens" (‘elm-e qāzī) (Landinfo/et al. 12.2021; vergleiche MRAI 19.6.2023), die in vielen hadd-Fällen angewandt wird. Sie bedeutet, dass der Richter auf Grundlage von Indizien entscheiden muss, ob der Angeklagte schuldig ist oder nicht. Eine Strafrechtsnovelle im Jahr 2013 hat die Anwendung dieser Regelung bei Ehebruchsfällen abgeschwächt. Bei Anklagen aufgrund der hadd-Tatbestände mohārebeh und mofsad/efsād fe-l-arz ist das "richterliche Wissen" immer noch einer der Hauptfaktoren zur Ermittlung der Schuld oder Unschuld eines Angeklagten (MRAI 19.6.2023).
Iranische Aktivisten und Dissidenten, darunter Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten, werden normalerweise mit vage formulierten und weit gefassten Anklagen konfrontiert, die aus dem IStGB stammen. Die hadd-Verbrechen "Waffennahme gegen Gott" (mohārebeh) und "Korruption auf Erden" (efsād fe-l-arz) sind dabei die berüchtigtsten (Landinfo/et al. 12.2021). Manche Interpretationen von mohārebeh schließen selbst Messer als Waffen ein. Es kann daher passieren, dass Personen des mohārebeh beschuldigt werden, weil sie ein Messer bei sich trugen. Dieser Straftatbestand wird insbesondere gegen Minderheitengruppen wie kurdische Gemeindemitglieder verwendet, wenn ihnen Verbindungen zu militanten Gruppierungen vorgeworfen werden. Mofsad/efsad fe-l-arz ist dagegen eine völlig andere Kategorie. Die Definition dieses Begriffs obliegt dem jeweiligen Richter. Dies kann ein sexuelles Vergehen ebenso sein, wie Wirtschaftskriminalität, wenn die Handlung als so schwerwiegend interpretiert wird, dass sie eine ernsthafte Bedrohung für die Gesellschaft darstellt (MRAI 19.6.2023). Hadd-Strafen werden im zweiten Buch des IStGB (Artikel 217 –, 288,) behandelt (BAMF 5.2021).
Qisas-Vebrechen sind sogenannte Talions- oder Vergeltungsstrafen (Landinfo/et al. 12.2021; vergleiche BAMF 5.2021). Sie basieren auf einem Prinzip des islamischen Rechts, den Opfern eine analoge Vergeltung für Gewaltverbrechen wie Totschlag oder Körperverletzung zu erlauben - unter der Voraussetzung, dass die Taten vorsätzlich waren. Angehörige eines Tötungsopfers (nächste Familienangehörige) und Opfer von Körperverletzung können alternativ ihre Forderung nach Vergeltung gegen Geldentschädigung (diyah), also Blutgeld, zurücknehmen und den Täter freilassen. Sie können dem Täter auch ganz vergeben und auf diyah verzichten. Das iranische Rechtssystem betrachtet diese Verbrechen als Angelegenheit zwischen Privatpersonen. Die Rolle des Staates besteht darin, die Ermittlungen und Gerichtsverfahren in diesen Fällen zu erleichtern und sicherzustellen, dass nachfolgende Bestrafungen in organisierter Form erfolgen. Doch selbst wenn die Bluträcher auf ihren Anspruch auf Vergeltung verzichten, kann der Staat eine zusätzliche Strafe verhängen, wenn er der Ansicht ist, dass das Verbrechen die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Gesellschaft stört. In Fällen von Körperverletzung ist Vergeltung selten. Auch bei Mord ist es für die Angehörigen oftmals attraktiver, diyah anzunehmen. Bei nicht vorsätzlicher Körperverletzung oder Totschlag ist diyah dagegen grundsätzlich vorgesehen (und nicht nur als Alternative zu Vergeltung, so die Opfer oder ihre Angehörigen zustimmen). Diyah wird weiters auch in manchen Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung angewendet, in denen Vergeltung verboten oder undurchführbar ist (Landinfo/et al. 12.2021). Qisas-Strafen werden im dritten Buch (Artikel 289 –, 447,) und im vierten Buch das Blutgeld bzw. diyah (Artikel 448 –, 728,) behandelt (BAMF 5.2021).
Für alle sonstigen aus Sicht der Rechtsordnung strafwürdigen Taten sind ta’zīr-Strafen (BAMF 5.2021; vergleiche Landinfo/et al. 12.2021) - Ermessensstrafen - und sogenannte "Abschreckungsstrafen" (mojāzāt-e bāzdārandeh) vorgesehen. Letztere dienen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Während hadd, qisas und diyah durch islamisches Recht definiert werden, leiten sich ta'zir und Abschreckungsstrafen aus dem staatlichen Recht ab. In diese Kategorien fallen zum Beispiel Straftaten gegen die interne und externe Sicherheit des Staates (Artikel 498 -, 512 und 610-611 IStGB); Fälschung (Artikel 523 -, 542, IStGB); Vergehen gegen öffentliche Moral und Anstand (Artikel 637 -, 641, IStGB) - beispielsweise ungehörige Beziehungen zwischen Männern und Frauen, wie z.B. Berührungen und Küsse (Artikel 637,), oder unislamische Kleidung (Artikel 638,); Diebstahl (Artikel 651 -, 667, IStGB); sowie öffentliche Konsumation von Alkohol, Glücksspiel und Vagabundieren (Artikel 701 -, 713, IStGB). Ta’zīr-Strafen werden nach Art und Umfang nach Ermessen des Richters (auf der Grundlage des kodifizierten Rechts) verhängt (Landinfo/et al. 12.2021).
Wenn sich Gesetze, die seit der Gründung der Islamischen Republik erlassen wurden, mit einer spezifischen Rechtssituation nicht befassen, rät die Regierung den Richtern, ihrer Kenntnis und Auslegung der Scharia (islamisches Gesetz) Vorrang einzuräumen. Bei dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen "göttlichen Wissens" [divine knowledge] für schuldig erklären (USDOS 20.3.2023).
Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis, Rechtsschutz
Bei Delikten, die im starken Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden (ÖB Teheran 11.2021). Im iranischen Strafrecht sind also körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 30.11.2022). Auf die Anwendung der Vergeltungsstrafen (qisas) der Amputation (z. B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung kann der Geschädigte gegen Erhalt eines Abstandsgeldes (diyah) verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom Geschädigten gegen diyah verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021). Stattdessen hat sich die islamische Führung auf die Hinrichtung als Alternative verlegt. Im Jahr 2023 wurden beispielsweise zwei Todesurteile aufgrund des Straftatbestands Ehebruch verhängt (RFE/RL 3.11.2023).
Verlässliche Aussagen zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch Willkür auszeichnet. Mitunter bewusst unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine unzureichende Kontrolle innerhalb der Justiz ermöglichen ein willkürliches Handeln von Richtern. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass Gerichte in politischen Verfahren nicht unabhängig agieren. Auch willkürliche Verhaftungen kommen häufig vor und führen dazu, dass Häftlinge ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht eigentlich garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht einer Straftat unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht bewusst verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erfolgt die Anklage oft aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat oft unverhältnismäßig hoch, besonders bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (Kopftuchzwang) (AA 30.11.2022).
Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 30.11.2022).
Rechtsschutz ist nur eingeschränkt gegeben (AA 30.11.2022). Es gibt Fälle von Rechtsanwälten, welche Dissidenten vertraten und daraufhin inhaftiert und mit einem Berufsverbot belegt worden sind (FH 10.3.2023). Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert, zum Teil auch selbst inhaftiert und verurteilt (AA 30.11.2022). Eine Rechtsanwältin, die in der Vergangenheit Angeklagte in politischen Fällen vor Revolutionsgerichten vertreten hat, berichtete unter anderem von permanenter Überwachung, sobald derartige Fälle übernommen werden. Auch drohen manchen Rechtsanwälten derzeit sehr lange Haftstrafen (MRAI 19.6.2023). Der Anwalt Amirsalar Davoudi, der u. a. politische Gefangene vertrat und öffentlich Missstände im Justizsystem anprangerte, wurde 2019 beispielsweise zu 30 Jahren Haft verurteilt (IHRNGO 1.12.2022), was auf andere Anwälte äußerst abschreckend wirkt (MRAI 19.6.2023).
Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen. Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen. Üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (AA 30.11.2022).
Während es an allen iranischen Gerichten bestimmte Probleme gibt, sind die Revolutionsgerichte besonders dafür berüchtigt, selbst die grundlegendsten Rechte nicht einzuhalten (MRAI 19.6.2023). Strafverfahren vor den Revolutionsgerichten finden oft hinter verschlossenen Türen unter dem Vorsitz von Geistlichen statt, ohne dass Standardgarantien eines Strafverfahrens, wie etwa die Gewährung von Zeit und Zugang zu Anwälten zur Vorbereitung einer Verteidigung, gewährleistet sind (Conversation 13.1.2023). Laut Menschenrechtsgruppen und internationalen Beobachtern werden vor Revolutionsgerichten, die im Allgemeinen die Fälle politischer Gefangener anhören, routinemäßig grob unfaire Gerichtsprozesse ohne ordnungsgemäße Verfahren abgehalten; es werden vorab festgelegte Urteile verkündet und Hinrichtungen für politische Zwecke befürwortet. Diese unlauteren Praktiken treten Berichten zufolge in allen Phasen der Strafverfahren vor den Revolutionsgerichten auf (USDOS 20.3.2023). Die Revolutionsgerichte haben sich bei der Verurteilung von Personen im Zusammenhang mit den Protesten seit September 2022 auf unter Folter oder durch andere Zwangsmittel erzwungene Geständnisse als Beweismittel gestützt, unter anderem auch bei Todesurteilen (UNHRC 7.2.2023).
Anwälte benötigen vor Revolutionsgerichten in der Regel schon alleine dafür eine Erlaubnis der Richter, um den Gerichtssaal betreten zu können. Anwälten von Personen, die in der Vergangenheit wegen mohārebeh angeklagt waren, wurde manchmal die Teilnahme am Prozess verweigert. In anderen sicherheitsrelevanten Fällen durften sie teilnehmen, aber ihr Recht auf eine angemessene Verteidigung wurde eingeschränkt (Landinfo/et al. 12.2021). Eine Novelle der Strafprozessordnung im Jahr 2015 höhlte die ohnehin begrenzten Beschuldigtenrechte bei Prozessen wegen Vergehen gegen die nationale Sicherheit weiter aus. Den Beschuldigten und ihren Anwälten wurde mit der Novelle beispielsweise das Recht auf eine Kopie der Gerichtsakten verweigert (MRAI 19.6.2023) und Angeklagte dürfen zumindest im Anfangsstadium des Verfahrens (AA 30.11.2022) - dem Untersuchungsstadium (MRAI 19.6.2023) - nur aus einer Liste mit vom Staat zugelassenen und damit mutmaßlich systemfreundlichen Anwälten auswählen (AA 30.11.2022; vergleiche MRAI 19.6.2023). In dieser bedeutsamen Prozessphase werden oftmals sensible Informationen aufgedeckt, diese Einschränkung der Auswahl gibt Anlass zur Sorge über die Fairness und Transparenz der Prozesse (MRAI 19.6.2023).
Die Revolutionsgerichte sehen meist davon ab, das Urteil an die Angeklagten zu übermitteln. In der Regel laden sie den Anwalt des Angeklagten vor Gericht und verlesen das Urteil. Solche Urteile sind folglich auf der elektronischen Datenbank Adliran nicht zugänglich. Rechtsanwälte dürfen Urteile lediglich direkt bei Gericht lesen und sich dort Notizen machen (Landinfo/et al. 12.2021).
In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA), deren Unabhängigkeit die Judikative einzuschränken versucht. Anwälte der IBA sind staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen ausgesetzt (AA 30.11.2022). Um eine Anwaltslizenz zu erhalten, mussten Anwärter bislang unter anderem eine Prüfung bei der IBA ablegen (MBZ 9.2023; vergleiche Soltani/Shooshinasab 8.2022). Im August 2023 verabschiedete das iranische Parlament ein Gesetz, das die Kontrolle zur Erteilung von Anwaltslizenzen an das Ministerium für Industrie, Bergbau und Handel übertrug (MBZ 9.2023).
Doppelbestrafung (ne bis in idem), im Ausland begangene Vergehen, Verurteilung in Abwesenheit
Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge hält sich der Iran an den Grundsatz ne bis in idem, wenn es um ta'zir-Strafen geht. Im Falle von hadd- und qisas-Strafen ist eine doppelte Strafverfolgung dagegen möglich. Auch ist es möglich, dass ein Gericht eine ta'zir-Strafe gegen eine Person verhängt, der Staatsanwalt jedoch im Nachhinein angibt, dass dies ein Fehler war und das Vergehen unter einen hadd-Tatbestand fällt. In diesem Fall kann eine Person zweimal für dieselbe Straftat verurteilt werden, in der Praxis kommt dies jedoch selten vor (MBZ 9.2023).
Iranische Staatsbürger unterliegen auch im Ausland der iranischen Gesetzgebung und können nach Artikel 7 des IStGB 2013 für Vergehen, die im Ausland begangen wurden, in Iran belangt werden (Landinfo 9.11.2022). Das Verbot der Doppelbestrafung gilt in diesem Fall nur stark eingeschränkt. Nach dem IStGB werden Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen [Anm.: hadd- und qisas-Strafen] haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen (AA 30.11.2022). Ein von Landinfo im Jahr 2021 befragter Rechtsanwalt zeichnete jedoch ein differenzierteres Bild und gab an, dass insbesondere im Ausland begangene Vergehen, welche die innere und äußere Sicherheit betreffen, in Iran strafrechtlich verfolgt werden. Laut dem Rechtsanwalt werden beispielsweise Alkoholkonsum oder "unzüchtiges" Verhalten iranischer Staatsbürger im Ausland in Iran nicht strafrechtlich verfolgt (Landinfo 9.11.2022). In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 30.11.2022).
Es kommt in der Praxis vor, dass Personen in Iran in Abwesenheit aufgrund von im Ausland durchgeführten Tätigkeiten verurteilt werden, beispielsweise aufgrund von Veröffentlichungen von kritischen Beiträgen in den sozialen Medien. Mehrere Quellen berichteten von derartigen Fällen von bekannten Aktivisten im Ausland (MBZ 9.2023). Der ehemalige, in Dubai wohnhafte Profifußballer Ali Karimi wurde zum Beispiel von den iranischen Behörden in absentia verurteilt, nachdem er nach Mahsa Aminis Tod kritische Texte auf Instagram gepostet hatte (MBZ 9.2023; vergleiche ArTR 16.12.2022).
Anmerkung: s. Kap. "Dokumente, Meldewesen und Personenstandsregister" für Informationen zur Justizdatenbank Adliran und SANA.
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 26.01.2024
Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit. Das Informations- oder Geheimdienstministerium [vezarat -e etela’at - VAJA, wobei auch das englischsprachige Akronym MOIS weit verbreitet ist] und die Strafverfolgungsbehörden unterstehen dem Innenministerium, das dem Präsidenten verantwortlich ist. Die Islamischen Revolutionsgarden [sepah-e pasdaran -e enqhelab -e Islami - IRGC] unterstehen direkt dem Obersten Führer Khamenei. Die Basij, eine aus Freiwilligen bestehende paramilitärische Gruppierung, agieren zum Teil unter den Revolutionsgarden als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug. Die Revolutionsgarden und die nationale Armee (Artesh) sorgen für die externe Verteidigung (USDOS 20.3.2023). Die zivilen Behörden bzw. die Regierung behalten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 20.3.2023; vergleiche BS 23.2.2022) und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete (BS 23.2.2022). Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen (USDOS 20.3.2023).
Polizei - Strafverfolgungsbehörde NAJA
Die iranische Polizei wird offiziell "Strafverfolgungsbehörde" (nīrū-ye entezāmī-ye jomhūrī-ye eslāmī-ye īrān) genannt und ist auch unter ihrem Akronym in Farsi bekannt, nämlich NAJA. Sie unterteilt sich in verschiedene Zweige (Landinfo/et al. 12.2021): Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internet-, Drogen-, Militär-, Luftfahrt- sowie Grenzschutzpolizei, Küstenwache, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorismusbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 30.11.2022). Ungefähr die Hälfte der Polizeikräfte sind Wehrpflichtige, die in der Polizei ihren verpflichtenden Wehrdienst ableisten. Seit dem Jahr 2000 werden bestimmte Verwaltungsaufgaben in teilprivate, der NAJA angegliederte Firmen ausgelagert. Zu den Aufgaben dieser Firmen zählen beispielsweise die Ausstellung von Führerscheinen und Schutz- bzw. Wachdienste (Landinfo/et al. 12.2021).
Zu den Zweigen der NAJA gehört die Polizei für Geheimdienst und öffentliche Sicherheit (polīs-e ettelā’āt va amnīyat-e‘ omūmī - PAVA). Eine der Untereinheiten der PAVA ist die Sittenpolizei (polīs-e amnīyat-e akhlāqī). Ihr Auftrag ist die Überwachung von Bekleidungsvorschriften für Frauen (u. a. richtig getragene Hijabs) und Männer (Vermeidung eines "unislamischen" Erscheinungsbilds) in der Öffentlichkeit sowie die Überwachung (und Verhinderung) von Verhalten gegen die "islamische Moral" im Allgemeinen. Die Sittenstreife (gasht-e ershād [auch: "Belehrungsstreife"]) ist eine Untereinheit der Sittenpolizei. Sie besteht aus männlichen wie weiblichen Sicherheitskräften und ist üblicherweise in Polizeiautos auf öffentlichen Plätzen stationiert. Dort überwachen sie die Lage und verhaften Personen, insbesondere Frauen, die vorgeblich "unzüchtig" gekleidet sind, oder versuchen, eine Vermischung der Geschlechter zu unterbinden [Anm.: So die betroffenen Männer und Frauen nicht nah miteinander verwandt sind] (Landinfo/et al. 12.2021). Die Sittenpolizei wird beschuldigt, Frauen willkürlich wegen Übertretungen zu verhaften. Der Tod einer jungen Frau, die zuvor von der Sittenpolizei wegen eines angeblich unkorrekt getragenen Hijabs festgenommen worden war, hat zuletzt monatelange Proteste ausgelöst (DW 4.12.2022). Nach dem Ausbruch der landesweiten Proteste im September 2022 verschwand die Sittenpolizei weitgehend von den Straßen. Der Regierung schien klar zu sein, dass die Ordnungshüter in ihren allgegenwärtigen weißen Transportern den Unmut der Öffentlichkeit noch stärker auf sich ziehen würden (USIP 6.9.2023). Anfang Dezember 2022 berichteten Medien, dass die Sittenpolizei aufgelöst werden soll (DW 4.12.2022; vergleiche Tagesschau 11.3.2023), was als Zugeständnis an die Protestbewegung gewertet wurde (Tagesschau 11.3.2023). Tatsächlich wurde die Sittenpolizei jedoch nie aufgelöst. Die iranische Regierung hielt bezüglich der Umsetzung der Bekleidungsvorschriften an ihrer Position fest, indem sie die Durchsetzung der Vorschriften später wieder verstärkte. Im Juli 2023 setzte sie die Sittenpolizei wieder ein (USIP 6.9.2023; vergleiche RFE/RL 20.7.2023).
Revolutionsgarden
Die Revolutionsgarden (auch bekannt als Pasdaran oder Sepah) sind sowohl militärische Kampftruppe, Sicherheitsbehörde und Geheimdienstorganisation als auch eine soziale und kulturelle Macht und ein industrielles wie wirtschaftliches Konglomerat. Ihr Einfluss hat in allen genannten Bereichen im vergangenen Jahrzehnt zugenommen (Landinfo/et al. 12.2021). Die Revolutionsgarden nehmen eine Sonderrolle ein. Ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchdrungen und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eine fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie über engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 30.11.2022). Die Revolutionsgarden unterhalten auch eine eigene Bodenkampftruppe, Luftwaffe und Marine sowie mehrere Einheiten für nicht-konventionelle Kriegsführung und verdeckte Operationen. Den Revolutionsgarden unterstehen auch die Basij. Die Quds-Einheiten (sepāh-e qods) sind für alle verdeckten und militärischen Auslandseinsätze der Revolutionsgarden zuständig (Landinfo/et al. 12.2021). Heute sollen die Revolutionsgarden über ca. 190.000 Soldatinnen und Soldaten verfügen, während die regulären Streitkräfte 420.000 Mann unter Waffen haben. Hinzu kommen noch einmal 450.000 Reservisten als Teil der Basij-Milizen, die ebenfalls den Revolutionsgarden unterstellt sind (IRJ 1.2.2021), wobei Schätzungen über die Zahl der Basij weit auseinandergehen und bis zu mehreren Millionen reichen (ÖB Teheran 11.2021).
Die Revolutionsgarden spielen eine dominante Rolle in der iranischen Wirtschaft (FH 10.3.2023). In den vergangenen Jahrzehnten haben sie ihren ökonomischen Einfluss massiv ausgebaut. Sie besitzen ein Baukonglomerat, das bei vielen strategischen Infrastrukturprojekten und milliardenschweren Investitionen federführend ist: Khatam-al-Anbia. Die Revolutionsgarden betreiben gigantische Wirtschaftsunternehmen, bauen Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und U-Bahnen. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv. Wie groß der Anteil der iranischen Volkswirtschaft insgesamt ist, den die Revolutionsgarden inzwischen kontrollieren, lässt sich nicht sagen. Genaue Statistiken und Daten dazu fehlen (DW 7.3.2023). Die Unternehmen der Revolutionsgarden sind jedenfalls breit aufgestellt. Unter anderem betreiben sie auch Hotelketten, Versicherungen, private Banken und entwickeln Kriegsgerät (LMD 2020a). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern (DW 18.2.2016). Mittlerweile sind die wirtschaftlichen Aktivitäten der Revolutionsgarden außerhalb des normalen Marktgeschehens so umfangreich, dass der Privatsektor in vielen Bereichen nicht mehr existiert. Er wurde verdrängt und ist gegenüber der Marktbeherrschung der Garden nicht mehr wettbewerbsfähig (IRJ 1.2.2021).
Die Revolutionsgarden sind nicht nur in Iran, sondern auch in der Region aktiv. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland ausgebildet (Tagesschau 8.6.2017).
Wichtigste Nachrichten- und Geheimdienste
Die beiden wichtigsten Geheimdienste Irans sind das MOIS und der Geheimdienst der Revolutionsgarden (USIP 17.2.2023). Das MOIS ist mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst und den technischen Aufklärungsdienst. Der Inlandsgeheimdienst beobachtet die politische Opposition und übt Druck auf diese aus (AA 30.11.2022). Eine der Einheiten des MOIS trägt den Namen Herasat (sāzmān-e herāsat-e koll-e keshvar). Sie hat in allen Zivilorganisationen und Universitäten Zweige zur Identifizierung von Sicherheitsbedrohungen für das Regime (Landinfo/et al. 12.2021; vergleiche TWI 5.1.2018). Die Geheimdienstorganisation der Revolutionsgarden (sāzmān-e ettelā’āt-e sepāh-e pāsdārān-e enqelāb-e eslāmī) wurde im Zuge der Proteste im Jahr 2009 gegründet (Landinfo/et al. 12.2021). Laut dem Iran-Experten Walter Posch ist die Organisation allerdings nur nominell und aus historischen Gründen Teil der Revolutionsgarden, in Wirklichkeit ist sie ein eigenständiger Dienst (Posch/Chatham 5.5.2023).
Die Missionen des MOIS und des Geheimdienstes der Revolutionsgarden überlappen sich deutlich (USIP 17.2.2023; vergleiche Landinfo/et al. 12.2021), da beide Institutionen umfangreiche Aufgabenbereiche haben. Die Hauptaufgabe des MOIS wie des Geheimdienstes der Revolutionsgarden ist es, die Islamische Republik an der Macht zu halten. Die Überwachung von Dissidenten im In- und Ausland und die Unterdrückung organisierter Opposition sind wichtige Aufgabenfelder der Dienste (USIP 17.2.2023). Das MOIS ist laut dem Verfassungsschutz der Bundesrepublik Deutschland der Hauptakteur iranischer Nachrichtendienstaktivitäten in Deutschland. In seinem Fokus stehen insbesondere iranische Oppositionsgruppen. Darüber hinaus sind auch die geheimdienstlich agierenden Quds-Kräfte in Deutschland aktiv (BMIH/BfV 20.6.2023). Das Netzwerk iranischer Nachrichtendienste ist auch in Österreich präsent (BMI/DSN 2022). Bei ihren Operationen im westlichen Ausland stützen sich die iranischen Nachrichten- und Geheimdienste auch auf Dritte, wie zum Beispiel Kriminelle (WP 1.12.2022a). Der Leiter des MOIS hat einen Kabinettsposten inne und ist dem Präsidenten verantwortlich. Der Geheimdienst der Revolutionsgarden fällt dagegen unter die militärische Befehlskette und untersteht direkt dem Obersten Führer (USIP 17.2.2023).
Behörden zur Überwachung von Internetaktivitäten
Zur Überwachung des Internets wurde der "Hohe Rat für den Cyberspace" gegründet. Er setzt sich aus hochrangigen Militärs und Politikern zusammen (DlF 26.9.2022; vergleiche RSF o.D.a). Dem Innenministerium unterstellt ist darüber hinaus die Cyberpolizei (polīs-e fazā-ye toulīd va tabādol-e ettelā’āt - FATA), wortwörtlich die "Polizei für virtuellen Raum und Informationsaustausch" (Landinfo/et al. 12.2021), die auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste steht. Sie beschäftigt sich mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen, Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet (AA 30.11.2022). Die Ausforschung von Verkäufern von Virtual Private Network (VPN)-Zugängen zählt ebenfalls zu den Aufgaben der FATA (Landinfo/et al. 12.2021). Nach eigenen Angaben beschäftigt die FATA rund 42.000 Freiwillige, die Aufgaben bei der Überwachung des virtuellen Raums sowie bei der Erstellung und Bewerbung von Inhalten übernehmen (Medium 18.2.2019; vergleiche Landinfo 9.11.2022). Das Aufgabenfeld der FATA überlappt sich mit jenem des Zentrums zur Überwachung Organisierter Kriminalität (markaz-e barrasī-ye jarā’em-e sāzmān-yāfteh - CIOC) und dem Cyberverteidigungskommando der Revolutionsgarden (qarārgāh-e defā’-e sāiberī). Diese beschäftigen sich jedoch in stärkerem Ausmaß mit Fragen der nationalen Sicherheit, wie zum Beispiel der Verbreitung von Onlinematerial kurdischer Parteien und politischer Bewegungen, oder der Verbreitung des christlichen Glaubens in den sozialen Medien. Die FATA beschäftigt sich demgegenüber eher mit "einfachen" Verbrechen, darunter auch Sittenverbrechen (Landinfo/et al. 12.2021). Unter anderem überwacht sie die Inhalte von als apolitisch wahrgenommenen Influencerinnen in den sozialen Medien bezüglich der Einhaltung der Hijab-Pflicht (Medium 18.2.2019). Darüber hinaus spielen auch die Basij eine Rolle bei der Überwachung von Internetaktivitäten (Landinfo 9.11.2022).
Basij
Die Basij sind laut einer Quelle die größte zivile Milizorganisation der Welt, mit vierundzwanzig Abteilungen und vier Hauptkategorien an Mitgliedern: reguläre, aktive, Kader- und Spezialmitglieder. Sie bilden ein Netzwerk, das aus Basij-Basen, Distrikten und Regionen besteht. Die Basij-Basen sind aufgrund ihrer großen Sichtbarkeit (50.000 Standorte im gesamten Iran) das eigentliche Rückgrat der Organisation an der Basis (TWI 5.1.2018). Die Basij haben unter anderem in Schulen und Universitäten Stützpunkte, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist (ÖB Teheran 11.2021). Sie sind auch in Moscheen stationiert (DW 7.3.2023). Jeder Basij-Distrikt kontrolliert zehn bis fünfzehn Stützpunkte und beherbergt lokale Sicherheits- und Militärkräfte. Diese Distrikte werden wiederum von regionalen Abteilungen der Revolutionsgarden kontrolliert. Nicht alle Basij-Mitglieder sind an politischen Repressionen beteiligt. Dennoch verfügt die Organisation über mehrere Sicherheits- und Militäreinheiten, die sich aus aktiven oder freiwilligen Mitgliedern zusammensetzen (TWI 5.1.2018). Das Regime setzt eine ausgewählte Gruppe an Basij in Zivil für Sicherheitsagenden und zur "Kontrolle bei Massenansammlungen" ein (Kayhan 14.10.2022). Diese Einheiten sind bewaffnet und werden in Zivil zur gewaltsamen Unterdrückung von Demonstrationen eingesetzt. So spielen sie bei der Unterdrückung der Protestaktionen [ab September 2022] eine Schlüsselrolle (DW 7.3.2023). Die meist jungen Freiwilligen absolvieren normalerweise eine begrenzte Ausbildung, um als Hilfskräfte für die lokale Sicherheit zu dienen und die staatliche Kontrolle über die Gesellschaft durchzusetzen, indem sie Demonstrationen unterdrücken und Informationen sammeln (IRINTL 1.7.2022). Alle Basij-Mitglieder, die über 15 Jahre alt sind, müssen als Teil ihres Dienstes ein zweimonatiges Militärtraining bei den Revolutionsgarden absolvieren (FP 30.1.2023). In die Basij einzutreten eröffnet vielen jungen Menschen Perspektiven für Bildung und Beruf. Um von einer Mitgliedschaft in vollem Maße zu profitieren und dadurch in den Genuss von Krediten, kürzerem Wehrdienst und besseren Berufsaussichten zu kommen, müssen spezielle Trainingsprogramme absolviert werden, die mindestens sechs Monate dauern (SWP 19.4.2023).
Die Basij-Organisation ist in verschiedene Zweige mit unterschiedlichen Spezialisierungen unterteilt (USIP 6.10.2010; vergleiche ABC News 13.10.2022). Der Sicherheitsapparat der Basij umfasst bewaffnete Brigaden, Aufstandsbekämpfungseinheiten und ein umfangreiches Netzwerk an Informanten (ABC News 13.10.2022), wobei der Geheimdienst der Revolutionsgarden auf Letzteres zurückgreifen kann (TWI 5.1.2018). Darüber hinaus gibt es auch Zweige wie zum Beispiel die Schüler-Basij [basij-e danesh-amouzi], Studenten-Basij [basij-e daneshjouyi] oder die Arbeiter-Basij [basij-e karegaran], die ein Gegengewicht zu zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Gewerkschaften oder Studentenvereinigungen bilden sollen (USIP 6.10.2010). Die Studenten-Basij (auf Englisch Student Basij Organisation, SBO) ist der bedeutsamste Zweig der Basij. Sie war unter anderem in die gewaltsame Niederschlagung der Proteste an den Universitäten ab September 2022 involviert und in dieser Untergruppierung befinden sich die radikalsten Mitglieder der Basij (NLM 20.4.2023; vergleiche IRINTL 22.5.2023). Mitglieder der Studenten-Basij bilden auch den Kern von wissenschaftlichen Projekten der Revolutionsgarden, wie zum Beispiel deren atomare und ballistische Programme. Die Mitgliedschaft in der Gruppierung ist auch hilfreich, um eine Arbeitsstelle in der öffentlichen Verwaltung oder bei den Sicherheitsbehörden zu finden (NLM 20.4.2023).
Reguläre Armee - Artesh
Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung (AA 30.11.2022).
Behandlung der Zivilbevölkerung
In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS 23.2.2018). Die kurdische Region ist das am stärksten militarisierte Gebiet Irans. Die Regierung überwacht die Bevölkerung dort durch ein Netzwerk von Kontrollpunkten (DIS 7.2.2020).
Angehörige der Sicherheitskräfte können Misshandlungen begehen, ohne befürchten zu müssen, bestraft zu werden. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, darunter Folter, Verschwindenlassen und Gewaltakte gegen Demonstranten und Umstehende bei öffentlichen Demonstrationen. Die Regierung unternimmt nur wenige Schritte, um Beamte, die Menschenrechtsverletzungen begehen, zu identifizieren, zu untersuchen, strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Die Straflosigkeit bleibt auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte allgegenwärtig (USDOS 20.3.2023).
Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie Basij de facto willkürlich handeln können. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen können den Unwillen zufällig anwesender Basij bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basij können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 11.2021). Bei der brutalen Durchsetzung von Regeln wie der Kopftuchpflicht für Frauen, die im September 2022 Auslöser der Proteste war, stehen nicht unbedingt die regulären Polizeieinheiten im Fokus, sondern "überambitionierte Freiwillige", die sich normalerweise aus den Basij-Milizen rekrutieren. Sie nennen sich die "Hezbollahis", also "Parteigänger Gottes" und vertreten dabei das islamische Prinzip des "Gebieten des Guten, Verbieten des Schlechten" (al-amr bi-l-maʿrūf wa-n-nahy ʿani-l-munkar) [Anm.: nicht gleichzusetzen mit der libanesischen Hisbollah]. Die Polizei hat wenig Anreiz, Frauen vor Willkür zu schützen und sich mit den übereifrigen, politisch bestens vernetzten Hezbollahis anzulegen, die sich als Schutzherren der öffentlichen Moral aufspielen. Sie lassen die Miliz gewähren und vertrauen darauf, dass sich die Gewalt im Rahmen hält (Zenith 21.9.2022).
Es wird sowohl von "großer" Korruption durch hochrangige Vertreter der Sicherheits- und Strafvollzugsbehörden berichtet (FP 28.2.2023; vergleiche IrWire 4.6.2021) als auch von der Zahlung von Bestechungsgeldern ("Teegeld") an Polizeibeamte, beispielsweise zur Vermeidung von Strafen wegen Geschwindigkeitsübertretungen oder Drogenbesitzes. Manchmal werden auch Mitglieder der Revolutionsgarden und Basij oder Richter bestochen, um Strafen wegen schwerwiegenderer Taten zu verhindern, oder um Gerichtsprozesse zu beeinflussen. Umgekehrt zahlen auch Einbruchsopfer manchmal Bestechungsgelder an Polizisten, um die "Chancen auf die Fassung des Diebes zu erhöhen" (IrWire 28.4.2021). Die Bestechung von Militärangehörigen, Polizeibeamten und anderen Mitgliedern der Strafvollzugsbehörden in Iran wurde als "systemisch" bezeichnet. Begünstigende Faktoren sind unter anderem die Anwerbung von Personen mit Vorstrafen als Polizeibeamte. Auch Ungleichheiten und Lohndiskriminierung spielen eine Rolle, ebenso wie das Fehlen einer angemessenen Aufsicht durch verantwortliche Beamte. Die Polizei leidet zudem an "ineffizienter Organisation" (IrWire 6.9.2021).
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 12.04.2023
Folter ist nach Artikel 38, der iranischen Verfassung (AA 30.11.2022) und dem Strafgesetzbuch verboten, ebenso wie die Verwendung von unter Zwang erlangten Geständnissen in Gerichtsprozessen (UNHRC 13.1.2022). Dennoch sind psychische und physische Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 30.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023) bzw. weit verbreitet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022a). Folter wird in politischen Fällen nicht nur geduldet, sondern mitunter angeordnet (AA 30.11.2022). Ziel der Folter sind einerseits Geständnisse, auf die das iranische Justizsystem stark angewiesen ist (IrWire 17.2.2023; vergleiche AA 30.11.2022). Ehemalige Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 10.3.2023). Andererseits dient die systematische und weitverbreitete Anwendung von Folter der Abschreckung. Das dritte Motiv für die Folter, das mit zuvor genanntem verbunden ist und ausschließlich für politische Gefangene gilt, ist die öffentliche Zurschaustellung von gebrochenen Persönlichkeiten. Die Folterung von politischen Gegnern mit dem Ziel, falsche Geständnisse zu erlangen und diese öffentlich zu verbreiten, ist eine Botschaft an die Gesellschaft, dass die Regierung jeden Widerstand niederschlagen kann (IrWire 17.2.2023; vergleiche AA 30.11.2022). Durch Folter erzwungene "Geständnisse" wurden im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt und regelmäßig für Schuldsprüche herangezogen (AI 29.3.2022a).
Der Tod einer jungen Frau im September 2022, nachdem sie von der Moralpolizei in Teheran wegen eines "unangemessen" getragenen Hijabs verhaftet worden war, führte zu weitverbreiteten Protesten, wobei in jüngster Zeit mehrere Vorfälle bekannt wurden, bei denen die Polizei unrechtmäßig Gewalt gegen Frauen anwandte, die sich nicht an die auferlegten Bekleidungsvorschriften für Frauen hielten (HRW 16.9.2022). Im Zuge der Niederschlagung der Proteste festgenommene Personen waren Berichten zufolge mitunter der Folter ausgesetzt, teilweise mit Todesfolge, (BBC 19.12.2022; vergleiche RFE/RL 3.2.2023, NDR 1.2.2023, IrWire 17.2.2023) ebenso wie sexuellem Missbrauch und Vergewaltigungen (USDOS 20.3.2023). Laut einer Untersuchung von IranWire [Anm.: regimekritische Nachrichtenorganisation] lassen sich die Todesursachen von Gefangenen oder vor Kurzem aus der Haft Entlassenen, darunter auch Protestteilnehmern, in folgende Hauptkategorien unterteilen: 1. verweigerte medizinische Behandlung; 2. unmittelbare Zufügung extremer und qualvoller körperlicher Verletzungen; 3. unmittelbare Zufügung extremer und qualvoller mentaler und emotionaler Schäden. Die Ursache für den Tod von Gefangenen kurz nach der Entlassung ist in den meisten Fällen Selbstmord, der auf die Haftbedingungen oder die Angst vor einer Rückkehr in diese Bedingungen zurückzuführen ist (IrWire 17.2.2023).
Folter wird sowohl seitens der Polizei, im parallelen System der Basij/Pasdaran als auch in Gefängnissen angewandt (ÖB Teheran 11.2021). Fälle von Folter wie auch Todesfälle aufgrund von Gewaltanwendung wurden überdies in verschiedenen Prozessstadien verzeichnet, beispielsweise während Voruntersuchungen und in Haftzentren von ermittelnden Polizeieinheiten (Agahi), dem Geheimdienstministerium, der regulären Stadtpolizei sowie von Grenz- und Einwanderungspolizei, Cyber-Polizei, den Revolutionsgarden (UNHRC 13.1.2022) wie auch der Moralpolizei (HRW 16.9.2022). Menschenrechtsorganisationen verwiesen häufig auf Haftanstalten, in denen politische Gegner grausam und über längere Zeit gefoltert wurden, insbesondere in den Abteilungen Nr. 209 und Nr. 2 des Evin-Gefängnisses, die Berichten zufolge von den Revolutionsgarden kontrolliert werden (USDOS 20.3.2023) bzw. dem Geheimdienstministerium unterstehen und in dem politische Gefangene inhaftiert sind (AA 30.11.2022). Die Behörden unterhalten angeblich auch inoffizielle Geheimgefängnisse und Haftanstalten außerhalb des staatlichen Gefängnissystems, in denen es zu Misshandlungen kommt (USDOS 20.3.2023).
Straflosigkeit ist nach wie vor ein weitverbreitetes Problem bei allen Sicherheitskräften (USDOS 20.3.2023).
Gerichte verhängen weiterhin körperliche Strafen, wie zum Beispiel Auspeitschungen, Blendung, Steinigung und Amputation. Diese werden von der iranischen Regierung als "Strafe" und nicht als Folter betrachtet (USDOS 20.3.2023). Bei Delikten, die im Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischt-geschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 11.2021).
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 12.04.2023
Die iranische Verfassung (IRV) vom 15.11.1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Artikel 4, IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene "Hohe Rat für Menschenrechte" untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten "Pariser Prinzipien" (AA 30.11.2022).
Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:
● Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR)
● Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) (ICCPR)
● Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD)
● Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht) (CRC)
● Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie (CRC-OP-SC)
● Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD)
● Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes
● UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen
● UN-Apartheid-Konvention
● Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 28.1.2022)
Bislang hat Iran auch 15 Konventionen und ein Protokoll der International Labor Organization (ILO) unterzeichnet (FITR 8.2.2023).
Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:
● Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT)
● Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention (OP-CAT)
● Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR)
● Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)
● Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (CED)
● Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (CRC-OP-AC) (unterzeichnet aber nicht ratifiziert) (AA 28.1.2022).
Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Menschenrechtslage, insbesondere der politischen und bürgerlichen Rechte, wobei sich der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Menschenrechtsbereich in den letzten Jahren erheblich verengt hat (ÖB Teheran 11.2021). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 2020). Zu den wichtigsten Menschenrechtsproblemen gehören: rechtswidrige oder willkürliche Tötungen durch die Regierung und ihre Vertreter, vor allem Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard für "schwerste Verbrechen" entsprechen, oder für Verbrechen, die von jugendlichen Straftätern begangen wurden, sowie Hinrichtungen nach Gerichtsverfahren ohne ordnungsgemäßen Prozess; Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; systematische Inhaftierungen, einschließlich politischer Gefangener. Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte; Bestrafung von Familienmitgliedern, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets - einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigte Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und strafrechtliche Verfolgung sogar von Verleumdung und übler Nachrede; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung; weitverbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen; rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien; Menschenhandel; Gewalt gegen ethnische Minderheiten; strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten; Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten sowie Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten; und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften. Die Regierung unternimmt kaum Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (USDOS 20.3.2023).
Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamische Grundsätze infrage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, welche die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände vergleiche Artikel 279 bis 288 iStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Artikel eins bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr, der Spionage beschuldigt zu werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niedrigschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv (AA 30.11.2022).
Die Behörden haben im Jahr 2022 weitverbreitete Proteste, bei denen Grundrechte gefordert wurden, brutal unterdrückt, wobei die Sicherheitskräfte unrechtmäßig mit übermäßiger und tödlicher Gewalt gegen die Demonstranten vorgingen. Sie verhafteten und verurteilten im Jahr 2022 zahlreiche friedliche Menschenrechtsaktivisten aufgrund vager Anschuldigungen im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit und unterließen es, Berichten über Misshandlungen oder Folter durch Polizei und Sicherheitskräfte nachzugehen. Die Sicherheitskräfte nehmen ethnische und religiöse Minderheiten ins Visier und setzen diskriminierende Kleidervorschriften für Frauen gewaltsam durch (HRW 12.1.2023). Auch Umweltaktivisten sind von Geldbußen, Haftstrafen und Folter betroffen (BS 23.2.2022).
Meinungs- und Pressefreiheit, Internet
Letzte Änderung: 26.01.2024
Die Verfassung sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung vor, auch für Mitglieder der Presse und anderer Medien, es sei denn, etwas wird als "schädlich für die Grundprinzipien des Islam oder die Rechte der Öffentlichkeit" angesehen (USDOS 20.3.2023; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 30.11.2022; vergleiche HRW 12.1.2023), sowohl online als auch offline (FH 10.3.2023). Die Gesetzgebung sieht die strafrechtliche Verfolgung von Personen vor, die der Anstiftung zu Straftaten gegen den Staat oder die nationale Sicherheit oder der "Beleidigung" des Islam beschuldigt werden. Die Regierung nutzt Gesetze, um Personen, welche die Regierung direkt kritisieren oder Menschenrechtsprobleme ansprechen, einzuschüchtern oder strafrechtlich zu verfolgen, sowie um normale Bürger zur Einhaltung des Moralkodex der Regierung zu zwingen (USDOS 20.3.2023).
Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol (AA 30.11.2022; vergleiche Landinfo 9.11.2022). Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet (AA 30.11.2022). Satellitenschüsseln sind verboten, und Übertragungen in persischer Sprache aus dem Ausland werden regelmäßig gestört (sogenanntes Jamming). Die Polizei führt regelmäßig Razzien in Privathäusern durch und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 10.3.2023).
Mit Stand Jänner 2023 nutzten beinahe 80 % der Bevölkerung das Internet (FH 4.10.2023), wobei mehr als 60 % des Internetverkehrs über mobiles Internet läuft (RSF 5.10.2022). Seit 2009 haben die Behörden erhebliche Mittel in den Ausbau der Infrastruktur, aber auch in die Kontrolle ihrer Nutzung investiert (Landinfo 9.11.2022). Die Investitionen der Regierung in die IKT-Infrastruktur im Rahmen des National Information Network (NIN - auf Farsi SHOMA (Medium 3.10.2019) haben die Internetanbindung ländlicher Gebiete verbessert und die Kluft zwischen Stadt und Land etwas verringert, auch wenn die Preise weiterhin hoch sind (FH 4.10.2023). Die Telekommunikationsfirma, die den Internetverkehr nach und aus Iran kontrolliert, befindet sich in Besitz der Revolutionsgarden (Landinfo 9.11.2022). Mit dem NIN haben die iranischen Behörden eine lokalisierte Internetarchitektur aufgebaut. Damit sind die Behörden in der Lage, die Verbindungen zum globalen Internet zu kappen und gleichzeitig die inländischen Dienste online zu halten. Über das NIN soll eine "mehrschichtige" oder "abgestufte" Internetstruktur eingeführt werden, bei der bestimmte Personengruppen Zugang zum globalen Internet haben, während der Rest auf das inländische Netz angewiesen ist. Die Umsetzung würde die Zensur- und Überwachungsmöglichkeiten der Regierung erweitern, da ein Großteil der Bevölkerung gezwungen wäre, inländische Apps und Plattformen zu nutzen, die nur schwache Datenschutz- und Sicherheitsfunktionen bieten. Behördenangaben zum Entwicklungsstand des NIN waren in der Vergangenheit umstritten. Nach Ankündigungen des zuständigen Ministers vom April 2023 soll das Netzwerk bis Jahresende fertiggestellt werden [Anm.: Diesbezüglich konnten in einer Kurzrecherche Ende des Jahres keine weiteren Informationen gefunden werden] (FH 4.10.2023). Die Regierung versucht auch, Internetnutzer mittels Preisanreizen zur Nutzung nationaler Plattformen zu bewegen (FH 4.10.2023; vergleiche Filterwatch 27.1.2023). Beispielsweise sind die Tarife zum Abrufen der Videoplattform Aparat, die Youtube ähnelt (FH 4.10.2023), oder bei Nutzung iranischer Apps günstiger. Nutzer sind auch gezwungen, iranische Messaging-Apps wie Rubika, Bale, Gap, Eita und Soroush herunterzuladen, um Zugang zu bestimmten Diensten wie E-Government und Bankfunktionen zu erhalten (Filterwatch 27.1.2023). Diese Apps und Dienste sind anfälliger für staatliche Kontrolle, sie können den Zugriff auf Daten und die Überwachung von Nutzern und Inhalten ermöglichen (Filterwatch 27.1.2023; vergleiche FH 4.10.2023).
Auch wenn die iranische Presselandschaft bislang eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums widergespiegelt hat, ist mit der Amtsübernahme der ultrakonservativen Regierung eine deutlich strengere Berichterstattung auf Regimelinie feststellbar. Geprägt wird die Presse ohnehin von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter "roter Linien" des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen drohen Sanktionen bis hin zum Verbot von Zeitungen (AA 30.11.2022). Der staatliche Rundfunk wird von Hardlinern streng kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert, wobei das staatliche Fernsehen für die iranische Bevölkerung eine wichtige Informationsquelle ist (FH 10.3.2023). Zensur und Überwachung sind umfassend. Es wurde eine Cyberpolizei eingerichtet, und auch mehrere andere Regierungsbehörden haben Aufgaben im Zusammenhang mit der Überwachung des Internets und der sozialen Medien (Landinfo 9.11.2022).
Nach dem Gesetz wird jeder, der in irgendeiner Form "Propaganda" gegen die Islamische Republik Iran oder zur Unterstützung oppositioneller Gruppen und Vereinigungen betreibt, mit drei Monaten bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft [Anm.: bei Verurteilungen z. B. wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit" oder "Korruption auf Erden" fallen höhere Strafen an] (USDOS 20.3.2023), wobei "Propaganda" nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden. Dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 11.2021). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung (ÖB Teheran 11.2021) sowie Einschüchterung ihrer Angehörigen konfrontiert (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 30.11.2022). Infolge der Mitte September 2022 ausgebrochenen landesweiten Proteste hat der Druck auf Journalistinnen und Journalisten weiter zugenommen (AA 30.11.2022). Es kam zu einer Welle an Festnahmen und Verhaftungen iranischer Medienschaffender, die über den Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini und die darauffolgenden Proteste berichtet hatten (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023).
Inhaftierte Journalisten sind – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt, die sich aufgrund der COVID-19-Pandemie noch verschärft haben. Unter politischen Gefangenen kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, auch gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung (AA 30.11.2022). Reporter ohne Grenzen bezeichnet Iran als eines der repressivsten Länder weltweit für Journalistinnen und Journalisten (RSF o.D.b). 2022 belegte das Land Rang 178 von 180 in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen [Anm.: je höher der Rang, desto geringer die Pressefreiheit] (RSF 2022).
Ebenso unter Druck stehen Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als "unislamisch" oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dies unterliegt einer Genehmigungspflicht). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist "regimefeindlicher Propaganda" und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 11.2021).
Die regimekritische Debatte findet weitgehend in den sozialen Medien statt. Für illegale Oppositionsparteien ist das Internet der bevorzugte Kanal für den Informationsaustausch (Landinfo 9.11.2022). Die sozialen Medien sind ein wichtiger Bestandteil der Protestbewegung seit Mitte September 2022 und werden zur Mobilisierung wie auch zur Verbreitung der Protestbotschaften verwendet (DW 15.11.2022). Irans vage definierte Redebeschränkungen, harte strafrechtliche Sanktionen und die staatliche Überwachung der Online-Kommunikation gehören zu den Faktoren, welche die Bürgerinnen und Bürger davon abhalten, sich an offenen und freien privaten Diskussionen zu beteiligen. Trotz der Risiken und Einschränkungen äußern viele ihre abweichende Meinung in den sozialen Medien und umgehen in einigen Fällen die offiziellen Sperren auf bestimmten Plattformen (FH 10.3.2023).
Millionen Internetseiten sind gesperrt bzw. nur via Virtual Private Network (VPN) erreichbar (ÖB Teheran 11.2021). Soziale Medienplattformen und Messaging-Tools wie Telegram, Twitter, Facebook, YouTube und Signal werden blockiert, aber verschiedene "Umgehungswerkzeuge" wie VPNs sind weit verbreitet (Landinfo 9.11.2022), wenn auch illegal (USDOS 20.3.2023). Im Zuge der Repressionen gegen die Proteste seit September 2022 nahm die Regierung auch VPNs ins Visier (RSF 5.10.2022).
Im November 2019 verhängten die Behörden zum ersten und bislang einzigen Mal eine landesweite, fast vollständige Abschaltung des Internets für mindestens sieben Tage. Die Entscheidung, das Land vom weltweiten Internet zu trennen, wurde vom Nationalen Sicherheitsrat nach einer Protestwelle getroffen, die durch die plötzliche Ankündigung einer erheblichen Erhöhung der Treibstoffpreise ausgelöst worden war. Örtlich begrenzte Internetabschaltungen werden häufig eingesetzt, um Proteste zu unterbinden und eine genaue Berichterstattung über Demonstrationen zu verhindern, so auch mehrfach bei den Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini im September 2022 in den Provinzen Kurdistan, Khuzestan sowie Sistan und Belutschistan (FH 4.10.2023). Auch kommt es zu Drosselungen der Internetgeschwindigkeit (NatGeo 17.10.2022; vergleiche Intercept 28.10.2022). Die Behörden haben im Rahmen der Niederschlagung der Proteste auch den Zugang zu WhatsApp und Instagram blockiert und VPNs wie auch Proxy-Server gefiltert (FH 4.10.2023).
Der Internetverlauf kann "gefiltert" bzw. mitgelesen werden. Jede Person, die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen "Cyberkrieg" gegen das Land führen zu wollen und Proteste anzustacheln (AA 30.11.2022). Der Staat überwacht soziale Medien auf Aktivitäten, die er für illegal hält. Die Cyberpolizei FATA hat unter anderem die Aufgabe, soziale Medien im Rahmen der Bekämpfung der Cyberkriminalität zu überwachen und zu verfolgen. Im Mai 2020 kündigte die FATA an, dass das Nichttragen des Hijabs im Internet als Straftat gilt und Zuwiderhandlungen strafrechtlich verfolgt werden. Mehrere Frauen wurden verhaftet, weil sie Fotos oder Videos von sich unverschleiert ins Internet gestellt hatten. Das Regime ergriff drakonische Maßnahmen zur Bestrafung von Online-Nutzern, und mehrere Personen wurden wegen ihrer Online-Inhalte vom Regime zum Tode verurteilt oder hingerichtet. Im Mai 2023 wurden beispielsweise zwei Männer wegen atheistischer Inhalte auf Telegram-Kanälen exekutiert. Mehrere Blogger und Social-Media-Nutzer wurden wegen ihrer Online-Inhalte, die häufig die Proteste nach dem Tod von Mahsa Jina Amini unterstützten, zu harten Haftstrafen verurteilt (FH 4.10.2023). Nach Beginn der Massenproteste Ende September 2022 verhafteten die Behörden Tausende von Menschen, darunter Prominente, Menschenrechtsaktivisten und andere, die ihre Unterstützung für die Bewegung durch Beiträge in den sozialen Medien oder durch die öffentliche Missachtung der Hijab-Vorschriften, die zu Mahsa Aminis Verhaftung und Tod geführt hatten, zum Ausdruck gebracht haben. Die Revolutionsgarden (IRGC) forderten die Justiz auf, jeden strafrechtlich zu verfolgen, der "falsche Nachrichten und Gerüchte" verbreitet (FH 10.3.2023).
Abseits von Maßnahmen, wie der Überwachung von Inhalten im Internet (AA 30.11.2022) und der Drosselung der allgemeinen Internetgeschwindigkeit (NatGeo 17.10.2022), ist wenig über die konkrete Vorgehensweise der Behörden bei der Unterdrückung der Proteste bekannt. Es wird vermutet, dass die Behörden ein Computersystem verwenden, das hinter den Kulissen der iranischen Mobilfunknetze arbeitet und den Betreibern eine breite Palette von Fernbefehlen zur Verfügung stellt, mit denen sie die Nutzung der Telefone ihrer Kunden verändern, stören und überwachen können, wie zum Beispiel die Datenverbindungen verlangsamen, die Verschlüsselung von Telefongesprächen knacken, die Bewegungen von Einzelpersonen oder großen Gruppen verfolgen und detaillierte Zusammenfassungen von Metadaten darüber erstellen, wer mit wem, wann und wo gesprochen hat (Intercept 28.10.2022). Beobachterinnen der Proteste ab September 2022 berichteten, dass viele Demonstranten nicht auf den Straßen verhaftet wurden, sondern ein oder zwei Tage später zu Hause (Wired 10.1.2023). Iranische Mobiltelefonnutzer berichteten von SMS, die sie von lokalen Polizeistationen mit dem Hinweis erhalten haben, dass sie sich in einem "Unruhegebiet" aufgehalten hätten und dieses Gebiet nicht noch einmal aufsuchen oder nicht noch einmal mit "anti-revolutionären" Regierungsgegnern online in Verbindung treten sollten (Intercept 28.10.2022).
Das iranische Regime setzt auch eine "Cyber-Armee" ein (IrWire 5.6.2023), um Narrative in den sozialen Medien zu beeinflussen (NLM 5.9.2023 vergleiche IrWire 5.6.2023) und Desinformation zu verbreiten. Ziel der Desinformationskampagnen ist es dabei weniger, Personen vom eigenen Narrativ zu überzeugen, als Zweifel zu säen, sodass Internetnutzer schließlich gar keinen Quellen in den sozialen Medien - auch per se glaubwürdigen Personen - mehr vertrauen. Neben dem Stiften von Verwirrung ist die Diskreditierung und Unterminierung der Opposition ein wesentlicher Bestandteil der iranischen Cyberaktivitäten. Zum Teil geschieht das auch durch Hacking-Angriffe auf Oppositionsmitglieder (Wired 21.3.2023), wobei die Menschenrechtsorganisation Miaan Group im Jahr 2023 beispielsweise über 100 Phishing-Angriffe auf Journalisten, Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger inner- und außerhalb Irans dokumentierte. Vor allem Angehörige ethnischer Minderheiten wie der Kurden und Aserbaidschaner sowie Unterstützer der Proteste wurden dabei anvisiert (Filterwatch 27.11.2023). Die Diskreditierung von Oppositionellen geschieht auch durch falsche Konten in den sozialen Medien. Unterschiedliche Fraktionen der Opposition sollen so gegeneinander ausgespielt werden. Diese Bemühungen sind ebenfalls Teil einer umfassenderen Anstrengung, den Eindruck zu erwecken, dass niemand vertrauenswürdig und niemand glaubwürdig ist (Wired 21.3.2023). Im Jänner 2024 deckten "Cyber-Agenten" des Regimes laut der oppositionellen Nachrichtenseite Iran International zudem die Identitäten von Personen auf, die bislang anonym oppositionelle Social Media-Auftritte betrieben haben. Im Rahmen der Online-Kampagne wurden mehrere Personen verhaftet, was als eine breit angelegte Einschüchterungsaktion gegen Regimekritiker interpretiert wird (IRINTL 6.1.2024).
Anmerkung: Informationen zum Thema können auch der Kurzinformation - Iran "Netzaktivitäten - Netzüberwachung" des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) der Bundesrepublik Deutschland vom Juli 2023 entnommen werden.
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung: 26.01.2024
In der Verfassung heißt es, dass öffentliche Demonstrationen zulässig sind, wenn sie "den Grundprinzipien des Islam nicht abträglich sind". In der Praxis sind in der Regel nur staatlich genehmigte Demonstrationen erlaubt (FH 10.3.2023). Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen somit unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen der Opposition sind seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch in kleinem Umfang statt (AA 30.11.2022). Die Sicherheitskräfte lösten in den letzten Jahren nicht genehmigte Versammlungen gewaltsam auf, nahmen Teilnehmer fest und wendeten tödliche Gewalt gegen sie an (FH 10.3.2023). Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studierende teilweise verpflichtet werden (AA 30.11.2022).
Proteste gegen das Regime fanden in der Islamischen Republik Iran in der Vergangenheit immer wieder statt. Die [bis zu den Protesten ab Mitte September 2022] größte Protestwelle wurde durch den massiven Betrug bei den Präsidentschaftswahlen 2009 ausgelöst und brachte Millionen von Menschen auf die Straße, bis die Behörden gegen die Führer der sogenannten Grünen Bewegung, Mir Hossein Mousavi und Mehdi Karroubi, vorgingen (TWI 28.9.2022). Zuletzt fanden 2019 weitreichende Proteste statt, nachdem die Regierung beschlossen hatte, die Benzinpreise zu erhöhen (TWI 28.9.2022). Die iranischen Sicherheitsbehörden setzten zur Unterdrückung der Proteste auch tödliche Gewalt ein, darunter scharfe Munition, die wahllos auf Demonstranten abgefeuert wurde. Die Anzahl der Todesopfer ist schwierig zu verifizieren. Schätzungen reichen von 304 verifizierten Todesopfern bis zu 1.500 in unbestätigten Berichten (DIS 1.7.2020). 2021 gab es Proteste von Arbeitnehmern, Rentnern und Landwirten in Bezug auf Löhne, Arbeitsplatzsicherheit und das Recht auf kollektive Organisierung (UNHRC 13.1.2022) sowie in der Provinz Khuzestan Proteste aufgrund mangelnden Zugangs zu Wasser (HRW 22.7.2021). Letztere wurden gewaltsam niedergeschlagen (HRW 22.7.2021; vergleiche UNHRC 13.1.2022).
Jüngste Proteste
Nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Jina (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023) kam es in Iran zu den größten Protesten seit Jahren (EN 1.2.2023; vergleiche GD 17.2.2023). Sie dauerten im Februar 2023 noch an (GD 17.2.2023) und flauten bis zum Sommer schließlich ab (USIP 6.9.2023).
Amini war kurz vor ihrem Tod von der Sittenpolizei des Landes wegen angeblicher Verstöße gegen die Bekleidungsvorschriften für Frauen verhaftet und laut Augenzeugenberichten geschlagen worden (BBC 16.9.2022). Angehörige von Amini wie auch Protestteilnehmer und -teilnehmerinnen wiesen die Behauptung der Behörden zurück, Amini sei aufgrund einer unentdeckten Vorerkrankung gestorben (EN 1.2.2023). Den Protesten unter der Parole „Frau, Leben, Freiheit“ (in kurdischer Sprache: „Jin, Jîyan, Azadî“) (NatGeo 17.10.2022), die im Wesentlichen von Frauen gestartet wurden (EN 1.2.2023), schlossen sich Iraner und Iranerinnen aller Altersgruppen und Ethnien an, wobei sie vor allem von den jüngeren Generationen auf die Straße getragen wurden (NatGeo 17.10.2022). Die Proteste fanden in allen größeren sowie vielen kleineren Städten Irans statt. Die iranischen Behörden reagierten gewaltsam darauf, mitunter kam es auch zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Demonstrantinnen und Demonstranten mit den Sicherheitsbehörden (EN 1.2.2023).
Laut Menschenrechtsaktivisten wurden im Zeitraum September 2022 bis Februar 2023 über 500 Demonstrantinnen und Demonstranten getötet, darunter 71 Minderjährige (REU 17.2.2023). Human Rights Watch (HRW) dokumentierte, dass Sicherheitskräfte Schrotflinten, Sturmgewehre und Handfeuerwaffen gegen Demonstranten eingesetzt haben, und zwar in weitgehend friedlichem Umfeld und oft in überlaufenen Gegenden (HRW 12.1.2023). Ethnische Minderheiten waren überproportional stark von den Repressionen gegen die Proteste betroffen (UNHRC 7.2.2023; VOA 16.11.2022). Am 30.9.2022 eröffneten beispielsweise Sicherheitskräfte das Feuer auf Demonstrantinnen und Demonstranten in der Stadt Zahedan (Provinz Sistan und Belutschistan), wobei Dutzende von Menschen getötet und verletzt worden sind [Anm.: siehe zu diesem Vorfall auch das Kapitel "Ethnische Minderheiten / Belutschen"] (HRW 12.1.2023). In den kurdischen Gebieten wurden Truppen, schwere Waffen und Militärfahrzeuge in Stellung gebracht, um die Demonstranten niederzuschlagen (EN 1.2.2023).
Rund 20.000 Protestteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden zeitweise inhaftiert (REU 17.2.2023; vergleiche DW 13.3.2023). Laut staatsnahen iranischen Medien ist ein bedeutender Anteil der Festgenommenen minderjährig (AI 16.3.2023; vergleiche UNHRC 7.2.2023). Festgenommene berichteten von Folter während der Inhaftierung (NDR 1.2.2023; AI 16.3.2023), darunter auch von Minderjährigen (AI 16.3.2023), sowie von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung (FH 10.3.2023; vergleiche AI 16.3.2023). Nach Angaben der Justizbehörden wurden mit Stand Februar 2023 vier Personen im Zusammenhang mit den Protesten gehängt (REU 17.2.2023). Bis Mitte Jänner wurden 18 weitere Personen im Zusammenhang mit den Protesten zum Tod verurteilt (BBC 18.1.2023), und laut der NGO Iran Human Rights (IHRNGO) laufen rund 100 weitere Protestteilnehmer und -teilnehmerinnen Gefahr, zum Tod verurteilt zu werden (IHRNGO 27.12.2022). Vor den Nowruz-Feierlichkeiten im März 2023 kündigten die iranischen Justizbehörden an, dass rund 22.000 Menschen, die im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen worden waren, begnadigt würden. Menschenrechtsgruppen hatten die Zahl der inhaftierten Protestteilnehmer zuvor auf rund 19.700 geschätzt (DW 13.3.2023). Die meisten Minderjährigen sind nach Einschätzung von Amnesty International (AI) mit Stand März 2023 wieder freigelassen worden, manche auf Kaution und mit laufenden Verfahren. Viele wurden erst freigelassen, nachdem sie gezwungen wurden, "Reue"-Schreiben zu unterzeichnen und sich zu verpflichten, von "politischen Aktivitäten" abzusehen und an regierungsfreundlichen Kundgebungen teilzunehmen (AI 16.3.2023). Laut dem Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats zu Iran hat das iranische Regime im Zusammenhang mit der Protestniederschlagung Verstöße begangen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten (BBC 20.3.2023).
Viele Gegnerinnen und Gegner der Regierung drücken ihren Protest derzeit durch zivilen Ungehorsam aus, etwa indem sie den Kopftuchzwang ignorieren (Spiegel 19.1.2023; vergleiche IRINTL 3.12.2023a, DW 23.11.2023). Im November 2022 ging ein Video eines tanzenden Paares vor dem Teheraner Wahrzeichen Azadi-Turm [Azadi: Freiheit in Farsi] viral, wobei die weibliche Tanzpartnerin keinen Hijab trug, und Tanzen in der Öffentlichkeit für Frauen verboten ist. Das Paar wurde nach Veröffentlichung des Videos von einem Teheraner Revolutionsgericht aufgrund der "Förderung von Korruption und öffentlicher Prostitution" sowie "Versammlungen mit der Absicht, die nationale Sicherheit zu stören" zu jeweils über zehn Jahren Gefängnis verurteilt und mit Ausreiseverboten sowie Zugangsbeschränkungen zum Internet belegt (GD 31.1.2023).
Nach dem Ausbruch der landesweiten Proteste im September 2022 verschwand die Sittenpolizei weitgehend von den Straßen. Der Regierung schien klar zu sein, dass die Ordnungshüter in ihren allgegenwärtigen weißen Transportern den Unmut der Öffentlichkeit noch stärker auf sich ziehen würden. Als die Patrouillen nachließen, zeigten sich immer mehr Frauen ohne Hijab in der Öffentlichkeit. Die Sittenpolizei wurde jedoch nie aufgelöst. Die iranische Regierung hielt an ihrer Position fest, indem sie die Durchsetzung der Vorschriften später wieder verstärkte. Im Juli 2023 setzte sie die Sittenpolizei wieder ein (USIP 6.9.2023; vergleiche RFE/RL 20.7.2023). Es wird von punktuellen Protesten in diesem Zusammenhang berichtet, beispielsweise im Juli 2023 in der Stadt Rasht, nachdem die Sittenpolizei drei Frauen angeblich wegen Verstößen gegen die Hijab-Pflicht festnehmen wollte (RFE/RL 20.7.2023), und im Dezember wurde eine Basis der Sittenpolizei in Shiraz laut der exiliranischen Nachrichtenseite Iran International angezündet, was die Seite mit anti-Hijab-Protesten in Verbindung brachte [Anm.: Entsprechende Beiträge wurden auch in den sozialen Medien geteilt (s. z.B. emilyshar1 3.12.2023, SabziPoloBaMahee 3.12.2023), darüber hinaus konnten hierzu jedoch keine weiteren Informationen gefunden werden] (IRINTL 3.12.2023a).
Gewerkschaftliche Aktivitäten, politische Parteien und Opposition
Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 10.3.2023). Unabhängige gewerkschaftliche Betätigung wird als "Propaganda gegen das System" und "Handlungen gegen die nationale Sicherheit" verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 30.11.2022), jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein. Im Juni 2022 berichtete der Koordinierungsrat der iranischen Lehrergewerkschaft beispielsweise, dass mehr als 100 Lehrer verhaftet worden waren, weil sie an einer landesweiten Protestaktion teilgenommen hatten, bei der bessere Arbeitsbedingungen und die Freilassung zuvor inhaftierter Lehrer gefordert wurden. Trotz solcher Repressalien haben die Arbeiterproteste in den letzten Jahren aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Not zugenommen (FH 10.3.2023). Im Februar 2023 fanden beispielsweise Streiks von Pensionistengruppen und Beschäftigten der Bäckergewerkschaft, der Stahlindustrie und der Zuckerfabriken statt, nachdem der iranische Rial weiter an Wert verloren hatte, und die Lebenserhaltungskosten gestiegen waren (IRINTL 26.2.2023). Im Dezember 2022 streikten Ölarbeiter im Süden Irans wegen mangelnder Arbeitsplatzsicherheit in diesem Sektor (RFE/RL 17.12.2022).
Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisationen so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems infrage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte, drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände ("regimefeindliche Propaganda", "Beleidigung des Obersten Führers" etc.) (ÖB Teheran 11.2021). Zwar gab es in der Vergangenheit einen gewissen Spielraum für Machtverschiebungen zwischen anerkannten Fraktionen innerhalb des Establishments, doch stellen Elemente der Realverfassung ein dauerhaftes Hindernis für Wahlsiege der Opposition und echte Machtwechsel dar (FH 10.3.2023). In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung. Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Sowohl bei Präsidentschafts- als auch bei Parlamentswahlen nimmt der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vor. Kandidaten werden unter fadenscheinigen Gründen aussortiert – dabei wurden auch schon ehemalige Präsidenten als "nicht geeignet" ausgeschlossen. Nach langen Debatten bewertete der Wächterrat – dem nur Männer angehören – die Kandidatur von Frauen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2021 als prinzipiell zulässig, dennoch wurde auch diesmal keine einzige der Kandidatinnen zugelassen (ÖB Teheran 11.2021). Reformistische Gruppen sind insbesondere seit 2009 verstärkt staatlichen Repressionen ausgesetzt, und Politiker, die ihnen angehören, werden willkürlich festgenommen und aufgrund vager strafrechtlicher Anschuldigungen inhaftiert (FH 10.3.2023).
Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u. a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.). Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen (ÖB Teheran 11.2021). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv (AA 30.11.2022). Führende Oppositionspolitiker werden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Mir Hossein Mousavi, Zahra Rahnavard und Mehdi Karroubi, die Führer der reformorientierten Grünen Bewegung, deren Proteste nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009 gewaltsam niedergeschlagen worden war, stehen seit 2011 ohne offizielle Anklage unter Hausarrest. Die Beschränkungen für Mousavi und Karroubi wurden in den letzten Jahren gelegentlich gelockert. Der reformorientierte ehemalige Präsident Mohammad Khatami unterliegt einem Medienverbot, das es der Presse untersagt, ihn zu erwähnen und seine Fotos zu veröffentlichen. Der ehemalige Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der in Ungnade gefallen ist, weil er Chamenei herausgefordert hat, durfte bei den Präsidentschaftswahlen 2017 und 2021 nicht mehr antreten (FH 10.3.2023).
An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, welche die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten (ÖB Teheran 11.2021). Das Fehlen oppositioneller Führung zeigte sich bei den Unruhen zum Jahreswechsel 2017/2018 sowie bei den Protesten im November 2019. Auch bei den im September 2022 begonnen Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini ist mit Stand 18.11.2022 keine Führungsfigur erkennbar, der Sicherheitsapparat verhaftet umgehend alle Personen, die einen erkennbaren Grad an Sichtbarkeit oder Vernetzung mitbringen. Der Protest zeichnet sich durch einen hohen Grad an dezentralen Aktivitäten aus, die weniger Sichtbarkeit als Großdemonstrationen mit sich bringen, aber dadurch auch weniger leicht kontrollierbar sind (AA 30.11.2022).
Haftbedingungen
Letzte Änderung: 12.04.2023
Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt. Gefangene beschweren sich häufig über schlechte Haftbedingungen, einschließlich der Verweigerung von medizinischer Versorgung (FH 10.3.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023). Auch wurde über unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln, die langfristig zu entsprechenden Folgeschäden führen kann (ÖB Teheran 11.2021), körperlichen Misshandlungen und unzureichenden sanitären Bedingungen berichtet. Es kam häufig zu Hungerstreiks der Gefangenen, um gegen ihre Behandlung zu protestieren. Mit der Zunahme der Verhaftungen während der Proteste [seit Mitte September 2022] verschlechterten sich die Bedingungen nach Berichten von NGOs und Medien durch den Zustrom von Häftlingen weiter (USDOS 20.3.2023), wobei Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass rund 20.000 Personen im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen worden sind (BBC 5.2.2023). Die Zellen sind auch schlecht belüftet und teils von Ungeziefer befallen. Da vielen Inhaftierten eine angemessene medizinische Versorgung verweigert wurde, waren diese einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus zu infizieren (AI 29.3.2022b). Der allgemeine Zustand der Gesundheitsversorgung, der sich während der COVID-19-Pandemie erheblich verschlechtert hat, ist nach wie vor prekär. Es gibt zahlreiche Berichte über Suizidversuche von Häftlingen, welche mit den Haftbedingungen in Verbindung gebracht werden (USDOS 20.3.2023).
Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet - vor allem während Verhören (AI 29.3.2022b) und während der Untersuchungshaft (USDOS 20.3.2023). Regelmäßig versterben Menschen in Haft (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 20.3.2023). Die Behörden verabsäumen es manchmal, Gewalt unter Häftlingen zu unterbinden (USDOS 20.3.2023).
Gelegentlich halten die Behörden Untersuchungshäftlinge zusammen mit verurteilten Gefangenen fest (USDOS 20.3.2023).
Die Haftbedingungen variieren im Einzelfall nach Gefängnis-Trakt und Status der Gefangenen, wobei generelle Aussagen nicht möglich sind. So ist im Evin-Gefängnis in Teheran ein Trakt für Ausländer reserviert, ein Trakt wird vom Geheimdienst der Revolutionsgarden verwaltet, manche Trakte sind unterirdisch. Das Quarchak-Frauengefängnis in Teheran dürfte als ehemaliger Hühnerstall sanitär unzureichend sein (ÖB Teheran 11.2021). Menschenrechtsorganisationen nennen häufig mehrere Haftanstalten, in denen politische Gegner grausam und über längere Zeit gefoltert werden, darunter folgende Gefängnisse: Evin in Teheran, Rajai-Shahr in Karaj, Qarcha, Adel-Abad, Vakilabad, Zahedan, Orumiyeh, das Zentralgefängnis in Isfahan (Dastgerd) und das Großgefängnis in Teheran. Insbesondere erwähnen sie auch die Abteilungen Nr. 209 und Nr. 2 des Evin-Gefängnisses, die Berichten zufolge von den Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) kontrolliert werden. Die Behörden unterhalten angeblich auch inoffizielle Geheimgefängnisse und Haftanstalten außerhalb des staatlichen Gefängnissystems, in denen es zu Misshandlungen kommt (USDOS 20.3.2023).
Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark voneinander ab (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse (AA 30.11.2022; vergleiche HRW 12.1.2023). Politische Gefangene werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 11.2021). Menschenrechtsorganisationen berichten, dass die Behörden die Verweigerung der medizinischen Versorgung als eine Form der Bestrafung politischer Gefangener und zur Einschüchterung von Gefangenen einsetzen, die Beschwerden einreichen oder die Behörden herausfordern. Berichte über Folter, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen gegen Protestteilnehmerinnen und -teilnehmer im Zuge der Protestwelle nach dem Tod von Mahsa Amini sind weit verbreitet (USDOS 20.3.2023).
Die Regierung lässt keine unabhängige Überwachung der Haftbedingungen zu. Gefangene und ihre Familien schreiben häufig Briefe an die Behörden und in einigen Fällen an UN-Gremien, um auf ihre Behandlung hinzuweisen und dagegen zu protestieren (USDOS 20.3.2023).
Sogenannte Hacktivisten veröffentlichten 2021 und 2022 Videos von Überwachungskameras aus dem Evin-Gefängnis (USDOS 20.3.2023). Die dort aufgenommenen und 2021 verbreiteten Videoaufnahmen zeigen Übergriffe und Misshandlungen von Gefangenen sowie Beweise für Überbelegung. Infolge dieser Videos wurden Strafverfahren gegen sechs Gefängniswärter eingeleitet (FH 10.3.2023). Im Oktober 2022 wurden Teile des Evin-Gefängnisses unter ungeklärten Umständen durch eine Reihe von Bränden zerstört, bei denen mindestens acht Menschen ums Leben kamen. Berichten zufolge griffen Sicherheitskräfte Gefangene an, die versuchten, aus den Bränden zu fliehen (FH 10.3.2023; vergleiche AA 30.11.2022). Es gibt zahlreiche Berichte über mangelhafte Versorgung der bei dem Brand Verletzten (AA 30.11.2022).
Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in "sichere Häuser" gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen. Dort werden sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten (ÖB Teheran 11.2021), wie zum Beispiel die beiden Anführer der "Grünen Bewegung" und Präsidentschaftskandidaten im Jahr 2009, Mir Hossein Mousavi und Mehdi Karroubi, die gemeinsam mit Mousavis Frau Zahra Rahnavard seit 2011 unter Hausarrest stehen (IrWire 15.8.2022; vergleiche AAA 28.2.2023).
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Todesstrafe
Letzte Änderung: 12.04.2023
Die Todesstrafe wird nach unfairen Gerichtsverfahren verhängt, u.a. für Straftaten, die gemäß Völkerrecht nicht zu den "schwersten Verbrechen" zählen, wie Drogenhandel und Finanzkriminalität, sowie für Handlungen, die international nicht als Straftaten anerkannt sind. Todesurteile werden als Mittel der Unterdrückung gegen Demonstranten und Demonstrantinnen, Andersdenkende und ethnische Minderheiten eingesetzt (AI 29.3.2022b). Iran ist im weltweiten Vergleich nach China jenes Land, in welchem die Todesstrafe am häufigsten vollzogen wird (FH 10.3.2023). Laut der NGO Iran Human Rights (IHRNGO) wurden dort im Jahr 2022 über 500 Menschen hingerichtet. Dies ist die höchste Zahl seit fünf Jahren (IHRNGO 4.12.2022), wobei die genaue Anzahl aufgrund der intransparenten Vorgehensweise der iranischen Behörden nicht bekannt ist. Unter den Hingerichteten befanden sich auch drei Personen, die zum Zeitpunkt der Verurteilung [nach europäischen Standards] Kinder waren. Der UN-Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage in Iran zeigte sich alarmiert über die starke Zunahme der Hinrichtungen in Iran, insbesondere über den exponentiellen Anstieg der Hinrichtung von Drogendelinquenten, die kontinuierliche Hinrichtung von Personen, die als Kinder zum Tode verurteilt wurden, die Wiederaufnahme öffentlicher Hinrichtungen und die unverhältnismäßige Anwendung der Todesstrafe gegen Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten im Jahr 2022 (UNHRC 7.2.2023). Ethnische Minderheiten sind überproportional häufig von Todesurteilen betroffen (USDOS 20.3.2023). Rund 30 % aller Hinrichtungen betrafen Belutschen, obwohl diese nur rund 2-6 % der Gesamtbevölkerung ausmachen (UNHRC 7.2.2023).
Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, "Moharebeh" (Waffenaufnahme gegen Gott) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 11.2021); des weiteren auf terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslims mit einer Muslimin. Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden. Nach Kenntnis des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland ist es jedoch in den letzten 20 Jahren zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 30.11.2022). Vergewaltigungsopfer können neben den Tatbeständen der "Unsittlichkeit" und des "unmoralischen Verhaltens" auch wegen Ehebruchs belangt werden, für welchen die Todesstrafe verhängt werden kann (USDOS 20.3.2023). Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom "Geschädigten" gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021).
2017 trat eine Änderung des Strafgesetzes für Drogendelikte in Kraft, welche die Todesstrafen im Bereich der Drogenkriminalität auf bestimmte Fallkonstellationen beschränkte. Bagatelldelikte sind damit von der Todesstrafe ausgenommen. Entsprechend sank die Zahl der Hinrichtungen für Drogenkriminalität nach dieser Gesetzesänderung zunächst stark (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Seit Oktober 2021 ist, vermutlich wegen vermehrter Drogenkriminalität auch durch Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und damit einhergehender fehlender Grenzkontrollen auf afghanischer Seite, ein erneuter Anstieg bei der Zahl an Hinrichtungen für Drogenkriminalität zu verzeichnen (AA 30.11.2022). Freedom House bringt die Zunahme an Hinrichtungen dagegen mit dem Amtsantritt von Präsident Ebrahim Raisi [Anm.: August 2021] in Verbindung (FH 10.3.2023). 2022 wurden schätzungsweise 222 von insgesamt rund 500 Personen wegen Drogenvergehen hingerichtet (UNHRC 7.2.2023). Es ist außerdem davon auszugehen, dass es beim Kampf gegen Drogenhandel und Schmuggel vor allem in den Grenzregionen Sistan-Belutschistan und Kurdistan regelmäßig zu außergerichtlichen Hinrichtungen kommt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRANA 8.2.2023).
Iran ist eines der wenigen Länder der Welt, die noch die Todesstrafe für jugendliche Straftäter anwenden, auch wenn dies internationalen Verträgen widerspricht, welche von Iran unterzeichnet worden sind (IHRNGO 2.1.2023; vergleiche UNHRC 7.2.2023). Das 2013 verabschiedete islamische Strafgesetzbuch Irans definiert das "Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit" für Kinder ausdrücklich als das Alter der Reife nach der Scharia, was bedeutet, dass Mädchen über neun Mondjahre und Buben über 15 Mondjahre für eine Hinrichtung infrage kommen, wenn sie wegen "Verbrechen gegen Gott" [moharebeh] (wie Apostasie) oder "Vergeltungsverbrechen" [qisas] (wie Mord) verurteilt werden (IHRNGO 2.1.2023). Die Todesstrafe kann bei Erreichen der Volljährigkeit vollstreckt werden (AA 30.11.2022).
Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt auf Verurteilungen wegen Mordes (AA 30.11.2022). Das iranische Regime antwortete auf die Protestwelle nach dem Tod von Mahsa Amini unter anderem mit der Verhängung und Vollstreckung von Todesurteilen. Während den Hingerichteten Morde an Sicherheitsbeamten vorgeworfen wurden, dienten die Urteile laut Experten vor allem der Abschreckung (CNN 11.1.2023; vergleiche NBC 19.12.2022). Mit Stand Dezember 2022 geht die IHRNGO davon aus, dass mindestens 100 Protestteilnehmerinnen und Protestteilnehmer zum Tod verurteilt wurden oder ein derartiges Urteil befürchten müssen (IHRNGO 27.12.2022). Ein Protestteilnehmer, der ursprünglich wegen Mordes an einem Basij-Milizangehörigen festgenommen worden war, wurde im Dezember 2022 wegen "Korruption auf Erden" [Mofsed-e filarz/efsad-e filarz] zum Tod verurteilt (BBC 18.1.2023). Andere Protestteilnehmer wurden wegen Moharebeh zum Tod verurteilt und teils hingerichtet (UNHRC 7.2.2023). Menschenrechtsorganisationen bezeichneten Prozesse, welche mit Todesurteilen für Protestteilnehmer endeten, im Jänner 2023 als "grob unfaire Scheinprozesse" (BBC 18.1.2023). Während die iranischen Behörden Hinrichtungen zuletzt nicht mehr öffentlich durchgeführt hatten (ÖB Teheran 11.2021), fanden im Dezember 2022 wieder öffentliche Hinrichtungen von Protestteilnehmern statt (NBC 19.12.2022).
Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen. Die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 30.11.2022). Selbst nach der Hinrichtung durch das Regime werden repressive Maßnahmen gegen Angehörige fortgesetzt. Hingerichtete werden weit entfernt von ihrem früheren Wohnort begraben, manchmal ohne Benachrichtigung der Angehörigen. Totenfeiern sowie Grabbesuche für Regimegegner werden aufgelöst (ÖB Teheran 11.2021).
Regierung und NGOs sind bemüht, Hinrichtungen durch Förderung des Blutgeld-Prozesses zu verhindern, und es werden z. B. mit Spendenaufrufen Blutgelder gesammelt (ÖB Teheran 11.2021).
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 26.01.2024
In Iran leben schätzungsweise rund 87,6 Millionen Menschen (CIA 7.3.2023), von denen nach offiziellen Angaben ungefähr 99 % dem Islam angehören. Etwa 90 % der Bevölkerung sind demnach Schiiten, ca. 9 % sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq (Yaresan) und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (STDOK 3.5.2018; vergleiche USDOS 15.5.2023). Im Rahmen einer vielbeachteten und breit diskutierten (NYMAG 21.10.2022) Onlinebefragung der Organisation Gamaan aus dem Jahr 2020, an der sich 40.000 innerhalb Irans lebende Iraner sowie rund 10.000 im Ausland lebende Iraner beteiligt haben, wurden folgende Einstellungen bzw. religiösen Ausrichtungen angegeben: nur rund 32 % der Bevölkerung bekennen sich zum Schiitentum, 5 % zum Sunnitentum und rund 8 % zum Zoroastrismus. 9 % identifizierten sich dagegen als Atheisten, 7 % als "spirituell" und 6 % als Agnostiker. Andere gaben an, dem Sufismus, Humanismus, Christentum, dem Baha'i-Glauben oder dem Judentum zu folgen (Anteile zwischen rd. 0,1 und 3 %) und rund 22 % der Befragten wollten sich mit keiner der genannten Gruppierungen identifizieren (GAMAAN 25.8.2020). Auch wenn nicht genau gesagt werden kann, inwiefern die von Gamaan vorgelegten Zahlen auf die Gesamtbevölkerung Irans umlegbar sind, zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zum nationalen Zensus. Aus der Studie lässt sich eine erosionsartige Fragmentierung des religiösen Feldes zumindest bei den befragten Iranerinnen und Iranern ablesen. Interessant ist unter anderem die Vielfalt an verschiedenen Glaubensbekenntnissen von Konfessionslosigkeit und Atheismus, beides eigentlich Tabus in einer offiziell islamischen Gesellschaft wie der iranischen, über Zoroastrismus und Trends zu spirituellen und esoterischen Sekten, bis hin zum Agnostizismus, zu sufischen Bewegungen, den Bahai und zum Christentum. Letztere stellen laut der Studie lediglich eine relativ kleine Gruppe dar (BAMF 5.2022).
Nachstehender Karte können die Hauptsiedlungsgebiete der größten Glaubensgruppen in Iran entnommen werden. Demnach leben Sunniten mehrheitlich in den Grenzregionen im äußersten Nordwesten Irans, im Norden in einem Gebiet an der Grenze zu Turkmenistan [Provinz Golistan] sowie im Süden bei Bandar-e Abbas [Provinz Hormuzgan] und an der Grenze zu Pakistan sowie dem Südwesten Afghanistans [in Iran: Provinz Sistan und Belutschistan]. Der größte Teil des Landes wird mehrheitlich von Schiiten bewohnt. Minderheitengruppen wie Zoroastrier, Bahai, Juden und Sikhs werden auf der Karte nicht dargestellt; insbesondere in urbanen Zentren ist die Bevölkerung sehr heterogen und kann auf dieser Karte nicht dargestellt werden (BMI/BMLVS 2017).
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Laut Verfassung ist Iran eine islamische Republik und der schiitische Zwölfer- oder Ja'afari-Islam ist die offizielle Staatsreligion. Die Verfassung schreibt vor, dass alle Gesetze und Vorschriften auf "islamischen Kriterien" und einer offiziellen Auslegung der Scharia beruhen müssen. In der Verfassung heißt es, dass die Bürger alle menschlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte "in Übereinstimmung mit islamischen Kriterien" genießen sollen (USDOS 15.5.2023). Für Frauen bedeutet dies beispielsweise unter anderem eine allgemeine Kopftuchpflicht in der Öffentlichkeit, die zuletzt im Zuge der Proteste anlässlich des Todes von Mahsa Amini von vielen Protestierenden abgelehnt wurde und in den Fokus der Auseinandersetzung zwischen dem Regime und seinen Gegnern geriet (Tagesschau 6.10.2022). Gleichwohl dürfen die in Artikel 13, der iranischen Verfassung anerkannten 'Buchreligionen' Christentum, Judentum und Zoroastrismus ihren Glauben in ihren Gemeinden relativ frei ausüben (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie (AA 30.11.2022).
Die Lehrpläne aller öffentlichen und privaten Schulen müssen einen Kurs über die schiitischen Lehren enthalten. Sunnitische Schüler und Schülerinnen, sowie jene, die einer anerkannten religiösen Minderheit angehören, müssen die Kurse über den schiitischen Islam belegen und bestehen, obwohl sie auch separate Kurse über ihre eigenen religiösen Überzeugungen belegen können. Anerkannte religiöse Minderheitengruppen, mit Ausnahme der sunnitischen Muslime, dürfen Privatschulen betreiben (USDOS 15.5.2023).
Anhänger religiöser Minderheiten unterliegen Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Lediglich schiitische Muslime dürfen in vollem Umfang am politischen Leben teilnehmen (AA 30.11.2022; vergleiche MRG 24.11.2022). Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 30.11.2022). Auch anerkannte religiöse Minderheiten (Zoroastrier, Juden, Christen) werden diskriminiert. Sie sind in ihrer Religionsausübung jedoch nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Sie haben gewisse rechtlich garantierte Minderheitenrechte (ÖB Teheran 11.2021). Im Parlament sind beispielsweise fünf der insgesamt 290 Sitze für ihre Vertreterinnen und Vertreter reserviert: zwei für armenische Christen, einer für Juden, einer für Zoroastrier und einer für assyrische Christen (Zeit online 19.1.2023; vergleiche FH 10.3.2023). Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (USDOS 15.5.2023) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 10.3.2023). Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche OpD 18.1.2023). Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert (ÖB Teheran 11.2021). Für nicht anerkannte religiöse Gruppen gibt es keine rechtlichen Schutzgarantien. Diese Gruppierungen - z.B. Baha'i, Sabäer-Mandäer, Yaresani [Anm.: auch Ahl-e Haqq] (MRG 24.11.2022; vergleiche BAMF 5.2022), Anhänger fernöstlicher oder esoterischer Philosophien und Kulte (IRINTL 25.1.2022), konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten - werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche OpD 18.1.2023).
Das Ministerium für Kultur und islamische Führung und das Ministerium für Nachrichtenwesen und Sicherheit (MOIS) überwachen religiöse Aktivitäten. Die Revolutionsgarden überwachen auch Kirchen (USDOS 15.5.2023; vergleiche OpD 18.1.2023). Die iranische Regierung verfolgt Angehörige religiöser Minderheiten bisweilen unter dem Vorwand, diese seien eine Gefahr für die nationale Sicherheit, und nicht, weil sie beispielsweise Christen sind (CNEN 4.2.2023). Führende Vertreter von Minderheitengruppen und Aktivisten werden oftmals unter dem allgemeinen Vorwurf der Bedrohung der "öffentlichen Moral" oder der nationalen Sicherheit zu langen Haftstrafen oder zum Tod verurteilt (MRG 24.11.2022; vgl.OpD 18.1.2023). Auch oppositionelle schiitische Geistliche und muslimische Sekten sind der Verfolgung ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021). Zur Sanktionierung von Vergehen wie "Irrlehre", "Abweichung" und "Propaganda" durch Geistliche besteht ein Sondergericht, das über eine eigene Polizei, Strafprozessordnung, Gefängnisse und einen eigenen Strafkatalog verfügt, zu dessen Strafen etwa Verbote, Seminare abzuhalten oder die Kleriker-Robe in der Öffentlichkeit zu tragen ebenso gehören wie Verbannung, Haftstrafen und Todesurteile (Qantara 16.5.2023). Das Sondergericht für Geistliche untersteht direkt dem Revolutionsführer und ist, wie auch die Revolutionsgerichte, in der Verfassung nicht vorgesehen (USDOS 15.5.2023).
Ethnische und religiöse Minderheiten, die jahrzehntelang unter systemischer und systematischer Diskriminierung und Verfolgung gelitten haben, waren von der Welle der Repression seit Beginn der Proteste im September 2022 unverhältnismäßig stark betroffen (UNHRC 7.2.2023). Im Zuge der Proteste übten auch prominente sunnitische Stimmen wie Kak Hasan Amini, einer der profiliertesten sunnitischen Geistlichen Irans, oder Moulana Abdulhamid aus Belutschistan, Führer der sunnitischen Gemeinschaft im Osten des Irans, Kritik am Regime (Posch 2023). Zum tödlichsten Zwischenfall im Rahmen der Proteste kam es nach einem Freitagsgebet Moulana Abdulhamids in Zahedan, als Sicherheitskräfte das Feuer auf Protestierende eröffneten [Anm.: s. Unterkap. "Sunniten" für weitere Informationen] (UNHRC 7.2.2023; vergleiche USIP 9.3.2023). Im Jänner 2023 wurde ein sunnitischer Geistlicher aus dem Umfeld von Moulana Abdulhamid verhaftet, dem die Behörden "Manipulation der öffentlichen Meinung" sowie "Kommunikation mit ausländischen Personen und Medien" vorwarfen (USIP 9.3.2023). Unter anderem verwehrten die iranischen Behörden Angehörigen von getöteten Protestteilnehmerinnen und Protestteilnehmern, Begräbnisse nach ihren religiösen Riten zu vollziehen (UNHRC 7.2.2023). Obwohl diese Vorkommnisse nicht völlig neu waren, kam es im Zuge der Proteste auch vermehrt zu Übergriffen auf schiitische Geistliche, die aufgrund der umfassenden Politisierung von Religion mit dem iranischen Regime gleichgesetzt werden und als Vollstrecker von dessen politischen Zielen fungieren (INSS 18.5.2023; vergleiche Qantara 16.5.2023).
Religiöse Minderheiten und Nichtgläubige berichteten auch von eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten, der Verweigerung oder Schwierigkeiten, Genehmigungen für die Gründung eigener Unternehmen zu erhalten, sowie eingeschränkten Bildungsmöglichkeiten und verhetzenden Äußerungen (IrWire 27.2.2023). Muslimische Geistliche rufen manchmal zu Gewalt gegen religiöse Minderheiten auf (OpD 18.1.2023). Dabei ist die iranische Gesellschaft weniger fanatisch als ihre Führung (OpD 18.1.2023; vergleiche NLM 23.2.2023). Dies ist zum Teil auf den weitverbreiteten Einfluss des gemäßigteren Sufi-Islams zurückzuführen sowie auf den Stolz des iranischen Volkes auf seine vorislamische persische Kultur (OpD 18.1.2023). Dennoch wird mitunter von bedrohlicher Diskriminierung von Nicht-Schiiten seitens des familiären oder gesellschaftlichen Umfelds berichtet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche OpD 18.1.2023).
Nach Einschätzung des australischen Außenministeriums sind nicht praktizierende iranische Muslime einem geringen Risiko behördlicher oder gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt, insbesondere in den Großstädten (DFAT 24.7.2023). Der Besuch von Moscheen ist in Iran beispielsweise nicht weit verbreitet, verglichen mit anderen muslimischen Ländern (Moaddel/FTJ 2022; vergleiche MRAI 19.6.2023), und Personen werden nicht per se als Atheisten betrachtet, weil sie keine Moscheen aufsuchen. Dies gilt auch im ländlichen Bereich. Auch halten sich viele Iraner im Privaten nicht strikt an die Fastenregeln des Ramadan. Solange die Fastenregeln nicht in der Öffentlichkeit gebrochen werden, führte dies bislang üblicherweise zu keinen Problemen (MRAI 19.6.2023). Der Konsum von Speisen und Getränken sowie Rauchen in der Öffentlichkeit während des Ramadan kann nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) jedoch mit Strafen wie Peitschenhieben sowie Haft geahndet werden. Während des Ramadan 2023 wurden Dutzende Geschäfte in Teheran wegen Verstößen gegen die Fastenregeln von der Polizei geschlossen und die Behörden riefen die Bevölkerung dazu auf, Verstöße gegen das Fasten in der Öffentlichkeit zu melden (IRINTL 27.3.2023).
Nach dem Gesetz dürfen Nicht-Muslime nicht missionieren oder versuchen, einen Muslim zu einem anderen Glauben zu bekehren. Das Gesetz betrachtet diese Aktivitäten als Bekehrungsversuche, die mit dem Tod bestraft werden können (USDOS 15.5.2023). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS 23.2.2018). Das Parlament höhlte das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit im Jänner 2021 weiter aus, indem es zwei neue Paragrafen in das IStGB aufnahm, wonach die "Diffamierung staatlich anerkannter Religionen, iranischer Bevölkerungsgruppen und islamischer Glaubensrichtungen" sowie "abweichende erzieherische oder missionarische Aktivitäten, die dem Islam widersprechen" mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und/oder einer Geldstrafe geahndet werden können. Im Juli 2021 wurden drei Männer, die zum Christentum konvertiert waren, auf dieser Grundlage zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (AI 29.3.2022b). Das Regime betrachtet auch fernöstliche oder esoterische Philosophien und Kulte kritisch (IRINTL 25.1.2022). Unter anderem wurde auch ein Yogalehrer wegen "Propaganda gegen die Heiligtümer des Islam" vor einem Revolutionsgericht angeklagt, wobei seine Rechtsanwältin angab, die Behörden hätten seine Tätigkeit als Meditations- und Yogalehrer fälschlicherweise als islamfeindlich interpretiert (RFE/RL 7.11.2023).
Menschen, deren Eltern von den Behörden als Muslime eingestuft wurden, laufen Gefahr, willkürlich inhaftiert, gefoltert oder wegen "Apostasie" mit der Todesstrafe belegt zu werden, wenn sie andere Religionen oder atheistische Überzeugungen annehmen (AI 29.3.2022b; vergleiche ÖB Teheran 11.2021), auch wenn Fälle von Hinrichtungen aus diesem Grund in den letzten Jahren nicht bekannt wurden. In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund gewesen ist (ÖB Teheran 11.2021).
Christen
Letzte Änderung: 26.01.2024
Nach Angaben des staatlichen iranischen Statistikzentrums aus dem Jahr 2016 gibt es 117.700 Christen in Iran. Einige Schätzungen deuten jedoch darauf hin, dass es deutlich mehr sind, als tatsächlich angegeben (USDOS 15.5.2023). Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran. Den größten Anteil [unter den anerkannten christlichen Gemeinschaften] stellen dabei armenische Christen (STDOK 3.5.2018), wobei Vertreter dieser Religionsgemeinschaft ihre Gesamtanzahl auf 40.000-50.000 schätzen. Die Anzahl der Assyrer und Chaldäer wird auf insgesamt rund 7.000 geschätzt (USDOS 15.5.2023). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben (ÖB Teheran 11.2021), wobei erstere auf rund 21.000 Personen geschätzt werden, während es zu letzteren keine belastbaren Daten gibt. Viele Protestanten praktizieren ihren Glauben im Geheimen (USDOS 15.5.2023). Schätzungen zufolge stellen Konvertiten aus dem Islam mit mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 30.11.2022). Armenische Christen leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan (STDOK 3.5.2018).
Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt, dies gilt allerdings nicht für evangelikale Freikirchen. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt (ÖB Teheran 11.2021): Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur diese historisch ansässigen Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als solche bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen. Mit der Registrierung sind bestimmte Rechte verbunden, darunter die Verwendung von Alkohol zu religiösen Zwecken. Die Behörden können eine Kirche schließen und ihre Leiter verhaften, wenn die Kirchenbesucher sich nicht registrieren lassen oder wenn nicht registrierte Personen an den Gottesdiensten teilnehmen (USDOS 15.5.2023).
Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt (ÖB Teheran 11.2021); christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 11.2021), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Soweit ethnische Christen die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie kaum behindert oder verfolgt. Dies trifft insbesondere auf armenische und assyrische Christen zu. Konvertiten vom Islam zum Christentum und Mitglieder protestantischer Freikirchen sind demgegenüber willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt (AA 30.11.2022). Die iranischen Behörden gestatten Konvertiten nicht, die Kirchen der armenischen und assyrischen Gemeinschaften zu besuchen (ARTICLE18 o.D.). Einerseits wird immer wieder von Razzien und Verhaftungen von Christinnen und Christen berichtet, was ein hartes staatliches Vorgehen signalisiert. Die Gemeinden sollen durch diese Unvorhersehbarkeit in Angst und Unsicherheit gehalten werden. Andererseits belegen Einzelbeispiele, dass es immer darauf ankommt, welche Person dem Beschuldigten gegenübersitzt. Auch persönliche Einstellungen und Charakteristika von Amtsträgern spielen eine Rolle. Dabei kann es fallweise erhebliche Unterschiede geben. Die Aussage, dass Pastoren, Missionare oder Organisatoren von Hauskirchen besonders im Fokus der Sicherheitsdienste stehen, bedeutet nicht, dass sich das Risiko für normale, nicht in entsprechende Aktivitäten involvierte Gemeindemitglieder automatisch auf null reduzieren würde (BAMF 5.2022).
Historisch ansässige Christen genießen Kultusfreiheit innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen (ÖB Teheran 11.2021) und sind in familienrechtlichen Angelegenheiten weitgehend autonom (BAMF 5.2022). Jedoch haben Nichtmuslime weder Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit noch Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit. Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und der Anwerbung von Andersgläubigen ist verboten (Proselytismusverbot) und wird streng bestraft. Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden, wobei im November 2021 berichtet wurde, dass es in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam (ÖB Teheran 11.2021). Im September 2022 wurde jedoch bekannt, dass zwei Aktivistinnen für die Rechte von Angehörigen sexueller Minderheiten, denen die Behörden neben anderen Anklagepunkten auch "Missionierung für das Christentum" vorwarfen, zum Tod verurteilt worden sind (BAMF 1.1.2023; vergleiche OMCT 22.9.2022).
Für das iranische Regime besonders bedrohlich erscheinen Religionen wie das evangelikale Christentum, welches die aktive Ausübung des christlichen Glaubens etwa im Rahmen von Hauskirchen und missionarischen Aktivitäten einfordert. Die möglichen Verbindungen zu evangelikalen Gruppierungen und Organisationen in Ländern wie Großbritannien und den USA, die seit 1979 als Feinde des Landes und seines politischen Systems gelten, verstärken den Eindruck einer Bedrohung. Diese Gemengelage führt die iranischen Machthaber und Behörden zur Einschätzung, dass man es hier mit einer Bedrohung der nationalen Sicherheit zu tun hat (BAMF 5.2022). Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen ('Hauskirchen') oft hart vorgegangen (u. a. Verhaftungen und Beschlagnahmungen). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot. Kirchenvertreter sind angehalten, die Behörden zu informieren, bevor sie neue Mitglieder in ihre Glaubensgemeinschaft aufnehmen (ÖB Teheran 11.2021).
Es gibt auch Einschränkungen, mit denen anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht (STDOK 3.5.2018). Im Weltverfolgungsindex von Christen für das Jahr 2023, den die NGO Open Doors jährlich veröffentlicht, befindet sich Iran auf dem achten Platz (2022: Platz neun). Der Weltverfolgungsindex ist eine Rangliste der 50 Länder, in denen Christen der stärksten Verfolgung und Diskriminierung wegen ihres Glaubens ausgesetzt sind. Je niedriger die Zahl, desto höher die Verfolgung. Der durchschnittliche Druck in Iran ist weiterhin extrem hoch. Die Zahl dokumentierter gewaltsamer Übergriffe, einschließlich Entführungen, ist laut Open Doors in Iran zuletzt gestiegen (OpD 18.1.2023).
Ausländische christliche Gemeinden können ihre Religion weitgehend ungehindert ausüben, werden jedoch von staatlicher Seite dabei genau beobachtet. Eine nachhaltige Gemeindearbeit wird durch staatliche Schikanen verhindert (z. B. Verweigerung der Visaverlängerung für in Iran praktizierende, ausländische Priester oder Visaverweigerung). Dadurch könnten die Gemeinden langfristig "aussterben". Insbesondere Iraner, die sich aktiv für nicht-muslimische Glaubens- und Gemeindearbeit einsetzen, laufen Gefahr, ins Visier der Sicherheitsbehörden zu geraten (AA 30.11.2022). Ausländischen Christen ist es streng verboten, mit iranischen christlichen Konvertiten aus dem Islam in Kontakt zu treten, geschweige denn sie in ihre Gemeinden aufzunehmen (OpD 20.2.2023).
Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind (STDOK 3.5.2018; vergleiche Qantara o.D.). Anerkannte christliche Religionsgemeinschaften haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden (STDOK 3.5.2018), wobei Schüler und Schülerinnen, die einer anerkannten religiösen Minderheit angehören, auch Kurse in schiitischem Islam belegen und bestehen müssen (USDOS 15.5.2023).
Es gehört zum Erscheinungsbild in den Großstädten, dass christliche Symbole im Modebereich als Accessoires Verwendung finden und auch in den entsprechenden Geschäften angeboten werden. Auch Dekorationen mit christlichen Motiven sind nicht ungewöhnlich. Eine solche kommerzielle Präsentation führte bisher nach Darstellung der in Teheran vertretenen westlichen Botschaften zu keinen Strafverfahren (BAMF 3.2019). Weihnachtsdekoration ist in vielen Städten Irans beliebt, man kann sie ohne Probleme finden (MRAI 19.6.2023; vergleiche BAMF 3.2019). Vor einigen Kirchen in Teheran stehen anlässlich der Weihnachtsfeiertage, zu denen von staatlicher Seite immer wieder Glückwünsche übermittelt werden, Weihnachtsbäume (BAMF 3.2019). Die gestiegene Beliebtheit von christlichen Weihnachtsfeiern und Christbäumen (unter Nicht-Christen) wurde von konservativer Seite allerdings auch kritisiert (IRJ 30.12.2019). Der Staat kann zwar Bedenken äußern oder Beschränkungen für Geschäfte, die diese Dekorationen verkaufen, auferlegen, aber er erhebt normalerweise keine Anklage wegen Besitzes oder Verwendung dieser Dekorationen (MRAI 19.6.2023). Unter anderem versucht er auch, das in Iran verbreitete Feiern des Valentinstages zu unterbinden, der zeitlich mit dem Jahrestag der Islamischen Revolution zusammenfällt. Seit über zwei Jahrzehnten ist die Herstellung von Postern, Broschüren, Schachteln und Karten mit Liebesherzsymbolen und roten Rosen, wie sie zum Valentinstag verschenkt werden, offiziell verboten. Dennoch werden derartige Waren von Ladenbesitzern angeboten und von Kunden gekauft, wobei Ladenbesitzer Sanktionen wie temporäre Geschäftsschließungen riskieren (NLM 14.2.2022). Das Tragen von christlichen Symbolen [wie z. B. Kreuzanhängern] kann nach Angaben einer iranischen Rechtsanwältin für Personen allerdings je nach Interpretation der Sittenpolizei zu Problemen führen. Die Behördenvertreter können dies beispielsweise als allgemeines und zweideutiges Vergehen im Zusammenhang mit Straftaten gegen die Keuschheit und die öffentliche Moral einstufen. Letztendlich ist es Sache des Richters oder der Polizei zu entscheiden, ob die Verwendung christlicher Symbole unter diese Straftatbestände fällt. Ein weiterer möglicher Ansatz besteht darin, Personen der "Störung der öffentlichen Werte" zu beschuldigen. Es gibt Fälle, in denen die Sittenpolizei Menschen wegen des Tragens christlicher Symbole verhaftet hat (MRAI 19.6.2023). Einer Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge kann ein Richter sichtbare christliche Tätowierungen oder im Rahmen einer Verhaftung eines Konvertiten beschlagnahmten Schmuck oder Bilder mit christlicher Symbolik in die Beweislast im Zusammenhang mit einer Konversion einbeziehen. Dies kann jedoch von Fall zu Fall variieren (MBZ 9.2023).
Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen
Letzte Änderung: 26.01.2024
Abfall vom Islam, Apostasie (Farsi: ertedad) fällt in den Bereich der sog. Hadd-Strafen der Sharia, die allgemein mit der Todesstrafe geahndet werden, obwohl die islamischen autoritativen Rechtsquellen wie der Koran und Hadithe (Aussagen des Propheten) nicht immer eindeutig und zuweilen auch widersprüchlich sind. Das Strafgesetzbuch der Islamischen Republik Iran (IStGB) ist nicht mit der Sharia identisch und Apostasie wird nicht als Straftatbestand im IStGB aufgeführt. In Fällen wie diesen erlaubt Artikel 167, der Verfassung Richtern den Rückgriff auf traditionelle islamische Rechtsquellen (Koran, Hadith und Fatwas, sog. Rechtsgutachten). Damit besteht rechtlich zumindest in der Theorie die Möglichkeit, bei Apostasie eine Bestrafung gemäß den islamischen Rechtsquellen und Fatwas vorzunehmen. Obwohl die iranischen Behörden zuweilen mit Apostasie-Anklagen drohen, sind solche jedoch sehr selten (BAMF 5.2022; vergleiche ARTICLE 19 6.7.2022). Gerichte können somit immer noch Todesurteile wegen Apostasie verhängen, indem sie sich in Artikel 167, des Strafgesetzbuches auf die Scharia berufen. Zwischen 1990 und 2020 haben sie das - vermutlich auf internationalen Druck - nur dreimal getan. Die einzige Hinrichtung aufgrund von Apostasie fand 1990 statt (OpD 20.2.2023; vergleiche IRB 9.3.2021). Ein Teilnehmer an den Protesten vom September 2022 wurde im Dezember 2022 von einem Revolutionsgericht unter anderem wegen Apostasie zum Tod verurteilt. Ihm war die Verbrennung eines Korans vorgeworfen worden, wobei er laut Amnesty International durch Folter zu einem Geständnis gezwungen worden war. Das Urteil wurde im Mai 2023 aufgehoben, der Protestteilnehmer verstarb jedoch in Haft, bevor es zu einer Neuverhandlung kommen konnte (AI 7.9.2023; vergleiche BBC 31.8.2023).
Zum Christentum Konvertierte können auch auf Grundlage anderer Straftatbestände angeklagt werden, wobei diese Anklagepunkte zu den sogenannten Taʿzir-Strafen (Ermessensstrafen) zählen, bei denen die Urteilsfindung und das Strafmaß im Ermessen des vorsitzenden Richters liegen. Mögliche Anklagepunkte, die lt. IStGB mit unterschiedlich langen Haftstrafen geahndet werden, sind z.B.: Aktionen gegen die nationale Sicherheit (IStGB 5. Buch/Art. 498-99), Propaganda gegen das System (IStGB 5. Buch/Art. 500), Beleidigung heiliger islamischer Werte und Prinzipien (IStGB 5. Buch/Art. 513), Versammlung und Verschwörung zur Unterminierung der Landessicherheit (IStGB/Art. 610) oder Alkoholgenuss [im Zuge der Heiligen Kommunion] (IStGB/Art. 701) (BAMF 5.2022), wobei der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021). Andere politisch motivierte Anklagen wie Feindschaft gegen Gott (moharebeh) und Verderbtheit auf Erden (efsad-e fi’l-arz) wurden ebenfalls verschiedentlich dokumentiert, sind im Zusammenhang mit Bekenntnissen zu religiösen Alternativen allerdings eher selten (BAMF 5.2022).
Christen, insbesondere Evangelikale und andere Konvertiten aus dem Islam, sind nach Angaben christlicher Nichtregierungsorganisationen weiterhin unverhältnismäßig vielen Verhaftungen und Inhaftierungen sowie einem hohen Maß an Schikanen und Überwachung ausgesetzt. Menschenrechtsorganisationen und christliche NGOs berichten weiterhin, dass die Behörden Christen, einschließlich Mitglieder nicht anerkannter Kirchen, aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit oder ihrer Aktivitäten verhaften und sie beschuldigen, illegal in Privathäusern zu operieren oder "feindliche" Länder zu unterstützen und deren Hilfe anzunehmen. Das katholische Medienunternehmen AsiaNews hat berichtet, dass die Behörden zwischen Jänner und Juni 2022 58 christliche Konvertiten verhaftet haben, verglichen mit 72 im gesamten Jahr 2021. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen setzt die Regierung auch das Verbot der Missionierung weiter durch (USDOS 15.5.2023).
Trotz des Verbots des "Abfalls vom Islam" ist in Iran ein anhaltender Trend von Konversion zum Christentum festzustellen. Unter den Christinnen und Christen des Landes stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen. Viele vor allem jüngere Iranerinnen und Iraner haben sich von der Religion auch gänzlich abgewendet, weil sie mit den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen seit der Islamischen Revolution nicht einverstanden sind (AA 30.11.2022). Das Regime ist bestrebt, die Werte der Islamischen Revolution von 1979 zu schützen, von denen es seine Legitimität ableitet. Der christliche Glaube gilt als gefährlicher westlicher Einfluss und als Bedrohung der islamischen Identität der Republik (OpD 20.2.2023). Konversion und Bekenntnis zum Christentum sind damit Akte des Protests, der Fundamentalopposition und des Bruches mit der Islamischen Republik (BAMF 5.2022). Dies erklärt, warum insbesondere Konvertiten, die sich vom Islam ab- und dem christlichen Glauben zugewandt haben, wegen "Verbrechen gegen die nationale Sicherheit" verurteilt werden (OpD 20.2.2023). Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft auch Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z. B. Zionisten) (ÖB Teheran 11.2021). Freikirchliche Protestanten werden des "evangelikalen und zionistischen" Christen- bzw. Sektentums bezichtigt (BAMF 5.2022).
Missionarische Tätigkeit – d. h. jegliches nicht-islamisches religiöses Agieren in der Öffentlichkeit - ist verboten und wird geahndet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 15.5.2023). Das Strafgesetz sieht für Proselytismus formell die Todesstrafe vor, wobei es laut Auskunft der österreichischen Botschaft in Teheran vom November 2021 in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil gekommen ist (ÖB Teheran 11.2021). Im September 2022 wurde jedoch bekannt, dass zwei Aktivistinnen für die Rechte von Angehörigen sexueller Minderheiten, denen die Behörden neben anderen Anklagepunkten auch "Missionierung für das Christentum" vorwarfen, zum Tod verurteilt worden sind (BAMF 1.1.2023; vergleiche OMCT 22.9.2022).
Die Aktivitäten anerkannter christlicher Gemeinschaften sind streng geregelt, um Missionstätigkeit zu verhindern. Anerkannte christliche Gruppen lehnen Missionierungsarbeit daher ab, was von den Behörden regelmäßig auch überprüft wird (DFAT 24.7.2023). Alle Christen und christlichen Kirchen müssen bei den Behörden registriert sein, und nur anerkannte Christen dürfen die Kirche besuchen. Die Sicherheitsbehörden überwachen die registrierten Kirchen genau, um sicherzustellen, dass die Gottesdienste nicht auf Farsi abgehalten werden (sie müssen in der traditionellen Sprache der Kirche und nicht in der Volkssprache abgehalten werden), und führen regelmäßige Identitätskontrollen der Gläubigen durch, um zu überprüfen, dass keine Nichtchristen oder Konvertiten an den Gottesdiensten teilnehmen. Kirchen, die sich nicht daran halten, müssen mit der Schließung rechnen (DFAT 24.7.2023; vergleiche ARTICLE18 o.D.).
Einige Konvertiten haben sich daher den "Assemblies of God"-Kirchen angeschlossen, andere gehören verschiedenen evangelikalen Hauskirchen-Netzwerken an (RFE/RL 5.5.2022). Die Schließungen von "Assembly of God"-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen. Einer vom Danish Immigration Service (DIS) befragten Quelle zufolge zeigt die steigende Zahl von Hauskirchen, dass sie Spielraum für ihre Tätigkeit haben, obwohl sie illegal sind (DIS 23.2.2018). Die Größe der Hauskirchen, ihre Art und Struktur variieren. Die meisten sind klein und informell, sie bestehen aus engen Verwandten und Freunden, die sich regelmäßig zum Beten und Bibellesen oder zum Ansehen von christlichen Fernsehprogrammen auf Farsi treffen (DFAT 24.7.2023).
Die hauskirchlichen Vereinigungen stehen unter besonderer Beobachtung, ihre Versammlungen werden regelmäßig aufgelöst und ihre Angehörigen gelegentlich festgenommen (AA 30.11.2022). Die Behörden fürchten die Ausbreitung der Hauskirchen und beobachten sie. Allerdings ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die ungewöhnliche Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Weiters setzen die Behörden Informanten ein. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit, eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind. Erfolgreiche Hauskirchen sind einem größeren Risiko ausgesetzt: Ob Behörden eingreifen, hängt auch von der Größe der Gemeinde ab. Eine andere Quelle gab dagegen an, dass Hauskirchen systematisch durchsucht werden. Eine Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet, wenn ein Christ das Interesse der Behörden geweckt hat. So können zum Beispiel Stichwörter wie "Kirche", "Christ", "Jesus" oder "Taufe" als Grundlage für eine elektronische Überwachung dienen (DIS 23.2.2018).
Einige derjenigen Christen, die die schwersten Strafen erhalten haben (2-10 Jahre Gefängnis), wurden wegen der Leitung/Organisation von Hauskirchen verurteilt (Landinfo 20.6.2022). Typischerweise werden die Leiter von Hauskirchen verhaftet und wieder freigelassen, da die Behörden die Hauskirche schwächen wollen (DIS 23.2.2018). Gewöhnliche Mitglieder von Hauskirchen riskieren ebenfalls, in einer Hauskirche verhaftet zu werden (DIS 23.2.2018; vergleiche OpD 20.2.2023, BAMF 5.2022). Manche der Festgenommenen werden später nicht verurteilt und inhaftiert (Landinfo 20.6.2022). Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden steht, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen meist nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten folgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden in der Regel nicht über ihn Bescheid wissen (DIS 23.2.2018). Die Aussage, dass Pastoren, Missionare oder Organisatoren von Hauskirchen besonders im Fokus der Sicherheitsdienste befinden, bedeutet allerdings nicht, dass sich das Risiko für normale, nicht in entsprechende Aktivitäten involvierte Gemeindemitglieder automatisch auf null reduzieren würde. So berichtete Landinfo über die Verhaftung eines Mannes im Jahr 2016, der kein auffälliges Profil aufwies, das Rückschluss auf eine wie auch immer geartete Exponiertheit erlauben würde (BAMF 5.2022).
Im November 2021 entschied der Oberste Gerichtshof, dass neun christliche Konvertiten, die wegen ihrer Beteiligung an Hauskirchen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden waren, nicht wegen "Handelns gegen die nationale Sicherheit" angeklagt werden sollten. In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs heißt es: "Die bloße Verkündigung des Christentums und die Förderung der 'evangelikalen zionistischen Sekte', wobei beides offensichtlich die Propagierung das Christentum durch Familientreffen [Hauskirchen] bedeutet, ist kein Ausdruck der Zusammenkunft und der geheimen Absprache, um die Sicherheit des Landes zu stören, weder im Inneren noch nach außen" (ARTICLE18 25.11.2021; vergleiche RFE/RL 5.5.2022). Anders als die Berufungsgerichte kann der Oberste Gerichtshof keine neuen Urteile erlassen, sondern entscheidet lediglich über die Wiederaufnahme von Gerichtsverfahren. Der Fall wurde nun an eine Zweigstelle des Berufungsgerichtshofes innerhalb des Revolutionsgerichts überstellt, das nun unabhängig von den bislang ergangenen Gerichtsurteilen - aber auch unabhängig vom Obersten Gerichtshof - zu einem Urteil in der Sache gelangen konnte. Die Konvertiten wurden daraufhin im Februar 2022 freigesprochen und bis auf eine Person, die wegen ihrer christlichen Aktivitäten noch eine andere Haftstrafe verbüßt, freigelassen. Gegen zwei der Freigelassenen wurden umgehend neue Anklagen erhoben (BAMF 5.2022). In einem ähnlich gelagerten Fall wurde ein zum Christentum konvertiertes Ehepaar, das 2020 aufgrund der Teilnahme an hauskirchlichen Treffen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden ist, im Mai 2023 freigesprochen und aus der Haft entlassen. Auch hier hatte ein Berufungsgericht geurteilt, dass die Organisation, Mitgliedschaft und Teilnahme an christlichen Gruppen keine Handlungen gegen die Sicherheit des Landes darstellen würden (BAMF 15.5.2023). Menschenrechtsorganisationen betonen einerseits eine mögliche Signalwirkung der Urteile (BAMF 15.5.2023; vergleiche ARTICLE18 25.11.2021), andererseits wurde beispielsweise im September 2022 bekannt, dass mehrere Christen aufgrund ihrer Beteiligung an Hauskirchen unter dem Anklagepunkt "Bildung und Betrieb illegaler Organisationen, mit dem Ziel die Sicherheit des Landes zu stören", von einem Berufungsgericht teilweise zu langen Haftstrafen verurteilt worden sind (ET 24.9.2022; vergleiche OpD 22.9.2022).
Inhaftierten Christen, besonders christlichen Konvertiten, wird oft eine Entlassung gegen Kaution angeboten. Dabei geht es meist um hohe Geldbeträge, die Berichten zufolge zwischen 2.000 und 150.000 US-Dollar liegen. Die betroffenen Christen oder deren Familien werden dadurch gezwungen, ihre Häuser oder Geschäfte mit Hypotheken zu belasten. Personen, die gegen Kaution freigelassen werden, schweigen oft, da sie den Verlust ihres Familienbesitzes fürchten müssen. Das iranische Regime drängt sie, das Land zu verlassen und damit ihre Kaution zu verlieren. Es wird angenommen, dass Regierungsbeamte das Kautionssystem nutzen, um sich zu bereichern und Christen finanziell in den Ruin zu treiben (OpD 20.2.2023).
Die von der Regierung ausgeübte Kontrolle ist in städtischen Gegenden am höchsten. Ländliche Gebiete werden weniger stark überwacht. In der Anonymität der Städte haben Christen jedoch mehr Freiheiten, Treffen und Aktivitäten zu organisieren als in ländlichen Gebieten, in denen die soziale Kontrolle stärker ist (OpD 20.2.2023).
Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z. B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 11.2021). Informanten in westlichen Ländern berichten dem iranischen Geheimdienst über Aktivitäten iranischer Christen im Ausland (OpD 20.2.2023).
Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein 'high-profile'-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber dies kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber zu Problemen führen (DIS 23.2.2018). Eine befragte Rechtsanwältin schilderte in diesem Zusammenhang auch, dass es Fälle gibt, bei denen Personen aufgrund von Beiträgen in den sozialen Netzwerken mit nur geringer Reichweite oder Beiträgen von lediglich "privat" einsehbaren Profilen inhaftiert wurden, da sie von Personen aus ihrem Umfeld gemeldet wurden. Der Staat ist rechtlich dazu in der Lage, Personen in derartigen Fällen aufgrund von "Vergehen gegen die nationale Sicherheit" oder "Vergehen gegen den Islam" zu verfolgen (MRAI 19.6.2023). Die iranischen Behörden fokussieren bei der Überwachung von Konvertiten zuletzt zunehmend auf Online-Aktivitäten (Landinfo 20.6.2022). Dies fällt unter den Kompetenzbereich des Cyber Defense Commands der Revolutionsgarden sowie des Centre to Investigate Organized Crimes (CIOC), da dies als Angelegenheit der nationalen Sicherheit wahrgenommen wird (Landinfo/et al. 12.2021).
Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS 23.2.2018). Open Doors gibt im Weltverfolgungsindex 2023 an, dass die Taufe als öffentliches Zeichen der Abwendung vom Islam gesehen wird und deshalb verboten ist (OpD 20.2.2023).
Christlichen NGOs zufolge werden die staatlichen Beschränkungen für die Veröffentlichung von religiösem Material fortgesetzt, obwohl staatlich genehmigte Bibelübersetzungen Berichten zufolge weiterhin erhältlich sind. Regierungsbeamte beschlagnahmen häufig Bibeln und ähnliche nicht schiitische religiöse Literatur und üben Druck auf Verlage aus, die nicht genehmigtes nicht-muslimisches religiöses Material drucken, um ihre Tätigkeit einzustellen (USDOS 15.5.2023). Der Besitz christlicher Literatur in Farsi, besonders in größeren Stückzahlen, legt den Verdacht nahe, dass sie zur Weitergabe an muslimische Iraner gedacht ist (OpD 20.2.2023). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der 'Katholischen Jerusalem Bibel' ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den 'Katechismus der Katholischen Kirche' ins Farsi. Beide Produkte waren mit Stand 2019 ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).
In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind. Die Probleme, die durch Konversion auftreten können, sind breit gefächert. Sie beginnen in der Schule, wo Kinder aus konvertierten Familien einen Verweis oder die Verwehrung des Hochschuleintritts riskieren, sollten sie den Fächern Religionsunterricht, Islamische Lehre und Koranstunde fernbleiben (ÖB Teheran 11.2021).
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Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen
Letzte Änderung: 23.01.2024
Generell genießt die Familie in Iran, ebenso wie in den meisten anderen islamischen Gesellschaften, einen hohen Stellenwert. Der Unterschied zwischen Stadt und Land macht sich aber auch hier bemerkbar in Bezug auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau sowie hinsichtlich der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Auf dem Land hat das traditionelle islamische Rollenmodell weitgehende Gültigkeit, der Tschador, der Ganzkörperschleier, dominiert hier das Straßenbild. In den großen Städten hat sich dieses Rollenverständnis inzwischen verschoben, wenn auch nicht in allen Stadtteilen. Während des Iran-Irak-Krieges war, allen eventuellen ideologischen Bedenken zum Trotz, die Arbeitskraft der Frauen unabdingbar. Nach dem Krieg waren Frauen aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken oder gar zu entfernen. Die unterschiedliche und sich verändernde Stellung der Frau zeigt sich auch an den Kinderzahlen: Während in vielen ländlichen - v. a. in den abgelegeneren - Gebieten fünf Kinder der Normalfall sind, sind es in Teheran und Isfahan im Durchschnitt unter zwei. Insbesondere junge Frauen begehren heute gegen die nominell sehr strikten Regeln auf, besonders anhand der Kleidungsvorschriften für Frauen wird heute der Kampf zwischen einer eher säkular orientierten Jugend der Städte und dem System in der Öffentlichkeit ausgefochten (GIZ 12.2020a).
Frauen und Mädchen spielen eine zentrale Rolle bei den landesweiten Protesten (AI 27.3.2023) seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Jina (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023). Amini war kurz vor ihrem Tod von der Sittenpolizei wegen angeblicher Verstöße gegen die Bekleidungsvorschriften für Frauen verhaftet und laut Augenzeugenberichten geschlagen worden (BBC 16.9.2022). Den Protesten unter der weitverbreiteten Parole: "Frau, Leben, Freiheit" (in kurdischer Sprache: "Jin, Jîyan, Azadî") (NatGeo 17.10.2022), die im Wesentlichen von Frauen gestartet wurden (EN 1.2.2023), schlossen sich Iraner und Iranerinnen aller Altersgruppen und Ethnien an, wobei sie v. a. von den jüngeren Generationen auf die Straße getragen wurden (NatGeo 17.10.2022). Viele Gegnerinnen der Regierung drücken ihren Protest derzeit auch durch zivilen Ungehorsam aus, etwa indem sie den Kopftuchzwang ignorieren (Spiegel 19.1.2023; vergleiche HRW 7.3.2023). Nach dem Beginn der Massenproteste Ende September 2022 verhafteten die Behörden Tausende von Menschen, darunter Prominente, Menschenrechtsaktivisten und andere, die ihre Unterstützung für die Bewegung durch Beiträge in den sozialen Medien oder durch die öffentliche Missachtung der Hijab-Pflicht, die zu Mahsa Aminis Verhaftung und Tod geführt hatte, zum Ausdruck gebracht hatten (FH 10.3.2023).
Verschiedene gesetzliche Verbote machen es Frauen unmöglich, im gleichen Maße wie Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (strenge Kleiderordnung, Verbot des Zugangs zu Sportveranstaltungen, Genehmigungsvorbehalt des Ehemannes oder Vaters bezüglich Arbeitsaufnahme oder Reisen). In rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind iranische Frauen also vielfältigen Diskriminierungen unterworfen, die jedoch zum Teil relativ offen diskutiert werden (AA 30.11.2022). Iran hat die "Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" (CEDAW) als einer von wenigen Staaten weltweit nicht unterzeichnet (FNS 8.12.2022; vergleiche UNHRC o.D.). Im Global Gender Gap Report 2022 des World Economic Forum liegt Iran auf Platz 143 von 146 (WEF 13.7.2022; vergleiche AA 30.11.2022).
Frauen haben das aktive Wahlrecht (USDOS 20.3.2023), sind jedoch von einigen staatlichen Funktionen (u. a. Richteramt, Staatspräsident) gesetzlich oder aufgrund entsprechender Ernennungspraxis ausgeschlossen (AA 30.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). Frauen ist es seit 1979 gesetzlich verboten, als Richterinnen zu arbeiten. Entsprechend qualifizierte Frauen können das Amt der "beratenden Richterin" an Zivil- oder Familiengerichten bekleiden (IrWire 20.1.2023). Die Urteile werden dort jedoch von männlichen Richtern gesprochen, welche die Ratschläge der "beratenden Richterinnen" annehmen oder ablehnen können (IrWire 20.1.2023; vergleiche BAMF 7.2020). Nur eine Frau gehört dem Kabinett von Staatspräsident Raisi an, die Vizepräsidentin für Frauen- und Familienangelegenheiten Ensieh Khazali. Die ultrakonservative Politikerin gilt als Befürworterin der frühen Heirat von Mädchen (AA 30.11.2022).
Kleidungsvorschriften und kulturelle Teilhabe
Dem Gesetz nach müssen alle Frauen in Iran ab einem Alter von neun Jahren die islamischen Bekleidungsvorschriften in der Öffentlichkeit einhalten (BAMF 7.2020). Frauen, die in der Öffentlichkeit ohne "angemessene Kleidung", wie z. B. einen Stoffschal über dem Kopf (Hijab) und einem Mantel, oder einen Tschador [bodenlanger Umhang, der nur das Gesicht freilässt] auftreten, können zu Auspeitschung oder einem Bußgeld verurteilt werden. In Ermangelung einer klaren gesetzlichen Definition von "angemessener Kleidung", oder der damit verbundenen Bestrafung, sind Frauen dem Ermessen der Disziplinar- und Sicherheitskräfte ausgesetzt (USDOS 20.3.2023). Eine Frau, die ihre Haare oder die Konturen ihres Körpers nicht verhüllt, kann mit einer Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) und/oder einer Geldbuße bestraft werden (AA 30.11.2022; vergleiche DIS 3.2023). Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich. Dazu kommt es in der Regel nicht, da die Familien von der Möglichkeit des Freikaufs überwiegend Gebrauch machen (AA 30.11.2022). Um die Zahl der Strafverfahren zu verringern, kommen Frauen bei Verstößen in vielen Fällen mit einer Verwarnung davon (DIS 3.2023). Auch wenn es in der Regel nur zu Verwarnungen kommt, ist die sogenannte Sittenpolizei "Gasht-e Ershad" in Iran jedoch gefürchtet. Bei Kontrollen soll sie regelmäßig Gewalt anwenden (AA 30.11.2022). Darüber hinaus wurden einige Frauen, die sich an Online- und Offline-Kampagnen gegen den Hijab beteiligt haben, wegen Sicherheitsdelikten angeklagt, da sie den Hijab in der Öffentlichkeit nicht korrekt getragen hatten (DIS 3.2023). Laut offiziellen Statistiken sind aktuell 70 % der iranischen Bevölkerung gegen den verpflichtenden Hijab (BAMF 1.2023).
Nach dem Amtsantritt von Präsident Raisi hat die Zahl der Patrouilleneinheiten zur Einhaltung der Kleidervorschriften zugenommen, sodass es bereits am 12.7.2022, dem iranischen nationalen "Hijab- und Keuschheitstag", zu weitverbreiteten Protesten von Frauen im Land gekommen ist. Viele Frauen gingen ohne Kopfbedeckung auf die Straße, was zu einer Reihe von Festnahmen und Inhaftierungen führte. Insgesamt will die Regierung mit den neuen Regeln v. a. öffentliche und private Angestellte dazu bringen, Frauen, die gegen die Kleidungsvorschriften verstoßen, zu melden. Erfüllen Angestellte ihre Meldepflichten nicht, so haben sie selbst mit Strafen oder Bußgeldern zu rechnen. Diese Regelungen sollen ab August 2022 nach und nach in allen Regierungsbehörden, Banken, Gewerbe- und Dienstleistungseinrichtungen, Bildungseinrichtungen, auf öffentlichen Straßen und Plätzen, in öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln, in virtuellen Räumen wie dem Internet, in Nachbarschaften und dem eigenen Haus und in der eigenen Familie umgesetzt werden (BAMF 1.2023).
Auch nach den landesweiten Protesten seit September 2022 bekräftigten iranische Regierungsvertreter ihre Entschlossenheit, die Hijabpflicht für Frauen weiter durchzusetzen (BBC 1.4.2023). Im Frühjahr 2023 hat die Regierung in diesem Zusammenhang einen neuen Ansatz in ihrer Kampagne zur Durchsetzung des Hijab-Gesetzes ausprobiert und innerhalb von nur 24 Stunden 150 Geschäfte geschlossen, weil sie ordnungswidrig verschleierte Frauen bedient hatten. Außerdem kündigte sie an, dass die Behörden Überwachungskameras und andere Mittel einsetzen würden, um Frauen zu verfolgen, die gegen das Gesetz verstoßen (NYT 5.5.2023). Die Anzahl der Überwachungskameras soll dabei erhöht werden und unter anderem soll zur Überwachung der Einhaltung der Hijabpflicht auch künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. Frauen, die wiederholt auf Überwachungsvideos unverschleiert in der Öffentlichkeit zu sehen sind, könnten strafrechtlich verfolgt werden (IrWire 16.6.2023; vergleiche NYT 5.5.2023). Wenn sie beim Autofahren ohne Kopftuch erwischt werden, ist laut einer Ankündigung der Polizei auch eine Beschlagnahmung ihres Autos möglich. Einige Aspekte der Maßnahmen sind dabei nicht neu (NYT 5.5.2023). Die iranischen Behörden versenden seit 2020 Textnachrichten an Frauen, die ohne Hijab im Auto gesehen wurden. Bei wiederholten Verstößen gegen die Kleidungsordnung wird den Frauen manchmal mit rechtlichen Schritten gedroht (DIS 3.2023), ansonsten luden die Behörden Frauen, die von Verkehrskameras beim Fahren ohne Schleier ertappt wurden, vor und schickten sie in Erziehungszentren für Sittlichkeit. Die neuerlichen Ankündigungen legen nahe, dass die Überwachungstechnologie nun möglicherweise umfangreicher eingesetzt wird (NYT 5.5.2023). Anfang Dezember 2023 wurde von der Beschlagnahmung mehrerer PKWs in Teheran aufgrund der Missachtung von Bekleidungsvorschriften durch ihre Halterinnen berichtet. Die Frauen waren per SMS von den bevorstehenden Beschlagnahmungen informiert worden. Ein derartiges Vorgehen sowie weitere Maßnahmen wurden im Nachgang der landesweiten Proteste im Jahr 2022 angekündigt und werden in unterschiedlichem Ausmaß umgesetzt (BAMF 4.12.2023).
Gleichwohl ignorieren viele Frauen, v. a. in den Städten, trotz etwaiger Gegenmaßnahmen weiterhin die Einhaltung der Kopftuchpflicht (BAMF 4.12.2023). Seit Mai 2023 entwickelten sich beispielsweise die U-Bahnstationen in Teheran zu Kampffeldern zwischen Gegnerinnen und Befürwortern des verpflichtenden Hijabs. Frauen, die grüne Schulterschärpen mit der Aufschrift "Orientierungsbotschafterinnen" tragen, halten dort Frauen an, die kein Kopftuch tragen, und ermahnen sie zur Einhaltung der Hijab-Pflicht (IRINTL 25.11.2023), wobei sich manche der Frauen über eine harte Behandlung durch diese "Botschafterinnen" beschwerten (IrWire 23.11.2023). Die Behörden sind dabei noch mehr in Alarmbereitschaft, seit eine 17-Jährige [lt. manchen Quellen auch 16-Jährige] im Oktober nach einer Konfrontation mit der Sittenpolizei in der Teheraner U-Bahn gestorben ist (RFE/RL 6.11.2023). Laut Zeugenaussagen war die junge Frau, die kein Kopftuch trug, von einer Hijab-Vollstreckerin gestoßen worden, sodass sie mit dem Kopf auf einen Metallgegenstand fiel. Sie verlor daraufhin das Bewusstsein und verstarb nach einigen Wochen im Koma (TIME 28.10.2023; vergleiche RFE/RL 6.11.2023).
Im September 2023 stimmte das iranische Parlament einem Gesetzesentwurf zu Hijab- und Keuschheitsregeln zu, der erweiterte Strafen bei Verstößen wie der "Verbreitung und Förderung von Nacktheit", "Unsittlichkeit", Hijab-Verletzungen oder "unangemessene Kleidung" in der Öffentlichkeit, in sozialen oder in ausländischen Medien vorsieht. Eine Erweiterung der Zuständigkeiten von Sicherheitsbehörden für die Überwachung und Durchsetzung der Kleiderordnung ist ebenfalls vorgesehen (BAMF 25.9.2023). Die Reform sieht in ihrer jüngsten Fassung harte Strafen bei Missachtung der islamischen Kleidungsregeln vor. Diese umfassen bei mehrfachen Verstößen etwa Geldbußen. In Extremfällen können sogar bis zu 15 Jahre Haft und umgerechnet mehr als 5.000 Euro Strafe verhängt werden. Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, sollen auch mit Berufsverboten von bis zu 15 Jahren belegt werden können, und die Justiz soll die Befugnis erhalten, ein Zehntel ihres Vermögens zu beschlagnahmen (taz 20.9.2023). Der Wächterrat, der das Gesetz ratifizieren muss, verwies es im November jedoch mit der Begründung an das Parlament zurück, dass es formale Fehler enthalten würde, wie zum Beispiel unklare Definitionen von Begriffen wie "Unkeuschheit" (IRINTL 9.11.2023; vergleiche RFE/RL 25.10.2023). Ein weiteres Problem seien unklare Gesetzesgrenzen (RFE/RL 25.10.2023).
Vor Gericht werden bei Prozessen wegen Verstößen gegen die Hijabpflicht unter anderem auch Beiträge in den sozialen Medien als Beweise herangezogen (DIS 3.2023).
Zahlreiche Beschränkungen zielen auf Frauen in Sport und Kultur ab (Verbot des Singens außer im Chor, Verbot des Tanzens, Verbot des Zugangs zu Fußballstadien, etc.). Die Regierung Raisi hat angekündigt, das Verbot für Frauen, Rad und Motorrad zu fahren, streng durchzusetzen (ÖB Teheran 11.2021). Seit 1979 wird Frauen der Zutritt zu großen Fußballstadien verwehrt. Auf Druck der FIFA und anderer Organisationen durften Frauen in den letzten Jahren bei einer Handvoll nationaler Spiele anwesend sein. Im August 2022 durften sie zum ersten Mal ein Ligaspiel besuchen (AJ 25.8.2022). Im März 2022 verweigerten Polizeikräfte den rund 2.000 weiblichen Fußballfans mit Eintrittstickets dagegen den Zugang zu einem WM-Qualifikationsspiel, anschließende Proteste der Fans beantworteten sie mit Pfefferspray (RFE/RL 9.9.2022).
Wirtschaftliche Teilhabe
Anmerkung, s. Kap. "Relevante Bevölkerungsgruppen / Kinder" für Informationen zur Teilhabe von Mädchen und jungen Frauen am Bildungswesen.
Mehr als die Hälfte der Universitätsabsolventen sind Frauen, die Arbeitslosenrate von Frauen ist jedoch doppelt so hoch wie jene der Männer (FA 2.2.2023). Nur etwa 15 % aller Frauen über 15 Jahren sind in Iran laut den aktuellsten Daten (2022) berufstätig (WB 5.9.2023a), während es unter den Männern rund 68 % sind (Daten von 2021) (WB 5.9.2023b). Laut offiziellen Angaben liegt die Arbeitslosenrate bei Frauen bei knapp 18 %, unter Frauen mit höherer Bildung liegt sie noch deutlich höher (AA 30.11.2022). Die verstärkte Rezession, die auf den Ausbruch der COVID-19-Pandemie folgte, vergrößerte die Kluft zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt noch weiter (BS 23.2.2022). Gründe für die stärkere Betroffenheit von Frauen von Arbeitslosigkeit sind neben der COVID-19-Pandemie auch die US-Sanktionen und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage. Die Stärkung der Schattenwirtschaft, und damit von religiösen Stiftungen und Unternehmen im Besitz der Revolutionsgarden, in denen konservative Männer dominieren, hat die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen besonders eingeschränkt (ÖB Teheran 11.2021). Die ultrakonservative Regierung wird die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt nicht vorantreiben, weil sie die traditionelle Rolle der Frau in der islamischen Familie stärken und die Geburtenrate erhöhen will (AA 30.11.2022). Der Zugang zum Arbeitsmarkt und die beruflichen Möglichkeiten für Frauen sind durch soziale und rechtliche Regelungen eingeschränkt, mit dem Ziel der Beschränkung von Frauen auf deren Rolle als Mutter und Ehefrau. Oftmals wird von Frauen das Einverständnis des Ehemannes oder Vaters verlangt, um eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können. Gesetzlich kann ein Ehemann seiner Ehefrau jederzeit verbieten, arbeiten zu gehen. Stellenausschreibungen werden oft geschlechtsspezifisch nur für Männer ausgeschrieben. Regelmäßig werden Frauen nach Rückkehr aus der neunmonatigen Karenz gekündigt. Die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit verhindern den gewerkschaftlichen Zusammenschluss erwerbstätiger Frauen. Konservative Politiker haben in der Vergangenheit mehrmals versucht, die Erwerbstätigkeit von Frauen weiter einzuschränken oder in manchen Sektoren zu verbieten (ÖB Teheran 11.2021).
Rechtliche Rahmenbedingungen
Die iranische Verfassung schreibt eine "Gleichberechtigung aller vor dem Gesetz" vor, allerdings steht diese zugleich unter dem Vorbehalt der Ziele der Islamischen Republik, die nur unter "Beachtung der islamischen Normen" erreicht werden können (BAMF 1.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023). Da alle einfachgesetzlichen Normen mit der Scharia vereinbar sein müssen und in Iran einer traditionellen Rechtsauslegung der Scharia gefolgt wird, kommt es v. a. in den Bereichen zum Ehe- und Scheidungsrecht, dem Sorgerecht und bei Erbschaftsangelegenheiten zu erheblichen Benachteiligungen für Frauen (BAMF 1.2023). Prägend ist dabei die Rolle der (Ehe-) Frau als dem (Ehe-) Mann untergeordnet, wie sich sowohl in Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechtes, der Ehescheidung als auch des Erbrechts erkennen lässt (AA 30.11.2022; vergleiche AI 27.3.2023, HRW 12.1.2023, BAMF 1.2023).
Beispielsweise darf eine verheiratete Frau ohne die schriftliche Genehmigung ihres Mannes (oder Vaters) keinen Reisepass erhalten oder ins Ausland reisen (HRW 12.1.2023; vergleiche BAMF 1.2023). Ehefrauen können allerdings Ehevertragsklauseln mit ihrem Ehemann vereinbaren, um eine generelle Ausreisegenehmigung zu erhalten (BAMF 1.2023; vergleiche IrWire 2.11.2019). Kinder unter 18 Jahren benötigen für die Ausstellung des Reisepasses die schriftliche Erlaubnis ihres Vaters. Wenn der Ehemann oder Vater nicht anwesend ist, hat sich die Frau bei einem Wunsch zur Ausreise an die zuständige Behörde des Außenministeriums zu wenden, sofern keine schriftliche Erlaubnis vorliegt (BAMF 7.2020). Unverheiratete und geschiedene Frauen sowie Witwen benötigen keine Erlaubnis ihres Vaters oder eines männlichen Vormunds, um zu reisen (CGRS-CEDOCA 30.3.2020; vgl.TehVak 22.2.2023, Ettelaat 1.2.2017). Unverheiratete Frauen benötigen jedoch zur Beantragung ihres Reisepasses die Zustimmung ihrer Eltern (BAMF 7.2020; vergleiche Ettelaat 1.2.2017). Nach dem Gesetzbuch für Zivilrecht hat ein Ehemann das Recht, den Wohnort zu wählen, und kann seine Frau daran hindern, bestimmte Berufe auszuüben (HRW 12.1.2023). Im Straf- bzw. Strafprozessrecht sind Mädchen bereits mit neun Jahren vollumfänglich strafmündig (Buben mit 15 Jahren) (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Zeugenaussagen von Frauen werden nur zur Hälfte gewichtet (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023), und die finanzielle Entschädigung, die der Familie eines weiblichen Opfers nach ihrem Tod gewährt wird, ist nur halb so hoch wie die Entschädigung für ein männliches Opfer (FH 10.3.2023; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Selbst KFZ-Versicherungen zahlen bei Personenschäden von Frauen nur die Hälfte. Auch erben Frauen nur die Hälfte des Erbanteils von Männern (ÖB Teheran 11.2021).
Heirat, Scheidung, Obsorge und Vormundschaft für Kinder
Anmerkung, Die drei in der iranischen Verfassung anerkannten Buchreligionen Judentum, Christentum und Zoroastrismus genießen in Fragen des Ehe- und Familienrechts verfassungsrechtlich Autonomie (AA 30.11.2022) und sind somit berechtigt, ihr eigenes Personenstandsrecht anzuwenden, das allerdings der iranischen Gesetzgebung zur öffentlichen Ordnung entsprechen muss (McGlinn 2001). Auch Sunniten dürfen in Personenstandsfragen eigene Gerichte betreiben. Personen, die als Angehörige der genannten religiösen Gruppen anerkannt werden, müssen Personenstandsfragen vor den Gerichten ihrer jeweiligen Religionsgemeinde klären. Sie können sich in diesen Fällen nicht an die staatlichen Gerichte wenden. In Hinblick auf ihre Rechte kann dies für Frauen in manchen Fällen positiv sein, in anderen ist es das nicht. Manche christliche Gemeinden sehen beispielsweise keine Möglichkeit zur Scheidung vor und in manchen sunnitischen Gemeinden haben Frauen kein Recht auf eine Erbschaft von ihrem Vater, während das für Schiiten geltende Personenstandsrecht diese Rechte gewährleistet. Manche christliche Gemeinden - allerdings nicht die Mehrheit der Gemeinden dieser anerkannten religiösen Minderheit - sind dagegen progressiver und gestehen Frauen die gleichen Rechte zu wie Männern (MRAI 19.6.2023). Nachstehend wird v. a. auf die rechtliche Situation von Frauen der schiitischen Mehrheitsgesellschaft - offiziell rd. 90 % der Bevölkerung (STDOK 3.5.2018) - sowie der nicht anerkannten Religionsgruppen (denen das Recht auf ein eigenes Ehe- und Familienrecht nicht zugesprochen wird) eingegangen. Für Informationen zur Heirat von unter-18-Jährigen, zur Behandlung von unehelichen Kindern sowie zur Weitergabe der Staatsbürgerschaft durch Mütter, s. Kap. "Relevante Bevölkerungsgruppen / Kinder".
Das Gesetz erkennt Ehen zwischen muslimischen Frauen und nicht-muslimischen Männern nicht an (USDOS 20.3.2023; vergleiche IrWire 13.2.2014). Muslimische Männer dürfen nicht-muslimische Frauen aus den drei anerkannten Buchreligionen dagegen auf jeden Fall in Zeitehen [auch: Sigheh, Mut'a-Ehe] heiraten, während die Meinungen bezüglich permanenter Ehen auseinandergehen. Manche Rechtsgelehrte gehen von ihrer Zulässigkeit aus, andere nicht (IrWire 13.2.2014). Es ist Männern gesetzlich erlaubt, bis zu vier Ehefrauen und eine unbegrenzte Anzahl von "Ehefrauen auf Zeit" zu haben, basierend auf einem schiitischen Brauch, der zivile und religiöse Verträge mit begrenzter Dauer zulässt. Das Gesetz gewährt Frauen kein Recht auf mehrere Ehemänner (USDOS 20.3.2023). In der Praxis ist Polygamie von Männern in Iran jedoch nicht weit verbreitet (USIP 4.8.2023).
Eine Frau kann sich nur unter bestimmten Voraussetzungen scheiden lassen (USDOS 20.3.2023: vergleiche BAMF 7.2020), wie z. B. wenn ihr Ehemann einen Vertrag unterzeichnet, der ihr dieses Recht einräumt, wenn er seine Familie nicht versorgen kann, wenn er gegen die Bestimmungen des Ehevertrags verstößt oder wenn er drogenabhängig, geisteskrank oder impotent ist. Ein Mann kann sich ohne Angabe von Gründen von seiner Frau scheiden lassen (USDOS 20.3.2023). Das Gesetz erkennt das Recht einer geschiedenen Frau auf einen Teil des gemeinsamen Vermögens und auf Unterhalt an (USDOS 20.3.2023; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Dies wird nicht immer durchgesetzt (USDOS 20.3.2023). Frauen können dieses Recht einklagen, allerdings ist dies ein zeit- und kostenintensiver Prozess (MRAI 19.6.2023).
Nach iranischem Recht fordert die Familie der Frau im Fall einer dauerhaften Eheschließung eine nicht unerhebliche Morgen- bzw. Brautgabe (Mehrieh) in Form von Geld, Immobilien oder Goldmünzen (BAMF 1.2023). Mahr [Mehrieh] wird als traditioneller islamischer Ehevertrag angesehen. Gemäß den Bedingungen der Vereinbarung/des Vertrags erklärt sich der Ehemann dabei bereit und verpflichtet sich, eine vereinbarte Summe in Form der Morgengabe an die Frau zu zahlen (Maclean 17.7.2019). Die Erfüllung dieser Vereinbarung kann zu jeder Zeit während der Ehe oder auch während der Scheidung von der Frau verlangt werden. Die Mehrieh oder Morgengabe dient in einer konservativen islamischen Gesellschaft der Vorsorge für die Frau im Falle der Scheidung (BAMF 7.2020). Manche Frauen nutzen ihre Mehrieh auch, um ihre Männer zur Scheidung zu bewegen, indem sie auf die Zahlung verzichten, oder indem sie eine geringere Summe verlangen, wenn der Gatte der Scheidung zustimmt (IRINTL 8.8.2022; vergleiche MRAI 19.6.2023). Mehrieh ist in diesen Fällen ein wichtiges Instrument für Frauen. Sie können es als Druckmittel einsetzen, um andere Rechte, wie das Recht auf Scheidung, auszuhandeln - allerdings auf Kosten ihrer finanziellen Absicherung. Vor rund 15 Jahren galten Eheverträge in Iran noch als etwas, das nur die Eliten nutzen. Inzwischen ist es kein Tabuthema mehr, allerdings ist schwer zu sagen, wie weit Eheverträge tatsächlich verbreitet sind. Vermutlich sind sie unter gebildeten oder urbanen Bevölkerungsgruppen üblicher als in anderen Gesellschaftsteilen. Die drei wichtigsten Klauseln in Eheverträgen betreffen meist Scheidungsfragen, die Aufteilung von gemeinsamem Eigentum (MRAI 19.6.2023) und das Recht auf Reisefreiheit der Ehefrauen ohne Zustimmung der Ehemänner (MRAI 19.6.2023; vergleiche IrWire 2.11.2019). Eheverträge können dagegen keine Klauseln betreffend der Obsorge für etwaige Kinder enthalten, da dies erst nach der Geburt der Kinder entschieden werden kann. Nach der Geburt eines Kindes kann jedoch eine entsprechende offizielle Vereinbarung getroffen werden (MRAI 19.6.2023).
Die Vormundschaft für Minderjährige liegt laut den gesetzlichen Bestimmungen beim Vater oder Großvater väterlicherseits. Wenn diese nicht in der Lage sind, die Verantwortung zu übernehmen, kann vom Gericht ein Ersatz bestellt werden (Landinfo 5.8.2022; vergleiche MRAI 19.6.2023). In Abwesenheit eines Vaters bzw. Großvaters gibt es eine Möglichkeit für die Mutter, die Vormundschaft für ihr Kind zu übernehmen, so ein Gericht zustimmt. Laut einem von Landinfo befragten Experten ist es unter islamischen Rechtsgelehrten jedoch sehr umstritten, ob Mütter tatsächlich die Vormundschaft übernehmen können (Landinfo 5.8.2022). Eine iranische Rechtsanwältin betont, dass die Vormundschaft von anderen Gerichten als den Familiengerichten entschieden wird. Diese Gerichte gehen bei der Vergabe der Vormundschaft an Frauen sehr restriktiv vor. Überraschenderweise sprachen sie selbst in Fällen, bei denen kein Vater oder Großvater vorhanden war, nicht der Mutter, sondern einer Drittpartei die Vormundschaft zu. Die Vormundschaft ist bei der Schulanmeldung, zur Eröffnung von Bankkonten und anderen bedeutsamen Fragen ausschlaggebend. Die Entscheidungen in diesen Fragen liegen somit immer noch bei den Vätern bzw. Großvätern (MRAI 19.6.2023).
Das Gesetz sieht dagegen vor, dass geschiedenen Frauen vorzugsweise das Sorgerecht für ihre Kinder bis zu deren siebentem Lebensjahr gegeben werden soll. Danach soll das Sorgerecht dem Vater übertragen werden, außer dieser ist dazu nicht imstande. Heiraten geschiedene Frauen erneut, verlieren sie das Sorgerecht für Kinder aus einer früheren Ehe (ÖB Teheran 11.2021). Im Bereich der Obsorge waren in den letzten Jahren positive Entwicklungen zu beobachten: Aufgrund von Gesetzesänderungen haben Richter nun mehr Spielraum, um die Bedürfnisse von Kindern zu berücksichtigen, und Mütter erhalten nun häufiger das Sorgerecht als früher. Es lässt sich jedoch eine Bandbreite an unterschiedlichen Zugängen der Richter in dieser Frage beobachten, die Entscheidungen werden von Fall zu Fall getroffen (MRAI 19.6.2023).
Fehlt alleinstehenden Frauen der Rückhalt ihres Partners bzw. ihrer eigenen Familie, so befinden sie sich schnell am Rande der Gesellschaft und sind gezwungen, sich zum Wohle ihres Kindes mit der Gesellschaft zu arrangieren. Zwar sind die leiblichen Eltern unehelicher Kinder verpflichtet, ihren elterlichen Pflichten in Hinblick auf die Personensorge nachzukommen, und der leibliche Vater bzw. auch der biologische Großvater väterlicherseits sind auch einem unehelichen Kind gegenüber unterhaltspflichtig. Im Fall, dass beide unbekannt sind bzw. sich beide ihrer Verantwortung entziehen, muss die Mutter ihr Kind allerdings finanziell allein versorgen (BAMF 1.2023). Angaben über mögliche (finanzielle) Unterstützung vom Staat für alleinerziehende bzw. alleinstehende Frauen sind nicht eruierbar (ÖB Teheran 11.2021).
Aufgrund der Schwierigkeit für Frauen, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist der familiäre Rückhalt für alleinstehende Frauen umso bedeutender. Jedoch erhalten manche Frauen, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm leben (wie zum Beispiel lesbische Frauen oder Prostituierte), keine Unterstützung durch die Familie und können Opfer von häuslicher Gewalt und Zwangsheirat werden. Alleinstehende Frauen haben oft Schwierigkeiten, eine Wohnung oder Arbeit zu finden, da sie für Prostituierte gehalten werden (ÖB Teheran 11.2021).
Schutz vor Gewalt
Anmerkung, s. Kap. "Relevante Bevölkerungsgruppen / Kinder" für Informationen zu weiblicher Genitalverstümmelung (FGM).
Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen (AA 30.11.2022). Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Gesetze zur Verhinderung und Bestrafung geschlechtsspezifischer Gewalt existieren nicht. Ein geplantes Gesetz "gegen Gewalt gegen Frauen" ist noch immer nicht verabschiedet worden (AA 30.11.2022; vergleiche MRAI 19.6.2023). Vergewaltigung ist illegal und unterliegt strengen Strafen, einschließlich der Todesstrafe. Das Gesetz betrachtet Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe per Definition als einvernehmlich und behandelt daher keine Vergewaltigung in der Ehe, auch nicht in Fällen von Zwangsheirat. Die meisten Vergewaltigungsopfer melden Verbrechen nicht, weil sie staatliche Vergeltungsmaßnahmen oder Strafen für Vergewaltigungen befürchten, wie zum Beispiel Anklagen wegen Unanständigkeit, unmoralischem Verhalten oder Ehebruch. Ehebruch wiederum ist ebenfalls mit der Todesstrafe bedroht. Auch gesellschaftliche Repressalien oder Ausgrenzung werden von Vergewaltigungsopfern befürchtet (USDOS 20.3.2023). Eine ehemals in Iran tätige Rechtsanwältin mit umfangreichem Erfahrungsschatz in diesem Bereich gab an, dass sie ihren Klientinnen bei sexuellen Übergriffen oder Vergewaltigung nie dazu riet, diese anzuzeigen, da sie dann Gefahr laufen, außerehelicher Beziehungen beschuldigt zu werden. Hinzu kommt, dass der Zugang zu Rechtsberatung oftmals eingeschränkt ist und Rechtsanwälte teuer sind. Während sich Personen in Strafrechtssachen zwar an die Rechtsanwaltsvereinigung wenden können, ist die Qualität der vom Staat gestellten Pflichtverteidiger im Allgemeinen eher schlecht. Sie sind unterbezahlt und ihnen fehlt in derartigen Fällen oftmals die Expertise. Dies hat zu einer Vielzahl an Problemen bei Steinigungs- und Selbstverteidigungsfällen von Frauen geführt (MRAI 19.6.2023).
Sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz und in der Familie sind weit verbreitet, für die Männer herrscht gänzliche Straflosigkeit. Ein iranischer 'Me-Too'-Moment im Sommer 2020, als eine junge Frau Interviews mit Überlebenden sexueller Gewalt veröffentlichte, zeigte das Ausmaß des ansonsten totgeschwiegenen Problems auf. Krisenzentren und Frauenhäuser nach europäischem Modell existieren in Iran nicht (ÖB Teheran 11.2021).
Ehrenmorde
Unter Ehrenmord (qatl-e namusi) wird ein Mord verstanden, der innerhalb einer Familie, von einem Vater, einem Ehemann oder einem sonstigen männlichen Verwandten begangen wird, um ein Familienmitglied (in der Regel Frauen und Mädchen) zu bestrafen, das den Ruf und die Ehre der Familie beschädigt hat. Typische Ursachen für die Beschädigung der Familienehre sind vor- oder außerehelicher Geschlechtsverkehr, Vergewaltigung, Widerstand gegen eine Zwangsverheiratung und die Weigerung, eine arrangierte Ehe einzugehen. Ehrenmorde, die von einem Vater, Großvater oder einem männlichen Verwandten begangen werden, gehören nach Artikel 301, des Iranischen Strafgesetzbuchs (IStGB) 2013 nicht zu den Qisas-Strafen (Vergeltungsstrafrecht) [Anm.: s. Kap. "Rechtsschutz / Justizwesen" für Begriffserklärungen zu Hadd, Qisas, Ta'zir und Diyah]. Stattdessen sind hier die Zahlung eines Blutgelds [Diyah] sowie Ta'zir- bzw. Ermessensstrafen vorgesehen. Nur wenn nach Artikel 612, IStGB 1996 der Ehrenmord eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Gesellschaft darstellt, wird der Täter zu einer Freiheitsstrafe von drei bis zu zehn Jahren verurteilt. Nach Artikel 630, IStGB 1996 wird ein Ehemann nicht nach dem Vergeltungsstrafrecht (Qisas) bestraft, wenn er seine Ehefrau beim Ehebruch mit einem anderen Mann erwischt und tötet bzw. sich sicher ist, dass es sich um keine Vergewaltigung handelt. Auch entfällt in diesem Fall die Zahlung eines Blutgeldes (Diyah). Wird die Ehefrau von einem anderen Mann vergewaltigt (Ehebruch gegen den Willen der Ehefrau), kann der Ehemann nur den Täter straffrei töten (BAMF 1.2023).
Ehrenmorde sind v. a. in den ländlichen Gebieten verbreitet und richten sich meistens gegen Frauen und Mädchen. Größtenteils werden sie in den folgenden Provinzen verzeichnet: West-Aserbaidschan, Kurdistan, Kermanshah, Ilam, Lurestan und Khuzestan. Hier leben v. a. arabische, kurdische und lurische Bevölkerungsgruppen (BAMF 1.2023). Die genaue Zahl solcher Morde in Iran ist nicht bekannt und wird unter Verschluss gehalten. Im Dezember 2019 berichtete die Nachrichtenagentur ISNA jedoch, dass es jährlich zwischen 375 und 450 solcher Morde im ganzen Land gibt. Angesichts der mangelnden Transparenz des Regimes und fehlender transparenter Berichterstattung über solche Todesfälle dürfte die Zahl weitaus höher liegen (IRINTL 17.10.2023). Auch, weil viele Suizide als Ehrenmorde einzustufen sind und Ehrenmorde häufig nicht als solche öffentlich werden, liegen keine offiziellen Statistiken hierzu vor (BAMF 1.2023; vergleiche MEI 26.8.2021).
Familienplanung und Abtreibung
Nach dem Ende des iranisch-irakischen Krieges (1980-1988), in dem die Familien ermutigt wurden, mehr Kinder zu bekommen, befürchtete die iranische Führung, dass das Bevölkerungswachstum des Landes die Ressourcen übersteigen könnte. Daher begann sie mit der Umsetzung landesweiter Familienplanungsprogramme. Unter der Leitung des damaligen Obersten Führers Ruhollah Khomeini ermutigte die Regierung Familien, nur ein oder zwei Kinder zu haben, riet von Schwangerschaften bei Minderjährigen ab, stellte kostenlos Kondome zur Verfügung und subventionierte Vasektomien, neben anderen Initiativen. Selbst in ländlichen Gebieten hatten Frauen und Schwangere im Allgemeinen verlässlichen Zugang zu Gesundheitsuntersuchungen in Kliniken und anderen Diensten zur Familienplanung. In einer Zeit des Bevölkerungsrückgangs scheint sich das Kalkül verschoben zu haben (WP 1.12.2021).
Am 1.11.2021 wurde ein neues Gesetz zur "Verjüngung der Gesellschaft und zum Schutz der Familie" verabschiedet, das von neun UN-Sonderberichterstattern und Menschenrechtsmechanismen als menschenrechtswidrig bezeichnet worden ist (ÖB Teheran 11.2021). Das Gesetz schränkt den Zugang von Frauen zu reproduktiven Rechten stark ein (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 30.11.2022) und enthält eine vage formulierte Bestimmung, die besagt, dass Abtreibung, wenn sie in großem Umfang durchgeführt wird, unter den Straftatbestand der "Korruption auf Erden" fällt und mit der Todesstrafe geahndet wird. Das neue Gesetz schränkt die bereits begrenzten Ausnahmen vom Abtreibungsverbot des Strafgesetzbuches weiter ein. Die endgültige Entscheidung über einen medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch - bei Gefahr für das Leben der Schwangeren oder bei Anomalien des Fötus - liegt nun in den Händen eines Gremiums, das sich aus einem Richter, einem Arzt und einem Gerichtsmediziner zusammensetzt, und nicht bei der Schwangeren. Das Gesetz verbietet auch die [bislang] kostenlose Verteilung von Verhütungsmitteln sowie freiwillige Sterilisationen für Männer und Frauen, abgesehen von Ausnahmefällen (UNHRC 16.11.2021). Auch wird eine Datenbank von Frauen, die gynäkologische Hilfe suchen, erstellt (ÖB Teheran 11.2021). Laut Aussagen eines iranischen Behördenvertreters werden rund 95 % aller Abtreibungen in Iran illegal durchgeführt (IRINTL 8.9.2022). Offiziellen Angaben zufolge werden im Iran jährlich schätzungsweise 300.000 bis 600.000 illegale Abtreibungen vorgenommen. Unsichere Abtreibungen sind nach internationalem Recht als eine Form der geschlechtsspezifischen Gewalt anerkannt worden (UNHRC 16.11.2021).
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Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 24.01.2024
Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Im Prinzip respektiert die Regierung diese Rechte, es gibt jedoch einige Einschränkungen, besonders für Frauen und Flüchtlinge. Die Regierung verlangt von allen Bürgern für Auslandsreisen eine Ausreisebewilligung (USDOS 20.3.2023). Bestimmte Gruppen, wie Angestellte in sensiblen Bereichen, iranische Studenten im Ausland und alle Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren, die ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben, benötigen eine besondere Ausreisebewilligung (Landinfo 21.1.2021 vergleiche CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Bürger, die auf Staatskosten ausgebildet wurden oder Stipendien erhalten haben, müssen diese entweder zurückzahlen, oder erhalten befristete Ausreisebewilligungen. Die Regierung schränkt auch die Reisefreiheit von einigen religiösen Führern, Mitgliedern von religiösen Minderheiten und Wissenschaftlern in sensiblen Bereichen ein. Journalisten, Akademiker, oppositionelle Politiker, Künstler sowie Menschen- und Frauenrechtsaktivisten sind von Reiseverboten und Konfiszierung der Reisepässe betroffen (USDOS 20.3.2023).
Zur rechtmäßigen Ausreise aus der Islamischen Republik Iran benötigen iranische Staatsangehörige einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (gestaffelte Gebühr: derzeit 4 bis 8 Millionen Rial [Stand 31.3.2023: 8,7 bis 17 Euro - Wechselkurse schwanken stark]). Die illegale Ausreise erfolgt zumeist auf dem Landweg unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Türkei (AA 30.11.2022). Verheiratete Frauen dürfen nicht ohne die Zustimmung ihrer Männer ins Ausland reisen (USDOS 20.3.2023; vergleiche FH 10.3.2023). Unverheiratete Frauen über 18 Jahren brauchen nicht die Zustimmung ihres Vaters oder Vormunds, um einen Pass zu bekommen oder ins Ausland zu reisen (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).
Ein vom Staatsanwalt bei Gericht eingebrachter Antrag auf ein Ausreiseverbot kann von der Person, gegen die ein Ausreiseverbot verhängt worden ist, nicht im SANA-System eingesehen werden (MBZ 9.2023).
Zu den Gerichtsurteilen gehört manchmal die interne Verbannung nach der Haftentlassung. So werden Personen daran gehindert, in bestimmte Provinzen zu reisen. Frauen benötigten oft die Aufsicht eines männlichen Vormunds oder einer Aufsichtsperson, um reisen zu können. Sie werden mitunter behördlichen und gesellschaftlichen Schikanen ausgesetzt, wenn sie alleine reisen (USDOS 20.3.2023).
Ausweichmöglichkeiten
Soweit Repressionen praktiziert werden, geschieht dies landesweit unterschiedslos. Zivile und militärische Verwaltungsstrukturen arbeiten effektiv. Ausweichmöglichkeiten bestehen somit nicht (AA 30.11.2022).
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Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 15.01.2024
Die Grundversorgung ist gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch ein enger Familienzusammenhalt sowie das islamische Spendensystem beitragen (AA 30.11.2022). Die iranische Regierung hat angekündigt, den monatlichen Mindestlohn ab März 2023 auf ca. 56 Millionen Rial festzulegen [mit Stand 12.4.2023 umgerechnet 100 Euro - aufgrund von Inflation und Wechselkursveränderung stark schwankend] (IRINTL 1.2.2023). Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines städtischen Haushalts lag 2019 (letzte offiziell verfügbare Zahlen) bei rund 747 Millionen Rial (AA 30.11.2022). Nach Angaben des iranischen Ministeriums für Kooperativen, Arbeit und Wohlfahrt benötigt eine Familie mit vier Personen in Teheran schätzungsweise mindestens 147 Millionen Rial [am 12.4.2023 ca. 260 Euro] monatlich, um nicht unter die Armutsgrenze zu rutschen, im Landesdurchschnitt sind es ca. 77 Millionen Rial [am 12.4.2023 ca. 140 Euro] (IRINTL 1.2.2023).
Angesichts der immer schärferen US-Sanktionen und des dramatischen Währungsverfalls hat sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche BS 23.2.2022). Iran befindet sich weiterhin in einer ökonomisch hochproblematischen Lage. Die Trends der vergangenen Jahre setzen sich weiter fort (BAMF 13.2.2023). Im Februar 2023 erreichte der Rial mit ca. 1:580.000 zum US-Dollar seinen bisherigen Tiefststand, wobei die Währung in den vergangenen zehn Jahren 94 % ihres Werts verloren hat (IRINTL 30.3.2023). Dies verteuert vor allem Importe auf breiter Front (BAMF 13.2.2023) und brachte im Februar 2023 viele Unternehmen fast zum Stillstand (IRINTL 26.2.2023). Gründe sind die US-Sanktionen und deren extraterritoriale Anwendung und damit Zurückhaltung europäischer Unternehmen vor Geschäften mit Iran, aber auch die Folgen der COVID-19-Pandemie. Viele Privatunternehmen mussten aufgrund fehlender Devisen und Importmöglichkeiten von Rohstoffen, Bestandteilen oder Ausrüstung die Produktion drosseln oder schließen (ÖB Teheran 11.2021).
Neben der Abwertung des Rial sieht sich das Land auch mit einer ungezähmten Inflation konfrontiert, die laut einem Bericht des Statistischen Zentrums Irans am 19.2.2023 bei mehr als 53 % lag (AJ 2.3.2023) und in den vergangenen vier Jahren durchgehend über 40 % betrug, was sich negativ auf die Kaufkraft der Haushalte auswirkt (WB 20.10.2022). Lebensmittel waren davon zuletzt besonders stark betroffen (AJ 2.3.2023; vergleiche BAMF 13.2.2023).
Gleichzeitig reichte die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht aus, um die große Zahl junger und gebildeter Berufsanfänger zu absorbieren (WB 20.10.2022). Neben Arbeitslosigkeit spielt auch Unterbeschäftigung eine Rolle. Ausgebildete Arbeitskräfte (Facharbeiter, Uni-Absolventen) finden oft keine ihrer Ausbildung entsprechenden Jobs. Daraus folgen soziale Spannungen, aber auch ein beträchtlicher "Braindrain", der die Gesellschaft und Wirtschaft beeinträchtigt. Angesichts der Kaufkrafteinbußen können viele Menschen ihre Lebenshaltungskosten nur sehr knapp abdecken, jede Verschlechterung führt zu Verzweiflung. So kam es zu lokal begrenzten kurzzeitigen Protesten und Streiks, etwa wegen Gehaltsrückständen und schlechter Arbeitsbedingungen oder aufgrund des Preisdrucks in der Produktion (ÖB Teheran 11.2021) oder aufgrund der gestiegenen Lebenshaltungskosten (IRINTL 26.2.2023).
Inoffizielle Schätzungen zur Armutsrate gehen von mindestens 15-20 Millionen Iranerinnen und Iranern aus (bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 83 Millionen), die in absoluter Armut leben, wobei die COVID-19-Pandemie und ihre Folgen das Armutsrisiko weiter erhöht haben (BS 23.2.2022). Laut einem Bericht des iranischen Ministeriums für Kooperativen, Arbeit und Wohlfahrt lebt rund ein Drittel der iranischen Bevölkerung in extremer Armut. Ihre Anzahl hat sich von 2020 auf 2021 verdoppelt. Rund zwei Drittel der Bevölkerung leben laut offiziellen Zahlen des Innenministeriums in relativer Armut (IRINTL 1.2.2023). Laut dem Human Development Index (HDI) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) befindet sich Iran mit einem Indexwert von 0,774 für das Jahr 2021 (letztverfügbare Daten) unter den Ländern mit einem hohen Entwicklungsstand. Der HDI misst den Entwicklungsstand von Staaten anhand der Faktoren "langes und gesundes Leben", "Zugang zu Bildung" und "menschenwürdige Lebensstandards für die Bevölkerung". Während die errechneten Indexwerte für Iran im Zeitraum 1990-2017 gestiegen sind, nehmen sie seit 2018 wieder ab (UNDP 8.9.2022).
Die Wirtschaft zeichnet sich durch ihren Kohlenwasserstoff-, Landwirtschafts- und Dienstleistungssektor sowie eine bemerkenswerte staatliche Präsenz in der verarbeitenden Industrie und den Finanzdienstleistungen aus. Iran steht weltweit an zweiter Stelle, was die Größe der Erdgasreserven betrifft, und bei den nachgewiesenen Rohölreserven an vierter Stelle (WB 20.10.2022). Obwohl die iranische Wirtschaft für ein erdölexportierendes Land relativ diversifiziert ist (WB 20.10.2022; vergleiche BPB 15.5.2020) und über ein Reservoir gut ausgebildeter Arbeitskräfte verfügt (BPB 15.5.2020), hängen die Wirtschaftstätigkeit und die Staatseinnahmen von den Öleinnahmen ab und sind daher volatil (WB 20.10.2022; vergleiche BPB 15.5.2020). Die unter US-Präsident Trump verhängten Sanktionen schränken die Fähigkeit Irans, Absatzmärkte für Öl zu finden, empfindlich ein. Außerdem bekam Iran nur unzureichend Zugang zu Hochtechnologien, was dazu beiträgt, dass die Erdölanlagen nur mangelhaft instandgehalten und das Potenzial der enormen Vorkommen an Naturgas nicht annähernd ausgeschöpft wird. Dies verschärft die Depression, in die das Land bereits 2018 geschlittert ist, noch weiter (BPB 31.1.2020b).
Der staatliche Sektor (staatliche und halbstaatliche Unternehmen) macht etwa 80 % der iranischen Wirtschaftstätigkeit aus, während der private und kooperative Sektor nur einen Anteil von rund 20 % hat. Viele Staatsbetriebe gehören nicht der Regierung, sondern wirtschaftlich starken religiösen, revolutionären und militärischen Stiftungen ("Bonyads"). Diese werden direkt oder indirekt vom Obersten Führer kontrolliert und genießen viele Privilegien, wie Steuerbefreiungen und exklusiven Zugang zu lukrativen Regierungsaufträgen (BS 23.2.2022). Das exakte Ausmaß der Vermögenswerte und Aktivitäten der Bonyads ist nicht bekannt, sie spielen in der iranischen Wirtschaft jedoch eine bedeutsame Rolle (MEI 7.6.2022). Die Bonyads beanspruchen für sich, eine Vielzahl von Aktivitäten im Zusammenhang mit Sozialarbeit, Beratungs-, Sozial- und Rehabilitationsdiensten durchzuführen (MEI 29.1.2009). Sie sind eine wichtige Säule im Machtapparat des Regimes (LMD 2020b). Die größten Organisationen sind die Imam-Reza-Stiftung (LMD 2020b) oder Astân Quds Razavi, eine Stiftung, die den Schrein von Imam Reza in Mashhad verwaltet und mit sechs großen Holdinggesellschaften und insgesamt 351 Firmen als größter Landbesitzer im Nahen Osten gilt; die Märtyrer-Stiftung (Bonyâd Shahid), die mehr als 250 Unternehmen kontrolliert (MEI 7.6.2022); die Stiftung für die Unterdrückten (Bonyâd Mostazâfan) (MEI 7.6.2022; vergleiche LMD 2020b), die mehr als 400 Unternehmen und Tochtergesellschaften in fast allen Sektoren der Industrie beaufsichtigt; die Imam Khomeini Relief Foundation (Comité Emdâd Emâm Khomeini), ein weiterer führender Akteur mit ihren vier Beteiligungen (MEI 7.6.2022); und das Stabszentrum zur Ausführung des Imam-Dekrets (Setâd Ejrâ-ye Farmân Emâm) (LMD 2020b; vergleiche MEI 7.6.2022), das in den meisten Industrie- und Unternehmenssektoren tätig ist (MEI 7.6.2022). Die Revolutionsgarden sind mit einigen der Bonyads eng verbunden (MEI 3.5.2022). Sie sind wirtschaftlich ebenso aktiv und haben ihre eigenen finanziellen, wirtschaftlichen, industriellen und landwirtschaftlichen Zweige. Das Wirtschaftskonglomerat Khatam al-Anbiyam, das sich im Besitz der Revolutionsgarden befindet, hat es geschafft, ein Monopol auf große Infrastrukturprojekte in Iran aufzubauen (MEI 7.6.2022). Die Vermengung der politischen mit der wirtschaftlichen Sphäre hat eine staatliche Verteilungs- und Klientelpolitik gefördert, die mit hoher Korruption einhergeht (BPB 31.1.2020b; vergleiche MEI 7.6.2022).
Die iranische Wirtschaft ist in vielen Bereichen zentralisiert und steht zu großen Teilen unter staatlicher Kontrolle. So haben viele iranische Unternehmen neben wirtschaftlichen auch politische Ziele zu erfüllen. Durch regelmäßige staatliche Eingriffe über Preisregulierungen und Subventionen, die in aller Regel politische Ursachen haben, konnte sich bisher eine eigenständige Wirtschaft nur bedingt entwickeln. Eine etablierte Privatwirtschaft gibt es vor allem auf dem Basar, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsgewerbe (GIZ 12.2020b). Der Staat hat einen erheblichen Einfluss auf die Preisgestaltung, die Festsetzung des [offiziellen] Wechselkurses und des Zollsatzes, die Kontrolle von Handel und Investitionen und die Verwaltung der Kernindustrien, insbesondere des Öl- und Petrochemiesektors. Das Ministerium für Arbeit und Soziales regelt die Lohnhöhe, berechnet die Inflation und analysiert die Wirtschaftslage (BS 23.2.2022).
Als die Behörden im November 2019 den Treibstoffpreis um 300 % erhöhten, kam es zu den bis zu diesem Zeitpunkt größten Protesten der Islamischen Republik (IrFocus 6.2.2023). Im Februar 2023 kündigte die Regierung einen Privatisierungsplan an, der in den nächsten zwei Jahren umgesetzt werden und das staatliche Budget aufbessern soll (IRINTL 4.2.2023). Ökonomen befürchten allerdings, dass von den Privatisierungen vor allem einflussreiche, gut vernetzte Unternehmer profitieren werden (Fanack 6.3.2023; vergleiche IRINTL 4.2.2023). Von 2001 bis 2013 fanden mehrere Privatisierungsrunden statt, bei denen größtenteils staatsnahe Akteure, wie die Basij, die Revolutionsgarden, Stiftungen, Geistliche und andere mit dem Regime verbundene Geschäftsleute Staatsbesitz erwarben. Als die Behörden in Reaktion auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie 2020 weitreichende Privatisierungen durchführten, von denen auch wieder v. a. Angehörige und Verbündete von hohen Regierungsvertretern profitierten, hat dies Proteste ausgelöst. Darüber hinaus führten die Privatisierungen in den meisten iranischen Städten zu groß angelegten Streiks, da neue Investoren die Kosten senkten, indem sie einen großen Anteil an Bergleuten während der Pandemie entlassen haben (Fanack 6.3.2023).
Iranische Banken sind seit der Wiedereinführung der Sanktionen im Jahr 2018 vom SWIFT-System ausgeschlossen (MEE 30.1.2023).
Sozialbeihilfen
Letzte Änderung: 15.01.2024
Dem Arbeitsministerium ist die Verantwortung für Sozialhilfe und Versicherungswesen übertragen. Es gibt verschiedene Versicherungsträger, welche alle dem im Sozialministerium angesiedelten "Hohen Versicherungsrat" (HIC) unterstehen, der die Versicherungspolitik plant, koordiniert, durchführt und überwacht. Der Hauptversicherer ist die "Organisation für Sozialversicherung" (SSIO). Alle Arbeitgeber und -nehmer zahlen in das System ein und erhalten dafür gewisse Unterstützungsleistungen. Viele Kliniken und Spitäler dieser Organisation befinden sich in städtischen Gegenden (ÖB Teheran 11.2021). Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die die Bereiche Rente, Unfall und Krankheit umfasst. Der Rentenanspruch entsteht in voller Höhe nach 30 Beitragsjahren (AA 30.11.2022).
Iranischen Bürgern stehen unterschiedliche Arten von Versicherungsschutz zur Verfügung. Bei der obligatorischen Versicherung werden Arbeitnehmer von den Arbeitgebern versichert. 7 % der Prämie werden von den Arbeitnehmern und 23 % von den Arbeitgebern bezahlt. Weiters steht den Eigentümern der Unternehmen eine freiwillige Abdeckung zur Verfügung. Es gibt drei Prämiensätze von 12 %, 14 % und 18 %, die zulasten der Versicherten gehen. Das System deckt alle Angestellten und Freiberuflichen ab, wobei Letztere zwischen verschiedenen Stufen wählen können. Ein freiwilliger Versicherungsschutz ist für zuvor versicherte Personen zwischen 18 und 50 Jahren verfügbar. Dieser ist vollständig von der versicherten Person zu bezahlen. Spezielle Systeme gibt es darüber hinaus für Staatsangestellte und Militärangehörige. Generell ist für Angestellte die Mitgliedschaft im Sozialversicherungssystem verpflichtend. Die Sozialversicherung schützt im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Berufsunfällen und auch bei altersbedingtem Ausscheiden. Seit 2003 wurden die zuständigen Institutionen zusammengelegt, um Ineffektivität und Redundanzen zu vermeiden. Zuschüsse und Leistungen werden auf Basis des Gehalts (insbesondere der letzten zwei Jahre) der zu versichernden Person berechnet, sowie auf Basis der monatlichen Zahlungen bei privat versicherten Personen. Solange Rückkehrer für eine iranische Organisation/Firma arbeiten, übernehmen die Arbeitgeber den Großteil der Beiträge. Ansonsten muss (je nach gewähltem Angebot) selbst eingezahlt werden. Angestellte müssen 7 % des monatlichen Gehalts abgeben, während Selbstständige und Private einen individuell abgestimmten Beitrag bezahlen (IOM 2021).
Die Mittel für die Altersrente werden durch gemeinsame Beiträge der versicherten Person, des Arbeitgebers und der Regierung gedeckt und variieren je nach Beitragsjahren. Die Altersrente wird über die Pensionskasse für Beamte, über die Organisation für soziale Sicherheit sowie über 16 weitere Pensionsfonds in Iran bereitgestellt. Die Hinterbliebenenrente wird an Angehörige einer versicherten verstorbenen Person gezahlt. Zu den Angehörigen zählen Witwe oder Witwer, Kinder (das heißt Söhne bis zum Alter von 20 Jahren und Töchter bis zur Heirat) und Eltern. Die Rente des Ehepartners beträgt 50 % der Alters- oder Invalidenrente der versicherten Person, während sie für Waisen 25 % und für Eltern 20 % beträgt. Die kombinierte Hinterbliebenenrente darf nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn oder über der Rente des Verstorbenen liegen. Rund 25 % der Beschäftigten, vor allem im informellen Sektor und unter Saisonarbeitern, haben keine Pensionsversicherung (Landinfo 12.8.2020).
In Iran gibt es einen gesetzlichen monatlichen Mindestlohn für ungelernte Arbeitnehmer, der unter Berücksichtigung der Inflation jährlich neu berechnet wird. Darüber hinaus zahlt der Staat (praktisch) jeder Familie eine Wohnungs- und Lebensmittelzulage in Form von monatlichen Geldtransfers (yaraneh-ye naqdi) (Landinfo 12.8.2020). Diese Subventionszahlung zur Sicherung der Grundversorgung beträgt monatlich rund 500.000 Rial [Stand Februar 2023: ca. 80 Cent] (AA 30.11.2022).
Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch in der Höhe von ca. 4,2 Millionen Rial pro Kind [Stand Februar 2023: ca. 7 Euro] (AA 30.11.2022). Die Familienbeihilfe wird gezahlt, bis das Kind 18 Jahre alt ist, oder - wenn es studiert - bis das Studium abgeschlossen ist. Die Familienbeihilfe wird monatlich gezahlt und als das Dreifache des gesetzlichen täglichen Mindestlohns eines ungelernten Arbeitnehmers für jedes Kind berechnet. Die Leistungen werden jährlich angepasst (Landinfo 12.8.2020). Ebenfalls besteht ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Höhe von 70-80 % des Gehaltes, das für mindestens ein Jahr gezahlt wird (AA 30.11.2022). Selbstständige und Beamte sind nicht Teil der Arbeitslosenversicherung, da angenommen wird, dass ihre Arbeitsverträge nicht gekündigt werden können (Landinfo 12.8.2020).
Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen, wie z. B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z. B. Frauengruppen) (AA 30.11.2022). Als Teil des Sozialwesens haben alle Bürger das Recht auf kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung. Alle Bürger können über die Wohlfahrtsorganisation TAMIN EJTEMAEI eine Sozialversicherung beantragen. Darüber hinaus können Leistungen von Arbeitgebern oder privaten Anbietern und Organisationen angeboten werden (IOM 2021).
Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt, um die 'sadeqe', die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße (GIZ 12.2020b). Die staatliche Wohlfahrtsorganisation betreibt Selbsthilfegruppen für Familien in schwierigen Situationen, die in Familienzentren organisiert sind. Einige erhalten Unterstützung bei der Arbeitssuche. Ein Projekt mit einem Mikrofinanzierungsansatz umfasst 50.000 Menschen - nicht nur Frauen, sondern auch Landbevölkerung und andere. Ziel ist es, die Armut zu verringern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf weiblichen Ernährern. Es gibt ca. drei Millionen Familien, die von Frauen geführt werden. 180.000 von ihnen werden von der staatlichen Wohlfahrtsorganisation betreut. Das Budget ist begrenzt und nicht alle Bedürftigen erhalten Hilfe. Die Leistungen gehen nicht unbedingt an die Frauen, sondern können beispielsweise Bildungskosten für die Kinder abdecken (Landinfo 12.8.2020).
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 15.01.2024
Grundsätzlich entspricht die medizinische Versorgung, insbesondere in ländlichen Gebieten, nicht (west-)europäischen Standards. Das Land hat in den Jahrzehnten seit der Revolution 1979 allerdings viel in das nationale Gesundheitssystem investiert (AA 30.11.2022). Seit damals hat sich das Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert allen Bürgern das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen. Die Verwirklichung dieses Zieles obliegt dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung (ÖB Teheran 11.2021).
Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität, deren Rektor die Verantwortung für das Gesundheitswesen in der betroffenen Provinz trägt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche IOM 2021). Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche Landinfo 12.8.2020). Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z. B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird (ÖB Teheran 11.2021). Neben den medizinischen Universitäten wird ein Teil der Dienstleistungen von Versicherungsunternehmen und den Provinz- und Bezirkseinheiten erbracht. Die dezentralen Einrichtungen (Gesundheitshäuser, ländliche Gesundheitszentren) bieten in den Räumlichkeiten der medizinischen Universitäten kostenlose Dienstleistungen an. An anderer Stelle bezahlt die erkrankte Person einen kleinen Betrag, um eine medizinische Behandlung zu erhalten (IOM 2021). Weitere staatliche Institutionen wie die Iranian National Oil Corporation, die Justiz und Revolutionsgarden betreiben ihre eigenen Krankenhäuser (Landinfo 12.8.2020).
Es gibt im ganzen Land viele NGOs und Wohltätigkeitsorganisationen, die Gesundheitseinrichtungen betreiben, deren Zugang auf einer Bedarfsanalyse basiert, ohne dass auf einen vorherigen Versicherungsschutz Bezug genommen wird. Die Mahak-Gesellschaft zur Unterstützung krebskranker Kinder ist beispielsweise ein bekanntes gemeinnütziges Forschungs-, Krankenhaus- und Rehabilitationszentrum für Kinder mit Krebs. Die Patienten werden von Ärzten im ganzen Land an Mahak überwiesen. Laut einem Vertreter von Mahak wird jedes Kind, bei dem Krebs diagnostiziert wird, entweder im Mahak-Krankenhaus oder in anderen Krankenhäusern behandelt. Mahak deckt auch die Behandlung von Patienten in anderen Krankenhäusern in Iran ab. Die Behandlung ist kostenlos und die Patienten müssen nicht versichert sein, um eine Behandlung zu erhalten. Verwandte können bei der Begleitung ihrer kranken Kinder eine Finanzierung für die Unterkunft erhalten. Mahak empfängt Krebspatienten auch aus mehreren Nachbarländern (Landinfo 12.8.2020).
Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 11.2021). In jedem Bezirk gibt es Ärzte, die dazu verpflichtet sind, Notfälle zu jeder Zeit aufzunehmen. In weniger dringenden Fällen sollte der Patient zunächst sein Gesundheitszentrum kontaktieren und einen Termin vereinbaren (IOM 2021). Ein zuverlässig funktionierendes Rettungswesen besteht auch in den Städten nicht überall (AA 8.2.2023).
Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Es ist zwar fast flächendeckend - laut WHO haben 98 % aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung - die Qualität schwankt jedoch (GIZ 12.2020a). Selbst in ländlichen Gebieten haben 85 % der Bevölkerung Zugang zur primären Gesundheitsversorgung, 90 % werden mit sauberem Trinkwasser versorgt, 80 % sind an entsprechende Sanitäranlagen angeschlossen. Dennoch haben bei weitem nicht alle Zugang zu komplexen, spezialisierten und damit auch teureren Diensten (AA 30.11.2022). Die spezialisierte, medizinische Versorgung, gerade bei Notfällen oder Unfällen, ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischem Standard. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich (AA 8.2.2023). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede zwischen den Regionen. Folgende Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als Teheran auf: Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Khorasan sowie Sistan und Belutschistan. Es ist davon auszugehen, dass sich eine Vielzahl an Haushalten keine ausreichende Gesundheitsversorgung leisten kann. Gesundheitsdienste sind geografisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 11.2021).
Die medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, die von jeweils einem männlichen und einer weiblichen "Behvarz" (Gesundheitspersonal, das nach der regulären elfjährigen Schulbildung zwei Jahre praktisch und theoretisch ausgebildet wird) geleitet werden. Jedes dieser Gesundheitshäuser ist für Gesundheitsvorsorge (u. a. Impfungen, Betreuung von Schwangerschaften) zuständig, wobei die Qualität der Versorgung als zufriedenstellend beurteilt wird. In Städten übernehmen sogenannte "Gesundheitsposten" in den Bezirken die Aufgabe der ländlichen Gesundheitshäuser. Auf der nächsten Ebene sind die ländlichen Gesundheitszentren zu finden, die jeweils von einem Allgemeinmediziner geleitet werden. Sie überwachen und beraten die Gesundheitshäuser, übernehmen ambulante Behandlungen und übergeben schwierigere Fälle an städtische, öffentliche Krankenhäuser, die in jeder größeren Stadt zu finden sind (ÖB Teheran 11.2021). Die medizinische Belegschaft in Iran umfasst insgesamt mehr als 51.000 Allgemeinärzte, 32.000 Fachärzte, 115.000 Krankenschwestern, 33.000 Hebammen und 35.000 örtliche Gesundheitshelfer (Behvarz) (Landinfo 12.8.2020). Das Überweisungssystem bei Hausärzten dazu beigetragen, dass Servicepakete für Prävention, Pflege und Behandlung auch in ländlichen Gebieten angeboten werden (IOM 2021).
Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen noch immer Selbstbehalte von den versicherten Personen geleistet werden (ÖB Teheran 11.2021). Allerdings ist der Anteil derartiger Zahlungen durch die Patienten in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen. Vor dem Health Transformation Plan im Jahr 2014 waren Selbstbehalte die Hauptfinanzierungsquelle und betrugen über 50 % der Kosten. Bis 2016 gingen sie auf 35,5 % zurück. Dies ist jedoch noch von dem erklärten Ziel entfernt, die Selbstbehalte auf unter 30 % zu senken. Dies bedeutet, dass das Zahlungssystem nach wie vor weitgehend auf Servicegebühren sowohl im öffentlichen als auch im privaten Gesundheitswesen basiert (Landinfo 12.8.2020). Die Kosten für Krankenhäuser werden unter anderem dadurch gesenkt, dass die Versorgung des Kranken mit Gütern des täglichen Bedarfs, etwa Essen, immer noch weitestgehend seiner Familie zufällt (GIZ 12.2020a). Iran verwendet interne Referenzpreise für Arzneimittel, was bedeutet, dass Arzneimittel zum Preis des Referenz-Arzneimittels erstattet werden und die Patienten die Möglichkeit haben, teurere Arzneimittel zu kaufen und die zusätzlichen Kosten zu bezahlen. Der Erstattungspreis wird von der Regierung festgelegt, während Hersteller, Händler oder Einzelhändler ihren eigenen Arzneimittelpreis festlegen können (Landinfo 12.8.2020).
Alle iranischen Staatsbürger, inklusive Rückkehrende haben Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen (PHC) sowie weitere Angebote. Es gibt zwei verschiedene Arten von Krankenversicherungen, jene über den Arbeitsplatz oder eine private Versicherung. Beide gehören zur staatlichen iranischen Krankenversicherung TAMIN EJTEMAEI www.tamin.ir/. Kinder sind zumeist durch die Krankenversicherung der Eltern abgedeckt. Um eine Versicherung zu erhalten, sind eine Kopie der iranischen Geburtsurkunde, ein Passfoto und eine komplette medizinische Untersuchung notwendig. Zusätzliche Dokumente können später gegebenenfalls angefordert werden (IOM 2021).
Allen iranischen Bürgern stehen mehrere Arten eines primären Krankenversicherungsschutzes zur Verfügung, darunter Tamin-Ejtemaei, Salamat, Khadamat-Darmani und Nirouhaye - Mosalah. Der Krankenversicherungsschutz umfasst medizinische Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten und Impfstoffen. Im Allgemeinen ist der primäre Krankenversicherungsschutz begrenzt. Für weitere medizinische Dienstleistungen kann zusätzlich eine private Krankenversicherung abgeschlossen werden (IOM 2021). Die "Organisation für die Versicherung medizinischer Dienste" (MSIO) wurde 1994 gegründet, um Beamte und alle Personen, die nicht von anderen Versicherungsorganisationen berücksichtigt wurden, zu versichern. Daneben kümmern sich Wohltätigkeitsorganisationen, u. a. die "Imam Khomeini Stiftung", um nicht versicherte Personen - etwa mittellose Personen oder nicht anerkannte Flüchtlinge. Registrierte afghanische Flüchtlinge können sich in der staatlichen Krankenversicherung registrieren (ÖB Teheran 11.2021).
Da es keine allgemein akzeptierte Definition für schutzbedürftige Personen gibt, ist es schwierig, diese Gruppe zu spezifizieren. Dennoch gibt es einige NGOs, die sich auf einen bestimmten Kreis Betroffener spezialisieren. Allgemein gibt es zwei Arten von Zentren, die Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen in Iran leisten, nämlich öffentliche und private. Die öffentlichen Einrichtungen sind in der Regel überlaufen und es gibt lange Wartezeiten, weshalb Personen, die über die nötigen Mittel verfügen, sich oft an kleinere, spezialisierte private Zentren wenden. Die populärste Organisation ist BEHZISTI, die Projekte zu Gender, alten Menschen, Menschen mit Behinderung (inklusive psychischer Probleme), ethnische und religiöse Minderheiten, etc. anbietet. Außerdem werden Drogensüchtige, alleinerziehende Mütter, Personen mit Einschränkungen etc. unterstützt. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem sozio-psychologische Betreuung, Beratungsgespräche, Unterkünfte, Rehabilitationsleistungen, Suchtbehandlung etc. Die Imam Khomeini Relief Foundation bietet Dienstleistungen für Frauenhaushalte, Waisen, Familien von Häftlingen usw. an, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Der Zugang zu öffentlichen Angeboten ist für alle Bürger gleich. Dennoch gibt es zusätzliche Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen, die von den Gemeinden/Organisationen abgedeckt werden (IOM 2021).
Im Zuge der aktuellen Sanktionen gegen Iran ist es zu gelegentlichen Engpässen beim Import von speziellen Medikamentengruppen gekommen (IOM 2021; vergleiche OHCHR 14.2.2023) und auch die Verfügbarkeit von medizinischen Geräten ist von den Sanktionen negativ betroffen (Akbarialiabad/et al. 2021). Obwohl auf dem Papier Medikamente und Lebensmittel von den Sanktionen nicht betroffen sind, ist es seit 2020 u. a. wegen fehlender Zahlungskanäle zu mehr Engpässen bei bestimmten Medikamenten wie z. B. Insulin gekommen. Das Gesundheitsministerium ist sehr bemüht, den Bedarf an Medikamenten zu decken. Aufgrund der mangelnden Devisen steigen aber die Preise der Medikamente, die aus dem Ausland eingeführt werden, sodass schwache Gesellschaftsschichten sich diese nicht mehr leisten können. Viele Medikamente werden in Iran selbst produziert, jedoch oftmals nicht in entsprechender Qualität (ÖB Teheran 11.2021). In den sozialen Netzwerken klagen Nutzer immer wieder über fehlende Spezialmedikamente, hohe Preise und eine "geringere Wirkung" iranischer Arzneimittel im Vergleich zu ausländischen Produkten (IRJ 15.6.2022). Der Rote Halbmond ist die zentrale Stelle für den Import von speziellen Medikamenten, die für Patienten in speziellen Apotheken erhältlich sind. Im Generellen gibt es keine ernsten Mängel an Medizin, Fachärzten oder Equipment im öffentlichen Gesundheitssystem. Pharmazeutika werden zumeist unter Führung des Gesundheitsministeriums aus dem Ausland importiert. Zusätzlich gibt es für Bürger Privatkrankenhäuser mit Spezialleistungen in größeren Ballungsräumen. Die öffentlichen Einrichtungen bieten zwar grundsätzlich fast alle Leistungen zu sehr niedrigen Preisen an, aber aufgrund langer Wartezeiten und überfüllter Zentren, entscheiden sich einige für die kostenintensivere Behandlung bei privaten Gesundheitsträgern (IOM 2021).
Der Iran wurde von sechs COVID-19-Infektionswellen heimgesucht, seit der Ausbruch von COVID-19 im März 2020 von den Behörden bekannt gegeben worden ist. Die beispiellose und unbekannte Art der Krankheit führte allmählich zu einer starken Belastung des Gesundheitspersonals, insbesondere bei denjenigen, die direkt an der Behandlung von Patienten mit COVID-19 beteiligt waren. Der Iran erlebte einen bemerkenswerten Anstieg der Auswanderungsrate von Krankenpflegern und Ärztinnen in Länder mit hohem Einkommen wie Deutschland, Italien und Kanada (Doshmangir/et al. 7.9.2022).
Rückkehr
Letzte Änderung: 26.01.2024
Die iranische Regierung verfolgt seit langem die Politik, keine zwangsweisen Rückführungen zuzulassen. Freiwillige Rückführungen sind möglich und werden manchmal von den rückführenden Regierungen oder der Internationalen Organisation für Migration (IOM) unterstützt. In Fällen, in denen eine iranische diplomatische Vertretung vorübergehende Reisedokumente ausgestellt hat, werden die Behörden über die bevorstehende Rückkehr der Person informiert (DFAT 24.7.2023).
Das Ansuchen um Asyl im Ausland ist an sich nicht strafbar und auch kein Grund, die iranische Staatsbürgerschaft zu verlieren (MBZ 31.5.2022). Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus (AA 30.11.2022). Eine von der belgischen Herkunfstländerrechercheeinheit CEDOCA im Jänner 2023 durchgeführte Recherche zu diesbezüglichen Fällen blieb ergebnislos (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Im Allgemeinen schenken die Behörden abgelehnten Asylwerbern bei ihrer Rückkehr nach Iran wenig Beachtung. Das australische Außenministerium geht davon aus, dass ihre Aktivitäten (einschließlich Beiträgen in sozialen Medien über Aktivitäten vor Ort) von den Behörden nicht routinemäßig untersucht werden. Die Behörden können allerdings in den sozialen Medien einsehbare Aktivitäten von in Australien (oder anderswo) bekannten Iranern überprüfen (DFAT 24.7.2023) und laut einem von CEDOCA befragten Experten wird es immer üblicher, dass die Behörden Rückkehrer anweisen, ihre Konten in sozialen Netzwerken offenzulegen (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Einer vom niederländischen Außenministerium befragten Quelle zufolge befragen die Behörden fast jede Person, von der sie wissen, dass sie einen Asylantrag gestellt hat, um herauszufinden, was der Grund für den Asylantrag war und ob sich die Person nicht politisch oder religiös betätigt hat. Ob Rückkehrer im Ausland einen Asylantrag gestellt haben, können die Behörden beispielsweise durch Angehörige oder Freunde der Betroffenen erfahren, durch abgehörte Kommunikation oder aufgrund einer Durchsicht von Inhalten in den sozialen Medien (MBZ 9.2023). An Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden, besteht ein Verfolgungsinteresse (AA 30.11.2022).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrer aufgrund der Protestbewegung ab September 2022 verstärkt von den Sicherheitsdiensten überprüft werden. Bereits vor den aktuellen Protesten ist es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen, deren Ausgang sich zum Beispiel der Kenntnis des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland entzieht. Bisher ist dem Auswärtigen Amt kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen dieser Befragungen psychisch oder physisch gefoltert worden sind (AA 30.11.2022). Eine andere Quelle betont, dass aus Europa zurückkehrende Asylwerber gefährdet sind, von den iranischen Behörden befragt, verhaftet und in manchen Fällen auch gefoltert und getötet zu werden, wenn die Behörden sie mit politischem Aktivismus in Verbindung bringen (DIS 7.2.2020).
Es gibt leicht unterschiedliche Ansichten darüber, was das Interesse der Behörden an einem abgelehnten Asylwerber wecken könnte. Allgemein herrscht der Eindruck vor, dass diejenigen, die vor ihrer Ausreise aus Iran Gegenstand negativer behördlicher Aufmerksamkeit waren, bei ihrer Rückkehr mit Reaktionen rechnen müssen. Als weiterer Faktor wird die Art der Informationen genannt, welche Behörden über die Aktivitäten einer Person im Ausland erhalten haben, und ob diese Aktivitäten dem Regime schaden - oder ihm möglicherweise nützen - könnten (Landinfo 21.1.2021). Einer Quelle zufolge spielt der ethnische oder religiöse Hintergrund oder die sexuelle Orientierung eines Rückkehrers für sich genommen keine Rolle. Einer anderen Quelle zufolge können diese Faktoren eine kumulierende Wirkung haben (MBZ 31.5.2022; vergleiche MBZ 9.2023).
Insbesondere in Fällen, in denen Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Im Rahmen der Befragung wird der Reisepass regelmäßig einbehalten und eine Ausreisesperre ausgesprochen (AA 30.11.2022). Wenn Personen mit einem Laissez-Passer anstelle eines regulären Reisedokuments ins Land zurückkehren, kann dies zu Befragungen führen, da dies bedeuten könnte, dass die betroffenen Personen illegal ausgereist sind und/oder um internationalen Schutz im Ausland angesucht haben (CGRS-CEDOCA 10.5.2023; vergleiche MBZ 9.2023). Eine juristische Quelle in Iran vom Dezember 2020 erklärte, dass im Falle einer illegalen Ausreise die häufigste Strafe eine Geldstrafe oder eine Gefängnisstrafe auf Bewährung ist, es sei denn, die Person wird zusätzlich anderer Straftaten verdächtigt. Wenn die Person Iran illegal verlassen hat, um einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen, oder in kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel, Menschenhandel oder Aktivitäten militanter Gruppen an der Grenze verwickelt ist, ist die Reaktion wesentlich schärfer (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).
Einige Mitglieder der iranischen Diaspora kehren regelmäßig nach Iran zurück, zum Beispiel für einen Urlaub oder um Verwandte zu besuchen (MBZ 9.2023). Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob jemand nach der Rückkehr befragt wird. Oft wird erst im Laufe der Zeit klar, ob eine echte Bedrohung vorliegt (MBZ 31.5.2022). Iranreisende - sowohl iranische als auch z. B. deutsche Staatsangehörige - müssen seit einiger Zeit verstärkt damit rechnen, dort willkürlich verhaftet und möglicherweise auch angeklagt zu werden (BMIH/BfV 20.6.2023). Politische Aktivisten und andere, die als Bedrohung angesehen werden, werden beobachtet und haben das Gefühl, sich nicht frei bewegen zu können (MBZ 31.5.2022). Ferner häufen sich seit 2022 gezielte nachrichtendienstliche Ansprachen zum Zweck einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit iranischen Nachrichtendiensten. Dies gilt insbesondere für Personen, die durch iranische Stellen mit einer oppositionellen Gruppierung in Verbindung gebracht werden oder bei denen Kontakte zu Personen aus der oppositionellen Szene vermutet werden. Zudem besteht die Gefahr, dass Mobilfunkgeräte und Informations- und Kommunikationshardware ausgelesen oder manipuliert werden (BMIH/BfV 20.6.2023). Es gibt auch Berichte, dass Einzelpersonen unter Druck gesetzt werden, die Passwörter ihrer Social-Media-Konten herauszugeben. Dadurch erhalten die Behörden Zugang zu sozialen Netzwerken innerhalb und außerhalb Irans (MBZ 9.2023). Eine Befragung von aus dem Ausland zurückkehrenden Iranerinnen und Iranern kann bei der Ankunft am Flughafen durch Geheimdienstmitarbeiter erfolgen (IRINTL 7.1.2022; vgl.MBZ 31.5.2022), oder zu einem späteren Zeitpunkt, in der Wohnung des Befragten und durch die lokalen Behörden (MBZ 31.5.2022). Ebenso kommt es vor, dass es Rückkehrern nach ihrer Ankunft am Flughafen erlaubt wird, nach Iran einzureisen, und sie dann zu einem späteren Zeitpunkt von den iranischen Behörden strafrechtlich verfolgt werden. Einer Quelle zufolge nehmen die Behörden Rückkehrer in der Regel nicht gleich bei der Ankunft am Flughafen fest, weil sie dort sichtbar sind und von den vielen anwesenden Personen mit ihren Handys gefilmt werden könnten. Den Rückkehrern wird dann am Flughafen zum Beispiel gesagt, dass etwas mit ihrem Pass nicht stimmt oder dass ein Bußgeld aussteht, und dass sie sich später an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit melden sollen (MBZ 9.2023).
Es gibt nur wenige Informationen über die Situation von Iranern, die nach Iran zurückkehren, im Allgemeinen und von zurückgekehrten Antragstellern auf internationalen Schutz im Besonderen (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Zum Thema Rückkehrer gibt es nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche CGRS-CEDOCA 10.5.2023). In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und beim Abstandnehmen von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglich vorgebrachten Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr (ÖB Teheran 11.2021).
Das iranische Außenministerium hat im Dezember 2021 ein Webportal eingerichtet, auf dem Iraner, die sich im Ausland aufhalten und eine Rückkehr nach Iran erwägen, ihre Daten hochladen können, woraufhin ihnen mitgeteilt wird, ob sie sicher und ungehindert ein- und ausreisen können oder ob es offene Fälle gegen sie gibt. Allerdings ist nicht jeder in der iranischen Diaspora davon überzeugt, dass dieses System funktioniert und dass er oder sie ohne Bedenken nach Iran reisen kann. Ein Grund dafür ist, dass nicht alle iranischen Nachrichtendienste koordiniert zusammenarbeiten und daher immer die Möglichkeit besteht, dass Rückkehrer dennoch aufgegriffen werden (IRINTL 7.1.2022; vergleiche MBZ 9.2023).
Nach derzeitigem Kenntnisstand können Asylantragsteller bzw. anerkannte Flüchtlinge Kontakt mit iranischen Auslandsvertretungen aufnehmen, um beispielsweise einen neuen iranischen Pass zu beantragen. Fälle von daraus folgenden Repressalien gegen die Antragsteller oder ggf. gegen deren Familien in Iran sind bislang nicht bekannt (AA 30.11.2022). Im April 2022 kündigte das Amt für Personenstandswesen an, hinkünftig "smarte" Identitätsnachweise an im Ausland lebende Iraner auszustellen. Antragsteller können sich unter anderem im iranischen Konsulat in Wien registrieren lassen, um den Identitätsnachweis zu erhalten (TEHT 10.4.2022).
Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, werden nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind jedoch keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 30.11.2022).
Iran erkennt Doppelstaatsbürgerschaften nicht an (RFE/RL 2.3.2023; vergleiche BBC 7.6.2022) und ist dafür bekannt, Doppelstaatsbürger als Geiseln zu nehmen, und sie in seinen Verhandlungen mit anderen Ländern als Verhandlungsmasse einzusetzen (IRINTL 7.1.2022). Eine Reihe von Doppelstaatsbürgern, die nach Iran zurückkehrten, werden so im Land festgehalten (CHRI 22.1.2022; vergleiche BBC 7.6.2022).
Exiliraner, Behandlung von Aktivisten bei Rückkehr, Auswirkungen der Protestwelle von 2022
Letzte Änderung: 26.01.2024
Der Logik folgend, dass das Überleben des iranischen Regimes dessen wichtigstes Ziel ist, bekämpfen die iranischen Behörden interne und externe Bedrohungen, wo auch immer diese identifiziert werden (UKHO 1.3.2022), wobei die weit gefasste Definition des iranischen Regimes, wer eine Bedrohung für die Islamische Republik darstellt, zum Umfang und Intensität der transnationalen Repressionsbemühungen beiträgt (FH 2021). Die Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen und Einzelpersonen stellt im Inland wie auch [europäischen] Ausland den Schwerpunkt iranischer nachrichtendienstlicher Aktivitäten dar (BMIH/BfV 20.6.2023; vergleiche Säkerhetspolisen 22.2.2023). Iran ist aufgrund der Unruhen und Proteste im eigenen Land verstärkt bemüht, die im Ausland lebenden Dissidentinnen und Dissidenten sowie Regimekritikerinnen und Regimekritiker aufzuklären (BMI/DSN 12.5.2023). Die Aktivitäten iranischer Nachrichtendienste umfassten in Europa, dem Nahen Osten und Nordamerika unter anderem Ermordungen, Entführungen, Einschüchterung im digitalen Raum, den Einsatz von Spionagesoftware (FH 2021; vergleiche Landinfo 28.11.2022), Bewegungseinschränkungen und Interpol-Missbrauch [Anm.: durch das Erstellen von "Red Notices", sodass Personen in Drittstaaten festgehalten werden] sowie Nötigung durch Dritte (FH 2021).
Bei den bekannten Opfern von Mord, versuchtem Mord und Entführung durch iranische Regimekräfte handelt es sich um Führungskräfte großer Oppositionsgruppen oder separatistischer Organisationen wie der Volksmudschahedin (MEK) und dem Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz (ASMLA), sowie um Anführer und Aktivisten der iranisch-kurdischen Exilparteien und Aktivisten im Ausland, die in Iran durch ihre Online-Kampagnen viel Aufmerksamkeit erregt haben (Landinfo 28.11.2022; vergleiche IRINTL 7.1.2024). Es sind Fälle bekannt, in denen iranische Staatsangehörige, insbesondere, wenn diese als Journalisten oder Blogger eine große Reichweite haben und sich kritisch zu politischen Themen in Iran (Menschrechtsverletzungen, Korruption und Bereicherung von Amtsträgern, Frauenrechte, interne Machtkämpfe) geäußert haben, in Drittländern entführt wurden, um sie nach Iran zu verbringen, wo sie in (Schau-)Prozessen verurteilt worden sind (AA 30.11.2022).
Die iranischen Nachrichtendienste bemühen sich aktiv um die Anwerbung von Informanten innerhalb der Oppositionsgruppen (Landinfo 28.11.2022). Ein Experte merkte im Juni 2019 gegenüber ACCORD an, dass es den iranischen Behörden gelungen sei, die meisten oppositionellen Organisationen [im Exil] zu unterwandern (ACCORD 5.7.2019). Im Fokus der Behörden stehen dabei unter anderem die MEK, ethnische Gruppen (ACCORD 5.7.2019; vergleiche Landinfo 28.11.2022) und sunnitische Dschihadisten (ACCORD 5.7.2019). Fälle von aufgedeckten Informanten sind zum Beispiel aus Schweden (betreffend der ASMLA) und den USA (betreffend der MEK) bekannt (Landinfo 28.11.2022). Der Experte hält weiters fest, dass es den iranischen Behörden bewusst ist, dass sich beispielsweise iranische Auslandsstudenten und -studentinnen - auch in der Hoffnung, Asyl oder Bleiberecht zu erhalten - Oppositionsgruppen anschließen oder zum Christentum konvertieren. Dadurch werden diese Personen demnach verwundbar und, sofern sie sich politisch auffällig verhalten, von den iranischen Behörden unter Druck gesetzt. Gerade bei Studenten hat der iranische Staat demnach mehrere Druckmittel, wie etwa beim Verlängern von Reisepässen oder bei Auslands-Aufenthaltsgenehmigungen. Dem Experten sind Fälle bekannt, in denen solche Verlängerungen nicht gewährt worden sind und den Studenten bedeutet worden ist, sich zwecks Unterredung mit den Behörden nach Iran zurückzubegeben (ACCORD 5.7.2019).
Nach Auskunft eines außerhalb Irans lebenden Experten besteht für politisch aktive Personen bei einer Rückkehr ein "größeres" Risiko. Personen, die politisch sehr aktiv oder bekannt sind, können nicht nach Iran zurückkehren. "Einfache" Bürger und Bürgerinnen würden bei der Rückkehr möglicherweise keine Probleme haben, dies ist allerdings sehr einzelfallabhängig. Personen, die in Iran an Protesten teilgenommen haben, dann ins Ausland gegangen sind und dort nicht politisch aktiv waren, müssen nach einer Rückkehr nicht mit Konsequenzen rechnen, es sei denn, es sind Verfahren, Vorwürfe oder Strafen gegen sie anhängig. In diesem Fall würden die betroffenen Personen verhaftet werden. Personen, die im Ausland zwar politisch aktiv waren, es dabei aber geschafft haben, anonym zu bleiben, können laut dem Experten zurückkehren, während es ausgeschlossen ist, dass sie, wenn sie unter ihrem Klarnamen aufgetreten sind, zurückkehren können (IRB 22.2.2021; vergleiche DFAT 24.7.2023).
Ein von CEDOCA befragter Experte geht davon aus, dass die iranischen Behörden Bildmaterial von Teilnehmern an Demonstrationen im Ausland sammeln, betont aber, dass er bislang [Stand 18.11.2022] keine Beweise gesehen hat, wonach sie dann die abgebildeten Personen tatsächlich verfolgen. Laut dieser Quelle ist es unwahrscheinlich, dass die iranischen Behörden Personen, die lediglich an Demonstrationen im Ausland teilnehmen, als hochrangige Ziele betrachten. Derselbe Experte gibt jedoch an, dass er sich hinsichtlich Personen, die an den Protesten teilgenommen haben und nach Iran zurückkehren, Sorgen machen würde, wobei dies nicht bedeutet, dass diese Personen bei der Rückkehr sofort verhaftet werden. Dies hängt vom Profil der Personen ab. Die Organisatoren der Proteste würden bei einer Rückkehr auf Probleme stoßen. Eine andere von CEDOCA befragte Expertin gibt an, dass Agenten des Regimes die iranische Diaspora seit dem Ausbruch der Proteste Mitte September 2022 deutlicher und offener überwachen. Sie führte an, dass iranische Demonstranten im Ausland Personen identifizieren, die Demonstranten filmen, und ihre Gesichter in den sozialen Medien veröffentlichen. Mehrere Personen, die 2009 im Rahmen der Grünen Bewegung vor der iranischen Botschaft in London demonstrierten, berichteten beispielsweise, dass das iranische Konsulat sie als Demonstranten identifizierte und sich weigerte, ihre Konsularangelegenheiten zu bearbeiten. Im Zusammenhang mit den Mitte September 2022 ausgebrochenen Protesten sind bislang keine derartigen Fälle bekannt. Die Bildqualität der Kameras vor Botschaften hat sich inzwischen allerdings verbessert und der iranische Staat verwendet nach Eigenangaben Gesichtserkennungstechnologie (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).
Iranische Aktivisten berichteten unter anderem von Einschüchterungsversuchen in Österreich und Deutschland, beispielsweise durch auffälliges Filmen und Fotografieren von Protestierenden, durch Drohanrufe oder -nachrichten (Standard 29.3.2023; vergleiche BMP 11.3.2023, CGRS-CEDOCA 10.5.2023), und auch durch einen mutmaßlichen Einbruch (BMP 11.3.2023). Sie gehen davon aus, dass die iranischen Sicherheitsbehörden hinter den Vorfällen stecken (Standard 29.3.2023; vergleiche BMP 11.3.2023). Im Herbst 2022 wurde von zwei Angriffen auf Kundgebungen von Exiliranerinnen und -iranern in Berlin berichtet, wobei das Motiv der Angriffe vorerst nicht bekannt war (Zeit online 13.11.2023; vergleiche taz 14.11.2022).
Mizan, das Nachrichtenportal der iranischen Justiz, verkündete im September 2023, dass das Informationsministerium [auch Geheimdienstministerium, VAJA/MOIS] mehrere mutmaßliche Protestanführer im Ausland verhaftet habe. Hierzu ist ein Video veröffentlicht worden, das Geständnisse mehrerer Männer zeigen soll, die in den USA, Deutschland und Großbritannien als Anführer von Demonstrationen in Erscheinung getreten sein sollen (BAMF 18.9.2023; vergleiche Mizan 12.9.2023). Das von Mizan veröffentlichte Video beinhaltet auch mehrere Videomitschnitte aus sozialen wie traditionellen Medien, welche Demonstrationen von Exiliranerinnen und Exiliranern in den genannten Ländern zeigen, wobei unter anderem die Fahnen Kurdistans, der MEK und der Monarchisten sowie Bilder von Shah Reza Pahlewi zu sehen sind (Mizan 12.9.2023). Wann und wo die Männer festgenommen wurden, ging aus dem Bericht nicht hervor. Die Authentizität und der Wahrheitsgehalt der Angaben lassen sich nicht unabhängig verifizieren (BAMF 18.9.2023).
Ein maßgeblicher Teil der Überwachung durch die Sicherheitsbehörden findet online statt (CGRS-CEDOCA 10.5.2023), wobei die Behörden diesbezügliche Bemühungen nach Protestbeginn Mitte September 2022 verstärkt haben (LOT 15.12.2022). Die Behörden überwachen Aktivisten im Exil, haben aber nicht die Kapazitäten, alle von ihnen zu überwachen. Das Regime setzt auf Grundlage seiner Interessen Prioritäten, und diese Prioritäten können sich auch ändern. Gemäß einer von CEDOCA befragten Quelle lag der Fokus mit Stand 13.9.2022 [Anm.: d. h. kurz vor Beginn der umfangreichen Protestwelle] auf Journalisten und Aktivisten ethnischer Minderheiten. Der Quelle zufolge ist die Menge an Kritik, die eine Person am Regime übt, kein wesentlicher Faktor, der das Risiko erhöht, als online-Dissident im Exil überwacht zu werden. Vielmehr bestimmt der Einfluss, den eine Person hat, ob diese für das Regime Priorität hat (CGRS-CEDOCA 10.5.2023), wobei hierbei insbesondere zwei Faktoren ausschlaggebend sind: Zugang zu öffentlicher Aufmerksamkeit und Verbindungen zum Heimatland (Michaelsen 2020). Als einflussreich gilt beispielsweise, wer in Fernsehsendern wie Iran International oder Voice of America (VOA) zu sehen ist. In den sozialen Medien kann die Anzahl der Follower einerseits als gewisser Richtwert gesehen werden, andererseits gibt es dazu keine einfache Formel. Im Zentrum steht vielmehr die Frage, ob es einer Person gelingt, mit ihren Beiträgen den Diskurs mitzuprägen. Eine von CEDOCA befragte Quelle hält es jedenfalls für sehr unwahrscheinlich, dass ein Facebook-Profil von jemandem außerhalb Irans mit rund 500 "Freunden", das die iranische Regierung kritisiert, von den Behörden überwacht wird, wobei die Plattformen twitter.com, Instagram und Telegram bedeutsamer sind, um ein iranisches Publikum zu erreichen, als Facebook oder Blogs (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).
Die Art und Weise, wie iranische Behörden Iraner im Ausland überwachen, hängt vom Ziel ab. Die iranischen Behörden zielen mit Malware auf einige bekannte ("high profile") Dissidenten in der Diaspora ab. Auch Social-Media-Profile von Personen, die nicht zu den profilierten Dissidenten gehören, können überwacht werden. So können die iranischen Behörden beispielsweise lesen, worüber jemand twittert, oder sehen, wer im Netzwerk einer Person ist. Hierfür verwenden die iranischen Behörden öffentlich zugängliche Informationen und überwachen keine privaten [d. h. nicht öffentlich einsehbaren] Konten. Dieser Quelle zufolge haben es die iranischen Behörden bei der Überwachung der iranischen Diaspora v. a. auf Führungspersönlichkeiten und Organisatoren abgesehen, d. h. auf Personen, die eine Gruppe oder Partei anführen oder auf Personen, die von einer Gruppe von Menschen gehört werden. Das Regime könnte hochrangige politische Aktivisten als Bedrohung ansehen und dann ausgeklügelte Cybersecurity-Angriffe gegen sie starten (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Während sich das Regime bei der Überwachung üblicherweise auf bedeutsame Persönlichkeiten fokussiert, sind laut einer anderen Quelle auch Aktivisten aus der "mittleren Ebene" von Hacking-Angriffen betroffen und auch "einfache" Iraner werden mitunter überwacht, da jede Art von Information für die Behörden nützlich ist (IRB 22.2.2021). Eine befragte iranische Rechtsanwältin merkte [im Gespräch über die Verbreitung von christlichen Inhalten in den sozialen Medien] zudem an, dass es Fälle von Personen gibt, die aufgrund von Beiträgen in den sozialen Medien mit geringer Reichweite oder mit privaten Konten Probleme mit den Behörden bekommen haben, weil sie von Personen aus ihrem Umfeld gemeldet wurden. Der Staat ist rechtlich dazu in der Lage, derartige Personen zu verfolgen (MRAI 19.6.2023).
Zwar gibt es keine klaren Kriterien dafür, gegen wen ermittelt wird und wer bestraft wird (DIS 7.2.2020), doch laufen enge Familienmitglieder von politischen Aktivistinnen und Aktivisten (DIS 7.2.2020; vergleiche FH 2021) wie auch von Mitgliedern kurdischer Oppositionsparteien mit Stützpunkt im Nordirak Gefahr, von den Behörden ins Visier genommen zu werden (Landinfo 28.11.2022), nicht jedoch die Großfamilie. Eine andere Quelle widerspricht dem und geht - allerdings ohne Beispiele zu nennen - davon aus, dass die Behörden die Familienangehörigen politischer Aktivisten gut behandeln, um der Welt zu zeigen, dass es in Iran Freiheit gibt, und dass den Rückkehrern kein Leid zugefügt werden wird (DIS 7.2.2020). Im Jänner 2023 wurde von einem Fall berichtet, bei dem eine in Frankreich lebende Iranerin, die an den Protesten nach dem Tod von Mahsa Jina Amini teilgenommen hat, von jemandem, der sich am Telefon als Mitarbeiter des MOIS vorstellte, gedroht wurde, dass ihre in Iran lebenden Eltern und andere Familienmitglieder inhaftiert werden würden, sollte sie von weiteren Aktivitäten gegen das Regime nicht Abstand nehmen (IRINTL 7.1.2023; vergleiche CNN 21.4.2023). Unter anderem wies der MOIS-Mitarbeiter die Iranerin an, auf Instagram keine Inhalte zu den Protesten mehr zu teilen, wobei sie angegeben hat, dass ihr Profil dort auf "privat" gestellt ist und von ihr geteilte Beiträge somit nur von ihren Followern gesehen werden können [Anm.: im Rahmen einer zeitlich begrenzten Recherche konnten keine weiterführenden Informationen dazu gefunden werden, was das Interesse der Behörden an der Person konkret geweckt hat] (IRINTL 7.1.2023). In Iran lebende Familienmitglieder von Journalisten der Farsi-sprachigen Sparte der BBC, BBC Persian (BBC 12.1.2023), und der Farsi-Redaktion der Deutschen Welle berichteten ebenfalls von Drohungen der iranischen Behörden (FAZ 28.11.2023).
Dokumente, Meldewesen und Personenstandsregister
Letzte Änderung: 13.04.2023
Alle iranischen Staatsbürger erhalten bei der Geburtsregistrierung ein Ausweisheft (Shenasnameh) [auch: Familienbuch/Stammbuch]. Dieses ist in zwei Versionen erhältlich: eine für Kinder bis zu 15 Jahren und ein für Personen über 15 Jahren. Das Shenasnameh wird bei Änderungen des Familienstandes und der Familienverhältnisse aktualisiert. Darüber hinaus stellen die iranischen Behörden für iranische Staatsbürger über 15 Jahren einen nationalen Personalausweis aus (Kart-e melli). Dabei handelt es sich inzwischen um eine elektronische Chipkarte, die allmählich zum wichtigsten Ausweisdokument der Iraner im täglichen Leben geworden ist. Sowohl die Shenasnameh als auch die Kart-e melli werden von der Nationalen Organisation für Zivilregistrierung (NOCR) ausgestellt. Die Pass- und Einwanderungspolizei stellt Reisepässe auf der Grundlage von Shenasnameh und Kart-e melli aus (Landinfo 5.1.2021).
Gefälschte bzw. mit falschen Angaben erstellte Dokumente sind in Iran einfach erhältlich (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 30.11.2022). Auch echte Dokumente unrichtigen Inhaltes sind einfach zu beschaffen. Dies betrifft insbesondere die Shenasnameh. So ist es relativ einfach, in eine echte Shenasnameh ein anderes Geburtsdatum eintragen zu lassen. Bei Kindern, die außerehelich geboren werden, wird zumeist ein beliebiger Name als Vater eingetragen, um die Kinder vor Benachteiligungen in der Schule und im Erwachsenenleben zu schützen. Frauen lassen sich nach einer Scheidung häufig eine neue Shenasnameh ausstellen, aus der die gescheiterte Ehe nicht hervorgeht (AA 30.11.2022). Die neuesten Ausgaben von Shenasnameh und Kart-e melli verfügen über fortschrittlichere Sicherheitsstandards als die Vorgängermodelle. Dies hat dazu beigetragen, die Authentizität der iranischen Ausweise zu verbessern. Es sind aber noch immer die alten Versionen in Gebrauch und diese sind weitaus leichter zu manipulieren (Landinfo 5.1.2021).
Sowohl die von iranischen Behörden als auch von der afghanischen Botschaft in Iran ausgestellten Dokumente bestätigen unrichtige Angaben. Eine Überprüfung ist seitens der österreichischen Botschaft nicht möglich. Die Überprüfung von Haftbefehlen kann von der Botschaft aufgrund von Datenschutz nicht durchgeführt werden (ÖB Teheran 11.2021). Auch für Justizunterlagen wie Urteile, Vorladungen etc. kann eine mittelbare Falschbeurkundung nicht ausgeschlossen werden. Denn einerseits ist auch das Justizsystem korruptionsanfällig, andererseits ist es in der iranischen Kultur nicht unüblich, auf der Grundlage von Beziehungsgeflechten Hilfeleistungen und Gefälligkeiten zu erbringen (AA 30.11.2022).
Meldewesen und Personenstandsregister
Es gibt kein, etwa mit dem deutschen, vergleichbares Meldewesen (AA 30.11.2022).
Es gibt ein zentral angelegtes, elektronisches Personenstandsregister (Saseman-e sabt-e Ahwal keschwar), in das Geburt, Eheschließung/Scheidung und Tod eingetragen werden. Registereinträge können von dem jeweiligen Bezirksamt für Personenstandsangelegenheiten erteilt werden. Auskünfte über die bei der Ehe grundsätzlich geschlossenen Eheverträge können zudem von dem Notar erteilt werden, bei dem sie geschlossen worden sind (AA 30.11.2022).
Die offizielle Registrierungsbehörde nimmt alle iranischen Staatsangehörigen in ihre Datenbank auf, nachdem zuvor die Identität durch Polizei- und Informationsdienste festgestellt worden ist. Auslandsvertretungen sind nicht ermächtigt, Auskünfte einzuholen. Ein formales Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren ist nicht bekannt (AA 30.11.2022).
SANA-System/Justizdatenbank Adliran
Durch die sukzessive Digitalisierung des Justizsystems können seit Ende 2016 Justizdokumente über das sog. SANA-System abgerufen werden (AA 30.11.2022). Bürgerinnen und Bürger können sich bei SANA elektronisch registrieren (Website www.sana.adliran.ir), um in der Datenbank Adliran Zugang zu ihren Gerichtsdokumenten zu erhalten (Landinfo/et al. 12.2021). Seit 2019 werden Justizdokumente in allen Provinzen in der Regel fast ausschließlich über diese Datenbank kommuniziert vergleiche Artikel 175, iranische StPO in der Fassung von 2013/14) (AA 30.11.2022). Während die Justiz versucht, elektronische Aufzeichnungen und Zustellungsdokumente über diese Methode zu erstellen, ist sie allerdings von einer landesweiten Akzeptanz der Registrierung bei Adliran noch entfernt. Die Registrierung ist nicht verpflichtend (obwohl dringend empfohlen) und Personen können relevante Rechtsdokumente auch über die traditionelle Zustellungsmethode erhalten, d. h. durch einen persönlich anwesenden Gerichtsvollzieher (Landinfo/et al. 12.2021). Sofern die Dokumente in der Justizdatenbank hinterlegt sind, kann von deren Echtheit ausgegangen werden (AA 30.11.2022).
Die Datenbank kann von Iran aus - oder unter Verwendung einer iranischen VPN-Verbindung - über die folgenden Links abgerufen werden: www.adliran.ir; http://eblagh.adliran.ir und http://eblagh1.adliran.ir. Ein Zugang ist auch über eine Handy-App mit dem Namen "mobile Justiz" (’edālat-e hamrāh) möglich (Landinfo/et al. 12.2021). Der Zugang zum Sana-System war aus dem Ausland aufgrund von Geo-Blocking bisher nicht möglich. Seit dem 21.04.2021 kann die Datenbank unter www.kharej.adliran.com oder unter www.international.adliran.ir auch aus dem Ausland abgerufen werden, um den Status laufender Gerichtsverfahren zu überprüfen. Die Systemabfrage setzt eine vorherige Registrierung der betroffenen Person voraus, die durch persönliche Vorsprache oder eine Art Video-Identitätsverfahren erfolgen kann. Ferner sind v. a. die Kart-e melli-Nummer und eine erreichbare iranische Mobilfunknummer erforderlich, an die ein temporäres Passwort versendet wird (AA 30.11.2022). Auch Dritte können auf die Justizdokumente einer Person zugreifen, wenn sie die zehnstellige "nationale Nummer" des Benutzers (den Benutzernamen) und das sechsstellige temporäre Passwort haben, das per SMS zugesandt wird. So kann jeder, einschließlich Familienmitgliedern und Rechtsvertretern eines Beschuldigten, auf die in der Datenbank gespeicherten Informationen zugreifen und Dokumente ausdrucken, so sie die Zugangsdaten dazu besitzen. Rechtsanwälte können allerdings auch persönlich bei Gericht erscheinen und um Kopien von Akteninhalten ansuchen, so diese vom Gericht zur Akteneinsicht freigegeben wurden (Landinfo/et al. 12.2021).
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch:
- Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des ersten Asylverfahrens der BF sowie den hiergerichtlichen Vorakt vergleiche römisch 40 );
- Einsichtnahme in die Verwaltungs- und Gerichtsakte der Eltern der BF vergleiche römisch 40 );
- Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, insbesondere in das Protokoll der Erstbefragung vom römisch 40 2021, der niederschriftlichen Einvernahmen vom römisch 40 2021 und römisch 40 2022, in die Beschwerde vom römisch 40 2022 und die Urkundenvorlage vom römisch 40 2022;
- Einsichtnahme in das aktuelle Länderinformationsblatt zum Iran;
- Einsichtnahme in die von der BF im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgelegten Integrationsunterlagen;
- Einvernahme der BF am römisch 40 2022;
- Einsicht in das Grundversorgungsinformationssystem;
- Einsicht in das Strafregister.
Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit der BF ergeben sich aus den im Vorverfahren vorgelegten Personenstandsurkunden, ihren damit übereinstimmenden und daher glaubhaften Angaben sowie dem Umstand, dass sich daran im gegenständlichen Verfahrens nichts geändert hat.
Die Feststellungen zu Volksgruppenzugehörigkeit, Muttersprache, Familienstand, Erziehung im schiitisch-muslimischen Glauben, Schulbildung in Iran und zum Aufenthalt ihrer Angehörigen im Herkunftsstaat ergeben sich aus ihren Ausführungen vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht, die sich mit ihren im vorangegangenen Asylverfahren gemachten Angaben und den darauf basierenden Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts im Erkenntnis vom römisch 40 2020, GZ. römisch 40 , decken. Das Gericht hat daher keine Veranlassung, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF beruhen auf ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vom römisch 40 2022, wonach sie weder an chronischen oder akuten Krankheiten leide, noch Medikamente einnehme und dem Umstand, dass keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, aus denen gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit ersichtlich wären.
Zu den Feststellungen zum (Privat-)Leben der Beschwerdeführerin in Österreich:
Die Feststellungen zur Einreise und zum vorangegangen Asylverfahren ergeben sich aus dem hiergerichtlichen Vorakt vergleiche römisch 40 ).
Die Feststellungen zur neuerlichen Asylantragstellung ergeben sich aus dem Erstbefragungsprotokoll vom römisch 40 2021.
Die Feststellungen zu den Wohnverhältnissen der BF beruhen auf amtswegig eingeholten Auszügen aus dem Zentralen Melderegister und dem Betreuungsinformationssystem GVS.
Die Feststellungen zur Teilnahme an unterschiedlichen Kursen sowie zum Gitarrenunterricht, dem Besuch eines Deutschkurses, dem erworbenen Sprachzertifikat, ihren sozialen Kontakten in ihrer Wohnsitzgemeinde und den Kontakten zur Baptistengemeinde römisch 40 , der dort erfolgten Taufe und den Gottesdienstbesuchen und Kursteilnahmen stützen sich auf die vorgelegten Unterlagen, die – soweit sie sich auf die Zeiträume vor römisch 40 2020 beziehen – mit den im vorangegangenen Verfahren getroffenen Feststellungen übereinstimmen, sowie die Angaben der BF während des Verfahrens.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit geht aus einem amtswegig eingeholten Auszug aus dem Strafregister hervor.
Die Feststellungen zum Besuch von Gottesdiensten der evangelischen Pfarrgemeinde A.B. ihrer Wohnsitzgemeinde ergeben sich aus den Ausführungen der BF zuletzt in der mündlichen Verhandlung am römisch 40 2022 vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie dem Schreiben der Kuratorin der evangelischen Pfarrgemeinde A.B. römisch 40 vom römisch 40 2022.
Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin:
Vorweg ist festzuhalten, dass das Vorbringen der BF, soweit es sich auf die vor ihrer Ausreise geschilderten Ereignisse im Herkunftsstaat und ihre behaupteten Kontakte bzw. Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom römisch 40 2020 bezieht, im vorangegangen Asylverfahren einer umfassenden Würdigung unterzogen wurde und das Bundesverwaltungsgericht zum damaligen Zeitpunkt letztlich zum Ergebnis gelangte, dass nicht von einer aus innerer Überzeugung erfolgten Konversion zum Christentum auszugehen ist. Im gegenständlichen Verfahren sind keinerlei Anhaltspunkt dafür hervorgekommen, dass sich in Zusammenhang mit ihrem Vorbringen während des ersten Asylverfahrens etwas geändert hätte. Eine neuerliche Auseinandersetzung mit dem diesbezüglichen Vorbringen kann daher unterbleiben.
Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention droht. Zum Zweck der Glaubhaftmachung ist der Beschwerdeführer verpflichtet, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und hat er diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus. Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist auf seine Glaubhaftigkeit hin zu überprüfen. Im Zuge dieser Überprüfung ist auch auf das Kriterium der persönlichen Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers abzustellen. Diese persönliche Glaubwürdigkeit kann dadurch eingeschränkt werden, wenn der Beschwerdeführer sein Vorbringen auf ge- oder verfälschte Beweismittel stützt, wichtige Tatsachen verheimlicht bzw. diese bewusst falsch darstellt, sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens auswechselt oder unbegründet und verspätet erstattet, keine Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert. Hinzu kommt, dass das Vorbringen genügend substantiiert sein muss. Ungenügende Substantiierung ist dann gegeben, wenn der Beschwerdeführer den Sachverhalt sehr vage schildert, seine Angaben auf Gemeinplätze beschränkt, nicht in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine behaupteten Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein. D.h. es muss mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Schließlich muss ein Vorbringen auch in sich schlüssig sein, was nicht gegeben ist, wenn sich der Beschwerdeführer in wesentlichen Aussagen widerspricht.
Zum Vorbringen betreffend die gegen ihre Mutter von deren Schwager erhobene Anzeige und die Hausdurchsuchungen in Elternhaus ihres Vaters:
Soweit die BF in ihrer Einvernahme vor dem BFA am römisch 40 2021 auf Hausdurchsuchungen bei ihrer Großmutter sowie eine Anzeige des Schwagers ihrer Mutter verwies und in ihrer Einvernahme am römisch 40 2022 ergänzend ausführte, ihre Mutter werde von ihm nach wie vor auf ihrem Instagram-Profil bedroht, ist festzuhalten, dass sich schon die diesbezüglichen Ausführungen ihrer Eltern – wie den beweiswürdigenden Erwägungen im Erkenntnis zu 1.) römisch 40 und 2.) römisch 40 zu entnehmen ist – aufgrund zahlreicher Widersprüche sowie Ungereimtheiten in Bezug auf die von ihnen vorgelegten Beweismittel als unglaubhaft erwiesen. Schon aus diesem Grund ist eine daraus abzuleitende der BF im Falle der Rückkehr drohende Gewaltanwendung oder sonstige Bestrafung nicht wahrscheinlich.
Ein weiterer Beleg dafür, dass diese Ausführungen zu Geschehnissen im Herkunftsstaat der BF unglaubhaft sind, ist in der teilweisen Abweichung der Angaben der BF von jenen ihrer Eltern zu erblicken:
So geht aus den Angaben der Mutter der BF in ihrer Einvernahme vor dem BFA am römisch 40 2022 zu den in den vorgelegten Beweismitteln aufscheinenden Instagram-Profilnamen betreffend die behaupteten Bedrohungen hervor, die Drohungen in den Kommentaren unter den von ihr auf Instagram veröffentlichten Bildern seien von ihrem Schwager und dessen Schwester verfasst worden. Die in den Beweismitteln dokumentierten Profilnamen der Verfasser der Kommentare ordnete die Mutter der BF ebenfalls ihrem Schwager (" römisch 40 ) und dessen Schwester (" römisch 40 ) zu vergleiche Verfahren römisch 40 , Einvernahme vom römisch 40 2022). Im weiteren Verlauf der Befragung gab die Mutter der BF im Gegensatz dazu an, ihr Schwager habe gar kein Profil auf Instagram. Demgegenüber führte die BF in ihrer Einvernahme vor dem BFA am römisch 40 2022 aus, ihre Mutter habe den Schwager auf Instagram mehrmals blockiert, jedoch erstelle er immer wieder neue Profile und bedrohe ihre Mutter weiter. Von Drohungen, die von der Schwester des Schwagers ihrer Mutter verfasst worden wären, war in den Einvernahmen der BF hingegen keine Rede. Außerdem behauptete die BF in der mündlichen Verhandlung am römisch 40 2022, dass ihre Großeltern mütterlicherseits nur deshalb von ihrer Konversion erfahren hätten, weil der Schwager ihrer Mutter Anzeige erstattet habe. Ihre Mutter gab in Widerspruch dazu am römisch 40 2022 vor dem Bundesverwaltungsgericht zu Protokoll, dass sie selbst ihren Eltern von der Konversion erzählt habe.
Zu den Hausdurchsuchungen bei ihrer Großmutter führte die BF in ihrer Einvernahme vor dem BFA am römisch 40 2021 aus, ihre Großmutter habe den Beamten der Sepah nicht mitgeteilt, dass sie sich in Österreich aufhalten würden. Sie habe ihnen lediglich gesagt, dass sie nicht anwesend seien. Ihr Vater gab im Gegensatz dazu vor dem BFA am römisch 40 2022 an vergleiche Verfahren römisch 40 ), sein Bruder habe den Beamten bereits bei der ersten Hausdurchsuchung mitgeteilt, dass sich er und seine Familie in Österreich befänden, wobei die Beamten dennoch auf die Durchsuchung bestanden hätten.
Insgesamt ist festzuhalten, dass angesichts der widersprüchlichen Angaben der BF im Vergleich zu jenen ihrer Eltern sowohl hinsichtlich der behaupteten Hausdurchsuchungen wie auch hinsichtlich der vorgebrachten Bedrohung und Anzeige seitens des Schwagers ihrer Mutter nicht davon auszugehen ist, dass den iranischen Behörden die Aktivitäten der BF innerhalb der christlichen Glaubensgemeinschaft in Österreich bekannt geworden sind. Eine daraus resultierende der BF im Falle der Rückkehr nach Iran drohende Bestrafung ist daher nicht wahrscheinlich.
Zum Vorbringen betreffend die Konversion zum Christentum in Österreich:
Weiters brachte die BF im gegenständlichen Verfahren als Nachfluchtgrund die Konversion zum Christentum vor.
Dazu ist vorweg auszuführen, dass das BVwG bereits im Erkenntnis vom römisch 40 2020 zum Ergebnis gelangte, dass die BF den christlichen Glauben in Österreich nicht derart angenommen habe, dass sie das Bedürfnis habe, diesen im Falle einer Rückkehr nach Iran innerlich oder äußerlich auszuleben, wobei dieses Erkenntnis in Rechtskraft erwuchs.
Im gegenständlichen Fall ist daher ausschließlich jenes Vorbringen der BF zur behaupteten Konversion auf seine Glaubhaftigkeit zu überprüfen, soweit es sich auf den Zeitraum nach römisch 40 2020 bezieht.
Die BF führte am römisch 40 2021 vor dem BFA zur Frage, warum sie sich gerade für diese Konfession entschieden habe aus, dass sie ihren Vater zur Kirche begleitet habe, der damals schon Protestant gewesen sei. Weshalb gerade dieser Kirchenbesuch zur Hinwendung zum Christentum geführt haben soll, ließ sie allerdings unbeantwortet. Weiters erwähnte die BF ein Wunder, das sie erlebt habe, nachdem sie nach Österreich gekommen sei. Demnach hätten sie und ihre Eltern zu diesem Zeitpunkt nichts von ihrem Bruder gewusst. Als ihre Mutter allerdings vom Pfarrer ein Gebet erhalten habe, hätten sie von ihm erfahren. Die BF legte jedoch nicht dar, ob überhaupt und inwiefern zwischen dem von ihr als Wunder bezeichneten Vorbringen und der Hinwendung zum Christentum ein Zusammenhang erkennbar sein soll. Demgegenüber führte sie am römisch 40 2022 in Ergänzung dazu aus, dass dem ersten Kirchenbesuch Gespräche mit ihrem Vater vorausgegangen wären, der ihr erzählt habe, dass sie Iran aufgrund seiner Konversion zum Christentum verlassen hätten. Daraufhin sei sie neugierig geworden und habe weiter bei ihm nachgefragt. Als er sie in die Kirche mitgenommen habe, sei dies für sie ein besonderes Erlebnis gewesen, weil sie Menschen gesehen habe, die fröhlich zu Gott gebetet hätten. Die religiösen Zeremonien, die sie aus Iran gekannt habe, seien im Vergleich dazu ganz anders gewesen, weil die Menschen dort überwiegend geweint hätten. Sie werde nie vergessen, als man ihr in der Kirche gesagt habe, dass sie immer auf eine fröhliche und freundschaftliche Weise zu Gott sprechen könne. Im weiteren Verlauf der Einvernahme führte sie allerdings abweichend davon aus, dass für die Hinwendung zum Christentum der Umgang der christlichen Personen, die ihr und ihrer Familie in der Asylunterkunft geholfen hätten, ausschlaggebend gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung am römisch 40 2022 verwies die BF zwar einerseits ebenfalls auf den Besuch der Kirche, bei dem sie viele Sachen gesehen habe, die sie vorher nicht gekannt habe. Andererseits führte sie zusätzlich und wiederum abweichend von ihren bisherigen Schilderungen aus, dass sie in Iran nichts vom "richtigen Gott" gewusst und Angst vor dem Koran gehabt habe, sodass sie – nachdem sie nach Österreich gekommen sei – begonnen habe, Fragen zu stellen. Die Frage, weshalb sie sich für das Christentum und nicht für die Religionslosigkeit entschieden habe, beantwortete die BF äußerst oberflächlich und vage sowie abermals abweichend von ihren vorangegangenen Angaben damit, dass sie immer auf der Suche gewesen sei, den wahren Gott zu finden. Da die BF das Motiv für die Hinwendung zum Christentum zunächst überhaupt nicht beschreiben konnte, ihr Vorbringen anschließend steigerte und letztlich widersprüchliche Angaben zu den Gründen, die für die Hinwendung zum Christentum ausschlaggebend gewesen sein sollen, machte, ist eine Annahme des christlichen Glaubens aus innerer Überzeugung nicht glaubhaft.
Während die BF das beginnende Interesse am Christentum unter anderem maßgeblich auf Gespräche mit ihrem Vater stützte, die dem ersten Kirchenbesuch vorangegangen seien, erwähnte dieser in seinen Einvernahmen keinerlei derartige Unterhaltungen mit seiner Tochter über die Gründe für seinen Glaubenswechsel vergleiche Verfahren römisch 40 ). Sofern die BF in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung angab, dass sie ihren Vater gefragt habe, warum er die Religion gewechselt und sich für den baptistischen Zweig entschieden habe, stimmen die von der BF zitierten Antworten ihres Vaters nicht mit dessen eigenen Angaben überein. Die BF gab nämlich zum einen an, ihr Vater habe ihr erklärt, dass Jesus wegen der Sünden gekreuzigt worden sei und sein Leben geopfert habe, damit sie keine Sünde mehr hätten. Weiters habe er ihr erzählt, dass Gott liebevoll sei. Zum anderen führte sie aus, ihr Vater habe sich für die Baptisten entschieden, weil es dort nicht so viel Zwang gebe. Es genüge, mit ganzem Herzen Gott anzubeten. Ihr Vater gab demgegenüber in der mündlichen Verhandlung an, dass er im Christentum das gefunden habe, was er gesucht habe, ohne näher darzulegen, worin diese Suche bestanden haben soll vergleiche Verfahren römisch 40 , Verhandlungsprotokoll vom römisch 40 2022). Im Übrigen geht aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom römisch 40 2020 im vorangegangenen Asylverfahren der BF, GZ. römisch 40 , hervor, dass der Besuch der Kirche nicht wie von der BF behauptet auf Eigeninitiative ihres Vaters erfolgte, sondern die BF und ihre Eltern von ihrem Onkel zur Kirche begleitet wurden. Schließlich lassen die von der BF genannten Fragen, nicht auf eine besondere Neugier der BF betreffend den christlichen Glauben schließen, zumal sich diese äußerst oberflächlich mit dem Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates und dem Grund für den Glaubenswechsel auseinandersetzten. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch aus diesem Vorbringen kein schlüssiges Motiv für den Glaubenswechsel der BF ableiten.
Zur Frage, warum sie den Islam ablehne, gab die BF in der mündlichen Verhandlung zusammengefasst zu Protokoll, dass sie diese Religion nicht selbst gewählt habe, sondern hineingeboren worden sei und den Islam nur mit Angst verbinde, weil ihr in der Schule beigebracht worden sei, dass Gott böse sei und nur zu bestimmten Zeiten angebetet werden dürfe. Sie habe ein Kopftuch tragen und sich komplett bedecken müssen. Sie habe es in Iran gehasst, ein Mädchen zu sein. Demgegenüber habe sie im Christentum derartiges nicht erlebt. Nunmehr sei sie stolz darauf, eine Frau zu sei. Dies wiederspricht zunächst einerseits ihren Angaben im vorangegangenen Asylverfahren, wonach sie vom Islam nicht viel mitbekommen habe. Andererseits spricht die BF damit die in Iran herrschenden staatlich vorgegebenen Kleidungsvorschriften für Frauen an, die daher nicht nur einen religiösen Bezug haben. Zudem deutete die BF im weiteren Verlauf der Befragung vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Auseinandersetzung mit dem Islam aus eigenem Interesse an („Ich habe auch im Islam gesucht, wer das alles erschaffen hat.“) und widersprach damit wiederum ihren eigenen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung, wonach ihr alles, was sie über den Islam wisse, ausschließlich in der Schule beigebracht worden sei. Angesichts dieser widersprüchlichen Ausführungen erscheint die von der BF behauptete Abwendung vom Islam und Hinwendung zum Christentum abermals nicht glaubhaft.
Zu ihrem Glaubensleben führte die BF in ihrer Einvernahme vor dem BFA am römisch 40 2022 aus, dass sie die Kirche besuche, in der Bibel lese, Filme über Jesus und seine Geburt ansehe und auf ihrem Instagram-Profil Bibelverse poste und damit versuche, einen Beitrag zum Missionieren zu leisten.
Zwar besteht an den regelmäßigen Gottesdienstbesuchen einer evangelischen Kirche sowie den in sozialen Medien veröffentlichten Beiträgen der BF aufgrund der vor dem BFA vorgelegten Auszüge aus ihrem Instagram-Profil sowie der am römisch 40 2022 vorgelegten Bestätigung der Kuratorin der evangelischen Pfarrgemeinde A.B. römisch 40 vom römisch 40 2022, und damit an den äußeren Umständen und Aktivitäten der BF bei der evangelischen Pfarrgemeinde A.B. römisch 40 kein Zweifel.
Unter Berücksichtigung der Ausführungen der BF während des Verfahrens ist allerdings aus folgenden Gründen nicht erkennbar, dass diese Aktivitäten auf einer inneren Überzeugung, sich mit dem christlichen Glauben zu beschäftigten, beruhen:
Während die BF in der Einvernahme vor dem BFA am römisch 40 2022 neben den Gottesdienstbesuchen noch das Lesen der Bibel und christliche Filme, die sie auf Youtube angesehen habe, erwähnte, führte sie in der mündlichen Verhandlung aus, dass sie ihren Glauben in Österreich durch die Gottesdienstbesuche am Sonntag und den anschließenden Besuch bei einer österreichischen Freundin ausübe. Ein besonderes eigenes Interesse an der Ausübung ihres Glaubens lässt die BF damit nicht erkennen, zumal nicht ersichtlich ist, inwiefern der Besuch bei einer Freundin mit ihrem Glauben in Zusammenhang stehen soll und die Lektüre der Bibel und Filme zum christlichen Glauben keine Erwähnung in ihrem Alltag mehr fanden.
Zwar brachte die BF in der mündlichen Verhandlung mehrmals zum Ausdruck, dass es ihr besonders darauf ankomme, zu Gott zu beten und zwar immer dann, wenn sie sich selbst dafür entscheide („[…] Es wurde uns immer von Gott erzählt, dass der Gott böse ist, man darf ihn nur zu bestimmten Zeiten anbeten. Als ich krank war, konnte ich nicht einmal zum Gott schreien, weil ich Angst hatte, vielleicht komme ich dann in die Hölle. […]“ (Anmerkung: die BF begründete unter anderem damit die Abwendung vom Islam); „[…] Man muss mit ganzen Herzen Gott anbeten. […]; „[…] Ich kann jederzeit meinen Gott anbeten und mit ihm reden. […]“ (Anmerkung: damit bezog sich die BF auf den christlichen Glauben)). Die Angaben der BF zur Glaubensausübung lassen allerdings nicht erkennen, dass sie dies in ihrem Alltag tatsächlich umsetzen würde. Vielmehr vermittelte die BF den Eindruck, dass Gebete in ihrem Alltag lediglich eine beiläufige Rolle spielen und auf bestimmte Tageszeiten beschränkt sind, zumal sie – abgesehen von einem kurzen Gebet am Morgen, dessen Inhalt sie lediglich oberflächlich beschrieb („Ich bedanke mich bei meinem Gott, dass ich wieder lebe, atmen kann und meine Augen wieder aufgemacht habe.“) und Gebeten vor dem Essen am Abend, die sie nicht näher konkretisierte – keine Angaben dazu machte. Auffällig erscheint zudem, dass die BF – trotz der betonten Bedeutung des Betens – neben dem Vater Unser und dem Glaubensbekenntnis – keine Gebete nennen konnte.
In der Einvernahme vor dem BFA am römisch 40 2022 gab die BF dazu befragt, welches christliche Fest sie zuletzt gefeiert habe und wie, an: „Wir haben den Geburtstag von Jesus gefeiert. […] Weihnachten. Wir haben einen Tannenbaum gekauft und ihn geschmückt. Ca. ein Monat vor dem Geburtstag von Jesus kaufen wir Kerzen, die wir einmal die Woche anzünden […] diese Kerzen bedeuten wir warten auf den Geburtstag von Jesus.“ Das von der BF erwähnte Schmücken des Weihnachtsbaumes lässt allerdings nicht darauf schließen, dass es ihr und ihrer Familie ein Bedürfnis wäre, sich mit der Bedeutung des Festes auch innerhalb des Familienkreises auseinanderzusetzen, zumal die Angaben der BF dazu auch insofern von jenen ihrer Eltern abweichen, als ihr Vater die Kerzen überhaupt nicht erwähnte und ihre Mutter davon sprach, dass die vierte Kerze am Adventkranz im Weihnachtsgottesdienst angezündet worden sei vergleiche Verfahren römisch 40 , Einvernahme vom römisch 40 2022).
Das Vorbringen der BF am römisch 40 2022, wonach bei ihr zuhause über den Glauben gesprochen werde, indem sie die Bibel lesen sowie gemeinsam beten würden und sie ihren Vater um Hilfe bitte, wenn sie etwas nicht verstehe, deckt sich nicht mit den Ausführungen ihrer Eltern. Der Vater der BF brachte nämlich im Gegensatz dazu am römisch 40 2022 vor, dass ihn seine Frau und seine Tochter lediglich gelegentlich nach der Bedeutung der Bibelverse, die er in sozialen Medien poste, fragen würden, wenn sie diese nicht verstehen würden vergleiche Verfahren römisch 40 , Einvernahme vom römisch 40 2022). Die Mutter der BF behauptete abweichend von den Angaben der BF sowie jenen ihres Vaters, sie würden sich über Nächstenliebe unterhalten vergleiche Verfahren römisch 40 ; Einvernahme vom römisch 40 2022). Zwar decken sich die Angaben der BF insofern mit jenen ihrer Mutter, als sie übereinstimmend angaben, gemeinsam zu beten. Während die Mutter der BF allerdings zum Inhalt der Gebete ausführte, dass sie überwiegend für ihren Sohn bete, der sich von ihnen entfernt habe vergleiche Verfahren römisch 40 , Einvernahme vom römisch 40 2022), schilderte die BF, sie würden für die in Iran an Corona erkrankten Personen, die die Maßnahmen nicht einhalten würden wie auch für die in Österreich an Corona erkrankten Personen beten. Die Mutter der BF gab abweichend davon in ihrer Einvernahme am römisch 40 2022 wiederum an, im Weihnachtsgottesdienst sei für die Gesundheit der österreichischen Bevölkerung, die Kranken und dafür, dass Corona endlich überwunden werde, gebetet worden Schließlich finden die von der BF in der mündlichen Verhandlung erwähnten im Rahmen der Beschreibung ihres Alltags geschilderten gemeinsamen Gebete vor dem Essen in den mündlichen Verhandlungen ihrer Eltern vom römisch 40 2022 und römisch 40 2022 keine Erwähnung.
Aufgrund der dürftigen Darstellung der Glaubensausübung der BF außerhalb der Kirche in der mündlichen Verhandlung, der Unstimmigkeiten in Bezug auf die von der BF hervorgehobene Bedeutung von Gebeten sowie die dargestellten Widersprüche zur Glaubensausübung im innerfamiliären Umfeld bestehen erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Religionsausübung der BF.
Weiters ist auszuführen, dass die BF seit ihrem Umzug in die Steiermark im März 2021 offenbar keinerlei Kontakt mehr zur Baptistengemeinde römisch 40 pflegt, was zum einen daraus abzuleiten ist, dass die BF derartige Kontakte weder in ihren nach dem Umzug durchgeführten Einvernahme vor dem BFA am römisch 40 2022 erwähnte und sich zum anderen daraus ergibt, dass die letzte vom Pastor der Baptistengemeinde ausgestellte Bestätigung, welche die Mutter der BF in ihrer Einvernahme am römisch 40 2022 vorlegte und in welcher die Religionsausübung der BF und ihrer Eltern dokumentiert wird, mit römisch 40 2021 datiert ist.
Das Gericht verkennt nicht, dass es plausibel erscheint, dass sich die BF nach ihrem Umzug in die Steiermark für den Besuch einer näher gelegenen Kirche entschied. Doch ist festzuhalten, dass die BF die Gottesdienste der Baptistengemeinde seit Oktober 2018 und damit über einen Zeitraum von knapp zweieinhalb Jahren regelmäßig besuchte, dort im Jänner 2020 getauft wurde, an der Jugendgruppe teilnahm und die Möglichkeit hatte, sowohl die Gottesdienste wie auch die Glaubenskurse in ihrer Muttersprache Farsi zu besuchen. Demgegenüber ergibt sich aus den Ausführungen ihrer Mutter am römisch 40 2022, dass die Gottesdienste in der evangelischen Kirche ihrer damaligen Wohnsitzgemeinde im Wesentlichen auf Deutsch abgehalten werden und gab ihre Mutter darüber hinaus zu Protokoll, dass sie der Priester, bevor er etwas aus der Bibel lese, darauf hinweise, wo die entsprechende Stelle in ihrer persischen Bibel zu finden sei, sodass sie beim Verständnis der in der Kirche vorgetragenen Texte völlig auf sich gestellt sind.
Aufgrund der sohin über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren aufgebauten Kontakte zur Baptistengemeinde, der dort bestehenden Möglichkeit des farsisprachigen Austausches, während dieser in der evangelischen Kirche ihrer Wohnsitzgemeinde nicht geboten wird, dass es sich zwischen dem evangelischen Glauben des Augsburger Bekenntnisses, wie er in der Kirche der Wohnsitzgemeinde der BF praktiziert wird und dem Glauben der Baptisten um unterschiedliche protestantische Zweige handelt, sowie der Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung, wonach sie sich den Baptisten zugehörig fühle, ist trotz der zwischen der BF und der Baptistengemeinde bestehenden räumlichen Distanz nicht nachvollziehbar, dass sie nicht zumindest versuchte, den Kontakt telefonisch, über soziale Medien oder gelegentliche Besuche aufrechtzuerhalten, zumal aus dem von ihrer Mutter vorgelegten Schreiben des Pastors der Baptistengemeinde vom römisch 40 2021 hervorgeht, dass die BF zumindest bis römisch 40 2021 an einer von der Baptistengemeinde veranstalteten Online-Bibelstunde teilgenommen habe und die Aufrechterhaltung des Kontakts damit auch online möglich war. Der vollständige Kontaktabbruch zur Baptistengemeinde, in welcher die BF erstmals in Österreich mit dem christlichen Glauben in Kontakt kam, ist ein weiterer Beleg für die fehlende Ernsthaftigkeit der Religionsausübung.
Hinzu kommt, dass die BF in der mündlichen Verhandlung zu den Unterschieden zwischen dem Christentum und dem Islam auf die Religionsfreiheit verwies und auf die Gleichheit von Männern und Frauen abstellte, die dem Christentum innenwohnen würde, während sich Frauen im Islam ihren Männern unterordnen müssten. Damit verweist die BF allerdings vor allem auf gesellschaftliche Unterschiede zwischen Österreich und Iran und die Ausübung von Grundrechten, die gesetzlich verankert sind und daher keine der jeweiligen Religion innenwohnende Besonderheit darstellen. Spezifisch religiöse Unterschiede konnte die BF demgegenüber nicht darlegen. Ebenso wenig war die BF in der Lage, eine Unterscheidung zwischen den Baptisten und anderen protestantischen Gruppen zu treffen, was im Hinblick darauf, dass sie sich in der mündlichen Verhandlung als Baptistin bezeichnete, eine bloß über die oberflächliche Beschäftigung mit dem Christentum hinausgehende Begeisterung für den Glauben der Baptisten nicht erkennen lässt. Auch das Vorbringen der BF, dass Christen überall in die Kirche gehen könnten, so etwa auch in eine katholische, sofern es keine protestantische gebe, lässt den Rückschluss zu, dass ein tieferes Interesse an einem bestimmten Zweig des Christentums nicht vorliegt. Die von der BF genannten Grundrechte der Religionsfreiheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen genügen daher nicht als alleinige Erklärung für die Annahme eines anderen Glaubens.
Unter Berücksichtigung dieser Unstimmigkeiten vermochte die BF den von der Kuratorin der evangelischen Kirche, welche die BF regelmäßig besucht(e), in ihrem Schreiben vom römisch 40 2022 beschriebenen Eindruck, wonach in den vielen Gesprächen mit der BF über Glaubensfragen ein Bibelwissen aufgefallen sei, das man bei österreichischen Christen erst suchen müsse, in der mündlichen Verhandlung nicht zu vermitteln. Auch sonst kann aus dem Schreiben der Kuratorin nicht auf eine innere Hinwendung der BF zum Christentum geschlossen werden, weil darin weder dargelegt wurde, über welche Glaubensfragen Unterhaltungen geführt worden wären, noch ausgeführt wurde, welches auffallende Wissen die BF dabei vermittelt hätte.
Ebenso wenig kann aus den Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung eine mit dem Religionswechsel einhergegangene religionsbezogene Verhaltens- oder Einstellungsänderung abgeleitet werden. Dazu befragt, wie sich ihr Leben geändert habe, seit sie Christin sei, führte die BF in der mündlichen Verhandlung lediglich oberflächlich und vage aus, dass sie ein sehr ruhiger Mensch geworden sei und nicht so viel Stress habe. Inwiefern dies von ihrer früheren Lebenssituation abweicht, ließ die BF allerdings gänzlich offen, zumal sie weder behauptete, dass sie vor der Beschäftigung mit dem christlichen Glauben laut oder aufbrausend gewesen wäre, noch vorbrachte, dass ihr Leben außerordentlich stressig gewesen wäre. Im Übrigen lassen sich aus Ruhe und weniger Stress keine mit dem christlichen Glauben verbundenen besondere Werte ableiten.
Obwohl die BF regelmäßig Gottesdienste besucht und sich zwischenzeitlich zumindest oberflächliches Wissen über den christlichen Glauben aneignete (beispielsweise zählte sie in der mündlichen Verhandlung Feiertage sowie unterschiedliche christliche Konfessionen und verschiedene protestantische Zweige auf, beschrieb ihre Lieblingsbibelstelle und den Taufvorgang und kannte Martin Luther sowie dessen Geschichte), gelangte das Gericht aufgrund des in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks, insbesondere der wenig überzeugenden Ernsthaftigkeit der Religionsausübung und Auseinandersetzung mit der von der BF gewählten Konfession, der Unstimmigkeiten in Zusammenhang mit den Motiven für die Abwendung vom Islam und Hinwendung zum Christentum und der nicht erkennbaren Einstellungs- oder Verhaltensänderung, nicht zur Überzeugung, dass sich die BF aus innerer Überzeugung dem christlichen Glauben zugewandt hätte.
Zum Vorbringen betreffend das Bekanntwerden der Konversion in Iran:
In ihrer Einvernahme vor dem BFA am römisch 40 2021 brachte die BF vor, dass sie ein paar Freunde aus Iran ständig kontaktiert und bedroht hätten, indem sie ihre Instagram-Fotos mit Beschimpfungen kommentiert hätten. Eine damalige Freundin habe ihr eine persönliche Nachricht geschickt, nachdem sie sie nicht mehr beachtet habe. Im Gegensatz dazu behauptete sie in der Einvernahme am römisch 40 2022, dass sie Kontakt zu Personen in Iran gehabt habe und zwei von ihnen, die sehr streng gläubig seien, ihr vorgeworfen hätten, dass sie ungläubig und abtrünnig geworden sei und ihr mitgeteilt hätten, dass sie keinen Kontakt mehr zu ihr möchten. Die beiden streng gläubigen Personen hätten in der Schule verbreitet, dass sie eine Ungläubige sei und ihre Lehrer und den Schuldirektor in Iran davon informiert. Dies deckt sich allerdings nicht mit den vorangegangenen Angaben der BF während derselben Einvernahme, wonach die gesamte Stadt durch die Anzeige des Mannes ihrer Tante von ihren Aktivitäten auf Instagram erfahren habe („[…] Meine Lehrer im Iran meine Mitschüler sie wissen alle bescheid. Durch die Anzeige von dem Mann meiner Tante wissen jetzt alle bescheid.“). Außerdem weichen die Angaben der BF am römisch 40 2022 insofern von jenen in der Einvernahme am römisch 40 2021 ab, als die BF auf die Frage, ob sie selbst Drohungen auf Instagram erhalten habe, ausdrücklich mit „Nein“ antwortete. Aufgrund dieser Widersprüche ist weder glaubhaft, dass die BF von Personen aus Iran bedroht wurde, noch konnte sie damit glaubhaft machen, dass ihre Aktivitäten in sozialen Medien in ihrem Herkunftsort in Iran bekannt geworden wären.
Weiters behauptete die BF in der mündlichen Verhandlung am römisch 40 2021 vor dem BFA, dass sie eine Freundin in Iran zum Christentum bewegt habe. Am römisch 40 2022 schilderte die BF, dass sie in Österreich vier persisch sprechende Freunde habe, die kein Glaubensbekenntnis hätten und denen sie vom Christentum erzähle, bezeichnete dies selbst aber ausdrücklich nicht als Missionierung. Demgegenüber wurde die in der vorangegangenen Einvernahme genannte Freundin in Iran nicht mehr erwähnt. In der mündlichen Verhandlung am römisch 40 2022 brachte die BF abweichend davon nicht mehr vor, dass sie aktiv auf andere zugehen würde, um sie vom christlichen Glauben zu überzeugen bzw. mit ihnen darüber zu reden. Vielmehr verwies sie nur noch auf ihr Instagram-Profil, wo sie verschiedene Verse veröffentliche, wobei die Menschen von sich aus ihre Seite aufsuchen würden („Die Einen kommen auf meine Seite und auf meiner Seite stehen verschiedene Verse vom Christentum. Es ist für die anderen interessant, vielleicht recherchieren sie darüber oder vielleicht fragen sie darüber jemanden.“). Da sich die Schilderungen der BF zu missionarischen Aktivitäten gegenüber anderen Personen in ihren Einvernahmen vor dem BFA nicht decken und die in der mündlichen Verhandlung von der BF vorgebrachte Veröffentlichung von Bibelversen auf ihrer Instagram-Seite nicht darauf hindeutet, dass sie von sich aus aktiv auf andere zugehen würde, um sie vom christlichen Glauben zu überzeugen, ist nicht davon auszugehen, dass sie für die iranischen Behörden von besonderem Interesse ist und diese auf ihr Instagram-Profil aufmerksam geworden wären oder dieses beobachten würden.
Außerdem ist anzumerken, dass den in ihrer Einvernahme vor dem BFA am römisch 40 2022 vorgelegten Lichtbildern sowie der im Einvernahmeprotokoll dokumentierten Übersetzung dieser Lichtbilder zu entnehmen ist, dass die BF ausschließlich Bibelzitate und -verse veröffentlichte. Dies entspricht auch ihren eigenen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung am römisch 40 2022.
Zwar geht aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation hervor, dass Aktivitäten in sozialen Netzwerken in Zusammenhang mit einem behaupteten Religionswechsel dazu führen können, dass die Betroffenen in das Blickfeld der iranischen Behörden geraten und im Falle der Rückkehr nach Iran Gefahr laufen können, verhaftet und befragt zu werden. Aus den Länderinformationen geht aber auch hervor, dass sich dies vorwiegend auf Personen bezieht, die schon vor ihrer Ausreise in das Blickfeld der iranischen Behörden geraten sind, was auf die BF jedenfalls nicht zutrifft, zumal sich ihre Angaben in Zusammenhang mit Vorfällen in Iran als unglaubhaft erwiesen. Darüber hinaus sind für die iranischen Behörden laut Länderberichten insbesondere Personen von Interesse, die einem "high-profil" entsprechen, indem sie beispielsweise missionarisch tätig sind oder ihre Reichweite politisch nutzen, um etwa Vorteile des Christentums mit Nachteilen des Islams zu vergleichen. Aus den von der BF auf der Startseite ihres Instagram-Profils verwendeten und in der Einvernahme vom römisch 40 2022 übersetzten "Hashtags" Geschlechtergleichberechtigung und Widerstand gegen Kopftuchzwang bzw. Hidjabzwang gehen aufgrund der bloßen Aufzählung der Begriffe nicht zwingend Vorteile bzw. Nachteile der beiden Religionen hervor. Zudem nutzt die BF ihr Instagram-Profil – wie oben näher dargelegt – auch nicht, um aktiv auf andere zuzugehen und sie vom christlichen Glauben zu überzeugen, sondern geht davon aus, dass diese von sich aus auf die von ihr veröffentlichten Bibelverse aufmerksam werden und ist damit auch nicht missionarisch tätig.
Vor diesem Hintergrund sowie des Umstandes, dass die BF weder vor ihrer Ausreise noch während ihres Aufenthaltes in Österreich in das Blickfeld der iranischen Behörden geraten ist, ist nicht davon auszugehen, dass sie im Falle der Rückkehr aufgrund der Teilnahme an Gottesdiensten in Österreich und der Veröffentlichung von Bibelzitaten in sozialen Netzwerken Gefahr laufen würde, von iranischen Behörden, angehalten, verhaftet und bestraft zu werden.
Zur "westlichen" Lebensweise der Beschwerdeführerin:
Die BF hat erkennbar eine Lebensweise angenommen und verinnerlicht, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den in Iran verbreiteten gesellschaftlichen und religiösen Werten, insbesondere, wie sich Frauen zu kleiden und zu verhalten haben, darstellt. Es ist davon auszugehen, dass eine derartige "westliche" Lebensführung dem konservativen iranischen bzw. islamischen Gesellschaftsbild und der strikten Interpretation der Scharia widerspricht und als "unislamisch" angesehen wird.
Die BF verwies auf die Religionsfreiheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen – sohin auf die Ausübung von Grundrechten – und stellte klar, dass sie nicht bereit sei, sich an die in Iran herrschenden Kleidungsvorschriften zu halten („Ich musste ein Kopftuch tragen und meine Haare komplett bedecken.“) und mit der in Iran vorherrschenden Rolle des Mannes nicht einverstanden sei („Wenn ich im Iran bin, muss ich dort jemanden heiraten. Dieser Mann kann auch noch weitere 3 Frauen haben, ich kann nichts dagegen tun. Er könnte mich schlagen, alles mit mir tun, was er möchte. Eine Frau hat laut dem Islam keine Freiheit, die ganze Freiheit liegt entweder bei meinem Vater oder meinem Ehemann. […] Ich möchte nicht meinen Ehemann mit jemanden teilen. Ich möchte nicht geschlagen werden.).
Die BF gab in der mündlichen Beschwerdeverhandlung weiters an, sie habe in Iran kein religiöses Leben geführt. In der Schule habe sie mitmachen müssen, zu Hause aber nicht. In Iran sei ihr die Religion gegeben worden, sie habe sie nicht selbst ausgewählt. Sie habe immer Angst vom Koran gehabt (Verhandlungsprotokoll Sitzung 8). Wenn man sage, man wolle diese Religion nicht, bekomme man die Todesstrafe. Im Islam gebe es keine Stelle für die Frauen, es gebe keine Gleichheit zwischen Männern und Frauen. Im Christentum sei es nicht so. Es gebe Gleichheit. Männer und Frauen seien gleichwertig und sie würden gleichwertig behandelt. (Verhandlungsprotokoll Sitzung 9). Sie wolle nicht gezwungen werden, als Muslimin zu leben. Sie habe nie etwas getan, nicht gebetet und nicht gefastet. Nur in der Schule sei ihnen immer Angst gemacht worden. Ihnen sei erzählt worden, dass Gott böse sei und man ihn nur zu bestimmten Zeiten anbeten dürfe. Als sie krank gewesen sei, habe sie nicht einmal zu Gott schreien können, weil sie Angst gehabt habe, dass sie dann vielleicht in die Hölle komme. Ihnen sei das so in der Schule beigebracht worden. Sie habe Angst vor dieser Religion. In ihrem Heimatland habe es auch sehr viele Vorfälle, vor allem gegenüber Frauen, gegeben (Verhandlungsprotokoll Sitzung 12). Im Christentum werde auch vom Fegefeuer gesprochen, aber es werde nicht gesagt, dass man hineingeworfen werde, wenn man die Haare sehe oder weil man eine Frau sei. Als sie in Iran gewesen sei, habe sie sich dafür gehasst, dass sie ein Mädchen sei, aber jetzt sei sie stolz auf sich. In Iran sei ihnen viel Angst gemacht worden. Die Haare dürften nicht sichtbar sein, die Kleidung dürfe nicht zu kurz sein und sie dürfe niemanden in die Augen schauen (Verhandlungsprotokoll Sitzung 12, 13).
Auch die auf der Startseite ihres Instagram-Profils verwendeten und in der Einvernahme vom römisch 40 2022 übersetzten "Hashtags" Geschlechtergleichberechtigung und Widerstand gegen Kopftuchzwang bzw. Hidjabzwang deuten auf die Ablehnung der iranischen Kleiderordnung und der Ungleichheit zwischen Mann und Frau in Iran durch die BF hin. Diesen Anschauungen entsprechend verwendet die BF im vorgelegten Screenshot ihres Instagram-Profils als Profilbild auch ein Foto von ihr selbst, das sie ohne Kopftuch zeigt. Auch ein aktueller Aufruf (19.04.2024) des Instagram-Profils der BF zeigt, dass sie verschiedene Postings für die Befreiung der Frauen in Iran sowie von ihr selbst in einem "westlichen" Kleidungsstil veröffentlichte.
Die BF hat damit in Österreich eine Lebensweise angenommen, in welcher die Anerkennung, die Inanspruchnahme und die Ausübung ihrer Grundrechte derart zum Ausdruck kommt, dass sie zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden sind.
Ihre Lebensweise steht nicht mit den in Iran vorherrschenden sozialen Normen und Geschlechterrollen im Einklang. Aus den Länderfeststellungen geht hervor, dass verschiedene gesetzliche Verbote es Frauen unmöglich machen, im gleichen Maße wie Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (strenge Kleiderordnung, Verbot des Zugangs zu Sportveranstaltungen, Genehmigungsvorbehalt des Ehemannes oder Vaters bezüglich Arbeitsaufnahme oder Reisen). In rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind iranische Frauen also vielfältigen Diskriminierungen unterworfen. Iran hat die "Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" als einer von wenigen Staaten weltweit nicht unterzeichnet. Im Global Gender Gap Report 2022 des World Economic Forum liegt Iran auf Platz 143 von 146. Frauen sind von einigen staatlichen Funktionen (ua. Richteramt, Staatspräsident) ausgeschlossen. Dem Gesetz nach müssen alle Frauen in Iran ab einem Alter von neun Jahren die islamischen Bekleidungsvorschriften in der Öffentlichkeit einhalten. Frauen, die in der Öffentlichkeit ohne "angemessene Kleidung", wie z. B. einen Stoffschal über dem Kopf (Hijab) und einem Mantel, oder einen Tschador [bodenlanger Umhang, der nur das Gesicht freilässt] auftreten, können zu Auspeitschung oder einem Bußgeld verurteilt werden. In Ermangelung einer klaren gesetzlichen Definition von "angemessener Kleidung", oder der damit verbundenen Bestrafung, sind Frauen dem Ermessen der Disziplinar- und Sicherheitskräfte ausgesetzt. Eine Frau, die ihre Haare oder die Konturen ihres Körpers nicht verhüllt, kann mit einer Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) und/oder einer Geldbuße bestraft werden. Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich. Die Sittenpolizei "Gasht-e Ershad" ist in Iran gefürchtet und wendet bei Kontrollen regelmäßig Gewalt an. Darüber hinaus wurden einige Frauen, die sich an Online- und Offline-Kampagnen gegen den Hijab beteiligt haben, wegen Sicherheitsdelikten angeklagt, da sie den Hijab in der Öffentlichkeit nicht korrekt getragen hatten. Die Regierung will mit neuen Regeln v. a. öffentliche und private Angestellte dazu bringen, Frauen, die gegen die Kleidungsvorschriften verstoßen, zu melden. Auch nach den landesweiten Protesten seit September 2022 bekräftigten iranische Regierungsvertreter ihre Entschlossenheit, die Hijabpflicht für Frauen weiter durchzusetzen. Im September 2023 stimmte das iranische Parlament einem Gesetzesentwurf zu Hijab- und Keuschheitsregeln zu, der erweiterte Strafen bei Verstößen wie der "Verbreitung und Förderung von Nacktheit", "Unsittlichkeit", Hijab-Verletzungen oder "unangemessene Kleidung" in der Öffentlichkeit, in sozialen oder in ausländischen Medien vorsieht. Eine Erweiterung der Zuständigkeiten von Sicherheitsbehörden für die Überwachung und Durchsetzung der Kleiderordnung ist ebenfalls vorgesehen. Vor Gericht werden bei Prozessen wegen Verstößen gegen die Hijabpflicht unter anderem auch Beiträge in den sozialen Medien als Beweise herangezogen. Zahlreiche Beschränkungen zielen auf Frauen in Sport und Kultur ab (Verbot des Singens außer im Chor, Verbot des Tanzens, Verbot des Zugangs zu Fußballstadien, etc.). Die Regierung Raisi hat angekündigt, das Verbot für Frauen, Rad und Motorrad zu fahren, streng durchzusetzen. Die ultrakonservative Regierung wird die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt nicht vorantreiben, weil sie die traditionelle Rolle der Frau in der islamischen Familie stärken und die Geburtenrate erhöhen will. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und die beruflichen Möglichkeiten für Frauen sind durch soziale und rechtliche Regelungen eingeschränkt, mit dem Ziel der Beschränkung von Frauen auf deren Rolle als Mutter und Ehefrau. Oftmals wird von Frauen das Einverständnis des Ehemannes oder Vaters verlangt, um eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können. Gesetzlich kann ein Ehemann seiner Ehefrau jederzeit verbieten, arbeiten zu gehen. Stellenausschreibungen werden oft geschlechtsspezifisch nur für Männer ausgeschrieben. Regelmäßig werden Frauen nach Rückkehr aus der neunmonatigen Karenz gekündigt. Die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit verhindern den gewerkschaftlichen Zusammenschluss erwerbstätiger Frauen. Konservative Politiker haben in der Vergangenheit mehrmals versucht, die Erwerbstätigkeit von Frauen weiter einzuschränken oder in manchen Sektoren zu verbieten. Da alle einfachgesetzlichen Normen mit der Scharia vereinbar sein müssen und in Iran einer traditionellen Rechtsauslegung der Scharia gefolgt wird, kommt es v. a. in den Bereichen zum Ehe- und Scheidungsrecht, dem Sorgerecht und bei Erbschaftsangelegenheiten zu erheblichen Benachteiligungen für Frauen. Prägend ist dabei die Rolle der (Ehe-) Frau als dem (Ehe-) Mann untergeordnet, wie sich sowohl in Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechtes, der Ehescheidung als auch des Erbrechts erkennen lässt. Beispielsweise darf eine verheiratete Frau ohne die schriftliche Genehmigung ihres Mannes (oder Vaters) keinen Reisepass erhalten oder ins Ausland reisen. Nach dem Gesetzbuch für Zivilrecht hat ein Ehemann das Recht, den Wohnort zu wählen, und kann seine Frau daran hindern, bestimmte Berufe auszuüben. Im Straf- bzw. Strafprozessrecht sind Mädchen bereits mit neun Jahren vollumfänglich strafmündig (Buben mit 15 Jahren). Es ist Männern gesetzlich erlaubt, bis zu vier Ehefrauen und eine unbegrenzte Anzahl von "Ehefrauen auf Zeit" zu haben, basierend auf einem schiitischen Brauch, der zivile und religiöse Verträge mit begrenzter Dauer zulässt. Das Gesetz gewährt Frauen kein Recht auf mehrere Ehemänner. Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Gesetze zur Verhinderung und Bestrafung geschlechtsspezifischer Gewalt existieren nicht. Vergewaltigung ist illegal und unterliegt strengen Strafen, einschließlich der Todesstrafe. Das Gesetz betrachtet Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe per Definition als einvernehmlich und behandelt daher keine Vergewaltigung in der Ehe, auch nicht in Fällen von Zwangsheirat. Die meisten Vergewaltigungsopfer melden Verbrechen nicht, weil sie staatliche Vergeltungsmaßnahmen oder Strafen für Vergewaltigungen befürchten, wie zum Beispiel Anklagen wegen Unanständigkeit, unmoralischem Verhalten oder Ehebruch. Ehebruch wiederum ist ebenfalls mit der Todesstrafe bedroht. Auch gesellschaftliche Repressalien oder Ausgrenzung werden von Vergewaltigungsopfern befürchtet. Sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz und in der Familie sind weit verbreitet, für die Männer herrscht gänzliche Straflosigkeit. Zu Beginn des laufenden akademischen Jahres sind im Zuge vermehrter Kontrollen der Einhaltung islamischer Bekleidungsvorschriften auch Maßnahmen zur Geschlechtertrennung im akademischen Umfeld verstärkt worden. Im November 2023 berichteten Medien, dass Studenten aufgrund der Teilnahme an einer gemischtgeschlechtlichen Studentenfeier an der Universität Ghom mit Studienverboten von einem bis vier Semestern belegt wurden.
Unter Zugrundelegung dessen ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die BF angesichts des sie in ganz Iran als Frau, die als (vermeintlich) gegen die sozialen Normen bzw. Sitten verstoßend wahrgenommen würde, betreffenden Risikos, Opfer von gewalttätigen Übergriffen und massiven Einschränkungen zu werden, keinen ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.
Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zum Herkunftsland der BF basieren auf den angeführten Länderberichten zur aktuellen, im Hinblick auf das gegenständliche Verfahren relevanten Situation in Iran. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß Paragraph 6, BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. römisch eins 2013/33 in der Fassung BGBl. römisch eins 2013/122, geregelt (Paragraph eins, leg.cit.). Gemäß Paragraph 59, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, Bundesgesetzblatt Nr. 194 aus 1961,, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, Bundesgesetzblatt Nr. 173 aus 1950,, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, Bundesgesetzblatt Nr. 29 aus 1984,, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Paragraph eins, BFA-VG, BGBl. römisch eins 2012/87 idgF bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und im FPG bleiben unberührt.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (Paragraph 28, Absatz eins, VwGVG).
Zu A)
Zur Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides):
Vorauszuschicken ist, dass die BF im Zeitpunkt der Asylantragstellung bereits volljährig war, weshalb die Bestimmungen des Familienverfahrens nach Paragraph 34, AsylG 2005 im gegenständlichen Fall nicht zur Anwendung gelangen.
Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, Asylgesetz 2005 (AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche etwa VwGH 19.01.2023, Ra 2022/20/0313, mwN). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH v. 26.02.1997, Zl. 95/01/0454; VwGH v. 09.04.1997, Zl. 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse vergleiche VwGH v. 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; vergleiche auch VwGH v. 16.02.2000, Zl. 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.
Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen vergleiche Artikel 9, Absatz eins, der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen vergleiche VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).
Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht vergleiche VwGH 23.01.2019, Ra 2018/01/0442, mwN). Die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung ist auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden VwG vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom VwG nicht getroffen werden vergleiche VwGH 28.06.2018, Ra 2018/19/0262, mwN).
Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen vergleiche VwGH 01.09.2021, Ra 2021/19/0233, mwN).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. - im vorliegenden Fall - des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste vergleiche VwGH 12.06.2020, Ra 2019/18/0440, mwN).
Im Rahmen einer "Wahrunterstellung" wird geprüft, ob im Fall der hypothetischen Richtigkeit des Vorbringens zum Sachverhalt aus den geltend gemachten Tatsachen – allenfalls in Verbindung mit bereits feststehenden Sachverhaltselementen – der behauptete Rechtsanspruch überhaupt begründet werden kann. Ist dies nicht der Fall, bedarf es keiner Ermittlungen und Feststellungen zur Richtigkeit des (allenfalls: übrigen, noch keinen Feststellungen unterworfenen) sachverhaltsbezogenen Vorbringens vergleiche VwGH 25.06.2019, Ra 2019/19/0032, mwN).
Hinsichtlich der behaupteten Konversion ist zunächst auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, wonach es gerade bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung ankommt, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist vergleiche VwGH 26.01.2023, Ra 2022/19/0103, mwN; siehe auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 23.09.2019, E 450/2019).
Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel vergleiche VwGH 21.11.2022, Ra Ra 2022/18/0189, mwN).
In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist entscheidend, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden vergleiche VwGH 07.05.2018, Ra 2018/20/0186, mwN).
Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es darauf an, ob der Asylbewerber aufgrund der Ausübung der Religionsfreiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden vergleiche das Urteil des EuGH vom 5.9.2012, C-71/11 bzw. C-99/11).
Für die Frage des Vorliegens des geltend gemachten Nachfluchtgrundes der Konversion des Fremden zum Christentum kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Fremde schon im Herkunftsstaat mit dem Christentum in Berührung gekommen ist vergleiche das Erk. des VwGH vom 17.9.2008, Zl. 2008/23/0675 hinsichtlich eines iranischen Staatsangehörigen).
Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt, konnte die BF aufgrund der aufgetretenen Ungereimtheiten in Zusammenhang mit der Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, der widersprüchlichen Angaben zu den Motiven für den Religionswechsel und der fehlenden Darlegung einer Verhaltens- oder Einstellungsänderung nicht glaubhaft machen, dass sie in Österreich ernsthaft zum christlichen Glauben konvertiert ist, obwohl sie regelmäßig Gottesdienste besucht, getauft wurde und sich zumindest oberflächliches Wissen des christlichen Glaubens aneignete. Für das Gericht steht daher fest, dass es sich in ihrem Fall um eine Scheinkonversion handelt und ist nicht davon auszugehen, dass sie das Bedürfnis hat, im Falle einer Rückkehr die christliche Religion zu praktizieren, nach außen zu tragen oder gar missionarisch tätig zu sein.
Aus den Länderberichten ist zwar ersichtlich, dass religiöse Aktivitäten in Social-Media-Kanälen von den iranischen Behörden ausgewertet werden können, doch führt die bloße Bekanntgabe einer Konversion nicht zu einer Verfolgung und ist eine solche auch nicht anzunehmen, wenn der Konvertit vor seiner Ausreise nicht ins Blickfeld der iranischen Behörden geraten ist, kein "high-profile"-Fall ist, nicht missionarisch tätig ist und auch keine anderen Aktivitäten politischen Zusammenhangs (beispielsweise auf sozialen Netzwerken Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums zu vergleichen) setzt. Wie beweiswürdigend umfassend dargelegt, trifft dies auf die BF nicht zu und ist daher auch aus den Länderfeststellungen ein diesbezügliches asylrelevantes Verfolgungsrisiko nicht ableitbar.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Herkunftsstaat zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen vergleiche etwa VwGH 28.06.2018, Ra 2017/19/0579; 23.01.2018, Ra 2017/18/0301 bis 0306, mwN).
Wie beweiswürdigend dargelegt, hat die BF eine Lebensweise angenommen und als wesentlichen Bestandteil ihrer Identität verinnerlicht, in der die Anerkennung und Inanspruchnahme ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt und die ein Abweichen von der in Iran vorherrschenden Geschlechterrolle bedeutet. Sie lebt nicht nach der konservativ-iranischen Tradition, lehnt die Umstände, Lebensverhältnisse und Kleidungsvorschriften für Frauen in Iran ab und kann sich auch nicht vorstellen, nach der konservativ-iranischen Tradition zu leben; eine Unterdrückung ihrer praktizierten, nachhaltig verinnerlichten und nach außen getragenen Lebensweise ist der BF nicht zumutbar. Die Lebensweise der BF stellt einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Iran dar. Es ist zu prognostizieren, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr nach Iran als sich nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benehmend wahrgenommen würde und aus diesem Grund mit hoher Wahrscheinlichkeit Eingriffen – seitens der Sittenpolizei bzw. anderer iranischer Behörden oder seitens Privatpersonen – von derart erheblicher Intensität in ihre persönliche physische und/oder psychische Sphäre, insbesondere willkürlichen gewalttätigen Übergriffen und Bestrafungen, struktureller Gewalt, einem Klima ständiger latenter Bedrohung und Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit und dem Zugang zu Bildung und Erwerbstätigkeit, ausgesetzt sein würde, welche eine Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme staatlichen Schutzes begründen. Wie aufgezeigt, würde ihr bezüglich dieser drohenden Eingriffe – sofern diese nicht ohnehin bereits von staatlicher Seite erfolgen – auch kein effizienter staatlicher Schutz zukommen. Der BF droht somit im Fall einer Rückkehr nach Iran mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung. Das dargestellte Verfolgungsrisiko liegt in der Zugehörigkeit der BF zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der Gruppe der am "westlichen" Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten iranischen Frauen vergleiche dazu VwGH 20.06.2002, 99/20/0172, mwN).
Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für die BF nicht, zumal im gesamten Staatsgebiet von Iran von einer Situation auszugehen ist, in der die BF aufgrund ihrer Lebensweise einem erhöhten Sicherheitsrisiko und den daraus resultierenden Einschränkungen ausgesetzt ist. Die iranische Regierung übt im gesamten Staatsgebiet die Herrschaftsgewalt aus und die BF wäre somit in keiner Region vor staatlicher Verfolgung sicher.
Da auch keiner der in Artikel eins, Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, ist der BF gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Zu B)
Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten im Spruchteil A des angefochtenen Bescheides wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
ECLI:AT:BVWG:2024:W242.2217021.2.00