Bundesverwaltungsgericht
26.03.2024
L506 2182893-5
L506 2182893-5/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. GABRIEL als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Libanon, vertreten durch die römisch 40 , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am römisch 40 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 28, Absatz 2, Ziffer eins, VwGVG, Paragraph 68, Absatz eins, AVG und Paragraph 57, AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gem. Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang und Sachverhalt
römisch eins.1. Vorverfahren:
1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF), ein libanesischer Staatsangehöriger, stellte am römisch 40 nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
Begründend brachte der BF vor, im Libanon aufgrund eines Gewaltdeliktes von der Polizei gesucht zu werden. Zudem würde der BF auch einen Einberufungsbefehl für Syrien befürchten.
2. Am römisch 40 langte ein Abschluss-Bericht von der LPD römisch 40 wegen des Verdachtes auf Urkundenunterdrückung (Kennzeichen-Entfremdung) ein. Am römisch 40 wurde von der LPD römisch 40 , ein Abschluss-Bericht wegen des Verdachtes auf Körperverletzung und Verhängung eines Waffenverbotes übermittelt. Am römisch 40 wurde von der LPD römisch 40 , ein Abschluss-Bericht wegen des Verdachtes auf gefährliche Drohung übermittelt. Am römisch 40 langte eine Benachrichtigung von der Einstellung des Verfahrens von der römisch 40 Wels ein. Am römisch 40 übermittelte die LPD römisch 40 einen Abschluss-Bericht wegen des Verdachtes eines Verstoßes gegen Paragraph 28 a, Absatz eins, SMG.
3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (nachfolgend: BFA; belangte Behörde) vom römisch 40 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins. und römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung in den Libanon zulässig sei. Dem BF wurde eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt.
Beweiswürdigend führte das BFA aus, dass aufgrund der offensichtlich widersprüchlichen und nicht nachvollziehbaren Angaben davon auszugehen sei, dass die wahren Gründe für die Ausreise nicht vorgebracht wurden sowie keine asylrelevanten Tatsachen darstellen.
Das BFA führte weiter aus, dass der BF keine glaubhaften Umstände vorgebracht hätte, die eine Verfolgung erkennen lassen würden.
Spruchpunkt römisch II. begründete die belangte Behörde zusammengefasst damit, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation iSd. Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG zu verneinen sei.
Das BFA hielt weiter fest, dass die Rückkehrentscheidung dringend zur Erreichung der in Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele gerechtfertigt sei.
4. Gegen oa. Bescheid erhob der BF durch seine rechtsfreundliche Vertretung fristgerecht Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften.
5. Mit Beschluss vom römisch 40 , GZ: römisch 40 , hat das BVwG den Bescheid erhoben und die Angelegenheit gemäß Paragraph 28, Absatz 3, VwGVG an die belangte Behörde zurückverwiesen, da sich die belangte Behörde hinsichtlich der Beurteilung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Libanon auf veraltete Länderberichte gestützt hat.
6. Das Landesgericht römisch 40 verständigte die Behörde mit Schreiben, GZ: römisch 40 , darüber, dass der BF wegen Paragraph 28 a, Absatz eins, 5. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 14 Monaten rechtskräftig am römisch 40 verurteilt wurde. Gemäß Paragraph 43 a, Absatz 3, StGB wurde der Vollzug eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 11 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen, sodass der zu vollziehende Strafteil 3 Monate betrug.
7. Mit Verfahrensanordnung vom römisch 40 wurde dem BF gem. Paragraph 13, Absatz 2, Ziffer 3, AsylG der Verlust seines Aufenthaltsrechtes im Bundesgebiet aufgrund der Straffälligkeit mitgeteilt. Die Aufenthaltsberechtigungskarte weiß gem. Paragraph 51, AsylG (Nr. römisch 40 ) wurde am römisch 40 durch die PI römisch 40 abgenommen.
8. Am römisch 40 erfolgte eine weitere niederschriftliche Einvernahme des BF. Der BF befragt zu seinem Fluchtgrund aus, im Heimatland von 8 bis 18 Uhr gearbeitet zu haben und keinen richtigen Lohn erhalten zu haben. Die Leute aus dem Dorf des BF seien beten gegangen oder mussten nach Syrien kämpfen gehen; dies wollte der BF nicht.
9. Am römisch 40 trat der BF seine bedingte Haftstrafe in der Dauer von 3 Monaten an.
10. Nach Rücksprachen mit der Bezirkshauptmannschaft römisch 40 , dem Standesamt römisch 40 sowie dem Bezirksgericht römisch 40 wurde der belangen Behörde mitgeteilt, dass keine gemeinsame Obsorge für das Kind römisch 40 beantragt wurde.
11. Am römisch 40 wurde der Aktenvermerk Einleitung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gem. Paragraph 27, Absatz 2, AsylG verfasst.
12. Mit Bescheid des BFA wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom römisch 40 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins. und römisch II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.). Darüber hinaus wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Libanon gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Einer Beschwerde gegen die Entscheidung wurde gemäß Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 2, BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt römisch VI.). Nach Paragraph 55, Absatz eins a, FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt römisch VII.). Gemäß Paragraph 13, Absatz 2, Ziffer eins, AsylG hat der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem römisch 40 verloren (Spruchpunkt römisch VIII.). Gegen den BF wurde gemäß Paragraph 53, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 3, FPG ein auf die Dauer von 7 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt römisch IX.).
13. Die gegen den abweisenden Bescheid des BFA erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG am römisch 40 , GZ: römisch 40 , mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Herkunftsstaat in Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides „Libanon“ zu lauten hat. Zuvor wurde mit Beschluss vom römisch 40 , GZ: römisch 40 , der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, als unzulässig zurückgewiesen.
Beweiswürdigend wurde im Erkenntnis des BVwG ausgeführt, dass es dem BF nicht gelungen ist, den vorgebrachten Fluchtgrund glaubhaft und in sich schlüssig darzulegen. Der BF habe mehrmals unterschiedliche Fluchtgründe vorgebracht und sich mehrmals widersprochen.
Eine glaubhafte Verfolgung im Herkunftsstaat aus einem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen sei nicht gegeben.
Unter Berücksichtigung aller Umstände sei dem BF zudem zu Recht kein Status als subsidiär Schutzberechtigter zu gewähren.
Die Rückkehrentscheidung sei notwendig und nicht unverhältnismäßig, da die öffentlichen Interessen die Interessen des BF an einem Verbleib in Österreich bei weitem überwiegen.
Hinsichtlich des verhängten Einreiseverbotes sowie dessen Dauer wurde dargelegt, dass dieses aufgrund des sehr schwerwiegenden Fehlverhaltens des BF und des Nichtbestehens einer – aus fremdenrechtlichen Sicht maßgeblichen – positiven Zukunftsprognose unter Berücksichtigung aller Umstände notwendig und zulässig sei.
14. Am römisch 40 wurde die zweite Tochter des BF geboren.
15. Am römisch 40 stellte der BF seinen ersten Antrag auf Ausstellung einer Duldungskarte für Fremde. Dieser wurde mit Bescheid vom römisch 40 gemäß Paragraph 46 a, Absatz 4, in Verbindung mit Absatz eins, Ziffer 3, FPG abgewiesen. Am römisch 40 langte beim BFA eine Beschwerde gegen diesen Bescheid sowie ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein. Mit Bescheid des BFA vom römisch 40 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen. Dagegen wurde keine Beschwerde erhoben. Mit Beschluss des BVwG vom römisch 40 wurde die oa. Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom römisch 40 gemäß Paragraph 7, Absatz 4, VwGVG als verspätet zurückgewiesen.
16. Vom römisch 40 sowie vom römisch 40 war der BF inhaftiert.
17. Am römisch 40 wurde von der Behörde ein Mandatsbescheid mit der Verpflichtung zur Unterkunft in der römisch 40 erlassen.
18. Am römisch 40 stellte der BF erneut einen Antrag auf Ausstellung einer Duldungskarte für Fremde. Dieser wurde nach Durchführung einer niederschriftlichen Einvernahme des BF am römisch 40 mit Bescheid vom römisch 40 gem. Paragraph 46 a, Absatz 4, in Verbindung mit Absatz eins, Ziffer 3, FPG abgewiesen. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom römisch 40 , GZ: römisch 40 , als unbegründet abgewiesen.
römisch eins.2. Gegenständliches Verfahren:
1. Am römisch 40 stellte der BF den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Anlässlich der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab der BF befragt zu seinen Gründen für die neuerliche Asylantragstellung an, dieselben Gründe wie früher zu haben. Der BF habe in Österreich jetzt eine Familie gegründet und drei Kinder. Die im Libanon lebenden Familienangehörigen haben dem BF erzählt, dass dieser von bestimmten Milizen gesucht werde. Befragt zu seinen Rückkehrbefürchtungen führte der BF aus, sich vor „Hezb Allah“ Milizen zu fürchten. Diese Miliz habe die Macht im Heimatdorf des BF und beteilige sich an dem Krieg in Syrien. Deswegen sei das Lager, von dem der BF herkomme, extrem gefährdet.
3. Am römisch 40 erfolgte die behördliche Einvernahme des BF. Im Rahmen dieser gab der BF befragt zum Grund der neuerlichen Asylantragsstellung an, Familie und Kinder in Österreich zu haben. Seit dem ersten Asylantrag in Österreich habe sich an den Fluchtgründen nichts geändert. Als weiteren Grund für die Antragstellung führte der BF an, dass es im Libanon immer noch schlecht sei.
4. In einer weiteren Einvernahme vor dem BFA am römisch 40 legte der BF dar, bereits im letzten Verfahren gesagt zu haben, nicht in den Libanon zurück zu können, da dort nach ihm gefahndet werde und er gezwungen werde, am Krieg teilzunehmen. Zudem habe der BF in Österreich eine Frau und drei Kinder. Im Falle einer Rückkehr werde der BF gezwungen werden, am Krieg teilzunehmen. Der BF würde im Rückkehrfall getötet werden und würde er inhaftiert werden.
5. Mit dem nunmehr angefochten Bescheid des BFA vom römisch 40 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltsrecht aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Beweiswürdigend führte das BFA aus, dass das Vorbringen des BF keinen glaubhaften Kern einer Sachverhaltsänderung habe, sondern lediglich eine Ausformung des bereits abgehandelten Sachverhaltes darstelle, sodass entschiedene Sache vorliege. Zudem würden die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG nicht vorliegen.
6. Gegen den oa. Bescheid des BFA erhob der BF durch seine rechtsfreundliche Vertretung fristgerecht mit Schriftsatz vom römisch 40 Beschwerde wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, mangelhafter Beweiswürdigung sowie inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Zum Inhalt der Beschwerde im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen (zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise: VwGH 16.12.1999, 99/20/0524).
Es wurde beantragt, das BVwG möge:
-) eine mündliche Beschwerdeverhandlung zur erneuten Einvernahme des BF anberaumen; -) den angefochtenen Bescheid beheben und in der Sache selbst entscheiden; -) in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.
7. Am römisch 40 fand hg. eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit beider Verfahrensparteien statt.
8. Hinsichtlich des Verfahrensgangs und des Parteivorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
9. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in die Akten der vorherigen Verfahren, in den gegenständlichen Verwaltungsakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des BF, des Bescheidinhaltes sowie des Inhaltes der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Verfahrensbestimmungen
1.1. Zuständigkeit der entscheidenden Einzelrichterin
1.1.1. Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012, idgF, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das Bundesverwaltungsgericht.
1.1.2. Gemäß Paragraph 6, des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 10 aus 2013,, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Aufgrund der geltenden Geschäftsverteilung wurde der gegenständliche Verfahrensakt der erkennenden Einzelrichterin zugewiesen, woraus sich deren Zuständigkeit ergibt.
2. Feststellungen (Sachverhalt):
2.1. Zur Person des BF wird festgestellt:
Der BF ist libanesischer Staatsangehöriger und gehört der arabischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Die Identität des BF steht fest.
Der BF spricht die Sprachen Arabisch und Deutsch.
Der BF wurde im Libanon geboren und stammt aus der Stadt römisch 40 im Zentrallibanon. Im Herkunftsland besuchte der BF acht Jahre lang die Grundschule. Bis zu seiner Ausreise hat der BF für 2 Jahre bei einer Fensterherstellungsfirma gearbeitet.
Der BF führt in Österreich eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen und ist Vater dreier minderjähriger Kinder. Die Lebensgefährtin des BF hat ein weiteres Kind aus einer ehemaligen Beziehung.
Im Libanon leben nach wie vor die Eltern (der Vater arbeitet in einer Werkstatt), ein Bruder sowie zwei Schwestern des BF. Der BF steht in Kontakt zu seiner Familie im Libanon und kommuniziert mit seinen Familienangehörigen über Whatsapp.
Der BF reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seit seiner ersten Asylantragstellung am römisch 40 in Österreich auf. Im Rahmen des ersten Asylverfahrens brachte der BF vor, im Libanon aufgrund eines Gewaltdeliktes von der Polizei gesucht zu werden. Zudem würde der BF auch einen Einberufungsbefehl für Syrien befürchten.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 wurde seitens des BFA ausgeführt, dass aufgrund der offensichtlich widersprüchlichen und nicht nachvollziehbaren Angaben davon auszugehen sei, dass die wahren Gründe für die Ausreise nicht vorgebracht wurden sowie keine asylrelevanten Tatsachen darstellen. Das BFA führte weiter aus, dass der BF keine glaubhaften Umstände vorgebracht hätte, die eine Verfolgung erkennen lassen würden.
Mit Beschluss vom römisch 40 , GZ: römisch 40 , hat das BVwG den Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß Paragraph 28, Absatz 3, VwGVG an die belangte Behörde zurückverwiesen, da sich die belangte Behörde hinsichtlich der Beurteilung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Libanon auf veraltete Länderberichte gestützt hat.
Mit Bescheid des BFA wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom römisch 40 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins. und römisch II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.). Darüber hinaus wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Libanon gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Einer Beschwerde gegen die Entscheidung wurde gemäß Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 2, BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt römisch VI.). Nach Paragraph 55, Absatz eins a, FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt römisch VII.). Gemäß Paragraph 13, Absatz 2, Ziffer eins, AsylG hat der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem römisch 40 verloren (Spruchpunkt römisch VIII.). Gegen den BF wurde gemäß Paragraph 53, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 3, FPG ein auf die Dauer von 7 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt römisch IX.).
Die gegen den abweisenden Bescheid des BFA erhobene Beschwerde vom römisch 40 wurde mit Erkenntnis des BVwG am römisch 40 , GZ: römisch 40 , mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Herkunftsstaat in Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides „Libanon“ zu lauten hat. Zuvor war mit Beschluss vom römisch 40 , GZ: römisch 40 , der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, als unzulässig zurückgewiesen worden. Im genannten Erkenntnis wird festgestellt, dass die Lage in Beirut ausreichend sicher sei und könne der BF auch über den dortigen Flughafen einreisen.
Beweiswürdigend wurde im Erkenntnis des BVwG ausgeführt, dass es dem BF nicht gelungen sei, den vorgebrachten Fluchtgrund glaubhaft und in sich schlüssig darzulegen. Der BF habe mehrmals unterschiedliche Fluchtgründe vorgebracht und sich mehrmals widersprochen. Eine glaubhafte Verfolgung im Herkunftsstaat aus einem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen sei nicht gegeben. Unter Berücksichtigung aller Umstände, auch der prekären Sicherheits- und Versorgungslage im Süden des Landes und an der Grenze zu Syrien, sei dem BF zudem zu Recht kein Status als subsidiär Schutzberechtigter zu gewähren. Die Rückkehrentscheidung sei notwendig und nicht unverhältnismäßig, da die öffentlichen Interessen die Interessen des BF an einem Verbleib in Österreich bei weitem überwiegen. Hinsichtlich des verhängten Einreiseverbotes sowie dessen Dauer wurde dargelegt, dass dieses aufgrund des sehr schwerwiegenden Fehlverhaltens des BF und des Nichtbestehens einer – aus fremdenrechtlichen Sicht maßgeblichen – positiven Zukunftsprognose unter Berücksichtigung aller Umstände notwendig und zulässig sei.
Der BF ist seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und verblieb weiterhin im österreichischen Bundesgebiet.
Insgesamt stellte der BF in der Vergangenheit zwei Anträge auf Ausstellung einer Duldungskarte. Diese wurden beide rechtskräftig negativ entschieden.
Den gegenständlichen Folgeantrag stellte der BF am römisch 40 .
Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
Der BF wurde in Österreich straffällig und liegen folgende Verurteilungen vor:
01) römisch 40
RK römisch 40 Paragraph 28 a, (1) 5. Fall SMG; Datum der (letzten) Tat römisch 40 ; Freiheitsstrafe 14 Monate, davon Freiheitsstrafe 11 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre; Anordnung der Bewährungshilfe; Junge(r) Erwachsene(r)
zu römisch 40 ; Aus der Freiheitsstrafe entlassen am römisch 40 , bedingt, Probezeit 3 Jahre; römisch 40
zu römisch 40 ; Probezeit der bedingten Entlassung verlängert auf insgesamt 5 Jahre; römisch 40
zu römisch 40 ; Probezeit des bedingten Strafteils verlängert auf insgesamt 5 Jahre; römisch 40
zu römisch 40 ; Aufhebung der Bewährungshilfe; römisch 40
02) römisch 40
RK römisch 40 Paragraph 12, 3. Fall StGB, Paragraph 15, StGB Paragraphen 127,, 129 (1) Ziffer eins,, 129 (2) Ziffer eins, StGB; Paragraphen 127,, 128 (1) Ziffer 5,, 129 (1) Ziffer eins,, 129 (2) Ziffer eins, StGB; Freiheitsstrafe 24 Monate
zu römisch 40 ; Aus der Freiheitsstrafe entlassen am römisch 40 , bedingt, Probezeit 3 Jahre; Anordnung der Bewährungshilfe; römisch 40
2.2. Zum Folgeantrag des BF:
An den Fluchtgründen des BF hat sich seit seiner ersten Asylantragstellung in Österreich nichts geändert. Der BF konnte seit der Rechtskraft der letzten Entscheidung über seinen ersten Asylantrag kein neues entscheidungsrelevantes individuelles Vorbringen glaubhaft dartun.
Es kann nicht festgestellt werden, dass sich eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes seit der rechtskräftigen Entscheidung des ersten Asylantrages des BF mit Erkenntnis des BVwG am römisch 40 , GZ: römisch 40 , ergeben hat.
In Bezug auf die individuelle Lage des BF im Falle einer Rückkehr in den Libanon kann keine, sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über den Antrag inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.
Im gegenständlichen Verfahren ergab sich weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Libanon noch in sonstigen in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umständen.
2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat wird festgestellt:
1. Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen
Keine aktuellen Kurzinformationen vorhanden.
2. COVID-19
Laut einem Bericht des libanesischen Gesundheitsministerium (MoPH) zur Beobachtung von COVID-19-Infektionen im Libanon betrug die COVID-19 bedingte Belegung der Intensivstationen in der Woche vom 13.2.2023 bis zum 20.2.2023 13 %. Die lokale PCR-Positivitätsrate lag bei 8,4 %. 71,2 % der Bevölkerung haben laut offiziellen Daten mindestens eine COVID-19 Impfdosis erhalten (MoPH 20.2.2023). Das Gesundheitsministerium hat eine Hotline für Aufklärung und Fragen zu COVID-19 eingerichtet (MoPH 2023). Der Libanon hat im Januar 2021 eine elektronische Plattform für Bürger und Einwohner eingerichtet, die sich gegen COVID-19 impfen lassen wollen (AN 29.1.2021; vergleiche MoPH 28.1.2021). Ähnlich wie in vielen anderen Ländern wurde eine App zur Ermittlung von Kontaktpersonen, „Ma3an“, entwickelt, um Menschen zu benachrichtigen, die möglicherweise mit COVID-19 in Kontakt gekommen sind. Auf kommunaler Ebene haben die lokalen Gemeinden die Aufgabe der Nachverfolgung von Fällen und der Verhängung von Quarantänen übernommen (RAND 6.5.2022).
Im Libanon traf die Pandemie mit der Wirtschaftskrise zusammen. Die Krankenhäuser befanden sich bereits in einer schwierigen Situation, was sich auf alle gesundheitsbezogenen Aspekte, auch auf COVID-19 Patienten, auswirkte. Unmittelbar nach Ausbruch der Pandemie wurde deutlich, dass private Krankenhäuser keine Abteilung für COVID-19 Patienten öffnen wollten, und der libanesische Staat war nicht in der Lage, sie dazu zu verpflichten, zumal die für die Gesundheitsversorgung bereitgestellten öffentlichen Gelder aufgebraucht waren und in der Vergangenheit nicht vollständig an diese Krankenhäuser gezahlt wurden. Es dauerte Wochen, bis einige private Krankenhäuser beschlossen, einige Abteilungen für COVID-19-Patienten zu öffnen (HBS 2.12.2022). Die COVID-19-Krise verschärfte auch die bereits bestehenden Ungleichheiten in den Bereichen Beschäftigung und Bildung und verringerte die Chancen für viele der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen (UNICEF 6.2022). Besonders schwerwiegende Auswirkungen hatte COVID-19 auf Flüchtlingsgemeinschaften, insbesondere auf Frauen und Mädchen, was durch die grundlegenden Hindernisse, mit denen sie konfrontiert sind, noch verstärkt wurde: Bewegungsfreiheit, Schutz, Zugang zu Gesundheitsdiensten und Beschäftigung. Auch über die Pandemie hinaus deuten Schätzungen von Hilfsstudien darauf hin, dass COVID-19 noch lange Zeit unverhältnismäßig starke Auswirkungen auf Flüchtlingsfrauen im Libanon haben wird, insbesondere auf diejenigen, die Gewalt ausgesetzt waren (HBS 2.12.2022).
Quellen:
- AN - Arab News (29.1.2021): Lebanon launches online platform for vaccine registration, https://www.arabnews.com/node/1800166/middle-east, Zugriff 21.2.2023
- HBS - Heinrich Böll Stiftung – Beirut Office (2.12.2022): https://lb.boell.org/sites/default/files/2022-12/fqml-en-e.pdf, Zugriff 30.1.2023
- MoPH - Ministry of Public Health [Libanon] (20.2.2023): Monitoring of COVID-19 Infection In Lebanon – 20/2/2023, https://www.moph.gov.lb/en/Pages/127/43750/monitoring-of-covid-19-, Zugriff 21.2.2023
- MoPH - Ministry of Public Health [Libanon] (2023): Novel Coronavirus 2019, https://www.moph.gov.lb/en/Pages/2/24870/novel-coronavirus-2019-, Zugriff 21.2.2023
- MoPH - Ministry of Public Health [Libanon] (28.1.2021):
COVID-19 Vaccine Platform (Presentation), https://www.moph.gov.lb/userfiles/files/Prevention/nCoV-%202019/Covid19_Vaccine_Process(2020)-1-1.pdf, Zugriff 21.2.2023
- RAND (6.5.2022): Lebanon: Challenges and Successes in COVID-19 Pandemic Response, https://www.rand.org/blog/2022/05/lebanon-challenges-and-successes-in-covid-19-pandemic.html, Zugriff 21.2.2023
- UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (6.2022): Synthesis of the crisis impact on the Lebanese labour market and potential business, employment and training opportunities, https://www.unicef.org/lebanon/media/8726/file/ILO%20UNICEF%20Synthesis%20report%20EN%20.pdf, Zugriff 21.2.2023
3. Politische Lage
Der Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Ta’if-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten „Dokument der Nationalen Versöhnung“ (AA 5.12.2022). Der Nationalpakt verteilt die Regierungsgewalt auf einen maronitischen christlichen Präsidenten, einen schiitischen Sprecher der Abgeordnetenkammer (Parlament) und einen sunnitischen Premierminister (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022, AA 5.12.2023). Bei der im Abkommen von Ta’if vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es keine Fortschritte (AA 5.12.2022). Die libanesische Elite ist nicht bereit, ein System abzuschaffen, das ihre Macht garantiert, oder sich der Kontrolle durch ein neues, demokratischeres und rechenschaftspflichtiges Parlament zu stellen (CH 11.8.2021).
Die 128 Abgeordnetensitze im Parlament werden nach einem detaillierten Schlüssel für die 18 anerkannten Religionsgemeinschaften je zur Hälfte von Christen (zwölf anerkannte christliche
Konfessionen) bzw. Muslimen (Sunniten, Schiiten, Drusen, Alawiten und Ismailiten) besetzt.
Das libanesische System wird von der Zusammenarbeit der verschiedenen religiösen Gruppen getragen; daneben spielen Familien- und regionale Interessen eine große Rolle (AA 5.12.2023). Das komplizierte konfessionelle Proporzsystem, das Christen, Schiiten und Sunniten gleichermaßen Zugang zu Macht und Ämtern sichern soll, hat in den vergangenen Jahren zu einer vollständigen Blockade des politischen Prozesses geführt (WZ 15.1.2023). In der libanesischen Politik bestehen formelle und informelle Allianzen, allerdings häufig auch über die religiöse Kluft hinweg. Die „Allianz des 8. März“ ist eine Koalition, deren zwei führende Parteien schiitische Muslime (Hizbollah) und Christen (Freie Patriotische Bewegung) sind, die durch eine pro-syrische Agenda vereint sind. Ihnen gegenüber steht die „Allianz des 14. März“, eine anti-syrische Gruppe, die von sunnitischen Muslimen und christlichen Maroniten dominiert wird. Die ungewöhnliche und mangelhafte politische Struktur des Libanon ermöglicht es der Hizbollah, über die Allianz des 8. März enorme Macht und parlamentarische Kontrolle auszuüben, ohne selbst über eine hohe Anzahl von Sitzen im Parlament zu verfügen (CH 11.8.2021). Außerdem hat die Hizbollah im Laufe der Jahre eine mehrdimensionale Strategie verfolgt, die neben ihrem Militärapparat auch mehrere politische Mittel umfasst. Neben der Bildung eines politischen Gürtels aus nicht-schiitischen Verbündeten (Christen, Alawiten, Drusen und Sunniten) gehörte auch die massive Unterwanderung der öffentlichen Verwaltung und anderer Einrichtungen wie der allgemeinen Gewerkschaft und der Verkehrsgewerkschaft dazu (USIP 8.6.2022). Zumindest in ihren Hochburgen (Teile der Bekaa-Ebene, südliche Beiruter Vororte, Teilgebiete des Südens) stellt die Hizbollah auch weiterhin eine Art Staat im Staat dar und übernimmt dort die sozialen und politischen Aufgaben (AA 5.12.2022). In der Europäischen Union wird bislang lediglich der „militärische Arm“ der Hizbollah als Terrororganisation gelistet. Diese künstliche Unterscheidung zwischen einem militärischen und dem politischen Arm, die von der Hizbollah selbst negiert wird, ist international umstritten (ELNET 5.5.2021; vergleiche ST 12.5.2021). Neben Deutschland, den USA, Kanada und den Niederlanden hat auch Großbritannien die Hizbollah als Ganzes verboten. In Österreich gilt für die Hizbollah – also auch für den politischen Arm – ein Symbole-Verwendungsverbot (ST 12.5.2021).
Die jüngsten Parlamentswahlen im Libanon fanden am 15.5.2022 statt (AA 5.12.2023). Die Wahlen waren die ersten seit einem landesweiten Aufstand im Jahr 2019 gegen eine politische Elite, die weithin als korrupt und ineffektiv gilt. Die Hizbollah und ihre verbündete Allianz gewannen 62 der 128 Sitze, und haben damit ihre Mehrheit im libanesischen Parlament verloren. Die Hizbollah behielt zwar ihre eigenen Sitze, aber die christliche Freie Patriotische Bewegung von Präsident Michel Aoun verlor an Unterstützung. Die „Lebanese Forces“, eine rivalisierende christliche Partei mit engen Beziehungen zu Saudi-Arabien, gewann 19 Sitze und damit 15 Sitze mehr als bei den letzten Wahlen im Jahr 2018 (BBC 17.5.2022). Kandidaten, die als Opposition zum Establishment gelten, haben 13 Sitze im Parlament gewonnen (OT 17.5.2022). Das zersplitterte Parlament war allerdings nicht in der Lage, einen neuen Präsidenten zu wählen, sodass nach dem Ende der Amtszeit von Michel Aoun im Oktober 2022 ein Vakuum entsteht. Michel Moawad, ein Anti-Hizbollah-Kandidat, hat in mehreren Wahlgängen die meisten Stimmen erhalten, aber keine Mehrheit. Die Abstimmung wird so lange fortgesetzt, bis jemand die Pattsituation durchbrechen kann. Da es keinen Präsidenten gibt, ist die Regierung von Premierminister Najib Mikati nur geschäftsführend tätig, was die anhaltende Wirtschaftskrise im Libanon noch verschärft, da die Währung einen neuen Rekordtiefstand erreicht hat (21Vote 21.2.2023).
Die Hizbollah und ihr wichtigster Verbündeter, die Amal-Bewegung von Nabih Berri, setzen sich für eine ausschließliche Vertretung der schiitischen Gemeinschaft ein, indem sie alle ihrer Gemeinschaft zugewiesenen Parlamentssitze und den gesamten Quotenanteil der Schiiten in jeder Regierung kontrollieren. Im System der Machtteilung im Libanon bedeutet dies, dass sie gegen jede Entscheidung ein Veto einlegen oder jede Sitzung des Parlaments oder der Regierung für ungültig erklären können, indem sie alle schiitischen Mitglieder auffordern, nicht teilzunehmen oder dagegen zu stimmen. Letztlich kann die Partei außerdem immer noch auf Einschüchterung und direkte Aktionen zurückgreifen und ihre bewaffneten Mitglieder mobilisieren, wenn die politischen Mittel nicht ausreichen (USIP 8.6.2022). Die wachsende wirtschaftliche Not und die Frustration über das politische System lösen im ganzen Land häufig weit verbreitete Proteste und zivile Unruhen aus, bei denen konkrete finanzielle und wirtschaftliche Maßnahmen zur Eindämmung der Krise gefordert werden (REACH 6.4.2022). Mehr als 200 Menschen protestierten Ende Januar 2023 vor dem libanesischen Justizpalast gegen die Versuche, die Ermittlungen im Zusammenhang mit der tödlichen Explosion im Beiruter Hafen im Jahr 2020 zu stoppen. Richter Tarek Bitar kündigte an, dass er die Ermittlungen zu der Explosion, bei der mehr als 220 Menschen ums Leben kamen, wieder aufnehmen werde, nachdem sie aufgrund von juristischen Auseinandersetzungen und politischem Druck auf höchster Ebene 13 Monate lang ausgesetzt worden waren (Reuters 26.1.2023). Im Oktober 2021 wurden bei einer Demonstration, zu der die Schiitische Amal und Hizbollah aufgerufen hatten, um die Absetzung des Richters Bitar zu fordern, sieben Menschen getötet und Dutzende verwundet (ToI 16.10.2021).
Quellen:
- 21Vote (21.2.2023): Ongoing Middle East Elections - Lebanon Indirect Presidential Election (by parliament): Continuing, https://21votes.com/middle-east-110/, Zugriff 1.3.2023
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023
- BBC - British Broadcasting Corporation (17.5.2022): Lebanon election: Hezbollah and allies lose parliamentary majority, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-61463884, Zugriff 1.3.2023
- CH - Chatham House (11.8.2021): Lebanon’s politics and politicians, https://www.chathamhouse.org/2021/08/lebanons-politics, Zugriff 28.2.2023
- ELNET (5.5.2021): Gemeinsam gegen Hisbollah – eine Bestandsaufnahme für Deutschland, Österreich und die Schweiz, https://elnet-deutschland.de/themen/politik/gemeinsam-gegen-hisbollah-eine-bestandsaufnahme-fuer-deutschland-oesterreich-und-die-schweiz/, Zugriff 1.3.2023
- FH - Freedom House (3.6.2022): Freedom on the Net 2022 – Lebanon, https://freedomhouse.org/country/lebanon/freedom-net/2022, Zugriff 8.2.2023
- OT - L’Orient Today (17.5.2022): Lebanon elects a new Parliament: A breakdown of divisions, winners and losers, https://today.lorientlejour.com/article/1299886/lebanon-elects-a-new-parliament.html, Zugriff 1.3.2023
- REACH - REACH Initiative (6.4.2022): Lebanon: 2021 Multi-Sector Needs Assessment - April 2022, https://reliefweb.int/report/lebanon/lebanon-2021-multi-sector-needs-assessment-april-2022, Zugriff 23.1.2023
- Reuters (26.1.2023): Lebanese protest as fate of blast probe hangs in balance, https://www.reuters.com/world/middle-east/lebanese-protest-anger-over-efforts-hamstring-blast-probe-2023-01-26/, Zugriff 1.3.2023
- ST - Der Standard (12.5.2021): Österreich verbietet sämtliche Hisbollah-Symbole, https://www.derstandard.at/story/2000126602629/oesterreich-verbietet-saemtliche-hisbollah-symbole, Zugriff 1.3.2023
- ToI - The Times of Israel (16.10.2021): A who’s who of the groups involved in Beirut violence that left 7 dead, https://www.timesofisrael.com/the-groups-involved-in-deadly-beirut-violence-that-left-7-dead/, Zugriff 1.3.2023
- USIP - United States Institute of Peace (8.6.2022): Lebanon’s Election Offers Lessons for Now and the Future, https://www.usip.org/publications/2022/06/lebanons-election-offers-lessons-now-and-future, Zugriff 1.3.2023
- WZ - Wiener Zeitung (15.1.2023): Krisenstaat ohne Exit-Strategie, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2134289-Krisenstaat-ohne-Exit-Strategie.html, Zugriff 23.1.2023
4. Sicherheitslage
[Anm.: Für Informationen bzgl. der Sicherheitslage in den palästinensischen Flüchtlingslagern siehe Kapitel 20.2 „Palästinensische Flüchtlinge“]
Die allgemeine Sicherheitslage ist durch die Proteste und den wirtschaftlichen Abschwung unübersichtlicher geworden (AA 12.5.2022). Es kommt zu Demonstrationen, Straßenblockaden, Streiks und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Gruppierungen sowie zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften. Dabei werden vereinzelt auch Schusswaffen eingesetzt (EDA 14.2.2023). Diebstähle, Schießereien und Zusammenstöße nehmen zu, da immer mehr Menschen verzweifelt versuchen, über die Runden zu kommen, was manchmal zu tödlichen Auseinandersetzungen führt. Die von den Banken eingeführten informellen Kapitalverkehrskontrollen für Einlagen haben dazu geführt, dass einige Menschen in verschiedenen Bankfilialen im ganzen Land Geiseln genommen haben, um an ihr Geld zu kommen. Die sich verschlechternde Sicherheitslage stellt eine besondere Herausforderung für die libanesischen Sicherheitskräfte dar, die ohnehin schon mit der Wirtschaftskrise zu kämpfen haben, durch die ihre Ressourcen schrumpfen und die Gehälter ihrer Mitarbeiter gekürzt werden (NL 27.9.2022).
Die libanesische schiitische Miliz Hizbollah kontrolliert den Zugang zu Teilen des Libanon und operiert innerhalb des Landes relativ ungestraft (CRS 11.1.2023). Ihr „militärischer Arm“ ist von der EU seit 2013 als terroristische Vereinigung gelistet. Die Hizbollah übernimmt zumindest in ihren Hochburgen (Teile der Bekaa-Ebene, südliche Beiruter Vororte, Teilgebiete des Südens) faktisch auch die Funktion einer Sicherheitsbehörde (AA 5.12.2023). Im Libanon präsent sind neben der Hizbollah auch andere Terrorgruppen wie die Abdallah Azzam Brigades, al-Aqsa Martyrs Brigade, Asbat al-Ansar, Hamas, an-Nusrah Front (Hay'at Tahrir ash-Sham), Palestine Liberation Front, Islamic Revolutionary Guard Corps/Qods Force, Islamic State of Iraq and ash-Sham (ISIS); PFLP-General Command; Popular Front for the Liberation of Palestine (CIA 14.2.2023).
Südlibanon
Viele Gebiete (Zonen) im gesamten Südlibanon gelten als Militärgelände der Hizbollah. Der Zugang zu diesen Gebieten ist untersagt. Die örtliche Zivilbevölkerung, die United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL)-Truppen und sogar die libanesische Armee haben keinen Zugang zu diesen Gebieten. Einige der Gebiete befinden sich in unmittelbarer Nähe von Dörfern (Alma 16.6.2022). Entlang der Blauen Linie im Südlibanon kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen dem Libanon und Israel. Bei den grenzüberschreitenden Streitigkeiten zwischen beiden Seiten werfen die Libanesen Israel wiederholt vor, den libanesischen Luftraum und die Hoheitsgewässer zu verletzen. Im Oktober 2022 legten Libanon und Israel unter Vermittlung der USA nach zwei Jahren indirekter Verhandlungen ihre Seegrenze fest. Die beiden Länder befinden sich technisch gesehen immer noch im Kriegszustand und unterhalten keine diplomatischen Beziehungen, was jede Art von Kontakt zwischen libanesischen und israelischen Bürgern verbietet (AlM 23.1.2023).
Am 29.8.2022 nahmen Beamte des libanesischen Generaldirektorats für Sicherheit in Bint Jbeil mehrere Männer fest, die verdächtigt wurden, ISIS-Terroristen zu sein. Ihnen wurde vorgeworfen, in den Reihen von ISIS in Syrien zu kämpfen, illegal in den Libanon einzudringen und mit Drogen und Falschgeld zu handeln (ITIC 6.9.2022).
Nordlibanon
Es bestehen große Spannungen in der Region, die sich durch den Konflikt in Syrien und die Anwesenheit zahlreicher Flüchtlinge verschärft haben. Es sind bewaffnete Gruppierungen aktiv, und Grenzüberschreitungen durch Kämpfer sind häufig. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen der Armee und militanten Gruppierungen oder zwischen verschiedenen politisch-religiösen Gruppierungen, vor allem in und um Ersal, Ra’s Baalbek und Qaa. Die Gefahr von weiteren Anschlägen und einer Eskalation ist groß (EDA 14.2.2023). Die Schwächung der Streitkräfte hat ihre Fähigkeit eingeschränkt, schnell auf Notsituationen zu reagieren, einschließlich Zusammenstößen zwischen bewaffneten Gruppen im Nordlibanon. Einige Gemeinden und politische Parteien in Gebieten wie Keserwane und Matn (Gouvernement Berg-Libanon), die nördlich der Hauptstadt Beirut (Gouvernement Beirut) liegen, führen lokale Maßnahmen durch, um die steigende Kriminalität zu bekämpfen, wobei die Einwohner als Wächter fungieren und abwechselnde Schichten übernehmen. Ähnliche Maßnahmen gibt es bereits in den von der schiitischen Bewegung Hizbollah kontrollierten Gebieten in den Vororten der Hauptstadt (CR 18.10.2022).
Grenzgebiet zu Syrien
Der Konflikt in Syrien wirkt sich auf die Sicherheitslage entlang der Grenze aus. In der Nähe der syrischen Grenze ereigneten sich in der Vergangenheit wiederholt Kämpfe zwischen extremistischen Gruppierungen und den libanesischen Streitkräften (EDA 14.2.2023).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.1.2023): Libanon: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/libanon-node/libanonsicherheit/204048, Zugriff 16.2.2023
- AlM - Al-Monitor (23.1.2023): Lebanon's army 'on alert' following border tension with Israel, https://www.al-monitor.com/originals/2023/01/lebanons-army-alert-following-border-tension-israel, Zugriff 16.2.2023
- Alma (16.6.2022): The Mapping of Hezbollah’s Military Areas in South Lebanon, https://israel-alma.org/2022/06/16/the-mapping-of-hezbollahs-military-areas-in-south-lebanon/, Zugriff 16.2.2023
- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (14.2.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 16.2.2023
- CR - Control Risks (18.10.2022): Economic crisis to continue to negatively affect Lebanon's security environment, https://www.controlrisks.com/our-thinking/insights/big-picture-series-economic-crisis-to-continue-to-negatively-affect-security-environment, Zugriff 16.2.2023
- CRS - Congressional Research Service (11.1.2023): Lebanese Hezbollah, https://crsreports.congress.gov/product/pdf/IF/IF10703, Zugriff 16.2.2023
- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (14.2.2023): Reisehinweise für Libanon, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/libanon/reisehinweise-libanon.html#edafd977b, Zugriff 16.2.2023
- ITIC - Meir Amit Intelligence and Terrorism Information Center (6.9.2022): Spotlight on Terrorism: Hezbollah, Lebanon and Spotlight on Terrorism: Hezbollah, Lebanon and Syria (August 21 – September 5, 2022), https://www.terrorism-info.org.il/en/spotlight-on-terrorism-hezbollah-lebanon-and-spotlight-on-terrorism-hezbollah-lebanon-and-syria-august-21-september-5-2022/, Zugriff 16.2.2023
- NL - Now Lebanon (27.9.2022): Security situation in Lebanon worsens as economic crisis continues, https://nowlebanon.com/security-situation-in-lebanon-worsens-as-economic-crisis-continues/, Zugriff 16.2.2023
5. Rechtsschutz / Justizwesen
Die Verfassungsinstitutionen, insbesondere Parlament, Regierung und Justizwesen, funktionieren im Prinzip nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, sind aber in ihrer tatsächlichen Arbeit nicht- verfassungsgemäßen politischen Einflussnahmen ausgesetzt. Neben den in mehrere Instanzen gegliederten und strukturell dem französischen Justizwesen angeglichenen Zivilgerichten existieren in Libanon konfessionelle Gerichtsbarkeiten, in deren Zuständigkeit die familienrechtlichen, bei den islamischen Religionsgemeinschaften auch die erbrechtlichen Verfahren, fallen (AA 5.12.2022). Nach der libanesischen Verfassung werden die Personenstandsgesetze von jeder einzelnen Glaubensgemeinschaft erlassen, wobei das Gewohnheitsrecht mit religiösen Grundsätzen kombiniert wird (AN 26.8.2022). Frauen werden nach wie vor durch 15 verschiedene glaubensbasierte Personenstandsgesetze diskriminiert. Zu den Diskriminierungen gehört die Ungleichbehandlung beim Zugang zu Scheidung, Sorgerecht, Erbschaft und Eigentumsrechten (HRW 12.1.2023). Im Libanon gibt es außerdem keine zivile Ehe (HRW 7.2.2023). Jede der großen Glaubensgemeinschaften hat ein anderes gesetzliches Heiratsalter (AN 26.8.2022). Eine Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität diskriminiert, ist in Libanon nicht zu erkennen. Allgemeine kriminelle Delikte werden im Rahmen feststehender straf- bzw. strafprozessrechtlicher Vorschriften nach insgesamt weitgehend rechtsstaatlichen Prinzipien verfolgt und geahndet (AA 5.12.2022).
Die Rechtsprechung ist gemäß Verfassung unabhängig. Es kommt jedoch zu politischer
Einflussnahme. Die Einhaltung der in der Verfassung garantierten richterlichen Unabhängigkeit ist in der praktischen Durchführung durch verbreitete Korruption, chronischen Richtermangel und politische Einflussnahme eingeschränkt. Auch die Gewaltenteilung wird in der Praxis nur eingeschränkt respektiert; insbesondere in politisch brisanten Ermittlungsverfahren kommt es zur Einflussnahme auf die Justiz (AA 5.12.2022). Diverse Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz haben die laufenden Ermittlungen in einigen hochkarätigen Strafsachen der letzten Zeit beeinträchtigt, wie z.B. die Untersuchung der Explosion im Hafen von Beirut und die Untersuchung der Rolle des Gouverneurs der libanesischen Zentralbank beim finanziellen Zusammenbruch des Landes. Diese Einmischung hat einmal mehr gezeigt, wie anfällig die libanesische Justiz für willkürliche, unzulässige oder ungerechtfertigte politische Einmischungen ist, was ihre anhaltenden Mängel und die insgesamt fehlende Unabhängigkeit des libanesischen Justizsystems widerspiegelt (ICJ 12.2022).
Das Rechtssystem unterscheidet im Strafrechtsbereich zwischen ordentlichen und
Militärgerichten. Delikte gegen die Staatssicherheit, gegen das Militär oder deren Angehörige unterliegen dem Militärstrafrecht (AA 5.12.2022). Das Militärgericht ist außerdem zuständig für Fälle, in denen Zivilpersonen des Waffenbesitzes und der Wehrdienstverweigerung beschuldigt werden (USDOS 12.4.2022). Dabei werden die Zuständigkeiten der Militärgerichtsbarkeit oft extensiv ausgelegt, vor allem beim Vorwurf des Terrorismus. Militärgerichte verurteilen auch zivile Angeklagte wegen terroristischer Delikte mit islamistischem Hintergrund in Schnellverfahren ohne ausreichenden Rechtsbeistand. Seit Jahren (allerdings ohne greifbare Fortschritte) wird erwogen, alle Militärverfahren, wenngleich unter Beibehaltung der prozeduralen Besonderheiten, ordentlichen Gerichten zu übertragen. Gegen Urteile des sogenannten Justizrates („Conseil de Justice“) kann kein Rechtsmittel eingelegt werden. Dieses mit fünf Richtern des Kassationsgerichtshofs besetzte Gericht urteilt auf Beschluss des Ministerrates in Strafverfahren, die die nationale Sicherheit betreffen (AA 5.12.2022). Andersrum können zwar auch zivile Gerichte gegen Militärangehörige vorgehen, doch werden diese Fälle häufig vom Militärgericht verhandelt, auch wenn es sich um Anklagen handelt, die nichts mit dem offiziellen Militärdienst zu tun haben. Menschenrechtsaktivisten äußern die Befürchtung, dass solche Verfahren zu Straffreiheit führen könnten (USDOS 12.4.2022).
Verwaltung und Justiz in den palästinensischen Flüchtlingslagern sind sehr unterschiedlich, wobei die meisten Lager unter der Kontrolle gemeinsamer palästinensischer Sicherheitskräfte stehen, die mehrere Fraktionen repräsentieren. Die palästinensischen Gruppen in den Flüchtlingslagern verfügen über ein autonomes Justizsystem, das für Außenstehende meist nicht transparent ist und sich der Kontrolle des Staates entzieht. So versuchen beispielsweise lokale Volkskomitees in den Lagern, Streitigkeiten durch informelle Vermittlungsmethoden zu lösen, übergeben aber gelegentlich Personen, die schwerwiegenderer Vergehen (z. B. Mord und Terrorismus) beschuldigt werden, den staatlichen Behörden zur Verhandlung (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 3.2.2023
- AN - Arab News (26.8.2022): Early marriage blights lives of young girls in Lebanon’s marginalized communities, https://www.arabnews.com/node/2030696/middle-east, Zugriff 7.2.2023
- HRW - Human Rights Watch (7.2.2023): Lebanon Rejects Civil Marriages, Puts Children at Risk, https://www.hrw.org/news/2023/02/07/lebanon-rejects-civil-marriages-puts-children-risk, Zugriff 7.2.2023
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 3.2.2023
- ICJ - International Commission of Jurists (12.2022): Lebanon: Upholding Judicial Independence Discussion and Recommendations on the Draft Law on the Independence of the Judiciary - An Advocacy Paper, https://icj2.wpenginepowered.com/wp-content/uploads/2022/12/LEBANON-Judicial-Independens-ENG-full.pdf, Zugriff 7.2.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 3.2.2023
6. Sicherheitsbehörden
Im Libanon gibt es drei große Sicherheitsbehörden: die Internal Security Forces (ISF), die General Security (GS) und die Generaldirektion für Staatssicherheit (GDSS). Diese Behörden haben unterschiedliche, sich jedoch manchmal überschneidende Aufgaben. Die ISF stellen die größte Sicherheitskraft (ISPI 2.8.2022). Sie sind die allgemein zuständige Polizei des Staates und gleichzeitig Hilfsorgan der Justiz (z.B. zum Führen des Kriminalregisters), sie werden durch einen sunnitischen General geleitet (AA 5.12.2022) und unterstehen dem (ebenfalls sunnitischen) Innenminister (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 5.12.2022). Sie sind für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Stabilität zuständig, einschließlich des Schutzes von Eigentum und Personen sowie der Durchsetzung von Gesetzen und Vorschriften (ISPI 2.8.2022). Die demgegenüber schiitisch geprägte GS hat neben Fragen der Ein- und Ausreisekontrollen auch eine nachrichtendienstliche Funktion inne (AA 5.12.2022; vergleiche ISPI 2.8.2022). Die GS untersteht ebenfalls dem Innenministerium (USDOS 12.4.2022). Die GDSS ist die kleinste Sicherheitsbehörde (ISPI 2.8.2022). Sie ist über den Obersten Verteidigungsrat dem Premierminister unterstellt und ist für die Untersuchung von Spionage und anderen Angelegenheiten der nationalen Sicherheit zuständig. Die parlamentarische Polizeitruppe (PPF) ist dem Parlamentspräsidenten unterstellt und hat die Aufgabe, die Räumlichkeiten des Parlaments und die Residenz des Parlamentspräsidenten zu schützen. Sowohl die ISF als auch die libanesischen Streitkräfte (LAF) stellen Einheiten für die PPF bereit (USDOS 12.4.2022). Die LAF, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die äußere Sicherheit zuständig, dürfen aber aus Gründen der nationalen Sicherheit Verdächtige festnehmen und inhaftieren (USDOS 12.4.2022). Anders als die anderen Sicherheitsinstitutionen gilt die Armee als parteipolitisch und konfessionell weitgehend neutral (trotz eines stets christlichen Oberbefehlshabers und zahlreicher christlicher Generäle) und genießt grundsätzlich hohes Ansehen in allen Bevölkerungsteilen (AA 5.12.2022).
Ein Polizeigesetz im engeren Sinne gibt es nicht. Dass die Institutionen einer bestimmten Konfession und ihrem politischen Lager zuzuordnen sind, beeinflusst teilweise spürbar die Zusammenarbeit untereinander (AA 5.12.2022). Berichten zufolge zwingt die anhaltende wirtschaftliche, politische und soziale Krise im Libanon die Bewohner dazu, ihre Sicherheit selbst in die Hand zu nehmen, und es bilden sich Nachbarschaftswachen, die dort einspringen, wo die staatliche Sicherheit versagt hat (AlM 17.12.2022; vergleiche Haaretz 29.11.2022). Die Auswirkungen der wirtschaftlichen Probleme des Landes auf die Sicherheitskräfte sind besonders besorgniserregend, da die grassierende Inflation die operativen Budgets der libanesischen Sicherheitsbehörden und die Gehälter ihrer Mitarbeiter entwertet hat. Die Moral hat sich verschlechtert, viele Mitarbeiter gehen einer Schwarzarbeit nach und eine wachsende Zahl desertiert. Die Fähigkeit des Staates, die Straßen zu kontrollieren, wird immer schwächer, vor allem in den Randgebieten, während die Kriminalitätsrate drastisch ansteigt. Immer mehr Bürger kaufen Schusswaffen auf dem Schwarzmarkt, um ihre Familien und ihr Eigentum zu schützen. Es bildet sich ein Mosaik lokaler Sicherheitsvorkehrungen, bei dem sich Gemeindepolizisten und Aktivisten politischer Parteien mit kommerziellen Anbietern und Freiwilligen aus der Bevölkerung zusammentun, um die Sicherheit in den Vierteln und Dörfern zu gewährleisten (ICG 27.1.2022). Dennoch erhalten die zivilen Behörden die Kontrolle über die Streitkräfte der Regierung und andere Sicherheitskräfte, obwohl palästinensische Sicherheits- und Milizkräfte, die Hizbollah und andere extremistische Elemente außerhalb der Leitung oder Kontrolle der Regierungsbeamten operieren. Die Sicherheitskräfte der Regierung sowie bewaffnete nichtstaatliche Akteure wie die Hizbollah setzen die Praxis der außergerichtlichen Verhaftung und Inhaftierung fort, einschließlich der Inhaftierung in Isolationshaft. NGOs berichten, dass Straflosigkeit ein erhebliches Problem bei den Sicherheitskräften, einschließlich der ISF, der LAF und der PPF, darstellt. Straflosigkeit ist auch ein Problem in Bezug auf die Handlungen bewaffneter nichtstaatlicher Akteure wie der Hizbollah. Auf Fotos und Videos wurden Personen, die der PPF angehören sollen, dabei gefilmt, wie sie während der Proteste im August 2020 mit scharfer Munition auf Demonstranten schossen (USDOS 12.4.2022).
Die staatlichen Institutionen haben in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff, bspw. in den palästinensischen Flüchtlingslagern (AA 5.12.2022). Die Flüchtlingslager waren für die libanesischen Behörden bekanntermaßen tabu (T961 19.1.2023). Auch in anderen Landesteilen schränkt die Existenz nicht-staatlicher Akteure die Zugriffsmöglichkeiten der Staatsorgane ein. Dies gilt insbesondere für die südlichen Vororte Beiruts und die schiitischen Siedlungsgebiete in der Bekaa-Ebene und im Süden des Landes, in denen die Hizbollah präsent ist und Druck auf staatliche Institutionen ausübt. So sind z.B. in diesen Gebieten polizeiliche Ermittlungen oder auch die Präsenz der libanesischen Armee nur eingeschränkt möglich (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 7.2.2023
- AlM - Al Monitor (17.12.2022): As Lebanon unravels, Beirut neighborhood takes security into its own hands, https://www.al-monitor.com/originals/2022/12/lebanon-unravels-beirut-neighborhood-takes-security-its-own-hands, Zugriff 7.2.2023
- Haaretz (29.11.2022): Beirut ‘Neighborhood Watch’ Echoes Lebanon’s Troubled Past, https://www.haaretz.com/middle-east-news/2022-11-27/ty-article/beirut-neighborhood-watch-echoes-lebanons-troubled-past/00000184-b86c-db6f-a9ac-feed96bf0000, Zugriff 7.2.2023
- ICG - International Crisis Group (27.1.2022): Lebanon: Fending Off Threats from Within and Without, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/east-mediterranean-mena/lebanon/lebanon-fending-threats-within-and-without, Zugriff 7.2.2023
- ISPI - Italian Institute for International Political Policy (2.8.2022): Lebanon: New Challenges to the Delivery of Security Assistance, http://www.ispionline.it/en/publication/lebanon-new-challenges-delivery-security-assistance-35928, Zugriff 7.2.2023
- T961 - The 961 (19.1.2023): Murderer Who Escaped From Sweden Was Just Caught In Palestinian Refugee Camp In Lebanon, https://www.the961.com/murderer-escaped-sweden-caught-palestinian-refugee-camp-lebanon/, Zugriff 9.2.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 7.2.2023
7. Folter und unmenschliche Behandlung
Das Gesetz verbietet die Anwendung von Gewalt, um ein Geständnis oder Informationen über eine Straftat zu erlangen, aber die Justiz hat Foltervorwürfe nur selten untersucht oder verfolgt (USDOS 12.4.2022). Die Anwendung von Folter durch Angehörige der Strafverfolgungsbehörden, des Militärs und der staatlichen Sicherheitskräfte hält trotz der Verabschiedung von Antifoltergesetzen und der Schaffung von institutionellen Mechanismen zur Unterbindung dieser Praxis an (FH 24.2.2022). Obwohl zivilgesellschaftliche Organisationen seit langem dokumentieren, dass es immer wieder zu Folterungen und einer verfestigten Praxis von Gewalt, Demütigung und Misshandlung in der Haft kommt, haben die Behörden keine nennenswerten Schritte unternommen, um gegen diese Verstöße vorzugehen (Alkamara 15.1.2023). Die Regierung bestreitet die systematische Anwendung von Folter (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 5.12.2022), obwohl die Behörden einräumten, dass es während der Untersuchungshaft auf Polizeistationen oder in Militäreinrichtungen, wo Beamte Verdächtige ohne die Anwesenheit eines Anwalts verhörten, manchmal zu gewaltsamen Misshandlungen kam (USDOS 12.4.2022). Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen Foltervorwürfen sind bisher nur in Einzelfällen bekannt geworden. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland berichtet, dass es sich laut libanesischer Regierung um „Exzesse Einzelner“ handelt, gegen die man noch stärker auf strafrechtlicher Grundlage vorgehen werde (AA 5.12.2022). Beschwerden über Folter, die von Demonstranten im Jahr 2020 eingereicht wurden, wurden von den Gerichten nicht weiterverfolgt (HRW 12.1.2023). Zwischen dem 25. und 31.1.2021 wurden 35 Personen im Zusammenhang mit Protesten in Isolationshaft genommen. Nach seiner Freilassung wies ein Festgenommener Anzeichen schwerer Schläge am ganzen Körper auf, mit erheblichen Verletzungen an Kopf, Schultern und Hals, und berichtete, dass er gefoltert oder anderweitig misshandelt worden sei (AI 29.3.2022).
Obwohl das Parlament 2017 ein Anti-Folter-Gesetz verabschiedet hat, wird die Folter durch Sicherheitskräfte fortgesetzt, die Justizbehörden ignorieren weiterhin die Bestimmungen des Gesetzes, und die Rechenschaftspflicht für Foltervorwürfe bleibt schwer zu erreichen (HRW 12.1.2023). Die Untersuchungsabteilung der libanesischen Streitkräfte (LAF) leitete im Mai 2020 eine interne Untersuchung über die angebliche Folterung von Gefangenen in LAF-Gefängnissen in Sidon und Tripolis ein, nachdem es in diesen Städten zu Protesten gekommen war. Die Untersuchung wurde ausgesetzt, da keine formellen Anschuldigungen von den Opfern vorlagen und der ursprüngliche Untersuchungsrichter von seinem Posten zurücktrat (USDOS 12.4.2022). Im Jahr 2019 hat der libanesische Ministerrat die fünf Mitglieder des nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter ernannt, aber noch keine Mittel für den Mechanismus bereitgestellt (HRW 12.1.2023). Menschenrechtsorganisationen haben, anders als das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, seit 2007 keinen Zutritt zu den Militärgefängnissen und zum Verhörzentrum im Verteidigungsministerium (AA 5.12.2022). NGOs und ehemalige Gefangene berichten weiterhin, dass Drogenkonsumenten, Prostituierte und LGBTI-Personen durch Beamte der Internal Security Force (ISF) - unter anderem durch Androhung längerer Haft und Preisgabe ihrer Identität gegenüber Familie oder Freunden - misshandelt wurden, insbesondere in Haftanstalten außerhalb Beiruts. Erzwungene Analuntersuchungen von Männern, die der gleichgeschlechtlichen sexuellen Aktivität verdächtigt werden, sind in den Polizeidienststellen Beiruts zwar verboten, werden aber in Tripoli und anderen Städten außerhalb der Hauptstadt weiterhin durchgeführt (USDOS 12.4.2022). Im September 2022 starb ein syrischer Flüchtling im Gewahrsam der Staatssicherheit an den Folgen von Folter. Mehrere Beamte wurden verhaftet und stehen vor Militärgerichten, denen es an Unabhängigkeit mangelt (HRW 12.1.2023). Das Access Center for Human Rights (ACHR) berichtete über Fälle von Folter, ungerechten Gerichtsverfahren und „unmenschlichen“ Bedingungen während der Inhaftierung von syrischen Flüchtlingen durch die libanesischen Behörden (OT 14.3.2022; vergleiche AI 23.3.2021).
Die LAF, die ISF und die Direktion für allgemeine Sicherheit (DGS) verfügen über neue Verhaltenskodizes, die sie mit Unterstützung des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte entwickelt und 2020 umgesetzt haben, um die Achtung und den Schutz der Menschenrechte zu fördern und Elemente der Rechenschaftspflicht einzuführen. Die Gendarmerieeinheit der ISF hat mit Unterstützung der Geberländer ein Schulungsprogramm eingeführt, das auch Menschenrechtsschulungen umfasst (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 3.2.2023
- AI - Amnesty International (29.3.2022): Lebanon 2021, https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/lebanon/report-lebanon/, Zugriff 3.2.2023
- AI - Amnesty International (23.3.2022): Lebanon: ‘I Wished römisch eins Would Die’ - Syrian refugees arbitrarily detained on terrorism-related charges and tortured in Lebanon, https://www.amnesty.org/en/documents/mde18/3671/2021/en/?utm_source=annual_report&utm_medium=epub&utm_campaign=2021&utm_term=english, Zugriff 3.2.2023
- Alkamara (15.1.2023): Lebanon : Alkarama joins lebanese civil society in a common call to adress the situation in Roumieh and other detention centers, https://www.alkarama.org/en/articles/lebanon-lack-means-no-excuse-lack-will, Zugriff 2.3.2023
- FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 3.2.2023
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 3.2.2023
- OT - L’Orient Today (14.3.2022): Rights group alleges refugees arbitrarily detained, held in 'inhumane' conditions in Lebanon, https://today.lorientlejour.com/article/1293607/rights-group-alleges-refugees-arbitrarily-detained-held-in-inhumane-conditions-in-lebanon.html, Zugriff 3.2.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 3.2.2023
8. Korruption
Libanon leidet unter endemischer Korruption (USDOS 12.4.2022). Die politische und wirtschaftliche Elite betrachtet den Staat mehr oder weniger als Selbstbedienungsladen für sich und ihre Klientel (WZ 15.1.2023). Die Korruption durchdringt alle Ebenen und Zweige der Regierung, da die Auswahl für öffentliche Ämter auf ethnischen und parteilichen Loyalitäten und Klientelismus beruht, was zu einem aufgeblähten, ineffizienten und korrupten öffentlichen Dienst führt (U4 8.9.2022). Der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen hängt oft von Schmiergeldzahlungen oder persönlichen Beziehungen (wasta) ab (TI 19.9.2022; vergleiche U4 8.9.2022). Gemäß Transparency International’s Corruption Perceptions Index liegt der Libanon im Jahr 2022 in Bezug auf Korruption auf Platz 150 von insgesamt 180 Staaten (TI o.D.). Die Korruption hat im Libanon einen historischen Höchststand erreicht und verschärft dadurch die Wirtschaftskrise weiter, die zu einer noch nie dagewesenen Armut und Ungleichheit geführt hat (TI 19.9.2022).
Zu den häufigsten Korruptionsarten gehören im Allgemeinen politische Klientelwirtschaft, Versäumnisse der Justiz, insbesondere bei der Untersuchung von Amtsmissbrauch und Bestechung auf mehreren Ebenen innerhalb der nationalen und kommunalen Regierung. Am 7.4.2021 erhob ein Staatsanwalt Anklage gegen den Gouverneur der Zentralbank, Riad Salameh, den Vorsitzenden der Societe General Banque du Liban, Antoun Sehnaoui, Michel Mecattaf von der Firma Mecattaf und die Vorsitzende der Bankenkontrollkommission der Zentralbank, Maya Dabbagh wegen des Verdachts, dass die Bank große Summen überwiesen hat, was zu einer Abwertung des Pfunds führte. Der Fall wurde an einen Ermittlungsrichter verwiesen (USDOS 12.4.2022). Darüber hinaus ermitteln derzeit fünf europäische Länder gegen Riad Salameh wegen des Vorwurfs, öffentliche Gelder in Europa gewaschen zu haben (AP 11.1.2023).
Seit der Explosion im Beiruter Hafen im August 2020 fordern die Angehörigen eine transparente Untersuchung der Ursachen dieser verheerenden Tragödie (OT 9.12.2022). Die Richter, die für die Untersuchung der Explosion verantwortlich waren, haben die Ermittlungen mehrfach unter politischem Druck unterbrochen, nachdem Anklage gegen mehrere derzeitige und frühere hochrangige Beamte erhoben wurde (USDOS 12.4.2022). Libanons oberster Staatsanwalt hat im Januar 2023 Anklage gegen Richter Tarek Bitar erhoben, der die tödliche Explosion im Hafen von Beirut untersuchte, und die Freilassung aller im Zusammenhang mit dem Fall inhaftierten Verdächtigen angeordnet, wie aus Justizkreisen verlautete. Diese Entscheidung spiegelt den zunehmenden Widerstand der libanesischen Regierungsklasse gegen die Bemühungen von Richter Bitar wider, seine Ermittlungen zu der verheerenden Explosion wieder aufzunehmen (AJ 25.1.2023). Die jüngsten Korruptionsskandale, in die hochrangige Beamte verwickelt waren, haben das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Institutionen des Landes erschüttert und zu zivilen Unruhen geführt (TI 19.9.2022; vergleiche U4 8.9.2022).
Die libanesische Regierung hat Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung eingeleitet. Der Libanon hat das UN-Übereinkommen gegen Korruption ratifiziert, und die Regierung hat den Prioritäten des Rahmens für Reform, Erholung und Wiederaufbau (3RF) zugestimmt. Darüber hinaus wird in der 2020 verabschiedeten Nationalen Korruptionsbekämpfungsstrategie des Libanon der Fahrplan der Regierung zur Korruptionsbekämpfung beschrieben. Die Nationale Antikorruptionskommission, die mit der Umsetzung dieser Strategie betraut ist, verfügt jedoch nach wie vor nicht über die für die Erfüllung ihres Mandats erforderlichen Statuten und Ressourcen (OT 6.12.2022). Die Zentrale Aufsichtsbehörde (Central Inspection Board - CIB), ein Aufsichtsgremium innerhalb des Amtes des Premierministers, ist für die Überwachung von Verwaltungsabteilungen, einschließlich Beschaffungs- und Finanzmaßnahmen zuständig und ist weitgehend unabhängig von politischer Einflussnahme. Die CIB kann Bedienstete der nationalen und kommunalen Verwaltung inspizieren und ist befugt, ihre Entlassung zu beantragen oder Fälle zur Strafverfolgung weiterzuleiten. Die Befugnisse der CIB erstrecken sich nicht auf Kabinettsminister oder Kommunalbeamte. Auch der Sozialversicherungsfond, der Rat für Entwicklung und Wiederaufbau, und öffentliche Einrichtungen, die umfangreiche Finanzströme verwalten, fallen nicht in die Zuständigkeit der CIB. Berichten zufolge haben Beamte im Jahr 2021 in großem Umfang ungestraft korrupte Praktiken angewandt. Regierungs- und Sicherheitsbeamte, Zollbeamte und Mitglieder der Justiz unterliegen den Gesetzen gegen Bestechung und Erpressung, aber das Fehlen einer strengen Durchsetzung schränkt die Wirksamkeit der Gesetze ein (USDOS 12.4.2022). In den letzten fünf Jahren wurden mehrere Gesetze zur Korruptionsbekämpfung verabschiedet, doch ihre Umsetzung bleibt problematisch (TI 19.9.2022), was zum Teil auf einen Mangel an politischem Willen zurückzuführen ist (U4 8.9.2022). Unter anderem verabschiedete das Parlament ein Gesetz über das Recht auf Zugang zu Informationen und ein Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen, das darauf abzielt, Schlupflöcher zu schließen, die Veruntreuungen im öffentlichen Sektor ermöglichen. Im Oktober 2022 verabschiedete das Parlament außerdem ein Gesetz über das Bankgeheimnis, das Teil der zwischen Libanon und dem IWF vereinbarten Maßnahmen ist. Ebenso wird an der Fertigstellung eines Gesetzentwurfs über die Unabhängigkeit der Justiz gearbeitet (OT 6.12.2022).
Quellen:
- AJ - Al Jazeera (25.1.2023): Lebanon’s top prosecutor charges Beirut blast Judge Tarek Bitar, https://www.aljazeera.com/news/2023/1/25/lebanon-top-prosecutor-files-charges-against-judge-tarek-bitar, Zugriff 3.2.2023
- AP - Associated Press, The (11.1.2023): European legal team arriving in Lebanon in corruption probe, https://apnews.com/article/lebanon-france-germany-riad-salameh-business-35980e85bb487c3aaf681a10ee3fb7cd, Zugriff 3.2.2023
- OT - L’Orient Today (6.12.2022): Anti-corruption: Lebanon stands at a crossroads, https://today.lorientlejour.com/article/1321009/anti-corruption-lebanon-stands-at-a-crossroads.html, Zugriff 3.2.2023
- TI - Transparency International (19.9.2022): Lebanon: Overview of corruption and anti-corruption, https://knowledgehub.transparency.org/helpdesk/lebanon-overview-of-corruption-and-anti-corruption, Zugriff 19.9.2022
- TI - Transparency International (o.D.): Our Work in Lebanon – Country Data, https://www.transparency.org/en/countries/lebanon, Zugriff 3.2.2023
- U4 - U4 Anti-Corruption Resource Centre (8.9.2022): Lebanon: Overview of corruption and anti-corruption, https://www.u4.no/publications/lebanon-overview-of-corruption-and-anti-corruption.pdf, Zugriff 3.2.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 3.2.2023
- WZ - Wiener Zeitung (15.1.2023): Krisenstaat ohne Exit-Strategie, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2134289-Krisenstaat-ohne-Exit-Strategie.html, Zugriff 23.1.2023
9. NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Im Libanon sind zahlreiche lokale und internationale, im öffentlichen Leben deutlich wahrnehmbare Menschenrechtsorganisationen tätig. Die große Mehrheit von ihnen kann grundsätzlich frei arbeiten. Allerdings beklagen auch sie, wie viele zivilgesellschaftliche Organisationen, einen abnehmenden Handlungsspielraum und mitunter ein Klima der Bedrohung seitens nicht-staatlicher Akteure (z.B. durch die Hizbollah) (AA 5.12.2022). NGOs müssen das in Grundzügen seit 1909 bestehende Vereinsgesetz und andere anwendbare Gesetze in Bezug auf Arbeit, Finanzen und Einwanderung einhalten. Auch ist eine Registrierung beim Innenministerium erforderlich, womit unter Umständen ein Genehmigungsverfahren verbunden ist. NGOs sehen sich manchmal bürokratischen Behinderungen oder Einschüchterungen durch die Sicherheitsdienste ausgesetzt, je nachdem, in welchem Bereich sie tätig sind oder welche Initiativen sie ergreifen (FH 24.2.2022). Rechtlich erschwert bleibt die Gründung von Organisationen für Ausländer; dies macht es palästinensischen und syrischen Flüchtlingen de facto unmöglich, unabhängig von libanesischen Partnern NGOs zur Verfolgung ihrer Interessen zu gründen. In der Praxis treten libanesische Staatsangehörige für palästinensische und syrische Flüchtlinge als Gründer und Organe auf (AA 12.5.2022).
Organisationen der Zivilgesellschaft und NGOs spielten unter anderem bei der Katastrophenbewältigung im Zusammenhang mit der Explosion im Hafen von Beirut im Jahr 2020 eine entscheidende Rolle, da sie kurzfristige Soforthilfe und humanitäre Hilfe leisten konnten. Sie leisten auch langfristige Hilfe, um die Menschen bei der Bewältigung der multidimensionalen Krise im Libanon zu unterstützen (ICNL 14.11.2022). Die libanesische Zivilgesellschaft hat demnach eine führende Rolle dabei gespielt, auf die Bedürfnisse der Gesellschaft zu reagieren und Lücken im öffentlichen Sektor zu schließen (RDPP 12.12.2022).
Versuche der Einschüchterung und Beeinflussung durch politische Institutionen oder nichtstaatliche Akteure haben während des Jahres 2022 zugenommen. Dabei werden z.B. NGOs, die internationale Unterstützung erhalten, teilweise als ausländische Agenten diffamiert (AA 5.12.2022). In Gebieten, die von der Hizbollah beherrscht werden, sind unabhängige NGOs Schikanen und Einschüchterungen ausgesetzt, einschließlich sozialem, politischem und finanziellem Druck. Berichten zufolge bezahlte die Hizbollah Jugendliche, die in „inakzeptablen“ NGOs arbeiteten, damit sie die Gruppen verließen (USDOS 12.4.2022)
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 8.2.2023
- FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 8.2.2023
- ICNL - International Center for Not-For-Profit Law (14.11.2022): Lebanon, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/lebanon, Zugriff 30.1.2023
- RDPP - Region Development & Protection Programme [Lone Bildsøe Lassen, Ayla-Kristina Olesen Yurtaslan & Maisa Shquier (authors)] (12.12.2022): Localization of Aid in Jordan and Lebanon. A longitudinal qualitative study, https://rdpp-me.org/assets/RDPP%20Localization%20Study.pdf, Zugriff 1.2.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 8.2.2023
10. Wehrdienst und Rekrutierungen
Die allgemeine Wehrpflicht wurde 2006 abgeschafft und die Armee in eine Berufsarmee umgewandelt. Der Zugang zum Militärdienst ist nicht an ethnische oder religiöse Kriterien gebunden (AA 5.12.2022). Im Alter von 17 bis 25 Jahre können Männer und Frauen im Libanon den freiwilligen Militärdienst ableisten (CIA 11.1.2023). Laut dem US-Ministerium für Arbeit beträgt das Mindestalter für den Eintritt in den freiwilligen Wehrdienst 18 Jahre (UDOL 28.9.2022). Fahnenflüchtigen drohen nach Artikel 107, ff. des Militärstrafgesetzbuches Haftstrafen. Für Offiziere bzw. in Spannungszeiten erhöht sich das Strafmaß empfindlich. Auf Fahnenflucht mit Überlaufen zum Feind steht die Todesstrafe (Artikel 110, lib. MilitärStGB). Dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland ist allerdings kein Fall bekannt, in der diese vollstreckt wurde (AA 5.12.2022).
Die Vereinten Nationen (UN) bestätigen für das Jahr 2021 die Rekrutierung und den Einsatz von 32 Jungen im Alter von 11 bis 17 Jahren durch nicht identifizierte bewaffnete Gruppen (24), Fath al-Islam (3), Hizbollah (2), Jund Ansar Allah (1), Saraya al-Muqawama7 (1) und Da'esh (1) (UNGA & UNSC 23.6.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023
- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.1.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 1.2.2023
- UDOL - United States Department of Labor [USA] (28.9.2022): 2021 Findings on the Worst Forms of Child Labor: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2082757.html, Zugriff 1.2.2023
- UNGA - United Nations General Assembly & UNSC - United Nations Security Council (23.6.2022): Children and armed conflict - Report of the Secretary-General (A/76/871-S/2022/493), https://childrenandarmedconflict.un.org/wp-content/uploads/2022/07/Secretary-General-Annual-Report-on-children-and-armed-conflict.pdf, Zugriff 1.2.2023
11. Allgemeine Menschenrechtslage
Libanon ist eines der 51 Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen (UN), die am 26.6.1945 die UN-Charta unterzeichnet haben (UN o.D.). Die Präambel der libanesischen Verfassung hält ausdrücklich fest, dass der Libanon die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen beachtet. Der Staat ist Vertragsstaat wichtiger internationaler Menschenrechtsabkommen, jedoch wurden die meisten der Fakultativprotokolle zu den Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert, so beispielsweise auch das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR) von 1991. Der Libanon ist bislang keinem internationalen Übereinkommen zum Status von Flüchtlingen beigetreten (AA 5.12.2022).
Die Libanesen haben eine starke Vorstellung von sich selbst als Mitglieder eines repräsentativen und demokratischen Systems (IACL 18.10.2022). Der Libanon verfügt über eine starke und lebendige Zivilgesellschaft mit den vielfältigsten und aktivsten NGOs der Region (RDPP 12.12.2022). Allerdings bringt die tiefgreifende Wirtschaftskrise katastrophale Folgen für die Menschenrechte im Land mit sich (HRW 12.1.2023). Laut eines UN Sonderberichts über extreme Armut und Menschenrechte im Libanon, ist der libanesische Staat, einschließlich seiner Zentralbank, für grundlegende Menschenrechtsverletzungen, einschließlich der unnötigen Verarmung der Bevölkerung, verantwortlich, die sich aus der von Menschen verursachten Wirtschafts- und Finanzkrise ergeben haben (OHCHR 11.4.2022). Die Reaktion der Behörden auf die sich verschärfende Wirtschaftskrise im Libanon hat das Recht der Einwohner auf Gesundheit und sogar ihr Recht auf Leben in den akutesten Momenten der Treibstoff- und Medikamentenknappheit nicht gewährleistet (AI 29.3.2022). Zu den bedeutenden Menschenrechtsproblemen gehören zudem glaubwürdige Berichte über: schwerwiegende politische Eingriffe in die Justiz; schwerwiegende Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der Medienfreiheit, einschließlich Gewalt, Gewaltandrohung oder ungerechtfertigter Verhaftungen oder strafrechtlicher Verfolgung von Journalisten, sowie Zensur; schwerwiegende Einschränkungen der Internetfreiheit; Abschiebung von Flüchtlingen in ein Land, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht sind; schwerwiegende und weit verbreitete Korruption auf hoher Ebene; das Bestehen oder die Anwendung von Gesetzen, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen kriminalisieren; Gewaltverbrechen oder Gewaltandrohungen gegen Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender-Personen und Intersexuelle (LGBTI) und das Bestehen der schlimmsten Formen von Kinderarbeit (USDOS 12.4.2022).
Im Januar 2021 wurde die Menschenrechtslage in Libanon zum dritten Mal im Rahmen des allgemeinen Überprüfungsverfahrens des UN-Menschenrechtsrats („Universal Periodic Review“, UPR) überprüft. Die Antworten der Regierung in diesem Rahmen wurden von Menschenrechtsgruppen negativ aufgenommen; insbesondere seien die Zuständigkeit von Militärstrafgerichten über Zivilisten aufrechterhalten und UPR-Empfehlungen betreffend der Gleichbehandlung der Geschlechter nicht umgesetzt worden (AA 5.12.2022). Obwohl die Rechtsstruktur die strafrechtliche Verfolgung und Bestrafung von Beamten vorsieht, die Menschenrechtsverletzungen und Korruption begangen haben, bleibt die Durchsetzung ein Problem. Regierungsbeamte genießen ein gewisses Maß an Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen, einschließlich der Umgehung oder Beeinflussung von Gerichtsverfahren. Das Nationale Menschenrechtsinstitut (NHRI) soll die Menschenrechtslage im Libanon überwachen, Beschwerden über Verstöße entgegennehmen und regelmäßig Berichte und Empfehlungen abgeben. Mit Stand Dezember 2021 hatte das NHRI die ihm zugewiesenen Aufgaben noch nicht aufgenommen (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023
- AI - Amnesty International (29.3.2022): Lebanon 2021, https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/lebanon/report-lebanon/, Zugriff 1.2.2023
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 1.2.2023
- IACL - The International Association of Constitutional Law (18.10.2022): Lebanon: A Century of a Constitutional Contradiction, https://blog-iacl-aidc.org/new-blog-3/2022/10/18/lebanon-a-century-of-a-constitutional-contradiction, Zugriff 1.2.2023
- OHCHR - United Nations High Commissioner for Human Rights (11.4.2022): Visit to Lebanon Report of the Special Rapporteur on extreme poverty and human
rights, Olivier De Schutter, (A/HRC/50/38/Add.1), https://lebanon.un.org/sites/default/files/2022-05/FINAL%20SR%20Report%20on%20his%20Visit%20to%20Lebanon-ENG-Published%20May2022.pdf, Zugriff 1.2.2023
- RDPP - Region Development & Protection Programme [Lone Bildsøe Lassen, Ayla-Kristina Olesen Yurtaslan & Maisa Shquier (authors)] (12.12.2022): Localization of Aid in Jordan and Lebanon. A longitudinal qualitative study, https://rdpp-me.org/assets/RDPP%20Localization%20Study.pdf, Zugriff 1.2.2023
- UN - United Nations (o.D.): About the United Nations in Lebanon, https://lebanon.un.org/en/about/about-the-un, Zugriff 1.2.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 1.2.2023
12. Meinungs- und Pressefreiheit
Die Verfassung sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung vor, auch für Pressevertreter, und legt fest, dass Einschränkungen nur unter außergewöhnlichen Umständen vorgenommen werden dürfen. Die Regierung respektierte dieses Recht im Allgemeinen. Einzelpersonen steht es im Grunde frei, die Regierung zu kritisieren und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu diskutieren (USDOS 12.4.2022). Allerdings wies eine Koalition von NGOs im Juli 2020 auf eine zunehmende Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung hin, insbesondere in den sozialen Medien, vor allem bei politischen und sozialen Themen (USDOS 12.4.2022; vergleiche SMEX 13.7.2020). Im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt der Libanon im Jahr 2022 Rang 130 von 180 Ländern (RSF 23.1.2023). Im Jahr 2021 lag der Libanon noch auf Platz 107 von 180 Ländern, was bedeutet, dass der Libanon im vergangenen Jahr um 23 Plätze abgerutscht ist, obwohl Vergleiche dadurch erschwert werden, dass die RSF ihre Methodik in diesem Jahr geändert hat, um neue Indikatoren zu berücksichtigen (OT 4.5.2022).
Die Rundfunk- und Fernsehszene des Libanon ist vielfältig und lebendig und spiegelt den Pluralismus des Landes und seine Spaltung wider. Es war das erste arabische Land, das private Radio- und Fernsehsender zuließ, und hat sich zu einem regionalen Medienzentrum entwickelt (BBC 17.5.2022). Obwohl die Medien des Landes zu den offensten und vielfältigsten in der Region gehören, sind fast alle Medien von der Schirmherrschaft politischer Parteien, wohlhabender Einzelpersonen oder ausländischer Mächte abhängig und üben folglich ein gewisses Maß an Selbstzensur aus (FH 24.2.2022). Laut RSF herrscht in den libanesischen Medien zwar echte Meinungsfreiheit, doch wird der Sektor in der Praxis von einer Handvoll Personen kontrolliert, die direkt mit politischen Parteien verbunden sind oder lokalen Dynastien angehören. Die einflussreichsten Fernsehsender sind: LBCI, Al Jadeed und MTV, die jeweils den Familien Daher-Saad, Khayat und Murr gehören. Al Manar ist der offizielle Fernsehsender der Hizbollah. Die Presse ist ein Ausdruck des politischen und kommunalen Separatismus im Land, einschließlich der religiösen Überwachung der Medien (RSF 23.1.2023). Hinzu kommt, dass die Finanzkrise und die Auswirkungen der Explosion im Beiruter Hafen im Jahr 2020 viele Medien gezwungen haben, ihr Personal und ihre Budgets zu kürzen (BBC 17.5.2022; vergleiche RSF 23.1.2023).
Es ist eine Straftat, den Präsidenten oder die Sicherheitsdienste zu kritisieren oder zu verleumden. Die Behörden nutzen diese Gesetze mitunter, um Journalisten zu schikanieren und zu inhaftieren (FH 24.2.2022). Journalisten, Social Media-Aktivisten und Blogger können für ihre Tätigkeit nach dem Strafgesetzbuch (insb. wegen Verleumdung) bestraft werden; zunehmend werden sie zu Befragungen der Sicherheitsbehörden vorgeladen. Immer wieder werden Journalisten durch nicht-staatliche Gruppen, insbesondere durch die Hizbollah, bedroht oder eingeschüchtert (AA 5.12.2022).Trotz der rechtlichen und praktischen Hindernisse, mit denen sie konfrontiert sind, können viele Journalisten über heikle Themen wie staatliche Korruption, Fehlverhalten der Eliten und das Verhalten bewaffneter Gruppen wie der Hizbollah berichten und diese kommentieren (FH 24.2.2022).
Es herrscht Unklarheit darüber, welcher rechtliche Rahmen für Online-Nachrichtenseiten im Land gilt. Es gibt kein spezielles Gesetz, das die Online-Rede regelt (USDOS 12.4.2022). Politiker und Journalisten werden durch ausgeklügelte Spionagesoftware ins Visier genommen, und mehrere Online-Journalisten und Nutzer sozialer Medien wurden vom Büro für Cyberkriminalität vorgeladen (FH 3.6.2022). Online-Hass- und Desinformationskampagnen, die von Netzwerken von Hizbollah-Anhängern betrieben werden, zielen auf Kritiker und Gegner der Partei ab, um sie zu verleumden und zu diffamieren (NL 16.3.2022; vergleiche FH 3.6.2022).
Quellen:
- BBC - British Broadcasting Corporation (17.5.2022): Lebanon profile – Media, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-14648683, Zugriff 8.2.2023
- FH - Freedom House (3.6.2022): Freedom on the Net 2022 – Lebanon, https://freedomhouse.org/country/lebanon/freedom-net/2022, Zugriff 8.2.2023
- FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 8.2.2023
- NL - Now Lebanon (16.3.2022): Suppressors and freedom of expression, https://nowlebanon.com/suppressors-and-freedom-of-expression/, Zugriff 8.2.2023
- OT - L’Orient Today (4.5.2022): Lebanon falls 23 places in Reporters Without Borders' annual press freedom ranking, https://today.lorientlejour.com/article/1298372/lebanon-falls-23-places-in-reporters-without-borders-annual-press-freedom-ranking.html, Zugriff 8.2.2023
- RSF - Reporters Sans Frontières (23.1.2023): Lebanon, https://rsf.org/en/country/lebanon, Zugriff 8.2.2023
- SMEX - Social Media Exchange (13.7.2020): Lebanon: New Coalition to Defend Free Speech, https://smex.org/lebanon-new-coalition-to-defend-free-speech/, Zugriff 8.2.2022
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 8.2.2023
13. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Die Behörden respektieren im Allgemeinen das von der Verfassung geschützte Versammlungsrecht (FH 24.2.2022; vergleiche AA 5.12.2022, USDOS 12.4.2022), und in der Praxis versammeln sich die Menschen regelmäßig ohne Genehmigung oder Abstimmung mit den Sicherheitsdiensten (FH 24.2.2022). Offiziell müssen die Organisatoren drei Tage vor einer Demonstration eine Genehmigung beim Innenministerium einholen (USDOS 12.4.2022). Gelegentlich werden Demonstrationen – insbesondere aus dem salafistischen Spektrum – aus Sicherheitsgründen untersagt (AA 5.12.2022). In den letzten Jahren konnten Demonstranten gegen die schlechte Funktionsweise der Regierung und den Mangel an Dienstleistungen protestieren, doch kam es bei diesen Veranstaltungen häufig zu Gewalt seitens der Behörden, politischer Parteien, Milizen und ziviler Teilnehmer (FH 24.2.2022). Die Sicherheitskräfte griffen gelegentlich ein, um Demonstrationen aufzulösen, in der Regel, wenn Demonstranten Sachschäden verursachten, oder es zu Zusammenstößen zwischen gegnerischen Demonstranten kam (USDOS 12.4.2022). Durch ein während des Pride Month 2022 vom Innenministerium erlassenes Verbot von LGBTI-Versammlungen wurde die Versammlungsfreiheit eingeschränkt (AA 5.12.2022; vergleiche AlM 1.12.2022). Rechtsgruppen haben gegen die Entscheidung Berufung eingelegt (HRW 12.1.2023; vergleiche AlM 1.12.2022). Seit der Libanon im Mai 2017 als erstes arabisches Land die Pride Week feierte, hatten libanesische NGOs die Möglichkeit, trotz des Drucks von religiösen Persönlichkeiten Versammlungen zu organisieren (AlM 1.12.2022).
Die Verfassung sieht die Vereinigungsfreiheit vor, wobei einige Bedingungen gesetzlich festgelegt sind, und die Regierung hat das Gesetz im Allgemeinen respektiert (USDOS 12.4.2022). Für die Gründung einer Vereinigung ist keine vorherige Genehmigung erforderlich, aber die Organisatoren müssen das Innenministerium benachrichtigen, um eine rechtliche Anerkennung zu erhalten, und das Ministerium muss überprüfen, ob die Organisation die „öffentliche Ordnung, die öffentliche Moral und die staatliche Sicherheit“ respektiert. In einigen Fällen hat das Ministerium die Anmeldeunterlagen einer NGO an die Sicherheitskräfte geschickt, um Nachforschungen über die Gründungsmitglieder einer Organisation anzustellen (USDOS 12.4.2022; vergleiche OHCHR 11.2021). Das Innenministerium ist in die Kritik geraten, weil es Vereinigungen, insbesondere solchen, die sich mit sensiblen Themen wie den Rechten von LGBTI befassen, lange nach der Anmeldung keine Bescheinigungen ausstellt. Dazu gehört auch die libanesische LGBTI-Vereinigung Helem, die seit 2004, als sie dem libanesischen Innenministerium ihre Vereinigungsmeldung vorlegte, auf eine offizielle Bestätigung ihrer Gründung wartet. In der Praxis kann eine Vereinigung jedoch auch ohne die Eintragung durch das Innenministerium tätig werden - die fehlende Rechtspersönlichkeit hat jedoch praktische Auswirkungen, da sie beispielsweise kein Bankkonto eröffnen oder keine Räumlichkeiten mieten kann (OHCHR 11.2021). Organisationen müssen darüber hinaus Vertreter des Ministeriums zu jeder Generalversammlung einladen, bei der die Mitglieder über Satzungen, Änderungen oder Sitze im Vorstand abstimmen. Das Ministerium muss dann die Abstimmung oder Wahl validieren. Geschieht dies nicht, kann die Organisation durch einen Erlass des Ministerrats aufgelöst werden (USDOS 12.4.2022).
Das Kabinett muss alle politischen Parteien zulassen (USDOS 12.4.2022). In den letzten Jahren hat die Zahl der politischen Gruppen, die das Establishment im Libanon herausfordern wollen, zugenommen (TPI 4.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 8.2.2023
- AlM - Al Monitor (1.12.2022): Lebanon's Shura Council suspends ban on LGBTQ event, https://www.al-monitor.com/originals/2022/11/lebanons-shura-council-suspends-ban-lgbtq-event, Zugriff 8.2.2023
- FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 8.2.2023
- OHCHR - Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (11.2021): Freedom of Association in the Middle East and North Africa Region, https://romena.ohchr.org/sites/default/files/2022-04/Freedom-of-Association-EN.pdf, Zugriff 8.2.2023
- TPI - The Policy Initiative (4.2022): Lebanon’s Political Alternatives: Mapping the Opposition, https://api.thepolicyinitiative.org/content/uploads/files/Lebanon%E2%80%99s-Political-Alternatives-Report.pdf, Zugriff 8.2.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 8.2.2023
14. Haftbedingungen
Die sozioökonomische Krise im Libanon hat auch die ohnehin schon schlechten Haftbedingungen in den libanesischen Gefängnissen weiter verschärft. Die schlechten Bedingungen und die mangelnde medizinische Versorgung führen regelmäßig zu Aufständen und Unruhen in den Gefängnissen (AlM 7.8.2022). Die Haftbedingungen in den 18 regulären libanesischen Haftanstalten entsprechen nicht den internationalen Mindestanforderungen. Es herrscht ein eklatanter Mangel an hygienischen Standards, medizinischer Versorgung, Bewegungsmöglichkeiten, Versorgung mit Nahrungsmitteln, Beschäftigungsmöglichkeiten in Haft (etwa: Berufsausbildung) und an geschultem Gefängnispersonal (AA 5.12.2022).
Aufgrund von Rückständen in der Justiz bleiben die Gefangenen in vielen Fällen monatelang, manchmal sogar jahrelang, ohne Gerichtsverfahren inhaftiert (OT 26.9.2022; vergleiche PI 19.5.2022, USDOS 12.4.2022). Die Regierung selbst gab im September 2022 an, dass mit über 8.200 Gefangenen eine Belegung von 323 % (Strafgefangene) bzw. 222 % (Untersuchungshäftlinge) herrsche (AA 5.12.2022). Nach Angaben des geschäftsführenden Innenministers Bassam Mawlawi befinden sich 79,1 % der Häftlinge in Untersuchungshaft und warten auf ihren Prozess (OT 31.8.2022). Untersuchungshäftlinge werden von den Behörden oftmals zusammen mit verurteilten Häftlingen festgehalten. Laut Statistiken der Internal Security Forces (ISF) waren im Jahr 2021 110 Minderjährige und 207 Frauen inhaftiert. Die ISF halten Frauen in vier speziellen Frauengefängnissen (Baabda, Beirut, Zahle und Tripoli) gefangen. Das ISF berichtete außerdem, dass im Laufe des Jahres 2021 19 Personen in Haftanstalten gestorben sind. 18 Gefangene starben an medizinischen Problemen, darunter Herzinfarkt, Krebs und COVID-19, und ein Gefangener verübte Selbstmord. Einige NGOs kritisieren die Nachlässigkeit der Behörden und das Versäumnis, den Gefangenen eine angemessene medizinische Versorgung zukommen zu lassen, was zu einigen Todesfällen beigetragen haben könnte (USDOS 12.4.2022). Da der Zugang zu Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und minimaler medizinischer Versorgung für die Gefängnisinsassen im ganzen Land immer schwieriger wird, hat dies erhebliche Auswirkungen auf diejenigen, die ohnehin schon am meisten gefährdet sind, darunter auch Migranten und Flüchtlinge (Alkarama 15.1.2023). Seit August 2016 verfügt die General Security über eine neue Haftanstalt, sodass sich die Haftbedingungen für Ausländer, die abgeschoben oder ausgeliefert werden sollen, relativ verbessert haben; die Möglichkeiten medizinischer Versorgung sind allerdings, wie im gesamten Land, eingeschränkt (AA 5.12.2022).
Es gibt in den Justizvollzugsanstalten eine elektronische Datenbank zur Nachverfolgung von
Verbleib, Haftdauer und medizinischer Betreuung von Gefangenen (AA 5.12.2022). Im August 2022 wurden dem Parlament zwei Gesetzesentwürfe vorgelegt (OT 26.9.2022), mit denen die Überbelegung der libanesischen Gefängnisse verringert werden soll. Die Gesetzentwürfe waren eine Reaktion auf die Drohung von Catering-Unternehmen, ab dem 1.9.2022 kein Essen mehr an Häftlinge zu liefern, wenn der Staat sie nicht bezahlt (OT 31.8.2022). Die Regierung ließ eine unabhängige Überwachung der Haftbedingungen durch lokale und internationale Menschenrechtsgruppen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zu, und diese Überwachung fand auch statt. Außerdem können Gefangene und Häftlinge Misshandlungen direkt bei der Menschenrechtsabteilung der ISF melden. Nach Angaben der ISF-Menschenrechtsabteilung ergriff die ISF Disziplinarmaßnahmen gegen Offiziere, die sie für Missbrauch oder Misshandlung verantwortlich machte, einschließlich Entlassungen, doch wurden diese Informationen nicht veröffentlicht. Die ISF berichtete, dass fünf ISF-Offiziere bestraft wurden, weil sie Verdächtige nicht über ihre Rechte bei der Festnahme gemäß Artikel 47 der Strafprozessordnung informiert hatten (USDOS 12.4.2022). Nichtregierungsorganisationen kritisieren allerdings, dass das libanesische Recht zwar vorsieht, dass die Aufsicht über die Gefängnisse von der Gefängnisabteilung des Justizministeriums wahrgenommen wird, die Haftanstalten jedoch weiterhin der Generaldirektion der Sicherheitskräfte unterstehen. Dies führt dazu, dass die Gefangenen ihre Beschwerden über Folterungen oder Misshandlungen bei denselben Behörden einreichen müssen, die diese Handlungen durchgeführt oder zugelassen haben (Alkarama 15.1.2023).
Auch nichtstaatliche Organisationen wie die Hizbollah und palästinensische Milizen betreiben Berichten zufolge inoffizielle Gefängnisse (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023
- Alkamara (15.1.2023): Lebanon : Alkarama joins lebanese civil society in a common call to adress the situation in Roumieh and other detention centers, https://www.alkarama.org/en/articles/lebanon-lack-means-no-excuse-lack-will, Zugriff 1.2.2023
- AlM - Al Monitor (7.8.2022): Thirty inmates saw out of Lebanon jail, escape: authorities, https://www.al-monitor.com/originals/2022/08/thirty-inmates-saw-out-lebanon-jail-escape-authorities, Zugriff 1.2.2023
- OT - L’Orient Today (26.9.2022): römisch eins s reducing the prison year to six months the solution to prison overcrowding? https://today.lorientlejour.com/article/1312733/is-reducing-the-prison-year-to-six-months-the-solution-to-prison-overcrowding.html, Zugriff 1.2.2023
- OT - L’Orient Today (31.8.2022): Mawlawi to introduce bill that would reduce prison sentences, https://today.lorientlejour.com/article/1310010/mawlawi-to-introduce-bill-that-would-reduce-prison-sentences.html, Zugriff 1.2.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 1.2.2023
15. Todesstrafe
Die Justiz verhängt weiterhin Todesurteile. Der Libanon hat allerdings seit 2004 keinen verurteilten Straftäter mehr hingerichtet, da seit 18 Jahren de facto ein Vollstreckungsmoratorium besteht (OT 18.4.2022; vergleiche AA 5.12.2022). 81 Verurteilte, libanesische und ausländische, warten derzeit in der Todeszelle, hauptsächlich im Zentralgefängnis Roumieh. Die Justiz wartet noch immer auf einen nationalen Konsens zur Abschaffung der Todesstrafe (OT 18.4.2022). Offiziell droht im Libanon laut Gesetz die Todesstrafe noch für eine Reihe Delikte des allgemeinen Strafrechts (lib. StGB), darunter u.a. Hochverrat, militärischer Umsturz und Spionage, Verbrechen gegen die Verkehrssicherheit mit Todesfolge und Terrorismus in besonders schweren Fällen (AA 5.12.2022).
Im Jahr 2021 wurde mindestens zwölf mal die Todesstrafe verhängt, während es im Jahr zuvor zwei Urteile gab. Am 5.10.2021 verurteilte das Ständige Militärgericht des Landes vier Männer zum Tode, weil sie an einem Angriff der in Syrien ansässigen bewaffneten Gruppe Jabhat an-Nusra auf libanesische und syrische Soldaten in Arsal, Libanon, im Jahr 2014 beteiligt waren, bei dem mehrere Soldaten beider Armeen ums Leben kamen (AI 24.5.2022). Im Libanon sind keine extralegalen Tötungen durch libanesische Staatsorgane bekannt geworden. Extralegale Hinrichtungen können aber für militärische Kampfhandlungen in Gebieten außerhalb staatlicher Kontrolle nicht ausgeschlossen werden. Bei einem Antiterroreinsatz der libanesischen Armee in der Gegend von Arsal am 30. Juni 2017 wurden 350 Personen vorübergehend festgenommen, mindestens vier starben im Gewahrsam der Armee, nach Armeeangaben infolge bereits bestehender gesundheitlicher Probleme. Menschenrechtsgruppen fordern seither erfolglos eine Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023
- AI - Amnesty International (24.5.2022): Death sentences and executions 2021, https://www.amnesty.org/en/documents/act50/5418/2022/en/, Zugriff 30.1.2023
- OT - L’Orient Today (18.4.2022): Ansar’s quadruple femicide revives the debate on the death penalty in a Lebanon in crisis, https://today.lorientlejour.com/article/1297086/ansars-quadruple-femicide-revives-the-debate-on-the-death-penalty-in-a-lebanon-in-crisis.html, Zugriff 30.1.2023
16. Religionsfreiheit
Die Verfassung sieht „absolute Glaubensfreiheit“ vor und erklärt, dass der Staat alle religiösen Gruppen und Konfessionen sowie den Personenstand und die religiösen Interessen von Personen jeder religiösen Gruppe respektiert. Die Verfassung garantiert die freie Ausübung religiöser Riten, sofern sie die öffentliche Ordnung nicht stören, und erklärt die Gleichheit der Rechte und Pflichten für alle Bürger ohne Diskriminierung oder Bevorzugung (USDOS 2.6.2022). Es gibt 18 staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften, davon sind zwölf christlich und fünf muslimisch (AA 5.12.2022; vergleiche USDOS 2.6.2022, CIA 11.1.2023). Eine kleine jüdische Gemeinde kommt hinzu (FAZ 18.8.2020). Christen wie Muslime üben ihre Religion offen und ohne Einschränkung aus. Die kleine Anzahl an Juden und Jüdinnen geben sich meist nicht öffentlich zu erkennen (AA 5.12.2022). Zu den Gruppen, die die Regierung nicht anerkennt, gehören die Baha'is, Buddhisten, Hindus und mehrere protestantische Gruppen (USDOS 2.6.2022).
Nach Schätzungen von Statistics Lebanon sind 64,9 % der Bevölkerung Muslime (32 % Sunniten, 31,3 % Schiiten und 1,6 % Alawiten und Ismailiten zusammen). Statistics Lebanon schätzt außerdem, dass 32 % der Bevölkerung Christen sind. Die größte christliche Gruppe sind die maronitischen Katholiken (mit 52,5 % der christlichen Bevölkerung), gefolgt von den griechisch-orthodoxen Christen (25 % der christlichen Bevölkerung) (USDOS 2.6.2022). Der Anteil der Drusen beläuft sich auf lediglich 4,5 % der Bevölkerung (CIA 11.1.2023). In der Verfassung heißt es, dass bei der Verteilung von Kabinettsposten und hochrangigen Posten im öffentlichen Dienst ein „gerechtes und ausgewogenes Verhältnis“ zwischen den großen Religionsgemeinschaften herrschen soll (USDOS 2.6.2022). Von den 64 Sitzen für Muslime im libanesischen Parlament entfallen 27 auf die Schiiten und 27 auf die Sunniten, acht auf die Drusen und zwei auf die Alawiten. Von den 64 Sitzen für Christen entfallen 34 auf Maroniten, 14 auf Orthodoxe, 8 auf Mitglieder der griechischen Kirche, 5 auf Armenier und 3 auf andere christliche Minderheiten Ausschussbericht 25.1.2022).
Laut Gesetz gestattet die Regierung anerkannten Religionsgemeinschaften die Anwendung ihrer eigenen Regeln für Familien- und Personenstandsangelegenheiten, einschließlich Heirat, Scheidung, Sorgerecht für Kinder und Erbschaft. Schiiten, Sunniten, anerkannte Christen und Drusen verfügen über staatlich ernannte subventionierte klerikale Gerichte, die das Familien- und Personenstandsrecht gemäß den Überzeugungen der jeweiligen Religionsgemeinschaft verwalten. Während die religiösen Gerichte und die religiösen Gesetze rechtlich an die Bestimmungen der Verfassung gebunden sind, hat der Kassationsgerichtshof, das höchste Zivilgericht im Justizsystem, nur eine sehr begrenzte Aufsicht über die Verfahren und Entscheidungen der religiösen Gerichte. Gemäß der Verfassung können anerkannte Religionsgemeinschaften ihre eigenen Schulen betreiben, sofern sie die allgemeinen Vorschriften für öffentliche Schulen einhalten, die besagen, dass die Schulen nicht zu konfessionellem Zwist anstiften oder die nationale Sicherheit gefährden dürfen. Die Regierung erlaubt den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, schreibt ihn aber nicht vor. Sowohl christliche als auch muslimische Vertreter lokaler Religionen veranstalten gelegentlich Aufklärungsveranstaltungen in öffentlichen Schulen (USDOS 2.6.2022).
Die Ehe kann nur durch anerkannte Religionsgemeinschaften und in religiöser Form
geschlossen werden (AA 5.12.2022). Einige christliche und muslimische Religionsbehörden führen interreligiöse Eheschließungen durch (USDOS 2.6.2022). Diese waren allerdings nur in wenigen Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, die letztlich darauf abzielen, dass ein Ehepartner zum Glauben des anderen konvertiert. Die vor einer anerkannten religiösen Instanz geschlossenen Ehen müssen anschließend in das libanesische Personenstandsregister eingetragen werden, damit die Eheurkunde rechtliche Beweiskraft erlangen kann. Eine zivile Eheschließung in Libanon ist weiterhin nicht möglich (AA 5.12.2022).
Konversion
Die Konversion ist im Libanon nicht ohne Stigma oder Schwierigkeiten, aber sie ist rechtlich zulässig, und das Kräfteverhältnis zwischen Islam und Christentum ist annähernd ausgeglichen (FT 1.2023). Laut Gesetz steht es einer Person frei, zu einer anderen Religion zu konvertieren, wenn ein örtlicher leitender Beamter der Religionsgemeinschaft, der die Person beitreten möchte, dem Wechsel zustimmt. Die Religionsgemeinschaft stellt ein Dokument aus, in dem die neue Religion des Konvertiten bestätigt wird, sodass der Konvertit seine neue Religion bei der Direktion für den Personenstand des Innenministeriums eintragen lassen kann. Die neue Religion wird anschließend in die von der Regierung ausgestellten Personenstandsurkunden eingetragen. Die Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, die übliche Angabe ihrer Religion aus den von der Regierung ausgestellten Personenstandsurkunden zu entfernen oder die Art der Angabe zu ändern. Für die Änderung der Dokumente ist keine Genehmigung der religiösen Beamten erforderlich, und die Eintragung der Person bei der Direktion für den Personenstand wird nicht geändert oder aufgehoben (USDOS 2.6.2022). In der Praxis kommen Konversionen nur in Ausnahmefällen vor, zumal Konvertiten nur eingeschränkt mit Verständnis ihres familiären oder gesellschaftlichen Umfelds rechnen können und allenfalls auch der Gefahr physischer Bedrohung ausgesetzt sind. Staatlichen Repressionen sind Konvertiten nicht ausgesetzt (AA 5.12.2022).
Blasphemie
Das Strafgesetzbuch sieht eine Höchststrafe von einem Jahr Gefängnis für jeden vor, der wegen „öffentlicher Gotteslästerung“ verurteilt wird (USDOS 2.6.2022; vergleiche HRF 26.11.2022). Es wird nicht definiert, was dies bedeutet. Gesetzliche Bestimmungen sehen mögliche Geld- oder Gefängnisstrafen für sektiererische Provokationen vor und der Presse ist die Veröffentlichung von blasphemischen Inhalten in Bezug auf die offiziell anerkannten Religionen des Landes oder von Inhalten, die sektiererische Fehden provozieren könnten, untersagt (USDOS 2.6.2022).
Quellen:
- AB - Al Bawaba (25.1.2022): Religious and Ethnic Groups in Lebanon, https://www.albawaba.com/opinion/religious-and-ethnic-groups-lebanon-1463785, Zugriff 30.1.2023
- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.1.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 30.1.2023
- FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (18.8.2020): Religionsführer im Libanon : Moralische Autoritäten, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/welche-rolle-religionsfuehrer-im-libanon-spielen-16909146.html, Zugriff 6.3.2023
- FT - First Things (1.2023): From Mecca to Rome, https://www.firstthings.com/article/2023/01/from-mecca-to-rome, Zugriff 31.1.2023
- HRF - Human Rights First (26.11.2022): Compendium Blasphemy Laws – Lenbanon, https://humanrightsfirst.org/wp-content/uploads/2022/11/Compendium-Blasphemy-Laws.pdf, Zugriff 31.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2074032.html, Zugriff 30.1.2023
17. Minderheiten
Die Bevölkerung des Libanon von geschätzten 5.296.814 Menschen besteht zu 95 % aus Arabern, zu 4 % aus Armeniern und zu 1 % aus sonstigen Ethnizitäten (CIA 11.1.2023). Die demografischen Daten sind umstritten, und seit 1932 hat es keine Volkszählung mehr gegeben. Einige Minderheitengruppen werden in erster Linie durch ihre Religion definiert, andere durch ihre ethnische Zugehörigkeit (MR 5.2020). Es besteht im Grundsatz keine ethnisch diskriminierende Gesetzgebung für libanesische Staatsangehörige oder die 18 anerkannten konfessionellen Gruppen. Die armenisch-stämmige Bevölkerung, eine bedeutende ethnische Minderheit, ist in Staat und Gesellschaft integriert. Die ca. 100.000 Personen umfassende kurdisch-stämmige Bevölkerung türkischen, syrischen oder irakischen Ursprungs wird nicht als Minderheit anerkannt, unterliegt aber keiner Repression wegen ihrer Volkszugehörigkeit; nach wie vor ist ein kleiner Teil dieser Bevölkerungsgruppe (ca. 1.000 - 1.500 Personen) aber staatenlos und hat damit keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen (AA 5.12.2022). [Anm.: Zur Lage von palästinensischen und syrischen Flüchtlingen siehe Kapitel 21.1 und 21.1.]
Einen Sonderfall stellen in Libanon lebende ausländische Hausangestellte dar. Es handelt sich überwiegend um Frauen aus Süd- und Südostasien sowie aus Afrika. Medien und Menschenrechtsorganisationen berichten glaubhaft von weit verbreiteten Fällen schwerer Misshandlung, sexuellen Missbrauchs, wirtschaftlicher Ausbeutung und Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch Passentzug seitens der Arbeitgeber. In einer im Oktober 2022 veröffentlichten Studie der NGO Egna Legna Besidet in Zusammenarbeit mit der Lebanese American University, bei der 913 Interviews mit ausländischen Hausangestellten durchgeführt wurden, gaben 68 % der Befragten an, während ihres Aufenthalts im Libanon mindestens eine Erfahrung von sexueller Belästigung gemacht zu haben. Für ausländische Hausangestellte gelten die Schutzbestimmungen des libanesischen Arbeitsrechts nicht, sondern das sogenannte Kafala System. Die Erfordernis eines persönlichen „Sponsors“ für die Aufenthaltsgenehmigung unterwirft die Betroffenen faktischer und rechtlicher Abhängigkeit. Die Regierung hat 2020 einen neuen Mustervertrag mit Mindestanforderungen an Arbeitsbedingungen verordnet. Dieser Vertrag ist allerdings aufgrund von Klagen von Vermittlungsagenturen vor Gericht derzeit ausgesetzt. Im Übrigen blieben staatliche Bemühungen für eine signifikante Verbesserung der Lage von Hausangestellten unzureichend (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023
- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.1.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 30.1.2023
- MR - Minority Rights (5.2020): Lebanon, https://minorityrights.org/country/lebanon/, Zugriff 30.1.2023
17.1. Beduinen – al-Ashaer, bzw. al-Arabiya
Die meisten Beduinen identifizieren sich aufgrund des sozialen Stigmas nicht als „Badu“ sondern als „Al-Ashaer“ („Stämme“) oder „Al-Arabiya“ (ÖB 28.10.2021). Beduinen sind nomadische Araber, die seit Hunderten von Jahren im Nahen Osten präsent sind (T961 28.1.2021). Sie sind stark in eigenen Traditionen verwurzelt, einschließlich eines traditionellen Rechtssystems und eines sie von anderen Libanesen differenzierenden Dialekts (ÖB 28.10.2021). Ein Teil der Angehörigen der Nomadenstämme/Beduinen in der Bekaa-Ebene und der Region Akkar wurde 1994 eingebürgert. Auch wenn diese rechtlich nicht diskriminiert werden, handelt es sich sozial und ökonomisch neben den palästinensischen und syrischen Flüchtlingen um die am stärksten benachteiligte Bevölkerungsgruppe. Die Lage der nicht-eingebürgerten Beduinen ist besonders prekär; sie haben keinen Zugang zu staatlichen Leistungen (AA 5.12.2022).
Ursprünglich lebten Beduinen vor allem in der Bekaa-Ebene sowie in Wadi Khaled im Akkar. Mittlerweile gibt es solche Gruppen im gesamten Land. Viele Beduinen leben schon lange im Land, zusätzliche Gruppen kamen während des Syrien-Kriegs in den Libanon. Die meisten von ihnen sind nach wie vor staatenlos, die Einbürgerung einiger zehntausende unter Premierminister Rafik Hariri 1994 stieß vor allem bei der christlichen Bevölkerungsgruppe auf Kritik, da man eine Veränderung des Bevölkerungsgleichgewichts befürchtete (ÖB 28.10.2021). Vielen staatenlosen Beduinen im Libanon werden aufgrund ihrer fehlenden Staatsangehörigkeit Grundbedürfnisse und Dienstleistungen wie Arbeit und die Schulbildung ihrer Kinder verweigert. Die Tatsache, dass sie im Staat unterrepräsentiert sind, macht es schwieriger, ihre Stimme zu Gehör zu bringen, zumal viele von ihnen den Gedanken ablehnen, politischen Parteien beizutreten, weil sie sich stark ihrem Stamm zugehörig fühlen (T961 28.1.2021). Die Zahl der über das Schulsystem gut integrierten Beduinen dürfte 5 % nicht übersteigen, sodass die überwiegende Mehrzahl weiterhin als Tagelöhner in der Landwirtschaft arbeitet. Es fehlt in ihren Dörfern an grundlegender Infrastruktur (ÖB 28.10.2021).
Bei den Sunniten in Khalde [nahe Beirut] handelt es sich meist um Beiruter Beduinen, die während des Bürgerkriegs von christlichen Milizen aus dem Stadtteil Quarantaine [Karantina] vertrieben wurden („Arab Al-Maslakh“ oder „Schlachthausaraber“) (ÖB 28.10.2021; vergleiche OT 6.5.2922). Der Zusammenstoß in Khalde im August 2021 involvierte die Hizbollah und auf der anderen Seite Mitglieder eines Beduinenstammes (KT 3.8.2021; vergleiche Reddit 1.8.2021). Ein Jahr zuvor war ein Mitglied des Stammes von einem Hizbollah-Mitglied getötet worden. Dieses wurde ein Jahr später aus Rache bei einer Hochzeit ermordet. Dann folgte ein Angriff auf dessen Beerdigungszug in Khalde, was in eine Auseinandersetzung mit mindestens fünf Toten mündete (KT 3.8.2021).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023
- KT - Khmer Times (3.8.2021): Armed groups clash in area south of Lebanese capital, https://www.khmertimeskh.com/50907321/armed-groups-clash-in-area-south-of-lebanese-capital/, Zugriff 30.1.2023
- ÖB Beirut (28.10.2021): Auskunft per E-Mail
- OT - L’Orient Today (6.5.2022): In Khaldeh, 'a gate to four places,' the Arab tribes stake out their turf, https://today.lorientlejour.com/article/1298555/in-khaldeh-a-gate-to-four-places-the-arab-tribes-stake-out-their-turf.html, Zugriff 30.1.2023
- Reddit [Posting von Johnny GSG9] (1.8.2022): Video: Arabs of Khalde (Bedouin clans) clashing with Hezbollah supporters in Khalde, Lebanon. 1 august 2021, https://www.reddit.com/r/CombatFootage/comments/ovze48/arabs_of_khaldebedouin_clans_clashing_with/, Zugriff 30.1.2023
- T961 - The961 (28.1.2021): How The Bedouins of Lebanon Came To Be, https://www.the961.com/story-bedouins-of-lebanon/, Zugriff 30.1.2023
18. Relevante Bevölkerungsgruppen
18.1. Frauen
Frauen sind im politischen und gesellschaftlichen Leben deutlich unterrepräsentiert. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2020 gingen insgesamt acht Sitze an Frauen, was eine leichte Verbesserung gegenüber 2018 darstellt (2018: sechs) (AA 5.12.2022; vergleiche HBS 2.12.2022). Im Bericht des Weltwirtschaftsforums zum Gender Gap 2022 wird der Libanon auf Platz 119 von 146 Ländern geführt und gehört damit zu den Ländern, die im regionalen Vergleich noch am besten abschneiden (WEF 13.7.2022). Innerhalb der Familien und der Gesellschaft herrscht allerdings weiterhin ein patriarchalisches System, das den Frauen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert (AA 5.12.2022). Frauen im Libanon werden sowohl durch das Gesetz und als auch in der Praxis diskriminiert (USDOS 12.4.2022).
Libanon hat 1997 das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) ratifiziert, jedoch bezüglich zahlreicher Bestimmungen Vorbehalte eingelegt. Das dazugehörige Fakultativprotokoll zur Möglichkeit der Individualbeschwerde wurde bisher nicht unterzeichnet (AA 5.12.2022). Die Verfassung verbietet nicht ausdrücklich die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (USDOS 12.4.2022). Seit Dezember 2020 ist sexuelle Belästigung in Libanon strafbar (AA 5.12.2022). Die rechtliche Stellung der Frau wird stark durch die konfessionell unterschiedlichen Personenstandsgesetze beeinflusst (AA 5.12.2022; vergleiche HRW 12.1.2023; vergleiche HBS 2.12.2022) [siehe hierzu auch Kapitel 5. „Rechtsschutz/Justizwesen“]. Alle 18 anerkannten Religionsgemeinschaften haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für diese Angelegenheiten zuständig sind, und die Gesetze variieren je nach Religionsgemeinschaft. So wenden beispielsweise sunnitische Religionsgerichte ein Erbrecht an, das einer Tochter die Hälfte des Erbes eines Sohnes zuspricht. Das religiöse Recht in Sorgerechtsangelegenheiten bevorzugt in den meisten Fällen den Vater, unabhängig von der Religionszugehörigkeit. Scharia-Gerichte gewichten die Aussage eines Mannes genauso wie die zweier Frauen (USDOS 12.4.2022). Auch das Staatsangehörigkeitsrecht diskriminiert Frauen, die an ihren Ehepartnern und ihren Kindern nicht die Staatsangehörigkeit übertragen dürfen (USDOS 12.4.2022; vergleiche HBS 2.12.2022, HRW 12.1.2023). Das Personenstandsrecht wird in hohem Maße von religiösen Persönlichkeiten geschützt, beherrscht die Familiengerichte und wirkt sich auf alle Aspekte des Lebens der Frauen im Lande aus. Zu den Personenstandsgesetzen kommen die Gesetze hinzu, die im Laufe der Jahre im Mittelpunkt feministischer Kämpfe standen, nämlich das Staatsangehörigkeitsgesetz, das Gesetz über geschlechtsspezifische Gewalt, das Gesetz über Belästigung, das Sorgerechtsgesetz und das Kafala-System, das auf das Fehlen gerechter Gesetze zum Schutz von Migrantinnen zurückzuführen ist (HBS 2.12.2022). Problematisch ist auch, dass es kein allgemeinverbindliches gesetzliches Mindestheiratsalter gibt und zahlreiche religiös-konfessionelle Rechtsstatute die Verheiratung von Minderjährigen erlauben [Anm.: siehe hierzu auch das Unterkapitel 18.2 „Kinder“] (AA 5.12.2022).
Gemäß Artikel 487 -, 489, des Strafgesetzes erhalten Frauen bei Verurteilung wegen Ehebruchs höhere Strafen als Männer (AA 5.12.2022). Die Mindesthaftstrafe für eine Person, die wegen Vergewaltigung verurteilt wird, beträgt fünf Jahre, bei Vergewaltigung eines Minderjährigen sieben Jahre. Das Gesetz befreit Vergewaltiger nicht mehr von der Strafverfolgung oder hebt ihre Verurteilung auf, wenn sie ihre Opfer geheiratet haben (USDOS 12.4.2022). 2017 wurde durch die Aufhebung des Paragraphs 522 des Strafgesetzbuches die Straffreiheit abgeschafft, für den Fall, dass der Vergewaltiger das Opfer nach der Tat heiratete. Gewalt gegen Frauen (und Kinder) ist ein verbreitetes soziales Problem, das öffentlich prominent diskutiert wird (AA 5.12.2022). Eine wachsende Zahl von Fällen von Femizid und häuslicher Gewalt macht deutlich, dass das entsprechende Gesetz gegen Gewalt in der Familie stärker umgesetzt werden muss (HRW 12.1.2023). Frauen und Mädchen sind weiterhin verschiedenen Risiken und Arten von geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Im zweiten Quartal 2022 waren körperliche Angriffe und psychische oder emotionale Misshandlungen mit 36 % bzw. 34 % die am häufigsten gemeldeten Arten von geschlechtsspezifischer Gewalt. Sexueller Missbrauch bleibt ein Risiko mit verheerenden Folgen für Frauen und Mädchen. Aufgrund der damit verbundenen Stigmatisierung wird jedoch nach wie vor zu wenig darüber berichtet. Vergewaltigung und sexuelle Nötigung machen 17 % aller gemeldeten Vorfälle aus, so der UN-Gender-Based-Violence-Bericht aus dem Jahr 2022 (UNFPA et al. 7.10.2022).
Dank der Lobbyarbeit und der hartnäckigen Bemühungen von Frauenorganisationen und Aktivisten und Aktivistinnen wurde 2014 ein Gesetz erlassen, das häusliche Gewalt unter Strafe stellt (CSKC 31.12.2014; vergleiche HBS 2.12.2022, AA 5.12.2022). Das Gesetz ist jedoch nach wie vor nicht in der Lage, einen umfassenden Schutz zu bieten, da es nicht alle Arten von Gewalt anerkennt, moralischen, emotionalen und verbalen Übergriffen keine Bedeutung beimisst und die wirtschaftliche und finanzielle Unabhängigkeit der Frauen von ihren Tätern nicht garantiert (HBS 2.12.2022). Einer der Hauptmängel des Gesetzes besteht darin, dass es Vergewaltigung in der Ehe nicht ausdrücklich unter Strafe stellt, was nach anderem libanesischem Recht keine Straftat ist. Ein früherer Entwurf des Gesetzes sah Vergewaltigung in der Ehe als Straftat vor, doch wurde diese Bestimmung auf Druck religiöser Autoritäten gestrichen (HRW 3.4.2014). Als eine Art Kompromiss stellt das Gesetz die Anwendung von Drohungen oder Gewalt durch einen Ehepartner unter Strafe, um ein „eheliches Recht auf Geschlechtsverkehr“ einzufordern, nicht aber die nicht einvernehmliche Verletzung der körperlichen Unversehrtheit selbst (HRW 3.4.2014; vergleiche USDOS 12.4.2022). Die Aktivistinnen und Aktivisten kritisierten auch den Verweis auf ein „eheliches Recht auf Geschlechtsverkehr“, das es im libanesischen Strafrecht nicht gibt, und befürchten, dass dies zur Legitimierung von Vergewaltigungen in der Ehe verwendet werden könnte (HRW 3.4.2014). Darüber hinaus ist das Strafmaß deutlich niedriger als bei Vergewaltigung außerhalb der Ehe (AA 5.12.2022). Während die Regierung versucht das Gesetz effektiv durchzusetzen, verhindert seine Auslegung durch religiöse Gerichte in Fällen, die vor diese und nicht vor Zivilgerichte gebracht wurden, die vollständige Umsetzung des Zivilrechts in allen Provinzen (USDOS 12.4.2022). Laut KAFA (enough) Violence & Exploitation, einer lokalen zivilgesellschaftlichen Organisation, waren im Juni 2022 93 % der Täter in neu gemeldeten Missbrauchsfällen die Ehemänner (KAFA 18.8.2022). Obwohl das Gesetz für Körperverletzung eine Höchststrafe von zehn Jahren Gefängnis vorsieht, konnten sich religiöse Gerichte auf das Personenstandsrecht berufen, um von einer misshandelten Ehefrau zu verlangen, dass sie in die gemeinsame Wohnung mit ihrem Misshandler zurückkehrt. Einige Polizeibehörden, vor allem in ländlichen Gebieten, behandelten häusliche Gewalt als eine soziale und nicht als eine kriminelle Angelegenheit (USDOS 12.4.2022).
Im Allgemeinen bemühen sich Polizei- und Justizbeamte um eine bessere Bearbeitung von Fällen häuslicher Gewalt, stellen jedoch fest, dass sozialer und religiöser Druck - vor allem in konservativeren Gemeinschaften - dazu führt, dass zu wenig Fälle gemeldet werden. Einige Opfer, die oft unter dem Druck von Verwandten stehen, suchen die Schlichtung durch religiöse Gerichte oder zwischen Familien, anstatt sich an die Justiz zu wenden. Es gibt Berichte und Fälle von ausländischen Hausangestellten, in der Regel Frauen, die unter Misshandlung, Missbrauch und in einigen Fällen unter Vergewaltigung oder sklavereiähnlichen Bedingungen leiden (USDOS 12.4.2022). KAFA hat eine langfristige Zusammenarbeit mit der libanesischen Sicherheitsbehörden (ISF) eingeleitet, um eine bessere Reaktion auf misshandelte und von Gewalt bedrohte weibliche Hausangestellte zu entwickeln und umzusetzen (KAFA 2022). Die Internal Security Forces (ISF) informieren ihre Menschenrechtsabteilung über Fälle, in denen Opfer häuslicher Gewalt und andere gefährdete Gruppen involviert sind, damit die Beamten die Fälle verfolgen und den Opfern angemessene Unterstützung bieten können. Die Abteilung für Frauenangelegenheiten im Sozialministerium und mehrere NGOs setzen ihre Projekte zur Bekämpfung von sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt fort, z. B. die Bereitstellung von Beratung und Unterkünften für Opfer (USDOS 12.4.2022). Der Libanon ist ein Zielland des internationalen Frauenhandels, vornehmlich aus Osteuropa, Russland und Syrien. Die Regierung arbeitet inzwischen mit NGOs zusammen, um diesen die Betreuung von Opfern des Frauenhandels zu ermöglichen (AA 5.12.2022).
Besonders schwierig ist die Situation von Flüchtlingsfrauen in der gegenwärtigen Krise. Dies beschränkt sich nicht nur auf die krisenbedingte wirtschaftliche Belastung, sondern bezieht sich auch auf ihre eigenen derzeitigen Möglichkeiten, Schutz zu suchen und Rechte zu erlangen. Im Libanon sind syrische und palästinensische Flüchtlingsfrauen und -mädchen noch weit von jeglicher Form der Gleichstellung entfernt, selbst mit ihren libanesischen (nicht geflüchteten) Mitbürgerinnen (HBS 2.12.2022).
Die Zahl der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und der zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs) im Libanon ist stetig gestiegen (ICNL 14.11.2022). Wichtige libanesische NGOs und CSOs, die sich für Frauen einsetzen, sind neben KAFA (KAFA o.D.) auch Lebanese Democratic Women’s Gathering (RDFL) (RDFL o.D.), Lebanese Council for Women (LCW) (CSKC o.D.), Dar Al Amal (DAA) (DAA o.D.) oder Fe-Male (FM o.D.).
Quellen:
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- CSKC - Civil Society Knowledge Center (o.D.): Lebanese Council for Women (LCW), https://civilsociety-centre.org/content/lebanese-council-women-lcw, Zugriff 30.1.2023
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- FM - Fe-Male (o.D.) Who We Are, https://www.fe-male.org/who-we-are, Zugriff 30.1.2023
- HBS - Heinrich Böll Stiftung – Beirut Office (2.12.2022): https://lb.boell.org/sites/default/files/2022-12/fqml-en-e.pdf, Zugriff 30.1.2023
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- HRW - Human Rights Watch (3.4.2014): Lebanon: Domestic Violence Law Good, but Incomplete, https://www.hrw.org/news/2014/04/03/lebanon-domestic-violence-law-good-incomplete, Zugriff 30.1.20223
- ICNL - International Center for Not-For-Profit Law (14.11.2022): Lebanon, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/lebanon, Zugriff 30.1.2023
- KAFA - KAFA (enough) Violence & Exploitation (18.8.2022): Second Quarter Report 2022, https://kafa.org.lb/en/node/508, Zugriff 27.1.2023
- KAFA - KAFA (enough) Violence & Exploitation (2022): Annual Report on Activities 2021, https://kafa.org.lb/sites/default/files/2022-12/annual-report-2021-final.pdf, Zugriff 30.1.2023
- RDFL - The Lebanese Democratic Women’s Gathering (o.D.): About Us, https://www.rdflwomen.org/eng/about-us/, Zugriff 30.1.2023
- UNFPA - United Nations Population Fund / UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees / UNICEF - United Nations Children’s Fund (7.10.2022): Gender-Based Violence Information Management System - Overview of Incidents of GBV and Women and Girls’ access to justice services Quarter 2-2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2081458/GBVIMS+Thematic+Report_Final_Q2+2022.pdf, Zugriff 27.1.2023
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- WEF - World Economic Forum (13.7.2022): Global Gender Gap Report 2022, https://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2022.pdf, Zugriff 30.1.2023
18.2. Kinder
Eine Reihe schwerwiegender Krisen im Libanon führt dazu, dass die Zahl der Kinder, die Missbrauch, Ausbeutung und Gewalt ausgesetzt sind, steigt (UNICEF 12.2021). Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise haben die Fähigkeit der Regierung beeinträchtigt, libanesischen Kindern grundlegende Dienstleistungen wie sauberes Trinkwasser, Bildung und Gesundheitsdienste zur Verfügung zu stellen (ACAP 31.5.2022). Immer mehr junge Menschen brechen ihre schulische Ausbildung ab und gehen einer schlecht bezahlten, unregelmäßigen und informellen Arbeit nach, um ein Einkommen zu erzielen, mit dem sie ihren Familien helfen können, die wachsenden Herausforderungen zu bewältigen (UNICEF 28.1.2022).
Für libanesische Staatsbürger ist die Bildung bis zum Ende der Grundschulzeit kostenlos und obligatorisch. Staatenlose Kinder oder Kinder ohne libanesische Staatsbürgerschaft sowie Flüchtlinge haben nicht dieses Recht – auch nicht die Kinder von libanesischen Müttern und nicht-libanesischen Vätern. Die Staatsbürgerschaft wird ausschließlich vom Vater abgeleitet. Dies kann zur Staatenlosigkeit von Kindern einer libanesischen Mutter und eines nicht-libanesischen Vaters führen, wenn die Kinder nicht durch ihre Väter eine ausländische Staatsbürgerschaft bekommen können. Das Ministerium für Bildung und höhere Bildung ordnete an, dass die Zahl der nicht-libanesischen Schüler in einem bestimmten Klassenzimmer während der regulären Schulzeit nicht höher sein darf als die Zahl der libanesischen Schüler, wodurch die Zahl der Schüler manchmal begrenzt wird (USDOS 12.4.2022). Die Einschulungsrate für 6 bis 11-jährige libanesische Kinder (Nicht-Flüchtlinge) liegt bei ca. 90 %, bei den 3- bis 5-jährigen liegt sie über 90 % (Vorschulen) (AA 5.12.2022). Allerdings mussten im Schuljahr 2021/22 30.000 Schüler die Schule verlassen. Mehr als 700.000 Kinder sind aufgrund der zunehmenden Armut gefährdet, nie wieder ein Klassenzimmer zu besuchen (AlM 4.3.2022).
Kinder leiden in verschiedenen Lebensbereichen unter den Folgen der multiplen Krisen im Land, wobei ihre Bildung stark gefährdet ist (AlM 4.3.2022). Bildungseinrichtungen berichten, dass einige Schulen aufgrund der Wirtschaftskrise, der Abwertung des libanesischen Pfunds und des Mangels an Finanzmitteln gezwungen waren, im Laufe des Jahres 2021 zu schließen. Darüber hinaus wurden viele Lehrkräfte entlassen oder haben gekündigt (USDOS 12.4.2022). Die Instabilität des öffentlichen Bildungssystems im Libanon hat sich durch die Streiks der Lehrkräfte noch verschlimmert (AlM 4.3.2022). Die Lehrer im Libanon streiken wegen der Bezahlung und der Arbeitsbedingungen und verschärfen damit die Bildungskrise, durch die schätzungsweise eine Million Kinder ohne Schulbildung zurückbleiben (STC 19.1.2023). Einige Lehrer sind entschlossen, nicht zur Schule zurückzukehren, bis die Regierung ihren Forderungen nachkommt (AlM 4.3.2022).
Die zunehmend schwierige sozioökonomische Lage im Libanon hat zu einer Zunahme negativer Bewältigungsmechanismen, einschließlich Kinderarbeit, geführt (UNICEF 28.1.2022). Speziell in abgelegenen und ländlichen Gebieten (Bekaa/Akkar) ist Kinderarbeit gleichwohl verbreitet. Betroffene kommen meist aus den unteren sozialen Schichten und haben oft keine libanesische Staatsangehörigkeit, wie palästinensische bzw. syrische Flüchtlinge oder auch die Kinder afrikanischer oder asiatischer Hausangestellter. Das gesetzliche Mindestalter für eine Arbeitsaufnahme liegt bei 14 Jahren (AA 5.12.2022). Kinderarbeit und Kinderzwangsarbeit unter der syrischen Flüchtlingsbevölkerung nehmen weiter zu, insbesondere in der Landwirtschaft, auf dem Bau sowie beim Straßenverkauf und beim Betteln. Für diese Kinder besteht ein hohes Risiko, Opfer von Menschenhandel zu werden, vor allem auf den Straßen der großen städtischen Gebiete wie Beirut und Tripolis sowie in den ländlichen Gebieten von Bekaa und Akkar (USDOS 6.9.2022). Libanon verfügte über kein umfassendes Kinderschutzgesetz, obwohl die gesetzlichen Bestimmungen Kindern, die Opfer von Gewalt wurden, einen gewissen Schutz bieten. Das Gesetz verbietet und bestraft kommerzielle sexuelle Ausbeutung, Kinderpornografie und Kinderhandel (USDOS 12.4.2022).
Das Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr beträgt 18 Jahre für Männer und Frauen, und die Strafe für Vergewaltigung beträgt mindestens fünf Jahre Zwangsarbeit und mindestens sieben Jahre Haft, wenn das Opfer jünger als 15 Jahre ist. Die Regierung hat das Gesetz im Allgemeinen durchgesetzt (USDOS 12.4.2022). Es gibt allerdings kein gesetzliches Mindestalter für die Eheschließung. Jede religiöse Gruppierung hat ihre eigenen religiösen Gerichte, die Fragen des persönlichen Status wie Heirat, Scheidung, Sorgerecht und Erbschaft regeln. Das Mindestalter für die Eheschließung schwankt je nach Glaubensrichtung zwischen 14 und 18 Jahren (USDOS 12.4.2022). Religiöse Gerichte legen das Alter auf der Grundlage von 15 verschiedenen Personenstandsgesetzen fest, von denen einige die Heirat von Mädchen unter 15 Jahren erlauben. Dies ist ein großes Hindernis für die Bekämpfung der Kinderheirat auf nationaler Ebene. Für geflüchtete Mädchen im Libanon besteht zusätzlich ein erhöhtes Risiko einer Kinderheirat (DGC 9.11.2022). UN-Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und Regierungsbeamte stellen hohe Rate an Frühehen unter der syrischen Flüchtlingsbevölkerung fest, die in einigen Fällen viermal so hoch waren wie vor Beginn des Syrien-Konflikts. Sie führten diesen Umstand teilweise auf den sozialen und wirtschaftlichen Druck auf Familien mit begrenzten Ressourcen zurück (USDOS 12.4.2022).
Angesichts des zunehmenden Stresses zu Hause, des fehlenden geregelten Schulalltags und des Rückgangs der sozialen Dienste sind mindestens eine Million Kinder im Libanon von direkter Gewalt bedroht. UNICEF-Partner berichten über steigende Raten häuslicher Gewalt, die sowohl Frauen als auch Kinder einem größeren Risiko aussetzt (UNICEF 12.2021). Die Hälfte der libanesischen Kinder - etwa 700.000 - benötigt jetzt humanitäre Hilfe, und Tausende sind von Unterernährung bedroht, da der Krieg in der Ukraine die nationale Nahrungsmittelkrise weiter zu verschärfen droht. Mehr als 200.000 Kinder leiden bereits an Unterernährung und 7 % aller Kinder sind unterentwickelt, ein Indikator für chronische Unterernährung (STC 14.4.2022). Laut UNICEF stieg zwischen April und Oktober 2021 die Zahl der Kinder, die keinen Zugang zu medizinischer Versorgung hatten, als sie diese benötigten, von 28 % auf 34 % (UNICEF 4.2022).
Wenn die Geburt eines Kindes nicht innerhalb des ersten Jahres registriert wird, ist das Verfahren zur Legitimierung der Geburt langwierig und kostspielig, was die Familien oft von der Registrierung abhält. Syrische Flüchtlinge benötigen keinen legalen Wohnsitz mehr, um die Geburt ihrer Kinder registrieren zu lassen. Die Geburtenregistrierung bleibt für einige unzugänglich, weil die Regierung den Nachweis eines legalen Wohnsitzes und einer legalen Heirat verlangte - Dokumente, die für Flüchtlinge oft nicht verfügbar sind (USDOS 12.4.2022).
Lokale NGOs wie die Lebanese Union for Child Welfare (LUCW) setzen sich für die Rechte von Kindern ein (DM o.D.). Naba'a - Developmental Action without Borders, eine NGO die mit palästinensischen und libanesischen Gemeinschaften arbeitet (Naba’a o.D.), hat sich zum Ziel gesetzt, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Kinder und Jugendliche ungeachtet ihrer Religion, ihres Geschlechts und ihrer Nationalität entfalten und in Harmonie leben können (CHS o.D.). Frauenrechtsorganisationen im Libanon, darunter Kafa und Abaad, setzen sich seit langem unter anderem dafür ein, das Mindestheiratsalter auf 18 Jahre festzusetzen (DGC 9.11.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
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- ACAP - The Assessment Capacities Project (31.5.2022): https://www.acaps.org/sites/acaps/files/products/files/20220531_acaps_briefing_note_lebanon_impact_of_crisis_on_children.pdf, Zugriff 27.1.2023
- AlM - Al-Monitor (4.3.2022): Children's education at risk in Lebanon due to economic crisis, https://www.al-monitor.com/originals/2022/03/childrens-education-risk-lebanon-due-economic-crisis, Zugriff 27.1.2023
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- DGC - Durban Girls’ College (9.11.2022): Legal Marriage Age Lebanon, https://dgc.co.za/legal-marriage-age-lebanon/, Zugriff 27.1.2023
- DM - Daleel-Madani (o.D.): Lebanese Union For Child Welfare, https://daleel-madani.org/ar/civil-society-directory/lebanese-union-child-welfare/about, Zugriff 27.1.2023
- Naba’a - Developmental Action without Borders (o.D.): About Us, https://www.nabaa-lb.org/, Zugriff 27.1.2023
- STC - Safe the Children (19.1.2023): One Million Children Left Without Education In Lebanon After Public Schools Shut Their Doors, https://www.savethechildren.net/news/one-million-children-left-without-education-lebanon-after-public-schools-shut-their-doors, Zugriff 27.1.2023
- STC - Safe the Children (14.4.2022): Half of Lebanese children now need support due to food, healthcare shortages – new data, https://www.savethechildren.net/news/half-lebanese-children-now-need-support-due-food-healthcare-shortages-new-data, Zugriff 27.1.2023
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- UNICEF - United Nations Children’s Fund (28.1.2022): Searching for Hope: A Grim Outlook for Youth as Lebanon Teeters on the Brink of Collapse, https://www.unicef.org/lebanon/media/7746/file, Zugriff 27.1.2023
- UNICEF - United Nations Children’s Fund (12.2021): Violent Beginnings: Children growing up in Lebanon’s crisis, https://www.unicef.org/lebanon/media/7626/file/Child%20Protection%20-%20Violent%20Beginnings%20.pdf, Zugriff 27.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (6.9.2022): 2022 Trafficking in Persons Report: Lebanon, https://www.state.gov/reports/2022-trafficking-in-persons-report/lebanon/, Zugriff 27.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 27.1.2023
18.3. LGBTI-Personen
LGBTI-Menschen [LGBTI - Lesbian, Gay, Bisexual, Transexuall/Transgender, Intersexual] werden im Libanon systematisch diskriminiert und sind weiterhin unverhältnismäßig stark von der Wirtschaftskrise betroffen. Transgender-Frauen sind mit systemischer Gewalt und Diskriminierung beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, einschließlich Beschäftigung, Gesundheitsversorgung und Wohnraum, konfrontiert (HRW 12.1.2023; vergleiche HBS 2.12.2022).
Im Libanon wurde Artikel 534 des Strafgesetzbuchs, der „jeden Geschlechtsverkehr, der den Gesetzen der Natur widerspricht“ verurteilt, in der Vergangenheit dazu verwendet, Menschen wegen gleichgeschlechtlicher Beziehungen zu verfolgen (TML 26.11.2022; vergleiche AA 5.12.2022) und mit bis zu einem Jahr Gefängnis zu bestrafen (HRW 12.1.2023; vergleiche AA 15.12.2022 ). In den letzten Jahren haben Richter der unteren Instanzen jedoch damit begonnen, homosexuelle Beziehungen nicht mehr zu verurteilen, da sie sie nicht als naturwidrig ansehen, und damit einen rechtlichen Präzedenzfall für die gesamte Gemeinschaft geschaffen (TML 26.11.2022). Ein Bezirksberufungsgericht entschied im Jahr 2018 ebenfalls, dass einvernehmliches gleichgeschlechtliches Verhalten nicht rechtswidrig ist (HRW 12.1.2023; vergleiche HDT o.D.). Dies ist
allerdings weiterhin Ausdruck einer Mindermeinung in der Rechtsprechung (AA 5.12.2022).
Sicherheitskräfte nutzen diesen Artikel immer noch, um Menschen aufgrund ihres Geschlechtsidentität oder -ausdruck zu verhaften, insbesondere Trans-Frauen (TML 26.11.2022). Trans-Personen fallen nicht nur unter Gesetze, die gleichgeschlechtliche Handlungen unter Strafe stellen, sondern können auch nach dem Gesetz über das Verbot der „Verkleidung als Frau“ mit einer Höchststrafe von sechs Monaten Haft bestraft werden (HDT o.D.). Eine generelle polizeiliche und gerichtliche Verfolgung von Personen, die der Homosexualität verdächtigt werden, findet zwar nicht statt, doch kommt es gelegentlich zu Schikanen, z.T. auch gewaltsamen Übergriffen, gegen LGBTI-Personen durch Sicherheitsorgane, aber auch durch religiöse Gruppen (AA 5.12.2022). NGOs geben an, dass die offizielle und gesellschaftliche Diskriminierung von LGBTI-Personen weiter anhält. Demnach gibt es Berichte von LGBTI-Flüchtlingen über körperliche Misshandlungen durch lokale Banden, die die Opfer nicht bei den Internal Security Forces (ISF) meldeten. Personen, die mit Gewalt konfrontiert waren, zögerten, Vorfälle zu melden, weil sie weitere Diskriminierungen oder Repressalien befürchteten. Es gibt keine Bemühungen der Regierung, gegen mögliche Diskriminierung vorzugehen (USDOS 12.4.2022). Laut Human Rights Watch hat hingegen digitales Targeting der Regierung im Libanon zu willkürlichen Verhaftungen, zum Rückgriff auf unrechtmäßig erlangte persönliche digitale Informationen bei der Strafverfolgung und zur Erpressung von LGBTI-Personen geführt (HRW 21.2.2023).
Am 24.6.2022 hat der geschäftsführende Innenminister Bassam Mawlawi ein Schreiben an die Kräfte der allgemeinen und der inneren Sicherheit gerichtet, in dem er beide Institutionen anwies, Versammlungen zu verhindern, die „unnatürliche sexuelle Beziehungen“ und „das Phänomen der sexuellen Abweichung“ fördern (TML 26.11.2022; vergleiche HRW 12.1.2023). Rechtsgruppen haben gegen die Entscheidung Berufung eingelegt (HRW 12.1.2023). Am 1.11.2022 beschloss der Staatsrat, das oberste Verwaltungsgericht des Libanon, die Aussetzung des Beschlusses von Innenminister Mawlawi (Helem 15.11.2022; vergleiche TML 26.11.2022). Während in Teilen Beiruts eine im Vergleich zu anderen Ländern der Region weitgehende Toleranz gegenüber LGBTI vorherrscht und auch in diesem Bereich aktive NGOs toleriert werden und mit Einschränkungen arbeiten können, sind soziale Zwänge außerhalb Beiruts groß (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 27.1.2023
- HBS - Heinrich Böll Stiftung – Beirut Office (2.12.2022): https://lb.boell.org/sites/default/files/2022-12/fqml-en-e.pdf, Zugriff 30.1.2023
- HDT - Human Dignity Trust (o.D.): Lebanon, https://www.humandignitytrust.org/country-profile/lebanon/, Zugriff 27.1.2023
- Helem (15.11.2022): Suspension of Minister of Interior’s Homophobic Decision, https://uploads-ssl.webflow.com/6103f4af16787766f28ab22b/6387f2288c6c882d2f654677_Helem_Statement_November_15_2022.pdf, Zugriff 27.1.2022
- HRW - Human Rights Watch (21.2.2023): “All This Terror Because of a Photo” Digital Targeting and Its Offline Consequences for LGBT People in the Middle East and North Africa, https://www.hrw.org/report/2023/02/21/all-terror-because-photo/digital-targeting-and-its-offline-consequences-lgbt, Zugriff 28.2.2023
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 19.1.2023
- TML - The Medialine (26.11.2022): Despite Win in Courts, LGBT Community Suffers Discrimination, Abuse in Lebanon, https://themedialine.org/people/despite-win-in-courts-lgbt-community-suffers-discrimination-abuse-in-lebanon/, Zugriff 27.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 27.1.2023
19. Bewegungsfreiheit
Das Gesetz gewährt Bewegungsfreiheit in Bezug auf Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, und die Regierung respektierte grundsätzlich diese Rechte. Einschränkungen gibt es nur für Flüchtlinge und Asylsuchende, von denen die meisten aus Palästina, Syrien und dem Irak stammen (USDOS 12.4.2022) [Anm.: Für detaillierte Informationen wird auf das entsprechenden Kapitel 20 „IDPs und Flüchtlinge“ verwiesen]. Berichten zufolge werden im Libanon diskriminierende Ausgangssperren verhängt, die sich gegen ausländische oder syrische Staatsangehörige richten (MRG 31.1.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022). Während die Gemeinden ursprünglich Sicherheitsbedenken als Rechtfertigung für die Verhängung von Ausgangssperren für syrische Bürger anführten, insbesondere im Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg und seinen Folgen im Libanon, lieferte die Ausbreitung der Covid-19-Pandemie eine zusätzliche Rechtfertigung für die Einschränkung der Bewegungsfreiheit syrischer Bürger. Während der Pandemie wurde berichtet, dass mindestens 21 libanesische Gemeinden Beschränkungen für syrische Flüchtlinge eingeführt hatten, die nicht für libanesische Bürger gelten (MRG 31.1.2022).
Kontrollpunkte sind im Libanon weit verbreitet (AA 5.12.2022). Bewaffnete nichtstaatliche Akteure behindern oder verhindern die Bewegungsfreiheit in den von ihnen kontrollierten Gebieten. Bspw. kontrollieren Bewaffnete Hizbollah-Mitglieder den Zugang zu einigen von der Hizbollah kontrollierten Gebieten (USDOS 12.4.2022).
Libanon kann auf dem Landweg derzeit nur in Richtung Syrien verlassen werden. Aufgrund des besonderen Charakters der Beziehungen zwischen den beiden Staaten können libanesische Staatsangehörige mit Personalausweis über einen der sechs offiziellen Grenzübergänge problemlos nach Syrien ein- und ausreisen. Auch die „grüne Grenze“ zwischen Libanon und Syrien ist trotz einer gewissen Verbesserung der Grenzüberwachung nach wie vor durchlässig; die Grenze wurde allerdings seit Mitte 2011 in Teilbereichen auf syrischer Seite vermint. Die Demarkationslinie (Blaue Linie) zu Israel ist für den Grenzverkehr geschlossen und wird durch einen durchgehenden Grenzzaun/-mauer auf israelischer Seite befestigt (AA 5.12.2022).
Innerhalb der Familien übten die Männer mitunter eine beträchtliche Kontrolle über weibliche Verwandte aus, indem sie deren Aktivitäten außerhalb des Hauses oder deren Kontakt zu Freunden und Verwandten einschränkten (USDOS 12.4.2022). Verheiratete Frauen benötigen für die Ausstellung eines Reisepasses die Zustimmung des Ehemannes (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 27.1.2023
- MRG - MENA Rights Group (31.1.2022): Joint report on the erosion of the non-refoulement principle in Lebanon since 2018, https://menarights.org/en/documents/joint-report-erosion-non-refoulement-principle-lebanon-2018, Zugriff 27.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 27.1.2023
20. IDPs und Flüchtlinge
Das Gesetz sieht weder die Gewährung von Asyl noch die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus vor (USDOS 12.4.2022). Dennoch ist der Libanon nach wie vor das Land, das die meisten Flüchtlinge pro Kopf der Bevölkerung aufnimmt (UNHCR 10.2022; vergleiche TNH 26.9.2022). Die Regierung schätzt die Zahl der syrischen Flüchtlinge auf 1,5 Mio. und die Zahl der Flüchtlinge anderer Nationalitäten auf 12.377. Dazu zählen unter anderem 6.878 Flüchtlinge aus dem Irak und 2.379 Flüchtlinge aus dem Sudan (UNHCR 10.2022). Hinzu kommen ca. 210.000 im Land lebende palästinensische Flüchtlinge (UNRWA 21.10.2022). Libanon ist bislang keiner internationalen Konvention zur Regelung des Status von Flüchtlingen beigetreten (AA 5.12.2022). Als Reaktion auf den Anstieg der irakischen Flüchtlinge im Libanon im Jahr 2003 unterzeichnete die libanesische Regierung ein Memorandum of Understanding (MoU) mit dem Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR), in der der Libanon erklärte, dass er kein Asylland sei, sondern lediglich ein Transitland für Asylsuchende aus Drittländern. Das MoU verpflichtete das UNHCR, die Flüchtlinge in Zusammenarbeit mit der libanesischen Generaldirektion für Sicherheit zu registrieren und ihnen eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Als 2011 Tausende von Syrern, die vor Krieg und Verfolgung flohen, in den Libanon kamen, war die Vereinbarung von 2003 nicht aktualisiert worden, und das UNHCR musste im Libanon ohne eine formelle Vereinbarung arbeiten. Ohne einen Mechanismus, der sicherstellt, dass Aufenthaltsgenehmigungen ordnungsgemäß ausgestellt werden, sehen sich die Flüchtlinge häufig mit unlauteren Praktiken der Mitarbeiter der allgemeinen Sicherheitsbehörden konfrontiert, die willkürlich zusätzliche Dokumente oder Gebühren verlangen und teilweise sogar die Ausstellung von Genehmigungen ohne Begründung verweigern (TIMEP 8.12.2022).
Im Libanon haben 80 % der Flüchtlinge keine legalen Aufenthaltspapiere. Dies ist eine unmittelbare Folge davon, dass die libanesische Regierung dem UNHCR 2015 untersagt hat, die im Libanon ankommenden Syrer zu registrieren (RBC 5.8.2022). Der Ausbruch der Covid-19-Pandemie im Libanon im Februar 2020 hat die syrische und palästinensische Bevölkerung disproportional getroffen; die Sterberate war vier- bzw. dreimal so hoch wie der nationale Durchschnitt (AA 5.12.2022). Trotz Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für syrische Flüchtlinge durch Abkommen wie den Libanon Compact haben die COVID-19-Pandemie und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage zu einer Verschlechterung der Bedingungen für Flüchtlinge beigetragen (RBC 5.8.2022). NGOs und UN-Organisationen berichten weiterhin über Fälle sexueller Belästigung und Ausbeutung von Flüchtlingen durch Arbeitgeber und Vermieter, einschließlich der Zahlung von Löhnen unterhalb des Mindestlohns, übermäßig langer Arbeitszeiten, Schuldknechtschaft und des Drucks auf Familien, einer frühen Verheiratung ihrer Töchter zuzustimmen, um die wirtschaftliche Not zu lindern (USDOS 12.4.2022).
Im Jahr 2019 gab der Oberste Verteidigungsrat (HDC) den Sicherheitsdiensten Anweisungen zur verstärkten Durchsetzung der Bauvorschriften. Dies führte zur Zerstörung von Tausenden von Flüchtlingsunterkünften. Bis 31.8.2021 waren Berichten zufolge mindestens 115 Flüchtlingsfamilien von den Anweisungen zum Abriss von festen Strukturen in Zentral- und Nord-Bekaa betroffen. Einige Flüchtlingskinder leben und arbeiten auf der Straße. Angesichts des schlechten wirtschaftlichen Umfelds, der eingeschränkten Bewegungsfreiheit und der geringen Möglichkeiten für Erwachsene, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sind viele syrische Flüchtlingsfamilien darauf angewiesen, dass ihre Kinder Geld für die Familie verdienen, indem sie betteln oder kleine Gegenstände auf der Straße verkaufen. Flüchtlingskinder sind stärker als libanesische Kinder von Ausbeutung, geschlechtsspezifischer Gewalt und Kinderarbeit bedroht, da sie im Vergleich zu ihren Eltern, die oft keine Aufenthaltsgenehmigung besitzen, eine größere Bewegungsfreiheit haben (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 25.1.2023
- RBC - ReBuild Consortium (5.8.2022): Refugees in Lebanon – problems and some solutions, https://www.rebuildconsortium.com/refugees-in-lebanon-problems-and-some-solutions/, Zugriff 26.1.2023
- TIMEP - The Tahir Institute for Middle East Policy (8.12.2022): Lebanon’s Refugee and Asylum Legal Framework, https://timep.org/explainers/lebanons-refugee-and-asylum-legal-framework/, Zugriff 26.1.2023
- TNH - The New Humanitarian (26.9.2022): Debunking the dangerous myth that refugees are an economic burden in Lebanon, https://www.thenewhumanitarian.org/opinion/2022/09/26/Syrian-refugees-Lebanon-economics, Zugriff 6.3.2023
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (10.2022): Lebanon Fact Sheet – October 2022, https://reporting.unhcr.org/document/3918, Zugriff 26.1.2023
- UNRWA - United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (21.10.2022): Hitting Rock Bottom - Palestine Refugees in Lebanon Risk their Lives in Search of Dignity, https://reliefweb.int/report/lebanon/hitting-rock-bottom-palestine-refugees-lebanon-risk-their-lives-search-dignity-enar, Zugriff 26.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 26.1.2023
20.1. Syrische Flüchtlinge
Laut Daten des Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) waren mit Stand 31.12.2022 814.715 syrische Flüchtlinge beim UNHCR registriert (UNHCR 31.12.2022). Da die Regierung das UNHCR angewiesen hat, die Registrierung syrischer Flüchtlinge Anfang 2015 einzustellen, sind in dieser Gesamtzahl keine syrischen Flüchtlinge enthalten, die nach diesem Zeitpunkt angekommen sind (USDOS 12.4.2022). Die libanesische Regierung schätzt, dass von den sechs Millionen Menschen, die im Land leben, 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge sind (SACD 7.11.2022; vergleiche UNHCR 31.12.2022). Diese Schätzung umfasst sowohl registrierte als auch nicht registrierte Flüchtlinge. Die meisten dieser Flüchtlinge leben in den gefährdeten Aufnahmegemeinschaften unter armen Bedingungen (SACD 7.11.2022). Es kommt vereinzelt zu Übergriffen von Libanesen gegen syrische Flüchtlinge (AA 5.12.2022). Libanesische Beamte haben oft erklärt, dass die Integration der mehrheitlich sunnitischen Syrer in die Wirtschaft das System der Machtteilung zwischen Christen, Sunniten und Schiiten im Staat stören könnte (SACD 7.11.2022). Dementsprechend äußern die Libanesen häufig ihre Besorgnis über den Wettbewerb mit Syrern und ihren etablierten Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt, während einige libanesische Politiker Flüchtlinge opportunistisch als Sündenböcke für die sozioökonomische Verschlechterung des Landes benutzen (SACD 7.11.2022; vergleiche AI 23.3.2021). Diese Rhetorik hat sich in den letzten Monaten verschärft, und Regierungsvertreter sprechen nun offen von einer erzwungenen Rückkehr der Syrer nach Syrien (SACD 7.11.2022).
Lebensbedingungen
Es gibt keine offiziellen Flüchtlingslager für Syrer. Die meisten syrischen Flüchtlinge leben in städtischen Gebieten, viele von ihnen in unfertigen, minderwertigen Wohnungen oder in Gebäuden, die bisher nicht als Wohnraum genutzt wurden. Etwa 20 % leben nach Angaben des UNHCR in informellen Zeltsiedlungen, die häufig an landwirtschaftliche Flächen angrenzen (USDOS 12.4.2022). Über die Hälfte (57 %) der syrischen Flüchtlingsfamilien leben in überfüllten Unterkünften, in Unterkünften, die nicht den humanitären Standards entsprechen, und/oder in einsturzgefährdeten Unterkünften (UNHCR et al. 25.1.2022). Die Situation syrischer Flüchtlinge im Libanon hat sich angesichts der extremen Wirtschaftskrise dramatisch verschlechtert (AA 5.12.2022). Einer UN-Studie zufolge nahmen die Flüchtlinge häufig Kredite auf, um Grundbedürfnisse wie Miete, Lebensmittel und Gesundheitsversorgung zu decken, sodass mehr als 90 % verschuldet sind und unter Ernährungsunsicherheit leiden (USDOS 12.4.2022; vergleiche UNHCR et al. 25.1.2022). Human Rights Watch (HRW) schätzt, dass neun von zehn syrischen Flüchtlingen in extremer Armut leben (HRW 12.1.2023; vergleiche AA 5.12.2022). Eine von der Syrian Association for Citizens’ Dignity (SACD) durchgeführte Umfrage unter syrischen Flüchtlingen im Libanon hat gezeigt, dass 88 % der syrischen Flüchtlinge in einem Zustand der Rechtsunsicherheit und 96 % in einem Zustand der wirtschaftlichen Unsicherheit leben. 64 % der Teilnehmer gaben an, dass sie kein offizielles Dokument oder keine offizielle Aufenthaltsgenehmigung im Libanon haben (SACD 7.11.2022). Flüchtlinge ohne regulären Migrationsstatus sind von Inhaftierung und Schikanen bedroht und sehen sich mit Hindernissen beim Zugang zu wichtigen Dienstleistungen und bei der Registrierung von Geburten und Eheschließungen konfrontiert (AI 23.3.2021).
Akkar, Bekaa und Baalbek-El Hermel meldeten den höchsten Anteil von Haushalten unterhalb eines S/MEB von 94 %, was darauf hindeutet, dass diese Regionen die höchsten Anteil der sozioökonomisch gefährdeten Haushalte beherbergen [S/MEB - Survival and Minimum Expenditure Baskets: Der S/MEB dient als Referenz, um abzuschätzen, was eine syrische Flüchtlingsfamilie im Libanon zum Überleben benötigt] (UNHCR et al. 25.1.2022). Die schwierige sozioökonomische Lage führt zu negativen Bewältigungsmechanismen wie vermehrtem Betteln, Kürzung von Gesundheits- und Nahrungsmittelausgaben, Nichtbegleichung der Miete und vermehrten Zwangsräumungen, einer höheren Zahl von Schulabbrechenden, Kinderarbeit und Frühverheiratungen (AA 5.12.2022). Flüchtlinge dürfen weiterhin nur in drei Sektoren (Landwirtschaft, Bausektor und Müllentsorgung) arbeiten, benötigen dafür aber eine offizielle Arbeitsgenehmigung, die so gut wie nie erteilt wird (AA 5.12.2022; vergleiche AI 23.3.2021). In der Folge wurden noch mehr Flüchtlinge in irreguläre Arbeitsverhältnisse gedrängt. Es werden regelmäßig Razzien der Sicherheitsbehörden gegen im informellen Sektor tätige Flüchtlinge durchgeführt. Flüchtlinge haben nur bedingt Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung. Der Besuch staatlicher libanesischer Schulen ist syrischen Kindern im Prinzip gestattet. Oftmals werden Kinder bei der Anmeldung an Schulen aber dennoch abgewiesen (AA 5.12.2022).
Im März veröffentlichte Amnesty International einen Bericht, der eine Reihe von Verstößen dokumentiert, die vor allem vom libanesischen Militärgeheimdienst gegen 26 syrische Flüchtlinge, darunter vier Kinder, begangen wurden, die zwischen 2014 und Anfang 2021 wegen Terrorismusvorwürfen inhaftiert waren. Zu den Verstößen gehörten unfaire Gerichtsverfahren und Folter, die Schläge mit Metallstöcken, Elektrokabeln und Plastikrohren umfasste. Die Behörden gingen den Foltervorwürfen nicht nach (AI 29.3.2022; vergleiche AI 23.3.2021).
Rückkehr
Der Libanon hat sich zwar wiederholt zum Prinzip des Non-Refoulement [Anm.: Ein im Völkerrecht verankerter Grundsatz, die Rückführung von Personen in Staaten, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, zu unterlassen] bekannt (AA 5.12.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022), rechtliche Garantien gibt es jedoch weiterhin keine. Die Regierung drängt auf internationale Unterstützung bei der Rückführung der Flüchtlinge nach Syrien (AA 5.12.2022). Am 14.7.2020 verabschiedete die libanesische Regierung einen Plan für die Rückkehr von Flüchtlingen (AA 5.12.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022). Darin verpflichtete sie sich, Hindernisse zu beseitigen, die eine Rückkehr behindern, und die Ausreiseverfahren zu erleichtern, einschließlich des Verzichts auf Gebühren, die ausreisende Flüchtlinge andernfalls als Bedingung für ihre Ausreise zu entrichten hätten. Berichten zufolge spielt die libanesische Regierung die Schutzrisiken und den Mangel an grundlegenden Dienstleistungen herunter, mit denen die Rückkehrer in Syrien konfrontiert sind. Erhebliche finanzielle und personelle Hürden erschwert es der Regierung allerdings, die neue Politik umzusetzen (USDOS 12.4.2022). Dennoch sieht die libanesische Regierung, unter Verweis auf die sukzessive Rückerlangung der Territorialkontrolle durch das syrische Regime, die Bedingungen für eine sichere und freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien als gegeben an. UNHCR widerspricht dieser Einschätzung (AA 5.12.2022). Die Commission of Inquiry des UN-Menschenrechtsrats zur Lage in Syrien stellte in ihrem Bericht vom 17.8.2022 (A/HRC/51/45) ebenfalls fest, dass die Arabische Republik Syrien noch immer kein sicherer Ort für eine Rückkehr ist (OHCHR 17.8.2022; vergleiche AA 5.12.2022).
Gleichwohl wurden von der General Security Ende Oktober 2022 unterstützte Rückführungen von ca. 500 Personen, die mutmaßlich auf Freiwilligkeit beruhten, durchgeführt (AA 5.12.2022; vergleiche TNA 26.10.2022, TIMEP 8.12.2022). Am 5.11.2022 wurde eine zweite unterstützte Rückführung von 350 Personen durchgeführt (TIMEP 8.12.2022). UNHCR dokumentierte im Jahr 2022 5.192 freiwillige Rückführungen aus dem Libanon (SD 19.10.2022). Der Plan von 15.000 Rückführungen pro Monat, stieß nicht nur international auf Ablehnung, sondern führte auch innerhalb des geschäftsführenden Kabinetts zu Diskussionen (TIMEP 23.1.2023). Im Rahmen des derzeitigen Rückkehrverfahrens sammelt die libanesische Sicherheitsbehörde die Namen der Syrer, die sich für eine Rückkehr registrieren lassen, und übermittelt diese Informationen an die syrischen Behörden, die die Sicherheitsgenehmigung erteilen oder verweigern. Menschenrechtsaktivisten zu Folge ist der Rückführungsprozess undurchsichtig und entspricht nicht den Sicherheitsvorkehrungen, die notwendig sind, um eine freiwillige, sichere und würdige Rückkehr zu gewährleisten (SD 19.10.2022; vergleiche AI 14.10.2022). Obwohl die libanesischen Behörden betonen, keine gewaltsamen Abschiebungen durchzuführen, dokumentierte das Access Center for Human Rights, eine libanesische Nichtregierungsorganisation, im Jahr 2021 59 Abschiebefälle (SD 19.10.2022). Bei der überwiegenden Mehrheit, 51, handelte es sich um Syrer, die versuchten, auf dem Seeweg nach Europa zu gelangen, und nach ihrer Rückkehr in den Libanon nach Syrien abgeschoben wurden (SD 19.10.2022; vergleiche AA 5.12.2022). Darüber hinaus erlaubte ein Beschluss des Obersten Verteidigungsrates aus dem Jahr 2019 den libanesischen Behörden, Syrer abzuschieben, die nach April 2019 illegal in das Land eingereist sind (SD 19.10.2022; vergleiche USDOS 12.4.022). Diese Rückführungen wurden zu einem Verwaltungsverfahren, für das kein Gerichtsbeschluss erforderlich ist. Bis September 2021 wurden 6.345 Syrer auf der Grundlage des Ratsbeschlusses zwangsweise rückgeführt (SD 19.10.2022). Libanon führt zudem mitunter aus Syrien einreisende Personen an die syrische Grenze zurück, wenn sich im Laufe ihres Aufenthalts im Land herausstellt, dass die Einreise in den Libanon mit gefälschten Dokumenten erfolgte. Außerdem werden über den internationalen Flughafen Beirut einreisende Syrer in der Regel an den Ausgangsflughafen zurückgeschickt, wenn sie nicht über einen Aufenthaltstitel für den Libanon verfügen (AA 5.12.2022).
Am 28.8.2021 nahm der militärische Geheimdienst sechs syrische Männer vor der syrischen Botschaft im Bezirk Baabda fest, denen die Botschaft zuvor telefonisch mitgeteilt hatte, sie könnten ihre Pässe abholen. Die Männer wurden beschuldigt, ohne gültige Papiere eingereist zu sein, und dem allgemeinen Geheimdienst übergeben, der am 5.9.2021 ihre Abschiebung anordnete. Die sechs Männer wurden 46 Tage lang ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Nachdem Forderungen laut wurden, sie freizulassen, hob der Geheimdienst die Ausweisungsbefehle am 8.9.2021 auf und ließ alle Männer am 12.10.2021 frei (AI 29.3.2022). Aufgrund der Rechtsunsicherheit ist jeder Flüchtling oder jeder sich illegal im Land aufhaltende Ausländer von Abschiebehaft und Abschiebung bedroht (Ausnahme: Palästinenser). Syrische Flüchtlinge ohne libanesische Aufenthaltsgenehmigung erhalten im Rahmen von Personenkontrollen regelmäßig schriftliche Aufforderungen zur Ausreise. Diese werden nun zunehmend auch vollstreckt, insbesondere bei Syrer, die nach April 2019 irregulär eingereist sind (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 25.1.2023
- AI - Amnesty International (14.10.2022): Lebanon: Stop the so-called voluntary returns of Syrian refugees, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2022/10/lebanon-stop-the-so-called-voluntary-returns-of-syrian-refugees/, Zugriff 26.1.2023
- AI - Amnesty International (29.3.2022): Lebanon 2021, https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/lebanon/report-lebanon/, Zugriff 26.1.2023
- AI - Amnesty International (23.3.2022): Lebanon: ‘I Wished römisch eins Would Die’ - Syrian refugees arbitrarily detained on terrorism-related charges and tortured in Lebanon, https://www.amnesty.org/en/documents/mde18/3671/2021/en/?utm_source=annual_report&utm_medium=epub&utm_campaign=2021&utm_term=english, Zugriff 26.1.2023
- SACD - Syrian Association for Citizens’ Dignity (7.11.2022): The Myth of “Voluntary” Return from Lebanon: Despite Facing Horrendous Conditions, Syrians Reject Premature Return, https://syacd.org/wp-content/uploads/2022/11/Lebanon-Report-En.pdf, Zugriff 25.1.2023
- SD - Syria Direct (19.10.2022): Facing a dead end in Lebanon, 1,600 Syrian families sign up for ‘voluntary return’, https://syriadirect.org/facing-a-dead-end-in-lebanon-1600-syrian-families-sign-up-for-voluntary-return/, Zugriff 26.1.2023
- TIMEP - The Tahir Institute for Middle East Policy (8.12.2022): Lebanon’s Refugee and Asylum Legal Framework, https://timep.org/explainers/lebanons-refugee-and-asylum-legal-framework/, Zugriff 26.1.2023
- TIMEP - The Tahir Institute for Middle East Policy (23.1.2023): The Selective Return of Syrian Refugees, https://timep.org/commentary/analysis/the-selective-return-of-syrian-refugees/, Zugriff 26.1.2023
- TNA - Tasnim News Agency (26.10.2022): First Phase of Voluntary Return of Syrian Refugees Kicks Off in Lebanon, https://www.tasnimnews.com/en/news/2022/10/26/2794116/first-phase-of-voluntary-return-of-syrian-refugees-kicks-off-in-lebanon, Zugriff 26.1.2023
- OHCHR - United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights (17.8.2022): Report of the Independent International Commission on Inquiry on the Syrian Arab Republic, https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G22/463/09/PDF/G2246309.pdf?OpenElement, Zugriff 26.1.2023
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (31.12.2022): Operational Data Portal – Syrian Regional Refugee Response, https://data.unhcr.org/en/situations/syria/location/71, Zugriff 26.1.2023
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees / UNICEF - United Nations Children’s Fund / WFP - World Food Programme (25.1.2022): VASYR 2021 - Vulnerability Assessment of Syrian Refugees in Lebanon, https://reliefweb.int/report/lebanon/vasyr-2021-vulnerability-assessment-syrian-refugees-lebanon, Zugriff 26.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 26.1.2023
20.2. Palästinensische Flüchtlinge
Die palästinensischen Flüchtlinge sind meist Nachkommen jener Flüchtlingen, die in den 1940er und 1950er Jahren ins Land kamen. Die meisten sind sunnitische Muslime, aber einige sind auch Christen (USDOS 2.6.2022). Im Libanon leben rund 210.000 Palästinensische Flüchtlinge. Dazu zählen 180.000 Palästina-Flüchtlinge aus dem Libanon (PRL) und 30.000 Palästina-Flüchtlinge aus Syrien (PRS), die dort als Ausländer betrachtet werden (UNRWA 21.10.2022; vergleiche UNICEF o.D.a, ECHO 11.11.2022). Laut Angaben der Volks- und Wohnungszählung in palästinensischen Lagern und Versammlungen im Libanon (PHHCCG), die vom libanesisch-palästinensischen Dialogkomitee (LPDC) in Zusammenarbeit mit der Zentralverwaltung für Statistik (CAS) und dem palästinensischen Zentralbüro für Statistik (PCBS) durchgeführt wurde, lebten im Jahr 2017 174.422 palästinensische Flüchtlinge im Libanon (Al-Shabaka 7.3.2022; vergleiche PCBS 21.12.2017).
Es gibt vier Gruppen von palästinensischen Flüchtlingen im Libanon (UNRWA 6.12.2022; vergleiche UNHCR 2.2016):
„Registrierte“ Flüchtlinge („Palestinensische Flüchtlinge“) (PRL), sind beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) und den libanesischen Behörden registriert (UNHCR 2.2016). Im Libanon sind mehr als 479.000 Flüchtlinge beim UNRWA registriert (UNRWA o.D.a; vergleiche AA 5.12.2022). Es wird jedoch geschätzt, dass sich viele von ihnen nicht mehr im Land aufhalten (UNHCR 2.2016; vergleiche AA 5.12.2022). UNRWA definiert Palästina-Flüchtlinge als Personen, die zwischen dem 1. Juni 1946 und dem 15. Mai 1948 ihren gewöhnlichen Wohnsitz in Palästina hatten und die infolge des Konflikts von 1948 [Nakba] sowohl ihre Heimat als auch ihre Lebensgrundlage verloren haben (UNRWA o.D.b; vergleiche UNRWA 6.12.2022).
„Nicht registrierte“ palästinensische Flüchtlinge, sind nicht beim UNRWA registriert sind, aber bei den libanesischen Behörden (UNHCR 2.2016). Dazu zählen vor allem Palästinenser, die infolge des Sechs-Tage-Kriegs von 1967 und danach vertrieben wurden (UNRWA 6.12.2022). Schätzungsweise 35.000 palästinensische Flüchtlinge sind beim Directorate General of Political and Refugees Affairs (DPRA), nicht aber beim UNRWA registriert. Nicht registrierte Palästinenser erhalten Berichten zufolge dieselben Aufenthaltsgenehmigungen wie die beim UNRWA registrierten; allerdings wird ihnen ein anderes Reisedokument (Laissez Passer) ausgestellt, das für ein Jahr gültig ist und dreimal verlängert werden kann (UNHCR 2.2016).
„Non-ID“ palästinensische Flüchtlinge, haben keine Ausweispapiere und sind weder beim UNRWA noch bei den libanesischen Behörden registriert (UNRWA 6.12.2022; vergleiche UNHCR 2.2016). Die schätzungsweise 3.000 bis 5.000 „Non-ID“-Palästinenser werden oft als die am meisten gefährdeten Palästinenser im Libanon angesehen werden. Diese Palästinenser kamen in den 1960er Jahren in das Land und besitzen keine formal gültigen Ausweispapiere (USDOS 12.4.2022; vergleiche UNRWA o.D.c). In den meisten Fällen bot das UNRWA den Palästinensern ohne Papiere dennoch medizinische Grundversorgung, Schul- und Berufsausbildung an. Bei den meisten dieser Personen handelte es sich um Männer, von denen viele mit vom UNRWA registrierten Flüchtlingen oder libanesischen Staatsbürgerinnen verheiratet waren, die den Flüchtlingsstatus oder die Staatsbürgerschaft nicht auf ihre Ehemänner oder Kinder übertragen konnten (USDOS 12.4.2022). „Non-ID“-Palästinenser laufen Gefahr, wegen illegalen Aufenthalts verhaftet zu werden, sobald sie die Lager verlassen. Auch wenn auf Drängen (nicht zuletzt der EU) bisher ca. 1.000 Identitätsnachweise ausgestellt wurden, bleibt die Rechtsstellung der betroffenen Personen unverändert prekär (AA 5.12.2022).
Palästinensische Flüchtlinge aus Syrien (PRS), sind ab 2011 in den Libanon gekommen (UNHCR 2.2016). Die Direktion für allgemeine Sicherheit (DGS) erleichterte die Einreise von PRS in den Libanon in der Anfangsphase (2011-2013) des Syrien-Konflikts. Seit 2013 wurden PRS, die in den Libanon einreisen wollten, Beschränkungen auferlegt. Seit 2014 werden Einreisevisa an der syrisch-libanesischen Grenze nur noch an PRS erteilt, die entweder einen verifizierten Botschaftstermin im Libanon, ein vorab genehmigtes Visum der DGS oder ein Flugticket und ein Visum für ein Drittland haben. Die meisten Visa wurden nur für einen 24-stündigen Transit erteilt. Es gibt keine offiziellen Bewegungsbeschränkungen für PRS im Land. PRS ohne legalen Status waren jedoch de facto mit Hindernissen konfrontiert, vor allem mit der Gefahr der Verhaftung an Kontrollpunkten (USDOS 12.4.2022). Berichten zufolge sind palästinensische Flüchtlinge aus Syrien aufgrund ihres fehlenden Rechtsstatus im Libanon von Inhaftierung und Geldstrafen und/oder der gewaltsamen Rückkehr nach Syrien bedroht (UNRWA 21.10.2022). PRS erhalten von UNRWA eine begrenzte Grundunterstützung, darunter Nahrungsmittelhilfe, Bargeld und Winterhilfe, z.B. in Form von Bargeld zum Kauf von Heizmaterial (USDOS 12.4.2022). Das UNRWA stellt PRS-Familien einen monatlichen Mehrzweck-Barzuschuss in Höhe von 100 USD pro Familie und zusätzlich 27 USD für jedes Familienmitglied pro Monat zur Deckung der Lebensmittelkosten zur Verfügung (UNRWA o.D.d). [Anm.: Durch die hohe Inflation nimmt die Kaufkraft des Geldes stark ab vergleiche hierzu auch Kapitel 21 Grundversorgung und Wirtschaft].
Lebensbedingungen und rechtliche Lage
Nach der jüngsten UNRWA-Erhebung gelten 93 % aller Palästina-Flüchtlinge im Libanon als arm. Sehr viele palästinensische Flüchtlingsfamilien sind nicht mehr in der Lage, sich eine sekundäre Gesundheitsversorgung zu leisten. Einige lassen lebensrettende Behandlungen ausfallen, um keine Schulden anzuhäufen (UNRWA 21.10.2022).
Repressionen allein aufgrund der palästinensischen Volkszugehörigkeit sind nicht bekannt (AA 5.12.2022). Palästinensische Flüchtlinge, darunter auch Kinder, haben aber nur eingeschränkte soziale und bürgerliche Rechte und keinen Zugang zu staatlich bereitgestellten Gesundheits-, Bildungs- oder anderen sozialen Diensten (USDOS 12.4.2022). Sie dürfen, anders als andere Ausländer, im Libanon seit 2001 keinen Grund und Boden erwerben (AA 5.12.2022). Palästina-Flüchtlinge dürfen im Libanon 39 Berufe nicht ausüben, unter anderem in den Bereichen Allgemeinmedizin, Zahnmedizin, Pharmazie, Ergotherapie und Recht (UNRWA 21.10.2022). Für ihre Schulbildung und gesundheitliche Versorgung hängt die palästinensische Bevölkerung ausschließlich vom UNRWA-Hilfswerk bzw. Hilfsleistungen anderer NGOs (z.B. des Palästinensischen Roten Halbmondes) ab (AA 5.12.2022). Da sie formell nicht die Staatsbürgerschaft eines anderen Staates besitzen, können die palästinensischen Flüchtlinge auch nicht die gleichen Rechte wie andere im Libanon lebende und arbeitende Ausländer beanspruchen (UNRWA o.D.a). Palästinenserinnen können per Gesetz durch Heirat die libanesische Staatsbürgerschaft erlangen, doch werden ihnen häufig gesetzlich nicht vorgesehene administrative Hürden in den Weg gestellt (z.B. Einbürgerung erst nach Geburt eines Sohnes). Libanesische Frauen, die mit einem Palästinenser (oder anderem Ausländer) verheiratet sind, können ihre Staatsangehörigkeit weder an ihren Ehemann noch an ihre Kinder weitergeben (AA 5.12.2022).
Am 3.6.2019 stellte der ehemalige libanesische Arbeitsminister Camille Abu Suleiman eine Kampagne mit dem Titel „Nur Ihre Landsleute können Ihnen helfen, Ihr Geschäft anzukurbeln“ vor. Im Rahmen dieser Kampagne, die angeblich Teil der Bemühungen zur Regulierung ausländischer Arbeitskräfte ist, wurde Unternehmen und anderen Einrichtungen eine einmonatige Frist eingeräumt, um Mitarbeiterlisten zu „korrigieren“ und undokumentierte nicht-libanesische Arbeitnehmer zu registrieren. Am 10.7.2019 begann eine landesweite Razzia, bei der viele Unternehmen in ausländischem Besitz, insbesondere syrische und palästinensische, gewaltsam geschlossen wurden. Daraufhin kam es unter anderem in den großen Lagern von Rashidieh und Ein el-Hilweh im Südlibanon sowie in Nahr el-Bared im Norden zu Massendemonstrationen. Am 8.12.2021 kündigte der aktuelle geschäftsführende libanesische Arbeitsminister Mustafa Bayram einen Ministerbeschluss an, der es Palästinensern, die im Libanon geboren und beim Innenministerium registriert sind, ermöglichen würde, in Berufen zu arbeiten, die bisher nur libanesischen Staatsangehörigen offen standen. Im Februar 2022 focht die Maroniten-Liga Bayrams die Entscheidung an und legte beim Schura-Rat Einspruch ein, um die Entscheidung rückgängig zu machen. Der Schura-Rat gab dem Einspruch statt und setzte die Umsetzung des Beschlusses aus (Al-Shabaka 7.3.2022).
Palästinensische Flüchtlingslager
45 % der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon leben in den zwölf Flüchtlingslagern des Landes: in der Nähe von Beirut (Mar Elias Camp, Burj Barajneh Camp, Dbayeh Camp, Shatila Camp), von Tripoli (Nahr el-Bared Camp, Beddawi Camp), von Sidon (Ein El Hilweh Camp, Mieh Mieh Camp), von Tyros (El-Buss Camp, Rashidieh Camp, Burj Shemali Camp) und von Baalbek (Wavel Camp). Die Bedingungen in den Lagern sind katastrophal und gekennzeichnet durch Überbelegung, schlechte Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit, Armut und fehlenden Zugang zur Justiz. Das UNRWA verwaltet und kontrolliert die Lager nicht, da dies in die Zuständigkeit der Behörden des Gastlandes fällt (UNRWA o.D.a). Die Sicherheitsbedingungen in einigen Lagern haben sich im Laufe der Jahre verschlechtert. Die Gewalt und der Gebrauch von Waffen haben zugenommen. Viele Flüchtlinge haben auf negative Bewältigungsmechanismen zurückgegriffen, unter anderem auf den Konsum von Drogen (UNRWA 21.10.2022). Die zwölf über das ganze Land verteilten palästinensischen Flüchtlingslager sind der Kontrolle durch staatliche Gewalt weitgehend entzogen. Die Sicherheit innerhalb der Lager wird teilweise durch palästinensische bewaffnete Ordnungskräfte und Volkskomitees gewährleistet, die von der jeweils politisch bestimmenden Fraktion gestellt werden. Ausnahme stellt das Lager Nahr El Bared dar, das unter libanesischer Kontrolle steht. Die libanesische Armee beschränkt sich auf Zugangskontrollen und die Sicherung der Umgebung (AA 5.12.2022). Die den zwölf offiziellen palästinensischen Flüchtlingslagern im Land zugewiesene Fläche hat sich seit 1948 nur geringfügig verändert, obwohl sich die Bevölkerungszahl vervierfacht hat. Folglich leben die meisten palästinensischen Flüchtlinge in überbevölkerten Lagern, von denen einige in den vergangenen Konflikten schwer beschädigt wurden (USDOS 12.4.2022). Immer wieder kommt es speziell in den Lagern Mieh-Mieh und Ein El Hilweh zu schweren bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen extremistischen Gruppierungen (Jund al-Scham, Abdullah-Azzam-Brigaden, Ansar Allah etc.). Die libanesischen Sicherheitskräfte greifen in diese Auseinandersetzungen entgegen der bisherigen per Abkommen geregelten Praxis, immer häufiger ein, weil die eigentlich zuständigen palästinensischen Sicherheitsbehörden zunehmend überfordert scheinen (AA 5.12.2022). Die Gebäude in den Lagern sind alt und jederzeit einsturzgefährdet, die Infrastruktur ist unzureichend, die Wasserqualität schlecht und die Abfallentsorgung nicht vorhanden. Aufgrund der schlechten Wohnverhältnisse und der fehlenden sanitären Einrichtungen in den Lagern sind übertragbare Krankheiten unter den Flüchtlingen ebenfalls weit verbreitet (WRMEA 28.1.2022). Einzelne Hinweise deuten auch darauf hin, dass Kinderarbeit in den palästinensischen Flüchtlingslagern weit verbreitet ist (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 25.1.2023
- Al-Shabaka (7.3.2022): The Mobilizing Power of Palestinians in Lebanon, https://al-shabaka.org/commentaries/the-mobilizing-power-of-palestinians-in-lebanon/, Zugriff 24.1.2023
- ECHO - Directorate-General for European Civil Protection and Civil Aid Operations (11.11.2022): Where We Work – Lebanon, https://civil-protection-humanitarian-aid.ec.europa.eu/where/middle-east/lebanon_en, Zugriff 24.1.2023
- PCBS - Palestinian Central Bureau of Statistics (21.12.2017): New census: 174422 Palestinian refugees in Lebanon, http://www.pcbs.gov.ps/post.aspx?lang=en&ItemID=3013, Zugriff 24.1.2023
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (2.2016): The situation of Palestinian Refugees in Lebanon, http://www.refworld.org/pdfid/56cc95484.pdf, Zugriff 25.1.2023
- UNRWA - United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (21.10.2022): Hitting Rock Bottom - Palestine Refugees in Lebanon Risk their Lives in Search of Dignity, https://reliefweb.int/report/lebanon/hitting-rock-bottom-palestine-refugees-lebanon-risk-their-lives-search-dignity-enar, Zugriff 24.1.2023
- UNRWA - United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (o.D.a): Where We Work, https://www.unrwa.org/where-we-work/lebanon, Zugriff 24.1.2023
- UNRWA - United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (o.D.b): Palestine Refugees, https://www.unrwa.org/palestine-refugees, Zugriff 25.1.2023
- UNRWA - United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (o.D.c): Protection Baseline Study of Non - ID Palestinians in Lebanon (Local/International), https://www.unrwa.org/sites/default/files/isp_protection_baseline_study_of_non_id_palestinians_in_lebanon.pdf, Zugriff 25.1.2023
- UNRWA - United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (o.D.d): Palestine refugees from Syria in Lebanon, https://www.unrwa.org/palestine-refugees-syria-lebanon, Zugriff 25.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2074032.html, Zugriff 25.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 25.1.2023
- WRMEA - Washington Report On Middle East Affairs (28.1.2022): Palestinians Continue to Suffer in Lebanese Refugee Camps, https://www.wrmea.org/jordan-lebanon-syria/palestinians-continue-to-suffer-in-lebanese-refugee-camps.html, Zugriff 25.1.2023
21. Grundversorgung und Wirtschaft
Der Libanon befindet sich seit drei Jahren in einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die zu den schlimmsten der Welt zählt (WB 14.4.2022; vergleiche NPR 5.6.2022). Die wirtschaftliche Situation hat sich seit Oktober 2019 immer weiter verschlechtert (EUI 12.1.2022; vergleiche AA 5.12.2022). Mitten in dieser Krise forderte die Explosion im August 2021 im Hafen von Beirut mehr als 200 Tote, mehr als 6.500 Verletzte und 300.000 Obdachlose. Dieses verheerende Ereignis verschlimmerte die ohnehin schon katastrophale sozioökonomische Lage im Land (EUI 12.1.2022).
Die Währung des krisengeschüttelten Libanon, die einst einen Wert von 1.500 pro USD hatte, ist seit Ende 2019 auf Talfahrt und hat seitdem über 90 % ihres Wertes verloren (ABCNEWS 19.1.2023; vergleiche TNN 19.1.2023, KAKE 20.1.2023). Die Finanzkrise hat drei Viertel der Bevölkerung in die Armut gestürzt, und Millionen von Menschen haben mit einer der höchsten Inflationsraten der Welt zu kämpfen (ABCNews 19.1.2023). Der drastische Verfall der Währung treibt die Inflation weiter in die Höhe, die sich seit Juli 2020 im dreistelligen Bereich bewegt. Die Inflation lag im Jahr 2021 bei durchschnittlich 150 % und in der ersten Hälfte des Jahres 2022 bei durchschnittlich 218 % und erreichte im Januar 2022 einen Höchststand von 240 % (im Vergleich zum Vorjahr). Der Inflationsdruck wurde durch den Anstieg der weltweiten Lebensmittelpreise seit Beginn des Ukraine-Kriegs noch verschärft. Die Inflation wirkt wie eine höchst regressive Steuer, die die Armen und Schwachen der libanesischen Gesellschaft unverhältnismäßig stark trifft, zumal Grunderzeugnisse, darunter Lebensmittel, die Haupttreiber der Gesamtinflation sind (WB 23.11.2022). Im Juni 2022 lag die Inflation bei Lebensmitteln bei 332 % (WB 23.11.2022; vergleiche HRW 12.1.2023). Der Libanon zählt zu den weltweit am stärksten verschuldeten Staaten (WZ 4.11.2022). Die wirtschaftliche Schrumpfung und die Währungsabwertung tragen zu einer ohnehin schon unhaltbaren Schuldendynamik bei. Die öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt erreicht den Prognosen zufolge im Jahr 2021 172,5 % und im Jahr 2022 180,7 % (WB 23.11.2022). Im Jahr 2020 trugen Auslandsüberweisungen in der Höhe von 6,63 Mrd. USD zu ungefähr 25,6 % des BIP im Libanon bei. Für Familien, die Gelder aus dem Ausland erhalten, machen die Überweisungen im Durchschnitt 40 % des gesamten Haushaltseinkommens aus und ermöglichen dadurch den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, die sonst nur schwer leistbar wären (WKO 10.2022).
Am 4.4.2022 gab der stellvertretende Premierminister die Illiquidität des Libanon und der Libanesischen Zentralbank (Banque de Liban, BDL) bekannt, nachdem der Staat seine Schulden nicht begleichen konnte (WKO 10.2022). Der Zusammenbruch der Banken, der durch ausbleibende Investoren und nicht gedeckte Schulden ausgelöst wurde, hat für einen Großteil der Menschen gravierende Auswirkungen. Die Staatsanwaltschaft fror kurzerhand über Nacht sämtliche Guthaben von 20 Banken ein. Betroffen sind auch Fremdwährungen. Es werden im Höchstfall an Sparer nur wenige hundert Dollar pro Monat ausgezahlt. Die nie per Gesetz legalisierte Kapitalkontrolle betrifft alle Bürger, sofern diese noch nicht in die Armut abgerutscht sind (WZ 4.11.2022). Inmitten der sich verschärfenden und ausweitenden Bankenkrise im Libanon, hat die Frustration bei einigen Anlegern zu radikalen Maßnahmen geführt, als die Landeswährung auf dem Schwarzmarkt einen neuen Tiefstand gegenüber dem Dollar erreichte (WKO 10.2022). So kam es zu vermehrten Banküberfällen von verzweifelten Kunden, die ihre Geldeinlagen einforderten um ihre Ersparnisse gegen den Kursverfall zu retten (WKO 10.2022; vergleiche WZ 4.11.2022; PC 27.12.2022). Infolgedessen erklärten die libanesischen Banken Mitte September 2022 einen Generalstreik und verlangten staatliche Maßnahmen, um ein sicheres Arbeitsumfeld zu gewährleisten. Nachdem für eine Woche sämtliche Banken geschlossen waren, hat der libanesische Bankenverband erklärt, dass die Banken in begrenzten Umfang für Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Krankenhäusern wieder geöffnet sind (WKO 10.2022). Manche Banken haben Betonmauern und Stacheldraht um ihre Gebäude gezogen, damit aufgebrachte Bürger sie nicht mehr stürmen können (WZ 9.1.2023).
Laut einer von der Staatendokumentation des BFA in Auftrag gegebenen Umfrage des Instituts Statistics Lebanon sind lediglich 34,84 % der in der Studie befragten Libanesen durchgehend erwerbstätig, während 17,74 % einer Gelegenheitsarbeit nachgehen (SL 2022). Steigende Arbeitslosigkeit, eine abwertende Landeswährung, eine explodierende Inflation und die Streichung von Subventionen haben es vielen Menschen erschwert, ihre Grundbedürfnisse zu decken (HRW 12.12.2022). Inzwischen wurden fast alle Subventionen auf Treibstoff, Nahrungsmittel und medizinische Güter abgebaut (AA 5.12.2022). Die Preise für Strom, Wasser und Gas sind in die Höhe geschnallt und stiegen zwischen Juni 2021 und Juni 2022 um 595 % (HRW 12.1.2023). Immer mehr Erwachsene lassen Mahlzeiten ausfallen oder können sich keine Medikamente leisten, gleichzeitig müssen immer mehr Kinder arbeiten gehen, um ihre Familien zu unterstützen. Erschwerend kommt hinzu, dass der anhaltende Krieg in der Ukraine die Preise für Grundnahrungsmittel und Energie weiter in die Höhe treibt. Vor dem Krieg bezog der Libanon 80 % der gesamten Weizeneinfuhren aus der Ukraine und 15 % aus Russland, wie aus libanesischen Zollangaben hervorgeht. Niedrige Einkommen und dreistellige Inflationsraten führen dazu, dass sich viele Menschen lebenswichtige Güter und Dienstleistungen nicht mehr leisten können (HRW 12.12.2022). Dreiviertel der Bevölkerung, insb. im Nord-Libanon (Region Akkar), in der nördlichen Bekaa-Ebene (insb. Region Hermel) sowie in Süd-Libanon, leben an oder unter der Armutsgrenze von ca. 4 USD pro Tag (AA 5.12.2022; vergleiche ACAP 31.5.2022). 82 % der Bevölkerung leben in mehrdimensionaler Armut in Bezug auf das Einkommen und verschiedene Aspekte der Lebensbedingungen (ACAP 31.5.2022; vergleiche UNESCWA 3.9.2021). Gefährdete Bevölkerungsgruppen, darunter vertriebene Syrer, palästinensische Flüchtlinge aus Syrien (PRS) und palästinensische Flüchtlinge im Libanon (PRL), sind besonders von einem starken Anstieg der Armut, Lücken in wichtigen Versorgungsketten und Einschränkungen beim Zugang zu Nahrungsmitteln, Gesundheitsversorgung, Bildung und anderen grundlegenden Dienstleistungen betroffen (GoL & UN 1.2022; vergleiche HRW 12.1.2023).
Rund zwei Millionen Menschen im Libanon, darunter 1,29 Millionen Libanesen und 700.000 syrische Flüchtlinge, sind derzeit von Ernährungsunsicherheit betroffen (UN 19.1.2023; vergleiche KAKE 20.1.2023). Die erste integrierte Analyse der akuten Ernährungsunsicherheit im Libanon (Integrated Food Security Phase Classification, IPC) prognostiziert, dass sich die Situation zwischen Januar und April 2023 weiter verschlechtern wird. Der Analyse zufolge ist die akute Ernährungsunsicherheit der libanesischen Bevölkerung im Bezirk Akkar am höchsten, gefolgt von Baabda, Baalbek und Tripoli (UN 19.1.2023). Laut Human Rights Watch hat die Ernährungsunsicherheit ein alarmierendes Ausmaß erreicht, was dazu führt, dass viele Familien, darunter auch Kinder, regelmäßig hungern müssen (HRW 12.12.2022). Laut der Umfrage von Statistics Lebanon schaffen es lediglich 13,55 % der Befragten, ihre Familien ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. Eine Mehrheit von 71,94 % der Befragten kann ihren Haushalt gerade noch mit ausreichend Lebensmitteln versorgen (36,13 %) oder kann dies kaum noch tun (35,81 %) (SL 2022).
Auch die Elektrizitätsversorgung im Libanon ist weiterhin unzureichend. Fast 34 % des Stroms geht durch „technische Verluste“ wie Netzausfälle und „nichttechnische Verluste“, einschließlich Diebstahl, verloren. Seit der Explosion am Beiruter Hafen hat sich im ganzen Land die Stromversorgung, allem voran durch die immer schlimmer werdende finanzielle Situation, extrem verschlechtert. Zuletzt führte der Mangel an Treibstoff in den wichtigsten Kraftwerken des Landes zu einem flächendeckenden Zusammenbruch des Stromnetzes (WKO 10.2022). Des Weiteren kann sich die libanesische Regierung den Brennstoff für die lokalen Kraftwerke nicht leisten. Somit kommt es zu Stromausfällen, welche bis zu 22 Stunden pro Tag dauern (WKO 10.2022; vergleiche HRW 12.1.2023). Die meisten Haushalte besitzen trotz der nahezu täglichen Stromausfälle noch immer keinen Generator, bzw. kann die Hausgemeinschaft sich den Treibstoff für den Betrieb der Aggregate nicht mehr leisten (WZ 15.1.2023). Während die weit verbreiteten Stromausfälle alle Libanesen betreffen, hat die Krise die Ungleichheit im Land noch verschärft (HRW 12.1.2023).
Die Gespräche zwischen der libanesischen Regierung und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) haben zu einer Einigung über ein Unterstützungsprogramm im Wert von rund 3 Mrd. USD für die nächsten 46 Monate geführt. Ein finanzieller Sanierungsplan zum Schutz der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft wurde jedoch nicht aufgenommen (DW 19.1.2023). Der Libanon muss außerdem noch entscheidende Struktur- und Finanzreformen durchführen, die erforderlich sind, um 3 Mrd. USD an IWF-Hilfe freizusetzen (TNN 17.1.2023).
Versicherungsdienstleistungen
Das libanesische Sozialschutzsystem ist ein zweigeteiltes Modell, das eine Sozialversicherung für die Bessergestellten und Sozialhilfe für die extrem Armen vorsieht, während ein großer Teil der Menschen mit mittlerem oder niedrigem Einkommen ausgeschlossen ist. Die Sozialversicherung umfasst eine Reihe von beitragsabhängigen Programmen über den Nationalen Sozialversicherungsfonds (NSSF), die an eine formelle Beschäftigung in einem Arbeitsmarkt gebunden sind, der überwiegend informell ist, sodass viele keinen Anspruch auf das Programm haben (HRW 12.12.2022). Laut einer Studie der Internationale Arbeitsorganisation (ILO) können lediglich 22,2 % der Beschäftigungsverhältnisse in der Stichprobe als formell bezeichnet werden, während 67,4 % aller Beschäftigten im informellen Sektor tätig sind. Syrer und Palästinenser weisen mit 95 % bzw. 93,9 % einen extrem hohen Anteil an informeller Beschäftigung auf (ILO 12.8.2021). Für arme Libanesen besteht bislang nur ein rudimentäres System der sozialen Sicherung in Form des nationalen Armutsprogramms (NPTP) (AA 5.12.2022). Trotz des alarmierenden Ausmaßes der Ernährungsunsicherheit ist die Abdeckung gering: Nach eigenen Angaben des Programms profitieren 3,5 % der Bevölkerung von dem Programm (HRW 12.12.2022). Anderen Angaben zufolge erhalten derzeit lediglich 63.993 Familien Nahrungsmittelhilfe in Höhe von 20 USD pro Kopf/pro Monat im Rahmen des NPTP. Die Unterstützung macht ca. 2/3 Drittel des im August 2022 festgelegten Survival Minimum Expenditure Basket (SMEB) aus. Die Anzahl der Haushalte soll bis Januar 2023 auf 75.000 erhöht werden (AA 5.12.2022). Während der Covid-19-Pandemie initiierte die Regierung außerdem das Programm Emergency Social Safety Net (ESSN), das mit einem Weltbankdarlehen in Höhe von 246 Millionen USD für drei Jahre finanziert wurde, um den Schutz und die Bereitstellung von Sozialleistungen für extrem arme Haushalte auszuweiten. Die Einführung des Programms begann im März 2022 mit dem Ziel, bis 2025 786.000 Personen, etwa 11,6 % der Bevölkerung, mit Bargeld zu unterstützen (HRW 12.12.2022). Die Einführung eines weiteren sozialen Sicherungsprogramms „ratio card“-System der Regierung für etwa 500.000 Haushalte wurde 2021 angekündigt, aber bislang nicht umgesetzt. Es existiert zudem weder eine allgemeine Arbeitslosen- noch eine Rentenversicherung. Wesentliches Element sozialer Sicherung ist die Familie, daneben karitative und religiöse Einrichtungen (immer nur für die jeweilige Religionsgruppe) (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
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- ABCNews (19.1.2023): Lebanese pound hits new low as political deadlock persists, https://abcnews.go.com/International/wireStory/lebanese-pound-hits-time-low-deadlock-persists-96527522, Zugriff 20.1.2023
- ACAP - The Assessment Capacities Project (31.5.2022): https://www.acaps.org/sites/acaps/files/products/files/20220531_acaps_briefing_note_lebanon_impact_of_crisis_on_children.pdf, Zugriff 20.1.2023
- DW - Deutsche Welle (19.1.2023): Lebanon's middle class vanishes as economy collapses, https://www.dw.com/en/lebanons-middle-class-vanishes-as-economy-collapses/a-64442064, Zugriff 23.1.2023
- EUI - European Union Institute (12.1.2022): Lebanon: How the Post War’s Political Economy Led to the Current Economic and Social Crisis, https://cadmus.eui.eu/bitstream/handle/1814/73856/QM-01-22-031-EN-N.pdf, Zugriff 20.1.2023
- GoL & UN - Government of Lebanon and the United Nations [Lebanon] (1.2022): Lebanon Crisis Response Plan 2022-2023, https://www.3rpsyriacrisis.org/wp-content/uploads/2022/06/LCRP-2022_FINAL.pdf, Zugriff 23.1.2023
- HRW - Human Rights Watch (12.12.2022): Lebanon: Rising Poverty, Hunger Amid Economic Crisis, https://www.hrw.org/news/2022/12/12/lebanon-rising-poverty-hunger-amid-economic-crisis, Zugriff 23.1.2023
- ILO - International Labour Organization (12.8.2021): Assessing Informality and Vulnerability among Disadvantaged Groups in Lebanon: A Survey of Lebanese, and Syrian and Palestinian Refugees, https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---arabstates/---ro-beirut/documents/publication/wcms_816649.pdf, Zugriff 23.1.2023
- KAKE (20.1.2023): Lebanon to restore UN payments 'immediately' after losing voting rights in General Assembly, https://www.kake.com/story/48197739/lebanon-to-restore-un-payments-immediately-after-losing-voting-rights-in-general-assembly, Zugriff 23.1.2023
- NPR - National Public Radio (5.6.2022): Lebanon's hospitals are running out of medicine and staff in ongoing economic crisis, https://www.npr.org/sections/goatsandsoda/2022/06/05/1102214169/lebanons-hospitals-are-running-out-of-medicine-and-staff-in-ongoing-economic-cri, Zugriff 20.1.2023
- PC - Purlitzer Center (27.12.2022): My Money or Your Life: The Bank Robbers of Beirut, https://pulitzercenter.org/stories/my-money-or-your-life-bank-robbers-beirut, Zugriff 23.1.2023
- SL - Statistics Lebanon Ltd, Hrsg.: Country of Origin Information Unit (Staatendokumentation), BFA (2022): Lebanon. Socio-economic survey 2022
- TNN - The National News (19.1.2023): Workers hopeless as Lebanese pound plummets to 50,000 to the dollar, https://www.thenationalnews.com/mena/lebanon/2023/01/19/workers-hopeless-as-lebanese-pound-plummets-to-50000-to-the-dollar/, Zugriff 23.1.2023
- TNN - The National News (17.1.2023): Lebanon’s tax revenue more than halved from 2019-2021, IMF says, https://www.thenationalnews.com/business/economy/2023/01/17/lebanons-tax-revenue-more-than-halved-from-2019-2021-imf-says/, Zugriff 23.1.2023
- UN - United Nations (19.1.2023): Around 2 million facing food insecurity across Lebanon, https://news.un.org/en/story/2023/01/1132642, Zugriff 23.1.2023
- UNESCWA - United Nations Economic and Social Commission for Western Asia (3.9.2021): Multidimensional poverty in Lebanon (2019-2021) - Painful reality and uncertain prospects, https://www.unescwa.org/sites/default/files/news/docs/21-00634-_multidimentional_poverty_in_lebanon_-policy_brief_-_en.pdf, Zugriff 23.1.2023
- WB - World Bank (23.11.2022): LEBANON ECONOMIC MONITOR: Time for an Equitable Banking Resolution, https://documents1.worldbank.org/curated/en/099927411232237649/pdf/IDU08288b3490ed820409e0886a08ea1efef93be.pdf, Zugriff 23.1.2023
- WB - World Bank (14.4.2022): Lebanon's Economic Update — April 2022, https://www.worldbank.org/en/country/lebanon/publication/economic-update-april-2022, Zugriff 20.1.2023
- WKO – Wirtschatskammer Österreich [Österreich] (10.2022): Außenwritschaft – Wirtschaftsbericht Libanon, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/libanon-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 23.1.2023
- WZ - Wiener Zeitung (15.1.2023): Krisenstaat ohne Exit-Strategie, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2134289-Krisenstaat-ohne-Exit-Strategie.html, Zugriff 23.1.2023
- WZ - Wiener Zeitung (9.1.2023): "Wir haben hier nur noch Zombiebanken", https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2173684-Wir-haben-hier-nur-noch-Zombiebanken.html, Zugriff 23.1.2023
22. Medizinische Versorgung
Staatliche Krankenhäuser gibt es in allen größeren Städten. Auch sehr spezielle Behandlungen (Operationen am offenen Herzen, Krebstherapien) können im Land grundsätzlich durchgeführt werden. Die Nachversorgung kriegsbedingter Behinderungen ist möglich (inkl. Transplantationen). Lediglich Patienten mit sehr seltenen oder schwersten Erkrankungen müssen zwingend ins Ausland überwiesen werden, etwa schwerste Brandverletzungen (AA 5.12.2023). Die Wirtschaftskrise im Libanon hat allerdings auch Folgen für den Betrieb von Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen. Es mangelt an Intensivstationen, Dialyseeinheiten und Kühlketten, was Sterilisations- und Diagnoseverfahren beeinträchtigt (ACAPS 31.5.2022). Aufgrund von Personalmangel und Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten, Treibstoff, Strom und Wasser müssen libanesische Krankenhäuser die Bereitstellung von Gesundheitsleistungen rationieren und Prioritäten setzen (ACAPS 31.5.2022; vergleiche NPR 5.6.2022). Dies beeinträchtigt vor allem die Qualität der Gesundheitsversorgung von Frauen und Kindern erheblich (UNICEF 21.4.2022; vergleiche NPR 5.6.2022).
Die Abwanderung tausender Ärzte und Krankenpflegepersonal aus dem Libanon, der Mangel an Medikamenten und medizinischem Material sowie Stromausfälle haben das Gesundheitswesen in eine Krise gestürzt (HRW 12.1.2023). Seit 2019 haben fast 40 % der Ärzte und 30 % des registrierten Krankenpflegepersonal den Libanon aufgrund der Wirtschaftskrise dauerhaft oder vorübergehend verlassen. Der daraus resultierende Personalmangel hat dazu geführt, dass Krankenhäuser Stationen geschlossen haben, was ihre Fähigkeit, Gesundheitsdienstleistungen zu erbringen, beeinträchtigt (ACAPS 31.5.2022). Fast alle privaten Krankenhäuser schlossen einige ihrer Abteilungen. Seit Sommer 2021 haben viele Abteilungen wieder geöffnet und die Honorare für Ärzte und für das Krankenpflegepersonal wurden in libanesischen Pfund minimal angepasst. 18 der 163 privaten Krankenhäuser sind aufgrund der finanziellen Situation von der Schließung bedroht (MedCOI 17.6.2022).
Angesichts der explodierenden Inflation haben einige private Krankenhäuser die Behandlungspreise mindestens verdoppelt und zahlreiche Mitarbeiter entlassen (AA 5.12.2022). Die meisten Krankenhäuser haben etwa 40 % ihrer Kapazitäten abgebaut. Bspw. mussten einige der Abteilungen für offene Herzchirurgie im Libanon geschlossen werden, weil das Fachpersonal und die Chirurgen für offene Herzchirurgie das Land aufgrund der Wirtschaftskrise verlassen hatten (MedCOI 17.6.2022). Die Versorgung mit Medikamenten hat sich in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 rapide verschlechtert; selbst einfache Schmerzmittel sind oft schwer zu bekommen; seit November 2021 sind die Subventionen für Medikamente praktisch abgeschafft, so dass viele Medikamente nicht mehr erschwinglich sind (AA 5.12.2022; vergleiche MedCOI 17.6.2022).
Eine im September 2021 veröffentlichte UN-Studie stellte fest, dass der Prozentsatz der Haushalte, die keine medizinische Versorgung erhielten, von 9 % im Jahr 2019 auf 33 % im Jahr 2021 gestiegen war. Die Zahl der Menschen, die keine Medikamente mehr bekommen konnten, hatte sich innerhalb von zwei Jahren sogar verdoppelt (AI 29.3.2022). Neben dem Medikamentenmangel führt der Mangel an Treibstoff dazu, dass die libanesischen Krankenhäuser nur mit 50 % ihrer Kapazität arbeiten können. Als Folge der staatlichen Stromrationierung, die die Verfügbarkeit von Strom auf zwei bis drei Stunden pro Tag beschränkt, kommt es in den Krankenhäusern weiterhin zu Stromausfällen. Aufgrund des Treibstoffmangels sind die Krankenhäuser nicht in der Lage, Ersatzgeneratoren zu betreiben. Dieses anhaltende Problem bedroht die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten im Land und wird dies wahrscheinlich auch weiterhin tun, da die Treibstofflieferanten Schwierigkeiten haben, die für die Aufrechterhaltung der Kette erforderlichen Devisen zu beschaffen (ACAPS 31.5.2022).
Der Libanon ist eines von 30 Ländern, die im Jahr 2022 Cholera Ausbrüche gemeldet haben (BMJ 19.1.2023). Der Ausbruch hat sich über die acht Gouvernorate des Libanon (20 der 26 Bezirke) ausgebreitet. Bis zum 17.1.2023 wurden insgesamt 6.158 mögliche und bestätigte Cholerafälle und 23 damit verbundene Todesfälle gemeldet, was einer Sterblichkeitsrate von 0,37 % entspricht. Die Zahl der Cholerafälle ist in den letzten Wochen deutlich zurückgegangen, wobei die meisten Fälle seit Anfang 2023 aus der Bekaa-Region und in geringerem Maße aus Akkar und dem Berg Libanon gemeldet wurden. Seit dem 9.12.2022 wurden keine neuen Todesfälle mehr registriert (OCHA et al. 18.1.2023).
Versicherungsdienstleistungen
Der Nationale Sozialversicherungsfonds (NSSF) [auch: Caisse Nationale de la Sécurité Sociale (CSSN)], der größte beschäftigungsbasierte Anbieter von Sozialleistungen, ist nahezu zahlungsunfähig und hat den Versicherten ihre Arztrechnungen nicht erstattet (HRW 12.1.2023; vergleiche TPS 22.3.2022). Der NSSF bietet seit seiner Gründung im Jahr 1965 einen völlig unzureichenden Versicherungsschutz. Ausgeschlossen sind dabei bspw. informell Beschäftigte und Arbeitslose. Sobald ein NSSF-Versicherter seinen Arbeitsplatz verliert, hat er keinen Anspruch mehr auf Krankenversicherungsschutz. Sie bietet keine Versicherung gegen Arbeitsunfälle oder Berufsrisiken, obwohl dies im Gründungsgesetz vorgesehen war. Trotz seiner erheblichen Defizite bot der NSSF dennoch einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung – c.a. 1.2 Millionen Menschen (Xinhua 21.12.2021) – ein Mindestmaß an sozialem Schutz (TPS 22.3.2022).
Neben privater wie staatlicher Krankenversicherung können Behandlung und Medikation für mittellose und/oder aus dem Ausland zurückkehrende Libanesen durch eine Überweisung des Gesundheitsministeriums an dessen Vertragskrankenhäuser (darunter auch renommierte Kliniken wie das American University Hospital oder das Hôtel Dieu in Beirut) und Vertragsärzte erfolgen. Die Vertragskrankenhäuser des Gesundheitsministeriums sind verpflichtet, vom Gesundheitsministerium zugewiesene Patienten im Rahmen einer monatlichen Quote aufzunehmen. Sie wehren sich gelegentlich – soweit diese Quote überschritten wird oder besonders „teure“ Fälle darunter sind – mit juristischen oder bürokratischen Maßnahmen gegen die Überweisung oder versuchen, Einzelpersonen an eine karitative Organisation „weiterzureichen“. Parallel existiert ein vom Gesundheits- und Sozialministerium gefördertes Netzwerk von „Erstversorgungseinrichtungen“, die häufig von Nichtregierungsorganisationen betrieben werden. Diese nehmen einfache Behandlungen (Impfungen/Gabe von Generika/Röntgen etc.) gegen eine Gebühr vor. Rückkehrende können grundsätzlich auch eine – allerdings kostspielige – private Krankenversicherung abschließen. Bei UNRWA registrierte palästinensische Flüchtlinge werden grundsätzlich vom Gesundheitsdienst der UNRWA versorgt, doch deckt diese Versorgung Leistungen der Nachsorge (qualifizierte Krankenhausversorgung) nur unzureichend ab. Andere Flüchtlinge und Ausländer haben keinen Zugang zur staatlichen Krankenversorgung und müssen ihre Behandlungskosten selbst tragen oder eine private Krankenversicherung abschließen. Für ältere Personen oder bei Vorerkrankungen kann es ausgeschlossen oder prohibitiv teuer sein, eine private Krankenversicherung abzuschließen (AA 5.12.2022). Die steigende Nachfrage nach öffentlichen Gesundheitsdiensten verschärft das Problem, da immer mehr Libanesen, die ihre Gesundheitsversorgung in erster Linie über den privaten Sektor in Anspruch nahmen, sich die Kosten aber nicht mehr leisten konnten, Zugang zu öffentlichen Gesundheitsdiensten suchen. Dem öffentlichen Gesundheitssektor fehlt es an Kapazitäten, um die gestiegene Nachfrage zu bewältigen (ACAPS 31.5.2022).
Der Libanon ist darüber hinaus das einzige Land in der MENA-Region ohne ein offizielles Rentensystem für Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft (TPS 22.3.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.1.2023): Libanon: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/libanonsicherheit/204048, Zugriff 19.1.2023
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
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- ACAPS - The Assessment Capacities Project (31.5.2022): https://www.acaps.org/sites/acaps/files/products/files/20220531_acaps_briefing_note_lebanon_impact_of_crisis_on_children.pdf, Zugriff 19.1.2022
- AI - Amnesty International (29.3.2022): Libanon 2021, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/libanon-2021, Zugriff 19.1.2023
- BMJ - British Medical Journal Health & Care Informatics (19.1.2023): Cholera is back but the world is looking away, https://www.bmj.com/content/380/bmj.p141, Zugriff 20.1.2023
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 19.1.2023
- Local Doctor via EUAA MedCOI (17.6.2022): AVA 15758, Zugriff 19.1.2023
- NPR - National Public Radio (5.6.2022): Lebanon's hospitals are running out of medicine and staff in ongoing economic crisis, https://www.npr.org/sections/goatsandsoda/2022/06/05/1102214169/lebanons-hospitals-are-running-out-of-medicine-and-staff-in-ongoing-economic-cri, Zugriff 19.1.2023
- OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs / UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees / UNICEF - United Nations Children’s Fund & WHO - Wolrd Health Organization (18.1.2023): Lebanon Cholera Outbreack Situation Report No 8, 18 January 2023, https://reliefweb.int/report/lebanon/lebanon-cholera-outbreak-situation-report-no-8-18-january-2023, Zugriff 20.1.2023
- TPS - The Public Source (22.3.2022): The Full Story Behind the Looming Collapse of the National Social Security Fund, https://thepublicsource.org/social-security-lebanon, Zugriff 20.1.2023
- UNICEF - United Nations Children’s Fund (21.4.2022): Die Krise im Libanon bedroht die Gesundheit der Kinder, https://unicef.at/news/einzelansicht/die-krise-im-libanon-bedroht-die-gesundheit-der-kinder/, Zugriff 19.1.2023
- Xinhua (21.12.2021): Lebanese losing end of service benefits to local currency devaluation, http://www.news.cn/english/2021-12/21/c_1310386538.htm, Zugriff 20.1.2023
23. Rückkehr
Die Einreisekontrollen an den Grenzübergängen und am internationalen Flughafen Beirut sind strikt. Reise- und Dokumentendaten werden seit 1995 an allen Einreisestellen erfasst und sind durch die General Security zentral abrufbar. Es ist möglich, sich gegen eine geringe Gebühr die Ein- und Ausreisebewegungen aus dem Libanon bescheinigen zu lassen. Personen ohne gültige Dokumente werden erfasst und an der Einreise gehindert. Der Libanon erkennt keine von EU-Staaten für libanesische Staatsangehörige oder Staatenlose ausgestellten Heimreisepapiere an (AA 5.12.2022; vergleiche DIS 9.2022). Libanesische Staatsbürger können nicht ohne Vorlage eines Reisepasses bzw. eines von der zuständigen libanesischen Auslandsvertretung ausgestellten Heimreisedokuments (z. B. Laissez-Passer) einreisen (AA 5.12.2022).
Es sind keine Fälle bekannt, in denen libanesische Staatsbürger, die, beispielsweise aus Deutschland, abgeschoben wurden, aus diesem Grund eine diskriminierende Behandlung im Libanon erfahren haben. Sie werden wie alle Einreisenden von den Sicherheitsbehörden überprüft. Ein besonderes staatliches Interesse an dieser Personengruppe ist nicht erkennbar. In Abwesenheit verurteilte Personen werden bei der Einreise in Strafhaft genommen und verbüßen die verhängte Haftstrafe. Sie haben unmittelbar nach Haftantritt die Möglichkeit, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen. Das Verfahren wird vollständig neu durchgeführt, und es gilt das Verbot der „reformatio in peius“ [Verschlechterungsverbot]. In solchen Fällen sind keine Vorwürfe von Folter oder Misshandlung bekannt (AA 5.12.2022).
Laut Bericht des Danish Immigration Service (DIS) sträuben sich die libanesischen Behörden seit Mai 2018 den staatenlosen palästinensischen Flüchtlingen aus dem Libanon (PRLs), die sich im Ausland aufhalten, die Rückkehr in den Libanon zu gestatten, wenn sie keine Aufenthaltsgenehmigung in dem Land haben, in dem sie sich derzeit aufhalten. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rückkehr freiwillig oder zwangsweise erfolgen soll. Die Zahl der erfolgreichen Rückführungen innerhalb dieses Zeitraums ist sehr begrenzt. Anträge für neue oder zu verlängernde palästinensische Reisedokumente sowie die Ausstellung von Laissez-passer für PRLs werden vom libanesischen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und Emigranten auf Eis gelegt. Es begründet dies damit, dass der Libanon bereits genug Flüchtlinge beherbergt und von der internationalen Gemeinschaft angesichts der großen Anzahl von Flüchtlingen im Libanon keine ausreichende Unterstützung erhält (DIS 9.3.2020). Laut offiziellen Angaben der libanesischer Botschaft Berlin ist für die Ausstellung eines Reisedokuments [DDV – Document de Voyage] für Palästinensische Volkszugehörige aus dem Libanon ein Aufenthaltstitel für Deutschland bzw. eine Bescheinigung der zuständigen Ausländerbehörde, dass ein Aufenthaltstitel vorliegt bzw. erteilt werden kann, notwendig (BL 11.2021). Ausländische Staatsangehörige, vor allem Syrer und Palästinenser, bei denen der Verdacht einer irregulären Einreise nach Deutschland besteht, müssen damit rechnen, dass ihnen die Einreise in den Libanon verweigert wird. Dies kann auch trotz einer aktuell gültigen Aufenthaltserlaubnis für Deutschland der Fall sein (AA 19.1.2023). Besteht bei der Einreise in den Libanon der Verdacht, dass ein Drittausländer vormals illegal nach Europa gelangt ist, verweigern libanesische Grenzbehörden die Einreise. Luftfahrtunternehmen sind dann in der Pflicht, den Passagier zurück zu befördern und pro Passagier wird ein Bußgeld in Höhe von derzeit 2.000 USD erhoben (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.1.2023): Libanon: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/libanonsicherheit/204048, Zugriff 19.1.2023
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 19.1.2023
- BL - Botschaft des Libanon in der Bundesrepublik Deutschland [Libanon] (11.2021): Erforderliche Dokumente zur Beantragung eines elektronisch lesbaren Reisedokuments (DDV) für palästinensische Volkszugehörige aus dem Libanon (gültig ab November 2021), http://www.libanesische-botschaft.info/images/forms/info-ddv-de-Nov2021.pdf, Zugriff 19.1.2023
- DIS - Danish Immigration Service (9.3.2020): Lebanon, Report on stateless Palestinian refugees from Lebanon and their possibility to reenter Lebanon from a third country (Report based on a Fact Finding Mission to Beirut, Lebanon, from 7 to 10 January 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2026439/Landerapport+Lebanon+Marts+2020.pdf, Zugriff 19.1.2023
24. Aktuell
Libanon / Israel: Auswirkungen des Konfliktes zwischen Israel und Hamas Der laufende Konflikt rund um den Gaza-Streifen beeinflusst nach wie vor jeden Aspekt des politischen Lebens in Libanon. Der Tourismussektor, der etwa 20 % des BIP Libanons ausmacht, ist in besonderem Maße getroffen, zumal Flüge nach und aus Libanon von den meisten Fluggesellschaften eingestellt oder stark reduziert wurden. Diverse gesellschaftliche Gruppen von politischen Parteien bis zu Wirtschaftsverbänden fordern dementsprechend auf, eine Eskalation des Konfliktes zu verhindern, zumal das Land bereits erhebliche Versorgungsschwierigkeiten hat und nur über sehr beschränkte Reserven verfügt. Libanon ist für einen Großteil seiner Nahrungsversorgung auf Importe angewiesen. Viele Staaten fordern ihre Bürgerinnen und Bürger zur Ausreise auf. Inzwischen sprechen die UN von mindestens 29.000 Binnenvertriebenen aufgrund der Gefechte im Süden Libanons. Diese Umstände verschärfen die sowieso schon angespannte wirtschaftliche Lage erheblich. Weiterhin kommt es fast täglich zu Gefechten, bei denen Hisbollah-Trupps versuchen, vor allem Spähposten und vergleichbare Einrichtungen zu attackieren. Nachdem am 25.10.23 dabei insgesamt elf Hisbollah-Kämpfer getötet wurden, kam es am Folgetag nicht zu Gefechten. Die Hisbollah verkündete eine Änderung der Strategie, anstelle von kleineren Gruppen würden von nun an Zweierteams eingesetzt, um die eigenen Verluste zu minimieren. Bisher sind mindestens 50 Kämpfer der Hisbollah und vier israelische Soldaten während der Kampfhandlungen getötet worden. Zivile Opfer bewegen sich auf beiden Seiten derzeit im einstelligen Bereich. Auf die Angriffe reagierte Israel jeweils mit Vergeltungsangriffen auf Stellungen der Hisbollah. Weiterhin kommt es fast täglich zu Angriffen mittels Raketen auf israelisches Gebiet. Spätestens seit dem 28.10.23 werden diese auch durch den libanesischen Zweig der Qassam-Brigaden der Hamas sowie die libanesische sunnitische Gruppe Jamaa Islamiyya durchgeführt, die jeweils die Verantwortung für mehrere Angriffe übernahmen. Weiterhin werden Orte im Norden Israels evakuiert.
Quelle: BAMF Briefing Notes vom 30.10.2023
Libanon: Rede Hassan Nasrallahs Nachdem Hassan Nasrallah, das Oberhaupt der Hisbollah, sich erstmals seit Beginn des Krieges zwischen Israel und der Hamas am 03.11.23 in einer Ansprache an die Öffentlichkeit gewandt hat, erscheint es so, als dass es vorerst keine Eskalation über das bestehende Niveau hinaus geben wird. In der Rede betonte Nasrallah, dass weder die Hisbollah noch andere Gruppen vorab von der Hamas informiert worden seien und es sich vor allem um einen palästinensischen Konflikt handele. Hisbollah sei bereits unterstützend aktiv durch die Bindung israelischer Kräfte. Zwar schloss er eine weitere Eskalation nicht aus, Beobachterinnen und Beobachter werteten die Rede insgesamt jedoch als eher deeskalierend. In den Wochen zuvor hatten Wirtschaftsverbände, zivile Gruppen und Vertreter praktisch aller anderen politischen Parteien immer wieder darauf gedrängt, Libanon möglichst aus dem Krieg zwischen Hamas und Israel herauszuhalten. Die libanesische Währung stabilisierte sich bei etwa 90.000:1 gegenüber dem US-Dollar. 17 Bewaffnete Zusammenstöße an der Grenze mit Israel Täglich gibt es eine Vielzahl von einzelnen Meldungen entlang der Grenze. Dabei handelt es sich zumeist um kurze Schusswechsel. Die Zahl der dabei auf beiden Seiten gefallenen Kämpfer bleibt unklar, da die Hisbollah und die israelische Armee (IDF) regelmäßig Unterschiedliches berichten. Am Nachmittag des 03.11.23 und am 04.11.23 war nach der Rede Nasrallahs kurzfristig eine erhöhte Intensität festzustellen, die in Angriffen mit Panzerabwehrlenkwaffen auf, Angaben der Hisbollah zufolge, sechs israelische Militärposten und israelische Militärfahrzeuge zum Ziel hatten und in Reaktion darauf Luftschlägen der IDF gipfelten. Am 05.11.23 kam es bei einem Drohnenangriff Israels zu zivilen Opfern, als ein Auto mit einer Frau und drei Kindern getroffen wurde. Es handelt sich um die einzigen in dieser Woche berichteten zivilen Opfer. Weiterhin werden Orte im Norden Israels evakuiert.
Quelle: BAMF Briefing Notes vom 06.11.2023
Libanon: Auswirkungen des Krieges zwischen Israel und Hamas Weiterhin ist die militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas das alles überragende Thema der innenpolitischen Debatte Libanons. Nachdem Hassan Nasrallah, das Oberhaupt der Hisbollah, sich erneut in einer Ansprache an die Öffentlichkeit gewandt hat, scheint weiterhin keine Eskalation zu einem vollständigen Krieg an der Südgrenze von Seiten der Hisbollah geplant zu sein. Während weiterhin die meisten libanesischen politischen Parteien versuchen, auf Frieden hinzuarbeiten, fordern viele palästinensische Gruppen eine Eskalation. Neueren Schätzungen zufolge wird die libanesische Wirtschaft um bis zu 23 % BIP aufgrund der Auswirkungen des Gaza-Konfliktes verlieren. Dies umfasst vor allem den Tourismus-Sektor, de facto sind jedoch auch die Wirtschaftsaktivität großer Teile Südlibanons sowie die Sicherheit der Wertschöpfungsketten und potenzielle Investitionen betroffen.22 Lage im Süden Libanons und Norden Israels Aufgrund der Vielzahl an einzelnen bewaffneten Zusammenstößen und militärischen Entwicklungen an der Südgrenze Libanons/Nordgrenze Israels werden die Entwicklungen kurz zusammengefasst: Täglich gibt es eine Vielzahl von einzelnen Meldungen entlang der Grenze. Dabei handelt es sich zumeist um kurze Schusswechsel. Inzwischen werden vermehrt von libanesischer Seite Raketensysteme eingesetzt. Beide Seiten erhöhten die Reichweite ihrer Schläge, sodass inzwischen Angriffe bis zu ca. 45 km nördlich der libanesischen Grenze und ebenfalls laut Angaben der Hisbollah bis nach Akkon in Israel möglich sind. Neben einer erhöhten Schlagzahl der Angriffe der Hisbollah ist vor allem festzustellen, dass sich andere Gruppen verstärkt an Angriffen auf Israel beteiligen. Besonders herausgehoben werden muss der militärische Arm der Hamas in Libanon, der die Verantwortung für mehrere Raketenangriffe übernahm. Erstmals wurde durch einen israelischen Drohnenschlag ein Mitglied der Miliz der schiitischen AMAL-Bewegung, der zweiten großen schiitischen Partei neben der Hisbollah in Libanon, getötet. Die Zahl der dabei auf beiden Seiten gefallenen Kämpfer bleibt unklar, da sich die Angaben von Hisbollah und israelischer Armee regelmäßig nicht decken. Auf libanesischer Seite sind inzwischen etwa 100 Todesopfer zu beziffern, wobei 11 davon als Zivilpersonen identifiziert wurden und der Rest ganz überwiegend aus Kämpfern der Hisbollah besteht. Auf israelischer Seite soll es mehrere hundert Verletzte und eine einstellige oder niedrige zweistellige Anzahl von Todesopfern geben. Weiterhin werden Orte im Norden Israels evakuiert. Der israelische Verteidigungsminister sprach eine deutliche Warnung an die Hisbollah vor einer weiteren Eskalation aus
Quelle: BAMF Briefing Notes vom 13.11.2023
Libanon / Israel Lage im Süden Libanons und Norden Israels Weiterhin kommt es häufig zu gegenseitigem Beschuss zwischen der Hisbollah und der israelischen Armee. Aufgrund der Vielzahl der Vorfälle wird die Entwicklung zusammengefasst. Die diplomatische Rhetorik beider Seiten deutet unverändert auf die Möglichkeit einer Einigung über den Grenzverlauf nach einem Ende des Krieges zwischen Israel und der Hamas. Innerhalb Libanons gibt es viele Aufrufe an die Hisbollah, sich bei Angriffen auf Israel von ziviler Infrastruktur fern zu halten. Bisher scheint dies weitgehend zu erfolgen. Nachdem am 02.01.24 Saleh al-Arouri, einer der wichtigsten Anführer der Hamas, zusammen mit zwei weiteren Hamas-Kommandanten und vier Hamas-Mitgliedern bei einem Drohnenangriff in Beirut getötet wurde, wurde von israelischer Seite signalisiert, dass es sich dabei nicht um einen Angriff auf den libanesischen Staat gehandelt habe. In den Folgetagen kam es zu verstärkten Angriffen der Hisbollah auf Ziele in Israel, die damit einhergehenden Stellungnahmen der Hisbollah und vor allem die Äußerungen von Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah ließen jedoch weiterhin keine Intention für eine Eskalation über das derzeitige Gewaltniveau hinaus erkennen. Es kommt nach wie vor täglich zu Angriffen beider Seiten. Inzwischen sind insgesamt auf libanesischer Seite mehr als 175 Personen ums Leben gekommen, darunter etwa 20 Zivilpersonen; auf israelischer Seite bisher 14 Menschen, darunter fünf Zivilpersonen. Seit Beginn der Auseinandersetzung gab es ca. 36 Treffer auf Stellungen der libanesischen Armee, in deren Folge bisher ein libanesischer Soldat starb. Dies führt zu verstärkter internationaler Kritik und nährt Befürchtungen über eine Ausweitung des Konfliktes. Nach Angaben von Hilfsorganisationen sind weiterhin etwa 76.000 Menschen innerhalb Libanons sowie eine vergleichbare Anzahl von Menschen in Israel durch die Eskalation an der Grenze intern vertrieben. Auf israelischer Seite werden die Binnenvertriebenen weitgehend in Hotels untergebracht. In Libanon sind etwa 80 % bei Verwandten in nördlicheren Landesteilen untergekommen, nur etwa 2 % können staatliche Unterkünfte in Anspruch nehmen.
Quelle: BAMF Briefing Notes vom 08.01.2024
Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA vom 08.01.2024
Seit 2019 hat sich die Situation im Libanon aufgrund einer Wirtschafts- und Finanzkrise verschlechtert. Die Covid-19-Pandemie und die Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020 haben die Lage zusätzlich verschärft. Die politischen Institutionen des Landes sind größtenteils handlungsunfähig und aufgrund parteipolitischer Differenzen nahezu komplett blockiert. Zudem ist seit Oktober 2022 ist das Amt des libanesischen Präsidenten vakant. Ein Nachfolger wurde bislang aufgrund interner Spaltungen und gegenseitiger Blockaden nicht gewählt (Global Conflict Tracker 10.10.2022).
Der Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 hatte auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage im Libanon, insbesondere im Süden des Landes. Seitdem kommt es entlang der libanesisch-israelischen Grenze fast täglich zu wechselseitigen Gefechten und Bombardements unterschiedlicher Intensität. Beteiligt sind vor allem die israelische Armee und die Hisbollah (France24 3.1.2024).
Nach einem aktuellen Bericht des OCHA (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) mussten (Stand 27.12.2024) insgesamt 74.441 Libanesen das südliche Grenzgebiet wegen der prekären Sicherheitslage verlassen. Darüber hinaus wurden bis zu diesem Zeitpunkt insgesamt 118 Menschen getötet und 536 weitere verletzt. Unter den Getöteten befinden sich mindestens 20 zivile Opfer (OCHA 30.12.2023). Al-Jazeera erwähnt in diesem Zusammenhang, dass auf Seiten der Hisbollah (Stand 4.1.2024) etwa 140 Kämpfer getötet wurden (Al-Jazeera 4.1.2023). Darüber hinaus berichtet das Committee to Protect Journalists (CPJ) von insgesamt drei libanesischen Journalisten, die durch israelische Angriffe getötet wurden (CPJ 7.1.2024).
Aus einem Briefing des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geht hingegen hervor, dass auf israelischer Seite insgesamt 11 Menschen getötet wurden, darunter vier Zivilisten (BAMF 18.12.2023). Zudem mussten bis zu 100.000 Israelis aufgrund der angespannten Lage ihre Häuser im Norden des Landes verlassen (ICG 29.12.2023).
Eine besonders brisante Entwicklung stellt die bereits erwähnte Tötung des hochrangigen Hamas-Mitglieds Saleh al-Arouri am 2. Januar 2024 im Hisbollah kontrollierten Süden Beiruts dar. Bei dem Drohnenangriff wurden auch sechs weitere Personen getötet (BBC 3.1.2024). Laut BBC handelt es sich bei Saleh al-Arouri um eine Schlüsselfigur der Qassam-Brigaden, dem bewaffneten Flügel der Hamas. Er hielt sich seit mehreren Jahren im Libanon auf, um als Bindeglied zwischen der verbündeten Hamas und der Hisbollah zu fungieren (BBC 3.1.2024).
Seitens der israelischen Armee wurde dazu keine Stellungnahme abgegeben. Der israelische Regierungsberater Mark Regev wies jedoch darauf hin, dass unabhängig davon, wer den Anschlag verübt habe, dieser nicht als Angriff auf den libanesischen Staat zu werten sei (BBC 3.1.2024). Nach wiederholten Drohungen, die Ermordung Arouris zu rächen, hat die Hisbollah am 6. Januar mehrere Raketenangriffe auf ausschließlich militärische Ziele innerhalb Israels durchgeführt (Haaretz 7.1.2024).
Aus Angst vor einer drohenden Eskalation forderten mehrere westliche Staaten ihre Staatsbürger auf, das Land schnellstmöglich zu verlassen (Al-Monitor 3.1.2024). Das österreichische Außenministerium bereits am 20.10.2023 eine Reisewarnung für den Libanon ausgesprochen und alle Österreicher aufgefordert, das Land zu verlassen (BMEIA 8.1.2024).
Seit dem Ausbruch des Konflikts gab es immer wieder internationale Bemühungen, die bewaffneten Kämpfe zwischen der Hisbollah und Israel einzudämmen und Teile der UN-Resolution 1701 wieder umzusetzen (Arab News 5.1.2024). Diese Resolution wurde 2006 nach dem Juli-Krieg zwischen der libanesischen Hisbollah und Israel vom Sicherheitsrat verabschiedet und sieht unter anderem die vollständige Einstellung der militärischen Aktivitäten und die Einrichtung einer entmilitarisierten Zone (mit Ausnahme der libanesischen Sicherheitskräfte und der UN-Friedenstruppen) zwischen dem unmittelbaren Grenzgebiet und dem Fluss Litani vor (UN-Sicherheitsrat 11.8.2006).
Angesichts der Entwicklungen nach dem 2. Jänner versuchen die USA und die Europäische Union eine völlige Eskalation des Krieges zwischen der Hisbollah und Israel zu verhindern. Zu diesem Zweck reiste der EU-Außenbeauftragte Joseph Borell vom 5. bis 7. Jänner nach Beirut, um mit führenden libanesischen Persönlichkeiten zusammenzutreffen und die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Konflikts voranzutreiben. Fast zeitgleich reiste der US-Außenminister zum selben Zweck nach Israel (Jerusalem Post 6.1.2024).
Laut der israelischen Tageszeitung Haaretz schrecken beide Seiten trotz der jüngsten Eskalation noch vor einem offenen Krieg zurück. Der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, hat in seiner jüngsten Rede auch indirekt ein Fenster für diplomatische Gespräche offengelassen. Er bezog sich dabei auf die Beilegung offener Streitigkeiten über die Staatsgrenze zwischen Israel und dem Libanon. Die weiteren Entwicklungen sind derzeit jedoch ungewiss. Es ist nicht sicher, ob internationale Vermittlungsversuche die Lage im Südlibanon beruhigen können. Aufgrund des aufgeheizten Diskurses zwischen der Hisbollah und Israel bestet zudem das Risiko einer offenen Konfrontation oder sogar eines regionalen Flächenbrandes (Haaretz 7.1.2024).
Quellen:
● Al-Jazeera (4.1.2024): Israeli military strikes south Lebanon stoking fears of widening conflict, Israeli military strikes south Lebanon stoking fears of widening conflict | Israel War on Gaza News | Al Jazeera, Zugriff 5.1.2024
● Al-Monitor (3.1.2024): Germany, Canada urge citizens to leave Lebanon as Hezbollah vows retaliation, Germany, Canada urge citizens to leave Lebanon as Hezbollah vows retaliation - Al-Monitor: Independent, trusted coverage of the Middle East, Zugriff 5.1.2024
● Arab News (18.12.2023): French foreign minister: UN Resolution 1701 on Lebanon must be implemented by both sides, French foreign minister: UN Resolution 1701 on Lebanon must be implemented by both sides (arabnews.com), Zugriff 8.1.2024
● BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (18.12.2023): Briefing Notes, Gruppe 62 – Informationszentrum Asyl und Migration, Briefing Notes (bamf.de), Zugriff 5.1.2024
● BBC – British Broadcasting Corporation (3.1.2024): Hamas deputy leader Saleh al-Arouri killed in Beirut blast, Hamas deputy leader Saleh al-Arouri killed in Beirut blast - BBC News, Zugriff 5.1.2024
● BMEIA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (8.1.2023): Reiseinformationen Libanon – Stand 8.1.2024 (unverändert gültig seit: 20.10.2023), Libanon – BMEIA - Außenministerium Österreich, Zugriff 8.1.2024
● CPJ – Committee to Protect Journalists (7.1.2024): Journalist casualties in the Israel-Gaza war Journalist casualties in the Israel-Gaza war - Committee to Protect Journalists (cpj.org), Zugriff 8.1.2024
● France24 (3.1.2024): Retaliate or not? Hezbollah faces conundrum after Israel kills Hamas deputy in Lebanon, Retaliate or not? Hezbollah faces conundrum after Israel kills Hamas deputy in Lebanon (france24.com), Zugriff 5.1.2024
● GCT – Global Conflict Tracker (10.10.2023): Instability in Lebanon, Instability in Lebanon | Global Conflict Tracker (cfr.org), Zugriff 8.1.2024
● Haaretz (7.1.2024): Analysis | Hezbollah Chief Eyes Chance for an Israeli Border Deal, but Warfare Has Its Own Rules, Analysis | Hezbollah Chief Eyes Chance for an Israeli Border Deal, but Warfare Has Its Own Rules - Israel News - Haaretz.com, Zugriff 8.1.2024
● Jerusalem Post - The Jerusalem Post: Blinken, Borrell call for diplomatic solution to Israeli-Hezbollah conflict, Blinken, Borrell call for diplomatic solution to Hezbollah conflict - The Jerusalem Post (jpost.com), Zugriff 8.1.2024
● ICG – International Crisis Group (29.12.2023): Diplomacy Must Prevail in Israel-Hizbollah Conflict, Diplomacy Must Prevail in Israel-Hizbollah Conflict | Crisis Group, Zugriff 8.1.2024
● Liveuamap (5.1.2024): Lebanon, Lebanon news on live map - lebanon.liveuamap.com, Zugriff 5.1.2024
● OCHA – Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (30.12.2023): Lebanon: Flash Update #7 - Escalation of hostilities in south Lebanon, 27 December 2023, Lebanon: Flash Update #7 - Escalation of hostilities in south Lebanon, 27 December 2023 | OCHA (unocha.org), Zugriff 5.1.2024
● UNIFIL - United Nations Interim Force in Lebanon (Dezember 2022: UNIFIL Maps, UNIFIL Maps | UNIFIL (unmissions.org), Zugriff 5.1.2024
● UN-Sicherheitsrat (11.8.2006): Resolution 1701 (2006), Etpu (un.org), Zugriff 5.1.2024
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA zur Sicherhaitslage im Libanon angesichts des Gazakrieges vom 27.12.2023:
Wie stellt sich die aktuelle Sicherheitslage im Libanon angesichts des Israel-Gaza-Krieges nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7.10.2023 dar?
Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass sich die libanesische Miliz Hisbollah und die israelischen Streitkräfte seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7.10.2023 verstärkt gegenseitig unter Beschuss nehmen. Abseits einer einwöchigen Waffenruhe im November geschah dies mit Stand 19.12.2023 mehrmals täglich. Die Feindseligkeiten beschränken sich bislang auf ein geographisch vergleichsweise begrenztes Gebiet entlang der Grenze zwischen Nordisrael und dem Südlibanon. Analysten zufolge möchten sowohl Israel als auch die Hisbollah und Iran einen totalen Krieg vermeiden. Ein Sprecher der UN-Friedensmission im Libanon (UNIFIL) gab in diesem Zusammenhang jedoch zu bedenken, dass es auch zu einer unbeabsichtigten Eskalation des Konflikts kommen kann. Bis zum 12.12.2023 wurden im Südlibanon rund 64.000 Personen vertrieben. Das libanesische Gesundheitsministerium meldete mit Stand 13.12.2023 insgesamt 99 Tote und 463 Verwundete im Libanon, darunter 16 bestätigte Todesfälle von Zivilisten. Bei den Angriffen wurden im Südlibanon auch Wohngebiete getroffen. Die israelische Armee hat auch Phosphorbomben eingesetzt, was unter anderem zur Zerstörung von Ernten und der Kontamination von Wasserquellen führen kann. Einem Bericht zufolge wurden im Südlibanon 40.000 Olivenbäume durch die Kampfhandlungen zerstört. Der verstärkte wechselseitige Beschuss seit Oktober beendete eine 17 Jahre andauernde Zeit des relativen Friedens in diesem Gebiet, wobei die Hisbollah seit dem Frühling vermehrt Stellungen auf der israelischen Seite der so genannten Blauen Linie bezogen hat, was aus israelischer Sicht den Bestimmungen der UN-Sicherheitsratsresolution 1701 widerspricht, die 2006 den Krieg zwischen dem Libanon und Israel beendet hat. Die libanesische Regierung bekräftigte kürzlich ihre Verpflichtung zur Einhaltung der Bestimmungen der Resolution, jedoch ist sie zu schwach, um die Hisbollah zu entwaffnen und ihre Aktivitäten einzuschränken. Führende libanesische Politiker sprachen sich eindeutig gegen eine libanesische Beteiligung am Krieg [zwischen der Hamas und Israel] aus.
Die Hisbollah sieht sich mit einer zunehmenden Ablehnung in der Bevölkerung, insbesondere den christlichen Gemeinden, konfrontiert. Im August 2023 kam es beispielsweise zu einer Auseinandersetzung zwischen Hisbollah-Mitgliedern und Anwohnern eines christlichen Dorfes, die in ein Feuergefecht mit zwei Todesopfern, darunter ein Hisbollah-Mitglied, mündete. Die Hisbollah-Mitglieder verließen schließlich das Dorf und überließen es den libanesischen Streitkräften, die Angelegenheit zu regeln. Christliche Zivilisten und Gemeindevorsteher forderten angesichts des Verhaltens der Hisbollah im Libanon laut einem Bericht vom August 2023 zuletzt vermehrt eine bewaffnete Reaktion und Maßnahmen zur Selbstverteidigung. In manchen christlichen Vierteln wurden unabhängige bewaffnete Gruppen gegründet.
Neben dem Beschuss Israels durch die Hisbollah feuerte 2023 auch die Hamas zweimal Raketen vom Libanon aus auf Israel ab, wobei sie dazu Hisbollah-Stellungen verwendete. Einer der Vorfälle fand vor dem 7.10.2023 statt. Diesen Angriff im April 2023 beantwortete Israel mit Schlägen auf angebliche „Infrastrukturziele“ der Hamas im Libanon. Die Identität der meisten Hamas-Kämpfer im Libanon ist der Öffentlichkeit nicht bekannt, aber es ist möglich, dass sie unter den mehr als 200.000 palästinensischen Flüchtlingen rekrutiert wurden, die im Land leben. Von Ende Juli bis Mitte September 2023 kam es im größten palästinensischen Flüchtlingslager des Libanon, Ain al-Hilweh, zu Zusammenstößen zwischen der Fatah und islamistischen Gruppierungen wie Jund al-Sham und al-Shabab al-Moslem. In Ain al-Hilweh nahe der Stadt Saida kommt es öfters zu Konflikten, zwischen Juli und September wurden jedoch ein Viertel der rund 80.000 Bewohner des Lagers vertrieben. Die Auseinandersetzungen beschränkten sich auf das Lager, abgesehen von Munition, die gelegentlich außerhalb des Lagers niederging. Im Rahmen einer langjährigen Vereinbarung mit den palästinensischen Sicherheitskräften betreten die libanesischen Streitkräfte Ain al-Hilweh normalerweise nicht. Die Hamas war nicht direkt in die Gewalttaten verwickelt, jedoch interpretierte ein Beobachter die Vorkommnisse als einen Stellvertreterkrieg zwischen der Hamas und Fatah, wobei erstere um größeren Einfluss im Libanon bemüht ist.
Einzelquellen:
Der US-amerikanische Nachrichtensender National Public Radio (NPR) berichtete am 19.12.2023, dass mit dem Kriegsbeginn in Gaza Anfang Oktober auch eine 17-jährige Zeitspanne relativen Friedens entlang der libanesisch-israelischen Grenze zu Ende ging, was die Angst vor einer zweiten Front erhöhte, welche die Region in einen größeren Konflikt ziehen könnte. Nach Beginn des Gaza-Krieges reagierte die Hisbollah mit Angriffen auf israelische Ziele in Nordisrael. Die Hisbollah besteht darauf, dass sie von dem Hamas-Angriff vom 7.10.2023 nichts wusste. Die Hisbollah hat mit Israel Angriffe in einer geographisch relativ begrenzten Zone an der Nordgrenze Israels ausgetauscht, um israelische Militärressourcen zu binden, die sonst im Gazastreifen eingesetzt würden. Analysten zufolge möchten sowohl Israel als auch die Hisbollah und der Iran einen totalen Krieg vermeiden. Außer während einer einwöchigen Waffenruhe im vergangenen Monat haben Israel und die Hisbollah seit dem 8.10.2023 täglich mehrere Angriffe über die israelisch-libanesische Grenze hinweg durchgeführt. Diese Angriffe beschränken sich weitgehend auf einen Streifen Land, der auf beiden Seiten der Grenze drei bis vier Meilen tief ist [~4,8-6,4 km], obwohl beide Seiten in der Lage sind, noch viel weiter vorzudringen. Die Hisbollah gibt an, dass 94 ihrer Kämpfer in der Nähe der libanesischen Grenze durch israelische Angriffe getötet worden sind, und das libanesische Militär erklärt, dass ein libanesischer Soldat getötet wurde. Libanesische Medien berichten, dass mindestens 17 Zivilisten getötet worden sind. Drei von ihnen waren Journalisten oder Medienmitarbeiter, darunter der Reuters-Journalist Issam Abdallah, der durch einen Panzerbeschuss getötet wurde, bei dem es sich laut einer Reuters-Untersuchung offenbar um einen gezielten Angriff handelte. Nach israelischen Angaben wurden mindestens 11 Soldaten und Zivilisten auf der israelischen Seite der Grenze getötet. Ein Sprecher der UN-Mission im Libanon (UNIFIL) bezeichnet die Zunahme der Angriffe Anfang Dezember als Teil eines Musters sporadischer Eskalation und nicht als Signal für eine Verschärfung des gesamten Grenzkonflikts. Er und mehrere Analysten sind jedoch der Meinung, dass nur ein einziger Vorfall – zum Beispiel die Tötung einer großen Zahl von Zivilisten – ausreichen würde, um den Konflikt unbeabsichtigt zu eskalieren. Die Hisbollah wird von Sicherheitsanalysten als eine der am stärksten bewaffneten paramilitärischen Organisationen der Welt angesehen.
BEIRUT — When the war in Gaza began in early October, it also broke a 17-year stretch of relative calm across the Lebanese-Israeli border, raising fears of a second front plunging the region into a wider conflict.
In 2006, the killing and kidnapping of Israeli soldiers by Hezbollah, the Iran-backed Lebanese militia, sparked a 34-day war that killed more than 1,100 Lebanese and 165 Israelis, and heavily damaged Lebanon’s infrastructure.
Attacks in the following years were sporadic enough that the United Nations peacekeeping force along the border believed the next step could be a permanent cease-fire.
And then came Oct 7.
The Hamas attack that day from Gaza into southern Israel has been followed by a war between the militant Palestinian group and Israeli forces that so far has killed more than 19,000 Palestinians, most of them women and children, according to Gaza’s health ministry. Israel says about 1,200 people were killed in the Oct. 7 attack.
After the Gaza war started, Hezbollah responded by attacking Israeli targets in northern Israel.
Hezbollah insists it did not know in advance of the Oct. 7 Hamas attack. römisch eins t has traded attacks with Israel in a relatively narrow zone across Israel’s northern border in an effort to tie up Israeli military resources that would otherwise be deployed in Gaza.
Hezbollah, a Shia Muslim movement, was founded after Israel’s 1982 invasion of Lebanon. Although it supports Hamas, which is predominantly Sunni Muslim, it is not believed to carry out extensive coordination with the Palestinian group.
Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu has threatened to turn southern Lebanon and Beirut “into Gaza” if Hezbollah declares all-out war on Israel. Israeli forces in Gaza have flattened entire city blocks, bombed hospitals and heavily damaged infrastructure.
Analysts say both Israel and Hezbollah, along with Iran, would like to avoid all-out war. Here are keys to understanding why all three would prefer to avoid an escalation — and why they may not be able to.
Except during a week-long cease-fire last month, Israel and Hezbollah have launched multiple attacks every day across the Israel-Lebanon border since Oct. 8.
Those attacks have been largely confined to a swath of land three to four miles deep on each side of the border, despite the capability on both sides to reach much farther.
Hezbollah says 94 of its fighters have been killed near the Lebanese border by Israeli strikes, and the Lebanese military says one Lebanese soldier has been killed. Lebanese media report at least 17 civilians have been killed.
Three of them were journalists or media workers, including Reuters visuals journalist Issam Abdallah, who was killed by a tank round in what a Reuters investigation said appeared to be a targeted attack. Israel says at least 11 soldiers and civilians have been killed on the Israeli side of the border.
The fighting “overall has been very, very localized. That also shows somehow that there is not a real appetite for wider conflict in this region,” says Andrea Tenenti, spokesperson for the United Nations Interim Force in Lebanon, or UNIFIL. The peacekeeping force was established 45 years ago to oversee Israel’s withdrawal that year after it invaded Lebanon following Palestinian commando attacks.
Tenenti says both Israel and Hezbollah have unfailingly accepted messages passed through UNIFIL in procedures designed to deescalate potentially dangerous misunderstandings — a further sign of the desire to avoid wider conflict.
UNIFIL does not deal directly with Hezbollah, which the U.S. designates as a terrorist organization, but coordinates with the Lebanese Army.
Tenenti describes increased attacks earlier this month as part of a pattern of sporadic escalation rather than a signal that the entire border conflict had intensified.
He and several analysts say, however, that it would take only one incident — the killing of a large number of civilians, for instance — to unintentionally escalate the conflict.
“In my view, Hezbollah is going to maintain the tempo of firing into northern Israel to demonstrate its ‘resistance’ credentials and show solidarity with the Palestinians, but not attempt to do anything that would provoke full-scale war with the Israelis,” says Jeffrey Feltman, a former U.S. assistant secretary of state and U.N. undersecretary general.
“After all, the primary purpose of Hezbollah’s massive arsenal is to deter Israel from a massive strike on Iran or to retaliate in case of such a strike,” says Feltman, now a fellow at the Brookings Institution.
Much is at stake for Hezbollah and its backer, Iran
Hezbollah is considered by security analysts to be one of the most heavily armed paramilitaries in the world. Its leader Hassan Nasrallah has said the militia possesses rockets that can reach all parts of Israel and is increasingly using precision guidance systems for targeting. Iran is the group’s major supplier of weapons. […]
NPR – National Public Radio (19.12.2023): Why Hezbollah and Israel haven’t plunged into all-out war, https://www.npr.org/2023/12/19/1219748268/lebanon-hezbollah-israel-hamas-iran-war, Zugriff 22.12.2023
Der Thinktank Soufan Center berichtete in einem Newsletter vom 12.12.2023, dass sich israelische Beamte weiterhin auf die kontrollierte Eskalation mit der libanesischen Hisbollah entlang der israelisch-libanesischen Grenze konzentrieren, die sich in naher Zukunft auszuweiten droht. Israelische Führer und Strategen gehen davon aus, dass die libanesische Hisbollah, die von Iran stark bewaffnet und finanziert wird und weitaus größer und leistungsfähiger als die Hamas ist, die Fähigkeit – und vielleicht auch die Absicht – hat, einen bedeutenden Angriff auf den Norden Israels durchzuführen. Schon Monate vor dem 7.10.2023 erklärten Hisbollah-Führer, ihre Bewegung beabsichtige, in Galiläa einzudringen und israelische Gemeinden zu übernehmen. Die israelische Führung und die Kommandeure wollen entlang ihrer Nordgrenze wieder eine bedeutende Pufferzone einrichten, sodass sich ein Angriff der Hisbollah-Einheiten rechtzeitig ankündigt.
Die libanesische Miliz hat sich dem Kampf der Hamas gegen Israel nicht in vollem Umfang angeschlossen, wie einige zunächst befürchtet hatten, und beschränkt sich weitgehend auf grenzüberschreitende Raketen- und Artillerieangriffe auf den Norden Israels. Obwohl dieser Schlagabtausch offenbar auf einer nicht festgelegten Einsatzordnung zwischen der Hisbollah und den israelischen Verteidigungskräften (IDF) beruhte, die Angriffe auf militärische Ziele zu beschränken, gab es in den letzten Wochen auf beiden Seiten zivile Opfer. Die israelische Führung sieht ihre Anschuldigungen durch das Völkerrecht gestützt, wonach die Grenzüberschreitung der Hisbollah gegen die international anerkannten Bedingungen des Waffenstillstands verstößt, der den Krieg zwischen Israel und der Hisbollah 2006 beendete. In der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates, die das Ende dieses Krieges markierte, wurde gefordert, „zwischen der Blauen Linie und dem Litani-Fluss ein Gebiet zu schaffen, das frei von bewaffnetem Personal, Vermögenswerten und Waffen ist, mit Ausnahme derjenigen der libanesischen Regierung und der UNIFIL (der Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon)“. Seit dem letzten Frühjahr ist die Hisbollah in diesem Gebiet verstärkt aktiv, nachdem die Gruppe Zelte auf der israelischen Seite der Blauen Linie errichtet und eine Panzerabwehrrakete über die Linie abgefeuert hat. Der libanesische Premierminister Najib Mikati erklärte vor kurzem, dass der Libanon sich verpflichtet habe, die Resolution 1701 vollständig umzusetzen. Die libanesische Regierung und die libanesischen Streitkräfte sind jedoch nicht stark genug, um die Hisbollah einzuschränken oder zu entwaffnen, so dass sich die Miliz der Gruppe allmählich in Stellungen verschanzen kann, die direkt über den israelischen Grenzgemeinden und weit südlich des Litani-Flusses liegen.
[…] As their offensive continues in the Gaza Strip, Israeli officials remain focused on the controlled escalation underway with Lebanese Hezbollah along the Israel-Lebanon border, which threatens to increase in the near-future. Israeli leaders and strategists assess that Lebanese Hezbollah, heavily armed and funded by Iran and far larger and more capable than Hamas, has the ability – and perhaps the intent – to conduct a significant attack into northern Israel. Months before October 7, Hezbollah leaders said that their movement intended to invade the Galilee and take over Israeli communities. Israeli leaders and commanders want to re-establish a significant buffer zone along their northern border that will provide ample warning of an attack by Hezbollah units. The Lebanese militia group has not fully joined Hamas’ battle against Israel as some initially feared, largely limiting its actions to cross-border rocket and artillery attacks into northern Israel. While these exchanges appeared to be predicated on an unstated rules of engagements between Hezbollah and the Israel Defense Forces (IDF) to limit attacks to military targets, civilian casualties have been incurred on both sides in recent weeks. 80 thousand Israeli residents have been evacuated from northern Israel to avoid the crossfire. Israeli leaders argue that the residents will not return to their homes unless Hezbollah agrees to retreat from the border. Meeting with northern Israeli mayors and municipal leaders on December 6, Israeli Defense Minister Yoav Gallant said that the government would not encourage the northern Israel residents to return home before Hezbollah pulls back to the Litani River 18 miles north of the UN-delineated border, known as the “Blue Line.”
Israeli leaders believe that international law supports their accusations that Hezbollah’s border encroachment violates the internationally recognized terms of a ceasefire that ended the 2006 Israel-Hezbollah war. UN Security Council Resolution 1701, which marked the end of that war, called for “the establishment between the Blue Line and the Litani river of an area free of any armed personnel, assets, and weapons other than those of the Government of Lebanon and of UNIFIL [the United Nations Interim Force in Lebanon].” The area has seen an uptick in Hezbollah activity since last spring, as the group erected tents inside Israel’s side of the Blue Line and fired an anti-tank rocket across the line. Lebanon’s Prime Minister Najib Mikati stated recently that Lebanon was committed to fully implementing Resolution 1701. However, Lebanon’s government and armed forces are not strong enough to constrain or disarm Hezbollah, enabling the group’s militia to gradually entrench itself in positions directly overlooking Israel’s border communities, well south of the Litani River. Still, Hezbollah’s opposition to withdrawal puts the movement in open violation of a UN Security Council Resolution that is backed by Beirut, rendering Hezbollah vulnerable to diplomatic and political pressure from within and outside Lebanon to accede to Israel’s demands that it withdraw from the area. Prospects for the United States or France to bring the Security Council together to update 1701 – for instance, by expanding the mandate of UNIFIL peacekeepers to constrain Hezbollah from further violating the ceasefire terms – are limited by the threat of a Chinese or Russian veto. […]
TSC – The Soufan Center (12.12.2023): Israel Turns Attention to Hezbollah Amid Northern Escalation, per E-Mail
Einer Information von UNOCHA zufolge sind mit Stand 12.12.2023 64.053 Personen (52 % weiblich) im Südlibanon aufgrund der anhaltenden Feindseligkeiten entlang der Blauen Linie vertrieben worden. Mit Stand 13.12.2023 hat das libanesische Gesundheitsministerium 99 Tote und 463 Verwundete gemeldet. Mindestens 16 bestätigte Todesfälle von Zivilisten wurden dokumentiert. Seit dem 8.10.2023 hat der Schusswechsel zwischen bewaffneten Gruppen und Israel an der libanesischen Südgrenze weiter zugenommen. In der Woche vor Berichtslegung [KW 49, Anfang Dezember] sind die Feindseligkeiten entlang der libanesisch-israelischen Grenze erheblich eskaliert, wobei vermehrt moderne Waffen eingesetzt wurden und die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung zunahmen. Angesichts der zunehmenden Spannungen haben die israelischen Luftangriffe im Südlibanon weitere Wohngebiete getroffen. Am 9.12.2023 wurde ein Posten der UN-Friedensmission im Südlibanon getroffen, und die Quelle des Feuers wird gerade überprüft. Auch Privateigentum und öffentliche Infrastrukturen wurden beschädigt. Landwirtschaftliche Flächen wurden durch ausgedehnte Brände beschädigt, die durch die Brandwirkung der eingesetzten Geschosse verursacht wurden. Mehr als 50 öffentliche Schulen in den Grenzregionen sind von betrieblichen und sicherheitstechnischen Problemen betroffen, die zu teilweisen oder vollständigen Schließungen führten. Aufgrund von Sicherheitsbedenken und der Nähe zur Zone mit den heftigsten Feindseligkeiten bleiben sechs Zentren für die medizinische Grundversorgung in den Bezirken Marjayoun und Bent Jbeil geschlossen. Der operative Zugang der humanitären Akteure ist innerhalb des 7 km breiten Streifens der am stärksten umkämpften Zone entlang der Blauen Linie eingeschränkt, was die Lieferung von Hilfsgütern beeinträchtigt. Gleichzeitig sind die Aktivitäten zur Sicherung des Lebensunterhalts stark beeinträchtigt, und die Menschen haben zunehmend Schwierigkeiten, ihre Grundbedürfnisse in der unmittelbaren Konfliktzone und in den Vertreibungsgebieten zu befriedigen. Ein Anstieg der Mietpreise ist insbesondere in den Gebieten mit der höchsten Konzentration von vertriebenen Familien zu beobachten. Kürzlich vertriebene Kinder in Notunterkünften weisen erhebliche psychische Probleme auf, einschließlich erhöhter Angst und Schlafstörungen.
Highlights
● As of 12 December, 64,053 individuals (52 per cent females) have been displaced from south Lebanon due to the ongoing hostilities along the Blue Line.
● As of 13 December, the Lebanese Ministry of Public Health (MoPH) has reported a total of 99 killed and 463 people wounded. At least 16 confirmed civilian deaths are reported.
● On 11 December, the Lebanese Government joined the global general strike advocating for a ceasefire in Gaza, leading to the closure of all public institutions and schools.
● On 11 December, an Israeli airstrike in the southern Lebanese village of Taybeh killed a local official.
Situation Overview
Since October 8, there has been a continued uptick in the exchange of fire at the Lebanese southern border between armed groups and Israel. In the past week, hostilities along the Lebanese-Israeli border have escalated significantly, with increased use of advanced weaponry and expanding impact on civilians.
Amid rising tensions, Israeli airstrikes in southern Lebanon have targeted additional residential areas. On 10 and 12 December, Israeli strikes resulted in the destruction of homes in Aitaroun and Kfar Kila. On 11 December, an Israeli airstrike in the southern Lebanese village of Taybeh killed a local official and injured three others. On 12 December, parts of an Israeli interceptor missile fell in the parking lot of a public school in Yater in southern Lebanon, causing no casualties.
On 9 December, a UN peacekeeping position in southern Lebanon was hit and the source of the fire i being verified. The United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) has been publicly expressing concern over the increasing potential for miscalculation leading to a wider conflict.
On 10 December, the Government of Lebanon, announced that all governmental institutions would be closed on 11 December 2023 to participate in the worldwide general strike requesting a ceasefire in Gaza. Banks, including the central bank, public and private schools, universities, and archaeological sites were also closed.
As of 12 December, 64,053 internally displaced persons (IDPs) are seeking refuge across Lebanon, showing a 9 per cent increase since 5 December. As of 13 December, the Lebanese Ministry of Public Health reported 99 killed and 463 people wounded. Amongst those, at least 16 civilian deaths are reported.
Damage has also been inflicted upon private property and public infrastructure. Agricultural land was damaged by widespread fires caused by the incendiary effect of projectiles used.
Operational and security challenges are impacting over 50 public schools in border areas, resulting in partial or complete closures. This is affecting around 1,400 teachers and approximately 7,000 students, disrupting their education and exposing them to increased child protection risks. This adds to pre-existing obstacles such as education-related costs (transportation, school materials), preventing parents from sending their children to school while displaced by the conflict.
Due to security concerns and proximity to the zone of most intense hostilities, six primary health care centers (PHCCs) remain closed in Marjayoun and Bent Jbeil districts. The PHCCs currently operational within the lines of conflict reported a very low number of patients.
Operational access for humanitarian actors is constrained within the 7 km band of the highest zone of hostilities along the Blue Line, impacting the delivery of aid. With the intensification of hostilities, suppliers, contractors, and partners have been increasingly concerned about security and safety, with a decrease in movement in those areas and a slow decrease in communities’ ability to access essential goods and services. Available stocks of relief items are also diminishing. In parallel, livelihood activities are severely affected, and individuals face growing difficulties meeting their basic needs in the direct zone of conflict and in areas of displacement. An increase of rental prices has notably been witnessed in areas of the highest concentration of displaced families. Recently displaced children in shelters are showing significant psychological distress, including heightened fear and sleep disorders.
UNOCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (18.12.2023): Lebanon: Flash Update #5 - Escalation of hostilities in south Lebanon, 13 December 2023, https://reliefweb.int/report/lebanon/lebanon-flash-update-5-escalation-hostilities-south-lebanon-13-december-2023, Zugriff 21.12.2023
Die Nachrichtenseite Fanack mit Sitz in Den Haag, die sich auf Berichterstattung im arabischsprachigen Raum fokussiert, berichtete am 20.12.2023, dass es nach dem israelischen Krieg gegen den Gazastreifen im Anschluss an die Überraschungsangriffe der Hamas am 7.10.2023 zu Zusammenstößen zwischen der Hisbollah und Israel an der südlibanesischen Grenze kam. Im Rahmen der schweren Bombardierung der südlichen Grenzdörfer hat Israel Artilleriegranaten mit weißem Phosphor abgefeuert, einer Brandwaffe, die bei wahllosem Einsatz gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt. Weißer Phosphor hat auch verheerende Auswirkungen auf landwirtschaftliche Flächen, da er den Boden und die Wasserquellen vergiftet und die Ernten verbrennt. Die Angriffe auf Olivenbäume waren besonders schwerwiegend: Im Südlibanon wurden etwa 40.000 Olivenbäume durch weiße Phosphorbomben zerstört.
[…] In the wake of the Israeli war on Gaza following Hamas’ surprise attacks on October 7th, clashes have erupted between Hezbollah and Israel along the southern Lebanese border. As part of its heavy bombardment of the southern border villages, Israel has been firing artillery shells filled with white phosphorus, an incendiary weapon that violates international humanitarian law when used indiscriminately. White phosphorus also has disastrous results on agricultural land as it poisons the soil, water sources and burns crops.
In Gaza, the same weapon is and has been used. The attacks on olive trees have been especially severe, with approximately 40,000 olive trees destroyed in southern Lebanon as a result of white phosphorus bombs. […]
Fanack (20.12.2023): The Olive Tree: A Symbol of Resistance and a Target of War, https://fanack.com/politics/features-insights/the-olive-tree-a-symbol-of-resistance-and-a-target-of-war~266098/#:~:text=Olive%20trees%20have%20historical%2C%20cultural,occupation%20forces%20and%20Israeli%20settlers., Zugriff 22.12.2023
Gemäß einem Bericht des israelischen Thinktanks Institute for National Security Studies (INSS) vom 1.11.2023 sprechen sich führende libanesische Politiker eindeutig gegen eine libanesische Beteiligung am Krieg aus. Der Premierminister der Übergangsregierung, Najib Mikati (ein Sunnit), und Außenminister Abdallah Bou Habib (ein Christ) sowie Gebran Bassil, Vorsitzender der Freien Patriotischen Bewegung, des christlichen Partners der Hisbollah, und natürlich Mitglieder der Hisbollah-Opposition, bekunden ihre Solidarität mit den Palästinensern, betonen aber gleichzeitig, dass der Libanon kein Interesse daran hat, eine weitere Front gegen Israel zu eröffnen, da das Ergebnis für die Libanesen unerträglich wäre. Bei Treffen mit internationalen und regionalen Akteuren bekräftigten sowohl der Premierminister, der einen Notfallplan ankündigte und mit dem Kommandeur der libanesischen Armee sowie dem Kommandeur der UNIFIL sprach, als auch der Außenminister ihr Engagement für die Resolution 1701. Sie sind bestrebt, einen Krieg zu vermeiden, auch in Anbetracht der zu erwartenden schwerwiegenden Folgen für ein Land, das bereits in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte steckt. Die Angst der Bevölkerung vor einem nahenden Krieg zeigt sich in der Zahl der Menschen, die die Dörfer entlang der israelischen Grenze evakuieren und nach Norden ziehen (nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration der Vereinten Nationen etwa 30.000 Personen).
[…] The aim is to influence the IDF war plan and limit what it achieves in Gaza. In order to recruit public support in Lebanon and justify its involvement in the fighting, Hezbollah spokesmen claim that this involvement serves the interests of Lebanon and its defense. This involves a forced, mechanical link between “Israeli aggression” in Gaza and Israel’s purported threat to Lebanon. In Lebanon there are signs of deep resentment and concern among the political leadership and the general public, particularly among those who are not part of the Shiite community. Statements by leading Lebanese politicians indicate clear opposition to Lebanese involvement in the war. The Prime Minister of the transitional government, Najib Mikati (Sunni), and Foreign Minister Abdallah Bou Habib (Christian), as well as Gebran Bassil, head of the Free Patriotic Movement, Hezbollah’s Christian partner, and naturally members of the opposition to Hezbollah, all demonstrate solidarity with the Palestinians, but at the same time underscore that Lebanon is not interested in opening another front against Israel, stressing that the outcome would be unbearable for the Lebanese. At meetings with international and regional elements, both the Prime Minister, who announced an emergency plan and spoke with the commander of the Lebanese Army and the commander of UNIFIL, and the Foreign Minister stress their commitment to Resolution 1701. They are eager to avoid war, in part in view of the expected severe consequences on a country that is already mired in the most serious economic crisis of its history.
The public’s fears of approaching war can be seen in the numbers evacuating the villages along the Israeli border and moving north (estimated at about 30,000 individuals by the UN International Organization for Migration). The impact of the tension on the Lebanese economy can already be seen in the reduced number of tourists, alongside calls by international and regional countries for their nationals to leave Lebanon. Over the past year, there were signs of recovery in the tourism industry, which is an important source of revenue for Lebanon, and a reversal of this trend would bode poorly for the state economy. […]
INSS - Institute for National Security Studies (1.11.2023): Swords of Iron: The Escalation with Hezbollah Remains Below the Threshold of War, https://www.inss.org.il/wp-content/uploads/2023/11/No.-1775.pdf, Zugriff 21.12.2023
Der US-amerikanische Thinktank The Washington Institute for Near East Policy (TWI) berichtete am 11.8.2023, dass im Libanon und in Washington allgemeines Einvernehmen darüber herrscht, dass die libanesischen Streitkräfte (LAF) nicht gegen die Hisbollah vorgehen werden, trotzdem wird von der Armee erwartet, dass sie die Bevölkerung vor den von der Gruppe provozierten Gewaltausbrüchen schützt und andere bewaffnete Elemente (z.B. die palästinensischen islamistischen Gruppierungen, die in die jüngsten Zusammenstöße in Ain al-Hilweh verwickelt sind) direkt bekämpft. Die Ereignisse dieser Woche in der christlichen Gemeinde Kahaleh machen die Prioritäten der LAF deutlich. Am 9.8.2023 fuhr ein mit Waffen beladener Hisbollah-LKW auf dem Weg von Beqaa durch das Dorf in der Nähe von Beirut, als er vor einer Kirche umkippte. Hisbollah-Mitglieder eilten zum Ort des Geschehens, umzingelten den Lastwagen und versuchten, Einheimische an der Annäherung zu hindern. Doch anstatt sich zurückzuhalten, wie sie es in Situationen, in denen die Hisbollah involviert ist, normalerweise tun würden, bestanden die Einwohner darauf, den Vorfall zu untersuchen, was zu einem Feuergefecht führte, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen, einer davon ein Hisbollah-Mitglied. In dem Bewusstsein, dass die Situation noch weiter eskalieren könnte, verließen die Hisbollah-Mitarbeiter den Schauplatz und überließen der LAF die Verantwortung. Doch die Konfrontation ging weiter: Als die Armeeangehörigen den LKW von der Straße entfernten, versuchten wütende Anwohner, sie aufzuhalten. Sie forderten die Soldaten auf, ihnen die Ladung zu zeigen und die Schuldigen, die den Anwohner Fadi Bejjani erschossen hatten, zu verhaften. Stattdessen drängten die Soldaten sie weg, hinderten die Reporter vor Ort am Filmen und fuhren fort, den LKW und seinen Inhalt zu entfernen. Kahaleh ist nicht der erste Fall von Zusammenstößen zwischen Christen und der Hisbollah. In einem ähnlichen Fall im August 2021 hielten Bewohner der drusischen Stadt Chouya einen Lastwagen der Hisbollah auf, der sich auf den Abschuss von Raketen gegen Israel vorbereitete, nachdem an diesem Tag bereits andere Raketen abgefeuert worden waren. Danach wurde die Abschussvorrichtung an die Hisbollah zurückgegeben. Zwei Monate später stürmte die Hisbollah das christliche Viertel Tayouneh in Beirut, um jene Behörde zu warnen, die die Hafenkatastrophe von Beirut im Jahr 2020 untersuchte, angesichts von Vorwürfen, die Miliz habe explosives Ammoniumnitrat abgezweigt, das dort gelagert war. Kürzlich wurde die Hisbollah verdächtigt, Anfang August Elias Hasrouni, ein Mitglied der so genannten „Libanesischen Kräfte“, einer christlichen politischen Partei, ermordet zu haben.
Die wachsende Frustration über dieses Verhalten hat zu einer zunehmenden Feindseligkeit gegenüber der Hisbollah auf der Straße und in den sozialen Medien geführt, und für viele Libanesen scheint der Vorfall von Kahaleh die Mauer der Angst vor der Hisbollah durchbrochen zu haben. Immer mehr christliche Zivilisten und Gemeindevorsteher fordern nun eine bewaffnete Reaktion und Maßnahmen zur Selbstverteidigung. Unabhängige bewaffnete Gruppen haben bereits begonnen, sich in christlichen Vierteln zu formieren und die Sicherheit in ihre eigenen Hände zu nehmen – eine potenziell gefährliche Entwicklung angesichts des Aufstiegs von Gruppierungen wie Junud al-Rab (Soldaten Gottes), die eine starke sektiererische Rhetorik und eine rechtsextreme soziale Agenda vertreten. Es ist noch zu früh, um vorherzusagen, ob solche Elemente schiitische Viertel angreifen oder andere Formen der Gewalt ausüben werden, aber ihre wachsende Popularität könnte diejenigen vor Probleme stellen, die hoffen, den Frieden zu wahren.
Die Tendenz der LAF, die Hisbollah-Täter vom Haken zu lassen oder ihre Aktivitäten zu unterstützen, ist zum Teil auf eine offizielle libanesische Doktrin zurückzuführen, die von den aufeinanderfolgenden Regierungen übernommen wurde. Die Formulierung „das Volk, die Armee und der Widerstand“ hat es dem „Widerstand“ der Hisbollah jahrelang ermöglicht, seine Waffen zu behalten (was gegen die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats verstößt, in der die Entwaffnung aller nichtstaatlichen Einheiten gefordert wird), sich frei im Land zu bewegen und Anwohner von Wohnvierteln als menschliche Schutzschilde gegen israelische Militäraktionen zu nutzen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Jüngste Äußerungen spiegeln eine echte Verärgerung innerhalb der christlichen Gemeinschaft wider, obwohl diese Abneigung nicht neu ist. Die Abneigung gegen die Hisbollah ist gewachsen, seit sie im Mai 2008 die Bevölkerung angegriffen hat, indem sie in die Straßen von Beirut eindrang und die Residenz des Premierministers belagerte – etwas, was sie zuvor noch nie getan hatte. Den größten Imageschaden erlitt die Hisbollah im Jahr 2019, als sie beschloss, die korrupte politische Klasse vor öffentlichen Massenprotesten zu schützen. Die Explosion im Hafen 2020 war ein weiterer Schlag, insbesondere nachdem der Sicherheitschef der Hisbollah, Wafiq Safa, Tarek Bitar, den Richter, der die Ermittlungen leitete, öffentlich bedrohte. Heute scheinen die meisten Bürger – auch viele in der schiitischen Kernwählerschaft der Hisbollah – die Gruppe als iranische Besatzungsmacht zu betrachten und ihr „Widerstands“-Narrativ als irrelevant anzusehen. Nur wenige glauben, dass ihre Waffen notwendig sind, um den Libanon zu befreien oder gar zu schützen.
Given the military’s behavior during a recent confrontation and the spike in Christian anger toward Hezbollah, Washington should consider fine-tuning its assistance to the LAF, cutting off units that are not committed to protecting the people.
In recent weeks, a series of security incidents between Lebanon’s Maronite Christian community and Hezbollah have raised the possibility of increased domestic instability. römisch eins f this trend continues, the Lebanese Armed Forces (LAF) will need to play a crucial role in preventing major escalation and protecting civilians. Although there is a general understanding in Lebanon and Washington that the LAF will not go after Hezbollah, the army is still expected to protect the people from spikes in violence provoked by the group and to directly confront other armed elements (e.g., the Palestinian Islamist factions tied to recent clashes in Ain al-Hilweh, an issue that will be covered in future articles).
This week’s events in the Christian community of Kahaleh highlight the LAF’s priorities. On August 9, a Hezbollah truck loaded with weapons was passing through the village near Beirut on its way from Beqa when it overturned in front of a church. Hezbollah members rushed to the scene, surrounded the truck, and tried to stop locals from approaching. Yet rather than staying back as they normally would in situations involving Hezbollah, residents insisted on investigating, which led to a gun battle that caused two fatalities, one of them a Hezbollah member.
Realizing the situation could escalate even further, the Hezbollah personnel fled the scene, leaving the LAF in charge. Yet the confrontation continued—as army personnel removed the truck from the street, angry residents tried to stop them, demanding that the soldiers let them see the cargo and asking them to arrest the culprits who shot resident Fadi Bejjani. Instead, the soldiers pushed them away, stopped reporters on the scene from filming, and continued removing the truck and its contents.
The next day, the LAF issued a statement confirming that the truck contained weapons. Yet it failed to mention Hezbollah’s involvement and did not say whether the cargo will be handed back to the group. Military judge Fadi Akiki is now investigating the incident; given the military court’s close ties with Hezbollah, the cargo will probably be returned.
The LAF at a Crossroads
Kahaleh is hardly the first instance of clashes between Christians and Hezbollah. In a similar case in August 2021, residents in the Druze town of Chouya stopped a Hezbollah truck that was preparing to launch rockets against Israel following other launches earlier that day. Afterward, the launcher was returned to Hezbollah. Two months later, Hezbollah stormed the Christian neighborhood of Tayouneh in Beirut as a warning to authorities investigating the 2020 Beirut port disaster, which included allegations that the militia had been siphoning explosive ammonium nitrate stored there. Tayouneh is symbolic because it is where Lebanon’s civil war began in 1975, so Hezbollah’s message was clear: continuing the probe could lead to civil war. More recently, Hezbollah is suspected of assassinating Elias Hasrouni—a member of the so-called “Lebanese Forces,” a Christian political party—earlier this month.
Accumulating frustration with such behavior has led to increased hostility against Hezbollah on the street and in social media spaces, and for many Lebanese, the Kahaleh incident seems to have cracked the wall of fear surrounding Hezbollah. More Christian civilians and community leaders are now calling for an armed response and self-defense measures.
To contain the potential violence and prevent a security explosion, the LAF must do its core job of protecting the Lebanese people. römisch eins f it refuses to tackle this duty in earnest, the result will be more armed groups and more neighborhood clashes. Independent armed groups have already begun to form in Christian neighborhoods and are taking security into their own hands—a potentially dangerous development given the rise of factions such as Junud al-Rab (Soldiers of God), which espouses strong sectarian rhetoric and a far-right social agenda. römisch eins t is still too early to predict whether such elements will attack Shia neighborhoods or engage in other forms of violence, but their budding growth in popularity could pose problems for those hoping to keep the peace.
The LAF’s tendency to let Hezbollah perpetrators off the hook or abet their activities stems in part from an official Lebanese doctrine adopted by successive governments. For years, the formulation “the people, the army, and the resistance” has enabled the Hezbollah “resistance” to hold onto its weapons (in violation of UN Security Council Resolution 1701, which called for the disarmament of all nonstate entities), move them around the country freely, and use residential neighborhoods as human shields against Israeli military action without any accountability. römisch eins t is imperative that Lebanon’s next president be able to form a government that can challenge this doctrine and pursue a defense strategy that frees the LAF and other security institutions from the shackles of enabling Hezbollah. With a clear executive and legislative directive, the LAF would be empowered to act—or pressured to do so if it proves hesitant.
Either way, the Kahaleh incident showed that the LAF can no longer play the game of satisfying both its primary funders in Washington and its strange bedfellows in Hezbollah (and, by extension, the militia’s patrons in Iran) without consequences. Continuing that approach will only destroy the people’s eroding trust in the army, spurring more locals to take security into their own hands as they did in Kahaleh. […]
Ultimately, the incident appears to have united the Christian street against Hezbollah and may therefore weaken the group’s Christian partners—not just Aoun, but also the militia’s preferred candidate, Sleiman Frangieh. Thus far, the Lebanese Forces party has accused Hezbollah of killing a civilian in Kahaleh, while Kataeb leader Samy Gemayel offered more forceful and wide-ranging remarks: “What if the truck had contained explosives, if the incident had caused a huge explosion and hundreds of people had been killed? We are not prepared to coexist with an armed militia in Lebanon. There will be practical measures, opposition meetings and decisions will be taken.”
These statements reflect real anger within the Christian community, though this resentment is hardly new. Antipathy toward Hezbollah has been growing ever since it attacked the people in May 2008 by invading the streets of Beirut and besieging the prime minister’s residence—something it had never done before. That incident made clear to many citizens that the militia had put its war with Israel on hold and was turning its weapons against the Lebanese people and other targets. Then came the Syria war, during which Hezbollah lost its credibility as a “resistance” group among Lebanon’s Sunni community and certain other constituencies. The biggest hit to its image came in 2019, when Hezbollah decided to protect the corrupt political class against mass public protests. The 2020 port explosion was another blow, especially after Hezbollah security chief Wafiq Safa publicly threatened Tarek Bitar, the judge leading the investigation.
Today, most citizens—including many in Hezbollah’s core Shia constituency—seem to view the group as an Iranian occupation force and regard its “resistance” narrative as irrelevant. Few believe that its arms are necessary to liberate or even protect Lebanon. […]
TWI – The Washington Institute for Near East Policy (11.8.2023): Can the Lebanese Army Prevent a Hezbollah-Christian Conflict?, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/can-lebanese-army-prevent-hezbollah-christian-conflict, Zugriff 21.12.2023
Einem von der Jamestown Foundation am 1.12.2023 veröffentlichten Artikel ist zu entnehmen, dass sich die Hamas in diesem Jahr zu zwei Raketenangriffen auf den Norden Israels vom Libanon aus bekannt hat, von denen einer nach dem Massaker der Gruppe an Israelis am 7.10.2023 erfolgte. Die Geschosse wurden von Stützpunkten im Südlibanon aus abgeschossen, die von der von Iran unterstützten militanten Gruppe Hisbollah kontrolliert werden. Am 6.11.2023 behauptete der libanesische Zweig des bewaffneten militanten Flügels der Hamas, die al-Qassam-Brigaden, 16 Raketen auf die nordisraelischen Städte Haifa und Nahariya abgefeuert zu haben. Die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) behaupteten später, dass innerhalb von etwa einer Stunde circa 30 Raketen abgefeuert wurden. Die anderen etwa 14 Raketen kamen vermutlich entweder von einer anderen palästinensischen Gruppierung, der Hisbollah oder von beiden. Am 6.4.2023 wurden mindestens 36 Kleinkaliberraketen vom Typ Grad aus dem Südlibanon auf Nordisrael abgefeuert. Dies war zu diesem Zeitpunkt der größte Angriff aus dem Libanon seit dem Ende des Krieges 2006. Am folgenden Tag startete Israel einen Gegenangriff aus der Luft auf angebliche „Infrastrukturziele“ der Hamas im Libanon.
Die Identität der meisten Hamas-Kämpfer im Libanon ist der Öffentlichkeit nicht bekannt, aber es ist möglich, dass sie unter den mehr als 200.000 palästinensischen Flüchtlingen rekrutiert wurden, die derzeit im Land leben und von denen die meisten nicht aus dem Gazastreifen stammen. Von Ende Juli bis Mitte September kam es im größten palästinensischen Flüchtlingslager des Libanon, Ain al-Hilweh, zu Zusammenstößen zwischen der Partei von Mahmoud Abbas, der Fatah, und islamistischen Gruppierungen wie Jund al-Sham und al-Shabab al-Moslem. Dies bot einen Einblick in die wachsende Präsenz der Hamas im Land. Berichten zufolge war die Hamas nicht direkt in die Gewalttaten verwickelt, aber ein palästinensischer Vertreter im Lager behauptet, dass die Gruppe während der Kämpfe in Kontakt mit den islamistischen Kräften vor Ort stand. So ist es wahrscheinlich, dass es sich bei den Zusammenstößen in gewisser Weise um einen Stellvertreterkrieg zwischen Hamas und Fatah handelte, wobei erstere um größeren Einfluss im Libanon bemüht ist. Am 21.11.2023 wurde Khalil Kharez, stellvertretender Kommandant der al-Qassam-Brigaden, bei einem israelischen Luftangriff in der Nähe der palästinensischen Flüchtlingslager in Tyros getötet. Einem Tweet von Gaza Report zufolge bewegte sich Kharez zwischen Abschussplätzen in der Region, was auf die militärische Präsenz der Hamas hindeutet. Die wachsende Sichtbarkeit der Gruppe im Libanon ist daher wahrscheinlich ein Hinweis darauf, dass die Hamas in der Lage ist, Kämpfer unter der großen palästinensischen Flüchtlingsbevölkerung des Landes zu rekrutieren und auszubilden.
Hamas has claimed responsibility for two rocket attacks on northern Israel from Lebanon this year, one of which occurred after the group’s massacre of Israelis on October 7. These were launched from bases in southern Lebanon under the control of Iranian-backed militant group Hezbollah (Anadolu Agency, November 13). Given the ongoing war between Hamas and Israel in Gaza, these claims raise questions about a further escalation on a second front. Although Hezbollah’s response to the ongoing war in Gaza has been one of relative restraint thus far, the presence of Hamas fighters in southern Lebanon increases the chance of a second front opening. Hezbollah will likely need to carefully manage its relationship with Hamas in order to continue with its apparent strategy of limited engagement with Israel.
On November 6, the Lebanese branch of Hamas’ armed militant wing, the al-Qassam Brigades, claimed to have launched 16 rockets at the northern Israeli cities of Haifa and Nahariya (Al Jazeera, November 6). The Israeli Defense Forces (IDF) later claimed that some 30 rockets were fired within roughly one hour. The other 14 or so rockets presumably came from either another Palestinian faction, Hezbollah, or both (Times of Israel, November 6). This was the second series of attacks on Israel from Lebanon this year. On April 6, at least 36 low-caliber Grad-type rockets were fired at northern Israel from southern Lebanon. This was at the time the largest attack coming from Lebanon since the end of the 2006 war. Israel launched an aerial counterattack on reported Hamas “infrastructure targets” in Lebanon the following day (Times of Israel, April 7, April 14). The most recent attacks have prompted a majority of residents in the Israeli city of Kiryat Shmona to evacuate, while at least 80 people have been killed in Lebanon due to Israeli counterstrikes to date (Times of Israel, November 6).
The identity of most Hamas fighters in Lebanon is unknown to the general public, but it is possible that they were recruited from among the more than 200,000 Palestinian refugees currently living in the country, most of whom are not of Gazan origin. In 2018, Israel petitioned the United Nations to intervene in southern Lebanon, claiming to have evidence that Hamas was collaborating with Hezbollah to establish missile factories and “camps to train thousands of fighters” there (Times of Israel, June 9, 2018). Iranian influence in Lebanon has also been a source of major concern for Israeli policymakers. The unfired rockets used by Hamas in the April 6 attack were found to be of Iranian origin, and were supplied either directly by Iran or indirectly by its local Hezbollah proxies (Times of Israel, April 14).
Clashes in Lebanon’s largest Palestinian refugee camp, Ein el-Hilweh, between Mahmoud Abbas’s party, Fatah, and Islamist factions, such as Jund al-Sham and al-Shabab al-Moslem, started in late July and lasted until mid-September. This offered a glimpse into Hamas’ growing presence in the country (The New Arab, September 25). On September 13, the head of Hamas’s International Relations Office, Moussa Abu Marzouk, met with a senior Fatah official at the Palestinian embassy in Beirut to discuss the ongoing clashes (Arab News, September 12). Despite the two leaders agreeing to a ceasefire, it was not initially upheld by the factions on the ground (Arab News, September 13).
Hamas was reportedly not directly involved in the violence, but one Palestinian official within the camp claims that the group was in contact with the Islamist forces on the ground during the fighting (Times of Israel, September 14). In this way, it appears likely that the clashes were, on some level, a proxy battle between Hamas and Fatah, with the former working to gain greater influence in Lebanon. On November 21, Khalil Kharez, deputy commander of the al-Qassam Brigades, was killed in an apparent Israeli airstrike near the Palestinian refugee camps in Tyre. Indeed, a tweet from Gaza Report claims that Kharez was moving between launch sites in the region, which indicates Hamas’s military presence (X/@Gaza Report, November 21). The group’s growing visibility in Lebanon is, therefore, likely indicative of Hamas’ ability to recruit and train fighters among the country’s large Palestinian refugee population. […]
JF – Jamestown Foundation (1.12.2023): Hezbollah’s Balancing Act: Between Hamas’s Ambitions and Strategic Reality, https://jamestown.org/program/hezbollahs-balancing-act-between-hamass-ambitions-and-strategic-reality/, Zugriff 22.12.2023
Laut einem Bericht der emiratischen Nachrichtenorganisation The National vom 7.8.2023 sagte der libanesische Innenminister Bassam Mawlawi, es gebe derzeit keine Anzeichen dafür, dass sich der Konflikt in Ain al-Hilweh außerhalb des Lagers ausbreiten werde. Die Situation im Lager habe sich beruhigt und die Bemühungen um die Festnahme der Gewalttäter würden fortgesetzt. Ain al-Hilweh, in dem etwa 80.000 Menschen leben, liegt in der Nähe der Stadt Saida im Süden des Landes. Seit dem Ausbruch der Kämpfe zwischen der Fatah und den Hardliner-Gruppen in dem Lager Ende Juli sind mindestens 13 Menschen getötet worden. Ein Waffenstillstand wurde wiederholt gebrochen. In Ain al-Hilweh kommt es häufig zu Konflikten, aber die jüngste Gewalt war besonders schwerwiegend, da etwa ein Viertel der Bewohner des Lagers vertrieben wurde. Gelegentlich sind Kugeln auch außerhalb des Lagers niedergegangen. Im Rahmen einer langjährigen Vereinbarung mit den palästinensischen Sicherheitskräften betreten die libanesischen Streitkräfte die Lager normalerweise nicht.
Senior Lebanese officials have sought to reassure people that the security situation is under control after a number of countries issued travel warnings to their citizens amid fighting in Lebanon’s largest Palestinian refugee camp.
Interior Minister Bassam Mawlawi said on Monday that there was currently no evidence that the conflict in Ain Al Hilweh would spread outside the camp. He said the situation in the camp had calmed down and that efforts to arrest the perpetrators of the violence were continuing.
Ain Al Hilweh, believed to house around 80,000 people, is situated close to the city of Saida in the country's south.
Prime Minister Najib Mikati said at the weekend that he had spoken with top security officials who, he said, felt that the situation “does not call for concern or panic,” while adding that there had been “significant progress” in stopping the violence.
Elsewhere, two of Lebanon's most influential political figures said they “do not understand” the travel warnings issued by some embassies.
“We do not understand … the fears expressed in the embassies' press releases,” Walid Joumblatt, leading figure in Lebanon's Druze community, said after meeting with Parliament Speaker Nabih Berri.
At least 13 people have been killed since fighting broke out between Fatah and more hardline factions in the camp at the end of July. A ceasefire has repeatedly been broken.
Conflict is common in Ain Al Hilweh, but the recent violence has been particularly severe with around a quarter of the camp's residents having been displaced. Occasionally, bullets have strayed outside the camp.
The Lebanese Armed Forces normally does not enter the camps as part of a long-time agreement with Palestinian security.
In the last few days both Saudi Arabia and Bahrain have urged their citizens to leave Lebanon and avoid areas where clashes have taken place.
On Sunday the UAE advised its citizens not to travel to Lebanon, while other counties have also updated their travel advice.
Mr Mikati previously hinted that the army could be deployed if the situation escalates. During a phone call with Palestinian President and Fatah leader Mahmoud Abbas, he said the army would “play the required role” in ending the clashes.
The National (7.8.2023): Lebanon security situation under control despite travel alerts, officials say, https://www.thenationalnews.com/mena/lebanon/2023/08/07/lebanon-security-situation-under-control-despite-travel-alerts-officials-say/, Zugriff 21.12.2023
Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA zur Sicherheitslage im Libanon angesichts des Gazakrieges vom 27.12.2023.
3. Beweiswürdigung:
3.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt römisch eins. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des BFA sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
3.2. Zur den Vorverfahren:
Die Feststellungen hinsichtlich der Vorverfahren des BF ergeben sich durch eine Einsichtnahme in die Verwaltungsakte sowie Gerichtsakte des BVwG bezüglich des diesem Verfahren vorangegangenen Asylverfahrens des BF sowie dessen Verfahren auf Ausstellung einer Duldungskarte für Fremde.
3.3. Zur Person des BF:
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft des BF ergeben sich aus seinen diesbezüglichen Angaben, an denen auf Grund der Sprachkenntnisse, der örtlichen Kenntnisse und Gegebenheiten auch nicht zu zweifeln war; was seinen konkreten Herkunftsort betrifft, ist auf diehg. Ausfürhungen auf S 55 des gegenständlichen Erkenntnisses zu verweisen.
Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und zu den familiären und privaten Verhältnissen des BF im Libanon gründen sich auf die in diesen Punkten glaubwürdigen Angaben des BF.
Die Identität des BF konnte aufgrund der vorgelegten Personenstandsurkunde, welche als authentisch klassifiziert wurde, bereits vom BFA festgestellt werden.
Die Feststellungen hinsichtlich der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet sowie des Datums seiner Asylantragstellung in Österreich ergeben sich aus dem Akteninhalt bzw. aus den Angaben des BF im vorangegangen sowie gegenständlichen Asylverfahren.
Dass der BF gesund ist, ergibt sich aus den unwiderlegten Angaben des BF. So gab der BF zuletzt im Rahmen der hg. Verhandlung an, gesund und nicht in Behandlung oder Therapie zu sein. Zudem nehme der BF zurzeit keine Medikamente ein. Darüber hinaus legte der BF auch bis dato keine medizinischen Unterlagen vor.
Von einer Arbeitsfähigkeit des BF ist aufgrund seines Gesundheitszustandes sowie des Umstandes, dass der BF bereits im Libanon bis zu seiner Ausreise einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, auszugehen.
Dass der BF in täglichem Kontakt mit seinen Familienangehörigen steht, ergibt sich aus dessen Angaben im Rahmen der behördlichen Einvernahme, wo der BF angab, seine Familie jeden Tag über Whats App zu kontaktieren. Auch in der hg. Verhandlung bejahte der BF Kontakt zu seinen Angehörigen im Herkunftsstaat.
Die Feststellungen betreffend der in Österreich bestehenden Lebensgemeinschaft sowie der gemeinsamen Kinder konnte anhand der glaubhaften Angaben des BF sowie der vorgelegten Geburtsurkunden der Kinder getroffen werden.
Dass der BF im österreichischen Bundesgebiet strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, ist aufgrund eines Auszuges aus dem Strafregisterauszug ersichtlich.
3.4. Zu den Gründen für den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz:
3.4.1. Das Vorbringen des BF zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates im gegenständlichen Verfahren beruht auf seinen Angaben in der Erstbefragung und in der Einvernahme vor dem BFA sowie auf den Ausführungen in der Beschwerde.
Dass sich der BF im gegenständlichen Verfahren bezüglich seines Antrages auf internationalen Schutz zunächst grundsätzlich auf jene bereits im zuvor geführten Asylverfahren geltend gemachten und als nicht glaubhaft qualifizierten Gründe gestützt hat, ergibt sich sowohl aus seinem Vorbringen bei der Erstbefragung als auch aus seinen Angaben vor dem BFA. In der Beschwerde wurde ebenso kein neues Vorbringen erstattet. Auch in der hg. Verhandlung gab der BF zum Grund für seine gegenständliche Asylantragstellung befragt, ausschließlich seine in Österreich lebenden Kinder an.
Im Rahmen des ersten Asylverfahrens brachte der BF in Erstbefragung am römisch 40 befragt zum Fluchtgrund an, in Syrien gewohnt zu haben. Das Haus sei durch den Krieg zerstört worden und der BF sei dabei am Kopf verletzt geworden. Dann sei der BF in den Libanon geflüchtet, dort hätte es auch keine Sicherheit gegeben und der BF habe einen Einberufungsbefehl für das syrische Militär erhalten. In der behördlichen Einvernahme beim BFA am römisch 40 führte der BF aus, wegen eines Gewaltdeliktes von der Polizei im Libanon gesucht zu werden. In der Einvernahme beim BFA am römisch 40 gab der BF befragt zu seinen Fluchtgründen zusammengefasst an, von 8 bis 18 Uhr gearbeitet und keinen richtigen Lohn erhalten zu haben. Die Leute aus dem Dorf des BF seien beten gegangen oder hätten in Syrien kämpfen müssen. Dies hätte der BF nicht gewollt.
In der Entscheidung des BVwG am römisch 40 , GZ: römisch 40 , wurde dazu rechtskräftig ausgeführt, dass der BF jeweils in der Erstbefragung und in den behördlichen Einvernahmen unterschiedliche Fluchtgründe vorbrachte und sich zudem mehrmals widersprochen hat. In einer Gesamtschau der Ausführungen des BF sei nicht von einer glaubwürdigen Darstellung in Bezug auf das Fluchtvorbringen des BF auszugehen.
Im gegenständlichen zweiten Asylverfahren brachte der BF im Zuge seiner Erstbefragung vor, dieselben Gründe wie früher zu haben. Der BF habe mit einer Österreicherin eine Familie gegründet und habe drei Kinder. Die ganze Herkunftsfamilie des BF lebe im Libanon und der BF habe regelmäßigen Kontakt mit dieser. Sie hätten dem BF auch erzählt, dass dieser im Libanon von bestimmten Milizen gesucht werde. Anlässlich der Erstbefragung legte der BF zudem ein Schreiben seines Vaters vor. Demnach hätten Sunniten keine Chance im Libanon. Es würden Lebensgrundlagen, wie Arbeitsmöglichkeiten und Zugänge zu den Behörden fehlen. Befragt zum Grund seiner neuerlichen Asylantragstellung führte der BF in der behördlichen Einvernahme am römisch 40 aus, Familie und Kinder in Österreich zu haben. An den Fluchtgründen seit dem ersten Asylantrag in Österreich habe sich nichts geändert. Bei der behördlichen Einvernahme am römisch 40 brachte der BF vor, nicht in den Libanon zurückkehren zu können, da nach ihm gefahndet werde. Der BF beantrage zudem internationalen Schutz, da er in Österreich eine Frau und drei Kinder habe. Im Falle einer Rückkehr würde die Hisbollah auch den BF rekrutieren und in den Krieg schicken.
Festzuhalten ist somit, dass die Ausführungen des BF lediglich als eine Wiederholung seines früheren, bereits im Erstverfahren erstatten Vorbringens anzusehen sind. Sämtliche vorgebrachte, asylrelevante Fluchtgründe sind daher von der Rechtskraft der Entscheidung des BVwG am römisch 40 , GZ: römisch 40 , bereits umfasst. Das BFA verwies zu recht darauf, dass der BF im Verfahren mehrmals angegeben habe, dieselben Fluchtgründe, wie bisher zu haben, weshalb von keinem glaubhaften Kern einer Sachverhaltsänderung ausgegangen werden könne. Illustrativ seien dazu die Angaben des BF in seiner letzten behördlichen Einvernahme zitiert (AS 114): Ich habe beim letzten Verfahren gesagt, dass ich nicht zurück in den Libanon kann, weil dort nach mir gefahndet wird. Im Falle einer Rückkehr werde ich gezwungen, am Krieg teilzunehmen. Ich beantrage internationalen Schutz, weil ich in Österreich eine frau und drei Kinder habe. Wenn ich zurück muss, dann komme ich ins Gefängnis und meine Kinder in Österreich haben niemanden, der sich um sie kümmert. Sie werden verhungern und sterben.
Auch in der hg. Verhandlung bekräftigte der BF, den aktuellen Antrag auf internationalen Schutz ‚Nur wegen der Kinder‘ gestellt zu haben (VHS 7).
Dem BFA ist zuzustimmen, wenn es beweiswürdigend festhält, dass der BF bereits im rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahren unter anderem eine Bedrohung durch Zwangsrekrutierung angegeben habe und habe sich das Bundesverwaltungsgericht im betreffenden Erkenntnis ausführlich damit auseinandergesetzt bzw. auf das im Beschwerdeverfahren zum Tragen kommende Neuerungsverbot in diesem Konnex verwiesen. Der BF habe dagegen kein außerordentliches Rechtsmittel ergriffen.
Insoweit sich der BF daher im gegenständlichen Fall weiterhin auf die im Rahmen der vorherigen Asylantragstellung vorgebrachten Fluchtgründe stützt, liegt sohin zweifelsfrei entschiedene Sache vor und wird diesbezüglich auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum "Fortbestehen und Weiterwirken", VwGH 20.03.2003, 99/20/0480 („Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt“) verwiesen.
Einen neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt, hat der BF mit seinen Schilderungen im gegenständlichen Verfahren somit - mangels glaubhaften und nicht asylrelevantem Kern des Vorbringens - zweifelsfrei nicht belegen können. Wie bereits das BFA zutreffend ausführte, konnte auch aufgrund des im Verfahren vorgelegten Schreibens seines Vaters zur Situation der Sunniten aufgrund dessen mangelnder Beweiskraft keine Änderungen in Bezug auf den entscheidungsrelevanten Sachverhalt festgestellt werden, zumal das betreffende in deutscher Sprache abgefasste Schreiben weder eine Unterschrift aufweise noch dessen Herkunft eruierbar sei, sodass berechtigte Zweifel daran bestünden, ob dieses tatsächlich vom Vater des BF stamme, sodass auch nicht ausgeschlossen werden könne, dass es sich um ein Gefälligkeitsschreiben mit unrichtigem Inhalt handle und kann dieser Ansicht der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden. Auf die rezente höchstgerichtliche Judikatur (VwGH 11.03.2021, Ra 2021/18/0075-7) in Verbindung mit der Tauglichkeit eines Beweismittels sei in diesem Zusammenhang verwiesen. Ein Video, auf dem ein Bruder eines Beschwerdeführers von dessen politischen Aktivitäten und Verfolgungshandlungen durch die Behörden berichtet haben soll, wurde seitens des BVwG und in weiterer Folge seitens des VwGH als wenig taugliches Beweismittel eingestuft, zumal dieses Video wenig geeignet erschien, die gegen die politischen Aktivitäten des BF sprechenden Beweisergebnisse zu widerlegen, weil dem BVwG schon die verlässliche Identifizierung der auf dem Video ersichtlichen Person nicht möglich war. Die betreffenden Ausführungen sind auch den vorliegenden Fall umlegbar.
Zutreffend ging das BFA diesbezüglich von keinem glaubhaften Kern der betreffenden Ausführungen aus und ist ergänzend festzuhalten, dass auch im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren auf die Situation der Sunniten im Libanon bezug genommen wurde.
Das im gegenständlichen Verfahren erstattete Vorbringen vermag daher insgesamt keinen neuen Sachverhalt, welcher eine neue Sachentscheidung als zulässig erscheinen ließe, zu begründen, weshalb im gegenständlichen Fall nicht von einer behaupteten Sachverhaltsänderung nach rechtskräftigem Abschluss des vorigen Asylverfahren auszugehen ist.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat solcherart in Ermangelung zusätzlicher Elemente des Vorbringens des Asylwerbers, die für eine individuelle konkrete Bedrohung bzw. für Asylrelevanz sprechen könnten, zu Recht das diesbezügliche im neuerlichen Asylverfahren erbrachte Vorbringen nicht als neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt gewertet. Der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz dient demzufolge der Überprüfung einer bereits rechtskräftigen Entscheidung und wurde vom BFA daher rechtsrichtig wegen entschiedener Sache gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG zurückgewiesen.
Im gegenständlichen Asylverfahren wurde somit kein entscheidungsrelevanter neuer Sachverhalt im Sinne eines „novum productum“ behauptet.
3.4.2. Auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist ebenso wenig eine entscheidungsrelevante Änderung der Sach- oder Rechtslage erkennbar.
Insoweit daher das Vorbringen des Beschwerdeführers unter dem Blickwinkel des Refoulementschutzes (Paragraph 8, AsylG) zu betrachten ist, ist auszuführen, dass bereits im Erstverfahren festgehalten wurde, dass sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers kein "reales Risiko" ergeben habe, dass es durch die Rückführung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde. Ebenso wenig kam im Verfahren hervor, dass konkret für den Beschwerdeführer im Falle einer Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr bestünde, als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt zu sein und darf in diesem Konnex nochmals darauf hingewiesen werden, dass auch im Erstverfahren keine Umstände hervorgekommen sind (wie etwa schwere Krankheit des Beschwerdeführers), welche die Erlassung einer Entscheidung nach Paragraph 68, AVG ausschließen würden. Dezidiert wird im rechtskräftigen Erkenntis des BVwG die ausreichende Sicherheitslage und Einreisemöglichkeit des BF in der Hauptstadt Beirut festgestellt und auch auf die prekäre Versorgungs- und Sicherheitslage im Süden des Landes und an der Grenze zu Syrien eingegangen.
Der BF hat in seinen bisherigen Verfahren angegeben, er stamme aus römisch 40 (AS 289, 574 Vorverfahren), einer Stadt im Zentrallibanon (wie u.a. eine hg. Einsichtnahme in eine seitens des Behördenvertreters in der Verhandlung vorgelegte Karte ergab); er habe immer dort gewohnt und würden auch seine Eltern dort leben (AS 289, Vorverfahren), sodass diesbezügliche Feststellungen zu treffen waren. Der BF gab in der hg. Verhandlung ferner an, sein Vater lebe dort und sei er selbst auch dort gewesen. Es sei ihm erzählt worden, dass im Gebiet, in dem sein Vater lebe, nichts passiere, doch komme es im Gebiet, in dem seine Mutter lebe, zu Kampfhandlungen. Hinsichtlich einer allfälligen Rückkehr in der hg. Verhandlung befragt, äußerst der BF keine Bedenken hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage.
Wenn der BF nunmehr erstmals im Verfahren in der hg. Verhandlung entgegen seiner bisherigen Angaben zu seinem Wohn-/Herkunftsort behauptete, er habe von seinem 5. Lebensjahr an bis zur Ausreise bei seiner Mutter im südlichen Libanon, in der Stadt römisch 40 gelebt und sei dies sein Lebensmittelpunkt gewesen, so kann dieses Vorbringen aufgrund der Divergenzen zu den bisherigen Angaben des BF nicht als glaubwürdig qualifiziert werden.
Aufgrund dessen, dass auch im gegenständlichen Asylverfahren kein glaubwürdiges konkretes Vorbringen im Hinblick auf eine Bedrohung im Sinne des Paragraph 8, AsylG erbracht wurde, ist demnach wiederum nur die allgemeine Situation im Libanon zu betrachten. Von Amts wegen sind seit dem rechtskräftigen Abschluss des Vorverfahrens jedenfalls keine derartigen Änderungen der allgemeinen Situation im Libanon notorisch, welche die Annahme einer allgemeinen extremen Gefährdungslage gerechtfertigt erscheinen lassen würden.
3.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die von der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid bzw. Erkenntnis angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Es wurden dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Auch ist auszuführen, dass die der BF zur Kenntnis gebrachten länderspezifischen Feststellungen zum Herkunftsstaat zwar nicht den Anspruch absoluter Vollständigkeit erheben (können), jedoch als so umfassend qualifiziert werden, dass der Sachverhalt bezüglich der individuellen Situation der BF in Verbindung mit der Beleuchtung der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat als geklärt angesehen werden kann, weshalb gemäß hg. Ansicht nicht von einer weiteren Ermittlungspflicht, die das Verfahren und damit gleichzeitig auch die ungewisse Situation der BF unverhältnismäßig und grundlos prolongieren würde, ausgegangen werden kann (dazu auch Hengstschläger-Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, RZ 65 zu Paragraph 52, AVG).
Überdies handelt es sich bei den seitens des BFA dem Verfahren zugrunde gelegten Quellen und den hg. in das Verfahren integrierten Quellen um Berichte staatlicher oder staatsnaher Institutionen, denen aufgrund ihrer Verpflichtung zu Objektivität und Unparteilichkeit keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann. Dass sich die Situation im Herkunftsstaat des Asylwerbers insofern geändert hat, als diese dem zitierten Länderdokumentationsmaterial nicht mehr entsprechen würde, ist nicht notorisch.
Die aktuellen Feststellungen ergeben sich aus den öffentlich abrufbaren Briefing Notes des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), und den in den Feststellungen genannten Anfragebeantwortung bzw. Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA.
Der BF bzw. seine Vertretung traten diesen zum Parteiengehör übermittelten aktuellen Feststellungen in der hg. Verhandlung nicht entgegen. Die Ausführungen und die zitierten Berichte in der Beschwerde sind nicht geeignet, die hg. Feststellungen zum Herkunftsstaat in Zweifel zu ziehen, zumal diese kein anderes Bild von der Situation im Herkunftsland des BF zeichnen als jenes, welches sich aus den der hg. Entscheidung zugrunde gelegten Feststellungen ergibt bzw. diese im Zusammenhang mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 07.10.2023 das Risiko der Möglichkeit eines Krieges zwischen Israel und dem Libanon beinhalten. Insbesondere wird in der Beschwerde in keiner Weise substanstantiiert dargetan, inwieweit sich daraus eine asylrelevante Verfolgung oder die Notwendigkeit der Gewährung von subsidiärem Schutz konkret für den BF ergeben soll.
Es ist als notorisch bekannt anzusehen, dass sich am 4. August 2020 im Hafen von Beirut eine verheerende Explosion mit 218 Toten und rund 7.000 Verletzten ereignete. 300.000 Menschen wurden obdachlos und große Teile der Stadt wurden stark beschädigt. Tausende zogen in der Folge zu Protesten auf die Straßen und forderten eine umfassendere Aufklärung der Hintergründe der Explosion.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht die Lage im Libanon und die Tatsache, dass sich der Libanon seit mehreren Jahren in einer Wirtschafts- und Finanzkrise befindet und sich die wirtschaftliche Situation seit Oktober 2019 zunehmend verschlechtert hat und mit einer nicht unerheblichen terroristischen Bedrohung konfrontiert ist. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt ebenso wenig, dass die Sicherheitslage im Libanon vor allem in den Grenzregionen aufgrund von kämpferischen Auseinandersetzungen in manchen Bereichen prekär ist, was bereits im Erkenntnis des BVwG in rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren festgehalten wurde. Ebenso wurde im betreffenden Erkenntnis auf die ausreichende Sicherheitslage in Beirut und die Einreisemöglichkeit über den dortigen Flughafen verweisen. Der BF stammt aus der Stadt römisch 40 im Zentrallibanon. Inwieweit der BF von den Kampfhandlungen im Süden und der Situation an der Grenze zu Syrien und weiteren Raketenabschüssen seitens Israel betroffen ist, ergibt sich weder aus seinem eigenen Vorbringen in der hg. Verhandlung, noch im Lichte der in das Verfahren integrierten aktuellen Länderfeststellungen, sondern hat der BF in der hg. Verhandlung am römisch 40 diesbezüglich selbst angegeben, dass im Gebiet der Stadt römisch 40 , in dem sein Vater lebe, nichts passiere und äußerte der BF keine Rückkehrbefürchtungen in Verbindung mit der aktuellen Sicherheitslage im Libanon (VHS 7: VR: Was erwarten Sie, wenn Sie jetzt in den Libanon zurückkehren müssten? BF: Ich werde gezwungen werden, mit Hisbollah zu kämpfen).
Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt sohin auch die aktuelle Situation im Zusammenhang mit dem Israel/Gaza Krieg und dass es an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon zu gegenseitigen Militärhandlungen kommt, wobei die Stellungen der Hisbollah Angriffsziel sind und bei der vornehmlich Angehörige der Hisbollah, jedoch auch eine geringe Zahl an Zivilisten getötet wurden.
Auch dass die libanesische Hisbollah ein wichtiger Verbündeter des Iran und Syriens ist, die Hamas über gute Beziehungen zum Iran verfügt und dass sich aus dieser komplexen regionalpolitischen Gemengelage Folgen ergeben könnten, die über die direkt betroffenen Akteure hinausgehen, wird nicht verkannt; gegenwärtig ist jedoch keine derartige Situation vorherrschend, welche die Rückkehr jedes libanesischen Staatsbürgers als unzulässig gemäß Artikel 2, EMRK oder Artikel 3, EMRK erscheinen lässt.
Bei Betrachtung der aktuellen Situation ist von den Auswirkungen des Israel/Gaza-Krieges vornehmlich die südliche Grenzregion (Grenze zu Israel) betroffen und kann daher nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Libanon, in seinen Herkunftsort oder etwa nach Beirut, wie dies in der rechtskräftigen Entscheidung im ersten Asylverfahren des BF dezidiert festgehalten wurde, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr bzw. einer realen Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Aus den diesem Verfahren zu Grunde gelegten Feststellungen sowie des Israel/Gaza Krieges ergibt sich zwar, dass sich die aktuelle Sicherheitslage wie auch die Menschenrechtssituation im Libanon angespannt darstellt. Die Situation im Libanon ist aber nicht derart, um von einer "realen Gefahr" einer Verletzung von Artikel 2, EMRK oder Artikel 3, EMRK ausgehen zu müssen. Weiters herrscht im Libanon weder ein Krieg noch ein Bürgerkrieg. Ferner ist die Grundversorgung grundsätzlich gewährleistet. Eine allgemeine Gefährdung von allen Rückkehrern wegen des Faktums ihrer Rückkehr lässt sich aus den Quellen und der aktuellen Lage ebenso wenig folgern. Dass dem Beschwerdeführer aufgrund sonstiger Umstände (schwere Erkrankung, sonstige besondere Vulnerabilität) die Gründung einer neuen Existenz im Libanon nicht möglich wäre, ergibt sich ebenfalls nicht. Der BF ist gesund und arbeitsfähig und war vor der Ausreise aus dem Libanon berufstätig und verfügt über seine Herkunftsfamilie im Libanon, die ihn bei Bedarf unterstützen kann.
Insoweit in der jüngsten medialen Berichterstattung abgesehen von Kampfhandlungen im Südlibanon von vier Angriffen Israels auf Ziele von Stellungen der Hisbollah im Osten des Libanon in der Gegend der Stadt Baalbek die Rede ist, bei der ein Zivilist getötet wurde, (Der Standard 26.02.2024, ORF.at News, Zugriff am 12.03.2024) ist festzuhalten, dass nach hg. Ansicht dadurch nicht jede Zivilperson, die in diesem Gebiet lebt, dem realen Risiko einer Gefahr im Sinne des Artikel 3, EMRK ausgesetzt ist.
Wenn in der Beschwerde auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen wird, wonach es bei der Prüfung der Frage, ob entschiedene Sache vorliege, darauf ankomme, ob sich Umstände, die für die Gewährung von subsidiärem Schutz relevant sind, entscheidungserheblich geändert haben und auf das Judikat VwGH Ra 2016/01/0307 vom 25.04.2017 und das Erkenntnis des EuGH C. 18/20; XY gegen BFA verwiesen wird, ist unter Einbeziehung der zitierten Judikatur festzuhalten, dass das hg. Ermittlungsverfahren vor dem Hintergrund der aktuellen Situation im Herkunftsstaat des BF keine entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage ergab.
Aus der obzitierten höchtsgerichtlichen Judikatur (VwGH Ra 2016/01/0307, 25.04.2017) ergibt sich folgendes:
Eine seit Rechtskraft des ersten Asylverfahrens behauptete Lageänderung im Herkunftsstaat steht der Zurückweisung des Folgeantrags dann entgegen, wenn nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass demnach eine andere Beurteilung in Bezug auf die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfolgen könnte (Hinweis E vom 12. Oktober 2016, Ra 2015/18/0221).
Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Artikel 2, oder 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Artikel 2, oder 3 MRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen.
Eine allgemein prekäre Sicherheitslage im Herkunftsstaat des BF bzw. in der Stadt, in der er gelebt hat, ist aus den in das Verfahren integrierten länderkundlichen Quellen nicht abzuleiten.
Der VwGH hat in seiner jüngeren, zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des EGMR ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, MRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat (hier: Afghanistan) zu berufen.
Der BF stammt, wie bereits ausgeführt, aus der im Zentrallibanon gelegenen Stadt römisch 40 ; er selbst gab dazu an, sein Vater lebe und arbeite nach wie vor dort und passiere dort nichts (VHS 6). Weder aufgrund der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des BF noch aufgrund seines individuellen Vorbringens kann darauf geschlossen werden, dass sich die Sicherheits- und Versorgungslage im Falle einer Rückkehr derart geändert habe, dass im Lichte der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung eine seit Rechtskraft des ersten Asylverfahrens behauptete Lageänderung im Herkunftsstaat der Zurückweisung des Folgeantrages entgegenstehen würde.
Im vorliegenden Fall kann aufgrund der fallbezogenen individuellen und allgemeinen Umstände vornherein ausgeschlossen werden, dass eine andere Beurteilung in Bezug auf die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfolgen könnte (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307 mit Verweis auf VwGH, 12.10.2016, Ra 2015/18/022).
Die allgemeine Sicherheitslage ist jedenfalls nicht dergestalt, dass für den BF die ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt anzunehmen wäre. Besondere Gefährdungsmomente, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der BF in besonderem Maße von etwaigen dort stattfindenden Gewaltakten bedroht wäre, wurden weder in den Einvernahmen noch in der Beschwerde noch in der hg. Verhandlung glaubhaft vorgebracht vergleiche dazu VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137).
Auf Grundlage der aktuellen Länderberichte kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt daher nicht von einer extremen Gefährdungslage im Libanon gesprochen werden, dass gleichsam jede Person, die sich dort aufhält oder dorthin zurückkehrt, einer unmittelbaren Gefährdung ausgesetzt ist.
3.6. Zur Beschwerde des BF:
Soweit der BF ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geltend macht, ist folgendes festzuhalten:
Sofern damit zum Ausdruck gebracht wird, dass das BFA bei allfälligen Zweifeln bzgl. dessen Vorbringen, Erhebungen bzw. durch geeignete Fragestellung darauf hinwirken hätte müssen, dass die Angaben des Beschwerdeführers lückenlos sind, ist dahingehend entgegenzutreten, dass es grundsätzlich dem Asylwerber zukommt, die Gründe seiner Furcht vor Verfolgung konkret und substantiiert vorzubringen (VwGH 21.11.1996, 95/20/0334). Dem Antragsteller wurde im vorliegenden Fall im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahmen ausreichend Gelegenheit eingeräumt, alle für die Entscheidung wesentlichen Umstände anzuführen, wobei auch die Grundsätze der Unparteilichkeit bzw. Objektivität beachtet wurden, was auch in den Protokollen der behördlichen Einvernahmen umfassend dokumentiert wird. Der BF war jedoch nicht in der Lage, die ihm gestellten Fragen konkret zu beantworten und gegen ihn gesetzte Verfolgungs-bzw. Bedrohungshandlungen umfassend darzulegen. In der hg. durchgeführten mündlichen Verhandlung bekräftigte der BF, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz wegen seiner in Österreich lebenden Kinder gestellt zu haben.
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Ansicht, dass es dem Asylwerber obliegt, alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (VwGH 20.01.1993, 92/01/0752; VwGH 19.05.1994, 94/19/0465 mwN.) und besteht keine Verpflichtung seitens der belangten Behörde oder des Bundesverwaltungsgerichts, den Antragsteller derart anzuleiten, dass ihr Antrag von Erfolg gekrönt sein muss. Das Vorbringen in der Beschwerde ist im Ergebnis nicht dergestalt, um damit der behördlichen Beweiswürdigung konkret und substantiiert entgegen zu treten.
Wenn hinsichtlich der aktuellen Sicherheitslage auf Berichte von Nahostexperten, wonach der Frieden im Nahen Osten wanke und die Hisbollah ähnlich gefährlich sei wie die Hamas, sowie auf Berichte der deutschen Tagesschau und ntv.de verwiesen und auf die aktuelle Lage und militärische Auseinandersetzungen an der israelisch-libanesischen Grenze verwiesen wird, so zeichnen diese kein anderes Bild als jenes, das auch der aktuellen Berichtslage vergleiche dazu die Ausführungen in den in das Verfahren integrierten BAMF Briefing Notes und Informationen der Staatendokumentation des BFA) zu entnehmen ist. Auf die in der Beschwerde angestellten Spekulationen und zitierten Berichte über zukünftige, im Ungewissen liegende Ereignisse war nicht weiter einzugehen. vergleiche dazu auch VwGH 09.11.2023, Ra 2023/20/0530 bis 0531-7: Zu Ersterem kann es genügen, auf die - unbestrittenen - Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts zu verweisen, wonach die Revisionswerber im Libanon aus der Stadt Tripoli (die nicht im Gebiet der Grenze des Libanon zu Israel liegt) stammen. Auf die von den Revisionswerbern angestellten Spekulationen über zukünftige, im Ungewissen liegende Ereignisse war nicht weiter einzugehen.)
Wenn in der Beschwerde im Hinblick auf die mittlerweile drei Kinder des BF auf eine einzubeziehende Bedachtnahme auf das Kindeswohl hingewiesen wird, ist auf die hg. Ausführungen zum Unterbleiben einer neuerlichen Rückkehrentscheidung im gegenständlichen Fall zu verweisen.
4. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
4.1. Zu den Spruchpunkten römisch eins. und römisch II. des angefochtenen Bescheides (Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache):
4.1.1. Gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der Paragraphen 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß Paragraph 68, Absatz 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.9.1994, 94/08/0183; VwGH 30.05.1995, 93/08/0207; VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).
"Entschiedene Sache" iSd Paragraph 68, Absatz eins, AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; VwGH 27.09.2000, 98/12/0057; VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235).
Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein „Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vergleiche VwGH 20.3.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit dem zweiten Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt vergleiche VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).
„Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, die Rechtsmittelbehörde bzw. im gegenständlichen Fall das Gericht darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder – falls entschiedene Sache vorliegt – das Rechtsmittel abzuweisen oder – falls dies nicht zutrifft – den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die Verwaltungsbehörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde bzw. des Gerichts, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Die Rechtsmittelbehörde bzw. das Gericht darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH 30.05.1995, 93/08/0207). Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit nur die Frage, ob das Bundesamt zu Recht den neuerlichen Asylantrag gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG zurückgewiesen hat.
Bei einer Überprüfung einer gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Asylantrages hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleich bleibender Sach- und Rechtslage stützen dürfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhaltes nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können in der Berufung nicht neu geltend gemacht werden (z.B. VwSlg. 5642A; VwGH 23.05.1995, 94/04/0081; zu Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens s. VwSlg. 12799 A). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach Paragraph 68, AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN). Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).
Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen (Hinweis EB E 26.4.1995, 92/07/0197, VwSlg 14248 A/1995); die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Entschiedene Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt.
Identität der Sache iSd. Paragraph 68, Absatz eins, AVG liegt selbst dann vor, wenn die Behörde in einem bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren etwa eine Rechtsfrage auf Grund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens oder einer unvollständigen oder unrichtigen rechtlichen Beurteilung entschieden hätte vergleiche etwa das Erkenntnis des VwGH vom 08.04.1992, 88/12/0169, ebenso Erk. d. VwGH v. 15.11.2000, 2000/01/0184).
Als Vergleichsbescheid ist im Falle mehrfacher Asylfolgeanträge derjenige Bescheid heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden – und nicht etwa nur ein Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen – wurde vergleiche in diesem Sinn VwGH 26.06.2005, 2005/20/0226, mwN).
Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen vergleiche VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; VwGH 23.11.1993, 91/04/0205; VwGH 26.04.1994, 93/08/0212; VwGH 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; VwGH 21.02.1991, 90/09/0162; VwGH 10.06.1991, 89/10/0078; VwGH 04.08.1992, 88/12/0169; VwGH 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; VwGH 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH vom 24.02.2000, 99/20/0173-6).
Gemäß jüngster höchstgerichtlicher Judikatur darf ein Antrag auf internationalen Schutz nicht allein deshalb wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden, weil der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt von der Rechtskraft einer früheren Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz erfasst sei, ohne dass die Prüfung im Sinn des Artikel 40, Absatz 2 und Absatz 3, Verfahrensrichtlinie vorgenommen worden wäre, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“.
Kommt bei dieser Prüfung hervor, dass – allenfalls entgegen den Behauptungen eines Antragstellers – solche neuen Elemente oder Erkenntnisse nicht vorliegen oder vom Antragsteller gar nicht vorgebracht worden sind, so ist eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache weiterhin – in einem Verfahren, in dem auch die Vorgaben des Kapitels römisch II der Verfahrensrichtlinie zu beachten sind – statthaft. Das gilt auch dann, wenn zwar neue Elemente oder Erkenntnisse vorliegen, die Änderungen aber lediglich Umstände betreffen, die von vornherein zu keiner anderen Entscheidung in Bezug auf die Frage der Zuerkennung eines Schutzstatus führen können. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt hat nämlich in diesen Konstellationen keine Änderung erfahren.
Liegen keine neuen Elemente oder Erkenntnisse vor oder sind die neuen Elemente oder Erkenntnisse nicht geeignet, erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beizutragen, dass dem Antragsteller ein Schutzstatus zuzuerkennen ist, verlangt auch Artikel 40, Absatz 3, Verfahrensrichtlinie keine weitere Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz. Nach Artikel 33, Absatz 2, Litera d, in Verbindung mit Artikel 40, Absatz 5, Verfahrensrichtlinie ist es in solchen Fällen erlaubt, einen Folgeantrag als unzulässig zu betrachten (VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006).
Eine Begründung, mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens seien im Sinn des Artikel 40, Absatz 2 und 3 der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) keine „neuen Elemente oder Erkenntnisse“ zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden, ermöglicht auch nach der jüngsten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Zurückweisung des Folgeantrags wegen entschiedener Sache (VwGH 27.01.2022, Ra 2021/01/0417; VwGH 19.01.2022, Ra 2021/20/0155).
4.1.2. Zunächst ist auszuführen, dass der Akteninhalt bzw. das Protokoll der Einvernahme zeigen, dass die belangte Behörde bemüht war, den Sachverhalt zu ermitteln und die wesentlichen Elemente zu erfragen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat hinsichtlich der Begründung des bekämpften Bescheides vom römisch 40 die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Das Bundesamt hat mit dem BF zwei Einvernahmen durchgeführt und darauf aufbauend - unter Heranziehung von Länderfeststellungen - richtige Sachverhaltsfeststellungen getroffen.
Das Bundesamt hat ein mängelfreies ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und es haben sich im Rahmen des behördlichen Verfahrens - im Vergleich zur rechtskräftigen Entscheidung des Vorverfahrens und unter Berücksichtigung der darin enthaltenen Feststellungen zur damaligen allgemeinen Situation im Libanon - keine Hinweise auf einen neuen glaubhaften und asylrelevanten Sachverhalt ergeben. Das BFA hat zudem - wie bereits ausgeführt - seine Erwägungen, die zur Zurückweisung des Asylantrags geführt haben, im Detail dargelegt und ist dabei auch auf das Vorbringen des Beschwerdeführers eingegangen.
4.1.3. Wie aus dem gegenständlichen Verfahrensgang hervorgeht, ist die Vergleichsentscheidung des BF, nämlich das Erkenntnis des BVwG vom römisch 40 , GZ: römisch 40 , mit Datum römisch 40 in Rechtskraft erwachsen.
Insoweit sich der BF im gegenständlichen Fall weiterhin auf die im Zuge der im Vorverfahren vorgebrachten Fluchtgründe stützt, liegt zweifelsfrei entschiedene Sache vor und wird diesbezüglich auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum "Fortbestehen und Weiterwirken", VwGH 20.03.2003, 99/20/0480 („Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt“) verwiesen. Für die erkennende Richterin besteht nunmehr - wie sich auch in der hg. Verhandlung zeigte - der Eindruck, dass das jetzige Vorbringen vor allem dazu dienen soll, eine neuerliche Überprüfung der in den Vorverfahren vorgetragenen Behauptungen zu ermöglichen. Von einer relevanten, wesentlichen Änderung des Sachverhalts seit der rechtskräftigen Entscheidung über die Vorverfahren kann aber diesbezüglich nicht gesprochen werden.
Nochmals ist festzuhalten, dass die ursprünglichen Verfolgungsbehauptungen des Beschwerdeführers bereits im ersten rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren – mit näherer dortiger Begründung – als nicht glaubhaft gewertet wurden. Die Unglaubwürdigkeit der diesbezüglichen Angaben zeigt, dass der BF bereit ist unwahre Angaben zu tätigen, nur um ein eventuell asylrelevantes Vorbringen zu präsentieren.
Das BFA hat solcherart in Ermangelung zusätzlicher Elemente des Vorbringens des BF, die für die Glaubwürdigkeit und/ oder Asylrelevanz sprechen könnten, zu Recht das diesbezügliche im neuerlichen Asylverfahren erbrachte Vorbringen nicht als neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt gewertet. Der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz dient demzufolge der Überprüfung einer bereits rechtskräftigen Entscheidung und wurde vom BFA daher rechtsrichtig wegen entschiedener Sache gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG zurückgewiesen.
Im gegenständlichen Asylverfahren wurde somit kein entscheidungsrelevanter neuer Sachverhalt im Sinne eines „novum productum“ behauptet.
4.1.4. Insoweit das Vorbringen des Beschwerdeführers unter dem Blickwinkel des Refoulementschutzes (Paragraph 8, AsylG) zu betrachten ist, ist auszuführen, dass bereits im Erstverfahren festgehalten wurde, dass sich aus dem Vorbringen des BF kein "reales Risiko" ergeben habe, dass es durch die Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde. Ebenso wenig kam im Verfahren hervor, dass konkret für den Beschwerdeführer im Falle einer Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr bestünde, als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt zu sein und darf in diesem Konnex nochmals darauf hingewiesen werden, dass weder im Vorverfahren, noch im nunmehrigen Folgeverfahren Umstände hervorgekommen sind (wie etwa schwere Krankheit des Beschwerdeführers), welche die Erlassung einer Entscheidung nach Paragraph 68, AVG ausschließen würden. Auch betreffend seine individuelle Versorgungslage, welche den BF im Libanon erwartet, sind keine maßgeblichen Änderungen eingetreten; insbesondere befinden sich zahlreiche Familienangehörige des BF (der Vater des BF ist berufstätig) nach wie vor im Herkunftsstaat, zu welchen er auch täglichen Kontakt hat, sodass er mit ihrer Unterstützung rechnen darf.
Aufgrund dessen, dass auch im gegenständlichen Asylverfahren kein glaubwürdiges konkretes Vorbringen im Hinblick auf eine Bedrohung im Sinne des Paragraph 8, AsylG 2005 erbracht wurde, ist demnach wiederum nur die allgemeine Situation im Libanon zu betrachten. Von Amts wegen sind seit dem rechtskräftigen Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens keine derartigen Änderungen der allgemeinen Situation im Libanon notorisch, welche die Annahme einer allgemeinen extremen Gefährdungslage gerechtfertigt erscheinen lassen würden.
Im Hinblick auf die individuelle Versorgungssituation ist auszuführen, dass es sich beim BF nach wie vor um einen arbeitsfähigen, gesunden, jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Es sind jedenfalls keine Gründe ersichtlich, warum er als Erwachsener im Libanon selbst keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können sollte. Der BF ist im Libanon aufgewachsen, dort acht Jahre zur Schule gegangen und hat auch Berufserfahrung erlangen können. Der BF hat jedenfalls die überwiegende Zeit seines Lebens im Libanon verbracht. Der BF wurde im Libanon sozialisiert und es ist nicht hervorgekommen, dass sie dort keine familiären und privaten Anknüpfungspunkte mehr hat. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der BF im Fall seiner Rückkehr auch im Rahmen seines Familienverbandes – zahlreiche Familienangehörigen des BF leben nach wie vor im Libanon – bei Bedarf eine ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung zu Teil wird. Ferner wird lt. Länderfeststellungen ein Großteil der sozialen Dienste (Bildungswesen, Gesundheitswesen, Sozialhilfe) von nichtstaatlichen Akteuren erbracht, darunter politische Organisationen und religiöse Wohlfahrtsverbände.
Letztlich war zudem zu berücksichtigen, dass der BF den in das Verfahren integrierten und der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichten zur Zumutbarkeit und Möglichkeit der Rückkehr in den Libanon nicht substantiiert entgegengetreten ist und in weiterer Folge auch nicht dargelegt hat, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf seine individuelle Situation auswirken würde, insbesondere inwieweit der BF durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.
Auf die Ausführungen zur Allgemeinsituation im Herkunftsstaat des BF sei an dieser Stelle verwiesen und festgehalten, dass auch das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass sich die Sicherheitslage im Libanon im Lichte der aktuellen länderkundlichen Feststellungen, welche auch auf den aktuellen Terrorangriff der Hamas auf Israel am 07.10.2023 und die daraus resultierenden Folgen für den Libanon und die dort agierende Hisbollah, die mit der Hamas zusammenarbeitet, als volatil erweist. Die allgemeine Sicherheitslage ist durch die Proteste und den wirtschaftlichen Niedergang auch unübersichtlicher geworden (AA 12.5.2022). Es bestehen soziale, politische und religiöse Spannungen, und das Land leidet unter einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. Es kommt zu Demonstrationen, Straßenblockaden, Streiks und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Gruppierungen sowie zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften. Bei solchen Ereignissen kommt es regelmäßig zu Sachbeschädigungen, und vereinzelt werden Schusswaffen eingesetzt (EDA 14.2.2023). Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können die Sicherheitslage im Libanon zudem jederzeit und unvermittelt beeinflussen. Auf die aktuellen Feststellungen hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage und der Situation an der Südgrenze zu Israel und die diesbezüglichen hg. Ausführungen sei verwiesen (ua die öffentlich abrufbaren BAMF Briefing Notes aus Oktober/November 2023).
Auch wirken sich die anhaltenden und aktuellen Spannungen mit Israel und der bewaffnete Konflikt in Syrien weiterhin auf den Libanon aus. Die libanesische Regierung hat weder die vollständige Kontrolle über alle Regionen des Landes noch über die Grenzen zu Syrien und Israel.
Der BF hat aber nicht dargetan, inwiefern er von der prekären Sicherheitslage konkret betroffen ist. Von einer allgemeinen, das Leben eines jeden Bürgers betreffenden, Gefährdungssituation im Sinne des Artikel 3, EMRK ist jedenfalls auch im Lichte der aktuellen Ereignisse und der in das Verfahren integrierten BAMF Briefing Notes von Oktober/November 2023 nicht auszugehen. Darüber hinaus hat der BF selbst auch kein substantiiertes Vorbringen dahingehend erstattet, dass er schon aufgrund seiner bloßen Präsenz in seinem Herkunftsstaat, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch terroristische Anschläge, organisierte Kriminalität oder bürgerkriegsähnliche Zustände ausgesetzt wäre. Eine solche maßgebliche Wahrscheinlichkeit lässt sich auch nicht aus den seitens des BF in der Beschwerde und den dort zitierten Berichten sowie den jüngsten Vorkommnissen ableiten.
Bei Betrachtung der aktuellen Situation ist von den Auswirkungen des Israel/Gaza-Krieges - abgesehen von vereinzelten Raketenabschüssen auf Hisbollahstützpunkte im Nordosten des Landes - ausschließlich die südliche Grenzregion (Grenze zu Israel) betroffen und kann daher nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer, der vor der Ausreise in einer Stadt im Zentrallibanon lebte, bei einer Rückkehr in den Libanon mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr bzw. einer realen Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Aus den diesem Verfahren zu Grunde gelegten Feststellungen sowie des Israel/Gaza Krieges ergibt sich zwar, dass sich die aktuelle Sicherheitslage wie auch die Menschenrechtssituation im Libanon angespannt darstellt. Die Situation im Libanon ist aber nicht derart, um von einer "realen Gefahr" einer Verletzung von Artikel 2, EMRK oder Artikel 3, EMRK ausgehen zu müssen. Weiters herrscht im Libanon weder ein Krieg noch ein Bürgerkrieg. Ferner ist die Grundversorgung grundsätzlich gewährleistet. Eine allgemeine Gefährdung von allen Rückkehrern wegen des Faktums ihrer Rückkehr lässt sich aus den Quellen und der aktuellen Lage ebenso wenig folgern.
Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Artikel 2, oder Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen vergleiche zuletzt: VwGH 04.06.2021, Ra 2021/01/0008) .
Aus Sicht der erkennenden Richterin des Bundesverwaltungsgerichts kann in dieser Hinsicht in Anbetracht der Feststellungen zur Sicherheitslage im Libanon und dem aktuellen Israel/Gaza-Krieg nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers im Libanon davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines terroristischen Anschlags, krimineller Aktivtäten oder anderweitiger willkürlicher Gewalt werden würde vergleiche VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 zur Lage in Bagdad).
Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers, welche auf eine im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten oder im Hinblick auf willkürliche Gewalt im Zuge von Kriegen, Ausschreitungen oder kriminellen Aktivtäten hindeuten würden, wurden im Verfahren im Übrigen nicht vorgebracht und ist er deshalb nicht dahingehend exponiert. Der Beschwerdeführer gehört darüber hinaus nicht den staatlichen Sicherheitskräften an und es ist kein Grund erkennbar, weshalb er im Rückkehrfall in Ausschreitungen, bewaffnete Konflikte oder gewaltsame Auseinandersetzungen im Gefolge krimineller Aktivitäten Dritter verwickelt werden sollte.
Nach der ständigen Judikatur des EGMR obliegt es – abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Artikel 3, EMRK darstellen würde – grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134). Derartiges hat der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht aufgezeigt. Evident ist jedoch, dass im Libanon wirtschaftlich und sozial sowie in der südlichen Grenzregion des Libanon in Bezug auf die Sicherheit durchaus eine schwierige Situation besteht, in der sich die Beschaffung der Mittel zum Lebensunterhalt auch als schwieriger darstellen könnte als in Österreich. Es geht jedoch aus den Berichten keinesfalls hervor, dass die Lage für alle Personen ohne Hinzutreten von besonderen Umständen dergestalt wäre, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre. Der Beschwerdeführer gehört auch keiner im Hinblick auf die Deckung von Grundbedürfnissen besonders gefährdeten Personengruppe an. Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht im Übrigen nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs für sich betrachtet auch nicht aus, um die Verletzung des nach Artikel 3, EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH 17.09.2019, Ra 2019/14/0160).
Das Bundesverwaltungsgericht geht bezüglich der Sicherheitslage im Libanon somit davon aus, dass sich im Falle des Beschwerdeführers und unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in der Heimat herangezogenen Erkenntnisquellen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, wonach die unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Gesamtbetrachtung für den Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, die im Lichte der Rechtsprechung einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Artikel 3, EMRK darstellen und somit einer Rückführung entgegenstehen würde. Gemessen an Artikel 3, EMRK kann die Rückführung eines Fremden in seinen Herkunftsstaat zwar wegen einer besonders prekären allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat unzulässig sein. Eine Situation genereller Gewalt kann jedoch nur in sehr extremen Fällen ein reales Risiko iSd Artikel 3, EMRK hervorrufen; ansonsten bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen, wegen derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen vergleiche mwN VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137). Namentlich bestünde im Falle der Rückführung keine ernsthafte Gefahr einer Inhaftnahme, die allgemeine Sicherheitslage – abgesehen von den Grenzregionen und vom südlichen Grenzgebiet - ist nicht besonders prekär und es sind keine besonderen Gefährdungsmomente hinzugetreten, der BF leidet nicht an einer schweren oder gar lebensbedrohlichen Erkrankung. Dem Beschwerdeführer würde auch nicht jegliche Lebensgrundlage fehlen. Der Beschwerdeführer verfügt nämlich über Berufserfahrung, familiäre Bindungen und ist arbeitsfähig, sodass er durch Erwerbsarbeit und familiäre Unterstützung seine Existenz sichern kann.
Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in Paragraph 8, Absatz eins, Asyl 2005 orientiert sich an Artikel 15, Litera c, der Statusrichtlinie und umfasst eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als „willkürlich“ erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist vergleiche mit Verweis auf EuGH 17.02.2009, C-465/07, und EuGH 30.01.2014, C-285/12, VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137). In dieser Entscheidung führte der Verwaltungsgerichtshof ferner aus: „Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Artikel 2, oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Artikel 2, oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen.“
Wie das Bundesverwaltungsgericht festgestellt und oben bereits ausgeführt hat, ist die allgemeine Sicherheitslage im Herkunftsstaat – abgesehen von den genannten Ausnahmen - nicht so beschaffen, dass jeder dorthin Zurückkehrende der realen Gefahr unterläge, mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einer Verletzung seiner durch Artikel 2, oder 3 EMRK garantierten Rechte ausgesetzt zu sein, oder dass für jeden Zurückkehrenden die ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt anzunehmen wäre. Besondere Gefährdungsmomente, die es – anders als für die dortige Bevölkerung im Allgemeinen – wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat in besonderem Maße von den dort stattfindenden Gewaltakten bedroht wäre, gibt es, wie das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls bereits dargelegt hat, nicht.
Zur aktuellen Situation im Libanon infolge des bewaffneten Konflikts zwischen der Hamas und Israel, der verschärften Sicherheitslage und möglichen künftigen Entwicklungen und einer möglichen Ausbreitung des Kriegsgeschehens auf das libanesische Staatsgebiet vergleiche jüngst auch VwGH vom 09.11.2023, Ra 2023/20/0530 bis 0531-7: Zu Ersterem kann es genügen, auf die - unbestrittenen - Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts zu verweisen, wonach die Revisionswerber im Libanon aus der Stadt Tripoli (die nicht im Gebiet der Grenze des Libanon zu Israel liegt) stammen. Auf die von den Revisionswerbern angestellten Spekulationen über zukünftige, im Ungewissen liegende Ereignisse war nicht weiter einzugehen.
Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat der BF in wesentlichen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechts-verletzungen (iSd. VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vergleiche auch Artikel 3, des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch jeder, der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält, schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter Paragraph 8, Absatz eins, AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen zu sein.
Ergänzend ist anzuführen, dass gemäß Paragraph 52 a, BFA-VG z.B. auch eine finanzielle Rückkehrhilfe (über diese wird im erstinstanzlichen Verfahren schon informiert) als Startkapital für die Fortsetzung des bisherigen Lebens im Libanon gewährt werden kann. Im Rahmen der Rückkehrhilfe wird dabei der Neubeginn zu Hause unterstützt, Kontakt zu Hilfsorganisationen im Heimatland vermittelt, finanzielle Unterstützung geleistet und beim Zugang zu Wohn-, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten geholfen (http://www.caritas.at/hilfe-einrichtungen/fluechtlinge/beratung-und vertretung/rueckkehrhilfe/).
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass die wirtschaftliche Situation im Libanon schlechter ist als in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bzw. in Österreich, aus den Berichten geht aber keinesfalls hervor, dass sie dergestalt ist, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre.
Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter Paragraph 8, Absatz eins, AsylG subsumierbaren Sachverhaltes abgeleitet werden.
4.1.5. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich dem an, dass das Vorbringen des BF im gegenständlichen Verfahren nicht geeignet ist, eine neue inhaltliche Entscheidung zu bewirken, sondern Identität der Sache vorliegt. Der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz war daher zu Recht wegen entschiedener Sache gem. Paragraph 68, Absatz eins, AVG zurückzuweisen.
Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte römisch eins. und römisch II. des angefochtenen Bescheides war daher im Ergebnis gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 68, AVG als unbegründet abzuweisen.
4.2. Zu Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheides:
4.2.1. Paragraph 57, AsylG 2005 lautet:
(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1.wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht,
2.zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3.wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Absatz eins, Ziffer 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Absatz 3 und Paragraph 73, AVG gehemmt.
(3) Ein Antrag gemäß Absatz eins, Ziffer 2, ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.
(4) Ein Antrag gemäß Absatz eins, Ziffer 3, ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.
4.2.2. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG geduldet, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt wurde.
Darüber hinaus darf gemäß Paragraph 60, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt werden, wenn ein aufrechte, mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung gemäß Paragraphen 52, in Verbindung mit 53 FPG besteht. Aufgrund des aufrechten Einreiseverbotes ist dem BF daher jedenfalls kein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG zu erteilen.
In der Beschwerde finden sich zu diesem Spruchpunkt ferner keine Ausführungen, weshalb die Beschwerde auch hinsichtlich Spruchpunkt römisch III. als unbegründet abzuweisen war.
4.3. Zum Entfall der Rückkehrentscheidung:
Im Hinblick auf Paragraph 59, Absatz 5, FPG hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, dass im Sinne der Verfahrensökonomie rechtskräftige Rückkehrentscheidungen mit Einreiseverbot gerade bei Folgeanträgen weiter als Rechtsgrundlage für eine Außerlandesbringung dienen können vergleiche zuletzt VwGH 31.03.2020, Ra 2019/14/0209, mwN). Nur im Falle einer Änderung des für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots relevanten Sachverhaltes bedarf es einer neuerlichen Rückkehrentscheidung, um allenfalls die Dauer des mit ihr zu verbindenden Einreiseverbotes neu festlegen zu können vergleiche VwGH 26.03.2019, Ra 2019/19/0018; 22.03.2018, Ra 2017/01/0287; 19.11.2015, Ra 2015/20/0082 bis 0087). Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass Paragraph 59, Absatz 5, FPG (in diesem Umfang) eine spezielle Regelung der Rechtskraft (einer Rückkehrentscheidung) darstellt (VwGH 22.03.2018, Ra 2017/01/0287). Die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens. Daraus ist abzuleiten, dass über ein und dieselbe Rechtssache nur einmal rechtskräftig zu entscheiden ist vergleiche zu allem VwGH 28.04.2017, Ra 2017/03/0027, mwN). Diese Bindungswirkung besteht innerhalb der Grenzen der Rechtskraft, sohin nicht im Falle einer wesentlichen Änderung der Sach- oder Rechtslage vergleiche VwGH 20.06.2017, Ra 2017/01/0029).
Gegenständlich besteht gegen den BF nach wie vor eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung, die mit einem Einreiseverbot verbunden worden ist.
Insofern im nunmehrigen Asylfolgeantrag, im behördlichen Verfahren, in der Beschwerde und in der hg. Beschwerdeverhandlung das Privat- und Familienleben des BF in Österreich thematisiert wurde, ist auf die aktuelle höchstgerichtliche Judikatur VwGH, 29.11.2023, Ra 2023/14/0355-7, RZ 17ff und die dortigen Ausführungen zu verweisen:
Unter dem Aspekt der Verletzung der Verhandlungspflicht bringt die Revision letztlich vor, der Revisionswerber habe durch Vorlage verschiedener Unterlagen nachgewiesen, dass sich seine Integration nach dem in Rechtskraft erwachsenen negativen Ausgang seines ersten Asylverfahrens intensiviert habe. Dementsprechend hätte sich das Bundesverwaltungsgericht für die Abwägung nach Paragraph 9, BFA-VG in Verbindung mit Artikel 8, EMRK einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen müssen. Die im vorliegenden Fall mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung werde nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nämlich gegenstandslos, wenn die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Paragraph 55, AsylG 2005 geboten sei.
Mit diesem Vorbringen übersieht die Revision, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (Paragraph 9, BFA-VG) bzw. einer (amtswegigen) Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Paragraph 55, AsylG 2005, die die Vornahme einer Prüfung der Zulässigkeit eines Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers beinhaltet hätte, nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gewesen ist. Der dem Beschwerdeverfahren zugrundeliegende Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - und damit auch das angefochtene Erkenntnis - enthält nämlich keine Rückkehrentscheidung nach Paragraph 52, FPG; eine solche war (samt Einreiseverbot) bereits mit Bescheid vom 5. Dezember 2019 erlassen worden.
Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge ist zwar auch eine (negative) Entscheidung über einen Folgeantrag grundsätzlich mit einer Entscheidung über die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu verbinden. Besteht jedoch gegen einen Drittstaatsangehörigen bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung, so bedarf es gemäß Paragraph 59, Absatz 5, FPG bei allen nachfolgenden Verfahrenshandlungen nach dem 7., 8. und 11. Hauptstück des FPG oder dem AsylG 2005 keiner neuerlichen Rückkehrentscheidung, es sei denn, es sind neue Tatsachen gemäß Paragraph 53, Absatz 2 und 3 FPG hervorgekommen, die eine Neubemessung der Dauer eines Einreiseverbotes erforderlich machen vergleiche VwGH 30.8.2022, Ra 2022/14/0214, mwN). Dabei kommt dem Revisionswerber kein subjektives Recht auf Erlassung einer (neuerlichen) Rückkehrentscheidung zu. Eine Prüfung - so wie es die Revision vor Augen hat -, ob ein Aufenthaltstitel nach Paragraph 55, AsylG 2005 zu erteilen wäre, ist nach Paragraph 58, Absatz 2, AsylG 2005 nur für den Fall vorgesehen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Grund des Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird vergleiche VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0518, mwN).
Es besteht aber auch kein Rechtsschutzdefizit, weil dem Revisionswerber zur Geltendmachung seines Privat- und Familienlebens im Sinn von Artikel 8, EMRK der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Paragraph 55, AsylG 2005 zur Verfügung steht, welcher zu erteilen ist, wenn dies gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK geboten ist. Im Falle einer relevanten Änderung des diesbezüglichen Sachverhalts steht eine aufrechte Rückkehrentscheidung einem solchen Antrag auch nicht gemäß Paragraph 58, Absatz 10, AsylG 2005 entgegen vergleiche erneut VwGH 30.8.2022, Ra 2022/14/0214, mwN). Ergibt diese Neubewertung, dass ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Sinn des Artikel 8, EMRK vorliegt, so ist der begehrte Aufenthaltstitel, ungeachtet des bestehenden Einreiseverbotes nach Paragraph 53, Absatz 2 und 3 FPG, zu erteilen und die Rückkehrentscheidung wird gemäß Paragraph 60, Absatz 3, Ziffer 2, FPG gegenstandslos, sodass auch dem - deshalb ebenfalls gegenstandslos werdenden - Einreiseverbot der Boden entzogen ist vergleiche VwGH 16.12.2015, Ro 2015/21/0037, mwN).
Vor diesem Hintergrund kommt es auf die Frage der Notwendigkeit der Durchführung einer Verhandlung somit nicht an, so dass auf dieses Vorbringen in der Revision nicht mehr einzugehen war. (VwGH, 29.11.2023, Ra 2023/14/0355-7).
Gegenständliche Judikatur ist auch auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar und schließt sich das erkennende Gericht den obzitierten Ausführungen vollinhaltlich an, sodass auf die Angaben des BF bzw. seiner Vertretung hinsichtlich des Privat- und Familienlebens in Österreich nicht weiter zu erörtern waren.
Lediglich ergänzend ist dazu anzumerken, dass im Hinblick auf das Privat- und Familienleben des BF, der nach rechtskräftiger Entscheidung im Asylverfahren (Vergleichsentscheidung) Vater zweier weiterer Kinder geworden ist, nicht nur diesbezüglich eine Änderung eingetreten ist, sondern erfolgte nach hg. rechtskräftiger Entscheidung auch eine neuerliche strafgerichtliche Verurteilung des BF (LG römisch 40 vom 05.12.2019 RK 12.10.2020 wegen Paragraph 12, 3. Fall StGB, Paragraph 15, StGB, Paragraphen 127,, 129 (1) Z1, 129 (2) Ziffer eins, StGB, Paragraphen 127,, 128 (1) Ziffer 5,, 129 (1) Ziffer eins,, 129 (2) Ziffer eins, StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten. Der BF wurde am römisch 40 bedingt für eine Probezeit von drei Jahren unter Anordnung der Bewährungshilfe entlassen.
Ferner wurde seitens des Vertreters des BFA in der hg. Verhandlung ein Auszug aus dem kriminalpolizeilichen Aktenindex vorgelegt, wonach hinsichtlich des BF eine Eintragung vom römisch 40 (Ausschreibungsdatum römisch 40 ) wegen eines Deliktes nach dem Waffengesetz (illegaler Besitz von Schusswaffen und Kriegsmaterial) ersichtlich ist.
Sollte der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Paragraph 55, AsylG 2005 stellen, werden auch diese Umstände in die durchzuführende Interessensabwägung und bei der (allenfalls neuerlichen) Bemessung des Einreiseverbotes zu berücksichtigen sein.
4.4. Es war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchteil B):
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
ECLI:AT:BVWG:2024:L506.2182893.5.01