Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

12.02.2024

Geschäftszahl

I403 1310778-3

Spruch


I403 1310778-3/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 StA. Marokko, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 28.11.2023, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.02.2024 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt römisch VI. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat:

„Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte erstmalig am 09.01.2007 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er aus dem Gebiet der Westsahara stamme und bereits einen vierjährigen verpflichtenden „Vaterlandsdienst“ für die Polisario als Mechaniker absolviert habe, nach seiner Abrüstung jedoch neuerlichen Rekrutierungsversuchen ausgesetzt gewesen sei. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er, dass er von der Polisario rekrutiert und zur Teilnahme an Kampfhandlungen gezwungen würde. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 09.03.2007 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Eine dagegen fristgerecht erhobene Berufung wurde mit Erkenntnis des damaligen Unabhängigen Bundesasylsenats vom 11.05.2007 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach. Mit Bescheid vom 13.09.2007 wurde gegen ihn ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Infolge rechtskräftiger Verurteilungen aufgrund von Suchtgiftkriminalität wurde gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid des nunmehrigen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 05.09.2018 eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem auf die Dauer von sieben Jahren befristeten Einreiseverbot erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig ist. Eine dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.02.2019, Zl. I407 1310778-2/18E rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

Am 18.01.2023 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner am selben Tag stattfindenden Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er als Grund für seine neuerliche Antragstellung an, aus dem Gebiet der Westsahara zu stammen, wo Krieg herrsche und es keine Sicherheit gebe. Sein Bruder lebe in einem Zelt in einem Flüchtlingslager an der algerischen Grenze. Diese Fluchtgründe seien bereits zum Zeitpunkt seines ersten Asylverfahrens im Jahr 2007 bekannt gewesen.

Am 17.11.2023 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Hierbei wiederholte er, aus der Westsahara zu stammen und gegenüber seinem ersten Asylverfahren aus dem Jahr 2007 keine neuen Fluchtgründe zu haben. Auf die konkrete Frage, was ihn denn im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarte, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er dort niemanden mehr habe, dies sei alles. Weder er noch Angehörige von ihm hätten sich in Marokko je politisch bzw. religiös betätigt und sei er auch niemals aus religiösen oder politischen Gründen, aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seiner sozialen Stellung konkret und persönlich einer Verfolgung ausgesetzt gewesen.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 28.11.2023 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Marokko abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" wurde ihm gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und es wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.). Eine Frist für eine freiwillige Ausreise wurde dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 55, Absatz eins a, FPG nicht gewährt (Spruchpunkt römisch VI.). Einer Beschwerde gegen die Entscheidung über diesen Antrag auf internationalen Schutz wurde gemäß Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer eins, BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt römisch VII.) und gegen den Beschwerdeführer überdies ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt römisch VIII.). Dem angefochtenen Bescheid war nicht zu entnehmen, ob die belangte Behörde davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer aus der Westsahara stammt oder nicht. Es wurde festgestellt, dass er in Marokko nicht verfolgt oder bedroht werde, da bereits sein erster Asylantrag 2007 negativ entschieden worden sei und er keine sonstigen Fluchtgründe vorgebracht habe. Hinsichtlich des rund 17-jährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet wurde nur darauf verwiesen, dass dieser „widerrechtlich“ gewesen sei, der Beschwerdeführer hier „keine sozialen Anknüpfungspunkte“ habe und sein Aufenthalt „überwiegend von seiner kriminellen Energie“ geprägt gewesen sei, da er 2015, 2018 und 2019 verurteilt worden sei. Aufgrund dieser Verurteilungen sei auch keine positive Zukunftsprognose gegeben und ein Einreiseverbot zu erlassen.

Gegen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz der bevollmächtigten Kanzlei " römisch 40 Rechtsanwälte" vom 20.12.2023 in vollem Umfang Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wegen Rechtswidrigkeit erhoben. Inhaltlich wurde im Wesentlichen vorgebracht, der Beschwerdeführer gehöre dem Stamm der Westsahara an und sei alleine die Herkunft aus diesem Gebiet ein asylrelevanter Umstand. Er habe auch keine Wohnmöglichkeit in seinem Heimatland, während er in Österreich eine Unterkunft sowie „massive soziale Kontakte“ habe und einer Beschäftigung nachgehe, sodass er keine Last für eine Gebietskörperschaft darstelle. Auch erweise sich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot im konkreten Fall als unverhältnismäßig. Es wurde beantragt, den Bescheid zu beheben und dem Beschwerdeführer „Asyl bzw. subsidiären Schutz“ zu gewähren; in eventu den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die erste Instanz zurückzuverweisen; in eventu dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen; eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 27.12.2023 vorgelegt.

Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.12.2023, Zl. I403 1310778-3/3Z wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch VII. des angefochtenen Bescheides Folge gegeben und dieser ersatzlos behoben, sodass der Beschwerde infolge dessen gemäß Paragraph 18, Absatz 5, BFA-VG aufschiebende Wirkung zukam. Begründend wurde ausgeführt, dass im angefochtenen Bescheid nur unzureichende Feststellungen hinsichtlich einer etwaigen Rückkehrgefährdung und des Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers getroffen worden seien, sodass sich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als erforderlich erweise.

Mit Schriftsatz des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.01.2024 wurde der Beschwerdeführer im Wege seiner damaligen Rechtsvertretung " römisch 40 Rechtsanwälte" für die am 01.02.2024 anberaumte Beschwerdeverhandlung geladen. Diese Ladung wurde der Rechtsvertretung am 02.01.2024 via ERV übermittelt.

Mit Schriftsatz der Kanzlei " römisch 40 Rechtsanwälte" vom 30.01.2024 wurde dem Bundesverwaltungsgericht zur Kenntnis gebracht, dass das Vollmachtsverhältnis mit dem Beschwerdeführer aufgelöst worden sei. Im Zuge einer telefonischen Erkundigung der erkennenden Richterin bei der Kanzlei " römisch 40 Rechtsanwälte" bestätigte diese, dass dem Beschwerdeführer die Ladung zur Verhandlung am 01.02.2024 übermittelt worden sei und dieser geäußert habe, selbständig zur Verhandlung zu kommen, jedoch ohne Rechtsbeistand.

Am 01.02.2024 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung abgehalten, zu der der Beschwerdeführer unentschuldigt nicht erschien, sodass die Rechtssache in seiner Abwesenheit erörtert werden musste.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt römisch eins. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatangehöriger von Marokko und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Er ist gesund und erwerbsfähig, zudem ist er ledig und hat keine Sorgepflichten. Seine Identität steht nicht fest.

Die Eltern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben, diverse Onkel und Tanten von ihm leben nach wie vor in Marokko.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sich der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2007 durchgehend in Österreich aufhält. Er ist melderechtlich nunmehr von 12.08.2021 bis 30.01.2023 an einer Obdachlosenadresse und seit 30.01.2023 mit einem Hauptwohnsitz im Bundesgebiet erfasst und ist infolge dessen jedenfalls von einem durchgehenden Inlandsaufenthalt seit 12.08.2021 auszugehen. Ansonsten war er zwischenzeitig in den Jahren 2007 bis 2008, 2010, 2013 bis 2015 und 2018 bis 2020 immer wieder ausschließlich in Justizanstalten und Polizeianhaltezentren gemeldet. Zwischen 07.11.2010 und 10.10.2013 sowie 05.11.2015 und 16.04.2018 scheint er exemplarisch überhaupt nicht im Melderegister auf. Seit rechtskräftiger Abweisung seines ersten Antrags auf internationalen Schutz mit Erkenntnis des damaligen Unabhängigen Bundesasylsenats vom 11.05.2007 bis zu seiner verfahrensgegenständlichen Asylantragstellung am 18.01.2023 kam ihm zu keinem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu.

In Österreich sowie auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten verfügt der Beschwerdeführer über keine maßgeblichen privaten oder familiären Anknüpfungspunkte. Er weist auch keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht auf. Insbesondere ist er nicht Mitglied eines Vereins oder einer sonstigen Organisation, spricht nur geringfügig Deutsch, hat keinen Nachweis über eine erfolgreich abgelegte Sprachprüfung erbracht und ging in Österreich auch zu keinem Zeitpunkt einer angemeldeten Erwerbstätigkeit nach. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er laut eigenen Angaben durch gelegentliche Schwarzarbeit, überdies trat er in der Vergangenheit mehrfach im Bereich der einschlägigen gewerbsmäßigen Suchtgiftkriminalität in Erscheinung.

Im Strafregister scheinen aktuell drei nicht getilgte Verurteilungen des Beschwerdeführers auf:

1. Mit Urteil des Landesgerichts römisch 40 vom 02.10.2015, Zl. römisch 40 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der versuchten Nötigung nach Paragraphen 15,, 105 Absatz eins, StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach Paragraph 83, Absatz eins, StGB, des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach Paragraphen 15, StGB, 27 Absatz eins, Ziffer eins, achter Fall und Absatz 3, SMG, des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach Paragraph 27, Absatz eins, Ziffer eins, erster und zweiter Fall SMG, sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach Paragraph 27, Absatz eins, Ziffer eins, erster und zweiter Fall SMG rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten, bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er am 26.02.2015 einen anderen mit gefährlicher Drohung zu einer Unterlassung, und zwar zur Abstandnahme der Verständigung des Polizeinotrufs, zu nötigen versuchte, indem er mit einem nicht aufgeklappten Klappmesser in der Hand diesem gegenüber äußerte, dass er ihn umbringen werde, sollte er die Polizei verständigen, und ihn zugleich am Körper verletzte, indem er ihm einen Kopfstoß gegen dessen Stirn versetzte, wodurch dieser eine Prellung erlitt. Darüber hinaus hatte er am 27.07.2015 einem abgesondert verfolgten Täter 4 Gramm brutto Marihuana (Wirkstoff Delta-9-THC und THCA) zu einem Preis von 45 Euro gewerbsmäßig zu überlassen versucht und selbst 17,6 Gramm brutto Marihuana erworben und besessen, ebenso wie er bereits am 01.06.2015 39,4 Gramm brutto Marihuana erworben und besessen hatte. Als mildernd wurden im Rahmen der Strafbemessung der bisher ordentliche Lebenswandel des Beschwerdeführers sowie der Umstand, dass er sich nicht gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe gestellt hatte, gewertet, während erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen berücksichtigt wurde.

2. Mit Urteil des Landesgerichts römisch 40 vom 15.06.2018, Zl. römisch 40 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach Paragraph 27, Absatz eins, Ziffer eins, achter Fall, Absatz 3, SMG sowie des Vergehend der Hehlerei nach Paragraph 164, Absatz eins und 2 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Monaten, hiervon zehn Monate bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er Marihuana mit einem durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von zumindest 4,6% THCA und 0,4% Delta-9-THC (ab der dritten Tat) gewerbsmäßig anderen überließ, und zwar von 21.11.2017 bis 20.03.2018 einem abgesondert verfolgten Täter in zumindest fünf Angriffen insgesamt zumindest 75 Gramm um 10 Euro pro Gramm, im Zeitraum Herbst 2016 bis 16.04.2017 einem abgesondert verfolgten Täter insgesamt zumindest 4 Gramm um 10 Euro pro Gramm, im Zeitraum Frühjahr 2016 bis 16.04.2017 einem abgesondert verfolgten Täter zumindest 11 Gramm um 10 Euro pro Gramm, sowie einem namentlich bekannten Abnehmer im März 2017 10 Gramm um insgesamt 100 Euro. Darüber hinaus hatte er zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt zwischen 19.03.2018 und 16.04.2018 gestohlene Kleidungsstücke im Wert von 869,20 Euro von einem unbekannten Täter um 250 Euro gekauft. Als mildernd wurden im Rahmen der Strafbemessung das teilweise reumütige Geständnis sowie die teilweise Schadensgutmachung gewertet, erschwerend wurden hingegen die einschlägige Vorstrafe, die Tatbegehung während offener Probezeit sowie das Zusammentreffen zweier Vergehen berücksichtigt. Zugleich wurde mittels Beschluss die Probezeit im Hinblick auf die erste Verurteilung des Beschwerdeführers auf fünf Jahre verlängert.

3. Mit Urteil des Landesgerichts römisch 40 vom 22.07.2019, Zl. römisch 40 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach Paragraph 27, Absatz eins, Ziffer eins, achter Fall, Absatz 3,, Absatz 5, SMG, sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach Paragraph 27, Absatz eins, Ziffer eins, erster und zweiter Fall SMG rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er im Zeitraum von 03.12.2018 bis 25.04.2019 im Rahmen von insgesamt sieben Angriffen vier namentlich Bekannten und zwei unbekannten Suchtgiftabnehmern gewerbsmäßig insgesamt 678 Gramm Cannabiskraut (beinhaltend THCA und Delta-9-THC) zu einem Grammpreis von 10 Euro gewinnbringend verkaufte und zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bis zum 25.04.2019 100,69 Gramm Cannabiskraut erwarb und besaß, wobei er selbst an Suchtmittel gewöhnt war und die strafbaren Handlungen vorwiegend deswegen beging, um sich selbst Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen. Als mildernd wurden im Rahmen der Strafbemessung die grundsätzlich geständige Verantwortung des Beschwerdeführers sowie die Sicherstellung eines Teils des Suchtgiftes gewertet, während erschwerend der lange Deliktszeitraum, sein Rückfall innerhalb offener Probezeit sowie seine zwei einschlägigen Vorstrafen berücksichtigt wurden. Zugleich wurde mittels Beschluss die dem Beschwerdeführer in Bezug auf seine erste Verurteilung gewährte bedingte Strafnachsicht sowie die ihm hinsichtlich seiner zweiten Verurteilung gewährte bedingte Haftentlassung widerrufen und die Probezeit im Hinblick auf seine zweite Verurteilung auf fünf Jahre verlängert.

Zuletzt verbüßte der Beschwerdeführer von 26.04.2019 bis 09.06.2020 in österreichischen Justizanstalten eine Strafhaft.

1.2. Zum Fluchtvorbringen und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist in Marokko nicht aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Sahrauis oder seiner Herkunft aus dem Gebiet der Westsahara der Gefahr einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt und kann er sich einer befürchteten Zwangsrekrutierung durch die Frente Polisario, deren Einflussbereich sich ausschließlich auf das Gebiet der Westsahara beschränkt, jederzeit durch eine ihm auch zumutbare Relokation in einen anderen Landesteil entziehen.

Es besteht auch keine reale Gefahr, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Marokko einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Gemäß Paragraph eins, Ziffer 9, HStV (Herkunftsstaaten-Verordnung) gilt Marokko als sicherer Herkunftsstaat.

Zur aktuellen Lage in Marokko werden folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Marokko ist eine islamisch legitimierte Monarchie mit konstitutionellen und demokratischen Elementen. Die zentralen politischen Vorrechte und die Führung des Landes liegen bei König Mohammed römisch VI. (AA 28.6.2023; vergleiche AA 22.11.2022, USDOS 20.3.2023). Die Verfassung belässt maßgebliche exekutive Reservat- und Gestaltungsrechte beim König. Er steht über den Staatsgewalten und ist staatsrechtlicher Kontrolle entzogen. In Bezug auf die Königsmacht bringt die Verfassung nur eine Abschwächung der absolutistischen Stellung, aber keinen Bruch mit dem bisherigen politischen System an sich (ÖB 8.2021).

Seit der Reform der Verfassung aus dem Jahr 2011 wird die Regierung jedoch durch das Parlament gebildet (AA 28.6.2023). Diese Reformen haben die Autorität über die Regierung teilweise vom Monarchen zur gewählten Legislative verschoben. Marokko führt regelmäßig Wahlen in einem parlamentarischen Mehrparteiensystem durch (FH 2023). Das Parlament wurde als Gesetzgebungsorgan durch die Verfassung aus dem Jahr 2011 aufgewertet, und es ist eine spürbare Verlagerung des politischen Diskurses in die Volksvertretung hinein erkennbar. Neu ist die Einführung einer regionalen Staatsebene mit demokratisch gewählten Institutionen und gestärkter Selbstverwaltung, die im Zuge des Jahres 2015 mit zahlreichen Wahlgängen konkret Gestalt angenommen hat (ÖB 8.2021). Dennoch verfügt König Mohamed römisch VI. durch formale Machtbefugnisse sowie informelle Einflussmöglichkeiten in Staat und Gesellschaft über eine dominante Stellung (FH 2023).

Die Wahlen vom 8.9.2021 in Marokko brachten dem politischen Islam hohe Verluste – teils durch schlechte Performance der konservativ-islamischen PJD [Le parti de la justice et du développement] in der Regierung, aber auch durch eine sehr erfolgreiche und innovative Kampagne von Parteichef und jetzigem Premierminister (PM) Akhannouch. Einen Monat nach der Parlamentswahl wurde das neue marokkanische Kabinett PM Akhannouch von König Mohammed römisch VI. am 7.10.2021 offiziell ernannt. Politisch basiert es auf der liberalkonservativen Koalition RNI-PAM-Istiqlal, die mit 270 von 395 Sitzen über eine 2/3-Mehrheit verfügt. Faktisch handelt es sich – mit Ausnahme der drei Parteiführer – um eine palastnahe Expertenregierung. Dieser neuen Regierungskoalition steht nach dem Absturz der PJD keine substantiell starke Opposition im Parlament mehr gegenüber (AA 22.11.2022).

Der König formulierte gegenüber Regierung und Parlament im Oktober 2021 drei „strategische Prioritäten“: (i.) Konsolidierung marokkanischer Souveränität und Verteidigung übergeordneter Interessen, (ii.) Management der COVID-19-Pandemie und ökonomische Erholung, (iii.) Operationalisierung des neuen Entwicklungsmodells und Reform der sozialen Sicherung (AA 22.11.2022).

Die Verwaltungsstrukturen sind vornehmlich zentralistisch. Marokko ist in 12 Regionen unterteilt, die sich ihrerseits in 62 Provinzen und 13 Präfekturen untergliedern. Hierin ist auch die Westsahara enthalten, die Marokko als integralen Teil seines Territoriums betrachtet, was international jedoch nicht anerkannt wird (AA 28.6.2023).

Die Judikative wird in der Verfassung 2011 als unabhängige Staatsgewalt gleichberechtigt neben Legislative und Exekutive gestellt. Das System der checks und balances als Ergänzung zur Gewaltenteilung ist dennoch vergleichsweise wenig ausgebildet (ÖB 8.2021).

Am 24.8.2021 sind die diplomatischen Beziehungen zwischen Algerien und Marokko aufgrund von Spannungen zwischen den beiden Ländern seitens Algerien abgebrochen worden (Reuters 25.8.2021). Auslöser war u. a., dass Marokko die interne Krise in Algerien ausgenutzt hat, um in den letzten Jahren Erfolge im Bereich der Westsahara-Frage zu verbuchen - etwa den Beitritt zur Afrikanischen Union (AU) 2017 und die Anerkennung der marokkanischen Souveränität über die Westsahara durch die USA. Die im Zuge dieser Anerkennung erfolgte Normalisierung der marokkanischen Beziehungen zu Israel hat Algerien ebenfalls unter Druck gesetzt. Gleichzeitig interpretierte Algerien einige marokkanische Äußerungen der jüngeren Vergangenheit als „feindliche Aktionen“. Dies gilt etwa für die Forderung eines marokkanischen Diplomaten nach Selbstbestimmung für die algerischen Kabylen. Algerien hat Gaslieferungen nach Marokko via Maghreb-Europa-Gaspipeline ebenfalls am 1.11.2021 eingestellt (ACWDC 4.11.2021). Am 1.11.2021 wurden darüber hinaus drei algerische Staatsbürger im umstrittenen Territorium der Westsahara bei einem Drohnenangriff getötet. Die rhetorischen Spannungen zwischen Algerien und Marokko sind in der Folge weiter angestiegen (MEI@75 10.11.2021). Algerien hat Gaslieferungen nach Marokko via Maghreb-Europa-Gaspipeline ebenfalls am 1.11.2021 eingestellt (MEI@75 10.11.2021; vergleiche ACWDC 4.11.2021) und liefert Gas nur noch nach Spanien (ACWDC 4.11.2021). Die Lage kann als regionaler Kalter Krieg bezeichnet werden, diplomatische Bemühungen von beiden Seiten sind nötig, um militärische Konfrontationen zu vermeiden (MEI@75 10.11.2021), die jedoch als unwahrscheinlich gelten. Die gegenwärtigen diplomatischen Spannungen zwischen Algerien und Marokko hingegen könnten Jahrzehnte dauern (ACWDC 4.11.2021). Mit dem seit November 2020 eskalierten Konflikt in der Westsahara zwischen der marokkanischen Armee (FAR) und der Frente Polisario (AI 27.3.2023), wurde der Waffenstillstand beendet (HRW 12.1.2023) und es kommt immer wieder zu einzelnen Gefechten und Luftangriffen (AA 22.11.2022). Im Juni 2022 hat Spanien die marokkanische Souveränität über die Westsahara anerkannt (DW 9.6.2022; vergleiche AI 27.3.2023). Algerien reagierte mit der Aussetzung eines Freundschaftsabkommens und einem Verbot für algerische Banken, mit spanischen Banken Geschäfte zu machen. Gaslieferungen waren nicht betroffen (DW 9.6.2022). Von der EU-Kommission wurde dieser Zug begrüßt, von der Polisario hingegen verurteilt (DW 23.3.2022). Der algerische Präsident Tebboune äußerte im März 2023, dass er wenig Hoffnung auf eine positive Entwicklung des Konflikts hat. Die Beziehungen zwischen Algerien und Marokko sind weiterhin schlecht (MP 22.3.2023). Am 27.10.2022 wurde die UN-Mission für das Referendum in der Westsahara erneuert, ihr fehlt aber noch ein Menschenrechtsmandat (AI 27.3.2023; vergleiche USDOS 21.3.2023). Menschenrechtsorganisationen haben immer noch keinen Zugang zur Westsahara (AI 27.3.2023). In seiner Ansprache an die Nation, am 29.7.2023, dem Jahrestag seiner Thronbesteigung, betonte Mohammed römisch VI. den Wunsch einer Rückkehr zur Normalität mit Algerien. Der Schlüssel zu dieser Normalisierung liegt insbesondere in der Wiedereröffnung der Grenze, die seit 1994 geschlossen ist. Dies ist ein wichtiger Schritt, vor allem nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Algerien und Marokko im August 2021. Algier beschuldigte Rabat, "feindliche Handlungen" zu begehen. Diese Anschuldigungen wurden vom Königreich als "völlig ungerechtfertigt" angesehen. Seitdem werden die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarn durch eine regionale Rivalität angeheizt, die durch ihren Antagonismus in Bezug auf die Westsahara verschärft wird (JA 1.8.2023). Ein weiterer Vorfall ereignete sich im April 2022, als Algerien die marokkanische Luftwaffe beschuldigte, bei einem Angriff auf einen zivilen Lastwagenkonvoi nahe der mauretanischen Grenze drei weitere Menschen getötet zu haben. In jüngster Zeit hat ein Anschlag in der von Marokko kontrollierten Westsahara das Potenzial für eine weitere militärische Eskalation aufgezeigt. Am 20.5.2023 wurde Berichten zufolge ein Bombenanschlag auf einen Abschnitt eines 100 Kilometer langen Förderbandes verübt, das von Marokko für den Export von Phosphaten aus einer tief in der Westsahara gelegenen Mine an die Küste genutzt wird. Marokkanische und propolisarische Medien berichteten nicht über diesen Vorfall, aber die pro-polisarische NGO Sahara Resource Watch veröffentlichte eine Reihe von Videos, die die Behauptung unterstützen, dass der Vorfall stattgefunden hat (ISPI 31.7.2023). Laut Sahara Resource Watch [Western Sahara Resource Watch], ereignete sich der Vorfall am 20.5.2023, obwohl die NGO bis heute keine Möglichkeit hatte, die Authentizität der erhaltenen Videos zu überprüfen, hält sie aber für glaubwürdig (WSRW 26.5.2023) Die Tatsache, dass keine der beiden Seiten den angeblichen Vorfall publik gemacht hat, deutet zwar auf ein gemeinsames Interesse daran hin, eine Eskalation zum jetzigen Zeitpunkt zu vermeiden, doch diese Art von Angriff deutet auf die Möglichkeit einer neuen, gefährlicheren Phase des Konflikts hin, sollte es der Diplomatie nicht gelingen, die Spannungen einzudämmen (ISPI 31.7.2023).

Quellen:

▪             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2023): Marokko – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/politischesportrait/224120, Zugriff 8.8.2023

▪             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.7.2023

▪             ACWDC - Arab Center Washington DC (4.11.2021): Western Sahara Figures Prominently in Algeria- Morocco Tensions, https://arabcenterdc.org/resource/western-sahara-figures-prominently-inalgeria-morocco-tensions/, Zugriff 8.8.2023

▪             AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Morocco And Western Sahara 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089568.html, Zugriff 11.4.2023

▪             DW - Deutsche Welle (9.6.2022): Neue Spannungen im Dauerkonflikt um Westsahara, https://www.dw.com/de/neue-spannungen-im-dauerkonflikt-um-westsahara/a-62079174, Zugriff 8.8.2023

▪             DW - Deutsche Welle (23.3.2022): Nordafrika-Kehrtwende in Spaniens Westsahara-Politik, https://www.dw.com/de/kehrtwende-in-spaniens-westsahara-politik/a-61211839, Zugriff 8.8.2023

▪             FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 –Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

▪             HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2085478.html, Zugriff 11.4.2023

▪             ISPI – Italian Institute for international political studies (31.7.2023): The Western Sahara conflict: A fragile path to negotiations, https://www.ispionline.it/en/publication/the-western-sahara-conflicta-fragile-path-to-negotiations-137512, Zugriff 1.8.2023

▪             JA - Jeune Afrique (1.8.2023): Ce que le Maroc et l’Algérie gagneraient à l’ouverture de la frontière, https://www.jeuneafrique.com/1469064/economie-entreprises/ouverture-de-lafrontiere-maroc-algerie-une-aubaine-pour-le-business/, Zugriff 2.8.2023

▪             MEI@75 / Zine Labidine Ghebouli (10.11.2021): Algeria-Morocco tensions: The onset of a regional cold war, https://www.mei.edu/publications/algeria-morocco-tensions-onset-regional-cold-war, Zugriff 8.8.2023

▪             MP - Maghreb Post (22.3.2023): Algerien - Präsident nennt Beziehungen zu Marokko unumkehrbar, https://www.maghreb-post.de/algerien-praesident-nennt-beziehungen-zu-marokkounumkehrbar/,Zugriff 10.5.2023

▪             Reuters (25.8.2021): Algeria cuts diplomatic relations with Morocco, https://www.reuters.com/world/algeria-says-cutting-diplomatic-ties-with-morocco-2021-08-24/, Zugriff 8.8.2023

▪             USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

▪             WSRW - Western Sahara resource watch (26.5.2023): Bomb destroys phosphate conveyor belt, https://wsrw.org/en/news/bomb-destroys-phosphate-conveyor-belt, Zugriff 1.8.2023

Sicherheitslage

Marokko kann grundsätzlich als stabiles Land betrachtet werden (EDA 9.5.2023). Das französische Außenministerium rät bis auf einige Regionen zu normaler Aufmerksamkeit im Land. In den Grenzregionen zu Algerien wird zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten (FD 6.6.2023). Die Grenze zu Algerien ist seit 1994 geschlossen (AA 8.6.2023; vergleiche BMEIA 5.6.2023). Für die Grenzregionen zu Mauretanien in der Westsahara besteht eine Reisewarnung (AA 8.6.2023; vergleiche FD 6.6.2023, BMEIA 5.6.2023); zudem besteht eine Bedrohung durch Minen und nicht-detonierte Kampfmittel (AA 8.6.2023; vergleiche BMEIA 5.6.2023). Die Grenzregion zu Mauretanien ist zum Großteil vermint. Der einzig offene Grenzübergang nach Mauretanien Guerguarat/Nouadhibou (Grenzposten PK 55) führt über eine Sandpiste durch vermintes Gebiet. Die Durchfahrt des Bereichs zwischen den beiden Grenzposten wird immer wieder durch wegelagernde Personen erschwert (Anhaltungen, Geldforderungen). Weder die marokkanischen noch mauretanischen Behörden verfügen dort über Exekutivrechte. Aufgrund der Aktivitäten durch die Terrororganisation Al Qaida in der benachbarten Sahelregion und in Westafrika besteht auch in Marokko ein gewisses Risiko (BMEIA 5.6.2023).

In der Region Tanger-Tetouan-Al Hoceima – vor allem im Rif-Gebirge – herrscht aufgrund sozialer Konflikte eine angespanntere Situation als im Rest des Landes. Die Kriminalitätsrate ist infolge des Rauschgifthandels sehr hoch. Es besteht ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (BMEIA 5.6.2023; vergleiche AA 8.6.2023).

Marokko kann als sicheres Land angesehen werden, nicht nur in Bezug auf Terrorismus. Ausnahme bildet nur die Westsahara, wo es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen marokkanischen Truppen und der POLISARIO (Frente Popular para la Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro - Volksfront zur Befreiung von Saguía el Hamra und Río de Oro) kommt. Der letzte größere Terroranschlag fand im Jahr 2011 statt. 2018 gab es bei Morden mit mutmaßlich terroristischem Hintergrund zwei, im Jänner 2022 ein weiteres Todesopfer und einen Verletzten, im Dezember 2022 nochmals einen Toten. Die Bedrohung durch den Extremismus ist jedenfalls gegeben; es ist vor allem der Effektivität der Exekutive im Bereich der Terrorismusbekämpfung zu danken, dass terroristische Gruppen kaum aktiv werden können. Die Behörden, hier vor allem das Bureau central d‘investigation judiciaire (BCIJ), sind effektiv beim Erkennen und Verhindern potenzieller terroristischer Bedrohungen durch rechtzeitiges Ausheben von Terrorzellen. Es kommt zu zahlreichen Verhaftungen von Terrorverdächtigen. Im Jahresvergleich 2021 zu 2022 kann eine weitere Verbesserung festgestellt werden, trotz kleinerer Vorfälle – dies zeigt auch die Auswertung des Global Terrorism Index der entsprechenden Jahre (STDOK 11.4.2023).

Demonstrationen und Protestaktionen sind jederzeit im ganzen Land möglich. Vereinzelte gewalttätige Auseinandersetzungen können dabei nicht ausgeschlossen werden (EDA 9.5.2023; vergleiche BMEIA 5.6.2023). In den größeren Städten ist fallweise mit Demonstrationen und Ausschreitungen zu rechnen (BMEIA 5.6.2023; vergleiche AA 8.6.2023). Proteste entzünden sich meist an wirtschaftlichen und sozialen Missständen (AA 8.6.2023).

Es kann zu Taschendiebstählen und Raubüberfällen kommen (BMEIA 5.6.2023).

Partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für Reisen in das Landesinnere des völkerrechtlich umstrittenen Territoriums der Westsahara und in entlegene Saharazonen Südmarokkos. Insbesondere vor der unmittelbaren Grenzregion zu Algerien, wird gewarnt (BMEIA 5.6.2023; vergleiche AA 8.6.2023). Von Reisen in das Gebiet der Westsahara wird dringend abgeraten (AA 28.6.2023; vergleiche EDA 9.5.2023). Das völkerrechtlich umstrittene Gebiet der Westsahara erstreckt sich südlich der marokkanischen Stadt Tarfaya bis zur mauretanischen Grenze. Es wird sowohl von Marokko als auch von der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario beansprucht. Die United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara MINURSO überwacht den Waffenstillstand zwischen den beiden Parteien. Auf beiden Seiten der Demarkationslinie (Sandwall) sind diverse Minenfelder vorhanden. Seit November 2020 haben die Spannungen in der Westsahara zugenommen. In El Guerguerat an der Grenze zu Mauretanien und entlang der Demarkationslinie ist es wiederholt zu Scharmützeln zwischen marokkanischen Truppen und Einheiten der Frente Polisario gekommen, die manchmal zivile Opfer fordern. Mit weiteren Ereignissen dieser Art muss gerechnet werden (EDA 9.5.2023).

Quellen:

▪             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.6.2023): Marokko: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertigesamt.de/de/ReiseUndSicherheit/marokkosicherheit/224080, Zugriff 8.8.2023

▪             BMEIA - Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (5.6.2023): Reiseinformation Marokko (Königreich Marokko), https://www.bmeia.gv.at/reiseservices/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 8.8.2023

▪             EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (9.5.2023): Reisehinweise für Marokko, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/marokko/reisehinweise-fuermarokko.html#eda0aa0c9, Zugriff 8.8.2023

▪             FD - France Diplomatie [Frankreich] (6.6.2023): Maroc, Entrée/Séjour, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-paysdestination/maroc/#securite, Zugriff 8.8.2023

▪             STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (11.4.2023): Themenbericht intern: Nordafrika - Terrorismus in Ägypten, Libyen, Marokko und Tunesien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Westsahara

Der Konflikt zwischen Marokko und der für die Unabhängigkeit eintretenden Frente Polisario begann 1975 mit dem Rückzug Spaniens aus seiner ehemaligen Kolonie Sahara, die später als Westsahara bekannt wurde. Nach dem Abzug Spaniens teilten Marokko und Mauretanien das Gebiet auf. Die Polisario-Front führte mit Unterstützung Algeriens einen bewaffneten Kampf zur Befreiung des Gebiets von beiden Ländern (ICG 20.7.2023). Die Führung der Frente Polisario gründete in den späten 1970er Jahren eine Regierung und die Demokratische Arabische Republik Sahara (SADR) im algerischen Exil und hat ihre Bestrebungen für eine unabhängige Westsahara weitgehend aus dem Exil heraus fortgesetzt (Manara 16.2.2023). Im Jahr 1979 zog sich Mauretanien zurück und überließ die Westsahara der marokkanischen Kontrolle. Im Laufe der Zeit festigte Rabat seine Kontrolle über den größten Teil dieses Gebiets durch den Bau einer Barriere, der sogenannten "Sandberme", während die Polisario die Kontrolle über die restlichen 20 % behielt, die sie als "befreites Gebiet" bezeichnet (ICG 20.7.2023).

In Ermangelung einer Verhandlungslösung legte Marokko 2007 einen Autonomievorschlag vor, der das gesamte umstrittene Gebiet unter der Kontrolle Rabats belassen und gleichzeitig den Saharauis ein gewisses Maß an Selbstverwaltung einräumen sollte. Frankreich und die USA unterstützten den Vorschlag, aber die Frente Polisario lehnte diesen mit der Begründung ab, dass der Vorschlag das Recht der lokalen Bevölkerung auf Selbstbestimmung negiere (ICG 20.7.2023).

Diese militärische Pattsituation bereitete den Boden für einen von den Vereinten Nationen vermittelten Einigungsplan im Jahr 1991, der einen Waffenstillstand, eine Pufferzone, die die Westsahara entlang der Sandbucht teilte, und Bestimmungen für ein Referendum über die Selbstbestimmung des gesamten Gebiets vorsah. Außerdem wurde eine UN-Mission – MINURSO - eingerichtet, die den Waffenstillstand überwachen und die Volksabstimmung organisieren sollte. Der Plan führte jedoch nicht zu einer Lösung des Konflikts. Das Referendum fand nie statt, und auch die nachfolgenden Gespräche brachten keine nennenswerten Fortschritte (ICG 20.7.2023). Der Westsaharakonflikt tritt seit Jahrzehnten auf der Stelle. Die zahlreichen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates und der UN-Generalversammlung werden von beiden Seiten vom jeweiligen Standpunkt interpretiert (ÖB 8.2021).

Das Volk der Sahraui ist heute in vier geografisch verstreute Gruppen zersplittert: diejenigen, die in dem von Marokko besetzten Gebiet leben, diejenigen, die in den von der Frente Polisario kontrollierten Gebieten wohnen, diejenigen, die in Flüchtlingslager in Algerien geflohen sind, und die saharauische Diaspora in anderen Teilen der Welt, hauptsächlich in Europa. 2014 veröffentlichten Daten zufolge sind von den 530.000 Einwohnern des von Marokko besetzten Gebiets in der Westsahara 180.000 (34 %) Angehörige des marokkanischen Militärs, 245.000 sind marokkanische Zivilisten (46 %) und 105.000 gehören zum Volk der Saharaui (20 %). Marokko hat eine Anreiz-Politik betrieben, um Marokkaner zu ermutigen, sich in der Westsahara niederzulassen, indem neue Häuser gebaut und Arbeitsplätze angeboten wurden. Diese Strategie hatte einen großen Einfluss auf die soziale und demografische Entwicklung und Zusammensetzung der Bevölkerung im von Marokko besetzen Gebiet und hat dazu geführt, dass die Sahrauis zu einer Minderheit in ihrem eigenen Land geworden sind. Ihre Präsenz im besetzen Territorium ist auf bestimmte Gebiete und Stadtteile beschränkt (bpb 29.3.2021).

Eine Reihe von diplomatischen Ereignissen in den Jahren 2019 und 2020 ebnete den Weg für die jüngsten Kämpfe. Einige Länder vor allem aus der arabischen Welt und Afrika, eröffneten in dieser Zeit Konsulate in der von Marokko kontrollierten Westsahara, womit sie die Souveränität Rabats über das gesamte Gebiet implizit anerkannten. Inmitten dieser zunehmenden Spannungen brach der Waffenstillstand von 1991 im November 2020 zusammen. Die Kämpfe zwischen den beiden Seiten brachen aus, und Rabat eroberte einen Teil der UN-Pufferzone bei Guerguerat (ICG 20.7.2023).

Die Anerkennung der Souveränität Marokkos‘ über die Westsahara durch die USA im Dezember 2020 im Zuge eines Abraham Abkommens (bei Zusage der Normalisierung der Beziehungen Marokko-Israel) erzeugte eine neue Dynamik. Marokko tritt seither selbstbewusster auf und versucht, andere Staaten dazu zu bewegen, sich diesem Schritt anzuschließen. Marokko sieht die Zukunft im Verhandeln einer Autonomielösung, wobei es Verhandlungen mit der Frente Polisario, die sich aus marokkanischer Sicht desavouiert hat, möglichst vermeiden möchte. Die Eröffnung von Konsulaten von großteils mit Marokko befreundeten afrikanischen Staaten in der Westsahara und die Zusage der Eröffnung eines Büros der USA sieht Marokko als Anzeichen einer Welle der Anerkennung der marokkanischen Souveränität. Die Polisario bzw. die kritischen Staaten lehnen diesen Ansatz ab (ÖB 8.2021). Die Wiederaufnahme der Kämpfe zwischen der Polisario und Marokko im November 2020 nach einer 29-jährigen Pause hat die Entvölkerung der so genannten "befreiten Gebiete" beschleunigt, d.h. der 20 % der Westsahara, die von der Polisario östlich der als "Berme" bekannten militarisierten Sandmauer kontrolliert werden (TNH 17.5.2023).

Am 13.11.2020 rückten Rund 1.000 marokkanische Soldaten in den UN-überwachten Guerguerat-Pufferstreifen, was einen Verstoß gegen das Waffenstillstandsabkommen von 1991 darstellt. Das Ende des jahrzehntealten Waffenstillstandes zwischen Marokko und der für die Unabhängigkeit eintretenden Polisario weckte die Sorge, dass der lange eingefrorene Konflikt wieder aufflammen könnte. Die Polisario beschuldigte marokkanische Sicherheitskräfte, auf Zivilisten geschossen zu haben, die friedlich demonstriert hatten, und erklärte das Ende des Waffenstillstands und die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten. Die marokkanische Regierung wies die Anschuldigungen sofort zurück und bekräftigte ihre Verpflichtung zur Waffenruhe. In den darauffolgenden Tagen griffen die Truppen der Polisario verschiedene Militärposten entlang der Ost-West-Sandbank an, die das von Marokko kontrollierte Gebiet der Westsahara von dem von der Arabischen Demokratischen Republik Sahara kontrollierten Gebiet trennt; die Zahl der Toten ist unbekannt. Die UN-Mission in der Westsahara bestätigte am 16.11.2020, dass sich die gegnerischen Seiten in den vorangegangenen Tagen einen Schlagabtausch geliefert hatten. Gewalt auf niedrigem Niveau hielt den ganzen November über an (ICG 3.12.2020).

Marokko und Israel haben 2021 nach 20 Jahren wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen (BAMF 15.2.2021). Algerien hat im August 2021 seine diplomatischen Beziehungen zu Marokko unter Hinweis auf eine feindselige marokkanische Politik in verschiedenen Bereichen (u. a. auch Aufbringen der Frage einer Autonomie der Kabylen in Algerien) abgebrochen (ÖB 8.2021).

Bei ihrem ersten offiziellen Besuch in Marokko erklärte die Innenministerin Israels, Ayelet Shaked, am 21.6.2022, dass Israel die Souveränität Marokkos über die Westsahara anerkenne, und erklärte, dass Israel beabsichtige, Marokkanern die Möglichkeit zu geben, in Israel im Bau- und Pflegebereich zu arbeiten. Es war das erste Mal, dass ein israelischer Minister öffentlich die Unterstützung des Landes für die marokkanische Souveränität über die Westsahara zum Ausdruck brachte (Al-Monitor 22.6.2022). Im Juli 2022 war auch der erste Besuch des israelischen Armeechefs, Generalleutnant Aviv Kochavi in Marokko. Der Besuch des IDF-Chefs Aviv Kochavi in Rabat ist Ausdruck der Annäherung zwischen den beiden Ländern im Bereich der regionalen Sicherheitszusammenarbeit. Kochavi wird vom Leiter der Abteilung für nachrichtendienstliche Forschung des Militärs, Brigadegeneral Amit Saar, begleitet, was vielleicht auf die Vertiefung der militärischen und nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern hinweist. Israel könnten sich nach westlichen Einschätzungen als hilfreich in Marokkos laufendem Konflikt mit Algerien und den Polisario-Rebellen um die Westsahara erweisen (Al-Monitor 19.7.2022). Am 1.2.2023 zeigten Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude in Rabat ihre Unterstützung für Palästina und protestierten gegen die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen Marokko und Israel. Sie befürchten, ihre nationale Souveränität zu verlieren, und nannten Israel einen Kolonialstaat (BAMF 6.2.2023).

Fast zweieinhalb Jahre nach der Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA, Israel und Marokko, die die Wiederaufnahme und Festigung der Beziehungen zwischen den drei Ländern markierten, hat der hebräische Staat nun die Souveränität des Königreichs über die Westsahara anerkannt (JA 17.7.2023). Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat Marokkos König Mohammed römisch VI. in einem Brief über die Entscheidung Israels informiert, "die Souveränität Marokkos" über das rohstoffreiche Wüstengebiet anzuerkennen, teilte der Königshof in Rabat am Montag, den 17.7.2023 mit (Zeit 18.7.2023; vergleiche Reuters 17.7.2023). Eine dem Palast nahestehende Person betont, dass das eine wichtige Entscheidung ist, ein weiteres Zeichen für die Entwicklung der israelisch-marokkanischen Zusammenarbeit, die israelische Investitionen in den südlichen Provinzen, aber auch Investitionen aus anderen Ländern im Allgemeinen, erleichtern und fördern wird (JA 17.7.2023). Das lang erwartete Schreiben erklärte Netanjahu, die Position seines Landes werde "in allen einschlägigen Handlungen und Dokumenten der israelischen Regierung" berücksichtigt (Zeit 18.7.2023; vergleiche JA 17.7.2023). Der israelische Außenminister Eli Cohen erklärte, die Ankündigung des Premierministers werde "die Beziehungen zwischen den Ländern und zwischen den Völkern sowie die Fortsetzung der Zusammenarbeit zur Vertiefung des regionalen Friedens und der Stabilität stärken" (Reuters 17.7.2023).

Israel werde seine Entscheidung der UN, internationalen Organisationen und allen Ländern übermitteln, mit denen das Land diplomatische Beziehungen unterhält. Netanjahu erklärte zudem, Israel prüfe positiv die "Eröffnung eines Konsulats in der Stadt Dakhla" im marokkanischen Teil der Westsahara. Marokko möchte, dass seine Verbündeten diplomatische Vertretungen in der Westsahara eröffnen – als Anerkennung der Zugehörigkeit des Gebiets zu dem Königreich (Zeit 18.7.2023; vergleiche JA 17.7.2023). Nur zwei Tage nachdem Israel die marokkanische Souveränität über die Westsahara anerkannt hatte, lud König Mohammed römisch VI. Premierminister Benjamin Netanjahu zu einem Besuch ein. Die Einladung erfolgte in einem herzlichen persönlichen Brief, in dem der König dem Staat Israel für seine Bereitschaft dankte, die marokkanische Souveränität über die Westsahara anzuerkennen. Weiter heißt es, dass der Besuch neue Möglichkeiten zur Stärkung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern eröffnen wird und dass der israelische nationale Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi und der marokkanische Außenminister Nasser Bourita im Anschluss an die Einladung vereinbart haben, einen zeitnahen Termin für den Besuch zu koordinieren. Die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich (Waffenverkäufe, nachrichtendienstliche und militärische Zusammenarbeit) hat in den letzten zwei Jahren nach der Unterzeichnung eines Abkommens über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich im November 2021 besonders zugenommen. Der erste israelische Militärattaché in Marokko wurde bereits im Juli 2023 ernannt. Allerdings haben die beiden Länder noch keine vollwertigen Botschaften eröffnet, sondern nur Interessenvertretungen (Al-Monitor 19.7.2023).

Das algerische Außenministerium regierte am 20.7.2023 mit einer Erklärung auf die bestätigte Anerkennung des marokkanischen Hoheitsgebiet auf die Westsahara durch Israel und nannte dies "ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht und die Resolution des Sicherheitsrates" der in keiner Weise "das unveräußerliche Recht des saharauischen Volkes auf Selbstbestimmung infrage stellen kann". Der marokkanische Außenminister Nasser Bourita reagierte auf die Erklärung aus Algier und forderte Algerien dazu auf, an den von der UNO geführten Friedensprozess wieder teilzunehmen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren (MP 21.7.2023).

In der Zwischenzeit schlug Spaniens Premierminister Pedro Sánchez eine Kehrtwende ein. Spanien betrachtet die von Marokko 2007 präsentierte Autonomieinitiative nun als die seriöseste, realistischste und glaubwürdigste Grundlage zur Lösung des Streits, und wendet sich von seiner bisherigen Position ab, der zufolge der Westsahara-Konflikt im Rahmen der UNO zu lösen sei. Zudem folgt Spanien mit der Erklärung jenem Kurs, den 2020 der damalige US-Präsident Donald Trump eingeschlagen hatte, und erkannte die marokkanische Souveränität über die Westsahara an (DW 23.3.2022). Als autonome Region bliebe dann die frühere spanische Kolonie Teil Marokkos (FAZ 6.4.2022). Die EU-Kommission unterstützt die neue Position Spaniens. Die Polisario, die politisch-militärische Organisation der west-saharischen Befreiungsbewegung, verurteilte den Schritt hingegen (DW 23.3.2022).

In Algerien spricht man von Verrat und droht damit, den Gaspreis für Spanien zu erhöhen. Algier ist die Schutzmacht, der für die unabhängige Westsahara kämpfenden Polisario. Im Westsahara-Konflikt war der Bruderkrieg zwischen den beiden Maghreb-Staaten in den vergangenen Monaten gefährlich eskaliert (FAZ 6.4.2022). Am 8.6.2022 hatte die Regierung in Algier angekündigt, ein 20 Jahre altes Freundschaftsabkommen mit Madrid auszusetzen, um ihren Unmut über Spaniens veränderte Position gegenüber Marokko im Streit um die Westsahara deutlich zu machen. Einerseits unterhält Spanien enge Wirtschaftsbeziehungen mit Marokko und ist zudem auf die Zusammenarbeit mit den marokkanischen Behörden beim Grenzschutz angewiesen (Exklaven Ceuta und Melilla). Andererseits ist Spanien von algerischen Gaslieferungen abhängig. Algerien ist Spaniens wichtigster Gaslieferant (DW 9.6.2022).

Im Oktober 2022 hat der UN-Sicherheitsrat das Mandat der United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara (MINURSO) bis 31.10.2023 verlängert und dazu aufgerufen, die Gespräche im Sinne einer dauerhaften und beidseitig akzeptablen Lösung wieder aufzunehmen (BAMF 23.2.2023).

Die UN haben erstmals seit 2020 wieder einen Konvoi auf dem Landweg zu ihrer Friedensmission MINURSO in Westsahara geschickt. In der vergangenen Woche konnten so die Standorte Tifariti und Mehaires erreicht werden, laut UN-Generalsekretär António Guterres. Beide Gebiete liegen in dem Teil der Westsahara, der von der Frente Polisario kontrolliert wird. Die UN konnte seit Ende November 2020 aufgrund erneut ausgebrochener Konflikte die MINURSO-Blauhelme nur per Flugzeug oder Helikopter versorgen (DW 11.4.2023).

In der Westsahara-Frage enthielt sich Tunesien im Oktober 2021 in einem ungewöhnlichen Präzedenzfall bei der Abstimmung über die Resolution Nr. 2602 des UN-Sicherheitsrats, mit der das Mandat der UN-Mission für das Referendum in der Westsahara (MINURSO) um ein weiteres Jahr verlängert wurde. Marokko interpretierte die Stimmenthaltung Tunesiens als Abkehr von seiner seit langem verfolgten Politik der Neutralität im Westsahara-Konflikt (EPC 7.9.2022). Die darauffolgende Krise zwischen Marokko und Tunesien, die durch den Empfang am 26.8.2022 von Brahim Ghali, dem Vorsitzenden der Frente Polisario, in Tunis ausgelöst wurde, ist nur die jüngste Episode der Rivalität zwischen Algerien und Marokko, die durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Königreich und Israel noch verschärft wurde. Die Regierung Marokkos reagierte sofort, indem sie ihren Botschafter zurückrief und ankündigte, dass sie ihre Teilnahme am Gipfel absagen werde. Am nächsten Tag rief Tunesien ebenfalls seinen Botschafter zurück und erklärte, es handle in "Übereinstimmung mit den Resolutionen der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union", und fügte hinzu, dass "im Gegensatz zu dem, was in der marokkanischen Erklärung gesagt wurde, die République arabe sahraouie (RASD), eine direkte Einladung des Präsidenten der Afrikanischen Kommission erhalten hatte" (OI 5.9.2022).

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am 27.10.2022 die Resolution 2654 zur Sahara-Frage mit 13 Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen Russlands und Kenias verabschiedet. Diese Entscheidung wurde von Rabat begrüßt und von Algerien und der Polisario kritisiert. In der neuen Resolution wurden die meisten Parameter der politischen Lösung beibehalten und einige Anpassungen vorgenommen, um den jüngsten Entwicklungen Rechnung zu tragen und die Parteien unter Druck zu setzen, sich stärker für eine politische Lösung des Konflikts einzusetzen. Während Russland seine Enthaltung damit begründete, dass die US-Delegation, die den ursprünglichen Entwurf verfasst hatte, seine Änderungen nicht berücksichtigt hatte, begründete Kenia seine Enthaltung damit, dass sich die Resolution von der Logik des Selbstbestimmungsreferendums entfernt habe (PC 10.2022).

Am 13.1.2023 begann ein fünftägiger Kongress der Polisario Front. Der Kongress fand im Flüchtlingscamp der Sahraoui „Dakhla“ in Algerien (Dakhla ist eine Hafenstadt in der Westsahara), 175 km südlich von Tindouf statt, mehr als 2.200 Mitglieder der Bewegung und ca. 370 ausländische Gäste nahmen teil. Am 20.1.2023 wurde Brahim Ghali als Generalsekretär mit 69 % der Stimmen wiedergewählt. Sein Mitbewerber um den Posten, Béchir Mustapha, erhielt 31 % der Stimmen (BAMF 23.2.2023).

Nach Auffassung von Beobachtern sei die Bewegung innerlich in zwei Gruppen gespalten und stehe an einem Wendepunkt. Die Gruppe um Brahim Ghali (der von Algerien Unterstützung erhält) sehe nur die Fortsetzung des Kampfes als Lösung für das Erreichen der Unabhängigkeit der Westsahara. Die Gruppe um Béchir Mustapha sei für den Dialog mit Marokko und werfe der Gruppe um Ghali Korruption und Machtmissbrauch vor (BAMF 23.2.2023).

Im April 2022 beschuldigte Algerien die marokkanische Luftwaffe, bei einem Angriff auf einen zivilen Lastwagenkonvoi nahe der mauretanischen Grenze, drei Menschen getötet zu haben. Ein kürzlich erfolgter Anschlag in der von Marokko kontrollierten Westsahara hat das Potenzial für eine weitere militärische Eskalation aufgezeigt (ISPI 31.7.2023). Drohnenangriffe der marokkanischen Streitkräfte in der Westsahara, die sich angeblich gegen Kämpfer der Frente Polisario richten, zwingen immer mehr Menschen zur Flucht aus der Wüstenregion in Flüchtlingslager in Algerien oder in Städte an der mauretanischen Grenze (TNH 17.5.2023). In der Stadt und Provinz Boujdour in der Region Laayoune-Sakia El Hamra in der Westsahara schossen Soldaten auf eine Gruppe von 41 Personen, 33 Männer, neun Frauen, darunter eine Schwangere, und ein Mädchen, als diese mit einem Schlauchboot zu den spanischen Kanarischen Inseln aufbrechen wollten. Ein junger Mann aus Mali wurde getötet (TNA 23.5.2023).

Am 20.5.2023 wurde Berichten zufolge, ein Bombenanschlag auf einen Abschnitt eines 100 Kilometer langen Förderbandes verübt, das von Marokko für den Export von Phosphaten aus einer tief in der Westsahara gelegenen Mine an die Küste genutzt wird. Marokkanische und propolisarische Medien berichteten nicht über diesen Vorfall, aber die pro-polisarische NGO Sahara Resource Watch veröffentlichte eine Reihe von Videos, die die Behauptung unterstützen, dass der Vorfall stattgefunden hat (ISPI 31.7.2023). Laut Sahara Resource Watch [Western Sahara Resource Watch] ereignete sich der Vorfall am 20.5.2023, obwohl die NGO bis heute keine Möglichkeit hatte, die Authentizität der erhaltenen Videos zu überprüfen, hält diese aber für glaubwürdig (WSRW 26.5.2023)

Die Tatsache, dass keine der beiden Seiten den angeblichen Vorfall publik gemacht hat, deutet zwar auf ein gemeinsames Interesse daran hin, eine Eskalation zum jetzigen Zeitpunkt zu vermeiden, doch diese Art von Angriff deutet auf die Möglichkeit einer neuen, gefährlicheren Phase des Konflikts hin, sollte es der Diplomatie nicht gelingen, die Spannungen einzudämmen (ISPI 31.7.2023).

Quellen:

             Al-Monitor (19.7.2022): Israeli army chief in Morocco for first visit, https://www.al-monitor.com/originals/2022/07/israeli-army-chief-morocco-first-visit, Zugriff 8.8.2023

             Al-Monitor (22.6.2022): Israeli minister backs Moroccan claims to Western Sahara sovereignty, https://www.al-monitor.com/originals/2022/06/israeli-minister-backs-moroccan-claims-western-sahara-sovereignty, Zugriff 8.9.2023

             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (23.2.2023): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw04-2023.pdf? __blob=publicationFile&v=4, Zugriff 20.4.2023

             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (6.2.2023): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw06-2023.pdf? __blob=publicationFile&v=3, Zugriff 20.4.2023

             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (28.2.2022): Briefing Notes, Marokko: Erneute Angriffe der sahraouischen Armee/Polisario-Front, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw09-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 8.8.2023

             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (15.2.2021): Briefing Notes, Marokko: Diplomatische Beziehungen zu Israel aufgenommen, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw07-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 8.8.2023

             bpb - Bundeszentrale für politische Bildung (29.3.2021): Der vergessene Konflikt in Westsahara und seine Flüchtlinge, https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/laenderprofile/329090/westsahara, Zugriff 8.8.2023

             DW - Deutsche Welle (11.4.2023): UN erreichen Westsahara-Standorte wieder auf dem Landweg, https://www.dw.com/de/un-erreichen-westsahara-standorte-wieder-auf-dem-landweg/a-65275616, Zugriff 10.5.2023

             DW - Deutsche Welle (9.6.2022): Neue Spannungen im Dauerkonflikt um Westsahara, https://www.dw.com/de/neue-spannungen-im-dauerkonflikt-um-westsahara/a-62079174, Zugriff 8.8.2023

             DW - Deutsche Welle (23.3.2022): Nordafrika-Kehrtwende in Spaniens Westsahara-Politik, https://www.dw.com/de/kehrtwende-in-spaniens-westsahara-politik/a-61211839, Zugriff 8.8.2023

             EPC - The Emirates Policy Center (7.9.2022): Tunisia-Morocco Diplomatic Row: Background and Trajectories, https://epc.ae/en/details/brief/-tunisia-morocco-diplomatic-row-background-and-trajectories, Quelle liegt in der Staatendokumentation auf

             FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung: (6.4.2022): Westsahara-Konflikt: Marokkanisch-spanische Versöhnung beim Fastenbrechen, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/westsahara-konflikt-marokkanisch-spanische-versoehnung-17939427.html, Zugriff 8.8.2023

             ICG - International Crisis Group (20.7.2023): Paving the Way to Talks on Western Sahara, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/north-africa/western-sahara/paving-way-talks-western-sahara, 7.8.2023

             ICG - International Crisis Group (3.12.2020): CrisisWatch November 2020: Western Sahara, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/CrisisWatch%20Print%20_%20Crisis%20Group_11.pdf, Zugriff 8.8.2023

             ISPI - Italian Institute for international political studies (31.7.2023): The Western Sahara conflict: A fragile path to negotiations, https://www.ispionline.it/en/publication/the-western-sahara-conflict-a-fragile-path-to-negotiations-137512, Zugriff 1.8.2023

             JA - Jeune Afrique (17.7.2023): Benyamin Netanyahou reconnaît officiellement la souveraineté du Maroc sur le Sahara occidental, https://www.jeuneafrique.com/1463977/politique/benjamin-netanyahou-reconnait-officiellement-la-souverainete-du-maroc-sur-le-sahara-occidental/, Zugriff 2.8.2023

             Manara - MANARA magazine (16.2.2023): Algeria, Morocco and Western Sahara: Why Tension, Not Conflict, Has Become the Norm, https://manaramagazine.org/2023/02/algeria-morocco-and-western-sahara-why-tension-not-conflict-has-become-the-norm/, Zugriff 7.8.2023

             MP - Maghreb Post (21.7.2023): Algerien – Außenministerium nennt israleische Anerkennung des marokkanischen Hoheitsanspruch auf die Westsahara „einen eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht“, https://www.maghreb-post.de/algerien-aussenministerium-nennt-israelische-anerkennung-des-marokkanischen-hoheitsanspruchs-auf-die-westsahara-einen-eklatanten-verstoss-gegen-das-voelkerrecht/, Zugriff 2.8.2023

             ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

             OI - Orientxxi.info.com (27.7.2023): Entre le Maroc et l’Algérie, les paris perdus de l’Espagne, https://orientxxi.info/magazine/entre-le-maroc-et-l-algerie-les-paris-perdus-de-l-espagne,6545, Zugriff 8.8.2023

             OI - Orientxxi.info.com (5.9.2022): Sahara. La Tunisie coincée entre l’Algérie et le Maroc, https://orientxxi.info/magazine/sahara-la-tunisie-coincee-entre-l-algerie-et-le-maroc,5836, Zugriff 7.8.2023

             PC - Policy Center (10.2022): La résolution 2654 sur la question du Sahara marocain: quel impact?, https://www.policycenter.ma/sites/default/files/2022-11/PB_61_22_Loulichki_2.pdf, Zugriff 10.5.2023

             Reuters (17.7.2023): Israel recognises Moroccan sovereignty over Western Sahara , https://www.reuters.com/world/morocco-says-israel-recognises-its-sovereignty-over-western-sahara-2023-07-17/, Zugriff 8.8.2023

             RW - Reliefweb (11.4.2023): Daily Press Briefing by the Office of the Spokesperson for the Secretary-General, https://reliefweb.int/report/western-sahara/daily-press-briefing-office-spokesperson-secretary-general-10-april-2023, Zugriff 10.5.2023

             TNA - The New Arab (23.5.2023): Spain probing African migrant voyage after reported 'Morocco gunfire', https://www.newarab.com/news/spain-probing-african-migrant-voyage-after-morocco-gunfire, Zugriff 2.8.2023

             TNH - The New Humanitarian (17.5.2023): Moroccan drone strikes force Sahrawi from their homes, https://www.thenewhumanitarian.org/news-feature/2023/05/17/morocco-sahrawi-drone-attacks, Zugriff 2.8.2023

             WSRW - Western Sahara resource watch (26.5.2023): Bomb destroys phosphate conveyor belt, https://wsrw.org/en/news/bomb-destroys-phosphate-conveyor-belt, Zugriff 1.8.2023

             Zeit - Zeit Online.de (18.7.2023): Marokko - Israel erkennt Souveränität Marokkos über die Westsahara an, https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-07/israel-marokko-souveraenitaet-westsahara-anerkennung-usa, 2.8.2023

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, aber die Regierung respektierte die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz nicht immer (USDOS 20.3.2023). In der Praxis unterliegt die Justiz jedoch weiterhin dem Einfluss der Exekutive und ist an die Interessen der Monarchie gebunden (BS 23.2.2022; vergleiche FH 2023); zudem wird diese Unabhängigkeit durch Korruption (USDOS 20.3.2023; vergleiche AA 22.11.2022, FH 2023) und außergerichtliche Einflüsse unterlaufen (USDOS 20.3.2023; vergleiche FH 2023). Das Gerichtssystem ist nicht unabhängig vom Monarchen, der dem Obersten Justizrat vorsitzt (FH 2023; vergleiche BS 2022). Marokko bekennt sich zu rechtsstaatlichen Grundsätzen, allerdings weist das Justizsystem Schwächen (mangelnde Unabhängigkeit der Richter, ausstehende Modernisierung der Justizverwaltung, bedenkliche Korruptionsanfälligkeit) auf. Die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze wird von staatlichen und nicht staatlichen Einrichtungen überwacht bzw. kritisch beobachtet (AA 22.11.2022).

Durch die Zusammenarbeit mit internationalen Partnerorganisationen (EU, Europarat, EU-Mitgliedstaaten) soll die Justiz effizienter, unabhängiger und weniger korruptionsanfällig gemacht werden. Noch liegt sie allerdings in ihrer Unabhängigkeit und Bindung an Recht und Gesetz hinter den in der Verfassung normierten Ansprüchen (Artikel 107 f, f,) zurück. Mit dem in der Verfassung vorgesehenen und im April 2017 eingesetzten Conseil supérieur du pouvoir judiciaire (Oberster Rat der Rechtssprechenden Gewalt - Oberster Justizrat) wurden Richter- und Staatsanwaltschaft aus dem Verantwortungsbereich des Justizministeriums herausgelöst und verwalten sich nun selbst. Der Rat agiert als unabhängige Behörde. Mit der Herauslösung der Staatsanwaltschaft wurde formal die Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden von der Politik gestärkt. Es gibt jedoch Stimmen, die eine direkte Einflussnahme des Palastes befürchten, da sich Richterschaft und Staatsanwaltschaft nunmehr jeder demokratisch legitimierten Kontrolle entziehen (AA 22.11.2022).

Die Verfassung sieht darüber hinaus eine Reihe von Räten und Kommissionen vor, denen konsultative und überwachende Funktionen zukommt (der Oberste Justizrat, Gleichstellungsrat, Hohe Rundfunk-Behörde, Wettbewerbsrat, Nationalstelle für korrekte Verwaltung und Korruptionsbekämpfung, Familien- und Jugendbeirat). Diese Gremien stehen aber teilweise noch vor oder am Beginn der Tätigkeit bzw. muss ihr rechtlicher Unterbau erst geschaffen werden, sodass noch schwer absehbar ist, inwieweit sie für Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung und Achtung der Grundrechte in der Praxis Bedeutung gewinnen (ÖB 8.2021).

Formal besteht Gleichheit vor dem Gesetz. Das extreme Gefälle in Bildung und Einkommen, die materielle Unterentwicklung ländlicher Gebiete und der allgegenwärtige gesellschaftliche Klientelismus behindern allerdings die Umsetzung des Gleichheitsgrundsatzes (AA 22.11.2022). Gesetzlich gilt die Unschuldsvermutung. Der Rechtsweg ist formal sichergestellt. Angeklagte haben das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, auf rechtzeitigen Zugang zu ihrem Anwalt und das Recht, Berufung einzulegen. Das marokkanische Recht sieht Pflichtverteidiger für mittellose Angeklagte vor. Der Zugang zu juristischem Beistand ist in der Praxis noch immer unzulänglich (USDOS 20.3.2023; vergleiche AA 22.11.2022). NGOs kritisieren, dass die Beschuldigten zu Geständnissen gedrängt werden (BS 23.2.2022; vergleiche AA 22.11.2022). Das Strafprozessrecht erlaubt der Polizei, einen Verdächtigen bis zu 48 Stunden in Gewahrsam (garde à vue) zu nehmen. Der Staatsanwalt kann diese Frist zweimal verlängern. Der Entwurf für ein neues Strafprozessgesetz sieht verbesserten Zugang zu Anwälten bereits im Gewahrsam vor. Das Gesetz wurde noch nicht verabschiedet (AA 22.11.2022).

Berichten zufolge werden Untersuchungshäftlinge in der Praxis länger als ein Jahr festgehalten, und das Gesetz enthält keine Bestimmungen, die es Untersuchungshäftlingen erlauben, ihre Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Einige Verdächtige, insbesondere diejenigen, die des Terrorismus beschuldigt werden, werden tage- oder wochenlang in geheimer Haft gehalten, bevor eine formelle Anklage erhoben wird (FH 2023). Zudem wird Angeklagten nach ihrer Verhaftung der sofortige Zugang zu Anwälten verwehrt, und Verteidiger stoßen beim Zugang bei der Vorlage von Prozessbeweisen auf Hindernisse (BS 23.2.2022). Nach der Strafprozessordnung hat ein Angeklagter das Recht, nach 24 Stunden Polizeigewahrsam einen Anwalt zu kontaktieren, was auf 36 Stunden verlängert werden kann. Häftlinge haben jedoch nicht das Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen, wenn die Polizei sie verhört oder ihnen ihre Aussagen zur Unterschrift vorlegt. Die Polizei wendet seit vielen Jahren Zwangstaktiken an, um Häftlinge unter Druck zu setzen, selbstbelastende Erklärungen zu unterschreiben, die Richter für Verurteilungen verwendet haben (HRW 12.1.2023).

Im Bereich der Strafzumessung wird häufig kritisiert, dass bestehende Möglichkeiten zur Vermeidung von Haft bei minder schweren Delikten (z. B. Geldstrafen, Sozialstunden) nicht genutzt und Beschuldigte zu Geständnissen gedrängt werden. König Mohammed römisch VI. ordnet zu religiösen und staatlichen Anlässen regelmäßig Amnestien und den Erlass von Reststrafen an. Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden erstmals auch Hirak-Aktivisten berücksichtigt. 2021 wurden 17 Hirak-Häftlinge begnadigt. Im Jahr 2022 wurden bisher knapp 3.000 Häftlinge begnadigt, darunter auch einige Hirak-Häftlinge (AA 22.11.2022).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

             BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023

             FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

             HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2085478.html, Zugriff 11.4.2023

             ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 8.8.2023

             USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

Sicherheitsbehörden

Der Sicherheitsapparat verfügt über einige Polizei- und paramilitärische Organisationen, deren Zuständigkeitsbereiche sich teilweise überlappen. Die DGSN „Direction Générale de la Sûreté Nationale“ (Nationalpolizei) ist für die Umsetzung der Gesetze zuständig und untersteht dem Innenministerium. Bei den Forces Auxiliaires handelt es sich um paramilitärische Hilfskräfte, die dem Innenministerium unterstellt sind und die Arbeit der regulären Sicherheitskräfte unterstützen. Die Gendarmerie Royale ist zuständig für die Sicherheit in ländlichen Gegenden und patrouilliert auf Nationalstraßen. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (USDOS 20.3.2023; vergleiche AA 22.11.2022, ÖB 8.2021). Es gibt zwei Nachrichtendienste: den Auslandsdienst DGED (Direction Générale des Etudes et de Documentation) und den Inlandsdienst DGST (Direction Générale de la Surveillance du Territoire). Im April 2015 wurde zusätzlich das Bureau Central d'Investigations Judiciaires (BCIJ) geschaffen. Es untersteht dem Inlandsdienst DGST (AA 22.11.2022; vergleiche ÖB 8.2021).

Das BCIJ hat originäre Zuständigkeiten und Ermittlungskompetenzen im Bereich von Staatsschutzdelikten sowie Rauschgift- und Finanzdelikten im Rahmen von Verfahren der Organisierten Kriminalität (AA 22.11.2022; vergleiche ÖB 8.2021) sowie Entführungen. Damit wurde die Schlagkraft des Polizeiapparats gestärkt, diese spezialisierte Polizeitruppe ist besser ausgebildet und besser ausgerüstet. Seit der Gründung des BCIJ im Jahr 2015 wurden 84 Terrorzellen ausgehoben (ÖB 8.2021).

Auch wenn Angehörige der Sicherheitskräfte einige Übergriffe begingen, ist die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte gemäß USDOS wirksam (USDOS 12.4.2022), gemäß Auswärtigem Amt hingegen sind die Sicherheitskräfte weitgehend der zivilen Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit entzogen (AA 24.11.2021). [Anm.: Das Auswärtige Amt bezieht sich hier wohl auf die weitgehende Kontrolle der Sicherheitskräfte durch den König und sein Umfeld.] Typisch für das marokkanische politische System ist, dass die Weisungskette der Polizeidienste an der Regierung vorbei unmittelbar zur Staatsspitze führt (ÖB 8.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

             ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

             USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

Folter und unmenschliche Behandlung

Die als Reaktion auf den sogenannten Arabischen Frühling reformierte Verfassung von 2011 enthält einen umfangreichen Katalog an Grund- und Menschenrechten (AA 22.11.2022) und verbietet Folter und unmenschliche Behandlung oder Bestrafung. Folter ist gemäß Verfassung unter Strafe gestellt (USDOS 20.3.2023; vergleiche AA 22.11.2022, BS 23.2.2022). Marokko ist Vertragsstaat der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen und hat auch das Zusatzprotokoll unterzeichnet. Der CNDH (Conseil National des Droits de l'Homme / Nationaler Menschenrechtsrat) soll künftig die Rolle des Nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter einnehmen (CNDH o.D.). Die Präsidentin des CNDH (A. Bouayash) hat nach ihrem Amtsantritt im Sommer 2019 Foltervorwürfe gegen politische Gefangene zurückgewiesen. Ein Einsatz von systematischer, staatlich angeordneter Folter wird auch von NGOs nicht bestätigt, Fehlverhalten einzelner Personen und mangelnde Ahndung in Fällen von nicht gesetzeskonformer Gewaltanwendung gegenüber Inhaftierten durch Sicherheitskräfte werden indes sehr wohl – dies auch regelmäßig in den Medien – thematisiert. Die Regierung lehnt den Einsatz von Folter ab und bemüht sich um aktive Prävention (AA 22.11.2022).

Wenn auch eine systematische Anwendung von Folter und anderen erniedrigenden Behandlungsweisen nicht anzunehmen ist (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.11.2022), werden Folter und folterähnliche Methoden punktuell praktiziert (ÖB 8.2021). Es gibt Berichte, dass Folter oder exzessive Polizeigewalt vorkommen, einschließlich langer und unbestimmter Einzelhaft (AI 27.3.2023; vergleiche FH 2023). Folter und erniedrigende Behandlung durch die marokkanischen Behörden stellen ein Problem dar, insbesondere gegenüber Befürwortern der Unabhängigkeit (FH 13.4.2023). Ferner kam es zu Folter und andere Misshandlungen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gefängnisse ungestraft fortgesetzt, insbesondere gegenüber saharauischen Aktivisten (AI 27.3.2023; vergleiche FH 13.4.2023). Im Mai 2022 entkam die prominente sahrauische Aktivistin Sultana Khaya dem Hausarrest und reiste nach Spanien, um sich wegen der Folter, die sie seit ihrem Hausarrest im Jahr 2020 bei verschiedenen Polizeiübergriffen erlitten hatte, medizinisch behandeln zu lassen. Es gab keine Ermittlungen zu den Vergewaltigungen und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen gegen sie und ihre Familie (AI 27.3.2023).

Für die Unabhängigkeit der Westsahara eintretende NGOs werfen den Behörden unverhältnismäßigen Gewalteinsatz, Folter und auch willkürliche Verhaftungen und Hausdurchsuchungen vor (AA 22.11.2022). Die Behörden wandten bei mindestens zwei Gelegenheiten exzessive Gewalt an, um friedliche Proteste aufzulösen, darunter Proteste für bessere Arbeitsbedingungen für Lehrer und Proteste für die Rechte der Saharauis, und nahmen einige Teilnehmer fest. Noch gewaltsamer wurden Proteste sahrauischer Aktivisten in der Westsahara unterdrückt. Im April schlugen und traten Polizisten einen Studentenjournalisten bewusstlos. Ferner gingen Polizei und Sicherheitskräfte im März und April mit körperlicher, verbaler und sexueller Gewalt gegen zwölf saharauische Aktivistinnen vor. Zu den angeblichen Übergriffen wurden keine Ermittlungen durchgeführt (AI 27.3.2023).

Inhaftierte Islamisten werfen dem Sicherheitsapparat und insbesondere dem Inlandsgeheimdienst DGST vor, Methoden anzuwenden, die rechtsstaatlichen Maßstäben nicht immer genügen (z. B. lange U-Haft unter schlechten Bedingungen, kein Anwaltszugang, Folter) (AA 22.11.2022).

Diese Umstände werden von Menschenrechts-NGOs und von unabhängigen Beobachtern wiederholt angeprangert, wie insbesondere von der CNDH, vom UN-Sonderbeauftragten für Folter Juan Mendez, von der Arbeitsgruppe über willkürliche Verhaftungen, und von der früheren UN-HCHR Navi Pillay. Der seinerzeitige Justizminister Ramid hat die Staatsanwälte aufgerufen, Hinweisen und Anzeigen auf Folter rigoros nachzugehen, gleichzeitig aber auch auf den Verleumdungstatbestand hingewiesen, falls sich Anschuldigungen als haltlos erweisen (ÖB 8.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

             AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Morocco And Western Sahara 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089568.html, Zugriff 11.4.2023

             CNDH - Conseil National des Droits de l'Homme [Marokko] (o.D.): CNDH mandate for the protection of human rights, https://www.cndh.org.ma/an/presentation/cndhs-mandate-area-human-rights-protection, Zugriff 27.7.2023

             FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

             FH - Freedom House (13.4.2023): Freedom in the World 2023 - Western Sahara*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2090199.html, Zugriff 17.4.2023

             ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

             USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

Korruption

Das Gesetz sieht für behördliche Korruption Strafen vor, aber die Regierung setzt die gesetzlichen Regelungen nicht effektiv um (USDOS 20.3.2023). Die Korruption ist in Marokko weit verbreitet und betrifft auch das Rechtssystem (AA 22.11.2022). Korruption ist in den staatlichen Institutionen und in der Wirtschaft weit verbreitet (FH 2023). Der ehemalige Premierminister El Othmani bezifferte den Schaden durch Korruption vor allem in der öffentlichen Verwaltung auf bis zu 7 % des Bruttoinlandsprodukts BIP (MP 10.5.2023). Deshalb werden leitende Staatsdiener in Korruptionsbekämpfung geschult, obwohl Beamte nur selten wegen Korruption strafrechtlich verfolgt werden (AA 22.11.2022). Es gibt Berichte über Regierungskorruption, Korruptionsfälle bei der Exekutive, Legislative und in der Justiz. Korruption ist bei der Polizei weit verbreitet (USDOS 20.3.2023).

Trotz der offiziellen Rhetorik über die Korruptionsbekämpfung ist die Bilanz bei der Durchsetzung der Gesetze gemischt. Tiefgreifende Reformen zur Bekämpfung der Korruption werden durch einen Mangel an politischem Willen, geringe institutionelle Kapazitäten und den Einfluss von Eliten, die vom Status quo profitieren, gebremst. Im Jahr 2021 stärkte das Parlament die Nationale Kommission für Rechtschaffenheit, Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung, indem die Definition von Korruption erweitert wurde und dem Gremium größere Ermittlungsbefugnisse erteilte; die Ergebnisse dieser Reform bleiben jedoch abzuwarten (FH 2023).

Seit dem 13.12.2018 ist Bachir Rachdi seit seiner Ernennung durch König Mohammed römisch VI. Vorsitzender der Nationalen Instanz für Rechtschaffenheit, Prävention und Korruptionsbekämpfung (INPPLC). Mit der Ernennung der zwölf Mitglieder des Verwaltungsrats der INPPLC will das Land eine neue Ära im Streben nach Vertrauen in die politischen Akteure einleiten. Rachdi möchte die Effizienz der Maßnahmen der INPPLC steigern. Mit der Schaffung eines neuen Gesetzes (46-19) am 4.11.2022 wurde ein Rahmen geschaffen, dessen Inhalt vielmehr der Verfassung entspricht. Es erweitert die Definition von Korruption bzw. den Handlungsspielraum der Regierung mit zahlreichen Befugnissen bzw. Vorrechten (MP 16.11.2022). Die Regierung behauptet, Korruption und anderes polizeiliches Fehlverhalten mittels interner Mechanismen zu untersuchen. Dennoch stellen internationale und nationale Menschenrechtsorganisationen fest, dass die Behörden viele Beschwerden ignorieren und sich auf Behauptungen seitens der Polizei stützen (USDOS 20.3.2023).

Um der Misswirtschaft, der Veruntreuung öffentlicher Gelder, der Fälschung und des Machtmissbrauchs entgegen zu treten kündigte das Innenministerium eine "Säuberungsaktion" an. Innenminister Abdelouafi Laftit hat strenge Richtlinien erlassen um Verfahren zur Amtsenthebung bzw. Strafrechtlichen Verfolgung von gewählten Beamten einzuleiten, die der Korruption verdächtigt werden. Wallis und Gouverneure wurden vom Innenminister angewiesen, gegen korrupte Politiker vorzugehen, diese aus dem Amt zu werfen und vor Gericht zu stellen. Zugleich versucht die Regierung die Korruption durch die Einrichtung von Hotlines, Kontrollen und Anklagen gegen Verdächtige zu bekämpfen (MP 10.5.2023). So kam es nach einer Anzeige durch die zweite Frau, zu einem eingeleiteten Verfahren gegen einen mutmaßlich korrupten Richter in der Stadt Tétouan. Die Ermittlungen wurden auf sein Umfeld ausgeweitet und mehrere Anwälte und Mittelsmänner wurden vorgeladen (MP 4.7.2023).

Gegenüber dem Vorjahr war in 2022 ein leichter Anstieg der Korruption zu verzeichnen (Länderdaten.info o.D.). Somit belegt Marokko auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2022 den 94. von insgesamt 180 Plätzen und hat im Vergleich zum Vorjahr einen Platz verloren (TI 31.1.2023).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf Zugriff 20.3.2023

             FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

             Länderdaten.info (o.D.): Korruption in Marokko, https://www.laenderdaten.info/Afrika/Marokko/korruption.php, Zugriff 27.7.2023

             MP - Maghreb Post (4.7.2023): Marokko – Korruptionsermittlungen in der Justiz von Tétouan werden ausgeweitet, https://www.maghreb-post.de/marokko-korruptionsermittlung-in-der-justiz-von-tetouan-werden-ausgeweitet/, Zugriff 27.7.2023

             MP - Maghreb Post (10.5.2023): Marokko – Innenministerium verfolgt zunehmend Korruption bei Mandatsträgern, https://www.maghreb-post.de/marokko-innenministerium-verfolgt-zunehmend-korruption-bei-mandatstraegern/, Zugriff 27.7.2023

             MP - Maghreb-Post (16.11.2022): Marokko - Präsident der Behörde für Korruptionsbekaempfung will neuen Anlauf nehmen, https://www.maghreb-post.de/marokko-praesident-der-behoerde-fuer-korruptionsbekaempfung-will-neuen-anlauf-nehmen/, Zugriff 27.7.2023

             TI - Transparency International (31.1.2023): Corruption Perceptions Index 2022, https://images.transparencycdn.org/images/Report_CPI2022_English.pdf, Zugriff 16.5.2023

             USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Es gibt in Marokko eine lebendige und aktive Zivilgesellschaft mit nationalen und internationalen NGOs, die im Prinzip unbehelligt agieren kann (AA 22.11.2022). Zivilgesellschaftliche Organisationen sind rechtlichen Schikanen, Reisebeschränkungen, aufdringlicher Überwachung und anderen Behinderungen in ihrer Arbeit ausgesetzt. Die Behörden verweigern regelmäßig NGOs die Registrierung, die Verbindungen zu Justice and Charity [Anm.: Islamistische Bewegung, vom Staat grundsätzlich toleriert aber illegal] haben oder sich für die Rechte marginalisierter Gemeinschaften einsetzen (FH 2023; vergleiche AA 22.11.2022). Ohne schriftliche Eingangsbestätigung ist ihre Arbeit nicht legal (AA 22.11.2022; vergleiche FH 2023).

Die Einstellung der Regierung gegenüber lokalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen variiert jedoch, abhängig von der politischen Orientierung der Organisation und der Sensibilität der jeweiligen Angelegenheit. Lokale und internationale NGOs sind immer wieder Einschränkungen bei ihren Aktivitäten ausgesetzt (USDOS 20.3.2023; vergleiche AA 22.11.2022). Human Rights Watch (HRW) ist nach einer Aufforderung der Regierung, ihre Aktivitäten in Marokko und der Westsahara einzustellen, nicht mehr akkreditiert (AA 22.11.2022). Seit 2015 ist Amnesty International die Durchführung von Recherchen in Marokko untersagt (FH 2023).

Ein NGO-Gesetz gibt es nicht. Für NGOs gilt das Vereinsrecht. Sie müssen sich beim Innenministerium registrieren lassen. Es kommt vor, dass die Registrierungsanzeigen nicht fristgemäß mit einer Eingangsbestätigung beantwortet werden (AA 22.11.2022). Die Arbeit der Marokkanischen Vereinigung für Menschenrechte (AMDH) wird weiterhin von den Behörden gestört, bzw. werden diese häufig von der Regierung ins Visier genommen. Die Behörden haben in den letzten Jahren zahlreiche AMDH-Veranstaltungen abgesagt und sind dafür bekannt, ihre Bemühungen, Räumlichkeiten zu mieten und Bankkonten zu eröffnen, zu behindern. Im Jahr 2022 wurden zahlreiche politische und Menschenrechtsaktivisten wegen ihres Engagements verhaftet und strafrechtlich verfolgt (FH 2023).

Darüber hinaus berichtet der AMDH auch von weiteren zivilgesellschaftlichen Gruppen, die ebenfalls von der Verweigerung des Rechtsstatus oder der Weigerung, Verwaltungsverfahren abzuschließen, betroffen waren (HRW 12.1.2023).

Der Bereich NGOs/Menschenrechtsverteidiger stellt sich als breit gefächerte Landschaft (ca. 90.000 Vereinigungen) dar, mit einer aktiven und sich artikulierenden Menschenrechtsverteidigerszene, die mit dem CNDH (Nationaler Rat für Menschenrechte) korreliert und dessen Arbeit ergänzt oder diesem sogar voraneilt. Sichtbarste und mit Veranstaltungen und Berichten hervortretende Protagonisten der Menschenrechtsszene sind die OMDH (Organisation Marocaine des Droits Humains), die AMDH (Association Marocaine des Droits Humains) und Amnesty International Maroc. Die Zivilcourage der einzelnen Aktivisten verdient Anerkennung, weil nicht nur Gefahr besteht, mit staatlicher Repression in Konflikt zu geraten, sondern auch an die Grenzen des von der Gesellschaft Tolerierten zu stoßen. NGOs nehmen sich auch individueller Anliegen an, eine Möglichkeit, die Schutzsuchenden in Städten eher offen steht als auf dem Land (ÖB 8.2021).

Die Regierung bereitet derzeit eine neue Strategie zur Förderung der Zivilgesellschaft vor, die voraussichtlich ab 2026 umgesetzt werden soll (ICNL 14.3.2023).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

             FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

             HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2085478.html, Zugriff 11.4.2023

             ICNL - International Center for Not-for-Profit Law (14.3.2023): Civic Freedom Monitor: Morocco,
https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/morocco, Zugriff 27.7.2023

             ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

             USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

Ombudsmann

Menschenrechtsangelegenheiten werden seitens Regierungsorganisationen durch den CNDH (Conseil National des droits de l’homme - Nationaler Menschenrechtsrat), die interministerielle Delegation für Menschenrechte (DIDH), und die Institution des Médiateur (Ombudsmann) wahrgenommen (USDOS 20.3.2023).

Zur Kontrolle der Gewährleistung grundlegender Menschenrechte wurde nach der Verabschiedung der neuen Verfassung im Jahr 2011 der CNDH als besondere Verfassungsinstanz eingerichtet. Seine kritischen Bestandsaufnahmen und Empfehlungen zu Gesetzesentwürfen haben Gewicht und beeinflussen die Politik (AA 22.11.2022). Der CNDH ist sichtbar, aktiv und produktiv (Berichte über psychiatrische Anstalten, Strafvollzug, Jugendwohlfahrtseinrichtungen, Situation von Asylsuchenden und Migranten). Er legt jährlich einen Bericht vor, der dem König und dem Parlament zur Kenntnis gebracht wird und nimmt auch zu Individualfällen Stellung, bis hin zur Intervention. Im Wege von Begutachtungsverfahren und durch Stellungnahmen zu einzelnen Gesetzesvorhaben übt der CNDH kraft seines moralischen Gewichts nicht selten Einfluss auf Gesetzesinhalte aus, wo Menschenrechtsinteressen betroffen sind. 13 Außenstellen des CNDH wurden in Provinzstädten eingerichtet, sodass eine stärkere räumliche Nähe zu potenziellen Beschwerdeführern angeboten wird (ÖB 8.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

             ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

             USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

Wehrdienst und Rekrutierungen

Die allgemeine Wehrpflicht war seit dem 31.8.2006 ausgesetzt. Ihre durchaus umstrittene Wiedereinführung im August 2018 führte 2019 dazu, dass aus ca. 80.000 Freiwilligen rund 15.000 Rekruten zu einem zwölfmonatigen Wehrdienst an vier Ausbildungszentren ausgewählt wurden. Seitdem werden jährlich junge Soldaten in dieser Größenordnung herangezogen (AA 22.11.2022; vergleiche CIA 25.7.2023). Am 25.1.2019 trat das Gesetz in Kraft (DIS 7.2019; vergleiche ÖB 8.2021). Die Wehrpflicht wird vor allem als Maßnahme zur Ausbildung und besseren Integration der Bevölkerung präsentiert. Sie wird allerdings nur selektiv angewandt. 2020 wurden im ersten Probebetrieb (auch durch COVID bedingt) lediglich ca. 15.000 Personen tatsächlich rekrutiert (ÖB 8.2021).

Das Gesetz sieht Wehrpflicht für Marokkaner im Alter von 19 bis 25 Jahren vor. Insgesamt zwölf Monate sollen Männer und Frauen dienen, bis zum Alter von 25 Jahren (CIA 25.7.2023; vergleiche DIS 7.2019). Fahnenflucht wird mit Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und drei Jahren geahndet. Bestrafungen aufgrund von Wehrdienstverweigerung und Desertion sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt (AA 22.11.2022).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

             CIA - Central Intelligence Agency [USA] (25.7.2023): The World Factbook – Morocco, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/morocco/#military-and-security, Zugriff 27.7.2023

             DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2019): Morocco; Military service, Juli 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2016126/brief+COI+report_military+service+in+Morocco_July+2019_final.pdf, Zugriff 8.8.2023

             ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

Allgemeine Menschenrechtslage

Der Grundrechtskatalog (Kapitel römisch eins und römisch II) der Verfassung ist substanziell; wenn man noch die durch internationale Verpflichtungen übernommenen Grundrechte hinzuzählt, kann man von einem recht umfassenden Grundrechtsrechtsbestand ausgehen. Als eines der Kerngrundrechte fehlt die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verfassung selbst stellt allerdings den Rechtsbestand unter den Vorbehalt der traditionellen „roten Linien“ - Monarchie, islamischer Charakter von Staat und Gesellschaft, territoriale Integrität (i. e. Annexion der Westsahara) - quasi als „Baugesetze“ des Rechtsgebäudes. Der vorhandene Rechtsbestand, der mit der neuen Verfassungslage v.a. in Bereichen wie Familien- und Erbrecht, Medienrecht und Strafrecht teilweise nicht mehr konform ist, gilt weiterhin (ÖB 8.2021). In den Artikeln 19 bis 35 garantiert die Verfassung die universellen Menschenrechte. Im Mai 2017 stellte sich Marokko dem Universellen Staatenüberprüfungsverfahren (UPR) des UN-Menschenrechtsrats. Marokko akzeptierte 191 der 244 Empfehlungen. Die nächste Überprüfung im Rahmen der Universellen Staatenüberprüfung (UPR) erfolgte im November 2022 (AA 22.11.2022).

Systematische staatliche Repressionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sind nicht festzustellen. Gewichtige Ausnahme: wer die Vorrangstellung der Religion des Islam infrage stellt, die Person des Königs antastet oder die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko anzweifelt (AA 22.11.2022). Nichtregierungsorganisationen, darunter die marokkanische Vereinigung für Menschenrechte (AMDH), Amnesty International und saharauische Organisationen, behaupteten, die Regierung habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen inhaftiert, wobei sie vorgebliche Strafanzeigen wie Spionage oder sexuelle Übergriffe vorbrachte (USDOS 20.3.2023). Marokko verfolgt eine aktive Menschrechtspolitik und konnte in wichtigen Bereichen, u. a. Frauenrechte, deutliche Fortschritte erzielen. NGOs kritisieren jedoch zunehmende Einschränkungen von Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit sowie die strafrechtliche Verfolgung von einzelnen Journalisten (AA 28.6.2023).

Verfassung und Gesetz sehen allgemeine Meinungs- und Pressefreiheit vor. Nach wie vor ist die Medienfreiheit jedoch durch die „roten Linien“ der Staatsräson erheblich eingeschränkt (USDOS 20.3.2023; vergleiche AA 22.11.2022).

Unabhängige Medien und Journalisten stehen unter erheblichem Druck, und das Recht auf Information wird von einer mächtigen Propaganda- und Desinformationsmaschine zerstört, die der politischen Agenda derer dient, die den Machthabern nahestehen. Unter Druck gaben die letzten unabhängigen Medien in Marokko, die Tageszeitung Akhbar Al Yawm, ihren Kampf auf, ihre letzte Veröffentlichung datiert vom April 2021. Die Hauptinformationsquelle für die Bevölkerung sind soziale Netzwerke und Online-Seiten (RSF 2023). Zu den wichtigsten Fernseh- und Radioeigentümern gehören die Königsfamilie und andere politisch einflussreiche Unternehmer (ROG 2023; vergleiche AA 22.11.2022).

Immer wieder werden Journalisten wegen kritischer Berichte beruflich wie privat von staatlicher Seite unter Druck gesetzt, bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung aufgrund anderer Delikte wie Unterschlagung oder Sexualstraftaten, obwohl die Beweise laut HRW teilweise dürftig oder zweifelhaft scheinen (AA 22.11.2022). Die Tendenz zur Selbstzensur ist auch bei unabhängigen Medien stark ausgeprägt und bleibt nach wie vor ernsthafte Hindernisse für die Entwicklung einer freien, unabhängigen und investigativen Presse (USDOS 20.3.2023). Für das Jahr 2023 wurde Marokko auf Platz 144 von 180 gelisteten Staaten runtergestuft (RSF 2023; vergleiche ROG 2023). Kritik am König ist in Marokko verboten und wird als „Angriff auf die heiligen Werte der Nation“ mit Gefängnis bestraft. Tabuthemen sind auch politische Proteste, die Westsahara-Politik, Korruption hochrangiger Politiker und inzwischen die Massenmigration nach Europa. Immer wieder werden Journalisten wegen unliebsamer Berichte vor Gericht gebracht und zu Haftstrafen verurteilt oder Korrespondenten ausländischer Medien abgeschoben. Zum Einschüchterungsrepertoire des Staats gehören auch Anzeigenboykotte, Drohungen, untergeschobene Drogendelikte, Rufmord, Überfälle, Einbrüche und seit neuestem Anklagen wegen angeblicher Sexualdelikte. Manche Gerichtsprozesse gegen Medienschaffende werden über Jahre hinweg verschleppt (ROG 2023). Es kommt auch zu Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung, v.a. gegen Blogger, Aktivisten und Studenten (FH 2023; vergleiche BS 23.2.2022).

Ferner verurteilt Reporter ohne Grenzen (RSF) die Zustimmung der marokkanischen Regierung zu einem Gesetzesvorschlag, der den Nationalen Presserat, ein Selbstregulierungsorgan, das den marokkanischen Medien eine gewisse Unabhängigkeit verliehen hat, ersetzen soll. Der Nationale Presserat, der gemäß der Verfassung von 2011 als beratendes Gremium unter der Ägide des Kommunikationsministeriums eingerichtet wurde, beendete die direkte staatliche Aufsicht über den Mediensektor, als sein Mandat im Oktober 2022 auslief. Sechs Monate später hat die Regierung von Premierminister Aziz Akhannouch den Gesetzentwurf verabschiedet. Beobachter werten diese unerklärliche Entscheidung als Zeichen eines klaren Willens der Regierung, die Kontrolle über die Medien wiederzuerlangen und jegliche Selbstregulierung zu beenden, da mit diesem Gesetz die Befugnisse des Rates auf ein temporäres Komitee überträgt. Der Gesetzentwurf der Regierung muss noch vom Parlament verabschiedet werden, allerdings ist noch nicht bekannt, wann das Parlament den Entwurf prüfen wird (RSF 14.4.2023).

Am 21.11.2022 wurde der Präsident der Anwaltskammer von Rabat und ehemaliger Minister für Menschenrechte, Mohamed Ziane, in seiner Kanzlei ohne richterlichen Beschluss festgenommen, nachdem 20 Sicherheitsbeamten sein Büro gestürmt hatten. Ziane war bereits vier Jahre lang Zielscheibe einer groß angelegten Diffamierungskampagne, die von staatlich gelenkten Online-Medien in einer konzertierten Aktion betrieben wurde, um sein Ansehen zu diskreditieren. Weiters wirft Ziane dem Regime vor, Dissidenten zu unterdrücken und mundtot zu machen. Ziane zufolge hat sich der Nationale Sicherheitsdienst in eine politische Polizei verwandelt, die Dissidenten überwacht und mit Diffamierungen überzieht, die von der Regierung nahestehenden Zeitungen und Websites verbreitet werden. Diese neuartigen Methoden der Unterdrückung, führen zu unfairen Gerichtsverfahren und Urteile gegen unabhängige Journalisten (Quatara.de 6.2.2023). Darüber hinaus werden derzeit laut Presseberichten vom 16.5.2023, neue Vorschriften für Online-Medien und die Nachrichtenberichterstattung erarbeitet. Da elektronische Medien und Nachrichtenagenturen manchmal ohne Lizenz betrieben werden, muss der rechtliche Rahmen definiert werden, um sicherzustellen, dass diese die gleichen Anforderungen erfüllen wie andere Medien. So verfügen digitale Mediendienste beispielsweise nicht über die erforderliche Infrastruktur oder zahlen keine Sozialversicherungsbeiträge für ihre Mitarbeiter. Das Gesetz über den Journalismus und das Verlagswesen stammt aus dem Jahr 2016 (BAMF 22.5.2023).

Ausländische Satellitensender und das Internet sind frei zugänglich (AA 22.11.2022). Gelegentlich unterbrechen die Behörden Webseiten und Internetplattformen (FH 2023). Die Arbeit der Presse wurde in der Covid-19-Krise zeitweise eingeschränkt (zeitweiliges Verbot des Drucks und Verkaufs von Zeitungen und Zeitschriften: Online-Berichterstattung zu COVID-19-Themen weitgehend über offizielle Kommuniqués, teilweise Einschränkung von Auskünften durch staatliche Stellen sowie auch journalistischer Arbeitsmöglichkeiten im Ausnahmezustand) (AA 22.11.2022). Die staatliche Überwachung von Online-Aktivitäten und persönlicher Kommunikation ist ein ernstes Problem. Der Einsatz von Spionageprogrammen und Überwachungstechnologien durch die Regierung ist weit verbreitet (FH 2023). Die – auch im öffentlichen Raum kaum kaschierten – Überwachungsmaßnahmen erstrecken sich auch auf die Überwachung des Internets und elektronischer Kommunikation, wobei Aktivisten, die für eine unabhängige Westsahara eintreten – vor allem im Gebiet der Westsahara selbst – besonders exponiert sind (ÖB 8.2021). Ein Gericht in Casablanca verurteilte einen Mann zu fünf Jahren Haft, weil er sich Ende 2020 auf Facebook kritisch zu den verbesserten diplomatischen Beziehungen zwischen Marokko und Israel äußerte. Ihm wird Kritik am König vorgeworfen, da dieser die Leitlinien der marokkanischen Außenpolitik bestimmt. Laut Artikel 267-5 des Strafgesetzbuches ist für die Untergrabung der Monarchie eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren vorgesehen und kann auf fünf Jahre erhöht werden (BAMF 7.8.2023).

Es kommt vereinzelt zur Strafverfolgung von Journalisten. Staatliche Zensur ist nicht bekannt. Viele Medien sind jedoch wirtschaftlich von regierungsnahen Unternehmen abhängig (AA 22.11.2022), bzw. ist diese eng mit den Machtzentren verbunden (BS 23.2.2022; vergleiche AA 22.11.2022), und wird durch die Selbstzensur der Medien im Bereich der oben genannten drei Tabuthemen ersetzt (AA 22.11.2022). Gesetzlich unter Strafe gestellt und aktiv verfolgt sind und werden kritische Äußerungen betreffend den Islam, die Institution der Monarchie und die offizielle Position der Regierung zur territorialen Integrität bzw. den Anspruch auf das Gebiet der Westsahara (USDOS 20.3.2023; vergleiche HRW 12.1.2023, AA 22.11.2022, ÖB 8.2021). Dies gilt auch für Kritik an Staatsinstitutionen oder das Gutheißen von Terrorismus (ÖB 8.2021; vergleiche HRW 12.1.2023). Solche Kritik kann nach dem Strafgesetzbuch strafrechtlich verfolgt werden, wobei die Strafen von Geldstrafen bis zu Freiheitsstrafen reichen können. Der Pressekodex, der auch die Meinungsfreiheit vorsieht, gilt nur für akkreditierte Journalisten. Die privaten Reden und Handlungen akkreditierter Journalisten bleiben laut Strafgesetzbuch strafbar. Lokale NGOs berichteten auch, dass die Behörden trotz der Pressekodizes, die die rechtswidrige Inhaftierung von Personen verhindern sollten, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machten, Strafgesetze einsetzten, um Kommentatoren, Aktivisten und Journalisten zu bestrafen, die die Regierung kritisieren (USDOS 20.3.2023). Laut Reporter ohne Grenzen befinden sich aktuell 11 Journalisten und 3 Medienmitarbeiter in Haft (RSF 2023).

Internationale NGOs werfen dem marokkanischen Staat vor, allgemeine Straftatbestände (Sexualstrafrecht, Steuerrecht, Verleumdung) zu nutzen, um kritische journalistische Stimmen und oppositionelle Meinungen zu unterdrücken. Aktivisten, die wegen ihres Engagements für Umweltschutz oder soziale Fragen vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen verurteilt werden (AA 22.11.2022). Kritiker werden in unfairen Gerichtsverfahren wegen schwerer Verbrechen wie Geldwäsche, Spionage, Vergewaltigung, sexueller Übergriffe und Menschenhandel angeklagt. Unter den Taktiken, um abweichende Meinungen mundtot zu machen, haben die Behörden auf unfaire Gerichtsverfahren, digitale und Kameraüberwachung, Belästigungskampagnen durch Medien in der Nähe des königlichen Hofes, bekannt als Makhzen, physische Überwachung, Aggression und Einschüchterung sowie gezielte Angriffe auf Angehörige von Aktivisten zurückgegriffen (HRW 12.1.2023). NGOs berichteten auch weiterhin über den Einsatz willkürlicher Überwachung von Menschenrechtsaktivisten und Journalisten, wobei Freedom House über den „weit verbreiteten“ Einsatz von Spyware und Überwachungstechnologien durch die Regierung berichtete. In einem Bericht vom Juli 2022 dokumentierte HRW die physische und elektronische Überwachung durch die Regierung, um unabhängige Journalisten und Menschenrechtsverteidiger zu schikanieren und ihre Rechte zu verletzen. Dem Bericht zufolge kamen mehrere Personen zu dem Schluss, dass einige der über sie in den Medien veröffentlichten Informationen detailliert genug waren, um nur durch staatliche Überwachung erlangt worden zu sein (USDOS 20.3.2023).

Die marokkanischen Behörden haben ihre Schikanen gegen Aktivisten und Kritiker verstärkt (HRW 12.1.2023) und verfolgten und inhaftierten 2022 mindestens sieben Journalisten und Aktivisten wegen Kritik an der Regierung sowie gegen Personen, die online über Religion sprachen oder sich mit Aktivisten solidarisierten (AI 27.3.2023). Zudem wird die Spyware Pegasus gegen Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Oppositionelle, Politiker und Diplomaten eingesetzt (HRW 12.1.2023).

Am 18.1.2023 forderte das EU Parlament Marokko schriftlich dazu auf, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit zu achten, inhaftierten Journalisten ein faires Verfahren mit sämtlichen Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren zu garantieren, ihre sofortige vorläufige Freilassung sicherzustellen und die Drangsalierung aller Journalisten, ihrer Anwälte und Familien einzustellen. Ferner fordert das EU Parlament die staatlichen Stellen nachdrücklich auf, ihren internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte im Einklang mit dem Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Marokko nachzukommen und verurteilte aufs Schärfste den Missbrauch von Anschuldigungen sexueller Übergriffe, mit denen Journalisten davon abgehalten werden sollen, ihre Aufgaben wahrzunehmen; und vertritt die Ansicht, dass dieser Missbrauch die Rechte der Frau gefährdet. Zudem fordert das EU Parlament die staatlichen Stellen Marokkos nachdrücklich auf, ihre Überwachung von Journalisten, unter anderem über die Spionagesoftware Pegasus einzustellen und Rechtsvorschriften zum Schutz von Journalisten zu erlassen und umzusetzen (EP 18.1.2023).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind in der Verfassung von 2011 verfassungsrechtlich geschützt, werden aber durch die „roten Linien“ Glaube, König, Heimatland eingeschränkt (AA 22.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). Versammlungen von mehr als drei Personen sind genehmigungspflichtig (USDOS 20.3.2023). Die Behörden gehen meist nicht gegen öffentliche Ansammlungen und die häufigen politischen Demonstrationen vor, selbst wenn diese nicht angemeldet sind (AA 22.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). In Einzelfällen kommt es jedoch zur gewaltsamen Auflösung von Demonstrationen (AA 22.11.2022; vergleiche FH 2023, USDOS 20.3.2023). Ein großer Rückschlag für die Meinungsfreiheit und die bürgerlichen Freiheiten waren auch die Verhaftungen von Journalisten, Künstlern und Menschenrechtsaktivisten aufgrund verschiedener Anschuldigungen, die ein Zeichen dafür sind, dass das Justizsystem weiterhin gegen Kritiker und unabhängige Akteure eingesetzt wird (BS 23.2.2022).

Obwohl verfassungsmäßig Vereinigungsfreiheit gewährleistet ist, schränkt die Regierung dieses Recht manchmal ein (USDOS 20.3.2023). Organisationen wird die offizielle Registrierung verweigert (HRW 12.1.2023). Politischen Oppositionsgruppen und Organisationen, die den Islam als Staatsreligion, die Monarchie, oder die territoriale Integrität Marokkos infrage stellen, wird kein NGO-Status zuerkannt (USDOS 20.3.2023).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2023): Marokko - Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/marokko-node/politisches-portrait/224120, Zugriff 8.8.2023

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.7.2023

             AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Morocco And Western Sahara 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089568.html, Zugriff 11.4.2023

             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.8.2023): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw32-2023.html;jsessionid=9297CD92FE9742BDDEEF644C3BE30042.internet271, Zugriff 8.8.2023

             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.5.2023): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/EN/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw21-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 27.7.2023

             BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023

             EP - Europäisches Parlament (18.1.2023): Gemeinsamer Entschliessungsantrag zur Lage von Journalisten in Marokko, insbesondere zum Fall Omar Radi, https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/RC-9-2023-0057_DE.html, Zugriff 11.4.2023

             FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

             HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2085478.html, Zugriff 11.4.2023

             ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

             Quatara.de (6.2.2023): Menschenrechtslage in Marokko, Rabats Verleumdungsmaschinerie, https://de.qantara.de/inhalt/menschenrechtslage-in-marokko-rabats-verleumdungsmaschinerie, Zugriff 21.4.2023

             RSF - Reporters sans frontière (14.4.2023): Le projet de remplacer le Conseil national de la presse au Maroc menace un peu plus l’indépendance de la profession, https://rsf.org/fr/le-projet-de-remplacer-le-conseil-national-de-la-presse-au-maroc-menace-un-peu-plus-l-ind%C3%A9pendance, Zugriff 27.7.2023

             RSF - Reporters sans frontière (2023): Maroc / Sahara occidental, https://rsf.org/fr/pays/maroc-sahara-occidental, Zugriff 22.5.2023

             ROG - Reporter ohne Grenzen (2023): Rangliste der Pressefreiheit, Marokko, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/marokko, Zugriff 22.5.2023

             USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

Ethnische Minderheiten

Marokko erkennt ausdrücklich in seiner Verfassung die Diversität der Nation an. Staatliche Diskriminierung gegenüber ethnischen Minderheiten ist nicht vorhanden (AA 22.11.2022). Die Verfassung enthält auch die Anerkennung der berberischen Wurzeln, Traditionen und Sprache gleichberechtigt neben dem arabischen und jüdischen Kulturerbe (ÖB 8.2021). Die jüdischen Wurzeln der Nation werden geschützt und gepflegt (AA 22.11.2022).

Wer sich den Berbern, die eine recht heterogene, auf drei Hauptstämme aufgegliederte Bevölkerungsgruppe darstellen, zugehörig fühlt, hängt vom familiären, geografischen und soziokulturellen Hintergrund ab. Im Allgemeinen verweisen Berberstämmige mit Stolz auf ihre Abkunft, insbesondere wenn sie zu den alteingesessenen Familien oder Clans der historischen Städte im Berbergebiet (Fes, Marrakesch, Ouarzazate usw.) gehören. Der „Minderheitencharakter“ der Berber ist bei ca. 40 % der Bevölkerung mit berberischen Wurzeln relativ zu sehen. Aussagen über den Anteil von Berbern in bestimmten Bereichen (öffentlicher Dienst, Militär, freie Berufe, Wirtschaftstreibende) sind nicht greifbar. Nach Einschätzung der Botschaft mag eine Diskriminierung aufgrund der berberischen Herkunft im Einzelfall vorkommen, ein generelles diskriminierendes Verhaltensmuster ist nicht erkennbar (ÖB 8.2021).

Etwa die Hälfte der Bevölkerung macht eine berberische Abstammung geltend und spricht eine der drei in Marokko vertretenen Berbersprachen. Dies ist wichtiger Teil ihrer Identität. Die meisten Berber in Marokko sehen sich jedoch nicht als ethnische Minderheit. Marokko fördert Sprache und Kultur der Berber inzwischen aktiv (AA 22.11.2022). Mindestens 40 % der Bevölkerung sind Amazigh, und die Mehrheit der Marokkaner hat amazighische Wurzeln. Die Amazigh-Eliten haben Zugang zur Monarchie und ihre Interessen werden im Parlament vertreten, doch der Großteil der Amazigh-Bevölkerung ist sozial, wirtschaftlich und politisch marginalisiert. Die jüngsten Unruhen in Al Hoceïma, in der umliegenden Rif-Region und in anderen Städten Marokkos waren zu einem großen Teil auf die Ungerechtigkeiten zurückzuführen, denen sich viele Amazigh ausgesetzt sahen, und darauf, dass sie nicht in der Lage waren, ihren Unmut über das politische System zu äußern (FH 2023). In Artikel 5 der Verfassung wurde Amazigh, neben Arabisch, als offizielle Sprache anerkannt (BS 23.2.2022), vorerst bestehen aber nur vereinzelt Ansätze, dies in die Praxis umzusetzen (z. B. Straßenschilder) (ÖB 8.2021). Amazigh ist Mitte 2019 per Gesetz als Unterrichtssprache aufgewertet worden (AA 22.11.2022). Der berberische Sprachunterricht im Schulsystem ist nur wenig dicht und führt über die 6. Schulstufe nicht hinaus. Folglich ist eine höhere Bildung in berberischer Sprache nicht möglich (ÖB 8.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

             BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023

             FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

             ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

Bewegungsfreiheit

Gesetzlich sind innerhalb des Landes Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung gewährleistet. Die Behörden respektieren diese Rechte im Allgemeinen, obwohl sie die Bewegungsfreiheit auf Gebiete beschränkt, in denen weitverbreitete Unruhen herrschen (USDOS 20.3.2023). Sowohl Marokko als auch die Frente Polisario schränken die Bewegungsfreiheit in der Westsahara ein. Eine in den 1980er Jahren von Marokko errichtete Sandbarriere, die das von Marokko kontrollierte Gebiet von den von den Sahrauis kontrollierten Gebieten im Osten trennt, ist 1.700 Meilen lang. Die Mauer, die auf beiden Seiten von Landminen umgeben ist, stellt das möglicherweise längste zusammenhängende Minenfeld der Welt dar (FH 13.4.2023).

Allerdings genießen auch Sahrawis/Sahraouis innerhalb Marokkos uneingeschränkte Bewegungsfreiheit (AA 22.11.2022). Die Regierung stellt Sahrawis üblicherweise weiterhin Reisedokumente zur Verfügung und ermutigte saharauische Flüchtlinge aus Algerien und anderen Ländern zur Rückkehr, wenn sie die Souveränität der Regierung über die Westsahara anerkennen. Flüchtlinge, die zurückkehren möchten, müssen die entsprechenden Reise- oder Identitätsdokumente bei einem marokkanischen Konsulat im Ausland, häufig in Mauretanien, besorgen. Es wird allerdings von Fällen berichtet, wo die Behörden Sahrawis daran hinderten, Reisen anzutreten (USDOS 20.3.2023).

Wer nicht per Haftbefehl gesucht wird, kann unter Beachtung der jeweiligen Visavorschriften in der Regel problemlos das Land verlassen. Dies gilt auch für bekannte Oppositionelle oder Menschenrechtsaktivisten (AA 22.11.2022).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

             FH - Freedom House (13.4.2023): Freedom in the World 2023 - Western Sahara*, 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2090199.html, Zugriff 17.4.2023

             USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

Grundversorgung

Die Grundversorgung der Bevölkerung ist gewährleistet, Brot, Zucker und Gas werden subventioniert (AA 22.11.2022). Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, Wasser, Strom und Abwasserentsorgung verbessert sich allmählich, aber es bestehen nach wie vor große infrastrukturelle Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Gebieten sowie innerhalb marginalisierter städtischer Viertel, in denen es immer noch an grundlegenden Dienstleistungen mangelt. Insgesamt sind 77 % der Haushalte an Abwassersysteme und 85 % an verbesserte Wasserquellen angeschlossen. Einigen Gemeinden fehlen noch immer die technischen und finanziellen Mittel für die Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen, einschließlich öffentlicher Verkehrsmittel (BS 23.2.2022). Staatliche soziale Unterstützung ist begrenzt (vor allem private Organisationen oder die Fondation Mohammed römisch VI), vielfach sind religiös-karitative Organisationen tätig. Die entscheidende Rolle bei der Betreuung Bedürftiger spielt nach wie vor die Familie (AA 22.11.2022).

Marokko hatte die Ausnahmesituationen, hervorgerufen durch die Pandemie und die Ukraine-Krise der vergangenen Jahre, bislang gut überstanden und hat sich dynamisch an die Herausforderungen angepasst. Die weltweit gestiegenen Energiepreise (Öl, Gas und Kohle), die Unterbrechung der Gaspipeline aus Algerien und anhaltender Wassermangel und damit einhergehender Probleme für die Landwirtschaft, haben die Preise für Getreide und Gemüse angeheizt und die Inflation 2022 auf 6,7 % steigen lassen. All dies gab dem aufkeimenden wirtschaftlichen Optimismus im Land zumindest 2022 einen ordentlichen Dämpfer (WKO 4.2023a). Ihren Höchststand erreichte die marokkanische Jahresinflation gegen Ende 2022 mit 8,3 % (WB 14.2.2023).

Allerdings konnte Marokko durch das international hohe Preisniveau von Phosphat im Export einiges auffangen. So konnte für 2022, trotz massiven Einbruch im Agrarbereich, ein Wirtschaftswachstum von 1 % erreicht werden. Für 2023 und die Periode bis ca. 2027 gehen Analysten von durchschnittlich 3 % jährlichem Wachstum aus. Aufgrund der starken Preiserhöhungen haben soziale Spannungen im Land zugenommen. Diese werden zwar anhalten, die generelle Stabilität des Landes wird aber dadurch nicht weiter beeinflusst (WKO 4.2023a).

Die trotz Regierungswechsel stabilen, politischen Verhältnisse und die zahlreichen Investitionspläne mit dem Ziel der Diversifizierung und Stärkung der marokkanischen Wirtschaft und einer Umstellung auf erneuerbare Energie, ziehen mittelfristig gute Geschäftschancen in den unterschiedlichsten Bereichen nach sich:

Prozessoptimierung und Modernisierung der Industrie steht ganz oben auf der Agenda der marokkanischen Industrie. Hier ergeben sich für Automobilzulieferer, Industrieausstatter, Anlagenlieferanten und Dienstleister gute Marktchancen. Die Casablanca Finance City, wurde kürzlich wieder zum wichtigsten und besten Finanzzentrum auf dem Kontinent gekürt, bietet über Marokkos Grenzen hinaus Chancen im Bereich Dienstleistungen, Informationstechnologie, FinTec und Urban Development. Interessant sind auch die Bereiche erneuerbare Energie und Energieeffizienz, Wasserwirtschaft, Tourismus, Infrastrukturausbau, Chemie, maritime Wirtschaft, Umwelttechnologie sowie Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft. Auch im Agrarbereich (landwirtschaftliche Maschinen) oder im Bereich Papier und Holz (Schnittholz) und nicht zuletzt in der Pharmabranche gibt es gute Absatzchancen (WKO 4.2023a).

Marokko ist ein agrarisch geprägtes Land: Die Landwirtschaft erwirtschaftet in Marokko ca. 20 % des BIP und ist damit der bedeutendste Wirtschaftszweig des Landes. Ca. zwei Drittel der Landesfläche wird landwirtschaftlich genutzt, davon 18 % als Ackerland. Da davon nur rund 15 % systematisch bewässert werden, ist die Wetterabhängigkeit sehr hoch. Der Sektor schafft 40 % der Arbeitsplätze und ist Einkommensquelle für drei Viertel der Landbevölkerung. Von den 1,5 Mio. landwirtschaftlichen Betrieben sind mehr als zwei Drittel Kleinstbetriebe, die über weniger als 3 Hektar Land verfügen, mit geringer Mechanisierung arbeiten und nur zu 4 % am Export beteiligt sind. Die modernen Landwirtschaftsbetriebe decken erst rund ein Achtel der kultivierbaren Gesamtfläche ab (WKO 12.5.2023).

Die Arbeitslosenquote liegt für 2023 bei 11 % [Prognose]. Die Arbeitslosenquote der Erwerbstätigen zwischen 15-64 lag 2022 bei 12,9 %, die Jugendarbeitslosenquote (15-24 Jahre) lag bei 24,9 % (WKO 4.2023b). Die Dunkelziffer liegt wesentlich höher - vor allem unter der Jugend. Der informelle Bereich der Wirtschaft wird statistisch nicht erfasst, entfaltet aber erhebliche Absorptionskraft für den Arbeitsmarkt.

Fremdsprachenkenntnisse - wie sie z.B. Heimkehrer aufweisen - sind insbesondere in der Tourismusbranche und deren Umfeld nützlich. Arbeitssuchenden steht die Internet-Plattform des nationalen Arbeitsmarktservices ANAPEC zur Verfügung (www.anapec.org), die neben aktueller Beschäftigungssuche auch Zugang zu Fortbildungsmöglichkeiten vermittelt. Unter 30-Jährige, die bestimmte Bildungsebenen erreicht haben, können mithilfe des OFPPT (www.ofppt.ma/) eine weiterführende Berufsausbildung einschlagen (ÖB 8.2021).

Die wirtschaftliche Erholung des Tourismus in Marokko nach COVID erhält nach der Fußball Weltmeisterschaft einen großen Schub. Marokkos Auftritt bei der Weltmeisterschaft war wie eine massive Marketingkampagne für das Land und somit für den Tourismus. Der Sektor ist die wichtigste Devisenquelle des Landes. Ende Oktober 2022 beliefen sich die Einnahmen aus dem Tourismus auf 6,1 Mrd. Euro, was einem deutlichen Anstieg von 148,9 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Das Land verzeichnete in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 7,7 Mio. Touristenankünfte. Dieser massive Zustrom von Touristen ermöglichte es dem Sektor, sich nach mehr als zwei Jahren Stagnation und Einnahmenausfällen zu erholen (WKO 1.2023).

Armut ist weit verbreitet und wirtschaftliche Möglichkeiten sind für einen großen Teil der Bevölkerung knapp (FH 2023). Umfragen deuten darauf hin, dass das subjektive Wohlbefinden der marokkanischen Haushalte in den letzten Monaten gesunken ist. Der umfragebasierte Haushalts-Vertrauensindex der Haushalte, der von HCP erstellt wurde, begann gegen Ende 2021 zu sinken und erreichte im dritten Quartal 2022 einen 14-Jahres-Tiefstand. Besorgniserregend ist, dass mehr als die Hälfte der befragten Haushalte der Ansicht ist, dass sich ihre finanzielle Situation im vergangenen Jahr verschlechtert hat, während 81 % der Ansicht sind, dass sich ihr Lebensstandard verschlechtert hat, und 87 % erwarten einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Zukunft (WB 2022/23).

Es kam zu mehreren Demonstrationen gegen die steigenden Preise im Land. Am 4.12.2022 versammelten sich zwischen 1.200 und 3.000 Menschen in Rabat, um gegen die hohen Lebensmittelpreise, Korruption und staatliche Repressionen zu demonstrieren. Als Reaktion darauf hat die Regierung Maßnahmen ergriffen. Im Oktober hat die Regierung einen Fond mit 4,1 Mrd. EUR gestartet, um private Investitionen und die Wirtschaft des Landes zu unterstützen (BAMF 12.12.2022).

Um die Auswirkungen der Lebensmittel- und Energiepreise auf die Haushalte abzumildern, verabschiedete Marokko ein politisches Paket, das allgemeine Subventionen für Grundnahrungsmittel umfasste und die bereits bestehenden regulierten Preise beibehielt. Dieser Ansatz stabilisierte die Preise für Waren und Dienstleistungen, die fast ein Viertel der Ausgaben eines Durchschnittshaushalts ausmachen, und verhinderte so einen möglicherweise stärkeren Anstieg der Armut. Es erforderte die Mobilisierung zusätzlicher öffentlicher Ausgaben in Höhe von fast 2 % des BIP (WB 14.2.2023).

Ungeachtet dieser Maßnahmen litten bescheidene und gefährdete Haushalte immer noch am meisten unter den Auswirkungen der steigenden Lebensmittel- und sonstigen Preise aufgrund der Inflation. Dem Bericht zufolge war die jährliche Inflation für die ärmsten 10 % der Bevölkerung um fast ein Drittel höher als für die reichsten 10 % der Bevölkerung, was in erster Linie auf die Auswirkungen der Preissteigerungen bei Lebensmitteln zurückzuführen ist, die einen höheren Anteil an den Ausgaben der ärmeren Haushalte ausmachen. In dem Bericht heißt es ferner, dass die geplante umfassende Reform des sozialen Sicherheitsnetzes des Königreichs eine wirksame Ausrichtung der Subventionen auf die Unterstützung der Armen und Schwachen ermöglichen wird (WB 14.2.2023).

Die marokkanische Regierung führt Programme der Armutsbekämpfung (INDH) und des sozialen Wohnbaus. Eine staatlich garantierte Grundversorgung/arbeitsloses Basiseinkommen existiert allerdings nicht. Der Mindestlohn (SMIG) liegt bei 2.828 Dirham (ca. EUR 270). Ein Monatslohn von etwa dem Doppelten dieses Betrags gilt als bürgerliches Einkommen. Statistisch beträgt der durchschnittliche Monatslohn eines Gehaltsempfängers 4.060 Dirham, wobei allerdings die Hälfte der - zur Sozialversicherung angemeldeten - Lohnempfänger nur den Mindestlohn empfängt. Ein ungelernter Hilfsarbeiter erhält für einen Arbeitstag (10 Std.) ca. 100 Dirham, Illegale aus der Subsahara erhalten weniger (ÖB 8.2021).

Dennoch wird erwartet, dass sich das Wirtschaftswachstum Marokkos dank einer Erholung des Primärsektors im Jahr 2023 auf 3,1 % beschleunigen wird (WB 14.2.2023).

Ein Erdbeben der Stärke 7 mit Epizentrum in der Gemeinde Ighil in der Provinz Al Haouz, hat Marokko in der Nacht von Freitag, 8.9.2023, auf Samstag, 9.9.2023, erschüttert (Le matin.ma 8.9.2023; vergleiche Le matin.ma 10.9.2023a). Das Erdbeben war gegen 23:11 Uhr in mehreren Städten Marokkos zu spüren. Das Beben trieb viele Menschen in Casablanca, Rabat, Marrakesch und Agadir auf die Straßen (Le matin.ma 8.9.2023). Laut Reuters-Zeugen flohen Menschen in Rabat, etwa 350 km nördlich von Ighil, dem Epizentrum des Bebens, und in der Küstenstadt Imsouane, etwa 180 km westlich, aus Angst vor einem stärkeren Beben aus ihren Häusern (ORF 9.9.2023). Die Telefonleitungen waren gestört. Nach Angaben des US-amerikanischen Instituts für Geologische Überwachung (USGS) wurde gegen 23:30 Uhr nordöstlich von Taroudant ein zweites Beben der Stärke 4,9 registriert (Le matin.ma 8.9.2023).

Nach Angaben des örtlichen Beamten seien in der schwer zugänglichen Bergregion auch die meisten Opfer zu beklagen. Einwohner der Stadt Marrakesch berichten von eingestürzten Gebäuden in der historischen Altstadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört (tagesschau 9.9.2023). Berichten zufolge leben 1,8 Millionen Menschen in den fünf betroffenen Provinzen, ein Drittel der marokkanischen Bevölkerung sind Kinder. Daher ist zu befürchten, dass unter den Opfern und Betroffenen auch sehr viele Kinder sind (Unicef.de 12.9.2023). Die meisten Opfer unter den Kindern gab es in den Provinzen Al Haouz, gefolgt von Chichaoua und Taroudant, berichtet die Tageszeitung Al Ahdath Al Maghribia. Seismologen sagen für die kommenden Tage und Wochen Nachbeben voraus (Magrhreb-Post.de 15.9.2023). Die Schäden betreffen vor allem die Provinzen Chichaoua und Taroudant (Le matin 10.9.2023b). Es war das stärkste Erdbeben, das jemals in der Geschichte Marokkos gemessen wurde und war so stark, dass es fast alle Bewohner des Königreichs spürten. Die Provinzen und Gemeinden Al Haouz, Marrakesch, Ouarzazate, Azilal, Chichaoua und Taroudant waren von dem starken Erdbeben besonders betroffen und verzeichneten fast alle Opfer und eingestürzten Gebäude. Auch in der Provinz Al Haouz wurden Nachbeben geringerer Intensität registriert (Le matin.ma 10.9.2023a). In Ausführung der Hohen Königlichen Weisungen wurde eine dreitägige Staatstrauer beschlossen (Le matin.ma 10.9.2023a; vergleiche tagesschau 12.9.2023). Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sind mehr als 300.000 Menschen in Marrakesch und umliegenden Gebieten von dem Unglück betroffen (tagesschau 12.9.2023; vergleiche Unicef.de 12.9.2023). Die humanitäre Situation verschlechtert sich zunehmend. Die Familien benötigen nun am dringendsten Wasser, Nahrung, Hygieneartikel, Gesundheitsversorgung und eine sichere Unterkunft (Care.at 11.9.2023; vergleiche tagesschau 12.9.2023). Der Präsident des Repräsentantenhauses geht davon aus, dass der Wiederaufbau mehrere Jahre benötigen kann (Magrhreb-Post.de 18.9.2023a). Auch Präsident Biden drückte seine Unterstützung in einem Telefonat mit König Mohammed römisch VI. zum Ausdruck (Magrhreb-Post.de 18.9.2023b).

Quellen:

▪             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

▪             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.12.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw50-2022 .pdf?__blob=publicationFile&v=6, Zugriff 12.4.2023

▪             BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 - Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023

▪             Care.at (11.9.2023): Erdbeben in Marokko: CARE leistet Nothilfe, https://care.at/erdbeben-inmarokko-care-bereitet-soforthilfemassnahmen-vor/, Zugriff 18.9.2023

▪             FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

▪             Le matin.ma (18.9.2023): Séisme d'Al Haouz: reprise des études dans la commune ’Amizmiz, https://lematin.ma/express/2023/seisme-al-haouz-reprise-etudes-communedamizmiz/394323.html, Zugriff 19.9.2023

▪             Le matin.ma (17.9.2023): Séisme: environ 6.000 collégiens et lycéens des zones sinistrées transférés vers d'autres établissements, https://lematin.ma/express/2023/seisme-6000-collegiens-lyceenszones-sinistrees-transferes/394279.html, Zugriff 19.9.2023

▪             Le matin.ma (10.9.2023a): Séisme au Maroc: retour sur une catastrophe naturelle sans précédent, https://lematin.ma/express/2023/seisme-maroc-retour-catastrophe-naturelleprecedent/394000.html?, Zugriff 19.9.2023

             Le matin.ma (10.9.2023b): Séisme au Maroc: le ministère de l’éducation suspend les cours dans 42 communes et douars, https://lematin.ma/express/2023/seisme-maroc-cours-suspendus-42-communes-douars/394008.html, Zugriff 19.9.2023

▪             Le matin.ma (8.9.2023): Un séisme de magnitude 7 ressenti dans plusieurs villes du Maroc, https://lematin.ma/express/2023/seisme-magnitude-7-ressenti-plusieurs-villesmaroc/393919.html, Zugriff 18.9.2023

▪             Magrhreb-Post.de (18.9.2023a): Marokko – König bedankt sich bei ausländischen Rettungskräften, https://www.maghreb-post.de/marokko-koenig-bedankt-sich-bei-auslaendischenrettungskraeften/, Zugriff 19.9.2023

▪             Magrhreb-Post.de (18.9.2023b): Marokko – USA bekräftigen Unterstützung nach dem schweren Erdbeben in Al Haouz, https://www.maghreb-post.de/marokko-usa-bekraeftigen-unterstuetzungnach-dem-schweren-erdbeben-in-al-haouz/, Zugriff 19.9.2023

▪             Magrhreb-Post.de (15.9.2023): Marokko – Erdbeben könnte bis zu 100.000 Kinder betroffen haben, https://www.maghreb-post.de/marokko-erdbeben-koennte-bis-zu-100-000-kinderbetroffen-haben/, Zugriff 18.9.2023

▪             ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 30.9.2022

▪             ORF - Österreichischer Rundfunk (9.9.2023): Verheerendes Erdbeben in Marokko: 296 Tote, https://orf.at/stories/3330521/, Zugriff 18.9.2023

▪             tagesschau (12.9.2023): Der Überlebenskampf geht weiter, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/marokko-erdbeben-ausnahmezustand-104.html, Zugriff 18.9.2023

▪             tagesschau (9.9.2023): Hunderte Tote bei schwerem Erdbeben in Marokko, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/erdbeben-marokko-100.html, Zugriff 18.9.2023

▪             Unicef.de (12.9.2023): Erdbeben in Marokko: Mindestens 100.000 Kinder betroffen, https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/erdbeben-in-marokkohelfen/338922, Zugriff 18.9.2023

▪             WB - The World Bank (14.2.2023): Morocco’s Economy Has Come Under Pressure from Supply Shocks, https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2023/02/14/morocco-s-economy-hascome-under-pressure-from-supply-shocks, Zugriff 20.4.2023

▪             WB - The World Bank (2022/23): Middle East - North Africa: Economic Monitor – Morocco Economic Update, Responding to Supply Shocks, https://documents1.worldbank.org/curated/en/099332002132325417/pdf/IDU0e3742c55010a3044730a80a0ad6062acd9db.pdf, Zugriff 20.4.2023

▪             WKO - Wirtschaftskammer Österreich (1.2023): Aussenwirtschaft Nordafrika Newsletter, Ägypten, Algerien Marokko, Libyen, Tunesien, Sudan, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/nordafrika-newsletter-2023-1.pdf, 20.4.2023

▪             WKO - Wirtschaftskammer Österreich (4.2023a): Aussenwirtschaft, Wirtschaftsbericht Marokko, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/marokko-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 19.5.2023

▪             WKO - Wirtschaftskammer Österreich (4.2023b): Länderprofil Marokko, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-marokko.pdf, Zugriff 19.5.2023

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung durch Ärzte und Krankenhäuser in Marokko ist im Vergleich zur Weltbevölkerung unterdurchschnittlich (LI o.D.). Die medizinische Grundversorgung ist vor allem im städtischen Raum weitgehend gesichert, aber kostenpflichtig und bei privaten Anbietern auch teuer (AA 22.11.2022). Pro 1000 Einwohner stehen im Land 1,0 Krankenhausbetten zur Verfügung. Der weltweite Mittelwert liegt hier bei 2,9 Betten. Innerhalb der EU stehen 4,6 Betten für jeweils 1000 Einwohner zur Verfügung (LI o.D.). Es gibt einen großen qualitativen Unterschied zwischen öffentlicher und (teurer) privater Krankenversorgung. Selbst modern und gut ausgestattete medizinische Einrichtungen garantieren keine europäischen Standards (AA 22.11.2022). In Rabat und Casablanca finden sich allerdings gute Privatkliniken von hohem Standard (AA 8.6.2023; vergleiche BMEIA 5.6.2023). Der öffentliche Gesundheitssektor ist in seiner Ausstattung und Qualität sowie bei der Hygiene überwiegend nicht mit europäischen Standards zu vergleichen. Lange Wartezeiten und Mangel an medizinischen Versorgungsgütern und Arzneien sind zu beobachten (ÖB 8.2021). Insbesondere das Hilfspersonal ist oft unzureichend ausgebildet, Krankenwagen sind in der Regel ungenügend ausgestattet. Die Notfallversorgung ist wegen Überlastung der Notaufnahmen in den Städten nicht immer gewährleistet, auf dem Land ist sie insbesondere in den abgelegenen Bergregionen unzureichend (AA 22.11.2022). Mit rund 27.200 ausgebildeten Ärzten in Marokko stehen pro 1000 Einwohner rund 0,73 Ärzte zur Verfügung (LI o.D.). Es kommt zu einem ungleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung in den verschiedenen Regionen. Etwa 52 % der Ärzte befinden sich in den beiden Regionen Rabat-Salé-Kénitra und Casablanca-Settat, obwohl dort nur 34 % der Bevölkerung leben (Gesundheitsministerium, 2016). So hat nur 30 % der Landbevölkerung Zugang zu Gesundheitseinrichtungen (BS 23.2.2022).

Private Spitäler, Ambulanzen und Ordinationen bieten medizinische Leistungen in ähnlicher Qualität wie in Europa an, wenn auch nicht in allen fachmedizinischen Bereichen gleich und örtlich auf die Städte beschränkt (Casablanca, Rabat, Tanger und andere größere Städte). Diese Dienstleistungen sind freilich mit entsprechenden Honoraren verbunden. Eine Konsultation beim Wahlarzt (Allgemeinmedizin) kostet ab 150 Dirham (13 Euro), beim Facharzt ab 200 (17 Euro) Dirham bis 500 (45 Euro) Dirham und mehr bei Spezialisten (zum Vergleich der Mindestlohn: 2.570 Dirham/234 Euro) (ÖB 8.2021).

Chronische und psychiatrische Krankheiten oder auch AIDS-Dauerbehandlungen lassen sich in Marokko vorzugsweise in privaten Krankenhäusern behandeln. Bei teuren Spezialmedikamenten soll es in der öffentlichen Gesundheitsversorgung bisweilen zu Engpässen kommen. Bei entsprechender Finanzkraft ist fast jedes lokalproduzierte oder importierte Medikament erhältlich (AA 22.11.2022). Allerdings kann durch die medizinische Versorgung in Marokko die Sterblichkeit wesentlicher, bekannter Krankheiten weitestgehend reduziert werden. So sterben nach aktuellem Stand etwa 24 % aller Menschen, die an Krebs, Diabetes, Herzkreislauferkrankungen oder der Chylomikronen-Retentions-Krankheit (CRD) leiden (LI o.D.).

Auf 1.775 Einwohner entfällt ein Arzt. 152 öffentliche Krankenhäuser führen etwas mehr als 25.440 Betten (ein Spitalsbett auf ca. 1.381 Einwohner); daneben bestehen 2.408 Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung. Inhaber der Carte RAMED können bei diesen Einrichtungen medizinische Leistungen kostenfrei erhalten. Wer weder unter das RAMED-System fällt, noch aus einem Anstellungsverhältnis pflichtversichert ist, muss für medizinische Leistungen aus Eigenem aufkommen (ÖB 8.2021). Nach anderen Angaben sind medizinische Dienste kostenpflichtig und werden bei bestehender gesetzlicher Krankenversicherung von dieser erstattet. Es gibt ein an die Beschäftigung geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem (CNSS). Seit 2015 können sich unter bestimmten Umständen auch Studierende und legal im Land aufhaltende Ausländer versichern lassen. Mittellose Personen können auf Antrag bei der Präfektur eine Carte RAMED zur kostenfreien Behandlung erhalten (AA 22.11.2022).

Im Mai 2021 streikten die Ärzte im öffentlichen Dienst 48-Stunden, um gegen die Untätigkeit der Behörden zu protestieren, und forderten eine bessere Ausstattung der öffentlichen Krankenhäuser, wie auch bessere Gehalts- und Arbeitsbedingungen (AI 29.3.2022). Nach Demonstrationen gegen hohe Lebensmittelpreise und politische Repressionen in Rabat am 4.12.2022, ergriff die Regierung auch weitere Maßnahmen und führte die medizinische Versorgung für alle Bürger ein, von welchen bereits 10 Mio. Menschen profitiert haben (BAMF 12.12.2022).

Die Pandemie hat auch die Anfälligkeit der Gesundheitsinfrastrukturen deutlich gemacht. Marokko verdoppelte seine Kapazität an Krankenhausbetten, es wurden Testzentren eingerichtet und im Jänner 2021 startete landesweit eine massive Impfkampagne (BS 23.2.2022). Allerdings produzierte Marokko während der Coronapandemie mehr Medizintechnik lokal, wie z.B. Verbrauchsgüter wie Masken, Desinfektionsmittel aber auch Beatmungsgeräte oder Notfallbetten. Der Großteil der Hightech-Produkte wird weiterhin durch Importe gedeckt. Marokko baut zudem Kapazitäten auf, um in einigen Jahren selbst Impfstoffe produzieren und entwickeln zu können (ABG 2.2023). Im Laufe des Jahres 2022 starben 1.445 Menschen an Covid-19. Bis Ende 2022 hatten 66,8 % der Bevölkerung mindestens eine Dosis des Covid-19-Impfstoffs erhalten (AI 27.3.2023). Seit Beginn der Pandemie bis zum 25.7.2023 wurden in Marokko 1.275.224 Infizierte und 16.297 Todesfälle gemeldet (LI o.D.).

Im Bereich der Basis-Gesundheitsversorgung wurde 2012 das Programm RAMED eingeführt und erstreckt sich auf 8,5 Mio. Einwohner der untersten Einkommensschichten bzw. auf vulnerable Personen, die bisher keinen Krankenversicherungsschutz genossen. Im Oktober 2012 waren bereits 1,2 Mio. Personen im RAMED erfasst (knapp 3 % der Haushalte). RAMED wird vom Sozialversicherungsträger ANAM administriert, der auch die Pflichtkrankenversicherung AMO der unselbstständig Beschäftigten verwaltet. Zugang haben Haushaltsvorstände und deren Haushaltsangehörige, die keiner anderen Pflicht-Krankenversicherung unterliegen. Die Teilnahme an RAMED ist gratis (Carte RAMED), lediglich vulnerable Personen zahlen einen geringen Beitrag (11 Euro pro Jahr pro Person). Ansprechbar sind die Leistungen im staatlichen Gesundheitssystem (Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung und Vorsorge sowie Krankenhäuser) im Bereich der Allgemein- und Fachmedizin, stationärer Behandlung, Röntgendiagnostik etc. Die Dichte und Bestückung der medizinischen Versorgung ist auf einer Website des Gesundheitsministeriums einsehbar (ÖB 8.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.6.2023): Marokko: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/marokkosicherheit/224080#content₅, Zugriff 8.8.2023

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

             ABG Africa Business Guide (2.2.2023): iMOVE Marktstudie Marokko, https://www.africa-business-guide.de/resource/blob/955164/019a4e7d034e6e87d9adf302ccb32f34/imove-marktstudie-marokko-data.pdf, Zugriff 25.7.2023

             AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Morocco And Western Sahara 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089568.html, Zugriff 11.4.2023

             AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World’s Human Rights; Morocco and Western Sahara 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070307.html, Zugriff am 31.3.2022

             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.12.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/Sharehttps://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw50-2022 .pdf?__blob=publicationFile&v=6, Zugriff 12.4.2023

             BMEIA - Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (5.6.2023): Reiseinformation Marokko (Königreich Marokko), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 8.8.2023

             BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023

             LI - Länderdaten.info (o.D.): Gesundheitswesen in Marokko, https://www.laenderdaten.info/Afrika/Marokko/gesundheit.php, Zugriff 26.7.2023

             ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

Rückkehr

Das Stellen eines Asylantrags im Ausland ist nicht strafbar und wird nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts von den Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet (AA 22.11.2022).

Migrantinnen und Migranten können bei der freiwilligen Rückkehr aus Österreich nach Marokko durch die BBU (Rückkehrberatung und Organisation der Reise), bzw. IOM (Organisation der Reise im Falle von vulnerablen Personen oder Personen mit legalem Aufenthaltstitel in Österreich), nach Bestätigung der Kostenübernahme durch das BFA, unterstützt werden. Freiwillige Rückkehrer/innen aus Österreich nach Marokko haben zudem die Möglichkeit, nach Bestätigung der Projektaufnahme durch das BFA und Erfüllung der Teilnahmekriterien, am Reintegrationsprojekt Frontex JRS teilzunehmen (IOM 27.7.2023).

Das Reintegrationsprogramm „Frontex − Joint Reintegration Services“ (FX JRS) bietet Rückkehrern, in Kooperation mit einer lokalen Partnerorganisation Unterstützung bei ihrer Reintegration in Ihr Heimatland an. Das Post-arrival Paket im Wert von € 615 dient der unmittelbaren Unterstützung nach der Ankunft in Marokko. Es beinhaltet folgende Sofortleistungen: Nach der Begrüßung am Flughafen durch einen Reintegrationspartner und des Airports Pick-up, wie auch Unterstützung bei der Weiterreise (Organisation und Kostenübernahme), erhalten Rückkehrer u.a. eine Pre-Paid SIM-Karte, Hygieneartikel (Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Shampoo, etc.), eine Flasche Wasser, ein warmes Essen (auch als Gutschein möglich), altersgerechtes Spielzeug für Kinder. Zudem wird eine temporäre Unterkunft für bis zu drei Tage nach der Ankunft bereitgestellt und nach Bedarf auch unmittelbare medizinische Unterstützung (BMI 2023).

Des Weiteren sollte die rückkehrende Person keine oder weniger Sofortleistungen benötigen, erhält sie den anteiligen Betrag der € 615 vom lokalen Partner in bar ausbezahlt (BMI 2023).

Zur längerfristige Reintegrationsunterstützung, erhalten Rückkehrer ein Post-return Paket in der Höhe von Euro 2.000. Davon Euro 200 als Bargeld und Euro 1.800 in Form von Sachleistungen auf Grundlage eines Reintegrationsplans, der mit Hilfe der lokalen Partnerorganisation in den ersten sechs Monaten nach der Rückkehr erstellt wird. Zu den angebotenen Sachleistungen des Post-return Pakets gehören unter anderem: Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens, Bildungsmaßnahmen, Trainings, Unterstützung beim Eintritt in den Arbeitsmarkt, bei der Einschulung von Kindern, wie auch rechtliche und administrative Beratungsleistungen, Familienzusammenführung, Unterstützung im Zusammenhang mit Wohnen und Haushalt (Einrichtung) und medizinische und psychosoziale Unterstützung (BMI 2023).

Quellen:

▪             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

▪             BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (2023): Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) - Marokko - So funktioniert die Rückreise in Ihre Heimat, https://www.returnfromaustria.at/morocco/morocco_deutsch.html, Zugriff 31.7.2023.

▪             IOM - International Organization for Migration (27.7.2023): Informationen zur freiwilligen Rückkehr nach Marokko, Auskunft von IOM via E-Mail, Quelle liegt in der Staatendokumentation auf

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz, sowie in die zitierten Länderberichte zu Marokko.

Auszüge aus dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister, dem zentralen Melderegister, dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger und dem Strafregister wurden ergänzend zum vorgelegten Verwaltungsakt eingeholt.

Darüber hinaus wurde Einsicht genommen in den ho. Gerichtsakt zur Zl. I407 1310778-2 bezüglich des vorangegangenen Rückkehrentscheidungsverfahrens des Beschwerdeführers sowie der abweisende Bescheid zu seinem ersten Asylverfahren und die Strafurteile hinsichtlich seiner rechtskräftigen Verurteilungen in Österreich beigeschafft.

Überdies wurde Beweis aufgenommen durch die Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 01.02.2024, welcher der Beschwerdeführer trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt fernblieb.

Der unter Punkt römisch eins. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Da der Beschwerdeführer vor den österreichischen Behörden keine unbedenklichen identitätsbezeugenden Dokumente im Original in Vorlage brachte, steht seine Identität nicht fest. Vor dem BFA behauptete er, niemals Personaldokumente besessen zu haben. Dem Beschwerdeschriftsatz war schließlich nur die Kopie eines im April 1993 ausgestellten Führerscheins der „demokratischen arabischen Republik Sahara“ samt beglaubigter Übersetzung – wobei darin angeführt wird, dass der Ausstellungsort und die Wohnadresse unleserlich seien – angeschlossen. Diese vorgelegte Kopie ist naturgemäß keiner Echtheitsüberprüfung zugänglich.

Die Feststellungen zu seiner Volljährigkeit, seiner Herkunft, seinen Lebensumständen, seinen Familienverhältnissen, seinem Gesundheitszustand, seiner Erwerbsfähigkeit, seiner Berufserfahrung, seiner Staatsangehörigkeit und seiner Konfession ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren. Bezüglich seiner Volksgruppenzugehörigkeit ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich widersprüchliche Angaben tätigte. In seinem ersten Asylverfahren sowie in seinem vorangegangenen Rückkehrentscheidungsverfahren hatte er noch angegeben, Angehöriger der Volksgruppe der Araber zu sein. Im gegenständlichen Verfahren hatte er vor dem BFA wiederum behauptet, er gehöre der Volksgruppe der Berber an (AS 93), was im angefochtenen Bescheid infolge dessen auch so festgestellt wurde (AS 118). In der Erstbefragung hatte er hingegen noch zu Protokoll gegeben, der Volksgruppe der Sahraui anzugehören (AS 58). Nachdem in der Beschwerde wiederum ausdrücklich geltend gemacht wurde, er sei der „Volksgruppe aus der Region Westsahara“ (Sahraui) zugehörig (AS 195) und diese Widersprüchlichkeiten im Rahmen der Verhandlung mit dem unentschuldigt ferngebliebenen Beschwerdeführer mangels seiner Mitwirkung am Verfahren nicht erörtert werden konnten, konnte die Volksgruppe des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden.

Die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gründen auf dem unbestrittenen Akteninhalt in Zusammenschau mit eingeholten Auskünften aus dem zentralen Melderegister und dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister. Dass ein durchgehender Inlandsaufenthalt seit dem Jahr 2007 nicht festgestellt werden kann, gründet darauf, dass es sich hierbei um eine schlichte Behauptung des Beschwerdeführers vor dem BFA handelte und sich weder aus seiner melderechtlichen Erfassung noch aus anderen Umständen Anhaltspunkte für einen derart langen, durchgängigen Aufenthalt in Österreich ergeben hätten. Mangels der Mitwirkung des Beschwerdeführers am Verfahren hat er es auch verabsäumt, derartige Umstände im Rahmen der Beschwerdeverhandlung in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise darzulegen. Liegen keine anderen Beweisergebnisse zum jeweiligen Beweisthema vor und ist es dem VwG nicht möglich, sich amtswegig von den relevanten Umständen Kenntnis zu verschaffen, so kann dies auch eine Negativfeststellung zu den im Rahmen der Mitwirkungspflicht von der ausgebliebenen Partei unter Beweis zu stellenden Umständen rechtfertigen vergleiche VwGH 26.03.2021, Ra 2019/03/0128).

Dass der Beschwerdeführer keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht aufweist ergibt sich aus dem Umstand, dass er solche im Verfahren weder darzulegen geschweige denn formell nachzuweisen vermochte. Einen Nachweis über eine erfolgreich abgelegte Sprachprüfung hat er niemals erbracht und belegt überdies eine Abfrage im Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger, dass er im Bundesgebiet zu keinem Zeitpunkt einer angemeldeten Erwerbstätigkeit nachging. Durch die lapidare Behauptung im Beschwerdeschriftsatz, wonach er „massive soziale Kontakte“ im Bundesgebiet habe (AS 201), ohne auch nur einen dieser Kontakt namentlich zu benennen oder die Natur dieser in Rede stehenden Beziehungen in irgendeiner Weise zu konkretisieren, wurde jedenfalls kein substantiiertes Vorbringen erstattet, das nahelegen würde, dass der Beschwerdeführer in Österreich über maßgebliche private Anknüpfungspunkte verfügt. Auch ließ er die Gelegenheit, dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Beschwerdeverhandlung das Vorhandensein schützenswerter Privatkontakte im Bundesgebiet in substantiierter Weise darzulegen oder etwaige Deutsch-Kenntnisse zu demonstrieren, ungenützt verstreichen, indem er der Verhandlung unentschuldigt fernblieb. Insofern war auch der unbestritten gebliebenen Feststellung im angefochtenen Bescheid, wonach der Beschwerdeführer nur „etwas Deutsch“ spreche (AS 119), zu folgen. Sollte es der Beschwerdeführer verabsäumt haben, im Verfahren konkrete Angaben zu seiner privaten und familiären Situation zu machen, die erst eine Abwägung daraus allenfalls erwachsender Interessen mit den gegenläufigen öffentlichen Interessen im Sinne des Artikel 8, Absatz 2, EMRK ermöglicht hätten, ist die Behörde bzw. das VwG zu einer Interessenabwägung auch nicht verpflichtet und jedenfalls nicht gehalten, von sich aus an den Fremden heranzutreten, um ihn zur Bekanntgabe allenfalls bedeutsamer, seiner persönlichen Sphäre zugehöriger und damit von einer erhöhten Mitwirkungspflicht umfaßter Umstände zu veranlassen vergleiche VwGH 14.02.2002, 99/18/0199, mwN).

Die drei rechtskräftigen, nicht getilgten strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers gehen aus einer Abfrage im Strafregister der Republik hervor. Die Feststellungen bezüglich den diesen Verurteilungen zugrundeliegenden strafbaren Handlungen sowie den Erwägungen der Strafgerichte hinsichtlich der Strafbemessung gründen auf dem Inhalt der betreffenden, seitens des Bundesverwaltungsgerichts beigeschafften Strafurteile des Landesgerichts römisch 40 .

2.2. Zum Fluchtvorbringen und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer verwies in der Begründung seines verfahrensgegenständlichen Antrags auf internationalen Schutz auf seine bereits im Zuge seines ersten Asylverfahrens im Jahr 2007 geltend gemachten Fluchtgründe. Damals hatte er im Wesentlichen vorgebracht, dass er aus dem Gebiet der Westsahara stamme und bereits einen vierjährigen verpflichtenden „Vaterlandsdienst“ für die Frente Polisario, die politisch-militärische Organisation der west-saharischen Befreiungsbewegung, als Mechaniker absolviert habe, nach seiner Abrüstung jedoch neuerlichen Rekrutierungsversuchen ausgesetzt gewesen sei und im Falle seiner Rückkehr befürchte, von der Polisario rekrutiert und zur Teilnahme an Kampfhandlungen gezwungen zu werden. Auf die konkrete Frage, was ihn denn im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarte, entgegnete der Beschwerdeführer nunmehr im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 17.11.2023, dass er dort niemanden mehr habe, dies sei alles. Weder er noch Angehörige von ihm hätten sich in Marokko je politisch bzw. religiös betätigt und sei er auch niemals aus religiösen oder politischen Gründen, aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seiner sozialen Stellung konkret und persönlich einer Verfolgung ausgesetzt gewesen. In der Beschwerde wurde wiederum vorgebracht, der Beschwerdeführer gehöre dem Stamm der Westsahara an und sei alleine die Herkunft aus diesem Gebiet ein asylrelevanter Umstand.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt auf Grundlage des durchgeführten Ermittlungsverfahrens zum Schluss, dass der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung glaubhaft gemacht hat. Im Übrigen erscheint aus Sicht der erkennenden Richterin bereits die Angabe des Beschwerdeführers, ursprünglich aus der Westsahara zu stammen, nicht glaubhaft. Doch selbst wenn man eine ursprüngliche Herkunft aus der Westsahara und eine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sahrauis annimmt, ist für den Beschwerdeführer nichts gewonnen:

Eingangs ist festzuhalten, dass die allgemeinen Länderberichte keinerlei Informationen über etwaige Zwangsrekrutierungen von Bewohnern der Westsahara seitens der Frente Polisario beinhalten. Zwar berichten einzelne Medien immer wieder über angebliche Rekrutierungen von Kindersoldaten im Flüchtlingslager in der algerischen Provinz Tindouf vergleiche etwa zuletzt Morocco World News (06.02.2024): Spanish NGOs Urge International Action on Polisario’s Child Recruitment, https://www.moroccoworldnews.com/2024/02/360613/spanish-ngos-urge-international-action-on-polisarios-child-recruitment, Zugriff 09.02.2024), diese Anschuldigungen wurden von offiziellen Vertretern der Frente Polisario jedoch stets als von politischen Gegnern bewusst gestreute Fehlinformationen zurückgewiesen vergleiche etwa Sahara Press Service (06.08.2023): Polisario’s Representative at the UN exposes Moroccan representative’s falsifications regarding allegations of Saharawi children’s military enrolment, https://archive.spsrasd.info/en/articles/2023/06/08/46192.html, Zugriff 09.02.2024).

Die Rekrutierungspraxis der Frente Polisario kann im konkreten Fall jedoch ohnedies dahingestellt bleiben, da sich deren Einflussbereich vor dem Hintergrund der einschlägigen Länderberichte ausschließlich auf das Gebiet der Westsahara beschränkt vergleiche Punkt römisch II.1.3.) und keinerlei Umstände gegeben sind, die nahelegen würden, dass dem Beschwerdeführer gegenständlich nicht die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative möglich und auch zumutbar wäre.

Er ist volljährig, gesund und erwerbsfähig, überdies ist er ledig und ohne Sorgepflichten. Auch Sahrauis genießen innerhalb Marokkos uneingeschränkte Bewegungsfreiheit und stellt die Regierung diesen üblicherweise weiterhin Reisedokumente zur Verfügung und ermutigte sogar saharauische Flüchtlinge aus Algerien und anderen Ländern zur Rückkehr, wenn sie die Souveränität der Regierung über die Westsahara anerkennen. Marokko erkennt außerdem in seiner Verfassung ausdrücklich die Diversität der Nation an und ist staatliche Diskriminierung gegenüber ethnischen Minderheiten nicht vorhanden. Die Gefahr einer systematischen, landesweiten Verfolgung in Marokko aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit zu den Sahraui oder der Herkunft aus dem Gebiet der Westsahara geht aus keinem der einschlägigen Länderberichte hervor vergleiche Punkt römisch II.1.3.).

Dem Beschwerdeführer steht es somit ohne Weiteres offen, sich der Gefahr einer befürchteten Zwangsrekrutierung durch die Frente Polisario durch eine Relokation in einen anderen Landesteil, etwa in eine frei zugängliche Großstadt wie Casablanca, Fès, Tanger oder Marrakesch, zu entziehen und ist er dort auch keiner Verfolgungsgefahr aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Herkunft ausgesetzt, weswegen seinem Vorbringen bereits unter diesem Gesichtspunkt die Asylrelevanz zu versagen war vergleiche VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066).

Nicht zuletzt bleibt vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer der mündlichen Verhandlung am 01.02.2024 trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt fernblieb, noch darauf hinzuweisen, dass auch eine qualifizierte Verletzung der Mitwirkungspflicht durch die Partei, die zur Abweisung des Asylantrages führen kann, die Annahme rechtfertigen muss, der Asylantrag entbehre eindeutig jeder Grundlage vergleiche VwGH 23.11.2006, 2005/20/0409).

Somit ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine aktuelle, gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich auch den tragenden Erwägungen des BFA hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an. Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund und erwerbsfähig, zudem ledig und ohne Sorgepflichten. Er hat in seinem Herkunftsstaat bereits Berufserfahrung als Viehzüchter und Verkäufer gesammelt und sind keinerlei Gründe ersichtlich, weshalb er im Falle seiner Rückkehr nach Marokko nicht durch die neuerliche Aufnahme einer Tätigkeit, selbst wenn es sich dabei um eine Hilfstätigkeit oder einen Gelegenheitsjob handelt, seinen Lebensunterhalt bestreiten können sollte. Auch wenn er keine familiäre Unterstützung erfahren sollte, so wird er mit seiner Berufserfahrung in der Lage sein können, sich ein Grundeinkommen zu sichern und steht ihm – wie bereits dargelegt - die Möglichkeit offen, sich in einen anderen Landesteil, etwa in eine frei zugängliche Großstadt wie Casablanca, Fès, Tanger oder Marrakesch, zu begeben, um sich beispielsweise eine Tätigkeit in einem aussichtsreichen Wirtschaftszweig wie der Landwirtschaft oder der Bau- oder Infrastrukturbranche zu suchen. Armut ist zwar weit verbreitet, zugleich hat Marokko ein Paket erlassen, das allgemeine Subventionen für Grundnahrungsmittel umfasste und die bereits bestehenden regulierten Preise beibehielt, die Grundversorgung der Bevölkerung ist ebenfalls gewährleistet ist vergleiche Punkt römisch II.1.3.). Es wurden im Hinblick auf die individuelle Lebenssituation des Beschwerdeführers somit vor dem Hintergrund der allgemeinen Länderberichte keine exzeptionellen Umstände aufgezeigt die nahelegen würden, dass er im Falle seiner Rückkehr automatisch in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.

Auch ist der Beschwerdeführer angesichts der weitgehend stabilen Sicherheitslage in Marokko nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht. Nicht zuletzt gilt Marokko gemäß Paragraph eins, Ziffer 9, HStV als sicherer Herkunftsstaat.

Daher waren die entsprechenden Feststellungen zu treffen.

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material vergleiche VwGH 04.04.2001, 2000/01/0348, mwN).

Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen im Verfahren auch nicht entgegen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins,, Abschnitt A, Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Artikel eins, Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz nach Paragraph 11, Absatz eins, AsylG 2005 abzuweisen (innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist demnach gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind vergleiche VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066).

Wie in der Beweiswürdigung unter Punkt römisch II.2.2. dargelegt, konnte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall keine Gründe glaubhaft machen, die für eine asylrelevante Verfolgung sprächen. Er ist in Marokko nicht aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Sahrauis oder seiner Herkunft aus dem Gebiet der Westsahara der Gefahr einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt und kann er sich auch einer befürchteten Zwangsrekrutierung durch die Frente Polisario, deren Einflussbereich sich ausschließlich auf das Gebiet der Westsahara beschränkt, jederzeit durch die Inanspruchnahme einer ihm auch zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative entziehen.

Eine darüberhinausgehende Verfolgung wurde weder von Seiten des Beschwerdeführers behauptet, noch war eine solche für das Bundesverwaltungsgericht erkennbar.

Dem Beschwerdeführer ist es damit nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung von maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Marokko keine Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß Paragraph 8, Absatz 2, leg. cit. ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.

Es kann auf Basis der Länderfeststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass generell jeder im Falle einer Rückkehr nach Marokko mit existentiellen Nöten konfrontiert ist. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Artikel 3, EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Artikel 3, EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen vergleiche VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, mwN).

Es wurden im Verfahren auch unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers keine exzeptionellen Umstände aufgezeigt, wonach im Falle seiner Rückkehr nach Marokko die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall nicht gedeckt werden könnten vergleiche Punkt römisch II.2.2.). Der Umstand, dass sein Lebensunterhalt in Marokko möglicherweise bescheidener ausfallen mag, als er in Österreich sein könnte, rechtfertigt nicht die Annahme, ihm wäre im Falle seiner Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die "Schwelle" des Artikel 3, EMRK überschritten vergleiche VfGH 24.02.2020, E 3683/2019; zur "Schwelle" des Artikel 3, EMRK vergleiche VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059).

Aus den dargestellten Umständen ergibt sich somit, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Marokko nicht automatisch in eine existenzbedrohende Lage geraten würde und ist er dort angesichts der weitgehend stabilen Sicherheitslage auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht. Nicht zuletzt gilt Marokko gemäß Paragraph eins, Ziffer 9, HStV als sicherer Herkunftsstaat.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG abzuweisen.

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß Paragraph 58, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des Paragraph 57, AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes römisch III. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG abzuweisen.

3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch IV. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 55, AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG lautet wie folgt:

„(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.           die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.           das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.           die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.           der Grad der Integration,

5.           die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.           die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.           Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.           die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.           die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraphen 45 und 48 oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre.“

Gemäß Artikel 8, Absatz eins, EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Artikel 8, Absatz 2, EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Im gegenständlichen Fall verfügt der Beschwerdeführer über kein im Sinne des Artikel 8, EMRK geschütztes Familienleben in Österreich sowie auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten.

Zu prüfen wäre somit ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers. Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen vergleiche Sisojeva u.a. gg Lettland, EuGRZ 2006, 554).

Fallgegenständlich kam dem Beschwerdeführer seit rechtskräftiger Abweisung seines ersten Antrags auf internationalen Schutz mit Erkenntnis des damaligen Unabhängigen Bundesasylsenats vom 11.05.2007 bis zu seiner verfahrensgegenständlichen Asylantragstellung am 18.01.2023 zu keinem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu.

Gemeldet ist der Beschwerdeführer seit August 2021 durchgehend im Bundegebiet; die gegenständliche Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers ab August 2021 von etwa zweieinhalb Jahren wäre nicht als so lange zu bewerten, dass sie sein Interesse an einem Verbleib in Österreich maßgeblich aufwerten würde.

Selbst wenn man davon ausginge, dass der Beschwerdeführer ab 2007 mehrheitlich seinen Lebensmittelpunkt in Österreich gehabt hätte, ist letztlich für ihn nichts gewonnen. So ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt bei Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte nicht zwingend von einem Überwiegen der persönlichen Interessen auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren würden vergleiche etwa VwGH 15.9.2021, Ra 2021/17/0059, mwN). Dazu zählen etwa das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung vergleiche VwGH 8.8.2023, Ra 2023/17/0116, mwN). Zu Lasten des Beschwerdeführers ist daher sein strafrechtswidriges Fehlverhalten in Anschlag zu bringen, das seinen insgesamt drei rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen aufgrund der Delikte der Nötigung, der Körperverletzung, der Hehlerei und des mehrfachen (gewebsmäßigen) unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zugrunde lag, wobei ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Gewalt- und Eigentumskriminalität vergleiche VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474, mwN) und ein besonders großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Suchtgiftdelinquenz vergleiche VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474, mwN) besteht.

Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich steht somit das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens sowie an der Verhinderung von Gewalt- und Eigentumskriminalität als auch von Suchtgiftdelinquenz gegenüber. Diesen gewichtigen öffentlichen Interessen kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8, Absatz 2, EMRK) ein hoher Stellenwert zu vergleiche VwGH 29.01.2021, Ra 2021/17/0014, mwN; 22.11.2017, Ra 2017/19/0474, mwN; 22.11.2017, Ra 2017/19/0474, mwN).

Zudem hat der Beschwerdeführer die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt, um sich sozial und beruflich zu integrieren hat. Er ist nicht Mitglied eines Vereins oder einer sonstigen Organisation, spricht nur geringfügig Deutsch, hat keinen Nachweis über eine erfolgreich abgelegte Sprachprüfung erbracht und ging in Österreich auch zu keinem Zeitpunkt einer angemeldeten Erwerbstätigkeit nach.

Dementgegen kann nach wie vor von einem Bestehen von zumindest geringfügigen Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat Marokko ausgegangen werden, zumal er dort die prägenden Jahre seiner Kindheit und Jugend bis zum Erreichen der Adoleszenz verbracht hat und hauptsozialisiert wurde. Er hat in Marokko Berufserfahrung als Viehzüchter und Verkäufer gesammelt, spricht nach wie vor seine Muttersprache und ist mit den regionalen Sitten und Gebräuchen der marokkanischen Kultur weiterhin vertraut. Raum für die Annahme, dass der Beschwerdeführer im Sinne des Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 5, BFA-VG gar keine Bindungen zu seinem Heimatstaat mehr hat, besteht sohin nicht.

Es sind - unter der Schwelle des Artikel 2 und 3 EMRK – aber auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaige wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach Paragraph 9, BFA-VG miteinzubeziehen vergleiche VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Eine diesbezüglich besonders zu berücksichtigende Situation liegt jedoch im Fall des volljährigen, gesunden und erwerbsfähigen Beschwerdeführers, welcher in seinem Herkunftsstaat zudem Berufserfahrung als Viehzüchter und Verkäufer gesammelt hat, ebenfalls nicht vor.

Aus dem Gesagten schlägt die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessensabwägung im Rahmen einer Gesamtschau zuungunsten des Beschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Ausreise aus. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ergibt eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch seine Ausreise als im Sinne des Artikel 8, Absatz 2, EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann und war die von der belangten Behörde erlassene Rückkehrentscheidung daher im Ergebnis nicht zu beanstanden, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Paragraph 55, AsylG 2005 nicht in Betracht kommt.

Die sonstigen Voraussetzungen einer Rückkehrentscheidung nach Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 und Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG sind ebenso erfüllt. Sie ist auch sonst nicht (etwa vorübergehend nach Artikel 8, EMRK, vergleiche Paragraph 9, Absatz 3, BFA-VG und VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119) unzulässig. Der Beschwerdeführer verfügt auch über kein sonstiges Aufenthaltsrecht.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich Spruchpunkt römisch IV. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG abzuweisen war.

3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt römisch fünf. des angefochtenen Bescheides):

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde zudem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Marokko zulässig ist.

Diesbezüglich ist darauf zu hinzuweisen, dass ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach Paragraph 52, Absatz 9, FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ausgeschlossen ist. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach Paragraph 52, Absatz 9, FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen vergleiche VwGH 27.04.2021, Ra 2021/19/0082, mwN).

Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des Paragraph 50, Absatz 2, FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Weiters steht der Abschiebung keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR im Sinne des Paragraph 50, Absatz 3, FPG entgegen.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich Spruchpunkt römisch fünf. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG abzuweisen war.

3.6. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt römisch VI. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß Paragraph 55, Absatz eins a, FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise, wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß Paragraph 18, BFA-VG durchführbar wird.

Dies ist gegenständlich jedoch nicht der Fall, nachdem das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch VI. des angefochtenen Bescheides bereits mit Teilerkenntnis vom 27.12.2023 Folge gegeben und diesen ersatzlos behoben hat, sodass der verfahrensgegenständlichen Beschwerde infolge dessen gemäß Paragraph 18, Absatz 5, BFA-VG aufschiebende Wirkung zukam und die Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen den Beschwerdeführer gehemmt wurde vergleiche Böckmann-Winkler in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht, Anmerkung 9 zu Paragraph 18, BFA-VG).

Erkennt das BFA einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab und wird sie vom Bundesverwaltungsgericht nicht innerhalb der Frist des Paragraph 18, Absatz 5, BFA-VG wieder zuerkannt, besteht keine Frist zur freiwilligen Ausreise vergleiche VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146). Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass nach Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung - wie im vorliegenden Fall - eine solche Frist grundsätzlich besteht.

Wird bei einem solchen Verfahrensgang die Rückkehrentscheidung - wie hier geschehen - bestätigt, so hat das Verwaltungsgericht in seinem Erkenntnis eine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen vergleiche Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht [2016], K 9 zu Paragraph 55, FPG).

Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach Paragraph 55, Absatz 2, FPG vierzehn Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe der Erlassung der Rückkehrentscheidung überwiegen.

Bei den in Paragraph 55, Absatz 2 und 3 FPG genannten "besonderen Umständen", die gegebenenfalls im Rahmen der gebotenen Abwägung zu einer Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise über vierzehn Tage hinaus führen können, kann es sich nur um solche handeln, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind. Diese besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen gemäß Absatz 3, leg. cit. nachzuweisen; zugleich hat er einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben vergleiche VwGH 16.06.2021, Ra 2020/18/0457, mwN).

Gegenständlich wurden seitens des Beschwerdeführers weder besondere Umstände, die er bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte und die jene Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt hätten, überwiegen würden, vorgebracht, noch ein Termin für seine Ausreise bekannt gegeben.

Dementsprechend war die Ausreisefrist spruchgemäß mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festzusetzen.

3.7. Zum Einreiseverbot (Spruchpunkt römisch VIII. des angefochtenen Bescheides):

Ein "Einreiseverbot" im Sinne des Artikel 3, der RL 2008/115/EG [über die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger] ist „die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht“. Die Dauer des Einreiseverbotes ist ab dem Zeitpunkt zu berechnen, zu dem der Betroffene tatsächlich das Territorium der Mitgliedstaaten verlassen hat vergleiche EuGH 26.07.2017, C-225/16, Ouhrami).

Die belangte Behörde stützte die Verhängung des Einreiseverbotes gegenständlich auf Paragraph 53, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 3, Ziffer eins, FPG. Die entsprechenden Bestimmungen lauten:

„(1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

[…]

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Absatz eins, ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Ziffer 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

1.           ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

[…]“

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 15.12.2011, 2011/21/0237 zur Rechtslage nach dem FrÄG 2011 ausgeführt, dass unter Beachtung der Gesetzesmaterialien zu dieser Novelle (ErlRV 1078 BlgNR 24. GP, 29 ff) bei Bemessung eines Einreiseverbotes nach Paragraph 53, FPG eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, bei der die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen hat, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchem zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Artikel 8, Absatz 2, MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Ziffer eins bis 9 des Paragraph 53, Absatz 2, FPG anzunehmen. In den Fällen des Paragraph 53, Absatz 3, Ziffer eins bis 8 FPG ist das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit indiziert, was dann die Verhängung eines Einreiseverbotes in der Dauer von bis zu zehn Jahren und, liegt eine bestimmte Tatsache im Sinn der Ziffer 5 bis 8 vor, von unbefristeter Dauer ermöglicht vergleiche VwGH 24.05.2018, Ra 2017/19/0311, mwN).

Fallgegenständlich wurde der Beschwerdeführer drei Mal von einem österreichischen Straflandesgericht rechtskräftig verurteilt. Während im Rahmen seiner ersten Verurteilung vom Oktober 2015 wegen versuchter Nötigung, Körperverletzung und diverser (teils gewerbsmäßiger) Suchtgiftdelikte noch mit einer zur Gänze bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten das Auslangen gefunden werden konnte, erwiesen sich seine beiden jüngsten Verurteilungen vom Juni 2018 wegen gewerbsmäßiger Suchtgiftkriminalität und Hehlerei zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Monaten sowie vom Juli 2019 – abermals aufgrund von (teils gewerbsmäßiger) Suchtgiftdelinquenz - zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten als deutlich schwerwiegender. Der Tatbestand einer Verurteilung "zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten" bzw. "zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten" im Sinne des Paragraph 53, Absatz 3, Ziffer eins, FPG ist vorliegend daher sogleich in mehrerlei Hinsicht erfüllt, ebenso lag allen drei Verurteilungen des Beschwerdeführers u.a. gewerbsmäßige Suchtgiftkriminalität und somit auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende strafbare Handlungen im Sinne dieser Gesetzesbestimmung zu Grunde.

Für die belangte Behörde bestand auch kein Grund, im Rahmen der Ermessensübung gemäß Paragraph 53, Absatz eins, FPG (arg: "kann") von der Erlassung eines Einreiseverbotes Abstand zu nehmen, liegen doch nach Maßgabe des Paragraph 53, Absatz 3, Ziffer eins, FPG bei einer (rechtskräftigen) strafgerichtlichen Verurteilung eines Fremden zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder wenn dieser mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist die Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes eindeutig vor, sodass eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von der Verhängung eines Einreiseverbotes offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes liegen würde vergleiche VwGH 03.03.2011, 2009/22/0094, mwN).

Insbesondere ist im Hinblick auf das strafrechtswidrige Fehlverhalten des Beschwerdeführers hervorzuheben, dass Suchtgiftdelinquenz ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht vergleiche VwGH 02.09.2022, Ra 2022/14/0204, mwN; vergleiche auch die Rechtsprechung des EGMR, der Drogenhandel als Plage ["scourge"] bezeichnet und daher hartes Vorgehen nationaler Behörden dagegen billigt, jüngst EGMR 15.10.2020, Akbay u.a./Deutschland, 40495/15, Ziffer 110,). Ebenso ist das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Gewalt- und Eigentumskriminalität hoch zu veranschlagen vergleiche VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474, mwN).

Die Annahme einer eklatanten Wiederholungsgefahr erscheint in Bezug auf den Beschwerdeführer vor dem Hintergrund seiner individuellen kriminellen Historie auch gerechtfertigt. So wurde ihm in allen drei seiner Verurteilungen im Hinblick auf Suchtgiftkriminalität eine gewerbsmäßige Tatbegehung zur Last gelegt, was indiziert, dass er zu chronischer Kriminalität neigt vergleiche VwGH 16.01.2007, 2006/18/0353, mwN). Zudem vermochten ihn weder bedingte Strafnachsichten und Haftentlassungen noch offene Probezeiten oder das bereits verspürte Haftübel von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten und ist erkennbar, dass auch der durch ein Strafurteil bewirkte Zweck einer negativen Spezialprävention - nämlich einen Täter von der Begehung (weiterer) strafbarer Handlungen abzuhalten – im Fall des Beschwerdeführers nicht die gewünschte Wirkung zeitigte, was in eindrucksvoller Weise sein fehlendes Unrechtsbewusstsein verdeutlicht. Insbesondere in Anbetracht des Umstandes, dass der Beschwerdeführer auch über kein legales Einkommen verfügt und in Österreich noch nie einer angemeldeten Erwerbstätigkeit nachging, besteht nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts jederzeit die evidente Gefahr, dass er erneut versucht sein könnte, sich durch den gewerbsmäßigen Verkauf von Suchtgift ein Einkommen zu verschaffen.

Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer im Verfahren weder vor dem BFA noch im Beschwerdeschriftsatz auch nur im Entferntesten Reue in Bezug auf sein strafrechtswidriges Fehlverhalten zum Ausdruck brachte. Zwar ist dem Beschwerdevorbringen, wonach im Rahmen der Gefährdungsprognose nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen ist, beizutreten vergleiche VwGH 25.07.2023, Ra 2021/20/0246), allerdings kommt gerade in Bezug auf die Gefährdungsprognose der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu vergleiche VwGH 08.08.2023, Ra 2022/17/0209, mwN) und wurde die Anberaumung einer solchen in der Beschwerde auch ausdrücklich beantragt. Der am 01.02.2024 stattfindenden Verhandlung blieb der Beschwerdeführer in der Folge jedoch trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt fern und machte sohin von der Möglichkeit, persönlich vor dem Bundesverwaltungsgericht Reue hinsichtlich seiner Straftaten zu zeigen oder etwaige Umstände ins Treffen zu führen, die nahelegen würden, dass er sich künftig wohlverhalten werde, keinen Gebrauch.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat; für die Annahme eines Wegfalls der aus dem bisherigen Fehlverhalten ableitbaren Gefährlichkeit eines Fremden ist somit in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich. Dabei ist der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert hat vergleiche VwGH 03.08.2023, Ra 2023/17/0093, mwN). Wenngleich das Bundesverwaltungsgericht nicht verkennt, dass der Beschwerdeführer zuletzt von 26.04.2019 bis 09.06.2020 in österreichischen Justizanstalten eine Strafhaft verbüßte und seitdem strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten war, erweist sich dieser Zeitraum des Wohlverhaltens im Rahmen einer Gesamtschau und unter Berücksichtigung sämtlicher dargelegter Umstände – insbesondere vor dem Hintergrund seiner wiederholten gewerbsmäßigen Suchtgiftkriminalität über einen Zeitraum von mehreren Jahren - noch als zu kurz, um von einer positiven Zukunftsprognose auszugehen und zuverlässig ausschließen zu können, dass der Beschwerdeführer künftig keine Straftaten mehr begehen werde.

Abgesehen von seiner schwerwiegenden strafrechtswidrigen Delinquenz sind zudem auch die beharrlichen Verstöße des Beschwerdeführers gegen fremden- und aufenthaltsrechtliche Vorschriften in Anschlag zu bringen, wobei gerade der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens ein großes öffentliches Interesse zukommt vergleiche VwGH 10.10.2021, Ra 2021/17/0107, mwN) und ist im gegebenen Zusammenhang hervorzuheben, dass ein Fehlverhalten auch dann zur Beurteilung der Gefährdungsprognose herangezogen werden kann, wenn dieses bislang nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsgerichtlichen Bestrafung geführt hat vergleiche VwGH 14.11.2023, Ra 2023/18/0308, mwN).

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände sowie in Ansehung des bisherigen Fehlverhaltens und des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes des Beschwerdeführers kann eine von ihm ausgehende Gefährdung öffentlicher Interessen, insbesondere der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, als gegeben angenommen werden. Es kann der belangten Behörde daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie im vorliegenden Fall von einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausging und erweist sich das gegen den Beschwerdeführer gemäß Paragraph 53, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 3, Ziffer eins, FPG verhängte Einreiseverbot somit dem Grunde nach als gerechtfertigt, weshalb eine Aufhebung nicht in Betracht kommt.

Bezüglich der Befristung des Einreiseverbotes ist darauf hinzuweisen, dass nicht nur bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung, sondern auch bei einem - nur bei gleichzeitiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässigen – Einreiseverbot im Sinne des Paragraph 53, FPG, in dessen Absatz 2 und 3 in Bezug auf die Bemessung der Dauer auch die Abwägung nach Artikel 8, EMRK angesprochen wird, die Verhältnismäßigkeit am Maßstab des Paragraph 9, BFA-VG zu prüfen ist vergleiche VwGH 14.02.2022, Ra 2020/21/0200, mwN).

Die belangte Behörde verhängte gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot. Nach Maßgabe des Paragraph 53, Absatz 3, Ziffer eins, FPG hat als Voraussetzung, dass ein Einreiseverbot abweichend von Absatz 2, leg. cit. für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden kann, insbesondere zu gelten, dass "ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist". Alleine mit seiner zweiten Verurteilung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Monaten und mit seiner dritten Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten überschreitet der Beschwerdeführer bereits für sich betrachtet die Voraussetzung einer Verurteilung zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten bzw. einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten um jeweils mehr als das Doppelte. Darüber hinaus lag allen drei seiner Verurteilungen u.a. gewerbsmäßige Suchtgiftkriminalität und somit auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende strafbare Handlungen im Sinne dieser Gesetzesbestimmung zu Grunde. Der Tatbestand des Paragraph 53, Absatz 3, Ziffer eins, FPG, der eine von einem Drittstaatsangehörigen ausgehende schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit indiziert, ist im Falle des Beschwerdeführers damit sogleich in mehrerlei Hinsicht verwirklicht.

Ebenso wenig sind im Verfahren eine nennenswerte Integration oder ein maßgeblich schützenswertes Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich oder auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union hervorgekommen, was die Erlassung eines auf die Dauer von sechs Jahren befristeten Einreiseverbotes unverhältnismäßig erscheinen lassen würde.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung eines für die Dauer von höchstens zehn Jahren befristeten Einreiseverbotes liegen im Falle des Beschwerdeführers nach Maßgabe des Paragraph 53, Absatz 3, Ziffer eins, FPG somit eindeutig vor und erweist sich die seitens der belangten Behörde verhängte Dauer von sechs Jahren vor dem Hintergrund einer grundsätzlich zulässigen Höchstdauer von zehn Jahren sowie den im gegenständlichen Fall vorliegenden Umständen als angemessen, zumal auch im Beschwerdeverfahren kein substantiiertes, sachbezogenes Vorbringen erstattet wurde, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt wäre.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich Spruchpunkt römisch VIII. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG abzuweisen war.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2024:I403.1310778.3.00