Bundesverwaltungsgericht
22.01.2024
I403 2284689-1
I403 2284689-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 (alias römisch 40 ), geb. 21.07.1977, StA. Marokko, vertreten durch die "BBU GmbH", Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.01.2024, Zl. römisch 40 , zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte erstmalig am 20.12.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 23.01.2020 ohne in die Sache einzutreten als unzulässig zurückgewiesen, festgestellt, dass Rumänien für die Prüfung des Antrags zuständig ist, die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Rumänien zulässig ist. Eine dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.02.2020, Zl. W144 2228388-1/3E rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.
Am 27.02.2020 wurde der Beschwerdeführer von Österreich nach Rumänien überstellt.
Der Beschwerdeführer reiste erneut unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 02.08.2021 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, den er mit rein wirtschaftlichen Erwägungen begründete. Die wirtschaftliche Lage in seinem Herkunftsstaat Marokko sei schlecht gewesen, er wolle in Österreich arbeiten und sich hier eine Zukunft aufbauen. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 31.08.2021 – nachdem der Beschwerdeführer bereits zuvor die ihm zugewiesene Asylwerberunterkunft unangemeldet verlassen hatte und in die Anonymität abgetaucht war – hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig ist, einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt und keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt. Der Bescheid erwuchs mit 29.09.2021 unbekämpft in Rechtskraft.
Am 05.12.2023 wurde der Beschwerdeführer nach einem durchgeführten Dublin-Konsultationsverfahren von Deutschland nach Österreich überstellt und brachte am selben Tag seinen verfahrensgegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz ein, den er im Rahmen seiner am darauffolgenden Tag stattfindenden Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes damit begründete, dass er dieselben Fluchtgründe habe, die er bereits in seinem vorangegangenen Asylverfahren geltend gemacht habe. Er wolle nicht nach Marokko zurückkehren, da er dort keine Arbeit bekommen würde, außer Zigaretten und Gemüse zu verkaufen.
Am 03.01.2024 wurde der Beschwerdeführer anlässlich seines verfahrensgegenständlichen dritten Antrags auf internationalen Schutz niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Hierbei gab er abermals an, er habe noch immer die gleichen Fluchtgründe wie in seinem vorangegangenen Asylverfahren. Er habe seine Mutter in Marokko unterstützen wollen, jedoch sei diese inzwischen bereits verstorben. Sein Vater sei in Pension und sein Bruder habe keine Arbeit. Er wolle seine Familie finanziell unterstützen, weitere Fluchtgründe habe er keine. In Marokko bekomme er in seinem Alter sicher keine Arbeit mehr.
Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 03.01.2024 wies die belangte Behörde den verfahrensgegenständlichen zweiten Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 05.12.2023 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigen gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte römisch eins. und römisch II.). Dem Beschwerdeführer wurde überdies eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und es wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins a, FPG wurde keine Frist für eine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt römisch VI.) und zudem gegen den Beschwerdeführer gemäß Paragraph 53, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 2, FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt römisch VII.).
Gegen den Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 16.01.2024 vollumfänglich Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und hierbei dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit, eine unrichtige rechtliche Beurteilung sowie die Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung moniert.
Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 18.01.2024 vorgelegt und langten am 19.01.2024 in der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin ein.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt römisch eins. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Marokko, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Er ist gesund und erwerbsfähig, zudem ledig und ohne Sorgepflichten. Seine Identität steht nicht fest.
Er stammt aus der Stadt Meknès in der Region Fès-Meknès im nördlichen Marokko. Der pensionierte Vater, zwei Schwestern und ein Bruder des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Marokko, seine Mutter ist bereits verstorben.
Da der Beschwerdeführer die wirtschaftliche Situation seiner Familie in Marokko als unbefriedigend empfand, reiste er im September 2019 in die Türkei aus und sodann über Griechenland, Albanien, Montenegro, Bosnien und Serbien nach Rumänien, wo er einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, den Ausgang des Verfahrens jedoch nicht abwartete und nach fünf Wochen über Ungarn nach Österreich weiterreiste. Am 20.12.2019 stellte er erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet, der im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.02.2020, Zl. W144 2228388-1/3E aufgrund der Zuständigkeit Rumäniens zu dessen Prüfung rechtskräftig als unzulässig zurückgewiesen wurde. Nachdem der Beschwerdeführer am 27.02.2020 von Österreich nach Rumänien überstellt worden war, reiste er neuerlich unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte hier am 02.08.2021 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 31.08.2021 – nachdem der Beschwerdeführer bereits zuvor die ihm zugewiesene Asylwerberunterkunft unangemeldet verlassen hatte und in die Anonymität abgetaucht war – hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Der Bescheid erwuchs mit 29.09.2021 unbekämpft in Rechtskraft. Der Beschwerdeführer war bereits weitergereist und hatte sich zwischenzeitig in Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland aufgehalten. Am 05.12.2023 wurde er nach einem durchgeführten Dublin-Konsultationsverfahren von Deutschland nach Österreich überstellt und brachte am selben Tag seinen verfahrensgegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz ein.
In Österreich sowie auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten verfügt der Beschwerdeführer über keine maßgeblichen privaten oder familiären Anknüpfungspunkte. Auch weist er keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht auf. Er ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer angemeldeten Erwerbstätigkeit nach und bestreitet seinen Lebensunterhalt über die staatliche Grundversorgung.
Er ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum Vorverfahren, dem Fluchtvorbringen und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:
Der zweite Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 02.08.2021, den er mit rein wirtschaftlichen Erwägungen begründet hatte, wurde mit Bescheid des BFA vom 31.08.2021, rechtskräftig mit 29.09.2021, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen.
Das Ermittlungsverfahren aufgrund seines verfahrensgegenständlichen dritten Antrags auf internationalen Schutz vom 05.12.2023 ergab, dass keine substantiellen neuen Fluchtgründe vorgebracht wurden. Er führte nunmehr abermals rein wirtschaftliche Erwägungen ins Treffen und verwies ausdrücklich auf sein Fluchtvorbringen aus seinem vorangegangenen Asylverfahren.
Auch hat sich die individuelle Situation für den Beschwerdeführer sowie die allgemeine Lage in seinem Herkunftsstaat Marokko nicht in einem Umfang verändert, dass von einer entscheidungswesentlichen Änderung des Sachverhaltes auszugehen wäre.
1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat:
Gemäß Paragraph eins, Ziffer 9, HStV (Herkunftsstaaten-Verordnung) gilt Marokko als sicherer Herkunftsstaat.
Zur aktuellen Lage in Marokko werden auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 20.09.2023, Version 8, folgende Feststellungen getroffen:
Politische Lage
Letzte Änderung 2023-08-11 12:14
Marokko ist eine islamisch legitimierte Monarchie mit konstitutionellen und demokratischen Elementen. Die zentralen politischen Vorrechte und die Führung des Landes liegen bei König Mohammed römisch VI. (AA 28.6.2023; vergleiche AA 22.11.2022, USDOS 20.3.2023). Die Verfassung belässt maßgebliche exekutive Reservat- und Gestaltungsrechte beim König. Er steht über den Staatsgewalten und ist staatsrechtlicher Kontrolle entzogen. In Bezug auf die Königsmacht bringt die Verfassung nur eine Abschwächung der absolutistischen Stellung, aber keinen Bruch mit dem bisherigen politischen System an sich (ÖB 8.2021).
Seit der Reform der Verfassung aus dem Jahr 2011 wird die Regierung jedoch durch das Parlament gebildet (AA 28.6.2023). Diese Reformen haben die Autorität über die Regierung teilweise vom Monarchen zur gewählten Legislative verschoben. Marokko führt regelmäßig Wahlen in einem parlamentarischen Mehrparteiensystem durch (FH 2023). Das Parlament wurde als Gesetzgebungsorgan durch die Verfassung aus dem Jahr 2011 aufgewertet, und es ist eine spürbare Verlagerung des politischen Diskurses in die Volksvertretung hinein erkennbar. Neu ist die Einführung einer regionalen Staatsebene mit demokratisch gewählten Institutionen und gestärkter Selbstverwaltung, die im Zuge des Jahres 2015 mit zahlreichen Wahlgängen konkret Gestalt angenommen hat (ÖB 8.2021). Dennoch verfügt König Mohamed römisch VI. durch formale Machtbefugnisse sowie informelle Einflussmöglichkeiten in Staat und Gesellschaft über eine dominante Stellung (FH 2023).
Die Wahlen vom 8.9.2021 in Marokko brachten dem politischen Islam hohe Verluste – teils durch schlechte Performance der konservativ-islamischen PJD [Le parti de la justice et du développement] in der Regierung, aber auch durch eine sehr erfolgreiche und innovative Kampagne von Parteichef und jetzigem Premierminister (PM) Akhannouch. Einen Monat nach der Parlamentswahl wurde das neue marokkanische Kabinett PM Akhannouch von König Mohammed römisch VI. am 7.10.2021 offiziell ernannt. Politisch basiert es auf der liberalkonservativen Koalition RNI-PAM-Istiqlal, die mit 270 von 395 Sitzen über eine 2/3-Mehrheit verfügt. Faktisch handelt es sich – mit Ausnahme der drei Parteiführer – um eine palastnahe Expertenregierung. Dieser neuen Regierungskoalition steht nach dem Absturz der PJD keine substantiell starke Opposition im Parlament mehr gegenüber (AA 22.11.2022).
Der König formulierte gegenüber Regierung und Parlament im Oktober 2021 drei „strategische Prioritäten“: (i.) Konsolidierung marokkanischer Souveränität und Verteidigung übergeordneter Interessen, (ii.) Management der COVID-19-Pandemie und ökonomische Erholung, (iii.) Operationalisierung des neuen Entwicklungsmodells und Reform der sozialen Sicherung (AA 22.11.2022).
Die Verwaltungsstrukturen sind vornehmlich zentralistisch. Marokko ist in 12 Regionen unterteilt, die sich ihrerseits in 62 Provinzen und 13 Präfekturen untergliedern. Hierin ist auch die Westsahara enthalten, die Marokko als integralen Teil seines Territoriums betrachtet, was international jedoch nicht anerkannt wird (AA 28.6.2023).
Die Judikative wird in der Verfassung 2011 als unabhängige Staatsgewalt gleichberechtigt neben Legislative und Exekutive gestellt. Das System der checks und balances als Ergänzung zur Gewaltenteilung ist dennoch vergleichsweise wenig ausgebildet (ÖB 8.2021).
Am 24.8.2021 sind die diplomatischen Beziehungen zwischen Algerien und Marokko aufgrund von Spannungen zwischen den beiden Ländern seitens Algerien abgebrochen worden (Reuters 25.8.2021). Auslöser war u. a., dass Marokko die interne Krise in Algerien ausgenutzt hat, um in den letzten Jahren Erfolge im Bereich der Westsahara-Frage zu verbuchen - etwa den Beitritt zur Afrikanischen Union (AU) 2017 und die Anerkennung der marokkanischen Souveränität über die Westsahara durch die USA. Die im Zuge dieser Anerkennung erfolgte Normalisierung der marokkanischen Beziehungen zu Israel hat Algerien ebenfalls unter Druck gesetzt. Gleichzeitig interpretierte Algerien einige marokkanische Äußerungen der jüngeren Vergangenheit als „feindliche Aktionen“. Dies gilt etwa für die Forderung eines marokkanischen Diplomaten nach Selbstbestimmung für die algerischen Kabylen. Algerien hat Gaslieferungen nach Marokko via Maghreb-Europa-Gaspipeline ebenfalls am 1.11.2021 eingestellt (ACWDC 4.11.2021). Am 1.11.2021 wurden darüber hinaus drei algerische Staatsbürger im umstrittenen Territorium der Westsahara bei einem Drohnenangriff getötet. Die rhetorischen Spannungen zwischen Algerien und Marokko sind in der Folge weiter angestiegen (MEI@75 10.11.2021). Algerien hat Gaslieferungen nach Marokko via Maghreb-Europa-Gaspipeline ebenfalls am 1.11.2021 eingestellt (MEI@75 10.11.2021; vergleiche ACWDC 4.11.2021) und liefert Gas nur noch nach Spanien (ACWDC 4.11.2021). Die Lage kann als regionaler Kalter Krieg bezeichnet werden, diplomatische Bemühungen von beiden Seiten sind nötig, um militärische Konfrontationen zu vermeiden (MEI@75 10.11.2021), die jedoch als unwahrscheinlich gelten. Die gegenwärtigen diplomatischen Spannungen zwischen Algerien und Marokko hingegen könnten Jahrzehnte dauern (ACWDC 4.11.2021). Mit dem seit November 2020 eskalierten Konflikt in der Westsahara zwischen der marokkanischen Armee (FAR) und der Frente Polisario (AI 27.3.2023), wurde der Waffenstillstand beendet (HRW 12.1.2023) und es kommt immer wieder zu einzelnen Gefechten und Luftangriffen (AA 22.11.2022). Im Juni 2022 hat Spanien die marokkanische Souveränität über die Westsahara anerkannt (DW 9.6.2022; vergleiche AI 27.3.2023). Algerien reagierte mit der Aussetzung eines Freundschaftsabkommens und einem Verbot für algerische Banken, mit spanischen Banken Geschäfte zu machen. Gaslieferungen waren nicht betroffen (DW 9.6.2022). Von der EU-Kommission wurde dieser Zug begrüßt, von der Polisario hingegen verurteilt (DW 23.3.2022). Der algerische Präsident Tebboune äußerte im März 2023, dass er wenig Hoffnung auf eine positive Entwicklung des Konflikts hat. Die Beziehungen zwischen Algerien und Marokko sind weiterhin schlecht (MP 22.3.2023). Am 27.10.2022 wurde die UN-Mission für das Referendum in der Westsahara erneuert, ihr fehlt aber noch ein Menschenrechtsmandat (AI 27.3.2023; vergleiche USDOS 21.3.2023). Menschenrechtsorganisationen haben immer noch keinen Zugang zur Westsahara (AI 27.3.2023). In seiner Ansprache an die Nation, am 29.7.2023, dem Jahrestag seiner Thronbesteigung, betonte Mohammed römisch VI. den Wunsch einer Rückkehr zur Normalität mit Algerien. Der Schlüssel zu dieser Normalisierung liegt insbesondere in der Wiedereröffnung der Grenze, die seit 1994 geschlossen ist. Dies ist ein wichtiger Schritt, vor allem nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Algerien und Marokko im August 2021. Algier beschuldigte Rabat, "feindliche Handlungen" zu begehen. Diese Anschuldigungen wurden vom Königreich als "völlig ungerechtfertigt" angesehen. Seitdem werden die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarn durch eine regionale Rivalität angeheizt, die durch ihren Antagonismus in Bezug auf die Westsahara verschärft wird (JA 1.8.2023). Ein weiterer Vorfall ereignete sich im April 2022, als Algerien die marokkanische Luftwaffe beschuldigte, bei einem Angriff auf einen zivilen Lastwagenkonvoi nahe der mauretanischen Grenze drei weitere Menschen getötet zu haben. In jüngster Zeit hat ein Anschlag in der von Marokko kontrollierten Westsahara das Potenzial für eine weitere militärische Eskalation aufgezeigt. Am 20.5.2023 wurde Berichten zufolge ein Bombenanschlag auf einen Abschnitt eines 100 Kilometer langen Förderbandes verübt, das von Marokko für den Export von Phosphaten aus einer tief in der Westsahara gelegenen Mine an die Küste genutzt wird. Marokkanische und propolisarische Medien berichteten nicht über diesen Vorfall, aber die pro-polisarische NGO Sahara Resource Watch veröffentlichte eine Reihe von Videos, die die Behauptung unterstützen, dass der Vorfall stattgefunden hat (ISPI 31.7.2023). Laut Sahara Resource Watch [Western Sahara Resource Watch], ereignete sich der Vorfall am 20.5.2023, obwohl die NGO bis heute keine Möglichkeit hatte, die Authentizität der erhaltenen Videos zu überprüfen, hält sie aber für glaubwürdig (WSRW 26.5.2023) Die Tatsache, dass keine der beiden Seiten den angeblichen Vorfall publik gemacht hat, deutet zwar auf ein gemeinsames Interesse daran hin, eine Eskalation zum jetzigen Zeitpunkt zu vermeiden, doch diese Art von Angriff deutet auf die Möglichkeit einer neuen, gefährlicheren Phase des Konflikts hin, sollte es der Diplomatie nicht gelingen, die Spannungen einzudämmen (ISPI 31.7.2023).
Quellen:
▪ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2023): Marokko – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/politischesportrait/224120, Zugriff 8.8.2023
▪ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.7.2023
▪ ACWDC - Arab Center Washington DC (4.11.2021): Western Sahara Figures Prominently in Algeria- Morocco Tensions, https://arabcenterdc.org/resource/western-sahara-figures-prominently-inalgeria-morocco-tensions/, Zugriff 8.8.2023
▪ AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Morocco And Western Sahara 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089568.html, Zugriff 11.4.2023
▪ DW - Deutsche Welle (9.6.2022): Neue Spannungen im Dauerkonflikt um Westsahara, https://www.dw.com/de/neue-spannungen-im-dauerkonflikt-um-westsahara/a-62079174, Zugriff 8.8.2023
▪ DW - Deutsche Welle (23.3.2022): Nordafrika-Kehrtwende in Spaniens Westsahara-Politik, https://www.dw.com/de/kehrtwende-in-spaniens-westsahara-politik/a-61211839, Zugriff 8.8.2023
▪ FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 –Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023
▪ HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2085478.html, Zugriff 11.4.2023
▪ ISPI – Italian Institute for international political studies (31.7.2023): The Western Sahara conflict: A fragile path to negotiations, https://www.ispionline.it/en/publication/the-western-sahara-conflicta-fragile-path-to-negotiations-137512, Zugriff 1.8.2023
▪ JA - Jeune Afrique (1.8.2023): Ce que le Maroc et l’Algérie gagneraient à l’ouverture de la frontière, https://www.jeuneafrique.com/1469064/economie-entreprises/ouverture-de-lafrontiere-maroc-algerie-une-aubaine-pour-le-business/, Zugriff 2.8.2023
▪ MEI@75 / Zine Labidine Ghebouli (10.11.2021): Algeria-Morocco tensions: The onset of a regional cold war, https://www.mei.edu/publications/algeria-morocco-tensions-onset-regional-cold-war, Zugriff 8.8.2023
▪ MP - Maghreb Post (22.3.2023): Algerien - Präsident nennt Beziehungen zu Marokko unumkehrbar, https://www.maghreb-post.de/algerien-praesident-nennt-beziehungen-zu-marokkounumkehrbar/,Zugriff 10.5.2023
▪ Reuters (25.8.2021): Algeria cuts diplomatic relations with Morocco, https://www.reuters.com/world/algeria-says-cutting-diplomatic-ties-with-morocco-2021-08-24/, Zugrrff 8.8.2023
▪ USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023
▪ WSRW - Western Sahara resource watch (26.5.2023): Bomb destroys phosphate conveyor belt, https://wsrw.org/en/news/bomb-destroys-phosphate-conveyor-belt, Zugriff 1.8.2023
Sicherheitslage
Letzte Änderung 2023-08-11 12:14
Marokko kann grundsätzlich als stabiles Land betrachtet werden (EDA 9.5.2023). Das französische Außenministerium rät bis auf einige Regionen zu normaler Aufmerksamkeit im Land. In den Grenzregionen zu Algerien wird zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten (FD 6.6.2023). Die Grenze zu Algerien ist seit 1994 geschlossen (AA 8.6.2023; vergleiche BMEIA 5.6.2023). Für die Grenzregionen zu Mauretanien in der Westsahara besteht eine Reisewarnung (AA 8.6.2023; vergleiche FD 6.6.2023, BMEIA 5.6.2023); zudem besteht eine Bedrohung durch Minen und nicht-detonierte Kampfmittel (AA 8.6.2023; vergleiche BMEIA 5.6.2023). Die Grenzregion zu Mauretanien ist zum Großteil vermint. Der einzig offene Grenzübergang nach Mauretanien Guerguarat/Nouadhibou (Grenzposten PK 55) führt über eine Sandpiste durch vermintes Gebiet. Die Durchfahrt des Bereichs zwischen den beiden Grenzposten wird immer wieder durch wegelagernde Personen erschwert (Anhaltungen, Geldforderungen). Weder die marokkanischen noch mauretanischen Behörden verfügen dort über Exekutivrechte. Aufgrund der Aktivitäten durch die Terrororganisation Al Qaida in der benachbarten Sahelregion und in Westafrika besteht auch in Marokko ein gewisses Risiko (BMEIA 5.6.2023).
In der Region Tanger-Tetouan-Al Hoceima – vor allem im Rif-Gebirge – herrscht aufgrund sozialer Konflikte eine angespanntere Situation als im Rest des Landes. Die Kriminalitätsrate ist infolge des Rauschgifthandels sehr hoch. Es besteht ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (BMEIA 5.6.2023; vergleiche AA 8.6.2023).
Marokko kann als sicheres Land angesehen werden, nicht nur in Bezug auf Terrorismus. Ausnahme bildet nur die Westsahara, wo es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen marokkanischen Truppen und der POLISARIO (Frente Popular para la Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro - Volksfront zur Befreiung von Saguía el Hamra und Río de Oro) kommt. Der letzte größere Terroranschlag fand im Jahr 2011 statt. 2018 gab es bei Morden mit mutmaßlich terroristischem Hintergrund zwei, im Jänner 2022 ein weiteres Todesopfer und einen Verletzten, im Dezember 2022 nochmals einen Toten. Die Bedrohung durch den Extremismus ist jedenfalls gegeben; es ist vor allem der Effektivität der Exekutive im Bereich der Terrorismusbekämpfung zu danken, dass terroristische Gruppen kaum aktiv werden können. Die Behörden, hier vor allem das Bureau central d‘investigation judiciaire (BCIJ), sind effektiv beim Erkennen und Verhindern potenzieller terroristischer Bedrohungen durch rechtzeitiges Ausheben von Terrorzellen. Es kommt zu zahlreichen Verhaftungen von Terrorverdächtigen. Im Jahresvergleich 2021 zu 2022 kann eine weitere Verbesserung festgestellt werden, trotz kleinerer Vorfälle – dies zeigt auch die Auswertung des Global Terrorism Index der entsprechenden Jahre (STDOK 11.4.2023).
Demonstrationen und Protestaktionen sind jederzeit im ganzen Land möglich. Vereinzelte gewalttätige Auseinandersetzungen können dabei nicht ausgeschlossen werden (EDA 9.5.2023; vergleiche BMEIA 5.6.2023). In den größeren Städten ist fallweise mit Demonstrationen und Ausschreitungen zu rechnen (BMEIA 5.6.2023; vergleiche AA 8.6.2023). Proteste entzünden sich meist an wirtschaftlichen und sozialen Missständen (AA 8.6.2023).
Es kann zu Taschendiebstählen und Raubüberfällen kommen (BMEIA 5.6.2023).
Partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für Reisen in das Landesinnere des völkerrechtlich umstrittenen Territoriums der Westsahara und in entlegene Saharazonen Südmarokkos. Insbesondere vor der unmittelbaren Grenzregion zu Algerien, wird gewarnt (BMEIA 5.6.2023; vergleiche AA 8.6.2023). Von Reisen in das Gebiet der Westsahara wird dringend abgeraten (AA 28.6.2023; vergleiche EDA 9.5.2023). Das völkerrechtlich umstrittene Gebiet der Westsahara erstreckt sich südlich der marokkanischen Stadt Tarfaya bis zur mauretanischen Grenze. Es wird sowohl von Marokko als auch von der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario beansprucht. Die United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara MINURSO überwacht den Waffenstillstand zwischen den beiden Parteien. Auf beiden Seiten der Demarkationslinie (Sandwall) sind diverse Minenfelder vorhanden. Seit November 2020 haben die Spannungen in der Westsahara zugenommen. In El Guerguerat an der Grenze zu Mauretanien und entlang der Demarkationslinie ist es wiederholt zu Scharmützeln zwischen marokkanischen Truppen und Einheiten der Frente Polisario gekommen, die manchmal zivile Opfer fordern. Mit weiteren Ereignissen dieser Art muss gerechnet werden (EDA 9.5.2023).
Quellen:
▪ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.6.2023): Marokko: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertigesamt.de/de/ReiseUndSicherheit/marokkosicherheit/224080, Zugriff 8.8.2023
▪ BMEIA - Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (5.6.2023): Reiseinformation Marokko (Königreich Marokko), https://www.bmeia.gv.at/reiseservices/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 8.8.2023
▪ EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (9.5.2023): Reisehinweise für Marokko, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/marokko/reisehinweise-fuermarokko.html#eda0aa0c9, Zugriff 8.8.2023
▪ FD - France Diplomatie [Frankreich] (6.6.2023): Maroc, Entrée/Séjour, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-paysdestination/maroc/#securite, Zugriff 8.8.2023
▪ STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (11.4.2023): Themenbericht intern: Nordafrika - Terrorismus in Ägypten, Libyen, Marokko und Tunesien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung 2023-08-11 12:17
Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, aber die Regierung respektierte die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz nicht immer (USDOS 20.3.2023). In der Praxis unterliegt die Justiz jedoch weiterhin dem Einfluss der Exekutive und ist an die Interessen der Monarchie gebunden (BS 23.2.2022; vergleiche FH 2023); zudem wird diese Unabhängigkeit durch Korruption (USDOS 20.3.2023; vergleiche AA 22.11.2022, FH 2023) und außergerichtliche Einflüsse unterlaufen (USDOS 20.3.2023; vergleiche FH 2023). Das Gerichtssystem ist nicht unabhängig vom Monarchen, der dem Obersten Justizrat vorsitzt (FH 2023; vergleiche BS 2022). Marokko bekennt sich zu rechtsstaatlichen Grundsätzen, allerdings weist das Justizsystem Schwächen (mangelnde Unabhängigkeit der Richter, ausstehende Modernisierung der Justizverwaltung, bedenkliche Korruptionsanfälligkeit) auf. Die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze wird von staatlichen und nicht staatlichen Einrichtungen überwacht bzw. kritisch beobachtet (AA 22.11.2022).
Durch die Zusammenarbeit mit internationalen Partnerorganisationen (EU, Europarat, EU-Mitgliedstaaten) soll die Justiz effizienter, unabhängiger und weniger korruptionsanfällig gemacht werden. Noch liegt sie allerdings in ihrer Unabhängigkeit und Bindung an Recht und Gesetz hinter den in der Verfassung normierten Ansprüchen (Artikel 107 f, f,) zurück. Mit dem in der Verfassung vorgesehenen und im April 2017 eingesetzten Conseil supérieur du pouvoir judiciaire (Oberster Rat der Rechtssprechenden Gewalt - Oberster Justizrat) wurden Richter- und Staatsanwaltschaft aus dem Verantwortungsbereich des Justizministeriums herausgelöst und verwalten sich nun selbst. Der Rat agiert als unabhängige Behörde. Mit der Herauslösung der Staatsanwaltschaft wurde formal die Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden von der Politik gestärkt. Es gibt jedoch Stimmen, die eine direkte Einflussnahme des Palastes befürchten, da sich Richterschaft und Staatsanwaltschaft nunmehr jeder demokratisch legitimierten Kontrolle entziehen (AA 22.11.2022).
Die Verfassung sieht darüber hinaus eine Reihe von Räten und Kommissionen vor, denen konsultative und überwachende Funktionen zukommt (der Oberste Justizrat, Gleichstellungsrat, Hohe Rundfunk-Behörde, Wettbewerbsrat, Nationalstelle für korrekte Verwaltung und Korruptionsbekämpfung, Familien- und Jugendbeirat). Diese Gremien stehen aber teilweise noch vor oder am Beginn der Tätigkeit bzw. muss ihr rechtlicher Unterbau erst geschaffen werden, sodass noch schwer absehbar ist, inwieweit sie für Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung und Achtung der Grundrechte in der Praxis Bedeutung gewinnen (ÖB 8.2021).
Formal besteht Gleichheit vor dem Gesetz. Das extreme Gefälle in Bildung und Einkommen, die materielle Unterentwicklung ländlicher Gebiete und der allgegenwärtige gesellschaftliche Klientelismus behindern allerdings die Umsetzung des Gleichheitsgrundsatzes (AA 22.11.2022). Gesetzlich gilt die Unschuldsvermutung. Der Rechtsweg ist formal sichergestellt. Angeklagte haben das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, auf rechtzeitigen Zugang zu ihrem Anwalt und das Recht, Berufung einzulegen. Das marokkanische Recht sieht Pflichtverteidiger für mittellose Angeklagte vor. Der Zugang zu juristischem Beistand ist in der Praxis noch immer unzulänglich (USDOS 20.3.2023; vergleiche AA 22.11.2022). NGOs kritisieren, dass die Beschuldigten zu Geständnissen gedrängt werden (BS 23.2.2022; vergleiche AA 22.11.2022). Das Strafprozessrecht erlaubt der Polizei, einen Verdächtigen bis zu 48 Stunden in Gewahrsam (garde à vue) zu nehmen. Der Staatsanwalt kann diese Frist zweimal verlängern. Der Entwurf für ein neues Strafprozessgesetz sieht verbesserten Zugang zu Anwälten bereits im Gewahrsam vor. Das Gesetz wurde noch nicht verabschiedet (AA 22.11.2022).
Berichten zufolge werden Untersuchungshäftlinge in der Praxis länger als ein Jahr festgehalten, und das Gesetz enthält keine Bestimmungen, die es Untersuchungshäftlingen erlauben, ihre Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Einige Verdächtige, insbesondere diejenigen, die des Terrorismus beschuldigt werden, werden tage- oder wochenlang in geheimer Haft gehalten, bevor eine formelle Anklage erhoben wird (FH 2023). Zudem wird Angeklagten nach ihrer Verhaftung der sofortige Zugang zu Anwälten verwehrt, und Verteidiger stoßen beim Zugang bei der Vorlage von Prozessbeweisen auf Hindernisse (BS 23.2.2022). Nach der Strafprozessordnung hat ein Angeklagter das Recht, nach 24 Stunden Polizeigewahrsam einen Anwalt zu kontaktieren, was auf 36 Stunden verlängert werden kann. Häftlinge haben jedoch nicht das Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen, wenn die Polizei sie verhört oder ihnen ihre Aussagen zur Unterschrift vorlegt. Die Polizei wendet seit vielen Jahren Zwangstaktiken an, um Häftlinge unter Druck zu setzen, selbstbelastende Erklärungen zu unterschreiben, die Richter für Verurteilungen verwendet haben (HRW 12.1.2023).
Im Bereich der Strafzumessung wird häufig kritisiert, dass bestehende Möglichkeiten zur Vermeidung von Haft bei minder schweren Delikten (z. B. Geldstrafen, Sozialstunden) nicht genutzt und Beschuldigte zu Geständnissen gedrängt werden. König Mohammed römisch VI. ordnet zu religiösen und staatlichen Anlässen regelmäßig Amnestien und den Erlass von Reststrafen an. Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden erstmals auch Hirak-Aktivisten berücksichtigt. 2021 wurden 17 Hirak-Häftlinge begnadigt. Im Jahr 2022 wurden bisher knapp 3.000 Häftlinge begnadigt, darunter auch einige Hirak-Häftlinge (AA 22.11.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023
FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023
HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2085478.html, Zugriff 11.4.2023
ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 8.8.2023
USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung 2023-08-11 12:32
Der Sicherheitsapparat verfügt über einige Polizei- und paramilitärische Organisationen, deren Zuständigkeitsbereiche sich teilweise überlappen. Die DGSN „Direction Générale de la Sûreté Nationale“ (Nationalpolizei) ist für die Umsetzung der Gesetze zuständig und untersteht dem Innenministerium. Bei den Forces Auxiliaires handelt es sich um paramilitärische Hilfskräfte, die dem Innenministerium unterstellt sind und die Arbeit der regulären Sicherheitskräfte unterstützen. Die Gendarmerie Royale ist zuständig für die Sicherheit in ländlichen Gegenden und patrouilliert auf Nationalstraßen. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (USDOS 20.3.2023; vergleiche AA 22.11.2022, ÖB 8.2021). Es gibt zwei Nachrichtendienste: den Auslandsdienst DGED (Direction Générale des Etudes et de Documentation) und den Inlandsdienst DGST (Direction Générale de la Surveillance du Territoire). Im April 2015 wurde zusätzlich das Bureau Central d'Investigations Judiciaires (BCIJ) geschaffen. Es untersteht dem Inlandsdienst DGST (AA 22.11.2022; vergleiche ÖB 8.2021).
Das BCIJ hat originäre Zuständigkeiten und Ermittlungskompetenzen im Bereich von Staatsschutzdelikten sowie Rauschgift- und Finanzdelikten im Rahmen von Verfahren der Organisierten Kriminalität (AA 22.11.2022; vergleiche ÖB 8.2021) sowie Entführungen. Damit wurde die Schlagkraft des Polizeiapparats gestärkt, diese spezialisierte Polizeitruppe ist besser ausgebildet und besser ausgerüstet. Seit der Gründung des BCIJ im Jahr 2015 wurden 84 Terrorzellen ausgehoben (ÖB 8.2021).
Auch wenn Angehörige der Sicherheitskräfte einige Übergriffe begingen, ist die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte gemäß USDOS wirksam (USDOS 12.4.2022), gemäß Auswärtigem Amt hingegen sind die Sicherheitskräfte weitgehend der zivilen Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit entzogen (AA 24.11.2021). [Anm.: Das Auswärtige Amt bezieht sich hier wohl auf die weitgehende Kontrolle der Sicherheitskräfte durch den König und sein Umfeld.] Typisch für das marokkanische politische System ist, dass die Weisungskette der Polizeidienste an der Regierung vorbei unmittelbar zur Staatsspitze führt (ÖB 8.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023
ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023
USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung 2023-08-11 12:32
Die als Reaktion auf den sogenannten Arabischen Frühling reformierte Verfassung von 2011 enthält einen umfangreichen Katalog an Grund- und Menschenrechten (AA 22.11.2022) und verbietet Folter und unmenschliche Behandlung oder Bestrafung. Folter ist gemäß Verfassung unter Strafe gestellt (USDOS 20.3.2023; vergleiche AA 22.11.2022, BS 23.2.2022). Marokko ist Vertragsstaat der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen und hat auch das Zusatzprotokoll unterzeichnet. Der CNDH (Conseil National des Droits de l'Homme / Nationaler Menschenrechtsrat) soll künftig die Rolle des Nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter einnehmen (CNDH o.D.). Die Präsidentin des CNDH (A. Bouayash) hat nach ihrem Amtsantritt im Sommer 2019 Foltervorwürfe gegen politische Gefangene zurückgewiesen. Ein Einsatz von systematischer, staatlich angeordneter Folter wird auch von NGOs nicht bestätigt, Fehlverhalten einzelner Personen und mangelnde Ahndung in Fällen von nicht gesetzeskonformer Gewaltanwendung gegenüber Inhaftierten durch Sicherheitskräfte werden indes sehr wohl – dies auch regelmäßig in den Medien – thematisiert. Die Regierung lehnt den Einsatz von Folter ab und bemüht sich um aktive Prävention (AA 22.11.2022).
Wenn auch eine systematische Anwendung von Folter und anderen erniedrigenden Behandlungsweisen nicht anzunehmen ist (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.11.2022), werden Folter und folterähnliche Methoden punktuell praktiziert (ÖB 8.2021). Es gibt Berichte, dass Folter oder exzessive Polizeigewalt vorkommen, einschließlich langer und unbestimmter Einzelhaft (AI 27.3.2023; vergleiche FH 2023). Folter und erniedrigende Behandlung durch die marokkanischen Behörden stellen ein Problem dar, insbesondere gegenüber Befürwortern der Unabhängigkeit (FH 13.4.2023). Ferner kam es zu Folter und andere Misshandlungen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gefängnisse ungestraft fortgesetzt, insbesondere gegenüber saharauischen Aktivisten (AI 27.3.2023; vergleiche FH 13.4.2023). Im Mai 2022 entkam die prominente sahrauische Aktivistin Sultana Khaya dem Hausarrest und reiste nach Spanien, um sich wegen der Folter, die sie seit ihrem Hausarrest im Jahr 2020 bei verschiedenen Polizeiübergriffen erlitten hatte, medizinisch behandeln zu lassen. Es gab keine Ermittlungen zu den Vergewaltigungen und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen gegen sie und ihre Familie (AI 27.3.2023).
Für die Unabhängigkeit der Westsahara eintretende NGOs werfen den Behörden unverhältnismäßigen Gewalteinsatz, Folter und auch willkürliche Verhaftungen und Hausdurchsuchungen vor (AA 22.11.2022). Die Behörden wandten bei mindestens zwei Gelegenheiten exzessive Gewalt an, um friedliche Proteste aufzulösen, darunter Proteste für bessere Arbeitsbedingungen für Lehrer und Proteste für die Rechte der Saharauis, und nahmen einige Teilnehmer fest. Noch gewaltsamer wurden Proteste sahrauischer Aktivisten in der Westsahara unterdrückt. Im April schlugen und traten Polizisten einen Studentenjournalisten bewusstlos. Ferner gingen Polizei und Sicherheitskräfte im März und April mit körperlicher, verbaler und sexueller Gewalt gegen zwölf saharauische Aktivistinnen vor. Zu den angeblichen Übergriffen wurden keine Ermittlungen durchgeführt (AI 27.3.2023).
Inhaftierte Islamisten werfen dem Sicherheitsapparat und insbesondere dem Inlandsgeheimdienst DGST vor, Methoden anzuwenden, die rechtsstaatlichen Maßstäben nicht immer genügen (z. B. lange U-Haft unter schlechten Bedingungen, kein Anwaltszugang, Folter) (AA 22.11.2022).
Diese Umstände werden von Menschenrechts-NGOs und von unabhängigen Beobachtern wiederholt angeprangert, wie insbesondere von der CNDH, vom UN-Sonderbeauftragten für Folter Juan Mendez, von der Arbeitsgruppe über willkürliche Verhaftungen, und von der früheren UN-HCHR Navi Pillay. Der seinerzeitige Justizminister Ramid hat die Staatsanwälte aufgerufen, Hinweisen und Anzeigen auf Folter rigoros nachzugehen, gleichzeitig aber auch auf den Verleumdungstatbestand hingewiesen, falls sich Anschuldigungen als haltlos erweisen (ÖB 8.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023
AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Morocco And Western Sahara 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089568.html, Zugriff 11.4.2023
CNDH - Conseil National des Droits de l'Homme [Marokko] (o.D.): CNDH mandate for the protection of human rights, https://www.cndh.org.ma/an/presentation/cndhs-mandate-area-human-rights-protection, Zugriff 27.7.2023
FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023
FH - Freedom House (13.4.2023): Freedom in the World 2023 - Western Sahara*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2090199.html, Zugriff 17.4.2023
ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023
USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023
Korruption
Letzte Änderung 2023-08-11 12:32
Das Gesetz sieht für behördliche Korruption Strafen vor, aber die Regierung setzt die gesetzlichen Regelungen nicht effektiv um (USDOS 20.3.2023). Die Korruption ist in Marokko weit verbreitet und betrifft auch das Rechtssystem (AA 22.11.2022). Korruption ist in den staatlichen Institutionen und in der Wirtschaft weit verbreitet (FH 2023). Der ehemalige Premierminister El Othmani bezifferte den Schaden durch Korruption vor allem in der öffentlichen Verwaltung auf bis zu 7 % des Bruttoinlandsprodukts BIP (MP 10.5.2023). Deshalb werden leitende Staatsdiener in Korruptionsbekämpfung geschult, obwohl Beamte nur selten wegen Korruption strafrechtlich verfolgt werden (AA 22.11.2022). Es gibt Berichte über Regierungskorruption, Korruptionsfälle bei der Exekutive, Legislative und in der Justiz. Korruption ist bei der Polizei weit verbreitet (USDOS 20.3.2023).
Trotz der offiziellen Rhetorik über die Korruptionsbekämpfung ist die Bilanz bei der Durchsetzung der Gesetze gemischt. Tiefgreifende Reformen zur Bekämpfung der Korruption werden durch einen Mangel an politischem Willen, geringe institutionelle Kapazitäten und den Einfluss von Eliten, die vom Status quo profitieren, gebremst. Im Jahr 2021 stärkte das Parlament die Nationale Kommission für Rechtschaffenheit, Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung, indem die Definition von Korruption erweitert wurde und dem Gremium größere Ermittlungsbefugnisse erteilte; die Ergebnisse dieser Reform bleiben jedoch abzuwarten (FH 2023).
Seit dem 13.12.2018 ist Bachir Rachdi seit seiner Ernennung durch König Mohammed römisch VI. Vorsitzender der Nationalen Instanz für Rechtschaffenheit, Prävention und Korruptionsbekämpfung (INPPLC). Mit der Ernennung der zwölf Mitglieder des Verwaltungsrats der INPPLC will das Land eine neue Ära im Streben nach Vertrauen in die politischen Akteure einleiten. Rachdi möchte die Effizienz der Maßnahmen der INPPLC steigern. Mit der Schaffung eines neuen Gesetzes (46-19) am 4.11.2022 wurde ein Rahmen geschaffen, dessen Inhalt vielmehr der Verfassung entspricht. Es erweitert die Definition von Korruption bzw. den Handlungsspielraum der Regierung mit zahlreichen Befugnissen bzw. Vorrechten (MP 16.11.2022). Die Regierung behauptet, Korruption und anderes polizeiliches Fehlverhalten mittels interner Mechanismen zu untersuchen. Dennoch stellen internationale und nationale Menschenrechtsorganisationen fest, dass die Behörden viele Beschwerden ignorieren und sich auf Behauptungen seitens der Polizei stützen (USDOS 20.3.2023).
Um der Misswirtschaft, der Veruntreuung öffentlicher Gelder, der Fälschung und des Machtmissbrauchs entgegen zu treten kündigte das Innenministerium eine "Säuberungsaktion" an. Innenminister Abdelouafi Laftit hat strenge Richtlinien erlassen um Verfahren zur Amtsenthebung bzw. Strafrechtlichen Verfolgung von gewählten Beamten einzuleiten, die der Korruption verdächtigt werden. Wallis und Gouverneure wurden vom Innenminister angewiesen, gegen korrupte Politiker vorzugehen, diese aus dem Amt zu werfen und vor Gericht zu stellen. Zugleich versucht die Regierung die Korruption durch die Einrichtung von Hotlines, Kontrollen und Anklagen gegen Verdächtige zu bekämpfen (MP 10.5.2023). So kam es nach einer Anzeige durch die zweite Frau, zu einem eingeleiteten Verfahren gegen einen mutmaßlich korrupten Richter in der Stadt Tétouan. Die Ermittlungen wurden auf sein Umfeld ausgeweitet und mehrere Anwälte und Mittelsmänner wurden vorgeladen (MP 4.7.2023).
Gegenüber dem Vorjahr war in 2022 ein leichter Anstieg der Korruption zu verzeichnen (Länderdaten.info o.D.). Somit belegt Marokko auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2022 den 94. von insgesamt 180 Plätzen und hat im Vergleich zum Vorjahr einen Platz verloren (TI 31.1.2023).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf Zugriff 20.3.2023
FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023
Länderdaten.info (o.D.): Korruption in Marokko, https://www.laenderdaten.info/Afrika/Marokko/korruption.php, Zugriff 27.7.2023
MP - Maghreb Post (4.7.2023): Marokko – Korruptionsermittlungen in der Justiz von Tétouan werden ausgeweitet, https://www.maghreb-post.de/marokko-korruptionsermittlung-in-der-justiz-von-tetouan-werden-ausgeweitet/, Zugriff 27.7.2023
MP - Maghreb Post (10.5.2023): Marokko – Innenministerium verfolgt zunehmend Korruption bei Mandatsträgern, https://www.maghreb-post.de/marokko-innenministerium-verfolgt-zunehmend-korruption-bei-mandatstraegern/, Zugriff 27.7.2023
MP - Maghreb-Post (16.11.2022): Marokko - Präsident der Behörde für Korruptionsbekaempfung will neuen Anlauf nehmen, https://www.maghreb-post.de/marokko-praesident-der-behoerde-fuer-korruptionsbekaempfung-will-neuen-anlauf-nehmen/, Zugriff 27.7.2023
TI - Transparency International (31.1.2023): Corruption Perceptions Index 2022, https://images.transparencycdn.org/images/Report_CPI2022_English.pdf, Zugriff 16.5.2023
USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung 2023-08-11 12:32
Es gibt in Marokko eine lebendige und aktive Zivilgesellschaft mit nationalen und internationalen NGOs, die im Prinzip unbehelligt agieren kann (AA 22.11.2022). Zivilgesellschaftliche Organisationen sind rechtlichen Schikanen, Reisebeschränkungen, aufdringlicher Überwachung und anderen Behinderungen in ihrer Arbeit ausgesetzt. Die Behörden verweigern regelmäßig NGOs die Registrierung, die Verbindungen zu Justice and Charity [Anm.: Islamistische Bewegung, vom Staat grundsätzlich toleriert aber illegal] haben oder sich für die Rechte marginalisierter Gemeinschaften einsetzen (FH 2023; vergleiche AA 22.11.2022). Ohne schriftliche Eingangsbestätigung ist ihre Arbeit nicht legal (AA 22.11.2022; vergleiche FH 2023).
Die Einstellung der Regierung gegenüber lokalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen variiert jedoch, abhängig von der politischen Orientierung der Organisation und der Sensibilität der jeweiligen Angelegenheit. Lokale und internationale NGOs sind immer wieder Einschränkungen bei ihren Aktivitäten ausgesetzt (USDOS 20.3.2023; vergleiche AA 22.11.2022). Human Rights Watch (HRW) ist nach einer Aufforderung der Regierung, ihre Aktivitäten in Marokko und der Westsahara einzustellen, nicht mehr akkreditiert (AA 22.11.2022). Seit 2015 ist Amnesty International die Durchführung von Recherchen in Marokko untersagt (FH 2023).
Ein NGO-Gesetz gibt es nicht. Für NGOs gilt das Vereinsrecht. Sie müssen sich beim Innenministerium registrieren lassen. Es kommt vor, dass die Registrierungsanzeigen nicht fristgemäß mit einer Eingangsbestätigung beantwortet werden (AA 22.11.2022). Die Arbeit der Marokkanischen Vereinigung für Menschenrechte (AMDH) wird weiterhin von den Behörden gestört, bzw. werden diese häufig von der Regierung ins Visier genommen. Die Behörden haben in den letzten Jahren zahlreiche AMDH-Veranstaltungen abgesagt und sind dafür bekannt, ihre Bemühungen, Räumlichkeiten zu mieten und Bankkonten zu eröffnen, zu behindern. Im Jahr 2022 wurden zahlreiche politische und Menschenrechtsaktivisten wegen ihres Engagements verhaftet und strafrechtlich verfolgt (FH 2023).
Darüber hinaus berichtet der AMDH auch von weiteren zivilgesellschaftlichen Gruppen, die ebenfalls von der Verweigerung des Rechtsstatus oder der Weigerung, Verwaltungsverfahren abzuschließen, betroffen waren (HRW 12.1.2023).
Der Bereich NGOs/Menschenrechtsverteidiger stellt sich als breit gefächerte Landschaft (ca. 90.000 Vereinigungen) dar, mit einer aktiven und sich artikulierenden Menschenrechtsverteidigerszene, die mit dem CNDH (Nationaler Rat für Menschenrechte) korreliert und dessen Arbeit ergänzt oder diesem sogar voraneilt. Sichtbarste und mit Veranstaltungen und Berichten hervortretende Protagonisten der Menschenrechtsszene sind die OMDH (Organisation Marocaine des Droits Humains), die AMDH (Association Marocaine des Droits Humains) und Amnesty International Maroc. Die Zivilcourage der einzelnen Aktivisten verdient Anerkennung, weil nicht nur Gefahr besteht, mit staatlicher Repression in Konflikt zu geraten, sondern auch an die Grenzen des von der Gesellschaft Tolerierten zu stoßen. NGOs nehmen sich auch individueller Anliegen an, eine Möglichkeit, die Schutzsuchenden in Städten eher offen steht als auf dem Land (ÖB 8.2021).
Die Regierung bereitet derzeit eine neue Strategie zur Förderung der Zivilgesellschaft vor, die voraussichtlich ab 2026 umgesetzt werden soll (ICNL 14.3.2023).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023
FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023
HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2085478.html, Zugriff 11.4.2023
ICNL - International Center for Not-for-Profit Law (14.3.2023): Civic Freedom Monitor: Morocco,
https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/morocco, Zugriff 27.7.2023
ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023
USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023
Ombudsmann
Letzte Änderung 2023-08-11 12:39
Menschenrechtsangelegenheiten werden seitens Regierungsorganisationen durch den CNDH (Conseil National des droits de l’homme - Nationaler Menschenrechtsrat), die interministerielle Delegation für Menschenrechte (DIDH), und die Institution des Médiateur (Ombudsmann) wahrgenommen (USDOS 20.3.2023).
Zur Kontrolle der Gewährleistung grundlegender Menschenrechte wurde nach der Verabschiedung der neuen Verfassung im Jahr 2011 der CNDH als besondere Verfassungsinstanz eingerichtet. Seine kritischen Bestandsaufnahmen und Empfehlungen zu Gesetzesentwürfen haben Gewicht und beeinflussen die Politik (AA 22.11.2022). Der CNDH ist sichtbar, aktiv und produktiv (Berichte über psychiatrische Anstalten, Strafvollzug, Jugendwohlfahrtseinrichtungen, Situation von Asylsuchenden und Migranten). Er legt jährlich einen Bericht vor, der dem König und dem Parlament zur Kenntnis gebracht wird und nimmt auch zu Individualfällen Stellung, bis hin zur Intervention. Im Wege von Begutachtungsverfahren und durch Stellungnahmen zu einzelnen Gesetzesvorhaben übt der CNDH kraft seines moralischen Gewichts nicht selten Einfluss auf Gesetzesinhalte aus, wo Menschenrechtsinteressen betroffen sind. 13 Außenstellen des CNDH wurden in Provinzstädten eingerichtet, sodass eine stärkere räumliche Nähe zu potenziellen Beschwerdeführern angeboten wird (ÖB 8.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023
ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023
USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung 2023-08-11 12:39
Der Grundrechtskatalog (Kapitel römisch eins und römisch II) der Verfassung ist substanziell; wenn man noch die durch internationale Verpflichtungen übernommenen Grundrechte hinzuzählt, kann man von einem recht umfassenden Grundrechtsrechtsbestand ausgehen. Als eines der Kerngrundrechte fehlt die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verfassung selbst stellt allerdings den Rechtsbestand unter den Vorbehalt der traditionellen „roten Linien“ - Monarchie, islamischer Charakter von Staat und Gesellschaft, territoriale Integrität (i. e. Annexion der Westsahara) - quasi als „Baugesetze“ des Rechtsgebäudes. Der vorhandene Rechtsbestand, der mit der neuen Verfassungslage v.a. in Bereichen wie Familien- und Erbrecht, Medienrecht und Strafrecht teilweise nicht mehr konform ist, gilt weiterhin (ÖB 8.2021). In den Artikeln 19 bis 35 garantiert die Verfassung die universellen Menschenrechte. Im Mai 2017 stellte sich Marokko dem Universellen Staatenüberprüfungsverfahren (UPR) des UN-Menschenrechtsrats. Marokko akzeptierte 191 der 244 Empfehlungen. Die nächste Überprüfung im Rahmen der Universellen Staatenüberprüfung (UPR) erfolgte im November 2022 (AA 22.11.2022).
Systematische staatliche Repressionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sind nicht festzustellen. Gewichtige Ausnahme: wer die Vorrangstellung der Religion des Islam infrage stellt, die Person des Königs antastet oder die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko anzweifelt (AA 22.11.2022). Nichtregierungsorganisationen, darunter die marokkanische Vereinigung für Menschenrechte (AMDH), Amnesty International und saharauische Organisationen, behaupteten, die Regierung habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen inhaftiert, wobei sie vorgebliche Strafanzeigen wie Spionage oder sexuelle Übergriffe vorbrachte (USDOS 20.3.2023). Marokko verfolgt eine aktive Menschrechtspolitik und konnte in wichtigen Bereichen, u. a. Frauenrechte, deutliche Fortschritte erzielen. NGOs kritisieren jedoch zunehmende Einschränkungen von Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit sowie die strafrechtliche Verfolgung von einzelnen Journalisten (AA 28.6.2023).
Verfassung und Gesetz sehen allgemeine Meinungs- und Pressefreiheit vor. Nach wie vor ist die Medienfreiheit jedoch durch die „roten Linien“ der Staatsräson erheblich eingeschränkt (USDOS 20.3.2023; vergleiche AA 22.11.2022).
Unabhängige Medien und Journalisten stehen unter erheblichem Druck, und das Recht auf Information wird von einer mächtigen Propaganda- und Desinformationsmaschine zerstört, die der politischen Agenda derer dient, die den Machthabern nahestehen. Unter Druck gaben die letzten unabhängigen Medien in Marokko, die Tageszeitung Akhbar Al Yawm, ihren Kampf auf, ihre letzte Veröffentlichung datiert vom April 2021. Die Hauptinformationsquelle für die Bevölkerung sind soziale Netzwerke und Online-Seiten (RSF 2023). Zu den wichtigsten Fernseh- und Radioeigentümern gehören die Königsfamilie und andere politisch einflussreiche Unternehmer (ROG 2023; vergleiche AA 22.11.2022).
Immer wieder werden Journalisten wegen kritischer Berichte beruflich wie privat von staatlicher Seite unter Druck gesetzt, bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung aufgrund anderer Delikte wie Unterschlagung oder Sexualstraftaten, obwohl die Beweise laut HRW teilweise dürftig oder zweifelhaft scheinen (AA 22.11.2022). Die Tendenz zur Selbstzensur ist auch bei unabhängigen Medien stark ausgeprägt und bleibt nach wie vor ernsthafte Hindernisse für die Entwicklung einer freien, unabhängigen und investigativen Presse (USDOS 20.3.2023). Für das Jahr 2023 wurde Marokko auf Platz 144 von 180 gelisteten Staaten runtergestuft (RSF 2023; vergleiche ROG 2023). Kritik am König ist in Marokko verboten und wird als „Angriff auf die heiligen Werte der Nation“ mit Gefängnis bestraft. Tabuthemen sind auch politische Proteste, die Westsahara-Politik, Korruption hochrangiger Politiker und inzwischen die Massenmigration nach Europa. Immer wieder werden Journalisten wegen unliebsamer Berichte vor Gericht gebracht und zu Haftstrafen verurteilt oder Korrespondenten ausländischer Medien abgeschoben. Zum Einschüchterungsrepertoire des Staats gehören auch Anzeigenboykotte, Drohungen, untergeschobene Drogendelikte, Rufmord, Überfälle, Einbrüche und seit neuestem Anklagen wegen angeblicher Sexualdelikte. Manche Gerichtsprozesse gegen Medienschaffende werden über Jahre hinweg verschleppt (ROG 2023). Es kommt auch zu Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung, v.a. gegen Blogger, Aktivisten und Studenten (FH 2023; vergleiche BS 23.2.2022).
Ferner verurteilt Reporter ohne Grenzen (RSF) die Zustimmung der marokkanischen Regierung zu einem Gesetzesvorschlag, der den Nationalen Presserat, ein Selbstregulierungsorgan, das den marokkanischen Medien eine gewisse Unabhängigkeit verliehen hat, ersetzen soll. Der Nationale Presserat, der gemäß der Verfassung von 2011 als beratendes Gremium unter der Ägide des Kommunikationsministeriums eingerichtet wurde, beendete die direkte staatliche Aufsicht über den Mediensektor, als sein Mandat im Oktober 2022 auslief. Sechs Monate später hat die Regierung von Premierminister Aziz Akhannouch den Gesetzentwurf verabschiedet. Beobachter werten diese unerklärliche Entscheidung als Zeichen eines klaren Willens der Regierung, die Kontrolle über die Medien wiederzuerlangen und jegliche Selbstregulierung zu beenden, da mit diesem Gesetz die Befugnisse des Rates auf ein temporäres Komitee überträgt. Der Gesetzentwurf der Regierung muss noch vom Parlament verabschiedet werden, allerdings ist noch nicht bekannt, wann das Parlament den Entwurf prüfen wird (RSF 14.4.2023).
Am 21.11.2022 wurde der Präsident der Anwaltskammer von Rabat und ehemaliger Minister für Menschenrechte, Mohamed Ziane, in seiner Kanzlei ohne richterlichen Beschluss festgenommen, nachdem 20 Sicherheitsbeamten sein Büro gestürmt hatten. Ziane war bereits vier Jahre lang Zielscheibe einer groß angelegten Diffamierungskampagne, die von staatlich gelenkten Online-Medien in einer konzertierten Aktion betrieben wurde, um sein Ansehen zu diskreditieren. Weiters wirft Ziane dem Regime vor, Dissidenten zu unterdrücken und mundtot zu machen. Ziane zufolge hat sich der Nationale Sicherheitsdienst in eine politische Polizei verwandelt, die Dissidenten überwacht und mit Diffamierungen überzieht, die von der Regierung nahestehenden Zeitungen und Websites verbreitet werden. Diese neuartigen Methoden der Unterdrückung, führen zu unfairen Gerichtsverfahren und Urteile gegen unabhängige Journalisten (Quatara.de 6.2.2023). Darüber hinaus werden derzeit laut Presseberichten vom 16.5.2023, neue Vorschriften für Online-Medien und die Nachrichtenberichterstattung erarbeitet. Da elektronische Medien und Nachrichtenagenturen manchmal ohne Lizenz betrieben werden, muss der rechtliche Rahmen definiert werden, um sicherzustellen, dass diese die gleichen Anforderungen erfüllen wie andere Medien. So verfügen digitale Mediendienste beispielsweise nicht über die erforderliche Infrastruktur oder zahlen keine Sozialversicherungsbeiträge für ihre Mitarbeiter. Das Gesetz über den Journalismus und das Verlagswesen stammt aus dem Jahr 2016 (BAMF 22.5.2023).
Ausländische Satellitensender und das Internet sind frei zugänglich (AA 22.11.2022). Gelegentlich unterbrechen die Behörden Webseiten und Internetplattformen (FH 2023). Die Arbeit der Presse wurde in der Covid-19-Krise zeitweise eingeschränkt (zeitweiliges Verbot des Drucks und Verkaufs von Zeitungen und Zeitschriften: Online-Berichterstattung zu COVID-19-Themen weitgehend über offizielle Kommuniqués, teilweise Einschränkung von Auskünften durch staatliche Stellen sowie auch journalistischer Arbeitsmöglichkeiten im Ausnahmezustand) (AA 22.11.2022). Die staatliche Überwachung von Online-Aktivitäten und persönlicher Kommunikation ist ein ernstes Problem. Der Einsatz von Spionageprogrammen und Überwachungstechnologien durch die Regierung ist weit verbreitet (FH 2023). Die – auch im öffentlichen Raum kaum kaschierten – Überwachungsmaßnahmen erstrecken sich auch auf die Überwachung des Internets und elektronischer Kommunikation, wobei Aktivisten, die für eine unabhängige Westsahara eintreten – vor allem im Gebiet der Westsahara selbst – besonders exponiert sind (ÖB 8.2021). Ein Gericht in Casablanca verurteilte einen Mann zu fünf Jahren Haft, weil er sich Ende 2020 auf Facebook kritisch zu den verbesserten diplomatischen Beziehungen zwischen Marokko und Israel äußerte. Ihm wird Kritik am König vorgeworfen, da dieser die Leitlinien der marokkanischen Außenpolitik bestimmt. Laut Artikel 267-5 des Strafgesetzbuches ist für die Untergrabung der Monarchie eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren vorgesehen und kann auf fünf Jahre erhöht werden (BAMF 7.8.2023).
Es kommt vereinzelt zur Strafverfolgung von Journalisten. Staatliche Zensur ist nicht bekannt. Viele Medien sind jedoch wirtschaftlich von regierungsnahen Unternehmen abhängig (AA 22.11.2022), bzw. ist diese eng mit den Machtzentren verbunden (BS 23.2.2022; vergleiche AA 22.11.2022), und wird durch die Selbstzensur der Medien im Bereich der oben genannten drei Tabuthemen ersetzt (AA 22.11.2022). Gesetzlich unter Strafe gestellt und aktiv verfolgt sind und werden kritische Äußerungen betreffend den Islam, die Institution der Monarchie und die offizielle Position der Regierung zur territorialen Integrität bzw. den Anspruch auf das Gebiet der Westsahara (USDOS 20.3.2023; vergleiche HRW 12.1.2023, AA 22.11.2022, ÖB 8.2021). Dies gilt auch für Kritik an Staatsinstitutionen oder das Gutheißen von Terrorismus (ÖB 8.2021; vergleiche HRW 12.1.2023). Solche Kritik kann nach dem Strafgesetzbuch strafrechtlich verfolgt werden, wobei die Strafen von Geldstrafen bis zu Freiheitsstrafen reichen können. Der Pressekodex, der auch die Meinungsfreiheit vorsieht, gilt nur für akkreditierte Journalisten. Die privaten Reden und Handlungen akkreditierter Journalisten bleiben laut Strafgesetzbuch strafbar. Lokale NGOs berichteten auch, dass die Behörden trotz der Pressekodizes, die die rechtswidrige Inhaftierung von Personen verhindern sollten, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machten, Strafgesetze einsetzten, um Kommentatoren, Aktivisten und Journalisten zu bestrafen, die die Regierung kritisieren (USDOS 20.3.2023). Laut Reporter ohne Grenzen befinden sich aktuell 11 Journalisten und 3 Medienmitarbeiter in Haft (RSF 2023).
Internationale NGOs werfen dem marokkanischen Staat vor, allgemeine Straftatbestände (Sexualstrafrecht, Steuerrecht, Verleumdung) zu nutzen, um kritische journalistische Stimmen und oppositionelle Meinungen zu unterdrücken. Aktivisten, die wegen ihres Engagements für Umweltschutz oder soziale Fragen vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen verurteilt werden (AA 22.11.2022). Kritiker werden in unfairen Gerichtsverfahren wegen schwerer Verbrechen wie Geldwäsche, Spionage, Vergewaltigung, sexueller Übergriffe und Menschenhandel angeklagt. Unter den Taktiken, um abweichende Meinungen mundtot zu machen, haben die Behörden auf unfaire Gerichtsverfahren, digitale und Kameraüberwachung, Belästigungskampagnen durch Medien in der Nähe des königlichen Hofes, bekannt als Makhzen, physische Überwachung, Aggression und Einschüchterung sowie gezielte Angriffe auf Angehörige von Aktivisten zurückgegriffen (HRW 12.1.2023). NGOs berichteten auch weiterhin über den Einsatz willkürlicher Überwachung von Menschenrechtsaktivisten und Journalisten, wobei Freedom House über den „weit verbreiteten“ Einsatz von Spyware und Überwachungstechnologien durch die Regierung berichtete. In einem Bericht vom Juli 2022 dokumentierte HRW die physische und elektronische Überwachung durch die Regierung, um unabhängige Journalisten und Menschenrechtsverteidiger zu schikanieren und ihre Rechte zu verletzen. Dem Bericht zufolge kamen mehrere Personen zu dem Schluss, dass einige der über sie in den Medien veröffentlichten Informationen detailliert genug waren, um nur durch staatliche Überwachung erlangt worden zu sein (USDOS 20.3.2023).
Die marokkanischen Behörden haben ihre Schikanen gegen Aktivisten und Kritiker verstärkt (HRW 12.1.2023) und verfolgten und inhaftierten 2022 mindestens sieben Journalisten und Aktivisten wegen Kritik an der Regierung sowie gegen Personen, die online über Religion sprachen oder sich mit Aktivisten solidarisierten (AI 27.3.2023). Zudem wird die Spyware Pegasus gegen Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Oppositionelle, Politiker und Diplomaten eingesetzt (HRW 12.1.2023).
Am 18.1.2023 forderte das EU Parlament Marokko schriftlich dazu auf, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit zu achten, inhaftierten Journalisten ein faires Verfahren mit sämtlichen Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren zu garantieren, ihre sofortige vorläufige Freilassung sicherzustellen und die Drangsalierung aller Journalisten, ihrer Anwälte und Familien einzustellen. Ferner fordert das EU Parlament die staatlichen Stellen nachdrücklich auf, ihren internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte im Einklang mit dem Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Marokko nachzukommen und verurteilte aufs Schärfste den Missbrauch von Anschuldigungen sexueller Übergriffe, mit denen Journalisten davon abgehalten werden sollen, ihre Aufgaben wahrzunehmen; und vertritt die Ansicht, dass dieser Missbrauch die Rechte der Frau gefährdet. Zudem fordert das EU Parlament die staatlichen Stellen Marokkos nachdrücklich auf, ihre Überwachung von Journalisten, unter anderem über die Spionagesoftware Pegasus einzustellen und Rechtsvorschriften zum Schutz von Journalisten zu erlassen und umzusetzen (EP 18.1.2023).
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind in der Verfassung von 2011 verfassungsrechtlich geschützt, werden aber durch die „roten Linien“ Glaube, König, Heimatland eingeschränkt (AA 22.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). Versammlungen von mehr als drei Personen sind genehmigungspflichtig (USDOS 20.3.2023). Die Behörden gehen meist nicht gegen öffentliche Ansammlungen und die häufigen politischen Demonstrationen vor, selbst wenn diese nicht angemeldet sind (AA 22.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). In Einzelfällen kommt es jedoch zur gewaltsamen Auflösung von Demonstrationen (AA 22.11.2022; vergleiche FH 2023, USDOS 20.3.2023). Ein großer Rückschlag für die Meinungsfreiheit und die bürgerlichen Freiheiten waren auch die Verhaftungen von Journalisten, Künstlern und Menschenrechtsaktivisten aufgrund verschiedener Anschuldigungen, die ein Zeichen dafür sind, dass das Justizsystem weiterhin gegen Kritiker und unabhängige Akteure eingesetzt wird (BS 23.2.2022).
Obwohl verfassungsmäßig Vereinigungsfreiheit gewährleistet ist, schränkt die Regierung dieses Recht manchmal ein (USDOS 20.3.2023). Organisationen wird die offizielle Registrierung verweigert (HRW 12.1.2023). Politischen Oppositionsgruppen und Organisationen, die den Islam als Staatsreligion, die Monarchie, oder die territoriale Integrität Marokkos infrage stellen, wird kein NGO-Status zuerkannt (USDOS 20.3.2023).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2023): Marokko - Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/marokko-node/politisches-portrait/224120, Zugriff 8.8.2023
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.7.2023
AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Morocco And Western Sahara 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089568.html, Zugriff 11.4.2023
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.8.2023): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw32-2023.html;jsessionid=9297CD92FE9742BDDEEF644C3BE30042.internet271, Zugriff 8.8.2023
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.5.2023): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/EN/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw21-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 27.7.2023
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023
EP - Europäisches Parlament (18.1.2023): Gemeinsamer Entschliessungsantrag zur Lage von Journalisten in Marokko, insbesondere zum Fall Omar Radi, https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/RC-9-2023-0057_DE.html, Zugriff 11.4.2023
FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023
HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2085478.html, Zugriff 11.4.2023
ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023
Quatara.de (6.2.2023): Menschenrechtslage in Marokko, Rabats Verleumdungsmaschinerie, https://de.qantara.de/inhalt/menschenrechtslage-in-marokko-rabats-verleumdungsmaschinerie, Zugriff 21.4.2023
RSF - Reporters sans frontière (14.4.2023): Le projet de remplacer le Conseil national de la presse au Maroc menace un peu plus l’indépendance de la profession, https://rsf.org/fr/le-projet-de-remplacer-le-conseil-national-de-la-presse-au-maroc-menace-un-peu-plus-l-ind%C3%A9pendance, Zugriff 27.7.2023
RSF - Reporters sans frontière (2023): Maroc / Sahara occidental, https://rsf.org/fr/pays/maroc-sahara-occidental, Zugriff 22.5.2023
ROG - Reporter ohne Grenzen (2023): Rangliste der Pressefreiheit, Marokko, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/marokko, Zugriff 22.5.2023
USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023
Religionsfreiheit
Letzte Änderung 2023-08-11 12:40
Mehr als 99 % der Bevölkerung sind sunnitische Muslime und weniger als 0,1 % der Bevölkerung sind schiitische Muslime (USDOS 15.5.2023). Die restlichen religiösen Gruppen (Christen, Juden, schiitische Moslems und Baha’i) machen weniger als 1 % der Bevölkerung aus (AA 22.11.2022; vergleiche USDOS 15.5.2023).
Der sunnitische Islam malikitischer Rechtsschule ist Staatsreligion. Die verfassungsmäßige Stellung des Königs als Führer der Gläubigen und Vorsitzender des Ulema-Rats (Möglichkeit des Erlassens religiös verbindlicher Fatwas) ist weithin akzeptiert. Das Ministerium für Stiftungen und islamische Angelegenheiten (MEIA) kontrolliert strikt alle religiösen Einrichtungen und Aktivitäten und gibt das wöchentliche Freitagsgebet vor (AA 22.11.2022; vergleiche USDOS 15.5.2023). Marokko hat sich bemüht, den religiösen Bereich zu reformieren, um der Zunahme radikaler religiöser Rhetorik entgegenzuwirken (BS 23.2.2022). Zur Prävention von Radikalisierung überwachen die Sicherheitsorgane islamistische Aktivitäten in Moscheen und Schulen (AA 22.11.2022).
Artikel 3, der Verfassung garantiert Religionsfreiheit (AA 22.11.2022; vergleiche USDOS 15.5.2023). Der Artikel zielt auf die Ausübung der Staatsreligion ab, schützt aber auch die Ausübung anderer anerkannter traditioneller Schriftreligionen wie Judentum und Christentum. Neuere Religionsgemeinschaften - wie etwa die Baha'i - werden ebenso wenig staatlich anerkannt, wie abweichende islamische Konfessionen wie zum Beispiel die Schiiten. Fälle staatlicher Verfolgung aufgrund der Ausübung einer anderen als den anerkannten Religionen sind nicht bekannt (AA 22.11.2022).
Missionierung ist in Marokko nur Muslimen (de facto ausschließlich den Sunniten der malikitischen Rechtsschule) erlaubt. Mit Strafe bedroht ist es, Gottesdienste jeder Art zu behindern, den Glauben eines (sunnitischen) Muslim „zu erschüttern“ und zu missionieren (Artikel 220, Absatz 2, des marokkanischen Strafgesetzbuches). Dies schließt das Verteilen nicht-islamischer religiöser Schriften ein. Bibeln sind frei verkäuflich, werden jedoch bei Verdacht auf Missionarstätigkeit beschlagnahmt. Ausländische Missionare können unverzüglich des Landes verwiesen werden, wovon die marokkanischen Behörden in Einzelfällen Gebrauch machen (AA 22.11.2022).
Laizismus und Säkularismus sind gesellschaftlich negativ besetzt, der Abfall vom Islam (Apostasie) gilt als eine Art Todsünde, ist aber nicht strafbewehrt (AA 22.11.2022; vergleiche BS 23.2.2022). Beleidigung des Islam wird kriminalisiert und kann mit einer Haftstrafe geahndet werden (USDOS 15.5.2023; vergleiche BS 23.2.2022). Es gibt einen starken sozialen Druck, die islamischen Glaubensregeln zumindest im öffentlichen Raum zu befolgen. Grundsätzlich ist der freiwillige Religionswechsel Marokkanern nicht verboten, wird aber in allen Gesellschaftsschichten stark geächtet. Staatliche Stellen behandeln Konvertiten insbesondere familienrechtlich weiter als Muslime (AA 22.11.2022). Nicht-Muslime müssen offiziell zum Islam konvertieren, um die Pflegschaft für ein muslimisches Kind übernehmen zu können. Ein muslimischer Mann darf nach marokkanischem muslimischem Recht eine nicht-muslimische Frau heiraten, eine muslimische Frau kann dagegen in keinem Fall einen nicht-muslimischen Mann heiraten (USDOS 15.5.2023; vergleiche AA 22.11.2022).
Die Behörden verweigern weiterhin christlichen Gruppen die Freiheit, in Kirchen ihren Glauben auszuüben, das Recht auf christliche Heirat sowie Begräbnis und das Recht, Kirchen zu errichten (USDOS 15.5.2023). Schiitische Quellen berichteten, sie hätten Ashura privat beobachtet, um gesellschaftliche Belästigungen zu vermeiden. Schiitische Muslime sagten, dass viele es in Gebieten, in denen ihre Zahl geringer sei, versäumen, ihre Religionszugehörigkeit offenzulegen. Öffentliche Ashura-Prozessionen sind für sunnitische Muslime erlaubt, für schiitische Muslime jedoch verboten. Vertreter religiöser Minderheiten bestätigten, dass die Angst vor gesellschaftlicher Schikane, einschließlich der Ächtung durch die Familien der Konvertiten, vor sozialem Spott, Diskriminierung am Arbeitsplatz und potenzieller Gewalt, die Hauptgründe dafür seien den Glauben diskret zu praktizieren. Jüdische Bürger gaben weiterhin an, dass sie in Sicherheit leben und den Gottesdienst in der Synagoge besuchen, regelmäßig religiöse Stätten besuchen und jährliche Gedenkfeiern abhalten (USDOS 15.5.2023).
Marokkanische Christen und andere Religionsgemeinschaften üben ihren Glauben in der Regel nur im privaten Bereich aus. Marokkaner werden von staatlichen Organen gehindert, Gottesdienste in „ausländischen“ Kirchen zu besuchen, und riskieren bei jeder öffentlichen Glaubenspraxis den Vorwurf des Missionierens (AA 22.11.2022).
Medien, Aktivisten, Gemeindeleiter und christliche Konvertiten berichten, dass christliche Bürger von nicht christlichen Familienangehörigen und Freunden unter Druck gesetzt werden, zum Islam zu konvertieren oder ihrem christlichen Glauben abzuschwören. Einige junge christliche Konvertiten, die noch bei ihren muslimischen Familien leben, geben Berichten zufolge ihren Glauben nicht preis, weil sie glauben, sie könnten von zu Hause vertrieben werden, wenn sie sich nicht vom Christentum abschwören würden (USDOS 15.5.2023).
Angehörige der Bahai-Religion geben an, dass sie mit Familie, Freunden und Nachbarn offen über ihren Glauben sprechen (USDOS 15.5.2023).
Kinder und Jugendliche muslimischer Bürger besuchen weiterhin private christliche und jüdische Grund- und Oberschulen, da diese Schulen den Ruf haben, eine qualitativ hochwertige Bildung zu bieten (USDOS 15.5.2023).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023
USDOS - US-Außenministerium [USA] (15.5.2023) : 2022 Report on International Religious Freedom: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2091927.html, Zugriff 16.5.2023
Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung 2023-08-11 12:40
Marokko erkennt ausdrücklich in seiner Verfassung die Diversität der Nation an. Staatliche Diskriminierung gegenüber ethnischen Minderheiten ist nicht vorhanden (AA 22.11.2022). Die Verfassung enthält auch die Anerkennung der berberischen Wurzeln, Traditionen und Sprache gleichberechtigt neben dem arabischen und jüdischen Kulturerbe (ÖB 8.2021). Die jüdischen Wurzeln der Nation werden geschützt und gepflegt (AA 22.11.2022).
Wer sich den Berbern, die eine recht heterogene, auf drei Hauptstämme aufgegliederte Bevölkerungsgruppe darstellen, zugehörig fühlt, hängt vom familiären, geografischen und soziokulturellen Hintergrund ab. Im Allgemeinen verweisen Berberstämmige mit Stolz auf ihre Abkunft, insbesondere wenn sie zu den alteingesessenen Familien oder Clans der historischen Städte im Berbergebiet (Fes, Marrakesch, Ouarzazate usw.) gehören. Der „Minderheitencharakter“ der Berber ist bei ca. 40 % der Bevölkerung mit berberischen Wurzeln relativ zu sehen. Aussagen über den Anteil von Berbern in bestimmten Bereichen (öffentlicher Dienst, Militär, freie Berufe, Wirtschaftstreibende) sind nicht greifbar. Nach Einschätzung der Botschaft mag eine Diskriminierung aufgrund der berberischen Herkunft im Einzelfall vorkommen, ein generelles diskriminierendes Verhaltensmuster ist nicht erkennbar (ÖB 8.2021).
Etwa die Hälfte der Bevölkerung macht eine berberische Abstammung geltend und spricht eine der drei in Marokko vertretenen Berbersprachen. Dies ist wichtiger Teil ihrer Identität. Die meisten Berber in Marokko sehen sich jedoch nicht als ethnische Minderheit. Marokko fördert Sprache und Kultur der Berber inzwischen aktiv (AA 22.11.2022). Mindestens 40 % der Bevölkerung sind Amazigh, und die Mehrheit der Marokkaner hat amazighische Wurzeln. Die Amazigh-Eliten haben Zugang zur Monarchie und ihre Interessen werden im Parlament vertreten, doch der Großteil der Amazigh-Bevölkerung ist sozial, wirtschaftlich und politisch marginalisiert. Die jüngsten Unruhen in Al Hoceïma, in der umliegenden Rif-Region und in anderen Städten Marokkos waren zu einem großen Teil auf die Ungerechtigkeiten zurückzuführen, denen sich viele Amazigh ausgesetzt sahen, und darauf, dass sie nicht in der Lage waren, ihren Unmut über das politische System zu äußern (FH 2023). In Artikel 5 der Verfassung wurde Amazigh, neben Arabisch, als offizielle Sprache anerkannt (BS 23.2.2022), vorerst bestehen aber nur vereinzelt Ansätze, dies in die Praxis umzusetzen (z. B. Straßenschilder) (ÖB 8.2021). Amazigh ist Mitte 2019 per Gesetz als Unterrichtssprache aufgewertet worden (AA 22.11.2022). Der berberische Sprachunterricht im Schulsystem ist nur wenig dicht und führt über die 6. Schulstufe nicht hinaus. Folglich ist eine höhere Bildung in berberischer Sprache nicht möglich (ÖB 8.2021).
Quellen:
▪ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023
▪ BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023
▪ FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 –Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023
▪ ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung 2023-08-11 12:45
Gesetzlich sind innerhalb des Landes Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung gewährleistet. Die Behörden respektieren diese Rechte im Allgemeinen, obwohl sie die Bewegungsfreiheit auf Gebiete beschränkt, in denen weitverbreitete Unruhen herrschen (USDOS 20.3.2023). Sowohl Marokko als auch die Frente Polisario schränken die Bewegungsfreiheit in der Westsahara ein. Eine in den 1980er Jahren von Marokko errichtete Sandbarriere, die das von Marokko kontrollierte Gebiet von den von den Sahrauis kontrollierten Gebieten im Osten trennt, ist 1.700 Meilen lang. Die Mauer, die auf beiden Seiten von Landminen umgeben ist, stellt das möglicherweise längste zusammenhängende Minenfeld der Welt dar (FH 13.4.2023).
Allerdings genießen auch Sahrawis/Sahraouis innerhalb Marokkos uneingeschränkte Bewegungsfreiheit (AA 22.11.2022). Die Regierung stellt Sahrawis üblicherweise weiterhin Reisedokumente zur Verfügung und ermutigte saharauische Flüchtlinge aus Algerien und anderen Ländern zur Rückkehr, wenn sie die Souveränität der Regierung über die Westsahara anerkennen. Flüchtlinge, die zurückkehren möchten, müssen die entsprechenden Reise- oder Identitätsdokumente bei einem marokkanischen Konsulat im Ausland, häufig in Mauretanien, besorgen. Es wird allerdings von Fällen berichtet, wo die Behörden Sahrawis daran hinderten, Reisen anzutreten (USDOS 20.3.2023).
Wer nicht per Haftbefehl gesucht wird, kann unter Beachtung der jeweiligen Visavorschriften in der Regel problemlos das Land verlassen. Dies gilt auch für bekannte Oppositionelle oder Menschenrechtsaktivisten (AA 22.11.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023
FH - Freedom House (13.4.2023): Freedom in the World 2023 - Western Sahara*, 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2090199.html, Zugriff 17.4.2023
USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023
Grundversorgung
Letzte Änderung 2023-09-20 15:53
Die Grundversorgung der Bevölkerung ist gewährleistet, Brot, Zucker und Gas werden subventioniert (AA 22.11.2022). Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, Wasser, Strom und Abwasserentsorgung verbessert sich allmählich, aber es bestehen nach wie vor große infrastrukturelle Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Gebieten sowie innerhalb marginalisierter städtischer Viertel, in denen es immer noch an grundlegenden Dienstleistungen mangelt. Insgesamt sind 77 % der Haushalte an Abwassersysteme und 85 % an verbesserte Wasserquellen angeschlossen. Einigen Gemeinden fehlen noch immer die technischen und finanziellen Mittel für die Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen, einschließlich öffentlicher Verkehrsmittel (BS 23.2.2022). Staatliche soziale Unterstützung ist begrenzt (vor allem private Organisationen oder die Fondation Mohammed römisch VI), vielfach sind religiös-karitative Organisationen tätig. Die entscheidende Rolle bei der Betreuung Bedürftiger spielt nach wie vor die Familie (AA 22.11.2022).
Marokko hatte die Ausnahmesituationen, hervorgerufen durch die Pandemie und die Ukraine-Krise der vergangenen Jahre, bislang gut überstanden und hat sich dynamisch an die Herausforderungen angepasst. Die weltweit gestiegenen Energiepreise (Öl, Gas und Kohle), die Unterbrechung der Gaspipeline aus Algerien und anhaltender Wassermangel und damit einhergehender Probleme für die Landwirtschaft, haben die Preise für Getreide und Gemüse angeheizt und die Inflation 2022 auf 6,7 % steigen lassen. All dies gab dem aufkeimenden wirtschaftlichen Optimismus im Land zumindest 2022 einen ordentlichen Dämpfer (WKO 4.2023a). Ihren Höchststand erreichte die marokkanische Jahresinflation gegen Ende 2022 mit 8,3 % (WB 14.2.2023).
Allerdings konnte Marokko durch das international hohe Preisniveau von Phosphat im Export einiges auffangen. So konnte für 2022, trotz massiven Einbruch im Agrarbereich, ein Wirtschaftswachstum von 1 % erreicht werden. Für 2023 und die Periode bis ca. 2027 gehen Analysten von durchschnittlich 3 % jährlichem Wachstum aus. Aufgrund der starken Preiserhöhungen haben soziale Spannungen im Land zugenommen. Diese werden zwar anhalten, die generelle Stabilität des Landes wird aber dadurch nicht weiter beeinflusst (WKO 4.2023a).
Die trotz Regierungswechsel stabilen, politischen Verhältnisse und die zahlreichen Investitionspläne mit dem Ziel der Diversifizierung und Stärkung der marokkanischen Wirtschaft und einer Umstellung auf erneuerbare Energie, ziehen mittelfristig gute Geschäftschancen in den unterschiedlichsten Bereichen nach sich:
Prozessoptimierung und Modernisierung der Industrie steht ganz oben auf der Agenda der marokkanischen Industrie. Hier ergeben sich für Automobilzulieferer, Industrieausstatter, Anlagenlieferanten und Dienstleister gute Marktchancen. Die Casablanca Finance City, wurde kürzlich wieder zum wichtigsten und besten Finanzzentrum auf dem Kontinent gekürt, bietet über Marokkos Grenzen hinaus Chancen im Bereich Dienstleistungen, Informationstechnologie, FinTec und Urban Development. Interessant sind auch die Bereiche erneuerbare Energie und Energieeffizienz, Wasserwirtschaft, Tourismus, Infrastrukturausbau, Chemie, maritime Wirtschaft, Umwelttechnologie sowie Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft. Auch im Agrarbereich (landwirtschaftliche Maschinen) oder im Bereich Papier und Holz (Schnittholz) und nicht zuletzt in der Pharmabranche gibt es gute Absatzchancen (WKO 4.2023a).
Marokko ist ein agrarisch geprägtes Land: Die Landwirtschaft erwirtschaftet in Marokko ca. 20 % des BIP und ist damit der bedeutendste Wirtschaftszweig des Landes. Ca. zwei Drittel der Landesfläche wird landwirtschaftlich genutzt, davon 18 % als Ackerland. Da davon nur rund 15 % systematisch bewässert werden, ist die Wetterabhängigkeit sehr hoch. Der Sektor schafft 40 % der Arbeitsplätze und ist Einkommensquelle für drei Viertel der Landbevölkerung. Von den 1,5 Mio. landwirtschaftlichen Betrieben sind mehr als zwei Drittel Kleinstbetriebe, die über weniger als 3 Hektar Land verfügen, mit geringer Mechanisierung arbeiten und nur zu 4 % am Export beteiligt sind. Die modernen Landwirtschaftsbetriebe decken erst rund ein Achtel der kultivierbaren Gesamtfläche ab (WKO 12.5.2023).
Die Arbeitslosenquote liegt für 2023 bei 11 % [Prognose]. Die Arbeitslosenquote der Erwerbstätigen zwischen 15-64 lag 2022 bei 12,9 %, die Jugendarbeitslosenquote (15-24 Jahre) lag bei 24,9 % (WKO 4.2023b). Die Dunkelziffer liegt wesentlich höher - vor allem unter der Jugend. Der informelle Bereich der Wirtschaft wird statistisch nicht erfasst, entfaltet aber erhebliche Absorptionskraft für den Arbeitsmarkt.
Fremdsprachenkenntnisse - wie sie z.B. Heimkehrer aufweisen - sind insbesondere in der Tourismusbranche und deren Umfeld nützlich. Arbeitssuchenden steht die Internet-Plattform des nationalen Arbeitsmarktservices ANAPEC zur Verfügung (www.anapec.org), die neben aktueller Beschäftigungssuche auch Zugang zu Fortbildungsmöglichkeiten vermittelt. Unter 30-Jährige, die bestimmte Bildungsebenen erreicht haben, können mithilfe des OFPPT (www.ofppt.ma/) eine weiterführende Berufsausbildung einschlagen (ÖB 8.2021).
Die wirtschaftliche Erholung des Tourismus in Marokko nach COVID erhält nach der Fußball Weltmeisterschaft einen großen Schub. Marokkos Auftritt bei der Weltmeisterschaft war wie eine massive Marketingkampagne für das Land und somit für den Tourismus. Der Sektor ist die wichtigste Devisenquelle des Landes. Ende Oktober 2022 beliefen sich die Einnahmen aus dem Tourismus auf 6,1 Mrd. Euro, was einem deutlichen Anstieg von 148,9 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Das Land verzeichnete in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 7,7 Mio. Touristenankünfte. Dieser massive Zustrom von Touristen ermöglichte es dem Sektor, sich nach mehr als zwei Jahren Stagnation und Einnahmenausfällen zu erholen (WKO 1.2023).
Armut ist weit verbreitet und wirtschaftliche Möglichkeiten sind für einen großen Teil der Bevölkerung knapp (FH 2023). Umfragen deuten darauf hin, dass das subjektive Wohlbefinden der marokkanischen Haushalte in den letzten Monaten gesunken ist. Der umfragebasierte Haushalts-Vertrauensindex der Haushalte, der von HCP erstellt wurde, begann gegen Ende 2021 zu sinken und erreichte im dritten Quartal 2022 einen 14-Jahres-Tiefstand. Besorgniserregend ist, dass mehr als die Hälfte der befragten Haushalte der Ansicht ist, dass sich ihre finanzielle Situation im vergangenen Jahr verschlechtert hat, während 81 % der Ansicht sind, dass sich ihr Lebensstandard verschlechtert hat, und 87 % erwarten einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Zukunft (WB 2022/23).
Es kam zu mehreren Demonstrationen gegen die steigenden Preise im Land. Am 4.12.2022 versammelten sich zwischen 1.200 und 3.000 Menschen in Rabat, um gegen die hohen Lebensmittelpreise, Korruption und staatliche Repressionen zu demonstrieren. Als Reaktion darauf hat die Regierung Maßnahmen ergriffen. Im Oktober hat die Regierung einen Fond mit 4,1 Mrd. EUR gestartet, um private Investitionen und die Wirtschaft des Landes zu unterstützen (BAMF 12.12.2022).
Um die Auswirkungen der Lebensmittel- und Energiepreise auf die Haushalte abzumildern, verabschiedete Marokko ein politisches Paket, das allgemeine Subventionen für Grundnahrungsmittel umfasste und die bereits bestehenden regulierten Preise beibehielt. Dieser Ansatz stabilisierte die Preise für Waren und Dienstleistungen, die fast ein Viertel der Ausgaben eines Durchschnittshaushalts ausmachen, und verhinderte so einen möglicherweise stärkeren Anstieg der Armut. Es erforderte die Mobilisierung zusätzlicher öffentlicher Ausgaben in Höhe von fast 2 % des BIP (WB 14.2.2023).
Ungeachtet dieser Maßnahmen litten bescheidene und gefährdete Haushalte immer noch am meisten unter den Auswirkungen der steigenden Lebensmittel- und sonstigen Preise aufgrund der Inflation. Dem Bericht zufolge war die jährliche Inflation für die ärmsten 10 % der Bevölkerung um fast ein Drittel höher als für die reichsten 10 % der Bevölkerung, was in erster Linie auf die Auswirkungen der Preissteigerungen bei Lebensmitteln zurückzuführen ist, die einen höheren Anteil an den Ausgaben der ärmeren Haushalte ausmachen. In dem Bericht heißt es ferner, dass die geplante umfassende Reform des sozialen Sicherheitsnetzes des Königreichs eine wirksame Ausrichtung der Subventionen auf die Unterstützung der Armen und Schwachen ermöglichen wird (WB 14.2.2023).
Die marokkanische Regierung führt Programme der Armutsbekämpfung (INDH) und des sozialen Wohnbaus. Eine staatlich garantierte Grundversorgung/arbeitsloses Basiseinkommen existiert allerdings nicht. Der Mindestlohn (SMIG) liegt bei 2.828 Dirham (ca. EUR 270). Ein Monatslohn von etwa dem Doppelten dieses Betrags gilt als bürgerliches Einkommen. Statistisch beträgt der durchschnittliche Monatslohn eines Gehaltsempfängers 4.060 Dirham, wobei allerdings die Hälfte der - zur Sozialversicherung angemeldeten - Lohnempfänger nur den Mindestlohn empfängt. Ein ungelernter Hilfsarbeiter erhält für einen Arbeitstag (10 Std.) ca. 100 Dirham, Illegale aus der Subsahara erhalten weniger (ÖB 8.2021).
Dennoch wird erwartet, dass sich das Wirtschaftswachstum Marokkos dank einer Erholung des Primärsektors im Jahr 2023 auf 3,1 % beschleunigen wird (WB 14.2.2023).
Ein Erdbeben der Stärke 7 mit Epizentrum in der Gemeinde Ighil in der Provinz Al Haouz, hat Marokko in der Nacht von Freitag, 8.9.2023, auf Samstag, 9.9.2023, erschüttert (Le matin.ma 8.9.2023; vergleiche Le matin.ma 10.9.2023a). Das Erdbeben war gegen 23:11 Uhr in mehreren Städten Marokkos zu spüren. Das Beben trieb viele Menschen in Casablanca, Rabat, Marrakesch und Agadir auf die Straßen (Le matin.ma 8.9.2023). Laut Reuters-Zeugen flohen Menschen in Rabat, etwa 350 km nördlich von Ighil, dem Epizentrum des Bebens, und in der Küstenstadt Imsouane, etwa 180 km westlich, aus Angst vor einem stärkeren Beben aus ihren Häusern (ORF 9.9.2023). Die Telefonleitungen waren gestört. Nach Angaben des US-amerikanischen Instituts für Geologische Überwachung (USGS) wurde gegen 23:30 Uhr nordöstlich von Taroudant ein zweites Beben der Stärke 4,9 registriert (Le matin.ma 8.9.2023).
Nach Angaben des örtlichen Beamten seien in der schwer zugänglichen Bergregion auch die meisten Opfer zu beklagen. Einwohner der Stadt Marrakesch berichten von eingestürzten Gebäuden in der historischen Altstadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört (tagesschau 9.9.2023). Berichten zufolge leben 1,8 Millionen Menschen in den fünf betroffenen Provinzen, ein Drittel der marokkanischen Bevölkerung sind Kinder. Daher ist zu befürchten, dass unter den Opfern und Betroffenen auch sehr viele Kinder sind (Unicef.de 12.9.2023). Die meisten Opfer unter den Kindern gab es in den Provinzen Al Haouz, gefolgt von Chichaoua und Taroudant, berichtet die Tageszeitung Al Ahdath Al Maghribia. Seismologen sagen für die kommenden Tage und Wochen Nachbeben voraus (Magrhreb-Post.de 15.9.2023). Die Schäden betreffen vor allem die Provinzen Chichaoua und Taroudant (Le matin 10.9.2023b). Es war das stärkste Erdbeben, das jemals in der Geschichte Marokkos gemessen wurde und war so stark, dass es fast alle Bewohner des Königreichs spürten. Die Provinzen und Gemeinden Al Haouz, Marrakesch, Ouarzazate, Azilal, Chichaoua und Taroudant waren von dem starken Erdbeben besonders betroffen und verzeichneten fast alle Opfer und eingestürzten Gebäude. Auch in der Provinz Al Haouz wurden Nachbeben geringerer Intensität registriert (Le matin.ma 10.9.2023a). In Ausführung der Hohen Königlichen Weisungen wurde eine dreitägige Staatstrauer beschlossen (Le matin.ma 10.9.2023a; vergleiche tagesschau 12.9.2023). Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sind mehr als 300.000 Menschen in Marrakesch und umliegenden Gebieten von dem Unglück betroffen (tagesschau 12.9.2023; vergleiche Unicef.de 12.9.2023). Die humanitäre Situation verschlechtert sich zunehmend. Die Familien benötigen nun am dringendsten Wasser, Nahrung, Hygieneartikel, Gesundheitsversorgung und eine sichere Unterkunft (Care.at 11.9.2023; vergleiche tagesschau 12.9.2023). Der Präsident des Repräsentantenhauses geht davon aus, dass der Wiederaufbau mehrere Jahre benötigen kann (Magrhreb-Post.de 18.9.2023a). Auch Präsident Biden drückte seine Unterstützung in einem Telefonat mit König Mohammed römisch VI. zum Ausdruck (Magrhreb-Post.de 18.9.2023b).
Quellen:
▪ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023
▪ BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.12.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw50-2022 .pdf?__blob=publicationFile&v=6, Zugriff 12.4.2023
▪ BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 - Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023
▪ Care.at (11.9.2023): Erdbeben in Marokko: CARE leistet Nothilfe, https://care.at/erdbeben-inmarokko-care-bereitet-soforthilfemassnahmen-vor/, Zugriff 18.9.2023
▪ FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023
▪ Le matin.ma (18.9.2023): Séisme d'Al Haouz: reprise des études dans la commune ’Amizmiz, https://lematin.ma/express/2023/seisme-al-haouz-reprise-etudes-communedamizmiz/394323.html, Zugriff 19.9.2023
▪ Le matin.ma (17.9.2023): Séisme: environ 6.000 collégiens et lycéens des zones sinistrées transférés vers d'autres établissements, https://lematin.ma/express/2023/seisme-6000-collegiens-lyceenszones-sinistrees-transferes/394279.html, Zugriff 19.9.2023
▪ Le matin.ma (10.9.2023a): Séisme au Maroc: retour sur une catastrophe naturelle sans précédent, https://lematin.ma/express/2023/seisme-maroc-retour-catastrophe-naturelleprecedent/394000.html?, Zugriff 19.9.2023
Le matin.ma (10.9.2023b): Séisme au Maroc: le ministère de l’éducation suspend les cours dans 42 communes et douars, https://lematin.ma/express/2023/seisme-maroc-cours-suspendus-42-communes-douars/394008.html, Zugriff 19.9.2023
▪ Le matin.ma (8.9.2023): Un séisme de magnitude 7 ressenti dans plusieurs villes du Maroc, https://lematin.ma/express/2023/seisme-magnitude-7-ressenti-plusieurs-villesmaroc/393919.html, Zugriff 18.9.2023
▪ Magrhreb-Post.de (18.9.2023a): Marokko – König bedankt sich bei ausländischen Rettungskräften, https://www.maghreb-post.de/marokko-koenig-bedankt-sich-bei-auslaendischenrettungskraeften/, Zugriff 19.9.2023
▪ Magrhreb-Post.de (18.9.2023b): Marokko – USA bekräftigen Unterstützung nach dem schweren Erdbeben in Al Haouz, https://www.maghreb-post.de/marokko-usa-bekraeftigen-unterstuetzungnach-dem-schweren-erdbeben-in-al-haouz/, Zugriff 19.9.2023
▪ Magrhreb-Post.de (15.9.2023): Marokko – Erdbeben könnte bis zu 100.000 Kinder betroffen haben, https://www.maghreb-post.de/marokko-erdbeben-koennte-bis-zu-100-000-kinderbetroffen-haben/, Zugriff 18.9.2023
▪ ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 30.9.2022
▪ ORF - Österreichischer Rundfunk (9.9.2023): Verheerendes Erdbeben in Marokko: 296 Tote, https://orf.at/stories/3330521/, Zugriff 18.9.2023
▪ tagesschau (12.9.2023): Der Überlebenskampf geht weiter, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/marokko-erdbeben-ausnahmezustand-104.html, Zugriff 18.9.2023
▪ tagesschau (9.9.2023): Hunderte Tote bei schwerem Erdbeben in Marokko, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/erdbeben-marokko-100.html, Zugriff 18.9.2023
▪ Unicef.de (12.9.2023): Erdbeben in Marokko: Mindestens 100.000 Kinder betroffen, https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/erdbeben-in-marokkohelfen/338922, Zugriff 18.9.2023
▪ WB - The World Bank (14.2.2023): Morocco’s Economy Has Come Under Pressure from Supply Shocks, https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2023/02/14/morocco-s-economy-hascome-under-pressure-from-supply-shocks, Zugriff 20.4.2023
▪ WB - The World Bank (2022/23): Middle East - North Africa: Economic Monitor – Morocco Economic Update, Responding to Supply Shocks, https://documents1.worldbank.org/curated/en/099332002132325417/pdf/IDU0e3742c55010a3044730a80a0ad6062acd9db.pdf, Zugriff 20.4.2023
▪ WKO - Wirtschaftskammer Österreich (1.2023): Aussenwirtschaft Nordafrika Newsletter, Ägypten, Algerien Marokko, Libyen, Tunesien, Sudan, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/nordafrika-newsletter-2023-1.pdf, 20.4.2023
▪ WKO - Wirtschaftskammer Österreich (4.2023a): Aussenwirtschaft, Wirtschaftsbericht Marokko, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/marokko-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 19.5.2023
▪ WKO - Wirtschaftskammer Österreich (4.2023b): Länderprofil Marokko, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-marokko.pdf, Zugriff 19.5.2023
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung 2023-08-11 12:53
Die medizinische Versorgung durch Ärzte und Krankenhäuser in Marokko ist im Vergleich zur Weltbevölkerung unterdurchschnittlich (LI o.D.). Die medizinische Grundversorgung ist vor allem im städtischen Raum weitgehend gesichert, aber kostenpflichtig und bei privaten Anbietern auch teuer (AA 22.11.2022). Pro 1000 Einwohner stehen im Land 1,0 Krankenhausbetten zur Verfügung. Der weltweite Mittelwert liegt hier bei 2,9 Betten. Innerhalb der EU stehen 4,6 Betten für jeweils 1000 Einwohner zur Verfügung (LI o.D.). Es gibt einen großen qualitativen Unterschied zwischen öffentlicher und (teurer) privater Krankenversorgung. Selbst modern und gut ausgestattete medizinische Einrichtungen garantieren keine europäischen Standards (AA 22.11.2022). In Rabat und Casablanca finden sich allerdings gute Privatkliniken von hohem Standard (AA 8.6.2023; vergleiche BMEIA 5.6.2023). Der öffentliche Gesundheitssektor ist in seiner Ausstattung und Qualität sowie bei der Hygiene überwiegend nicht mit europäischen Standards zu vergleichen. Lange Wartezeiten und Mangel an medizinischen Versorgungsgütern und Arzneien sind zu beobachten (ÖB 8.2021). Insbesondere das Hilfspersonal ist oft unzureichend ausgebildet, Krankenwagen sind in der Regel ungenügend ausgestattet. Die Notfallversorgung ist wegen Überlastung der Notaufnahmen in den Städten nicht immer gewährleistet, auf dem Land ist sie insbesondere in den abgelegenen Bergregionen unzureichend (AA 22.11.2022). Mit rund 27.200 ausgebildeten Ärzten in Marokko stehen pro 1000 Einwohner rund 0,73 Ärzte zur Verfügung (LI o.D.). Es kommt zu einem ungleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung in den verschiedenen Regionen. Etwa 52 % der Ärzte befinden sich in den beiden Regionen Rabat-Salé-Kénitra und Casablanca-Settat, obwohl dort nur 34 % der Bevölkerung leben (Gesundheitsministerium, 2016). So hat nur 30 % der Landbevölkerung Zugang zu Gesundheitseinrichtungen (BS 23.2.2022).
Private Spitäler, Ambulanzen und Ordinationen bieten medizinische Leistungen in ähnlicher Qualität wie in Europa an, wenn auch nicht in allen fachmedizinischen Bereichen gleich und örtlich auf die Städte beschränkt (Casablanca, Rabat, Tanger und andere größere Städte). Diese Dienstleistungen sind freilich mit entsprechenden Honoraren verbunden. Eine Konsultation beim Wahlarzt (Allgemeinmedizin) kostet ab 150 Dirham (13 Euro), beim Facharzt ab 200 (17 Euro) Dirham bis 500 (45 Euro) Dirham und mehr bei Spezialisten (zum Vergleich der Mindestlohn: 2.570 Dirham/234 Euro) (ÖB 8.2021).
Chronische und psychiatrische Krankheiten oder auch AIDS-Dauerbehandlungen lassen sich in Marokko vorzugsweise in privaten Krankenhäusern behandeln. Bei teuren Spezialmedikamenten soll es in der öffentlichen Gesundheitsversorgung bisweilen zu Engpässen kommen. Bei entsprechender Finanzkraft ist fast jedes lokalproduzierte oder importierte Medikament erhältlich (AA 22.11.2022). Allerdings kann durch die medizinische Versorgung in Marokko die Sterblichkeit wesentlicher, bekannter Krankheiten weitestgehend reduziert werden. So sterben nach aktuellem Stand etwa 24 % aller Menschen, die an Krebs, Diabetes, Herzkreislauferkrankungen oder der Chylomikronen-Retentions-Krankheit (CRD) leiden (LI o.D.).
Auf 1.775 Einwohner entfällt ein Arzt. 152 öffentliche Krankenhäuser führen etwas mehr als 25.440 Betten (ein Spitalsbett auf ca. 1.381 Einwohner); daneben bestehen 2.408 Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung. Inhaber der Carte RAMED können bei diesen Einrichtungen medizinische Leistungen kostenfrei erhalten. Wer weder unter das RAMED-System fällt, noch aus einem Anstellungsverhältnis pflichtversichert ist, muss für medizinische Leistungen aus Eigenem aufkommen (ÖB 8.2021). Nach anderen Angaben sind medizinische Dienste kostenpflichtig und werden bei bestehender gesetzlicher Krankenversicherung von dieser erstattet. Es gibt ein an die Beschäftigung geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem (CNSS). Seit 2015 können sich unter bestimmten Umständen auch Studierende und legal im Land aufhaltende Ausländer versichern lassen. Mittellose Personen können auf Antrag bei der Präfektur eine Carte RAMED zur kostenfreien Behandlung erhalten (AA 22.11.2022).
Im Mai 2021 streikten die Ärzte im öffentlichen Dienst 48-Stunden, um gegen die Untätigkeit der Behörden zu protestieren, und forderten eine bessere Ausstattung der öffentlichen Krankenhäuser, wie auch bessere Gehalts- und Arbeitsbedingungen (AI 29.3.2022). Nach Demonstrationen gegen hohe Lebensmittelpreise und politische Repressionen in Rabat am 4.12.2022, ergriff die Regierung auch weitere Maßnahmen und führte die medizinische Versorgung für alle Bürger ein, von welchen bereits 10 Mio. Menschen profitiert haben (BAMF 12.12.2022).
Die Pandemie hat auch die Anfälligkeit der Gesundheitsinfrastrukturen deutlich gemacht. Marokko verdoppelte seine Kapazität an Krankenhausbetten, es wurden Testzentren eingerichtet und im Jänner 2021 startete landesweit eine massive Impfkampagne (BS 23.2.2022). Allerdings produzierte Marokko während der Coronapandemie mehr Medizintechnik lokal, wie z.B. Verbrauchsgüter wie Masken, Desinfektionsmittel aber auch Beatmungsgeräte oder Notfallbetten. Der Großteil der Hightech-Produkte wird weiterhin durch Importe gedeckt. Marokko baut zudem Kapazitäten auf, um in einigen Jahren selbst Impfstoffe produzieren und entwickeln zu können (ABG 2.2023). Im Laufe des Jahres 2022 starben 1.445 Menschen an Covid-19. Bis Ende 2022 hatten 66,8 % der Bevölkerung mindestens eine Dosis des Covid-19-Impfstoffs erhalten (AI 27.3.2023). Seit Beginn der Pandemie bis zum 25.7.2023 wurden in Marokko 1.275.224 Infizierte und 16.297 Todesfälle gemeldet (LI o.D.).
Im Bereich der Basis-Gesundheitsversorgung wurde 2012 das Programm RAMED eingeführt und erstreckt sich auf 8,5 Mio. Einwohner der untersten Einkommensschichten bzw. auf vulnerable Personen, die bisher keinen Krankenversicherungsschutz genossen. Im Oktober 2012 waren bereits 1,2 Mio. Personen im RAMED erfasst (knapp 3 % der Haushalte). RAMED wird vom Sozialversicherungsträger ANAM administriert, der auch die Pflichtkrankenversicherung AMO der unselbstständig Beschäftigten verwaltet. Zugang haben Haushaltsvorstände und deren Haushaltsangehörige, die keiner anderen Pflicht-Krankenversicherung unterliegen. Die Teilnahme an RAMED ist gratis (Carte RAMED), lediglich vulnerable Personen zahlen einen geringen Beitrag (11 Euro pro Jahr pro Person). Ansprechbar sind die Leistungen im staatlichen Gesundheitssystem (Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung und Vorsorge sowie Krankenhäuser) im Bereich der Allgemein- und Fachmedizin, stationärer Behandlung, Röntgendiagnostik etc. Die Dichte und Bestückung der medizinischen Versorgung ist auf einer Website des Gesundheitsministeriums einsehbar (ÖB 8.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.6.2023): Marokko: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/marokkosicherheit/224080#content₅, Zugriff 8.8.2023
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023
ABG Africa Business Guide (2.2.2023): iMOVE Marktstudie Marokko, https://www.africa-business-guide.de/resource/blob/955164/019a4e7d034e6e87d9adf302ccb32f34/imove-marktstudie-marokko-data.pdf, Zugriff 25.7.2023
AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Morocco And Western Sahara 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089568.html, Zugriff 11.4.2023
AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World’s Human Rights; Morocco and Western Sahara 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070307.html, Zugriff am 31.3.2022
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.12.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/Sharehttps://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw50-2022 .pdf?__blob=publicationFile&v=6, Zugriff 12.4.2023
BMEIA - Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (5.6.2023): Reiseinformation Marokko (Königreich Marokko), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 8.8.2023
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023
LI - Länderdaten.info (o.D.): Gesundheitswesen in Marokko, https://www.laenderdaten.info/Afrika/Marokko/gesundheit.php, Zugriff 26.7.2023
ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023
Rückkehr
Letzte Änderung 2023-08-11 12:55
Das Stellen eines Asylantrags im Ausland ist nicht strafbar und wird nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts von den Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet (AA 22.11.2022).
Migrantinnen und Migranten können bei der freiwilligen Rückkehr aus Österreich nach Marokko durch die BBU (Rückkehrberatung und Organisation der Reise), bzw. IOM (Organisation der Reise im Falle von vulnerablen Personen oder Personen mit legalem Aufenthaltstitel in Österreich), nach Bestätigung der Kostenübernahme durch das BFA, unterstützt werden. Freiwillige Rückkehrer/innen aus Österreich nach Marokko haben zudem die Möglichkeit, nach Bestätigung der Projektaufnahme durch das BFA und Erfüllung der Teilnahmekriterien, am Reintegrationsprojekt Frontex JRS teilzunehmen (IOM 27.7.2023).
Das Reintegrationsprogramm „Frontex − Joint Reintegration Services“ (FX JRS) bietet Rückkehrern, in Kooperation mit einer lokalen Partnerorganisation Unterstützung bei ihrer Reintegration in Ihr Heimatland an. Das Post-arrival Paket im Wert von € 615 dient der unmittelbaren Unterstützung nach der Ankunft in Marokko. Es beinhaltet folgende Sofortleistungen: Nach der Begrüßung am Flughafen durch einen Reintegrationspartner und des Airports Pick-up, wie auch Unterstützung bei der Weiterreise (Organisation und Kostenübernahme), erhalten Rückkehrer u.a. eine Pre-Paid SIM-Karte, Hygieneartikel (Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Shampoo, etc.), eine Flasche Wasser, ein warmes Essen (auch als Gutschein möglich), altersgerechtes Spielzeug für Kinder. Zudem wird eine temporäre Unterkunft für bis zu drei Tage nach der Ankunft bereitgestellt und nach Bedarf auch unmittelbare medizinische Unterstützung (BMI 2023).
Des Weiteren sollte die rückkehrende Person keine oder weniger Sofortleistungen benötigen, erhält sie den anteiligen Betrag der € 615 vom lokalen Partner in bar ausbezahlt (BMI 2023).
Zur längerfristige Reintegrationsunterstützung, erhalten Rückkehrer ein Post-return Paket in der Höhe von Euro 2.000. Davon Euro 200 als Bargeld und Euro 1.800 in Form von Sachleistungen auf Grundlage eines Reintegrationsplans, der mit Hilfe der lokalen Partnerorganisation in den ersten sechs Monaten nach der Rückkehr erstellt wird. Zu den angebotenen Sachleistungen des Post-return Pakets gehören unter anderem: Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens, Bildungsmaßnahmen, Trainings, Unterstützung beim Eintritt in den Arbeitsmarkt, bei der Einschulung von Kindern, wie auch rechtliche und administrative Beratungsleistungen, Familienzusammenführung, Unterstützung im Zusammenhang mit Wohnen und Haushalt (Einrichtung) und medizinische und psychosoziale Unterstützung (BMI 2023).
Quellen:
▪ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023
▪ BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (2023): Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) - Marokko - So funktioniert die Rückreise in Ihre Heimat, https://www.returnfromaustria.at/morocco/morocco_deutsch.html, Zugriff 31.7.2023.
▪ IOM - International Organization for Migration (27.7.2023): Informationen zur freiwilligen Rückkehr nach Marokko, Auskunft von IOM via E-Mail, Quelle liegt in der Staatendokumentation auf
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers vor dieser (Einvernahmeprotokoll vom 03.01.2024) und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Erstbefragungsprotokoll vom 06.12.2023), in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz, sowie in die zitierten Länderberichte zu Marokko.
Auskünfte aus dem Strafregister, dem zentralen Melderegister, dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger, dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister sowie der Betreuungsinformation (Grundversorgung) wurden ergänzend zum vorgelegten Verwaltungsakt eingeholt.
Überdies wurde Einsicht genommen in den ho. Gerichtsakt zur Zl. W144 2228388-1 bezüglich des ersten Asylverfahrens des Beschwerdeführers in Österreich.
Der unter Punkt römisch eins. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Da der Beschwerdeführer vor den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente in Vorlage brachte, steht seine Identität nicht fest. Im Rahmen seines ersten Asylverfahrens behauptete er, seinen Reisepass in der Türkei verloren zu haben.
Die Feststellungen zu seiner Herkunft, seinen Lebensumständen, seinen Familienverhältnissen, seinem Gesundheitszustand, seiner Erwerbsfähigkeit, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Konfession und seiner Ausreise nach Europa ergeben sich aus den diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im gegenständlichen sowie in seinem ersten Asylverfahren.
Die Feststellungen zu den Aufenthalten des Beschwerdeführers in Österreich gründen auf dem unbestrittenen Akteninhalt in Zusammenschau mit eingeholten Auskünften aus dem zentralen Melderegister sowie dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister.
Dass der Beschwerdeführer keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht aufweist, ergibt sich aus dem Umstand, dass er solche im Verfahren weder darzulegen noch formell nachzuweisen vermochte und wurde den im angefochtenen Bescheid insoweit getroffenen Feststellungen in der Beschwerde auch nicht entgegengetreten. Dass er im Bundesgebiet zu keinem Zeitpunkt einer angemeldeten Erwerbstätigkeit nachging, geht aus einer Abfrage im Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger hervor, während eine Abfrage in der Betreuungsinformation (Grundversorgung) bescheinigt, dass er seinen Lebensunterhalt über die staatliche Grundversorgung bestreitet.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ist durch eine Abfrage im Strafregister der Republik belegt.
2.2. Zum Vorverfahren, dem Fluchtvorbringen und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:
Zur Beurteilung der Identität der Sach- und Rechtslage unter dem Gesichtspunkt des Paragraph 68, Absatz eins, AVG ist jener Bescheid (bzw. jenes Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem materiellrechtlich über einen Antrag entschieden wurde vergleiche VwGH 19.10.1995, Zl. 93/09/0502, mwN). Als Vergleichsmaßstab im Hinblick auf den verfahrensgegenständlichen dritten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz dient fallgegenständlich sohin der Bescheid des BFA vom 31.08.2021, mit welchem sein zweiter Antrag vom 02.08.2021 nach inhaltlicher Prüfung seines betreffenden Vorbringens hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig abgewiesen wurde.
Der Beschwerdeführer hatte im Verfahren anlässlich seines zweiten Antrags auf internationalen Schutz im Wesentlichen rein wirtschaftliche Erwägungen geltend gemacht. Die wirtschaftliche Lage in seinem Herkunftsstaat Marokko sei schlecht gewesen, er wolle in Österreich arbeiten und sich hier eine Zukunft aufbauen. Dem rechtskräftig abweisenden Bescheid des BFA vom 31.08.2021 wurde dieser Sachverhalt zugrunde gelegt und dem Vorbringen hierbei jegliche Asylrelevanz versagt.
Vom Bundesverwaltungsgericht ist im gegenständlichen Verfahren zu prüfen, ob zwischen der Rechtskraft des Bescheids des BFA vom 31.08.2021 mit 29.09.2021 und der Zurückweisung des verfahrensgegenständlichen dritten Antrags wegen entschiedener Sache mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 03.01.2024 eine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist.
Zunächst ist festzustellen, dass sich die Rechtslage in einzelnen Punkten geändert haben mag, allerdings nicht entscheidungswesentlich. Dies wurde im Beschwerdeverfahren auch nicht behauptet. Eine wesentliche Änderung der Rechtslage ist folglich nicht erkennbar.
Eine wesentliche Änderung der Sachlage ist jedoch ebenso wenig zu erkennen, da seitens des Beschwerdeführers auch keine neuen entscheidungsrelevanten Fluchtgründe vorgebracht wurden. Seinen verfahrensgegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz begründete der Beschwerdeführer nämlich abermals mit rein wirtschaftlichen Erwägungen und gab sogar mehrfach ausdrücklich zu Protokoll, dass er noch immer die gleichen Fluchtgründe wie in seinem vorangegangenen Asylverfahren habe. Die seitens des Beschwerdeführers als unbefriedigend empfundene wirtschaftliche Situation seiner Familie in Marokko war somit bereits Gegenstand seines vorangegangenen Asylverfahrens in Österreich und wurde dem rechtskräftig abweisenden Bescheid des BFA vom 31.08.2021 zugrunde gelegt. Eine schon vor Erlassung einer Entscheidung bestehende Sachlage ist von deren Rechtskraft erfasst und bindet Gerichte und Behörden, solange diese Entscheidung dem Rechtsbestand angehört vergleiche VwGH 09.01.2020, Ra 2019/19/0496, mwN). Somit handelt es sich bei dem neuerlichen Verweis auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers aus seinem Vorverfahren um keine "nova producta" im Sinne einer nachträglichen Änderung der Sache vergleiche VwGH 28.02.2017, Zl. Ra 2016/01/0206), die einer neuerlichen inhaltlichen Prüfung im gegenständlichen Verfahren zu seinem nunmehr dritten Antrag auf internationalen Schutz zugänglich wären.
Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher zum Schluss, dass der Beschwerdeführer in seinem nunmehr dritten Asylverfahren keine entscheidungswesentlichen neuen Fluchtgründe vorgebracht hat.
Bei Folgeanträgen sind die Asylbehörden auch dafür zuständig, mögliche Sachverhaltsänderungen in Bezug auf den subsidiären Schutzstatus des Antragstellers einer Prüfung zu unterziehen vergleiche VwGH 12.03.2021, Ra 2020/19/0315, mwN).
Eine wesentliche Änderung der Situation in Marokko wurde im Verfahren nicht behauptet und entspricht eine solche auch nicht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichts. Es sind keine Umstände bekannt, dass in Marokko gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefahr iSd Artikel 2, oder 3 EMRK ausgesetzt wäre und besteht auch nicht auf dem gesamten Staatsgebiet ein innerstaatlicher oder internationaler Konflikt, welcher für eine dort aufhältige Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt bedeuten würde. Nicht zuletzt wurde Marokko mit Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 47 aus 2016,, kundgemacht am 16.02.2016, in die Verordnung der Bundesregierung, mit der Staaten als sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden (Herkunftsstaaten-Verordnung), aufgenommen, galt somit bereits zum Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses des vorangegangenen Asylverfahrens des Beschwerdeführers mit 29.09.2021 als sicherer Herkunftsstaat und tut es dies zum gegenständlichen Entscheidungszeitpunkt nach wie vor. Die Grundversorgung der Bevölkerung ist in Marokko ebenfalls noch immer gewährleistet vergleiche Punkt römisch II.1.3.).
Es sind auch keine wesentlichen, in der Person des Beschwerdeführers liegenden neuen Sachverhaltselemente vorgebracht oder bekannt geworden, etwa eine schwere Erkrankung oder ein sonstiger auf seine Person bezogener außergewöhnlicher Umstand, der eine neuerliche umfassende Refoulementprüfung notwendig erscheinen ließe. Er ist nach wie vor gesund, uneingeschränkt erwerbsfähig und hat auch keine Sorgepflichten.
2.3. Zur Situation im Herkunftsstaat:
Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material vergleiche VwGH 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).
Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen auch nicht entgegen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.1. Zur Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache (Spruchpunkte römisch eins. und römisch II. des angefochtenen Bescheides):
Da das BFA mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen hat, ist Prozessgegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung, nicht jedoch der zurückgewiesene Antrag selbst vergleiche VwGH 05.08.2020, Ra 2020/20/0192, mwN).
Die Rechtskraft einer früher in der gleichen Angelegenheit ergangenen Erledigung steht einer neuen Sachentscheidung gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG nur dann nicht entgegen, wenn in den für die Entscheidung maßgebenden Umständen eine Änderung eingetreten ist. Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die "entschiedene Sache", d.h. durch die Identität der Sache, über die formell rechtskräftig abgesprochen wurde, mit der im neuerlichen Abspruch erfassten bestimmt. Identität der Sache liegt dann vor, wenn einerseits weder in der für die Vorentscheidung maßgeblichen Rechtslage noch in den für die Beurteilung der in der Vorentscheidung als maßgebend erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist vergleiche VwGH 20.01.2021, Ra 2020/19/0381, mwN).
Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz zukommt vergleiche VwGH 10.09.2021, Ra 2021/14/0256, mwN).
Dies ist gegenständlich jedoch nicht der Fall. Die seitens des Beschwerdeführers als unbefriedigend empfundene wirtschaftliche Situation seiner Familie in Marokko war - wie in der Beweiswürdigung unter Punkt römisch II.2.2. dargelegt – bereits Gegenstand seines vorangegangenen Asylverfahrens in Österreich und dem rechtskräftig abweisenden Bescheid des BFA vom 31.08.2021 zugrunde gelegt worden, sodass er in seinem nunmehr insgesamt dritten Asylverfahren keine entscheidungswesentlichen neuen Fluchtgründe vorgebracht hat.
Wesentliche Änderungen in der Person des Beschwerdeführers bzw. in der Lage in Marokko wurden ebenso wenig dargetan und entsprechen auch nicht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichts, so dass auch unter dem Blickwinkel des subsidiären Schutzes keine neue inhaltliche Prüfung notwendig war vergleiche Punkt römisch II.2.2.).
Die belangte Behörde hat daher völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass entschiedene Sache vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich der Auffassung des BFA an, dass die Angaben des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren nicht geeignet sind, eine neue inhaltliche Entscheidung zu bewirken und dass darin kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden kann.
Da weder in der maßgeblichen Sachlage, und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen scheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden kann.
Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte römisch eins. und römisch II. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG abzuweisen.
3.2. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß Paragraph 58, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des Paragraph 57, AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" war dem Beschwerdeführer daher nicht zu erteilen.
Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG abzuweisen.
3.3. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch IV. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 55, AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.
Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG lautet wie folgt:
„(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraph 45, oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre.“
Gemäß Artikel 8, Absatz eins, EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Artikel 8, Absatz 2, EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Im gegenständlichen Fall verfügt der Beschwerdeführer über kein iSd Artikel 8, EMRK geschütztes Familienleben in Österreich sowie auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten.
Zu prüfen wäre somit ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers. Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen vergleiche Sisojeva u.a. gg Lettland, EuGRZ 2006, 554).
Unter Berücksichtigung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vergleiche VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479, zu einem dreijährigen Aufenthalt im Bundesgebiet; oder VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247, zu einem zweijährigem Aufenthalt in Verbindung mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet war), des Verfassungsgerichtshofes vergleiche VfGH 29.11.2007, B 1958/07, wonach im Fall eines sich seit zwei Jahren im Bundesgebiet aufhältigen Berufungswerbers die Behandlung der Beschwerde wegen Verletzung des Artikel 8, EMRK abgelehnt wurde; ebenso VfGH 26.04.2010, U 493/10 im Falle eines fünfjährigen Aufenthaltes) und des EGMR vergleiche etwa EGMR, 08.04.2008, Nnyanzi v. UK, 21878/06) muss angesichts des zuletzt lediglich eineinhalb Monate andauernden Inlandsaufenthaltes des Beschwerdeführers davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung seines Aufenthaltes das Interesse an der Achtung seines Privat- und Familienlebens überwiegt.
Es sind - unter der Schwelle des Artikel 2 und 3 EMRK – aber auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaige wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach Paragraph 9, BFA-VG miteinzubeziehen vergleiche VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Eine diesbezüglich besonders zu berücksichtigende Situation liegt jedoch im Fall des volljährigen, gesunden und uneingeschränkt erwerbsfähigen Beschwerdeführers, welcher zudem ohne Sorgepflichten ist und über familiäre Anknüpfungspunkte in seinem Herkunftsstaat verfügt, ebenfalls nicht vor.
Angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers, seiner fehlenden Integration sowie des Umstandes, dass er in Österreich sowie auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten kein iSd Artikel 8, EMRK geschütztes Familienleben führt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass seine privaten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen. Dies wurde in der Beschwerde auch nicht behauptet.
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich daher, dass die im angefochtenen Bescheid angeordnete Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Artikel 8, EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers darstellt.
Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt römisch IV. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG abzuweisen.
3.4. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt römisch fünf. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß Paragraph 50, Absatz eins, FPG unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, oder 3 EMRK oder deren 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson mit einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß Paragraph 50, Absatz 2, FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach Paragraph 50, Absatz 3, FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Im vorliegenden Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Marokko gemäß Paragraph 50, Absatz eins, FPG unzulässig wäre.
Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach Paragraph 52, Absatz 9, FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach Paragraph 52, Absatz 9, FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen vergleiche VwGH 27.04.2021, Ra 2021/19/0082, mwN).
Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig iSd Paragraph 50, Absatz 2, FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Weiters steht der Abschiebung keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte iSd Paragraph 50, Absatz 3, FPG entgegen.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich Spruchpunkt römisch fünf. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG abzuweisen war.
3.5. Zur Nicht-Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt römisch VI. des angefochtenen Bescheides):
Dass eine Frist für die freiwillige Ausreise im Fall einer zurückweisenden Entscheidung gemäß Paragraph 68, AVG nicht besteht, ergibt sich schon unmittelbar aus Paragraph 55, Absatz eins a, FPG, sodass es hierfür keiner normativen Anordnung im Spruch des angefochtenen Bescheides bedarf. Insoweit kann der Beschwerdeführer auch nicht in Rechten verletzt sein.
Die Beschwerde war somit auch hinsichtlich Spruchpunkt römisch VI. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG abzuweisen.
3.6. Zum Einreiseverbot (Spruchpunkt römisch VII. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß Paragraph 53, FPG kann das BFA mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot, also die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der EU (außer Irlands) sowie Islands, Norwegens, der Schweiz und Liechtensteins einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten, erlassen, wenn der Drittstaatsangehörige die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet vergleiche VwGH 22.01.2021, Ra 2020/21/0349, mwN).
Ein Einreiseverbot ist nicht zwingend mit jeder Rückkehrentscheidung zu erlassen, sondern nur dann, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Aufenthalt stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Dabei ist sowohl für die Frage, ob überhaupt ein Einreiseverbot zu verhängen ist, als auch für die Bemessung seiner Dauer eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen, in die das Gesamtverhalten des Betroffenen einzubeziehen ist. Aufgrund konkreter Feststellungen ist eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick worauf die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt ist. Es ist weiters in Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob private oder familiäre Interessen des Betroffenen der Verhängung eines Einreiseverbotes in der konkreten Dauer entgegenstehen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht Paragraph 53, FPG K 10, 12; vergleiche auch VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).
Der bloße unrechtmäßige Aufenthalt eines Fremden stellt nach dem System der Rückführungsrichtlinie noch keine derartige Störung der öffentlichen Ordnung dar, dass dies immer die Erlassung eines Einreiseverbotes gebieten würde. Wenn sich das Fehlverhalten darauf beschränkt und ausnahmsweise nur eine geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens vorliegt, ist überhaupt kein Einreiseverbot zu verhängen vergleiche VwGH 24.05.2018, Ra 2018/19/0125, mwN).
Ein unrechtmäßiger Aufenthalt per se rechtfertigt noch nicht die Verhängung eines Einreiseverbotes zusätzlich zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung; liegt aber nicht bloß ein unrechtmäßiger Aufenthalt, sondern eine qualifizierte Verletzung der Ausreiseverpflichtung vor, so kann daraus eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit abzuleiten sein, die die Verhängung eines Einreiseverbotes erforderlich macht. Eine solche qualifizierte Verletzung der Ausreiseverpflichtung wird von Paragraph 53, Absatz 2, FPG erfasst, was jedenfalls auch von Artikel 11, Absatz eins, Litera b, der Rückführungsrichtlinie gedeckt ist, wonach Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einhergehen, falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde vergleiche VwGH 22.03.2023, Ra 2021/18/0100, mwN).
Wenngleich der Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten blieb, so setzte er dennoch kontinuierlich Verstöße gegen fremdenrechtliche Bestimmungen und nahm mehrfach offenkundig mutwillig (in dem Bewusstsein der Grund- und Aussichtslosigkeit, der Nutz- und der Zwecklosigkeit seines Anbringens, vergleiche VwGH 19.07.2023, Ra 2022/01/0016, mwN) die Tätigkeit österreichischer Behörden in Anspruch. So hatte er im Herbst 2019 zunächst in Rumänien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, den Ausgang des Verfahrens jedoch gar nicht abgewartet, sondern war bereits nach nur fünf Wochen unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich weitergereist, um hier abermals um Asyl anzusuchen. Der Umstand, dass dieser Antrag im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.02.2020 aufgrund der Zuständigkeit Rumäniens zu dessen Prüfung rechtskräftig als unzulässig zurückgewiesen und der Beschwerdeführer am 27.02.2020 von Österreich nach Rumänien überstellt worden war, hielt ihn nicht davon ab, im Folgejahr erneut unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet einzureisen und am 02.08.2021 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Auch den Ausgang dieses Verfahrens wartete er jedoch nicht ab, verließ unangemeldet die ihm zugewiesene Asylwerberunterkunft und tauchte in die Anonymität ab. In der Folge hielt er sich laut eigenen Angaben zwischenzeitig in Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland auf. Am 05.12.2023 wurde der Beschwerdeführer nach einem durchgeführten Dublin-Konsultationsverfahren von Deutschland nach Österreich überstellt und brachte am selben Tag seinen verfahrensgegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz ein, wobei er im Wesentlichen das idente Fluchtvorbringen ins Treffen führte, dass er bereits in seinem Vorverfahren – dessen Ausgang er gar nicht erst abwartete – geltend gemacht hatte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste dem Beschwerdeführer in evidenter Weise klar sein, dass er keinen Anspruch auf internationalen Schutz hat, sodass davon auszugehen ist, dass er offensichtlich mit dem Kalkül handelte, sich durch seine neuerliche Asylantragstellung abermals ein temporäres Aufenthaltsrecht zu verschaffen und eine Rückführung in seinen Herkunftsstaat – zumindest temporär – zu vereiteln. Dadurch hat der Beschwerdeführer im Rahmen einer Gesamtschau ein Fehlverhalten gesetzt, das vor dem Hintergrund von Artikel 11, Absatz eins, Litera b, der Rückführungsrichtlinie sowie der höchstgerichtlichen Judikatur jedenfalls geeignet ist, die Verhängung eines Einreiseverbotes zu rechtfertigen, zumal der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens ein großes öffentliches Interesse zukommt vergleiche VwGH 10.10.2021, Ra 2021/17/0107, mwN).
Bezüglich der Befristung des Einreiseverbotes ist darauf hinzuweisen, dass nicht nur bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung, sondern auch bei einem - nur bei gleichzeitiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässigen – Einreiseverbot iSd Paragraph 53, FPG, in dessen Absatz 2 und 3 in Bezug auf die Bemessung der Dauer auch die Abwägung nach Artikel 8, EMRK angesprochen wird, die Verhältnismäßigkeit am Maßstab des Paragraph 9, BFA-VG zu prüfen ist vergleiche VwGH 14.02.2022, Ra 2020/21/0200, mwN).
Auch die seitens der belangten Behörde verhängte Dauer des Einreiseverbotes von zwei Jahren stellt sich vor dem Hintergrund einer grundsätzlich zulässigen Höchstdauer von fünf Jahren sowie den im gegenständlichen Fall vorliegenden Umständen als angemessen dar und wurde im Beschwerdeverfahren auch kein substantiiertes, sachbezogenes Vorbringen erstattet, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde gegenständlich nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt wäre, zumal sich der mit dem Einreiseverbot verbundene Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund des festgestellten Sachverhaltes ohnedies in engen Grenzen hält.
Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt römisch VII. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG abzuweisen.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Eine mündliche Verhandlung kann gemäß Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt Paragraph 24, VwGVG.
Gemäß Paragraph 24, Absatz eins, VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Verhandlung kann nach Absatz 2, entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (Ziffer eins,) oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (Ziffer 2,).
Da der verfahrenseinleitende Antrag des Beschwerdeführers zurückzuweisen war, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Paragraph 24, Absatz 2, Ziffer eins, VwGVG unterbleiben. Der für die Zurückweisung maßgebliche Sachverhalt war zudem auf Grund der Aktenlage klar.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.
ECLI:AT:BVWG:2024:I403.2284689.1.00