Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

12.01.2024

Geschäftszahl

W247 2275539-1

Spruch


1.) W247 2275539-1/10E

2.) W247 2274803-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) römisch 40 alias römisch 40 , geb. am römisch 40 , und 2.) römisch 40 , geb. am römisch 40 , beide StA. staatenlos und vertreten durch 1.) die römisch 40 , 2.) die römisch 40 , gegen den Spruchpunkt römisch eins. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1.) 08.06.2023, Zl. römisch 40 und vom 2.) 08.06.2023, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.12.2023, zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden gemäß Paragraph 28, Absatz 2, Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 33 aus 2013,, idgF., in Verbindung mit Paragraph 3, Absatz eins, Asylgesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,, idgF., als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

Die beschwerdeführenden Parteien (BF1-BF2) sind staatenlose Palästinenser, der Volksgruppe der Araber und der sunnitischen Ausrichtung des Islam zugehörig. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) ist der Bruder des Zweitbeschwerdeführers (BF2).

römisch eins. Verfahrensgang:

1.1. Der BF1 reiste zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt, spätestens am 16.11.2022, unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte an ebendiesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am 18.11.2022 vor der Landespolizeidirektion römisch 40 - im Beisein eines dem BF1 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache ARABISCH - erstbefragt, sowie am 13.02.2023 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion römisch 40 , ebenfalls im Beisein eines dem Beschwerdeführer einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache ARABISCH, niederschriftlich einvernommen wurde.

1.2. Der BF2 reiste zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt, spätestens am 18.11.2022, unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte an ebendiesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am 18.11.2022 vor der Landespolizeidirektion römisch 40 - im Beisein eines dem BF2 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache ARABISCH - erstbefragt, sowie am 13.02.2023 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion römisch 40 , ebenfalls im Beisein eines dem Beschwerdeführer einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache ARABISCH, niederschriftlich einvernommen wurde.

2.1. Der BF1 brachte im Rahmen seiner Erstbefragung am 18.11.2022 vor, in römisch 40 , Syrien, geboren, sowie verheiratet zu sein und muttersprachlich Arabisch zu sprechen. Er gehöre dem islamischen Glauben und der arabischen Volksgruppe an. Im Herkunftsstaat habe der BF1 9 Jahre lang die Grundschule und 3 Jahre lang das Gymnasium besucht. Zuletzt sei der BF1 im Herkunftsstaat Arbeiter gewesen, habe jedoch keine Berufsausbildung. Im Herkunftsstaat würden noch seine Eltern, seine Ehefrau, sein Sohn, seine beiden Töchter, 2 Brüder und 5 Schwestern Anmerkung, namentlich gab der BF1 nur 4 an) leben. In Österreich lebe ein weiterer Bruder des BF1, römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre alt, welcher im Bundesgebiet asylberechtigt sei. Mit einem weiteren Bruder, dem BF2, sei der BF1 nach Österreich gereist. Die letzte Wohnadresse des BF1 in Syrien sei in römisch 40 gewesen. Er habe sich vor etwa 3 Monaten zur Ausreise entschlossen. Der BF1 habe nach Österreich gewollt, weil sein Bruder hier lebe und Österreich ein sicheres Land sei. Am 18.10.2022 sei der BF1 illegal zu Fuß von Syrien in die Türkei gegangen. Er habe eine syrische „ID-Karte“, welche sich in Syrien befinde, diese könne der BF1 jedoch nachschicken lassen. Der BF1 sei über die Türkei, Griechenland, Albanien, den Kosovo, Serbien und Ungarn nach Österreich gekommen. Über diese Länder könne der BF1 nichts angeben. Er wolle in Österreich bleiben und habe der BF1 seine Reise selbst organisiert. Die Kosten hätten sich auf ca. EUR 4.500,- belaufen.

Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab der BF1 an, dass er mit seinem Bruder, dem BF2, im Auto bei einem Kontrollpunkt gewesen sei. Dort seien sie von der Polizei sehr schlecht behandelt und geschlagen worden. Sie seien für 3 Wochen verhaftet und gefoltert worden. Eine Woche nach der Freilassung sei der Sicherheitsdienst bei ihnen zu Hause aufgetaucht und habe sie neuerlich verhaften wollen. Deshalb hätten sie sich dazu entschieden aus Syrien zu flüchten. Im Falle seiner Rückkehr habe der BF1 Angst um seine Freiheit und um sein Leben. Die Frage, ob es konkrete Hinweise darauf gäbe, dass dem BF1 im Falle seiner Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen würde, oder dieser mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen hätte, beantwortete er mit: „Nein“.

2.2. Der BF2 brachte im Rahmen seiner Erstbefragung am 18.11.2022 vor, in römisch 40 , Syrien, geboren, sowie verheiratet zu sein und muttersprachlich Arabisch zu sprechen. Er gehöre dem islamischen Glauben und der arabischen Volksgruppe an. Im Herkunftsstaat habe der BF2 9 Jahre lang die Grundschule besucht, jedoch keine Berufsausbildung gemacht und sei er zuletzt Taxifahrer gewesen. Im Herkunftsstaat würden noch seine Eltern, seine Ehefrau, sein Sohn, seine Tochter, 2 Brüder und 4 Schwestern leben. In Österreich lebe ein weiterer Bruder des BF2, römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre alt, welcher im Bundesgebiet asylberechtigt sei. Mit einem weiteren Bruder, dem BF1, sei der BF2 nach Österreich eingereist. Die letzte Wohnadresse des BF2 in Syrien sei in römisch 40 gewesen. Der BF2 habe sich vor ca. 3 Monaten zur Ausreise entschlossen und nach Österreich gewollt, weil es ein sicheres Land sei und er hier einen weiteren Bruder habe. Am 18.10.2022 sei der BF2 illegal zu Fuß von Syrien in die Türkei gegangen. Er habe eine syrische „ID-Karte“, welche sich in Syrien befinde, diese könne der BF2 jedoch nachschicken lassen. Der BF2 sei über die Türkei, Griechenland, Albanien, den Kosovo, Serbien und Ungarn nach Österreich gekommen. Über diese Länder könne der BF2 nichts angeben. Er wolle in Österreich bleiben und habe der BF2 seine Reise selbst organisiert. Die Kosten hätten sich auf ca. EUR 5.000,- belaufen.

Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab der BF2 an, dass er vom syrischen Sicherheitsdienst gesucht werde, weil dieser sein Auto sicherstellen habe wollen, womit der BF2 nicht einverstanden gewesen sei. Bei einer Rückkehr habe der BF2 Angst um seine Freiheit und um sein Leben. Die Frage, ob es konkrete Hinweise darauf gäbe, dass dem BF1 im Falle seiner Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen würde, oder dieser mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen hätte, beantwortete er mit: „Nein“.

3.1. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 13.02.2023 gab der BF1 im Wesentlichen an, dass es ihm nicht so gut gehe, er die Einvernahme jedoch durchführen wolle. Der Name des BF1 sei in der Vergangenheit falsch geschrieben worden. Er sei Palästinenser, der Volksgruppe der Araber und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig. Der BF1 sei verheiratet, habe 2 Töchter und einen Sohn. Seine Ehefrau und seine Kinder befänden sich in römisch 40 . Der BF1 sei in römisch 40 geboren und habe sich immer in römisch 40 aufgehalten. Er habe 12 Jahre lang die Schule besucht, diese mit Matura abgeschlossen, und habe zuletzt im gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehefrau, sowie seinen Kindern gelebt. Beruflich sei der BF1 Arbeiter in einer Plastikfabrik gewesen. Geheiratet habe der BF1 am 01.01.2015 und habe er Syrien am 18.10.2022 verlassen. Der BF1 sei nie politisch tätig und nicht Mitglied in einer Gruppierung gewesen. Er sei auch nie straffällig geworden. Der BF1 habe Syrien verlassen, weil sein Leben in Gefahr sei und „sie“ ihn suchen würden. Er sei ständig, insgesamt 5 Mal, gekidnappt worden, verhaftet und gefoltert worden. Zuletzt sei der BF1 im September 2022 bei einem Kontrollpunkt der Regierung verhaftet worden. Es handle sich um einen Militärstützpunkt in römisch 40 , neben römisch 40 . Es habe für die Verhaftung keinen Grund gegeben, bei der Einvernahme im Gefängnis hätten sie gesagt, dass der BF1 Mitglied einer verbotenen Miliz sei, das stimme jedoch nicht. Sein Bruder, der BF2, habe ihn von der Arbeit abgeholt und hätten sie zusammen zu ihrer Familie gewollt. Unterwegs sei der Kontrollpunkt gewesen und seien sie verhaftet worden. Sie seien ca. 3 km von römisch 40 entfernt angehalten worden. Nach der Kontrolle sei der BF1 aus dem Auto geholt worden, wobei er eine Stunde gewartet habe. Dem BF1 seien Handschellen angelegt und ein Sack über den Kopf gezogen worden, dann hätten sie den BF1 in einem Auto bis zum Gefängnis römisch 40 oder römisch 40 , jedenfalls in römisch 40 , gebracht, wo er ca. 20-21 Tage gewesen sei. Bei seiner Freilassung seien dem BF1 wieder Handschellen angelegt und ein Sack über den Kopf gezogen worden und hätten sie den BF1 in einem Auto nach römisch 40 gebracht. Dort hätten sie den BF1 gelassen und hätten sie gewartet. Der Bruder des BF1 sei auch dabei gewesen, der BF1 habe jedoch nicht einmal gewusst, dass sein Bruder ebenfalls verhaftet worden sei. Es sei Abend und dunkel gewesen, sie hätten kein Geld gehabt und seien auch keine Verkehrsmittel gefahren. Jemand habe sie mit nach Hause genommen. Warum man die BF1-BF2 verhaftet habe, wisse der BF1 nicht. Sie seien beim selben Kontrollpunkt gewesen, aber der BF1 habe nicht gewusst, dass sein Bruder ebenfalls im Gefängnis sei. Der BF1 könne nicht sagen, ob der BF2 im gleichen Gefängnis gewesen sei. Der Vater des BF1 habe diesem erzählt, dass er angerufen worden sei und ihm einen Treffpunkt in römisch 40 , einem Bezirk in römisch 40 , gesagt habe. Der Vater des BF1 habe „ihnen“ 3 Millionen syrische Lira gegeben und sei wieder gegangen. Der Vater des BF1 wisse nicht, wem er das Geld gegeben habe und wisse es der BF1 ebenso wenig. Der Ort der Freilassung sei ca. eine halbe Stunde mit dem Auto vom zu Hause des BF1 entfernt gewesen. Befragt dazu, wo genau er sich im Bezirk römisch 40 befunden habe und, ob dort Gebäude oder sonstige Anhaltspunkte gewesen seien, vermeinte der BF1, dass er nicht konzentriert gewesen sei. Außerdem sei es Abend und dunkel gewesen. Er glaube, es habe keine Gebäude oder irgendetwas gegeben. Bei seiner Festnahme seien 6-7 Leute anwesend gewesen, er wisse es jedoch nicht genau. Die Festnahme habe sich gegen 17 oder 18 Uhr ereignet, der BF1 wisse es nicht genau. Der BF1 habe nicht geschaut, wie sich der BF2 bei der Festnahme verhalten habe, weil sie ihn ständig geschlagen hätten und der BF1 mit sich selbst beschäftigt gewesen sei. Während seines Gefängnisaufenthalts sei der BF1 ständig gefoltert und mit dem Umbringen bedroht worden. Der BF1 habe jeden Tag darauf gewartet, dass er umgebracht werde. Wann der Vater des BF1 das Geld für die Freilassung übergeben habe, wisse der BF1 nicht, er habe nicht danach gefragt. 5 oder 6 Mal sei der BF1 ohne Grund festgenommen worden, ihm sei immer wieder vorgeworfen worden Mitglied einer Oppositionspartei oder einer Miliz zu sein, doch sei alles unrichtig gewesen. Zwischen der letzten Freilassung und seiner Ausreise seien ca. 14 oder 15 Tage vergangen. Der ausschlaggebende Grund, der zum Verlassen des Herkunftsstaates geführt habe, sei gewesen, dass „sie“ zu ihnen nach Hause gekommen seien. Der BF1 sei nicht zu Hause gewesen, weil er bei der Arbeit gewesen sei. „Sie“ hätten gesagt, sie würden den BF1 lebendig oder tot brauchen. Jedenfalls würden sie den BF1 brauchen. Der Vorfall habe sich 3-4 Tage vor der Ausreise des BF1 aus Syrien ereignet. Die Frau des BF1 habe ihn angerufen und ihm mitgeteilt, dass Soldaten bei ihnen gewesen seien, die Wohnung durchsucht und mitgeteilt hätten, dass sie den BF1 unbedingt brauchen würden. Dieser habe dann sofort mit seinem Bruder telefoniert und die Arbeit sofort verlassen. Der BF1 sei dann zu einem Freund in römisch 40 gegangen. Dort habe sich der BF1 ca. 3 Tage aufgehalten und sei nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. Der BF1 sei gesucht worden, warum wisse er jedoch selbst nicht. Der Freund, bei dem sich der BF1 versteckt habe, heiße römisch 40 , es sei der Freund des BF2. Die Frau des BF1 habe ihm mitgeteilt, dass eine Gruppe zu ihnen nach Hause gekommen sei, wie viele es genau gewesen seien, wisse der BF1 nicht. Die Frau des BF1 habe zu Mittag angerufen, danach habe der BF1 seinen Bruder angerufen. Sein Bruder sei zuerst bei dem Freund gewesen, weil der BF2 dem BF1 gesagt habe, dass er zu seinem Freund kommen solle und habe der BF2 dem BF1 die Adresse geschickt. Der BF2 habe bei einem Konservendosen- und Lebensmittellieferanten gearbeitet.

Der BF1 habe Kontakt zu seiner Frau. Die BF1-BF2 seien mit einem Auto bei dem Kontrollpunkt gewesen, welches der BF2 kaufen habe wollen. Der BF2 habe es in Raten bezahlen wollen. Ob der BF2 das Auto zu diesem Zeitpunkt geliehen habe, könne der BF1 nicht sagen. Der BF1 habe abgesehen von seinen beiden Brüdern in Österreich, keine weiteren Verwandte im Bundesgebiet. Der BF1 habe Syrien verlassen, weil sein Leben in Gefahr gewesen sei. Er habe gewusst, wer ins Gefängnis komme, komme nicht lebendig wieder hinaus. Auf Vorhalt, dass das in Widerspruch zu seinen Angaben stehe, zumal er angegeben habe mehrfach festgenommen worden zu sein, vermeinte der BF1, dass er das erste Mal beim Kontrollpunkt festgenommen worden sei, doch das 2. Mal in seiner Wohnung gesucht worden sei, wobei „sie“ gesagt hätten, sie bräuchten ihn tot oder lebendig. Der BF1 wisse nicht, warum er zuvor mehrfach festgenommen worden sei. Sie hätten manchmal Geld genommen, ihn manchmal freigelassen, aber der BF1 sei immer unschuldig gewesen. Bei einer Rückkehr nach Syrien würde der BF1 umgebracht.

In Österreich habe der BF1 bereits in der Betreuungsstelle Deutschunterricht erhalten und habe er online gelernt. Der BF1 wolle zunächst Deutsch lernen, dann Arbeit suchen und ein aktives Mitglied in der Gesellschaft sein. Er wolle seine Kinder dazu bringen, aktive Bürger zu sein. Der BF1 sei nicht gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinen Kindern ausgereist, weil der Weg sehr gefährlich und schwer sei. Außerdem koste es viel und habe der BF1 kleine Kinder. Der BF1 wolle sich beim Staat und den Menschen für die Aufnahme bedanken. Er wolle Arbeit mit österreichischen Menschen aufbauen. Der BF1 liebe Österreich und liebe Menschen. Seine Kinder würden diese Sprache leben und würden alle zusammen helfen. Jeden Tag lerne der BF und höre (auf Deutsch).

3.2. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 13.02.2023 gab der BF2 zusammenfassend an, dass er sich eigentlich nicht so gut fühle, die Einvernahme jedoch durchführen wolle. Bei der Erstbefragung sei sein Name falsch geschrieben worden. Statt römisch 40 . Sein Personalausweis sei aus dem Jahr 2007, einen aktuelleren habe der BF2 nicht. Er sei Palästinenser, der Volksgruppe der Araber und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig. Der BF2 sei verheiratet und habe einen Sohn, sowie eine Tochter. Die Ehefrau und die Kinder des BF2 befänden sich in römisch 40 . Der BF1 sei am römisch 40 in römisch 40 geboren und habe sich immer ebendort aufgehalten. 9 Jahre lang habe er die Grundschule besucht und zuletzt im gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehefrau und seinen Kindern gelebt. Sie hätten ein Familienhaus gehabt, die Eltern des BF2 seien auch im selben Haus gewesen. Beruflich habe der BF2 als Taxifahrer gearbeitet. Geheiratet habe er im August 2018 und habe er Syrien am 18.10.2022 verlassen. Er sei nie politisch tätig gewesen und auch nicht Mitglied irgendeiner Gruppierung gewesen. Der BF2 sei im Herkunftsstaat nie straffällig geworden.

Zu seinem Fluchtgrund befragt führte der BF2 aus, dass das Militär sein Auto beschlagnahmen habe wollen, weil es ein modernes Auto gewesen sei. Der BF2 sei dagegen gewesen, weshalb sie ihn verhaftet und das Auto weggenommen hätten. Er sei 20-21 Tage in Haft gewesen, wo er gefoltert und geschlagen worden sei. Es habe auch Rassismus mitgespielt, weil der BF2 Palästinenser sei. „Sie“ hätten gefragt, was er in ihrem Land mache und weshalb er nicht zum Militär gegangen sei. Der BF2 sei am 08.09.2022 verhaftet worden und sei ihm eine Maske aufgesetzt worden, weshalb er nicht wisse in welchem Gefängnis er gewesen sei. Vermutlich sei es in römisch 40 gewesen, sie seien mit dem Auto gefahren. Der BF2 sei im Gefängnis in einer Einzelzelle gewesen, er habe mit niemandem reden können. Den Militärdienst habe der BF2 nicht abgeleistet, weil er sich freigekauft habe, da er nicht kämpfen und keine Waffe tragen habe wollen. Der BF2 hätte die Möglichkeit gehabt seinen Militärdienst in der palästinensischen Bereifungsarmee abzuleisten. Der Vater des BF2 habe den Freikauf über Bekannte erledigt. Auch alle Brüder des BF2 seien freigekauft worden. Der BF2 sei mit seinen Brüdern in seinem Auto bei einem Kontrollpunkt in römisch 40 gewesen, wo sie ihn aufgehalten und nach Autopapieren, sowie nach Ausweisen gefragt hätten. Diese hätten sie hergegeben und seien sie dann aufgefordert worden das Auto zu verlassen und an der Wand zu stehen. Sie seien geschlagen worden und seien nach ca. einer dreiviertel Stunde 2 Autos gekommen. Sie hätten dem BF2 Handschellen angelegt und ihm einen Sack über den Kopf gezogen. Der BF2 und sein Bruder seien in ein jeweils anderes Auto gesetzt worden und seien sie nach kurzer Zeit im Gefängnis gewesen. „Sie“ hätten den BF2 in eine Zelle im Untergeschoss gesperrt, er habe Stiegen hinuntergehen müssen. Der BF2 sei jeden Tag 21 Tage lang gefoltert, geschlagen und beschimpft worden. „Sie“ hätten ihnen auch einen Sack über den Kopf gezogen, als sie freigelassen worden seien. Bei der Freilassung seien sie ca. eine halbe Stunde mit dem Auto gefahren, welches sie Anmerkung, die BF1-BF2) dann verlassen hätten. „Sie“ hätten dem BF2 gesagt, dass er frei sei, er den Sack jedoch erst nach 5 Minuten abnehmen solle. Der BF2 habe den Sack abgenommen und seine Brüder neben sich gesehen. Sie hätten sich bei ihrer Freilassung in römisch 40 im Bezirk römisch 40 befunden und seien dann auf der Straße gestanden, sowie via Autostopp nach Hause gefahren. Der Ort der Freilassung sei ca. eine halbe Stunde mit dem Auto von ihrem zu Hause entfernt gewesen. Befragt dazu, wo genau sie sich im Bezirk römisch 40 befunden haben, gab der BF2 an, dass sie auf der Straße ohne Telefon und Geld gestanden seien. Ihnen sei alles weggenommen worden. Sein Bruder römisch 40 , der BF1, habe sich bei ihm befunden. Bei dem Kontrollpunkt seien 6 oder 9 Personen gewesen, genau wisse es der BF2 nicht. Ein Soldat habe sie zum Aussteigen aufgefordert und habe es sich bei dem Kontrollpunkt um einen Kontrollpunkt der Regierung gehandelt. Dieser befinde sich in römisch 40 , ca. 15 Minuten von der Wohnung des BF2 entfernt. Es sei ein kleines Dorf namens römisch 40 gewesen, welches jetzt zu römisch 40 gehöre. Die Festnahme habe sich um ca. 20 oder 21 Uhr ereignet. Sie seien zu dem Kontrollpunkt gefahren, weil er sich in Richtung der Wohnung des BF2 befinde. Der Bruder des BF2 arbeite in einem Ort von römisch 40 und habe der BF2 ihn jeden Freitag aus römisch 40 abholen müssen. Der BF1 arbeite in einer Plastikfabrik und seien sie zu zweit im Fahrzeug gewesen. Sie seien bei der Anhaltung mit der Faust und danach mit Waffen geschlagen worden, wobei 3 Personen die Schläge ausgeführt hätten. Die BF1-BF2 hätten nichts machen können. Sein Bruder habe sich genauso verhalten. Von der Fahrt zum Gefängnis seien sie auch im Auto nur geschlagen worden und hätten nichts machen können. Der BF2 sei zwischen 2 Soldaten gesessen, welche ihn beide geschlagen und beschimpft hätten. Während des Gefängnisaufenthalts sei der BF2 fast täglich aus der Zelle geholt und auf verschiedene Arten geschlagen, gefoltert, sowie beschimpft worden. Es seien viele Fragen gestellt worden, es habe jedoch keine Einvernahme stattgefunden. Der BF2 sei nur gefragt worden, was er arbeite und warum er nicht kämpfen würde. Sie würden Palästinenser hassen, das sei Grund genug gewesen, um sie zu schlagen. Der Vater des BF2 habe ihm mitgeteilt, dass sie das Telefon des BF1 genommen und 3 Millionen syrische Lira verlangt hätten. Für den Fall, dass der Vater zahle, würden sie entlassen. Der Vater des BF2 habe bezahlt. Dem BF2 sei nicht mitgeteilt worden, in welchem Gefängnis er sich befinde. Die Geldübergabe sei abends gewesen, dem Vater des BF2 sei ein Treffpunkt gesagt worden. Sie seien in einem Auto gewesen, wobei das hintere Fenster offen gewesen sei und habe der Vater des BF2 das Geld in das Auto geworfen. Niemand habe es gesehen und das Auto sei sofort davongefahren. Während der Übergabe seien sie noch im Gefängnis gesessen, es seien ca. 15 Tage Anmerkung, seit ihrer Verhaftung) vergangen gewesen. Nach weiteren 5 Tagen seien sie freigelassen worden. Der Übergabeort sei in römisch 40 gewesen, wo wisse der BF2 nicht. Sein Vater habe ihm gesagt, es sei in römisch 40 gewesen, der BF2 habe nicht nachgefragt, es sei ein dunkler Platz gewesen. Der Vater des BF2 sei alleine hingefahren. Von der Entlassung des BF2 bis zu seiner Ausreise aus Syrien seien ca. 13 oder 18 Tage vergangen. Danach habe die Frau des BF2 angerufen und dem BF2 mitgeteilt, dass die Soldaten im Haus gewesen seien und die beiden brauchen würden. Sie hätten das Haus durchsucht, viel kaputt gemacht und die Kinder geschlagen. Im Haus seien die Soldaten am 13.10.2022 gegen 16 Uhr gewesen, das habe die Frau des BF2 diesem telefonisch mitgeteilt. Zu diesem Zeitpunkt sei der BF2 in römisch 40 in einer Schokoladenfabrik gewesen und einem Gelegenheitsjob nachgegangen. Dort habe der BF2 2 Tage gearbeitet. Die Personen hätten dem Vater des BF2 gesagt, dass sie sofort zur nächsten Polizeistation kommen müssten, wenn sie nach Hause kommen würden. Der BF2 wisse nicht, warum man Interesse an seiner Person gehabt habe. Die BF1-BF2 hätten sich bei einem Freund versteckt, dann seien sie ausgereist. Der BF2 wisse nicht wie viele Personen bei ihm zu Hause gewesen seien, weil er nicht da gewesen sei. Als seine Frau mit ihm geredet habe, seien einige im Haus, im Stiegenhaus und im Auto gewesen, wie viele wisse der BF2 jedoch nicht. Seine Frau habe gegen 16 Uhr angerufen. Nach dem Telefonat mit seiner Frau habe der BF2 seinen Bruder angerufen, welcher schon informiert gewesen sei. Der BF2 habe gefragt, was sie tun sollten, worauf der BF1 gesagt habe, dass sie das Land verlassen müssten. Der BF1 habe gesagt, wo sie sich verstecken würden. Der BF2 habe angegeben, einen Freund in römisch 40 zu haben, wo sie sich ein paar Tage verstecken könnten. Dort seien sie ein paar Tage gewesen und habe dieser Freund, römisch 40 , Kontakt zu Schleppern. Er wohne im Bezirk römisch 40 und seien die BF1-BF2 3 Tage bei ihm gewesen. Der BF2 habe dem BF1 die Adresse seines Freundes gegeben und sei der BF1 nach dem BF2 angekommen. Es sei nicht weit von der Schokoladenfabrik gewesen, weshalb der BF2 zu Fuß hingegangen sei, um Kontrollpunkte zu vermeiden. Der BF2 hätte noch 2 Stunden arbeiten müssen, habe die Fabrik jedoch sofort verlassen. Sein Bruder habe ebenfalls die Arbeitsstätte verlassen. Vor seiner Ausreise sei der BF2 nicht noch einmal zu Hause gewesen.

Der BF2 stehe in Kontakt mit seinen Familienangehörigen. Es habe sich bei dem Auto um einen gelben Kia Rio gehandelt. Abgesehen von seinen beiden Brüdern habe der BF2 keine weiteren Verwandte in Österreich. Der ausschlaggebende Grund für sein Verlassen des Herkunftsstaates sei der Rassismus, Faschismus und der Gefängnisaufenthalt gewesen.

Der BF2 wisse, dass es sich bei dem Raum, in welchem er festgehalten worden sei, um ein Gefängnis gehandelt habe, weil es eine Eisentür gegeben habe und sie das Essen auf derselben Seite erhalten hätten. Sie hätten nicht gewusst, ob es Tag oder Nacht sei, weil es immer dunkel gewesen sei. Der BF2 habe auch gehört, dass andere Leute gefoltert worden seien. Andere Insassen habe der BF2 nicht gesehen, er sei in einer Einzelzelle gewesen. Als er in einen anderen Raum geführt worden sei, habe der BF2 immer auf den Boden schauen müssen und sei auch unterwegs geschlagen worden. Der BF2 habe mehrere Zellen gesehen. Das Personal habe der BF2 nicht gesehen, weil er immer auf den Boden schauen habe müssen. Es seien Leute in Militärkleidung, aber auch in Zivilkleidung gewesen. Im Falle einer fiktiven Rückkehr nach Syrien würde der BF2 Folter erwarten. Vielleicht werde er auch umgebracht, alles sei möglich.

Der BF2 habe in Österreich noch keine Kurse besucht, weil er in einer Betreuungsstelle sei. In Zukunft wolle der BF2 Deutsch lernen, Arbeit suchen und arbeiten. Mit seinen Familienangehörigen spreche der BF2 über Alltägliches, wie es ihnen gehe, und, dass sie sich vermissen würden. Er habe gewusst, dass der Weg sehr schwer sei. Für die Frau des BF2 und die Kinder wäre es sehr schwer gewesen, weshalb sie nicht gemeinsam ausgereist seien. Der BF2 wolle sich beim österreichischen Staat für alles bedanken. Er stellte in der Folge die Namen und Geburtsdaten seiner Frau und Kinder richtig.

4.1. Der BF1 brachte erstinstanzlich folgende Unterlagen in Vorlage:

●             Kopie seines syrischen Personalausweises;

●             Kopie eines Auszugs aus dem Zivilregister (auch Personenstandsregister) für Palästinenser;

●             Kopie eines Auszugs aus dem Familienregister;

4.2. Der BF2 brachte erstinstanzlich folgende Unterlagen in Vorlage:

●             Kopie seines syrischen Personalausweises;

●             Kopien zweier Auszüge aus dem Zivilregister (auch Personenstandsregister) für Palästinenser;

5.1. Mit den angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde (BFA) vom 08.06.2023 wurden die Anträge der BF1-BF2 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.), ihnen jedoch gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).

5.1.1. Mit Berichtigungsbescheid vom 29.06.2023 wurde der Name des BF1 auf der ersten Seite des Bescheides vom 08.06.2023 berichtigt.

5.2. In den Bescheidbegründungen traf die belangte Behörde Feststellungen zu den Personen der BF1-BF2, zu ihren Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaats, zur Situation im Falle ihrer Rückkehr, sowie zur Lage in ihrem Herkunftsstaat und führte rechtlich aus, dass die Ausführungen zu den Fluchtgründen nicht glaubhaft gewesen seien bzw. diese keine Asylrelevanz hätten. Es habe keine Verfolgung im Konventionssinn glaubhaft gemacht werden können. Aufgrund der derzeitigen instabilen Sicherheitslage in Syrien, würde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der BF1-BF2 jedoch eine ernsthafte Bedrohung ihres Lebens darstellen, weshalb den BF1-BF2 subsidiärer Schutz zu gewähren sei.

5.3.1. Beweiswürdigend führte das BFA im angefochtenen Bescheid des BF1 im Wesentlichen aus, dass glaubhaft gewesen sei, dass dieser wegen des Krieges und der allgemeinen Sicherheitslage den Herkunftsstaat verlassen habe. Nicht glaubhaft seien jedoch die geschilderten Vorfälle in Syrien gewesen, wonach der BF1 im Gefängnis gewesen sei bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei. Obwohl dem BF1 vor dem BFA die Möglichkeit eingeräumt worden war, sämtliche Ereignisse anzuführen, die zur Flucht aus seinem Heimatland geführt hätten, seien seine Aussagen extrem vage gewesen. In lediglich 2 kurzen Sätzen habe der BF1 zum Ausdruck gebracht, dass sein Leben in Gefahr sei bzw. er gesucht werde. Im Falle der Schilderung wahrer Begebenheiten wäre davon auszugehen gewesen, dass der BF1 ausgeführt hätte, aus welchen Gründen sein Leben in Gefahr gewesen wäre. Auch nach wiederholter Befragung seien die Erzählungen des BF1 nicht geeignet gewesen, um sich ein klares Bild seiner Fluchtgeschichte zu machen.

Der BF1 habe weder die Häufigkeit der behaupteten Entführungen, Verhaftungen, noch die Art und Weise der Folterungen vorgebracht. Bei tatsächlich Erlebtem wäre davon auszugehen, dass der BF1 von sich aus die Häufigkeit und die Orte, an welchen er entführt worden sei, sowie die Personen, welche involviert gewesen seien, genannt hätte. Der BF1 sei in seiner Schilderung extrem vage und oberflächlich geblieben. Dass der BF1 hinsichtlich seiner Freilassung keine Details genannt habe, sei abermals ein Indiz dafür gewesen, dass es sich um ein reines Erzählkonstrukt handle.

Es könne darüber hinaus nicht nachvollzogen werden, dass der BF1 keine Kenntnis von der Verhaftung seines Bruders gehabt habe. Die diesbezüglichen Ausführungen des BF1 seien neuerlich höchst oberflächlich gewesen und sei nicht plausibel, dass der BF1 die Festhaltung seines Bruders nicht von vornherein erwähnt habe. Genauso verhalte es sich mit der behaupteten Geldübergabe durch den Vater des BF1.

Der BF1 habe hinsichtlich der Anzahl der behaupteten Festnahmen widersprüchliche Angaben getätigt, zumal er zu Beginn der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA angegeben habe, dass es zu 5 Festnahmen gekommen sei, im Laufe der Einvernahme seine Aussagen jedoch abgeändert habe, indem er vermeinte 5 oder 6 Mal festgenommen worden zu sein. Im Übrigen sei es widersprüchlich, wenn der BF1 angebe, dass er nicht wisse, warum bei ihm zu Hause nach ihm gesucht worden sei, obwohl er zuvor vermeinte, verdächtig gewesen zu sein einer Oppositionspartei anzugehören. Aber selbst diese Mutmaßungen habe der BF1 nicht genauer ausgeführt.

Hinsichtlich der Personen, die ein Interesse am BF1 gehabt hätten, habe der BF1 nicht angegeben, um welche Personen es sich gehandelt habe. Nach der Übergabe des Geldes habe man dem Vater des BF1 gesagt, dass sich der BF1 sofort bei der nächsten Polizeistation zu melden habe. Weshalb es dennoch zu einer Freilassung des BF1 gekommen sei, sei unklar.

Es sei auch davon auszugehen, dass sich der BF1 an das exakte Datum erinnern hätte können, an welchem die Suche an seinem Wohnort nach seiner Person stattgefunden habe. Insgesamt sei daher davon auszugehen, dass die Angaben des BF1 nicht den Tatsachen entsprechen würden.

Die Gefahr einer Einberufung zum Reservedienst habe der BF1 nicht vorgebracht und gehe eine solche in Hinblick auf das Alter des BF1 aus den Länderfeststellungen nicht eindeutig hervor. So würden zwar vor allem in ehemaligen Oppositionsgebieten Hausdurchsuchungen stattfinden, doch würde weitgehend darauf verzichtet, um Aufstände zu vermeiden und würden die Behörden vor allem Männer bis 27 Jahre rekrutieren.

5.3.2. Beweiswürdigend führte das BFA im angefochtenen Bescheid des BF2 im Wesentlichen Ähnliches wie im angefochtenen Bescheid des BF1 aus. Auch der BF2 habe lediglich vage Aussagen zu seinen Fluchtgründen getätigt und wäre zu erwarten gewesen, der BF2 hätte mehr Details hinsichtlich der Festnahme, der Dauer seiner Anhaltung und der vermeintlichen Folterungen genannt. Mit keinem Wort habe er außerdem die Anwesenheit seines Bruders im Fahrzeug erwähnt, was eindeutig für eine Konstruktion seiner Fluchtgeschichte spreche. Der BF2 sei in der Schilderung seines Fluchtgrundes und der behaupteten Probleme extrem vage und oberflächlich geblieben. Weder sei der BF2 darauf eingegangen, weshalb man ihn zum Aussteigen aus dem Fahrzeug bewegt habe, noch was während der dreiviertel Stunde passiert sei, in welcher der BF2 warten hätte müssen und, um welche Personen es sich gehandelt habe. Wesentlich für die Unglaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens sei das vollständige Fehlen einer gefühlsbetonten Beschreibung gewesen, wie es zu erwarten gewesen wäre, hätte der BF2 das Behauptete tatsächlich erlebt. Darüber hinaus habe der BF2 zunächst lediglich das Aufsetzen einer Maske erwähnt, im weiteren Verlauf jedoch vom Anbringen von Handschellen gesprochen.

Auch hinsichtlich seiner behaupteten Freilassung habe der BF2 keinerlei Details zu den genaueren Umständen erwähnt. Vielmehr habe der BF2 die Freilassung völlig nüchtern und ohne jegliche eigene Empfindung geschildert, weshalb davon auszugehen sei, dass es sich um reine konstruierte Angaben handle. Genauso verhalte es sich hinsichtlich der vermeintlichen Geldübergabe.

Auffällig sei darüber hinaus, dass der BF2 angegeben habe, dass die Autofahrt dazu gedient habe seinen Bruder von der Arbeit abzuholen, was der Bruder des BF2, der BF1, jedoch mit keinem Wort erwähnt habe. Wieso ein derartiges Interesse an der Person des BF2 bestehen sollte, habe der BF2 selbst nicht gewusst, was jedoch in eklatantem Widerspruch dazu stehe, dass der BF2 zunächst angegeben habe, das Interesse habe wegen seines neuwertigen Fahrzeuges bestanden. Aber selbst diese Mutmaßungen habe der BF2 nicht weiter ausgeführt.

Dem BF2 sei es auch nicht möglich gewesen anzugeben, ob das Aufsuchen seiner Person bei sich zu Hause 3 oder 4 Tage vor seiner Ausreise aus Syrien stattgefunden habe, weshalb neuerlich das Konstruieren seiner Fluchtgeschichte unterstrichen worden sei.

Aus diesem Grund sei die belangte Behörde zum Schluss gekommen, dass die Angaben des BF2 nicht der Wahrheit entsprechen könnten.

Die Gefahr einer Einberufung zum Reservedienst habe der BF2 nicht vorgebracht und gehe eine solche in Hinblick auf das Alter des BF2 aus den Länderfeststellungen nicht eindeutig hervor. So würden zwar vor allem in ehemaligen Oppositionsgebieten Hausdurchsuchungen stattfinden, doch würde weitgehend darauf verzichtet, um Aufstände zu vermeiden und würden die Behörden vor allem Männer bis 27 Jahre rekrutieren.

6. Mit Information zur Rechtsberatung vom 13.06.2023 wurde den BF1-BF2 gemäß Paragraph 52, Absatz eins, BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

7.1.1. Mit fristgerecht eingebrachtem Schriftsatz vom 18.07.2023 wurde für den BF1 durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter, das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des gegenständlichen Bescheides des BFA, zugestellt am 21.06.2023, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, erhoben. Die Spruchpunkte römisch II. und römisch III. des angefochtenen Bescheides blieben von der Beschwerde unberührt.

7.1.2. Begründend wurde beschwerdeseitig zunächst der Sachverhalt neuerlich dargestellt und insbesondere ausgeführt, dass der BF1 staatenlos sei, in Syrien gelebt habe, der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam angehöre. Der BF1 stamme aus römisch 40 und habe 3 Kinder. Zuletzt habe er mit seiner Familie in einem Viertel von römisch 40 gelebt, welches vom römisch 40 -Regime der Opposition zugeschrieben werde. Aufgrund der notwendigen regelmäßigen Bewegungen zwischen diesen Vierteln, sei der BF1 über Jahre hinweg bei Kontrollen drangsaliert, geschlagen und misshandelt worden. Beim letzten Vorfall sei der BF1 sogar von Leuten des Regimes über ca. 20 Tage inhaftiert worden und habe nur über eine Lösegeldzahlung seines Vaters freikommen können. Als dann erneut bei der Frau des BF1 nach ihm gesucht worden sei, habe er gemeinsam mit seinem Bruder beschlossen auszureisen. Wegen seines Wohnortes und der Lage seines Arbeitsplatzes würde dem BF1 eine oppositionelle Haltung unterstellt oder gar die Zugehörigkeit zu einer oppositionellen Miliz angelastet.

Die belangte Behörde habe es unterlassen, den BF1 viel ausführlicher zu seinen Fluchtgründen zu befragen. Es sei notorisch, dass mit vermeintlich Oppositionellen nicht zimperlich umgegangen werde. Die belangte Behörde verkenne die Asylrelevanz der dem BF1 mit hoher Wahrscheinlichkeit unterstellten, oppositionell-politischen Gesinnung, sollte sich der BF1 erneut zwischen den erwähnten feindlich gesinnten Vierteln hin- und herbewegen.

Die belangte Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt. Außerdem habe die belangte Behörde unvollständige Länderberichte verwendet und werde nicht auf die schwierige Situation in römisch 40 selbst eingegangen. Der Glaubwürdigkeit des BF1 sei sohin ein entscheidender Faktor verloren gegangen. In der Folge wurden die Länderberichte auszugsweise wiedergegeben. Aus diesen Berichten ergäbe sich, dass willkürliche Festnahmen und Folter in Syrien nach wie vor auf der Tagesordnung stehen würden. Insbesondere würden Personen, denen eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde, einem hohen Folterrisiko unterliegen. Die willkürlich handelnden Sicherheitsbeamten würden dabei straffrei ausgehen. Darüber hinaus beschreibe UNHCR, dass Regierungsmitglieder öffentliche Drohungen gegen Flüchtlinge ausgesprochen hätten. Rückkehrer würden Berichten zufolge willkürlich inhaftiert, Verschwinden gelassen, gefoltert und würde ihr Eigentum konfisziert. Es bestehe keine Klarheit, wer bei Rückkehr sicher sei. Auch Amnesty International berichte, dass zahlreiche Rückkehrer staatlicher Gewalt ausgesetzt seien. Abgelehnte Asylwerber würden inhaftiert und gefoltert, um ein Geständnis zu erzwingen. Hätte die belangte Behörde ihre eigenen Länderfeststellungen richtig ausgewertet, so hätte sie zum Ergebnis kommen müssen, dass der BF1 im Falle einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt wäre.

Im Übrigen habe sich die belangte Behörde einer mangelhaften Beweiswürdigung bedient. Dem BF1 werde vor allem vorgeworfen, dass er eine oberflächliche Rahmengeschichte vorgebracht habe, die keinerlei Asylrelevanz zeitige. Dem sei jedoch entgegenzuhalten, dass der BF1 stets seine ihn betreffende Bedrohung in der Heimat – wenn auch in unterschiedlichen Intensitätsstufen – vorgetragen habe. Er sei vor allem zu den Ereignissen rund um die Anhaltung und Festnahme am Checkpoint, zu den Geschehnissen in Haft und nach seiner Entlassung detailliert befragt worden. Diese habe wohl den Zweck gehabt, die Schilderung der beiden Brüder abzugleichen. Das sei legitim und nachvollziehbar. Wenn man nunmehr die Aussagen der BF1-BF2 vergleiche, müsse festgestellt werden, dass diese zwar nicht wortgleich, inhaltlich jedoch völlig widerspruchsfrei seien. Das sollte bereits ein Hinweis darauf seien, dass die Angaben glaubwürdig seien. Aufgrund der ohnehin schon sehr genauen Befragung habe es der BF1 dabei belassen, die an ihn gestellten Fragen zu beantworten. Sollten Fragen offen geblieben seien, wäre der BF1 natürlich jederzeit bereit gewesen diese zu beantworten. Die Angaben des BF1 seien sohin völlig glaubwürdig und plausibel. Die Feststellungen der Erstbehörde würden sohin auf falschen Tatsachen und unschlüssiger Beweiswürdigung beruhen. Die belangte Behörde hätte dem BF1 den Status eines Asylberechtigten zuerkennen müssen. Ihr sei in erster Linie vorzuwerfen, das Vorbringen des BF1 nicht unter ausreichender Berücksichtigung fallbezogener, aktueller Länderberichte gewürdigt zu haben. Sie habe sich lediglich oberflächlich und mit nicht nachvollziehbarer Begründung mit den eigenen Länderfeststellungen auseinandergesetzt und habe es unterlassen den realen Hintergrund der vom BF1 vorgetragenen Fluchtgeschichte in ihre Überlegungen miteinzubeziehen. Dementsprechend habe die belangte Behörde keine nachvollziehbaren Aussagen über die Plausibilität des Fluchtvorbringens treffen können. Laut UNHCR würden Rückkehrer aus dem Ausland Berichten zufolge zu den Personen gehören, die nach ihrer Rückkehr verhaftet und zwangsrekrutiert würden, weshalb der BF1 besonders gefährdet wäre.

Sofern die belangte Behörde ausführe, dem BF1 drohe keine politische Verfolgung, sei zu entgegnen, dass der BF1 mit seiner Familie in einem Viertel von römisch 40 wohne, das vom römisch 40 -Regime in seiner Gesamtheit als der Opposition zugetan beschrieben werde. Auch die Arbeitsstelle des BF1 befinde sich in einem solchen Viertel, weshalb der BF1 bei den notwendigen regelmäßigen Bewegungen zwischen diesen Vierteln über Jahre hinweg bei Kontrollen drangsaliert, geschlagen und misshandelt worden sei. Beim letzten Vorfall sei der BF sogar 20 Tage lang festgenommen worden und nur über eine Lösegeldforderung freigekauft worden. Als dann bei seiner Frau nach ihm gesucht worden sei, habe der BF1 beschlossen auszureisen. Der BF1 vermeine zu Recht, dass ihm eine oppositionelle politisch-weltanschauliche Haltung unterstellt oder gar eine Zugehörigkeit zu einer verbotenen Miliz angelastet werde. Dem BF1 wäre daher die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen gewesen.

In der Folge wurde die Rechtslage zu Paragraph 3, AsylG umfangreich dargestellt und ausgeführt, dass der BF1 bei einer Rückkehr befürchte sogleich am Flughaften festgenommen und inhaftiert zu werden. Die Verfolgung gehe vom Staat aus und bestehe kein schutzfähiger Akteur. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht und stehe der gewährte Status des subsidiär Schutzberechtigten einer solchen entgegen. Die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Bescheides beschränke sich vorwiegend auf allgemeine Formulierungen, die teilweise auf den konkreten Fall gar nicht übertragbar erscheinen würden. Die belangte Behörde hätte bei der Führung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens feststellen müssen, dass dem BF1 der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen sei.

7.1.3. In der Beschwerde wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen; 2.) den angefochtenen Bescheid – allenfalls nach Verfahrensergänzung – beheben und dem BF1 den Status des Asylberechtigten zuerkennen; 3.) in eventu den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit ersatzlos beheben und zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

7.2.1. Mit fristgerecht eingebrachtem Schriftsatz vom 04.07.2023 wurde für den BF2 durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter, das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des gegenständlichen Bescheides des BFA, zugestellt am 21.06.2023, erhoben. Die Spruchpunkte römisch II. und römisch III. des angefochtenen Bescheides blieben von der Beschwerde unberührt.

7.2.2. Begründend wurde beschwerdeseitig zunächst der Sachverhalt neuerlich dargestellt und insbesondere ausgeführt, dass der BF2 in römisch 40 geboren sei und aus einer Familie von Palästinensern stamme, welche der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam angehören. Der BF2 habe 9 Jahre lang die Schule besucht und zuletzt den Beruf des Taxifahrers ausgeübt. Als der BF2 ins wehrpflichtige Alter gekommen sei, habe er sich mithilfe seines Vaters vom Militärdienst für die palästinensische Befreiungsarmee (PLA), welche praktisch in die syrische Armee integriert sei, freigekauft, weil er es ablehne eine Waffe zu tragen und zu kämpfen. Im August 2018 habe der BF2 geheiratet und habe er mit seiner Ehefrau 2 Kinder.

Das fluchtauslösende Ereignis habe der BF2 bereits in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde geschildert. Begonnen habe alles, als er mit seinem Kia Rio seinen Bruder römisch 40 von der Arbeit abgeholt und beim Checkpoint der syrischen Armee angehalten worden sei. Folglich wurde auf die Aussage des BF2 auf Sitzung 3 des Einvernahmeprotokolls verwiesen. Nach ca. 3 Wochen sei der BF2 durch Zahlung von 3 Millionen syrische Lira durch seinen Vater aus der Haft entlassen worden. Bereits wenige Tage später seien Soldaten beim Haus des BF2 aufgetaucht und hätten nach diesem, sowie dessen Bruder gesucht. Sie hätten das ganze Haus durchsucht, dabei viele Einrichtungsgegenstände zerstört, die Kinder geschlagen und ausrichten lassen, dass sich die beiden Brüder unverzüglich bei der nächsten Polizeistation einzufinden hätten.

Die belangte Behörde habe Verfahrensvorschriften verletzt und ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt. Hätte die belangte Behörde ihre Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erfüllt, so hätte sie insbesondere die Situation für Männer, denen fehlende Kooperationsbereitschaft und somit eine oppositionelle Gesinnung vorgeworfen werde, prüfen müssen, um beurteilen zu können, ob dem BF2 eine asylrelevante Verfolgung drohe.

Außerdem habe sich die belangte Behörde mangelhafter Länderfeststellungen bedient, indem sie unter Außerachtlassung der aktuellen Länderinformationen zum Schluss gekommen sei, dass der BF2 keine asylrelevante Verfolgungsgefahr glaubhaft gemacht habe. In der Folge wurden Auszüge aus den aktuellen Länderinformationen wiedergegeben.

Aus diesen Berichten ergäbe sich, dass willkürliche Festnahmen und Folter in Syrien nach wie vor auf der Tagesordnung stehen würden. Insbesondere würden Personen, denen eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde, einem hohen Folterrisiko unterliegen. Die willkürlich handelnden Sicherheitsbeamten gingen dabei straffrei aus. Darüber hinaus beschreibe UNHCR, dass Regierungsmitglieder öffentliche Drohungen gegen Flüchtlinge ausgesprochen hätten. Rückkehrer würden Berichten zufolge willkürlich inhaftiert, Verschwinden gelassen, gefoltert und würde ihr Eigentum konfisziert. Es bestehe keine Klarheit, wer bei Rückkehr sicher sei. Auch Amnesty International berichte, dass zahlreiche Rückkehrer staatlicher Gewalt ausgesetzt seien. Abgelehnte Asylwerber würden inhaftiert und gefoltert, um ein Geständnis zu erzwingen. Hätte die belangte Behörde ihre eigenen Länderfeststellungen richtig ausgewertet, so hätte sie zum Ergebnis kommen müssen, dass der BF2 im Falle einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt wäre.

Im Übrigen habe sich die belangte Behörde einer mangelhaften Beweiswürdigung bedient. Zunächst habe die belangte Behörde behauptet, dass der BF2 bei der Schilderung seiner Fluchtgründe extrem vage und oberflächlich geblieben sei, sowie eine gefühlsbetonte Beschreibung der Ereignisse fehle, die man von Menschen erwarten würde, welche willkürlich festgenommen und gefoltert worden seien. Der BF2 habe sämtliche Fragen in der Einvernahme konkret und so genau wie möglich beantwortet. Er sei von den Ereignissen rund um die Anhaltung und Festnahme am Checkpoint, sowie zu den Geschehnissen in Haft und nach seiner Entlassung sehr detailliert befragt worden. Diese sehr genaue Befragung habe wohl den Zweck gehabt, die Schilderung der Ereignisse mit den Angaben des gleichzeitig eingereisten BF1 abzugleichen, der von den fluchtauslösenden Ereignissen auch selbst betroffen gewesen sei. Das sei legitim und nachvollziehbar. Wenn man die Angaben der Brüder vergleiche, müsse festgestellt werden, dass diese zwar nicht wortgleich, inhaltlich aber völlig widerspruchsfrei seien. Das sollte schon ein Hinweis darauf sein, dass die Angaben glaubwürdig seien.

Aufgrund der schon sehr genauen Befragung zu den fluchtauslösenden Ereignissen habe es der BF2 dabei belassen, die an ihn gestellten Fragen zu beantworten. Wenn Fragen offen geblieben seien, wäre er gerne bereit gewesen diese zu beantwortet. Dass der BF2 seine Angaben völlig emotionslos und frei von Gefühlen vorgetragen habe, könne so nicht stehen gelassen werden. Der BF2 habe bei der Einvernahme zwar lange die Fassung wahren können, schließlich jedoch seinen Gefühlen freien Lauf gelassen und sein Vorbringen unter Tränen fortgesetzt, was sogar im Protokoll vermerkt worden sei. Von einem emotionslosen Vortrag könne daher keine Rede sein. Sofern die belangte Behörde als eindeutigen Hinweis darauf, dass es sich bei dem Fluchtvorbringen um ein reines Konstrukt handle, werte, dass der BF2 mit keinem Wort die Anwesenheit seines Bruders im Fahrzeug erwähnt habe, müsse dem widersprochen werden. Gleich auf Sitzung 2 der Niederschrift habe der BF2 angegeben, dass auch sein Bruder mit im Auto gewesen sei und er diesen von der Arbeit in der Plastikfabrik abgeholt habe, bevor sie am Nachhauseweg den Checkpoint passiert hätten. Das BFA habe jedoch behauptet, dass der BF2 die Abholung seines Bruders mit keinem Wort erwähnt habe, das entspreche ebenso wenig den Tatsachen. Die Behauptung der Widersprüchlichkeiten seien daher aktenwidrig. Vielmehr sei festzustellen, dass die Angaben des BF2 vor dem Hintergrund der Länderberichte und in Vergleich mit den Angaben seines Bruders glaubwürdig und plausibel seien. Es sei lediglich ein einziger Widerspruch hervorgekommen, der sich als aktenwidrig erwiesen habe. Bei mängelfreier Beweiswürdigung hätte dem BF2 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müssen. Der belangten Behörde sei in erster Linie vorzuwerfen, das Vorbringen des BF2 nicht unter ausreichender Berücksichtigung fallbezogener, aktueller Länderberichte zu Syrien unter Heranziehung ihres Amtswissens gewürdigt zu haben. Sie habe sich lediglich oberflächlich und mit nicht nachvollziehbarer Begründung mit den eigenen Länderfeststellungen auseinandergesetzt und es unterlassen den realen Hintergrund der vom BF2 vorgetragenen Fluchtgeschichte einzubeziehen. Dementsprechend habe die belangte Behörde keine nachvollziehbaren Aussagen über die Plausibilität des Fluchtvorbringens treffen können.

Der BF2 wäre auch als Rückkehrer in Syrien besonders gefährdet. Das syrische Regime setze einen geringen Maßstab an, wenn es beurteile, ob eine Person regierungsfeindlich sei. Da der BF2 sich als schutzsuchender Palästinenser vom Wehrdienst freigekauft habe, er bei der Kontrolle am Checkpoint sein Auto selbst nach Aufforderung nicht für die syrische Armee zur Verfügung stellen habe wollen, er sich einer Ladung zur nächsten Polizeistation durch seine Flucht entzogen habe und im Ausland einen Asylantrag gestellt habe, würden zahlreiche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der BF2 im Falle seiner Rückkehr aufgrund der ihm unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung inhaftiert worden sei.

In der Folge wurde hinsichtlich der inhaltlichen Rechtswidrigkeit ausgeführt, dass der BF2 im Falle seiner Rückkehr nach Syrien am Flughafen festgenommen, erneut inhaftiert und gefoltert würde. Dem BF2 würden daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr Verfolgungshandlungen von erheblicher Intensität drohen. Die Verfolgung bestünde aufgrund der zumindest unterstellten politischen Gesinnung und sei damit asylrelevant. Diese Verfolgung gehe vom Staat aus, ein schutzfähiger Akteur bestehe nicht und sei eine innerstaatliche Fluchtalternative ausgeschlossen, weil dem BF2 subsidiärer Schutz gewährt worden sei.

7.2.3. In der Beschwerde wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides dahingehend abändern, dass dem Antrag des BF2 auf internationalen Schutz stattgegeben werde; 2.) Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides beheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die erste Instanz zurückverweisen; 3.) eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen.

8. Die Beschwerdevorlagen vom 19.07.2023 (BF1) bzw. vom 05.07.2023 (BF2) und die Verwaltungsakte langten beim Bundesverwaltungsbericht (BVwG) am 21.07.2023 (BF1) bzw. am 07.07.2023 (BF2) ein.

9. Mit Schriftsatz vom 22.11.2023 kündigte der BF1 die bestehende Vollmacht zur römisch 40 und führte aus staatenloser Palästinenser zu sein, sowie bis zu seiner Flucht in römisch 40 gelebt zu haben. Sein Vater sei im Jahr 1948 unmittelbar aus Hebron nach Syrien geflüchtet, weshalb der BF1 bei der GAPAR, der syrischen Behörde für Palästinenser, registriert sei und auch einen Ausweis dieser Behörde besitze. Bei UNRWA sei der BF1 jedoch nicht registriert. Die Familie habe in römisch 40 in einem Privathaus im Vorort römisch 40 gelebt und auch nicht in einem Lager für Palästinenser. Der BF1 habe angegeben römisch 40 gemeinsam mit seinem Bruder verlassen zu haben, nachdem er im Zuge einer Kontrolle aus seinem Auto heraus verhaftet worden und für 20 oder 21 Tage angehalten worden sei. Dem BF1 sei vorgeworfen worden Mitglied der Opposition oder einer oppositionellen Miliz zu sein. Es sei nicht die erste Verhaftung des BF1 gewesen, aber diesmal hätten Sicherheitskräfte den BF1 zu Hause aufgesucht, nachdem für diesen Lösegeld bezahlt worden sei, um diesen neuerlich zu verhaften. Der BF1 habe angegeben während seiner Haft massiv misshandelt und gefoltert worden zu sein, wobei er eine sichtbare Delle an der Schädeldecke habe, welche von einem Schlag mit einem Gewehrkolben herrühre. Der BF1 sei daher von Seiten seiner rechtlichen Beratung mehreren Untersuchungen zugewiesen worden. Der BF1 habe auch angegeben, dass er bereits vor der fluchtauslösenden Verhaftung mehrmals angehalten, kontrolliert und verhaftet worden war, jeweils auf dem Weg zwischen seinem Wohnort und seiner Arbeitsstelle. Bei jedem Mal sei dem BF1 vorgeworfen worden, dass er die Opposition unterstütze, was wohl auch damit zu tun habe, dass sein Heimatstadtteil römisch 40 zu Beginn des Krieges in Syrien, zwischen 2013 und 2015, unter Kontrolle der oppositionellen FSA gestanden habe und vom Regime abgeriegelt worden sei. Es habe Gefechte zwischen oppositionellen Gruppen und der syrischen Armee gegeben, die dort einen Stützpunkt habe. Auch römisch 40 , wo der BF1 gearbeitet habe, sei lange unter Kontrolle der FSA gestanden und habe ebenfalls einen oppositionellen Ruf. Auch die Frau des BF1 stamme aus diesem Stadtteil, was für die Sicherheitskräfte offenbar ein zusätzlicher Anlass für Kontrollen gewesen sei. Der BF1 habe oft wochenlang an seiner Arbeitsstelle übernachten müssen, um den Schikanen an den Checkpoints zu umgehen. Als Bewohner dieser Viertel, noch dazu als Palästinenser, sei dem BF1 eine regimefeindliche Haltung unterstellt worden. Anfangs sei es nur wegen der angeblichen Teilnahme an Demonstrationen gewesen, die Vorwürfe gegen den BF1 seien jedoch mit jedem Mal gravierender geworden. Bei der vorletzten Verhaftung und Anhaltung (für 2 Wochen) sei dem BF1 bereits vorgeworfen worden, er unterstütze eine oppositionelle Gruppe, weil er sich nicht dem Volkskomitee angeschlossen habe. Schon damals sei es dem Vater des BF1 gelungen diesen freizukaufen – wie auch bei der letzten Verhaftung. Danach sei jedoch nicht nach dem BF1 gesucht worden. Bei der letzten und fluchtauslösenden Verhaftung habe es in Anschluss an die Freilassung einen Haft- oder Vorführbefehl gegeben, jedenfalls hätte sich der BF1 bei der Sicherheitsstelle melden sollen. Ein weiterer Verbleib des BF1 im Herkunftsstaat sei daher nicht zumutbar gewesen.

Folglich wurde auf ergänzende Länderberichte verwiesen.

Mit dem Schriftsatz wurde ein Konvolut an medizinischen Unterlagen vorgelegt.

10. Mit Schriftsatz vom 28.11.2023 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den BF1-BF2 und ihren Rechtsvertretern aktuelle Feststellungen zur Situation in seinem Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt Syrien (LIB) aus dem COI-CMS, Version 9, Datum der Veröffentlichung 17.07.2023; Country Guidance: Syrien der EUAA, Februar 2023; Report on the situation of returnees der EUAA, Juni 2021; Asylbericht Syrien der Österreichische Botschaften, September 2021; report on treatment of returnees by authorities – treatment upon return des Danish Immigration Service, Mai 2022; Anfragebeantwortung zu Syrien – Bestrafung von Wehrdienstverweigerung und Desertion, 08.09.2022; Anfragebeantwortung zu Syrien – syrische Wehrdienstgesetze, 16.09.2022; Anfragebeantwortung zu Syrien – Bestrafung von Wehrdienstverweigerung und Desertion, 16.09.2022; Anfragebeantwortung zu Syrien – Strafregisterbescheinigung und Sicherheitsfreigabe, 03.10.2022; Anfragebeantwortung zu Syrien – Rückkehrer nach Syrien, 14.10.2022; Anfragebeantwortung zu Syrien – Wehrpflicht in Gebieten, 14.10.2022; Anfragebeantwortung zu Syrien – Einreise über die türkisch-syrische Grenze bzw. Weiterreise in AANES Gebiete, 05.04.2023; Anfragebeantwortung Syrien – Einberufung von Reservisten der syrischen Armee, 02.06.2023; Anfragebeantwortung Syrien – Vorgehen der syrischen Grenzbehörden bei Einreise eines registrierten Reservisten, 02.06.2023; Anfragebeantwortung Syrien – Gebietskontrolle Ort Shahil, Gouvernement Deir ez-Zor, 07.08.2023; Anfragebeantwortung Syrien – Gebietskontrolle Ort Kasrat Faraj, Stadt Raqqa, Gouvernement Raqqa, 07.08.2023; Anfragebeantwortung Syrien – Gebietskontrolle Stadt al-Qahtaniya, 08.08.2023; Anfragebeantwortung Syrien – Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräfte, 18.08.2023; Anfragebeantwortung Syrien – Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften, 06.09.2023; Themenbericht der Staatendokumentation zu Syrien – Grenzübergänge, 25.10.2023) und wurde diesen Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von 10 Tagen hg. einlangend Stellung zu nehmen, wovon die Beschwerdeseite keinen Gebrauch machte. Gleichzeitig wurden die BF1-BF2 für 11.12.2023 geladen.

11. Mit Schriftsatz vom 29.11.2023 übermittelte das BVwG den BF1-BF2 eine ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Gefälschte Dokumente bzw. echte Dokumente mit wahrheitswidrigem Inhalt vom 03.08.2023 und wurde ihnen die Möglichkeit eingeräumt dazu binnen einer Woche hg. einlangend Stellung zu nehmen, wovon die Beschwerdeseite keinen Gebrauch machte.

12. Am 11.12.2023 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter der Beiziehung eines den BF1-BF2 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die arabische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu welcher die BF1-BF2 ordnungsgemäß geladen wurden und an welchen diese auch teilnahmen. Bei Beginn der Verhandlung legte eine Vertreterin der Asylberatung der römisch 40 eine unterschriebene, handschriftliche Vertretungsvollmacht des BF1 für die mündliche Beschwerdeverhandlung vor und nahm sodann als Vertreterin des BF1 an der mündlichen Beschwerdeverhandlung teil.

Die Niederschrift der Beschwerdeverhandlung des BF1 lautet auszugsweise:

„[…]

RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort in Syrien an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise zuletzt aufgehalten haben.

BF1: Ich heiße römisch 40 , geb. am römisch 40 in römisch 40 , in Syrien. Ich bin Palästinenser, Syrer. Das bedeutet, dass ich staatenlos bin. Mein letzter Wohnort liegt in römisch 40 Umgebung, im Dorf namens römisch 40 .

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF1: Ich bin ein Araber.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?

BF1: Ich bin ein sunnitischer Moslem.

RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus Syrien, welche Ihre Identität zweifelsfrei beweisen?

BF1: Die gleichen Dokumente, die ich vorher vorgelegt habe. Nachgefragt: Mein syrischer Personalausweis.

BF1 zeigt den Personalausweis dem RI.

RI: Verfügten Sie jemals über einen gültigen syrischen Reisepass?

BF1: Nein.

RI: Sind Sie derzeit im Besitz eines gültigen syrischen Reisepasses?

BF1: Nein.

RI: Welche Sprachen sprechen Sie?

BF1: Arabisch.

RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt? Ich ersuche um eine chronologische Auflistung Ihrer bisherigen Berufstätigkeit? Gemeint ist, sowohl im Herkunftsstaat, als auch im Bundesgebiet?

BF1: In Syrien habe ich die Schule bis zur 12. Klasse besucht. Ich habe die Matura abgeschlossen, aber ich war nicht an der Uni. Dann habe ich bei einer Elektrofabrik in römisch 40 gearbeitet als Angestellter. Seit Beginn dieses Krieges war diese Firma geschlossen. Dann habe ich bei einer Plastikfabrik gearbeitet. Auf Nachfrage: Die Firma heißt römisch 40 Fabrik. Das war mein letzter Beruf in Syrien und das war in römisch 40 .

RI: Haben Sie jemals eine Berufsausbildung abgeschlossen? Wenn ja, welche?

BF1: Nein.

RI: Wie ging es Ihnen finanziell im Herkunftsstaat?

BF1: Es ging mir gut.

RI: Wann sind Sie aus dem Herkunftsstaat zuletzt ausgereist?

BF1: Am 18.10.2022.

RI: Welche Verwandten von Ihnen sind gemeinsam mit Ihnen aus dem Herkunftsstaat ausgereist?

BF1: Mein Bruder römisch 40 , der heute da ist.

RI: Haben Sie den Wehrdienst im Herkunftsstaat bereits vollständig abgeleistet? Wenn ja, von wann bis wann und welche Tätigkeiten haben Sie in Ihrer Militärdienstzeit verrichtet?

BF1: Nein, ich habe keinen Militärdienst geleistet.

RI: VORHALTUNG: Ihr Bruder hat vor dem BFA am 13.02.2023 auf Seite 4 angegeben, dass er und alle seine Brüder vom Wehrdienst bei der palästinensischen Befreiungsarmee freigekauft worden sind. Wieviel hat der Freikauf vom Militärdienst für jeden gekostet und wann ist der Freikauf erfolgt?

BF1: Das ist korrekt, aber das war in verschiedenen Zeiten. Jeder für sich sollte seinen Freikauf bezahlen. Mein Vater hat das Geld für uns alle bezahlt. Ich spreche jetzt von mir selber, weil mein Bruder ist 10 Jahre jünger. Mein Vater hat für mich damals ca. 3.000 USD bezahlt.

RI: Verfügen Sie über ein Militärdienstbuch. Wenn ja, legen Sie es bitte vor.

BF1: Ja, ich habe ein Militärbuch, aber ich habe es nicht mit.

RI: Wo befindet sich das?

BF1: Das Regime ist zu unser Haus gekommen und hat alle Dokumente mitgenommen.

RI: Und da war das Militärdienstbuch dabei?

BF1: Das ist korrekt.

RI: An welchen Orten in Syrien haben Sie vor Ihrer letzten Ausreise längere Zeit gelebt. Nennen Sie bitte Name der Ortschaft, Aufenthaltszeitraum und Grund für die Übersiedlung an einen anderen Ort.

BF1: Mein letzter Wohnsitz, wo ich gewohnt habe in Syrien, war in römisch 40 . Auf Nachfrage: Ja, ich habe immer in römisch 40 gelebt, nur an einem kurzen Zeitraum, als wir klein waren, haben wir in römisch 40 gelebt.

RI: Sie haben hinsichtlich Ihrer im Herkunftsstaat aufhältigen Verwandten bei Ersteinvernahme (EE) am 18.11.2022 folgende Personen genannt: römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; 2 Brüder: römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; 4 Schwestern: römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; Gattin römisch 40 , geb. am römisch 40 ; Sohn römisch 40 , geb. am römisch 40 ; Tochter römisch 40 , geb. am römisch 40 ; Tochter römisch 40 , geb. am römisch 40 ; alle in Syrien aufhältig. Haben Sie zu diesen Angaben Änderungen oder Ergänzungen aus heutiger Sicht anzugeben?

BF1: römisch 40 ist ca. römisch 40 Jahre alt. Hinsichtlich der angegebenen Alter weise ich darauf hin, dass diese Altersangaben 1 Jahr alt sind. Ich habe einen Bruder, der verstorben ist. Sein Name war römisch 40 und er ist im Jahr römisch 40 verstorben. Alles ist korrekt sonst.

RI: Verfügen Sie noch über weitere Verwandten im Herkunftsstaat (Onkeln, Tanten, Nichten, Neffen, Cousins oder Cousinen)?

BF1: Ja, habe ich, ca. 40 Personen.

RI: Haben Sie noch Kontakt zu Ihren in Syrien lebenden Verwandten? Wenn ja, wie oft?

BF1: Ja, habe ich Kontakt zu meiner Familie in Syrien. Es ist unterschiedlich. Es hängt von der Internetverbindung ab. Nachgefragt: Mit meiner Ehefrau habe ich ca. alle 2 bis 3 Tage Kontakt und mit meinen Eltern und Geschwister ca. 1 bis 2 Mal im Monat.

RI: Wovon leben Ihre in Syrien aufhältigen Verwandten?

BF1: Durch ihre Arbeit.

RI: Wie geht es Ihren Verwandten in Syrien finanziell?

BF1: Die finanzielle Lage dort von meiner Familie ist gut.

RI: Verfügen Ihre Verwandte über irgendwelche Vermögenswerte in Syrien (Haus, Grundstück, Eigentumswohnung, Fahrzeuge,...)?

BF1: Ja, sie besitzen Häuser.

RI: Verfügen Sie über Freunde und/ oder Bekannte in Syrien zu denen Sie noch Kontakt haben?

BF1: Nein.

RI: Verfügen Sie selbst im Herkunftsstaat noch über irgendwelche Vermögenswerte (Haus, Grundstück, Fahrzeug,..)?

BF1: Ja, ich habe ein Haus, dass sich in römisch 40 befindet. Ich habe ein Auto gehabt, das ich für meine Ausreise verkauft habe.

RI: Leben Ihre Verwandten in Syrien noch am gleichen Ort, wie zum Zeitpunkt Ihrer Abreise?

BF1: Ja.

RI: Leben Ihre Verwandten in Syrien bis dato unbehelligt von den syrischen Behörden bzw. kurdischen Kräften in Ihrem Herkunftsstaat oder haben diese mit den Behörden- oder Militärpersonen irgendwelche Probleme, wegen Ihrer Ausreise?

BF1: Gott sei Dank, meine Familie lebt in Sicherheit dort, weil sie alt sind, aber trotzdem gibt es dort einige Probleme.

RI: Einige Probleme, die mit Ihnen im Zusammenhang stehen?

BF1: Ja.

RI: Welcher Art?

BF1: Manchmal hat das Regime Razzien bei uns zu Hause ausgeübt.

RI: Wann war die letzte Razzia?

BF1: Vor ca. 7 Monaten.

RI: Stand die Razzia im Zusammenhang mit Ihrem Verschwinden aus Syrien?

BF1: Ja, das ist korrekt.

RI: Wonach wurde bei Ihnen zu Hause gesucht?

BF1: Sie haben nach mir gesucht.

RI: Wann haben Sie Ihre derzeitige Gattin, Fr. römisch 40 , geb. am römisch 40 , kennen gelernt und wann haben Sie geheiratet?

BF1: Als ich als Angestellter bei meiner 1. Firma gearbeitet habe, musste ich andere Firmen besuchen und meine Frau hat dort bei einer Firma gearbeitet. Dort habe ich sie kennengelernt.

RI wiederholt die Frage.

BF1: Das ganz genaue Datum kann ich leider nicht sagen. Der Besuch bei der anderen Firma war nur für wenige Minuten. Ich glaube das war im Jahr 2011. Nachgefragt: Am 01.01.2015 haben wir geheiratet.

RI: Sind Sie mit Ihrer Gattin, der Fr. römisch 40 , geb. am römisch 40 , verwandt? Wenn ja, wie?

BF1: Nein.

RI: Welche Staatsbürgerschaft hat Ihre Frau, Fr. römisch 40 , geb. am römisch 40 ?

BF1: Sie ist syrische Staatsangehörige. Sie kommt vom Bezirk römisch 40 in römisch 40 .

RI: War es eine traditionelle oder standesamtliche Eheschließung?

BF1: Am Anfang war unsere Ehe nur traditionell. Danach haben wir sie standesamtlich registrieren lassen.

RI: Sind die von Ihnen genannten 3 Kinder gemeinsame Kinder mit Ihrer Fr. römisch 40 , geb. am römisch 40 ?

BF1: Ja.

RI: Waren Sie zuvor schon verheiratet? Wenn ja, wann und mit wem?

BF1: Nein.

RI: War Ihr derzeitige Frau bereits zuvor verheiratet? Wenn ja, mit wem?

BF1: Nein.

RI: Sind Sie im Bundesgebiet in einer Beziehung oder Partnerschaft?

BF1: Nein.

RI: Verfügen Sie sonst noch über andere leibliche Kinder als jene genannten 3 Kinder?

BF1: Nein.

RI: Wieso haben Sie Ihre Gattin, Fr. römisch 40 , geb. am römisch 40 , sowie Ihre drei Kinder bei Ihrer Ausreise aus Syrien in Syrien zurückgelassen und nicht mitgenommen?

BF1: 1. Weil die Lage damals sehr gefährlich war. Ich konnte nicht nach Hause zurückkehren. 2. Ich weiß schon, dass die Reise sehr schwer und kompliziert ist. Aus diesem Grund habe ich gewusst, dass es unmöglich war, dass ich meine Frau und meine Kinder mitnehmen konnte.

RI: Wer kümmert sich in Ihrer Abwesenheit um Ihre Gattin und Kinder in Syrien?

BF1: Der Vater meiner Frau, mein Schwiegervater.

RI: Über welche Verwandten verfügen Sie in Drittstaaten, außerhalb Syriens? Nennen Sie mir bitte jeweils den Namen, die Geburtsdaten und den Aufenthaltsort.

BF1: Es gibt keine. Ich glaube nicht, dass es Verwandte in Drittstaaten gibt.

RI: Über welche Verwandten im Bundesgebiet verfügen Sie? Nennen Sie bitte jeweils Namen, Geburtsdaten und Aufenthaltsort?

BF1: Meinen Bruder römisch 40 , er lebt in römisch 40 . Er ist asylberechtigt, sein Asylstatus ist 3 Jahre gültig. Er ist ca. römisch 40 oder römisch 40 Jahre alt. Er ist im Jahr römisch 40 geboren. Mein Bruder römisch 40 , der heute draußen sitzt.
RI: Wie oft haben Sie Kontakt mit diesen Verwandten und wie oft sehen Sie sich persönlich?

BF1: Ich habe meinen Bruder römisch 40 ca. 2 Mal, seitdem ich in Österreich angekommen bin, gesehen, jeweils ca. 3 Tage, weil römisch 40 sehr weit weg ist. Meinen Bruder römisch 40 wohnt mit mir, daher sehe ich ihn ständig.

RI: Wann ist Ihr Bruder römisch 40 nach Österreich gekommen?

BF1: Im Jahr 2021.

RI: Wovon leben Ihre im Bundesgebiet aufhältigen Verwandten?

BF1: Mein Bruder römisch 40 arbeitet in Burger King in römisch 40 und römisch 40 , genauso wie ich, besucht momentan einen Deutschkurs.

RI: Haben Sie auch in einem anderen EU-Mitgliedsstaat einen Asylantrag gestellt? Wenn ja, wann und wo?

BF1: Nein.

RI: Sind Sie seit Ihrer Ausreise aus Syrien am 18.10.2022 wieder einmal in Syrien gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?

BF1: Nein, niemals.

RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe? Ich ersuche Sie mir ein möglichst klares und stimmiges Bild des Geschehenen zu vermitteln.

BF1: Mein Leben war in Gefahr in Syrien. Aus diesen Grund habe ich Syrien verlassen. Das ist mein Hauptgrund.

RI: Zu welchem Zeitpunkt haben Ihre Probleme im Herkunftsstaat genau begonnen, welcher Art waren diese Probleme und mit wem konkret haben Sie diese Probleme gehabt?

BF1: Mein Problem in Syrien war mit dem Regime und das hat begonnen seit Anfang des Krieges in Syrien. Auf Nachfrage: Das Regime hat mich verfolgt. Am Anfang ist es passiert, weil ich an Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen habe.

RI: Wann haben Sie teilgenommen? Wo haben Sie teilgenommen?

BF1: Die 1. Demonstration war in römisch 40 . Es war eine friedliche Demonstration gegen das Regime.

RI: Wann war das?

BF1: Das war am 25.07.2011.

RI: Wann haben Ihre Probleme begonnen?

BF1: Meine Probleme haben ca. Anfang des Jahres 2012 begonnen. Ich wurde bei einem Checkpoint bei römisch 40 angehalten. Ich musste vom Auto aussteigen. Das war Anfang 2012, ca. im Februar. Ich wurde von dort zur Sicherheitsbehörde in römisch 40 gebracht. Ich wurde ca. 2 Tage verhaftet. Mein Vorwurf damals war, dass ich an Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen habe.

RI: Wie ging es weiter?

BF1: Am nächsten Tag musste ich eine Verpflichtungserklärung unterschreiben, wonach ich nicht wieder an Demonstrationen gegen das Regime teilnehmen werde. Dann wurde ich entlassen.

RI: Wann war das nächste Problem?

BF1: Das nächste Problem war im Jahr 2013. Im Jahr 2013 wurde ich noch einmal verhaftet, aus dem gleichen Grund. Mein Vorwurf war, weil ich an den Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen habe.

RI: Haben Sie an neuen Demonstrationen teilgenommen?

BF1: Ich habe an einer 2. Demonstration teilgenommen.

RI: Was geschah dann?

BF1: Diese Verhaftung war ca. 6 Tage lang und dann wurde ich freigelassen.

RI: Wurden Sie jeweils freigekauft oder freigelassen?

BF1: Ohne Geld zu bezahlen wurde ich freigelassen.

RI: Wann war das nächste Problem?

BF1: Das 3. Problem war ca. im Jahr 2015. Zum 3. Mal wurde ich auch im Jahre 2015 verhaftet. Mein Vorwurf war Teilnahme an Demonstrationen gegen des Regimes und jetzt gab es auch einen neuen Vorwurf, und zwar, dass ich zur Opposition des Regime gehören wurde. Ich wurde gefoltert und nach 5 Tagen wurde ich entlassen.

RI: Welcher Art war die Folter?

BF1: Sie haben mich geschlagen. Auf verschiedene Art und Weise.

RI: Schildern Sie bitte die Art und Weise?

BF1: Sie haben mich mit dem Elektrokabel geschlagen, auf meinen kompletten Körper. Sie haben mich auch mit einem Holzstock auf meine Füße und meine Zehen geschlagen. Nach 5 Tagen wurde ich entlassen.

RI: Wurden Sie entlassen oder freigekauft?

BF1: Ich wurde entlassen.

RI: Welche Art von Verletzungen haben Sie von dieser Folter davongetragen?

BF1: Beide Füße sind angeschwollen und es gab überall auf meinem Körper blaue Hämatome.

RI: Haben Sie auch bleibende sichtbare Verletzungen davongetragen, welche diese Misshandlungen bezeugen würden, wie etwa Narbengewebe, Knochenbrüche oder Hautverfärbungen?

BF1: Heute habe ich keine anderen Narben, die ich ihnen zeigen könnte, aber nur eine Narbe auf dem Kopf, die ich von der Folterung bei der letzten Folterung davongetragen habe. Diese kann ich Ihnen zeigen.

RI: Wie ging Ihr Problem weiter?

BF1: Das nächste Problem war im Jahr 2019. Ich wurde ca. 12 Tage lang vom Regime inhaftiert und nach 12 Tagen mit der Hilfe eines Bekannten meines Vaters und mit Geld wurde ich entlassen.

RI: Wurden Sie bei dieser 4. Inhaftierung auch gefoltert?

BF1: Ja.

RI: Und wie weit?

BF1: Sie haben mich noch einmal geschlagen. Mein Gesicht ist angeschwollen. Sie haben mich stark und heftig geschlagen, auf meinem Gesicht und überall auf meinem Körper.

RI: Wie oft wurden Sie misshandelt während dieser Anhaltung?

BF1: Ca. 4 Mal.

RI: Wurden Sie von einem oder mehreren Männern misshandelt im Rahmen einer solchen Folterung?

BF1: Von verschiedenen Männern.

RI: Womit wurden Sie geschlagen?

BF1: Mit ihren Füßen und mit Elektrokabeln und mit Holzstöcken.

RI: Wie lange haben diese Misshandlungseinheiten ca. gedauert?

BF1: Ca. 15 Minuten und ich habe ca. eine Woche danach noch Schmerzen gehabt.

RI: Haben Sie von der Folterung bei der 4. Anhaltung irgendwelche bleibenden Schäden davon getragen?

BF1: Nein.

RI: Sind Sie danach irgendwie medizinisch behandelt worden?

BF1: Ja, Entzündungs- und Schmerztabletten habe ich danach bekommen.

RI: Wie ging es weiter mit Ihrem Problem?

BF1: Danach kam mein letztes Problem, welches mein Hauptgrund war, warum ich Syrien verlassen habe.

RI: Schildern Sie mir bitte wann, wo und warum Sie zuletzt festgenommen worden sind und wie diese Festnahme genau abgelaufen ist?

BF1: Am 08.09.2022 wurde ich vom Regime verhaftet. Ich und mein Bruder römisch 40 wurden festgenommen bei einem Checkpoint. Dieser Checkpoint war in einem Gebiet namens römisch 40 . Das ist in der Nähe von römisch 40 , wo ich gelebt habe. Mein Bruder römisch 40 hat mich angerufen an diesem Tag. Wir haben vereinbart, dass wir uns in römisch 40 zu treffen und gemeinsam nach Hause zu fahren. Wir waren im Auto meines Bruders römisch 40 . Wir wurden bei diesem Checkpoint angehalten und sie wollten unsere Personalausweise kontrollieren. Der Soldat hat unsere beiden Personalausweise genommen und diese ins System eingegeben. Die Soldaten sagten uns, wir sollen vom Auto aussteigen. Sie haben uns beschimpft und geschlagen. Dann mussten wir auf einer Seite des Checkpoints stehen. Unsere Hände wurden am Rücken gefesselt. Innerhalb von ca. einer halben Stunde kamen 2 weiße Fahrzeuge und es gab drinnen Leute von der Militärarmee vom Regime. Ich wurde in ein Fahrzeug gebracht und mein Bruder ins andere und sie sind abgefahren. Dort waren wir in Haft.

RI: Wo?

BF1: Das war in römisch 40 . Das nennt man Kriminalsicherheitsbehörde.

RI: Wie lange waren Sie dort und was geschah mit Ihnen?

BF1: Wir sind dort ca. 21 Tage geblieben. Ich wurde dort gefoltert, einvernommen und es gab Vorwürfe.

RI: Wie oft und wie fanden diese Folterungen statt?

BF1: Fast täglich wurde ich dort gefoltert.

RI: Über welchen Zeitraum sprechen Sie da und wurden Sie von einem oder mehreren Männern gefoltert?

BF1: Von verschiedenen Personen wurde ich gefoltert, manchmal 2 Mal am Tag, manchmal einmal am Tag.

RI: Wie lange haben diese Misshandlungen gedauert?

BF1: Zwischen 20 Minuten bis halbe Stunde.

RI: Womit wurden Sie misshandelt?

BF1: Alle Methoden von Folterungen, sie haben mich geschlagen mit Handflächen ins Gesicht und mit Fäusten ins Gesicht und mit Fußtritten und nochmal mit Elektrokabel und Stock. Dort haben sie mich mit dem Gewehrkolben gegen meinen Kopf geschlagen.

RI: Welche Art von Verletzungen haben Sie von diesen Folterungen davongetragen?

BF1: Meine Narbe, die ich bis heute habe, habe ich an meinem Kopf und bis heute habe ich Probleme damit.

RI: Welcher Art von Problemen haben Sie damit?

BF1: Wenn ich leicht mit meinem Finger auf diese Stelle drücke, habe ich das Gefühl, als ob Strom durch meinen Kopf fließt. Die gleichen Probleme habe ich bei meinen Armen und Beinen. Manchmal sind diese eingeschlafen und manchmal sind diese gefühllos.

RI: Welche heute noch sichtbaren Verletzungen zeugen von den damaligen Misshandlungen, ausgeschlagene Zähne, Narbengewebe, Knochenbrüche, Hautverfärbungen?

BF1: Meine Augen sind damals angeschwollen. Mein Hinterkopf ist angeschwollen und ich hatte auch Blut im Auge. Das war nach den Folterungen. Meine Hautfarbe bei meinen Armen, Beinen und Rücken haben sich geändert.

RI: Inwieweit?

BF1: Es war blau und rot.

RI wiederholt die Frage.

BF1: Nein.

RI: Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie noch eine Narbe am Kopf haben, die Sie zeigen wollen. Treten Sie bitte an den Richtertisch vor und zeigen Sie diese Narbe.

BF1 tritt vor und zeigt auf seinen Hinterkopf. Darauf zu erkennen ist, wie eine leichte Hautdelle. Narbengewebe ist nicht zu erkennen, aber eine leichte Eindellung der Haut.

RI: Damit es keine Missverständnisse gibt, frage ich Sie noch einmal. Haben Sie irgendwelche heute noch sichtbaren Male der damaligen Misshandlungen, ausgeschlagene Zähne, Knochenbrüche, Entstellungen, Knochenfehlstellungen, Narbengewebe, bleibende Hautverfärbungen?

BF1: Sichtbare Verletzungen oder Narben habe ich nur jene, welche ich Ihnen gerade am Kopf gezeigt habe. Die Schmerzen und die Symptome, die ich damals hatte, habe ich Ihnen heute ausführlich erzählt. Nach der Folterung hatte ich alle Schmerzen, die ich heute erwähnt habe.

RI: Was haben Sie heute noch für Konsequenzen oder Folgen der damaligen Folterung?

BF1: Ich habe Rückenschmerzen, ich habe gefühllose Arme und Beine. Manchmal habe ich auch Schmerzen in meinem hinteren Kopf. Manchmal habe ich das Gefühl, dass mein Gedächtnis beeinträchtigt ist, da ich viele Sachen vergesse.

RI: Wie viele Personen waren zugegen an dem Checkpoint an dem Sie festgenommen worden sind?

BF1: Am Anfang beim Checkpoint, als wir angehalten wurden, gab es 2 Soldaten des Regimes. Nachgefragt: Nachdem sie unsere Personalausweise im System eingetragen haben, kamen noch weitere 2 Kollegen zu uns. D. h. sie sind zu viert zu uns zurückgekehrt.

RI: Zu welcher Tageszeit fand diese Festnahme statt?

BF1: Gegen 19 Uhr.

RI: VORHALTUNG: Sie haben vor dem BFA am 13.02.2023 auf Sitzung 4ff angegeben, dass Sie auf einer Autofahrt mit Ihrem Bruder im September 2022 bei einem Kontrollpunkt der Regierung, ca. 3 km von römisch 40 entfernt von 6-7 Personen zwischen 17 und 18h aufgehalten und festgenommen worden seien. Ihr Bruder hat bei seiner BFA-Einvernahme am 13.02.2023 auf Seite 5ff angegeben, dass Sie an einem Kontrollpunkt in römisch 40 von bis zu 9 Personen zwischen 20 bis 21h angehalten und festgenommen worden wären. Wie erklären Sie sich die Abweichungen in den Schilderungen von Ihnen und Ihrem Bruder?

BF1: Es ist unmöglich, dass es in römisch 40 war. Das Gebiet war in römisch 40 .

RI wiederholt die Frage.

BF1: Ich habe Ihnen ca. gesagt um 19 Uhr. Ich habe versucht heute eine genaue Uhrzeit anzugeben, aber ich bin nicht sicher.

RI: Sind Sie und Ihr Bruder in dasselbe Gefängnis gebracht worden?

BF1: Ja, das gleiche Gefängnis.

RI: Wie lange sind Sie festgehalten worden und was wurde Ihnen konkret vorgeworfen?

BF1: Wir waren dort 21 Tage. Es gab mehrere Vorwürfe gegen mich, dass ich zur Opposition des römisch 40 gehöre, Teilnahme an Demonstrationen gegen das römisch 40 Regime und dass ich nicht zum Volkskomitee gehört habe.

RI: Was wurde Ihrem Bruder vorgeworfen?

BF1: Ähnliche Vorwürfe wie gegen mich, nämlich, dass er Gegner des römisch 40 Regimes war.

RI: VORHALTUNG: Sie haben vor dem BFA am 13.02.2023 auf Seite 7 des Prot. angegeben, dass Sie bisher 5-6 Mal im Herkunftsstaat festgenommen worden seien und Ihnen stets vorgehalten worden sei Mitglied einer oppositionellen Partei oder Miliz gewesen zu sein. Selbiges haben Sie auch heute angegeben. Ihr Bruder hat vor dem BFA am 13.02.2023 auf Seite 3f hingegen als Grund für die Festnahme am 08.09.2022 angegeben, dass das Militär sein Auto habe beschlagnahmen wollen, da er ein modernes Auto gehabt habe und er aber dagegen war. Warum weichen die Angaben von Ihnen und Ihrem Bruder hinsichtlich der Festnahme und Inhaftierungsgründe derartig von einander ab, zumal sie doch beide von den gleichen Personen am gleichen Kontrollpunkt im gleichen Auto sitzend festgenommen worden sind. Wie erklären Sie sich diese unterschiedliche Wahrnehmung von den Geschehnissen?

BF1: Es gab dort große Korruption beim Checkpoint in Syrien. Es ist auch möglich, dass das Regime dort das Auto beschlagnahmen wollte. Sie mögen Geld, Autos und Vermögen von Leuten rauben und machen alles, was falsch ist. Das Regime ist diktatorisch und dort gibt es Korruption.

RI: Wie sah der typische Tagesablauf während Ihrer Anhaltung aus?

BF1: Ich war in einer Einzelzelle. Ich war alleine dort und manchmal wurde ich 1 oder 2 Mal am Tag für die Einvernahme herausgeholt. Die Einvernahme war ca. 20 Minuten bis halbe Stunde und dann wurde ich zur Einzelzelle gebracht. Sie haben mich gefoltert und geschlagen, außerhalb von meiner Zelle.

RI: VORHALTUNG: Ihr Bruder hat vor dem BFA am 13.02.2023 auf Seite 7 angegeben während der Anhaltung auch befragt worden zu sein. Selbiges haben Sie heute auch angegeben. Zu welchen Themen worden Sie von wem gefragt und was wollte man von Ihnen wissen?

BF1: Das Regime hat uns verhaftet und mein Vorwurf war, dass ich an Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen habe und sie haben mich gefragt, warum ich nicht am Volkskomitee teilgenommen habe.

RI wiederholt die Frage.

BF1: Es gab mehrere Fragen während dieser Verhaftung. Sie haben mich gefragt, warum ich an diesen Demonstrationen teilgenommen habe, wie hießen die Personen, die mit mir daran teilgenommen habe. Sie haben mich auch gefragt, wie viel Geld ich erhalten habe, um an diesen Demonstrationen teilzunehmen und wer mir dieses Geld bezahlt hat. Weil sie mich heftig und stark gefoltert habe, musste ich zwangsweise akzeptieren, was sie mir gesagt haben.

RI: Waren es immer die gleichen Befrager oder unterschiedliche Personen?

BF1: Unterschiedliche Personen.

RI: Hat es sich dabei um Polizisten oder Soldaten gehandelt?

BF1: Soldaten.

RI: Wie haben diese ausgesehen? In Uniform oder in Zivil? Bewaffnet? Maskiert?

BF1: Sie waren mit Militäruniform und sie waren bewaffnet, aber sie waren nicht maskiert.

RI: Zu welchen Tun oder Unterlassen wurden Sie während dieser Befragungen aufgefordert?

BF1: Sie wollten Antworten für alle Fragen, die sie mir gestellt haben.

RI: Sie haben im Verfahren medizinische Vorlagen vorgelegt. Haben Sie zusätzlich zu den bereits im Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen, weitere medizinische Unterlagen, die Sie vorlegen wollen?

BF1: Nein.

RI: Wie sind Sie schließlich freigekommen? Und wann war das?

BF1: Meine Entlassung war am 29.09.2022 mit meinem Bruder. Ich musste Papiere unterschreiben, die ich nicht gelesen habe und wir wurden mit einem Auto vom Gefängnis abgeholt. Wir sind ca. 20 Minuten mit dem Auto gefahren und wir mussten in einem Gebiet namens römisch 40 aussteigen.

RI: Wurde Lösegeld bezahlt?

BF1: Ja.

RI: Wie viel?

BF1: Für uns beide insgesamt 5 Millionen syrische Lira.

RI: Von wem ist es bezahlt worden?

BF1: Mein Vater hat es bezahlt.

RI: Wie konnte es sich Ihr Vater leisten?

BF1: Mein Vater hat Geld und auch durch unsere Ersparnisse von der Arbeit.

RI: Was geschah nach der Freilassung?

BF1: Wir sind mit einem Auto nach römisch 40 gefahren und dann waren wir zu Hause. Dann haben wir mit der medizinischen Behandlung gestartet.

RI: Hat es danach noch einen Vorfall gegeben?

BF1: Ja. Danach kam das Regime im Rahmen von Razzien zu uns nach Hause.

RI: Wann sind nach der Freilassung wieder Soldaten nach Ihnen zu Hause gekommen und haben nach Ihnen gesucht? Und wo befanden Sie sich zu diesem Zeitpunkt?

BF1: Ich war auf der Arbeit, als sie bei uns zu Hause waren. Ich bin nicht nach Hause zurückgekehrt. Ich hatte Angst nach Hause zurückzukehren.

RI wiederholt die Frage.

BF: Ca. 14 Tage nach der Entlassung.

RI: Wie haben Sie davon erfahren, dass Soldaten zu Ihnen nach Hause gekommen sind?

BF1: Meine Ehefrau hat mich angerufen und sie hat mir gesagt, dass die Soldaten bei uns zu Hause waren und die eine Razzia vollzogen haben.

RI: Haben Sie mit Ihrer Familie und Ihrem Bruder römisch 40 und dessen Familie zu der Zeit in einem gemeinsamen Haus gelebt oder in unterschiedlichen Häusern?

BF1: In einem Haus haben wir zusammengelebt.

RI: Wie viel Zeit nach dem Besuch der Soldaten bei Ihnen zu Hause sind Sie aus dem Herkunftsstaat ausgereist?

BF1: Ca. 5 Tage danach.

RI: Was war für Sie das schließlich konkrete, fluchtauslösende Ereignis?

BF1: Die Folterung während der letzten Verhaftung war sehr schmerzhaft und sehr schwer. Z. B. dieser Schlag mit dem Gewehrkolben auf meinem Kopf, da war ich ca. 2 Stunden lang ohnmächtig. Die Folterung beim letzten Mal. Jeden Tag dort haben sie mich bedroht, dass sie mich töten und sie haben mir gesagt, jeder Tag wäre mein letzter Tag.

RI: Gibt es noch andere Fluchtgründe als die von Ihnen Geschilderten?

BF1: Nach Razzien bei uns zu Hause und den heftigen Folterungen, bei der letzten Inhaftierung habe ich gesagt, dass mein Leben in Gefahr und ich das Land verlassen muss.

RI wiederholt die Frage.

BF1: Danke, ich konnte alles vorbringen.

RI: Hatten Sie – abgesehen von dem eben Geschilderten - in Syrien jemals Probleme aufgrund Ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Gesinnung? Hatten Sie sonst Probleme mit den Behörden in Ihrem Heimatland, abgesehen von den eben Geschilderten?

BF1: Nein.

RI: Was befürchten Sie konkret im Fall einer Rückkehr nach Syrien?

BF1: Ich habe Angst um mein Leben. Ich habe Angst wegen allen Gründen, die ich heute vorher erwähnt habe und aus diesen Grund musste ich mein Land verlassen.

RI: Haben Sie irgendeinen Nachweis dafür, dass nach Ihnen auch heute noch im Herkunftsstaat gesucht wird (aktuelle Haftbefehle, aktuelle Ladungen, Einberufungsbefehle…)?

BF1: Ich habe keine Beweise dafür.

RI: Waren Sie in Syrien jemals straffällig?

BF1: Nein, Gott sei Dank habe ich das nicht gemacht und aus diesem Grund musste ich mein Heimatland verlassen. Ich wollte nicht am Krieg teilnehmen und keine Waffe tragen. Ich finde, dass es kein Grund gibt, weil man verschiedene Meinung hat, dass man eine Waffe trägt und seine Landsleute tötet.

RI: Waren Sie abgesehen von den erwähnten Demonstrationsteilnahmen, sonst in Syrien politisch aktiv?

BF1: Nein. Ich war nicht politisch aktiv.

RI: Waren Sie nach Ihrer Ausreise aus Syrien jemals politisch aktiv?

BF1: Nein.

RI: Wieviel hat Ihre Ausreise nach Österreich insgesamt gekosten?

BF1: Einen Teil habe ich mit Dollar bezahlt und einen Teil habe ich mit Euro bezahlt. Ca. 7.000 € für mich alleine.

RI: Hatten Sie heute Gelegenheit sich umfassend zu Ihren Fluchtgründen zu äußern?

BF1: Ja. Ich hoffe, dass ich Ihnen geholfen habe, dass Sie die Wahrheit wissen. Ich hoffe, dass ich nichts Wichtiges vergessend habe.

RI an RV1: Haben Sie noch Fragen an den BF1?

RV1: Nein, danke.

RI an RV1: Möchten Sie eine Stellungnahme abgeben?

RV1: Ich verweise auf die schriftliche Stellungnahme, auch hinsichtlich der Länderberichte.

BF2 betritt den Saal und BF1 verlässt den Saal.

Die Niederschrift der Beschwerdeverhandlung des BF2 lautet auszugsweise:

„[…]

RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort in Syrien an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise zuletzt aufgehalten haben.

BF2: Ich heiße römisch 40 , ich bin römisch 40 Jahre alt, geb. am römisch 40 in römisch 40 , in römisch 40 , ich bin Palästinenser, ich bin staatenlos; letzter Wohnort liegt in römisch 40 bei römisch 40 , Syrien.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF2: Ich bin Araber.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?

BF2: Ich bin ein sunnitischer Moslem.

RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus Syrien, welche Ihre Identität zweifelsfrei beweisen?

BF2: Ja, ich habe meinen syrischen Personalausweis. Wenn Sie diesen sehen möchten.

BF2 zeigt seinen syrischen Personalausweis und auch seinen syrischen Führerschein.

RI: Verfügten Sie jemals über einen gültigen syrischen Reisepass?

BF2: Nein.

RI: Sind Sie derzeit im Besitz eines gültigen syrischen Reisepasses?

BF2: Nein.

RI: Welche Sprachen sprechen Sie?

BF2: Arabisch.

RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt? Ich ersuche um eine chronologische Auflistung Ihrer bisherigen Berufstätigkeit? Gemeint ist, sowohl im Herkunftsstaat, als auch im Bundesgebiet?

BF2: Ich habe die Schule bis zur 9. Klasse besucht. Ich habe keine Berufsausbildung. Mein Hauptberuf ist Frauenfriseur. D.h. die ersten 3 oder 4 Jahre habe ich als Frauenfriseur gearbeitet. Dann habe ich bei einer Firma als Lebensmittelzustellfahrer gearbeitet. Dann habe ich ein Auto gekauft und dann habe ich mit meinem Auto gearbeitet als Taxifahrer.

RI: Von wann bis wann haben Sie als Taxifahrer gearbeitet?

BF2: Seit ca. Ende 2018 bis zum letzten Tag, das bedeutet bis 08.09.2022.

RI: Wie ging es Ihnen finanziell im Herkunftsstaat?

BF2: Mittelmäßig.

RI: Wann sind Sie aus dem Herkunftsstaat zuletzt ausgereist?

BF2: Am 18.10.2022.

RI: Welche Verwandten von Ihnen sind gemeinsam mit Ihnen aus dem Herkunftsstaat ausgereist?

BF2: Mein Bruder römisch 40 .

RI: Haben Sie den Wehrdienst im Herkunftsstaat bereits vollständig abgeleistet? Wenn ja, von wann bis wann und welche Tätigkeiten haben Sie in Ihrer Militärdienstzeit verrichtet?

BF2: Ich habe den Freikauf bezahlt.

RI: VORHALTUNG: Sie haben vor dem BFA am 13.02.2023 auf Seite 4 angegeben, dass Sie und alle Ihre Brüder vom Wehrdienst bei der palästinensischen Befreiungsarmee freigekauft worden sind. Wieviel hat der Freikauf vom Militärdienst für jeden gekostet und wann ist der Freikauf erfolgt?

BF2: Mein Vater hat 3.000 USD für mich bezahlt. Ich war damals noch jung.

RI: Legen Sie bitte Ihr Militärdienstbuch vor.

BF2: Das Regime hat mein Militärdienstbuch weggenommen, als ich einen Autounfall hatte.

RI: Wann hatten Sie einen Autounfall?

BF2: Am 08.09.2022.

RI: Beschreiben Sie den Autounfall.

BF2: Ich habe mit meinem Bruder vereinbart, dass wir nach Hause gemeinsam fahren werden. Wir wurden beim Checkpoint im Gebiet namens römisch 40 angehalten. Dieser Checkpoint war in der Richtung unseres Hauses. 2 Soldaten haben uns angehalten. Sie wollten unsere Personalausweise. Nach ca. 10 Minuten sind 4 Soldaten zu uns gekommen.

RI: Bevor Sie von Ihrem Fluchtgrund weiterzählen, wollte ich nachfragen, was Sie mit dem Autounfall gemeint haben. Eine Anhaltung beim Checkpoint ist etwas anderes als ein Autounfall.

BF2. Ich entschuldige mich. Das war kein Autounfall, sondern es war der Vorfall bei dem wir am Checkpoint angehalten worden sind.

RI: Bei dieser Anhaltung ist Ihnen Ihr Militärbuch weggenommen worden?

BF2: Ja.

RI: An welchen Orten in Syrien haben Sie vor Ihrer letzten Ausreise längere Zeit gelebt. Nennen Sie bitte Name der Ortschaft, Aufenthaltszeitraum und Grund für die Übersiedlung an einen anderen Ort.

BF2: Ich war immer in römisch 40 .

RI: Sie haben hinsichtlich Ihrer im Herkunftsstaat aufhältigen Verwandten bei Ersteinvernahme (EE) am 18.11.2022 folgende Personen genannt: römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; 2 Brüder: römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; 4 Schwestern: römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; römisch 40 , ca. römisch 40 Jahre; Gattin römisch 40 , geb. am römisch 40 ; Sohn römisch 40 , geb. am römisch 40 ; Tochter römisch 40 , geb. am römisch 40 ; alle in Syrien aufhältig. Haben Sie zu diesen Angaben Änderungen oder Ergänzungen aus heutiger Sicht anzugeben?

BF2: Meine Mutter ist ca. römisch 40 Jahre alt. römisch 40 ist römisch 40 Jahre alt. römisch 40 ist römisch 40 Jahre alt. römisch 40 ist ca. römisch 40 Jahre alt. Meine Frau ist am römisch 40 geboren. Mein Sohn römisch 40 ist am römisch 40 geboren. Sonst stimmt alles.

RI: Verfügen Sie noch über weitere Verwandten im Herkunftsstaat (Onkeln, Tanten, Nichten, Neffen, Cousins oder Cousinen)?

BF2: Onkeln und Tanten mütterlicherseits ca. 13 und ca. 10 Onkeln und Tanten väterlicherseits. Alle haben viele Kinder. Ca. zwischen 40 und 50 Personen.

RI: Haben Sie noch Kontakt zu Ihren in Syrien lebenden Verwandten? Wenn ja, wie oft?

BF2: Meine Eltern leben mit meiner Ehefrau und meinen Kindern im gleichen Haus. Alle 2 oder 3 Tage habe ich Kontakt zu meiner Frau und dann mit meinen Eltern.

RI: Wovon leben Ihre in Syrien aufhältigen Verwandten?

BF2: Sie leben durch ihre Arbeit. Sie haben verschiedene Berufe.

RI: Wie geht es Ihren Verwandten in Syrien finanziell?

BF2: Mittelmäßig und einige von denen geht es gut.

RI: Verfügen Ihre Verwandte über irgendwelche Vermögenswerte in Syrien (Haus, Grundstück, Eigentumswohnung, Fahrzeuge,...)?

BF2: Mein Vater hat ein Haus und ein Geschäft. Meine Onkel haben auch Häuser und einige von ihnen haben Häuser und Geschäfte.

RI: Verfügen Sie über Freunde und/ oder Bekannte in Syrien zu denen Sie noch Kontakt haben?

BF2: Ja.

RI: Verfügen Sie selbst im Herkunftsstaat noch über irgendwelche Vermögenswerte (Haus, Grundstück, Fahrzeug,..)?

BF2: Ich hatte ein Auto gehabt. Das Regime hat mein Auto beschlagnahmt.

RI: Leben Ihre Verwandten in Syrien noch am gleichen Ort, wie zum Zeitpunkt Ihrer Abreise?

BF2: Ja, sie sind im gleichen Gebiet, aber es kann sein, dass einige von ihnen woanders gehen mussten um Häuser zu mieten, aber genau weiß ich es nicht.

RI: Leben Ihre Verwandten in Syrien bis dato unbehelligt von den syrischen Behörden bzw. kurdischen Kräften in Ihrem Herkunftsstaat oder haben diese mit den Behörden- oder Militärpersonen irgendwelche Probleme, wegen Ihrer Ausreise?

BF2: Es gibt keine Gefahr für meine Onkeln dort wegen mir. Das Regime konzentriert sich mehr auf die Brüder.

RI: Welche Probleme haben Ihre Brüder?

BF2: Manchmal fragt das Regime meine Brüder nach mir.

RI: Wann haben Sie Ihre derzeitige Gattin, Fr. römisch 40 , geb. am römisch 40 , kennen gelernt und wann haben Sie geheiratet?

BF2: Ich habe sie in römisch 40 kennengelernt im Jahr 2009. Im Jahr 2014 haben wir geheiratet.

RI: Sind Sie mit Ihrer Gattin, der Fr. römisch 40 , geb. am römisch 40 , verwandt? Wenn ja, wie?

BF2: Nein.

RI: Welche Staatsbürgerschaft hat Ihre Frau, Fr. römisch 40 , geb. am römisch 40 ?

BF2: Sie ist syrische Staatsangehörige.

RI: War es eine traditionelle oder standesamtliche Eheschließung?

BF2: Zuerst haben wir traditionell vor einem Sheikh geheiratet und dann im Jahr 2018 haben wir unsere Ehe registriert.

RI: Sind die von Ihnen genannten 2 Kinder gemeinsame Kinder mit Ihrer Fr. römisch 40 , geb. am römisch 40 und Ihnen?

BF2: Ja.

RI: Waren Sie zuvor schon verheiratet? Wenn ja, wann und mit wem?

BF2: Nein.

RI: War Ihr derzeitige Frau bereits zuvor verheiratet? Wenn ja, mit wem?

BF2: Nein.

RI: Sind Sie im Bundesgebiet in einer Beziehung oder Partnerschaft?

BF2: Nein.

RI: Verfügen Sie noch über andere leibliche Kinder als jene genannten 2 Kinder?

BF2: Nein.

RI: Wieso haben Sie Ihre Gattin, Fr. römisch 40 , geb. am römisch 40 , sowie Ihre zwei Kinder bei Ihrer Ausreise aus Syrien in Syrien zurückgelassen und nicht mitgenommen?

BF2: Der Weg war sehr schwer.

RI: Wer kümmert sich in Ihrer Abwesenheit um Ihre Gattin und Kinder in Syrien?

BF2: Meine Eltern.

RI: Über welche Verwandten verfügen Sie außerhalb Syriens? Nennen Sie mir bitte jeweils den Namen, die Geburtsdaten und den Aufenthaltsort.

BF2: Keine andere Verwandten.

RI: Über welche Verwandten im Bundesgebiet verfügen Sie? Nennen Sie bitte jeweils Namen, Geburtsdaten und Aufenthaltsort?

BF2: Mein Bruder römisch 40 , er ist ca. römisch 40 Jahre alt, er ist asylberechtigt und sein Asyl gilt 3 Jahre lang. Mein Bruder römisch 40 .

RI: Wie oft haben Sie Kontakt mit diesen Verwandten und wie oft sehen Sie sich persönlich?

BF2: römisch 40 wohnt mit mir. Leider habe ich römisch 40 nur 2 Mal gesehen, weil er weit weg wohnt. Er wohnt in römisch 40 .

RI: Wann ist Ihr Bruder römisch 40 nach Österreich gekommen?

BF2: Im Februar 2022.

RI: D. h. Ihr Bruder römisch 40 ist 8 Monate vor Ihnen nach Österreich gekommen. Warum sind Sie nicht zusammen hergereist?

BF2: In dieser Zeit damals wollte ich nicht ausreisen. Dieser Vorfall ist zu dem Zeitpunkt nicht passiert gewesen. Es gab andere Probleme mit mir dafür, aber meiner Meinung nach waren das keine Gründe, um mein Heimatland zu verlassen. Es gab Lösung für solche Probleme. Wir haben auch schon davor versucht das Land zu verlassen, aber es ist uns nicht gelungen.

RI: Wovon leben Ihre im Bundesgebiet aufhältigen Verwandten?

BF2: Mein Bruder römisch 40 arbeitet beim Burger King.

RI: Haben Sie auch in einem anderen EU-Mitgliedsstaat einen Asylantrag gestellt? Wenn ja, wann und wo?

BF2: Nein.

RI: Sind Sie seit Ihrer Ausreise aus Syrien am 18.10.2022 wieder einmal in Syrien gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?

BF2: Nein.

RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe? Ich ersuche Sie mir ein möglichst klares und stimmiges Bild des Geschehenen zu vermitteln.

BF2: Es gab einen Vorfall, den ich vorher erwähnt habe. Ich habe geplant mich mit meinen Bruder in römisch 40 zu treffen und gemeinsam nach Hause zu fahren. Ich habe ihn abgeholt in einem Gebiet namens römisch 40 ist im Zentrum von römisch 40 . Wir sind beim Checkpoint römisch 40 angehalten worden. römisch 40 ist ein Militärgebiet. Es standen dort 2 Soldaten. Sie wollten unsere Personalausweise anschauen. Sie haben die beiden Personalausweise ins Büro mitgenommen und danach sind 4 Soldaten zu uns hinausgekommen. Sie haben uns gesagt, dass wir aus dem Auto steigen sollen. Sie haben uns geschlagen. Wir mussten mit dem Gesicht Richtung Wand stehen. Sie haben unsere am Rücken gefesselt. Sie haben uns geschlagen und wir mussten uns auf den Boden legen. Sie haben uns viel beschimpft. Ca. eine halbe Stunde danach kamen 2 weiße Autos mit der Marke „Station“. Von jedem Fahrzeug sind ca. 3 Soldaten ausgestiegen. Sie haben ein Plastiksackerl oder eine Plastiktüte auf unseren Kopf gelegt. Sie haben uns geschlagen und beschimpft. Jeder von uns musste mit einem separaten Fahrzeug fahren. Ich bin in der Mitte gesessen und auf der rechten und linken Seite saßen 2 Soldaten. Die ganze Strecke haben sie mich geschlagen mit Handfläche und Fäusten und mit Gewehrkolben. Sie haben mich die gesamte Strecke geschlagen und haben mich beschimpft. Wir sind ca. eine halbe Stunde mit dem Auto gefahren. Ich konnte nicht sehen, aber ich habe bemerkt, dass wir zu Fuß in ein Gebäude reingehen. Ich glaube, dass es eine Kriminalsicherheitsbehörde war. Dann musste ich auf der Treppe ca. 2 Stockwerke hinuntergehen. Ich glaube, dass das unter der Erde war, weil wir keinen Sonnenschein gesehen haben. Dort haben sie mich stark geschlagen. Am Boden musste ich liegen und sie haben mich beschimpft. Nachdem sie mich lange Zeit geschlagen haben, haben sie mich gefragt, warum ich keinen Militärdienst leiste. Meine Antwort war, dass ich den Freikauf bezahlt habe und mein Militärbuch auch dabei habe. Er hat mir das Militärbuch weggenommen und mir gesagt, dass ich den Militärdienst freiwillig machen kann oder dass ich beim Volkskomitee teilnehmen soll. Sie waren total rassistisch zu mir und sagten mir, dass ich ein Palästinenser wäre, der in ihrem Land leben würde. Es wurde mir gesagt, dass sie uns verteidigen würden und ich zu Hause sitzen würde. Meine Antwort war, dass ich nicht an den Kriegshandlungen teilnehmen möchte, weil ich mich nicht auskenne und es nicht möchte. Dann haben sie mich gefragt über mein Auto, woher ich das Geld dafür habe. Sie haben mir gesagt, dass ich das Auto gestohlen hätte oder das Geld für das Auto und sie haben mir gesagt, dass sie mein Auto brauchen würden. Sie haben mich öfters über das Auto gefragt und warum ich nicht für sie gekämpft habe. Ich habe es abgelehnt, dass mein Auto an sie übergebe und an den Kampfhandlungen teilnehme. Sie haben mich geschlagen und sie haben mich gefoltert. Sie haben mich mit total unhöflichen Schimpfwörtern beschimpft. Dann war ich in einer Einzelzelle. Sie war ca. 2 m groß. Dort habe ich nicht gewusst, ob ich noch weiterleben kann oder es mein letzter Tag ist. 21 Tage lang wurde ich täglich gefoltert und geschlagen. Dann musste ich eine Maske tragen und dann wurde ich mit dem Auto von dort entlassen. Als ich bei der Freilassung im Auto war, habe ich nicht gewusst, dass jemand mit mir ist. Als ich vom Auto ausgestiegen bin, haben sie mir gesagt, dass ich meine Maske mindestens für 5 Minuten nicht abziehen sollte. Nachdem ich bemerkt habe, dass sie weggefahren sind, habe ich meine Maske abgenommen und meinen Bruder römisch 40 gesehen. Sie haben uns in einem Gebiet namens römisch 40 gelassen. Das war in der Nacht. Es gab dort wenig Häuser und einen Fluss. Nach einiger Zeit konnten wir ein Auto anhalten. Der Fahrer vom Auto hat uns zu einer näheren Ortschaft gebracht. Wir sind nach Hause gefahren. Ich war ca. 11 Tage zu Hause und dann bin ich zur Arbeit gegangen. Nach 2 Tagen hat meine Frau mit angerufen und hat mir gesagt, dass das Regime nach uns sucht. Die Soldaten vom Regime waren bei uns zu Hause. Sie haben die Kinder geschlagen und viele Sachen kaputt gemacht. Sie haben auch gesagt, sie wollen römisch 40 und römisch 40 egal ob lebendig oder tot. Ich habe dann meinen Bruder römisch 40 angerufen und gesagt, dass sie nach uns suchen. Er hat gemeint, dass er Bescheid weiß, weil seine Frau ihn angerufen hat. Dann habe ich ihm vorgeschlagen, dass wir zu einem Freund von uns gehen, um uns bei ihm zu verstecken. Ich bin direkt von der Arbeit zu dem Freund gefahren namens römisch 40 . römisch 40 war im Gebiet namens römisch 40 .

RI: Wie viel Zeit nach dem Besuch der Soldaten bei Ihnen zu Hause sind Sie ausgereist?

BF2: Nach ca. 5 Tagen.

RI: Zu welchem Zeitpunkt haben Ihre Probleme im Herkunftsstaat genau begonnen?

BF2: Für mich seit ca. 2017.

RI: Von welcher Art Probleme reden Sie?

BF2: Ich rede jetzt von der Militärdienstpflicht.

RI: Aber Sie sind doch freigekauft worden?

BF2: Ja, aber es gab immer die Frage vom Regime, warum ich das nicht freiwillig mache.

RI: Sind Sie wegen Militärdienst immer wieder aufgesucht worden vom Regime?

BF2: Nein. Aber es gab Unannehmlichkeiten und Probleme bei Checkpoints.

RI: Waren dies diese Art von Probleme, wo Sie vorher gemeint haben, dass diese auf einer anderen Art gelöst werden konnten?

BF2: Ja.

RI: Auf welcher Art konnten diese Probleme gelöst werden?

BF2: Ich musste an die Soldaten an den Checkpoints Bestechungsgeld zahlen, damit sie mich nicht verhaften.

RI: Warum hat das am 08.09.2022 nicht geklappt am Checkpoint?

BF2: Sie wollten am 08.09.2022 unbedingt das Auto beschlagnahmen. Mein Auto war schön.

RI: Warum haben Sie das nicht einfach hingenommen?

BF2: Ich habe es nicht akzeptiert. Ich wollte das nicht.

RI: Wäre das nicht noch immer besser gewesen, als angehalten und gefoltert zu werden?

BF2: 1. Habe ich nicht gewusst, dass sie mich verhaften werden und so heftig und stark foltern werden. Ich habe fälschlicherweise geglaubt, dass ich wie immer das Problem mit Geld lösen kann. Ich habe niemals geglaubt, dass sie mich so stark foltern und verhaften und dass ich meine Kinder danach nicht sehen kann.

RI: VORHALTUNG: Sie haben bei Ihrer BFA-Einvernahme am 13.02.2023 auf Seite 5ff angegeben, dass Sie an einem Kontrollpunkt in römisch 40 von bis zu 9 Personen zwischen 20 bis 21h angehalten und festgenommen worden wären. Ihr Bruder hat vor dem BFA am 13.02.2023 auf Sitzung 4ff angegeben, dass er auf einer Autofahrt mit Ihnen im September 2022 bei einem Kontrollpunkt der Regierung, ca. 3 km von römisch 40 entfernt, von 6-7 Personen zwischen 17 und 18h aufgehalten und festgenommen worden sei. Wie erklären Sie sich die Abweichungen in den Schilderungen von Ihnen und Ihrem Bruder?

BF2: Nein, ich habe nicht römisch 40 gesagt, ich habe damals auch römisch 40 gesagt.

RI: Auf Seite 6 des BFA Protokolls haben Sie von römisch 40 gesprochen.

BF2: Wir waren fast in der Nähe von zu Hause. römisch 40 ist viel weiter weg von zu Hause. Das ist unmöglich, dass ich das gesagt habe.

RI: Wurde Ihnen das BFA Protokoll rückübersetzt?

BF2: Nein, es wurde mir nicht rückübersetzt. Ich habe meine Niederschrift nochmal kontrolliert und das ist mir nicht aufgefallen.

RI: VORHALTUNG: Auf Seite 12 des BFA Protokolls haben Sie durch Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit sowie die Rückübersetzung bestätigt. Warum bestätigen Sie das, wenn Ihnen nicht rückübersetzt worden ist?

BF2: Damals habe ich es nicht gewusst.

RI: Sind Sie und Ihr Bruder im selben Gefängnis untergebracht worden?

BF2: Ja, das gleiche Gefängnis.

RI: VORHALTUNG: Sie haben vor dem BFA am 13.02.2023 auf Seite 3f als Grund für die Festnahme am 08.09.2022 angegeben, dass das Militär Ihr Auto habe beschlagnahmen wollen, da Sie ein modernes Auto gehabt hätten und Sie aber dagegen waren. Ihr Bruder hat vor dem BFA am 13.02.2023 auf Seite 7 des Prot. angegeben, dass er bisher 5-6 Mal im Herkunftsstaat festgenommen worden sei und ihm stets vorgehalten worden sei Mitglied einer oppositionellen Partei oder Miliz gewesen zu sein. Warum weichen die Angaben von Ihnen und Ihrem Bruder hinsichtlich der Festnahme und Inhaftierungsgründe derartig voneinander ab, zumal sie doch beide von den gleichen Personen am gleichen Kontrollpunkt im gleichen Auto sitzend festgenommen worden sind. Wie erklären Sie sich diese unterschiedliche Wahrnehmung von den Geschehnissen?

BF2: Das Regime beim Checkpoint wollte unbedingt mein Auto beschlagnahmen. Mein Bruder hat 5 bis 6 Mal an Demonstrationen teilgenommen und ist deswegen festgenommen worden. Unser gemeinsames Problem ist dort, dass wir beide Palästinenser sind. Ich habe nicht an den Demonstrationen teilgenommen. Ich habe nur gearbeitet oder ich war zu Hause. Wenn ich einige Probleme bei den Checkpoints hatte, habe ich diese mit Bestechung gelöst. Das Problem am 08.09.2022 war, dass sie uns beide gemeinsam beim Checkpoint angehalten haben. Er hat seine eigenen Vorwürfe vom Regime und sie wollten mein Auto haben und weil ich nicht für sie gekämpft habe. Ich weiß nicht, über was sie ihn während der Anhaltung gefragt haben.

RI wiederholt die Frage.

BF2: Mein Bruder hat seine eigene Geschichte und ich habe meine eigene Geschichte.

RI: Wie sah der typische Tagesablauf während Ihrer Anhaltung aus?

BF2: Manchmal in der Früh haben sie mich aus der Zelle geholt und geschlagen. Manchmal haben sie uns Essen gegeben. Manchmal war ich 2 Tage ohne Essen und niemand kam zu mir. 2 Tage ohne Essen war dort normal. Sie holten mich auch aus der Zelle, um mich zu fragen, mich zu schlagen und wieder zurückzubringen. Sie haben auch verschiedene Arten der Folterung gehabt.

RI: Waren Sie in Einzelhaft oder verbrachten Sie den Tag gemeinsam mit anderen Leuten eingesperrt?

BF2: Einzelzelle.

RI: VORHALTUNG: Sie haben vor dem BFA am 13.02.2023 auf Seite 7 angegeben während der Anhaltung auch befragt worden zu sein. Selbiges haben Sie heute auch angegeben. Zu welchen Themen worden Sie von wem gefragt, wie regelmäßig wurden Sie befragt und wie lange haben diese Befragungen jeweils gedauert?

BF2: Die Soldaten vom Regime haben dort die Einvernahme gemacht. Manchmal am Anfang der Einvernahme haben sie mich an meinen Händen aufgehängt ohne mich zu befragen. Dann haben sie mich gefragt, warum ich keinen Militärdienst geleistet habe. Und dann wieder, woher ich das Geld für das Auto habe, woher ich das Auto bekommen habe, usw. Nach einer Stunde brachten sie mich wieder zurück zur Zelle. Hin und her, den ganzen Tag haben Sie das gemacht.

RI: Waren es immer die gleichen Befrager oder unterschiedliche Personen?

BF2: Das weiß ich nicht. Ich durfte nicht schauen mit wem ich rede und manchmal war die Einvernahme, als ich mit Maske war.

RI: Hat es sich dabei um Polizisten oder Soldaten gehandelt?

BF2: Soldaten.

RI: Wie haben diese ausgesehen? In Uniform? Bewaffnet? Maskiert?

BF2: Ich versuchte ein bisschen zu schauen und unten konnte ich die Militärhose sehen.

RI: Was wollte man von Ihnen genau wissen und zu welchen Tun oder Unterlassen sind Sie während dieser Befragungen aufgefordert worden?

BF2: Sie wollten mein Auto beschlagnahmen. Sie wollten auch, dass ich den Militärdienst für das Regime leiste. Manchmal habe ich es nicht akzeptiert und abgelehnt und manchmal, weil sie mich stark geschlagen, musste ich akzeptieren, was sie sagen.

RI: Welcher Art waren diese Misshandlung, wie oft sind diese vorgekommen?

BF2: Es gab einige Tage, dass sie mich jede Stunde aus der Zelle geholt haben, um mich zu foltern. Manchmal gab es 2 Tage und niemand kam zu mir.

RI: Sind Sie mit Fäusten und Fußtritten misshandelt worden oder auch mit Gegenständen verletzt worden? Beschreiben Sie mir bitte die Art der Misshandlungen?

BF2: Mit allen Methoden der Folterung. Soll ich Ihnen die Methoden schildern?

RI wiederholt die Frage.

BF2: Beides. Mit Handflächen und Fäusten und anderen Gegenständen.

RI: Welche Gegenstände waren das z. B.?

BF2: Holzstöcke und manchmal mit einem dicken Elektrokabel. Manchmal haben sie mich ins Gesicht geschlagen, manchmal auf meinen Körper und manchmal auf meine Fußsohlen.

RI: Durch wieviel Personen sind sie gleichzeitig misshandelt worden, wenn Sie eine Misshandlungseinheit durchlebt haben?

BF2: Jedes Mal waren es ca. 3 Personen und ich war dort nicht alleine. Ich habe auch Geräusche und Stimmen von anderen gehört, die auch gefoltert worden sind.

RI: Wie lange haben diese Misshandlungseinheiten ca. gedauert?

BF2: Unterschiedlich, manchmal 10 Minuten, manchmal eine halbe Stunde.

RI: Welche Art von Verletzungen haben Sie von diesen Misshandlungen davon getragen?

BF2: Mein Gesicht und meine Füße sind angeschwollen und verschiedene blaue Flecken und Hämatome hatte ich auch.

RI: Sind Sie dbzgl. jemals medizinisch versorgt oder untersucht worden?

BF2: Ja, mein Vater hat einen Arzt zu uns nach Hause gebracht. Am Anfang hat mir der Arzt eine Spritze als Beruhigungsmittel gegeben und dann habe ich verschiedene Schmerzmittel bekommen.

RI: Haben Sie sichtbare Male (wie etwa Narben, Hautverfärbungen, ausgeschlagene Zähne, Knochenfehlstellungen, etc…), oder etwa Entstellungen oder Verstümmelungen an Ihrem Körper davongetragen, welche Zeugnis von Ihren behaupteten Misshandlungen geben können? Wenn ja, zeigen Sie diese bitte vor.

BF2: Die blauen Flecke sind nicht mehr da.

RI wiederholt die Frage.

BF2: Keine.

RI: Habe Sie medizinische Unterlagen, welche Ihre Misshandlungsangaben stützen (etwa zu Knochenbrüchen, etc…)? Können Sie diese vorlegen?

BF2: Nein.

RI: Wie sind Sie schließlich freigekommen? Und wann war das?

BF2: Am 29.09.2022 war meine Freilassung. Nach meiner Entlassung habe ich erfahren, dass mein Vater Lösegeld bezahlt hat.

RI: Wieviel hat Ihr Vater an Lösegeld zahlen müssen für die Freilassung?

BF2: Mein Vater für uns beide insgesamt 5 Millionen syrische Lira bezahlt. 3 Millionen für mich und 2 Millionen von römisch 40 .

RI: Warum vermuten Sie, dass für beide Brüder unterschiedliche Lösegeldsumme zu bezahlen war?

BF2: Nein, 5 Millionen für uns beide, aber mein Vater hat davor Geld von mir geborgt.

RI: Was geschah nach der Freilassung?

BF2: Wir sind dann nach Hause gefahren und haben dort Pause gemacht. 2 Tage habe ich in einer Schokoladenfabrik gearbeitet und dann kamen die Soldaten des Regimes zu uns nach Hause am 13.10.2022.

RI: Als die Soldaten zu Ihnen nach Hause kamen wo befanden Sie sich zu diesem Zeitpunkt?

BF2: Ich war auf der Arbeit bei der Schokoladenfabrik.

RI: Haben Sie mit Ihrer Familie und Ihrem Bruder römisch 40 und dessen Familie zu der Zeit in einem gemeinsamen Haus gelebt oder in unterschiedlichen Häusern?

BF2: Wir haben alle zusammen in einem Haus gelebt, aber römisch 40 hat oft auf der Arbeit geschlafen. Er war Maximum einmal die Woche zu Hause, weil er noch Angst hatte von der Verhaftung beim Checkpoint.

RI: Was war für Sie das schließlich konkrete, fluchtauslösende Ereignis?

BF2: Mein Hauptereignis war, dass das Regime bei uns zu Hause war und sie nach mir gesucht haben, egal ob ich lebendig oder tot. In dieser Zeit habe ich entschieden, dass ich das Land verlassen musste.

RI: Gibt es noch andere Fluchtgründe als die von Ihnen Geschilderten?

BF2: Nein, danke. Ich konnte alles vorbringen.

RI: Hatten Sie – abgesehen von dem eben Geschilderten - in Syrien jemals Probleme aufgrund Ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Gesinnung? Hatten Sie sonst Probleme mit den Behörden in Ihrem Heimatland, abgesehen von den eben Geschilderten?

BF2: Nein, nur was ich heute erwähnt habe. Das Regime hat nach mir gesucht, weil ich Palästinenser bin.

RI: Was befürchten Sie konkret im Fall einer Rückkehr nach Syrien?

BF2: Ich habe Angst vor dem Regime. Sie werden mich töten, foltern oder inhaftieren.

RI: Haben Sie irgendeinen Nachweis dafür, dass nach Ihnen auch heute noch im Herkunftsstaat gesucht wird (aktuelle Haftbefehle, aktuelle Ladungen, Einberufungsbefehle…)?

BF2: Nein, solche Dokumente kann ich nicht vom Regime bekommen. Wie soll ich das machen? Soll ich meinen römisch 40 -jährigen Vater zum Regime schicken? Ich kann niemanden dorthin schicken, auch nicht meinen Vater. Alle haben Angst dorthin zu gehen.

RI: Waren Sie in Syrien jemals straffällig?

BF2: Nein, niemals.

RI: Waren Sie jemals in Syrien politisch aktiv?

BF2: Nein.

RI: Waren Sie nach Ihrer Ausreise aus Syrien jemals politisch aktiv?

BF2: Nein.

RI: Wieviel hat Ihre Ausreise nach Österreich insgesamt gekosten?

BF2: Ca. 8.000 €.

RI: Hatten Sie heute Gelegenheit sich umfassend zu Ihren Fluchtgründen zu äußern?

BF2: Ja.

RI an RV2: Haben Sie noch Fragen an den BF2?

RV2: Ich habe keine Fragen an den BF2, aber eine Frage an D zur Frage mit dem Autounfall, ob es sich hier um ein Missverständnis im Rahmen der Übersetzung gehandelt hat.

D: Er hat 1000%ig Autounfall gesagt und er hat mir gesagt, dass man es so in Syrien nennt.

RI an RV2: Möchten Sie noch eine Stellungnahme abgeben?

RV2: Das aktuelle LIB berichtet auf Sitzung 210 von Verfolgungen von Palestinenser:innen in Syrien. Berichten zufolge wurden zwischen März 2011 und Oktober 2022 638 PalästinenserInnen, einschließlich Kindern, von Regimekräften gefoltert. Es gibt Berichte darüber, dass Palästinenser während des gesamten Konflikts in ganz Syrien, aber vor Allem im Gouvernements römisch 40 , ins Visier der syrischen Behörden geraten sind. Palästinenser, die wie der BF vor allem in Gebieten rund um römisch 40 leben, wurden an Kontrollpunkten kontrolliert und erpresst. Es kommt zu Verhaftungen von Einzelpersonen ohne bekannten Grund sowie zu Verhaftungen von Palästinensern, die zum Militärdienst eingezogen werden sollten. Diese geht auch aus den UNHCR Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen die aus der arabischen Republik Syrien fliehen hervor. Ein ähnliches Bild von willkürlichen Verhaftungen von Palästinenser:innen in römisch 40 zeichnet die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation (Möglichkeit für palästinensische Flüchtlinge aus Syrien in Lager mit UNRWA-Dienstleistungen zurückzukehren, aktuelle Situation für palästinensische Flüchtlinge aus Syrien in Gebieten unter Regierungskontrolle [a-12130-2]). Daraus geht auch hervor, dass Palästinenser:innen vor allem auch bei einer Rückkehr nach römisch 40 von syrischen Sicherheitskräften zum Verhör vorgeladen und festgenommen worden.

Der BF schilderte heute in der mündlichen Verhandlung absolut glaubhaft und ohne Widersprüche zu seinen vorherigen Angaben bei der belangten Behörde die Inhaftierung durch das syrische Regime. Da dem BF vorsätzlich gravierende körperliche und seelische Schmerzen von Angehörigen des öffentlichen syrischen Sicherheitsdienstes zugefügt wurden, aufgrund der diskriminierenden Tatsache, dass er staatenloser Palästinenser ist und er den Wehrdienst des syrischen Regimes nicht abgeleistet hat und somit als oppositionell durch die syrischen Soldaten eingestuft wurde, sind die erlebten Handlungen als Folter im Sinne des Artikel eins, UN-Antifolterkonvention zu qualifizieren, da dies führt zur Vermutungswirkung der Vorverfolgung im Sinne des Artikel 4, Absatz 4, der Status-RL. Es wird an dieser Stelle auf die Entscheidung des EGMR, 23.08.2016,J.K. and others v. Sweden, hingewiesen, nach der es, wenn der Nachweis der erlittenen Verfolgung gelingt, am Antragsstaat zu beweisen ist, dass sich die Lage so geändert hat, dass keine Gefahr mehr besteht.

Registrierte palästinensische Flüchtlinge, wie der BF, unterliegen grundsätzlich der Wehrpflicht und ihren Wehrdienst leisten sie für gewöhnlich in einer Unterabteilung der syrischen Armee der Palestinian Liberation Amy (PLA). Es liegen keine Informationen darüber vor, die besagen, dass wehrdienstpflichtige Palästinenser von Regelungen zum Reservedienst ausgenommen wären (Verweis auf 110 LIB). Der BF hat sich zwar von der Wehrpflicht freigekauft, die aktuellen Länderberichte geben aber ein ganz eindeutiges Bild von Willkür der syrischen Behörden in Bezug auf die Wehrdienstbefreiungen und es kommt trotz Befreiungen immer wieder zu willkürlichen Verhaftungen und Zwangsrekrutierungen (Verweis auf Kapitel 9.2 des aktuellen LIB).

Darüber hinaus geht aus einer aktuellen Anfragebeantwortung zu Checkpoints in und um römisch 40 , Latakia und Tartous eindeutig hervor, dass die syrische Regierung in den Monaten zuvor die Anzahl von Soldaten auf den Straßen in und um römisch 40 erhöht habe und Druck auf die Bevölkerung ausübt. Es gibt weiterhin unzählige willkürliche Verhaftungen.

Zusammenfassend ist also festzuhalten, aus den Länderberichten klar hervorgeht, dass dem BF bei einer Rückkehr in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch das syrische Regime droht. Dies vor allem aufgrund der Situation von palästinensischen Personen in römisch 40 und der allgemeinen verschärften Kontrollstation in der Region - sowie vor allem auch aufgrund der Vermutungswirkung der Vorverfolgung.

Auf das bisherige Vorbringen wird verwiesen. Die Anträge bleiben aufrecht.

BF1 betritt den Saal und BF2 bleibt im Saal.

RI: Das Protokoll wird Ihnen nun rückübersetzt.“

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Anträge der BF1-BF2 auf internationalen Schutz vom 16.11.2022 (BF1) bzw. vom 18.11.2022 (BF2), der polizeilichen Erstbefragung der BF1-BF2 am 18.11.2022, der niederschriftlichen Einvernahme der BF1-BF2 am 13.02.2023 vor dem BFA, der für den BF1 eingebrachten Beschwerde vom 18.07.2023 und der für den BF2 eingebrachten Beschwerde vom 04.07.2023 gegen die angefochtenen Bescheide der belangten Behörde vom 08.06.2023, der von den BF1-BF2 vorgelegten Unterlagen und der Einsichtnahme in die Verwaltungsakte, der Auszüge des Zentralen Melderegisters, des Fremden- und Grundversorgungsinformationssystems, des Strafregisters der Republik Österreich und des AJ-Web, sowie nach mündlicher Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 11.12.2023, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF1 ist der ältere Bruder des BF2. Die volljährigen BF1-BF2 sind staatenlose Palästinenser, gehören der arabischen Volksgruppe an und bekennen sich zur sunnitischen Ausrichtung des Islam. Ihre Identitäten stehen fest. Die BF1-BF2 sprechen muttersprachlich Arabisch. Sie sind beide verheiratet und haben 3 (BF1) bzw. 2 (BF2) mj. Kinder.

Die BF1-BF2 wurden römisch 40 geboren und sind in römisch 40 (auch römisch 40 oder römisch 40 ), einem Vorort nordwestlich von römisch 40 , aufgewachsen, wo sie auch zuletzt gewohnt und die Schule bis zur 12. (BF1) bzw. 9. Klasse (BF2) besucht haben. Darüber hinaus haben die BF1-BF2 keine Schul- oder Berufsausbildung absolviert. Der BF1 hat die Schule mit Matura abgeschlossen und anschließend in einer Elektrofabrik als Angestellter gearbeitet. Diese ist jedoch zu Beginn des Krieges geschlossen worden, weshalb der BF1 anschließend in einer Plastikfabrik in römisch 40 gearbeitet hat. Der BF2 hat die ersten 3-4 Jahre nach seinem Schulbesuch als Frauenfriseur gearbeitet. Anschließend war er von Ende 2018 bis zu seiner Ausreise als Taxifahrer tätig.

Die Eltern der BF1-BF2, 2 Brüder und 4 Schwestern leben noch in Syrien. Ein Bruder der BF1-BF2 ist bereits verstorben. Auch die Ehefrau des BF1, römisch 40 , geb. am römisch 40 , die Ehefrau des BF2, römisch 40 , geb. am römisch 40 , die Kinder des BF1, sein Sohn römisch 40 , geb. am römisch 40 ; seine Tochter römisch 40 , geb. am römisch 40 ; sowie seine Tochter römisch 40 , geb. am römisch 40 , leben noch im Herkunftsstaat, ebenso wie die Kinder des BF2, sein Sohn römisch 40 , geb. am römisch 40 und seine Tochter römisch 40 , geb. am römisch 40 . Die BF1-BF2 haben im Herkunftsstaat mit ihren Familien im selben Haus gelebt. Darüber hinaus verfügen die BF1-BF2 noch über etwa 40 weitere Verwandte in den Personen von Tanten, Onkel, Cousins, Cousinen, Neffen und Nichten. Mit ihren Familienangehörigen im Herkunftsstaat haben die BF1-BF2 regelmäßig Kontakt. Der BF1 hat etwa alle 2-3 Tage Kontakt mit seiner Ehefrau und etwa 1-2 Mal im Monat Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern. Der BF2 hat alle 2-3 Tage Kontakt mit seiner Ehefrau und seinen Eltern im Herkunftsstaat. Die Familie der BF1-BF2 verfügt Syrien über Häuser und Geschäfte. Der BF1 besitzt ein Haus in römisch 40 .

Im Bundesgebiet lebt weiterer Bruder der BF1-BF2, römisch 40 , welcher ca. römisch 40 Jahre alt und in Österreich asylberechtigt ist.

Die BF1-BF2 reisten gemeinsam spätestens am 16.11.2022, der BF2 spätestens am 18.11.2022, unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten sie jeweils an ebendiesen Tagen einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit den im Spruch genannten Bescheiden vom 08.06.2023 wies das BFA die Anträge der BF1-BF2 auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte diesen gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG jeweils den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihnen jeweils gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III.). Gegen die Spruchpunkte römisch eins. der angefochtenen Bescheide wurde am 18.07.2023 (BF1) bzw. am 04.07.2023 (BF2) in casu Beschwerde erhoben. Die übrigen Spruchpunkte sind unangefochten in Rechtskraft erwachsen.

Der BF1 leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und hat eine erkennbare, leichte Delle am Hinterkopf. Es zeigen sich beim BF1 Knochenumbauherde in den unteren Extremitäten (unteres Schienbeinende rechts, Oberkante des rechten Fersenbeins, Mittelfußknochen links und Großzehe beidseits) und zwei kleine Anreicherungen im Schädeldach. Der BF1 ist nicht in psychotherapeutischer oder sonst ärztlicher Behandlung und nimmt keine Medikamente.

Der BF2 ist gesund, befindet sich nicht in ärztlicher Behandlung und nimmt keine Medikamente.

Die BF1-BF2 sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Die BF1-BF2 sind persönlich unglaubwürdig.

1.2. Zum Fluchtgrund der Beschwerdeführer (BF1-BF2):

1.2.1. In Syrien besteht ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 42 Jahren. Nach Beendigung des Pflichtehrdienstes bleibt ein syrischer Mann, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Die BF1-BF2 sind staatenlose Palästinenser und bei der GAPAR (General Authority for Palestinian Arab Refugees) registriert.

Bei GAPAR registrierte palästinensische Flüchtlinge unterliegen der Wehrpflicht. Ihren Wehrdienst leisten sie für gewöhnlich in einer Unterabteilung der syrischen Armee, die den Namen Palästinensische Befreiungsarmee (Palestinian Liberation Army, PLA) trägt. Es liegen keine Informationen darüber vor, die besagen, dass wehrdienstpflichtige Palästinenser von Regelungen zum Reservedienst ausgenommen wären.

Der BF1 ist im Entscheidungszeitpunkt römisch 40 Jahre alt und hat seinen Wehrdienst im Herkunftsstaat nicht abgeleistet. Der BF1 befand sich zum Zeitpunkt seiner Ausreise und befindet sich auch nunmehr nicht mehr im wehrdienstfähigen Alter. Der BF2 ist im Entscheidungszeitpunkt römisch 40 Jahre alt und hat seinen Wehrdienst im Herkunftsstaat nicht abgeleistet. Der BF2 befand sich zum Zeitpunkt seiner Ausreise und befindet sich auch nunmehr im wehrdienstfähigen Alter. Die BF1-BF2 und sämtliche ihrer Brüder wurden von ihrem Vater vom Wehrdienst im Herkunftsstaat freigekauft. Folglich droht den BF1-BF2 keine Gefahr, durch das syrische Regime wegen Entziehung vom Militärdienst bzw. Wehrdienstverweigerung als oppositionell gesinnt eingestuft zu werden.

Die BF1-BF2 haben den Wehrdienst in Syrien nicht abgeleistet und wurden in der Vergangenheit auch nicht als Reservisten einberufen oder zwangsrekrutiert. Der BF1 befindet sich auch nicht mehr in einem wehrfähigen Alter und verfügen mangels der Absolvierung ihres Wehrdienstes über keine Spezialausbildung. In Ermangelung der Absolvierung des Wehrdienstes der BF1-BF2 in Syrien, sind diese im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt, zum Reservedienst einberufen zu werden.

1.2.2. römisch 40 und die Provinz römisch 40 sind unter Kontrolle der syrischen Armee. Den BF1-BF2 droht daher keine zwangsweise Rekrutierung durch einen anderen Akteur (etwa durch die Freie Syrische Armee oder kurdische Milizen) und laufen auch nicht Gefahr, von diesen verfolgt zu werden.

1.2.3. Die BF1-BF2 haben keine nachweislich außenwirksamen und daher asylrelevanten (exil-) politischen, gegen das syrische Regime gerichteten, Aktivitäten, innerhalb oder außerhalb ihres Landes betrieben, weshalb die BF1-BF2 mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit im Falle der Rückkehr nach Syrien keine aktuell unmittelbare und sie persönlich betreffende konkrete Verfolgung oder Bedrohung durch das Regime oder durch sonstige Gruppen wegen einer – ihnen zumindest unterstellten – oppositionellen politischen Gesinnung zu befürchten haben.

1.2.4. Die BF1-BF2 sind im Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.

1.2.5. Die BF1-BF2 haben in Syrien keine Strafrechtsdelikte begangen, auch kein Verbrechen gegen den Frieden, kein Kriegsverbrechen und kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie genießen nicht den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen.

1.2.6. Den BF1-BF2 droht keine asylrelevante Verfolgung aufgrund der illegalen Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat. Auch wegen der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Österreich droht den BF1-BF2 im Herkunftsstaat keine Gefahr, mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bzw. einer Verfolgung von asylrelevantem Ausmaß bedroht zu werden und haben sie Syrien aufgrund der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage und des Krieges verlassen.

1.3. Zur entscheidungsrelevanten Situation in Syrien:

1.3.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 9 vom 17.07.2023, wiedergegeben:

„[…]

Politische Lage

Letzte Änderung 2023-07-10 12:22

Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).

Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 % des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023).

Interne Akteure haben das Kernmerkmal eines Staates - sein Gewaltmonopol - infrage gestellt und ausgehöhlt. Externe Akteure, die Gebiete besetzen, wie die Türkei in den kurdischen Gebieten, oder sich in innere Angelegenheiten einmischen, wie Russland und Iran, sorgen für Unzufriedenheit bei den Bürgern vor Ort (BS 23.2.2022). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus. In anderen Gebieten ist die zivile Politik im Allgemeinen den lokal dominierenden bewaffneten Gruppen untergeordnet, darunter die militante islamistische Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) und mit dem türkischen Militär verbündete Kräfte (FH 9.3.2023). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg, der nun in sein zwölftes Jahr geht, hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).

Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum November 2022-März 2023] nicht wesentlich verändert (AA 29.3.2023). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Der Machtanspruch des syrischen Regimes wurde in den Gebieten unter seiner Kontrolle nicht grundlegend angefochten, nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden substanziellen militärischen Unterstützung Russlands bzw. Irans und Iran-naher Kräfte. Allerdings gelang es dem Regime nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol in diesen Gebieten durchzusetzen. Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht (AA 29.3.2023). Der von den Vereinten Nationen geleitete Friedensprozess, einschließlich des Verfassungsausschusses, hat 2022 keine Fortschritte gemacht (HRW 12.1.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert (AA 29.3.2023). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell und sorgen dafür, dass diese nicht für ihre Taten verantwortlich gemacht werden (HRW 12.1.2023).

Im Äußeren gewannen die Bemühungen des Regimes und seiner Verbündeten, insbesondere Russlands, zur Beendigung der internationalen Isolation [mit Stand März 2023] unabhängig von der im Raum stehenden Annäherung der Türkei trotz fehlender politischer und humanitärer Fortschritte weiter an Momentum. Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon - (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen, wenngleich sich die Bewahrung der EU-Einheit in dieser Sache zunehmend herausfordernd gestaltet (AA 29.3.2023).

[…]

Syrische Arabische Republik

Letzte Änderung 2023-07-10 12:56

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 2.5.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 9.3.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.5.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 9.3.2023).

Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba'ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba'ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.3.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 9.3.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v.a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.3.2023).

Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.1.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren 'zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel'. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.6.2022).

Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 29.3.2023).

Institutionen und Wahlen

Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba'ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Artikel 113, der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn "absolute Notwendigkeit" dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).

Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Artikel 85, vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entzogen), darf nicht für ein "ehrenrühriges" Vergehen vorbestraft sein und muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben. Damit sind im Exil lebende Politikerinnen und Politiker von einer Kandidatur de facto ausgeschlossen (AA 29.3.2023). Bei den Präsidentschaftswahlen, die im Mai 2021 in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie einigen syrischen Botschaften abgehalten wurden, erhielt Bashar al-Assad 95,1 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 77 % und wurde damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 % und 3,3 % der Stimmen (Standard 28.5.2021; vergleiche Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als 'weder frei noch fair' und als 'betrügerisch', und die Opposition nannte sie eine 'Farce' (Standard 28.5.2021).

Das Parlament hat nicht viel Macht. Dekrete werden meist von Ministern und Ministerinnen vorgelegt, um ohne Änderungen vom Parlament genehmigt zu werden. Sitze im Parlament oder im Kabinett dienen nicht dazu, einzelne Machtgruppen in die Entscheidungsfindung einzubinden, sondern dazu, sie durch die Vorteile, die ihnen ihre Positionen verschaffen, zu kooptieren (BS 23.2.2022). Im Juli 2020 fanden die Wahlen für das "Volksrat" genannte syrische Parlament mit 250 Sitzen statt, allerdings nur in Gebieten, in denen das Regime präsent ist. Auch diese Wahlen wurden durch die weitverbreitete Vertreibung der Bevölkerung beeinträchtigt. Bei den Wahlen gab es keinen nennenswerten Wettbewerb, da die im Exil lebenden Oppositionsgruppen nicht teilnahmen und die Behörden keine unabhängigen politischen Aktivitäten in dem von ihnen kontrollierten Gebiet dulden. Die regierende Ba'ath-Partei und ihre Koalition der Nationalen Progressiven Front erhielten 183 Sitze. Die restlichen 67 Sitze gingen an unabhängige Kandidaten, die jedoch alle als regierungstreu galten (FH 9.3.2023). Die Wahlbeteiligung lag bei 33,7 % (BS 23.2.2022). Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen Einflussnahme. Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords und Schmuggler, welche das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (WP 22.7.2020).

Der Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist. Syrische Bürger können überall innerhalb der vom Regime kontrollierten Gebiete wählen, und es gibt keine Liste der registrierten Wähler in den Wahllokalen und somit keinen Mechanismus zur Überprüfung, ob Personen an verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Aufgrund der Vorschriften bei Reihungen auf Wahllisten sind alternative Kandidaten standardmäßig nur ein Zusatz zu den Kandidaten der Ba'ath-Partei (MEI 24.7.2020). Die vom Regime und den Nachrichtendiensten vorgenommene Reihung auf der Liste ist damit wichtiger als die Unterstützung durch die Bevölkerung oder Stimmen. Wahlen in Syrien dienen nicht dem Finden von Entscheidungsträgern, sondern der Aufrechterhaltung der Fassade von demokratischen Prozessen durch den Staat nach Außen. Sie fungieren als Möglichkeit, relevante Personen in Syrien quasi zu managen und Loyalisten dazu zu zwingen, ihre Hingabe zum Regime zu demonstrieren (BS 23.2.2022). Zudem gilt der Verkauf öffentlicher Ämter an reiche Personen, im Verbund mit entsprechend gefälschten Wahlergebnissen, als zunehmend wichtige Devisenquelle für das syrische Regime (AA 29.3.2023). Entscheidungen werden von den Sicherheitsdiensten oder dem Präsidenten auf Basis ihrer Notwendigkeiten getroffen - nicht durch gewählte Personen (BS 23.2.2022).

Im September 2022 fanden in allen [unter Kontrolle des syrischen Regimes stehenden] Provinzen Wahlen für die Lokalräte statt. Nichtregierungsorganisationen bezeichneten sie ebenfalls als weder frei noch fair (USDOS 20.3.2023).

[…]

Syrische Interimsregierung und syrische Heilsregierung

Letzte Änderung 2023-07-11 09:24

Im März 2013 gab die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte als höchste offizielle Oppositionsbehörde die Bildung der syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG) bekannt, welche die Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes im ganzen Land verwalten soll. Im Laufe der Zeit schrumpften die der Opposition angehörenden Gebiete jedoch, insbesondere nach den Vereinbarungen von 2018, die dazu führten, dass Damaskus die Kontrolle über den Süden Syriens und die Oppositionsgebiete im Süden von Damaskus und im Umland übernahm. Der Einfluss der SIG ist nun auf die von der Türkei unterstützten Gebiete im Norden Aleppos beschränkt (SD 18.3.2023). Formell erstreckt sich ihr Zuständigkeitsbereich auch auf die von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierte Zone. Dort wurde sie von der HTS jedoch an den Rand gedrängt (Brookings 27.1.2023). Die von der HTS kontrollierten Gebiete in Idlib und Teile der Provinzen Aleppo und Latakia werden inzwischen von der syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG), dem zivilen Flügel der HTS, regiert (SD 18.3.2023).

Nicht-staatliche Akteure in Nordsyrien haben systematisch daran gearbeitet, sich selbst mit Attributen der Staatlichkeit auszustatten. Sie haben sich von aufständischen bewaffneten Gruppen in Regierungsbehörden verwandelt. In Gebieten, die von der HTS, einer sunnitischen islamistischen politischen und militärischen Organisation, kontrolliert werden, und in Gebieten, die nominell unter der Kontrolle der SIG stehen, haben bewaffnete Gruppen und die ihnen angeschlossenen politischen Flügel den institutionellen Rahmen eines vollwertigen Staates mit ausgefeilten Regierungsstrukturen wie Präsidenten, Kabinetten, Ministerien, Regulierungsbehörden, Exekutivorganen usw. übernommen (Brookings 27.1.2023).

Die nordwestliche Ecke der Provinz Idlib, an der Grenze zur Türkei, ist die letzte Enklave der traditionellen Opposition gegen Assads Herrschaft. Sie beherbergt Dutzende von hauptsächlich islamischen bewaffneten Gruppen, von denen die HTS die dominanteste ist (MEI 26.4.2022). Mit der im November 2017 gegründeten (NPA 4.5.2023) syrischen Heilsregierung hat die HTS ihre Möglichkeiten zur Regulierung, Besteuerung und Bereitstellung begrenzter Dienstleistungen für die Zivilbevölkerung erweitert. Doch wie jüngste Studien gezeigt haben, sind diese Institutionen Mechanismen, die hochrangige Persönlichkeiten innerhalb der herrschenden Koalitionen ermächtigen und bereichern (Brookings 27.1.2023). In dem Gebiet werden keine organisierten Wahlen abgehalten und die dortigen Lokalräte werden von bewaffneten Gruppen beherrscht oder von diesen umgangen. Die HTS versucht in Idlib, eine autoritäre Ordnung mit einer islamistischen Agenda durchzusetzen. Obwohl die Mehrheit der Menschen in Idlib sunnitische Muslime sind, ist HTS nicht beliebt. Die von der HTS propagierten religiösen Dogmen sind nur ein Aspekt, der den Bürgerinnen und Bürgern missfällt. Zu den anderen Aspekten gehören der Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, willkürliche Verhaftungen, Gewalt und Missbrauch (BS 23.2.2022).

In den von der Türkei besetzten und kontrollierten Gebieten in Nordwest- und Nordzentral-Syrien ist die SIG die nominelle Regierungsbehörde. Innerhalb der von der Türkei kontrollierten Zone ist eine von der Türkei unterstützte Koalition bewaffneter Gruppen, die Syrische Nationale Armee (SNA) - nicht zu verwechseln mit Assads Syrischen Streitkräften -, mächtiger als die SIG, die sie routinemäßig ignoriert oder außer Kraft setzt (Brookings 27.1.2023). Beide wiederum operieren de facto unter der Autorität der Türkei (Brookings 27.1.2023; vergleiche SD 18.3.2023). Die von der Türkei unterstützten Oppositionskräfte bildeten nach ihrer Machtübernahme 2016 bzw. 2018 in diesem Gebiet Lokalräte, die administrativ mit den angrenzenden Provinzen der Türkei verbunden sind. Laut einem Forscher des Omran Center for Strategic Studies können die Lokalräte keine strategischen Entscheidungen treffen, ohne nicht die entsprechenden türkischen Gouverneure einzubinden. Gemäß anderen Quellen variiert der Abhängigkeitsgrad der Lokalräte von den türkischen Behörden von einem Rat zum nächsten (SD 18.3.2023). Die Anwesenheit der Türkei bringt ein gewisses Maß an Stabilität, aber ihre Abhängigkeit von undisziplinierten lokalen Vertretern, ihre Unfähigkeit, die Fraktionsbildung unter den Dutzenden bewaffneter Gruppen, die mit der SNA verbunden sind, zu überwinden, und ihre Toleranz gegenüber deren Missbrauch und Ausbeutung der Zivilbevölkerung haben dazu geführt, dass ihre Kontrollzone die am wenigsten sichere und am brutalsten regierte im Norden Syriens ist (Brookings 27.1.2023).

[…]

Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien

Letzte Änderung 2023-07-11 09:35

2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine 'zweite Front' in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrîn, 'Ain al-'Arab (Kobanê) und die Jazira/Cizîrê von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017).

Im November 2013 - etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition - rief die PYD die sogenannte Demokratische Selbstverwaltung (DSA) in den Kantonen Afrîn, Kobanê und Cizîrê aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für "Westen" (Rojava) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) (SWP 7.2018). Die von den USA unterstützten SDF (TWI 18.7.2022) sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen (USDOS 20.3.2023), in dem der militärische Arm der PYD, die YPG, die dominierende Kraft ist (KAS 4.12.2018). Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobanê war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des "Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien" (Democratic Federation of Northern Syria, DFNS) ins Leben (SWP 7.2018). Im März 2018 (KAS 4.12.2018) übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrîn mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz 15.10.2022). Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrîn). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir-ez Zor und Raqqa (K24 6.9.2018) sowie Manbij, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES (SO 27.6.2022).

Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet 'belohnt' zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 20.3.2023). Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahr 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in den AANES Stellung zu beziehen (ICG 18.11.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren (ÖB Damaskus 1.10.2021). Mit Stand Mai 2023 besteht kein entsprechender Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung (Alaraby 31.5.2023). Unter anderem wird über die Verteilung von Öl und Weizen verhandelt, wobei ein großer Teil der syrischen Öl- und Weizenvorkommen auf dem Gebiet der AANES liegen (K24 22.1.2023). Normalisierungsversuche der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Regierung wurden in den AANES im Juni 2023 mit Sorge betrachtet (AAA 24.6.2023). Anders als die EU und USA betrachtet die Türkei sowohl die Streitkräfte der YPG als auch die Partei PYD als identisch mit der von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und daher als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.3.2023).

Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vergleiche SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).

Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP [Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak] nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der PYD, welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 1.10.2021).

Seitdem der Islamische Staat (IS) 2019 die Kontrolle über sein letztes Bevölkerungszentrum verloren hat, greift er mit Guerilla- und Terrortaktiken Sicherheitskräfte und lokale zivile Führungskräfte an (FH 9.3.2023). Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021).

[…]

Sicherheitslage

Letzte Änderung 2023-07-11 09:42

Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).

Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse

Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach eine politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).

Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 70 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 29.3.2023). Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) veröffentlichte eine Karte mit Stand Dezember 2022, in welcher die wichtigsten militärischen Akteure und ihre Einflussgebiete verzeichnet sind. Es gibt Gebiete, in denen mehr als Akteur präsent ist (UNCOI 1.2023) [Anm.: die ausländischen Verbündeten des Regimes wie Iran, Russland und libanesische Hizbollah fehlen - siehe Karten weiter unten]:

Quelle: UNCOI 1.2023 (Stand: 12.2022)

Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien, wobei auch Konvoi- und Patrouille-Routen eingezeichnet sind, die von syrischen, russischen und amerikanischen Kräften befahren werden. Im Nordosten kommt es dabei zu gemeinsam genutzten Straßen [Anm.: zu den Gebieten IS-Präsenz siehe Unterkapitel zu den Regionen]:

Quelle: CC 12.6.2023 (Stand: 31.3.2023)

Die militärischen Akteure und Syriens militärische Kapazitäten

Die Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für Syrien Geir O. Pedersen wies am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden (UNSC 29.11.2022). Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 6.2.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Art und Ausprägung. Dabei bestanden auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Regionen mit einer hohen Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen und vergleichsweise ruhigeren Landesteilen (AA 29.3.2023).

Die CoI stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den Vereinten Nationen benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind (EUAA 9.2022). Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018). Mitte des Jahres 2016 hatte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der 'wichtigsten' Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt, kontrolliert (Reuters 13.4.2016). Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben (AA 29.3.2023).

Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind während des Jahres im Land in den bewaffneten Konflikt involviert (USDOS 20.3.2023) [Anm.: zu israelischen und amerikanischen Militäraktionen siehe u.a. Unterkapitel Gouvernement Deir ez-Zor / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet und Unterkapitel Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien]. Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen. Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Irans unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah. Wenngleich offene Quellen seit August 2022 den Abzug militärischer Infrastruktur (insb. Luftabwehrsystem S-300) vermelden, lassen sich Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die russische Einsatzfähigkeit in Syrien bislang nicht substantiieren. Die Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) behauptet, dass Russland syrische Söldner u.a. aus den Streitkräften für den Kampfeinsatz in der Ukraine abwirbt. Unter Bezug auf syrische Militärangehörige sowie Familien der Söldner spricht STJ von 300 syrischen Kämpfern, die im Zeitraum Juni bis September 2022 nach Russland oder Ukraine verlegt worden seien. Mehrere von ihnen seien laut einer unbestätigten Mitteilung der rekrutierenden al-Sayyad Company for Guarding and Protection Services, welche der russischen Wagner-Gruppe zugeschrieben wird, gefallen (AA 29.3.2023). Russland hatte noch z.B. im Oktober 2022 seine Luftangriffe in der Provinz Idlib verstärkt (ICG 10.2022).

Die folgende Karte zeigt die verschiedenen internationalen Akteure und deren militärische Interessenschwerpunkte in Syrien:

Quelle: Zenith 11.2.2022

Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und der ihr nahestehenden bewaffneten Gruppierungen und in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) und in einigen Fällen auch des syrischen Regimes (AA 29.11.2021).

Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen 'Operation Claw-Sword', die nach türkischen Angaben auf Stellungen der Syrischen Demokratischen Kräfte und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße traf (HRW 7.12.2022). Die Türkei führte seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien durch (France 24 20.11.2022). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022). Die türkischen Militäroperationen trieben Tausende Menschen in die Flucht und stellten 'eine ernste Bedrohung für ZivilistInnen' in den betroffenen Gebieten dar. Kämpfe zwischen den pro-türkischen Gruppen ermöglichten Vorstöße der HTS (FH 9.3.2023). Im Nordwesten Syriens führte im Oktober 2022 das Vordringen der HTS in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen (ICG 10.2022).

Im Gouvernement Dara'a kam es 2022 weiterhin zu Gewalt zwischen Regimekräften und lokalen Aufständischen trotz eines nominellen Siegs der Regierung im Jahr 2018 und eines von Russland vermittelten 'Versöhnungsabkommens'. Eine allgemeine Verschlechterung von Recht und Ordnung trägt in der Provinz auch zu gewalttätiger Kriminalität bei (FH 9.3.2023).

Das syrische Regime, und damit die militärische Führung, unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“ (BMLV 12.10.2022). Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Millionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022).

Seit Beginn 2023 wurden mit Stand 1.5.2023 auch 258 ZivilistInnen durch andere Akteure (als dem Regime) getötet, somit 75 Prozent aller zivilen Toten in diesem Jahr. Viele von ihnen wurden beim Trüffelsuchen getötet, und dazu kommen auch Todesfälle durch Landminen. Außerdem bietet die Unsicherheit in vielen Gebieten ein passendes Umfeld für Schießereien durch nicht-identifzierte Akteure (SNHR 1.5.2023).

Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS)

Der IS kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen SDF erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem US-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Quraishi beging im Februar 2022 beim Eintreffen einer US-Spezialeinheit im Gouvernement Idlib Selbstmord. Als sein Nachfolger wurde Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi ernannt (EUAA 9.2022; vergleiche DS 10.3.2022). Am 30.11.2022 bestätigte die Dschihadistenmiliz den Tod von Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (BAMF 6.12.2022; vergleiche CNN 30.11.2022). Das Oberkommando der US-Streitkräfte in der Region bestätigte, dass al-Quraishi Mitte Oktober 2022 bei einer Operation von syrischen Rebellen in der südlichen syrischen Provinz Dara’a getötet wurde (BAMF 6.12.2022). Der IS ernannte Abu al-Husain al-Husaini al-Quraishi zu seinem Nachfolger (CNN 30.11.2022; vergleiche BAMF 6.12.2022).

Der UN-Sicherheitsrat schätzt die Stärke der Gruppe auf 6.000 bis 10.000 Kämpfer in ganz Syrien und im Irak, wobei die operativen Führer der Gruppe hauptsächlich in Syrien stationiert sind (EUAA 9.2022). Die Terrororganisation IS kann in Syrien selbst in ihren Rückzugsgebieten im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien weiterhin keine territoriale Kontrolle mehr ausüben. Mit mehreren Tausend Kämpfern sowie deren Angehörigen, die sich in Gefängnissen und Lagern in Nordostsyrien in Gewahrsam der SDF befinden, sowie einer vermutlich dreistelligen Zahl von im Untergrund aktiven Kämpfern bleibt IS jedoch ein relevanter asymmetrischer Akteur (AA 29.3.2023). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle und Attentate (DIS 29.6.2020). Der IS verübte immer wieder Angriffe und Anschläge, insbesondere auf Einheiten der SDF im Nordosten sowie auf Truppen des Regimes in Zentralsyrien, und zeigte bei zwei Anschlägen im Jahr 2022 seine anhaltende Fähigkeit zu komplexen Operationen (AA 29.3.2023).

Trotz der starken Präsenz syrischer und russischer Streitkräfte in Südsyrien sind mit dem IS verbundene Kämpfer in der Region aktiv und das syrische Regime ist derzeit nicht in der Lage, IS-Aktivisten in Gebieten zurückzudrängen, die vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen (VOA 24.10.2022). Der IS ist im Regimegebiet stärker, weil die syrische Armee weniger kompetent bei Anti-­Terror­-Operationen auftritt als die SDF (Zenith 11.2.2022). Nach Angaben der International Crisis Group verübten IS-Zellen Ende 2021 durchschnittlich zehn bis 15 Angriffe auf die Regierungsstreitkräfte pro Monat, die meisten davon im Osten von Homs und im ländlichen westlichen Deir Ez-Zour. Dieser Trend setzte sich auch im Jahr 2022 fort (EUAA 9.2022). Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte auch von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021).

Zum IS-Angriff vom 20.1.2022 in al-Hassakah siehe das Unterkapitel Nordost-Syrien im Kapitel Sicherheitslage.

Zivile Todesopfer landesweit

Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche sowohl Zivilisten als auch Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von 'Massakern', bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vergleiche SNHR 1.1.2021). Die folgende Grafik zeigt die von SNHR dokumentierte Zahl der zivilen Opfer, die von den Konfliktparteien in Syrien im Jahr 2021 getötet wurden, wobei SNHR insgesamt 1.271 getötete Zivilisten zählte, davon 299 Kinder und 134 Frauen (SNHR 1.1.2022):

Quelle: SNHR 1.1.2022

Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) dokumentierte im Zeitraum 1.1.2021 bis 30.6.2023 in den syrischen Gouvernements die folgende Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer sowie Todesopfern. Demnach kamen im Jahr 2022 5.949 Menschen ums Leben und im ersten Halbjahr 2023 2.796 Personen (Darstellung der Staatendokumentation basierend auf Daten von ACLED):

Gouverne-ments Vorfälle21 Todesopfer21 Vorfälle22 Todesopfer22 Vorfälle23 (bis 30.6.) Todesopfer (bis 30.6.)

Deir ez Zor 473                  1131       339                  755         277                           560

Daraa          375                  649         467                  708         195                           326

Al Hasakeh 345                  621         340                  926         74                                 119

Aleppo      308                  701         503                  1260       216                           502

Idlib          306                  697         213                  481         134                           321

Raqqa          296                  780         270                  748         73                                 127

Hama              143                  547         96                      252         67                                 232

Homs              114                  402         112                  376         87                                 309

Rural Damascus 113                  140         157                  244         46                                 75

As Sweida 39                      47           35                      66           14                                 22

Quneitra 31                      39           12                      22           19                                 30

Lattakia  29                      69           39                      84           43                                 141

Damaskus 14                      41           15                      22           12                                 31

Tartous  4                          8             3                          5             1                                       1

Insg.          2590              5872       2601              5949       1258                     2796

Quelle: ACLED o.D.

Im Monatsverlauf dokumentierte ACLED im Zeitraum 1.1.2020-30.6.2023 die folgende Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer (Darstellung der Staatendokumentation basierend auf Daten von ACLED):

Quelle: ACLED o.D.; *2023: Zeitraum 1.1.-30.6.2023

Der Großteil der von ACLED gesammelten Daten basiert auf öffentlich zugänglichen Sekundärquellen. Die Daten können daher das Ausmaß an Vorfällen unterschätzen. Insbesondere Daten zur Anzahl an Todesopfern sind den Gefahren der Verzerrung und der ungenauen Berichterstattung ausgesetzt. ACLED gibt an, konservative Schätzungen zu verwenden (ACLED/ACCORD 25.3.2021).

Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht nach Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 29.11.2021).

Informationen zur Untersuchung von Chemiewaffeneinsätzen in Syrien

Seit der im November 2017 an russischen Vetos im VN-Sicherheitsrat gescheiterten Verlängerung des Mandats des „Joint Investigative Mechanism“ (JIM) fehlte ein Mechanismus, der die Urheberschaft von Chemiewaffeneinsätzen feststellt. Ein gegen heftigen Widerstand Russlands im Juni 2018 angenommener Beschluss erlaubt nun der Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OPCW), die Verantwortlichen der Chemiewaffenangriffe in Syrien im Rahmen eines hierfür neu gebildeten „Investigation and Identification Team“ (IIT) zu ermitteln. Im April 2021 legte das IIT seinen zweiten Ermittlungsbericht vor, demzufolge hinreichende Belege vorliegen, dass der Chemiewaffeneinsatz in der Stadt Saraqib im Februar 2018 auf Kräfte des syrischen Regimes zurückzuführen ist. Die Untersuchung dreier Angriffe im März 2017 kam zu dem Ergebnis, dass hinreichende Belege vorliegen, dass die syrischen Luftstreitkräfte für den Einsatz von Sarin am 24. und 30.3.2017 sowie Chlorgas am 25.3.2017 in Latamenah verantwortlich sind. Die unabhängigen internationalen Experten der FFM gehen, davon unabhängig, weiter Meldungen zu mutmaßlichen Chemiewaffeneinsätzen nach. So kommt der FFM-Bericht vom 1.3.2019 zu dem Ergebnis, dass bei der massiven Bombardierung von Duma am 7.4.2018 erneut Chemiewaffen (Chlor) eingesetzt wurden („reasonable grounds“). Auch eine Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen kam zu diesem Ergebnis. Pressemeldungen zufolge soll das Assad-Regime am 19.5.2019 wiederholt Chlorgas in Kabana/Jabal al-Akrad im Gouvernement Lattakia eingesetzt haben. Die US-Regierung hat hierzu erklärt, dass auch sie über entsprechende Hinweise verfüge, um den Chlorgaseinsatz entsprechend zuzuordnen. Untersuchungen durch FFM bzw. IIT stehen noch aus. Am 1.10.2020 veröffentlichte die FFM zwei weitere Untersuchungsberichte zu vermuteten Chemiewaffeneinsätzen in Saraqib (1.8.2016) und Aleppo (24.11.2018). In beiden Fällen konnte die OPCW angesichts der vorliegenden Informationslage nicht sicher feststellen, ob chemische Waffen zum Einsatz gekommen sind (AA 29.11.2021). Am 26.1.2022 veröffentlichte die Untersuchungskommission der OPCW einen Bericht, in dem sie zu dem Schluss kommt, dass es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass am 1.9.2015 in Marea, Syrien, ein chemischer Blisterstoff als Waffe eingesetzt wurde (OPCW 26.1.2022). In einem weiteren Bericht vom 1.2.2022 kommt die OPCW zu dem Schluss, dass es außerdem hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass am 1.10.2016 in Kafr Zeita eine industrielle Chlorflasche als chemische Waffe eingesetzt wurde (OPCW 1.2.2022).

Eine umfangreiche Analyse des Global Public Policy Institute (GPPi) von 2019 konnte auf Basis der analysierten Daten im Zeitraum 2012 bis 2018 mindestens 336 Einsätze von Chemiewaffen im Syrien-Konflikt bestätigen und geht bei 98 Prozent der Fälle von der Urheberschaft des syrischen Regimes aus (AA 29.11.2021).

Auch wenn es im Jahr 2022 kein Einsatz von chemischen Waffen berichtet wurde, so wird davon ausgegangen, dass das Regime weiterhin über ausreichende Vorräte von Sarin und Chlor verfügt, und über die Expertise zur Produktion und Anwendung von Chlor-hältiger Munition verfügt. Das Regime erfüllte nicht die Forderungen der Organization for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW) Conference of the States Parties, weshalb seine Rechte in der Organisation suspendiert bleiben (USDOS 20.3.2023).

Kontaminierung mit Minen und nicht-detonierten Sprengmitteln

Neben der Bedrohung durch aktive Kampfhandlungen besteht in weiten Teilen des Landes eine dauerhafte und anhaltende Bedrohung durch Kampfmittel. So zählt die CoI in ihrem jüngsten Bericht 12.350 Vorfälle mit Blindgängern oder Landminen im Zeitraum 2019 bis April 2022. Z.B. wurden im Juni 2022 bei der Explosion einer Landmine in Dara’a zehn Menschen getötet und 28 verletzt. Laut dem Humanitarian Needs Overview der VN für 2022 ist jede dritte Gemeinde in Syrien kontaminiert, besonders betroffen sind demnach die Gebiete in und um die Städte Aleppo, Idlib, Raqqa, Deir ez-Zor, Quneitra, Dara‘a und die ländliche Umgebung von Damaskus. Erhebliche Teile dieser Städte sind auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar. Bei einem Drittel der besonders betroffenen Gebiete handelt es sich um landwirtschaftliche Flächen. Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, die nicht nur die Nahrungs-, sondern auch die Lebensgrundlage für die in den ländlichen Teilen Syriens lebenden Menschen darstellt. Im Juli 2018 wurde ein Memorandum of Understanding zwischen der zuständigen United Nations Mine Action Service (UNMAS) und Syrien unterzeichnet. Dennoch behindert das Regime durch Restriktionen, Nicht-Erteilung notwendiger Visa und Vorgaben weiterhin die Arbeit von UNMAS sowie zahlreicher, auf Minenaufklärung und - Räumung spezialisierter internationaler NGOs in unter seiner Kontrolle befindlichen Gebieten (AA 29.3.2023).

„Versöhnungsabkommen“ (auch „Beilegungsabkommen“)

Letzte Änderung 2023-07-13 15:02

Die syrischen Behörden nutzen sogenannte "reconciliation agreements" [in anderen Quellen auch als "settlement agreements" - Beilegungsabkommen - bezeichnet] seit Beginn des Konfliktes (NMFA 5.2022). Die Evakuierung der von Rebellen gehaltenen Gemeinde Daraya im August 2016 markierte dabei einen Wendepunkt in der Nutzung von Versöhnungsabkommen durch die syrische Regierung als Strategie zur Rückeroberung der von Rebellen gehaltenen Gebiete. Bis zur Vereinbarung in Daraya waren in verschiedenen Gemeinden in ganz Syrien örtlich begrenzte Waffenstillstände eingesetzt worden. Sowohl die lokalen Waffenstillstände als auch die Versöhnungsvereinbarungen sind eine militärische Strategie, mit der Rebellengebiete entweder sofort oder zu einem späteren Zeitpunkt zum Einlenken gezwungen werden sollen, um Menschen und Gebiete in den Staat wiedereinzugliedern (MEE 28.3.2018). Das Verfahren ist grundsätzlich für Personen gedacht, die im Sicherheitsapparat aktenkundig sind oder die von den Behörden im Zusammenhang mit einer offenen Angelegenheit gesucht werden. Sowohl Kombattanten als auch Zivilisten können Versöhnungsvereinbarungen unterzeichnen. Es gibt lokale und individuelle Versöhnungsabkommen (NMFA 5.2022).

Lokale Versöhnungsabkommen in ehemaligen Oppositionsgebieten

Die "Versöhnungsprozesse" scheinen ad hoc durchgeführt zu werden, was bedeutet, dass sie variieren und keine eindeutige Beschreibung des Prozesses gegeben werden kann. Für die praktische Umsetzung der Vereinbarungen ist ein "Versöhnungsausschuss" zuständig. Dieses Gremium ist kein Gericht. Es gibt kein materiell-rechtliches Verfahren und das Justizministerium ist nicht beteiligt. Das Ergebnis ist kein Urteil, sondern eine Sicherheitserklärung. Der Inhalt des Abkommens kann nicht angefochten werden. Die betreffende Person gibt ihre leichten Waffen ab und erklärt schriftlich, dass sie von Widerstandstätigkeiten absehen wird. Im Gegenzug verspricht die syrische Regierung, die Vorwürfe aus dem Strafregister zu streichen und den Namen der Person von den Fahndungslisten zu entfernen. Männer, die noch ihren Militärdienst ableisten müssen, haben sechs Monate Zeit, sich beim Rekrutierungsbüro zu melden. Es gibt Quellen, die berichten, dass diejenigen, die freigelassen werden, ein Dokument erhalten (NMFA 5.2022).

Der Abschluss der "Versöhnungsabkommen" folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat. Die Vereinbarungen mit Rebellentruppen werden meist am Ende einer Belagerung durch Regierungstruppen abgeschlossen (ÖB Damaskus 12.2022). Laut der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD), eine 2018 gegründete zivilgesellschaftliche Basisbewegung aus Syrien, gehörten zu den Taktiken bisher auch Belagerungen, bei denen das Regime die Menschen in diesen Gebieten nicht nur der Grundversorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten beraubte, sondern sie auch mit Luftangriffen und Granaten beschoss, die Infrastruktur zerstörte und Zivilisten tötete, um das Gebiet schließlich zur Kapitulation und zur Unterzeichnung eines Versöhnungsabkommens zu zwingen (SACD 8.11.2021). Im Allgemeinen bieten die Versöhnungsverfahren zwei Möglichkeiten: eine Versöhnungsvereinbarung zu unterzeichnen und weiterhin im Regierungsgebiet zu leben oder in das Oppositionsgebiet im Nordwesten Syriens zu ziehen (NMFA 5.2022). Die Vereinbarungen beinhalten oft die Evakuierung der Gebiete von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden (ÖB Damaskus 12.2022). Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln (ÖB Damaskus 12.2022; vergleiche OFPRA 13.12.2022) und sind de facto Kapitulationsvereinbarungen (NMFA 5.2022; vergleiche SACD 8.11.2021, TIMEP 15.10.2021).

Die von der Regierung angebotenen Versöhnungsabkommen sind an verschiedene Bedingungen geknüpft (STDOK 8.2017). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden (STDOK 8.2017), oder den Männern im wehrpflichtigen Alter wird eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert (AA 29.3.2023). Im Rahmen von Versöhnungsabkommen gemachte Garantien der Regierung werden jedoch nicht eingehalten. Die syrischen Behörden haben Einzelpersonen verhaftet, nachdem ihnen die Freilassung zugesichert wurde, und Vereinbarungen über die Freistellung von der Wehrpflicht, über den Dienstort neuer Wehrpflichtiger (BS 23.2.2022) oder zur Schonfrist vor dem Einzug zum Militärdienst wurden gebrochen (AA 29.3.2023). Es wird von willkürlichen Verhaftungen von Personen berichtet, die sich zuvor mit der syrischen Regierung "versöhnt" hatten (UNHRC 7.2.2023; vergleiche HRW 12.1.2023) und es kommt trotz Abkommen zu Verhaftungen und dem Verschwinden von früheren Kämpfern in deren Häusern oder an Checkpoints. Es gibt Berichte über die gezielte Tötung von ehemaligen Kämpfern, die sich nunmehr den syrischen Streitkräften angeschlossen haben (ÖB Damaskus 12.2022). Beispielsweise in "versöhnten" Gebieten in Dara'a kam es zu Tötungen von Personen durch Unbekannte (SHRC 26.1.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023), wobei in Anbetracht der Konfliktlage vermutet wird, dass das Regime und der Iran hinter vielen dieser Operationen stehen (SHRC 26.1.2023).

Der Abschluss von "Versöhnungsabkommen" in bestimmten Gebieten schützt die dortige Bevölkerung nicht vor dem willkürlichen, rücksichtslosen Verhalten der dort präsenten regierungsfreundlichen Milizen (OFPRA 13.12.2022). Diese Menschenrechtsverletzungen decouragieren auch die Rückkehr von geflüchteten Personen. Durch mehrere Gesetzeserlässe wurde die Regierung 2019 zur Konfiskation des Eigentums von "Terroristen" ermächtigt. Als Terroristen werden vor allem auch viele Oppositionelle gelistet (ÖB Damaskus 12.2022).

Generell lässt sich seitens der Regierung das Bestreben feststellen, möglichst schnell wieder staatliche Strukturen in den eroberten Gebieten zu etablieren. Allerdings gibt es offenbar große Herausforderungen für die syrische Regierung, dieses Bestreben flächendeckend umzusetzen (ÖB Damaskus 12.2022).

Individuelle Versöhnungsabkommen

Soweit bekannt, gibt es auch individuelle Versöhnungsabkommen für Syrer, die aus dem Ausland nach Syrien zurückkehren wollen, bzw. für Vertriebene, die in ein Gebiet unter der Kontrolle der Behörden zurückkehren. Der Abschluss eines individuellen Versöhnungsabkommens ist auch hier kein genau definiertes Verfahren und kann von Person zu Person und von Botschaft zu Botschaft variieren; in der Regel beinhaltet es jedoch die Unterzeichnung eines Dokuments in einer Botschaft, in dem die Person ihre "Straftat" zugibt. Versöhnungsabkommen bieten allerdings keinen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen (NMFA 5.2022).

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Nordost-Syrien

Letzte Änderung 2023-07-11 11:40

Während das Assad-Regime etwa 60 % des Landes kontrolliert, was einer Bevölkerung von rund neun Millionen Menschen entspricht, gibt es derzeit [im Nordwesten Syriens] zwei Gebiete, die sich noch außerhalb der Kontrolle des Regimes befinden: Nord-Aleppo und andere Gebiete an der Grenze zur Türkei, die von der von Ankara unterstützten Syrischen Nationalarmee (Syrian National Army, SNA) kontrolliert werden, und das Gebiet von Idlib, das von der militanten islamistischen Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert wird. Zusammen kontrollieren sie 10 % des Landes mit einer Bevölkerung von etwa 4,4 Millionen Menschen, wobei die Daten zur Bevölkerungsanzahl je nach zitierter Institution etwas variieren [Anm.: andere Quellen weisen den Anteil des Staatsgebiets unter der Kontrolle der syrischen Regierung mit ca. 70 % aus, s. z.B. AA 29.3.2023] (ISPI 27.6.2023).

Auf diesem Kartenausschnitt sind die Machtverhältnisse in Nordwest-Syrien eingezeichnet:

Quelle: Zenith 11.2.2022

Das Gebiet unter Kontrolle von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS)

In der nordwestlichen Provinz Idlib und den angrenzenden Teilen der Provinzen Nord-Hama und West-Aleppo befindet sich die letzte Hochburg der Opposition in Syrien (BBC 2.5.2023). Das Gebiet wird von dem ehemaligen al-Qaida-Ableger Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) [Anm.: übersetzt soviel wie: Komitee zur Befreiung der Levante] beherrscht, der nach Ansicht von Analysten einen Wandel durchläuft, um seine Herrschaft in der Provinz zu festigen (Alaraby 5.6.2023). Das Gebiet beherbergt aber auch andere etablierte Rebellengruppen, die von der Türkei unterstützt werden (BBC 2.5.2023). HTS hat die stillschweigende Unterstützung der Türkei, die die Gruppe als Quelle der Stabilität in der Provinz und als mäßigenden Einfluss auf die radikaleren, transnationalen dschihadistischen Gruppen in der Region betrachtet. Durch eine Kombination aus militärischen Konfrontationen, Razzien und Festnahmen hat die HTS alle ihre früheren Rivalen wie Hurras ad-Din und Ahrar ash-Scham effektiv neutralisiert. Durch diese Machtkonsolidierung unterscheidet sich das heutige Idlib deutlich von der Situation vor fünf Jahren, als dort eine große Anzahl an dschihadistischen Gruppen um die Macht konkurrierte. HTS hat derzeit keine nennenswerten Rivalen. Die Gruppe hat Institutionen aufgebaut und andere Gruppen davon abgehalten, Angriffe im Nordwesten zu verüben. Diese Tendenz hat sich nach Ansicht von Experten seit dem verheerenden Erdbeben vom 6.2.2023, das Syrien und die Türkei erschütterte, noch beschleunigt (Alaraby 5.6.2023). HTS hat neben der militärischen Kontrolle über den Großteil des verbleibenden Oppositionsgebiets in Idlib auch lokale Verwaltungsstrukturen unter dem Namen "Errettungs-Regierung" [auch Heilsregierung, ḥukūmat al-ʾinqāḏ as-sūrīyah/Syrian Salvation Government, SSG] aufgebaut (AA 29.3.2023).

Aufgrund des militärischen Vorrückens der Regime-Kräfte und nach Deportationen von Rebellen aus zuvor vom Regime zurückeroberten Gebieten, ist Idlib in Nordwestsyrien seit Jahren Rückzugsgebiet vieler moderater, aber auch radikaler, teils terroristischer Gruppen der bewaffneten Opposition geworden (AA 29.11.2021). Zehntausende radikal-militanter Kämpfer, insb. der HTS, sind in Idlib präsent. Unter diesen befinden sich auch zahlreiche Foreign Fighters (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken) (ÖB Damaskus 12.2022). Auch al-Qaida und der Islamische Staat (IS) sollen dort Netzwerke unterhalten (KAS 4.2020). Viele IS-Kämpfer übersiedelten nach dem Fall von Raqqa 2017 nach Idlib - großteils Ausländer, die für den Dschihad nach Syrien gekommen waren und sich nun anderen islamistischen Gruppen wie der Nusra-Front [Jabhat al-Nusra], heute als HTS bekannt, angeschlossen haben. Meistens geschah das über persönliche Kontakte, aber ihre Lage ist nicht abgesichert. Ausreichend Geld und die richtigen Kontaktleute ermöglichen derartige Transfers über die Frontlinie (Zenith 11.2.2022). Laut einem Bericht des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom Februar 2023 sind neben HTS und Hurras ad-Din unter anderem auch die zentralasiatischen Gruppierungen Khatiba at-Tawhid wal-Jihad (KTJ) - im März 2022 in Liwa Abu Ubayda umbenannt - und das Eastern Turkistan Islamic Movement (ETIM) - auch bekannt als Turkistan Islamic Party (TIP) - in Nordwestsyrien präsent (UNSC 13.2.2023).

Im Jahr 2012 stufte Washington Jabhat an-Nusra [Anm.: nach Umorganisationen und Umbenennungen nun HTS] als Terrororganisation ein (Alaraby 8.5.2023). Auch die Vereinten Nationen führen die HTS als terroristische Vereinigung (AA 29.3.2023). Die Organisation versuchte, dieser Einstufung zu entgehen, indem sie 2016 ihre Loslösung von al-Qaida ankündigte und ihren Namen mehrmals änderte, aber ihre Bemühungen waren nicht erfolgreich und die US-Regierung führt sie weiterhin als "terroristische Vereinigung" (Alaraby 8.5.2023; vergleiche CTC Sentinel 2.2023). HTS geht gegen den IS und al-Qaida vor (COAR 28.2.2022; vergleiche CTC Sentinel 2.2023) und reguliert nun die Anwesenheit ausländischer Dschihadisten mittels Ausgabe von Identitätsausweisen für die Einwohner von Idlib, ohne welche z.B. das Passieren von HTS-Checkpoints verunmöglicht wird. Die HTS versucht so, dem Verdacht entgegenzutreten, dass sie das Verstecken von IS-Führern in ihren Gebieten unterstützt, und signalisiert so ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft bei der Terrorismusbekämpfung (COAR 28.2.2022). Im Mai 2023 startete die HTS in den Provinzen Idlib und Aleppo beispielsweise eine Verhaftungskampagne gegen Hizb ut-Tahrir (HuT) als Teil der langfristigen Strategie, andere islamistische Gruppen in den von ihr kontrollierten Gebieten zu unterwerfen und die Streichung der HTS von internationalen Terroristenlisten zu erwirken (ACLED 8.6.2023; vergleiche Alaraby 8.5.2023). Das Vorgehen gegen radikalere, konkurrierende Gruppierungen und die Versuche der Führung, der HTS ein gemäßigteres Image zu verpassen, führten allerdings zu Spaltungstendenzen innerhalb der verschiedenen HTS-Fraktionen (AM 22.12.2021).

Anmerkung: s. das Unterkapitel "Syrische Interimsregierung und syrische Heilsregierung" des Kapitels "Politische Lage" für weitere Informationen zu den Regierungsstrukturen in Nordwestsyrien.

Konfliktverlauf im Gebiet

Im Jahr 2015 verlor die syrische Regierung die Kontrolle über Idlib und diverse rivalisierende oppositionelle Gruppierungen übernahmen die Macht (BBC 18.2.2020), wobei die Freie Syrische Armee (FSA) manche Teile der Provinz schon 2012 erobert hatte (KAS 4.2020). Während die syrische Regierung die gesamte Provinz zurückerobern will, versucht Ankara zu verhindern, dass Idlib an Damaskus fällt, und daraufhin noch mehr Syrer in die Türkei flüchten (ORF 14.3.2021; vergleiche Alaraby 25.1.2023). Die Türkei hat die HTS als terroristische Organisation eingestuft, doch hat sie die Rebellengruppe in den letzten Jahren nicht aktiv daran gehindert, die Verwaltungsmacht in Idlib zu übernehmen (USCIRF 11.2022). Im Mai 2017 einigten sich Russland, Iran und die Türkei im Rahmen der Astana-Verhandlungen auf die Errichtung vier sogenannter Deeskalationszonen (DEZ) in Syrien (KAS 6.2020), wobei Idlib Teil einer DEZ wurde, die sich von den nordöstlichen Bergen Latakias bis zu den nordwestlichen Vororten von Aleppo erstreckt und sowohl durch Hama als auch durch Idlib verläuft (SOHR 2.12.2022). Gemeint waren damit kampffreie Räume, in denen Zivilisten vor Angriffen geschützt sein sollten (KAS 6.2020; vergleiche SD 18.8.2019). Gemäß der Übereinkunft von Astana rückte die türkische Armee im Oktober 2017 in die DEZ Idlib ein und errichtete Beobachtungsposten zur Überwachung der Waffenruhe. Ankara hatte sich in Astana verpflichtet, die Rebellen zu entwaffnen und den freien Verkehr auf den Fernstraßen M4 und M5 zu gewährleisten. Im Gegenzug hatten Moskau und Damaskus zugesichert, die Provinz nicht anzugreifen. Zusagen, die letztlich keine Seite einhielt. Die syrische Regierung führte im Zeitraum 2018-2020 Offensiven in Idlib durch, die zur Flucht von rund einer Million Menschen führten (KAS 6.2020).

Das syrische Regime hat den Wunsch geäußert, die Provinz zurückzuerobern, doch seit einer Offensive im März 2020, die mit einer für die syrische Regierung katastrophalen Niederlage gegen die Türkei endete, hat das Gebiet den Besitzer nicht mehr gewechselt (Alaraby 5.6.2023). Im März 2020 vermittelten Russland und die Türkei einen Waffenstillstand, um einen Vorstoß der Regierung zur Rückeroberung von Idlib zu stoppen (BBC 26.6.2023). Die vereinbarte Waffenruhe in der DEZ Idlib wurde weitestgehend eingehalten (AA 29.3.2023), sie führte zu einer längeren Pause in der Gewalt, aber sporadische Zusammenstöße, Luftangriffe und Beschuss gehen weiter (BBC 26.6.2023). Der Konflikt ist derzeit weitgehend eingefroren, auch wenn es immer wieder zu Kämpfen kommt (AJ 15.3.2023).

Insbesondere im Süden der DEZ kommt es unverändert regelmäßig zu Kampfhandlungen zwischen Einheiten des Regimes und seiner Verbündeten und regimefeindlichen bewaffneten Oppositionsgruppen (AA 29.3.2023; vergleiche UNSC 20.4.2023), inklusive schwerer Artillerieangriffe durch das syrische Regime und Luftschläge der russischen Luftwaffe (AA 29.3.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023). In der Region ist es beispielsweise im November (SOHR 2.12.2022) und Dezember 2022 (CC 1.5.2023) sowie Juni 2023 (Reuters 25.6.2023) zu einer spürbaren Eskalation der Militäroperationen durch russische und regimetreue Kräfte und den ihnen nahestehenden Milizen gekommen (CC 1.5.2023, SOHR 2.12.2022, Reuters 25.6.2023), einschließlich des täglichen Bombardements mit Dutzenden von Raketen und Artilleriegranaten und russischen Luftangriffen, die alle zu erheblichen menschlichen Verlusten und Sachschäden geführt haben (SOHR 2.12.2022). Die syrischen Weißhelme meldeten Ende 2022, dass sie im Laufe des Jahres auf mehr als 800 Angriffe des Assad-Regimes, russischer Streitkräfte und verbündeter Milizen im Nordwesten Syriens reagiert haben. Dabei wurden 165 Personen, darunter 55 Kinder und 14 Frauen, bei Luftangriffen sowie Artillerie- und Raketenangriffen auf mehr als 200 öffentliche Einrichtungen, darunter Wohnhäuser, landwirtschaftliche Felder, öffentliche Gebäude, Märkte, Schulen und ein Krankenhaus, getötet (USDOS 20.3.2023). Die HTS-Kämpfer greifen die Regierungskräfte dagegen vor allem mit Flugabwehrgeschossen an und sind hauptsächlich mit Maschinengewehren und Panzerfäusten ausgerüstet (Wilson 13.7.2022). Die Miliz hat jedoch auch improvisierte Sprengsätze gegen Assads Streitkräfte gelegt (Wilson 13.7.2022) und Selbstmordattentäter eingesetzt (Wilson 13.7.2022; vergleiche CC 1.5.2023).

Zwar rechtfertigt insbesondere das syrische Regime sein militärisches Vorgehen als Einsatz gegen terroristische Akteure. Ziele der Angriffe des Regimes und seiner Verbündeten bleiben jedoch neben Stellungen der bewaffneten Opposition (AA 29.3.2023) nicht zuletzt die zivile Infrastruktur in den Zielgebieten, darunter auch für die humanitäre Versorgung kritische Einrichtungen (AA 29.3.2023; vergleiche HRW 12.1.2023). Diese wurden teilweise mit Präzisionsraketen und zielgenauen Waffensystemen von Kampfflugzeugen unter Beschuss genommen. In ihrem Bericht vom September 2022 dokumentiert die vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UNHRC) eingerichtete internationale unabhängige Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Syrien (CoI=Commission of Inquiry) acht Angriffe, u.a. auf eine Wasserstation, mit insgesamt 39 getöteten oder verletzten Zivilpersonen (AA 29.3.2023). Im November 2022 dokumentierte die CoI den Einsatz von Streumunition durch die Regierungskräfte in einem dicht besiedelten Flüchtlingslager in Idlib, wodurch mindestens sieben Zivilisten getötet wurden. Die CoI sieht zudem begründeten Anlass zu der Annahme, dass HTS-Mitglieder Menschen weiterhin willkürlich ihrer Freiheit beraubten und einige von ihnen in Isolationshaft und andere in einer Weise festhielten, die einem erzwungenen Verschwinden gleichkam. Darüber hinaus haben HTS-Mitglieder möglicherweise die Kriegsverbrechen der Folter und grausamen Behandlung sowie der Verhängung von Strafen ohne vorheriges Urteil eines regulär konstituierten Gerichts begangen (UNHRC 7.2.2023).

Im Februar 2023 wurde die Region von verheerenden Erdbeben heimgesucht, bei denen Tausende von Menschen ums Leben kamen [Anm.: s. Karte des betroffenen Gebiets samt Gebietskontrolle unten] (AJ 15.3.2023). Daraufhin wurde in Nordsyrien ein signifikanter, wenn auch zeitlich begrenzter, Rückgang der Kampfhandlungen verzeichnet (CC 12.6.2023; vergleiche UNSC 20.4.2023). Der gegenseitige Beschuss und begrenzte Zusammenstöße zwischen nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, der syrischen Regierung und regierungsnahen Kräften über die Front hinweg im Nordwesten der Arabischen Republik Syrien hielten jedoch an, wobei es in einigen Fällen zu Opfern unter der Zivilbevölkerung kam (UNSC 20.4.2023). Auch im Juni 2023 wurde ein Wiederaufflammen der Kampfhandlungen zwischen Regierungskräften und Rebellengruppen in den Provinzen Aleppo und Idlib vermeldet (NPA 2.7.2023; vergleiche AN 28.6.2023).

Quelle: BBC 15.2.2023

Die folgende Karte zeigt die Vorfälle sowie die Intensität der Kampfhandlungen im Norden Syriens von Juli bis Dezember 2022:

Quelle: UNCOI 1.2023

Die Gebiete unter Kontrolle der Türkei und Türkei-naher Milizen

Die Opposition im Nordwesten Syriens ist in zwei große Gruppen/Bündnisse gespalten: HTS im Gouvernement Idlib und die von der Türkei unterstützte SNA im Gouvernement Aleppo. Die SNA setzt sich in erster Linie aus ehemaligen Gruppen der FSA zusammen, hat sich jedoch zu einer gespaltenen Organisation mit zahlreichen Fraktionen entwickelt, die zu internen Kämpfen neigen (CC 1.5.2023). Die SNA ist auf dem Papier die Streitkraft der syrischen Übergangsregierung (SIG), die rund 2,3 Millionen Syrer regiert. In Wirklichkeit ist die SNA allerdings keine einheitliche Truppe, sondern setzt sich aus verschiedenen Fraktionen zusammen, die unterschiedliche Legionen bilden und nicht unbedingt der Führung des Verteidigungsministers der SIG folgen (Forbes 22.10.2022). Eine hochrangige syrische Oppositionsquelle in Afrîn sagte, dass innerhalb der SNA strukturelle Probleme bestehen, seit die von der Türkei unterstützten Kräfte das Gebiet 2018 von kurdischen Kräften erobert haben (MEE 15.10.2022) und es wird von internen Kämpfen der SNA-Fraktionen berichtet (MEE 25.10.2022). Trotz der internen Streitigkeiten operieren die SIG-Verwaltungen und die bewaffneten Gruppen innerhalb der SNA innerhalb der von Ankara vorgegebenen Grenzen (Forbes 22.10.2022; vergleiche Brookings 27.1.2023). Die Anwesenheit der Türkei bringt ein gewisses Maß an Stabilität, aber ihre Abhängigkeit von undisziplinierten lokalen Vertretern, ihre Unfähigkeit, die Fraktionsbildung unter den Dutzenden von bewaffneten Gruppen, die mit der SNA verbunden sind, zu überwinden, und ihre Duldung des Missbrauchs und der Ausbeutung der Zivilbevölkerung haben dazu geführt, dass ihre Kontrollzone die am wenigsten sichere und am brutalsten regierte im Norden Syriens ist (Brookings 27.1.2023).

Die Lage in den von der Türkei und Türkei-nahen Milizen, darunter der Syrischen Nationalarmee (SNA, vormals "Freie Syrische Armee"), kontrollierten Gebieten im Norden um die Städte Afrîn und Jarabulus im Norden des Gouvernements Aleppo bleibt instabil. Auch kam es dort immer wieder zu teils umfangreichen Kampfhandlungen, insbesondere zwischen Türkei-nahen Milizen und der HTS einerseits, sowie Türkei-nahen Milizen, der kurdischen YPG (Yekîneyên Parastina Gel) und in der Region eingesetzten Truppen des Regimes andererseits. Durch den Beschuss eines Marktplatzes in der türkisch kontrollierten Stadt al-Bab (Gouvernement Aleppo) durch Regimetruppen wurden etwa im August 2022 mindestens 20 Zivilpersonen getötet und rund 40 verletzt. Anfang Oktober 2022 rückte HTS aus dem Nordwesten auf die Stadt Afrîn und Umgebung vor, nachdem es innerhalb der SNA nach dem Mord an einem zivilgesellschaftlichen Aktivisten zu teils gewalttätigen internen Auseinandersetzungen kam (AA 29.3.2023). Die Auseinandersetzungen standen dabei im Zusammenhang mit dem lukrativen und weitverbreiteten Drogenhandel in Syrien sowie konkurrierenden Interessen verschiedener Brigaden innerhalb der SNA (TWI 19.10.2022). Dies war der erste größere Gebietsaustausch zwischen den Kriegsparteien seit zwei Jahren (Forbes 22.10.2022). Nach rund zwei Wochen zogen sich die Kämpfer der HTS wieder aus Afrîn zurück (MEE 25.10.2022).

Um die Zahl der Todesopfer unter der Zivilbevölkerung durch die Kämpfe der SNA zu verringern, haben viele lokale Versammlungen und die örtliche Polizei versucht, Maßnahmen zu ergreifen, um die Gruppen daran zu hindern, mit automatischen oder schweren Waffen in die Städte einzudringen. Dennoch werden zivile Gebiete bei Zusammenstößen zwischen den Gruppen immer noch schwer getroffen und die häufigen Zusammenstöße zwischen den SNA-Gruppen, die in Gebieten wie Afrin, Jarabulus und Tal Abyad operieren, haben auch zu Opfern unter der Zivilbevölkerung geführt (MEE 25.10.2022). Im Norden Aleppos kommt es weiterhin zu Angriffen auf Zivilisten. Die CoI des UN-Menschenrechtsrats dokumentierte im zweiten Halbjahr 2022 fünf Angriffe, die 60 Todesopfer forderten. Trotz eines offensichtlichen Rückgangs der Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen in diesem Zeitraum wurden Zivilisten bei Bodenangriffen getötet oder verletzt, auch in ihren Häusern in einem Vertriebenenlager oder auf öffentlichen Märkten. Dem Untersuchungsbericht für das zweite Halbjahr 2022 zufolge hat die CoI des UN-Menschenrechtsrats begründeten Anlass zu der Annahme, dass Mitglieder der SNA weiterhin willkürlich Personen der Freiheit beraubten und Gefangene ohne Kontakt zur Außenwelt und einige in einer Weise festhielten, die einem Verschwindenlassen gleichkam. SNA-Mitglieder haben auch weiterhin Folter, einschließlich Vergewaltigung, und grausame Behandlung, Mord, Geiselnahme sowie Plünderung begangen, die allesamt als separate Kriegsverbrechen gelten können (UNHRC 7.2.2023). Nach Angaben der NGO Syrians for Truth and Justice (STJ) begehen SNA-Fraktionen ungestraft und unbehelligt vom türkischen Militär, das sie unterstützt und eine effektive Kontrolle in der Region ausübt, wiederholt und systematisch Verstöße. Seit 2018 haben mehrere unabhängige lokale und internationale Organisationen sowie die zuständigen UN-Gremien massive Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, darunter Tötungen, willkürliche Verhaftungen, gewaltsames Verschwindenlassen, Misshandlungen, Folter, Plünderungen und Beschlagnahmungen von Eigentum sowie die Nötigung kurdischer Einwohner, ihre Häuser zu verlassen, und die Behinderung der Rückkehr von Einheimischen an ihre ursprünglichen Wohnorte nach Feindseligkeiten, demografischen Veränderungen und Versuche der Türkisierung (STJ 16.5.2023). Während des Jahres 2022 führten mit der Türkei verbundene Oppositionsgruppierungen angeblich außergerichtliche Tötungen durch (USDOS 20.3.2023).

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Türkische Militäroperationen in Nordsyrien

Letzte Änderung 2023-07-13 15:20

"Operation Schutzschild Euphrat" (türk. "Fırat Kalkanı Harekâtı")

Am 24.8.2016 hat die Türkei die "Operation Euphrates Shield" (OES) in Syrien gestartet (MFATR o.D.; vergleiche CE 19.1.2017). Die OES war die erste große Militäroperation der Türkei in Syrien (OR o.D.). In einer Pressemitteilung des Nationalen Sicherheitsrats (vom 30.11.2016) hieß es, die Ziele der Operation seien die Aufrechterhaltung der Grenzsicherheit und die Bekämpfung des Islamischen Staates (IS) im Rahmen der UN-Charta. Außerdem wurde betont, dass die Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) sowie die mit ihr verbundene PYD (Partiya Yekîtiya Demokrat) und YPG (Yekîneyên Parastina Gel) keinen "Korridor des Terrors" vor den Toren der Türkei errichten dürfen (CE 19.1.2017). Obwohl die türkischen Behörden offiziell erklärten, dass die oberste Priorität der Kampf gegen den IS sei, betonen viele Kommentatoren und Analysten, dass das Ziel darin bestand, die Schaffung eines einzigen von den Kurden kontrollierten Gebiets in Nordsyrien zu verhindern (OR o.D.; vergleiche TWI 26.3.2019, SWP 30.5.2022). Die Türkei betrachtet die kurdische Volksverteidigungseinheit (YPG) und ihren politischen Arm, die Partei der Demokratischen Union (PYD), als den syrischen Zweig der PKK und damit als direkte Bedrohung für die Sicherheit der Türkei (SWP 30.5.2022).

"Operation Olivenzweig" (türk. "Zeytin Dalı Harekâtı")

Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) im Rahmen der "Operation Olive Branch" (OOB) den zuvor von der YPG kontrollierten Distrikt Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Laut türkischem Außenministerium waren die Ziele der OOB die Gewährleistung der türkischen Grenzsicherheit, die Entmachtung der "Terroristen" in Afrin und die Befreiung der lokalen Bevölkerung von der Unterdrückung der "Terroristen". Das türkische Außenministerium berichtete weiter, dass das Gebiet in weniger als zwei Monaten von PKK/YPG- und IS-Einheiten befreit wurde (MFATR o.D.). Diese Aussage impliziert, dass Ankara bei der Verfolgung der Grenzsicherheit und der regionalen Stabilität keinen Unterschied zwischen IS und YPG macht (TWI 26.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen (UN) die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019).

"Operation Friedensquelle" (türk. "Barış Pınarı Harekâtı")

Nachdem der ehemalige US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9.10.2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits wollte die Türkei mithilfe der Offensive die YPG und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits war das Ziel der Offensive, einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund zwei der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen (CNN 10.10.2019). Der UN zufolge wurden innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen zivilen Todesopfern (UN News 14.10.2019). Im Hinterland begannen IS-Zellen, Anschläge zu organisieren (GEG 3.4.2023). Medienberichten zufolge sind in dem Gefangenenlager ʿAyn Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen (Standard 13.10.2019). Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht (Zeit 10.10.2019). Auch im Zuge der türkischen Militäroperation "Friedensquelle" kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen (ÖB Damaskus 12.2022).

Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14.10.2019 in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der "türkischen Aggression" entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichteten (Standard 15.10.2019). Laut der Vereinbarung übernahmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein (WP 14.10.2019). Seitdem verblieben die Machtverhältnisse [mit Stand April 2023] weitgehend unverändert (GEG 3.4.2023). Die syrischen Regierungstruppen üben im Gebiet punktuell Macht aus, etwa mit Übergängen zwischen einzelnen Stadtvierteln (z. B. Stadt Qamischli im Gouvernement Al-Hassakah) (AA 29.3.2023). Nach Vereinbarungen zwischen der Türkei, den USA und Russland richtete die Türkei eine "Sicherheitszone" in dem Gebiet zwischen Tall Abyad und Ra's al-ʿAyn ein (SWP 1.1.2020), die 120 Kilometer lang und bis zu 14 Kilometer breit ist (AA 19.5.2020).

Siehe dazu auch die Unterkapitel "Nordost-Syrien" und "Nordwest-Syrien" im Kapitel "Sicherheitslage".

"Operation Frühlingsschild" (türk. "Bahar Kalkanı Harekâtı")

Nachdem die syrische Regierung im Dezember 2019 eine bewaffnete Offensive gestartet hatte, gerieten ihre Streitkräfte im Februar 2020 mit den türkischen Streitkräften in einen direkten Konflikt (CC 17.2.2021). Während des gesamten Februars führten die syrische Regierung und regierungsnahe Kräfte im Nordwesten Syriens Luftangriffe durch, und zwar in einem Ausmaß, das laut den Vereinten Nationen zu den höchsten seit Beginn des Konflikts gehörte. Auch führten die syrischen Regierungskräfte Vorstöße am Boden durch. Zu den täglichen Zusammenstößen mit nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen gehörten gegenseitiger Artilleriebeschuss und Bodenkämpfe mit einer hohen Zahl von Opfern (UNSC 23.4.2020). Nach Angriffen syrischer Streitkräfte auf Stellungen der türkischen Armee, bei denen 34 türkische Soldaten getötet wurden, leitete Ankara die Operation "Frühlingsschild" in der Enklave Idlib (INSS 4.9.2022) am 27.2.2020 ein (UNSC 23.4.2020). Die Türkei versuchte damit ein Übergreifen des syrischen Konflikts auf die Türkei als Folge der neuen Regimeoffensive - insbesondere in Form eines Zustroms von Extremisten und Flüchtlingen in die Türkei - zu verhindern. Ein tieferer Beweggrund für die Operation war der Wunsch Ankaras, eine Grenze gegen weitere Vorstöße des Regimes zu ziehen, welche die türkischen Gebietsgewinne in Nordsyrien gefährden könnten. Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) war ein - wenn auch unintendierter - wichtiger Profiteur der Operation (Clingendael 9.2021). Im März 2020 wurde ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der Türkei und Russland in Idlib unterzeichnet, das die Schaffung eines sicheren Korridors um die Autobahn M4 und gemeinsame Patrouillen der russischen und türkischen Streitkräfte vorsah (INSS 4.9.2022). Der zwischen den Präsidenten Erdoğan und Putin vereinbarte Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kommt aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien (ÖB Damaskus 12.2022). Rund 8.000 Soldaten des türkischen Militärs verbleiben in der Region und unterstützen militärisch und logistisch die dort operierenden Organisationen, vor allem die Syrian National Army (SNA, ehemals Free Syrian Army, FSA) und die HTS (INSS 4.9.2022).

"Operation Klauenschwert" (türk. "Pençe Kılıç Hava Harekâtı") und von Präsident Erdoğan ankündigte Bodenoffensiven der Türkei

Ein Hauptziel der Türkei besteht darin, eine Pufferzone zu den Kräften des syrischen Regimes aufrechtzuerhalten, deren Vorrücken - ohne vorherige Absprache oder Vereinbarung - die Sicherheit der türkischen Grenze gefährden würde. Das vorrangige Ziel Russlands und des syrischen Regimes ist es, den Druck auf HTS aufrechtzuerhalten (EPC 17.2.2022). Es kommt in den türkisch-besetzten Gebieten zu internen Kämpfen zwischen von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen (AC 1.12.2022; vergleiche SO 26.5.2022) und vor allem im nördlichen Teil der Provinz Aleppo, auch vermehrt zu Anschlägen seitens der kurdischen YPG. Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u. a. YPG und Türkei-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil (ÖB Damaskus 12.2022). Erdoğan hat wiederholt angekündigt, einen 30 Kilometer breiten Streifen an der syrischen Grenze vollständig einzunehmen, um eine sogenannte Sicherheitszone auf der syrischen Seite der Grenze zu errichten (MI 21.11.2022; vergleiche IT 30.5.2023), unter anderem, um dort syrische Flüchtlinge und Vertriebene, sowohl sunnitische Araber als auch Turkmenen, anzusiedeln. Dieser Prozess ist in Afrîn, al-Bab und Ra's al-'Ayn bereits im Gange (GEG 3.4.2023; vergleiche NPA 5.6.2023, VOA 12.1.2023). Zuletzt konzentrierte die türkische Regierung ihre Drohungen auf die Region um Kobanê und Manbij - also die westlichen Selbstverwaltungsgebiete (MI 21.11.2022). Damit kann eine Verbindung zwischen dem Gebiet al-Bab-Jarablus und dem Gebiet Tel Abyad-Ra's al-'Ayn hergestellt werden (GEG 3.4.2023), außerdem ist Kobanê ein Symbol des kurdischen Widerstands gegen den IS (GEG 3.4.2023; vergleiche ANF 29.11.2022).

Am 13.11.2022 wurde in Istanbul ein Bombenanschlag verübt, bei dem sechs Menschen starben und rund 80 verletzt wurden (AJ 22.11.2022). Die Türkei machte die YPG und PKK für den Anschlag verantwortlich, was beide Gruppierungen bestritten (AJ 24.11.2022; vergleiche REU 14.11.2022). Die Türkei hat ihre militärischen Aktivitäten im Norden und Nordosten als Antwort auf den Vorfall verstärkt (ÖB Damaskus 12.2022; vergleiche AJ 24.11.2022). Eine Woche nach dem Anschlag startete das türkische Militär die Operation "Klauenschwert" (AJ 22.11.2022) und führte als Vergeltungsmaßnahme eine Reihe von Luftangriffen auf mutmaßliche militante Ziele in Nordsyrien und im Irak durch (BBC 20.11.2022). Nach Angaben der SDF wurden bei den Luftschlägen auch zivile Ziele getroffen, während es sich bei den zerstörten Zielen laut türkischen Angaben um Bunker, Tunnel und Munitionsdepots handelte (Zeit 20.11.2022). Am 23.11.2022 richteten sich die türkischen Angriffe auch gegen einen SDF-Posten im Gefangenenlager al-Hol, in dem mehr als 53.000 IS-Verdächtige und ihre Familienangehörigen festgehalten werden, die meisten von ihnen Frauen und Kinder aus etwa 60 Ländern (HRW 7.12.2022).

Türkische Regierungsvertreter signalisierten wiederholt, dass eine Bodenoffensive folgen könnte (AJ 22.11.2022, FR24 14.1.2023), wovor Russland, der Iran (AJ 22.11.2022) und die USA warnten (NPA 18.1.2023). Die USA haben zur "sofortigen Deeskalation" aufgerufen. Größte Sorge in Washington ist, dass eine türkische Offensive im Nordirak der Terrormiliz IS in die Hände spielt (RND 27.11.2022; vergleiche USDOS 23.11.2022). Zellen des IS sind in Syrien immer noch aktiv. Die YPG ist ein wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen den IS. Tausende ehemalige IS-Kämpfer sitzen in Gefängnissen, die von der Kurdenmiliz kontrolliert werden. Eine Schlüsselrolle für die türkische Syrien-Strategie spielt Russland. Präsident Wladimir Putin ist der wichtigste politische und militärische Verbündete des syrischen Machthabers Bashar al-Assad. Die russischen Streitkräfte haben die Lufthoheit über Syrien. Für eine Bodenoffensive braucht Erdoğan zumindest die Duldung Moskaus (RND 27.11.2022). Auch auf Bestreben Moskaus (FR24 14.1.2023) gibt es Normalisierungsbemühungen zwischen Ankara und Damaskus (Alaraby 25.1.2023; vergleiche FR24 14.1.2023). Syriens Außenminister betonte im Mai 2023 allerdings, dass es zu keiner Normalisierung der beiden Länder kommen werde, solange die Türkei syrisches Staatsgebiet besetzt hält (Tasnim 22.5.2023). Die syrischen Kurden befürchten, dass Präsident Assad im Gegenzug für einen vollständigen Rückzug der Türkei aus Syrien einem härteren Vorgehen gegen die YPG zustimmen könnte (IT 30.5.2023). Analysten gingen Anfang 2023 allerdings davon aus, dass ein vollständiger Rückzug der Türkei in naher Zukunft aus einer Reihe von Gründen unwahrscheinlich sei und sich wahrscheinlich als äußerst kompliziert erweisen werde (Alaraby 25.1.2023).

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Nordost-Syrien (Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) und das Gebiet der SNA (Syrian National Army)

Letzte Änderung 2023-07-13 16:03

Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der PKK zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Defence Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Ar-Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und al-Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der YPG als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.11.2021).

Der Think Tank Newslines Institute for Strategy and Policy sieht auf der folgenden Karte besonders die Gebiete von Tal Rifa'at, Manbij und and Kobanê als potenzielle Ziele einer türkischen Offensive. Auf der Karte sind auch die Strecken und Gebiete mit einer Präsenz von Regime- und pro-Regime-Kräften im Selbstverwaltungsgebiet ersichtlich, die sich vor allem entlang der Frontlinien zu den pro-türkischen Rebellengebieten und entlang der türkisch-syrischen Grenze entlangziehen. In Tal Rifa'at und an manchen Grenzabschnitten sind sie nicht präsent:

Quelle: Newlines 7.3.2023

Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die SDF zu schaffen (CMEC 2.10.2020) [Anm.: Siehe hierzu Unterkapitel türkische Militäroperationen in Nordsyrien im Kapitel Sicherheitslage]. Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021). Die Türkei stützte sich bei ihrer Militäroffensive im Oktober 2019 auch auf Rebellengruppen, die in der 'Syrian National Army' (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insbesondere auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB Damaskus 1.10.2021).

Auf der folgenden Karte sind die militärischen Akteure der Region wie auch militärische und infrastrukturelle Maßnahmen, welche zur Absicherung der kurdischen "Selbstverwaltung" (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) nötig wären, eingezeichnet. Auf dieser Karte ist entlang der gesamten Frontlinie zu pro-türkischen Gebieten bzw. der türkisch-syrischen Grenze die Präsenz einer Kooperation zwischen SDF, Regime und russischen Truppen mit Ausnahme entlang des Trigris im äußersten Nordosten verzeichnet:

Quelle: TWI 15.3.2022

Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB Damaskus 1.10.2021; vergleiche AA 29.11.2021; JsF 9.9.2022). Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 9.9.2022). Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (AA 29.3.2023).

SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vergleiche EUAA 9.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vergleiche EUAA 9.2022).

Die kurdischen, sogenannten 'Selbstverteidigungseinheiten' (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien vorgehen (AA 29.11.2021). In Reaktion auf die Reorganisation der Truppen zur Verstärkung der Front gegen die Türkei stellten die SDF vorübergehend ihre Operationen und andere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Islamischen Staat ein. Dies weckte Befürchtungen bezüglich einer Stärkung des IS in Nordost-Syrien (Newlines 7.3.2023). Die SDF hatten mit Unterstützung US-amerikanischer Koalitionskräfte allein seit Ende 2021 mehrere Sicherheitsoperationen durchgeführt, in denen nach eigenen Angaben Hunderte mutmaßliche IS-Angehörige verhaftet wurden (AA 29.3.2023).

Der IS führt weiterhin militärische Operationen und Gegenangriffe durch, und IS-Zellen sind nach wie vor in der Lage, ein Sicherheitsvakuum zu nutzen und Attentate zu verüben. SOHR hat seit Anfang 2022 181 Operationen des IS, darunter bewaffnete Angriffe und Explosionen, in Gebieten unter der Kontrolle der Autonomieverwaltung dokumentiert. Laut Statistiken des SOHR wurden bei diesen Operationen 135 Menschen getötet, darunter 52 Zivilisten und 82 Angehörige der SDF, der Inneren Sicherheitskräfte und anderer militärischer Formationen, die in Gebieten unter der Kontrolle der Autonomieverwaltung operierten. Bei diesen Angriffen wurde der Angriff auf das Sina'a-Gefängnis in al-Hassakah nicht berücksichtigt (SOHR 29.11.2022).

Mit dem Angriff auf die Sina’a-Haftanstalt in Al-Hassakah in Nordostsyrien im Januar 2022 und den daran anschließenden mehrtägigen Kampfhandlungen mit insgesamt ca. 470 Todesopfern (IS-Angehörige, SDF-Kämpfer, Zivilisten) demonstrierte der IS propagandawirksam die Fähigkeit, mit entsprechendem Vorlauf praktisch überall im Land auch komplexe Operationen durchführen zu können (AA 29.3.2023). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer (AM 26.1.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (Al Jazeera 26.1.2022). Die Gefechte dauerten zehn Tage, und amerikanische wie britische Kräfte kämpften aufseiten der SDF (HRW 12.1.2023). US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.1.2022). Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.1.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von al-Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.1.2022; vergleiche NYT 25.1.2022, EUAA 9.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS (TWP 24.2.2022). Die geflohenen Bewohner durften danach zurückkehren (MPF 8.2.2022), wobei Unterkünfte von mehr als 140 Familien scheinbar von den SDF während der Militäraktionen zerstört worden waren. Mit Berichtszeitpunkt Jänner 20223 waren Human Rights Watch keine Wiederaufpläne, Ersatzunterkünfte oder Kompensationen für die zerstörten Gebäude bekannt (HRW 12.1.2023).

Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in al-Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nutzt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z. B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung zusammenarbeiteten (TWP 24.2.2022). Das Ausüben von koordinierten und ausgeklügelten Anschlägen in Syrien und im Irak wird von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden (NYT 25.1.2022). Trotz der laufenden Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung hat der IS in letzter Zeit im Nordosten Syriens an Stärke gewonnen und seine Aktivitäten im Gebiet der SDF intensiviert. Am 28.9.2022 gaben die SDF bekannt, dass sie eines der größten Waffenverstecke des IS seit Anfang 2019 erobert haben. Sowohl die Größe des Fundes als auch sein Standort sind ein Beleg für die wachsende Bedrohung, die der IS im Nordosten Syriens darstellt (TWI 12.10.2022). Bei einem weiteren koordinierten Angriff des IS auf das Quartier der kurdischen de facto-Polizeikräfte (ISF/Asayish) sowie auf ein nahegelegenes Gefängnis für IS-Insassen in Raqqa Stadt kamen am 26.12.2022 nach kurdischen Angaben sechs Sicherheitskräfte und ein Angreifer ums Leben (AA 29.3.2023). Laut dem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom Juli 2022 sind einige der Mitgliedstaaten der Meinung, dass der IS seine Ausbildungsaktivitäten, die zuvor eingeschränkt worden waren, insbesondere in der Wüste Badiya wieder aufgenommen habe (EUAA 9.2022).

Für weitere Informationen über die Aktivitäten des IS in Syrien siehe das Kapitel "Sicherheitslage".

Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin knapp 30 Lager mit 11.000 internierten IS-Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in al-Hol (ÖB Damaskus 1.10.2021). Nach einigen Rückführungen und Repatriierungen beläuft sich die Gesamtzahl der Menschen in al-Hol nun auf etwa 53.000, von denen etwa 11.000 ausländische Staatsangehörige sind (MSF 7.11.2022b), auch aus Österreich (ÖB Damaskus 1.10.2021). Das Ziel des IS ist es, diese zu befreien, aber auch seinen Anhängern zu zeigen, dass man dazu in der Lage ist, diese Personen herauszuholen (Zenith 11.2.2022). Das Lager war einst dazu gedacht, Zivilisten, die durch den Konflikt in Syrien und im Irak vertrieben wurden, eine sichere, vorübergehende Unterkunft und humanitäre Dienstleistungen zu bieten. Der Zweck von al-Hol hat sich jedoch längst gewandelt, und das Lager ist zunehmend zu einem unsicheren und unhygienischen Freiluftgefängnis geworden, nachdem die Menschen im Dezember 2018 aus den vom IS kontrollierten Gebieten dorthin gebracht wurden. 64 Prozent der Bewohner von al-Hol sind Kinder (MSF 7.11.2022b), die täglicher Gewalt und Kriminalität ausgesetzt sind (STC 5.5.2022; vergleiche MSF 7.11.2022a). Laut Ärzte ohne Grenzen wurden zusätzlich zu den 85 kriminalitätsbedingten Todesfällen - der mit 38 Prozent häufigsten Todesursache in dem Lager - auch 30 Mordversuche gemeldet (MSF 7.11.2022a). Das Camp ist zusätzlich zu einem Refugium für den IS geworden, um Mitglieder zu rekrutieren (NBC News 6.10.2022). Am 22.11.2022 schlugen türkische Raketen in der Nähe des Lagers ein. Das Chaos, das zu den schwierigen humanitären Bedingungen im Lager hinzukommt, hat zu einem Klima geführt, das die Indoktrination durch den IS begünstigt. Die SDF sahen sich zudem gezwungen, ihre Kräfte zur Bewachung der IS-Gefangenenlager abzuziehen, um auf die türkische Bedrohung zu reagieren (AO 3.12.2022).

Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens (Zenith 11.2.2022). Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien befindet sich heute in einer zunehmend prekären politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage (TWI 15.3.2022). Wie in anderen Bereichen üben die dominanten Politiker der YPG, der mit ihr verbündeten Organisationen im Sicherheitsbereich sowie einflussreiche Geschäftsleute Einfluss auf die Wirtschaft aus, was verbreiteten Schmuggel zwischen den Kontrollgebieten in Syrien und in den Irak ermöglicht (Brookings 27.1.2023). Angesichts der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen im Nordosten Syriens haben die SDF zunehmend drakonische Maßnahmen ergriffen, um gegen abweichende Meinungen im Land vorzugehen und Proteste zum Schweigen zu bringen, da ihre Autorität von allen Seiten bedroht wird (Etana 30.6.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem wurde gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.8.2021) sowie gegen steigende Treibstoffpreise (AM 30.5.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement al-Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish [Anm: Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion] in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.8.2021; vergleiche AM 30.5.2021). Die Türkei verschärft die wirtschaftliche Lage in AANES absichtlich, indem sie den Wasserfluss nach Syrien einschränkt (KF 5.2022). Obwohl es keine weitverbreiteten Rufe nach einer Rückkehr des Assad-Regimes gibt, verlieren einige Einwohner das Vertrauen, dass die kurdisch geführte AANES für Sicherheit und Stabilität sorgen kann (TWI 15.3.2022).

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Gouvernement Deir ez-Zor / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet

Letzte Änderung 2023-07-13 16:00

Dem sogenannten Islamischen Staat (IS) war es nach Kämpfen mit der Nusra-Front und gegnerischen arabischen Stämmen im Juli 2014 gelungen, die Provinz Deir ez-Zor fast vollständig einzunehmen. 2017 führte die syrische Armee mit Unterstützung Russlands und Irans größere Militäroperationen durch, die zur Rückeroberung der Stadt Deir ez-Zor führten. Bis Ende 2017 verlor der IS den größten Teil seines Territoriums auf der Westseite des Euphrat. Auf der östlichen Seite des Flusses waren die Syrian Democratic Forces (SDF) bis Anfang 2019 in heftige Kämpfe mit dem IS verwickelt. Der IS kontrollierte damals noch ein kleines Stück Land nahe der syrisch-irakischen Grenze (EASO 5.2020). Im März 2019 wurde das letzte vom IS gehaltene Gebiet, das Dorf Baghouz, von den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) eingenommen (EASO 5.2020; vergleiche DZ 24.3.2019) [Anm.: zum Lager al-Hol siehe Unterkapitel Kinder sowie zu den Sicherheitsaspekten siehe auch Unterkapitel Nordost-Syrien im Kapitel Sicherheitslage].

Das Gouvernement Deir ez-Zor ist grob in zwei Kontrollbereiche unterteilt. Der westliche Teil des Gouvernements - d.h. vor allem die Gebiete westlich des Euphrat - wird von der syrischen Regierung und ihren iranischen und russischen Verbündeten kontrolliert. Dieses Gebiet umfasst die wichtigsten Städte (Deir Ez-Zor, Mayadin und Al-Bukamal) und die logistische Route, die die von der Regierung kontrollierten Gebiete mit der syrisch-irakischen Grenze verbindet. Der östliche Teil des Gouvernements - die meisten Gebiete östlich des Euphrat - wird von den kurdisch dominierten SDF und ihren Verbündeten in der US-geführten Koalition kontrolliert (EUAA 9.2022; vergleiche JfS 12.1.2021). Da die SDF ihre Einflusssphären in der Region von der östlichen Seite her bis zum Euphrat ausdehnten, ist das al-Omar-Feld nun als die größte US-Militärbasis in Syrien bekannt. Das Feld im Osten von Deir ez-Zor ist das größte Ölfeld in Syrien (Enab 23.9.2022; vergleiche EUAA 9.2022).

Der Euphrat markierte bisher die Grenze zwischen dem russischen und dem US-Einflussgebiet im Bürgerkriegsland Syrien. Westlich des Flusses besitzt Russland die Lufthoheit und unterstützt mit seinen Kampfjets die eigenen Truppen in Syrien und die Armee von Machthaber Bashar al-Assad. Östlich des Stroms herrschten bisher die USA und ihre kurdischen Partner. Doch diese Abmachung bröckelt, weil Russland den militärischen Druck auf die USA in Syrien erhöht, um die Amerikaner aus dem Land zu drängen. Washington schickt nun zusätzliche Kampfflugzeuge (Die Presse 22.6.2023).

Die Bemühungen der Regierung Syriens in den 2017 vom IS zurückeroberten Gebieten die Kontrolle zu übernehmen, sind begrenzt, was der lokalen regierungsfreundlichen Miliz, den Nationalen Verteidigungskräften (NDF - National Defence Forces), freie Hand ließ und zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen führte, darunter Plünderungen und die gewaltsame Aneignung von zivilem Eigentum (WI 4.9.2020). Das vom Regime kontrollierte Deir ez-Zor wird von einem komplizierten Geflecht lokaler und anderer Sicherheitskräfte überwacht, von denen viele auch wichtige soziale und wirtschaftliche Funktionen in ihren Städten erfüllen. Stammesmilizen, die mit den NDF verbündet sind, Geheimdienstoffiziere und ihre Milizen, Freiwillige und Wehrpflichtige der Republikanischen Garde sowie der syrischen Armee (Syrische Arabische Armee -SAA) sowie eine Vielzahl ausländischer und syrischer Milizen, die unter anderem mit Iran verbündet sind, bemannen Außenposten und verwalten Städte im gesamten Gouvernement. Die Spannungen zwischen den lokalen Sicherheitskräften und der von Damaskus aus kommandierten SAA haben in den Jahren nach der Befreiung der Provinz vom IS stetig zugenommen (MEI 19.4.2021). Nach März 2019 ist die Präsenz der syrischen Regierung in den westlichen Teilen des Gouvernements Deir Ez-Zor begrenzt geblieben, was zu einer iranisch-russischen Konkurrenz um Ressourcen und Land führte (WI 4.9.2020).

Das Gebiet von Deir ez-Zor galt im Jahr 2019 als Kerngebiet der IS-Aktivität in Syrien, vor allem die Gebiete im Süden von Bosaira in Richtung Diban (BBC 27.10.2019). Der IS konnte im Jahr 2020 seinen Aufstand und seine klandestinen Operationen geringer Intensität in Zentralsyrien ausweiten und hat im ganzen Land Hochburgen und Zufluchtsorte errichtet, auch in der ostsyrischen Wüste und im von den SDF kontrollierten Teil von Deir ez-Zor (ICCT 28.6.2022). Die IS-Bewegung hat vor allem in der Wüstenregion Badia entlang der syrischen-irakischen Grenze wieder zugenommen, was Experten zu Folge zu weiteren IS-Angriffen im Nordosten Syriens führen könnte. Der IS bedroht nach wie vor fast alle Parteien in Syrien. Die Spannungen zwischen den verschiedenen Fraktionen im syrischen Konflikt und das fragile Sicherheitsumfeld haben es dem IS ermöglicht, zu wachsen und sich durch die verschiedenen Kontrollgebiete zu bewegen (CC 3.11.2022; vergleiche NI 8.8.2022). Die Wüste ist gebirgig und dünn besiedelt, und es hat keine systematische, anhaltende Militär- und Sicherheitskampagne gegeben, um die Kämpfer aufzuspüren, und aus diesen unmöglich zu kontrollierenden Gebieten zu vertreiben (NI 8.8.2022). In den Jahren 2020 und 2021 wurden regelmäßige Aktivitäten von Schläferzellen in den von den SDF kontrollierten Gebieten gemeldet, wobei sich die Sicherheitslage um Deir ez-Zor und in den Gebieten um Shaddadi verschlechtert hat (ICCT 28.6.2022). Das Tal des mittleren Euphrat und die Wüstengebiete im Gouvernement Deir ez-Zor werden als IS-Unterstützungsgebiet beschrieben, das seine Mitglieder nutzen können, um Sicherheitsoperationen zu umgehen und Waffen, Ausrüstung und Personal über die syrisch-irakische Grenze zu bringen (USDOD 3.11.2020). Für den Zeitraum Juli bis September 2022 sind z. B. eine Reihe von sicherheitsrelevanten Vorfällen mit dem IS im Gouvernement Deir ez-Zor verzeichnet:

CC 3.11.2022

Der IS nutzt die Gebiete in der syrischen Wüste im Gouvernement Deir ez-Zor als sicheren Zufluchtsort und als Basis für Angriffe auf die Streitkräfte der Regierung und die SDF (UNSC 3.2.2021) sowie auf iranische Milizen und russische Streitkräfte. Auch wurde von Angriffen auf Arbeiter der Ölfelder in Deir ez-Zor berichtet (AM 29.12.2021). Die Sicherheitslage in Deir ez-Zor wird demnach durch Angriffe des IS gegen Regierungstruppen (NPA 13.11.2021; vergleiche Asharq 30.8.2021) beeinträchtigt, sowie auch durch Angriffe des IS auf die SDF bzw. durch Operationen der SDF gegen den IS, z.T. unter Beteiligung von US-Streitkräften (MEMO 29.12.2021; vergleiche K24 23.9.2021, BAMF 20.12.2021, USDOD 3.11.2021). Die Beeinträchtigung resultiert auch aus den mit dem Iran zusammenhängenden Sicherheitsvorfällen (hauptsächlich US-amerikanische und israelische Luftangriffe) in den von der Regierung Syriens kontrollierten Teilen des Gouvernements (AnA 13.1.2021; vergleiche ACLED 13.10.2021, AC 18.5.2021, EUAA 9.2022). Im April und Mai 2021 kam es in Deir ez-Zor zu zahlreichen Tötungen, die häufig auf IS-Aktivitäten zurückgeführt wurden (EUAA 9.2022; vergleiche UNSC 17.6.2021). Die SDF führten mehrere Razzien gegen den IS durch, die sich sowohl auf das nördliche und nordöstliche als auch auf das östliche und nordwestliche Umland von Deir ez-Zor konzentrierten (EUAA 9.2022; vergleiche ANHA 11.5.2021). Auch für das erste Halbjahr 2022 registrierte der UN-Sicherheitsrat eine Konzentration von IS-Aktivitäten im Gouvernement Deir ez-Zor (EUAA 9.2022). Der Osten des Gouvernements gilt als das Gebiet, in dem die Autorität der SDF am schwächsten ist (EUAA 9.2022). Im dritten Quartal 2022 gab es einen Rückgang an offiziellen Meldungen bezüglich Sicherheitsvorfällen in Zusammenhang mit dem IS - 144 sicherheitsrelevante Ereignisse statt 185 im vorherigen Quartal. Allerdings wurden im September 2022 61 IS-bezogene Konfliktereignisse gemeldet, verglichen mit 34 im Juli 2022, was darauf hindeutet, dass die IS-Aktivität weiter zunehmen könnte, wenn sie nicht kontrolliert wird. Analysten argumentieren, dass sich die Gruppe ohne kontinuierliche militärische Gegenmaßnahmen neu formieren wird (CC 3.11.2022).

Der IS hat großteils darauf verzichtet, die Verantwortung für seine Angriffe zu übernehmen, und widersprüchliche Berichte erschweren die Verifizierung von IS-Aktivitäten (CC 5.8.2022). Dass der IS nach wie vor eine Bedrohung darstellt, und darüber hinaus auch die Gefahr besteht, dass er nun besser in der Lage sein könnte, größere Operationen durchzuführen oder die Dynamik seiner Angriffe zu erhöhen, zeigt sich auch in Zusammenhang mit dem Sina'a-Anschlag vom Januar 2022 (ICCT 28.6.2022).

Als Reaktion auf einen Angriff durch eine Drohne iranischer Machart mit einem Toten auf einen US-Stützpunkt in al-Hassakah führten US-Streitkräfte im März 2023 mehrere Gegenschläge auf Stellungen pro-iranischer Gruppen in den Städten Deir ez-Zour, Abu Kamal und Majadin in der Provinz Deir ez-Zour durch. Ein weiterer (pro-)iranischer Angriff zielte auf eine US-Stellung beim Ölfeld al-Omar (TAZ 24.3.2023). Laut US-Angaben starben bei den US-Luftschlägen insgesamt 19 Personen (Ha'aretz 4.4.2023):

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Rechtsschutz/Justizwesen

Nordost-Syrien

Letzte Änderung 2023-07-13 16:43

In Gebieten unter Kontrolle der sogenannten „Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien“ übernimmt diese quasi-staatliche Aufgaben wie Verwaltung und Personenstandswesen (AA 29.3.2023). Es wurde eine von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) geführte Verwaltung geschaffen, die neben diesen Rechtsinstitutionen auch eine eigene Polizei, Gefängnisse und Ministerien umfasst (AI 12.7.2017). Das Justizsystem in den kurdisch kontrollierten Gebieten besteht aus Gerichten, Rechtskomitees und Ermittlungsbehörden (USDOS 20.3.2023). Juristen, welche unter diesem Justizsystem agieren, werden von der syrischen Regierung beschuldigt, eine illegale Justiz geschaffen zu haben. Richter und Justizmitarbeiter sehen sich mit Haftbefehlen der syrischen Regierung konfrontiert, verfügen über keine Pässe und sind häufig Morddrohungen ausgesetzt (JS 28.10.2019).

In den Gebieten unter der Kontrolle der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (engl. Abk.: AANES) - auch kurd. "Rojava" genannt, setzten die Behörden einen Rechtskodex basierend auf einem "Gesellschaftsvertrag" ("social contract") durch. Dieser besteht aus einer Mischung aus syrischem Straf- und Zivilrecht und Gesetzen, die sich in Bezug auf Scheidung, Eheschließung, Waffenbesitz und Steuerhinterziehung an EU-Recht orientieren. Allerdings fehlen gewisse europäische Standards für faire Verfahren, wie das Verbot willkürlicher Festnahmen, das Recht auf gerichtliche Überprüfung und das Recht auf einen Anwalt (USDOS 20.3.2023). Zudem mangelt es an der Durchsetzung der Rechte für einen fairen Prozess (NMFA 6.2021).

Leute, die im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren gesucht werden, erhalten keine Vorladung, sondern werden einfach verhaftet. In Pressekonferenzen der Asayish werden nur Verhaftungen von Verdächtigen in Strafverfahren vermeldet - nicht die Verhaftungen von Personen, welche wegen ihrer Meinungsäußerungen festgenommen oder die entführt wurden (NMFA 6.2021). Die SDF (Syrian Democratic Forces) führen Massenverhaftungen gegen ZivilistInnen, einschließlich AktivistInnen, JournalistInnen und LehrerInnen durch. Ende Juli 2022 verhafteten die SDF inmitten erhöhter Spannungen mit der Türkei 16 AktivistInnen und MedienmitarbeiterInnen unter dem Vorwurf der "Spionage" (HRW 12.1.2023).

Verfahren gegen politische Gefangene werden in der Regel vor Strafgerichten oder vor einem Gericht für Terrorismusbekämpfung verhandelt. In Strafgerichten können Inhaftierte einen Anwalt beauftragen, in Gerichten für Terrorismusbekämpfung geht dies laut International Center for Transitional Justice (ICTJ) nicht und auch eine Berufung ist nicht möglich. Die meisten Inhaftierten werden nicht vor Gericht gestellt, sondern entweder freigelassen - oft unter Bedingungen, die mit Stammesführern ausgehandelt wurden - oder die Betroffenen verschwinden unter Gewaltanwendung (NMFA 6.2021).

Im März 2021 einigten sich Repräsentanten von kurdischen, jesidischen, arabischen und assyrischen Stämmen im Nordosten Syriens auf die Einrichtung eines Stammesgerichtssystems, bekannt als "Madbata", für die Klärung von intertribalen Streitigkeiten, Raubüberfällen, Rache und Plünderungen in der Jazira-Region in der Provinz Hassakah. Es besteht aus einer Reihe von Gesetzen und Bräuchen, die als Verfassung dienen, welche die Stammesbeziehungen regeln und die Anwendung dieser Gesetze überwachen, auf die sich eine Gruppe von Stammesältesten geeinigt hat. Aufgrund von schlechten Sicherheitsbedingungen und dem Fehlen einer effektiven und unparteiischen Justiz wurde wieder auf dieses traditionelle Rechtssystem zurückgegriffen (AM 4.4.2021).

Umgang mit ehemaligen in- und ausländischen IS-Kämpfern, -Mitgliedern, und -Familienangehörigen

Das sogenannte Volksverteidigungsgericht (People's Defense Court) als Spezialgericht für Terrorismusstraftaten weist Verletzungen der Bedingungen für faire Gerichtsprozesse auf (NMFA 5.2022, Haaretz 8.5.2018). Zum Beispiel wird einer erstmaligen Anklage oft eher eine Hilfe oder Anleitung für die DeliquentInnen statt einer Strafe beschlossen (NMFA 5.2022). Durch den Fokus auf Konfliktlösung und milde Strafurteile versucht die AANES Brücken zur ihnen misstrauenden arabischen Bevölkerungsmehrheit in Ostsyrien zu bauen, ihre Regierungskompetenz gegenüber der lokalen Bevölkerung hervorzuheben und internationale Legitimität zu gewinnen. Die Todesstrafe wurde abgeschafft. Die Höchststrafe ist eine lebenslange Freiheitsstrafe, de facto eine zwanzigjährige Haftstrafe. Gerichtsurteile werden bei guter Führung, oder wenn sich der Angeklagte selbst den kurdischen Behörden gestellt hat, gemildert. 2017 gab es Versöhnungs- und Vermittlungsversuche mit großen arabischen Stämmen. Über 80 IS-Kämpfer erhielten eine Amnestie, um gute Beziehungen zu schaffen, und andere dazu zu bringen, sich zu stellen. Das Gericht ist auch weder von den syrischen Behörden noch von der internationalen Gemeinschaft anerkannt (Ha'aretz 8.5.2018).

Viele europäische Länder sind weiterhin zurückhaltend, was die Rückholung ihrer StaatsbürgerInnen betrifft. Gleichzeitig wird die Verurteilung vor syrischen und irakischen Gerichten nicht als den Standards der internationalen Menschenrechte entsprechend angesehen, und die Chancen, ein internationales Tribunal vor Ort zu etablieren sind gering. So stellt die Autonome Administration ehemalige IS-Kämpfer vor provisorische Tribunale. Bis März 2021 kam es zu 8.000 Verurteilungen von Syrern in Zusammenhang mit dem IS, Jabhat an-Nusra Anmerkung, an-Nusra Front) und Fraktionen der Syrian National Army, wie der Hamza Division und der Suleyman Shah Brigade (ICCT 16.3.2021).

53.000 Personen, darunter etwa 11.000 ausländische Staatsangehörige aus rund 60 verschiedenen Ländern, darunter auch Österreich, werden im Lager al-Hol festgehalten (Standard 7.11.2022). 80 % von ihnen sind Frauen und Kinder von Mitgliedern des Islamischen Staats (SHRC 1.2023). SNHR geht von "Zehntausenden syrischen BürgerInnen" und "Tausenden anderen" in al-Hol aus, die ohne gesetzliche Basis und ohne Haftbefehl festgehalten werden. Die meisten befinden sich seit Jahren in dem Lager. Die Lebensbedingungen, einschließlich der Mangel an Lebensmitteln und medizinischer Versorgung, werden z. B. von SNHR (SNHR 17.1.2023) wie auch von Ärzte ohne Grenzen schärfstens kritisiert. Aktuell sind 64 % der Menschen in al-Hol Kinder. Für sie ist das Leben in dem Camp besonders gefährlich, so Ärzte ohne Grenzen. Im Jahr 2021 kamen 79 Kinder zu Tode - mehr als ein Drittel aller im Jahr 2021 Verstorbenen waren Kinder unter 16 Jahren. Die häufigste Todesursache (38 %) in Al-Hol ist der Tod infolge von Verbrechen. Zusätzlich zu den 85 kriminalitätsbedingten Todesfällen wurden in dem Lager 2021 auch 30 Mordversuche gemeldet (Standard 7.11.2022).

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Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen

Letzte Änderung 2023-07-17 16:14

Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie die militärischen und zivilen Geheimdienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen (AA 29.3.2023). Die Regierung hat die effektive Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte, und setzt diese zur Ausübung von Menschenrechtsverletzungen ein. Sie hat jedoch nur beschränkten Einfluss auf ausländische militärische oder paramilitärische Einheiten, z.B. russische Streitkräfte, die mit dem Iran verbündete Hizbollah und die iranischen Islamischen Revolutionsgarden, deren Mitglieder ebenfalls zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begingen (USDOS 20.3.2023).

Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden bleibt ein weitverbreitetes Problem bei Sicherheitskräften, NachrichtendienstmitarbeiterInnen und auch sonst innerhalb des Regimes. In der Praxis sind keine Fälle von Strafverfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Misshandlungen bekannt. Es gibt auch keine Berichte von Maßnahmen der Regierung, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu verbessern (USDOS 20.3.2023), wenngleich im März 2022 ein neues Gesetz gegen Folter verabschiedet wurde (HRW 12.1.2023). Verschiedene Teile des Sicherheitsapparats wie die Streitkräfte sind de facto weiterhin von Strafverfolgung ausgenommen - ebenso wie Gefängnisse, wo Zehntausende gefoltert wurden und werden (OSS 18.1.2023), was durch Dekrete gedeckt ist, (OSS 1.10.2017), während die Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen kriminalisiert wird (USDOS 20.3.2023). Die Nachrichtendienste haben ihre traditionell starke Rolle verteidigt oder sogar weiter ausgebaut (AA 29.11.2021)AA 29.3.2023) und greifen in die Unabhängigkeit des Justizwesens ein, indem sie RichterInnen und AnwältInnen einschüchtern (USDOS 20.3.2023). Durch die Entwicklungen der letzten Jahre sind die Schutzmöglichkeiten des Individuums vor staatlicher Gewalt und Willkür – welche immer schon begrenzt waren – weiterhin deutlich verringert worden (AA 29.3.2023).

Es ist schwierig, Informationen über die Aktivitäten von spezifischen Regierungs- oder regierungstreuen Einheiten zu spezifischen Zeiten oder an spezifischen Orten zu finden, weil die Einheiten seit dem Beginn des Bürgerkrieges oft zu Einsätzen organisiert („task-organized“), bzw. aufgeteilt oder für spezielle Einsätze mit anderen Einheiten zusammengelegt werden. Berichte sprechen oft von einer speziellen Militäreinheit an einem bestimmten Einsatzort (z. B. einer Brigade), wobei die genannte Einheit aus Teilen mehrerer verschiedener Einheiten nur für diesen speziellen Einsatz oder eine gewisse Zeit zusammengestellt wurde (Kozak 28.12.2017).

Trotz grob abgesteckter Einflussgebiete überschneiden sich die Gebiete der Sicherheitsorgane und ihrer Milizen, und es herrscht Konkurrenz um Checkpoints und Handelsrouten, wo sie von passierenden ZivilistInnen und Geschäftsleuten Geld einnehmen, sowie um Gebiete, welche Rekrutierungspools von ehemaligen Oppositionskämpfern darstellen. Die Spannungen zwischen Offizieren, Soldaten, Milizionären und lokaler Polizei eskalieren in Verhaftungen niederrangiger Personen, Angriffen und Zusammenstößen sowie Anschuldigungen zufolge in Ermordungen der von der Konkurrenz angeworbenen "versöhnten" ehemaligen Oppositionskämpfer (TWP 30.7.2019). So ist z. B. Aleppo Stadt Schauplatz fallweiser Zusammenstöße zwischen Regierungsmilizen untereinander und mit Regierungssoldaten (ICG 9.5.2022).

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Streitkräfte

Letzte Änderung 2023-07-17 16:14

Die syrischen Streitkräfte bestehen aus dem Heer, der Marine, der Luftwaffe, den Luftabwehrkräften und den National Defense Forces (NDF, regierungstreue Milizen und Hilfstruppen). Aktuelle Daten zur Anzahl der Soldaten in der syrischen Armee existieren nicht. Vor dem Konflikt soll die aktive Truppenstärke geschätzt 300.000 Personen umfasst haben (CIA 7.2.2023). Zu Jahresbeginn 2013 war etwa ein Viertel bis ein Drittel aller Soldaten, Reservisten und Wehrpflichtigen desertiert, bzw. zur Opposition übergelaufen (zwischen 60.000-100.000 Mann). Weitere rund 50.000 Soldaten fielen durch Verwundung, Invalidität, Haft oder Tod aus. Letztlich konnte das Regime 2014 nur mehr auf rd. 70.000 bis 100.000 loyale und mittlerweile auch kampferprobte Soldaten zurückgreifen (BMLV 12.10.2022). 2014 begann die syrische Armee mit Reorganisationsmaßnahmen (MEI 18.7.2019), und seit 2016 werden irreguläre Milizen in die regulären Streitkräfte integriert, in einem Ausmaß, das je nach Quelle unterschiedlich eingeschätzt wird (CMEC 12.12.2018; Üngör 15.12.2021; Voller 9.5.2022). Mit Stand Dezember 2022 werden die regulären syrischen Streitkräfte immer noch von regierungsfreundlichen, proiranischen Milizen unterstützt, deren Truppenstärke in die Zehntausende gehen dürfte (CIA 7.2.2023). Das Offizierskorps gilt in den Worten von Kheder Khaddour als kleptokratisch, die die Armee als Institution ausgehöhlt. Den Offizieren bleibt nichts übrig, als sich an den Regimenetzwerken zu beteiligen und mit Korruption ihre niedrigen Gehälter aufzubessern. Die Praxis der Bestechung der Offiziere durch Rekruten gegen ein Decken ihrer Abwesenheit vom Dienst durch Offiziere ist so verbreitet, dass sie im Sprachgebrauch als tafyeesh oder feesh (Bezeichnung für den Personalakt, der bei einem Offizier aufliegt) bezeichnet wird. Auch der Einsatz von Rekruten für private Arbeiten für die Offiziere und deren Familien kommt vor - ebenso wie die Annahme von Geschenken oder lokalen Lebensmittelspezialitäten (CMEC 14.3.2016). Die Höhe der Geldsummen für Tafyeesh [Anm.: im Artikel auf eingezogene Reservisten und Soldaten bezogen] variieren zwar nach Einheit und Offizier, aber aufgrund der Verschlechterung der Lebensbedingungen und der zunehmenden geheimdienstlichen Kontrolle über die Militäreinheiten stiegen die verlangten Preise für Tafyeesh seit Anfang 2023, was diejenigen, welche sich dies nicht mehr leisten konnte, dazu veranlasste, zu ihren Einheiten zurückzukehren. Der Hintergrund für die monetäre Abgeltung für das Decken der abwesenden Soldaten durch ihre Offiziere ist, dass die Militärs mindestens zweimal so viel Geld benötigen, als die Löhne im öffentlichen Dienst ausmachen, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien abzudecken. Das führt dazu, dass Männer im Reserve- oder Militärdienst (retention service) mit unbestimmter Dauer auf Tafyeesh zurückgreifen. Einem Präsidialdekret von Ende Dezember 2022 zufolge verdient z.B. ein Oberleutnant regulär umgerechnet 17 US-Dollar monatlich und ein Brigadegeneral 43,5 US-Dollar pro Monat, während SoldatInnen entsprechend weniger verdienen als die Offiziersränge (Enab 7.2.2023, zu weiteren Formen der Korruption durch Mitglieder des Sicherheitsapparats siehe auch Kapitel Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung). Aufgrund der Stationierung (Hauptquartier u.a.) von Divisionen in bestimmten Gebieten im Rahmen des Quta'a-Systems [arab. Sektor, Landstück] verfügen die Divisionskommandanten über viel Freiraum in ihrer Befehlsgewalt wie auch für persönliche Vorteile. Diese Strukturierung kann von Bashar als-Assad auch genutzt werden, den Einfluss einzelner Divisionskommandeure einzuschränken, indem er sie gegeneinander ausspielt, um so das System auch zur Prävention von Militärputschen zu nutzen (CMEC 14.3.2016).

Die syrische Armee war der zentrale Faktor für das Überleben des Regimes während des Bürgerkriegs. Im Laufe des Krieges hat ihre Kampffähigkeit jedoch deutlich abgenommen (CMEC 26.3.2020a) und mit Stand September 2022 war die syrische Armee in jeglicher Hinsicht grundsätzlich auf die Unterstützung Russlands, Irans bzw. sympathisierender, vornehmlich schiitischer Milizen angewiesen – d. h. ein eigenständiges Handeln, Durchführung von Militäroperationen usw. durch Syrien sind nicht oder nur in äußerst eingeschränktem Rahmen möglich (BMLV 12.10.2022).

Das syrische Regime und damit auch die militärische Führung unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und 'rein militärischen Zielen' (BMLV 12.10.2022). Nach Experteneinschätzung trägt jeder, der in der syrischen Armee oder Luftwaffe dient, per defintionem zu Kriegsverbrechen bei, denn das Regime hat in keiner Weise gezeigt, dass es das Kriegsrecht oder das humanitäre Recht achtet. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass eine Person in eine Einheit eingezogen wird, auch wenn sie das nicht will, und somit in einen Krieg, in dem die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kämpfern nicht wirklich ernst genommen wird (Üngör 15.12.2021). Soldaten können in Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen verwickelt sein, weil das Militär in Syrien auf persönlichen Vertrauensbeziehungen, manchmal auch auf familiären Netzwerken innerhalb des Militärs beruht. Diejenigen, die Verbrechen begehen, handeln innerhalb eines vertrauten Netzwerks von Soldaten, Offizieren, Personen mit Verträgen mit der Armee und Zivilisten, die mit ihnen als nationale Verteidigungskräfte oder lokale Gruppen zusammenarbeiten (Khaddour, Kheder 24.12.2021).

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Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste, Polizei

Letzte Änderung 2023-07-17 16:14

Die vier wichtigsten Sicherheits- und Nachrichtendienste sind der Militärische Nachrichtendienst, der Nachrichtendienst der Luftwaffe, das Direktorat für Politische Sicherheit und das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat. Dazu kommen noch die Abteilung für Kriminalsicherheit und der Zoll, der über mehr Einfluss verfügt, als gemeinhin erwartet (EIP 7.2019). Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen (USDOS 20.3.2023). Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhöreinrichtungen, bei denen es sich de facto um weitgehend rechtsfreie Räume handelt. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle im Zuge des Konfliktes verteidigt oder sogar weiter ausgebaut (AA 29.3.2023). Vor 2011 war die vorrangige Aufgabe der Nachrichtendienste die syrische Bevölkerung zu überwachen. Seit dem Beginn des Konfliktes nutzt Assad den Sicherheitssektor, um die Kontrolle zu behalten. Diese Einheiten überwachten, verhafteten, folterten und exekutierten politische Gegner sowie friedliche Demonstranten. Um seine Kontrolle über die Sicherheitsdienste zu stärken, sorgte Assad für Feindschaft und Konkurrenz zwischen den Diensten. Dies fördert Nepotismus und Patronage wie auch böswilliges Melden wahrgenommener Opponenten sowie Erpressung bzw. Ausbeutung von Geschäftsleuten und BürgerInnen, welche für viele Genehmigungen und Lizenzen auf die Genehmigung der Sicherheitsdienste angewiesen sind. Auch werden hohe Summen für die Freilassung von Inhaftierten oder für Informationen über das Schicksal von Gefangenen erpresst (EIP 7.2019). Auch in der Polizei ist Korruption allgegenwärtig (USDOS 20.3.2023).

Anmerkung, zur Korruption durch Mitglieder des Sicherheitsapparats siehe auch Kapitel Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung.

Die Sicherheitskräfte nutzen eine Reihe an Praktiken, um Bürger einzuschüchtern oder zur Kooperation zu bringen. Diese Techniken beinhalten im besten Fall Belohnungen, jedoch auch Zwangsmaßnahmen wie Reiseverbote, Überwachung, Schikanen von Individuen und/oder deren Familienmitgliedern, Verhaftungen, Verhöre oder die Androhung von Inhaftierung. Die Zivilgesellschaft und die Opposition in Syrien sind Ziel spezieller Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte, aber auch ganz im Allgemeinen müssen Gruppen und Individuen mit dem Druck der Sicherheitsbehörden umgehen (GS 11.2.2017; für nähere Informationen siehe Kapitel Menschenrechte), wobei Gebiete, in denen es in der Vergangenheit viele Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten gab, wie z. B. Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs, nun unter verstärkter Beobachtung der Geheimdienste stehen. Dort ist der Druck auf RückkehrerInnen auch nach bestandener Sicherheitsüberprüfung umfassend als InformantInnen zu fungieren (Üngör 15.12.2021).

In den letzten Jahren baute das syrische Regime seine Sicherheitsdienste um, indem es neue "Loyalisten" in leitende Sicherheitspositionen berufen hat. Es handelt sich um Personen, die sich durch ihre Rolle bei der Eskalation der Gewalt nach 2011 einen Namen machten, und gegen die das Regime in Form von Akten über Korruption erhebliche Druckmittel besitzt. Dies wurde als gewisse Stärkung der syrischen Position gegenüber der russisch-iranischen Konkurrenz bei der Gestaltung der syrischen Sicherheitsstrukturen gewertet (Clingendael 5.2020). Im Jahr 2022 erfolgten weitere Personalrochaden in den Führungsbereichen der Nachrichtendienste. Die Neu- und Umbesetzungen sollen eine Nichtbeteiligung der beförderten Offiziere an der Gewalt seit 2011 suggerieren (OSS 18.1.2023). Die Führung der Sicherheitsdienste hat oft enge familiäre und persönliche Beziehungen zum Präsidenten, der Alawit ist. Im Allgemeinen sind diese Behörden weitgehend mit Personen aus Gemeinschaften besetzt, die historisch der herrschenden Familie gegenüber loyal sind. Das klarste Beispiel hierfür ist die unverhältnismäßig große Anzahl an Alawiten, die im Sicherheitssektor arbeiten (SJAC 1.4.2019).

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Regierungstreue Einheiten, ausländische Kämpfer, russischer und iranischer Einfluss

Letzte Änderung 2023-07-17 16:14

Nach Massendesertionen [Anm.: in den Jahren 2011/2012] suchte Assad die Hilfe lokaler und schlussendlich auch ausländischer paramilitärischer Gruppen. Die Regierung begann dann mit der Formalisierung und Professionalisierung der hunderten Selbstverteidigungsmilizen und quasi-kriminellen Banden - bekannt als Schabiha durch die Schaffung einer nationalen Dachorganisation unter der Bezeichnung Nationale Selbstverteidigungskräfte (NDF - National Defence Forces) am 5.8.2013 mittels Legislativdekret 55 (Clingendael 29.3.2022). Der Iran und die libanesische Hizbullah spielten eine wichtige Rolle bei der Gründung der NDF nach dem Vorbild der iranischen paramilitärischen Basij-Einheiten (ISW 3.2017).

Zusätzlich zu den NDF schlossen sich weitere paramilitärische Organisationen mit unterschiedlichen ideologischen Ausrichtungen der Regierungsseite an, wie z. B. die Eagles of the Whirlwind (pan-syrischer Nationalismus), die Ba'ath Brigade (syrisch-arabische Vormachtstellung) sowie halb angeschlossene Armeeeinheiten wie die Qalamoun Shield Forces. In einigen Gebieten wie z. B. an der Küste und in einigen Religionsgemeinschaften wurden bewaffnete Organisationen ("coercive organisations") gegründet, um spezifische lokale Bevölkerungsgruppen zu beschützen (Clingendael 29.3.2022; Anmerkung, Dort findet sich auch eine Grafik mit einer ideologischen Einordnung einer Anzahl der in diesem Abschnitt genannten Gruppen).

Pro-Regime Milizen wie die NDF (National Defence Forces - Nationale Selbstverteidigungskräfte) wurden integriert und führten ähnliche Aufgaben ohne definierte Zuständigkeiten aus (USDOS 20.3.2023) und stellen mittlerweile selbst eine Bedrohung der staatlichen Souveränität dar, weil sie an Größe, Anzahl und Einfluss gewonnen haben (CMEC 26.3.2020a). Sie stellen für die Regierung jedoch auch eine Konkurrenz dar, z. B. in Zusammenhang mit der Rekrutierung, weil die Milizen teilweise über eine bessere Finanzierung verfügen, und somit einen höheren Sold bezahlen können. Manche der bewaffneten Gruppen kritisieren die syrische Regierung und ihre Geheimdienste auch vergleichsweise offen (FIS 14.12.2018).

Quasi-Regierungs- und Hybrid-Organisationen gehören nun fix zu den syrischen Sicherheitsstrukturen. Mit dem Rückgang der Kämpfe seit 2018 versucht Assad die Kontrolle über diese Gruppen zu verstärken, indem führende Mitglieder in die regierende Elite z. B. via Parlamentswahlen integriert werden [Anm.: siehe dazu auch Kapitel Politische Lage]. Bei den pro-iranischen Gruppen stößt Assad jedoch auf erhebliche Hindernisse bei der Eingliederung in seinen Sicherheitsapparat (Clingendael 29.3.2022), und der Iran verfügt mittlerweile über mindestens 300 Militärstellungen in Syrien und seine Milizen über die de-facto-Kontrolle von strategisch wichtigen Gebieten (TJF 11.3.2022).

Die traditionelle Strategie des Iran besteht darin, parallele nicht-staatliche Militärstrukturen zu schaffen und zu entwickeln, die dem syrischen Staat nicht direkt unterstellt und dem Iran gegenüber loyaler sind als dem syrischen Zentralkommando (CMEC 26.3.2020a). Die wachsende Rolle des Iran im Konflikt führte zum Einsatz von iranisch gesponsorten, hauptsächlich schiitischen Gruppen zur Unterstützung der Assad-Herrschaft, darunter die libanesische Hizbullah oder die Harakat Hezbollah an-Nujaba (aus dem Irak). Diese Organisationen sind tendenziell religiös ausgerichtet und bestehen vor allem aus ausländischen Kämpfern (Clingendael 29.3.2022). Die iranische Koalition besteht aus iranischen Kämpfern (Teileinheiten der Iranischen Revolutionswächter und regulären iranischen Streitkräften - sogenannte "Artesh"-Kämpfer) und ausländischen Kämpfern, darunter Iraker (ISW 3.2017), Pakistanis und Afghanen (TJF 11.3.2022). Iranische Offiziere unterstützen auch Einheiten der syrischen Armee, regierungstreue Milizen, die (libanesischen) Hizbullah sowie irakische schiitische Milizen bei der Planung und Koordination von Einsätzen. Die afghanischen und pakistanischen Kämpfer werden von den iranischen Einheiten rekrutiert, ausgebildet, versorgt und ihre Führung im Kampf wird von iranischer Seite organisiert (KAS 4.12.2018).

Russland konzentriert sich vor allem auf den Aufbau von staatlichen Institutionen, während der Iran auch Einfluss außerhalb syrischer staatlicher Institutionen ausübt. Sie sind in Syrien Kooperationspartner und Konkurrenten in einem. Russland ist dabei im Rahmen seiner Bemühung um die Stärkung des Souveränitätsprinzips besonders in den Wiederaufbau der syrischen Streitkräfte involviert (Clingendael 5.2020). Im Oktober 2015 wurde das sogenannte Vierte Korps (Fourth Storming Corps/Fourth Assault Corps) und im November 2016 das Fünfte Korps ("Fifth Storming Corps"/"Fifth Assault Corps") gegründet (Kozak 3.2018). In das Vierte Korps wurden neben bereits existenten Einheiten aus den syrischen Streitkräften auch irreguläre Einheiten aus NDF-Mitgliedern und Wehrpflichtigen aus Lattakia aufgenommen (CMEC 26.3.2020b). Das Fünfte Korps besteht ausschließlich aus Freiwilligen, einerseits aus verschiedenen Einheiten der syrischen Armee, andererseits vor allem aber aus irregulären Einheiten wie den NDF oder loyalen Ba'ath-Bataillonen. Rekrutiert wurde in ganz Syrien. 2018 wurden auch ehemalige Rebellen aus der Provinz Dara’a in das Fünfte Korps integriert. Zu Beginn oblag das Kommando vollständig dem russischen Militär. Mittlerweile haben russische Berater weniger Einfluss (CMEC 26.3.2020b).

Angesichts der Sensibilität der russischen öffentlichen Meinung in Bezug auf militärische Verluste sind viele der in Syrien kämpfenden russischen Söldner offiziell auf Eigeninitiative aktiv, aber gehören in Wirklichkeit zu privaten Militärunternehmen mit mutmaßlichen Verbindungen zum Kreml, wie z.B. der Wagner-Gruppe (EPRS 11.2018), denn Söldnertruppen sind in Russland eigentlich verboten. Die Wagner-Gruppe ist seit 2015 in Syrien im Einsatz (BBC 23.1.2023). Die Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen der Wagner-Gruppe führten im Jahr 2022 zu einer Einreichung einer Klage gegen die Wagner-Gruppe beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, wobei Russland bereits seinen Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention erklärt hatte. Deshalb ist es fraglich, ob der Gerichtshof noch die Möglichkeit haben wird, über den Fall zu entscheiden SJAC 22.6.2022 (SJAC 22.6.2022).

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Unterstützung mit fortschrittlichen Waffentechnologien, Spezial- und Lufteinheiten, sowie die ausgeweitete Bodenintervention Irans konnten im Jahr 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018). Das Eingreifen Russlands, des Irans und der Hizbullah bildet seit 2011 jedoch auch die wichtigste Quelle für die Erosion der Autonomie und Souveränität des syrischen Regimes: Dieses ist weiterhin abhängig von der politischen und militärischen Unterstützung Russlands und des Irans (Clingendael 5.2020). Hochrangige syrische Funktionäre erlebten durch die iranische und russische Dominanz einen Machtverlust, der wiederholt zu Spannungen in der iranisch-russisch-syrischen Militärkooperation führte. Damit einhergehend forciert der Iran seinen Einfluss auf Kultur, Gesellschaft und Religion in Syrien, was besonders bei Sunniten auf Misstrauen und Widerwillen stößt (KAS 4.12.2018). Im Zuge dessen soll es auch zu Säuberungen, Exekutionen und Versetzungen von niederrangigen wie auch höherrangigen syrischen Offizieren gekommen sein, die sich gegen die Ausweitung des iranischen Einflusses gewehrt hatten (ISW 3.2017). Im Jahr 2017 und vor allem im Jahr 2018 standen sich die verschiedenen Unterstützer des syrischen Regimes immer stärker konfrontativ gegenüber (BS 29.4.2020). Im Juni 2018 kam es beispielsweise zu einem offenen Zusammenstoß zwischen der Hizbullah und syrischen Truppen unter russischer Führung und im Januar 2019 zu Kämpfen zwischen dem Vierten (de facto iranisch kontrollierten) und dem Fünften (unter russischer Dominanz stehenden) Korps der syrischen Armee in der Provinz Hama (BS 23.2.2022). Im Dezember 2021 wurde von der Ermordung prominenter Offiziere in der Küstenregion Syriens berichtet, welche möglicherweise mit dem Machtkampf zwischen Russland und dem Iran zu tun hatten. Der Konflikt zwischen Iran und Russland wurde weiterhin auch über die vom Iran unterstützte Vierte Division, die vom Bruder des Regimepräsidenten Maher al-Assad angeführt wird, und auf das Fünften Korps, das neben mehreren anderen Brigaden Russland vertritt, ausgetragen (TSO 15.12.2021; Anmerkung, Zu den Konflikten zwischen bewaffneten Akteuren auf Regierungsseite siehe auch im Überkapitel Streitkräfte.).

Die Diversifizierung der bewaffneten Akteure im Sicherheitsapparat hat zur Etablierung lokaler, mafiaartiger Machtzentren geführt und verschafft Warlords Einfluss (BS 23.2.2022), sodass bei Übergriffen regimetreuer Milizen der Übergang zwischen politischem Auftrag, militärischen bzw. polizeilichen Aufgaben und mafiösem Geschäftsgebaren fließend ist (AA 29.3.2023).

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Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung 2023-07-14 12:20

Im März 2022 wurde ein neues Gesetz gegen Folter verabschiedet (HRW 12.1.2023). Das Gesetz Nr. 16 von 2022 sieht Strafen von drei Jahren Haft bis hin zur Todesstrafe vor (OSS 18.1.2023b). Die Todesstrafe gilt für Folter mit Todesfolge oder in Verbindung mit einer Vergewaltigung (HRW 12.1.2023). Eine lebenslange Strafe ist für Fälle vorgesehen, in welchen Kinder oder Menschen mit Beeinträchtigungen gefoltert wurden oder das Opfer einen permanenten Schaden davonträgt (OSS 18.1.2023b). Das Gesetz verbietet auch das Anordnen von Folter durch Behörden (HRW 12.1.2023). Es weist jedoch wichtige Lücken auf, und die Anwendung bleibt unklar. So werden keine Organisationen genannt, auf welche das Gesetz angewendet werden soll. Verschiedene Teile des Sicherheitsapparats einschließlich der Zollbehörden sowie die Streitkräfte sind de facto weiterhin von Strafverfolgung ausgenommen (OSS 18.1.2023), was durch Dekrete gedeckt ist (OSS 1.10.2017b, STJ 12.7.2022) - ebenso wie Gefängnisse (OSS 18.1.2023b). Dort wurden und werden Zehntausende gefoltert (OSS 18.1.2023b, FH 9.3.2023), und zahlreiche Menschen starben in der Haft oder man ließ sie "verschwinden" (FH 9.3.2023). SNHR kritisiert unter anderem, dass das Gesetz keine Folterstraftaten, die vor seinem Erlass begangen wurden, umfasst, keinen Bezug auf grausame Haftbedingungen nimmt und andere Gesetze, welche Angehörigen der vier Geheimdienste Straffreiheit gewähren, weiterhin in Kraft bleiben (SNHR 26.6.2022). Weitere NGOs kritisieren außerdem, dass das Gesetz keine konkreten Schutzmaßnahmen für Zeugen oder Überlebende von Folter sowie keine Wiedergutmachungen vorsieht, und zwar weder für frühere Folteropfer noch für die Angehörigen im Falle des Todes. Auch beinhaltet das Gesetz keine Präventionsmaßnahmen, die ergriffen werden könnten, um Folter in Haftanstalten und Gefängnissen zukünftig zu verhindern (AI 31.3.2022).

Der Einsatz von Folter, des Verschwindenlassens und schlechter Bedingungen in den Gefängnissen ist keine Neuheit seit Ausbruch des Konflikts, sondern war bereits seit der Ära von Hafez al-Assad Routinepraxis verschiedener Geheimdienst- und Sicherheitsapparate in Syrien (SHRC 24.1.2019). Folter bleibt eine der meisten schweren Menschenrechtsverletzungen durch die syrische Regierung und ist breit dokumentiert (STJ 12.7.2022). Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung u. a., sodass die Zustände insgesamt lebensbedrohlich sind. Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) fest (USDOS 20.3.2023).

Medien und Menschenrechtsgruppen gehen von der systematischen Anwendung von Folter in insgesamt 27 Einrichtungen aus, die sich alle in der Nähe der bevölkerungsreichen Städte im westlichen Syrien befinden: Zehn nahe Damaskus, jeweils vier nahe Homs, Latakia und Idlib, drei nahe Dara‘a und zwei nahe Aleppo. Es muss davon ausgegangen werden, dass Folter auch in weiteren Einrichtungen in bevölkerungsärmeren Landesteilen verübt wird (AA 29.3.2023). In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht, wo sie verschiedenen Formen von Folter unterworfen werden (SHRC 24.1.2019). Auch in den Krankenhäusern Harasta Military Hospital, Mezzeh Military Hospital 601 und Tishreen Military Hospital werden Gefangene gefoltert. Laut Berichten von NGOs gibt es zudem zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leer stehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festgehalten werden (USDOS 20.3.2023).

Laut Einschätzung des Auswärtigen Amtes unterliegen Personen, die unter dem Verdacht stehen, sich oppositionell zu engagieren oder als regimekritisch wahrgenommen werden, einem besonders hohen Folterrisiko (AA 29.3.2023). Menschenrechtsaktivisten, die Commission of Inquiry für Syrien der UN (COI) und lokale NGOs berichten von Tausenden glaubwürdigen Fällen, in denen die Behörden des Regimes Folter, Missbrauch und Misshandlungen zur Bestrafung wahrgenommener Oppositioneller einsetzen, auch bei Verhören - eine systematische Praxis des Regimes, die während des gesamten Konflikts und bereits vor 2011 dokumentiert wurde (USDOS 12.4.2022). Die willkürlichen Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch syrische Sicherheitskräfte und regierungsfreundliche Milizen betreffen auch Kinder, Menschen mit Beeinträchtigungen, RückkehrerInnen und Personen aus wiedereroberten Gebieten, die "Versöhnungsabkommen" unterzeichnet haben (HRW 12.1.2023). Auch sexueller Missbrauch einschließlich Vergewaltigungen von Frauen, Männern und Kindern wird verübt (USDOS 20.3.2023), wobei die jüngsten Betroffenen erst elf Jahre alt waren (HRW 13.1.2022). Daneben sind zahllose Fälle dokumentiert, in denen Familienmitglieder, nicht selten Frauen oder Kinder, oder auch Nachbarn für vom Regime als vermeintliche Mitwisser oder für vermeintliche Verbrechen anderer inhaftiert und gefoltert werden. Solche Kollektivhaft wird Berichten zufolge in einigen Fällen auch angewendet, wenn vom Regime als feindlich angesehene Personen Zuflucht im Ausland gesucht haben (AA 29.3.2023; vergleiche bzgl. eines konkreten Falls Üngör 15.12.2021). Das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte kam zu dem Schluss, dass Einzelpersonen zwar häufig gefoltert wurden, um Informationen zu erhalten, der Hauptzweck der Anwendung von Folter durch das Regime während der Verhöre jedoch darin bestand, die Gefangenen zu terrorisieren und zu demütigen (USDOS 12.4.2022).

Nach glaubhaften Berichten Entlassener verschwinden immer wieder Häftlinge, die zur medizinischen Versorgung in die Krankenhaus-Abteilungen der Vollzugsanstalten überstellt werden. Immer wieder kommt es zu Todesfällen bei Inhaftierten. Untersuchungen zu Todesursachen sind angesichts des beschränkten Zugangs kaum möglich, da das Regime selbst in der Regel keine Angaben zu Todesfällen in Folge von Gewaltanwendung macht, sondern zumeist unspezifische Todesursachen wie Herzversagen, Schlaganfall und Ähnliches anführt (AA 29.3.2023). Dem Syrian Network for Human Rights (SNHR) zufolge beträgt die Gesamtzahl der durch Folter seitens der syrischen Regierung seit März 2011 verstorbenen Personen mit Stand Juni 2022 14.464 Menschen, darunter 174 Kinder und 75 Frauen (SNHR 26.6.2022). Neben gewaltsamen Todesursachen ist jedoch eine hohe Anzahl der Todesfälle nach Berichten der CoI auf die desolaten Haftbedingungen zurückzuführen (AA 29.3.2023).

Die meisten der im Jahr 2020 bekannt gegebenen Todesfälle betreffen Inhaftierte aus den vergangenen neun Jahren, wobei das Regime ihre Familien erst in den Folgejahren über ihren Tod informiert, und diese nur nach und nach bekanntmacht. In den meisten Fällen werden die Familien der Opfer nicht direkt über ihren Tod informiert, weil der Sicherheitsapparat nur den Status der Inhaftierten im Zivilregister ändert. So müssen die Familien aktiv im Melderegister suchen, um vom Verbleib ihrer Angehörigen zu erfahren. In diesen Fällen wurden die sterblichen Überreste auch nicht den Angehörigen übergeben (SNHR 26.6.2022).

Laut Menschenrechtsorganisationen und Familien von Inhaftierten bzw. Verschwundenen nutzen das Regime und ein korruptes Gefängnispersonal die erheblichen Zugangsbeschränkungen und -erschwernisse in Haftanstalten, aber auch die schlechte Versorgungslage, nicht zuletzt auch als zusätzliche Einnahmequelle. Grundlegende Versorgungsleistungen sowie Auskünfte zum Schicksal von Betroffenen werden vom Justiz- und Gefängnispersonal häufig nur gegen Geldzahlungen gewährt. Zudem sei es in einigen Fällen möglich, gegen Geldzahlung das Strafmaß bzw. Strafvorwürfe nachträglich zu reduzieren und so von Amnestien zu profitieren. Ein im Dezember 2020 von der Association of Detainees and The Missing in Saydnaya Prison veröffentlichter Bericht quantifiziert anhand von Interviews mit Familienangehörigen von 508 Verschwundenen das wirtschaftliche Ausmaß dieses Systems. Anhand von Hochrechnungen auf Basis der dokumentierten Fälle geht ADMSP von Zahlungen in einer Gesamthöhe von mehr als 100 Mio. USD in Vermisstenfällen aus, bei Einberechnung aller erkauften Freilassungen von über 700 Mio. USD (AA 29.3.2023).

Eine realistische Möglichkeit zur Einforderung einer strafrechtlichen Verfolgung von Folter oder anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte besteht nicht. Gegenwärtig können sich der einzelne Bürger und die einzelne Bürgerin in keiner Weise gegen die staatlichen Willkürakte zur Wehr setzen. Bis zur Vorführung vor einem Richter können nach Inhaftierung mehrere Monate vergehen, in dieser Zeit besteht in der Regel keinerlei Kontakt zu Familienangehörigen oder Anwälten. Bereits vor März 2011 gab es glaubhafte Hinweise, dass Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschwerten, Gefahr liefen, dafür strafrechtlich verfolgt bzw. wiederholt selbst Opfer solcher Praktiken zu werden (AA 29.3.2023).

Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen, der Folter von Inhaftierten (darunter laut SNHR drei Todesfälle durch Folter im Jahr 2022), Verschwindenlassen und willkürlicher Verhaftungen beschuldigt. Opfer sind vor allem Personen, die der Regimetreue verdächtigt werden, Kollaborateure und Mitglieder von regimetreuen Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Die Berichte dazu betreffen u. a. HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham), SNA (Syrian National Army) und SDF (Syrian Democratic Forces) (USDOS 20.3.2023). ​ Im Fall von Folteropfer der SDF starben im Zeitraum Januar 2014 bis Juni 2022 SNHR zufolge mindestens mindestens 83 Menschen durch Folter, darunter ein Kind und zwei Frauen (SNHR 26.6.2022).

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Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen

Letzte Änderung 2023-07-14 13:52

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Die syrischen Streitkräfte – Wehr- und Reservedienst

Letzte Änderung 2023-07-14 13:56

Rechtliche Bestimmungen

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB Damaskus 12.2022). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Artikel 4, Litera b, gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 29.3.2023). In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden (ÖB Damaskus 12.2022). Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können (DIS 4.2023). Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert (EB 17.1.2023). Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen (DIS 4.2023).

Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind (ÖB Damaskus 12.2022).

Die im März 2020, Mai 2021 und Jänner 2022 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetz, darunter Fahnenflucht. Die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB Damaskus 12.2022).

Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen (AA 29.3.2023). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.3.2023; vergleiche ICWA 24.5.2022).

Männliche Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge, die zwischen 1948 und 1956 nach Syrien kamen und als solche bei der General Administration for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) registriert sind (NMFA 5.2022), bzw. palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht (AA 13.11.2018; vergleiche Action PAL 3.1.2023, ACCORD 21.9.2022). Ihren Wehrdienst leisten sie für gewöhnlich in einer Unterabteilung der syrischen Armee, die den Namen Palästinensische Befreiungsarmee trägt: Palestinian Liberation Army (PLA) (BAMF 2.2023, (AA 13.11.2018; vergleiche ACCORD 21.9.2022). Es konnten keine Quellen gefunden werden, die angeben, dass Palästinenser vom Reservedienst ausgeschlossen seien (ACCORD 21.9.2022; vergleiche BAMF 2.2023).

Frauen können als Berufssoldatinnen dem syrischen Militär beitreten. Dies kommt in der Praxis tatsächlich vor, doch stoßen die Familien oft auf kulturelle Hindernisse, wenn sie ihren weiblichen Verwandten erlauben, in einem so männlichen Umfeld zu arbeiten. Dem Vernehmen nach ist es in der Praxis häufiger, dass Frauen in niedrigeren Büropositionen arbeiten als in bewaffneten oder leitenden Funktionen. Eine Quelle erklärt dies damit, dass Syrien eine männlich geprägte Gesellschaft ist, in der Männer nicht gerne Befehle von Frauen befolgen (NMFA 5.2022).

Die syrische Regierung hat im Jahr 2016 begonnen, irreguläre Milizen im begrenzten Ausmaß in die regulären Streitkräfte zu integrieren (CMEC 12.12.2018). Mit Stand Mai 2023 werden die regulären syrischen Streitkräfte immer noch von zahlreichen regierungsfreundlichen Milizen unterstützt (CIA 9.5.2023). Frauen sind auch regierungsfreundlichen Milizen beigetreten. In den Reihen der National Defence Forces (NDF) dienen ca. 1.000 bis 1.500 Frauen, eine vergleichsweise geringe Anzahl. Die Frauen sind an bestimmten Kontrollpunkten der Regierung präsent, insbesondere in konservativen Gebieten, um Durchsuchungen von Frauen durchzuführen (FIS 14.12.2018).

Die Umsetzung

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).

Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen (NMFA 5.2022; vergleiche AA 29.3.2022), wobei zuletzt von einer "Verkürzung" des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden (ÖB Damaskus 12.2022). Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden (NMFA 5.2022).

Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein. Im Oktober 2021 wurde ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Einberufung von männlichen Syrern im wehrpflichtigen Alter angekündigt wurde. Auch in den wiedereroberten Gebieten müssen Männer im wehrpflichtigen Alter den Militärdienst ableisten (EUAA 9.2022). Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 29.3.2023).

Rekrutierungspraxis

Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert (AA 29.3.2023; vergleiche NMFA 5.2022), wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt (NMFA 5.2022; vergleiche NLM 29.11.2022). Im September 2022 wurde beispielsweise von der Errichtung eines mobilen Checkpoints im Gouvernement Dara'a berichtet, an dem mehrere Wehrpflichtige festgenommen wurden (SO 12.9.2022). In Homs führte die Militärpolizei gemäß einem Bericht aus dem Jahr 2020 stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 6.3.2020). Im Jänner 2023 wurde berichtet, dass Kontrollpunkte in Homs eine wichtige Einnahmequelle der Vierten Division seien (EB 17.1.2023).

Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Lokale Medien berichteten, dass die Sicherheitskräfte der Regierung während der Fußballweltmeisterschaft der Herren 2022 mehrere Cafés, Restaurants und öffentliche Plätze in Damaskus stürmten, wo sich Menschen versammelt hatten, um die Spiele zu sehen, und Dutzende junger Männer zur Zwangsrekrutierung festnahmen (USDOS 20.3.2023).

Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z. B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vergleiche ICG 9.5.2022, EB 6.3.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden (DIS 5.2020). Das Gesetz verbietet allerdings die Publikation jeglicher Informationen über die Streitkräfte (USDOS 20.3.2023).

Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht (STDOK 8.2017). Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren (STDOK 8.2017; vergleiche FIS 14.12.2018). Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020). Anfang April 2023 wurde beispielsweise von verstärkten Patrouillen der Regierungsstreitkräfte im Osten Dara'as berichtet, um Personen aufzugreifen, die zum Militär- und Reservedienst verpflichtet sind (ETANA 4.4.2023). Glaubhaften Berichten zufolge gab es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 4.12.2020).

Während manche Quellen berichten, dass sich die syrische Regierung bei der Rekrutierung auf Alawiten und regierungstreue Gebiete konzentrierte (EASO 4.2021), berichten andere, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen nun weniger stark in Anspruch nimmt (ÖB Damaskus 12.2022; vergleiche EASO 4.2021). Da die Zusammensetzung der syrisch-arabischen Armee ein Spiegelbild der syrischen Bevölkerung ist, sind ihre Wehrpflichtigen mehrheitlich sunnitische Araber, die vom Regime laut einer Quelle als "Kanonenfutter" im Krieg eingesetzt wurden. Die sunnitisch-arabischen Soldaten waren (ebenso wie die alawitischen Soldaten und andere) gezwungen, den größeren Teil der revoltierenden sunnitisch-arabischen Bevölkerung zu unterdrücken. Der Krieg forderte unter den alawitischen Soldaten bezüglich der Anzahl der Todesopfer einen hohen Tribut, wobei die Eliteeinheiten der SAA, die Nachrichtendienste und die Shabiha-Milizen stark alawitisch dominiert waren (Al-Majalla 15.3.2023).

Im Rahmen sog. lokaler "Versöhnungsabkommen" in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Sowohl in Ost-Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben (AA 29.3.2023).

Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle

Nach dem Abkommen zwischen den Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung Mitte Oktober 2019, das die Stationierung von Truppen der syrischen Regierung in zuvor kurdisch kontrollierten Gebieten vorsah, wurde berichtet, dass syrische Kurden aus dem Gebiet in den Irak geflohen sind, weil sie Angst hatten, in die SAA eingezogen zu werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Die Absolvierung des "Wehrdiensts" gemäß der "Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria (AANES)] befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien. Die syrische Regierung verfügt über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet. In Qamishli und al-Hassakah tragen diese die Bezeichnung "Sicherheitsquadrate" (Al-Morabat Al-Amniya), wo sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung befinden. Während die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen können, gehen die Aussagen über das Rekrutierungsverhalten in den Regimeenklaven bzw. "Sicherheitsquadraten" auseinander - auch bezüglich etwaiger Unterschiede zwischen dort wohnenden Wehrpflichtigen und Personen von außerhalb der Enklaven, welche die Enklaven betreten (DIS 6.2022). Ein befragter Rechtsexperte der ÖB Damaskus berichtet, dass die syrische Regierung in den Gebieten unter Kontrolle der Selbstverwaltung dort rekrutieren kann, wo sie im "Sicherheitsquadrat" im Zentrum der Gouvernements präsent ist, wie z. B. in Qamishli oder in Deir ez-Zor (Rechtsexperte 14.9.2022). Ein befragter Militärexperte gab dagegen an, dass die syrische Regierung grundsätzlich Zugriff auf die Wehrpflichtigen in den Gebieten unter der Kontrolle der PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat] hat, diese aber als illoyal ansieht und daher gar nicht versucht, sie zu rekrutieren (BMLV 12.10.2022). Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich zwischen den Gebieten unter Kontrolle der SDF und der Regierungstruppen hin- und herbewegen, können von Rekrutierungsmaßnahmen auf beiden Seiten betroffen sein, da keine der beiden Seiten die Dokumente der anderen Seite [z.B. über einen abgeleisteten Wehrdienst, Aufschub der Wehrpflicht o.ä.] anerkennt (EB 15.8.2022).

Das Gouvernement Idlib befindet sich außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung, die dort keine Personen einberufen kann (Rechtsexperte 14.9.2022), mit Ausnahme einiger südwestlicher Sub-Distrikte (Nahias) des Gouvernements, die unter Regierungskontrolle stehen (ACLED 1.12.2022; vergleiche Liveuamap 17.5.2023). Die syrische Regierung kontrolliert jedoch die Melderegister des Gouvernements Idlib (das von der syrischen Regierung in das Gouvernement Hama verlegt wurde), was es ihr ermöglicht, auf die Personenstandsdaten junger Männer, die das Rekrutierungsalter erreicht haben, zuzugreifen, um sie für die Ableistung des Militärdienstes auf die Liste der "Gesuchten" zu setzen. Das erleichtert ihre Verhaftung zur Rekrutierung, wenn sie das Gouvernement Idlib in Richtung der Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung verlassen (Rechtsexperte 14.9.2022).

Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) ist die zweitgrößte Oppositionspartei, die sich auf das Gouvernement Aleppo konzentriert. Sie wird von der Türkei unterstützt und besteht aus mehreren Fraktionen der Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army, FSA). Sie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Nordsyrien, wird aber von politischen Analysten bisweilen als türkischer Stellvertreter gebrandmarkt. Die SNA hat die Kontrolle über die von der Türkei gehaltenen Gebiete (Afrin und Jarabulus) in Syrien und wird von der Türkei geschützt. Die syrische Regierung unterhält keine Präsenz in den von der Türkei gehaltenen Gebieten und kann keine Personen aus diesen Gebieten für die Armee rekrutieren, es sei denn, sie kommen in Gebiete, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Auch mit Stand Februar 2023 hat die syrische Armee laut einem von ACCORD befragten Syrienexperten keine Zugriffsmöglichkeit auf wehrdienstpflichtige Personen in Jarabulus (ACCORD 20.3.2023).

Reservedienst

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z. B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung) (STDOK 8.2017). Reservisten können laut Gesetz bis zum Alter von 42 Jahren mehrfach zum Militärdienst eingezogen werden. Die syrischen Behörden ziehen weiterhin Reservisten ein (NMFA 5.2022). Die Behörden berufen vornehmlich Männer bis 27 ein, während ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können (ÖB Damaskus 12.2022). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen Über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020). Das niederländische Außenministerium berichtet unter Berufung auf vertrauliche Quellen, dass Männer über 42 Jahre, die ihren Wehrdienst abgeleistet hatten, Gefahr laufen, verhaftet zu werden, um sie zum Reservedienst zu bewegen. Männer, auch solche über 42 Jahren, werden vor allem in Gebieten, die zuvor eine Zeit lang nicht unter der Kontrolle der Behörden standen, als Reservisten eingezogen. Dies soll eine Form der Vergeltung oder Bestrafung sein. Personen, die als Reservisten gesucht werden, versuchen, sich dem Militärdienst durch Bestechung zu entziehen oder falsche Bescheinigungen zu erhalten, gemäß derer sie bei inoffiziellen Streitkräften, wie etwa regierungsfreundlichen Milizen, dienen (NMFA 5.2022).

Rekrutierungsbedarf und partielle Demobilisierung

Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Mit der COVID-19-Pandemie und der Beendigung umfangreicher Militäroperationen im Nordwesten Syriens im Jahr 2020 haben sich die groß angelegten militärischen Rekrutierungskampagnen der syrischen Regierung in den von ihr kontrollierten Gebieten jedoch verlangsamt (COAR 28.1.2021), und im Jahr 2021 hat die syrische Regierung damit begonnen, Soldaten mit entsprechender Dienstzeit abrüsten zu lassen. Nichtsdestotrotz wird die syrische Armee auch weiterhin an der Wehrpflicht festhalten, nicht nur zur Aufrechterhaltung des laufenden Dienstbetriebs, sondern auch, um eingeschränkt militärisch operativ sein zu können. Ein neuerliches "Hochfahren" dieses Systems scheint derzeit [Anm.: Stand 16.9.2022] nicht wahrscheinlich, kann aber vom Regime bei Notwendigkeit jederzeit wieder umgesetzt werden (BMLV 12.10.2022).

In Syrien besteht seit 2011 de facto eine unbefristete Wehrpflicht (AA 29.3.2023), nachdem die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten einstellte. Als die Regierung große Teile des Gebiets von bewaffneten Oppositionellen zurückerobert hatte, wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren (DIS 5.2020). Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte, und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Zuletzt erließ der syrische Präsident einen ab Oktober 2022 geltenden Verwaltungserlass mit Blick auf die unteren Ebenen der Militärhierarchie, der die Beibehaltung und Einberufung von bestimmten Offizieren und Reserveoffiziersanwärtern, die für den obligatorischen Militärdienst gemeldet sind, beendete. Bestimmte Offiziere und Offiziersanwärter, die in der Wehrpflicht stehen, sind zu demobilisieren, und bestimmte Unteroffiziere und Reservisten dürfen nicht mehr weiterbeschäftigt oder erneut einberufen werden (TIMEP 17.10.2022; vergleiche SANA 27.8.2022). Ziel dieser Beschlüsse ist es, Hochschulabsolventen wie Ärzte und Ingenieure dazu zu bewegen, im Land zu bleiben (TIMEP 17.10.2022). Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020, vergleiche NMFA 5.2022).

Einsatz von Rekruten im Kampf

Grundsätzlich vermeidet es die syrische Armee, neu ausgebildete Rekruten zu Kampfeinsätzen heranzuziehen, jedoch können diese aufgrund der asymmetrischen Art der Kriegsführung mit seinen Hinterhalten und Anschlägen, wie zuletzt beispielsweise in Dara'a, trotzdem in Kampfhandlungen verwickelt werden (BMLV 12.10.2022). Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein (AA 29.3.2023). Alle Eingezogenen können dagegen laut EUAA (European Union Agency for Asylum) unter Berufung auf einen Herkunftsländerbericht vom April 2021 potenziell an die Front abkommandiert werden. Ihr Einsatz hängt vom Bedarf der Armee für Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen und ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab. Eingezogene Männer aus "versöhnten" Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Illoyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt. Reservisten werden in (vergleichsweise) kleinerer Zahl an die Front geschickt (EUAA 2.2023). [Anm.: In welcher Relation die Zahl der Reservisten zu den Wehrpflichtigen steht, geht aus dem Bericht nicht hervor.]

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Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdienstes

Letzte Änderung 2023-07-14 13:58

Siehe auch Kapitel "Länderspezifische Anmerkungen".

Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vergleiche FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen [als vor dem Konflikt] und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vergleiche DRC/DIS 8.2017).

Einem von der European Union Asylum Agency (EUAA) befragten syrischen Akademiker zufolge werden Männer mit deutlich sichtbaren medizinischen Problemen, die nicht wehrdiensttauglich sind, weiterhin freigestellt. Die medizinischen Ausschüsse, welche die Personen untersuchen, sind jedoch eher streng in ihren Urteilen. In einigen Fällen wurden Männer mit einem bestimmten Gesundheitszustand dennoch in die Armee einberufen, um militärische Tätigkeiten außerhalb des Feldes auszuüben (EUAA 9.2022). Einer vom niederländischen Außenministerium befragten Quelle zufolge werden medizinische Befreiungen häufig ignoriert und die Betroffenen müssen dennoch ihren Wehrdienst ableisten (NMFA 5.2022). Die tatsächliche Handhabung der Tauglichkeitskriterien ist schwer eruierbar, da sie von den Entscheidungen der medizinischen Ausschüsse abhängen (DIS 5.2020).

Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB Damaskus 12.2022). Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden (STDOK 8.2017). Auch berichtet eine Quelle, dass Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter [offizieller] Befreiungsgebühr Bestechungsgelder verlangen könnten, oder dass Personen mit gesundheitlichen Problemen, die eigentlich vom Wehrdienst befreit sein sollten, mitunter Bestechungsgelder bezahlen müssen, um eine Befreiung zu erwirken (DIS 5.2020).

Polizeidienst als Befreiung vom Wehrdienst

Gemäß Abschnitt 12 des Wehrpflichtgesetzes war eine Person vom Wehrdienst befreit, wenn sie mindestens zehn Jahre in den Diensten der inneren Sicherheit stand, einschließlich der Polizei. Diese Frist wurde mit dem Gesetzesdekret Nr. 1 von 2012 auf fünf Jahre verkürzt. Hat eine Person nicht die vollen fünf Jahre gedient, muss sie dennoch ihren Militärdienst ableisten. Wer bei der Polizei akzeptiert wird, unterschreibt jedoch einen Zehnjahresvertrag. Es ist auch möglich, dass ein Rekrut der Polizei beitritt und dort seinen Militärdienst ableistet, da die internen Sicherheitsdienste gemäß Artikel 10 des Wehrpflichtgesetzes zu den syrischen Streitkräften gezählt werden. Wenn eine Person der Polizei beitritt, wird das Rekrutierungsbüro, dem sie untersteht, angewiesen, sie nicht zum Militärdienst einzuberufen (NMFA 5.2022).

Rechtlich gesehen ist es möglich, aus dem Polizeidienst auszutreten. Die Kündigung muss samt einer Erklärung über die Gründe eingereicht werden. Alle Rücktrittsgesuche werden auf der Grundlage einer Sicherheitsanalyse geprüft. In der Praxis werden die meisten Anträge aus Sicherheitsgründen abgelehnt. Polizeibeamte können während der ersten zehn Jahre ihres Vertrags de facto nicht kündigen. Eine Laufbahn innerhalb des erweiterten Sicherheitsapparats ist grundsätzlich auf Lebenszeit angelegt und es ist nicht üblich, eine solche Position vorzeitig zu verlassen. Bei einer Laufbahn in einer Sicherheitsbehörde ist es laut einer Quelle praktisch unmöglich, die Erlaubnis zur Kündigung zu erhalten. Das unerlaubte Verlassen eines Polizeidienstpostens wird als eine Form der Desertion angesehen, die mit Strafe bedroht werden kann. Es gibt unterschiedliche Angaben darüber, welches Gesetz in diesem Fall gilt (NMFA 5.2022). Zollbeamte gelten im Rahmen ihrer Zuständigkeit als allgemeine Sicherheitskräfte und Kriminalbeamte (ACCORD 17.1.2022).

Anmerkung, Zur Rolle des Sicherheitsapparats im Laufe des Kriegs und bei Menschenrechtsverletzungen siehe die Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage, Folter und unmenschliche Behandlung, Hinrichtungen und außergerichtliche Tötungen sowie das Kapitel Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen.

Befreiungsgebühr für Syrer mit Wohnsitz im Ausland

Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr ("badal an-naqdi") zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (DIS 5.2020), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 2.9.2019; vergleiche SB Berlin o.D.). Im November 2020 wurde mit dem Gesetzesdekret Nr. 31 (Rechtsexperte 14.9.2022) die Dauer des erforderlichen Auslandsaufenthalts auf ein Jahr reduziert und die Gebühr erhöht (NMFA 6.2021). Das Wehrersatzgeld ist nach der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre). Bei einem Aufenthalt ab fünf Jahren kommen pro Jahr weitere 200 USD Strafgebühr hinzu. Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen (AA 29.3.2023).

Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum Erreichen des wehrpflichtigen Alters dauerhaft und ununterbrochen im Ausland lebten, gilt eine Befreiungsgebühr von 3.000 USD. Wehrpflichtige, die im Ausland geboren wurden und dort mindestens zehn Jahre vor dem Einberufungsalter gelebt haben, müssen einen Betrag von 6.500 USD entrichten (Rechtsexperte 14.9.2022). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an (DIS 5.2020; vergleiche Rechtsexperte 14.9.2022). Auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, können Quellen zufolge durch die Zahlung der Gebühr vom Militärdienst befreit werden (NMFA 5.2022; vergleiche Rechtsexperte 14.9.2022). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor durch einen individuellen "Versöhnungsprozess" bereinigen (NMFA 5.2022).

Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann (NMFA 5.2020). Die syrische Botschaft in Berlin gibt beispielsweise an, dass u. a. ein Reisepass oder Personalausweis sowie eine Bestätigung der Ein- und Ausreise vorgelegt werden muss (SB Berlin o.D.), welche von der syrischen Einwanderungs- und Passbehörde ausgestellt wird ("bayan harakat"). So vorhanden, sollten die Antragsteller auch das Wehrbuch oder eine Kopie davon vorlegen (Rechtsexperte 14.9.2022).

Offiziell ist dieser Prozess relativ einfach, jedoch dauert er in Wirklichkeit sehr lange, und es müssen viele zusätzliche Kosten aufgewendet werden, unter anderem Bestechungsgelder für die Bürokratie. Beispielsweise müssen junge Männer, die mit der Opposition in Verbindung standen, aber aus wohlhabenden Familien kommen, wahrscheinlich mehr bezahlen, um vorab ihre Akte zu bereinigen (Balanche 13.12.2021).

Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdienstes

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in Syrischen Pfund leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2.000 USD oder das Äquivalent in Syrischen Pfund nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird wie ein ganzes Jahr gerechnet (SANA 8.11.2017; vergleiche PAR 15.11.2017).

Diese mit dem Gesetz Nr. 35 vom 15.11.2017 beschlossene Änderung ermöglicht es der Direktion für militärische Rekrutierung, Vermögen wie Immobilien und bewegliche Güter von syrischen Männern zu beschlagnahmen, die ihren Verpflichtungen zur Ableistung des Militärdienstes nicht nachgekommen sind. Gesetz Nr. 39 vom 24.12.2019 zur Änderung von Artikel 97 des Wehrdienstgesetzes Nr. 30 aus dem Jahr 2007 veränderte die Art der vorgesehenen Beschlagnahmung. Es ermöglicht die Beschlagnahme von Eigentum von Männern, die das 42. Lebensjahr vollendet haben und weder den Militärdienst abgeleistet noch die Kompensationszahlung von 8.000 USD ordnungsgemäß beglichen haben, oder von deren Ehefrauen oder Kindern, ohne dass die betroffenen Personen davon in Kenntnis gesetzt werden. Derzeit kann das Vermögen dieser Person vorsorglich beschlagnahmt werden, was bedeutet, dass es weder verkauft noch an eine andere Partei übertragen werden kann. Das Vermögen kann ohne weitere Ankündigung vom Staat versteigert werden, anstatt es bis zu einer Lösung der Frage einzufrieren. Der Staat kann den geschuldeten Betrag aus der Versteigerung einbehalten und den Restbetrag (falls vorhanden) an die Person zurückzahlen, deren Eigentum versteigert wurde. Erreicht das Vermögen des Mannes nicht den Wert der Kompensationszahlung, kann das gleiche Versteigerungsverfahren auf das Vermögen seiner Frau oder seiner Kinder angewandt werden, bis der Wert der Gebühr erreicht ist (Rechtsexperte 14.9.2022).

Unter anderem wurde auch berichtet, dass Palästinensern, die keinen Wehrdienst abgeleistet haben, der Zugang zum Camp Yarmouk verweigert wurde, um sich dort ihren Besitz zurückzuholen (Action PAL 3.1.2023).

Geistliche und Angehörige von religiösen Minderheiten

Christliche und muslimische religiöse Führer sind weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit, wobei muslimische Geistliche dafür eine Abgabe bezahlen müssen (USDOS 15.5.2023). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern von religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen, anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht, und Mitglieder von Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen (FIS 14.12.2018).

Anders als in vielen Gebieten unter Regierungskontrolle konnten sich Männer im Gouvernement Suweida der gesetzlich festgelegten allgemeinen Wehrpflicht in den syrischen nationalen Streitkräften weitgehend entziehen (Syria Untold 9.1.2020; vergleiche COAR 30.9.2020), viele Gemeindevorsteher und hochrangige drusische Religionsführer haben sich geweigert, die Einberufung in die Armee zu genehmigen (AW 5.12.2022). Stattdessen hat die drusische Gemeinschaft gut organisierte Nachbarschaftsschutzgruppen und Einheiten der Nationalen Verteidigungskräfte (NDF) unterhalten. Die syrische Regierung hält jedoch offiziell weiterhin an der verfassungsmäßig verankerten "heiligen Pflicht" des allgemeinen Wehrdienstes - auch für die in Suweida heimische drusische Gemeinschaft - fest (COAR 30.9.2020). Das Regime behandelt diese Menschen als Wehrdienstverweigerer und zwingt sie von Zeit zu Zeit, an so genannten "Sicherheitsregelungen" teilzunehmen. Die letzte dieser Maßnahmen fand am 5.10.2022 statt. Sie beinhaltete einerseits einen administrativen Aufschub für einen Zeitraum von sechs Monaten vor dem Eintritt in die im Süden Syriens stationierten Armeeeinheiten und andererseits die Einstellung der Verfolgung von Personen, die von den Sicherheitsapparaten gesucht werden. Allerdings nehmen viele Drusen diese Sicherheitsregelungen nicht ernst, da sie sich nicht als Rechtsbrecher betrachten. Im Oktober 2022 nahmen nur 2.500 junge Männer von 30.000 Wehrdienstverweigerern und Überläufern in Suweida an der Sicherheitsregelung teil. Für diejenigen, die einen Vergleich abschließen, besteht das Hauptmotiv darin, eine "Schlichtungskarte" zu erwerben, die ihnen Freizügigkeit gewährt und es ihnen ermöglicht, Transaktionen bei staatlichen Einrichtungen, wie z. B. die Beantragung von Reisedokumenten, ohne Angst vor Verhaftung und Inhaftierung durchzuführen (MED Blog 12.12.2022). Die Grauzone bezüglich der Umsetzung der Wehrpflicht hat zur Folge, dass die derzeit rund 30.000 zum Wehrdienst gesuchten Personen Suweida nicht verlassen bzw. nicht in von der syrischen Regierung kontrollierte Gebiete reisen können (Alaraby 11.2.2022).

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Amnestien im Allgemeinen und im Zusammenhang mit folgendem Militärdienst

Letzte Änderung 2023-07-17 07:10

Rechtssicherheit

In Syrien vorherrschend und von langer Tradition ist eine Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Implementierung der Gesetze in der Praxis. Die in den letzten Jahren noch zugenommene und weit verbreitete Korruption hat diese Diskrepanz noch zusätzlich verstärkt. Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können (ÖB Damaskus 12.2022).

Regelmäßig vom Regime verkündete Amnestien verringern ausgesprochene Todesurteile zum Teil auf lebenslange harte Strafarbeit oder stellen eine Freilassung in Aussicht. In der Rechtspraxis kommen die Amnestien aufgrund großzügig ausgelegter Ausnahmetatbestände und prozeduralen Hindernissen jedoch nur in Einzelfällen zur Anwendung (AA 29.3.2023), dabei oftmals infolge der Zahlung hoher Bestechungsgelder an Amtsträger im Justiz- und Sicherheitswesen (AA 29.3.2023; vergleiche EB 9.6.2022).

Amnestien allgemein

Seit März 2011 [Anm.: bis Oktober 2022] hat der syrische Präsident 21 Amnestiedekrete erlassen [Ende Dezember 2022 folgte ein weiteres Amnestiedekret, s. weiter unten], wobei in den meisten dieser Dekrete die Strafen der Begnadigten für die verschiedenen Verbrechen und Vergehen ganz oder teilweise aufgehoben wurden (SNHR 16.11.2022). Der syrische Präsident hat dabei für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden (STDOK 8.2017; vergleiche SNHR 16.11.2022, MED 10.2021). Über die Umsetzung und den Umfang der Amnestien für Wehrdienstverweigerer und Deserteure ist nur sehr wenig bekannt (DIS 5.2020; vergleiche SNHR 16.11.2022). Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben die Amnestien wiederholt als intransparent sowie unzureichend kritisiert (STDOK 8.2017; vergleiche EB 3.4.2020, MED 10.2021) und als ein Propagandainstrument der Regierung bezeichnet (DIS 5.2020; vergleiche MED 10.2021).

Die Amnestiedekrete resultierten im Allgemeinen nur in der Entlassung einer begrenzten Anzahl von gewöhnlichen Kriminellen, und nicht von jenen, deren Verhaftung politisch motiviert ist (USDOS 20.3.2023). Der Ausschluss von politischen Gefangenen von den Amnestien ist der Haft- und Gerichtspraxis in Syrien teilweise inhärent. Willkürlich Verhaftete werden in der Regel ohne Anklage für längere Zeit festgehalten, und die Inhaftierten werden oft nicht über die gegen sie erhobenen Vorwürfe informiert (MED 10.2021; vergleiche USDOS 20.3.2023). Die Amnestien schlossen Gefangene aus, die nicht eines Verbrechens angeklagt wurden (USDOS 20.3.2023).

Erhebungen der Menschenrechtsorganisation Syrian Network for Human Rights (SNHR) ergaben, dass im Zeitraum März 2011 bis Oktober 2022 rund 7.350 Personen im Rahmen von 21 Amnestiedekreten aus diversen Zivil- und Militärgefängnissen der syrischen Regierung sowie aus Haftanstalten unterschiedlicher Zweigstellen des Sicherheitsapparats entlassen wurden. Darunter befanden sich rund 6.100 Zivilisten und 1.250 Militärangehörige. Dem stellt SNHR eine Anzahl von rund 123.300 Personen gegenüber, die in zeitlicher Nähe zu den Amnestien verhaftet wurden oder gewaltsam verschwanden (SNHR 16.11.2022).

Eine begrenzte Anzahl von Gefangenen kam im Zuge lokaler Beilegungsabkommen mit dem Regime frei. Während des Jahres 2022 verstießen Regimekräfte gegen frühere Amnestieabkommen, indem sie Razzien und Verhaftungskampagnen gegen Zivilisten und frühere Mitglieder der bewaffneten Oppositionsgruppen in Gebieten durchführten, in denen zuvor Beilegungsabkommen mit dem Regime unterzeichnet worden waren (USDOS 20.3.2023).

Einer Quelle zufolge respektiert die syrische Regierung Amnestien nun eher als früher (DIS 5.2020). Durch verschiedene Amnestien für Deserteure und Wehrdienstverweigerer werden Strafen zwar zumindest stellenweise erlassen, der zwangsweise Einzug in den Militärdienst wurde durch die Amnestien jedoch nicht beendet und wird unverändert fortgesetzt (AA 29.3.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023, NMFA 5.2022, MED 10.2021). Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutzt das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen (AA 29.3.2023). Das Narrativ der Amnestie oder der milden Behandlung ist höchst zweifelhaft: Es spielt nicht nur eine Rolle, ob zum Beispiel Familienmitglieder für die FSA (Freie Syrische Armee) oder unter den Rebellen gekämpft haben, sondern das Regime hegt auch ein tiefes Misstrauen bezüglich des Herkunftsgebiets. Es spielt eine große Rolle, woher man kommt, ob man aus Gebieten mit vielen Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten geflohen ist, zum Beispiel Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs (Üngör 15.12.2021). Ein Syrien-Experte merkte in diesem Zusammenhang auch an, dass die Durchsetzungsfähigkeit des Präsidenten bei den Amnestiedekreten vor Ort angezweifelt werden kann, und Vergeltung ein weitverbreitetes Phänomen ist (Balanche 13.12.2021).

Kürzlich erlassene Amnestien

Präsident Assad erließ am 21.12.2022 mit dem Legislativdekret Nr. 24 eine Generalamnestie, die unter anderem für die Tatbestände "interne und externe Desertion" gilt, so diese vor dem Inkrafttreten des Erlasses begangen wurden (SANA 21.12.2022). Die Amnestie ist an die Bedingung geknüpft, dass sich Deserteure, die in Syriens leben, innerhalb von drei Monaten, und Deserteure, die außerhalb Syriens leben, innerhalb von vier Monaten den Behörden stellen (MEMO 22.12.2022).

Im Mai 2022 hat Präsident Assad mit dem Gesetzesdekret Nr. 7/2022 eine Generalamnestie für "terroristische Verbrechen" erlassen, welche von Syrern vor dem 30.4.2022 begangen wurden, mit Ausnahme derjenigen Straftaten, die zum Tod eines Menschen geführt haben und die im Antiterrorismusgesetz Nr. 19 von 2012 und im Strafgesetzbuch, das durch das Gesetzesdekret Nr. 148 von 1949 und dessen Änderungen erlassen wurde, festgelegt sind (SO 3.5.2022). "Terrorismus" ist ein Begriff, mit dem die Regierung die Aktivitäten von Rebellen und oppositionellen Aktivisten beschreibt (MEE 2.5.2021). Nach dem Militärstrafgesetzbuch geahndete Vergehen fallen nicht unter diese Amnestie. Laut SNHR wurden mindestens 586 Personen im Zusammenhang mit dem Amnestiedekret aus der Haft entlassen (SNHR 16.11.2022). Das Amnestiedekret wurde laut Human Rights Watch (HRW) allerdings willkürlich und ohne Transparenz umgesetzt und führte nur zur dokumentierten Freilassung einer kleinen Zahl von Inhaftierten, gemessen an den Tausenden von Personen, die nach wie vor verschwunden sind, viele davon seit 2011, ohne dass es Informationen über ihren Verbleib gibt (HRW 12.1.2023).

Am 25.1.2022 erließ Präsident Assad mit Gesetzesdekret Nr. 3/2022 eine Generalamnestie für "interne" und "externe Desertion", die vor diesem Datum begangen wurde (SANA 25.1.2022). Die Amnestie umfasst Straftaten nach Artikel 100 ("interne Desertion") und 101 ("externe Desertion") des Militärstrafgesetzbuchs (Gesetzesdekret Nr. 61 von 1950) (SO 27.1.2022; vergleiche SNHR 16.11.2022), schließt jedoch die Artikel 102 ("Flucht zum Feind, Flucht vor dem Feind") und 103 ("Flucht durch Verschwörung und Flucht in Kriegszeiten") aus (SO 27.1.2022). Die Amnestie ist an die Bedingung geknüpft, dass sich Deserteure, die in Syriens leben, innerhalb von drei Monaten, und Deserteure, die außerhalb Syriens leben, innerhalb von vier Monaten den Behörden stellen (SNHR 16.11.2022).

Amnestien in Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung

Am 10.10.2020 erließ die sog. "Selbstverwaltung" in Nordost-Syrien eine "Generalamnestie" für Strafgefangene (AA 4.12.2020; vergleiche NPA 10.10.2020). Bereits am 15.10.2020 sollen 631 Häftlinge auf Grundlage des Dekrets entlassen worden sein, darunter auch mutmaßliche IS-Sympathisanten. Strafen für bestimmte Vergehen sollen zudem halbiert werden (AA 4.12.2020). Das Amnestiedekret Nr. 7 des syrischen Präsidenten vom 30.4.2022 fand beispielsweise keine Anwendung in Raqqa, das unter der Kontrolle der Autonomous Administration of North and East Syria (AANES) steht (EB 9.6.2022).

Am 2.4.2022 erließ die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) nahestehende "Syrische Heilsregierung" im Gouvernement Idlib ein Dekret, mit dem sie Berichten zufolge eine "Amnestie" für Urteile gewährte, die sie aus Gründen des öffentlichen Rechts verhängt hatte, und die Hälfte der Strafe von Gefangenen "umwandelte", die ein Urteil oder eine ähnliche Strafe erhalten hatten. Nach Angaben von SNHR bezog sich die Amnestie nicht auf Gefangene, die wegen Kritik an der HTS inhaftiert worden waren (USDOS 20.3.2023).
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Wehrdienstverweigerung/Desertion

Letzte Änderung 2023-07-17 07:31

Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme, Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter (DIS 5.2020). Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten Zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und vergleichsweise wenige wurden nach diesem Zeitpunkt deswegen verhaftet (Landinfo 3.1.2018).

In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 29.3.2023).

Der verpflichtende Militärdienst führt weiterhin zu einer Abwanderung junger syrischer Männer, die vielleicht nie mehr in ihr Land zurückkehren werden (ICWA 24.5.2022). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.3.2023).

Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern

In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis. Ob die Entrichtung einer "Befreiungsgebühr" wirklich dazu führt, dass man nicht eingezogen wird, hängt vom Profil der Person ab. Dabei sind junge, sunnitische Männer im wehrfähigen Alter am stärksten im Verdacht der Behörden, aber sogar aus Regimesicht untadelige Personen wurden oft verhaftet (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Der Syrien-Experte Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt "ihr Land zu verteidigen". Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann. Hinzu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit "gerettet" haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021).

Gesetzliche Lage

Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Artikel 98 -, 99, ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht (AA 29.3.2023; vergleiche Rechtsexperte 14.9.2022).

Desertion wird von Soldaten begangen, die bereits einer Militäreinheit beigetreten sind, während Wehrdienstverweigerung in den meisten Fällen von Zivilisten begangen wird, die der Einberufung zum Wehrdienst nicht gefolgt sind. Desertion wird meist härter bestraft als Wehrdienstverweigerung. Das Militärstrafgesetzbuch unterscheidet zwischen "interner Desertion" (farar dakhelee) und "externer Desertion" (farar kharejee). Interne Desertion in Friedenszeiten wird begangen, wenn sich der Soldat sechs Tage lang unerlaubt von seiner militärischen Einheit entfernt. Ein Soldat, der noch keine drei Monate im Dienst ist, gilt jedoch erst nach einem vollen Monat unerlaubter Abwesenheit als Deserteur. Interne Desertion liegt außerdem vor, wenn der reisende Soldat trotz Ablauf seines Urlaubs nicht innerhalb von 15 Tagen nach dem für seine Ankunft oder Rückkehr festgelegten Datum zu seiner militärischen Einheit zurückgekehrt ist (Artikel 100/1/b des Militärstrafgesetzbuchs). Interne Desertion wird mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft, und wenn es sich bei dem Deserteur um einen Offizier oder einen Berufsunteroffizier handelt, kann er zusätzlich zu der vorgenannten Strafe mit Entlassung bestraft werden (Artikel 100/2). In Kriegszeiten können die oben genannten Fristen auf ein Drittel verkürzt und die Strafe verdoppelt werden (Artikel 100/4). Eine externe Desertion in Friedenszeiten liegt vor, wenn der Soldat ohne Erlaubnis die syrischen Grenzen überschreitet und seine Militäreinheit verlässt, um sich ins Ausland zu begeben. Der betreffende Soldat wird in Friedenszeiten nach Ablauf von drei Tagen seit seiner illegalen Abwesenheit und in Kriegszeiten nach einem Tag als Deserteur betrachtet (Artikel 101/1) (Rechtsexperte 14.9.2022). Externe Desertion wird mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren bestraft (Artikel 101/2) (Rechtsexperte 14.9.2022; vergleiche AA 29.3.2023). Die Haftstrafen können sich bei Vorliegen bestimmter Umstände noch erhöhen (z. B. Desertion während des Dienstes, Mitnahme von Ausrüstung) (Rechtsexperte 14.9.2022). Die Todesstrafe ist gemäß Artikel 102, bei Überlaufen zum Feind und gemäß Artikel 105, bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen (AA 29.3.2023).

Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure (DIS 5.2020) und Wehrdienstverweigerer Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 4.12.2020; vergleiche DIS 5.2020).

Syrische Männer im wehrpflichtigen Alter können sich nach syrischem Recht durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freikaufen. Diese Regelung findet jedoch nur auf Syrer Anwendung, die außerhalb Syriens leben (AA 29.3.2023). Das syrische Wehrpflichtgesetz (Artikel 97,) ermöglicht es, das Vermögen von Männern zu beschlagnahmen, die sich bis zum Erreichen des 43. Lebensjahres (Altersgrenze zur Einberufung) der Wehrpflicht entzogen haben und sich weigern, ein Wehrersatzgeld in Höhe von 8.000 USD zu entrichten. Das Gesetz erlaubt die Beschlagnahme des Vermögens nicht nur von Männern, die nicht im Militär gedient haben, sondern auch von deren unmittelbaren Familienangehörigen, einschließlich Ehefrauen und Kindern (AA 29.3.2023; vergleiche Rechtsexperte 14.9.2022).

Für nähere Informationen siehe auch das Unterkapitel "Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts".

Bzgl. Konfiszierungsmöglichkeiten im Rahmen des Anti-Terror-Gesetzes siehe Kapitel "Grundversorgung und Wirtschaft".

Handhabung

Die Gesetzesbestimmungen werden nicht konsistent umgesetzt (Landinfo 3.1.2018), und die Informationslage bezüglich konkreter Fälle von Bestrafung von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren ist eingeschränkt, da die syrischen Behörden hierzu keine Informationen veröffentlichen (Rechtsexperte 14.9.2022). Manche Quellen geben an, dass Betroffene sofort (DIS 5.2020; vergleiche Landinfo 3.1.2018) oder nach einer kurzen Haftstrafe (einige Tage bis Wochen) eingezogen werden, sofern sie in keinerlei Oppositionsaktivitäten involviert waren (DIS 5.2022). Andere geben an, dass Wehrdienstverweigerer von einem der Nachrichtendienste aufgegriffen und gefoltert oder "verschwindengelassen" werden können. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018).

Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit mangelhafter oder ohne Ausbildung direkt an die Front geschickt wird (Balanche 13.12.2021). Die Strafe für das Sich-Entziehen vom Wehrdienst ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als "Kanonenfutter"), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur Üngör wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit die aktivsten Kampfgebiete sich beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter). Selbst für privilegierte Personen mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen - es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen (Khaddour 24.12.2021).

Es gibt jedoch Fälle von militärischer Desertion, die dem Militärgericht übergeben werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt (DIS 5.2020). Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020).

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen berichtete im zweiten Halbjahr 2022 weiterhin von willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen durch die Regierungskräfte, darunter auch von Personen, die sich zuvor mit der Regierung "ausgesöhnt" hatten. Andere wurden vor der am 21.12.2022 angekündigten Amnestie für Verbrechen der "internen und externen Desertion vom Militärdienst" aufgrund von Tatbeständen im Zusammenhang mit der Wehrpflicht inhaftiert (UNHRC 7.2.2023).

"Versöhnungsabkommen" und Rückkehr von Wehrpflichtigen

Im Rahmen sog. lokaler „Versöhnungsabkommen“ in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus dem Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Ein Monitoring durch die Vereinten Nationen oder andere Akteure zur Situation der Rückkehrer ist nicht möglich, da vielerorts kein Zugang für sie besteht; viele möchten darüber hinaus nicht als Flüchtlinge identifiziert werden. Sowohl in Ost-Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben. Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein (AA 29.3.2023). Einzelne Personen in Aleppo berichteten, dass sie durch die Teilnahme am "Versöhnungsprozess" einem größeren Risiko ausgesetzt wären, bei späteren Interaktionen mit Sicherheitsbeamten verhaftet und erpresst zu werden. Selbst für diejenigen, die nicht im Verdacht stehen, sich an oppositionellen Aktivitäten zu beteiligen, ist das Risiko der Einberufung eine große Abschreckung, um zurückzukehren (ICG 9.5.2022). Zudem sind in den "versöhnten Gebieten" Männer im entsprechenden Alter auch mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert (FIS 14.12.2018).

In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten viele Deserteure und Überläufer, denen durch die "Versöhnungsabkommen" Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020). Human Rights Watch (HRW) berichtete 2021 vom Fall eines Deserteurs, der nach seiner Rückkehr zuerst inhaftiert und nach Abschluss eines "Versöhnungsabkommens" zur Armee eingezogen wurde, wo er nach Angaben einer Angehörigen aufgrund seiner vorherigen Desertion gefoltert und misshandelt wurde (HRW 20.10.2021).

Aufgrund der fehlenden Überwachung durch internationale Organisationen ist unklar, wie systematisch und weit verbreitet staatliche Übergriffe auf Rückkehrer sind. Die Tatsache, dass der zuständige Beamte am Grenzübergang oder in der örtlichen Sicherheitsdienststelle die Befugnis hat, seine eigene Entscheidung über den einzelnen Rückkehrer zu treffen, trägt dazu bei, dass es hierbei kein klares Muster gibt (DIS 5.2022). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Glaubwürdige Berichte über Einzelschicksale legen nahe, dass auch eine zuvor ausgesprochene Garantie des Regimes, auf Vollzug der Wehrpflicht bzw. Strafverfolgung aufgrund von Wehrentzug, etwa im Rahmen sogenannter "Versöhnungsabkommen" zu verzichten, keinen effektiven Schutz vor Zwangsrekrutierung bietet (AA 29.3.2023).

Einem Experten sind hingegen keine Berichte von Wehrdienstverweigerern bekannt, die aus dem Ausland in Gebiete unter Regierungskontrolle zurückgekehrt sind. Ihm zufolge kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, was in so einem Fall passieren würde. Laut dem Experten wäre es aber "wahnsinnig", als Wehrdienstverweigerer aus Europa ohne Sicherheitsbestätigung und politische Kontakte zurückzukommen. Wenn keine "Befreiungsgebühr" bezahlt wurde, müssen zurückgekehrte Wehrdienstverweigerer ihren Wehrdienst ableisten. Wer die Befreiungsgebühr entrichtet hat und offiziell vom Wehrdienst befreit ist, wird nicht eingezogen (Balanche 13.12.2021).
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Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)

Letzte Änderung 2023-07-17 08:02

Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als "shabiha" bekannt) (USDOS 29.7.2022). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft. Ein weiterer Hauptgrund für das Eintreten in diese Gruppierungen ist, dass damit der Wehrdienst in der Armee umgangen werden kann. Die Mitglieder können so in ihren oder in der Nähe ihrer lokalen Gemeinden ihren Einsatz verrichten und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen. Die syrische Armee hat jedoch begonnen, diese Milizen in ihre eigenen Strukturen zu integrieren (FIS 14.12.2018), indem sie Mitglieder der Milizen, welche im wehrfähigen Alter sind, zum Beitritt in die syrische Armee zwingt (MEI 18.7.2019). Dadurch ist es unter Umständen nicht mehr möglich, durch den Dienst in einer lokalen Miliz die Rekrutierung durch die Armee oder den Einsatz an einer weit entfernten Front zu vermeiden (FIS 14.12.2018). Auch aufgrund der deutlich höheren Bezahlung der Milizmitglieder stießen die laufenden Bemühungen, Milizen in die syrische Armee zu integrieren, auf erheblichen Widerstand (MEI 18.7.2019). Regierungstreue Milizen haben sich außerdem an Zwangsrekrutierungen von gesuchten Wehrdienstverweigerern beteiligt (FIS 14.12.2018).

Was die oppositionellen Milizen in Syrien betrifft, so ist die Grenze zur Zwangsrekrutierung ebenfalls nicht klar. Nötigung und sozialer Druck, sich den Milizen anzuschließen, sind in von oppositionellen Gruppen gehaltenen Gebieten hoch (STDOK 8.2017). Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 5.2022; vergleiche DIS 12.2022). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Nichtsdestotrotz gab es Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des bewaffneten Konflikts in Syrien. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA (DIS 12.2022). Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer "regulären Armee" zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten "HTS-Wehrpflicht" in ldlib liebäugelte, damit dem "Staatsvolk" von ldlib eine "staatliche" Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022).
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Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien

Letzte Änderung 2023-07-17 08:41

Anmerkung, Rekrutierungspraktiken durch die PKK oder die Revolutionäre Jugend, einem mutmaßlichen Teil der PKK, die nicht unter die "Selbstverteidigungspflicht" fallen, werden hier nicht thematisiert. Informationen zu diesem Thema können u. a. dem Bericht "Syria - Military recruitment in Hasakah Governorate" des Danish Immigration Service (DIS) vom Juni 2022 entnommen werden.

Wehrpflichtgesetz der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien"

Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union] dominierte "Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen "Freiwilligen" im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG [Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten] dient (AA 29.3.2023). Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht", das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen (EB 15.8.2022; vergleiche DIS 6.2022). Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Wehrpflicht auf Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren (geboren 1998 oder später) beschränkt. Zuvor war das Alterslimit - bis 40 Jahre - höher. Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS 6.2022).

Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde [Anm.: Siehe weiter unten]. Es ist unklar, ob die Wehrpflicht auch für Personen aus Afrin gilt, das sich nicht mehr unter der Kontrolle der "Selbstverwaltung" befindet. Vom Danish Immigration Service (DIS) befragte Quellen machten hierzu unterschiedliche Angaben. Die Wehrpflicht gilt nicht für Personen, die in anderen Gebieten als den AANES wohnen oder aus diesen stammen. Sollten diese Personen jedoch seit mehr als fünf Jahren in den AANES wohnen, würde das Gesetz auch für sie gelten. Wenn jemand in seinem Ausweis als aus Hasakah stammend eingetragen ist, aber sein ganzes Leben lang z.B. in Damaskus gelebt hat, würde er von der "Selbsverwaltung" als aus den AANES stammend betrachtet werden und er müsste die "Selbstverteidigungspflicht" erfüllen. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur "Selbstverteidigungspflicht" eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert (DIS 6.2022).

Ursprünglich betrug die Länge des Wehrdiensts sechs Monate, sie wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert (DIS 6.2022). Artikel zwei des Gesetzes über die "Selbstverteidigungspflicht" vom Juni 2019 sieht eine Dauer von zwölf Monaten vor (RIC 10.6.2020). Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je nach Gebiet entschieden wird. Beispielsweise wurde der Wehrdienst 2018 aufgrund der Lage in Baghouz um einen Monat verlängert. In Afrin wurde der Wehrdienst zu drei Gelegenheiten in den Jahren 2016 und 2017 um je zwei Monate ausgeweitet. Die Vertretung der "Selbstverwaltung" gab ebenfalls an, dass der Wehrdienst in manchen Fällen um einige Monate verlängert wurde. Wehrdienstverweigerer können zudem mit der Ableistung eines zusätzlichen Wehrdienstmonats bestraft werden (DIS 6.2022).

Nach dem abgeleisteten Wehrdienst gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall "höherer Gewalt" einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt (DIS 6.2022).

Einsatzgebiet von Wehrpflichtigen

Die Selbstverteidigungseinheiten [Hêzên Xweparastinê, HXP] sind eine von den SDF separate Streitkraft, die vom Demokratischen Rat Syriens (Syrian Democratic Council, SDC) verwaltet wird und über eigene Militärkommandanten verfügt. Die SDF weisen den HXP allerdings Aufgaben zu und bestimmen, wo diese eingesetzt werden sollen. Die HXP gelten als Hilfseinheit der SDF. In den HXP dienen Wehrpflichtige wie auch Freiwillige, wobei die Wehrpflichtigen ein symbolisches Gehalt erhalten. Die Rekrutierung von Männern und Frauen in die SDF erfolgt dagegen freiwillig (DIS 6.2022).

Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der "Selbsverteidigungspflicht" erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hassakah, wo es im Jänner 2022 zu dem Befreiungsversuch des sogenannten Islamischen Staats (IS) mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa (DIS 6.2022).

Rekrutierungspraxis

Die Aufrufe für die "Selbstverteidigungspflicht" erfolgen jährlich durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Es gibt keine individuellen Verständigungen an die Wehrpflichtigen an ihrem Wohnsitz. Die Wehrpflichtigen erhalten dann beim "Büro für Selbstverteidigungspflicht" ein Buch, in welchem ihr Status bezüglich Ableistung des Wehrdiensts dokumentiert wird - z.B. die erfolgte Ableistung oder Ausnahme von der Ableistung. Es ist das einzige Dokument, das im Zusammenhang mit der Selbstverteidigungspflicht ausgestellt wird (DIS 6.2022).

Wehrdienstverweigerung und Desertion

Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen (ÖB Damaskus 12.2022). Die Selbstverwaltung informiert einen sich dem Wehrdienst Entziehenden zweimal bezüglich der Einberufungspflicht durch ein Schreiben an seinen Wohnsitz, und wenn er sich nicht zur Ableistung einfindet, sucht ihn die "Militärpolizei" unter seiner Adresse. Die meisten sich der "Wehrpflicht" entziehenden Männer werden jedoch an Checkpoints ausfindig gemacht (DIS 6.2022).

Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil (ÖB Damaskus 12.2022). Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird das "Selbstverteidigungspflichtgesetz" auch mit Gewalt durchgesetzt (AA 29.3.2023), während der DIS nur davon berichtet, dass Wehrpflichtige, welche versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, laut Gesetz durch die Verlängerung der "Wehrpflicht" um einen Monat bestraft würden - zwei Quellen zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft "für eine Zeitspanne". Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für die Betreffenden zu finden (DIS 6.2022). Die ÖB Damaskus erwähnt auch Haftstrafen zusätzlich zur [Anm.: nicht näher spezifizierten] Verlängerung des Wehrdiensts. Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB Damaskus 12.2022).

Bei Deserteuren hängen die Konsequenzen abseits von einer Zurücksendung zur Einheit und einer eventuellen Haft von ein bis zwei Monaten von den näheren Umständen und eventuellem Schaden ab. Dann könnte es zu einem Prozess vor einem Kriegsgericht kommen (DIS 6.2022).

Eine Möglichkeit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen besteht nicht (DIS 6.2022; vergleiche EB 12.7.2019).

Aufschub des Wehrdienstes

Das Gesetz enthält Bestimmungen, die es Personen, die zur Ableistung der "Selbstverteidigungspflicht" verpflichtet sind, ermöglichen, ihren Dienst aufzuschieben oder von der Pflicht zu befreien, je nach den individuellen Umständen. Manche Ausnahmen vom "Wehrdienst" sind temporär und kostenpflichtig. Frühere Befreiungen für Mitarbeiter des Gesundheitsbereichs und von NGOs sowie von Lehrern gelten nicht mehr (DIS 6.2022). Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden (EB 12.7.2019). Im Ausland (Ausnahme: Türkei und Irak) lebende, unter die "Selbstverteidigungspflicht" fallende Männer können gegen eine Befreiungsgebühr für kurzfristige Besuche zurückkehren, ohne den "Wehrdienst" antreten zu müssen, wobei zusätzliche Bedingungen eine Rolle spielen, ob dies möglich ist (DIS 6.2022).

Proteste gegen die "Selbstverteidigungspflicht"

Das Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht" stößt bei den Bürgern in den von den SDF kontrollierten Gebieten auf heftige Ablehnung, insbesondere bei vielen jungen Männern, welche die vom Regime kontrollierten Gebiete verlassen hatten, um dem Militärdienst zu entgehen (EB 12.7.2019). Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der SDF gewehrt. Proteste im Mai 2021 richteten sich außerdem gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen Verwaltungseinheiten. Sechs bis acht Menschen wurden am 1.6.2021 in Manbij (Menbij) bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 2.6.2021 einigten sich die SDF, der Militärrat von Manbij und der Zivilrat von Manbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen (COAR 7.6.2021). Diese Einigung resultierte nach einer Rekrutierungspause in der Herabsetzung des Alterskriteriums auf 18 bis 24 Jahre, was später auf die anderen Gebiete ausgeweitet wurde (DIS 6.2022).

Militärdienst von Frauen

Frauen können freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten [YPJ - Frauenverteidigungseinheiten] (AA 29.3.2023; vergleiche DIS 6.2022) oder in den Selbstverteidigungseinheiten (HXP) leisten (DIS 6.2022). Es gibt Berichte von Zwangsrekrutierungen von Frauen in der Vergangenheit (AA 29.3.2023; vergleiche SNHR 26.1.2021) und minderjährigen Mädchen (Savelsberg 3.11.2017; vergleiche HRW 11.10.2019).

Anmerkung, Siehe Kapitel "Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedene Organisationen" für Informationen zur Rekrutierung von Minderjährigen durch Einheiten im Gebiet der AANES.

Rekrutierung für den nationalen syrischen Wehrdienst

Die Absolvierung des "Wehrdiensts" gemäß der Selbstverwaltung befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien (DIS 6.2022). Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich zwischen den Gebieten unter Kontrolle der SDF und der Regierungstruppen hin- und herbewegen, können von Rekrutierungsmaßnahmen auf beiden Seiten betroffen sein, da keine der beiden Seiten die Dokumente der anderen Seite [z. B. über einen abgeleisteten Wehrdienst, Aufschub der Wehrpflicht o.ä.] anerkennt (EB 15.8.2022).
[…]

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung 2023-07-17 12:15

Die Menschenrechtslage in Syrien wird weiterhin - auch bei Wahrnehmung regionaler Unterschiede - vom deutschen Auswärtigen Amt als 'katastrophal' eingestuft (AA 29.3.2023). Von allen Akteuren agiert das Regime am meisten mit gewaltsamer Repression und die PYD am wenigsten - autoritär sind alle Machthaber nach Einschätzung der Bertelsmann-Stiftung (BS 23.2.2023). Die UNO konstatiert im Bericht der von ihr eingesetzten Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (COI) vom 7.2.2023 landesweit schwere Verstöße gegen die Menschenrechte sowie das humanitäre Völkerrecht verschiedener Akteure und sieht keine Erfüllung der Voraussetzungen für nachhaltige, würdige Rückkehr von Flüchtlingen (UNCOI 7.2.2023).

Regierungsgebiete

Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic geht davon, dass die syrische Regierung weiterhin Morde, Folter und Misshandlungen begeht, die sich gegen Personen in Haft richten, darunter auch Praktiken, welche zum Tod in der Haft führen. Hinzukommen willkürliche Haft und Verschwindenlassen. Die UN-Kommission sieht hierin ein Muster von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Im Berichtszeitraum wurden auch Fälle umfassender Verletzungen von Prozessrechten und des Rechts auf ein faires Verfahren im syrischen Justizstrafsystem dokumentiert (UNCOI 7.2.2023). Das deutsche Auswärtige Amt nennt in Bezug auf die beiden vorhergehenden Berichte [Anm.: vor dem Bericht vom 7.2.2023] der UN-Kommission gezielte als auch wahllose Tötungen, nicht zuletzt durch völkerrechtswidrige Angriffe des Regimes und seiner Verbündeten auf die syrische Zivilbevölkerung in Form von Artilleriebeschuss und Luftschlägen. Hinzukommen: Folter, willkürliche und ungesetzliche Inhaftierungen und Verschwindenlassen, kollektive Bestrafungen vermeintlicher Mitwissender und Familienangehöriger, sexualisierte Gewalt sowie willkürliche Eingriffe in die Eigentumsrechte, unter anderem von Geflüchteten. Nach Einschätzung der UN-Kommission liegt die Verantwortung für die - in absoluten Zahlen betrachtet - große Mehrzahl der Menschenrechtsverletzungen bei Kräften des syrischen Regimes, welche Militär, Sicherheits- und Geheimdienste und in den National Defense Forces (NDF) organisierte Milizen umfassen (AA 29.3.2023, vergleiche UNCOI 8.2.2022, UNCOI 17.8.2022). Mit dem Regime verbündete paramilitärische Gruppen begehen Berichten zufolge häufig Menschenrechtsverletzungen, darunter Massaker, willkürliches Töten, Entführungen von Zivilisten, sexuelle Gewalt und ungesetzliche Haft. Alliierte Milizen des Regimes, darunter die Hizbollah, führen etwa zahlreiche Angriffe aus, die Zivilisten töten (USDOS 20.3.2023).

In Deutschland wurden in den Jahren 2021 und 2022 zwei ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Syriens wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bzw. Beihilfe dazu, verurteilt (HRW 12.1.2023).

Personen, welche glaubwürdig in Gewaltverbrechen involviert sind, Organisationen innerhalb oder verbunden mit der syrischen Regierung sowie auch der sogenannte Islamische Staat unterliegen weiterhin Sanktionen durch die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und Großbritannien (HRW 12.1.2023). Die syrische Regierung nutzt die Erdbebenkatastrophe unterdessen, um für ein Ende westlicher Sanktionen zu werben (BAMF 13.2.2023). Die umfassenden Sanktionen gegen Syriens Machthaber, Unternehmer und Institutionen haben bislang nicht dazu geführt, dass Verhaltensänderungen eingetreten, politische Zugeständnisse erfolgt oder Menschenrechtsverletzungen abgestellt worden wären (SWP 4.2020). [Zu den Aus- und Nebenwirkungen der breiter gefassten Sanktionen auf die syrische Wirtschaft siehe Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft]. Das Regime wurde durch den Erfolg seiner von Russland und Iran unterstützten Kampagnen so gefestigt, dass es keinen Willen zeigt, integrative oder versöhnende demokratische Prozesse einzuleiten. Dies zeigt sich am Fehlen freier und fairer Wahlen sowie in den gewaltsamen Maßnahmen zur Unterdrückung der Rede- und Versammlungsfreiheit (BS 29.4.2020).

Die Verfassung bestimmt die Ba'ath-Partei als die herrschende Partei und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden wie den Arbeiter- und Frauenorganisationen hat. Die Ba'ath-Partei und neun kleinere Parteien in ihrem Gefolge bilden die Koalition der Nationalprogressiven Front, welche den Volksrat (das Parlament) dominiert. Die Wahlen 2020 wurden international nicht anerkannt und inmitten einer repressiven Ausgangslage und von Anschuldigungen von Wahlbetrug weder als fair noch frei eingestuft. Das Gesetz erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien - auch jenen, die mit der Ba'ath-Partei in der Nationalprogressiven Front verbündet sind. Parteien wie die Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Die Polizei verhaftete Mitglieder der verbotenen islamistischen Parteien einschließlich der Hizb ut-Tahrir und der syrischen Muslimbruderschaft (USDOS 20.3.2023). - Siehe auch Kapitel Politische Lage und zur Muslimbruderschaft siehe Kapitel Todesstrafe und außergerichtliche Tötungen).

Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet, um Personen mit Verbindungen zu lokalen Menschenrechtsorganisationen, pro-demokratischen Studentenvereinigungen und anderer Organisationen zu verhaften, welche als Unterstützer der Opposition wahrgenommen werden - einschließlich humanitärer Organisationen (USDOS 20.3.2023).

Weiterhin besteht laut deutschem Auswärtigem Amt in keinem Teil des Landes in umfassender, langfristiger und verlässlicher Schutz für verfolgte Personen und Rückkehrende. Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar. Auch erschienen Berichte über erneute Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben von Rückkehrenden. Berichte deuten jedoch darauf hin, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können. Vergleichbare Menschenrechtsverletzungen und Repressionen durch lokale Akteure wurden im Berichtszeitraum, in absoluten Zahlen betrachtet in geringerem Umfang, auch in Nicht-Regimegebieten dokumentiert (AA 29.3.2023). Im Rahmen der systematischen Gewalt, die von allen bewaffneten Akteuren gegenüber der Zivilbevölkerung angewandt wurde, wurden insbesondere Frauen Opfer sexueller Gewalt. Regierungstruppen und der Regierung zurechenbare Milizkräfte übten bei Hausdurchsuchungen, im Rahmen von Internierungen sowie im Rahmen von Kontrollen an Checkpoints Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt an Frauen und teilweise auch Männern aus (ÖB Damaskus 1.10.2021).

Syrische Sicherheitskräfte und regierungsnahe Milizen nehmen weiterhin willkürlich Menschen im ganzen Land fest, lassen sie verschwinden und misshandeln sie, auch RückkehrerInnen und Personen in zurückeroberten Gebieten, die sogenannte Versöhnungsabkommen unterzeichnet haben. Es kommt auch weiterhin zu Beschlagnahmungen von Eigentum und Einschränkungen des Zugangs für Rückkehrende in ihre Herkunftsgebiete (HRW 12.1.2023). Ganze Städte und Dörfer wurden durch erzwungenes Verlassen ('forced deportations') entvölkert (BS 29.4.2020). Berichten zufolge zögern die Menschen in kürzlich vom Regime zurückeroberten Gebieten aus Angst vor Repressalien, über die dortigen Vorgänge zu reden (USDOS 12.4.2022).

Personen, die unter dem Verdacht stehen, sich oppositionell zu engagieren oder als regimekritisch wahrgenommen werden, unterliegen einem besonders hohen Folterrisiko. Daneben sind zahllose Fälle dokumentiert, in denen Familienmitglieder, nicht selten Frauen oder Kinder, oder auch Nachbarn als vermeintliche Mitwisser oder für vermeintliche Verbrechen anderer inhaftiert und gefoltert werden. Solche Kollektivhaft wird Berichten zufolge in einigen Fällen auch angewendet, wenn vom Regime als feindlich angesehene Personen Zuflucht im Ausland gesucht haben (AA 29.3.2023). Außerdem sind Fälle von verhafteten Personen wegen ihres Kontakts zu Verwandten oder Freunden in von der Opposition kontrollierten Gebieten bekannt, bzw. wegen des Reisens zwischen den Gebieten der Regierung und anderer Organisationen. Es gibt auch Beispiele für Verhaftungen zwecks Rekrutierung (SNHR 17.1.2023).

Nach Angaben des Syrian Network for Human Rights (SNHR) sind seit März 2011 fast 15.000 Menschen an den Folgen von Folter gestorben, die meisten von ihnen durch syrische Regierungstruppen (HRW 13.1.2022). Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konflikts, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 1.2019). Medien und Menschenrechtsgruppen gehen von der systematischen Anwendung von Folter in insgesamt 27 Einrichtungen aus, die sich alle in der Nähe der bevölkerungsreichen Städte im westlichen Syrien befinden. Es muss davon ausgegangen werden, dass Folter auch in weiteren Einrichtungen in bevölkerungsärmeren Landesteilen verübt wird (AA 29.3.2023).

Die syrischen Regimekräfte und ihre Sicherheitsapparate setzen ihre systematische Politik der Inhaftierung und des Verschwindenlassens von Zehntausenden von Syrern fort. Trotz der Verringerung des Tempos der Inhaftierungen und des gewaltsamen Verschwindenlassens im Jahr 2020 konnte keine wirkliche Veränderung im Verhalten des Regimes beobachtet werden, sei es in Bezug auf die Freilassung der Inhaftierten oder die Aufdeckung des Schicksals der Verschwundenen (SHRC 1.2021). Für das Jahr 2022 dokumentierte SNHR 2.221 Fälle willkürlicher oder unrechtmäßiger Verhaftungen, darunter 148 Kinder und 457 Frauen. Dabei führte das Amnestiedekret vom 30.4.2022 nicht zu einem Rückgang willkürlicher Verhaftungen. 228 der im Jahr 2022 willkürlich Verhafteten waren zurückgekehrte Geflüchtete oder Binnenvertriebene. Auch wenn besonders der Militärgeheimdienst Verhaftungen vornimmt, so gehen willkürliche Verhaftungen von einer Vielzahl von Akteuren aus, insbesondere der Polizei, einer Vielzahl von konkurrierenden Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten, es findet keine zuverlässige und für Betroffene verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt. Die Dokumentation von Einzelfällen zeigt immer wieder, dass es insbesondere auch bei aus dem Ausland Zurückkehrenden trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. In nur wenigen Fällen werden Betroffene in reguläre Haftanstalten oder an die Justiz überstellt (AA 29.3.2023) Laut UNO ist in derartigen Fällen ein zentralisiertes Muster von Verlegungen in den Raum Damaskus erkennbar. In nur wenigen Fällen werden Betroffene in reguläre Haftanstalten oder an die Justiz überstellt. Häufiger werden die Festgenommenen in Haftanstalten der Geheimdienste oder des Militärs überstellt, zu denen Familienangehörige und Anwälte in der Regel keinen oder nur eingeschränkten Zugang haben. In vielen Fällen bleiben die Personen hiernach verschwunden. Unterrichtungen über den Tod in Haft erfolgen häufig nicht oder nur gegen Zahlung von Bestechungsgeldern, eine Untersuchung der tatsächlichen Todesumstände erfolgt in aller Regel nicht. Oft werden die Familien unter Androhung von Gewalt und Repressionen zu Stillschweigen verpflichtet. Die VN und IKRK haben unverändert keinen Zugang zu Gefangenen in Haftanstalten des Militärs und der Sicherheitsdienste und erhalten keine Informationen zum Verbleib von Verschwundenen (AA 29.11.2021).

Willkürliche Verhaftungen blieben eine gezielte Vergeltungsmaßnahme u. a. für Kritik am Regime. Dieses macht in diesen Fällen wie auch bei Verhaftungen von Wehrdienstverweigerern regelmäßig Gebrauch von der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Dekret Nr. 19/2012) (AA 29.11.2021). Die Anti-Terror-Gesetze werden unverändert auch dazu verwendet, gegen in Syrien und im Ausland lebende Regimegegner und -gegnerinnen ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand und auch in Abwesenheit höchste Strafen zu verhängen. (AA 29.3.20223).

Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind unter anderem willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten und medizinische Einrichtungen, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Tötungen von Zivilisten und sexuelle Gewalt; Einsatz von Kindersoldaten sowie Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, einschließlich Zensur (USDOS 20.3.2023).

Für das Jahr 2021 (USDOS 12.4.2022) und 2022 lagen keine bestätigten Berichte über den Einsatz der verbotenen Chemiewaffen vor, wobei Syrien weiterhin über reichlich Chemiewaffen sowie über das Knowhow zu deren Produktion und Einsatz verfügt (USDOS 20.3.2023). Die Organization for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW) kam zum Schluss, dass stichhaltige Gründe vorliegen, dass das Regime z. B. im Jahr 2018 in Saraqib einen Angriff mit chemischen Waffen durchführte und ebenso in drei Fällen in Ltamenah im Jahr 2017, kurz vor dem tödlicheren Einsatz von Sarin in Khan Shaykhun (USDOS 12.4.2022).

Das Regime übt weiterhin strikte Kontrolle über die Verbreitung von Informationen, auch über die Entwicklung der Kämpfe zwischen dem Regime und der bewaffneten Opposition und die Verbreitung des COVID-19-Virus und der Cholera sowie über Menschenrechtsverletzungen seitens des Regimes aus. Es verbietet die Kritik am Regime und die Diskussion über konfessionelle Spannungen und Probleme, mit denen religiösen und ethnischen Minderheiten konfrontiert sind. Kritik wird auch durch den breiten Einsatz von Gesetzen gegen Konfessionalismus erstickt (USDOS 20.3.2023).

Im April 2022 aktualisierte das syrische Regime sein Cyberkriminalität-Gesetz, Gesetz Nr. 20 (2022), welches nun alle online getätigten Äußerungen unter schwere Strafen stellt, die verschiedene vage Strafbestände wie z. B. die Untergrabung 'des Ansehens des Staates' oder 'der nationalen Einheit' betreffen (FH 9.3.2023). Es bleibt zwar vage, welche Tatbestände genau unter das Gesetz fallen, doch die möglichen Strafen wurden drastisch erhöht: Nach Angaben der staatlich-syrischen Nachrichtenagentur Sana können Gefängnisstrafen von bis zu 15 Jahren oder Geldstrafen von bis zu 15 Millionen syrischen Pfund verhängt werden. Menschenrechtsgruppen vermuten, dass der einzige Zweck dieses Gesetzes darin besteht, abweichende Meinungen zu verbieten (Qantara 28.6.2022). Die syrischen Behörden überwachen Online-Aussagen z. B. in Blogs und sozialen Medien sowohl von SyrerInnen im Land als auch außerhalb Syriens. Das Ausmaß der Überwachung der 'normalen BürgerInnen' soll im Jahr 2021 im Vergleich zu Beginn der Krise abgenommen haben, weil die Behörden sich aufgrund ihres (wiedererlangten) Einflusses weniger vor deren Aussagen fürchten. Kritik im Internet über die Wirtschaftskrise verbreitete sich so (NMFA 5.2022) - besonders auch in eigentlich loyalen Kreisen (FH 9.3.2023). Aber dies kann später trotzdem für die Betreffenden zum Problem werden. Gefangene werden teilweise nach ihren Konten in den Sozialen Medien befragt oder sogar zur Erlangung der Zugangsdaten gefoltert (NMFA 5.2022). Die Bestrafung abweichender Aussagen ist auch bei variierendem Einsatz des Überwachungsinstrumentariums hart (FH 9.3.2023).

Die Regierung weitete im Jahr 2022 die Manipulation von Internet-Diensten und -Inhalten wie auch Textnachrichten aus, einschließlich Falschnachrichten zur Unterminierung der Glaubwürdigkeit von Menschenrechtsgruppen und anderen humanitären Organisationen. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke z. B. von E-Mails und Sozialen Medien von Gefangenen, AktivistInnen und anderen ein. Die Syrian Electronic Army (SEA) ist eine regimetreue Hackergruppe, die regelmäßig Cyberattacken auf Websites, Hackangriffe und Überwachungen ausführt. Sie, weitere Gruppen und das Regime schleusen auch Software zum Ausspionieren und andere Schadsoftware auf Geräte von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionsmitgliedern und Journalisten ein. Verhaftungen schüren die Sorge, dass die Behörden InternetbenutzerInnen jederzeit für Online-Aktivitäten, die als Bedrohung der Regimekontrolle wahrgenommen werden, verhaften könnten (USDOS 20.3.2023). Meta, der Firma zu der Facebook und WhatsApp gehören, z. B. entdeckte und entfernte im Oktober 2021 drei Hackergruppen der Syrian Electronic Army. Diese hatten Zugangsdaten zu Facebook-Konten und weitere sensible Informationen (z. B. Fotos, Kontaktlisten, Informationen über die verwendeten Geräte) gesucht (NMFA 5.2022)

Am 28.3.2022 erließ die syrische Regierung das Gesetz Nr. 15, welches Teile des Strafgesetzbuches novelliert und unter anderem den Artikel 287 erweitert, der einen Zusatz bezüglich der Schädigung des Ansehens Syriens im Ausland beinhaltet. SNHR erklärt in einer Analyse zum Gesetz Nr. 15, dass das Gesetz früher diejenigen bestraft hatte, die angebliche falsche oder übertriebene Nachrichten im Ausland verbreitet hätten, die das Ansehen des Staates oder seine finanzielle Position untergraben würden. Gemäß der Änderung ist nun jede Person strafbar, die jegliches Ansehen des Staates untergräbt, sei es finanziell, sozial, kulturell, historisch oder anderweitig. Vorgesehen ist eine Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Darüber hinaus ist Artikel 287 um ein neues Verbrechen erweitert worden, das die Verbreitung von Nachrichten bestraft, die als Imageverbesserung eines feindlichen Staates angesehen werden könnten, um den Status des syrischen Staates zu kompromittieren (SNHR 28.4.2022). Das Gesetz verbietet überdies die Publikation jeglicher Informationen über die Streitkräfte (USDOS 20.3.2023).

Die syrische Regierung hat auch die Artikel 285 bis 287 des Strafgesetzbuches verwendet, um Journalisten, Medienschaffende und Blogger anzuklagen und zu inhaftieren (NMFA 15.5.2020).

Die Verfassung garantiert nominell die Pressefreiheit, aber in der Praxis werden die Medien stark eingeschränkt, und JournalistInnen, die kritisch über den Staat berichten, sind Ziele der Zensur sowie von Verhaftungen, Folter und Tod in Gefangenschaft. Alle Medien benötigen eine Erlaubnis des Innenministeriums. Private Medien im Regierungsgebiet gehören generell Personen mit Verbindungen zum Regime (FH 9.3.2023).

JournalistInnen sind in Syrien allgemein gefährdet, besonders durch Regimekräfte und extremistische Gruppen. Laut Committee to Protect Journalists (CPJ) wurden zwischen 2011 und 2022 142 MedienmitarbeiterInnen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet. Weitere fünf wurden verhaftet und acht Personen gelten mit Stand Dezember 2022 als vermisst (FH 9.3.2023).

Die akademische Freiheit ist stark eingeschränkt. UniversitätsprofessorInnen im Regierungsgebiet werden wegen abweichender Meinungen entlassen oder inhaftiert und einige wurden aufgrund ihrer Unterstützung von Oppositionellen getötet (FH 9.3.2023).

Staatliche und nicht-staatliche Akteure begehen Akte sexueller Gewalt gegen Männer, Buben, Transgender-Frauen und non-binäre Menschen. Gemäß Artikel 520 des syrischen Strafrechts ist 'unnatürlicher Geschlechtsverkehr' mit bis zu drei Jahren Gefängnis strafbar (HRW 12.1.2023, FH 9.3.2023). I

Nichtstaatliche bewaffnete Oppositionsgruppen

Die Zahl der Übergriffe und Repressionen durch nichtstaatliche Akteure einschließlich der de-facto-Autoritäten im Nordwesten und Nordosten Syriens bleibt unverändert hoch. Bei Übergriffen regimetreuer Milizen ist der Übergang zwischen politischem Auftrag, militärischen bzw. polizeilichen Aufgaben und mafiösem Geschäftsgebaren fließend. In den Gebieten, die durch regimefeindliche bewaffnete Gruppen kontrolliert werden, kommt es auch durch einige dieser Gruppierungen regelmäßig zu Übergriffen und Repressionen (AA 29.3.2023). In ihrem Bericht von März 2021 betont der Bericht der UNCOI, dass das in absoluten Zahlen größere Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen durch das Regime und seine Verbündeten andere Konfliktparteien ausdrücklich nicht entlastet. Vielmehr ließen sich auch für bewaffnete Gruppierungen (u. a. Free Syrian Army, Syrian National Army [SNA], Syrian Democratic Forces [SDF]) und terroristische Organisationen (u.a. HTS - Hay'at Tahrir ash-Sham, bzw. Jabhat an-Nusra, IS - Islamischer Staat) über den Konfliktzeitraum hinweg zahlreiche Menschenrechtsverstöße unterschiedlicher Schwere und Ausprägung dokumentieren. Hierzu zählen für alle Akteure willkürliche Verhaftungen, Praktiken wie Folter, grausames und herabwürdigendes Verhalten und sexualisierte Gewalt sowie Verschwindenlassen Verhafteter. Im Fall von Free Syrian Army, HTS, bzw. Jabhat an-Nusra, sowie besonders vom IS werden auch Hinrichtungen berichtet (UNCOI 11.3.2021) [Anm.: zum Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen durch den IS sowie der anderen Organisationen siehe Bericht].

Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie z. B. HTS, sind verantwortlich für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, darunter rechtswidrige Tötungen und Entführungen, rechtswidrige Inhaftierungen, körperliche Misshandlungen und Tötungen von Zivilisten und Rekrutierungen von Kindersoldaten (USDOS 20.3.2023). Personen, welche in Verdacht geraten, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu haben, sind in Gebieten extremistischer Gruppen der Gefahr von Exekutionen ausgesetzt (FH 9.3.2023).

Trotz der territorialen Niederlage des sogenannten Islamischen Staates (IS) im Jahr 2019 (USDOS 12.4.2022) verübt die Gruppe weiterhin Morde, Angriffe und Entführungen (USDOS 12.4.2022, vergleiche USDOS 20.3.2023).

Aufgrund des militärischen Vorrückens der Regime-Kräfte und nach Deportationen von Rebellen aus zuvor vom Regime zurückeroberten Gebieten ist Idlib in Nordwestsyrien seit Jahren das Rückzugsgebiet für viele moderate, aber auch radikale, teils terroristische Gruppen der bewaffneten Opposition geworden (AA 29.11.2021) [Anm.: siehe auch Kapitel Sicherheitslage]. HTS hat neben der militärischen Kontrolle über den Großteil des verbleibenden Oppositionsgebiets der Deeskalisierungszone Idlib dort auch lokale Verwaltungsstrukturen unter dem Namen „Errettungs-Regierung“ aufgebaut. Auch unterhält HTS ein eigenes Gerichtswesen, welches die Sharia anwendet, sowie eigene Haftanstalten. HTS konsolidierte seine Machtposition im Nordwesten des Landes im Berichtszeitraum weiter und ging dabei teils brutal gegen Widerstand aus der Zivilgesellschaft vor, insbesondere eine weitere Einschränkung des Raums für zivilgesellschaftliches Engagement und die Verhaftung von Aktivistinnen und Aktivisten sowie anderen HTS-kritischen Akteuren, wiederholt auch ohne Kontaktmöglichkeiten zu Angehörigen und Rechtsbeiständen (AA 29.3.2023). In der Region Idlib war 2019 ein massiver Anstieg an willkürlichen Verhaftungen und Fällen von Verschwindenlassen zu verzeichnen, nachdem HTS dort die Kontrolle im Jänner 2019 übernommen hatte. Frauen wurden bzw. sind in den von IS und HTS kontrollierten Gebieten massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt. Angehörige sexueller Minderheiten werden exekutiert (ÖB Damaskus 1.10.2021). Berichtet wurden zudem Verhaftungen von Minderjährigen, insbesondere Mädchen. Als Gründe werden vermeintliches unmoralisches Verhalten, wie beispielsweise das Reisen ohne männliche Begleitung oder unangemessene Kleidung angeführt. Mädchen soll zudem in vielen Fällen der Schulbesuch untersagt worden sein. HTS zielt darüber hinaus auch auf religiöse Minderheiten ab. So hat sich HTS laut der UNCOI im März 2018 zu zwei Bombenanschlägen auf den schiitischen Friedhof in Bab as-Saghir bekannt, bei dem 44 Menschen getötet, und 120 verletzt wurden. Versuche der Zivilgesellschaft, sich gegen das Vorgehen der HTS zu wehren, werden zum Teil brutal niedergeschlagen. Mitglieder der HTS lösten 2020 mehrfach Proteste gewaltsam auf, indem sie auf die Demonstrierenden schossen oder sie gewaltsam festnahmen. Laut der UNCOI gibt es weiterhin Grund zur Annahme, dass es in Idlib unverändert zu Verhaftungen und Entführungen durch HTS-Mitglieder, auch unter Anwendung von Folter, kommt (AA 29.11.2021). Die HTS greift in vermehrtem Ausmaß in alle Aspekte des zivilen Lebens ein, z. B. durch Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen, Vorschreiben von Kleidungsvorschriften und Frisuren sowie durch das wahllose Einheben von Steuern und Geldbußen. Er beschlagnahmt auch viele Häuser und Immobilien von Christen (HRW 13.1.2022). Zusätzlich verhaftete HTS eine Anzahl von IDPs unter dem Vorwand, dass diese sich weigerten, in Lager für IDPs zu ziehen, und HTS verhaftete auch BürgerInnen für die Kontaktierung von Familienangehörigen, die im Regierungsgebiet lebten (SNHR 3.1.2023).

In den von der Türkei besetzten Gebieten verletzen die Türkei und lokale syrische Gruppierungen ungestraft die Rechte der Zivilbevölkerung und schränken ihre Freiheiten ein. Im Zuge der türkischen Militäroperation Friedensquelle im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam und kommt es Berichten zufolge zu willkürlichen Tötungen von Kurden durch Kämpfer der – mit den türkischen Truppen affiliierten – Milizen der SNA sowie zu Plünderungen und Vertreibungen von Kurden, Jesiden und Christen (ÖB 1.10.2021). In der ersten Jahreshälfte 2021 verhaftete die SNA laut SNHR willkürlich 162 Personen. Mit Dezember 2019 hatten die türkischen Behörden und die mit ihr verbündete SNA mindestens 63 syrische Staatsbürger verhaftet und illegalerweise in die Türkei verbracht, um sie wegen Anklagen mit potenziell lebenslangen Haftstrafen vor Gericht zu stellen. Fünf der 63 Syrer wurde bereits im Oktober 2020 zu lebenslanger Haft verurteilt (HRW 13.1.2022). Die Festnahme syrischer Staatsangehöriger in Afrin und Ra's al 'Ayn sowie deren Verbringung in die Türkei durch die SNA könnte laut UN-COI das Kriegsverbrechen einer unrechtmäßigen Deportation darstellen (AA 29.11.2021). Auch in den von der Türkei bzw. der Türkei-nahen SNA kontrollierten Gebieten im Norden Syriens kam es vielfach zu Übergriffen und Verhaftungen, die laut UNCOI insbesondere die kurdische Zivilbevölkerung betreffen. In vielen Fällen befänden sich Kurdinnen und Kurden hier laut der UN-Kommission in einer doppelten Opferrolle: Nach einer früheren Zwangsrekrutierung durch die kurdischen SDF in vorherigen Phasen des Konflikts mit der Türkei würden sie nun für eben diesen unfreiwilligen Einsatz von der SNA verfolgt und inhaftiert. Auch darüber hinaus sind in SNA-Gebieten Fälle von willkürlichen Verhaftungen, Isolationshaft ohne Kontakt zur Außenwelt sowie Fälle von Folter in Haft von der UN-Kommission verzeichnet. Der grundsätzlich bestehende Rechtsweg, um sich gegen ungerechtfertigte Inhaftierungen rechtlich zur Wehr zu setzen, ist laut UN-Einschätzung aufgrund langer Verfahrensdauern nicht effektiv (AA 29.3.2023).

Teile der SDF, einer Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen ebenfalls für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein, darunter Angriffe auf Wohngebiete, willkürliche Inhaftierungen, Misshandlungen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten sowie Einschränkungen der Versammlungs- und Redefreiheit wie auch die willkürliche Zerstörung von Häusern. Die SDF untersuchen die meisten gegen sie vorgebrachten Klagen, und einige SDF-Mitglieder werden wegen Misshandlungen angeklagt, wozu aber keine Statistiken vorliegen (USDOS 20.3.2023). Die SDF führten im Jahr 2021 'Massenverhaftungen von Zivilisten, darunter Aktivisten, Journalisten und Lehrer', durch. In der ersten Jahreshälfte 2021 belief sich die Zahl der Verhafteten laut dem SNHR auf 369 Personen (HRW 13.1.2022). Das US-Außenministerium berichtete hingegen für das Jahr 2021 von 'gelegentlichen' Einschränkungen von Menschenrechtsorganisationen und Schikanen gegen Aktivisten von Seiten der SDF und anderen Oppositionsgruppen, darunter 'in manchen Fällen' willkürliche Haft (USDOS 12.4.2022). Bezüglich des Jahres 2022 berichtet Human Rights Watch weiterhin von Massenverhaftungen von Zivilisten, darunter Aktivisten, Journalisten und Lehrer. Ende Juli 2022 verhafteten die SDF demnach inmitten erhöhter Spannungen mit der Türkei mindestens 16 AktivistInnen und MedienmitarbeiterInnen unter dem Vorwurf der 'Spionage' (HRW 12.1.2023). Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt jedoch laut Einschätzung des Auswärtigen Amtes erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und dschihadistischer Gruppen befinden (AA 29.3.2023).

Nach der territorialen Niederlage des IS im Nordosten Syriens wies Human Rights Watch (HRW) auf die Notwendigkeit hin, dass Entschädigungen für zivile Opfer geleistet, dass Unterstützung bei der Ermittlung des Schicksals der vom IS Entführten angeboten wird, und dass man sich angemessen mit der Notlage von mehr als 60.000 syrischen und ausländischen Männern, Frauen und Kindern, die auf unbestimmte Zeit als IS-Verdächtige und deren Familienmitglieder unter schlechten Bedingungen in geschlossenen Lagern und Gefängnissen festgehalten werden, befasst (HRW 13.1.2022).

In Gebieten, in denen weder die Regierung noch extremistische Gruppen dominieren, ist der Spielraum der Redefreiheit etwas größer, auch wenn die Partei der Demokratischen Union (PYD) und einige andere Oppositionsfraktionen Berichten zufolge auch die Redefreiheit einschränken. Die Medienfreiheit variiert in Gebieten unter der Herrschaft anderer Gruppen, aber lokale Medien stehen normalweise unter großem Druck, die dominante Gruppe ihres Gebiets zu unterstützen. So suspendierte die PYD-geführte Verwaltung im Februar 2022 die Lizenz der im Nordirak ansässigen Rudaw-Mediengruppe unter dem Vorwurf der Falschinformation und Aufhetzung. Mitte März verlangte dieselbe Verwaltung von JournalistInnen den Beitritt zur Union of Free Media, welche sich unter ihrem Einfluss befindet. HTS schikaniert regelmäßig wahrgenommene KritierInnen, einschließlich JournalistInnen (FH 9.3.2023).
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Haftbedingungen

Letzte Änderung 2023-07-17 12:41

Der Einsatz von Folter, des Verschwindenlassens und schlechter Bedingungen in den Gefängnissen ist keine Neuheit seit Ausbruch des Konflikts, sondern war bereits seit der Ära von Hafez al-Assad Routinepraxis verschiedener Geheimdienst- und Sicherheitsapparate in Syrien (SHRC 24.1.2019). Seit Ausbruch des Konflikts haben sich die Zustände aufgrund von Überfüllung und einer gestiegenen Gewaltbereitschaft der Sicherheitskräfte und Gefängnisbediensteten erheblich verschlechtert (AA 29.3.2023). Folter bleibt eine der meisten schweren Menschenrechtsverletzungen durch die syrische Regierung und ist breit dokumentiert (STJ 12.7.2022). Die Gefängnisse sind überdies stark überfüllt. Es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung u. a., sodass die Zustände insgesamt lebensbedrohlich sind (USDOS 20.3.2023). Diese Lage geht mit grassierenden Krankheiten, einschließlich COVID-19 (AA 29.3.2023), und mit einer entsprechend hohen Sterberate einher (USDOS 20.3.2023). Die hygienischen Zustände sind laut Auswärtigem Amt "katastrophal". Dies gilt generell, jedoch in besonderem Maße für diejenigen Gefängnisse, in denen Oppositionelle und sonstige politische Gefangene untergebracht sind (AA 29.3.2023), und laut US-Außenministerium insbesondere in Hafteinrichtungen der Sicherheits- und Nachrichtendienste (USDOS 20.3.2023).

Besondere Bedürfnisse von Frauen werden kaum oder gar nicht berücksichtigt. Berichten zufolge müssen Frauen in Gefängnissen ohne jegliche Unterstützung entbinden und für ihre Kinder sorgen. Eine Versorgung mit Milch oder Hygieneartikeln erfolgt allenfalls durch Besucher, sofern sie in der entsprechenden Haftanstalt erlaubt sind (AA 29.3.2023).

Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leer stehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festgehalten werden. Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) fest (USDOS 20.3.2023).

Nach glaubhaften Berichten Entlassener verschwinden immer wieder Häftlinge, die zur medizinischen Versorgung in die Krankenhaus-Abteilungen der Vollzugsanstalten überstellt werden. Immer wieder kommt es zu Todesfällen [Anm.: zu Hinrichtungen und Tod durch Folter - siehe Kapitel Todesstrafe und außergerichtlichen Tötungen sowie Folter und unmenschliche Behandlung] von Inhaftierten. Untersuchungen zu Todesursachen sind angesichts des beschränkten Zugangs kaum möglich, da das Regime selbst in der Regel keine Angaben zu Todesfällen in Folge von Gewaltanwendung macht, sondern zumeist unspezifische Todesursachen wie Herzversagen, Schlaganfall und Ähnliches anführt. Neben gewaltsamen Todesursachen ist eine hohe Anzahl der Todesfälle nach Berichten der CoI auch auf die desolaten Haftbedingungen zurückzuführen (AA 29.3.2023). Die meisten der auch im Jahr 2020 bekannt gegebenen Todesfälle betreffen Inhaftierte aus den vergangenen neun Jahren, wobei das Regime ihre Familien erst in den Folgejahren über ihren Tod informiert, und diese nur nach und nach bekanntmacht. In den meisten Fällen werden die Familien der Opfer nicht direkt über ihren Tod informiert, weil der Sicherheitsapparat nur den Status der Inhaftierten im Zivilregister ändert. So müssen die Familien aktiv im Melderegister suchen, um vom Verbleib ihrer Angehörigen zu erfahren. In diesen Fällen wurden die sterblichen Überreste auch nicht den Angehörigen übergeben (SNHR 26.6.2022).

Laut Menschenrechtsorganisationen und Familien von Inhaftierten bzw. Verschwundenen nutzen das Regime und ein korruptes Gefängnispersonal die erheblichen Zugangsbeschränkungen und -erschwernisse in Haftanstalten, aber auch die schlechte Versorgungslage, nicht zuletzt auch als zusätzliche Einnahmequelle. Grundlegende Versorgungsleistungen sowie Auskünfte zum Schicksal von Betroffenen werden vom Justiz- und Gefängnispersonal häufig nur gegen Geldzahlungen gewährt. Zudem sei es in einigen Fällen möglich, gegen Geldzahlung das Strafmaß bzw. Strafvorwürfe nachträglich zu reduzieren und so von Amnestien zu profitieren. Ein im Dezember 2020 von der Association of Detainees and The Missing in Saydnaya Prison veröffentlichter Bericht quantifiziert anhand von Interviews mit Familienangehörigen von 508 Verschwundenen das wirtschaftliche Ausmaß dieses Systems. Anhand von Hochrechnungen auf Basis der dokumentierten Fälle geht ADMSP von Zahlungen in einer Gesamthöhe von mehr als 100 Mio. USD in Vermisstenfällen aus, bei Einberechnung aller erkauften Freilassungen von über 700 Mio. USD (AA 29.3.2023).

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Todesstrafe und außergerichtliche Tötungen

Letzte Änderung 2023-07-17 13:08

Todesfälle in der Haft und standrechtliche Hinrichtungen wurden in Hafteinrichtungen aller Parteien dokumentiert (UNHRC 17.11.2021). Keine der Konfliktparteien in Syrien veröffentlicht Informationen über den Verbleib von Gefangenen und die Gründe für ihre Verhaftung, noch stellen sie Dokumentationen zu den Urteilen zur Verfügung - auch nicht bei Verhängung der Todesstrafe. Daher ist der Großteil der Familien nicht über das Schicksal ihrer Angehörigen informiert, zumal die große Mehrheit der Gefangenen "verschwunden" wird (SNHR 2.2.2023).

Gebiete unter Regimekontrolle

Die syrische Strafgesetzgebung sieht für Mord, schwere Drogendelikte, Terrorismus, Hochverrat und weitere Delikte (AA 29.3.2023), wie auch zum Beispiel die Zerstörung öffentlicher Gebäude und Transport- sowie Kommunikationswege, die Todesstrafe vor (UNHRC 17.11.2021). In der juristischen Praxis wird der Begriff Hochverrat sehr weit gefasst und kann schon bei wahrgenommener Dissidenz erfüllt sein. Dies dient nicht zuletzt politischen Zwecken: Politische Gegner, bewaffnete Rebellen oder die humanitär tätigen syrischen „Weißhelme“ werden weitgehend unterschiedslos als „Terroristen“ eingestuft und sind damit von der Todesstrafe bedroht. Nach Definition des Regimes können bereits die Belieferung von Gebieten unter Kontrolle der Opposition mit humanitären Gütern oder die medizinische Behandlung von Oppositionellen mit der Todesstrafe geahndet werden. Urteile wegen Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft, auf welche ebenfalls die Todesstrafe steht, werden seit einigen Jahren in der Regel in zwölfjährige Freiheitsstrafen umgewandelt (AA 29.3.2023). Seit dem Beschluss eines Gesetzes gegen Folter am 30.3.2022 steht auch auf Folter mit Todesfolge oder in Verbindung mit Vergewaltigung die Todesstrafe. Allerdings ist laut der United Nations Independent International Commission of Inquiry Folter und Misshandlung in Haft in Syrien systematisch - auch im Saydnaya-Gefängnis und mehreren anderen Haftanstalten der syrischen Nachrichtendienste (HRW 12.1.2023).

Regelmäßig vom Regime verkündete Amnestien (so zuletzt Legislativdekret 7/2022) verringern ausgesprochene Todesurteile zum Teil auf lebenslange harte Strafarbeit oder stellen eine Freilassung in Aussicht. In der Rechtspraxis kommen die Amnestien aufgrund großzügig ausgelegter Ausnahmetatbestände und prozeduralen Hindernissen jedoch nur in Einzelfällen zur Anwendung, dabei oftmals infolge der Zahlung hoher Bestechungsgelder an Amtsträger im Justiz- und Sicherheitswesen (AA 29.3.2023).

Eine quantitative Bewertung von verhängten Todesurteilen bzw. deren Vollstreckung ist auch im Berichtszeitraum nicht möglich, da seit Beginn des bewaffneten Konflikts keine offiziellen Zahlen zu vollstreckten Todesurteilen mehr veröffentlicht werden. Für 2022 sind auch keine Einzelfälle durch das Regime bekannt gemacht worden, so wie zuletzt im Oktober 2021 nach der Hinrichtung von 24 vermeintlich Verantwortlichen für die schweren Waldbrände in Nordsyrien im Jahr 2020. Erschwert wird die Erfassung von vollstreckten Todesurteilen durch Tötungen und Hinrichtungen von Inhaftierten ohne Anklage oder Urteil. Die United Nations Independent International Commission of Inquiry dokumentierte auch im jüngsten Bericht von September 2022 eine hohe Zahl von Fällen solcher außergerichtlichen Hinrichtungen in Gebieten unter Kontrolle des Regimes (AA 29.3.2023). Die Todesstrafe wird oftmals ohne vorangegangenes faires Verfahren und im Geheimen vollstreckt (ÖB Damaskus 1.10.2021). Ein Überprüfungsausschuss, dessen Mitglieder von Präsident Assad eingesetzt werden, ist befugt, die von syrischen Strafgerichten verhängten Todesstrafen zu überprüfen, nicht aber die der Sondergerichte wie Anti-Terrorismus-, Militär- und Feldgerichte (STJ 7.6.2022)

Es gibt zahlreiche Berichte über Todesfälle in Regierungsgewahrsam durch Hinrichtungen ohne fairen Prozess, durch Folter oder durch andere Formen der Misshandlung, wie etwa Mangelernährung und fehlende medizinische Versorgung, namentlich z. B. in der Haftanstalt des Mezzeh Flughafens, in den Abteilungen 215 und 235 des Militärnachrichtendiensts und im Saydnaya Gefängnis (USDOS 20.3.2023).

- Das Gefängnis von Saydnaya/Sednaya

Besonders viele Hinrichtungen entfallen nach zahlreichen Berichten auf das Zentralgefängnis von Saydnaya nahe Damaskus, in dem vornehmlich politische Gefangene festgehalten werden (AA 29.3.2023). Amnesty International schätzte 2017 allein die Zahl der zwischen 2011 und 2015 in Saydnaya hingerichteten Personen auf mindestens 13.000 Menschen (AI 22.10.2021). Im Jahr 2017 äußerte die US-Regierung öffentlich die Vermutung, dass syrische Behörden in Saydnaya jeden Freitag eine zwei- bis dreistellige Anzahl Häftlinge hinrichteten und hierfür eigens ein Krematorium angelegt hätten, um die Leichen von Gefangenen ohne Spuren zu beseitigen, was in den Jahren 2018 und 2019 durch Medienrecherchen untermauert wurde (AA 29.3.2023). Auch im Jahr 2021 gab es weitere Berichte über Hunderte Tote im Saydnaya-Gefängnis und den Einrichtungen der Sicherheitsdienste sowie über Dutzende Tote nach einem Gefangenentransfer in das Tishrin Militärhospital. Ehemalige Insassen von Saydnaya berichteten auch über anhaltende Todesfälle durch Folter und unmenschliche Behandlung vor dem Hintergrund von weitverbreitetem Hunger und Tuberkulose (UNCOI 13.8.2021, zu "Salzräumen" als improvisierte Leichenhallen und Folterkammern siehe z.B. SHRC 1.2023).

- Hinrichtungen und Attentate, die mit dem Beilegungsabkommen von Dara'a in Zusammenhang gebracht werden

Der NGO Global Voices zufolge hielt sich das Regime nie an die Bedingungen des Abkommens und ging weiterhin gegen Mitglieder der Opposition vor. Das Dara'a Martyrs' Documentation Office meldete im Jänner 2021 die Hinrichtung von 83 militärischen Gegnern des Regimes, welche ein Beilegungsabkommen unter Vermittlung der russischen Militärpolizei angenommen hatten, sowie von 31 weiteren Personen, welche das Abkommen nicht angenommen hatten (USDOS 12.4.2022). Im ersten Halbjahr 2022 wurden über 100 Personen in Dara'a getötet, und was ein Muster Attentaten durch Unbekannte auf ehemalige frühere Mitglieder aufständischer und regierungstreuer Einheiten fortsetzte. Das Dara'a Martyrs' Documentation Office meldete 90 Attentatsversuche, welche mit dem Tod von 51 Personen endete - darunter 31 Zivilisten sowie frühere Oppositionskämpfer, welche Beilegungsabkommen mit dem Regime unterzeichnet hatten. Letztere gehören zu den Profilen, welche besonders als Ziel für derartige Attentate gestuft werden (USDOS 20.3.2023).

Landesteile außerhalb der Regierungskontrolle

In den oppositionellen Gebieten variieren gesetzliche und gerichtliche Abläufe je nach Ort und dominierender bewaffneter Gruppe. Lokalverwaltungen übernehmen diese Zuständigkeiten teils unter Anwendung von Gewohnheitsrecht, aus der Scharia abgeleitet, teils unter Heranziehung nationaler Gesetze. Urteile in Scharia-Räten führen manchmal zu Hinrichtungen ohne Berufungsprozess oder Besuch von Familienmitgliedern (USDOS 29.3.2023). Im Laufe des bewaffneten Konflikts wurden wiederholt auch Hinrichtungen von gefangenen Angehörigen der syrischen Sicherheitskräfte durch bewaffnete, zumeist radikalislamische Oppositionsgruppen und terroristische Gruppierungen von der UNO dokumentiert (AA 29.3.2023).

Der sogenannte Islamische Staat (IS) führte Hinrichtungen in der Öffentlichkeit durch und zwang die Bewohner - auch Kinder - zuzusehen (UNHRC 17.11.2021). Bis zu seiner territorialen Niederlage im April 2019 tötete der IS Hunderte von Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder durch öffentliche Hinrichtungen, wie Kreuzigungen und Enthauptungen unter dem Vorwurf des Glaubensabfalls, der Blasphemie und der Homosexualität (USDOS 10.6.2020). Im Lager al-Hol wurden von Jänner bis November 2022 mindestens 42 Personen ermordet, darunter vier Kinder (USDOS 20.3.2023; Anmerkung, zum al-Hol Lager siehe auch Unterkapitel über Sicherheitslage in Nordostsyrien sowie zum Rechtsschutz in Nordost-Syrien).

Im Jahre 2020 führten türkische Truppen und die Syrian National Army (SNA) mindestens sieben standrechtliche Hinrichtungen in den von ihnen besetzten Gebieten im Nordosten Syriens durch (HRW 13.1.2021). Im Jahr 2022 führten von der Türkei unterstützte syrische Oppositionsgruppen Berichten zufolge ebenfalls außergerichtliche Hinrichtungen durch. Laut SNHR tötete die SNA 24 Zivilisen, darunter sechs Frauen und sieben Kinder. Laut der "Syrischen Interimsregierung" untersuchten Militärgerichte im Jahr 2021 mindestens 169 Fälle von Verbrechen von Kleindiebstahl bis hin zu Mord, aber für 2022 legte sie keine Zahlen vor. Die Angeklagten gehörten zu verschiedenen bewaffneten Oppositionsgruppen, und ihre Prozesse fanden in vielen Fällen in absentia statt. Menschenrechtsaktivisten kritisierten die Reformen als nicht glaubwürdig, und dass keine Täter zur Verantwortung gezogen würden (USDOS 20.3.2023).

Auch Hay'at Tahrir ash-Sham, die überwiegend mehrere Regionen in Idlib kontrolliert, hat Berichten zufolge standrechtliche Hinrichtungen durchgeführt (HRW 13.1.2021) - so auch der UN Commission of Inquiry for Syria (COI) zufolge. Den Hingerichteten - darunter auch Frauen - wurden Verbrechen von Mord über Ehebruch bis zu Vergewaltigung vorgeworfen. Mindestens zwei Kinder wurden Berichten zufolge zum Tod verurteilt (UNCOI 13.3.2023).

Das selbst ernannte Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) hat die Todesstrafe im Jahr 2016 abgeschafft (NMFA 5.2022).

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Bewegungsfreiheit

Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens

Letzte Änderung 2023-07-12 14:46

Die Verfassung sieht Bewegungsfreiheit vor, 'außer eine gerichtliche Entscheidung oder die Umsetzung von Gesetzen' schränken diese ein. Das Regime, HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) und andere bewaffnete Gruppen sehen Restriktionen bei der Bewegungsfreiheit in ihren jeweiligen Gebieten vor und setzen dazu zur Überwachung Checkpoints ein (USDOS 20.3.2023).

Regierungsangriffe auf die Provinz Idlib und Teile Südsyriens schränkten die Bewegungsfreiheit ein und führten zu Todesfällen, Hunger und schwerer Mangelernährung, während die Angst vor der Vergeltung der Regierung zur Massenflucht von ZivilistInnen und dem Zusammenbruch u. a. der humanitären Hilfe führte. Im Februar 2022 ergab eine UN-Umfrage, dass 51 % der geprüften Gemeinschaften von Bewegungseinschränkungen betroffen waren (USDOS 20.3.2023).

Checkpoints werden sowohl von Regimesicherheitskräften sowie lokalen und ausländischen Milizen unterhalten (USDOS 20.3.2023). In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig ungeregelte Kontrollen durchführen. Dabei kann es auch zu Forderungen nach Geldzahlungen oder willkürlichen Festnahmen kommen. Insbesondere Frauen sind in diesen Kontrollen einem erhöhten Risiko von Übergriffen ausgesetzt (AA 15.5.2023). Auch können Passierende gewaltsam für den Militärdienst eingezogen werden (NFMA 5.2022).

Überlandstraßen und Autobahnen sind zeitweise gesperrt. Reisen im Land ist durch Kampfhandlungen vielerorts weiterhin sehr gefährlich. Es gibt in Syrien eine Reihe von Militärsperrgebieten, die allerdings nicht immer eindeutig gekennzeichnet sind. Darunter fallen auch die zahlreichen Checkpoints der syrischen Armee und Sicherheitsdienste im Land. Für solche Bezirke gilt ein absolutes Verbot, sie zu betreten. Der Begriff der militärischen Einrichtung wird von den syrischen Sicherheitsdiensten umfassend ausgelegt und kann neben klar erkennbaren Kasernen, Polizeistationen und Militärcheckpoints auch schwerer zu identifizierende Infrastruktur wie z. B. Wohnhäuser hochrangiger Personen, Brücken, Rundfunkeinrichtungen oder andere staatliche Gebäude umfassen (AA 15.5.2023). Zudem wurden Kontrollpunkte eingerichtet, um diejenigen, die außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete leben, am Zugang zu ihren Grundstücken oder Eigentumsdokumenten zu hindern. Es gibt auch Berichte über die Beschlagnahmung von Eigentumsdokumenten und anderen Ausweispapieren an Kontrollpunkten, einschließlich Heiratsurkunden. Dies birgt für Frauen ein besonders hohes Risiko, den Zugang zu ihrem Eigentum zu verlieren, falls das Eigentum auf den Namen des Ehemannes eingetragen ist (AA 29.3.2023). Die Regimesicherheitskräfte erpressen Leute an den Checkpoints (USDOS 20.3.2023) für eine sichere Passage durch ihre Kontrollpunkte. So werden z. B. an den Checkpoints an der Straße von der jordanisch-syrischen Grenze nach Dara'a üblicherweise Bestechungsgelder eingehoben (HRW 20.10.2021).

Die Kontrollpunkte grenzen die Stadtteile voneinander ab. Sie befinden sich auch an den Zugängen zu Städten und größeren Autobahnen wie etwa Richtung Libanon, Flughafen Damaskus, und an der M5-Autobahn, welche von der jordanischen Grenze durch Dara'a, Damaskus, Homs, Hama und Aleppo bis zur Grenze mit der Türkei reicht. Zurückeroberte Gebiete weisen eine besonders hohe Dichte an Checkpoints auf (HRW 20.10.2021). Die Vierte Division, angeführt von Maher al-Assad, dem Bruder von Bashar al-Assad, übernahm die Kontrolle über alle Transportrouten Richtung Libanon und Jordanien sowie alle Hauptverkehrswege in West- und Süd-Syrien. Eine große Rekrutierungskampagne für die Besatzungen der Kontrollpunkte ist im Gang. Die Checkpoints sichern die Drogentransitrouten [Anm.: Siehe Informationen zu Ceptagon in den jeweiligen Kapiteln] und sind dabei ein Monopol auf Bestechungsgelder für Reisen durch das Land zu schaffen (FP 1.2.2023).

Passierende müssen an den vielen Checkpoints des Regimes ihren Personalausweis und bei Herkunft aus einem wiedereroberten Gebiet auch ihre sogenannte 'Versöhnungskarte' vorweisen. Die Telefone müssen zur Überprüfung der Telefonate übergeben werden. Es mag zwar eine zentrale Datenbank für gesuchte Personen geben, aber die Nachrichtendienste führen auch ihre eigenen Suchlisten. Seit 2011 gibt es Computer an den Checkpoints und bei Aufscheinen (in der Liste) wird die betreffende Person verhaftet (HRW 20.10.2021). Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, u. a. wenn sie z. B. aus früher oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder auch wenn sie Verbindungen zu Personen in Oppositionsgebieten wie Nordsyrien oder zu bekannten oppositionellen Familien haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensähnlichkeit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Kontrollpunkten führen (DIS/DRC 2.2019). Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr unterschiedlich sein, je nachdem, wer ihn kontrolliert. Auch die Laune und die Präferenzen des Kommandanten können eine Rolle spielen (DIS 9.2019). Es gibt keine Rechtssicherheit, und die Gefahr, Opfer staatlicher Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 29.3.2023).

Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 befinden sich weit weniger Gebiete unter Belagerung, nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten Gebiete im Süden und Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben (SHRC 24.1.2019). Die Regimesicherheitskräfte halten in einigen Fällen ZivilistenInnen von der Flucht aus belagerten Städten ab (USDOS 20.3.2023). Im Fall von Dara’a al-Balad im Jahr 2021 verletzte laut UN Commission of Inquiry for Syria die Belagerungstaktik der Pro-Regimekräfte die Bewegungsfreiheit und könnte auf eine Kollektivbestrafung hinauslaufen (USDOS 20.3.2023).

Ausländischen DiplomatInnen - einschließlich von der UNO und dem OPCW Investigation and Identification Team (IIT) (OPCW - Organization for the Prohibition of Chemical Weapons) - wurde von der syrischen Regierung der Besuch vieler Landesteile untersagt, und sie erhielten selten die Erlaubnis, außerhalb von Damaskus zu reisen (USDOS 20.3.2023).

Anmerkung, Zum dahinschwindenden öffentlichen Verkehrssystem und seinen gestiegenen Fahrpreisen siehe Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft.

Betreten und Verlassen des Regimegebiets

Zum Betreten und Verlassen des Regimegebiets ist eine Sicherheitsfreigabe durch das Regime nötig, was ein Hindernis für Flüchtlinge und Binnenvertriebene darstellt, welche in ihre Heimatorte zurückkehren möchten. Personen, die vom Regime als kritisch wahrgenommen werden, erhalten diese Genehmigung oft nicht - ebenso ihre Verwandten, frühere Oppositionelle sowie ehemalige BewohnerInnen von als Hochburgen der Opposition wahrgenommen Gebieten (USDOS 20.3.2023).

Laut niederländischem Außenministerium ist es unmöglich, einen Überblick zu vermitteln, welche Übergänge zwischen den Oppositionsgebieten und dem Regimegebiet im Berichtszeitraum offen waren - und zu welchem Zeitpunkt und für welche Personen und Reisezwecke. Es wird aber auf die potenzielle Gefahr von Reisen für ZivilistInnen innerhalb Syriens allgemein und besonders bei Einreisen aus den Oppositionsgebieten in das Regimegebiet wegen der Notwendigkeit des Passierens von Checkpoints der syrischen Geheimdienste, des Militärs und anderer Pro-Regime-Milizen hingewiesen (NMFA 6.2021).

Es ist laut niederländischem Außenministerium nicht möglich, frei vom Regimegebiet in die Gebiete der sog. Errettungsregierung Anmerkung, mit HTS als dominante Kraft) oder in das Gebiet der Syrischen Interimsregierung Anmerkung, mit den pro-türkischen Einheiten der Syrian National Army) zu reisen und in umgekehrter Richtung. Das gilt für alle BürgerInnen ungeachtet ihres Geschlechts, Alters, ethnischer Zugehörigkeit und Religion, und hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Es ist auch nicht möglich, vom kurdischen Selbstverwaltungsgebiet ins Gebiet der Syrischen Interimsregierung zu gelangen. Reisen zwischen dem Gebiet der sog. Errettungsregierung und der Syrischen Interimsregierung sind möglich. Manche Reisen zwischen dem Regimegebiet und dem Selbstverwaltungsgebiet (der SDF) sind möglich, aber die genauen Konditionen sind unbekannt. BewohnerInnen von al-Hassakah und Qamishli sowie Personen, die dort geboren sind, gehören zu den Personengruppen, welche vom Regimegebiet aus in diese beiden Städte reisen können, weil die Behörden dort eine gewisse Präsenz haben. Auch Leute, die im Regimegebiet wohnen, aber aus Teilen von Raqqa und Deir az-Zour stammen, die nun unter Kontrolle der Selbstverwaltung stehen, können Berichten zufolge hin und her reisen, um ihre Besitztümer zu überprüfen oder Land zu kultivieren (NMFA 5.2022).

Die Situation bezüglich des Warenverkehrs stellt sich anders dar als bei Personen - landwirtschaftliche Produkte können vom Regimegebiet aus in andere Landesteile gebracht werden (NMFA 5.2022).

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Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen

Letzte Änderung 2023-07-13 06:47

Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geografischen Gebiet verweigern. Die Kosten für einen Reisepass von 800 bis 2.000 USD macht diesen für viele unerschwinglich. Das syrische Regime hat zudem Erfordernisse für Ausreisegenehmigungen eingeführt. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition oder Personen, die als solche wahrgenommen werden oder mit diesen oder mit Oppositionsgebieten in Verbindung stehen. Deshalb zögern diese sowie ihre Familien, eine Ausreise zu versuchen, aus Angst vor Angriffen/Übergriffen und Festnahmen an den Flughäfen und Grenzübergängen. Auch JournalistInnen und MenschenrechtsaktivistInnen sowie Personen, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren, sowie deren Familien und Personen mit Verbindungen zu ihnen werden oft mit einem Ausreiseverbot belegt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer. Erhalten AktivistInnen oder JournalistInnen eine Ausreiseerlaubnis, so werden sie bei ihrer Rückkehr verhört (USDOS 20.3.2023). Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten, und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 29.3.2023).

Flüchtlingsbewegungen finden in die angrenzenden Nachbarländer statt. Die Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen, bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden, und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 16.5.2023). Das Regime schließt regelmäßig den Flughafen von Damaskus sowie Grenzübergänge und begründet dies mit Gewalt, bzw. drohender Gewalt (USDOS 20.3.2023) Anmerkung, Bzgl. der Schließung von zivilen Flughäfen wegen israelischer Luftangriffe siehe auch Kapitel Sicherheitslage). Im Anschluss an israelische Luftschläge auf die Flughäfen Aleppo und Damaskus musste der Flugverkehr teilweise für mehrere Wochen eingestellt werden (AA 29.3.2023).

Die auf Grund von COVID-19 verhängten Sperren der Grenzübergänge vom regierungskontrollierten Teil in den Libanon, nach Jordanien (Nasib) und in den Irak (Al-Boukamal) für den Personenverkehr wurden zwischenzeitig aufgehoben. Neue Einschränkungen seitens des Libanon sind mehr der Vermeidung illegaler Migration aus Syrien in den Libanon als COVID-Maßnahmen geschuldet. Der libanesische Druck zur freiwilligen Rückkehr einer wachsenden Zahl syrischer Flüchtlinge steigt. Die Grenzen zwischen der Türkei und den syrischen kurdisch besetzten Gebieten sind geschlossen; zum Irak hin sind diese durchlässiger (ÖB Damaskus 12.2022) Anmerkung, bzgl. Personenverkehr zwischen Türkei und Syrien seit 6.2.2023 siehe auch Kapitel Rückkehr).

Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 8.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen per Antrag an das Innenministerium die Ausreise aus Syrien zu verbieten, auch wenn Frauen, die älter als 18 Jahre sind, eigentlich das Recht haben, ohne die Zustimmung männlicher Angehöriger zu verreisen (USDOS 20.3.2023).

Einige in Syrien aufhältige PalästinenserInnen brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen. Dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (STDOK 8.2017).

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BINNENVERTRIEBENE (IDPS) UND FLÜCHTLINGE

Letzte Änderung 2023-07-13 13:23

Binnenvertriebene (IDPs)

Ende 2022 waren 12,4 Millionen SyrerInnen weiterhin entweder Flüchtlinge außerhalb des Landes oder Binnenvertriebene (IDPs - internally displaced persons) in Syrien. Es kam zu keinen bedeutenden Rückkehrbewegungen, und so betrug die Zahl der syrischen Flüchtlinge 5,5 Millionen Menschen. Die Anzahl der IDPs stieg auf 6,9 Millionen Menschen - ein Drittel der Bevölkerung und ein Anstieg um 100.000 Personen seit Ende 2021 (WFP 8.4.2023).UNOCHA weist darauf hin, dass es sich um die höchste Zahl an Binnenvertriebenen weltweit handelt. Bereits vor dem Erdbeben (am 6.2.2023) waren fast 80 Prozent der IDP-Haushalte mindestens fünf Jahre vertrieben, und viele durchlebten mehrere Vertreibungen (UNOCHA 14.2.2023) [Anm.: die genauen Zahlen an Flüchtlingen und IDPs variieren je nach Quelle und Berichtszeitpunkt]. Umfassende und landesweite Informationen über Binnenvertreibung fehlen (UNOCHA 14.2.2023).

Während einige SyrerInnen begannen, in ihre Heime in Gebiete zurückzukehren, wo die Kampfhandlungen nachgelassen haben, kam es im Laufe von 2022 auch zu neuer Gewalt und neuen Fluchtbewegungen (FH 9.3.2023). Bei den intern Vertriebenen (IDPs) blieb mit 356.000 RückkehrerInnen die Zahl gegenüber 2019 (1,2 Mio.) weit zurück, wobei der Großteil der Bewegungen innerhalb der Gouvernements erfolgte. Bis August 2020 kehrten rund 300.000 Menschen zurück, der Großteil davon innerhalb/nach Idlib und Aleppo. Die Zahlen der neu Vertriebenen sind erneut weit höher; es gab 2020 wie im Jahr zuvor 1,8 Mio. IDP-Bewegungen insgesamt. Im Zuge der Eskalation des Konfliktes in Idlib wurden von Dezember 2019 bis März 2020 knapp 1 Mio. Menschen vertrieben (ÖB Damaskus 12.2022).

Binnenvertriebene und Flüchtlinge sind besonder vulnerabel bezüglich sexueller Ausbeutung oder durch Arbeit sowie bezüglich Menschenhandel. Dies trifft auch auf die relativ stabilen Gebiete unter Regierungskontrolle zu, denn dort ist der Zugang zu Arbeit und Investitionen oft von persönlichen oder politischen Beziehungen bzw. Beziehungen auf Basis der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, abhängig (FH 9.3.2023).

Im Zeitraum 6. bis 8.2.2023 [Anm.: zum Erdbeben vom 6.2.2023 siehe auch Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft] wurden mehr als 30.000 Fluchtbewegungen in Nordwest-Syrien verzeichnet. Es ist wahrscheinlich, dass viele IDPs nochmals vertrieben werden. Berichte dazu gibt es bereits aus Deir-ez-Zor, Aleppo, Hama, Lattakia und Tartus. Das Erdbeben hat nicht nur weitere Fluchtbewegungen aufgrund beschädigter/unsicherer Unterkünfte verursacht, sondern auch die Aussichten für eine sichere Rückkehr von denjenigen bereits binnenvertriebenen Personen verringert, die ursprünglich aus den vom Erdbeben betroffenen Gebieten stammen (UNOCHA 14.2.2023).

Sicheres Obdach ist eines der Hauptbedürfnisse nach dem Erdbeben (UNOCHA 14.2.2023). Im Dezember 2022 [Anm.: also noch vor dem Erdbeben vom 6.2.2023] lebten in Syrien bereits 2,05 Mio. Menschen in informellen Behausungen und Lagern. Von den Binnenflüchtlingen in Lagern leben 57 Prozent in Zelten bzw. provisorischen Unterkünften. Das Gros (etwa 85 Prozent) lebt in Nordwestsyrien – in Aleppo und Idlib (2018: 670.000). Laut einer Studie des Humanitarian Needs Assessment Programme der UNO von 2020 wohnten 17 Prozent der Binnenvertriebenen in Nordwestsyrien in zerstörten Behausungen, zudem gaben 67 Prozent an, in beschädigten Unterkünften zu leben (AA 29.3.2023). Im August 2022 lebten 30 Prozent der IDPs außerhalb von Lagern, und 43 Prozent der zurückgekehrten, ehemals binnenvertriebenen Haushalte in Nordwest-Syrien lebten in risikoanfälligen Unterkünften, z. B. bezüglich Wetterereignissen und Naturkatastrophen (UNOCHA 14.2.2023).

Besonders problematisch blieb auch laut CoI (United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic) die Lage im Vertriebenenlager in Rukban innerhalb der von den USA garantierten sogenannten 'deconflicting zone' an der Grenze zu Jordanien. Schätzungen zufolge leben in diesem Lager noch rund 10.000 Menschen (rund 80 Prozent davon Frauen und Kinder) unter prekären Bedingungen - ohne zuverlässige Versorgung und hinreichenden Zugang zu medizinischen Einrichtungen. Von der UNO unterstützte Versuche einer Evakuierung des Lagers in dafür vorgesehene Aufnahmelager im durch das Regime kontrollierten Homs waren 2019 gescheitert, vermutlich in erster Linie aus Sicherheitserwägungen. Im Jahr 2021 haben örtlichen Angaben zufolge rund 5.000 Personen das Camp verlassen (AA 29.3.2023).

Die Rechte der Zivilbevölkerung auf Zugang und Nutzung ihres Eigentums werden durch Konfiszierung, Enteignung, Zerstörung oder Zwangsverkauf, zum Teil mit gefälschten Dokumenten, verletzt. Laut dieser Berichte haben die Sicherheitsbehörden bzw. regimetreue Milizen der vertriebenen, oft als regimekritisch oder oppositionsnah angesehenen Bevölkerung die Rückkehr an ihre Ursprungsorte verweigert (AA 29.3.2023). Die Regierung verwendete weiterhin Gesetz Nr. 10 bezüglich Zonen für einen Wiederaufbau, um regierungstreue Personen zu belohnen, und Flüchtlinge und IDPs daran zu hindern, ihr Eigentum einzufordern oder in ihre Heimat zurückzukehren (USDOS 2.6.2022). Als Gründe für die Rückkehr/Nichtrückkehr wird von den Betroffenen neben der Sicherheitslage zunehmend die schlechte wirtschaftliche Situation ins Treffen geführt. Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom sogenannten Islamischen Staat gehalten wurden (z. B. Raqqa, Deir-Ez-Zor). Laut Mitteilung von UNMAS (United Nations Mine Action Service) vom November 2022 sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialien bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als zehn Mio. Menschen - also rund 50 Prozent der Bevölkerung - dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialien in Kontakt zu kommen. Dabei sind Männer aufgrund unterschiedlicher sozialer Rollen dem Risiko stärker ausgesetzt als Frauen. Seit 2019 waren 26 Prozent der Opfer IDPs. Ein Drittel aller Opfer von Explosionen ist gestorben, 85 Prozent der Opfer sind männlich, fast 50 Prozent mussten amputiert werden, und mehr als 20 Prozent haben Gehör- oder Sehvermögen verloren. Im Schnitt gab es seit Kriegsbeginn alle zehn Minuten ein Opfer des Kriegs oder mittelbarer Kriegsfolgen. Zwei Drittel der Opfer sind lebenslang eingeschränkt. 39 Prozent der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34 Prozent auf landwirtschaftlichen Flächen, zehn Prozent auf Straßen oder am Straßenrand (ÖB Damaskus 12.2022) [Anm.: zu Gefahren von Explosivstoffen besonders für Kinder siehe auch das Unterkapitel Kinder im Kapitel Relevante Bevölkerungsgruppen].

Anmerkung, Für weitere Informationen zur Lage von Binnenvertriebenen siehe Kapitel 'Grundversorgung und Wirtschaft' sowie zur Rückkehr, bzw. Rückkehrhindernissen, von Binnenvertriebenen siehe Kapitel Rückkehr.

Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat

Laut UNHCR-Schätzung halten sich zusätzlich zu den palästinensischen Flüchtlingen ungefähr 22.800 Flüchtlinge oder Asylsuchende in Syrien auf, die mit Stande Ende September 2022 bei UNHCR registriert waren. Flüchtlinge und Asylsuchende waren Risiken, mehrfacher Vertreibung, verstärkten Sicherheitsmaßnahmen an Checkpoints und Schwierigkeiten beim Erhalt der Aufenthaltsgenehmigung ausgesetzt, was ihre Bewegungsfreiheit beeinträchtigte (USDOS 20.3.2023).

Das syrische Gesetz bietet die Möglichkeit, den Flüchtlingsstatus zu gewähren. UNHCR bietet Hilfsleistungen für Flüchtlinge, wobei Gewalt den Zugang zu vulnerablen Personen verhindern kann. Das Gesetz garantiert Flüchtlingen nicht explizit das Recht auf Arbeit, außer Palästinensern mit einem bestimmten rechtlichen Status. Die Regierung gewährt Nicht-Palästinensern selten Arbeitsgenehmigungen, und viele Geflüchtete finden im informellen Sektor Arbeit, z. B. als Wachpersonal, Bauarbeiter, Straßenhändler oder in anderen manuellen Berufen (USDOS 20.3.2023).

Die Regierung gewährt irakischen Flüchtlingen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, wie Gesundheitsversorgung und Bildung, doch Aufenthaltsgenehmigungen sind nur für jene erhältlich, die legal einreisten, und über einen gültigen Pass verfügten. Diese Kriterien erfüllen nicht alle Flüchtlinge. Sie sind dadurch den Risiken von Schikanen und Ausbeutung ausgesetzt und die fehlende Aufenthaltsgenehmigung hatte schwere Auswirkungen auf ihren Zugang zu öffentlichen Leistungen (USDOS 20.3.2023).

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Palästinensische Flüchtlinge

Letzte Änderung 2023-07-13 14:21

Rechtlicher Status der palästinensischen Flüchtlinge in Syrien und das Mandat der UNRWA

Die United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) ist entsprechend der Resolution 302 römisch IV (1949) der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit einem Mandat zur Förderung der menschlichen Entwicklung palästinensischer Flüchtlinge ausgestattet. Per definitionem sind palästinensische Flüchtlinge Personen, deren gewöhnlicher Aufenthaltsort zwischen 1.6.1946 und 15.5.1948 Palästina war, und die sowohl ihr Zuhause wie auch ihre Mittel zur Lebenshaltung aufgrund des Konflikts von 1948 verloren haben. Dienste von UNRWA stehen all jenen Personen offen, die im Einsatzgebiet der Organisation leben, von der Definition umfasst und bei UNRWA registriert sind, sowie Bedarf an Unterstützung haben. Nachkommen männlicher palästinensischer Flüchtlinge können sich ebenfalls bei UNRWA registrieren. Darüber hinaus bietet UNRWA ihre Dienste auch palästinensischen Flüchtlingen und Vertriebenen des Arabisch-Israelischen Konflikts von 1967 und nachfolgender Feindseligkeiten an (STDOK 8.2017). Im Dezember 2022 beschloss die UN-Generalversammlung eine Verlängerung des UNRWA-Mandats bis 30.6.2026 (UN 14.12.2022).

Laut UNO befanden sich mit Stand Juli 2022 noch ungefähr 438.000 palästinensische Flüchtlinge von vormals 575.234 Personen im Land. Mehr als die Hälfte der von den verbliebenen PalästinenserInnen ist mindestens einmal intern vertrieben worden und 95 % benötigten humanitäre Hilfe (USDOS 20.3.2023).

In Syrien lebende Palästinenser werden in Abhängigkeit vom Zeitpunkt ihrer Ankunft in Syrien in verschiedene Kategorien eingeteilt, von denen jeweils auch ihre rechtliche Stellung abhängt. Zu unterscheiden ist zwischen jenen Palästinensern, die als Flüchtlinge in Syrien anerkannt sind, und jenen, die in Syrien keinen Flüchtlingsstatus genießen. Da Syrien nicht Vertragspartei der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist, richtet sich der Flüchtlingsstatus nach syrischem Recht. Die Unterteilung in verschiedene Kategorien hat Auswirkungen auf die Art des Reisedokumentes, im Besitz dessen Palästinenser in Syrien sind (ÖB Damaskus 12.2022):

1) Die größte Gruppe (rund 85 % der Palästinenser vor Ausbruch der Krise) bilden Palästinenser, die bis zum oder im Jahr 1956 nach Syrien gekommen waren sowie deren Nachkommen. Diese Palästinenser fallen unter die Anwendung des Gesetzes Nr. 260 aus 1956, welches Palästinenser, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes einen Wohnsitz in Syrien hatten, im Hinblick auf Arbeit, Handel, Militärdienst und Zugang zum öffentlichen Dienst syrischen Staatsbürgern gleichstellt. Ausgeschlossen ist diese Gruppe jedoch vom Wahlrecht, dem Innehaben öffentlicher Ämter sowie vom Erwerb landwirtschaftlicher Nutzflächen. Sie erhalten auch nicht die syrische Staatsbürgerschaft. Unter diese Kategorie fallende Personen sind bei der GAPAR (General Authority for Palestinian Arab Refugees) registriert (ÖB Damaskus 12.2022).

2) Für jene Palästinenser, die sich nach Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 260 noch im Jahr 1956 in Syrien niedergelassen haben, gelten bestimmte Modifikationen und Einschränkungen (v. a. Anstellung im öffentlichen Dienst nur auf Grundlage zeitlich befristeter Verträge; keine Ableistung von Militärdienst). Berichtet wurde, dass Angehörige dieser Gruppe von der PLO rekrutiert werden und sich sonstigen regimetreuen bewaffneten Gruppierungen anschließen. Sie sind aber ebenfalls bei GAPAR registriert (ÖB Damaskus 12.2022).

Diese unter 1) genannten Gruppen von Palästinensern und ihre Nachkommen sind somit als Flüchtlinge in Syrien anerkannt (ÖB Damaskus 12.2022). Die Identitätskarte für staatenlose PalästinenserInnen in Syrien heißt übersetzt 'Temporäre Aufenthaltskarte für PalästinenserInnen', hat aber kein Ablaufdatum. Voraussetzung für den Erhalt dieser Karte ist die Registrierung bei GAPAR - eine Registrierung bei UNRWA reicht nicht (NMFA 5.2022). Diese Identitätskarte ist nötig, um Zugang zu Basisleistungen wie syrische StaatsbürgerInnen zu erhalten (USDOS 20.3.2023). Zu einem Großteil verfügen Personen, die bei GAPAR registriert sind, auch über eine UNRWA-Registrierung und haben dadurch in der Regel Anspruch auf UNRWA-Leistungen. Da UNRWA eine enger gefasste Definition für Registrierungsberechtigte ('Palästina-Flüchtlinge') zugrunde legt, sowie in bestimmten Zeiträumen keine Neuregistrierungen akzeptierte, kann es sich - trotz späterer Möglichkeiten, sich nachträglich zu registrieren sich nachträglich zu registrieren - ergeben, dass palästinensische Flüchtlinge in Syrien zwar bei GAPAR, nicht aber bei UNRWA registriert sind. GAPAR veröffentlicht daher höhere Zahlen der erfassten palästinensischen Flüchtlinge als UNRWA (BAMF 2.2023).

2) Die nach 1956, insbesondere ab 1967 nach Syrien gekommenen Palästinenser und deren Nachkommen umfassen ihrerseits eine Reihe weiterer Untergruppen. Unter anderem fallen darunter Personen, die nach 1970 aus Jordanien, nach 1982 aus dem Libanon und während der letzten beiden Dekaden aus dem Irak gekommen waren. Ihnen ist gemeinsam, dass sie nicht bei GAPAR registriert und nicht von Syrien als palästinensische Flüchtlinge anerkannt sind. In Syrien gelten sie als „Arabs in Syria“ und werden wie Staatsbürger arabischer Staaten (unterschieden wird in Syrien in vielen Bereichen zwischen syrischen Staatsbürgern, Staatsbürgern arabischer Staaten und sonstigen ausländischen Staatsbürgern) behandelt. Sie können ihren Aufenthalt in Syrien alle zehn Jahre beim Innenministerium erneuern lassen und müssen Arbeitsgenehmigungen erhalten (ÖB Damaskus 12.2022). Diese PalästinenserInnen ohne GAPAR-Identitätskarte müssen mit ihrer UNRWA-Registrierung oder anderen Dokumenten das Auslangen finden. PalästinenserInnen ohne gültige Identitätsdokumente können mit einer Reihe von Problemen konfrontiert sein, z. B. bzgl. Bewegungsfreiheit und Zugang zur Gesundheitsversorgung (NMFA 5.2022). Doch auch zwischen einzelnen Profilen in dieser Personengruppe ohne GAPAR-Registrierung finden sich Unterschiede, je nach Zeitpunkt ihrer Migration nach Syrien. Einige, aber nicht alle verfügen über eine Registrierung bei UNRWA. Einige fallen hingegen unter das Mandat des UNHCR, darunter bspw. einige palästinensische Geflüchtete, welche zunächst in den Irak, nach Ägypten, Libyen oder in andere Staaten flohen, die nicht zum UNRWA-Mandatsgebiet zählen (BAMF 2.2023) Anmerkung, für nähere Informationen zu weiteren, komplexen Aspekten der verschiedenen Profile in dieser Kategorie siehe BAMF 2.2023).

Einige Kategorien von PalästinenserInnen erfüllen zwar nicht die Kriterien für eine Registrierung als palästinensische Flüchtlinge bei UNRWA, können sich aber für UNRWA-Leistungen registrieren lassen (UNRWA 5.2022).

Syrien kooperiert in gewissem Maß mit UNRWA (USDOS 20.3.2023).

Weiterhin kommt es zu Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für palästinensische Flüchtling, die in Flüchtlingslagern leben (USDOS 20.3.2023). Obwohl die syrische Verfassung die Bewegungsfreiheit für syrische Bürger und GAPAR-registrierte PalästinenserInnen garantiert, hat die Regierung seit Beginn des Konflikts Gebiete, darunter auch die Palästinenserlager in der Umgebung von Damaskus, durch die Einrichtung bemannter und unbemannter Kontrollpunkte voneinander getrennt. Die syrische Regierung hat außerdem Militärpersonal und physische Begrenzungen eingesetzt, um die Abgrenzung der Gebiete zu verstärken. Die Zahl der Kontrollpunkte in Damaskus wurde seit 2018 reduziert; es gibt jedoch immer noch Kontrollpunkte in Damaskus und an den Hauptstraßen, die verschiedene Gebiete miteinander verbinden, auch in der Nähe der Lager, sowie an den Hauptstraßen nach Damaskus. Palästinenser müssen viele Kontrollpunkte passieren, wenn sie sich in Gebieten zwischen den dortigen Lagern bewegen. Einige Palästinenser, die nicht bei der GAPAR registriert sind, müssen mit weiteren Bewegungseinschränkungen rechnen, weil die Dokumente in ihrem Besitz nicht an allen Kontrollpunkten akzeptiert werden. Nach Einschätzung einer internationalen Organisation laufen sie Gefahr, inhaftiert zu werden, weil ihr Aufenthalt in Syrien als illegal angesehen werden könnte (DIS 10.2021).

Berichten zufolge müssen PalästinenserInnen z. B. in Damaskus eine Genehmigung der Geheimdienste (Mukhabarat) und der Sicherheitskräfte erhalten, um ihren Wohnsitz verlegen zu können. Diese Registrierungsvorschrift führt dazu, dass manche Personen nicht an palästinensische Flüchtlinge vermieten wollen (STDOK 8.2017).

Bei GAPAR registrierte palästinensische Flüchtlinge unterliegen der Wehrpflicht, Ihren Wehrdienst leisten sie für gewöhnlich in einer Unterabteilung der syrischen Armee, die den Namen Palästinensische Befreiungsarmee (Palestinian Liberation Army, PLA) trägt. Es liegen keine Informationen darüber vor, die besagen, dass wehrdienstpflichtige Palästinenser von Regelungen zum Reservedienst ausgenommen wären (BAMF 2.2023).

Frauen können die syrische Staatsbürgerschaft nicht an ihre Kinder weitergeben. Politiker argumentieren hierbei auch, dass Kinder einer syrischen Mutter und eines palästinensischen Vaters keine Syrer werden, sondern Palästinenser bleiben sollen, um das Recht auf Rückkehr in einen palästinensischen Staat zu behalten (STDOK 8.2017).

Die Sicherheitslage in den palästinensischen Flüchtlingslagern und Wohngebieten

Laut UN-Schätzung aus dem Jahr 2019 wurden seit 2011 mindestens 120.000 PalästinenserInnen aus Syrien vertrieben (USDOS 20.3.2023). Vor Ausbruch des Bürgerkrieges lebten geschätzte 560.000 palästinensische Flüchtlinge in Syrien und davon mehr als 80 % in und um Damaskus (USAID 8.2.2019). Schon vor dem Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 waren diese Personen eine vulnerable Bevölkerungsgruppe (STDOK 8.2017).

Zu Beginn des Konfliktes versuchten die BewohnerInnen der meisten palästinensischen Flüchtlingslager neutral zu bleiben (NOREF 24.1.2017). Mittlerweile sind die PalästinenserInnen zwischen den Konfliktparteien gespalten. Die PalästinenserInnen sind hauptsächlich SunnitInnen und werden vonseiten des Regimes und dessen Verbündeten auch wie solche behandelt - also mit Misstrauen, wobei es Ausnahmen hierzu gibt. Was die Vulnerabilität betrifft, scheint jedoch die Herkunft einer Person aus einem bestimmten Gebiet wichtiger zu sein, als ihre Konfession, und ob sie der palästinensischen Minderheit angehört oder nicht. Dabei determinierten die Anfangsjahre des Konflikts 2011-2013, welche Gebiete zu welchen Konfliktparteien zugeordnet werden (STDOK 8.2017).

Die palästinensischen Flüchtlinge in Syrien waren von schweren Kämpfen in und um manche palästinensische Flüchtlingslager und Stadtteile erheblich betroffen (USAID 8.2.2019). Sowohl Regime- als auch Oppositionskräfte belagerten, beschossen oder machten auf eine andere Art einige palästinensischen Flüchtlingslager oder Stadtteile unzugänglich. Das führte zu schwerer Mangelernährung, fehlendem Zugang zu Gesundheitsversorgung und zu humanitärer Hilfe sowie zu zivilen Todesfällen. Laut Action Group of Palestinians of Syria wurden zwischen März 2011 und Oktober 2022 638 PalästinenserInnen, einschließlich Kindern, von Regimekräften gefoltert. 77 der Opfer wurden durch die 'Caesar'-Fotos [Anm.: durch den Fotografen mit Decknamen Caeser hinausgeschmuggelte Fotos von in Haft Getöteten/Verstorbenen] identifiziert (USDOS 20.3.2023). Die palästinensischen Flüchtlingslager Yarmouk, Ain el-Tel und Dara'a wurden im Zuge von Militäroperationen großteils zerstört. Mitte 2021 führten Kampfhandlungen in Dara'a zur Flucht von ungefähr 3.000 PalästinenserInnen. (NMFA 5.2022) Im Lager Yarmouk kam es auch zu groß angelegten Plünderungen durch regierungsnahe Milizen und syrische Regierungstruppen, während es in den anderen Lagern keine Plünderungen in ähnlichem Ausmaß gab. Es gibt Berichte darüber, dass Palästinenser während des gesamten Konflikts in ganz Syrien, auch in den beiden Gouvernements Damaskus und Rif Dimashq, ins Visier der syrischen Behörden geraten sind. Palästinenser, die beispielsweise in Gebieten südlich von Damaskus leben, wurden an Kontrollpunkten kontrolliert und erpresst. Es kam zu Verhaftungen von Einzelpersonen ohne bekannten Grund sowie zu Verhaftungen von Palästinensern, die zum Militärdienst eingezogen werden sollten und auch von mehr als 50 Kindern. Es wurde auch von nicht-explodierten Kampfmittelrückständen (unexploded ordnances, UXOs) in manchen palästinensischen Flüchtlingslagern berichtet (DIS 10.2021).

Die Leistungen der UNRWA im Rahmen ihrer Zugangsmöglichkeiten

Anmerkung, Da die Leistungen von der aktuellen finanziellen Lage von UNRWA und der Lage vor Ort (Stichwort zusätzlicher humanitärer Bedarf durch Erdbeben) abhängen, kann es relativ kurzfristig zu Änderungen kommen - es handelt sich somit eine Skizzierung der Ausgangslage.

PalästinenserInnen, die bereits vor dem Konflikt deutlich ärmer als SyrerInnen waren, sind nun eine der am meisten vom Konflikt betroffenen Bevölkerungsgruppen in Syrien. Sie sind außerdem häufig von mehrfachen Vertreibungen betroffen: Der Konflikt breitete sich bereits früh auch entlang der Siedlungsgebiete von Palästinensern in Syrien aus, wodurch diese vertrieben wurden und, auch weil Jordanien und der Libanon ihre Grenzen geschlossen haben, Schutz in anderen UNRWA-Lagern und Siedlungen suchten. Wenn dann diese Regionen vom Krieg eingeholt waren, wurden sie erneut vertrieben. Allgemein gesprochen, sind die PalästinenserInnen vulnerabler als der Durchschnitt der SyrerInnen, was auch mit fehlenden Identitätsdokumenten in Verbindung steht (STDOK 8.2017). So kehrten internvertriebene PalästinenserInnen in die drei zerstörten Lager zurück, weil sie sich die Miete andernorts nicht leisten konnten (NMFA 5.2022).

Laut UNRWA-Schätzung benötigen 90 % der 62.000 PalästinenserInnen in den Lagern in Lattakia, Neirab, Ein el-Tel und Hama aufgrund des Erdbebens Hilfe (UNRWA 7.2.2023). 1.076 Unterkünfte von palästinensischen Flüchtlingen in den Provinzen Aleppo. Lattakia und Hama waren von dem Erdbeben betroffen: 166 wurden schwer und 309 teilweise beschädigt. 601 Unterkünfte wiesen geringe Schäden auf. 75 % der beschädigten Gebäude befinden sich in der Provinz Aleppo, 23 % in Lattakia und 2 % in Hama. Hinzukommen Schäden an elf UNRWA-Gebäuden, darunter Schulen und Gesundheitseinrichtungen. Mit Berichtsstand 13.4.2023 waren nur 6 % des Spendenaufrufs der UNRWA zur Bewältigung der Erdbebenfolgen eingelangt (UNRWA 14.4.2023).

Die palästinensischen Flüchtlingslager in Syrien sind nicht durch physische Begrenzungen wie z. B. Mauern eingefriedet, sondern sie sind Teil der Städte und gleichen eher Wohnvierteln. In Syrien leben Teile der palästinensischen Bevölkerung innerhalb und andere außerhalb der Lager. Das Land, auf welchem sich die UNRWA-Lager befinden, ist Eigentum des Gaststaates. Den palästinensischen Familien wurden in der Vergangenheit Grundstücke zugeteilt, worauf Häuser gebaut wurden. Rechtlich gehört den palästinensischen BewohnerInnen das Land, auf dem die Häuser stehen, nicht. Dennoch werden die dort errichteten Wohnungen und Häuser mittlerweile auch vermietet und verkauft. Der Zugang zu UNRWA-Lagern ist rechtlich nicht eingeschränkt, es kann jedoch faktische Probleme geben, die den Zugang einschränken. Für PalästinenserInnen ist es zudem schwierig, sich durch Checkpoints zu bewegen, z.B. wenn sie keine gültigen syrischen Dokumente vorweisen können. Ihre Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens ist aufgrund der Notwendigkeit, die Genehmigung für einen Wohnortwechsel einzuholen, und aufgrund der Registrierungspflicht eingeschränkt (STDOK 8.2017).

UNRWA ist auf den Einsatz in staatlich kontrollierten Gebieten beschränkt, auch angesichts wachsender Budgetknappheit. UNRWA hat keine Präsenz in von der Opposition gehaltenen Gebieten im Nordwesten Syriens (Syria Direct 4.3.2019) Die Durchführung ihrer Aufgaben ist von der jeweiligen Sicherheitslage und den jeweils vor Ort dominanten Organisationen abhängig (STDOK 8.2017). UNRWA bietet Unterstützungsleistungen in zwölf Flüchtlingslagern in Syrien an (neun offizielle und drei inoffizielle Lager), gibt aber gleichzeitig an, nur Zugang zu zehn der zwölf Lager zu haben (UNRWA 8.2022). Die offiziellen UNRWA-Flüchtlingslager sind Gebiete, die UNRWA von der Regierung des jeweiligen Gastlandes zur Errichtung eines Lagers und der notwendigen Infrastruktur überlassen werden. Die Aktivitäten von UNRWA erstrecken sich jedoch auch auf nicht offiziell diesem Zweck zugewiesene Gebiete Anmerkung, sog. 'inoffizielle Lager') wie z. B. Yarmouk. Die (offiziellen und inoffiziellen) Lager werden von UNRWA jedoch nicht verwaltet, und UNRWA ist nicht für die Sicherheit in den Lagern zuständig. Diese liegt in der Verantwortung der Behörden des Gaststaates. Die meisten Einrichtungen von UNRWA befinden sich in den Flüchtlingslagern. UNRWA unterhält jedoch teils auch Schulen, Gesundheitszentren und Verteilungszentren in Gebieten außerhalb der offiziellen Lager. Alle Dienstleistungen von UNRWA stehen allen registrierten palästinensischen Flüchtlingen zur Verfügung - auch denen, die nicht in den Lagern leben (UNRWA o.D. A). Laut Experteneinschätzung sind die UNRWA-Leistungen zurückgegangen und reichen nicht aus, um den hohen Bedarf durch den Konflikt zu decken (DIS 10.2021).

Die meisten UNRWA-Schulen befinden sich in den palästinensischen Flüchtlingslagern selbst. Die Schulen haben unter dem Konflikt gelitten, viele wurden geschlossen. Im Schuljahr 2021/2022 stellte UNRWA in 102 Schulen Unterricht für ungefähr 50.000 SchülerInnen zur Verfügung. Die Schulen befinden sich in Damaskus, Rif Damaskus, Aleppo, Hama, Homs, Lattakia und Dara’a. Die syrische Regierung lieh zudem UNRWA 39 Schulen für das Schuljahr 2021/ 2022 (UNRWA o.D. B). Laut Expertenauskunft geht die Hälfte der palästinensischen Kinder im Grundschulalter aus Gründen wie hohe Transportkosten und einem Niedergang der Bildungsqualität nicht mehr zur Schule (DIS 10.2021).

Die Zukunft von UNRWA gilt als ungewiss (CMI 9.2022). Aufgrund ihrer eigenen Finanzkrise musste UNRWA (2019 z. B.) das Programm für Geldhilfen um die Hälfte reduzieren (MEE 20.2.2020). Es ist daher wichtig, zwischen allgemeinen Leistungen und solchen für bestimmte Zielgruppen zu unterscheiden, für welche die Erfüllung von Kriterien zum Bezug einer Leistung nötig ist. Die tatsächliche Inanspruchnahme hängt so vom sozioökonomischen Status (Leistbarkeit von Alternativen), Bedürfnissen bei der Gesundheitsversorgung (UNRWA deckt nicht alle Bedarfskategorien ab), Ort der Leistungen in Relation zum Wohnort (Reiseentfernung, -kosten) und der wahrgenommenen Qualität ab (CMI 9.2022). Mit Stand Mai 2021 lebten einer UNRWA-Studie zufolge 82 % der Personen in den befragten 503 Haushalten von weniger als 1,9 USD am Tag - inklusive allfälliger UNRWA-Finanzunterstützung - um 8 % mehr Personen als bei der letzten Studie 2017/18. 48 %t der Haushaltsausgaben entfielen auf Lebensmittel, was auf die Schwere der Lage der Familien hinweist. Etwa 96 % der in Syrien verbliebenen palästinensischen Flüchtlingsbevölkerung von ungefähr 420.000 Menschen hängt von humanitärer Hilfe ab, um ihre Grundbedürfnisse zu stillen. 145.000 von ihnen - das sind 35 % - gelten als am meisten vulnerabel: Haushalte mit weiblichen Vorständen, Familien mit Mitgliedern mit Behinderungen, Familien mit älteren Familienoberhäuptern sowie unbegleitete Minderjährige und Waisen (UNOCHA 22.2.2022). Bei der Vergabe von Nothilfe haben diese Priorität, weshalb 28.622 Personen z. B. zwecks Hilfe bei der Deckung ihrer Grundbedürfnisse wie Lebensmittel, Obdach oder Heizung 14 USD (11,86 EUR) pro Monat über einen Zeitraum von fünf Monaten erhalten (ReliefWeb 7.3.2022). Mit Stand März 2022 erhielten circa 145.000 palästinensische Flüchtlinge, die in die vulnerabelsten Kategorien fallen, eine finanzielle Unterstützung (UNRWA 25.3.2022). Im August 2022 verlautbarte UNRWA Anmerkung, ohne nähere Angaben über Höhe und Bezugskriterien), dass 417.000 eine Geldhilfe erhalten würden, und betonte, dass laut einer Studie von 2021 82 % der palästinensischen Flüchtlinge in absoluter Armut (mit weniger als 2 US-Dollar pro Tag) leben. 347.246 palästinensische Flüchtlinge erhielten zudem im Juni 2022 Lebensmittelkörbe, die ein Drittel des täglichen Kalorienbedarfs decken. Es gibt außerdem ein Mikrofinanzierungsprogramm (UNRWA 8.2022). Die Lebensmittel- und Geldhilfen decken in den meisten Fällen nicht die Grundbedürfnisse, und aufgrund der Finanzierungsstrukturen ist viel von der Hilfe schwer vorhersehbar (CMI 9.2022).

UNRWA unterhält zudem in den ihr zugänglichen Lager Wasser- und Sanitärleistungen. UNRWA verfügt über 3.000 Angestellte in Syrien in ungefähr 177 Einrichtungen, darunter ÄrztInnen, LehrerInnen und IngenieurInnen. Allerdings sind die Leistungen vom Konflikt betroffen, und viele Einrichtungen unzugänglich oder schwer beschädigt. So können aktuell ein Viertel der Gesundheitszentren nicht verwendet werden, was UNRWA durch 'health points' Anmerkung, improvisierte Arzt-, Behandlungspraxen statt Kliniken) zu kompensieren versucht. Mit Stand August 2022 hat UNRWA 18 Todesfälle unter den UNRWA-Angestellten zu verzeichnen (UNRWA 8.2022).

Reisedokumente und Ausreiseregelungen für Palästinenser

Je nach Kategorie unterscheidet sich auch die Art der Reisedokumente der in Syrien lebenden PalästinenserInnen. Nur jene PalästinenserInnen, die als palästinensische Flüchtlinge von Syrien anerkannt sind, d.h. nur jene, die zwischen 1948 und 1956 nach Syrien gekommen sind, (bzw. deren Nachkommen) erhalten ein von syrischen Behörden ausgestelltes Reisedokument (siehe Liste der EK über visierfähige Dokumente „Syria – Travel Document for Palestinian Refugees“, Anfangsbuchstabe der Dokumentennummer „P“) (ÖB Damaskus 12.2022).

Alle anderen Palästinenser, d. h. jene, die ab 1957 nach Syrien gekommen sind, (bzw. deren Nachkommen) hatten/haben in Abhängigkeit nach deren Herkunft (Westbank, Gaza) in der Regel von anderen Staaten ausgestellte Dokumente, meistens von Jordanien oder Ägypten. So hatten beispielsweise die nach dem Schwarzen September 1970 aus Jordanien exilierten PalästinenserInnen bei ihrer Ankunft in Syrien jordanische Reisedokumente, die seither nicht mehr erneuert werden konnten. Ähnlich war die Situation für nach 1991 aus dem Irak nach Syrien eingereiste PalästinenserInnen, die zum Teil noch (alte) ägyptische Reisedokumente und IDs hatten, deren Erneuerung jedoch ebenso mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. PalästinenserInnen, die unter die in 2) genannten – mannigfaltigen – Personengruppen fallen, erhalten daher kein durch syrische Behörden ausgestelltes Reisedokument. Viele leben daher bis heute mit abgelaufenen jordanischen oder ägyptischen Dokumenten. In Einzelfällen anerkennt Syrien zwar auch nach 1956 eingereiste PalästinenserInnen als Flüchtlinge und stattet sie mit dem Status gemäß dem Gesetz 260 aus 1956 aus; dies erfolgt jedoch nur im Ermessen des Staates und einzelfallorientiert (ÖB Damaskus 12.2022).

Nach der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens 1993 erhielt die Palästinensische Autonomiebehörde das Recht, Reisedokumente auszustellen (erfolgt in der Praxis seit 1995). Seit 2009 werden biometrische Reisedokumente ausgestellt. Diese von der Palästinensischen Autonomiebehörde ausgestellten Reisedokumente werden laut der Liste der visafähigen Dokumente (Stand: 28.09.2016) in ARGUS von allen EU-Mitgliedstaaten anerkannt (siehe Beilage). Ausstellungsort dieser durch die Palästinensische Autonomiebehörde ausgestellten Reisedokumente ist stets Ramallah, auch dann, wenn die Antragstellung an einer palästinensischen Vertretung im Ausland erfolgt. Eine persönliche Vorsprache in Ramallah ist für die Ausstellung dieses Reisedokuments nicht erforderlich (ÖB Damaskus 12.2022).

Zusammenfassend ergibt sich somit folgendes Bild hinsichtlich der unterschiedlichen Reisedokumente, die Palästinenser aus Syrien vorweisen (ÖB Damaskus 12.2022):

●             PalästinenserInnen, die als Flüchtlinge in Syrien anerkannt sind: Dies betrifft Palästinenser, die bis 1956 nach Syrien gekommen sind. Diese Personen sind mit von syrischen Behörden ausgestellten Reisedokumenten ausgestattet: blaue Reisedokumente mit der Bezeichnung 'Travel Document for Palestinian Refugees' (Nummer beginnend mit „P“) (ÖB Damaskus 12.2022).

●             PalästinenserInnen, die von Syrien nicht als Flüchtlinge anerkannt sind, weil sie nach 1956 nach Syrien gekommen waren: Diese Personen haben in Syrien den Status als 'Arabs in Syria' und erhalten keine Reisedokumente von Syrien. Mangels anderer gültiger Reisedokumente beantragen Personen aus dieser Kategorie bei der Vertretung der Palästinensischen Behörde (Botschaft Palästinas in Syrien) in Damaskus die Ausstellung eines Reisedokuments durch die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah: schwarze Reisedokumente, ausgestellt von der 'Palestinian Authority' mit der Bezeichnung 'Passport – Travel Document'; Ausstellungsort Ramallah (ÖB Damaskus 12.2022).

Diesen palästinensischen Reisepass können Palästinenserinnen und Palästinenser in Syrien und anderen Ländern über die Auslandsvertretung der Autonomiebehörde ausgehändigt bekommen. Er dient in der Praxis als Nachweis einer palästinensischen (Volks-)Identität und als internationales Reisedokument für staatenlose Palästinenserinnen und Palästinenser. Anders aber als „vollwertige“ Reisepässe der Palästinensischen Autonomiebehörde für dort registrierte (das heißt dort wohnhafte bzw. gemeldete) Personen erhalten Palästinenserinnen und Palästinenser im Ausland den Reisepass ohne gültige Identifikationsnummer. Im Feld für die Identifikationsnummer steht dann eine 'fiktive' Nummer, welche üblicherweise mit mehreren Nullen beginnt (BAMF 2.2023).

Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen, dies hängt jedoch wieder von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab. Für Palästinenser ist es nicht nur schwieriger als für syrische Flüchtlinge in Nachbarländer einzureisen, sondern auch dort zu verbleiben und einen legalen Aufenthaltsstatus aufrechtzuhalten sowie folglich Leistungen zu bekommen (STDOK 8.2017).

Ein Palästinenser, der in Syrien bei UNRWA registriert ist, und sich dann in ein anderes Land begibt, das auch im Mandatsgebiet der UNRWA liegt (wie z. B. der Libanon), bleibt in Syrien registriert („registered“), wird aber z. B. im Libanon erfasst („recorded“) und hat dort Zugang zu UNRWA-Leistungen. UNRWA schränkt den Zugang zu UNRWA-Leistungen für Palästinenser aus anderen Staaten nicht ein, jedoch können die Staaten die Einreise von Palästinensern und somit deren Zugang zu UNRWA Leistungen in Nachbarstaaten einschränken (STDOK 8.2017).

Anmerkung: Für weitere Informationen zu Einreisemöglichkeiten in Nachbarländer siehe Abschnitt „Bewegungsfreiheit“ sowie die jeweiligen Länderinformationsblätter (LIB) zum Libanon und Jordanien, den einzigen Nachbarstaaten, welche ebenfalls Mandatsgebiet von UNRWA sind [Dort finden sich auch Informationen, wonach eine legale Umsiedlung staatenloser palästinensischer Flüchtlingen aus Syrien seit Längerem nicht vorgesehen ist und auch eine etwaige UNRWA-Registrierung nicht zu einer Legalisierung des Aufenthalts oder etwa zu einem gesicherten, dauerhaften Aufenthaltsrecht führt, wie das seit Oktober 2012 geltende Einreiseverbot Jordaniens für PalästinenserInnen aus Syrien illustriert].

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Rückkehr

Letzte Änderung 2023-07-12 09:54

Die UNO konstatiert im Bericht der von ihr eingesetzten Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (COI) vom 7.2.2023 landesweit schwere Verstöße gegen die Menschenrechte sowie das humanitäre Völkerrecht durch verschiedene Akteure, welche Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen darstellen könnten, und sieht keine Erfüllung der Voraussetzungen für nachhaltige, würdige Rückkehr von Flüchtlingen gegeben (UNCOI 7.2.2023). Eine UNHCR-Umfrage im Jahr 2022 unter syrischen Flüchtlingen in Ägypten, Libanon, Jordanien und Irak ergab, dass nur 1,7 Prozent der Befragten eine Rückkehr in den nächsten 12 Monaten vorhatten. Gleichzeitig steigt durch die diplomatische Normalisierung zwischen Syrien und der Arabischen Liga in manchen Staaten der Druck auf die Flüchtlinge, trotz der für sie unsicheren Lage nach Syrien zurückzukehren (CNN 10.5.2023).

Seit 2011 waren 12,3 Millionen Menschen in Syrien gezwungen, zu flüchten - 6,7 Millionen sind aktuell laut OCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) Binnenvertriebene (HRW 12.1.2022) RückkehrerInnen nach Syrien müssen laut Human Rights Watch mit einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen rechnen, von willkürlicher Verhaftung, Folter, Verschwindenlassen (HRW 12.1.2023, vergleiche Al Jazeera 17.5.2023) bis hin zu Schikanen durch die syrischen Behörden (HRW 12.1.2023). Immer wieder sind Rückkehrende, insbesondere – aber nicht nur – solche, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind oder auch nur als solche erachtet werden, erneuter Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt. Fehlende Rechtsstaatlichkeit und allgegenwärtige staatliche Willkür führen dazu, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert, oder eingeschüchtert wurden. Zuletzt dokumentierten Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) unabhängig voneinander in ihren jeweiligen Berichten von September bzw. Oktober 2021 Einzelfälle schwerwiegendster Menschenrechtsverletzungen von Regimekräften an Rückkehrenden, die sich an verschiedenen Orten in den Regimegebieten, einschließlich der Hauptstadt Damaskus, ereignet haben sollen. Diese Berichte umfassen Fälle von sexualisierter Gewalt, willkürlichen und ungesetzlichen Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen bis hin zu Verschwindenlassen und mutmaßlichen Tötungen von Inhaftierten. Die Dokumentation von Einzelfällen – insbesondere auch bei Rückkehrenden – zeigt nach Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amtes, dass es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten, es findet keine zuverlässige und für Betroffene verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt (AA 29.11.2021).

Darüber hinaus können belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen nach geografischen Kriterien laut Auswärtigem Amt weiterhin nicht getroffen werden. Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass eine belastbare Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung nicht möglich ist (AA 29.3.2023).

Laut UNHCR sind von 2016 bis Ende 2020 170.000 Flüchtlinge (40.000 2020 gegenüber 95.000 im Jahr 2019) zurückgekehrt, der Gutteil davon aus dem Libanon und Jordanien (2019: 30.000), wobei die libanesischen Behörden weit höhere Zahlen nennen (bis 2019: 187.000 rückkehrende Flüchtlinge). COVID-bedingt kam die Rückkehr 2020 zum Erliegen. Die Rückkehr von Flüchtlingen wird durch den Libanon und die Türkei mit erheblichem politischem Druck verfolgt. Als ein Argument für ihre Militäroperationen führt die Türkei auch die Rückführung von Flüchtlingen in die von der Türkei kontrollierten Gebiete an. Die Rückkehrbewegungen aus Europa sind sehr niedrig. Eine von Russland Mitte November 2020 initiierte Konferenz zur Flüchtlingsrückkehr in Damaskus (Follow-up 2021 sowie 2022), an der weder westliche noch viele Länder der Region teilnahmen, vermochte an diesen Trends nichts zu ändern (ÖB Damaskus 12.2022).

Laut Vereinten Nationen (u. a. UNHCR) sind die Bedingungen für eine nachhaltige Flüchtlingsrückkehr in großem Umfang derzeit nicht gegeben (ÖB Damaskus 12.2022).

Hindernisse für die Rückkehr

Rückkehrende sind auch Human Rights Watch zufolge mit wirtschaftlicher Not konfrontiert wie der fehlenden Möglichkeit, sich Grundnahrungsmittel leisten zu können. Die meisten finden ihre Heime ganz oder teilweise zerstört vor, und können sich die Renovierung nicht leisten. Die syrische Regierung leistet keine Hilfe bei der Wiederinstandsetzung von Unterkünften (HRW 12.1.2023). In der von der Türkei kontrollierten Region um Afrin nordöstlich von Aleppo Stadt wurde überdies berichtet, dass Rückkehrer ihre Häuser geplündert oder von oppositionellen Kämpfern besetzt vorgefunden haben. Auch im Zuge der türkischen Militäroperation 'Friedensquelle' im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen (ÖB Damaskus 12.2022). Neben den fehlenden sozioökonomischen Perspektiven und Basisdienstleistungen ist es oft auch die mangelnde individuelle Rechtssicherheit, die einer Rückkehr entgegensteht. Nach wie vor gibt es Berichte über willkürliche Verhaftungen und das Verschwinden von Personen. Am stärksten betroffen sind davon Aktivisten, oppositionelle Milizionäre, Deserteure, Rückkehrer und andere, die unter dem Verdacht stehen, die Opposition zu unterstützen. Um Informationen zu gewinnen, wurden auch Familienangehörige oder Freunde von Oppositionellen bzw. von Personen verhaftet. Deutlich wird die mangelnde Rechtssicherheit auch laut ÖB Damaskus an Eigentumsfragen. Das Eigentum von Personen, die wegen gewisser Delikte verurteilt wurden, kann vom Staat im Rahmen des zur Terrorismusbekämpfung erlassenen Gesetzes Nr. 19 konfisziert werden. Darunter fällt auch das Eigentum der Familien der Verurteilten in einigen Fällen sogar ihrer Freunde. Das im April 2018 erlassene Gesetz Nr. 10 ermöglicht es Gemeinde- und Provinzbehörden, Zonen für die Entwicklung von Liegenschaften auszuweisen und dafür auch Enteignungen vorzunehmen. Der erforderliche Nachweis der Eigentumsrechte für Entschädigungszahlungen trifft besonders Flüchtlinge und Binnenvertriebene. Konkrete Pläne für die Einrichtung von Entwicklungszonen deuten auf Gebiete hin, die ehemals von der Opposition gehalten wurden. Von den großflächigen Eigentumstransfers dürften regierungsnahe Kreise profitieren. Auf Druck von Russland, der Nachbarländer sowie der Vereinten Nationen wurden einige Abänderungen vorgenommen, wie die Verlängerung des Fristenlaufs von 30 Tagen auf ein Jahr (ÖB Damaskus 12.2022). Flüchtlinge und Binnenvertriebene sind besonders von Enteignungen betroffen (BS 23.2.2022). Zudem kommt es zum Diebstahl durch Betrug von Immobilien, deren Besitzer - z.B. Flüchtlinge - abwesend sind (The Guardian 24.4.2023). Viele von ihren Besitzern verlassene Häuser wurden mittlerweile von jemandem besetzt. Sofern es sich dabei nicht um Familienmitglieder handelt, ist die Bereitschaft der Besetzer, das Haus oder Grundstück zurückzugeben, oft nicht vorhanden. Diese können dann die Rückkehrenden beschuldigen, Teil der Opposition zu sein, den Geheimdienst auf sie hetzen, und so in Schwierigkeiten bringen (Balanche 13.12.2021). Der Mangel an Wohnraum und die Sorge um zurückgelassenes Eigentum gehören zu den Faktoren, die syrische Flüchtlinge davon abhalten, nach Syrien zurückzukehren (AA 29.11.2021).

Laut einer Erhebung der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD) ist für 58 Prozent aller befragten Flüchtlinge die Abschaffung der Zwangsrekrutierung die wichtigste Bedingung für die Rückkehr in ihre Heimat (AA 4.12.2020). Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutzt das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach der Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar zum Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021).

Die laut Experteneinschätzung katastrophale wirtschaftliche Lage ist ein großes Hindernis für die Rückkehr: Es gibt wenige Jobs, und die Bezahlung ist schlecht (Balanche 13.12.2021). Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein (ÖB 1.10.2021).

Das geringe Angebot an Bildungs-, Gesundheits- und Grundversorgungsleistungen in Syrien wirken abschreckend auf potenzielle Rückkehrer. Eine geringere Lebensqualität im Exil erhöht nicht immer die Rückkehrbereitschaft. Es hat sich gezeigt, dass Flüchtlinge seltener in Bezirke zurückkehren, die in der Vergangenheit von intensiven Konflikten geprägt waren (Weltbank 2020). Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom IS gehalten wurden (z.B. Raqqa, Deir Ez-Zor). Laut aktueller Mitteilung von UNMAS vom November 2022 sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialien bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als zehn Mio. Menschen also rund 50 Prozent der Bevölkerung dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialien in Kontakt zu kommen. Dabei sind Männer aufgrund unterschiedlicher sozialer Rollen dem Risiko stärker ausgesetzt als Frauen. Im Schnitt gab es seit Kriegsbeginn alle zehn Minuten ein Opfer des Kriegs oder mittelbarer Kriegsfolgen. Ein Drittel der Opfer von Explosionen sind gestorben, 85 Prozent der Opfer sind männlich, fast 50 Prozent mussten amputiert werden und mehr als 20 Prozent haben Gehör oder Sehvermögen verloren. Zwei Drittel der Opfer sind lebenslang eingeschränkt. 39 Prozent der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34 Prozent auf landwirtschaftlichen Flächen, zehn Prozent auf Straßen oder am Straßenrand. Seit 2019 waren 26 Prozent der Opfer IDPs (ÖB Damaskus 12.2022) [Anm.: Infolge der Erdbeben im Februar 2023 erhöht sich die Gefahr, dass Explosivmaterialen wie Minen durch Erdbebenbewegungen, Wasser etc. verschoben werden].

Es ist wichtig, dass die Rückkehrer an ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann Zugang zu einem sozialen Netzwerk und/oder ihrem Stamm haben. Diejenigen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, verfügen nicht über ein solches Sicherheitsnetz (NMFA 7.2019). So berichtet UNHCR von einer 'sehr begrenzten' und 'abnehmenden' Zahl an Rückkehrern über die Jahre. Im 1. Quartal 2022 kehrten demnach insgesamt 22.052 Personen an ihre Herkunftsorte zurück. Hierbei handelte es sich allerdings zu 94 Prozent um Rückkehrer innerhalb Syriens (UNHCR 6.2022). Insgesamt ging im Jahr 2022 laut UN-Einschätzung die Bereitschaft zu einer Rückkehr zurück, und zwar aufgrund von Sicherheitsbedenken der Flüchtlinge. Stattdessen steigt demnach die Zahl der SyrerInnen, welche versuchen, Europa zu erreichen, wie beispielsweise das Bootsunglück vom 22.9.2022 mit 99 Toten zeigte. In diesem Zusammenhang wird Vorwürfen über die willkürliche Verhaftung mehrer männlicher Überlebender durch die syrische Polizei und den Militärnachrichtendienst nachgegangen (UNCOI 7.2.2023).

Während die syrischen Behörden auf internationaler Ebene öffentlich eine Rückkehr befürworten, fehlen syrischen Flüchtlingen, im Ausland arbeitenden SyrerInnen und Binnenflüchtlingen, die ins Regierungsgebiet zurückkehren wollen, klare Informationen für die Bedingungen und Zuständigkeiten für eine Rückkehr sowie bezüglich einer Einspruchsmöglichkeit gegen eine Rückkehrverweigerung (UNCOI 7.2.2023) [Anm.: mehr dazu siehe in dem Unterkapitel Administrative Bedingungen für eine Rückkehr sowie Möglichkeit der Rückkehr an den Herkunftsort sowie im Unterkapitel Perspektiven des Staatsapparats bezüglich Emigration und Rückkehr].

Perspektiven des Staatsapparats bezüglich Emigration und Rückkehr

Letzte Änderung 2023-07-12 10:12

Die Bedeutung von Überweisungen von SyrerInnen im Ausland und die Rolle der syrischen Lohnpolitik für Angestellte des öffentlichen Diensts dabei

Neben dem wachsenden Auswanderungsdruck auf gebildete SyrerInnen durch die Bevorzugung der Militärs bezüglich Gehälter zielt die syrische Lohnpolitik im öffentlichen Sektor laut einer Studie von Omran for Strategic Studies darauf ab, junge Leute dazu zu bewegen, ins Ausland zu gehen, damit sie später Geld an ihre Familien schicken. So profitiert Syrien von den Devisenüberweisungen in die Gebiete unter Regimekontrolle sowie von den großen Summen, welche für die Befreiung vom Wehr- und Reservedienst zu zahlen sind (Omran 23.1.2023). Rücküberweisungen aus dem Ausland (remittances) sind angesichts der Wirtschaftskrise eine wichtige Einnahmequelle für viele Syrerinnen und Syrer. Seit Konfliktbeginn sind sie merklich angestiegen: 2010 betrugen sie laut der syrischen Zentralbank (CBS) 906 Mio. USD. 2019 waren es 3.01 Mrd. USD (elf Prozent des BIP). Seither hat die CBS keine Zahlen mehr veröffentlicht. Laut Medienberichten lagen die Rücküberweisungen 2022 bei über drei Mrd. US-Dollar (20 Prozent des gesamten BIP 2022; laut Weltbank etwa 15,5 Mrd. US-Dollar). Sie sind weiterhin eine signifikante Einnahmequelle für die Bevölkerung. Gleichzeitig verbreiteten Syrien und Russland bei einer Konferenz Mitte Oktober 2022 den Vorwurf, 'der Westen' würde eine Rückkehr von Geflüchteten verhindern (AA 29.3.2023). Das Regime wünscht sich laut Experten-Einschätzung RückkehrerInnen mit Geld - nicht einfache Leute (Khaddour 24.12.2021) oder ehemalige Flüchtlinge, zumal die Regierung, nicht die Kapazitäten und finanziellen Möglichkeiten hätte, für die ehemaligen Flüchtlinge zu sorgen (The Guardian 23.3.2023).

Laut Einschätzung des Think Tanks Omran for Strategic Studies werden rückkehrende Syrer mehrheitlich als Folge der obigen Lohnpolitik sich gezwungenermaßen einer militärischen Einrichtung oder einer Miliz anschließen müssen, denn diese Organisationen bieten als einzige eine berufliche Perspektive in den Regime-kontrollierten Gebieten (Omran 23.1.2023) [Anm.: zu weiteren Kriterien wie z.B. bereits vorhandenen Verbindungen zu Personen mit Einfluss im Staatsapparat sowie Loyalität der Assad-Herrschaft gegenüber siehe Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft sowie Kapitel Korruption und speziell zu illegalen Zweitjobs von Militärs zur Aufbesserung der Gehälter siehe Unterkapitel Streitkräfte im Kapitel Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen].

Wahrnehmung von RückkehrerInnnen ja nach Profil

Nach zuvor vorwiegend rückkehrkritischen öffentlichen Äußerungen hat die syrische Regierung seine Politik seit Ankündigung eines sogenannten „Rückkehrplans“ für Flüchtlinge durch Russland 2018 sukzessive angepasst und im Gegenzug für eine Flüchtlingsrückkehr Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und die Aufhebung westlicher Sanktionen gefordert (AA 20.3.2023). Die Rückkehr von ehemaligen Flüchtlingen ist trotzdem nicht erwünscht, auch wenn offiziell mittlerweile das Gegenteil gesagt wird (The Guardian 23.3.2023, vgl, Balanche 13.12.2021). Insgeheim werden jene, die das Land verlassen haben, als 'Verräter' angesehen (AA 29.3.2023; vergleiche Balanche 13.12.2021), bzw. als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen (AI 9.2021). Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, besteht für alle, die sich in der Vergangenheit (regime-)kritisch geäußert oder betätigt haben oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen haben. Dies kann nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiärer Verbindung zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stehen oder ihre regionale Herkunft (z.B. ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelegt. Berichte deuten jedoch darauf hin, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können (AA 29.3.2023).

Jeder, der geflohen ist und einen Flüchtlingsstatus hat, ist in den Augen des Regimes bereits verdächtig (Üngör 15.12.2021). Aus Sicht des syrischen Staates ist es daher besser, wenn diese SyrerInnen im Ausland bleiben, damit ihr Land und ihre Häuser umverteilt werden können, um Assads soziale Basis neu aufzubauen. Minderheiten wie Alawiten und Christen, reiche Geschäftsleute und Angehörige der Bourgeoisie sind hingegen für Präsident al-Assad willkommene Rückkehrer. Für arme Menschen, z.B. aus den Vorstädten von Damaskus oder Aleppo, hat der syrische Staat jedoch keine Verwendung (Balanche 13.12.2021), zumal keine Kapazitäten zur Unterstützung von (mittellosen) Rückkehrenden vorhanden sind (The Guardian 23.2.2023).

Gemäß Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen [Anm.: für weitere Informationen zu Sicherheitsüberprüfungen siehe Unterkapitel Administrative Bedingungen für eine Rückkehr sowie Möglichkeit der Rückkehr an den Herkunftsort], Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung, etc.) (AA 29.11.2021).

Anhand der von der United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic, NGOs und anderen dokumentierten Einzelschicksalen der Vergangenheit ist die Bedrohung der persönlichen Sicherheit im Einzelfall das zentrale Hindernis für Rückkehrende. Dabei gilt nach Ansicht des deutschen Auswärtigen Amts, dass sich die Frage einer möglichen Gefährdung des Individuums weder auf etwaige Sicherheitsrisiken durch Kampfhandlungen und Terrorismus beschränken lässt, noch ganz grundsätzlich eine Eingrenzung auf einzelne Landesteile möglich ist. Entscheidend für die Sicherheit von Rückkehrenden bleibt vielmehr die Frage, wie der oder die Rückkehrende von den im jeweiligen Gebiet präsenten Akteuren wahrgenommen wird. Rückkehr auf individueller Basis findet, z.B. aus der Türkei, insbesondere in Gebiete statt, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen. Darüber hinaus können belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen nach geografischen Kriterien weiterhin nicht getroffen werden. Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass eine belastbare Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung nicht möglich ist (AA 29.3.2023).

Berichte internationaler Organisationen ergeben ein Bild regional unterschiedlicher Bedingungen und Politiken zur Flüchtlingsrückkehr (ÖB Damaskus 1.10.2021), und die Aussagen zur Haltung der Regimekräfte gegenüber Rückkehrern heben unterschiedliche Aspekte zu deren Wahrnehmung und Behandlung hervor:

●             Der Syrien-Experte Uğur Üngör geht davon aus, dass jeder, der das Land verlassen hat, und nach Europa geflohen ist, vom Regime als verdächtig angesehen wird, weil es im Verständnis des Regimes keinen Grund gab, zu fliehen. Die Flucht nach Europa und das Beantragen von Asyl können negativ gesehen werden - im Sinne einer Zusammenarbeit mit den europäischen Regierungen oder sogar, dass man von diesen bezahlt wurde. Dies gilt jedoch nicht für Personen, die eine offiziell bestätigte regierungsfreundliche Einstellung haben. Weiters werden Personen, die in die Türkei geflohen sind, als Vertreter von Präsident Erdoğans Regierung gesehen. Wer im Ausland negative Äußerungen [Anm.: siehe hierzu das Unterkapitel Überwachungsmaßnahmen und das Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage bzgl. der Gesetze zur Schädigung des Ansehens im Ausland sowie bzgl. positiver Äußerungen über Staaten, mit denen Syrien verfeindet ist] über das Regime gemacht hat (im Sinne von öffentlichem politischen Aktivismus, aber auch privat in sozialen Medien), kann bei der Rückkehr speziell vom politischen Geheimdienst überprüft werden. Wenn man Glück hat, sind die Anschuldigungen laut Üngör nicht sehr ernst, oder man kann ein Bestechungsgeld zahlen, um freizukommen, andernfalls kann man direkt vor Ort verhaftet werden. Hierbei spielen nicht nur eigene Aktivitäten eine Rolle, sondern auch Aktivitäten von Verwandten und die geografische Herkunft der rückkehrenden Person. Es gibt auch Berichte, dass Familienmitglieder von Journalisten, die in Europa für oppositionelle Medien schreiben, inhaftiert und tagelang festgehalten und wahrscheinlich gefoltert wurden (Üngör 15.12.2021) [Anm.: siehe hierzu auch Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage].

●             Laut dem Syrien-Experten Kheder Khaddour kommt es darauf an, wo im Ausland man sich aufgehalten hat: War man in den Golfstaaten, wird vielleicht davon ausgegangen, dass man geschäftlichen Tätigkeiten nachgegangen ist und nichts mit Politik zu tun hat. Wer in die Türkei gegangen ist, wird als Kollaborateur der Islamisten und Präsident Erdoğans gesehen. Wer in Europa war, wird beschuldigt, von Europa bezahlt worden zu sein, um gegen das Regime zu sein. Der Libanon ist vielleicht noch am neutralsten, quasi wie ein 'erweitertes Syrien', und durch die geografische Nähe stehen Flüchtlingen im Libanon-Korruptionsnetzwerke (zur Absicherung der Rückkehr) zur Verfügung, auf die man in Europa keinen Zugriff hat (Khaddour 24.12.2021).

●             Bashar al-Assad hat erklärt, dass er jene, die gegen sein Regime sind, als 'Krankheitserreger' sieht. Die Rückkehr ist aber nicht nur für Regimegegner, sondern auch für alle, über deren politischer Position sich das Regime nicht sicher ist, problematisch. Die Behandlung eines Rückkehrers durch die Behörden hängt laut dem syrischen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Mohamad Rasheed allein davon ab, ob die Person für oder gegen das Regime ist. Wer regierungstreu ist, kann auf legalem und gewöhnlichem Weg ein- und ausreisen. Die Unvorhersehbarkeit und Willkür sind große Hindernisse für die Rückkehr nach Syrien. Man kann jederzeit verhaftet und verhört werden und niemand weiß, ob man leben, getötet oder verschwinden gelassen wird. Der Staatsapparat ist durchzogen von Mafias, und im ganzen Land gibt es Milizen, die die Bevölkerung tyrannisieren (Rasheed 28.12.2021).

●             Laut dem Nahost-Experten Fabrice Balanche kann man, wenn man Teil der Opposition war oder sogar gekämpft hat, nicht nach Syrien zurückkehren, selbst wenn es laut offiziellem Narrativ des Präsidenten eine Amnestie gibt. Dasselbe gilt auch für (andere) politische Flüchtlinge. Zudem besteht immer die Gefahr, vom Geheimdienst verhaftet zu werden, zum Teil, um Geld zu erpressen. Man wird für ein paar Wochen inhaftiert, weil man vom Ausland zurückkommt und davon ausgegangen wird, dass man Geld hat. Die Familie muss dann ein Lösegeld von ein paar Tausend Dollar bezahlen, oder die Person bleibt weitere zwei Wochen im Gefängnis (Balanche 13.12.2021).

Das deutsche Auswärtige Amt zieht den Schluss, dass eine sichere Rückkehr Geflüchteter insofern für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden kann (AA 29.3.2023). UNHCR ruft weiterhin die Staaten dazu auf, keine zwangsweise Rückkehr von syrischen Staatsbürgern sowie ehemals gewöhnlich dort wohnenden Personen - einschließlich früher in Syrien ansässiger Palästinenser - in irgendeinen Teil Syrien zu veranlassen, egal wer das betreffende Gebiet in Syrien beherrscht (UNHCR 6.2022).

Auch die lokale Bevölkerung hegt oft Argwohn gegen Personen, die das Land verlassen haben. Es besteht eine große Kluft zwischen Syrern, die geflohen sind, und jenen, die dort verblieben sind. Erstere werden mit Missbilligung als Leute gesehen, die 'davongelaufen' sind, während Letztere oft Familienmitglieder im Krieg verloren und unter den Sanktionen gelitten haben (Khaddour 24.12.2021; vergleiche Üngör 15.12.2021). Es kann daher zu Denunziationen oder Erpressungen von Rückkehrern kommen, selbst wenn diese eigentlich 'sauber' [Anm.: aus Regimeperspektive] sind, mit dem Ziel, daraus materiellen Gewinn zu schlagen (Üngör 15.12.2021) [Anm.: siehe hierzu auch die Thematik des Immobiliendiebstahls durch Betrug, der sich oft gegen seit langem Abwesende richtet, z.B. im Überkapitel Rückkehr].

Ein weiteres soziales Problem sind persönliche Racheakte: Wenn bei Kämpfen zwischen zwei Gruppen jemand getötet wurde, kann es vorkommen, dass jemand, der mit dem Mörder verwandt ist, von der Familie des Ermordeten im Sinne der Vergeltung getötet wird. Dies hindert viele an der Rückkehr in ihren Heimatort (Balanche 13.12.2021).

Administrative Bedingungen für eine Rückkehr sowie Möglichkeit der Rückkehr an den Herkunftsort

Letzte Änderung 2023-07-12 10:17

Administrative Verfahren der syrischen Behörden für RückkehrerInnen

Die syrische Regierung bietet administrative Verfahren an, die Rückkehrwillige aus dem Ausland oder aus von der Opposition kontrollierten Gebieten vor der Rückkehr in durch die Regierung kontrollierte Gebiete durchlaufen müssen, um Probleme mit der Regierung zu vermeiden. Im Rahmen dieser Verfahren führen die syrischen Behörden auf die eine oder andere Weise eine Überprüfung der RückkehrerInnen durch. Während des als 'Sicherheitsüberprüfung' (arabisch muwafaka amniya) bezeichneten Verfahrens werden die Namen der AntragstellerInnen mit Fahndungslisten verglichen. Beim sogenannten 'Statusregelungsverfahren' (arabisch: taswiyat wade) beantragen die AntragstellerInnen, wie es in einigen Quellen heißt, die 'Versöhnung', sodass ihre Namen von den Fahndungslisten der syrischen Behörden gestrichen wird (DIS 5.2022). Es gibt jedoch keine einheitlichen, bzw. verlässlichen Verfahren zur Klärung des eigenen Status mit den Sicherheitsbehörden (Überprüfung, ob gegen die/den Betroffene/n etwas vorliegt) und verfügbare Rechtswege (AA 29.3.2023).

Gemäß Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen, zur Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und zu gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung, etc.) (AA 29.11.2021). Auch die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) berichtet von Menschenrechtsverletzungen in ihrem Berichtszeitraum, darunter den Tod eines Rückkehrers in Haft, dem man lebensrettende medizinische Versorgung verweigert hatte. Er war Anfang 2022 bei seiner Rückkehr nach Syrien trotz eines erfolgten Beilegungs-, bzw. 'Versöhnungsprozesses', verhaftet worden (UNCOI 7.2.2023).

So gilt es zum Beispiel für die Rückkehr nach Homs, in die von der Regierung gehaltenen Teile von Idlib sowie ins Umland von Damaskus (Rif Dimashq) mehrere und sich überlappende Genehmigungsprozesse bei einer Reihe von Behörden zu durchlaufen. Oft beinhalten diese Prozedere eine geheimdienstliche Sicherheitsgenehmigung oder ein Beilegungsabkommen Anmerkung, auch 'Versöhnungsabkommen') oder beides, je nachdem woher die Rückkehrenden kommen, wo sie hingehen, und was ihre Profile sind. Einige mussten etwa schon vor ihrer Rückkehr ihren Status bei Zentren zur 'Statusklärung' in Regierungsgebieten 'klären', indem Verwandte oder Freunde vor Ort dies für sie durchführten. Andere gingen direkt zu diesen Zentren, nachdem sie durch Schmuggelrouten in das Gebiet zurückkehrten oder nachdem sie an einem Grenzübergang um eine 'Statusklärung' angesucht hatten. Andere wiederum mussten eine Sicherheitsgenehmigung für einen Wohnsitz, bzw. Aufenthalt ('residence') bereits vor ihrer Rückkehr einholen. Andere versuchten an kollektiven Rückkehraktionen aus dem Libanon teilzunehmen (UNCOI 7.2.2023) [Anm.: siehe dazu Unterkapitel Hinweise über Rückkehrende aus den Nachbarstaaten und Europa].

Auch nach vermeintlicher Klärung des Status mit einer oder mehreren der Sicherheitsbehörden innerhalb oder außerhalb Syriens kann es nach Rückkehr jederzeit zu unvorhergesehenen Vorladungen und/oder Verhaftungen durch diese oder Dritte kommen. Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen bestätigen, dass selbst eine von der jeweiligen Sicherheitsbehörde vorgenommene positive Sicherheitsüberprüfung jederzeit von dieser revidiert werden kann und damit keine Garantie für eine sichere Rückkehr leistet (AA 29.3.2023).

Sicherheitsüberprüfungen (besonders al-Muwafaqa al-Amniyeh, die Sicherheitsgenehmigung) vor der Rückkehr sowie inoffizielle Schutzzusagen

Es gibt widersprüchliche Informationen darüber, ob sich Personen, die nach Syrien zurückkehren wollen, einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen müssen oder nicht (AA 19.5.2020). Gemäß einem Rechtsexperten der ÖB Damaskus hat prinzipiell jeder syrische Staatsbürger das Recht, sich auf dem syrischen Staatsgebiet zu bewegen sowie es zu verlassen. Er darf gemäß Artikel 38 der syrischen Verfassung von 2012 nicht an der Rückkehr gehindert werden. Daraus folgt, dass von syrischen StaatsbürgerInnen vor ihrer Rückkehr keine Sicherheitsgenehmigung verlangt wird, oder sie um eine solche ansuchen müssen. Der Konflikt hat die Sicherheitsgenehmigung jedoch ins Zentrum gerückt. Viele syrische StaatsbürgerInnen haben die Rückkehr nach Syrien erwägt, fürchten allerdings, von den syrischen Behörden verhaftet zu werden. Da die syrische Regierung bestrebt war, zu zeigen, dass Syrien sicher ist, und für die Rückkehr von Flüchtlingen offen steht, damit diese am Wiederaufbau des Landes teilnehmen, hat die syrische Regierung zur Erleichterung der Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien zugestimmt, in manchen Fällen bekannt zu geben, ob jemand gemäß ihrer Aufzeichnungen in Syrien gesucht wird. Dies ist bei der freiwilligen Rückkehr von Gruppen von Syrern aus dem Libanon der Fall, erleichtert durch die Kooperation des General Security Office (GSO) [Anm.: libanesischer Nachrichtendienst] im Libanon mit den syrischen Behörden. Das heißt, bei der Teilnahme an einer GSO-unterstützten Rückkehr führt das GSO akkordiert mit den syrischen Behörden eine Sicherheitsüberprüfung durch und leitet die persönlichen Daten der RückkehrerInnen an die syrischen Behörden weiter. Letztere informieren das GSO dann darüber, welche Personen eine Sicherheitsfreigabe erhalten haben. Eine ähnliche Vorgehensweise wurde auch bei individuellen Rückkehrern aus Jordanien vermerkt: Rückkehrer müssen hierzu bei der syrischen Botschaft in Amman um eine Sicherheitsfreigabe ansuchen (AA 29.3.2023).

Laut einer in Syrien tätigen Menschenrechtsorganisation überprüfen die syrischen Behörden bei der Sicherheitsüberprüfung Informationen über den/die AntragstellerIn, Familienmitglieder und eventuell auch seine/ihre erweiterte Familie. Das syrische Außenministerium ermöglichte im Rahmen des letzten Amnestiegesetzes (Gesetzesdekret Nr. 7/2022 vom 30.4.2022), welches alle von syrischen StaatsbürgerInnen vor dem 30.4.2022 verübten 'terroristischen Verbrechen' ohne Todesopfer beinhaltet, dass syrische StaatsbürgerInnen im Ausland durch die diplomatischen Vertretungen überprüft werden, ob sie unter das Amnestiegesetz fallen. Die betroffenen Personen müssen bei der syrischen Botschaft ihres Wohnorts erscheinen, und einen gesonderten Antrag ausfüllen. Die syrische Botschaft leitet den Antrag dann an das Außenministerium weiter, das eine Liste mit den persönlichen Daten der AntragstellerInnen vorbereitet, und sie an das syrische Innenministerium weiterleitet. Letzteres gleicht die Namen auf der Liste mit einer zentralen Datenbank ab, um zu überprüfen, ob eine Person Verbindungen zu 'terroristischen' Gruppierungen hat (Rechtsexperte 27.9.2022). Das Auswärtige Amt weist jedoch darauf hin, dass jeder Geheimdienst auch eigene Fahndungslisten führt. Es findet keine zuverlässige und für Betroffene verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt (AA 29.3.2023) Anmerkung, Zu der Amnestie siehe Unterkapitel Amnestien im Allgemeinen und im Zusammenhang mit folgendem Militärdienst im Kapitel Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen].

Nach Angaben des deutschen Auswärtigen Amtes müssen sich syrische Flüchtlinge, unabhängig von ihrer politischen Orientierung, vor ihrer Rückkehr weiterhin einer Sicherheitsüberprüfung durch die syrischen Sicherheitsbehörden unterziehen (AA 19.5.2020). Laut Mohamad Rasheed braucht jeder, der nach Syrien zurückkehren will, eine Sicherheitsüberprüfung, selbst Eltern von Personen, die für das syrische Regime arbeiten (Rasheed 28.12.2021). Die Kriterien und Anforderungen für ein positives Ergebnis sind nicht bekannt (AA 19.5.2020). Auch nach Angaben der International Crisis Group stellt die Sicherheitsüberprüfung durch den zentralen Geheimdienst in Damaskus (oder die Verweigerung einer solchen) die endgültige Entscheidung darüber dar, ob ein Flüchtling sicher nach Hause zurückkehren kann, unabhängig davon, welchen administrativen Weg ein Flüchtling, der zurückkehren möchte, einschlägt (ICG 13.2.2020). Im Gegensatz dazu berichtete die dänische Einwanderungsbehörde auf der Grundlage von Befragungen, dass SyrerInnen, die sich außerhalb Syriens aufhalten und nicht von der syrischen Regierung gesucht werden, keine Sicherheitsgenehmigung für die Rückkehr nach Syrien benötigen. Syria Direct berichtete dem DIS hingegen, dass nur SyrerInnen im Libanon, die über eine 'organisierte Gruppenrückkehr' nach Syrien zurückkehren wollen, eine Sicherheitsüberprüfung für die Einreise nach Syrien benötigen (DIS 12.2020).

Laut Fabrice Balanche brauchen Personen, die kein politisches Asyl und keine Probleme mit dem Regime haben, auch keine Sicherheitsüberprüfung, sondern nur jene, die auf einer Liste gesuchter Personen stehen. Um diese Überprüfung durchzuführen, bezahlt man die zuständige Behörde (z. B. syrische Botschaft, Grenzbeamte an der Grenze zwischen Syrien und Libanon, syrische Behörden im Heimatort in Syrien), um zu überprüfen, ob der eigene Name auf einer Liste steht (Balanche 13.12.2021). Die Dokumentation von Einzelfällen zeigt demnach immer wieder, dass es insbesondere auch bei aus dem Ausland Zurückkehrenden trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann (AA 29.3.2023), zum Teil, um von den Rückkehrenden Geld zu erpressen (UNCOI 7.2.2023; vergleiche Balanche 13.12.2021).

Die Herkunftsregion spielt eine große Rolle für die Behörden bei der Behandlung von Rückkehrern, genauso wie die Frage, was die Person in den letzten Jahren gemacht hat. SyrerInnen aus Homs, Deir iz-Zor oder Ost-Syrien werden dabei eher verdächtigt als Personen aus traditionell regierungstreuen Gebieten (Khaddour 24.12.2021). Besonders Gebiete, die ehemals unter Kontrolle oppositioneller Kräfte standen (West-Ghouta, Homs, etc.), stehen seit der Rückeroberung durch das Regime unter massiver Überwachung und der syrische Staat kontrolliert genau, wer dorthin zurückkehren darf. Es kann also besonders schwierig sein, für eine Rückkehr in diese Gebiete eine Sicherheitsgenehmigung zu bekommen, und falls man diese erhält und zurückkehrt, wird man den Sicherheitsbehörden berichterstatten müssen (Üngör 15.12.2021) [Anm.: zum Informantenwesen siehe auch Unterkapitel Überwachungsmaßnahmen].

Mehrere Experten gehen davon aus, dass es vor allem auf die informelle Sicherheitsgarantie ankommt. Der sicherste Schutz vor Inhaftierung ist es, ein gutes Netzwerk bzw. Kontakte zum Regime zu haben, die einem im Notfall helfen können. Man muss jemanden in der Politik oder vom Geheimdienst haben, den man um Schutz bittet (Balanche 13.12.2021; vergleiche Khaddour 24.12.2021, Rechtsexperte 27.9.2022). Laut Kheder Khaddour wird der offizielle Weg zur Rückkehr kaum genutzt, nicht nur weil er sehr langwierig ist, sondern auch weil niemand Vertrauen in die Institutionen hat. Nur bekannte Oppositionspersonen müssen den offiziellen Weg gehen, dieser Prozess bringt aber keine Garantie mit sich. Daher muss zusätzlich auch immer eine informelle Sicherheitsgarantie über persönliche Kontakte erlangt werden, wenn jemand zurückkehren will. Wenn jemand auf einer schwarzen Liste aufscheint, muss er seinen Namen bereinigen lassen. Dies geschieht meist durch Bestechung (Khaddour 24.12.2021). Personen, die erfahren, dass sie von den Behörden gesucht werden, bezahlen große Summen an Vermittler und Mitglieder der Sicherheitskräfte, um bei der Rückkehr eine Verhaftung zu vermeiden (UNCOI 7.2.2023).

'Versöhnungsanträge', Statusregelungsverfahren

Das Regime hat einen Mechanismus zur Erleichterung der 'Versöhnung' und Rückkehr geschaffen, der als 'Regelung des Sicherheitsstatus' (taswiyat al-wadaa al-amni) bezeichnet wird. Das Verfahren beinhaltet eine formale Klärung mit jedem der vier großen Geheimdienste und eine Überprüfung, ob die betreffende Person alle vorgeschriebenen Militärdienstanforderungen erfüllt hat. Einzelne Personen in Aleppo berichteten jedoch, dass sie durch die Teilnahme am 'Versöhnungsprozess' einem größeren Risiko ausgesetzt wären, bei späteren Interaktionen mit Sicherheitsbeamten verhaftet und erpresst zu werden (ICG 9.5.2022). Personen, die von der syrischen Regierung gesucht werden und deshalb keine Erlaubnis zur Rückkehr erhalten, werden aufgefordert, ihren Status zu 'regularisieren', bevor sie zurückkehren können (Reuters 25.9.2018; vergleiche SD 16.1.2019).

Nach Angaben eines syrischen Generals müssen Personen, die aus dem Ausland zurückkehren wollen, bei der zuständigen syrischen Vertretung einen Antrag auf 'Versöhnung' stellen und unter anderem angeben, wie und warum sie das Land verlassen haben, und Informationen über ihre Aktivitäten während ihres Auslandsaufenthalts vorlegen. Diese Informationen werden an das syrische Außenministerium weitergeleitet, wo eine Sicherheitsprüfung durchgeführt wird. SyrerInnen, die über die Landgrenzen einreisen, müssen nach Angaben des Generals einen 'Versöhnungsantrag' ausfüllen (DIS 6.2019). Um eine Verhaftung bei der Rückkehr zu vermeiden, versuchen SyrerInnen, Informationen über ihre Sicherheitsakte zu erhalten und diese, wenn möglich, zu löschen. Persönliche Kontakte und Bestechungsgelder sind die gebräuchlichsten Kanäle und Mittel zu diesem Zweck (ICG 13.2.2020; vergleiche EASO 6.2021), doch aufgrund ihrer Informalität und des undurchsichtigen Charakters des syrischen Sicherheitssektors sind solche Informationen und Freigaben nicht immer zuverlässig, und nicht jeder kann sie erhalten (ICG 13.2.2020). Zwei Quellen berichteten EASO Anmerkung, nun EUAA), dass, wenn ein/e RückkehrerIn durch informelle Netzwerke oder Beziehungen (arab. 'wasta') herausfindet, dass er oder sie nicht von den syrischen Behörden gesucht wird, es dennoch keine Garantie dafür gibt, dass er oder sie bei der Rückkehr nicht verhaftet wird (EASO 6.2021).

Im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen aus Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert - ebenso wie bei lokaler 'Versöhnungsabkommen' in den vom Regime zurückeroberten Gebieten. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen nicht eingehalten. Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein. Ein Monitoring durch die Vereinten Nationen oder andere Akteure zur Situation der Rückkehrer ist nicht möglich, da vielerorts kein Zugang für sie besteht; viele möchten darüber hinaus nicht als Flüchtlinge identifiziert werden (AA 29.3.2023).

Rückkehrverweigerungen

Die Regierung verweigert gewissen BürgerInnen die Rückkehr nach Syrien, während andere SyrerInnen, die in die Nachbarländer flohen, die Vergeltung des Regimes im Fall ihrer Rückkehr fürchten (USDOS 12.4.2022). Der %satz der AntragstellerInnen, die nicht zur Rückkehr zugelassen werden, ist nach wie vor schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020): Ihr Anteil wird von verschiedenen Quellen aus den Jahren 2018 bis 2022 auf 5 % (SD 16.1.2019), 10 % (Reuters 25.9.2018), 20 % (Qantara 2.2.2022) oder bis zu 30 % (ABC 6.10.2018) geschätzt. Das Regime fördert nicht die sichere, freiwillige Rückkehr in Würde, eine Umsiedlung oder die lokale Integration von IDPs. In einigen Fällen ist es Binnenvertriebenen nicht gestattet, in ihre Heimatgebiete zurückzukehren (USDOS 12.4.2022). Einige BeobachterInnen und humanitäre HelferInnen geben an, dass die Bewilligungsquote für AntragstellerInnen aus Gebieten, die als regierungsfeindliche Hochburgen identifiziert wurden, fast bei null liegt (ICG 13.2.2020). Gründe für die Ablehnung können (vermeintliche) politische Aktivitäten gegen die Regierung, Verbindungen zur Opposition oder die Nichterfüllung der Wehrpflicht sein (Reuters 25.9.2018; vergleiche ABC 6.10.2018, SD 16.1.2019).

Weitere im Fall einer Rückkehr benötigte behördliche Genehmigungen

Berichte internationaler Organisationen ergeben ein Bild regional unterschiedlicher Bedingungen und Politiken zur Flüchtlingsrückkehr. Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein (ÖB Damaskus 12.2022).

Es muss z. B. bei Abschluss eines Immobilienkaufvertrags, bevor die Immobilie übertragen werden kann, bei den Sicherheitsbehörden um eine Freigabe Anmerkung, al-Muwafaqa al-Amniyeh - die Sicherheitsgenehmigung) angesucht werden. Bei Mietverträgen wurde diese Regelung jüngst vereinfacht, sodass die Daten erst nach Abschluss des Vertrags an die Gemeinde übermittelt werden mussten. Diese Information wird dann an die Sicherheitsbehörden weitergegeben, die im Nachhinein einen Einspruch erheben können. Diese Regelung wurde aber nach aktuellen Informationen nur in Damaskus umgesetzt, außerhalb muss die Genehmigung nach wie vor vorab eingeholt werden. Auch hinsichtlich Damaskus wurde berichtet, dass SyrerInnen aus anderen Gebieten nicht erlaubt wurde, sich in Damaskus niederzulassen. Die Niederlassung ist dementsprechend – für alle Gebiete unter Regierungskontrolle – von einer Zustimmung der Sicherheitsbehörden abhängig (ÖB Damaskus 12.2022). Erschwerend kommt hinzu, dass eine von einer regierungsnahen Stelle innerhalb Syriens ausgestellte Sicherheitsgenehmigung in Gebieten, die von anderen regierungsnahen Stellen kontrolliert werden, als ungültig angesehen werden kann. Dies ist auf die Fragmentierung des Sicherheitsapparats der Regierung zurückzuführen, welche die Mobilität auf Gebiete beschränkt, die von bestimmten regierungsnahen Sicherheitsbehörden kontrolliert werden (EASO 6.2021).

Anmerkung, für grundsätzliche Informationen zur Sicherheitsgenehmigung siehe Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft.

Gefährdungslage

Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt gemäß deutschem Auswärtigem Amt unverändert, dass eine belastbare Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung nicht möglich ist (AA 29.3.2023)

Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, besteht für alle, die sich in der Vergangenheit (system-) kritisch geäußert oder betätigt haben oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen haben. Dies kann nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiären Verbindungen zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stehen oder ihre regionale Herkunft (z. B. ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelegt. Berichte deuten jedoch darauf hin, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können (AA 29.3.2023). Einer Umfrage des Middle East Institute im Februar 2022 zufolge berichteten 27 % der RückkehrerInnen, dass sie oder jemand Nahestehender aufgrund ihres Herkunftsorts, für das illegale Verlassen Syriens oder für das Stellen eines Asylantrags Repression ausgesetzt sind. Ein Rückkehrhindernis ist zudem laut Menschenrechtsberichten das Wehrdienstgesetz, das die Beschlagnahmung von Besitz von Männern ermöglicht, die den Wehrdienst vermieden haben, und nicht die Befreiungsgebühr bezahlt haben (USDOS 20.3.2023).

Syrische Flüchtlinge müssen bereit sein, der Regierung gegenüber vollständig Rechenschaft über ihre Beziehungen zur Opposition abzulegen, um nach Hause zurückkehren zu dürfen. Die RückkehrerInnen sind Schikanen oder Erpressungen durch die Sicherheitsbehörden sowie Inhaftierung und Folter ausgesetzt, um Informationen über die Aktivitäten der Flüchtlinge im Ausland zu erhalten (TWP 2.6.2019) [Anm.: siehe hierzu auch Unterkapitel Überwachungsmaßnahmen im Ausland und deren Folgen].

Gemäß der United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic könnte das Unterlassen einer klaren Information über die Rückkehrverfahren und das Vorenthalten der Gründe für Rückkehrverweigerungen, bzw. einer Einspruchsmöglichkeit in solchen Fällen eine 'willkürliches Vorenthalten des Rechts auf Einreise von SyrerInnen im Ausland in ihr eigenes Land' durch die syrische Regierung darstellen. Dieses Vorgehen könnte auch als Verletzung des internationalen humanitären Gewohnheitsrechts gelten (UNCOI 7.2.2023).

Rückkehr an den Herkunftsort

Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele Faktoren die Möglichkeit dazu beeinflussen. Ethnisch-konfessionelle, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber den der Opposition nahestehenden Gemeinschaften. Wenn es darum geht, wer in seine Heimatstadt zurückkehren darf, können laut einem Experten ethnische und religiöse, aber auch praktische Motive eine Rolle spielen (FIS 14.12.2018). Einem Syrien-Experten zufolge dient eine von einer syrischen Botschaft oder einem Konsulat erteilte Sicherheitsgenehmigung lediglich dazu, dem Inhaber die Einreise nach Syrien zu ermöglichen. Sie garantiert dem Rückkehrer nicht, dass er seinen Herkunftsort in den von der Regierung kontrollierten Gebieten auch tatsächlich erreichen kann (EASO 6.2021). Auch über Damaskus wurde berichtet, dass SyrerInnen aus anderen Gebieten sich dort nicht niederlassen durften. Demnach ist die Ansiedlung - in allen Gebieten unter staatlicher Kontrolle - von der Genehmigung der Sicherheitsbehörden abhängig (ÖB Damaskus 29.9.2020). SyrerInnen, die nach Syrien zurückkehren, können sich nicht einfach an einem beliebigen Ort unter staatlicher Kontrolle niederlassen (ÖB Damaskus 21.8.2019). Demnach ist die Ansiedlung - in allen Gebieten unter staatlicher Kontrolle - von der Genehmigung der Sicherheitsbehörden abhängig (ÖB Damaskus 29.9.2020).Die Sicherheit von Rückkehrern wird nicht in erster Linie von der Region bestimmt, in die sie zurückkehren, sondern davon, wie die RückkehrerInnen von den Akteuren, die die jeweiligen Regionen kontrollieren, wahrgenommen werden (AA 4.12.2020). Die Rückkehr an den Herkunftsort innerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete erfordert einen anderen Weg, der von lokalen Machthabern wie den Gemeindebehörden oder den die Regierung unterstützenden Milizen gesteuert wird. Die Verfahren, um eine Genehmigung für die Einreise in den Herkunftsort zu erhalten, variieren von Ort zu Ort und von Akteur zu Akteur. Da sich die lokale Machtdynamik im Laufe der Zeit verschiebt, sind auch die unterschiedlichen Verfahren Veränderungen unterworfen (EASO 6.2021).

Übereinstimmenden Berichten der Vereinten Nationen und von Menschenrechtsorganisationen (UNHCR, Human Rights Watch, Enab Baladi, The Syria Report) sowie Betroffenen zufolge finden Verstöße gegen Wohn-, Land- und Eigentumsrechte (Housing, Land and Property – HLP) seitens des Regimes fortgesetzt statt. Die Rechte der Zivilbevölkerung auf Zugang und Nutzung ihres Eigentums werden durch Konfiszierung, Enteignung, Zerstörung oder Zwangsverkauf, zum Teil mit gefälschten Dokumenten, verletzt. Seit 2011 wurden mehr als 50 neue Gesetze und Verordnungen zur Stadtplanung und -entwicklung erlassen, die die Regelung der Eigentumsrechte und der Besitzverhältnisse vor Konfliktbeginn infrage stellen. Die Sicherheitsbehörden bzw. regimetreue Milizen verweigern den Vertriebenen, oft als regimekritisch oder oppositionsnah angesehenen Bevölkerung, die Rückkehr an ihre Ursprungsorte (AA 29.11.2021). Das Gesetz Nr. 10 von 2018 wird weiterhin zur Belohnung von regimeloyalen Personen verwendet und schafft Hürden für die Rückkehr von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, die in ihre Heime zurückkehren möchten. Laut Berichten ersetzt die Regierung so ehemalige BewohnerInnen von vormaligen Oppositionsgebieten durch ihr gegenüber loyalere Personen. Dies betrifft disproportional sunnitische Flüchtlinge und IDPs. Laut Einschätzung von SNHR (Syria Network for Human Rights) steckt die Regierungsstrategie dahinter, durch einen demografischen und gesellschaftlichen Wandel des Staats, automatisch eine Hürde für die Rückkehr von IDPs und Flüchtlingen zu schaffen (USDOS 2.6.2022).

Andere RückkehrerInnen müssen Berichten zufolge Bestechungsgelder an die Lokalverwaltung zahlen, um Zugang zu ihren Heimen zu erhalten. Anderen wird der Zugang zu ihren Heimen verwehrt. Auch gibt es Fälle, wo Immobilien von Nachbarn übernommen wurden, und die Rückkehrwilligen bedrohen, wenn sie versuchen, ihren Besitz wieder zu beanspruchen. Eine regierungstreue Miliz erlangte z. B. durch öffentliche Versteigerungen an enteignetes Land, was einer bereits dokumentierten Praxis entspricht. Gegenmaßnahme für derartige Situationen fehlen oder sind ineffektiv (UNCOI 7.2.2023).

Einige ehemals von der Opposition kontrollierte Gebiete sind für alle, die in ihre ursprünglichen Häuser zurückkehren wollen, praktisch abgeriegelt. In anderen versucht das Regime, die Rückkehr der ursprünglichen Bevölkerung einzuschränken, um eine Wiederherstellung des sozialen Umfelds, das den Aufstand unterstützt hat, zu vermeiden. Einige nominell vom Regime kontrollierte Gebiete wie Dara'a, die Stadt Deir ez-Zour und Teile von Aleppo und Homs konfrontieren für Rückkehrer mit schweren Zerstörungen, der Herrschaft regimetreuer Milizen, Sicherheitsproblemen wie Angriffen des Islamischen Staats oder einer Kombination aus allen drei Faktoren (ICG 13.2.2020). So durften z. B. nach Angaben von Aktivisten bisher nur wenige Familien mit Verbindungen zu regierungsnahen Milizen und ältere Bewohner zurückkehren (MEI 6.5.2020). Vor zwei Jahren haben die syrischen Behörden begonnen, ehemaligen Bewohnern die Rückkehr nach Yarmouk zu erlauben, wenn diese den Besitz eines Hauses nachweisen können, und eine Sicherheitsfreigabe vorliegt. Bislang sollen allerdings nur wenige zurückgekommen sein. UNRWA dokumentierte bis Juni 2022 die Rückkehr von rund 4.000 Personen, weitere 8.000 haben im Laufe des Sommers eine Rückkehrerlaubnis bekommen (zur Einordnung: Vor 2011 lebten dort 160.000 PalästinenserInnen zusätzlich zu SyrerInnen) (TOI 17.11.2022). Viele kehren aus Angst vor Verhaftungen und Zwangsrekrutierungen oder aufgrund der nicht mehr vorhandenen Wohnung nicht zurück. Die Rückkehrer kämpfen laut UNRWA mit einem 'Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, begrenzten Transportmöglichkeiten und einer weitgehend zerstörten öffentlichen Infrastruktur' (TOI 17.11.2022).

Es hat sich gezeigt, dass Flüchtlinge seltener in Bezirke zurückkehren, die in der Vergangenheit von intensiven Konflikten geprägt waren. Das geringe Angebot an Bildungs-, Gesundheits- und Grundversorgungsleistungen in Syrien wirken abschreckend auf potenzielle Rückkehrer. Eine geringere Lebensqualität im Exil erhöht nicht immer die Rückkehrbereitschaft (Weltbank 2020). Es ist wichtig, dass die Rückkehrer an ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann Zugang zu einem sozialen Netzwerk und/oder ihrem Stamm haben. Diejenigen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, verfügen nicht über ein solches Sicherheitsnetz (NMFA 7.2019). So berichtet UNHCR von einer 'sehr begrenzten' und 'abnehmenden' Zahl an Rückkehrern über die Jahre. Im 1. Quartal 2022 kehrten demnach insgesamt 22.052 Personen an ihre Herkunftsorte zurück und davon handelte es sich bei 94 % um Rückkehrer innerhalb Syriens (UNHCR 6.2022), wenngleich von der UNO auch Fälle dokumentiert sind, dass Binnenvertriebene von aktuell oppositionell gehaltenen Gebieten aus nicht in ihre Heimatdörfer im Regierungsgebiet zurückkehren durften - trotz vorheriger Genehmigung (UNCOI 7.2.2023).

Laut Einschätzung der United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic könnte das Vorgehen der Regierung möglicherweise eine Verletzung von Unterkunfts-, Land- und Besitzrechten dar. Die Duldung der Inbesitznahme von Immobilien durch Dritte könnte eine Verletzung des Schutzes genannter Rechte darstellen. Sie haben auch mögliche Verletzungen des internationalen humanitären Gewohnheitsrechts zur Folge bezüglich der Besitzrechte von Vertriebenen (UNCOI 7.2.2023).

Ergänzende Informationen zur Behandlung bei und nach der Rückkehr

Letzte Änderung 2023-07-12 10:19

Am 10.5.2023 erklärten die Außenminister von Russland, Türkei, Iran und Syrien, dass erst die nötige Infrastruktur für eine sichere Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien geschaffen werden müsse (SNHR 6.2023). Es besteht nach wie vor kein freier und ungehinderter Zugang von UNHCR und anderer Menschenrechtsorganisationen zu Rückkehrenden in Syrien, sodass eine Nachverfolgung und Überwachung des Rückkehrprozesses sowie des Schicksals der Rückkehrenden nicht möglich ist. Aufgrund der fehlenden Überwachung durch internationale Organisationen bei der Rückkehr ist es unklar, wie systematisch und weit verbreitet Übergriffe gegen Rückkehrer sind. Es gibt kein klares Gesamtmuster bei der Behandlung von Rückkehrern, auch wenn einige Tendenzen zu beobachten sind. Die Tatsache, dass der zuständige Beamte am Grenzübergang oder in der örtlichen Sicherheitsdienststelle die Befugnis hat, seine eigene Entscheidung über den einzelnen Rückkehrer zu treffen, trägt zur Abwesenheit eines klaren Musters bei (DIS 5.2022). Die Behandlung von Menschen, die nach Syrien einreisen, hängt stark vom Einzelfall ab, und es gibt keine zuverlässigen Informationen über den Kenntnisstand der syrischen Behörden über einzelne Rückkehrer (ÖB Damaskus 29.9.2020).

Es ist schwierig, Informationen über die Situation von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude Anmerkung, über die Rückkehr) der RückkehrerInnen (TN 10.12.2018), pro-oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von RückkehrerInnen (TN 10.12.2018; vergleiche TWP 2.6.2019, FP 6.2.2019). Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen durch die Regierung nach ihrer Rückkehr nach Syrien nicht mehr mit Journalisten (TN 10.12.2018) oder auch nur mit Angehörigen sprechen (SD 16.1.2019; vergleiche TN 10.12.2018). Die syrische Regierung und ihr Sicherheitsapparat sind immer wieder gegen Personen vorgegangen, die sich abweichend oder oppositionell geäußert haben, unter anderem durch willkürliche Inhaftierung, Folter und Schikanen gegen Kritiker und ihre Angehörigen. Trotz Amnestien und gegenteiliger Erklärungen hat die syrische Regierung bisher keine Änderung ihres Verhaltens erkennen lassen. Selbst dort, wo Einzelpersonen von der Regierung Sicherheitsgarantien erhalten haben, kam es zu Übergriffen. Jeder, der aus dem Land geflohen ist oder sich gegen die Regierung geäußert hat, läuft Gefahr, als illoyal angesehen zu werden, was dazu führen kann, dass er verdächtigt, bestraft oder willkürlich inhaftiert wird (COAR/HRW/HBS/JUSOOR 19.4.2021). BürgerInnen in von der Regierung rückeroberten Gebieten wie auch Rückehrende gehören zu den verwundbarsten Bevölkerungsgruppen. RückkehrerInnen und Binnenvertriebene sind am ehesten von gesellschaftlichem Ausschluss und einem Mangel an Zugang zu öffentlichen Leistungen in der näheren Zukunft ausgesetzt (BS 23.3.2022). Enteignungen dienen der Schaffung von Hürden für rückkehrende Flüchtlinge und Binnenvertriebene und der Belohnung von regimeloyalen Personen mit einer daraus resultierenden demografischen Änderung in ehemaligen Hochburgen der Opposition (USDOS 15.5.2023).

Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten. Es findet keine zuverlässige und für Betroffene verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt. Die Dokumentation von Einzelfällen zeigt immer wieder, dass es insbesondere auch bei aus dem Ausland Zurückkehrenden trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. In nur wenigen Fällen werden Betroffene in reguläre Haftanstalten oder an die Justiz überstellt (AA 29.3.2023). Alles in allem kann eine Person, die von der Regierung gesucht wird, aus einer Vielzahl von Gründen oder völlig willkürlich gesucht werden. So kann die Behandlung einer Person an einem Checkpoint von verschiedenen Faktoren abhängen, darunter der Willkür des Kontrollpersonals oder praktischen Problemen wie eine Namensähnlichkeit mit einer gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, müssen mit verschiedenen Konsequenzen seitens der Regierung rechnen, z. B. mit Verhaftung und im Zuge dessen auch mit Folter. Einigen Quellen zufolge gehört medizinisches Personal zu den Personen, die als oppositionell oder regierungsfeindlich gelten, insbesondere wenn es in einem von der Regierung belagerten Oppositionsgebiet gearbeitet hat. Dies gilt auch für Aktivisten und Journalisten, die die Regierung offen kritisiert oder Informationen oder Fotos von Ereignissen wie Angriffen der Regierung verbreitet haben, sowie generell für Personen, die die Regierung offen kritisieren. Einer Quelle zufolge kann es vorkommen, dass die Regierung eine Person wegen eines als geringfügig eingestuften Vergehens nicht sofort verhaftet, sondern erst nach einer gewissen Zeit. Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Kontrollpunkt beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. Wenn eine Person an einem Ort lebt oder aus einem Ort kommt, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, kann dies das Misstrauen des Kontrollpersonals wecken (FIS 14.12.2018). Die Definition des Regimes, wer ein Oppositioneller ist, ist nicht immer klar oder kann sich im Laufe der Zeit ändern. Es gibt keine Gewissheit darüber, wer vor Verhaftungen sicher ist. In Gesprächen mit der NGO International Crisis Group (ICG) berichteten viele Flüchtlinge, dass der Verzicht auf regimefeindliche Aktivitäten keine sichere Rückkehr garantiert (ICG 13.2.2020). So folgten z. B. Abschiebungen aus dem Libanon im April 2023 von mindestens 130 Menschen - darunter auch unbegleitete Minderjährige - Berichte, wonach es zu Verhaftungen [Anm.: die Zahlen variieren je nach Quelle - z.B. mindestens vier dokumentierte Verhaftungen] und zwangsweisem Einzug zum Wehrdienst [Anm.: keine Zahlenangaben, nur Beispiele] kam (Reuters 1.5.2023).

Generell ist es schwer, in Erfahrung zu bringen, was der Status einer Person bezüglich der syrischen Regierung ist. Für Menschen mit Geld und guten Beziehungen zu den Behörden oder einflussreichen Personen besteht die Möglichkeit, nachzuforschen, ob ihre Namen auf Suchlisten stehen. Allerdings kann die Suche nach diesen Informationen diese auch exponieren - bzw. die Personen, welche für sie nach Informationen suchen. Es gibt keine Garantie, dass sie dabei nicht mit Schwierigkeiten konfrontiert sein werden, darunter das Risiko einer Verhaftung (DIS 9.2019). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse. Laut dieser Berichte haben die Sicherheitsbehörden bzw. regimetreue Milizen der vertriebenen, oft als regimekritisch oder oppositionsnah angesehenen Bevölkerung, die Rückkehr an ihre Ursprungsorte verweigert. Mangel an Wohnraum und Sorge um zurückgelassenes Eigentum gehören zu den Faktoren, die syrische Flüchtlinge davon abhalten, nach Syrien zurückzukehren. Zudem ist nach wie vor eine großflächige Enteignung in Form von Zerstörung und Abriss von Häusern und Wohnungen in ehemaligen Oppositionsgebieten unter Anwendung der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Nr. 19/2012 und Dekret 63/2012) zu verzeichnen. Sie erlaubt es, gezielt gegen Inhaftierte, Menschenrechtsaktivistinnen und –aktivisten sowie Personen, die sich an Protesten gegen das Regime beteiligen oder beteiligt haben, vorzugehen und deren Eigentum und Vermögen zu beschlagnahmen. (AA 29.3.2023).

Neben der allgemein instabilen Sicherheitslage bleibt die mangelnde persönliche Sicherheit in Verbindung mit der Angst vor staatlicher Repression das wichtigste Hindernis für die Rückkehr (AA 19.5.2020; vergleiche SACD 21.7.2020, ICG 13.2.2020). Unverändert besteht nach Bewertung des deutschen Auswärtigen Amts in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher Schutz für verfolgte Personen und Rückkehrende. Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar. Auch erschienen Berichte über erneute Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben von Rückkehrenden. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert oder eingeschüchtert wurden (AA 29.3.2023).

Das Syrian Network for Human Rights dokumentierte beinahe 2.000 Verhaftungen von RückkehrerInnen nach Syrien von 2014 bis 2019. Ein Drittel von ihnen wurde 'verschwunden gelassen' (BS 23.3.2022). Hunderte syrische Flüchtlinge wurden Berichten von 2019 zufolge nach ihrer Rückkehr verhaftet und verhört, darunter Flüchtlinge, die aus dem Ausland nach Syrien zurückgekehrt sind, Binnenvertriebene aus von der Opposition kontrollierten Gebieten und Personen, die in von der Regierung zurückeroberten Gebieten ein 'Versöhnungsabkommen' mit der Regierung unterzeichnet hatten. Sie wurden gezwungen, Aussagen über Familienmitglieder zu machen, und in einigen Fällen wurden sie gefoltert (TWP 2.6.2019; vergleiche EIP 7.2019). Amnesty International legte in seinem Bericht aus dem Jahr 2021 Informationen über 66 Personen vor, die bei ihrer Rückkehr aus dem Ausland Opfer von Verstößen wurden. Unter ihnen wurden 59 Fälle von unrechtmäßiger oder willkürlicher Inhaftierung von Männern, Frauen und Kindern dokumentiert. Unter den Inhaftierten befanden sich zwei schwangere Frauen und zehn Kinder im Alter zwischen drei Wochen und 16 Jahren, von denen sieben vier Jahre alt oder jünger waren. Außerdem wurden 27 Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen dokumentiert, darunter vier Kinder, die mindestens eine Woche und bis zu vier Jahre lang festgehalten wurden, wobei 17 Fälle noch andauerten. Die Sicherheitsbeamten verhafteten die Rückkehrer zumeist unter dem pauschalen Vorwurf des 'Terrorismus', weil sie häufig davon ausgingen, dass einer ihrer Verwandten der politischen oder bewaffneten Opposition angehörte, oder weil die Rückkehrer aus einem Gebiet kamen, das zuvor von der Opposition kontrolliert wurde. Darüber hinaus wurden 14 Fälle gemeldet, in denen Sicherheitsbeamte sexuelle Gewalt gegen Kinder, Frauen und männliche Rückkehrer ausübten, darunter Vergewaltigungen an fünf Frauen, einem 13-jährigen Buben und einem fünfjährigen Mädchen. Die sexuelle Gewalt fand an Grenzübergängen oder in Haftanstalten während der Befragung am Tag der Rückkehr oder kurz danach statt. Berichten zufolge setzten Geheimdienstmitarbeiter 33 RückkehrerInnen, darunter Männer, Frauen und fünf Kinder, während ihrer Inhaftierung und Verhöre in Geheimdiensteinrichtungen Praktiken aus, die Folter oder anderen Misshandlungen gleichkommen. Trotz der Behauptung, Damaskus und seine Vororte seien sicher, um dorthin zurückzukehren, fand ein Drittel der im Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2021 dokumentierten Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Damaskus selbst oder in der Umgebung von Damaskus statt, was laut Amnesty International darauf hindeutet, dass selbst dann, wenn die willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau liegt und/oder die Regierung ein bestimmtes Gebiet unter Kontrolle hat, die Risiken bestehen bleiben (AI 9.2021).

Eine gemeinsame Studie von Zivilgesellschaftsorganisationen im Frühjahr 2022 (Stand November 2022) zu Rückkehrenden aus Europa (Deutschland, Dänemark, Niederlande), der engeren Nachbarschaft (Türkei, Libanon, Jordanien, Irak, Ägypten) und anderen Regionen Syriens dokumentiert schwierigste Rückkehrbedingungen in allen Regionen Syriens, darunter in einigen Fällen physische Gewalt und Verhaftungen der Betroffenen oder von Angehörigen sowie weitgehende Bewegungsbeschränkungen. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Rückkehrbedingungen nach Syrien in keiner Hinsicht erfüllt seien. Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann nach Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts insofern für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden. Auch UNHCR und Menschenrechtsorganisationen haben keinen freien und ungehinderten Zugang zu Rückkehrenden in Syrien, sodass eine Nachverfolgung und Überwachung des Rückkehrprozesses sowie des Schicksals der Rückkehrenden nicht möglich ist. UNHCR kann unverändert weder ein umfassendes Monitoring zur Lage von zurückgekehrten Binnenvertriebenen und Flüchtlingen sicherstellen, noch einen Schutz ihrer Rechte gewährleisten. Dennoch bemüht sich UNHCR, Beispiele von Rechtsbrüchen zu sammeln, nachzuverfolgen und gegenüber dem Regime zu kommunizieren (AA 29.3.2023).

Hinweise über Rückkehrende aus den Nachbarstaaten und Europa

Letzte Änderung 2023-07-17 16:11

Syrische Rückkehrende aus den Nachbarstaaten Libanon, Jordanien und der Türkei

Obwohl sich am Bestehen der Fluchtursachen laut deutschem Auswärtigem Amt, insbesondere im Hinblick auf verbreitete Kampfhandlungen sowie die in weiten Teilen des Landes katastrophale humanitäre, wirtschaftliche und Menschenrechtslage nicht verbessert hat, erhöhen manche Aufnahmestaaten in der Region gezielt den politischen, rechtlichen und sozio-ökonomischen Druck auf syrische Geflüchtete, um eine 'freiwillige Rückkehr' zu erwirken. So hat die türkische Regierung im Juli 2022 entsprechende Programme für rund eine Million Syrerinnen und Syrer mit Infrastrukturprojekten in sog. 'sicheren Zonen' angekündigt, deren Umsetzung sich schwer unabhängig überprüfen lässt. Im Oktober 2022 gab es ähnliche Äußerungen der libanesischen Präsidialverwaltung (AA 29.3.2023).

Im Mai 2023 wurde die syrische Bevölkerung mit 22.933.531 Millionen Menschen beziffert (CIA 30.5.2023). Mitte November 2022 waren 5.534.620 Personen als syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens und in Ägypten registriert. Nach Angaben des UNHCR kehrten im Jahr 2022 (Stand 30.11.2022) insgesamt rund 47.623 Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten und Ägypten nach Syrien zurück (UNHCR 30.11.2022).

Auf der folgenden Grafik sind die Provinzen ersichtlich, in welche die Flüchtlinge im Jahr 2022 (Stand 30.11.2023) zurückkehrten Anmerkung, Die fünf zahlenstärksten Rückkehrziele befinden sich ganz oder teilweise in Händen von Oppositionsgruppen - siehe Kapitel Sicherheitslage.]:

Quelle: UNHCR 30.11.2023

UNHCR hat die Rückkehrzahlen je nach Land grafisch für die Jahre 2017 bis 2023 aufbereitet. Die meisten Rückkehrbewegungen fanden demnach aus Türkei statt:

Quelle: UNHCR 11.5.2023

Hier sind für das 1. Quartal 2023 folgende Zahlen bezüglicher RückkehrerInnen dokumentiert. Auch in diesem Zeitabschnitt führen RückkehrerInnen aus der Türkei mit 4.028 Personen die Statistik an:

Quelle: UNHCR 11.5.2023

Der folgenden Trendanalyse von UNHCR zufolge liegen die Rückkehrzahlen von 2022 wie vom 1. Quartal 2023 unter denen des zahlenstärksten Jahres 2019:

Quelle: UNHCR 11.5.2023

Laut niederländischem Außenministerium kehrten im Jahr 2021 ein Tausend PalästinenserInnen aus den Nachbarländern und anderen Staaten nach Syrien zurück. Es betont aber, dass keine Informationen vorliegen, ob diese Rückkehr dauerhaft war, und verweist auf die Möglichkeit, dass diese Syrien wieder verlassen haben. Viele von diesen (etwaigen) Rückehrenden wurden zu Verhören vorgeladen. Ob sie dabei anders als zurückgekehrte SyrerInnen behandelt wurden, ist nicht bekannt (NMFA 5.2022).

Nach entsprechenden Berichten von Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) von September bzw. Oktober 2021 präsentierten der Zusammenschluss von Zivilgesellschaftsorganisationen Voices for Displaced Syrians Forum und der Think Tank Operations and Policy Center im Frühjahr 2022 eine gemeinsame Studie (Stand November 2022) zu Rückkehrenden aus Europa (Deutschland, Dänemark, Niederlande), der engeren Nachbarschaft (Türkei, Libanon, Jordanien, Irak, Ägypten) und anderen Regionen Syriens. Diese dokumentiert innerhalb eines Jahres schwierigste Rückkehrbedingungen in allen Regionen Syriens, darunter in einigen Fällen physische Gewalt und Verhaftungen der Betroffenen oder von Angehörigen sowie weitgehende Bewegungsbeschränkungen. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Rückkehrbedingungen nach Syrien in keiner Hinsicht erfüllt seien (AA 29.3.2023).

- Libanon

Ende Oktober begann der Libanon damit, Gruppen syrischer Geflüchteter vermeintlich freiwillig nach Syrien zurückzuführen. Trotz Kritik von Menschenrechtsorganisationen nahm die libanesische Regierung die mit Beginn der Corona-Krise ausgesetzte, von der libanesischen General Security [Anm.: ein libanesischer Geheimdienst] durchgeführte, freiwillige Rückkehr wieder auf, in deren Rahmen am 26.10.2022 324 Personen nach Syrien zurückgekehrt sein sollen. Eine zweite Gruppe von 353 Personen soll am 5.11.2022 nach Syrien zurückgekehrt sein (AA 29.3.2023). Die Rückkehraktionen werden vom General Security Directorate mit den syrischen Geheimdiensten koordiniert, welche dann über die Rückkehrerlaubnis entscheiden. In einigen Fällen wurde der Rückkehrantrag noch vor Abfahrt des Konvois aus 'Gründen der Kriminalität' oder aus 'Sicherheitsgründen' abgelehnt, ohne dass Näheres bekannt gegeben wurde. Anderen SyrerInnen wurde direkt an der Grenze die Einreise verwehrt (UNCOI 7.2.2023). Die libanesischen Statistiken weisen darauf hin, dass Syriens Sicherheitsapparat mit Berichtsdatum 2.2.2022 lediglich 20 Prozent der AntragstellerInnen für eine Rückkehr aus dem Libanon eine Heimkehrerlaubnis gewährte (Qantara 2.2.2022). Seit Jahresbeginn sollen mehr als 1.100 SyrerInnen im Libanon verhaftet, und 600 von ihnen abgeschoben worden sein, darunter auch bei UNHCR registrierte Personen. Dabei kam es in einigen Fällen zur Trennung von abgeschobenen Minderjährigen von ihren Familien, die nicht von einer Abschiebung betroffen waren (Al Jazeera 17.5.2023).

Berichten von Medien und Menschenrechtsorganisationen zufolge soll es zu Verhaftungen von Zurückgekehrten durch das Regime gekommen sein (AA 29.3.2023). Michael Young, vom Think Tank Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Centre in Beirut bestätigte, dass RückkehrerInnen verhaftet wurden, einschließlich Fällen von Verschwindenlassen (Now 4.4.2023). Zum Beispiel im Fall von abgeschobenen SyrerInnen im April 2023 berichteten Angehörige wie auch AktivistInnen von Verhaftungen sowie zwangsweisem Einziehen zum Wehrdienst. Amnesty International dokumentierte mindestens vier Verhaftungen zusätzlich zu den Personen, die zum Wehrdienst eingezogen wurden. Einige Angehörige berichteten, dass die verhafteten Familienmitglieder von der Vierten Division festgehalten werden, die wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen unter Sanktionen steht (Reuters 1.5.2023).

Seit 2018 gibt es immer wieder Versuche im Libanon, zahlreiche syrische Staatsangehörige zur Rückkehr zu bewegen. Hierbei wird eine weite Palette von Druckmitteln eingesetzt, die internationale Beobachter an der Freiwilligkeit vieler der berichteten Rückreisen zweifeln lässt. Syrische Flüchtlinge im Libanon sind im Regelfall den Folgen des ökonomischen Zusammenbruchs des Landes stärker ausgesetzt als libanesische Staatsangehörige, weil sie zu vielen Dienstleistungen keinen Zugang haben und ihnen der Arbeitsmarkt nur sehr begrenzt legal zur Verfügung steht. Der Libanon ist kein Signatarstaat der Genfer Flüchtlingskonvention (BAMF 7.11.2022). Die Abschiebungen im April 2023 waren zum Beispiel 'von einer Welle von Hetzreden, Restriktionen durch Stadtverwaltungen gegen SyrerInnen und Kommentaren von Offiziellen begleitet, die ein Umfeld von Druck erzeugte', um syrische Flüchtlinge dazu zu bringen, den Libanon zu verlassen (Reuters 1.5.2023). Einige Flüchtlinge hatten bereits im Jahr 2019 erklärt, dass sie wegen der strikten Politik und der sich verschlechternden Bedingungen im Libanon zurückkehrten, nicht weil sie Syrien für sicher hielten. Gemeinden im Libanon hatten bereits damals Tausende von Flüchtlingen ohne Rechtsgrundlage und ohne ordnungsgemäßes Verfahren gewaltsam vertrieben (HRW 17.1.2019).

Eine kleine Zahl von Flüchtlingen kehrte im Rahmen lokaler Vereinbarungen nach Syrien zurück, die jedoch nicht vom UNHCR überwacht werden (HRW 17.1.2019).

- Jordanien

Im ersten Quartal 2023 kehrten UNHCR zufolge 923 SyrerInnen aus Jordanien in ihr Heimatland zurück (UNHCR 11.5.2023). Bisher kehrte aufgrund der Sicherheits- und Wirtschaftslage in Syrien nur eine geringe Zahl von SyrerInnen zurück (SD 6.5.2020), obwohl die wirtschaftliche Lage vieler syrischer Flüchtlinge in Jordanien schwierig ist (TN 3.10.2019; vergleiche SD 6.5.2020). Im Jahr 2021 normalisierten mehrere Staaten, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien, trotz der Menschenrechtsverletzungen in Syrien ihre Beziehungen zum syrischen Regime. Dabei wurden Kooperationszusagen gemacht, welche bei BeobachterInnen die Frage einer verfrühten Rückkehr von Flüchtlingen und das eventuelle Ermöglichen von Menschenrechtsverletzungen aufwarfen (HRW 13.1.2022).

- Türkei

Die Türkei beherbergt mit Stand 30.11.2022 3.577.714 Millionen syrische Flüchtlinge (UNHCR 30.11.2022). Im ersten Quartal kehrten 4.028 SyrerInnen nach Syrien von der Türkei zurück (UNHCR 11.5.2023).

Im Juli 2019 änderte sich die Haltung der türkischen Regierung den syrischen Flüchtlingen gegenüber. Die türkischen Sicherheitskräfte begannen, syrische Flüchtlinge zusammenzutreiben, und sie in die türkischen Provinzen zurückzuschicken, in denen sie registriert waren. Sie fingen damit an, einige von ihnen abzuschieben, und andere zu ermutigen, in die von der Türkei kontrollierten Gebiete in Nordsyrien, einschließlich der Konfliktzone Idlib, zu ziehen (SWP 5.2.2020). NGO-Berichten zufolge haben die türkischen Behörden immer wieder Flüchtlinge inhaftiert, und sie gezwungen, 'freiwillige' Rückkehrdokumente zu unterschreiben, manchmal durch Schläge und Drohungen (SJAC 8.10.2020). Auch die Organisation Syrians for Truth and Justice erhob in ihrem Bericht vom Februar 2022 diesen Vorwurf (STJ 14.2.2022). Human Rights Watch beziffert im Jänner 2023 die Zahl der Abschiebungen nach Nordsyrien von Männern und Burschen mit 'Hunderten' (HRW 12.1.2023). Der Modus der Abschiebungen umfasst Verhaftungen in Wohnungen, an Arbeitsplätzen und auf der Straße, gefolgt von Haft unter schlechten Bindungen und physischen Schikanen, um die Unterzeichnung eines 'Formulars für eine freiwillige Rückkehr' zu erreichen. Dann werden die Syrer zu den Grenzübergängen zu Nordsyrien gebracht, und 'mit vorgehaltenem Gewehr' zum Grenzübertritt gezwungen (USDOS 20.3.2023). Türkische Politiker feuern unterdessen Anti-Flüchtlingseinstellungen an, und Präsident Erdoğans Regierung reagiert mit Versprechen, die SyrerInnen, in türkisch-besetzten Teilen Syriens anzusiedeln (HRW 12.1.2023).

Für nähere Informationen siehe auch COI-CMS-Länderinformationen Türkei [Anm.: letzte Aktualisierung am 29.6.2023], Kapitel Binnenvertriebene und Flüchtlinge sowie zur völkerrechtswidrigen Verbringung von syrischen Gefangenen in die Türkei und deren dortige Verurteilung siehe Kapitel Verfolgung fremder Staatsbürger wegen Straftaten im Ausland.

Syrische Rückkehrende aus Europa

Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann laut deutschem Auswärtigen Amt für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden. Auch UNHCR und andere Menschenrechtsorganisationen haben keinen freien und ungehinderten Zugang zu Rückkehrenden in Syrien, sodass eine Nachverfolgung und Überwachung des Rückkehrprozesses sowie des Schicksals der Rückkehrenden nicht möglich ist. UNHCR kann unverändert weder ein umfassendes Monitoring zur Lage von zurückgekehrten Binnenvertriebenen und Flüchtlingen sicherstellen, noch einen Schutz ihrer Rechte gewährleisten. Dennoch bemüht sich UNHCR, Beispiele von Rechtsbrüchen zu sammeln, nachzuverfolgen und gegenüber dem Regime zu kommunizieren (AA 29.3.2023).

Die verfügbaren Informationen über SyrerInnen, die aus Europa nach Syrien zurückkehren, sind begrenzt (Rechtsexperte 14.9.2022, DIS 5.2022). Zur Situation von rückkehrenden Flüchtlingen aus Europa gibt es auch aufgrund deren geringer Zahl keine Angaben (ÖB Damaskus 12.2022): Im Jahr 2020 kehrten 137 syrische Flüchtlinge freiwillig und mit Unterstützung der dänischen Behörden aus Dänemark nach Syrien zurück. Im selben Jahr suchten zehn SyrerInnen bei den niederländischen Behörden um Hilfe für eine Rückkehr nach Syrien an. In Dänemark leben rund 35.000 Syrer und Syrerinnen, in den Niederlanden ca. 77.000 (EASO 6.2021). Nach Angaben des deutschen Innenministeriums kehrten von 2017 bis Juni 2020 über 1.000 SyrerInnen mit finanzieller Unterstützung Deutschlands aus Deutschland nach Syrien zurück (Daily Sabah 15.6.2020). Die meisten syrischen Flüchtlinge in der EU erwägen nicht, in (naher) Zukunft nach Syrien zurückzukehren, wie Umfragen aus verschiedenen europäischen Staaten illustrieren. Diejenigen, die nicht nach Syrien zurückkehren wollten, wiesen auf verschiedene Hindernisse für eine Rückkehr hin, darunter das Fehlen grundlegender Dienstleistungen (wie Bildung, Gesundheitsversorgung und soziale Sicherheit) und die derzeitige syrische Regierung, die an der Macht geblieben ist (Rechtsexperte 14.9.2022).

Die meisten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die Europäische Union selbst sowie der UN High Commissioner for Refugees (UNHCR), bleiben bei ihrer Einschätzung, dass Syrien nicht sicher für eine Rückkehr von Flüchtlingen ist. Im Juli 2022 entschied das Netherlands Council of State, dass syrische Asylsuchende nicht automatisch nach Dänemark transferiert werden dürften angesichts der dortigen Entscheidung, Teile Syriens für 'sicher' zu erklären (HRW 12.1.2023). Auch die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) kommt zum Schluss, dass die Bedingungen für eine sichere Rückkehr in Würde nicht gegeben sind, auch angesichts von Fällen von Rückkehrverweigerungen, willkürlichen Verhaftungen und der Verhinderung der Rückkehr zu ihren Heimen in Regierungsgebieten (UNCOI 7.2.2023). Das deutsche Auswärtige Amt weist darauf hin, dass UNHCR, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) und die International Organization for Migration (IOM) unverändert die Auffassung vertreten, dass die Bedingungen für eine freiwillige Rückkehr von Geflüchteten nach Syrien in Sicherheit und Würde angesichts der unverändert bestehenden, signifikanten Sicherheitsrisiken in ganz Syrien nicht erfüllt sind. UNHCR bekräftigte, dass sich seine Position und Politik nicht geändert hätten. Im Einklang mit dieser Einschätzung führt laut deutschem Auswärtigem Amt weiterhin kein Mitgliedsstaat der Europäischen Union Rückführungen nach Syrien durch (AA 29.3.2023). Auch der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sieht nicht die menschenrechtlichen Voraussetzungen für Abschiebungen nach Syrien gegeben (Die Presse 5.6.2023).

[...]

Überwachungsmaßnahmen im Ausland und deren Folgen

Letzte Änderung 2023-07-12 08:31

Informationssammlung des Sicherheitsapparats und 'Berichte' von InformantInnen

Der Sicherheitssektor nutzt den Rückkehr- und Versöhnungsprozess, um seinen historischen Einsatz lokaler InformantInnen zur Sammlung von Informationen und zur Kontrolle der Bevölkerung wieder zu verstärken und zu institutionalisieren. Die Regierung baut weiterhin eine umfangreiche Datenbank mit Informationen über alle Personen auf, die ins Land zurückkehren oder im Land bleiben. In der Vergangenheit wurde diese Art von Informationen genutzt, um Personen zu erpressen oder zu verhaften, die aus irgendeinem Grund als Bedrohung oder Problem wahrgenommen wurden (EIP 7.2019). Das Verfassen eines 'Taqrir' (eines 'Berichts', d. h., die Meldung von Personen an die Sicherheitsbehörden) war im ba'athistischen Syrien jahrzehntelang gang und gäbe und wird laut International Crisis Group (ICG) auch unter Flüchtlingen im Libanon praktiziert. Die Motive können persönlicher Gewinn oder die Beilegung von Streitigkeiten sein, oder die Menschen schreiben 'Berichte', um nicht selbst zur Zielscheibe zu werden. Selbst Regimevertreter geben zu, dass es aufgrund unbegründeter Denunziationen zu Verhaftungen kommt (ICG 13.2.2020). Eine Umfrage des Middle East Institute veröffentlicht im Februar 2022 ergab, dass 27 Prozent der RückkehrerInnen berichteten, dass sie oder ihnen nahestehende Personen aufgrund ihres Herkunftsorts, ihres illegalen Verlassens von Syrien oder wegen eines Asylantrags im Ausland Repressionen ausgesetzt sind (USDOS 20.3.2023).

Zur digitalen Überwachung einschließlich Hackerangriffen durch die Syrian Electronic Army siehe Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage sowie bzgl. Abfrage von Login-Daten bei Ein- und Ausreise siehe Kapitel Bewegungsfreiheit im Unterkapitel Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen.

Überwachung von SyrerInnen im Ausland

Die Überwachung im Ausland ist ein Eckpfeiler der syrischen Außenpolitik, und wird von einem koordinierten Netzwerk von Botschaftsangestellten, nachrichtendienstlichen Quellen und Sicherheitsdiensten umgesetzt. Es sind keine Änderung diesbezüglich absehbar. Das Syria Justice and Accountability Centre sieht die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen Syriens und die Wiedereröffnung ausländischer Botschaften auch als Weg zu einer verstärkten Kontrolle der im Ausland aufhältigen SyrerInnen. Seit 2011 mehren sich die Berichte über syrische Botschaften als Ausgangspunkt für die Überwachung und Einschüchterung von Oppositionellen. Bereits vor dem SJAC-Bericht mit einer Auswertung von interner Korrespondenz der involvierten syrischen Behörden (SJAC 3.5.2023) gingen Berichte verschiedener Stellen davon aus, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, politische Aktivitäten im Exil auszuspionieren und darüber zu berichten (ÖB Damaskus 29.9.2020; vergleiche TWP 2.6.2019, EASO 6.2021). Dabei erstreckt sich die Überwachung über die Länder mit großen Zahlen an SyrerInnen hinaus rund um die Welt (SJAC 3.5.2023). Nach Angaben von Jusoor for Studies haben die syrischen Behörden Agenten und Informanten in Asylstaaten, unter anderem in die EU und der Türkei entsandt, die Syrer in der Diaspora beobachten und wöchentlich über sie berichten. Diese Agenten und Informanten arbeiten für verschiedene Abteilungen der Sicherheitsbehörden: die 4. Division des Sicherheitsbüros, die Abteilung 279 des Allgemeinen Nachrichtendienstes, die Abteilung 297 der Abteilung für militärische Aufklärung, das Direktorat für den Geheimdienst der Luftwaffe und die Abteilung 300 (EASO 6.2021). In Staaten mit etablierter syrischer diplomatischer Präsenz, wie die Türkei und der Libanon, werden besonders große Ressourcen für die Überwachung eingesetzt. In der Türkei werden auch die Kreise der politischen Exilopposition unterwandert, z. B. indem sich in einem dokumentierten Fall ein Agent als Unterstützer der Opposition ausgab, um Informationen über diese zu sammeln (SJAC 3.5.2023).

Trotz der Konkurrenz zwischen den Organisationen des syrischen Sicherheitsapparats koordinieren sich diese, wenn notwendig, zwecks Sammlung von Informationen über für sie interessante Personen. Gleichwohl ist z. B. ein Fall aus Zypern bekannt, wo ein Oppositioneller es schaffte, aufgrund seiner Rolle als vermeintlicher Informant für das Büro des syrischen Militärattachés weiterhin offen seinen regimegegnerischen Aktivitäten nachzugehen (SJAC 3.5.2023).

Syrische Sicherheitsdienste setzen auch Drohungen gegen in Syrien lebende Familienmitglieder ein, um Druck auf Verwandte im Ausland auszuüben, die z.B. in Deutschland leben (AA 13.11.2018): Seit 2011 sind in Syrien lebenden Familien von im Ausland aufhältigen oppositionellen Ziele. Dabei taucht in schriftlichen Anweisungen des Sicherheitsapparats an ihre MitarbeiterInnen der Befehl 'das Notwendige zu tun' auf. Diese Anweisung erlaubt den Mitgliedern des Sicherheitsapparats bei der Ausführung von Befehlen den Einsatz einer Bandbreite an Maßnahmen bis hin zu tödlicher Gewalt nach ihrem Ermessen (SJAC 3.5.2023). Auch Gewalt und Drohungen gegen Personen außerhalb Syriens werden berichtet, darunter Fälle, in denen SyrerInnen zur Rückkehr nach Syrien mit dem Ziel politischer Repressalien gegen sie gezwungen wurden (USDOS 20.3.2023).

Einem Syrien-Experten des Europäischen Friedensinstituts zufolge werden Syrer in der Diaspora auf zwei Arten überwacht: informell und formell. Die formelle Art der Überwachung besteht darin, dass staatliche Einrichtungen wie Botschaften und Sicherheitsdienste Informationen über im Ausland lebende Dissidenten sammeln einschließlich durch Überwachung von Social-Media-Konten und Social-Media-Gruppen im Ausland lebender Syrerinnen und Syrern. Bei der informellen Überwachung melden Einzelpersonen andere Personen an die syrischen Behörden. Diese Informanten sind nicht offiziell bei den Sicherheitsbehörden angestellt, melden aber andere Personen, um der Regierung gegenüber loyal zu erscheinen. Auf diese Weise versuchen sie, mögliche negative Aufmerksamkeit von sich abzuwenden (EASO 6.2021). Laut Syrien-Experten Prof. Uğur Ümit Üngör war ein Auslandsaufenthalt schon vor dem Krieg ein Grund für Misstrauen. SyrerInnen mit einem europäischen Pass nach der Asylantragstellung und mit einer bewiesenen regimeloyalen Haltung können seiner Erfahrung nach sehr nützlich für das Regime sein. Bei manchen Fällen stellt sich die Frage, ob das Regime ihre Flucht erlaubt hat. Z. B. gab es in den Niederlanden einen derartigen Fall, wo der Betreffende syrische Gemeinschaften ausspionierte, und sich zurück in Syrien mit diversen offiziellen Funktionären fotografieren ließ, bevor er wieder in die Niederlande zurückkehrte, wo dann ein Verfahren gegen ihn eingeleitet wurde (Üngör 15.12.2021).

Die syrische Regierung sammelt nicht nur Informationen über oppositionelle Aktivitäten im Ausland, sondern verwendet diese auch gegen diese, was Fragen zur Sicherheit zurückkehrender SyrerInnen aufwirft (SJAC 3.5.2023). Die Informationen, welche die syrischen Botschaften sammeln, sind detailliert und genau, einschließlich Details, die eine Identifizierung von Rückkehrenden und ihrer vorhergehenden Aktivitäten im Ausland erlaubt (Enab 5.5.2023). Die Gefährdung eines Rückkehrers im Falle politischer Aktivitäten im Exil hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und vielen anderen Faktoren ab, wie dem Hintergrund der Familie und den der Regierung zur Verfügung stehenden Ressourcen (STDOK 8.2017). Politische und humanitäre Aktivisten, die erwägen, nach Syrien zurückzukehren, sind nach Ansicht von Jusoor for Studies aufgrund der Auslandsüberwachung großen Gefahren ausgesetzt (EASO 6.2021).

Es gibt nicht nur eine Unzahl weiter zurückliegender Fälle, bei denen Personen am Flughafen Damaskus aufgrund von Informantenberichten aus dem Ausland verhaftet wurden, sondern auch in der Gegenwart: So wurde bereits eine Anzahl an RückkehrerInnen in Syrien verhaftet und gezwungen, Informationen über ihre Familienmitglieder bekannt zu geben. Andere wurden auch zwecks Erhalt von Informationen über oppositionelle Aktivitäten im Ausland gefoltert (SJAC 3.5.2023).

Unterstützung von nach dem Prinzip der universellen Jurisdiktion angeklagten ehemaligen Regimemitarbeitern und das Vorgehen gegen syrische ZeugInnen

Die Wiedereröffnung von syrischen Botschaften schafft auch Hindernisse für Gerichtsverfahren im Rahmen universeller Jurisdiktion. Überwachungen sind eine zusätzliche Hürde für die Behörden und die Menschenrechtsorganisationen bei den Gerichtsverfahren in Europa, denn ZeugInnen werden eingeschüchtert und mit ihren Familien (in Syrien) erpresst: So wurden im Fall eines in Deutschland wegen Mordes, Folter und sexuellen Missbrauchs in syrischen Militärspitälern angeklagten Arztes die Angehörigen der Zeugen in Syrien bedroht. Aufgrund der Gefahr für die Angehörigen im Regimegebiet Syriens haben viele ZeugInnen die Aussage verweigert, weil der Angeklagte sonst ihre Namen erfahren hätte. Ein Syrer, der im Verdacht steht, Zeugen in diesem Gerichtsverfahren bedroht zu haben, wurde von Norwegen an Deutschland ausgeliefert. Der angeklagte Arzt erhielt zudem von einem syrischen Botschaftsmitarbeiter Angebote zur Hilfe bei der Flucht nach Syrien (SJAC 3.5.2023).

[…]“

1.3.2. EUAA-Leitfaden Syrien (Country Guidance), Februar 2023:

„[…]

The implications of leaving Syria

Last update: February 2023

römisch eins t is inherent in the situation of applicants for international protection that they have left their country of origin. In the context of Syria, and in particular of targeting by the government of Syria (GoS), this in itself could have implications for the treatment of an individual upon return. […] The fact of having left Syria in itself would not normally lead to the level of risk required to establish well-founded fear of persecution. In most cases where a well founded fear of persecution is substantiated, this would be related to circumstances falling under other profiles included in this guidance, and in particular Persons perceived to be opposing the government.

However, in some cases, returnees could be exposed to acts which are of such severe nature that they would amount to persecution (e.g. arrest, torture) and a nexus to a reason for persecution may be substantiated.

In cases where no nexus can be substantiated, the implications of having left Syria may be a relevant consideration with regard to subsidiary protection. They should also be taken into account when assessing the willingness of the GoS to provide protection in the meaning of Article 7 QD and in the assessment of an internal protection alternative (IPA).

[…]

Refugee status

[…]

Civilians originating from areas associated with opposition to the government

[…]

The individual assessment of whether there is a reasonable degree of likelihood for the applicant to face persecution should take into account risk-impacting circumstances, such as: regional aspects (who is in control in the area, whether it was considered an opposition stronghold, etc.), and level of perceived support or collaboration with anti-government forces, familial ties or other connection to suspected members of anti-- 79 -

government armed groups and/or political opposition members, perceived support for the government, ethno religious background (e.g. being Sunni Arab), etc. Nexus to a reason for persecution Available information indicates that persecution of this profile is highly likely to be for reasons of (imputed) political opinion.

[…]

Persons who evaded or deserted military service

[…]

Draft evaders

[…]

Therefore, in the case of draft evaders, well-founded fear of persecution would in general be substantiated. While certain exemptions from military service are envisaged in law, their application in practice lacks predictability. Taking into account that amnesty decrees are limited in time and do not remove the obligation to perform military service, they would also generally not impact the level of risk associated with draft evasion.

Nexus to a reason for persecution

Available information indicates that persecution of this profile is highly likely to be for reasons of (imputed) political opinion. In the case of conscientious objectors, persecution may also be for reasons of religion.

[…]

Military deserters and defectors

[…]

Therefore, in the case of military deserters and defectors, well-founded fear of persecution would in general be substantiated. Taking into account that amnesty decrees concerning deserters are limited in time and do not remove the obligation to perform military service, they would generally not impact the level of risk associated with desertion of military service.

Nexus to a reason for persecution

Available information indicates that persecution of this profile is highly likely to be for reasons of (imputed) political opinion. In the case of conscientious objectors, persecution may also be for reasons of religion.

[…]

Persons perceived to be opposing the SDF/YPG

[…]

a. Political opponents and supporters of opposition parties

[Main COI reference: Targeting 2022, 5.1, pp. 58-60, 5.2.1, pp. 60-62]

SDF/YPG operates through the Autonomous Administration of North and East Syria (AANES), an officially unrecognised government entity under the effective control of the Democratic Union Party (PYD), the dominant political actor in the Kurdish controlled areas. During the reference period, intra-Kurdish power sharing negotiations aimed at unifying the PYD and the Kurdish National Council (KNC) into a single Kurdish political party reportedly made progress towards an agreement, with restrictions on the KNC’s political activities relaxed as talks progressed.

Nonetheless, the SDF continued to arbitrarily arrest and detain persons who have links to political parties opposing the PYD or the AANES or criticise their policies. These detainees included political activists, humanitarian workers, civil society activists and media professionals [for information on the treatment of journalists by SDF/YPG, see 4.8. Journalists, other media professionals and human rights activists]. The majority of these individuals were either affiliated to parties within the KNC, including the Kurdistan Democratic Party (KDP), or worked for organisations closely aligned to the KNC. The majority were reportedly released, although in exceptional cases detainees died from torture in prisons. Incidents of targeted attacks on individuals affiliated to the KNC by unknown attackers as well as arson attacks on KNC offices were also reported. - 80 -

[…]

The individual assessment of whether there is a reasonable degree of likelihood for the applicant to face persecution should take into account risk-impacting circumstances, such as: regional specifics (who is in control of the area of origin of the applicant, if the applicant was located in any of the IDP camps), the nature of activities and the degree of involvement in activities perceived by SDF/YPG as opposition, perceived affiliation with ISIL (see separate profile 4.3. Persons with perceived links to ISIL or with Turkish-backed forces (see also 4.1.2. Members of anti-government armed groups), being known to the Kurdish authorities (e.g. previous arrest), etc.

Nexus to a reason for persecution

Available information indicates that persecution of this profile is highly likely to be for reasons of (imputed) political opinion

[…]

Persons fearing forced or child recruitment by Kurdish forces

Last update: February 2023

This profile refers to the topic of recruitment under the ‘Duty of Self-Defence’ and the topic of child recruitment by Kurdish forces. COI summary a. ‘Duty of Self-Defence’ and forced recruitment [Main COI reference: Targeting 2020, 3.3, pp. 42-43, 4.1, pp. 46-47, 4.2, pp. 47-48] Compulsory recruitment continued in 2021 based on the conscription law passed by the Kurdish Administration in June 2019 about the ‘Duty of Self Defence’ [Targeting 2022, 5.3, p. 64]. Geographically, the law applies to the areas of northern and eastern Syria under the control of the Kurdish-led Autonomous Administration. ‘Conscription’ is mandatory for all male residents, including Syrian nationals and stateless Kurds, living in the territories under the Autonomous Administration. A May 2021 amendment expanded eligibility for conscription to those aged between 18 and 31 years [Targeting 2022, 5.3, p. 64]. Syrians from other parts of the country who have resided in the area longer than five years are obliged to join as well. Men serve in the YPG, while women can join the YPJ on a voluntary basisWhile under the Kurdish Administration law, members of ethnic and religious minorities are obliged to serve, the law was reportedly not enforced, and they rather joined on a voluntary basis. The ‘Duty of Self-Defence’ has to be completed by the age of 40 years and it usually lasts six months. In the case of conscientious objection to join the Kurdish forces or arrest because of refusal to join, the ‘Duty of Self-Defence’ would be 15 months as a punitive measure. Late enlisters are obliged to serve for an additional month. Deferrals can be granted by the Self-Defence Duty Department for: students, recent returnees to Syria, and persons with siblings younger than 18 years and a passed away or handicapped father. Exceptions to the ‘Duty of Self-Defence’ include medical reasons, disabilities, family members of martyrs holding a proving certificate thereof, or only sons. There is conflicting information as to whether the payment of a fee can exempt an individual from the ‘Duty of Self-Defence’, however according to Article 10 (2019) the payment of guaranty (kafāla) does not exempt from the mandatory service. Lists of people wanted for service in the YPG were issued in 2015. SDF and YPG have used forced recruitment in addition to the ‘conscription’ system, in order to supplement their numbers. There were documented cases of arbitrary arrest for recruitment despite applicable postponements for education or medical reasons. The individuals recruited received basic training and were subsequently sent to the frontlines. Following the May 2021 amendment, large-scale campaigns by the SDF in various Arabmajority communities to arrest and forcibly recruit men and women aged between 18 and 31 years were reported. SDF units reportedly pursued young men in their homes and arrested anyone who refused to comply with these decisions [Targeting 2022, 5.3, p. 64]. There were also reports that the SDF was asking returning families to volunteer one man per family to join YPG, which deterred some families from returning to their homes. Some families chose to move from the areas under SDF in order to avoid reprisals, including arrest, for not accepting recruitment

[…]

Nexus to a reason for persecution

While the risk of forced recruitment as such may not generally imply a nexus to a reason for persecution, the consequences of refusal, could, depending on individual circumstances, substantiate such a nexus, among other reasons, to (imputed) political opinion

[…]         

1.3.3. EASO Information Report „Syria Situation of Returnees from abroad“, Juni 2021:

„[…]

1. Overview of the patterns of return

1.1 Introduction

In November 2020, the GoS hosted an international conference in Damascus on the return of refugees to Syria. Prior to the controversial two-day event, which was sponsored by Russia, Russia’s President Vladimir Putin claimed that large parts of Syria were relatively peaceful, urging Syrian refugees to come back home and rebuild the war-torn country. About twenty countries sent representatives to attend the conference, including Russia, Iran and China. The EU boycotted the event, arguing that the situation in Syria was not conducive to a safe, voluntary, dignified and sustainable return of refugees. To make its stance clear, the EU pointed out that the Syrian authorities continued to violate human rights, including forced conscription, indiscriminate detention, forced disappearances, torture, physical and sexual violence and discrimination in access to housing, land and property (HLP). Thus, the EU regarded the conference on return as premature. UNHCR and the US also boycotted the event.

1.2 Return from the EU

Eurostat’s database does not provide statistics on how many Syrians and stateless persons from Syria have returned from the EU to Syria in 2020. The available information about Syrians returning from the EU to Syria is scant and remains anecdotal and fragmented in nature. In 2020, for instance, 137 Syrian refugees returned voluntarily from Denmark to Syria, each receiving about GBP 22 00013 from the Danish government. Denmark is home to 35 000 Syrians. During the same year, ten Syrian nationals invoked the assistance of the Repatriation and Departure Service, which is part of the Netherlands Ministry of Justice and Security, to return voluntarily from the Netherlands to Syria. The Netherlands are home to 77 000 Syrians. All ten returnees flew to Damascus. Eight of them received additional support from Solid Road, a Dutch NGO supporting (former) asylum seekers and people without residence permits to return voluntarily from the Netherlands to their country of origin. According to Solid Road, these eight returnees had grown disillusioned about finding a place in Dutch society. All of them originated from Damascus and returned to the capital of Syria, travelling on a Syrian national passport. Five returnees constituted one nuclear family, comprising two parents and three underage children. When renewing their passports at the Syrian Embassy in Brussels, Belgium, they had to sign a declaration stating that they had left Syria because of the war situation, not because of the Syrian authorities. As far as is known, the other three returnees did not have to sign such a statement. Upon arrival at the airport in Syria, the authorities asked the returnees routine-like questions such as: ‘Where do you come from? Why have you fled? Why have you returned?’ As of 12 March 2021, none of the returnees reported any personal problems with the Syrian authorities to Solid Road.

Unlike the returnees mentioned above, most Syrian refugees in the EU do not consider returning to Syria in the (near) future. The Day After (TDA)21, for example, conducted a survey among 1 600 Syrians residing in Germany, France, the Netherlands and Sweden. 66.1 % of the respondents indicated that they would not seriously consider returning to live in Syria if conditions become stable. Those who expressed their unwillingness to return to Syria pointed out various barriers to return, including the unavailability of basic services (such as education, health care and social security) and the current GoS that has remained in power. The Netherlands Institute for Social Research conducted a survey among 2 544 Syrians who had been given a residency status based on asylum or family reunification between 1 January 2014 until 1 July 2016. 99.5 % of the respondents indicated their intention to continue residing in the Netherlands in the two forthcoming years. One of the prime reasons for Syrians to remain in the Netherlands is the country’s security, according to the findings of the aforementioned survey.

On 11 March 2021, the European Parliament adopted a resolution on the Syrian conflict, concluding that ‘Syria is not a safe country to return to.’ In addition, the resolution called upon all EU Member States ‘to refrain from shifting national policies towards depriving certain categories of Syrians of their protected status and to reverse this trend if they have already applied such policies’.

1.3 Return from neighbouring countries

1.3.1 Introduction

Like the Syrian refugee population in the EU, most Syrian refugees in the neighbouring countries do not consider to return to Syria in the near future. Between February and March 2021, UNHCR conducted a survey among 3 201 Syrian respondents in Egypt, Lebanon, Jordan and Iraq. Ninety per cent indicated their intention not to return to Syria within the next twelve months. The three main reasons for not returning were a lack of livelihood/work opportunities, a lack of safety and security and a lack of adequate housing and/or concerns over property/housing. Other reasons for not returning were to avoid the military service and an inadequate provision of basic services. In the following sub-paragraphs, the process of return from Turkey, Lebanon and Jordan, which are the neighbouring countries harbouring the largest Syrian refugee populations, will be discussed in more detail.

1.3.2 Return from Turkey

In mid-October 2020, the Turkish Minister of Interior stated that over 414 000 Syrians had returned voluntarily to Syria. He attributed this development to Turkey’s cross-border military interventions in Syria, which had created a so-called ‘safe zone’ controlled by Turkey and its Syrian allies. The Minister did not make clear, however, whether the Syrians who had been ‘resettled’ in this buffer zone alongside the Turkish-Syrian border actually originated from this area. UNHCR recorded 16 805 voluntary returns from Turkey to Syria in 2020 and 5 124 voluntary refugee returns during the first three months of 2021.

During the report’s reference period, sources reported that Syrians were forcibly returned by the Turkish authorities to Idlib, a governorate in north-western Syria which is largely controlled by Hayat Tahrir al-Sham (HTS), a jihadist organisation. The Turkish authorities denied having deported Syrians to Syria and during the report’s reference period, Turkey reaffirmed its commitment to a safe and voluntary return of Syrians to Syria.

Studies showed that there is a strong desire among the Syrian refugee population in Turkey to return to Syria at some point in the future. In April 2020, TDA published a survey report about perceptions on return to Syria among Syrian refugees in Turkey. Having conducted a survey among 2 002 Syrian citizens, it turned out that 74 % of the respondents desired to return to Syria in the future. However, the survey also made clear that those who desire to return to Syria would only like to do so on particular conditions. Of the 74 % who wanted to return to Syria, 71 % stated that their return must be to the place of origin within Syria (returning to one’s place of origin is not always possible as will be discussed in Section 4.1: Access limitations to areas of return). About the same percentage (70 %) indicated that they would return to Syria provided the current GoS has been overthrown. 60 % would return to Syria provided the war has come to an end.

1.3.3 Return from Lebanon

The majority of Syrians in Lebanon have not complied with the Lebanese residency requirements. During a survey among 579 Syrians in Lebanon, Refugee Protection Watch (RPW) found out that 58.4 % of the respondents did not enjoy legal residency in Lebanon. For Syrians in Lebanon there are several ways to return to Syria, including self-organised returns and group returns organised by the General Security Office (GSO) of the Lebanese Ministry of Interior. The last GSO-organised group return took place on 13 February 2020. Another actor that has been involved in organising returns from Lebanon to Syria is Hezbollah, a militant Shia movement that is allied to the GoS and the military wing of which has been designated as a terrorist organisation by the EU. Sources noted that there is little information available about procedures and practicalities of the Hezbollah-facilitated returns.

There are several obstacles for Syrians to return from Lebanon to Syria, one of them being the challenge to regularise one’s residency status to legally exit Lebanon. As mentioned previously, most Syrians in Lebanon have not regularised their residency status. In order to leave the country legally, members of this group need to pay a fee for each year having overstayed their residency permit, amounting to 300 000 Lebanese Pound (LBP) per year (according to CoinMill46, an online currency convertor, LBP 300 000 amounted to EUR 166.47 on 12 March 2021). Those who officially entered Lebanon before 5 January 2015 and overstayed their residency permits will not receive a re-entry ban upon exiting the country. Those who entered Lebanon after 5 January 2015 and overstayed their residency permits will receive a re-entry ban for one year upon leaving the country. Those who fail to pay the fee for having overstayed their residency permits are allowed to exit Lebanon, but they will be issued a permanent re-entry ban, which in practice is issued for a period of five years. All returnees who have entered Lebanon illegally need to pay a fine for their illegal entry, amounting to LBP 600 000, and will be given a permanent re-entry ban, which in practice is issued for a period of five years. An anonymous source, however, remarked that the application of the aforementioned regulations seems to be inconsistent at times.

The mandatory security check constitutes another obstacle to overcome. When participating in a GSO-facilitated return, the GSO will conduct a security check in conjunction with the Syrian authorities, forwarding the returnee’s personal details to the Syrian authorities. The latter subsequently informs the GSO which persons have received a security clearance. The publicly available percentages of rejected and approved applications vary. In September 2018, the GSO’s General Director stated that on average 10 % of the applicants are denied security clearance by the Syrian authorities. During an interview with the International Crisis Group (ICG) in August 2019, however, a senior Lebanese security official stated that the average approval rate is around 80 %. A journalist and humanitarian agency researcher told ICG that for applicants hailing from opposition strongholds, the approval rate is nearly zero.

Another obstacle is the compulsory fee to be paid to the Syrian authorities when entering Syria. Each Syrian national entering Syria must exchange USD 100 for Syrian pounds (SYP) at the official rate. This decision was issued by the GoS on 8 July 2020 and took effect as of August 2020. Minors as well as truck and public vehicle drivers are said to be exempted from this compulsory measure. However, according to one anonymous source, effective implementation of these exemptions is still pending and therefore it remains unclear if and how this will be applied in practice.

The COVID-19 pandemic also obstructed the process of return from Lebanon to Syria. On 22 March 2020, the Syrian authorities closed the land crossings between Lebanon and Syria. As a result, Syrians who had left Lebanon got stuck in the buffer zone between both countries. The numbers of stranded returnees in no man’s land vary between 7 000 and 13 000 individuals. From time to time, the Syrian authorities would arbitrarily allow some returnees to enter Syria and go into quarantine. Some groups of returnees remained stuck between the Lebanese and Syrian border crossings for weeks, facing a lack of food and water. Some did not wait to be allowed entry by the Syrian authorities and sought to enter Syria illegally instead. At the time of writing, there were no reports of Syrians being stuck at the Lebanese-Syrian border.

The GSO has not published any figure in regard to returns in 2020. UNHCR recorded 9 351 voluntary refugee returns from Lebanon to Syria in 2020 and 762 voluntary refugee returns during the first three months of 2021. However, the extent to which these returns are truly ‘voluntary’ in nature has been questioned. During the report’s period of reference, Lebanon was struck by a series of setbacks: the COVID-19 pandemic, the Beirut Port explosion and financial, economic and political crises. Syrian refugees were among the most vulnerable and impoverished groups in Lebanese society, since many had neither legal residency nor a durable income. According to an assessment made by three UN branches, the percentage of Syrian refugee households living under the extreme poverty line increased to 89 % in 2020. The same survey made clear that half of the Syrian refugee population in Lebanon was food insecure. Facing unemployment, food insecurity and discrimination, some Syrians in Lebanon felt they had no choice but to return to Syria.

1.3.4 Return from Jordan

UNHCR recorded 3 466 voluntary refugee returns from Jordan to Syria in 2020 and 1 345 voluntary refugee returns during the first three months of 2021.69 Sources also reported on cases of Syrians who were forcibly returned from Jordan, but no information on their treatment in Syria was available. Unlike their Lebanese counterparts, the Jordanian authorities do not organise voluntary group returns for Syrians.

Syrians need to comply with various requirements in order to return from Jordan to Syria. Syrian returnees are required to present a Syrian passport or a Syrian laissez-passer (LP)72 when returning from Jordan to Syria. According to an international humanitarian organisation working in Syria, when a Syrian returnee applies for a passport or LP at the Syrian Embassy in Amman, his/her name will be run into a centralised database to verify whether the person has links to any opposition or ‘terrorist’ groups.

Apart from having a passport or an LP, a returnee needs to obtain a security clearance at the Syrian Embassy in Amman. According to the same international organisation working in Syria, during this security screening, information on the applicant, family members and perhaps extended family is being checked by the Syrian authorities.

In addition, a returnee needs to have a negative polymerase chain reaction (PCR) test result, which is no older than 96 hours. A PCR test can be obtained for free at a Jordanian hospital. Additionally, returnees need to sign a declaration that upon return, they will go into home quarantine for five days. Like Syrians returning from Lebanon to Syria, every adult returning from Jordan to Syria must exchange USD 100 upon return.

A Syrian who has left Jordan on a Syrian LP cannot re-enter Jordan using this type of travel document. Syrian passport holders can (re-)enter Jordan provided they comply with a set of requirements:

• having a valid passport;

• having a security approval;

• having an entry or exit/entry permit.78

2. Consequences of illegal exit and having applied for asylum abroad

2.1 Consequences of illegal exit

Previously, illegal exit from Syria would lead to punishment by means of imprisonment and/or fines. However, on 26 March 2019, the Syrian Ministry of Interior issued circular No. 342, waiving the aforementioned punishment. Having exited Syria illegally, however, remains a matter that needs to be settled through a formal procedure, variously referred to as ‘status settlement’ or ‘security clearance’, prior to one’s return to Syria. This procedure will be discussed in more detail in Chapter 3: GoS return policy and practice.

A Legal and Human Rights Adviser at SJAC mentioned explicitly that a person who has exited Syria illegally cannot initiate any legal procedure inside Syria. römisch eins f a returnee goes back to Syria without having settled his or her illegal exit first, he or she will be sent to a military prison or military security branch straight away, according to the same expert. However, it has also been documented that some returnees who did settle their illegal exit prior to return were nonetheless arrested upon return. For more information about the treatment of returnees, please read Chapter 5: Treatment upon return.

2.2 Consequences of having applied for asylum abroad

No unambiguous answer could be found to the question about how those having applied for asylum abroad will be treated upon return. General Naji Numeir, the Chief of the Syrian Immigration and Passports Department, told the DIS during an interview held in November 2018 that returnees would not be prosecuted or arrested upon return for obtaining asylum in neighbouring countries or other countries, including Western countries. A Damascus-based lawyer told the DIS in November 2018 that having applied for asylum in other countries does not lead to punishment upon return, unless the returnee in case is a well-known political or military opponent.

A Syria expert at the European Institute of Peace (EIP) believed that having applied for asylum abroad might be something to settle through a formal procedure which will be discussed in more detail in in Chapter 3: GoS return policy and practice. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC reported that it varies from case to case. This expert knew of former asylum seekers who did not experience any personal problems with the Syrian authorities upon return, whereas other former asylum seekers were either killed or forcibly disappeared by the Syrian authorities upon return. For more information about the treatment of returnees, please read Chapter 5: Treatment upon return.

2.3 Monitoring of the Syrian diaspora by the Syrian authorities

römisch eins t has been established by several sources that Syrians abroad are to a certain extent monitored by the Syrian authorities. SJAC, for instance, obtained Syrian government documents, exposing that the Syrian embassies in Spain and Saudi Arabia were involved in collecting information about dissident members of the Syrian diaspora and forwarding this information to various intelligence directorates in Syria. According to a Syria expert at the EIP, activists and civil society organisations are extensively monitored by the Syrian authorities.

According to a Syria expert at the EIP, Syrians in the diaspora are being monitored in two ways: informally and formally. The informal way of monitoring involves individuals reporting others to the Syrian authorities. These informants are not officially employed by the security branches, but report others in order to appear loyal to the GoS. In doing so, they seek to ward off any possible negative attention that might be directed at themselves. The formal way of monitoring involves state institutions like embassies and security branches collecting information about dissident Syrians residing abroad. The source consulted had knowledge of social media accounts and social media groups of Syrians living abroad being monitored by security branches.

Jusoor for Studies states that the Syrian authorities have deployed intelligence agents and informants in the countries of asylum, including the EU and Turkey, to monitor Syrians in the diaspora and report on them on a weekly basis. These agents and informants are affiliated to different security branches: 4th Division Security Bureau, Branch 279 of the General Intelligence Department, Branch 297 of the Military Intelligence Division, the Air Force Intelligence and Branch 300. Thus, according to Jusoor for Studies, political and humanitarian activists who are considering to return to Syria are at great risk.

3. GoS return policy and practice

3.1 Introduction

Returnees from abroad as well as internally displaced persons (IDPs) from opposition-held areas need to be cleared by the Syrian authorities in order to return to government-controlled Syria. Omran for Strategic Studies notes that the government’s security forces require all returnees to attain security permits prior to returning and that many returnees were reportedly arrested for not possessing the requested documents.

In the existing literature on formal returns to government-held Syria two prominent notions come to the fore: ‘security clearance’ (Arabic: muwafaka amniya) and ‘status settlement/adjustment’ (Arabic: taswiyat Wada’). According to the DIS, the application for a security clearance is a process through which the Syrian authorities cross-check whether a person is on any wanted list and is to be considered a security threat, whereas settling one’s status involves a process in which a person settles his/her outstanding security issues with the Syrian authorities, like having left the country illegally, having participated in an anti-government demonstration or having evaded the military service.

The sources consulted for this report, however, mentioned that there was no clear distinction between applying for a security clearance and settling one’s status. römisch eins f a Syrian residing in a neighbouring country or in an EU Member State wants to return legally to government-held Syria, he or she will have to apply at a Syrian diplomatic mission. During this procedure, which is variously referred to as ‘security approval’ or ‘status settlement’, the applicant is being checked by the Syrian authorities in one way or another. From now onwards, this report will only use the term ‘security clearance’ in a generic way for the purpose of clarity. According to Suhail Al-Ghazi, only those who have left Syria legally, are not wanted by the Syrian authorities, and still possess a valid passport, are not required to apply for a security clearance in order to return to Syria.

römisch eins t is common practice for those considering to return to Syria to find out first whether they are on any wanted list of Syria’s security branches before applying for a security clearance. They seek to do this through their informal network of personal connections, a practice popularly referred to as wasta. römisch eins t should be stressed, however, that collecting information through the practice of wasta is not exhaustive. Therefore, if a returnee finds out through wasta that he or she is not wanted by the Syrian authorities, there is no guarantee that he or she will not be arrested and detained upon return.

3.2 The procedure itself

A security clearance can be applied for in two ways. One, the returnee lodges an application at a Syrian embassy or consulate himself or herself. Two, a first-degree relative of the returnee applies on behalf of the returnee inside Syria. The sources consulted gave conflicting information about the government agency where the returnee’s relative is supposed to apply. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Suhail Al-Ghazi mentioned the Syrian Ministry of Foreign Affairs in Damascus, whereas Urnammu for Justice and Human Rights mentioned the Immigration Department or one of its branches in the governorates.

römisch eins f a relative in Syria applies on behalf of the returnee, the relative will be required to prove the family ties by submitting a document like a family booklet or a family extract from the civil registry office. The relative is not required to submit a power of attorney.103 Relatives in Syria need to pay a fee. Suhail Al-Ghazi believes that the Syrian Ministry of Foreign Affairs will charge a fee ranging from SYP 5 000 to SYP 15 000 (according to CoinMill, an online currency convertor, SYP 5 000 and SYP 15 000 amounted to EUR 3.35 and EUR 10.06 respectively on 8 April 2021).

As for applications at Syrian diplomatic missions, these are for free, according to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Suhail Al-Ghazi, although one needs to pay a bribe in order to get an appointment. Urnammu for Justice and Human Rights, however, states that one needs to pay a consular fee amounting EUR 46 when applying for a security clearance at a Syrian diplomatic mission.

To complete the application for a security clearance, so-called ‘return’ or ‘reconciliation’ forms need to be filled out. When filling out such forms, the returnee is required to write down his or her personal details and provide information on whether he or she has participated in any anti-government activities, whether his or her relatives have engaged in any anti-government activities or have been detained, whether he or she knows of any ‘terrorists’ and/or ‘terrorist activities’, and so on. According to a Syria expert at the EIP, these forms constitute an unwinnable situation for applicants. römisch eins f the applicant answers ‘yes’ to any of the security-related questions asked, he or she will incriminate himself or herself and/or others. However, if the applicant answers ‘no’ to any of the security-related questions, he or she fails to fulfil his or her citizen’s duty to report ‘terrorism’ to the Syrian authorities. After a decade of widespread armed conflict, the authorities will not find it likely that one is not aware of any security threat against the GoS.

Regardless of whether the application has been submitted by the returnee or a relative, it will be forwarded to Syria’s security apparatus. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC specifies that applications for a security approval are being forwarded to the military security branch 291 based in Damascus. The security personnel will check whether the returnee has been involved in (armed) opposition against the GoS, whether the returnee has left the country legally or illegally, whether the returnee has posted and/or liked posts on the social media that are critical of the GoS, whether any of the returnee’s relatives have been detained, and so on.

The duration of an application varies from one month to up to six months. The sources consulted gave contradictory information about the type of document that was given by the Syrian authorities to a returnee upon approval of his or her application. According to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Urnammu for Justice and Human Rights, the LP itself served as a document confirming that a security clearance has been granted. Suhail Al-Ghazi, however, stated that the returnee would receive a so-called taswiyat Wada’ document that was stamped by the Syrian Ministry of Interior, having a validity for a period of six to twelve months.

römisch eins f a relative has applied on behalf of a returnee and the security clearance has been granted, there are two different methods for the returnee to obtain the written approval, according to the sources consulted. According to Suhail Al-Ghazi, the relative will receive a document mentioning the returnee’s name, information and case number. The relative subsequently transmits the relevant data mentioned on this document to the returnee. Upon entering Syria at the airport or over land, the returnee can mention the aforementioned data to the Syrian authorities, which will subsequently print and issue the taswiyat Wada’ document. According to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC, however, the relative receives the LP and sends it by an express shipping service to the returnee living abroad.

The sources consulted gave conflicting information whether applications for a security clearance would be denied by the Syrian authorities in some cases. Suhail Al-Ghazi, a Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Urnammu for Justice and Human Rights mentioned that the Syrian authorities were not inclined to deny security clearances to returnees. On the contrary, according to these sources, the Syrian authorities would be interested in persuading dissident returnees to come back home only to arrest them upon return; either to quell their anti-government activism or to extort money from their families.

A Syria expert at the EIP, however, had knowledge of Syrian refugees who had their applications rejected. The same expert stated that the reasons for rejecting an application are infinite, including posting and/or liking statements on social media that are critical of the GoS, having a relative in detention, having a name that is similar to a wanted person, returning from a country that is deemed hostile to the GoS, hailing from a former opposition stronghold, and so on. This information seems to resonate with other sources of information. ICG spoke to sources who made it clear that not all applications for a security clearance lodged in Lebanon were approved, as has been discussed in Section 1.3.3 Return from Lebanon. In September 2019, the Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center reported that hundreds of Syrians in Lebanon had applied, yet only a fraction was allowed to return to Syria.

Finally, according to a Syria expert at the EIP and Urnammu for Justice and Human Rights, the processing of applications for a security clearance is an arbitrary and non-transparent affair. Therefore, the precise requirements for obtaining a security clearance remain unclear. Urnummu for Justice and Human Rights mentioned that sometimes a security clearance is issued after a bribe has been given or when the applicant happens to know an influential person within the GoS.

4. Potential obstacles to return

4.1 Access limitations to areas of return

A security clearance granted by a Syrian embassy or consulate to a returnee only serves the purpose of permitting the holder to enter Syria. A security clearance does not guarantee a returnee to physically access his or her place of origin inside government-held Syria. Returning to one’s place of origin inside government-controlled Syria involves another trajectory, which is managed by local power brokers like municipal authorities or local government-supporting militias. Procedures to obtain a permission to enter one’s place of origin vary from place to place and from actor to actor. As local power dynamics are shifting over time, the varying procedures are also subject to change.

To make matters more complicated, a security clearance issued by one government-aligned entity inside Syria may be considered invalid in areas controlled by other government-affiliated entities. This can be attributed to the fragmentation of the government’s security apparatus, limiting mobility to areas controlled by specific government-aligned security entities.

During the report’s period of reference, the UN observed that the Syrian authorities routinely denied Syrians return to their places of origin, most notably in formerly besieged areas that had been retaken by the Syrian armed forces. Some sources stated that some groups of returnees were denied access to a particular area of origin, because of their ethnicity, religion and/or political orientation. Suhail Al-Ghazi, for instance, mentioned that some Iranian-backed militias kept Sunni returnees, who are deemed disloyal to the GoS, out of particular areas in order to alter the area’s demographic composition in favour of the Shia community. römisch eins t has been reported, for instance, that Hezbollah prevented displaced residents of Sunni origins from returning to Qusair in Homs governorate and Zabadani in Rif Dismashq (Rural Damascus) governorate. Al Jazeera was told by some Palestinian activists that only pro-government Palestinians were allowed by the Syrian authorities to return to Yarmouk, a camp for Palestinian refugees that got largely destroyed by the war. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC, however, remarked that swaths of government-held Syria were not accessible to the general public anyhow and that the denial of access to these areas was not only aimed at particular groups of returnees.

Further information on internal mobility and areas within Damascus governorate where access is limited is available in Chapter 2 of the EASO COI Report: Syria – Socio-economic situation in Damascus city (April 2021).

4.2 Civil documentation and nationality

Lacking civil documentation does not necessarily obstruct the process of return itself, according to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC. Those who do not have a passport or whose passport got expired, for instance, can apply for an LP at a Syrian diplomatic mission abroad.

However, a lack of civil documentation can certainly frustrate a returnee upon return when seeking to access government services, initiate legal procedures and file property claims. Family booklets and family extracts, for instance, grant the holder access to public services, including education, health care and emergency assistance. Loss of such documentation could lead to the refusal of the aforementioned services. The Norwegian Refugee Council (NRC) reported that many Syrian refugees living in Turkey, Lebanon, Jordan and Iraq do not possess legal and civil documentation to support their HLP rights, which constitutes a challenge for those considering to return voluntarily to Syria. For more information about HLP rights in relation to return, please read Section 4.3 Housing, land and property rights.

Another issue that could pose a stumbling block to one’s return is Syria’s nationality law. According to Article 21(E) of the aforementioned law, a citizen may be deprived of the Syrian nationality in case it has been established that the person has left Syria illegally for another country which is in a state of war with Syria. A citizen may also be stripped of the nationality if the person has been away for more than three years in a non-Arab country without communicating with the Syrian authorities, according to Article 21(G). When asked about practical implementation of Article 21, a Syria expert at EIP stated that it is unclear which countries the GoS regards itself at war with, but Article 21(E) could be applicable to those having left illegally for Turkey, a country that supports armed actors opposing the GoS. Neither is Syria’s nationality law clear about which countries are regarded as ‘non-Arab’, but according to a Syria expert at EIP, Article 21(G) could apply to returnees coming from Turkey, the EU, the US, Canada and Latin America who have been abroad for more than three years without having communicated with the Syrian authorities. At the time of writing, however, no further information has been found on whether Article 21 of the nationality law was being implemented within the context of return and if so, how and against whom.

Further information on civil documentation is available in Chapter 2 of the EASO COI Report: Syria – Socio-economic situation in Damascus city (April 2021).

4.3 Housing, land and property rights

The government’s violations of Syrians’ HLP rights pose another stumbling block for IDPs and refugees to return. Since 2011, the GoS has enacted a series of laws and administrative decisions to legitimise the expropriation of properties. The GoS, for instance, enacted urban development legislation, purportedly to rebuild or redevelop informal settlements. In reality, however, these urban development projects served as a pretext to evict the pre-dominantly pro-opposition residents from their homes in favour of wealthy elites having close ties to the GoS.

The Syrian authorities also confiscate houses and property of detainees (including those who have not been convicted yet), displaced persons and human rights activists within the framework of anti-terrorism and national security legislation, thus using the seizure of houses and property as a means to target and punish detainees, opponents and human rights activists. The GoS also expropriates houses in order to give to members of the Syrian military and to sell to Iranian militias supporting the GoS.

römisch eins t has also been reported that government-aligned militias have confiscated houses and properties. For instance, it was reported that Liwa Al-Quds, a pro-government militia consisting of Palestinians, confiscated homes and shops of (perceived) pro-opposition Palestinians in Neirab, a Palestinian refugee camp in the northern governorate of Aleppo. Two years ago, pro-Iranian Shia militias confiscated farmlands near Mayadeen, a city in the eastern governorate of Deir-ez-Zor. Up to now, the original residents cannot enter this farm area harbouring palm and olive groves.

Further information on HLP issues in Damascus governorate is available in Section 3.5 of the EASO COI Report: Syria – Socio-economic situation in Damascus city (April 2021).

5. Treatment upon return

In its April 2020 report on internally displaced persons, returnees and internal mobility, EASO cited various sources stating that returnees had been arrested, detained and tortured by the Syrian authorities upon return, including those who had settled their status. This type of treatment of returnees has continued to be reported by sources consulted during this report’s period of reference. Since the beginning of 2020, for instance, the Syrian Network for Human Rights (SNHR) documented at least 156 cases of arrest of returnees, including 89 cases of arrest targeting returnees from outside Syria.

The sources consulted for this report stressed that obtaining a security clearance will by no means guarantee a safe return to Syria. Urnammu for Justice and Human Rights, for instance, has documented cases of returnees who obtained a security clearance prior to return, but were nonetheless subjected to arrest, enforced disappearances and/or death under torture upon return.

Moreover, it should be borne in mind that a security clearance merely permits a returnee to enter Syria. In addition to a security clearance, it is common for returnees to receive a written instruction to visit a particular security branch upon return. This type of document is known as Waraket Mourajaa and is either issued to a returnee at a Syrian diplomatic mission or upon entering Syria. Visiting a security branch brings along the risk of getting interrogated, arrested, detained, tortured and/or forced to become an informant, government soldier or pro-government militia member. According to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC, this practice puts the returnee in an unwinnable situation. römisch eins f the returnee presents himself or herself at the security branch in case, he or she might get exposed to serious harm. However, if the returnee does not adhere to the written instruction to visit a security branch, an arrest warrant will be issued against him or her.

Several sources consulted mentioned in the footnotes below confirmed that the Syrian authorities continue to arrest, (temporarily) detain, interrogate, torture and/or pursue returnees by terrorism courts upon return. According to these sources, the following groups are particularly at risk to experience one or more of the aforementioned forms of treatment upon return:

• those having engaged in anti-government protests and/or who are opposition members;

• those whose relatives have engaged in anti-government protests and/are opposition members;

• those having a security record and/or are on a wanted list;

• those having exited Syria illegally;

• those hailing from former opposition strongholds;

• those returning from countries that are deemed hostile to the GoS;

• those who still need to serve in the military;

• women and children whose husband, father and/or brother went missing.

With regard to the Syrian government’s negative perception of those hailing from former opposition strongholds, a Legal and Human Rights Adviser at SJAC mentioned the cases of two returnees who originally came from Damascus. Upon return they received a waraket mourajaa, instructing them to visit a particular security branch. For two months, both returnees were sent from one security branch to another and each time they found themselves paying a bribe in order to avoid arrest. Thus, hailing from an area that has been under government control throughout the conflict does not necessarily guarantee a safe return to government-held Syria, the expert stressed.

As mentioned in Chapter 3. GoS return policy and practice, persons who evaded the military service have to undergo the process of settling one’s status with the Syrian authorities before returning. With respect to those who have settled their draft evasion prior to return, these returnees are still required to serve in the Syrian armed forces upon return, unless they fit in one of the categories of people that can be exempted from the military service.

Detailed information on the situation of draft evaders and military service in the Syrian Arab Army is available in the EASO COI Report: Syria - Military service (April 2021).

Another factor impacting the treatment of returnees is the highly fragmented nature of Syria’s security apparatus. For instance, there are four main security branches: the Air Force Intelligence Directorate, the Military Intelligence Directorate, the Political Security Directorate, and the General Intelligence Directorate, the latter also known as the National Intelligence Directorate. According to several sources, this could lead to a situation in which persons, returnees included, have been cleared by one intelligence directorate, but are still wanted by another intelligence directorate. Thus, it is difficult, if not impossible, for one to determine where he or she stands in relation to Syria’s security apparatus.

To add more confusion to the picture, Syria’s security apparatus is inconsistent in its treatment of returnees. For instance, Jusoor for Studies had knowledge of returnees who were arrested because their relatives were wanted. Yet, the same expert also knew returnees who had family members on a wanted list and who were nonetheless not arrested.

In its February 2020 report on the situation of Syrians in Lebanon, ICG concluded that there is no certainty about who is safe from arrest upon return, because the authorities’ concept of who is an opponent is not always clear or can change over time. This conclusion made by ICG was corroborated by several interviews with experts. A Syria expert at the EIP mentioned that in some cases the lack of an exit stamp in one’s passport will not cause an immediate problem upon return, but could nevertheless be used against the returnee by the Syrian authorities later on. Jusoor for Studies and Urnammu for Justice and Human Rights stated that some returnees are directly arrested upon return, whereas others are arrested within one month or one to two months after their return.

The return of Mazen al-Hamada from the Netherlands to Syria constitutes an example of the risks activists might be exposed to when returning to Syria. Prior to his arrival in the Netherlands in 2014, Hamada had been arrested three times by the Syrian authorities. Upon his third and last arrest, Hamada was detained for one and a half year at a prison in Damascus where he was subjected to various forms of torture. During his stay in the Netherlands, Hamada spoke openly about his experiences as a torture survivor, testifying against the Syrian authorities at the International Criminal Court (ICC) in The Hague. For unclear reasons, Hamada settled his status at the Syrian Embassy in Berlin, Germany and returned to Syria in February 2020.176 After having arrived at the airport in Damascus, no one heard from him anymore, making many believe that he was forcibly disappeared by the Syrian authorities. According to Jusoor for Studies, Hamada was imprisoned at Sednaya Prison and referred to the Terrorism Court.

1.3.4. Asylländerbericht der Österreichischen Botschaft (ÖB) Damaskus, Ende September 2021:

römisch eins. Aktuelle sicherheitspolitische/militärische sowie politische Entwicklungen; sozioökonomische Lage

Die Regierung konnte ab 2015 primär mit Unterstützung von Russland (RU) und des Iran (IR) von Rebellen sowie dem IS gehaltenen Gebiete zurückgewinnen und ihre Präsenz konsolidieren. Mittlerweile lebt 66% der Bevölkerung in den von der Regierung kontrollierten Territorien.

Außerhalb der Regierungskontrolle befindet sich der Norden des Landes: im Nordwesten sind die Türkei (TR) und und von der Türkei teils unterstützte bzw. geschützte Rebellengruppen (Idlib) präsent. Dort war der bewaffnete Konflikt bis Anfang März 2020 virulent. Die Fronten verlaufen zwischen der TR und von ihr unterstützten Milizen sowie der syrischen Armee, die von RU mit Luftangriffen unterstützt wird. Weiter verkompliziert wird die Situation durch die Präsenz zehntausender radikal-militanter Kämpfer, insb. der Hayat-Tahrir al Sham (HTS), ehemals al-Nusra und affiliiert mit al-Qaida. Unter diesen befinden sich auch zahlreiche Foreign Fighters (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken). Der Konflikt führte zu massiven humanitären Verwerfungen mit 2,7 Mio. Binnenvertriebenen. Ein nach einer neuerlichen Eskalation Ende Februar Anfang März zwischen den Präsidenten Erdogan und Putin vereinbarter Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kommt aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien. Die TR verstärkte ihre militärische Präsenz, u.a. in Form von Beobachtungsposten, dehnt die TR-Verwaltung auf die besetzten SY-Gebiete aus und errichtet auch zivile Strukturen. In den letzten Wochen ist eine Zunahme RU-Luftangriffe und SY-Angriffe auf NW-SY festzustellen.

Ungeachtet der Anfang Oktober 2019 erfolgten TR-Militäroffensive in den Nordosten Syriens, die dritte nach den Militärinvasionen im Nordwesten im August 2016 und im Jänner 2018, und der Besetzung des mittleren Grenzabschnitts bis zur strategischen Verkehrsverbindung M 4 Aleppo-Qamischli, werden weite Teile weiterhin militärisch und zivil von den kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) bzw. den kurdischen Autonomiebehörden kontrolliert. Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent. Russland weitete seine Präsenz aus. Die TR stützte sich bei der Militärinvasion auch auf Rebellengruppen, die in der Syrian National Army (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insb. auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jessiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Auf Grund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an. Die Konfliktintensität hat sich im letzten Jahr merklich verringert. Seit knapp mehr als drei Monaten ist jedoch eine deutliche Zunahme der Zahl der Anträge auf Familienzusammenführung, insbesondere aus der Provinz Hasakeh (NO-SY), mehrheitlich durch Kurden, festzustellen. Eine genauere Prüfung der Entwicklung und ihrer Hintergründe sowie eine genauere statistische Erfassung erscheint zweckmäßig.

In den von der TR beherrschten Gebieten, vor allem im nördlichen Teil der Provinz Aleppo, kommt es vermehrt zu Anschlägen seitens der kurdischen Selbstverteidigungskräfte (YPG).

Die Entwicklungen im Nordosten haben bis dato noch nicht zu dem befürchteten, großflächigen Wiedererstarken des IS geführt. Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin die knapp 30 Lager mit 11 000 internierten IS Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in Al Hol mit knapp 60 000 Insassen (85 % syrische und irakische Staatsangehörige sowie 9000 aus anderen Ländern inkl. Österreich). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee.

Israel führt immer wieder Luftangriffe auf Militärstützpunkte, die (auch) von den iranischen Revolutionsgarden und verbündeten Milizen genützt werden, durch; diese werden seit 2020 zunehmend auf Ziele in ganz Syrien ausgeweitet.

Die Konfliktintensität hat weiter abgenommen; die Sicherheitslage stellt sich nach wie vor volatil und instabil dar. Dies trifft auch auf die von der Regierung kontrollierten Gebiete zu:

Im Zentralraum, insb. in den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus, Aleppo (allerdings nicht Umgebung) Homs und Hama stellt sich die Sicherheitslage als relativ stabil dar. Im Osten der Provinz Homs ist der IS aktiv; es kommt immer wieder zu Anschlägen und Überfällen auf Einheiten/Konvois der syrischen Armee.

Im Süden des Landes (Daraa, Suweida) kommt es immer wieder zu lokal begrenzten Auseinandersetzungen zwischen der syrischen Armee und vormaligen Rebellen, die im Rahmen von sogenannten „reconciliation“ Vereinbarungen demobilisierten, und zu Demonstrationen auf Grund der schwierigen wirtschaftlichen Situation.

Die Küstenregion ist im Großen und Ganzen vom militärischen Konflikt verschont geblieben. Im Norden (Hinterland von Latakia) kommt es immer wieder zu einem Übergreifen des Konfliktes von Idlib aus.

Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u.a. YPG und TR-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil.

Erhebliche Imponderabilien stellen auch die erwähnten Luft-/Raketenangriffe von IL sowie anderer Akteure (z.B. der 3, dh USA, UK und F im April 2018) dar.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Dynamiken, wie durch die letzten TR-Offensive im Nordosten ausgelöst, verlässliche grundsätzliche Aussagen resp. die Einschätzung von Trends schwierig machen. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Auch die ÖB Damaskus ist bei weitem nicht über alle in allen Teilen Syriens vorherrschenden Zustände informiert. Gründe dabei sind neben dem mangelnden Zugang zu vielen Gebieten auch die Grenzen der zur Verfügung stehenden Quellen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt.

Bemühungen um eine politische Lösung des Konfliktes

Einen Ansatzpunkt für eine politische Lösung bildet das Verfassungskomitee unter Federführung des Special Envoy (SE) des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (VN) für Syrien, des norwegischen Diplomaten Geir Pedersen. Dieses setzt sich aus je 50 (je 15 in der kleinen, operativen Gruppe) Vertretern von Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft zusammen; erst nach mehr als eineinhalb Jahren konnte man sich im September 2019 auf die Zusammensetzung einigen. Die syrische Regierung sieht diesen Prozess sehr kritisch. Nach einem recht konstruktiven Beginn Anfang November 2019 gestaltete sich der Ablauf der weiteren Sitzungen weit kontroverser. Die Diskussionen – COVID-bedingt lange unterbrochen - verhedderten sich bis dato im Prozessualen.

SE Pedersen verfolgt über das Verfassungskomitee hinaus einen breiteren Ansatz für den politischen Prozess (u.a. vertrauensbildende Maßnahmen, wie Gefangenaustausch sowie die Freilassung bzw. Aufklärung des Schicksals vermisster Personen); aber auch hier gibt es bis dato wenig Fortschritte. Die Ende März 2020 und Anfang Mai 2021 von Präsident Assad erlassenen Generalamnestien inkludiert auch einige politische Delikte, wurde aber für politische Gefangene (Freilassung kleiner Gruppen nach den Präsidentschaftswahlen) nur sehr begrenzt wirksam.

Verhältnis Zentralregierung – kurdische Autonomiebehörden

Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung (Syrian Democratic Council; politischer Arm der SDF) und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind

festgefahren. Die Zusammenarbeit auf technischer Ebene resp. der Güteraustausch (Raffinierung/Kauf von Erdöl; Aufkauf von Weizen) hat sich auch verkompliziert. Auch zwischen den rivalisierenden Gruppierungen der Kurden gibt es Annäherungsbemühungen. Es kommt im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur TR nachgesagt wird, und der Democratic Union Party (PYD), die die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist und aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht.

Präsidentenwahlen

Amtsinhaber Assad gewann die Ende Mai, faktisch nur im von der Regierung kontrollierten Gebiet abgehaltenen Präsidentenwahlen gemäß offiziellen Abgaben mit 95% (78% Wahlbeteiligung); die Zahlen, vor allem auch zur Wahlbeteiligung sind schwer überprüfbar.

Sozioökonomische Lage

Mit dem Abflauen des Konflikts dominiert die katastrophale wirtschaftliche Lage und die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten die öffentliche Wahrnehmung und Kritik, auch teils seitens bisher regierungsloyaler Bevölkerungsgruppen. Die Wirtschaftskrise im Libanon, dem vor allem auch im Hinblick auf die Sanktionen, eine zentrale Rolle als Umschlags-und Finanzplatz für die syrische Wirtschaft zukommt, und COVID 19 verschärften die Situation weiter. Es kommt immer wieder zu Verknappungen von Benzin. Auch bei dem Grundnahrungsmittel Brot gibt es Engpässe. Die Preise für beide Güter wurden stark erhöht und die Subventionen zurückgefahren.

Das BIP schrumpfte auf ein Fünftel gegenüber 2010. Die Ölproduktion fiel von 380 000 auf 25 000 Barrel pro Tag. Der Konflikt verursachte auch erhebliche Schäden an der physischen Infrastruktur. Ein Drittel des Wohnungsbestandes wurde ganz oder teilweise zerstört. Allein die registrierte Arbeitslosigkeit beläuft sich auf 50%. Andererseits gibt es einen Mangel an qualifiziertem Personal in bestimmten Sektoren und Gebieten, u.a. bedingt durch die Vertreibung. 90 % der Menschen leben in Armut. Der Konflikt hat die soziale Ungleichheit verschärft.

Laut dem Welternährungsprogramm der VN sind derzeit mehr als 12 Mio. Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Dieser Wert wurde auch am Höhepunkt des Konfliktes nicht verzeichnet. Der Preis für den Nahrungsmittelkorb (Stand Juni) erhöhte sich innerhalb eines Jahres um knapp 200% (seit Beginn des Konfliktes um das dreiundzwanzigfache). Die Gehälter bewegen sich zwischen 70 000 und 120 000 syrische Pfund (SYP), dies entspräche umgerechnet zum Marktkurs rund 20 bzw. 35 USD.

Der Außenhandel brach auf 20 % (mit der EU sogar auf 10%) des Volumens vor dem Konflikt ein; die Exporte noch weit stärker. Die EU wurde als Haupthandelspartner von RU und der TR abgelöst. Die Handelsbilanz war 2020 mit 4,3 Mrd. USD stark defizitär. Das Leistungsbilanzdefizit betrug 2020 2,6 Mrd. USD oder 9% des BIP (2010: 0,7%). Die Überweisungen der im Ausland lebenden Syrer bildeten mit 1,6 Mrd. USD einen wesentlichen Plusposten; diese dürften sich COVID-bedingt und auf Grund der Verschärfung der Sanktionen um 50 % halbieren. Die Währungsreserven sind von 21 Mrd. USD (2010) auf 400 Mio. USD geschrumpft.

Nach zwei Jahren Wachstum brach die Wirtschaft um 8 % ein. Die Inflation betrug mehr als 110 %. Der Verfall des syrischen Pfunds hat sich in den beiden letzten Jahren beschleunigt; ein Grund dafür ist die Liquididätskrise/Limitierung der Ausgaben von USD durch die Banken im Libanon. Die von Syrern getätigten USD-Einlagen bei libanesischen Banken belaufen sich auf (konservativ geschätzt) 40 Mrd. USD. Der Verfall der Währung führt zu Verstärkung der wirtschaftlichen Zentrifugalkräfte in den Regionen – im Nordwesten wird verstärkt die TR-Lira im Zahlungsverkehr genützt.

Sieht man von RU und dem IR (v.a. im Grundstoffbereich) sowie in geringerem Ausmaß von CN ab, sind keine größeren Auslandsinvestitionen zu erwarten; auch die syrische Diaspora zeigt sich sehr zurückhaltend. Die Voraussetzungen für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung sind derzeit nicht gegeben; die Perspektiven haben sich vielmehr verschlechtert. Mit dem IR sieht sich ein wichtiger Kreditgeber und Erdöllieferant auf Grund der US-Sanktionen selbst massiv unter wirtschaftlichem Druck.

COVID 19

Die offiziell verlautbarten Zahlen (rund 70 000 Fälle und 3300 Tote per Anfang Juli) für die von der Regierung kontrollierten Landesteile sind sehr niedrig; detto die der Testungen; die Dunkelziffer ist sehr hoch. Es folgten weitreichende Maßnahmen (u.a. Ausgangsperren, Verkehrsbeschränkungen, Schließungen von Bildungseinrichtungen und Geschäften), die zwischenzeitig weitgehend aufgehoben wurden. Die Pandemie traf ein Land mit einem Gesundheitssystem, das durch den Konflikt schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dies trifft gerade auch für die humanitären Brennpunkte mit hunderttausenden IDPs vor allem im Nordwesten zu. Die Zahl der Neuinfektionen ist insbesondere seit Mitte August stark angestiegen, dies kann auch an einer Verbesserung des Testkapazitäten liegen. Die Dunkelziffer ist aber wohl immer noch deutlich höher. Syrien befindet sich derzeit in der vierten Covid-19-Welle. Die Impfrate ist extrem niedrig, bis Mitte September hatten erst 1,2% beide Impfdosen erhalten, nur 2% der Bevölkerung zumindest eine Impfdosis von zwei. Selbst im günstigsten Fall wird bei Einhaltung aller bisherigen Lieferzusagen laut WHO bis Ende des Jahres maximal 6,6% der Bevölkerung vollständig geimpft sein.

römisch II. Wehrdienst/Reservedienst/Militärstrafrecht

Männliche Staatsbürger Syriens unterliegen grundsätzlich ab dem Alter von 18 (bis 42) Jahren dem verpflichtenden 2-jährigen Wehrdienst. Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen. Unter 18-jährige werden von der syrischen Armee nicht in Anspruch genommen. Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden, fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich, zudem kann die Aufschiebung durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden. Beobachtet wurde, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen weniger stark in Anspruch nimmt.

In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten Pro-Regierungstruppen anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden.

Der Mangel an Männern führte zu Söldnerkonstruktionen und einem Rückgriff auf Kämpfer aus dem IR, Irak, Afghanistan und dem Libanon (Hizbollah) für schiitische Milizen. Anwerbungen für Kämpfe in Syrien fanden insbesondere auch unter im Iran lebenden Hazara statt. Auf Grund der wirtschaftlichen Probleme sieht sich der IR gezwungen, sein finanzielles Engagement (insb. Kürzungen der Gehälter von Milizionären) zurückzufahren.

Männer, die in den durch die syrische Armee rückeroberten Gebieten bleiben und das Land nicht verlassen, werden zum Militär bzw. in eine der bewaffneten regierungstreuen Gruppen eingezogen und teilweise mit wenig Ausbildung in Kriegsgebiete geschickt. Die im März 2020 und Mai 2021 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen des Militärstrafgesetzbuchs, darunter für Fahnenflucht; die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt.

Bezüglich detaillierterer Ausführungen zu diversen Aspekten des Wehrdienstes in Syrien wird auf den nach wie vor aktuellen Fact Finding Mission Report des BFA, der im August 2017 erstellt wurde, den Bericht Fact Finding Mission der finnischen Migrationsbehörde aus dem Dezember 2018, sowie den Bericht des schwedischen Ministeriums für Migration und Integration verwiesen.

Auch nichtstaatliche Akteure haben eine Art Wehrdienst eingesetzt. Die SDF ziehen laut Berichten ab 1986 bzw. 1990 Geborene zum Militärdienst ein, wobei regional unterschieden wird: Personen aus Deir-Ez-Zor und Rakka, in denen der Anteil der Kurden geringer ist und es ohnehin Spannungen zwischen kurdischer Verwaltung und lokalen arabischen Stämmen gibt, werden erst ab dem Geburtsjahrgang 1990 eingezogen. In der Vergangenheit wurden von den SDF auch Kinder rekrutiert, im Juli 2019 wurde allerdings erklärt, darauf verzichten zu wollen 7; dies wird aber offenbar nicht von allen militärischen Verbänden befolgt. Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil und umfassen Haftstrafen sowie eine Verlängerung des Wehrdienstes (üblicherweise 12 Monate). Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Kontrollposten und auch zu Ausforschungen. Die Autonomiebehörden dürften eine Verweigerung aber nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen.

In Idlib werden durch HTS Kinder für Kampfhandlungen eingesetzt ebenso durch den IS, die Opposition und in geringerer Anzahl von regierungsnahen Milizen.

Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt syrischen Männern im wehrpflichtigen Alter eine Entlassung aus der Wehrpflicht gegen einmalige Zahlung einer Ersatzgebühr in Höhe von 8.000 US-Dollar innerhalb von drei Monaten ab Einberufung. Diese Regelung ist allerdings nur auf Syrer die bereits durchgehend vier Jahre im Ausland leben anwendbar. Darüber hinaus sind in bestimmten Fällen zusätzliche Gebühren für Syrer unter 25 Jahren und bei Überschreitung der dreimonatigen Zahlungsfrist vorgesehen. Seit Mitte Dezember 2019 ermächtigt eine Gesetzesänderung den syrischen Staat nunmehr auch zur sofortigen Einziehung von Vermögensbestandteilen aufgrund offenerer Forderungen aus Wehrpflichtersatzgebühren. Davor war nur deren vorübergehendes „Einfrieren“ rechtens.

römisch III. Grundfreiheiten

In Syrien vorherrschend und von langer Tradition ist eine Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Implementierung der Gesetze in der Praxis. Die in den letzten Jahren noch zugenommene und weit verbreitete Korruption hat diese Diskrepanz noch zusätzlich verstärkt.

Obwohl die syrische Verfassung dem Thema Rechtsstaatlichkeit ein gesamtes Kapitel widmet, Gesetze durchaus im Einklang mit internationalen Erfordernissen stehen und Syrien Vertragspartei einer Reihe internationaler Übereinkommen ist, kann das Justizsystem in Syrien nicht als unabhängig und transparent angesehen werden und steht unter der Kontrolle der Exekutivgewalt und ihrer Zweige. Der Konflikt in Syrien hat das bereits zuvor schwache Justizsystem weiter ausgehöhlt. Gerichtsverfahren können nicht als fair und unabhängig bezeichnet werden; Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können. Gegen die Regierung gerichtete Vergehen wurden aus der Zuständigkeit der ordentlichen Zivilgerichte ausgenommen und besonderen „Terrorismus-Gerichten“ unterworfen, die außerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens tätig sind. Undeklarierte Internierungslager, in denen unmenschliche Bedingungen vorherrschen, sind weit verbreitet. Auch Kinder und Frauen werden in diesen Internierungszentren festgehalten. Im Mai 2018 veröffentlichte die syrische Regierung Listen mit tausenden Namen von in Internierungslagern verstorbenen Bürgern, eine Aufklärung dieser Todesfälle steht aus.

Im Rahmen der systematischen Gewalt, die von allen bewaffneten Akteuren gegenüber der Zivilbevölkerung angewandt wurde, wurden insbesondere Frauen Opfer sexueller Gewalt. Regierungstruppen und der Regierung zurechenbare Milizkräfte übten bei Hausdurchsuchungen, im Rahmen von Internierungen sowie im Rahmen von Kontrollen an Checkpoints Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt gegenüber Frauen und teilweise auch Männern aus.

Die in Syrien noch angewandte Todesstrafe wird oftmals ohne vorangegangenes faires Verfahren und im Geheimen vollstreckt. Folterungen sind ebenso an der Tagesordnung wie willkürliche Festnahmen und das Verschwindenlassen von Personen. Sowohl die Internationale Unabhängige Untersuchungskommission betreffend Syrien des UN-Menschenrechtsrats als auch andere Menschenrechtsgremien haben entsprechende, öffentlich zugängliche Berichte veröffentlicht.

In den von der Opposition gehaltenen Gebieten wurden zum Teil Sharia-Gerichte eingerichtet, die nun die staatliche Gerichtsbarkeit ersetzen. Die Praxis und der Charakter dieser Gerichte variieren ebenso stark wie die Art des angewandten Rechts, je nachdem welche bewaffnete islamistische Gruppierung das Terrain hält. Auch die Härte des angewandten islamischen Rechts unterscheidet sich, sodass keine allgemeinen Aussagen getroffen werden können, doch werden insbesondere jene religiösen Gerichte in von (vormals von) IS und HTS kontrollierten Gebieten als nicht mit internationalen Standards im Einklang stehend charakterisiert. In der Region Idlib war 2019 ein massiver Anstieg an willkürlichen Verhaftungen und Fällen von Verschwindenlassen zu verzeichnen, nachdem HTS dort die Kontrolle im Jänner 2019 übernommen hatte.

Frauen wurden bzw. sind in den von IS und HTS kontrollierten Gebieten massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt, sexuelle Minderheiten wurden exekutiert.

Die Situation für religiöse Minderheiten schwankt je nach kontrollierender Fraktion. Im Allgemeinen bestehen in Gebieten, die unter Regierungskontrolle stehen, keine Hindernisse für religiöse Minderheiten, insbesondere für Christen. Schätzungen zufolge leben nur mehr 3% (vor dem Konflikt über 10%) Christen im Land; viele sind seit Ausbruch des Konflikts geflohen – ihre Rückkehr erscheint unwahrscheinlich. In Rebellengebieten, die von sunnitischen Fraktionen kontrolliert werden, ist Religionsausübung zwar möglich, aber nur sehr eingeschränkt. Zusätzlich erschwert wird die Situation der Christen dadurch, dass sie als regierungsnahe wahrgenommen werden.

Sowohl auf Seiten der regierungstreuen, als auch auf Seiten der Opposition sind alle religiösen Gruppen vertreten, aufgrund ihrer starken Dominanz in der Regierung und im Sicherheitsapparat werden Alawiten aber grundsätzlich als regierungstreu wahrgenommen, während sich viele Sunniten (sie bilden die Mehrheit der Bevölkerung, vor Beginn des Konflikts waren es 72%) in der (auch bewaffneten) Opposition fanden. Aufgrund dieser Zugehörigkeit zur Opposition ist die Mehrheit der politischen Gefangenen und Verschwundenen sunnitisch. Bei der militärischen Rückereroberung der syrischen Armee von Gebieten wie Homs oder Ost-Ghouta wurden sunnitisch dominierte Viertel stark in Mitleidenschaft gezogen. Dadurch wurden viele Sunniten aus diesen Gebieten vertrieben und faktisch ein demographischer Wandel dieser Gebiete herbeigeführt.

Die wirtschaftliche Implosion und die damit verbundene Verarmung weiter Teile der Bevölkerung unterminieren auch die Loyalitäten von als regimenah geltenden Bevölkerungsgruppen, inklusive der Alawiten.

Im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquell“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam und kommt es Berichten zufolge zu willkürlichen Tötungen von Kurden durch Kämpfer der – mit den türkischen Truppen affiliierten – Milizen der SNA sowie zu Plünderungen und Vertreibungen von Kurden, Jessiden und Christen.

römisch IV. Lage in Gebieten nach „Reconciliation Agreements“ zwischen Regierung und Opposition und Behandlung der dortigen Bevölkerung nach besagten Agreements

Der Abschluss der sogenannter „reconciliation agreements“ folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat. Die Vereinbarungen mit Rebellentruppen werden meist am Ende einer Belagerung durch Regierungstruppen abgeschlossen und beinhalteten oft die Evakuierung von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden. Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln.

Im Fall von Ost-Ghouta wurde ein Teil der verbliebenen Zivilbevölkerung nach Abzug der Rebellen Sicherheitsüberprüfungen unterzogen. Frauen, Kinder und ältere Männer in Notunterkünften konnten diese zunächst nur verlassen, wenn Angehörige oder Bekannte für diese bürgten, während die Männer zwischen 15-60 Jahren vorübergehend dort verbleiben mussten.

In den durch die „Reconciliation Agreements“ versöhnten Gebieten kommt es trotz dieser Abkommen immer wieder zu Verhaftungen und dem Verschwinden von früheren Kämpfern in deren Häusern oder an Checkpoints. Diese Menschenrechtsverletzungen descouragieren auch die Rückkehr von geflüchteten Personen. Zwischen Juli 2018 und März 2019 konnten in Daraa 380 solche Vorfälle bestätigt werden, darunter auch Rückkehrer. In 150 weiteren Fällen wurden Personen verhaftet und wieder freigelassen. Ebenso gibt es Berichte über die gezielte Tötung von ehemaligen Kämpfern, die sich nunmehr den syrischen Streitkräften angeschlossen haben.

Durch mehrere Gesetzeserlässe wurde die Regierung 2019 zur Konfiskation des Eigentums von „Terroristen“ ermächtigt. Als Terroristen werden vor allem auch viele Oppositionelle gelistet.

Generell lässt sich seitens der Regierung das Bestreben feststellen, möglichst schnell wieder staatliche Strukturen in den eroberten Gebieten zu etablieren.

römisch fünf. Informationen zu Einreisemöglichkeiten nach Syrien bzw. zur Behandlung bei Einreise/Rückkehr und Informationen zu Konsequenzen verschiedener Faktoren (Asylantragstellung im Ausland, exilpolitische Tätigkeiten, Rückkehr nach illegaler Ausreise)

Die auf Grund von COVID verhängten Sperren der Grenzübergänge vom regierungskontrollierten Teil in den Libanon, nach Jordanien (Nasib) und in den Irak (Al-Boukamal) für den Personenverkehr wurden zwischenzeitig gelockert. Der Flughafen in Damaskus ist wieder für eine Reihe von Destinationen (u.a. Zubringerflüge nach Beirut) für den internationalen Personenverkehr offen.

Zur Türkei sind Grenzübergänge im durch die TK bzw. von TK unterstützten Milizen beherrschten Gebiet westlich und nördlich um Aleppo geöffnet (Bab Al-Hawa, Bab Al-Salam). Die Grenzen zwischen der Türkei und den syrischen kurdisch besetzten Gebieten sind geschlossen; zum Irak hin sind diese durchlässiger.

Über Aktivitäten am internationalen Flughafen Damaskus können ho. mangels Zugang keine gesicherten Informationen gegeben werden. Es gibt Flugverbindungen zu einigen Destinationen in den Golfstaaten, Iran, Russland, Ägypten, Algerien, Armenien oder dem Sudan. Israelische Angriffe trafen auch Objekte am Flughafengelände.

Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen „black lists“ betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Die ho. Botschaft erreichen regelmäßig Anfragen von in Österreich als Flüchtlingen anerkannten Syrern, die wieder nach Österreich zurückkehren wollen – daraus lässt sich ableiten, dass eine Rückkehr nach Asylantragstellung im Ausland prinzipiell kein Wiedereinreisehindernis darstellt. Je nach Sachlage kann es aber (z.B. aufgrund von Desertion oder Wehrdienstverweigerung oder früherer politischer Tätigkeit) durchaus zu Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden kommen.

Seit 1.8.2020 wurde – bedingt durch den Devisenmangel – bei Wiedereinreise ein Zwangsumtausch von 100 USD pro Person zu dem von der Regierung festgelegten Wechselkurs eingeführt.

römisch VI. Informationen zu Rückkehrbewegungen und der Lage der Personen nach Rückkehr.

Laut VN Flüchtlingshilfswerk sind von 2016 bis Ende 2020 270 000 Flüchtlinge (40 000 im Vorjahr gegenüber 95 000 im Jahr 2019) zurückgekehrt, der Gutteil davon aus dem Libanon und Jordanien (2019: 30 000), wobei die libanesischen Behörden weit höhere Zahlen nennen (bis 2019: 187 000 rückkehrende Flüchtlinge). COVID bedingt ist die Rückkehr 2020 zum Erliegen gekommen. Die Rückkehr von Flüchtlingen wird durch den Libanon und die Türkei mit erheblichem politischem Druck verfolgt; als ein Argument für ihre Militäroperationen führt letztere auch die Rückführung von Flüchtlingen in die von der Türkei kontrollierten Gebiete an. Die Rückkehrbewegungen aus Europa sind sehr niedrig. Eine von RU Mitte November 2020 initiierte Konferenz zur Flüchtlingsrückkehr in Damaskus (Follow-up Ende Juli 2021), an der weder westliche noch viele Länder der Region teilnahmen vermochte an diesen Trends nichts zu ändern.

Bei den intern Vertriebenen (IDPs) blieb mit 356 000 Rückkehrern die Zahl gegenüber 2019 (1,2 Mio.) weit zurück, wobei der Großteil der Bewegungen innerhalb der Gouvernements erfolgte. Bis August 2020 kehrten rund 300 000 Menschen zurück, der Großteil davon innerhalb/nach Idlib und Aleppo. Die Zahlen der neu Vertriebenen sind erneut weit höher; es gab wie im Jahr zuvor 1,8 Mio. IDP- Bewegungen insgesamt. Im Zuge der erwähnten Eskalation des Konfliktes in Idlib wurden von Dezember 2019 bis März 2020 knapp 1 Mio. Menschen vertrieben. Die Gesamtzahl an IDPs ist mit etwa 6,6 Mio. weiterhin sehr hoch. Als Gründe für die Rückkehr/Nichtrückkehr wird von den Betroffenen neben der Sicherheitslage zunehmend die schlechte wirtschaftliche Situation ins Treffen geführt. Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom IS gehalten wurden (z.B. Rakka, Deir-Ez-Zor). Laut aktueller Mitteilung von UNMAS vom September 2021 sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialen bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als 10 Mio. Menschen also rund 50% der Bevölkerung dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialen in Kontakt zu kommen. Dabeisind Männer aufgrund unterschiedlicher sozialer Rollen dem Risiko stärker ausgesetzt als Frauen. Ein Drittel der Opfer von Explosionen sind gestorben, 85% der Opfer sind männlich, fast 50% mussten amputiert werden und mehr als 20% haben Gehör oder Sehvermögen verloren. Zwei Drittel der Opfer sind lebenslang eingeschränkt. 39% der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34% auf landwirtschaftlichen Flächen, 10% auf Straßen oder am Straßenrand. Seit 2019 waren 26% der Opfer IDPs.

Neben den fehlenden sozioökonomischen Perspektiven und Basisdienstleistungen ist es oft auch die mangelnde individuelle Rechtssicherheit, die einer Rückkehr entgegensteht. Nach wie vor gibt es Berichte über willkürliche Verhaftungen und das Verschwinden von Personen, am stärksten betroffen sind davon Aktivisten, oppositionelle Milizionäre, Deserteure, Rückkehrer und andere, die unter dem Verdacht stehen, die Opposition zu unterstützen. Um Informationen zu gewinnen, wurden auch Familienangehörige oder Freunde von Oppositionellen bzw. von Personen verhaftet. Deutlich wird die mangelnde Rechtssicherheit auch an Eigentumsfragen. Das Eigentum von Personen, die wegen gewisser Delikte verurteilt wurden, kann vom Staat im Rahmen des zur Terrorismusbekämpfung erlassenen Gesetzes Nr. 19 konfisziert werden. Umfasst ist auch das Eigentum der Familien der Verurteilten in einigen Fällen sogar ihrer Freunde. Das im April 2018 erlassene Gesetz Nr. 10 ermöglicht es Gemeinde- und Provinzbehörden, Zonen für die Entwicklung von Liegenschaften auszuweisen und dafür auch Enteignungen vorzunehmen. Der erforderliche Nachweis der Eigentumsrechte für Entschädigungszahlungen trifft besonders Flüchtlinge und IDPs. Konkrete Pläne für die Einrichtung von Entwicklungszonen deuten auf Gebiete hin, die ehemals von der Opposition gehalten wurden. Von den großflächigen Eigentumstransfers dürften regierungsnahe Kreise profitieren. Auf Druck von RU, der Nachbarländer sowie der VN wurden einige Abänderungen vorgenommen, wie die Verlängerung des Fristenlaufes von 30 Tagen auf ein Jahr. Die grundsätzliche Stoßrichtung änderte sich aber nicht allzu sehr. In der von der TR kontrollierten Region um Afrin nördlich von Aleppo wurde wiederum berichtet, dass Rückkehrer ihre Häuser geplündert oder von oppositionellen Kämpfern besetzt gefunden hätten. Auch im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquell“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jessiden und Christen durch TR-nahe Milizen.

Positive Signale versucht die Regierung durch Generalamnestien für Deserteure und Wehrdienstverweigerer sowohl innerhalb (für vier Monate gültig) als auch außerhalb (für sechs Monate gültig) Syriens zu setzen, zuletzt im März 2020 und im Mai 2021 (siehe auch römisch II).

Die Möglichkeit, sich bei der Rückkehr in ein Gebiet, das unter Regierungskontrolle steht, niederzulassen, ist bis zu einem gewissen Grad durch die Notwendigkeit einer Bewilligung durch die Sicherheitsbehörden eingeschränkt. So muss zB bei Abschluss eines Immobilienkaufvertrags, bevor die Immobilie übertragen werden kann, bei den Sicherheitsbehörden um eine Freigabe angesucht werden. Bei Mietverträgen wurde diese Regelung jüngst vereinfacht, sodass die Daten erst nach Abschluss des Vertrags an die Gemeinde übermittelt werden mussten. Diese Information wird dann an die Sicherheitsbehörden weitergegeben, die im Nachhinein einen Einspruch erheben können. Diese Regelung wurde aber nach aktuellen Informationen nur in Damaskus umgesetzt, außerhalb muss die Genehmigung nach wie vor vorab eingeholt werden. Auch hinsichtlich Damaskus wurde berichtet, dass Syrern aus anderen Gebieten nicht erlaubt wurde, sich in Damaskus niederzulassen. Die Niederlassung ist dementsprechend – für alle Gebiete unter Regierungskontrolle – von einer Zustimmung der Sicherheitsbehörden abhängig.

Berichte internationaler Organisationen ergeben ein Bild regional unterschiedlicher Bedingungen und Politiken zur Flüchtlingsrückkehr. Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein.

Zur Situation von rückkehrenden Flüchtlingen aus Europa gibt es wohl auch aufgrund deren geringer Zahl keine Angaben.

Laut VN (u.a. UNHCR) sind die Bedingungen für eine nachhaltige Flüchtlingsrückkehr in großem Umfang derzeit nicht gegeben.

römisch VII. Möglichkeiten zur Einreise in an Syrien angrenzende Staaten

Die oben unter römisch fünf. angeführten Informationen betreffend die Einreise nach Syrien gelten vielfach spiegelbildlich auch für die Ausreise aus Syrien in angrenzende Staaten. COVID-bedingt wurden im März 2020 Einreisesperren von Jordanien (sehr strikt) und vom Libanon verhängt. Diese wurden gelockert. Es ist möglich auf dem Luftwege (primär Transit) und – vor allem für in Syrien lebende Libanesen – auf dem Landwege unter Vorweis eines Tests und Begebung in Hausquarantäne einzureisen. Dies alles im Kontext der schon vor COVID bestehenden restriktiven Handhabung der Einreisemodalitäten für Syrer nicht zuletzt aufgrund der hohen Anzahl an im Libanon aufhältigen syrischen Flüchtlingen (über 1 Million). Die visafreie Einreise ist in der Regel nur in Ausnahmefällen, nur für kurze Zeit und nur bei Vorliegen eines triftigen Grundes (Termin bei einer Botschaft, Flug von Beirut) möglich. Auf der Landverbindung von Damaskus nach Beirut können Syrer derzeit nur mittwochs einreisen.

In der Türkei sind syrische Staatangehörige generell visumpflichtig.

römisch VIII. Erhalt von Dokumenten

Die Ausstellung von – zur Ausreise erforderlichen – Dokumenten an Syrer ist (gegen entsprechende Bezahlung) zumindest in Regionen unter Regierungskontrolle problemlos möglich. In besetzten Gebieten wurde hinsichtlich der Registrierung von Ehen berichtet, dass Ämter zwar offen sind, aber nicht mit den Regierungsbehörden kommunizieren können und daher die Registrierung von Ehen in diesen Gebieten nicht möglich sei. Dies könnte auch auf die Ausstellung anderer Dokumente zutreffen.

An der ÖB Damaskus wurden keine gröberen Schwierigkeiten beim Erhalt erforderlicher Dokumente, etwa für Anträge auf Familienzusammenführung, bemerkt. Die Verständigungsschwierigkeiten beim Interview am Konsularschalter sind mitunter sehr zeitraubend. Teils liegt dies daran, dass die Einschreiter Kurdisch sprechen und Arabisch weniger gut beherrschen, teils liegt es daran, dass die eingereichten Antragsformulare von Vertretern des Österreichischen Roten Kreuzes und anderen NGOs als Bevollmächtigte in Österreich, wohl aufgrund von Informationen seitens des bereits in Österreich befindlichen Familienmitglieds, ausgefüllt werden, und die Einschreiter sich damit nicht ausreichend auskennen bzw. auseinandergesetzt haben. Ebenso werden syrische Dokumente problemlos beim syrischen Außenministerium beglaubigt, wodurch Überbeglaubigungen an der ÖB Damaskus regelmäßig und ordnungsgemäß vorgenommen werden können. Allerdings, werden des Öfteren Heiratsurkunden vorgelegt, die weder von Brautpaar noch von den Zeugen unterschrieben sind und es treten auch Fälle auf, in denen die ausstellende Behörde die Anwesenheit des Brautpaars in der Urkunde bezeugt, obwohl diese zum fraglichen Zeitpunkt laut Behördeninformation in Österreich weilten. In diesen Fällen werden die Inlandsbehörden von ho. Seite regelmäßig auf diesen Umstand hingewiesen.

[…]

römisch zehn. Eheschließung, syrische Rechtsnormen

Familiäre Beziehungen in Syrien werden von religiösen bzw. auf Religion basierten Gesetzen reguliert. Das relevanteste Gesetz ist dabei das auf islamischen Rechtsquellen, va. auf islamischer Rechtsprechung basierende Syrische Personenstandsgesetz (weiters: PSG) Nr. 59/1953 mit Änderungen durch legislatives Dekret 34/1975 und legislatives Dekret 76/2010 (Änderungen im Erbschaftsrecht). Gemäß Artikel 306, gilt dieses Gesetz vorbehaltlich anderer, in den Artikel 307 und 308 enthaltenen Bestimmungen für alle Syrer. Für Angehörige der drusischen, christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften finden sich Ausnahmen von der Anwendung des Gesetzes.34 Für Drusen ist die Anwendung von im Widerspruch zu in Artikel 307 aufgelisteten Werten stehenden Vorschriften ausgeschlossen (Artikel 307,). Für Angehörige der christlichen und jüdischen Gemeinschaft greifen auf näher umschriebene Bereiche religiöse Vorschriften (Artikel 308,). Seit 2006 existiert ein eigenes Personenstandsgesetz für Katholiken (Dekret Nr. 31/2006 vom 18.6.2006), die daher gänzlich aus dem Anwendungsbereich des PSG fallen.

Neben der Eheschließung vor einem Sharia-Gericht (diese sind gemäß Artikel 33, des Gesetzes über Justizbehörden Nr. 98/1961 eine von drei Typen von Personenstandsgerichten), können in Syrien auch außerhalb eines Gerichts abgeschlossene Ehen (sog. traditionelle Ehen35) als gültig angesehen werden. Theoretisch kann eine Ehe überall und durch jedermann abgeschlossen werden, in der Praxis erfolgen diese Eheschließungen jedoch in der Regel vor einem Geistlichen (Scheich). Besonders im ländlichen Raum ist diese Art der Eheschließung weit verbreitet. Die die Ehe abschließende Person muss das Vorliegen der in Artikel 40, PSG aufgezählten rechtlichen Voraussetzungen prüfen; andernfalls droht eine Strafe nach dem Strafgesetzbuch (in der Praxis wird jedoch offenbar große Nachsicht geübt).

Nach Abschluss einer traditionellen Ehe muss deren Gültigkeit zunächst durch den Richter (Sharia-Gericht, drusisches Gericht oder die christliche Kirche) bestätigt werden. Die Bestätigung der Gültigkeit der Ehe kann auch rückwirkend erfolgen. Gemäß Artikel 40, (2) PSG wird eine außerhalb des Gerichts geschlossene Ehe nur anerkannt, wenn die in Artikel 40, (1) PSG genannten Voraussetzungen gegeben sind (im Wesentlichen geht es um die Vorlage bestimmter Dokumente). Im Fall der zwischenzeitigen Geburt eines Kindes oder bei offenkundiger Schwangerschaft wird die Ehe anerkannt, auch wenn nicht alle Bedingungen eingehalten wurden (in der Praxis ist die Vorlage eines medizinischen Attests über eine erlittene Fehlgeburt ausreichend).

Nach dieser Bestätigung durch einen Richter muss die Ehe im Zivilregister eingetragen werden; auch hier ist aber eine rückwirkende Eintragung zulässig. Erst mit dieser Eintragung im Zivilregister sind die Rechtsfolgen der Eheschließung durchsetzbar. Bloß traditionell geschlossene Ehen kommen nach Berichten seit 2011 gehäuft vor, da zur Eheschließung die Erlaubnis der Militärbehörden einzuholen ist, was mit Ausbruch des Bürgerkriegs schwieriger geworden war. Eine solche Ehe kann ohne Einholung einer Zustimmung des Militärs im Nachhinein nur registriert werden, wenn die Frau in der Zwischenzeit ein Kind geboren hat oder schwanger ist.

Im ländlichen Raum unterbleibt die nachträgliche Registrierung der auf traditionelle Weise geschlossenen Ehe häufig.

Stellvertretung bei der Ehe (tawkîl) ist gemäß Artikel 8, PSG zulässig und durchaus üblich.

[…]

1.3.5. Bericht („Treatment upon Return“) des Danish Immigration Service, Mai 2022:

„[…]

1. Monitoring of return and numbers of returnees

1.1. Monitoring

No systematic research has been undertaken by any organization to trace returnees from outside or inside Syria to monitor what happens to them upon return. UNHCR has been unable to systematically monitor and collect data on the returns of refugees and IDPs and faces high limits imposed by the GoS in monitoring what happens with refugees who return to Syria. Thus, reliable figures on arrests and detention cases of returnees are not available. UNHCR and other UN agencies are required to have prior authorization from the GoS to access territories and conduct operations. For example, UNHCR Syria can only get in contact with a minority of those Syrian refugees who returned through the operations organised by Lebanon’s intelligence service and immigration authority, General Security. In some cases, UNHCR has subcontracted local NGOs, such as the Syrian Arab Red Crescent (SARC) to carry out surveys and ‘protection missions’ in the country.

The regular restrictions imposed by GoS on humanitarian agencies hamper these organisations from playing a part in the repatriation of Syrians, often leaving the organisations with little space to negotiate with the government. The UN and international organisations wanting to operate in Syria can only do so by collaborating with GoS-approved local actors. The Syrian security agencies regularly engage with these local partners and are able to gain access to their beneficiary lists and programming. Consequently, organisations often find themselves having to comply with the demands of the government in order not to lose access, or risk being shut down. As a result, UN and humanitarian organisations have been unable to access returnees after their return to their places of origin12, and the available information about returns of Syrians and Palestinian refugees from Syria (PRS) from Europe in 2020 to 2022 is anecdotal and fragmented in nature.

1.2. Number of returnees

1.2.1. Returns from Europe

The available information about Syrians and PRS returning from the EU is limited.

1.2.2. Returnees from neighbouring countries

According to UNHCR, as of 31 May 2021, 282,283 Syrian refugees had voluntarily returned to Syria from Syria’s neighbouring countries since 2016, including:

- 110,649 from Turkey

- 64,714 from Lebanon

- 57,276 from Jordan

- 48,194 from Iraq

römisch eins t should be noted that the numbers reported in the UNHCR-data are only those verified or monitored by UNHCR and do not reflect the entire number of returns, which may be significantly higher.

[…]

In the first eight months of 2021, approximately 25,000 Syrian refugees returned voluntarily to Syria, while in 2020, some 38,200 Syrian refugees spontaneously returned to Syria from countries in the region, mostly from Turkey, Iraq and Lebanon. The numbers reported are only those monitored/verified by UNHCR and are as such likely to be an underestimate.

Since reaching its peak in 2019, when close to 95,000 refugee returns were verified, the number of voluntary returns has fallen […]

2. Factors regarding treatment upon return

The following are the factors mentioned by sources that may have an impact on treatment upon return. However, due to a lack of systematic monitoring of return mentioned earlier, these should not be considered exhaustive. The factors may also overlap, and the order in which they are presented does not imply a hierarchy or significance.

2.1. Significance of security clearance or/and status settlement for treatment upon return

DIS wrote in its 2021 report that in order to avoid issues with the GoS, returnees from abroad or from opposition-held areas are required to go through official procedures before returning to the GoS-controlled areas in Syria. Through these procedures, the Syrian authorities undertake a security check of the returnees in one way or another. During the procedure referred to as ‘security clearance’ (Arabic muwafaka amniya), the applicant will be checked against wanted lists. An applicant going through the so-called ‘status settlement’ (Arabic: taswiyat wade) procedure, or as some sources call it ‘reconciliation’, will apply for his or her name to be removed from wanted list of the GoS and thereby be cleared for the issues he/she is wanted for.

With regard to status settlement, returnees can apply to settle the following outstanding issues they might be wanted for: illegal exit from Syria during the war, evasion from military service and antigovernment activities ranging from anti-government demonstrations and participation in relief work in opposition-held areas to carrying weapons and fighting against the GoS. römisch eins f a person’s application for status settlement is approved by the GoS, it means that the person would officially not be wanted or prosecuted anymore by the GoS. Most applications for status settlement are approved by the GoS. römisch eins f a person whose application has not been approved returns to Syria, he will most probably be arrested and interrogated upon return.

römisch eins f granted, both the clearance and the settlement officially serve as permissions for the holders to enter GoS-controlled areas in Syria. However, they do not serve as a guarantee for access to the person’s place of origin in the GoS-controlled areas, especially places that are managed by the GoS local or foreign allies. The GoS may reject an application of security clearance for reasons such as having family members who are wanted, posting statements on social media that are critical of the GoS, having a name that is similar to a wanted person, returning from a country that is deemed hostile to the GoS or originatingfrom former opposition-controlled areas.

In its report published in July 2019, EIP mentioned that many returnees had been arrested, detained, harassed or conscripted despite having completed the settlement procedure. Similarly, HRW documented in a report published in 2021 that among the 33 returnees interviewed by HRW between 2017 to 2021 who returned to Syria through legal channels, many were subjected to violations despite having obtained a security clearance or having settled their status with the Syrian authorities prior to their return.

Amnesty International also stated that 22 of 66 persons interviewed by AI between 2017 to 2021 had gone through some sort of clearance process but were nonetheless subjected to different kinds of violations. EASO stated in its report published in June 2021 that ’obtaining a security clearance will by no means guarantee a safe return to Syria’ and mentioned cases of returnees who were subjected to arrest, enforced disappearances and/or death under torture upon return despite having obtained a security clearance.

A Syrian researcher interviewed by DIS in October 2021 mentioned that he knew two individuals who were arrested upon return for accusations of being a part of the opposition. Both these persons had obtained a status settlement for their illegal exit prior to return.

2.2. Leaving Syria during the war and applying for asylum

According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, having applied for asylum abroad does not in itself lead to being subject to mistreatment. GoS is aware that many Syrians living abroad are refugees and seeking asylum was the only way for them to obtain residency in the host country. In general, returnees who have not been involved in opposition activities and left Syria only because of the war tend not to face issues upon return unless someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example, being involved in opposition activities.

In DIS’ report published in February 2019, a GoS offical stated that the Syrian authorities would not prosecute or arrest people for having obtained asylum in neighbouring countries or other countries, including Western countries. Center for Operational Analysis and Research (GOAR Global) said that the mere fact that someone stayed abroad during the Syrian civil war was not an issue upon return. In the same report, HRW informed DIS that before the beginning of 2018, Syrians used to be afraid that having left the country during the conflict might have consequences for them upon return, due to the then existing perception of those leaving as being affiliated with anti-government sentiments. But as far as HRW had been informed by the Syrians who HRW was in contact with, since the beginning of 2018 it seemed that having left the country during the conflict did not have an impact anymore. HRW specified that the persons they were in in contact with had mostly applied for asylum in Western countries, such as Germany, Switzerland and Sweden as well as Turkey. According to the source, part of this change in 2018 was due to a change in rhetoric, which, although not matched by a change in policies, at least resolves the prima facie concerns. The other reason behind the change was that there were activists who had been approached by the GoS and asked to come back to Syria.

In its September 2021 report, AI referred to 12 cases of returnees who told AI that security officials explicitly had criticized their flight from Syria and asked them about their motives to return. Some of the returnees told AI that the officials also asked if they came back to fight with or support terrorism and to do more damage. These persons, who included returnees from the Gulf states, Lebanon, Turkey and France, were subsequently subjected to arrest and different kinds of mistreatments. The returnees told AI that the GoS officials wanted to take revenge from people who left during the war.

In the report published by VDSF and OPC in November 2021, 48% of returnees (i.e. both internal returnees within Syria and returnees from abroad) to GoS-controlled areas, who participated in the survey, reported that they or a close family member had experienced persecution for having left Syria illegally, for lodging an asylum claim abroad or due to their area of origin.

2.3. Security issues

According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, profiled members of the opposition and their families have tended to be subject to interrogation, detention and money extortion upon return.

In their 2021 reports, which were based on interviews with respectively 54 and 66 interviews with returnees, both HRW and AI documented cases of returnees who were arrested and tortured because of accusations related to security issues. Some of them were released, whereas others remained arrested. Both sources indicated that some of these returnees did not know that they were wanted.

Sources informed DIS in 2020 that it, in practice, was risky to return to Syria on the basis of a settlement or a security issue, and that family members of a person wanted for security reasons may risk being called in for interrogation by the Syrian authorities, as a consequence of the person’s application for a status settlement. People who did not face any problems were just lucky that they did not run into the security branch they were wanted by. Some sources told DIS that they knew cases of people who completed a status settlement for unsettled security issues but who were nonetheless arrested upon return.

2.4. Evasion and desertion from military service

According to the Syrian law, both deserters and evaders should be punished. However, evaders will not be punished if they obtain a status settlement. Nevertheless, they will still be required to serve in the military unless they have paid the exemption fee.

HRW documented the case of arrest and torture of a person returning from Lebanon in 2018 who had fled the country in 2015 upon his desertion from the military. AI also mentions three cases of persons who were arrested upon return because they did not complete their military service.

According to two sources consulted by the DIS in 2020, persons who obtain status settlement because of evasion from military service usually do not face any problems with the GoS upon return. However, one source told the DIS that some people who settled their evasion might be temporarily arrested upon return, and some might be subjected to torture.

In a report by DIS published in 2019 about military service in Syria, sources mentioned that men wanted for military service and evaders, who pay the exemption fee in order to be exempted from military service, usually do not face problems with the GoS upon return.

According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, draft evaders and deserters are sent to military service after a short detention (a couple of days or weeks), provided that they have not been involved in any opposition activities. There have been no reports that those who have paid the exemption fee of 8000 USD have faced issues upon return. The source added that family members of draft evaders and deserters do not face problems with the authorities anymore. Previously, the authorities harassed such families, but now the authorities may contact them once or twice and ask about the evading or deserting family member and his whereabouts, but nothing more will happen. One should also bear in mind that there are too many draft evaders and deserters for the authorities to be able to spend time and resources on such cases.

2.5. Illegal exit

Officially, a person who has exited illegally from Syria might be subjected to prosecution upon return, unless the person has obtained a status settlement prior to return.

The Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022 mentioned that those who exited Syria illegally have to report to the local intelligence service office in their area. They will be questioned about the reason for their leave and about their activities while staying abroad. Nothing more will happen to them unless someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example, being involved in opposition activities. In that case, they risk being subject to further interrogation, detention and/or money extortion.

According to sources DIS interviewed in 2020, persons who have obtained a status settlement because of illegal exit usually do not face any problem with the GoS upon return, and their application for a status settlement would not have consequences for their family members. However, in some cases people might be temporarily arrested and presumably tortured.

EASO mentioned in its report from June 2021 that persons would be at risk of being arrested or mistreated by the GoS upon return if they had exited illegally.50 However, EASO does not mention specific cases, and it is thus unclear whether the statement applies to those who have obtained a status settlement prior to return.

The Syrian NGO Syrians for Truth and Justice (STJ) documented in a May 2020 report that the Syrian authorities told 25 returnees from Lebanon that they would be put on trial because they had exited illegally from Syria. römisch eins t is not mentioned in the report whether these returnees had completed status settlement prior to their return.

2.6. Illegal return

On 15 September 2020, the Arabic online news site Asharq Al-Awsat reported that the number of Syrians returning to Syria through illegal borders had increased in recent years. According to the news site, irregular returns took place due to the returnees’ illegal status in Lebanon caused by the strict regulations for entry into Lebanon and the high fees imposed by the Lebanese authorities to cross regular borders and reside in Lebanon. Other reasons mentioned were the returnees’ inability to meet the requirement to exchange 100 USD that the Syrian authorities had imposed on its adult citizens when entering Syrian territory and – since the outbreak of Covid-19 – the inability to pay for a PCR test.

STJ documented the arrest of at least 16 people who returned from Lebanon through illegal routes between January and late March 2020. They were initially held in a Covid-19 quarantine centre at the border and later brought before the Anti-Terrorism Court for charges of illegal entry to Syria.

In its report of October 2021, HRW stated that 21 out of the 54 returnees, who were interviewed for the report, had used smuggling routes to enter Syria. However, HRW did not mention whether these 21 persons faced problems with the GoS for entering illegally to Syria or for other reasons.

2.7. Lack of coordination between the security and intelligence services

There is a lack of coordination between different security and intelligence agencies. As each of the agencies have their own wanted list, it can lead to a person being cleared from the wanted list of one security service whilst he or she still being wanted by another security service.

HRW mentioned in its report from October 2021 that a returnee from Jordan had prior to his return obtained security clearance from the Syrian authorities confirming that he was not wanted. Nevertheless, the person was arrested a month after his return to Syria at a checkpoint, which was controlled by another intelligence service than the one, who had cleared him from its list.

2.7. Place of origin or residence

A number of sources have pointed out that treatment of returnees depends, among other things, on their place of origin or residence prior to leaving Syria.

In a report published in July 2019, EIP stated that since October 2018 there was a rise in the number of detentions of civilians returning to areas formerly controlled by the opposition.59 Landinfo mentioned that persons, whose place of origin is an area that was in strong opposition to the GoS, would be met with suspicion.

A Legal and Human Rights Adviser at the Syrian NGO Syria Justice and Accountability Centre (SJAC) informed EASO that the GoS had a negative perception of persons hailing from former opposition strongholds mentioning cases of two returnees who were extorted for money because they came from a former opposition stronghold.

According to EuroMed Rights, the GoS considers Syrians who have left government-controlled areas as well as those who have lived in areas that have been under opposition-control as traitors.

The Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022 stated that a returnee originating from or having lived in a former opposition-controlled area before leaving Syria would usually not be subject to mistreatment or violations only because of originating from or having lived in that area. römisch eins f someone or a group of persons from a certain area experience problems at checkpoints, it is most probably due to the decision of the individual officer or the force controlling that particular checkpoints rather than the person’s place of origin.

2.8. Reports by informers or others

According to International Crisis Group (ICG), although a person is not wanted by the GoS, he/she can still risk being detained as a consequence of being ‘reported by GoS informers’. Informers report people to the security agencies in order to achieve personal gains or to lift doubts about their own loyalty. ICG mentioned two cases of Syrians who were arrested after they returned to GoS-controlled areas because informers had reported them.

Likewise, the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022 pointed out that returnees can face problems if someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example being involved in opposition activities. In such cases, the returnee risk being subject to further interrogation, detention and/or extortion.

2.9. Officer in charge

According to the Syrian human rights organisation consulted by DIS in April 2022, there is no clear pattern for the way the returnees are treated by the authorities. This is mostly because the individual officer, who is in charge of a checkpoint or an intelligence service officer dealing with the case of a returnee in the local area the person returns to, plays a significant role in what happens to the person.

Sometimes, people who have been members of the opposition groups or family members of profiled opposition persons can return without facing issues, and sometimes people who have no issues with GoS face problems.

[…]

3. Prevalence of mistreatment of returnees

In spite of the difficulties with monitoring returns systematically, several organisations have confirmed that the GoS continue to arrest, detain, interrogate, torture, kidnap, kill, extort money and/or try returnees before terrorism courts upon return to Syria. The information provided by theseorganisations are primarily based on interviews with refugees who have returned to Syria or sources who knew about cases of returnees.

A Syrian human rights organization interviewed by DIS in April 2022 stated that it is not possible to obtain information about the extent of mistreatment and violations committed by the Syrian authorities against the returnees as no independent organisations are present in the country to monitor the returns to Syria. According to the source, different parties of the conflict try to depict different pictures of what is going on and exaggerate about the situation of returnees; whilst GoS is denying all allegations about mistreatment of returnees and has been depicting a picture where refugees abroad can return to the country without facing any issue, the opposition groups claim that every returnee will be subject to violations upon return. The fact is that nobody has complete knowledge of the situation and the available information is not always reliable. The organisation has experienced that some returnees or their families do not report about the violations they have been subjected to for fear of what may happen to them. Oppositely, the source had seen reports of returnees being detained which turned out not to be true.

With regard to returnees who have reported mistreatments by the GoS, Amnesty International (AI) documented in a report published in September 2021 that 66 persons faced mistreatments/violations, including arrest, detention, torture, kidnappings, enforced disappearances and killings, by the Syrian authorities upon return in the period between mid-2017 and spring 2021.

In a report published in October 2021 based on 65 interviews with 54 persons who had returned from Lebanon and Jordan between 2017 to 2021, Human Rights Watch (HRW) documented 21 cases of arrest and detention, 13 case of torture, 3 kidnappings, 5 extra- judicial killings, 17 enforced disappearances and 1 case of sexual violence committed by the GoS against returnees upon their return.

In a report published in November 2021, the Turkey based NGO, Voices for Displaced Syrians Forum (VDSF) and the Gaziantep (Turkey) based think tank, Operation and Policy Center (OPC), presented the result of their research conducted in 2021. The research included a total of 700 surveys with residents, IDPs and returnees (i.e. returnees from abroad as well as internal returnees) in different control areas in Syria, including GoS-controlled areas. 17% of the returnees across all control areas, who participated in the survey, stated that they or a close family member had faced arbitrary arrest or detention during the past year. However, there were clear variations between returnees from abroad and returnees from within Syria, where internal returnees, especially in areas controlled by theGoS, reported more violations. Whilst 46% of internal returnees in GoS-controlled areas reported of arbitrary arrest or detention, 18% of returnees from abroad had experienced such violations. Less international oversight over internal return processes is mentioned in the report as a potential reason for this variation.

From the beginning of 2014 until August 2019, the Qatar based Syrian human rights organisation, Syrian Network for Human Rights (SNHR), documented the arrest of at least 1,916 Syrian refugees, including 219 children and 157 women, after their return to Syria from abroad.

In an article published in October 2020 by the news and analysis website, Syria Direct, SNHR stated that GoS had arrested 237 individuals who returned to Syria between January 2019 and October 2020.

When the article was published, 194 of those individuals were still detained and 176 of them had been forcibly disappeared. Five persons were tortured to death in detention centres.

The European Institute of Peace (EIP) wrote in a report published in July 2019 that even among the voluntary returnees, hundreds of detentions and arrests were reported in 2019. Some of the released persons explained that they had been tortured while in custody. In addition, deaths in custody among returnees were recorded.

According to a February 2019 article from the Germany-based aid and human rights organization, Medico International, at least two returnees from Germany, who voluntarily repatriated, disappeared after having been interrogated by the security services.

On 24 November 2021, the Syrian opposition news website, Enab Baladi, reported that 23 families who had returned from Turkey or from areas that are under the control of the Syrian opposition or the Syrian Democratic Forces (SDF) were arrested during the previous two months.

The Syrian NGO, Syrian Association for Citizens’ Dignity (SACD), which ‘works to promote, protect and secure the rights of Syrian refugees and internally displaced persons (IDPs)’81, published a report in August 2021 about the security and living conditions in GoS-controlled areas in Syria. The report is based on interviews with 533 people in September and October 2020 of whom 46 persons (9%) were refugees who had returned to GoS-controlled areas. Several interviews reported of arbitrary arrest and detention by the GoS, including those previously covered by some kind of amnesty laws and decrees.

[…]“

1.3.6. ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien: Wehrdienstverweigerung und Desertion, 08.09.2022:

„[…]

5 Unterstellung politisch oppositionell zu sein

Sowohl der von ACCORD kontaktierte Syrienexperte als auch Muhsen Al-Mustafa erklärten, dass während zu Beginn des Konflikts Wehrdienstverweigerer und Deserteure mit der Opposition assoziiert worden seien, dies mittlerweile nicht mehr (unbedingt) der Fall sei (Al-Mustafa, 8. August 2022; Syrienexperte, 11. August 2022). Muhsen Al-Mustafa ergänzte hierzu weiters, dass Wehrdienstverweigerer, sofern sie sich nicht tatsächlich den Oppositionsgruppen angeschlossen haben, auch als solche eingestuft würden. Es gebe hier bestimmte Beispiele, wie zum Beispiel die Situation in dem Großteils von Drusen bewohnten Gouvernement Suweida, wo viele junge Leute den Wehrdienst verweigern würden, die syrische Regierung sie aber nicht als Teil der Opposition betrachten würde (Al-Mustafa, 8. August 2022).

Demgegenüber erwähnt Amnesty International in seinem bereits erwähnte Bericht vom September 2021, dass die bloße Tatsache der Flucht ins Ausland ausreiche, um Verdacht zu erregen. Zwei im Zuge dieses Berichts befragte Auskunftspersonen hätten angegeben, dass sie aufgrund ihrer Flucht in den Libanon von den syrischen Sicherheitskräften nach ihrer Rückkehr ins Land als Terroristen angesehen worden seien. Einer davon sei bei seiner Rückkehr nach Syrien 2018 zweieinhalb Monate von den Sicherheitsbehörden gefangen gehalten worden und des Terrorismus bezichtigt worden, da er den Wehrdienst nicht abgeleistet habe und aus einem Dorf aus Aleppo stammte (AI, September 2021, Sitzung 7; 20).

Die Sicherheitskräfte würden zwischen Deserteuren und Wehrdienstverweigerern, die sich dem Militärdienst aufgrund von Notlagen entziehen, und solchen, die sich dem Militärdienst aus Gründen entziehen, die mit einer negativen Einstellung gegenüber der Regierung zusammenhängen, unterscheiden. Was die zweite Gruppe betreffe, so würden diese Deserteure und Wehrdienstverweigerer immer beschuldigt, Verbindungen zu den Oppositionsgruppen zu haben, und folglich des Terrorismus beschuldigt, auch wenn sie nichts mit den Oppositionsgruppen zu tun hätten (Jusoor for Studies, 6. September 2022).

1.3.7. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Fragen des BVwG zu Rückkehrern nach Syrien vom 14.10.2022:

[…]

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass UNHCR im Zeitraum 2016-30.6.2022 die selbstorganisierte Rückkehr von 325.551 syrischen Flüchtlingen aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien, dem Irak, Ägypten und anderen nordafrikanischen Ländern nach Syrien dokumentiert hat [eine Aufschlüsselung nach unterschiedlichen Variablen und weitere Details können den Einzelquellen entnommen werden, Anm.]. Die Gesamtzahl der Rückkehrer aus Ländern in der Region könnte jedoch wesentlich höher sein.

Die verfügbaren Informationen zur Anzahl der Rückkehrer aus Europa nach Syrien sind begrenzt. Im Jahr 2020 kehrten 137 syrische Flüchtlinge freiwillig und mit Unterstützung der dänischen Behörden aus Dänemark nach Syrien zurück, im selben Jahr suchten zehn Syrer bei den niederländischen Behörden um Hilfe für eine Rückkehr aus den Niederlanden nach Syrien an. Nach Angaben des deutschen Innenministeriums kehrten von 2017 bis Juni 2020 über 1.000 Syrer mit finanzieller Unterstützung Deutschlands aus Deutschland nach Syrien zurück.

Das für Rückkehrer zuständige Ministerium der Syrischen Arabischen Republik gibt an, dass insgesamt [seit Beginn des Konflikts 2011] eine Million ins Ausland vertriebene Syrer nach Syrien zurückgekehrt sei. Diese Zahl kann nicht unabhängig überprüft werden und Angehörige der Opposition werfen der Regierung vor, sie aus politischen Gründen zu hoch anzusetzen.

Ein befragter Experte gibt an, dass keine bzw. nur schwache Rückkehr von wehrpflichtigen Flüchtlingen in die Regimegebiete erfolgt. Die Datenlage zum Alter der Rückkehrer ist jedoch begrenzt. Laut Angaben von UNHCR befand sich 2021 etwas weniger als ein Drittel der rund 3.400 freiwilligen Rückkehrer aus dem Irak nach Syrien, die sich bei UNHCR registriert haben, im Alter zwischen 18 und 59 Jahren. Die Mehrheit der Rückkehrer aus dem Irak kehrte in die Gouvernorate al-Hasakah und Aleppo zurück, die größtenteils von den Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces, SDF) kontrolliert werden. Gemäß einer Studie zu Rückkehrern, welche Daten von Beginn des Konflikts bis Mitte 2018 berücksichtigt hat, kehrten Rückkehrer aus dem Nahen Osten und Nordafrika [d.h. jene Personen, welche von UNHCR registriert werden, Anm.] mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zurück, wenn sie über 44 Jahre alt waren, als jene aus der Altersgruppe der 15-44-Jährigen. Gemäß der Studie bestand bei der Rückkehrwahrscheinlichkeit nur ein kleiner, statistisch signifikanter Unterschied zwischen Gebieten mit hoher und niedriger Konfliktintensität. Ein möglicher Erklärungsansatz ist, dass das Risiko, eingezogen zu werden, im ganzen Land [unter Kontrolle der syrischen Regierung, Anm.] besteht.

Behandlung von Rückkehrern

Auch hinsichtlich der Behandlung von Rückkehrern in Syrien berichten Quellen von einer eingeschränkten Informationslage. So müssen Syrer die Rückkehrentscheidung mitunter auf Basis von unvollständigen Informationen treffen. Ein Rückkehrer berichtete, dass er Bewohner seines Dorfes vor der Rückkehr zur Sicherheitslage dort befragte, jedoch keine ehrliche Antwort erhielt, weil die DorfbewohnerInnen die Überwachung durch einen Nachrichtendienst fürchteten.

Keine Organisation konnte bisher systematische Nachforschungen durchführen, um zu erfassen, was mit den Rückkehrern nach der Rückkehr geschieht – auch UNHCR war dazu nicht in der Lage. Aufgrund der fehlenden Überwachung durch internationale Organisationen bei der Rückkehr ist unklar, wie systematisch und weit verbreitet Verstöße gegen Rückkehrer sind. Es gibt kein klares Gesamtmuster für die Behandlung von Rückkehrern, auch wenn einige Tendenzen in dieser Hinsicht zu beobachten sind.

Unter anderem gehören Personen, die keinen Wehrdienst abgeleistet haben, zu jener Gruppe von Rückkehrern, die in Gefahr laufen, bei ihrer Ankunft in Syrien festgenommen, (vorübergehend) eingesperrt, verhört, gefoltert und/oder vor Terrorismusgerichten gestellt zu werden. Den Einzelquellen können anekdotische Berichte zu Wehrdienstverweigerern entnommen werden, die nach ihrer Rückkehr nach Syrien inhaftiert und u.U. gefoltert wurden [wie schon erwähnt, existieren keine systematischen Erhebungen über die Behandlung von Rückkehrern, Anm.].

Die in Frage 2 implizierte Annahme, dass eine systematische Verfolgung von Wehrdienstverweigererern durch die syrischen Behörden angesichts einer hohen Anzahl an Wehrdiensverweigerern und Deserteuren aus Zeit- und Ressourcengründen nicht möglich wäre, konnte in ähnlicher Form in einem Bericht des Danish Immigration Service (DIS) vom Mai 2022 gefunden werden. Eine nicht namentlich genannte syrische Menschenrechtsorganisation, welche vom DIS im April 2022 befragt wurde, tätigt darin die Aussage, dass die Familien von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren früher von den Behörden schikaniert wurden, heute jedoch nur mehr ein- oder zweimal nach dem Verbleib des Wehrdienstverweigerers befragt werden und somit keine Probleme mit den Behörden mehr haben. Es folgt die Aussage, wonach man auch bedenken sollte, dass es zu viele Wehrdienstverweigerer und Deserteure gibt, als dass die Behörden Zeit und Ressourcen für solche Fälle aufwenden könnten. Wehrdienstverweigerer und Deserteure selbst werden gemäß dieser Quelle nach einer kurzen Inhaftierung (einige Tage oder Wochen) zum Militärdienst geschickt, sofern sie nicht an oppositionellen Aktivitäten beteiligt waren [den Einzelquellen kann das gesamte vom DIS veröffentlichte Gesprächsprotokoll entnommen werden, Anm.].

Es gibt laut dieser Quelle keine Berichte darüber, dass diejenigen, die die Wehrdienstbefreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlt haben, bei ihrer Rückkehr Probleme hatten. Andere Quellen berichten, dass unter anderem auch Rückkehrer bei ihrer Ankunft von denb syrischen Behörden verhaftet, inhaftiert und gefoltert worden seien, die eine Statusbereinigung vorgenommen hatten. Eine erteilte positive Sicherheitsüberprüfung stellt keinesfalls eine Garantie für eine sichere Rückkehr nach Syrien dar. Einzelne Betroffene berichten, dass sie durch die Teilnahme an „Versöhnungsprozessen“ [betrifft Männer aus ehemals aufständischen Gebieten, Anm.] einem größeren Risiko ausgesetzt wären, bei späteren Interaktionen mit Sicherheitsbeamten verhaftet und erpresst zu werden.

Selbst für diejenigen, die nicht im Verdacht stehen, sich an oppositionellen Aktivitäten zu beteiligen, ist das Risiko der Einberufung eine zu große Abschreckung, um beispielsweise nach Aleppo zurückzukehren. Die Militärpolizei stellt dort regelmäßig Kontrollpunkte an wichtigen Kreuzungen auf und führt Hausdurchsuchungen durch, um Männer zu finden, die zum Wehrdienst eingezogen werden sollen. Sogar Jugendliche ohne weitergehende Ausbildung, die keine Verbindungen zur Opposition haben, scheuen sich aufgrund der drohenden Einberufung, in der Stadt zu arbeiten.

Die oben erwähnte syrische Menschenrechtsorganisation, welche vom DIS im April 2022 befragt wurde, betonte, dass die Behandlung von Rückkehrern in einem Kontext zu sehen ist, in dem der zuständige Beamte am Grenzübergang die Befugnis hat, seine eigene Entscheidung über den einzelnen Rückkehrer zu treffen: Ein Beamter kann einer Person Probleme bereiten, die eigentlich keine offenen Angelegenheiten mit dem syrischen Staat hat, und dagegen andere passieren lassen, bei denen dies sehr wohl der Fall ist. Dies kann auch zum Zweck der Erpressung von Rückkehrern durch die Sicherheitskräfte an Kontrollpunkten geschehen. Ein weiterer Faktor, der die Behandlung von Rückkehrern beeinflusst, ist die starke Fragmentierung des syrischen Sicherheitsapparats. Verschiedenen Quellen zufolge kann dies dazu führen, dass Personen, darunter auch Rückkehrer, von einem dieser Geheimdienste eine positive Sicherheitsüberprüfung erhalten und gleichzeitig von einem anderen der Geheimdienste zur Fahndung ausgeschrieben sind.

[…]

1.3.8. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Fragen des BVwG zur Wehrpflicht in Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung vom 14.10.2022:

[…]

Zusammenfassung:

Gemäß den nachfolgend zitierten Quellen kann die syrische Regierung die allgemeine Wehrpflicht in Gebieten, welche nicht unter ihrer Kontrolle stehen, nicht umsetzen. In Gebieten unter Kontrolle der Autonomous Administration of North and East Syria (AANES) ist sie gemäß einer Quelle eingeschränkt in der Lage, zu rekrutieren. Eine andere Quelle gibt dagegen an, dass die syrische Regierung in diesen Gebieten zwar Zugriff hat, aber dennoch keine Rekrutierungen durchführt.

[…]

1.3.9. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Fragen des BVwG zur Bestrafung von Wehrdienstverweigerung und Desertion vom 16.09.2022:

[…]

Zusammenfassung:

Rechtslage

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass die Strafe für Wehrdienstentziehung im Militärstrafgesetzbuch geregelt ist. Nach dem syrischen Militärstrafgesetzbuch (Artikel 98, 99) werden Wehrdienstverweigerer in Friedenszeiten mit einer Freiheitsstrafe von einem bis sechs Monaten bestraft, nach der sie ihren Wehrdienst vollständig ableisten müssen. In Kriegszeiten ist Wehrdienstverweigerung eine Straftat, die mit bis zu fünf Jahren Gefängnis geahndet wird. Desertion wird nach dem Militärstrafgesetzbuch (Artikel 100, 101) in Friedenszeiten mit einer Freiheitsstrafe von einem bis fünf Jahren bestraft und kann in Kriegszeiten zu einer bis zu doppelt so langen Haftstrafe führen.

Umsetzung der Bestimmungen und Systematik bei der Vorgehensweise

Eine Quelle gibt an, dass Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich nicht inhaftiert werden und direkt zur militärischen Ausbildung oder zum Militärdienst geschickt werden, eine Praxis, die mit dem Bedarf der Regierung an Arbeitskräften begründet wird. Andere Quellen berichten dagegen, dass Wehrdienstverweigerer vor ihrer Einberufung zum Militärdienst festgenommen oder inhaftiert würden. Auch Deserteure werden inhaftiert. Ein Experte gibt an, dass Deserteure vor ein Militärgericht gestellt und zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt würden, da die Armee an der Front Kräfte benötige. Das Syrian Network for Human Rights (SNHR) erklärte, dass Deserteure in der Regel von Zweigstellen eines syrischen Geheimdienstes festgehalten werden, was sie der Gefahr von Folter und gewaltsamem Verschwindenlassen aussetzen kann. Ein vom Danish Immigration Service (DIS) befragter westlicher Diplomat erklärte, die Regierung werde Deserteure nicht nur nach den gesetzlichen Bestimmungen bestrafen, sondern auch die Bestimmungen des Antiterrorismusgesetzes von 2012 (Dekret Nr. 19/2012) anwenden. Bezüglich der Frage, ob Deserteure von der Regierung getötet und hingerichtet werden, wie dies in den ersten Kriegsjahren der Fall war, bestehen unterschiedliche Ansichten. Während manche Quellen berichten, dass die Regierung dies nicht mehr täte, verwiesen andere auf Fälle aus den Jahren 2020 und 2019, bei denen Deserteure während der Idlib-Offensive (2020) und wegen Verrats (2019) hingerichtet wurden. Wenn der Deserteur eine Vorgeschichte mit Aktivitäten gegen die Staatssicherheitsdienste hat, kann ihm eine längere Haftstrafe oder die Hinrichtung drohen.

Laut einem befragten syrischen Rechtsexperten werden die Strafen für Wehrdienstverweigerung und Desertion in Syrien im Allgemeinen vollstreckt, es sei denn, sie fallen unter ein Amnestiegesetz. Alle Amnestiegesetze seit Mitte März 2011 sehen jedoch vor, dass sich Wehrdienstverweigerer und Deserteure innerhalb von drei bis sechs Monaten zur Ableistung des verpflichtenden Wehrdienstes melden müssen. Darüber hinaus wurden seit Konfliktbeginn so genannte lokale Versöhnungsabkommen (musalahat mahalieh) und Sicherheitsvergleiche/Statusregelungen (tasweiat amnieh) geschlossen, die ebenfalls vorsehen, dass betroffene Wehrdienstverweigerer und Deserteure sanktionslos in die Armee (wieder-) eintreten. Während eine Quelle berichtet, dass Personen, die aufgrund einer Wehrdienstverweigerung eine Statusregelung erhalten haben, nach ihrer Rückkehr in der Regel keine Probleme mit der Regierung haben, berichten andere von vorübergehenden Festnahmen von Wehrdienstverweigerern trotz Statusregelung. Einzelne Personen in Aleppo berichteten, dass sie durch die Teilnahme am Versöhnungsprozess einem größeren Risiko ausgesetzt seien, bei späteren Interaktionen mit Sicherheitsbeamten verhaftet und erpresst zu werden.

Im Oktober 2018 verkündeten regierungsnahe syrische Medien, dass rund 800.000 Männer nicht mehr der Wehrpflicht unterliegen würden. Zwei Monate später machte das Verteidigungsministerium die Entscheidung rückgängig und veröffentlichte Listen für den Reservedienst, was bei Rückkehrern zu einer gewissen Verwirrung führte, da einige von ihnen dachten, sie könnten zurückkehren, ohne Militärdienst leisten zu müssen.

Die Anwendung der Artikel 98 und 99 des Militärstrafgesetzbuchs erfolgt willkürlich [s. weiter unten für eine Definition des Begriffs „willkürlich“, Anm.]. Die meisten Verhaftungen in Syrien finden ohne richterlichen Beschluss statt, wenn Personen Kontrollpunkte des Regimes passieren, oder bei Razzien. Wehrdienstverweigerer und Militärdeserteure werden meist festgenommen, wenn sie an Kontrollpunkten aufgegriffen werden. Die Militärpolizei stellt regelmäßig Kontrollpunkte an wichtigen Kreuzungen auf und führt Hausdurchsuchungen durch, um Männer zu finden, die zum Wehrdienst eingezogen werden sollen. Die Kontrollpunkte werden von verschiedenen militärischen Gruppierungen und Sicherheitsbehörden kontrolliert und befinden sich an den meisten Ortseingängen und an den wichtigsten Autobahnen. In den zurückeroberten Gebieten ist die Dichte der Kontrollpunkte besonders hoch. Eine Quelle berichtet, dass Jugendliche an den Kontrollpunkten immer kontrolliert werden.

Einem Bericht des Syria Justice and Accountability Centre (SJAC) zufolge lieferte das Generalkommando der Streitkräfte Informationen über Deserteure und Überläufer an den Militärischen Geheimdienst der Sicherheitsdienste. Das Generalkommando der Streitkräfte erteilt dann Befehle auf der Grundlage der Anweisungen der Direktion des Militärischen Geheimdienstes. In der Praxis wurden Haftbefehle häufig direkt von der Direktion Militärischer Geheimdienst und nicht vom Generalkommando der Streitkräfte erlassen. Deserteure werden auf Fahndungslisten gesetzt und, wenn sie gefasst werden, verhaftet.

Zwischen den verschiedenen Sicherheits- und Geheimdiensten besteht ein Mangel an Koordination. Da jede Behörde eigene Fahndungslisten führt, kann es vorkommen, dass eine Person von der Fahndungsliste eines Sicherheitsdienstes gestrichen wird, während sie noch von einem anderen Sicherheitsdienst gesucht wird. So berichteten Befragte, dass sie ihren Namen vor ihrer Rückkehr nach Syrien mit den Fahndungslisten in ihrem Herkunftsgebiet verglichen haben, und nach der Rückkehr trotzdem durch die Sicherheitsbehörden verfolgt wurden. Auch wird davon berichtet, dass Beamte des Sicherheitsapparats z.B. an Grenzübergängen Gelegenheiten nützen, um Bestechungsgelder zu erpressen.

Konkrete Fälle von Bestrafungen aufgrund von Wehrdienstverweigerung oder Desertion

Ein befragter syrischer Rechtsexperte wies darauf hin, dass es keine offiziellen Berichte über die Strafverfolgung von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren gibt und bezüglich dieses Themas wenig Transparenz herrscht. Die Praxis der syrischen Regierung, keine Listen von Inhaftierten oder Informationen zu ihrem Verbleib zu veröffentlichen – selbst bei unter Folter Getöteten –, bezeichnete eine andere Quelle als „systematische Politik der Intransparenz des Regimes“, welche von Beamten zum Teil auch ökonomisch ausgenutzt wird. Der befragte Rechtsexperte verwies in diesem Zusammenhang jedoch auf Berichte von internationalen Organisationen und syrischen Nichtregierungsorganisationen wie dem Syrian Network for Human Rights (SNHR).

Hinsichtlich konkreter Fälle von Bestrafungen von Wehrdienstverweigerern dokumentierte SNHR im Zeitraum Jänner-Juli 2022 willkürliche Verhaftungen von syrischen Bürgern in den Gouvernements Rif Dismashq, Hasaka, Raqqa und Hama, wobei die meisten Verhaftungen bei Razzien und an Kontrollpunkten erfolgten und die Verhaftungen unter anderem unter dem Vorwand, die betroffenen Personen hätten den Reservewehrdienst noch nicht abgeleistet, erfolgten. Im April 2021 berichtete SNHR von der Freilassung von insgesamt 45 Häftlingen, darunter Wehrdienstpflichtige aus dem Gouvernement Daraa, die als Teil einer Sonderbegnadigung durch den Präsidenten im Rahmen der vom syrischen Regime im Gouvernement Daraa getroffenen Versöhnungsvereinbarungen freigelassen wurden. Sie verbrachten im Durchschnitt ein bis zwei Jahre in den Haftanstalten des syrischen Regimes, wobei SNHR von schlechten Haftbedingungen, Folterpraktiken, einem fast vollständigen Mangel an medizinischer Versorgung und einer starken Überbelegung der Haftanstalten berichtet. Die Personen wurden festgenommen, ohne dass ihnen die Gründe für ihre Festnahme erklärt wurden und ohne dass ein Haftbefehl vorlag.

Human Rights Watch (HRW) berichtete im Oktober 2021 über die willkürliche Festnahme eines Mannes an einem Kontrollpunkt, als er auf dem Weg von Daraa nach Damaskus war, um eine formale Befreiung vom Militärdienst zu erhalten, da er bei einem Bombenangriff ein Bein verloren hatte. Er passierte viele Kontrollpunkte, wobei er an einem Kontrollpunkt der vierten Division Bestechungsgeld zahlen musste. Schließlich wurde er an einem weiteren Kontrollpunkt, der von der vierten Division gemeinsam mit dem militärischen Nachrichtendienst betrieben wird, festgenommen und in die Zentrale des militärischen Geheimdienstes gebracht. Dort wurde er verhört und nach zweieinhalb Monaten der Haft und Folter wieder entlassen.

Ein Nachrichtenartikel zitierte einen Syrer, der im Libanon in einem Flüchtlingslager lebt und angibt, dass ein Mann, der die Grenze überquert und nach Hause zurückkehrt, oft zwangsrekrutiert wird oder verschwindet. So sei es zwei seiner Cousins ergangen, die nach der Rückkehr nach Syrien verhaftet wurden, einem Verwandten, der hingerichtet wurde, und einem 12-jährigen Neffen, der am Tag seiner Einreise nach Syrien verschwand.

Hinsichtlich konkreter Fälle von Bestrafungen von Deserteuren berichtete HRW im Oktober 2021 von einem Fall, bei dem ein Deserteur nach seiner Rückkehr nach Syrien durch den militärischen Geheimdienst verhaftet wurde, vermutlich, weil ihn jemand verraten hat. Er befand sich daraufhin neun Monate in Haft, unterzeichnete dann ein Versöhnungsabkommen und stimmte dem Wiedereintritt in die Armee zu. Seine Frau berichtete, dass sein Körper nach der Zeit im Militärgefängnis und bei der Armee Spuren der Misshandlung und Folter aufwies, wobei ihm die Behandlung bei der Armee zuteil geworden war, weil er zuvor desertiert war. Im Jahr 2021 verbreitete sich ein Video, das die Folter und Tötung eines Deserteurs, sowie die Schändung seiner Leiche, durch Söldner der paramilitärischen Wagner-Gruppe zeigt. Der Deserteur war 2017 nach Syrien zurückgekehrt und auf dem Weg von Damaskus nach Deir ez-Zor von syrischen Beamten an einem Kontrollpunkt aufgehalten worden. Er wurde zu einem Luftwaffenstützpunkt in der Wüste außerhalb von Homs gebracht, von wo aus er vermutlich floh und sich in das Lager der Wagner-Gruppe verirrte.

Unterstellung oppositionell zu sein aufgrund einer Wehrdienstverweigerung

Bezüglich dem Vorwurf gegen Wehrdienstverweigerer, politisch oppositionell zu sein, berichtet Amnesty International (AI) von Terrorismusvorwürfen syrischer Sicherheitsbeamter bei Befragungen von Rückkehrern und Personen, die den Wehrdienst nicht abgeleistet haben. Einem Rückkehrer aus dem Libanon, der von Geheimdienstmitarbeitern zweieinhalb Monate lang festgehalten und verhört wurde, warfen die Behörden vor, aufgrund seines Herkunftsortes im Süden von Aleppo und weil er den Militärdienst nicht abgeleistet hatte, „Terrorist“ zu sein. Laut Zeugenaussagen wurde Rückkehrern vorgeworfen, ins Ausland gegangen zu sein, anstatt in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Zuflucht zu suchen und sich an die Seite der syrischen Armee zu stellen. Eine von AI befragte Syrerin berichtete, dass ihr bei der Rückkehr im Jahr 2017 am Grenzübergang von einem Beamten vorgeworfen wurde, Syrien verlassen zu haben und dass ihr ebenfalls zurückkehrender Sohn bei der Bekämpfung der „Terroristen“ nicht geholfen hätte. Sie berichtete, dass sie daraufhin von dem Beamten vergewaltigt und ihr Sohn verhaftet wurde, der seitdem verschwunden ist. Auch bei der weiter oben zitierten, von HRW geschilderten Festnahme und Folter eines Mannes, der den Wehrdienst nicht abgeleistet hat und aufgrund seiner Beinamputation nach Damaskus reisen wollte, um eine Wehrdienstbefreiung zu erwirken, warfen die syrischen Sicherheitskräfte dem Verhafteten vor, „Terrorist“ zu sein.

Während ein befrager Rechtsexperte angibt, dass insbesondere jene Wehrdienstverweigerer und Deserteure Menschenrechtsverletungen in der Haft ausgesetzt sind, denen die syrischen Behörden eine Unterstützung der Opposition zuschreiben, berichten andere Quellen, dass syrische Männer im wehrdienstfähigen Alter unabhängig von ihrer politischen Gesinnung oder oppositioneller Tätigkeiten Angst vor einem Einzug zum Wehrdienst hätten und Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte meiden würden. Eine Quelle betont die Unberechenbarkeit der aktuellen Bedrohungen: das Konzept des Regimes, wer ein Gegner ist, ist nicht immer klar und wandelt sich mitunter auch. Während die „roten Linien“ des politisch Erlaubten für die meisten Syrer vor Ausbruch des Konflikts 2011 erkennbar waren, kann inzwischen nur noch sehr wenig als selbstverständlich angesehen werden.

Bestrafung „in asylrelevant diskriminierender Weise“/Menschenrechtsverletzungen

Nach internationalem Recht ist eine Inhaftierung willkürlich, wenn die festhaltende Behörde die grundlegenden Rechte auf ein ordnungsgemäßes Verfahren, einschließlich des Rechts auf eine unverzügliche Anhörung vor einem Richter, verletzt. Eine Inhaftierung ist auch dann willkürlich, wenn sie keine eindeutige Grundlage im innerstaatlichen Recht hat oder wenn die Person inhaftiert wird, weil sie ein Grundrecht, wie das der Versammlungsfreiheit, wahrgenommen hat. Artikel 9 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) besagt: „Jeder hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person. Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Niemandem darf die Freiheit entzogen werden, es sei denn aus einem gesetzlich festgelegten Grund und nach einem gesetzlich festgelegten Verfahren.“ Der UN-Menschenrechtsausschuss hat klargestellt, dass der Begriff „willkürlich“ in Artikel 9 Absatz 1 des ICCPR weit auszulegen ist und Elemente der Unangemessenheit, Ungerechtigkeit und fehlenden Vorhersehbarkeit und des ordnungsgemäßen Verfahrens sowie Elemente der Angemessenheit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit umfasst. Festnahmen, für die es keine Rechtsgrundlage gibt, sind ebenfalls willkürlich.

Während manche Quellen von willkürlichen Verhaftungen, Folterpraktiken und schlechten Haftbedingungen berichten [s. Abschnitt zu konkreten Fällen von Bestrafungen von Wehrdienstverweigerern, Anm.], berichtet ein befragter syrischer Rechtsexperte, dass Wehrdienstverweigerer im Allgemeinen nach dem Gesetz verhaftet werden. Ihm liegen keine Berichte vor, die auf Menschenrechtsverletzungen gegenüber Wehrdienstverweigerern hindeuten, jedoch sind diese in syrischen Haftanstalten möglich [vgl. dies mit den Angaben desselben Rechtsexperten zur Informationslage weiter oben, Anm.]. Diese stellen die Ausnahme von der allgemeinen Regel dar und betreffen insbesondere Wehrdienstverweigerer und übergelaufene Soldaten, die von der syrischen Regierung als politische Gegner wahrgenommen werden. Auch gibt es Berichte, dass Rückkehrer trotz Versprechungen, dass sie vom Wehrdienst befreit würden, eingezogen wurden. Im Zusammenhang mit der Fragestellung verweist der Rechtsexperte auch auf das Gesetzesdekret Nr. 16 vom 29.3.2022, das Folter unter Strafe stellt. Laut dem befragten Experten bleibt abzuwarten, ob dieses Gesetz wirksam umgesetzt wird [SNHR dokumentierte im Zeitraum 30.3.2022 bis Juni 2022 Todesfälle durch Folter in syrischen Haftanstalten und verweist auf Lücken im Gesetz, Anm.].

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen stützt sich auf Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte und Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit beinhalten. Diese Artikel enthalten jedoch keinen spezifischen Hinweis auf die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Das Human Rights Committee (HRC) [der UN, Anm.] kam jedoch zu dem Schluss, dass das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen aufgrund seiner Aufnahme in Artikel 18 garantiert ist. Es hat seinen Standpunkt auch in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 22 (1993) über das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit und in seiner Rechtsprechung zu einzelnen dem HRC vorgelegten Mitteilungen dargelegt. Während Wehrdienstentzug per se noch kein Grund für einen Flüchtlingsstatus ist, kann es somit die Basis für einen Asylantrag sein, wenn die Regierung dem Wehrdienstverweigerer eine politische Meinung zuschreibt, für die der Staat diese Person verfolgen würde, wenn das Militär, in dem ein Wehrpflichtiger dienen müsste, systematisch Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder andere schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts oder der internationalen Menschenrechte begangen hat, oder wenn der Asylwerber Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen ist und es keine sinnvolle Alternative zur Wehrpflicht für Kriegsdienstverweigerer gibt. Die Gesetzgebung der Syrischen Arabischen Repubik (insb. Artikel 12 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007) kennt das Recht auf eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen nicht.

[…]

1.3.10. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Fragen des BVwG zu syrischen Wehrgesetzen vom 16.09.2022:

[…]

Einzelquellen:

Einzelquelle:

Gesetzesgrundlage

Ein befragter Rechtsexperte der ÖB Damaskus berichtet, dass nach syrischem Recht folgende Gesetzgebung gilt: Wehrdienstverweigerung (takhalof) wird in Syrien durch das Gesetzesdekret Nr. 30 vom 3. Mai 2007 in seiner geänderten Fassung – das „Einberufungsgesetz“ oder, wie es aus dem Arabischen übersetzt wird, das „Flaggendienstgesetz“ (Kanun Khedemat Al-Alam) – (Artikel 95-96)1 sowie durch das syrische Militärstrafgesetzbuch (Kanun Al-oukoubat alaskari) geregelt, das durch das Gesetzesdekret Nr. 61 vom 27.2.1950 (Artikel 98-99) erlassen wurde. In den oben genannten Rechtsvorschriften sind die Strafen für Wehrdienstverweigerung festgelegt, die je nach Dauer der Verweigerung schrittweise verhängt werden (siehe unten).

Gesetzliche Strafe

Die verspätete persönliche Meldung zur Einberufung zur Wehrpflicht oder die Umgehung des Wehrdienstes ohne gerechtfertigten Grund wird gemäß Artikel 95 und 96 des Gesetzesdekrets Nr. 30 des Jahres 2007 in seiner geänderten Fassung mit einer Geldstrafe in Höhe von 15.000 SP. (fünfzehntausend Syrische Pfund) bestraft, wenn der Hinterzieher seinen Wohnsitz in Syrien hatte, und mit einer Geldstrafe in Höhe von 100 USD (einhundert US-Dollar), wenn der Hinterzieher seinen Wohnsitz im Ausland hatte (Artikel 95 des Gesetzesdekrets Nr. 30 aus dem Jahr 2007, geändert durch das Gesetzesdekret Nr. 31 aus dem Jahr 2020).

Darüber hinaus wird der Wehrpflichtige, der ohne gerechtfertigten Grund dem Einberufungsbefehl nicht nachkommt, an jedem Ort, an dem er angetroffen wird, verhaftet (dieser Haftbefehl gilt ab dem Tag der Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls, bis der Wehrdienstverweigerer 42 Jahre alt wird)2 und er wird wie folgt verurteilt (Artikel 96):

a) Der Wehrdienstverweigerer, welcher der Einberufung zur Wehrpflicht für einen Zeitraum von höchstens einem Monat nicht nachkommt, wird zu einer Geldstrafe in Höhe von zwei Monatsgehältern eines Soldaten erster Klasse und zur Verlängerung seiner ursprünglichen Wehrdienstzeit um zwei Monate verurteilt3.

b) Der Wehrdienstverweigerer, der der Einberufung zur Wehrpflicht für einen Zeitraum von höchstens drei Monaten nicht nachkommt, wird zu einer Geldstrafe in Höhe von drei Monatsgehältern eines Soldaten erster Klasse und zur Verlängerung seiner ursprünglichen Wehrdienstzeit um drei Monate verurteilt.

c) Der Wehrdienstverweigerer, der der Einberufung zur Wehrpflicht für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten nicht nachkommt, wird zu einer Geldstrafe in Höhe von vier Monatsgehältern eines Soldaten erster Klasse und zur Verlängerung seiner ursprünglichen Wehrdienstzeit um vier Monate verurteilt.

d)Bei Wiederholung des oben genannten Vergehens (d.h. der Wehrpflichtige versäumt es mehr als einmal, der Einberufung zum Wehrdienst für Personen seines Alters ohne rechtfertigenden Grund nachzukommen, oder wenn der Wehrdienstverweigerer der Einberufung zum Wehrdienst länger als sechs Monate nicht nachkommt, wird er vor dem Militärgericht angeklagt, und in Friedenszeiten gemäß Artikel 98 des syrischen Militärstrafgesetzbuchs zu einer Freiheitsstrafe von ein bis sechs Monaten und in Kriegszeiten zu härteren Strafen verurteilt, die je nach Fall zwischen einem Monat und bis zu fünf Jahren Haft liegen, wie in Artikel 99 des syrischen Militärstrafgesetzbuchs ausgeführt. Darüber hinaus wird die Dauer der Wehrpflicht für Wehrdienstverweigerer um sechs Monate verlängert (Artikel 96/d des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 in seiner geänderten Fassung).

Es ist zu beachten, dass die oben genannten Strafen in Artikel 98 und 99 des Militärstrafgesetzbuchs in der geänderten Fassung für neue Wehrpflichtige gelten, die sich der Einberufung entzogen haben und der Einberufung zur Wehrpflicht nicht nachgekommen sind. Die in Artikel 102 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 in seiner geänderten Fassung genannten Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren und Geldstrafen gelten nur für Reservisten (d.h. Personen, die bereits Wehrdienst geleistet und das 42. Lebensjahr noch nicht vollendet haben), welche der Einberufung zum Wehrdienst ohne gerechtfertigtem Grund nicht nachgekommen sind (Artikel 102 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007).

Es wird darauf hingewiesen, dass das Gesetzesdekret Nr. 30 aus dem Jahr 2007 in der geänderten Fassung die Möglichkeit vorsieht, die Anwendung der oben genannten Sanktionen für die Nichteinberufung zum Wehrdienst (Wehrdienstverweigerung) bis zum Ende des Krieges auszusetzen oder zu verschieben (Artikel 102/c des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 in der geänderten Fassung).

[…]

1.3.11. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Gebietskontrolle Ort Shahil, Gouvernement Deir ez-Zor:

[…]

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass sich der Ort Shahil im Gouvernement Deir ez-Zor im Gebiet unter Kontrolle der kurdischen Kräfte, d.h. der Volksverteidigungseinheiten [Yekîneyên Parastina Gel, YPG] bzw. SDF [Syrian Democratic Forces, werden von den YPG dominiert], befindet. Laut einem von ACCORD befragten Experten besteht scheinbar eine inoffizielle Vereinbarung zwischen den Sicherheitskräften der Selbstverwaltung von Nord-und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) und der syrischen Regierung über einen Informationsaustausch zu Einreisenden am irakisch-syrischen Grenzübergang Faysh Khabour, der auf syrischer Seite unter Kontrolle der AANES steht. Die syrische Regierung weiß somit, wenn jemand über diesen Grenzübergang in die AANES einreist. Von der syrischen Regierung gesuchte Reservisten beispielsweise können von den syrischen Regierungskräften jedoch nicht in der AANES gefasst werden –mit Ausnahme von jenen Gebieten, in denen die syrische Regierung über eine Präsenz verfügt. Abgesehen davon ist es für von der syrischen Regierung gesuchte Reservisten in dieser Hinsicht in der AANES laut dem zitierten Experten „relativ sicher“.

[…]

1.3.12. ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien vom 18.08.2023: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front [a-12188]:
Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften (Tod, Folter, Freiheitsentzug)

Das Rojava Information Center (RIC) veröffentlicht im Juni 2020 eine englische Übersetzung des Militärdienstgesetzes von Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES). Laut Artikel 13 werde jede Abwesenheit mit einer Verlängerung der Dienstzeit um einen Monat bestraft. Ein Wehrpflichtiger gelte als abwesend, wenn die Person kein 2/11

Selbstverteidigungsdienstbuch erhalten habe und/oder nicht binnen 60 Tagen ab Datum des Einzugs in den Selbstverteidigungsbüros vorstellig geworden sei (RIC, Juni 2020).

Das Danish Immigration Service (DIS) veröffentlicht im Juni 2022 einen Bericht über militärische Rekrutierung in der Provinz Hasaka. Für den Bericht führte DIS im Jänner und Februar 2022 fünfzehn Interviews mit Expert·innen und Informanten, die unter anderem über die Situation von Personen, die sich dem Selbstverteidigungsdienst entziehen, befragt wurden. Laut einem kurdisch-syrischen Journalisten und Autoren aus Qamischli, sowie Wladimir van Wilgenburg (Journalist, politischer Analyst und Autor mehrerer Bücher über Kurd·innen in Syrien) sei Kriegsdienstverweigerung für Wehrpflichtige in der AANES keine Option (DIS, Juni 2022, Sitzung 49; DIS, Juni 2022, Sitzung 70).

Fabrice Balanche, Associate Professor an der Universität von Lyon 2, ein/e Expert·in der International Crisis Group, der genannte syrisch-kurdische Journalist und Autor, ein syrisch-kurdischer politischer Analyst, ein/e Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan Irak und ein syrisch-kurdischer Universitätsprofessor im Irak bestätigen gegenüber DIS, dass eine Person, die den Selbstverteidigungsdienst verweigere oder sich ihm entziehe („draft evader“), wenn sie aufgegriffen werde, direkt in ein Trainingslager überstellt werde, um ihren Dienst anzutreten (DIS, Juni 2022, Sitzung 42; DIS, Juni 2022, Sitzung 45; DIS, Juni 2022, Sitzung 49; DIS, Juni 2022, Sitzung 57; DIS, Juni 2022, Sitzung 66).

Laut Fabrice Balanche und drei lokalen Bewohnern der Provinz Hasaka könnten gefasste Wehrpflichtige, die sich dem Dienst entzogen hätten, von den Behörden festgehalten werden, bis ihr Status geklärt sei (DIS, Juni 2022, Sitzung 42) oder ein geeigneter Ausbildungsort für sie gefunden werde (DIS, Juni 2022, Sitzung 61). Laut Fabrice Balanche könnten Wehrpflichtige aus diesem Grund für ein bis zwei Tage (DIS, Juni 2022, Sitzung 42), laut den Bewohnern von Hasaka ein bis zwei Wochen (DIS, Juni 2022, Sitzung 61) inhaftiert werden. Beide Quellen hätten nicht von Misshandlungen während der Haftzeit gehört (DIS, Juni 2022, Sitzung 42; DIS, Juni 2022, Sitzung 62).

Der/Die Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan Irak habe gegenüber DIS angegeben, dass es keine Strafe für Personen gebe, die sich der Selbstverteidigungspflicht entzogen hätten (DIS, Juni 2022, Sitzung 57). Fabrice Balanche habe erwähnt, dass Wehrdienstverweigerer weder eine Geldstrafe noch eine Gefängnisstrafe erhalten würden (DIS, Juni 2022, Sitzung 42; siehe auch: DIS, Juni 2022, Sitzung 49). Laut dem/r Experten/in der International Crisis Group gebe es keine Strategie zur Inhaftierung von Wehrdienstverweigerern (DIS, Juni 2022, Sitzung 45). Der syrisch-kurdische Journalist und Autor erklärt gegenüber DIS, dass Wehrdienstverweigerer ihren Selbstverteidigungsdienst einen Monat länger als die anderen Rekruten ableisten müssten. Er habe nicht von Misshandlungen von Wehrdienstverweigerern während ihres Dienstes aufgrund ihres Entzugs vom Wehrdienst gehört (DIS, Juni 2022, Sitzung 49-50). Auch die drei Bewohner von Hasaka hätten berichtet, dass ihrer Erfahrung nach die Wehrdienstverweigerung keinen Einfluss auf die Behandlung des eingezogenen Wehrdienstverweigerers habe (DIS, Juni 2022, Sitzung 62). Der syrisch-kurdische politische Analyst habe erklärt, dass es Wehrdienstverweigerern, die gefasst würden, nicht gestattet sei, nach Hause zu gehen, um ihre Sachen zu holen oder sich von ihrer Familie zu verabschieden. Die Person könne um Erlaubnis bitten, während ihres Dienstes ihre Familie zu besuchen. Sollten die Behörden jedoch vermuten, dass die Person bei einer Freistellung desertieren könnte, werde die Genehmigung nicht erteilt. Nach Beendigung der Dienstzeit werde die Person entlassen und ihre 3/11

ursprüngliche Weigerung habe keinen Einfluss auf die Dauer der Dienstzeit (DIS, Juni 2022, Sitzung 53-54). Laut dem syrisch-kurdischen Journalisten würden Wehrdienstverweigerer in ein Gebiet weit von ihrem Wohnort entfernt geschickt und mit schwierigen Aufgaben betraut. Sie würden keine Geldstrafe erhalten (DIS, Juni 2022, Sitzung 59).

Ein von ACCORD kontaktierter Syrienexperte gibt in einer E-Mail-Auskunft vom August 2023 an, dass die Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften vom Profil des Wehrpflichtigen und der Region, aus der er stamme, abhingen. Je strenger die kurdische Kontrolle, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass Rekruten nicht das Risiko eingehen würden, offen Einwände gegen den Selbstverteidigungsdienst zu zeigen. In Hasaka beispielsweise könnten Personen im dienstfähigen Alter verhaftet und zum Dienst gezwungen werden (Syrienexperte, 15. August 2023).

[…]

Situation von Arabern

Ein Universitätsprofessor in Erbil habe gegenüber DIS im Jänner 2022 ausgesagt, dass er davon ausgehe, dass Araber, die sich dem Dienst in den Selbstverteidigungskräften entzogen hätten, nicht im gleichen Ausmaß zum Beitritt gezwungen würden wie Kurden (DIS, Juni 2022, Sitzung 66).

Fabrice Balanche erklärt in einer E-Mail an ACCORD vom August 2023, dass Araber und Kurden, die keinen Selbstverteidigungsdienst leisten, vor dem Gesetz gleichbehandelt würden. Es gebe eine Verhaftung und Zwangsbeitritt in die Selbstverteidigungskräfte. Laut Balanche zeige man in der AANES jedoch mehr Flexibilität gegenüber Arabern, um einen Aufstand zu vermeiden. Arabische Stammesführer hätten lokal die Macht und würden für bestimmte junge Araber Ausnahmen und Aufschiebungen erwirken (Balanche, 9. August 2023).

Laut dem Syrienexperten seien die speziellen Konsequenzen für Araber von Region zu Region unterschiedlich. Nicht alle von den SDF [Syrian Democratic Forces, Demokratische Kräfte Syriens] kontrollierten Gebiete würden unter derselben Art von Kontrolle stehen. In den vornehmlich arabisch besiedelten Stammesregionen von Deir Ezzour hätten die SDF beispielsweise nicht die Kapazität, eine direkte Rekrutierung wie in der Provinz Hasaka durchzusetzen (Syrienexperte, 15. August 2023).

Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern (als Gegner/ Oppositionelle)

Es konnten online keine Informationen über die Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern, gefunden werden. Gesucht wurde auf Arabisch, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Syrien, AANES, Rojava, Selbstverteidigungsdienst, Selbstverteidigungspflicht, Selbstverteidigungskräfte, verweigern, weglaufen, verstecken, Wahrnehmung, Probleme, Gegner, Oppositionelle, Anfeindung, Gesellschaft, Araber, Kurden, Stämme, Behörden

Fabrice Balanche schreibt in seiner E-Mail an ACCORD, dass Kurden Arabern im Allgemeinen nicht vertrauen und annehmen würden, dass sie gegen die AANES seien. Araber, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern würden, würden nicht als Terroristen wahrgenommen, sondern eher als Feiglinge und Gegner der AANES. Die Kurden seien pragmatisch und es sei ihnen lieber, Araber, die den Dienst verweigern, nicht in der Armee zu sehen, weil sie sich unter Umständen als Verräter entpuppen könnten (Balanche, 9. August 2023).

Laut dem von ACCORD kontaktierten Syrienexperten würden Araber, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern würden, als Gegner der kurdischen Hegemonie im Nordosten Syriens wahrgenommen (Syrienexperte, 15. August 2023).

[…]

Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front

Laut RIC würden Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht normalerweise nicht an aktiver Front kämpfen. Sie würden in der Regel eine ideologische und militärische Ausbildung absolvieren, bevor sie an Checkpoints oder Straßensperren stationiert und logistische Unterstützung für freiwillige Streitkräfte leisten würden (RIC, Juni 2020).

Laut der syrisch-kurdischen Nachrichtenagentur North Press Agency (NPA) würden Rekruten des Selbstverteidigungsdienstes dazu eingesetzt, Militärgebäude zu bewachen und würden an Militäreinsätzen gegen den Islamischen Staat (IS) teilnehmen (NPA, 23. Februar 2022).

Die Interviewpartner·innen von DIS hätten übereinstimmend berichtet, dass die Wehrpflichtigen der Selbstverteidigungskräfte allgemein nicht an der Front eingesetzt würden (DIS, Juni 2022, Sitzung 37; DIS, Juni 2022, Sitzung 49; DIS, Juni 2022, Sitzung 57; DIS, Juni 2022, Sitzung 60; DIS, Juni 2022, Sitzung 63; DIS, Juni 2022, Sitzung 67; DIS, Juni 2022, Sitzung 71) Der Universitätsprofessor habe gegenüber DIS erklärt, dass der ideologische Zweck der Selbstverteidigungspflicht darin bestehe, die Jugend auf Sicherheitsnotsituationen vorzubereiten. Die Wehrpflichtigen würden hauptsächlich für Aufgaben der inneren Sicherheit in den Städten eingesetzt (DIS, Juni 2022, Sitzung 67). Der/die Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan Irak habe angegeben, dass die Aufgabe der Selbstverteidigungspflichtigen darin bestehe, das Sicherheitsvakuum in Nordostsyrien zu füllen. In städtischen Gebieten seien sie für die Bewachung der öffentlichen Gebäude und der AANES-Institutionen verantwortlich. Wehrpflichtige könnten auch an der Front eingesetzt werden, um professionelle Kräfte, die an vorderster Front kämpfen, zum Beispiel durch Logistik und Bewachung der eroberten Gebiete etc. zu unterstützen (DIS, Juni 2022, Sitzung 57). Laut Aram Hanna, Sprecher der SDF, würden die Selbstverteidigungspflichtigen zum Schutz von befreiten Gebieten, nicht jedoch zum Kampf in selbigen, eingesetzt (DIS, Juni 2022, Sitzung 37-38). Laut Wladimir von Wilgenburg sei es die Hauptaufgabe von Wehrpflichtigen, Versorgungswege im Hintergrund zu schützen (DIS, Juni 2022, Sitzung 71). Zwei lokale Bewohner hätten gegenüber DIS erklärt, dass es als Rekruten der Selbstverteidigungspflicht ihre Aufgabe gewesen sei, die Straße zwischen dem Al-Omar-Ölfeld und dem Al-Tanak-Ölfeld in der Provinz Deir Ezzour zu schützen und zu sichern. Andere hätten die drei Hauptstaudämme in Syrien, die sich in den von der AANES kontrollierten Gebieten befinden, geschützt (DIS, Juni 2022, Sitzung 63). Drei der Interviewpartner·innen hätten gegenüber DIS angegeben, dass die Wehrpflichtigen dafür eingesetzt würden, Checkpoints zu sichern (DIS, Juni 2022, Sitzung 43; DIS, Juni 2022, Sitzung 46; DIS, Juni 2022, Sitzung 71). Laut Fabrice Balanche gebe es Fälle, bei denen Rekruten an Checkpoints getötet worden seien (DIS, Juni 2022, Sitzung 43). Laut dem/r Experten/in der International Crisis Group würden Wehrpflichtige meist in ihren eigenen Provinzen eingesetzt. Araber hätten sich darüber beschwert, dass die Provinzen, in denen sie dienen, weniger sicher seien, da es dort mehr IS-Angriffe gebe als in anderen Gebieten Nordostsyriens (DIS, Juni 2022, Sitzung 46). Der Journalist und Autor habe angemerkt, dass es angesichts der Tatsache, dass es sich beim Selbstverteidigungsdienst um einen Militärdienst handle, möglich sei, dass Militärkommandanten entscheiden würden, Rekruten auch für Kämpfe einzusetzen (DIS, Juni 2022, Sitzung 49-50). Auch der syrisch-kurdische Journalist habe angegeben, dass Wehrpflichtige der Selbstverteidigungspflicht in Konfliktzeiten zum Kampf eingesetzt werden könnten (DIS, Juni 2022, Sitzung 60). Laut des politischen Analysten sowie dem/r Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan sei es möglich, dass Wehrpflichtige freiwillig kämpfen würden (DIS, Juni 2022, Sitzung 53; DIS, Juni 2022, Sitzung 57). Die drei lokalen Bewohner hätten angegeben, dass es Situation gegeben habe, in denen die Behörden die Selbstverteidigungskräfte für Kämpfe eingesetzt hätten, wie zum Beispiel während der Operation in Raqqa im Jahr 2017 und beim Gefängnisaufstand in Hasaka im Jänner 2022 (DIS, Juni 2022, Sitzung 63).

Fabrice Balanche merkte in seiner E-Mail-Auskunft an ACCORD an, dass es im Gebiet der AANES seit Oktober 2019 keine aktive Front mehr gebe. Wehrpflichtige würden nicht an die Front geschickt. Sie könnten jedoch durch Terroranschläge hinter der Frontlinie getötet werden. Es gebe gefährliche Gebiete, wie beispielsweise südöstlich der Provinz Deir Ezzour und Wehrpflichtige würden regelmäßig bei Patrouillen oder an Straßensperren getötet (Balanche, 9. August 2023).

Auch der kontaktierte Syrienexperte gab in seiner E-Mail an, dass ihm keine Fälle bekannt seien, in denen Rekruten an die Front geschickt würden. Die aktuelle Phase des Konflikts zeichne sich durch eingefrorene Frontlinien und einem Konflikt von geringer Intensität aus (Syrienexperte, 15. August 2023).

[…]

1.3.13. Themenbericht der Staatendokumentation zu Grenzübergängen in Syrien, Version 1, 25.10.2023:

[…]

5 Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES)

Letzte Änderung 2023-10-25 15:30

Stabilität der Lage

Der Grenzübergang von Semalka/Fishkhabur [Anm.: auch Faysh Khabour, Peshkhabour] ist politisch wie wirtschaftlich zentral für das Überleben des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES]. Er stellt die einzige Einreisemöglichkeit für die zahlreichen NGOs dar, welche unverzichtbare Hilfe für die Bevölkerung dieser Region leisten. Da die syrische Regierung für die Einreise über Semalka weiterhin eine Strafe von fünf Jahren Haft vorsieht, müssen die Organisationen darauf achten, keine Aktivitäten in von der Regierung kontrollierten Gebieten durchzuführen. Jeder Akkreditierungsantrag beim Syrischen Roten Halbmond für die Arbeit im Regimegebiet setzt die Zusage der NGO voraus, jegliche Aktivitäten einzustellen, welche die Einreise aus Nachbarländern in das Selbstverwaltungsgebiet bedingen. Während Assad so zumindest einen Aspekt seiner Grenzsouveränität wieder zu erlangen versucht, bemühen sich russische Patrouillen, trotz Widerstands der SDF (Syrian Democratic Forces) bis nach Semalka vorzudringen, und irakische Milizen drohen mit der Besetzung des Grenzübergangs auf irakischer Seite (TWI/Balanche 10.2.2021).

Vor den Wahlen am 14.5.2023 drohte auch die Türkei mit einer Invasion in Nordsyrien. Der Widerstand Russlands, Irans und der USA gebot dem jedoch Einhalt. Manche kurdische Aktivist:innen fürchten allerdings, dass die Türkei eine Militäroperation starten könnte, während die Welt durch den israelisch-palästinensischen Konflikt abgelenkt ist. Gemäß dem Journalisten Wladimir van Wilgenburg, dessen Schwerpunkt auf den Kurdengebieten in Syrien und im Irak liegt, sieht es zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht danach aus (van Wilgenburg 9.10.2023). Die Türkei übt allerdings durch die Lahmlegung von Infrastruktur Druck aus. Laut Thomas Schmidinger, einem Experten für die Lage in den kurdischen Gebieten Syriens, geht die Türkei ’systematisch’ gegen die zivile Infrastruktur vor und bombardierte Elektrizitätswerke, Getreidesilos sowie die Öl-, Gas- und Wasserversorgung. Mittlerweile sind gemäß Schmidinger alle Städte in der Selbstverwaltungsregion ohne Wasser- und Stromversorgung. Benzin, Öl und Gas sind kaum noch erhältlich, und wenn, dann zu extrem hohen Preisen. Der Großteil der heurigen Getreideernte ist vernichtet und Schmidinger warnt vor einer Hungersnot im Winter (Der Standard 13.10.2023).

Der Journalist Hisham Arafat beschrieb die Lage gegenüber van Wilgenburg als ’fließend’, in der ’Allianzen und Rivalitäten weiterhin wechseln’, wobei aktuell keine größere Machtverschiebung im Nordosten in Sicht scheint. Die SDF haben die Lage großteils unter Kontrolle, vorausgesetzt die USA halten ihre Militärpräsenz im Nordosten aufrecht. Die US-Wahlen im November 2024 könnten diesbezüglich die Lage ändern, falls die Republikanische Partei gewinnt, und den Abzug aus Syrien (und sogar dem Irak) beschließen sollte (van Wilgenburg 9.10.2023).

Die Präsenz von Regierungskräften im Selbstverwaltungsgebiet

’Rojava’ (AANES) erhält nach dem Wissensstand von Hisham Arafat vom September 2021 eine gewisse De facto-Autonomie in Nord- und Ost-Syrien aufrecht, während das syrische Regime in einigen Gebieten und besonders entlang der Highways vertreten ist. Verhandlungen haben dann und wann zwischen den beiden Seiten stattgefunden, aber eine politische Einigung bleibt außer Reichweite (van Wilgenburg 9.10.2023).

Innerhalb der Städte Qamishli und al-Hassakah gibt es Gebiete unter Regimekontrolle. In Qamishli gibt es einen ’Sicherheitsabschnitt’ (’security square’), der unter der Kontrolle der syrischen Armee steht, während der Rest der Stadt von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (KR: Yekîneyên Parastina Gel, YPG) kontrolliert wird. In al-Hassaka ist die Regierungskontrolle auf einen sehr kleinen Abschnitt beschränkt, der weniger als einen Quadratkilometer umfasst (ACCORD 14.6.2023). In beiden Städten können die syrischen Sicherheitskräfte beim Betreten der ’Sicherheitsabschnitte’ Kontrollen durchführen. Ein Checkpoint des Regimes befindet sich auch nach der Grenze, und der Flughafen [Anm.: von Qamishli] wird von syrischen Regierungskräften kontrolliert (van Wilgenburg 2.9.2023). In der Vergangenheit wurden einige Journalist:innen in Qamishli von Regierungskräften verhaftet, z. B. ein schwedischer Journalist im Jahr 2015. Dies geschah beim Filmen nach Betreten des ’Sicherheitsabschnitts’ (van Wilgenburg 9.10.2023), wobei der Journalist eine Woche später wieder freigelassen wurde (REU 22.2.2015). Das Betreten der regimekontrollierten Gebiete kann auch ohne Aufforderung zum Vorzeigen eines Identitätsnachweises erfolgen. Allerdings geht es im Sicherheitsabschnitt in al-Hassakah laut einem kurdischen Aktivisten strenger zu (van Wilgenburg 9.10.2023). In der 44 Nähe des Flughafens von Qamishli befindet sich auch eine Zone im Graubereich, wo es ebenso möglich ist, von regierungsnahen Kräften festgenommen zu werden (ACCORD 14.6.2023). Auf dem Land im südlichen Qamishli gibt es ebenfalls syrische Checkpoints, an denen Personen angehalten werden können (van Wilgenburg 2.9.2023), wo es eine Anzahl arabischer Dörfer unter Regimekontrolle gibt (van Wilgenburg 9.10.2023). Die Armee-Checkpoints haben dort auch schon von Zeit zu Zeit US-Patrouillen aufgehalten und gezwungen, wieder wegzufahren (van Wilgenburg 9.10.2023).

Die Checkpoints sind mit Mitgliedern der syrischen Armee (SAA - Syrian Arab Army) oder der National Defence Forces (NDF) besetzt. Einmal kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der NDF und Mitgliedern des Jubour-Stammes, nachdem ein Stammesmitglied im Sicherheitsabschnitt von al-Hassakah beleidigt worden war. Daraufhin entfernte die SAA die NDF-Kämpfer von dem Sicherheitsabschnitt und ersetzte deren Kommandanten wegen Rebellion gegen die Regierung (van Wilgenburg 9.10.2023).

Überdies gibt es syrische Armee-Positionen in den Gebieten, die an Regionen unter Kontrolle pro-türkischer Gruppen grenzen - nahe Ain Issa/Tal Tamr - sowie an der Grenze zur Türkei. Dort werden jedoch keine Personenkontrollen durchgeführt. Dazu gibt es ein Abkommen zwischen den SDF (Syrian Democratic Forces) und dem Regime vom Oktober 2019, das Russland vermittelt hat. Es sind auch Regierungstruppen an der Grenze der Provinz Manbij stationiert. Die Armee-Checkpoints sind nicht in der Lage, Personenkontrollen in den Städten durchzuführen, sie dienen vielmehr zur Abschreckung der Türkei (van Wilgenburg 2.9.2023).In Tal Rifaat ist die Situation laut van Wilgenburg eine andere als in den übrigen Gebieten. Er kann aus diesem Grund nicht sagen, ob die Regierung in Tal Rifaat Personen zum Reservedienst einziehen könne oder nicht. Die Kurden gestatten es allgemein nicht, dass die Regierung Personen in den von ihnen kontrollierten Gebieten zum Militärdienst einzieht (ACCORD 24.3.2023).

Laut einem im August 2023 von ACCORD kontaktierten Syrienexperten würden sich die Gebiete in und um Manbij zwar durch die Präsenz einiger Regierungstruppen auszeichnen, die SDF seien jedoch nach wie vor der Hauptakteur in der Region. Die SDF haben der Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern. Daher seien die Regierungstruppen zwar präsent, allerdings beschränke sich diese Präsenz auf die Durchführung von Patrouillen, meist zusammen mit der russischen Militärpolizei. In der Region sei die SDF zurzeit der wichtigste Kontrollakteur, der die Möglichkeit habe, die Lokalbevölkerung zu rekrutieren und zu verhaften. Der Syrienexperte bestätigte auf Nachfrage im September 2023, dass die syrische Regierung seines Wissens nach keine Wehrpflichtigen für den Militärdienst in Manbij einberufen könne, was auch van Wilgenburg bekräftigte. Die Menschenrechtsorganisation Syrian Network for Human Rights (SNHR) gab in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD im August 2023 dagegen an, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen und Reservisten durch die syrische Regierung an deren Zugriffsmöglichkeiten gebunden sei, was bedeute, dass junge Menschen, die einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte in der Nähe von Manbij passieren würden und für den Militärdienst gesucht würden, zur Wehrpflicht eskortiert würden (ACCORD 7.9.2023).
Die russischen Einheiten führen von Zeit zu Zeit Patrouillen zusammen mit der türkischen Armee oder den SDF durch. Sie überprüfen auch manchmal Orte, die von der Türkei bombardiert wurden. Sie unterhalten aber keine Checkpoints ebenso wenig wie die US-Armee. Diese betreibt Positionen in den Provinzen Deir ez-Zor und al-Hassakah, deren Perimeter von den SDF geschützt werden (van Wilgenburg 9.10.2023).

In den anderen Gebieten ist es laut Auskunft von Bassam al-Ahmad, dem Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) viele Jahre her, dass die syrische Regierung jemanden festgenommen hat (van Wilgenburg 9.10.2023).

Im nördlichen Aleppo, wo kurdische Kräfte aktiv sind, und vertriebene Flüchtlinge aus Afrin in Lagern leben, ist auch das Regime präsent. Dort ist die Lage anders. Mit der Partei der Demokratischen Union (PYD) alliierte Kräfte kontrollieren die Checkpoints von Sheikh Maqsoud und Ashrafiya [Anm.: zwei kurdische Stadtviertel in Aleppo Stadt], welche zuweilen von Regimekräften abgeriegelt werden, um Druck auf die AANES und die SDF auszuüben (van Wilgenburg 9.10.2023).

5.1 Einreisebestimmungen und ihre Umsetzung

Letzte Änderung 2023-10-25 15:31

Fishkhabour/Semalka als einziger für Personen offener Grenzübergang zum Irak ohne direkten Regimekontakt

Der Fluss Tigris trennt die beiden Seiten des Grenzübergangs Fishkhabour/Semalka [Anm.: verschiedene Umschriften möglich, z. B. auch Faysh Khabour, Peshkhabour]. Es gibt zwei Flussübergänge - einen für private bzw. zivile Reisebewegungen und einen für kommerzielle und humanitäre Güter. Auf der syrischen Seite kontrolliert die PYD (Partei der Demokratischen Union) den Semalka-Übergang, und laut Journalist Hisham Arafat sind zwei Organe der [Anm.: selbst ernannten] Selbstverwaltungsregion AANES (Autonomous Administration of North and East Syria) vor Ort: 1.) die Asayish (Sicherheitspolizei) in Form von Wachen (Polizei oder interne Sicherheitskräfte der AANES) und 2.) die zivile Grenzverwaltung, deren Personal für die Dokumente der Reisenden bei Ein- und Ausreise zuständig ist. Am Grenzübergang Semalka sind keine Beamten des syrischen Staates präsent (van Wilgenburg 9.10.2023).

Auf der irakischen Seite betreibt das Kurdistan Regional Government (KRG) der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) unter der Leitung von Direktor Shawkat Barbuhari (Berbihary) den Grenzübergang Fishkhabour. Sein Stellvertreter ist Nazim Hamid Abdullah. Hamid Darbandi ist nicht nur Leiter der Abteilung für Public Relations der Präsidentschaft der KRG, sondern auch für die Beziehungen zu Syrien, bzw. den syrischen Kurd:innen. Er spielt eine Rolle bei Genehmigungen, besonders für Ausländer:innen, welche die Grenze überqueren wollen. Einer zweiten syrisch-kurdischen Quelle zufolge werden beide Seiten des Grenzübergangs von den 46 jeweiligen Innenministerien der kurdischen Regionalverwaltungen KRG und AANES betrieben. So sind es auch auf der irakischen Seite Asayish der KRI (Kurdistan Region Irak) bzw. der KDP, welche in manchen Fällen Personen bei der Einreise aus Syrien oder ihrer Rückkehr befragen, insbesondere, wenn es sich um Ausländer:innen handelt, die nach Syrien reisen (van Wilgenburg 9.10.2023).

Der Grenzübergang Semalka gilt politisch, humanitär und wirtschaftlich als Lebensader der AANES. Nur hier können laut Thomas Schmidinger auch politische Delegationen, NGOs und andere humanitäre Organisationen den Norden und Osten Syriens erreichen (Al-Monitor 21.5.2023).

Behandlung bei der Ein- und Ausreise am Grenzübergang Semalka/Fishkhabour

Es gibt laut Wladimir van Wilgenburg nur wenige Rückweisungen am Grenzübergang (van Wilgenburg 9.10.2023).

Dabei handelt es sich auf irakischer Seite um Fälle mit politischem Hintergrund, etwa Personen, gegen die in der KRI Dossiers vorliegen. So wurde Syrer:innen das Betreten der KRI wegen des Verdachts einer Verbindung zur PKK, YPG oder PYD (Kurdische Arbeiterpartei, Volksverteidigungseinheiten, Partei der Demokratischen Union), syrischen Nachrichtendiensten oder pro-türkischen Milizen wie der SNA (Syrian National Army) und FSA (Freie Syrische Armee) verwehrt. Personen mit wahrgenommenen Verbindungen zur Selbstverwaltung (AANES), YPG oder SDF (Syrian Democratic Forces) erlangen laut Einschätzung eines von van Wilgenburg befragten Aktivisten nicht so leicht Zutritt (van Wilgenburg 9.10.2023).

Auf der syrischen Seite wurde auch syrischen Bewohner:innen der KRI die Rückkehr nach Syrien von AANES-Kräften verweigert - und zwar wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Verbindungen zur PDK-S (dem syrischen Zweig der irakischen KDP der Barzani-Familie), zum Kurdish National Council (KNC) [Kurdischer Nationalrat, von Barzani unterstützter Zusammenschluss kurdischer Parteien] oder zu türkischen Nachrichtendiensten, syrischen Oppositionsmilizen (SNA, FSA) oder dem Islamischen Staat etc. (van Wilgenburg 9.10.2023).

Laut van Wilgenburg war es früher für Mitarbeiter:innen der AANES bzw. des Syrian Democratic Council (SDC) [Anm.: Syrischer Demokratischer Rat, politisches Gremium der AANES] leichter, in die KRI einzureisen, während in den letzten Jahren die Einreise durch die KRI verweigert wurde. Gleichzeitig hat die AANES ihrerseits Vertreter:innen des KNC die Einreise verweigert. Hintergrund sind die verstärkten Spannungen zwischen der PKK und der KDP im irakischen Kurdistan. Die syrische PYD ist mit der PKK verbunden, bzw. steht ihr nahe, während der KNC und PDK-S der KDP bzw. KRG nahestehen. Nach früheren, nie umgesetzten Vermittlungsabkommen gab es auch einen Versuch der USA im Jahr 2020, einen Dialog zwischen den beiden Seiten zu vermitteln, der scheiterte. Oft kam es nach dem Bruch der Abkommen zu Spannungen, und die Grenzübergänge wurden geschlossen, und die beiden Seiten verweigerten jeweils den KNC-Funktionären oder den PYD-Vertreter:innen die Einreise (van Wilgenburg 9.10.2023).

Es kommt auch zu Fällen, wo die Grenzen ganz für Grenzübertritte geschlossen sind, und von beiden Seiten kein Passieren möglich ist (van Wilgenburg 9.10.2023).

Es gibt nicht viele Verhaftungen direkt an der Grenze, auch wenn Leuten die Einreise verweigert wird. Einige Fälle von Verhaftungen und Misshandlungen ereigneten sich laut Hisham Arafat in den letzten Jahren aufgrund der politischen Ansichten der Reisenden, einer früheren Mitgliedschaft in einer (bewaffneten) Gruppe (van Wilgenburg 9.10.2023) oder weil die Betreffenden den Wehrdienst in der HXP (Selbstverteidigungseinheiten der AANES) vermieden hatten (van Wilgenburg 9.10.2023, van Wilgenburg 17.10.2023). Direkt am Grenzübergang kommt es nicht zu Misshandlungen (van Wilgenburg 9.10.2023).

So erwähnte Arafat das Beispiel von Regin Sherro, einer Korrespondentin des Medienunternehmens Rudaw, die von Asayish der AANES wegen ihrer Arbeit für Rudaw misshandelt wurde. Rudaw ist eine der führenden Fernsehstationen in der KRI. Sie hatte vor sechs Jahren politische Differenzen mit der „von der PKK kontrollierten“ AANES. Dies ereignete sich jedoch nicht an der Grenze, ebenso wie andere Vorwürfe von Folter und Tod in Haft (van Wilgenburg 9.10.2023).

Aufseiten der KRI wurden einige syrische kurdische Aktivist:innen durch KRI-Sicherheitskräfte misshandelt, weil sie verdächtigt wurden, mit der PKK oder anderen kurdischen Parteien in Verbindung zu stehen - so z. B. in einigen Fällen im Jahr 2015. Aber dies geschah auch nicht direkt an der Grenze (van Wilgenburg 9.10.2023).

Bassam al-Ahmad, der geschäftsführende Direktor von Syrians for Truth and Justice, gibt an noch nie von Verhaftungen oder Misshandlungen auf einer der beiden Seiten [direkt] an der Grenze gehört zu haben. Auch andere syrisch-kurdische Quellen bestätigten, dass es keine Verhaftungen an der Grenze gab (van Wilgenburg 9.10.2023).

Ausweisungen von kurdischen Syrer:innen aus dem AANES-Gebiet in die KRI

Die Asayish gehen auch von Zeit zu Zeit gegen Unterstützer:innen des KNC im Gebiet der AANES vor, brennen ihre Büros nieder oder diese werden von den lokalen AANES-Behörden geschlossen. Der Spitzenvertreter des KNC Ibrahim Birro wurde im August 2016 verhaftet und ausgewiesen. Auch syrisch-kurdische Journalist:innen mit KNC-Sympathien wurden in die KRI ausgewiesen (van Wilgenburg 9.10.2023).

Legalität der Einreise via Fishkhabour/Semalka

Dastan Jasim weist darauf hin, dass dieser Grenzübergang weder von Syrien noch vom Irak offiziell anerkannt ist, und das Queren der Grenze ist illegal, auch wenn dies in den meisten Fällen nicht strafrechtlich verfolgt wird, weil sich beide Seiten unter kurdischer Kontrolle befinden (Jasim/STDOK 10.10.2023). Reist jemand aus dem Irak über Fishkhabour nach Syrien ein, ist keine legale Einreise in von der Regierung kontrollierte Gebiete möglich, so der Syrienexperte Fabrice Balanche. Wenn eine aus dem Ausland einreisende Person etwa nach Damaskus reisen wollte, müsste sie über einen offiziellen Grenzübergang unter Kontrolle der syrischen Regierung, etwa über den Libanon oder die jordanisch-syrische Grenze, einreisen. Eine Einreise über den Grenzübergang Fishkhabour gilt nicht offiziell als Einreise nach Syrien und der Reisepass wird nicht abgestempelt. Man erhält bei der Einreise lediglich ein ’Papiervisum’. Sollte eine Person, dennoch versuchen, zum Beispiel nach Damaskus weiterzureisen, würde sie festgenommen (ACCORD 14.6.2023).

Semalka ist daher für viele Leute im Nordosten Syriens der bevorzugte Grenzübergang, weil er nicht von der syrischen Regierung anerkannt oder verwaltet wird. Der fehlende Eintrag im Reisepass ist auch für diejenigen Syrer:innen wichtig, die Angst haben, ihre Aufenthaltsgenehmigung im Ausland als Flüchtlinge zu verlieren, wenn ihre Reise nach Syrien aufscheinen würde (Al-Monitor 21.5.2023).

Für Zivilist:innen ist das Überqueren der irakisch-syrischen Grenze abseits der Benutzung von Semalka großteils gefährlich, zumal diese schwer durchdringbar ist (Jasim/STDOK 10.10.2023).

[…]

Öffnungen und Schließungen des Grenzübergangs

Der Grenzübergang ist aktuell [Stand 9.10.2023] offen (van Wilgenburg 9.10.2023).

Semalka und Yaroubiya [Anm.: für Güter - siehe Unterkapitel ’Grenzübergänge’, auch Yaarubiyah] können von Schließungen betroffen sein. Semalka wird gelegentlich aus politischen Gründen von der KRG geschlossen, besonders wenn sich Spannungen zwischen der im Nordirak dominanten KDP und der PYD, welche die AANES dominiert, zuspitzen. Allerdings dauern diese Blockaden nicht lange, weil der Handel für beide Seiten sehr profitabel ist. Zwischen den beiden Autonomieverwaltungen gibt es ’diplomatische’ Beziehungen. Seit der Militäroffensive ’Claw Eagle Operations’ der Türkei im Jahr 2019 erhöht diese den Druck auf die KRG und den Irak, die Grenze zur AANES zu schließen, um diese zu isolieren (Jasim/STDOK 10.10.2023). Laut van Wilgenburg sorgten die Spannungen zwischen der KRG und der AANES und den mit ihr verbundenen Streitkräften besonders im Zeitraum 2013 bis 2018 für Schließungen von Semalka. Seither wurden die Schließungen weniger und die letzte war im Mai 2023, als die PYD bzw. AANES KNC-Funktionär:innen nicht erlaubte, zu einer Museumseröffnung in die KRI zu reisen. Im Dezember 2021 kam es zu einer Schließung aufgrund von Spannungen zwischen der KDP und PYD nach einem Protest oder Angriff einer PKK-Jugendgruppe an der Grenze. Im Jahr 2020 war die Grenze wegen der COVID-19-Pandemie geschlossen (van Wilgenburg 9.10.2023). Im Dezember 2021 kam es zu einer Schließung, die 40 Tage andauerte. Während der Schließung im Juni 2021 zum Höhepunkt neuerlicher inner-kurdischer Spannungen war der Grenzübergang für Reisende gesperrt, aber nicht für den humanitären Bereich (Al-Monitor 21.5.2023).

Gelegentlich zeigt auch die irakische Zentralregierung ihren Unmut über die Existenz der inoffiziellen Grenzübergänge der KRG, was dann dazu führt, dass diese für einige Tage geschlossen werden, bis die Aufmerksamkeit der Regierung geschwunden ist (Jasim/STDOK 10.10.2023).

Im Fall von Schließungen ist Nordost-Syrien dann nur über das Regierungsgebiet erreichbar (AlMonitor 21.5.2023). Die KDP hat bisher auch im Fall von Schließungen immer Nahrungsmittel und Medikamente passieren lassen (CAP 26.5.2021).

Die Selbstverwaltung AANES ist (auch) an der irakischen Grenze an den essenziellen Grenzübergängen Fishkhabour und Yaroubiya mit Gefahren konfrontiert. Das Grenzgebiet ist politisch zwischen PKK, irakischen Sicherheitskräften, schiitischen Milizen und mit Barzani verbündeten KDP-Kräften umstritten. Die Türkei hat überdies gedroht, im nahe gelegenen Sinjar zu intervenieren, was die Lage völlig verändern würde. Vor dem Hintergrund des Eigeninteresses der 52 US-Truppen an einer offenen Grenze und der Abhängigkeit der KDP von US-Unterstützung sollten die USA jedoch in der Lage sein, das Thema Fishkhabour zu regeln (CAP 26.5.2021).

Der Yarubiya-Grenzübergang ist insofern eine eigene Thematik, als dort nach einem russischen Veto im UN-Sicherheitsrat seit Jänner 2020 keine humanitäre Hilfe der UNO mehr passieren darf. Das schränkt die Einfuhr von essenziellem Medizinbedarf in die AANES ein - auch während der Pandemie gab Russland nicht nach (CAP 26.5.2021).

[…]

1.3.14. Anfragebeantwortung zu Syrien vom 03.08.2023: Gefälschte Dokumente bzw. echte Dokumente mit wahrheitswidrigem Inhalt (insb. Militär- u. Personalausweise, Strafregister-, Personenstands- und Familienbuchauszüge); Häufigkeit, Erlangung, Vorgehensweise, Preis, Bezahlung, Aushändigung durch Schlepper) [a-12196]

Vorkommnisse und Dokumentenarten

Mehrere Quellen berichten darüber, dass in Syrien gefälschte Dokumente (DIS, Juni 2022, Sitzung 24, 37; SÇDD, 2021, Sitzung 10; Rozana Radio, 20. Februar 2021; Government of Syria, 24. Jänner 2020, Sitzung 5) bzw. echte Dokumente mit wahrheitswidrigem Inhalt in Umlauf gelangen (Landinfo, 9. September 2022, Sitzung 28 -29; Netherlands Ministry of Foreign Affairs, Mai 2022, Sitzung 35; Sosnowski & Hamadeh, Oktober 2021, Sitzung 1, Sitzung 3). Gefälscht würden verschiedenen Quellen zufolge beispielsweise Personenstandsdokumente (Landinfo, 9. September 2022, Sitzung 28; Sosnowski & Hamadeh, Oktober 2021, Sitzung 3; Rozana Radio, 20. Februar 2021; UNFPA, 10. März 2019, Sitzung 71), darunter Ehezertifikate sowie Vaterschaftsnachweise (Rozana Radio, 20. Februar 2021; Le Monde Diplomatique, 13. August 2020), Identitätsnachweise (Landinfo, 9. September 2022, Sitzung 28-29; Netherlands Ministry of Foreign Affairs, Mai 2022, Sitzung 35; SÇDD, 2021, Sitzung 39; UNFPA, 10. März 2019, Sitzung 71), Vertretungsvollmachten, bildungsrelevante Dokumente (Netherlands Ministry of Foreign Affairs, Mai 2022, Sitzung 35; SÇDD, 2021, Sitzung 10; Al-Watan, 8. Dezember 2020; UNFPA, 10. März 2019, Sitzung 71) und Führerscheine (Netherlands Ministry of Foreign Affairs, Mai 2022, Sitzung 35) sowie mit dem Militärdienst in Zusammenhang stehende Dokumente (Netherlands Ministry of Foreign Affairs, Mai 2022, Sitzung 54-55; Al-Watan, 8. Dezember 2020; Jesr Press, 15. Mai 2020) und Strafregisterauszüge (Jesr Press, 15. Mai 2020).

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo erläutert in einem Bericht vom September 2022 unter Bezugnahme auf Aussagen einer humanitären Organisation aus dem Jahr 2017, dass Syrien vor dem bewaffneten Konflikt über ein relativ gut funktionierendes System der Standesämter verfügt habe. Fälschungen sowie anderweitige Eingriffe in Ausweisdokumenten, die vom Standesamt oder der Direktion für Migration und Reisepässe ausgestellt worden seien, seien nur selten vorgekommen. Durch den bewaffneten Konflikt habe sich die Lage geändert. Lokale Standesämter hätten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung agiert und die Kontrollprozesse bei der Ausstellung von Dokumenten seien geschwächt worden. Die Zahl gefälschter und manipulierter Dokumente habe zugenommen (Landinfo, 9. September 2022, Sitzung 28). Die Beschaffung von Dokumenten unter falschen Voraussetzungen oder mit falschen Personenangaben sei nun weitaus verbreiteter (Landinfo, 9. September 2022, Sitzung 28-29). Unter Bezugnahme auf Aussagen der syrischen Direktion für Migration und Reisepässe aus dem Jahr 2016 berichtet Landinfo weiters, dass 10.000 Blanko-Reisepässe gestohlen worden seien. In Norwegen sei ein Anstieg gefälschter syrischer Ausweisdokumente, darunter Personalausweise, Pässe und andere Dokumente registriert worden. Einen Höchstwert habe es im Jahr 2016 gegeben, als 160 gefälschte syrische Ausweisdokumenten entdeckt worden seien (Landinfo, 9. September 2022, Sitzung 29). Die syrische Tageszeitung Al-Watan berichtet im Dezember 2020 unter Bezugnahme auf den Leiter der dem syrischen Innenministerium unterstellten Abteilung für Urkundenfälschungen von einem Rückgang gefälschter Dokumente, insbesondere für im Ausland lebende Syrer·innen. In den meisten Fällen habe es sich um Aufenthaltsdokumente, Dokumente zur Aufschiebung des Militärdienstes oder Universitätsabschlüsse gehandelt (Al-Watan, 8. Dezember 2020). Der laut Selbstbeschreibung unabhängigen, syrischen Online-Nachrichtenplattform Rozana Radio zufolge sei das Phänomen der Fälschung von Dokumenten und Ausweisen mit Stand Februar 2021 im Anstieg gewesen (Rozana Radio, 20. Februar 2021).

Unter Bezugnahme auf Aussagen von Vertretern von syrischen Personenstandsabteilungen aus dem Jahr 2015 erklärt Landinfo im oben erwähnten Bericht, dass syrische Geburtsurkunden zwar grundsätzlich das korrekte Geburtsdatum enthalten müssten. Der norwegischen Botschaft in der jordanischen Hauptstadt Amman zufolge seien jedoch Fälle bekannt, in denen aus unterschiedlichen Gründen nicht das richtige Geburtsdatum enthalten gewesen sei (Landinfo, 9. September 2022, Sitzung 28).

Mittlersystem für Dokumente und Ausweise

Mehrere Quellen berichten von einem Mittlersystem (AR: Samasira) im syrischen Untergrund über das echte und gefälschte syrische Dokumente erhältlich seien (Sosnowski & Hamadeh, Oktober 2021, Sitzung 3; Landinfo, 9. September 2022, Sitzung 28-29; Netherlands Ministry of Foreign Affairs, Mai 2022, Sitzung 35; Al-Araby Al-Jadeed, 15. Mai 2022). In einem Artikel vom Oktober 2021 beschreiben die Wissenschaftlerinnen Marika Sosnowski und Noor Hamadeh, dass dieses System teuer und unzuverlässig sei. Samasira-Mittler seien dem Artikel zufolge in der Regel Männer mit Nähe zur syrischen Regierung und Kontakten zu staatlichen Standesämtern. Sie würden alle Dienste in Personenstandsfragen anbieten. Die Preise seien hoch, insbesondere für Personen, nach denen gefahndet werde. Die Palette der Dokumente reiche von vollständig gefälschten bis hin zu offiziellen, staatlich ausgestellten Dokumenten (Sosnowski & Hamadeh, Oktober 2021, Sitzung 3). Es sei den Mittlern möglich, Checkpoints, die zwischen Gebieten liegen würden, die von der syrischen Regierung bzw. der Opposition kontrolliert würden, zu passieren. Für viele Syrer·innen, die nicht in von der Regierung kontrollierten Gebieten leben würden oder aufgrund von Sicherheitsbedenken keine Frontlinien überschreiten könnten, sei es unmöglich staatliche Personenstandsdokumente zu erhalten. Dies habe dem Samasira-System und gefälschten Dokumenten Auftrieb gegeben (Sosnowski & Hamadeh, Oktober 2021, Sitzung 3). Unter Bezugnahme auf Aussagen einer humanitären Organisation vom März 2022 erläutert Landinfo, dass Mittler eigene Netzwerke aufbauen würden. Sie seien nicht in Damaskus tätig, sondern in Randgebieten und in kleineren Standesämtern (Landinfo, 9. September 2022, Sitzung 28-29).

In einem Artikel der französischen Monatszeitung Le Monde Diplomatique von August 2020 wird der Fall einer in der von der Opposition kontrollierten Provinz Idlib lebenden, binnenvertriebenen Mutter geschildert, die „über einen Anwalt“ im von der syrischen Regierung kontrollierten Gebiet ein gefälschtes Ehezertifikat und einen Vaterschaftsnachweis erhalten habe (Le Monde Diplomatique, 13. August 2020).

Laut dem Artikel von Sosnowski und Hamadeh könne selbst bei einem über einen Mittler erhaltenen offiziellen, staatlichen Dokument nicht gewährleistet werden, dass es sich dabei nicht um ein gefälschtes Dokument handle (Sosnowski & Hamadeh, Oktober 2021, Sitzung 3). Auch ein Herkunftsländerinformationsbericht des niederländischen Außenministeriums zu Syrien vom Mai 2022 führt an, dass Syrer·innen sich zwar wissentlich gefälschte Dokumente besorgen könnten, es jedoch auch vorkomme, das den Betroffenen selbst nicht bewusst sei, dass ihre über Mittler erhaltenen, offiziell ausgestellten Dokumente nachträglich gefälscht worden seien (Netherlands Ministry of Foreign Affairs, Mai 2022, Sitzung 35).

Die syrischen Quellen Rozana Radio und Jesr Press berichten im Februar 2021 bzw. im Mai 2020 von Festnahmen von Dokumentenfälschern in Damaskus (Rozana Radio, 20. Februar 2021; Jesr Press, 15. Mai 2020).

Kosten

Die Zwischenschaltung von Mittlern führe dazu, dass die Kosten für die Inanspruchnahme von Diensten der Standesämter steigen würden. Zu den Gebühren für die jeweiligen Dienstleistungen käme noch die Bezahlung der Mittler und der Mitarbeiter·innen der Standesämter (Landinfo, 9. September 2022, Sitzung 28-29). Dem Artikel von Le Monde Diplomatique zufolge könne die Ausstellung gefälschter Dokumente teuer sein. Ein standesamtliches Ehezertifikat, das in von der Assad-Regierung kontrolliertem Gebiet erstellt werde, koste zusammen mit einem Vaterschaftsnachweis pro Kind umgerechnet etwa 400 US-Dollar. In von der Opposition kontrollierten Gebieten seien Fälschungen solcher Dokumente bereits für 20 bis 40 US-Dollar erhältlich. Sie würden allerdings keinen Originalstempel aufweisen (Le Monde Diplomatique, 13. August 2020). Eine über einen Samasira-Mittler erhältliche staatliche Geburts- oder Sterbeurkunde könne mehr als 500 US-Dollar kosten. Habe eine Person Verbindungen zu Beamt·innen oder Sicherheitsdiensten könne der Preis etwas niedriger sein. Aufgrund der hohen Preise würden viele Syrer·innen sich für günstigere, über die Mittler erhältliche Optionen entscheiden. Das könne ein Dokument mit gänzlich gefälschter Identität oder der Identität einer anderen Person sein (Sosnowski & Hamadeh, Oktober 2021, Sitzung 3). In einem Artikel des 2014 in London gegründeten Medienunternehmens Al-Araby Al-Jadeed (The New Arab) wird der Fall eines im Libanon befindlichen Syrers geschildert, der in die Türkei reisen habe wollen, um dort zu arbeiten. Die türkische Botschaft in der libanesischen Hauptstadt Beirut habe ihm mitgeteilt, dass er dafür ein rechtliches Dokument benötige, welches nachweise, dass er unbescholten sei. Der Betroffene habe das Dokument für 600 US-Dollar über einen Anwalt in Damaskus erhalten. Ihm sei die Bedingung gestellt worden, das Dokument nicht innerhalb von Syrien zu verwenden. Sein Bruder habe das über das Außenministerium übersetzte und zertifizierte Dokument drei Tage nach „Beantragung“ in Damaskus erhalten (Al-Araby Al-Jadeed, 15. Mai 2022).

[…]

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben ausgeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der Verfahrensakte des Bundesverwaltungsgerichts.

2.2. Der oben festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht aufgrund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.

2.3. Die Feststellung zur unrechtmäßigen Einreise der BF1-BF2 nach Österreich stützt sich auf die Tatsache, dass diese in Umgehung der für die Einreise geregelten Vorschriften – ohne die erforderlichen Dokumente – spätestens am 16.11.2022 (BF1) bzw. am 18.11.2022 (BF2) in das österreichische Bundesgebiet eingereist sind. Die Feststellung zur schlepperunterstützten Einreise in das Bundesgebiet ergibt sich aus den eigenen Angaben der BF1-BF2 im Rahmen der jeweiligen Ersteinvernahme.

2.4. Die Feststellungen zu Identität, Alter, Nationalität, Herkunft und den Familienverhältnissen der BF1-BF2 (im Herkunftsstaat und im Bundesgebiet) gründen auf ihren insofern unbedenklichen Angaben vor dem BFA, auf den in ihrer Beschwerde und den in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht Sitzung 5ff, Sitzung 22ff des VH-Prot.) übereinstimmend gemachten Angaben, sowie auf den von den BF1-BF2 vorgelegten Unterlagen (Auszüge aus dem Personenstands- bzw. Familienregister für palästinensische Flüchtlinge). Die Identitäten der BF1-BF2 stehen aufgrund ihrer vorgelegten Personalausweise und der vorgelegten Auszüge aus dem Register für palästinensische Flüchtlinge fest.

2.5. Die Feststellungen zum Schulbesuch der BF1-BF2, sowie ihren beruflichen Tätigkeiten ergeben sich aus ihren Angaben vor dem BFA und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung Sitzung 6, Sitzung 23 des VH-Prot.). Die Feststellung zu den Sprachkenntnissen der BF1-BF2 fußen auf ihren diesbezüglich gleichbleibenden Angaben im gesamten Verfahren, sowie dem Umstand, dass die Erstbefragung, die Einvernahme der BF1-BF2 vor dem BFA, sowie die Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG unter Beiziehung eines Dolmetsches für die Sprache ARABISCH durchgeführt werden konnten und sich die BF1-BF2 mit der jeweiligen Befragung in arabischer Sprache einverstanden erklärt hatten.

2.6. Die Feststellung, wonach die BF1-BF2 ihren Wehrdienst in der syrischen Armee nicht abgeleistet haben und ihr Vater für sie, sowie ihre Brüder, im Herkunftsstaat eine Befreiungsgebühr bezahlt hat, ergibt sich aus ihren eigenen gleichbleibenden Angaben im gesamten Verfahren, insbesondere zuletzt vor dem BVwG Sitzung 6, Sitzung 23 des VH-Prot.).

2.7. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF1 beruhen auf den mit der Stellungnahme vom 22.11.2023 vorgelegten medizinischen Unterlagen (klinisch-psychologischer Befundbericht vom 13.09.2023, ärztlicher Befundbericht der Klinik römisch 40 vom 05.10.2023, Ganzkörperknochenszintigramm der Klinik römisch 40 vom 05.10.2023). Hinsichtlich des BF2 wurden keine medizinischen Unterlagen vorgelegt und ist der BF2 den diesbezüglichen Feststellungen in den angefochtenen Bescheiden auch nicht substantiiert entgegengetreten.

2.8. Die Feststellung zu ihrer strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus aktuell eingeholten Auszügen aus dem Strafregister der Republik Österreich.

2.9. Zum Vorbringen im Zusammenhang mit den gegenständlichen Fluchtgründen:

2.9.1. Mit dem Vorbringen der BF1-BF2 zur Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat Syrien vermochten diese eine asylrelevante Bedrohung nicht darzutun:

Die beschwerdeseitig vorgebrachte Gefährdungslage des BF1 beruht auf der Behauptung, dass er ab dem Jahr 2011 im Herkunftsstaat an Demonstrationen teilgenommen habe, weshalb er ab dem Jahr 2012 insgesamt 5 Mal festgenommen worden sei, wobei die ersten beiden Verhaftungen für den BF1 nur mit dem Vorwurf der oppositionellen Betätigung, wie auch der Unterfertigung einer Verpflichtungserklärung geendet haben, woraufhin er wieder freigelassen worden ist. Im Rahmen seiner 3. bis 5. Verhaftungen sei der BF1 auch gefoltert worden und habe der Vater des BF1 bei den letzten beiden Anhaltungen Schmiergeld zur Freilassung des BF1 bezahlt. Zuletzt sei der BF1 am 08.09.2022 gemeinsam mit seinem Bruder an einem Checkpoint verhaftet und 21 Tage lang in einem Gefängnis in römisch 40 festgehalten, sowie wiederholt gefoltert worden. Beide seien am 29.09.2022 aufgrund einer Schmiergeldzahlung ihres Vaters freigelassen worden. Etwa 14 Tage nach deren Entlassung seien Soldaten zum Haus der Familie gekommen und hätten eine Razzia durchgeführt, wobei diese nach den BF1-BF2 gesucht hätten. Die BF1-BF2 seien nicht im Haus, sondern bei der Arbeit gewesen und von ihren Ehefrauen telefonisch davon unterrichtet worden. Danach seien sie direkt zu einem Freund des BF2 namens römisch 40 (auch römisch 40 ) nach römisch 40 (auch römisch 40 ) gefahren, wo sie sich versteckt hätten und von wo aus sie 5 Tage nach der Razzia ausgereist seien. Außerdem gab der BF1 an, nicht am Krieg teilnehmen und keine Waffe tragen zu wollen. Auch der BF2 brachte diese zuletzt geschilderte Anhaltung, während der er gefoltert und nach einer Schmiergeldzahlung seines Vaters wieder freigelassen worden sei, sowie die anschließende Razzia und seine Flucht nach römisch 40 , als Fluchtgrund vor. Außerdem brachte der BF2 vor, wegen seiner palästinensischen Herkunft im Herkunftsstaat rassistisch behandelt worden zu sein. Im Übrigen führte der BF2 aus, dass sein PKW durch syrische Soldaten am Checkpoint beschlagnahmt worden sei, wogegen sich der BF2 gewehrt habe. Seit 2017 sei der BF2 an Checkpoints immer wieder aufgefordert worden seinen Wehrdienst freiwillig zu abzuleisten, wobei er dieses Problem in der Vergangenheit immer mit der Zahlung von Schmiergeld gelöst habe.

Die BF1-BF2 gaben vor dem BVwG an, dass die gemeinsame Verhaftung am 08.09.2022, samt Anhaltung, Folter, sowie die Razzia etwa 14 Tage nach der Freilassung, das fluchtauslösende Ereignis für sie gewesen sei.

2.9.2. Zunächst gilt es anzumerken, dass die beschwerdeseitigen Schilderungen zum gegenständlichen Fluchtvorbringen vor der belangten Behörde bzw. vor dem BVwG in nicht unwesentlichen Aspekten vom Fluchtvorbringen der BF1-BF2 bei der Ersteinvernahme abgewichen sind bzw. weitere inhaltliche Steigerungen erfahren haben oder teils in sich selbst widersprüchlich waren:

Der BF1 brachte in seinem erstbehördlichen Verfahren bei seiner Erstbefragung vor, dass er mit seinem Bruder, dem BF2, mit dem Auto an einem Kontrollpunkt angehalten, von der Polizei sehr schlecht behandelt und geschlagen worden sei. Sie seien 3 Wochen lang angehalten und gefoltert worden. Eine Woche nach ihrer Freilassung sei der Sicherheitsdienst bei ihnen zu Hause aufgetaucht und habe sie neuerlich verhaften wollen, weshalb sie sich entschieden hätten Syrien zu verlassen Sitzung 6 des EB-Prot.). In inhaltlicher Steigerung dazu vermeinte der BF1 vor dem BFA hingegen, dass von seiner Freilassung bis zur Ausreise aus Syrien ca. 14 oder 15 Tage vergangen seien, wobei die Sicherheitsleute 3 oder 4 Tage bevor der BF1 den Herkunftsstaat verlassen habe, zu ihnen nach Hause gekommen seien. Die Sicherheitsleute seien sohin etwa 10-11 Tage nach der Freilassung des BF1 bei ihm zu Hause aufgetaucht Sitzung 7 des BFA-Prot.). In erneuter inhaltlicher Steigerung dazu führte der BF1 vor dem BVwG aus, dass die Sicherheitskräfte 14 Tage nach seiner Freilassung sein Haus aufgesucht hätten Sitzung 20 des VH-Prot.). Der BF verstrickte sich sohin hinsichtlich des Zeitpunkts des Besuchs der Sicherheitskräfte bei ihm zu Hause in Widersprüche.

Erstmals und damit inhaltlich gesteigert brachte der BF1 vor dem BFA vor, 5-6 mal und immer ohne Grund festgenommen worden zu sein, ihm sei jedoch immer vorgeworfen worden Mitglied einer Oppositionspartei oder einer Miliz gewesen zu sein, das habe jedoch nicht gestimmt Sitzung 7 des BFA-Prot.). In erneuter inhaltlicher Steigerung dazu, führte der BF1 erstmals vor dem BVwG aus, wiederholt festgenommen und teils gefoltert worden zu sein, weil er ab dem Jahr 2011 an Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen habe Sitzung 11 des VH-Prot.). Von einer ihm vermeintlich unterstellten politischen Gesinnung bzw. der Teilnahme an Demonstrationen vermochte der BF1 bei seiner Erstbefragung jedoch noch gar nichts zu berichten. Wäre der BF1 tatsächlich - wie später vor dem BVwG behauptet - seit 2011 im Rahmen von Demonstrationsteilnahmen politisch tätig gewesen, hätte er zudem vor dem BFA auch dies als Grund für die spätere Festnahme am Checkpoint am 08.09.2022 zu berichten gewußt. Vor dem BFA gab der BF1 jedoch noch an – stets ohne Grund - festgenommen worden zu sein. Auch von der später, ebenfalls vor dem BVwG erstmals ins Treffen geführten Befürchtung für die syrischen Streitkräfte kämpfen zu müssen Sitzung 21 des VH-Prot.), wusste der BF1 weder bei seiner Erstbefragung, noch bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA etwas vorzubringen. Das Fluchtvorbringen des BF1 erweist sich sohin im Laufe des Verfahrens als mehrmals inhaltlich gesteigert.

Der BF2 gab bei seiner Erstbefragung lediglich an, vom syrischen Sicherheitsdienst gesucht zu werden, weil diese sein Auto sicherstellen hätten wollen und der BF2 damit nicht einverstanden gewesen sei. Bei seiner Rückkehr habe der BF2 Angst um seine Freiheit und um sein Leben. Es gilt hierbei festzuhalten, dass der BF2 bei seiner Erstbefragung nicht einmal ansatzweise zu erwähnen vermochte, je festgenommen, 21 Tage lang angehalten, gefoltert und nach seiner Freilassung gegen Schmiergeld von Sicherheitskräften zu Hause von Soldaten nochmals aufgesucht worden zu sein, (wobei er nicht zu Hause gewesen sein will). Vor dem BFA und damit in eklatanter inhaltlicher Steigerung seines bisherigen Fluchtvorbringens brachte der BF2 erstmalig vor, dass er gemeinsam mit seinem Bruder, dem BF1, an einem Checkpoint festgenommen, für 21 Tage angehalten und gefoltert, sowie nach 21 Tagen wieder freigelassen worden sei, sowie von der späteren Hausdurchsuchung. Auch der BF2 gab an, dass ihr Vater Schmiergeld für die Freilassung seiner Person und seines Bruders gezahlt habe. Von all dem wusste der BF2 bei seiner Erstbefragung jedoch noch mit keinem Wort zu berichten, obwohl er nachweislich zu seinen Fluchtgründen befragt worden ist. Dies spricht vielmehr dafür, dass der BF2 nicht von Selbsterlebtem berichtet, zumal nach Ansicht des erkennenden Gerichts zu erwarten gewesen wäre, der BF2 hätte diese einschneidenden und letztlich als traumatisierend einzustufenden Erlebnisse, wie eine erlebte Festnahme mit körperlicher Misshandlung, eine mehrwöchige Inhaftierung, wiederholte Folterungerfahrungen, sowie eine Hausdurchsuchung durch Soldaten im Hause der Eltern, bereits in seiner Erstbefragung anzugeben vermocht und nicht schlichtweg vergessen, diese zu erwähnen.

Im Übrigen führte der BF2 erstmalig, damit ebenfalls inhaltlich gesteigert, vor dem BVwG aus, ab dem Jahr 2017 immer wieder aufgefordert worden zu sein, seinen Wehrdienst freiwillig abzuleisten, weshalb es Probleme und Unannehmlichkeiten bei Checkpoints gegeben habe, welche der BF2 jedoch stets mit Schmiergeld gelöst habe Sitzung 30 des VH-Prot.). Auch davon wusste der BF2 weder etwas bei seiner Erstbefragung, noch vor dem BFA zu berichten, weshalb dieses Vorbringen vor dem Hintergrund der erfolgten inhaltlichen Steigerung bereits schwer mit Unglaubhaftigkeit belastet ist.

Grundsätzlich hält das erkennende Gericht den BF1-BF2 zu Gute, dass eine Ersteinvernahme in einem fremden Land eine für jeden Asylwerber außergewöhnliche Situation ist. Eine gewisse, anfängliche Verlegenheit in der Erzählung persönlicher Erlebnisse ist daher im Allgemeinen verständlich. Ebenso ist klar, dass im Rahmen einer Ersteinvernahme in keine allzu große Detailtiefe bei der Schilderung des eigentlichen Fluchtgrundes vorgestoßen werden kann. Trotzdem trifft auch den Schutzsuchenden im Asylverfahren eine Mitwirkungspflicht an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, über welche die BF1-BF2 im Rahmen der Ersteinvernahme nachweislich aufgeklärt worden sind. Das von den BF1-BF2 im Rahmen der Ersteinvernahme erfolgte Weglassen grundlegender Aspekte des gegenständlichen Fluchtgrundes steht dieser Mitwirkungspflicht klar entgegen. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts kann es einem erwachsenen Menschen durchaus zugemutet werden, bei den Behörden jenes Landes, von dem er sich Schutz und Hilfe vor behaupteter Verfolgung und Tod erwartet, möglichst zeitnahe zum Antrag auf internationalen Schutz zumindest ansatzweise Angaben zu den eigentlichen Gründen der behaupteten, gegenständlichen Verfolgung im Heimatland zu machen, und sei es um nicht Gefahr zu laufen, sich dem Vorwurf einer möglichen Steigerung des Fluchtvorbringens im weiteren Verfahren auszusetzen.

Es ist davon auszugehen, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubhaft qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen.

2.9.3. Weiters wird festgehalten, dass die im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 11.12.2023 erfolgten beschwerdeseitigen Vorbringen hinsichtlich der Festnahme am 08.09.2022 im Herkunftsstaat in nicht unwesentlichen Aspekten von den Schilderungen der BF1-BF2 zu den Fluchtgründen vor dem BFA am 13.02.2023 abgewichen sind, eine inhaltliche Steigerung erfahren haben bzw. in sich selbst unstimmig oder lebensfremd sind:

2.9.3.1. Vor dem BFA gab der BF1 an, dass sie an einem Checkpoint in römisch 40 , 3 km von römisch 40 entfernt, von 6-7 Personen um ca. 17 oder 18 Uhr verhaftet worden seien Sitzung 4 des BFA-Prot.). In Widerspruch dazu brachte der BF2 hingegen vor dem BFA vor, dass die Festnahme in römisch 40 , einem Stadtteil von römisch 40 , in der Nacht, um ca. 20 oder 21 Uhr, stattgefunden habe, wobei 6 oder 9 Personen bei der Festnahme anwesend gewesen seien Sitzung 5f des BFA-Prot.). Neuerlich abweichend dazu führte der BF1 vor dem BVwG aus, dass die Festnahme um 19 Uhr stattgefunden habe. Auf Vorhalt dieser widersprüchlichen Angaben in der mündlichen Verhandlung, vermeinte der BF1 nur: „Es ist unmöglich, dass es in römisch 40 war. Das Gebiet war in römisch 40 “. Auf neuerliche Nachfrage des erkennenden Richters gab der BF1 erneut nur unsubstantiiert an: „Ich habe Ihnen ca. gesagt um 19 Uhr. Ich habe versucht heute eine genaue Uhrzeit anzugeben, aber ich bin nicht sicher“ Sitzung 17 des VH-Prot.). Hinsichtlich der divergierenden Festnahmezeitpunkte ist festzuhalten, dass es einer einfachen Internetrecherche zufolge am 08.09.2022 um 17 und 18 Uhr in römisch 40 noch hell war, während es um 19 Uhr bereits dämmrig wurde und um 20 bzw. 21 Uhr dunkel war (Sonnenuntergang um 18:50 Uhr). Würden die BF1-BF2 tatsächlich von Selbsterlebtem berichten, wäre davon auszugehen, dass sie genau wissen würden, ob es zum Zeitpunkt ihrer Anhaltung und Festnahme noch hell, oder schon dunkel gewesen sei, wodurch sie auch in der Lage sein müssten die ungefähre Uhrzeit des Vorfalls anzugeben. Dass die BF1-BF2 so divergierende Angaben hinsichtlich des Festnahmezeitpunkts erstatteten, spricht vielmehr für den Umstand, dass sie nicht von tatsächlich Selbsterlebtem berichten. Auch der BF2 gab auf Vorhalt dieser Widersprüche an: „Nein, ich habe nicht römisch 40 gesagt, ich habe damals auch römisch 40 gesagt“. Auf neuerlichen Vorhalt des erkennenden Richters, wonach der BF2 bei seiner Einvernahme vor dem BFA von römisch 40 gesprochen habe, führte der BF2 aus: „Wir waren fast in der Nähe von zu Hause. römisch 40 ist viel weiter weg von zu Hause. Das ist unmöglich, dass ich das gesagt habe“. In der Folge vermeinte der BF2 erklärend, dass ihm das BFA-Protokoll nicht rückübersetzt worden sei Sitzung 31 des VH-Prot.), wobei der BF2 mit dieser Erklärung nicht durchzudringen vermochte. Auf Vorhalt des erkennenden Richters, dass der BF2 durch seine Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit, sowie die Rückübersetzung bestätigt habe, gab dieser nur an: „Damals habe ich es nicht gewusst“. Damit vermochte der BF2 in keinster Weise zu überzeugen, sondern entsteht vielmehr der Eindruck der BF2 berichtet nicht von Selbsterlebtem und sucht nunmehr eine Erklärung für ein nicht durchdachtes Erzählkonstrukt, welches die BF1-BF2 im bisherigen Verfahren nach Belieben inhaltlich gesteigert und wiederholt abändert haben. Insgesamt haben sich die BF1-BF2 zu den Umständen der Festnahme hinsichtlich des konkreten Ortes und der Uhrzeit, sowie der Anzahl der anwesenden Personen daher gleich mehrfach widersprochen.

Im Übrigen berichteten die BF1-BF2 vor dem BVwG übereinstimmend, dass zunächst 2 Soldaten beim Checkpoint anwesend gewesen seien, wobei dann noch 2 weitere Soldaten hinzugekommen seien. Insgesamt seien sodann 4 Soldaten bei ihrer Festnahme anwesend gewesen Sitzung 16, Sitzung 24 des VH-Prot.), obwohl es vor dem BFA noch 6-7 (BF1) bzw. 6 oder 9 gewesen seien sollen (BF2). Auch diese Abweichung in den Angaben der BF1-BF2 spricht nicht für einen Bericht von tatsächlich Selbsterlebtem, sondern läßt vielmehr vermuten, dass sich die BF1-BF2 vor der mündlichen Beschwerdeverhandlung einfach besser abzusprechen vermochten, als noch im erstbehördlichen Verfahren. Übereinstimmend gaben die BF1-BF2 auch insgesamt an, dass ihre Festnahme am 08.09.2022 Sitzung 4 des BFA-Prot. des BF1 und des BF2; Sitzung 14, Sitzung 24, Sitzung 30 des VH-Prot.) und ihre Freilassung am 29.09.2022 Sitzung 4 des BFA-Prot. des BF1, Sitzung 5 des BFA-Prot. des BF2; Sitzung 19, Sitzung 34 des VH-Prot.) stattgefunden habe. Neuerlich divergierende Angaben tätigten die BF1-BF2 im Verfahren hinsichtlich des Zeitpunktes der behaupteten Hausdurchsuchung durch Sicherheitskräfte nach ihrer Freilassung. Während der BF1 bei seiner Erstbefragung angab, diese habe eine Woche nach der Freilassung stattgefunden, vermeinte er vor dem BFA, dass es 10-11 Tage gewesen seien und führte vor dem BVwG aus, dass diese erst 14 Tage nach seiner Freilassung stattgefunden habe Sitzung 20 des VH-Prot.). Der BF2 führte hingegen sowohl vor dem BFA, als auch vor dem BVwG übereinstimmend aus, dass die Soldaten am 13.10.2022 (sohin 14 Tage nach ihrer Freilassung) bei ihnen zu Hause gewesen seien Sitzung 8 des BFA-Prot., Sitzung 35 des VH-Prot.).

Im Übrigen verstrickten sich die BF1-BF2 auch hinsichtlich des zeitlichen Abstandes zwischen ihrer erfolgten Freilassung und ihrer letztendlichen Ausreise aus dem Herkunftsstaat mehrfach in Widersprüche. Führte der BF1 vor dem BFA noch aus, dass dazwischen 14 oder 15 Tage gelegen seien Sitzung 7 des BFA-Prot.), vermeinte er vor dem BVwG, dass es 19 Tage gewesen seien (ca. 14 Tage nach der Entlassung habe die Razzia stattgefunden und weitere 5 Tage später sei der BF1 ausgereist). Entgegen dieser Angaben des BF1, führte der BF2 vor dem BFA aus, dass 13 Tage, dann korrigierte er sich auf 18 Tage, zwischen seiner Entlassung und der Ausreise aus Syrien vergangen seien Sitzung 8 des BFA-Prot.). Auch vor dem BVwG vermeinte der BF2, dass die Soldaten 13 Tage nach ihrer Freilassung ihr Haus aufgesucht hätten und sie nach weiteren 5 Tagen ausgereist seien. Zwischen seiner Freilassung und seiner Ausreise seien sohin 18 Tage gelegen Sitzung 29 des VH-Prot.). Die BF1-BF2 vermochten sohin im bisherigen Verfahren auch keine durchgehend kohärenten, übereinstimmenden Angaben diesbezüglich zu tätigen. Als Ausreisedatum nannten die BF1-BF2 hingegen wieder durchgehend übereinstimmend den 18.10.2022. Die BF1-BF2 verfügen jeweils über eine umfassende Schulbildung im Herkunftsstaat, weshalb nicht anzunehmen ist, dass die zu Tage getretenen mehrfachen Abweichungen in den zeitlichen Angaben hinsichtlich verschiedener (oben aufgezeigter) Ereignisse auf mangelnde Grundrechenkenntnisse zurückzuführen sind, sondern sich vielmehr mit einer fehlenden Abstimmung der BF1-BF2 untereinander in der Schilderung des behaupteten Fluchtgeschehens erklären lassen, wobei sie sich im Laufe des Verfahrens scheinbar in ihren Vorbringen zusehens besser auf die nunmehr übereinstimmenden Eckdaten zu einigen vermochten.

2.9.4. Zum behaupteten Foltergeschehen:

Der BF1 sprach bereits bei seiner Erstbefragung davon gefoltert worden zu sein, wenngleich lediglich im Rahmen eines Vorfalls – nämlich der letzten Verhaftung mit seinem Bruder Sitzung 6 des EB-Prot.). Auch bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA führte der BF1 aus, verhaftet und gefoltert worden zu sein, wobei er zwar vorbrachte insgesamt 5 Mal „gekidnappt“ worden zu sein, jedoch erneut (in Übereinstimmung mit seinen Angaben bei der Erstbefragung) lediglich von einem konkreten Foltergeschehen im Rahmen seiner letzten Verhaftung am 08.09.2022 konkret zu berichten wusste Sitzung 4 des BFA-Prot.). In inhaltlicher Steigerung dazu brachte der BF1 vor dem BVwG hingegen vor, bei seinen letzten 3 Festnahmen gefoltert worden zu sein, wodurch der Eindruck entsteht der BF1 versucht die Gefährdungslage für seine Person im Herkunftsstaat hiermit als erhöht darzustellen, um somit seine Chancen für eine Asylgewährung im Bundesgebiet zu mehren. Hätte der BF1 in Syrien tatsächlich bereits wiederholte Verhaftungen und Anhaltungen samt Folterungen durch syrische Soldaten selbst erlebt, wäre vielmehr davon auszugehen, er hätte diese traumatischen und einschneidenden Erlebnisse auch bereits bei seiner Erstbefragung oder spätestens vor dem BFA hinreichend substantiiert dargelegt, zumal er beide Male nachweislich zu seinen Fluchtgründen befragt worden ist.

Demgegenüber wusste der BF2 bei seiner Erstbefragung von der später behaupteten Folter noch gar nichts zu berichten, sondern vermeinte nur vom syrischen Sicherheitsdienst gesucht zu werden, weil sie sein Auto sicherstellen hätten wollen, womit der BF2 nicht einverstanden gewesen sei. Die erstmals vor dem BFA vom BF2 behauptete Festnahme, samt Anhaltung, Folter, Freilassung gegen Schmiergeld und die später erfolgte Razzia durch syrische Sicherheitskräfte beim BF2 zu Hause, belastet sein dbzgl. Vorbringen vor dem Hintergrund der massiven inhaltlichen Steigerung bereits schwer mit Unglaubhaftigkeit.

2.9.4.1. Vor dem BFA vermochte der BF1 im Übrigen noch keine Details hinsichtlich des Foltergeschehens im Rahmen seiner letzten Verhaftung darzulegen. Er gab lediglich an „ständig geschlagen“ und „ständig gefoltert“ worden zu sein, ohne von den genaueren Umständen zu berichten Sitzung 6 des BFA-Prot.). Trotz der „ständigen“ Folterungen und Schläge wusste der BF1 vor dem BFA noch mit keinem Wort etwas von allfälligen Folterfolgen seiner Person zu berichten.

Vor dem BVwG führte der BF1 sodann aus bei den letzten 3 Anhaltungen, von verschiedenen Personen Sitzung 14 und Sitzung 15 des VH-Prot.), verschieden oft (manchmal 2 Mal am Tag, manchmal täglich, manchmal nur alle paar Tage Sitzung 13 und Sitzung 15 des VH-Prot.)) zwischen 15 und 30 Minuten Sitzung 14 und Sitzung 15 des VH-Prot.) mit Elektrokabeln, einem Holzstock, mit den Fäusten ins Gesicht, Fußtritten und einem Gewehrkolben geschlagen worden zu sein Sitzung 15 und Sitzung 15 des VH-Prot.).

Jeweils zu seinen Verletzungen befragt, gab der BF1 vor dem BVwG an, im Rahmen seiner 3. Anhaltung Schwellungen an den Füßen und Hämatome am ganzen Körper davongetragen zu haben. Bei seiner 4. Anhaltung habe der BF1 ein geschwollenes Gesicht, jedoch keine bleibenden Schäden erlitten, er sei jedoch medizinisch behandelt worden und habe Entzündungs- sowie Schmerztabletten erhalten. Im Rahmen seiner 5. und letzten Anhaltung (gemeinsam mit seinem Bruder) habe der BF1 geschwollene Augen, Blut im Auge, einen geschwollenen Hinterkopf und Rötungen, sowie blaue Flecken an den Armen, Beinen und am Rücken erlitten zu haben. Bis heute sei eine Narbe am Hinterkopf sichtbar, welche stark druckempfindlich sei. Dasselbe Problem habe der BF1 mit seinen Armen und Beinen, diese würden manchmal einschlafen und seien gefühllos. Außerdem leide der BF1 an Rückenschmerzen, Schmerzen am Hinterkopf und Gedächtnisproblemen. Der BF1 zeigte dem erkennenden Richter in der mündlichen Verhandlung seinen Hinterkopf, an welchem zwar eine leichte Eindellung der Haut, jedoch kein sichtbares Narbengewebe erkennbar war Sitzung 13ff des VH-Prot.). Vom erkennenden Richter neuerlich nach noch heute sichtbaren Malen der damaligen Misshandlungen, wie ausgeschlagene Zähne, Knochenbrüche, Entstellungen, Knochenfehlstellungen, Narbengewebe, bleibende Hautverfärbungen, befragt, führte der BF1 aus: „Sichtbare Verletzungen oder Narben habe ich nur jene, welche ich Ihnen gerade am Kopf gezeigt habe. Die Schmerzen und die Symptome, die ich damals hatte, habe ich Ihnen heute ausführlich erzählt. Nach der Folterung hatte ich alle Schmerzen, die ich heute erwähnt habe“ Sitzung 16 des VH-Prot.).

2.9.4.2. Der BF2 brachte bei seiner Einvernahme vor dem BFA zu den Misshandlungen während seiner Anhaltung befragt vor, dass er von 3 Männern mit Fäusten und Waffen geschlagen worden sei Sitzung 6 des BFA-Prot.), wohingegen er vor dem BVwG in inhaltlicher Steigerung dazu vermeinte mit Handflächen, Fäusten, Fußtritten, Holzstöcken und Elektrokabeln ins Gesicht, auf den Körper und manchmal auf die Fußsohlen geschlagen worden zu sein Sitzung 33 des VH-Prot.). Von den Gegenständen, mit welchen der BF2 misshandelt worden sein soll, wusste er vor dem BFA noch nichts zu berichten. Von Waffen, welche er noch vor dem BFA zu erwähnen wusste, vermochte der BF2 vor dem BVwG hingegen nichts mehr zu erwähnen. Der BF2 sei manchmal 10 Minuten, manchmal eine halbe Stunde, misshandelt worden und hätten diese Misshandlungen mehrfach am Tag, manchmal täglich, manchmal alle 2 Tage stattgefunden Sitzung 33f des VH-Prot.). Befragt zu seinen Verletzungen führte der BF2 aus, dass sein Gesicht und seine Füße angeschwollen gewesen seien und habe er außerdem verschiedene blaue Flecken sowie Hämatome gehabt. Neuerlich vom erkennenden Richter dazu befragt, ob der BF2 sichtbare Male (wie etwa Narben, Hautverfärbungen, ausgeschlagene Zähne, Knochenfehlstellungen, etc…), oder etwa Entstellungen oder Verstümmelungen an Ihrem Körper davongetragen habe, welche Zeugnis von den behaupteten Misshandlungen geben könnten, gab der BF2 zunächst an: „Die blauen Flecke sind nicht mehr da“. Auf erneute Nachfrage des erkennenden Richters, führte der BF2 aus: „Keine“ Sitzung 34 des VH-Prot.).

2.9.4.3. Insgesamt ist festzuhalten, dass die von den BF1-BF2 geschilderten schweren körperlichen Misshandlungen und Folterungen über 21 Tage lang - nach Ansicht des erkennenden Gerichts - in keinem Verhältnis zu den beschwerdeseitig angegebenen körperlichen Verletzungen – infolge der behaupteten Folterungen - der BF1-BF2 stehen. Es ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass wiederholte körperliche Misshandlungen und Folterungen der BF1-BF2 von mehreren Personen gleichzeitig über jeweils Zeiträume von 10 bis 30 Minuten – teils mehrmals am Tag – mit Gewehrkolben, Holzstöcken, Elektrokabeln, Fäusten, Handflächen und Fußtritten in der von den BF1-BF2 beschriebenen Intensität vielmehr zu Knochenbrüchen, großflächigen Wunden, ausgeschlagenen Zähnen, Knochenfehlstellungen geführt oder sogar körperliche Entstellungen hinterlassen hätten, welche auch im Entscheidungszeitpunkt noch sichtbar wären und welche schlicht eine sofortige medizinische Versorgung notwendig gemacht hätten. Dass die genannten massiven Misshandlungen über einen Zeitraum von 21 Tagen, zum Teil 2 Mal täglich und über jeweils 10 bis 30 Minuten, lediglich geschwollene Augen sowie Extremitäten, blaue Flecken, eine Eindellung am Hinterkopf, allenfalls Rückenschmerzen und Gedächtnisproblemen, jedoch keinen nachhaltigeren, sichtbaren Verletzungen geführt haben, spricht nach Ansicht des erkennenden Gerichts gegen das geschilderte Misshandlungsgeschehen und belastet das Vorbringen der BF1-BF2 insgesamt schwer mit Unglaubhaftigkeit.

Der BF1 hat im Verfahren medizinische Unterlagen vorgelegt, welche ihm (per Videotelefonie) eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung und eine schwere rezidivierende depressive Störung attestieren. Außerdem hat eine Untersuchung eine Delle im Bereich des Schädels ergeben, Narben seien jedoch nicht nachweisbar gewesen und offene Verletzungen seien nicht angegeben worden. Auch dieser Befund aus der Klinik römisch 40 vom 05.10.2023 spricht daher gegen das Vorhandensein von Narbengewebe am Kopf des BF1. Eine weitere Untersuchung hat Knochenumbauherde in den unteren Extremitäten des BF1 sowie Anreicherungen in der Schädeldecke ergeben. Im medizinischen Befundbericht der Klinik römisch 40 vom 05.10.2023 wird zwar zutreffend ausgeführt, dass diese aufgrund des jungen Alters des BF1 posttraumatischen Veränderungen entsprechen würden, doch ist festzuhalten, dass diese noch keinen zwingenden Rückschluss auf das verursachende Geschehen zulassen.

Auch der VwGH legt in ständiger Rechtsprechung immer wieder dar, dass allein der Umstand, dass bestimmte Narben oder Verletzungen existieren, noch keinen zwingenden Rückschluss auf das diese Narben verursachende Geschehen zulässt. Es könnte damit auch durch ein medizinisches Gutachten nicht geklärt werden, im Zuge welcher Ereignisse der BF diese Verletzungen erlitt. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der diesbezüglichen Angaben des BF fiele nicht in das Aufgabengebiet eines Sachverständigen, sondern sei dies vielmehr dem Kernbereich der richterlichen Beweiswürdigung zuzurechnen. Unter diesen Umständen sei die Existenz von Narben oder Verletzungen allein nicht geeignet, die Nachvollziehbarkeit des Fluchtvorbringens zu belegen vergleiche VwGH vom 22.01.2022, Ra 2020/01/0482, mwN).

Wenngleich die Verletzungen des BF1 und die medizinischen Unterlagen nicht verkannt werden, ist festzuhalten, dass die BF1-BF2 aus Syrien stammen, einem Land, welches sich mittlerweile seit dem Jahr 2011 in einem folgenschweren Bürgerkrieg befindet, der nicht nur bei (kämpfenden) Soldaten, sondern auch bei der Zivilbevölkerung nachvollziehbare mannigfaltige Spuren in psychischer und physischer Natur hinterlassen hat. Wo und auf welche Weise sich der BF1 die Eindellung des Schädeldaches und die Knochenumbauherde an den unteren Extremitäten, sowie seine psychische Erkrankung zugezogen hat, lässt sich daher nicht zweifelsfrei eruieren. So könnten diese auch aus den allgemeinen Kriegsgeschehnissen herrühren oder aus sonstigen traumatischen Erlebnissen des BF1 in Syrien stammen. Die verspäteten, widersprüchlichen und wiederholt inhaltlich gesteigerten Angaben der BF1-BF2 zu den behaupteten Foltergeschehnissen, sowie die in keinem Verhältnis stehenden körperlichen Folgen der behaupteten massiven körperlichen Misshandlungen belasten deren Vorbringen jedoch insgesamt schwer mit Unglaubhaftigkeit.

2.9.5. Zum Vorbringen wegen ihrer palästinensischen Herkunft in Syrien Rassismus erfahren zu haben:

Laut UNO befanden sich mit Stand Juli 2022 noch ungefähr 438.000 palästinensische Flüchtlinge von vormals 575.234 Personen in Syrien. Mehr als die Hälfte der verbliebenen Palästinenser ist mindestens einmal intern vertrieben worden und 95% benötigten humanitäre Hilfe. In Syrien lebende Palästinenser werden in Abhängigkeit vom Zeitpunkt ihrer Ankunft in Syrien in verschiedene Kategorien eingeteilt, von denen jeweils auch ihre rechtliche Stellung abhängt. Zu unterscheiden ist zwischen jenen Palästinensern, die als Flüchtlinge in Syrien anerkannt sind, und jenen, die in Syrien keinen Flüchtlingsstatus genießen. Da Syrien nicht Vertragspartei der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist, richtet sich der Flüchtlingsstatus nach syrischem Recht. Die Unterteilung in verschiedene Kategorien hat Auswirkungen auf die Art des Reisedokumentes, im Besitz dessen Palästinenser in Syrien sind. Die größte Gruppe (rund 85% der Palästinenser vor Ausbruch der Krise) bilden Palästinenser, die bis zum oder im Jahr 1956 nach Syrien gekommen waren, sowie deren Nachkommen. Diese Palästinenser fallen unter die Anwendung des Gesetzes Nr. 260 aus 1956, welches Palästinenser, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes einen Wohnsitz in Syrien hatten, im Hinblick auf Arbeit, Handel, Militärdienst und Zugang zum öffentlichen Dienst syrischen Staatsbürgern gleichstellt. Ausgeschlossen ist diese Gruppe jedoch vom Wahlrecht, dem Innehaben öffentlicher Ämter, sowie vom Erwerb landwirtschaftlicher Nutzflächen. Sie erhalten auch nicht die syrische Staatsbürgerschaft. Unter diese Kategorie fallende Personen sind bei der GAPAR (General Authority for Palestinian Arab Refugees) registriert.

Die BF1-BF2 fallen unter diese genannte Gruppe, zumal sie nachweislich bei der GAPAR als palästinensische Flüchtlinge registriert sind und deren Vater nach eigenen Angaben im Jahr 1948 nach Syrien gekommen ist.

Die BF1-BF2 sind somit als Flüchtlinge in Syrien anerkannt und heißt die Identitätskarte für staatenlose Palästinenser in Syrien nach den Länderberichten übersetzt ’Temporäre Aufenthaltskarte für Palästinenser’, hat aber kein Ablaufdatum. Voraussetzung für den Erhalt dieser Karte ist die Registrierung bei GAPAR - eine Registrierung bei UNRWA reicht nicht. Diese Identitätskarte ist nötig, um Zugang zu Basisleistungen - wie syrische Staatsbürger - zu erhalten. Die BF1-BF2 verfügen damit im Herkunftsstaat ebenfalls über Zugang zu Basisleistung, ebenso wie syrische Staatsangehörige. Zutreffend ist, dass Palästinenser ohne GAPAR-Identitätskarte mit ihrer UNRWA-Registrierung oder anderen Dokumenten das Auslangen finden müssen und sind Palästinenser ohne gültige Identitätsdokumente mit einer Reihe von Problemen konfrontiert (z.B. Bewegungsfreiheit und Zugang zur Gesundheitsversorgung). Dies trifft auf die BF1-BF2 jedoch nicht zu, weil sie über eine GAPAR-Registrierung verfügen.

Weiterhin kommt es den Länderberichten zufolge zu Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für palästinensische Flüchtlinge, die in Flüchtlingslagern leben. Obwohl die syrische Verfassung die Bewegungsfreiheit für syrische Bürger und GAPAR-registrierte Palästinenser garantiert, hat die Regierung seit Beginn des Konflikts Gebiete, darunter auch die Palästinenserlager in der Umgebung von römisch 40 , durch die Einrichtung bemannter und unbemannter Kontrollpunkte voneinander getrennt. Die syrische Regierung hat außerdem Militärpersonal und physische Begrenzungen eingesetzt, um die Abgrenzung der Gebiete zu verstärken. Die Zahl der Kontrollpunkte in römisch 40 wurde seit 2018 reduziert; es gibt jedoch immer noch Kontrollpunkte in römisch 40 und an den Hauptstraßen, die verschiedene Gebiete miteinander verbinden, auch in der Nähe der Lager, sowie an den Hauptstraßen nach römisch 40 . Palästinenser müssen viele Kontrollpunkte passieren, wenn sie sich in Gebieten zwischen den dortigen Lagern bewegen. Einige Palästinenser, die nicht bei der GAPAR registriert sind, müssen mit weiteren Bewegungseinschränkungen rechnen, weil die Dokumente in ihrem Besitz nicht an allen Kontrollpunkten akzeptiert werden. Nach Einschätzung einer internationalen Organisation laufen sie Gefahr, inhaftiert zu werden, weil ihr Aufenthalt in Syrien als illegal angesehen werden könnte. Berichten zufolge müssen Palästinenser z. B. in römisch 40 eine Genehmigung der Geheimdienste (Mukhabarat) und der Sicherheitskräfte erhalten, um ihren Wohnsitz verlegen zu können. Diese Registrierungsvorschrift führt dazu, dass manche Personen nicht an palästinensische Flüchtlinge vermieten wollen.

Die BF1-BF2 haben im Herkunftsstaat nicht in einem palästinensischen Flüchtlingslager gewohnt, sondern in einem Privathaus in einem nordwestlichen Vorort von römisch 40 . Außerdem verfügt die Familie der BF1-BF2 im Herkunftsstaat über Häuser und Geschäfte. Insgesamt sind Diskriminierungen von Palästinensern in Syrien durchaus glaubhaft und werden von den Länderberichten gestützt. Grundsätzlich ist aus den in Syrien stattfindenden Diskriminierungen gegenüber Palästinensern jedoch keine systematische Verfolgung dieser Personengruppe im Herkunftsstaat der BF1-BF2 abzuleiten.

2.9.6. Zum Vorbringen eine Einziehung zum Wehrdienst zu befürchten:

In Syrien besteht ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 42 Jahren. Nach Beendigung des Pflichtehrdienstes bleibt ein syrischer Mann, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Die BF1-BF2 sind staatenlose Palästinenser und bei der GAPAR (General Authority for Palestinian Arab Refugees) registriert.

Bei GAPAR registrierte palästinensische Flüchtlinge unterliegen der Wehrpflicht, ihren Wehrdienst leisten sie für gewöhnlich in einer Unterabteilung der syrischen Armee, die den Namen Palästinensische Befreiungsarmee (Palestinian Liberation Army, PLA) trägt. Es liegen keine Informationen darüber vor, die besagen, dass wehrdienstpflichtige Palästinenser von Regelungen zum Reservedienst ausgenommen wären.

Festzuhalten ist, dass die BF1-BF2 erstmals in der Beschwerdeverhandlung, sohin zum spätestmöglichen Zeitpunkt und inhaltlich gesteigert, vorgebracht haben eine Einziehung zum Wehrdienst zu fürchten Sitzung 21, Sitzung 29f des VH-Prot.). Aufgrund dieses massiv verspäteten und gesteigerten Vorbringens, ist es bereits aus diesem Grund schwer mit Unglaubhaftigkeit belastet.

Im Übrigen brachte der BF2 bereits bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA vor, dass er seinen Militärdienst nicht abgeleistet habe, weil er von seinem Vater freigekauft worden sei. Sein Vater habe auch alle seine Brüder freigekauft Sitzung 4 des BFA-Prot.). Selbiges bestätigten die BF1-BF2 auch in der mündlichen Verhandlung Sitzung 6, Sitzung 23f des VH-Prot.). Festzuhalten ist, dass die BF1-BF2 während des gesamten Verfahrens keinen Rekrutierungsversuch durch das syrische Militär bzw. die PLA hinreichend substantiiert behauptet haben. So gab der BF1 lediglich unsubstantiiert in der mündlichen Verhandlung an: „[…] Ich wollte nicht am Krieg teilnehmen und keine Waffe tragen. Ich finde, dass es keinen Grund gibt, weil man verschiedene Meinung hat, dass man eine Waffe trägt und seine Landsleute tötet“ Sitzung 21 des VH-Prot.). Einen konkreten Rekrutierungsversuch nannte der BF1 nicht. Der BF2 vermeinte in der mündlichen Verhandlung zwar immer wieder an Checkpoints zur freiwilligen Ableistung des Militärdienstes aufgefordert worden zu sein, diese „Probleme“ jedoch stets mit Schmiergeld erfolgreich beseitigt zu haben Sitzung 30 des VH-Prot.). Auch der BF2 schilderte somit keinen hinreichend konkreten Rekrutierungsversuch der syrischen bzw. palästinensischen Kräfte, zumal es dem BF2 in der Vergangenheit seit dem Jahr 2017 möglich war sich seiner – im Übrigen bereits freigekauften – Wehrdienstverpflichtung durch die neuerliche Zahlung von Bestechungsgeld zu entziehen. In diesen Aufforderungen an den Checkpoints, sich freiwillig dem Militär anzuschließen, hat der BF2 im Jahr 2022 (als sein Bruder römisch 40 nach Österreich gereist ist) auch noch keinen Grund gesehen Syrien zu verlassen. So führte der BF2 in der Beschwerdeverhandlung selbst aus, dass er damals, als römisch 40 ausgereist sei, nicht ausreisen habe wollen. Es habe zwar andere Probleme gegeben, für diese habe es jedoch eine Lösung gegeben Sitzung 27f des VH-Prot.). Später vom erkennenden Richter nachgefragt, bestätigte der BF2, dass er damit die Aufforderungen an den Checkpoints gemeint habe, sich dem Militär freiwillig anzuschließen Sitzung 30 des VH-Prot.). Dies spricht jedenfalls gegen einen entsprechend hohen Leidensdruck des BF2 wegen der seit 2017 immer wieder an Checkpoints stattfindenden Aufforderungen den Wehrdienst freiwillig abzuleisten.

Hervorzuheben ist darüber hinaus, dass der BF1 im Entscheidungszeitpunkt römisch 40 Jahre alt ist, seinen Wehrdienst im Herkunftsstaat nicht abgeleistet hat und sich damit auch nicht mehr im wehrdienstfähigen Alter befindet. Wie bereits ausgeführt, wurden die BF1-BF2 und sämtliche ihrer Brüder von ihrem Vater vom Wehrdienst im Herkunftsstaat freigekauft und haben sie auch nicht vorgebracht aus diesem Grund im Herkunftsstaat selbst (oder deren Brüder) zu irgendeinem Zeitpunkt Probleme gehabt zu haben.

Der BF2 befindet sich mit seinen römisch 40 Jahren zwar noch im wehrdienstfähigen Alter, ist jedoch von seinem Vater freigekauft worden und hat es in der Vergangenheit geschafft durch die Zahlung von Schmiergeld den Aufforderungen des syrischen Militärs sich ihnen freiwillig anzuschließen, zu entziehen. Hierbei gilt anzumerken, dass die Einforderung von (illegalen) Bestechungsgeldern durch korrupte syrische Beamte Ausfluss der allgemein in Syrien bestehenden weit verbreiteten und omnipräsenten Korruption in der öffentlichen Verwaltung ist. Diese Bestechungsgelder – soweit sie im Einzelfall tatsächlich verlangt werden – werden somit im Regelfall zur persönlichen Bereicherung der diese Verlangenden und nicht vom syrischen Staat in Zusammenhang mit bestimmten als Verfolgungsgrund definierten Merkmalen verlangt. Somit ist in der Einforderung von Bestechungs- oder Schmiergeldern vom BF2 im Herkunftsstaat per se kein asylrelevanter Umstand in casu zu sehen. Abschließend sei erwähnt, dass der BF2 - seinen eigenen Angaben zufolge - in der Vergangenheit die Leistung von Schmiergeld auch selbst nicht als ein Problem wahrgenommen hat, welches eine unverzügliche Ausreise seiner Person notwendig gemacht hätte, zumal er bereits seit 2017 derartige Zahlungen regelmäßig tätigt (s. dazu schon oben).

Die BF1-BF2 sind daher im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt, zum Wehr- oder Reservedienst einberufen zu werden.

2.9.7. Die BF1-BF2 verstrickten sich hinsichtlich ihrer vorgebrachten Fluchtgründe auch noch in weitere Widersprüche:

Wie bereits ausgeführt, gab der BF1 inhaltlich gesteigert in der mündlichen Verhandlung an seit 2011 wiederholt an Demonstrationen gegen das römisch 40 Regime teilgenommen zu haben Sitzung 11f des VH-Prot.). Später vermeinte der BF1 dann jedoch auf Nachfrage in Widerspruch dazu, im Herkunftsstaat nicht politisch aktiv gewesen zu sein Sitzung 21 des VH-Prot.).

Im Übrigen erstattete der BF1 auch kein kohärentes Vorbringen in Hinblick auf das behauptete Foltererlebnis. Brachte er bei seiner Erstbefragung lediglich eine Verhaftung und ein Foltergeschehen vor, sprach er vor dem BFA widersprüchlich von insgesamt 5 Kidnappings. In diesem Zusammenhang gab der BF1 auch an, gefoltert und geschlagen worden zu sein, führte dazu jedoch nichts Näheres aus. Von konkreten Folterungen sprach der BF1 vor dem BFA lediglich im Rahmen seiner letzten Verhaftung. Vor dem BVwG hingegen gab der BF1 dann in neuerlichem Widerspruch dazu an, bei 3 seiner Festnahmen gefoltert worden zu sein.

Der BF2 gab vor dem BVwG, wie ebenfalls bereits ausgeführt, an, seit 2017 immer wieder an Checkpoints zur freiwilligen Ableistung des Wehrdienstes aufgefordert worden zu sein, was er mit Schmiergeldzahlungen jedes Mal abgewendet habe. Vor dem Hintergrund erweist es sich für das erkennende Gericht als schlicht unglaubhaft und unplausibel, dass sich der BF2 dann im September 2022 an einem Checkpoint wegen der Beschlagnahmung seines Autos mit Soldaten angelegt haben will, sollte er bereits für sich und seinen Bruder schwerwiegende Konsequenzen befürchtet haben. Sollte der BF1 daher tatsächlich bereits in der Vergangenheit – wie von ihm selbst behauptet – durch die Teilnahme an Demonstrationen in den Fokus des syrischen Regimes gelangt sein, wäre mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht davon auszugehen, dass der BF2 in Gefährdung seines Bruders und seiner eigenen Person die Beschlagnahme seines Autos vehement verweigert und so einen Streit mit syrischen Soldaten provoziert hätte. Diese Darstellung des Geschehens erscheint dem erkennenden Gericht daher insgesamt unstimmig, unplausibel und schlicht wenig glaubhaft.

2.9.8. Sofern die Beschwerdeseite explizit darauf verweist, dass die BF1-BF2 aufgrund ihrer Asylantragstellung im Ausland bzw. wegen ihrer Rückkehr einer allgemeinen Verfolgungsgefahr unterliegen würden, weil Rückkehrern grundsätzlich eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde, sind dem mehrere Berichte entgegenzuhalten. So ergibt sich aus dem Bericht der ÖB aus September 2021, dass die ÖB regelmäßig Anfragen von in Österreich als Flüchtlingen anerkannten Syrern erreichen, die wieder nach Österreich zurückkehren wollen, woraus sich ableiten ließe, dass eine Rückkehr nach Asylantragstellung im Ausland prinzipiell kein Wiedereinreisehindernis darstellt. Je nach Sachlage könne es aber (z.B. aufgrund von Desertion oder Wehrdienstverweigerung oder früherer politischer Tätigkeit) durchaus zu Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden kommen. Auch der aktuelle Bericht des Danish Immigration Service („Treatment upon Return“) aus Mai 2022 sagt, dass eine Asylantragstellung ipso facto nicht prinzipiell zu einer Verfolgung im Herkunftsstaat führt: „According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, having applied for asylum abroad does not in itself lead to being subject to mistreatment“. Darüber hinaus führt der Bericht aus: „In general, returnees who have not been involved in opposition activities and left Syria only because of the war tend not to face issues upon return unless someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example, being involved in opposition activities […] In DIS’ report published in February 2019, a GoS offical stated that the Syrian authorities would not prosecute or arrest people for having obtained asylum in neighbouring countries or other countries, including Western countries“. Auch der EASO (EUAA) Bericht aus Juni 2021 berichtet davon, dass eine Asylantragstellung im Ausland nicht per se zu einer Verfolgung in Syrien führt: „A Damascus-based lawyer told the DIS in November 2018 that having applied for asylum in other countries does not lead to punishment upon return, unless the returnee in case is a well-known political or military opponent“.

Insgesamt ergibt sich für das erkennende Gericht, dass die Asylantragstellung zwar per se nicht zur Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung führt, Rückkehrer jedoch mit Problemen konfrontiert sind, sofern sie sich beispielsweise (in welcher Form auch immer) oppositionell betätigt haben oder den allgemeinen Wehrdienst verweigert haben. Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass die Schwelle, von Seiten des syrischen Regimes als oppositionell betrachtet zu werden, schneller erreicht werden mag, als in anderen Staaten und, dass Personen aus unterschiedlichen Gründen, teilweise willkürlich als regierungsfeindlich angesehen werden. Es wird hierbei auch nicht übersehen, dass bestimmte Personen in Syrien aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert auch oft nur auf familiären Verbindungen, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder auf der Präsenz der Person in oder ihrer Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, welches als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt.

2.9.9. In Bezug auf die BF1-BF2 ergaben sich jedoch im Verfahren keinerlei konkrete Hinweise darauf, dass einer dieser angeführten Umstände auf die konkrete Situation der BF1-BF2 tatsächlich zuträfe: Es gibt keine Hinweise auf (exil-)politische, gegen das syrische Regime gerichtete Aktivitäten der BF1-BF2 und haben diese solche auch nicht hinreichend substantiiert vorgebracht, weshalb sich keine Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass die BF1-BF2 vom Regime als Kritiker bzw. Gegner wahrgenommen würden. Vielmehr war aufgrund der Beweiswürdigung (s. oben) davon auszugehen, dass die BF1-BF2 bislang keine ernsthaften Probleme mit den syrischen Behörden, der Polizei oder dem Militär gehabt und Syrien wegen des Krieges und auch aus wirtschaftlichen Gründen verlassen haben. Eine aktuelle Gefährdung der BF1-BF2 durch die syrische Regierung aus asylrelevanten Merkmalen von hinreichender Intensität kann daher in casu nicht festgestellt werden.

2.9.10. In einer Gesamtschau sind die von Beschwerdeseite zum gegenständlichen Fluchtgrund vorgebrachten Angaben in sich widersprüchlich, unplausibel und in der inhaltlich gesteigerten Darstellung des behaupteten Geschehens unglaubhaft. Es ist den BF1-BF2 somit nicht gelungen, eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen in ihrem Herkunftsstaat Syrien in ausreichendem Maße substantiiert vorzubringen und glaubhaft zu machen.

2.9.11. Das aufgezeigte unglaubhafte Vorbringen der BF1-BF2 führt in der Folge nicht nur zur Unglaubhaftigkeit ihres Fluchtvorbringens, sondern indiziert auch die persönliche Unglaubwürdigkeit der BF1-BF2 (siehe Pkt. 2.11.).

2.10. Zu den Länderfeststellungen:

Die fallbezogenen Feststellungen zur Lage in Syrien stützen sich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.07.2023, Version 9.

Die zur Lage in Syrien getroffenen Feststellungen basieren auf Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen und stellen im konkreten Fall eine hinreichende Basis zur Beurteilung des Vorbringens der BF1-BF2 dar. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen, sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht grundsätzlich entgegen der beschwerdeseitig vorgebrachten Bedenken, kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

2.11. Zur persönlichen Unglaubwürdigkeit der BF1-BF2:

Das widersprüchliche, mehrfach massiv gesteigerte und unplausible Fluchtvorbringen führt nicht nur zur Unglaubhaftigkeit der im Verfahren aufgestellten Fluchtgründe, sondern indiziert auch - wie im vorliegenden Fall - die fehlende persönliche Glaubwürdigkeit der BF1-BF2.

Unter Berücksichtigung des insgesamt widersprüchlichen, gesteigerten und unplausiblen Vorbringens, vor allem vor dem Hintergrund der zu Tage getretenen Widersprüchlichkeiten zu ihren behaupteten Fluchtgründen, hinterlassen die BF1-BF2 in der öffentlich-mündlichen Beschwerdeverhandlung einen persönlich unglaubwürdigen Eindruck. Die evidente Bedeutung des persönlichen Eindrucks hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen betont (siehe etwa VwGH vom 24.06.1999, Zl .98/20/0435 bzw. VwGH vom 20.05.1999, Zl. 98/20/0505).

Aus diesen Gründen waren die BF1-BF2 als persönlich unglaubwürdig zu beurteilen.

2.12. Die Aufnahme weiterer Beweise war wegen Entscheidungsreife nicht mehr erforderlich.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, Bundesgesetzblatt Teil eins, 33 aus 2013, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 122 aus 2013,, geregelt (Paragraph eins, leg. cit.). Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

3.2. Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, Bundesgesetzblatt Nr. 194 aus 1961,, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, Bundesgesetzblatt Nr. 173 aus 1950,, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, Bundesgesetzblatt Nr. 29 aus 1984,, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.3. Gemäß Paragraph 6, BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005, FPG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

3.4. Gemäß Paragraph 28, Absatz eins, VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zum Spruchteil A

3.5. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide:

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974, (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht. vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Z11 AsylG 2005, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).

Als Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 2, AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist vergleiche z.B. 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011).

Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH vom 26.02.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose vergleiche VwGH vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0397). Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein vergleiche VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten.

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen (VwGH vom 13.11.2008, 2006/01/0191; vom 28.10.2009, 2006/01/0793; vom 19.11.2010, 2007/19/0203). Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist vergleiche VwGH vom 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 in Verbindung mit Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe vergleiche VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, Paragraph 45,, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus vergleiche VwGH vom 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH vom 27.05.1998, 97/13/0051).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein vergleiche VwGH vom 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn. 19, mwN).

3.5.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete jeweils die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten damit, dass die BF1-BF2 keine Bedrohung oder Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen konnten.

3.5.2. Mit dieser Beurteilung ist die belangte Behörde im Ergebnis im Recht.

3.5.3. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die begründete Furcht der BF1-BF2, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht vorliegt:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung anknüpft.

3.5.4. Die Verfolgung aus dem Grund der (unterstellten) politischen Gesinnung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK liegt in jenen Fällen vor, in denen der ungerechtfertigte Eingriff an die (wenn auch nur vermutete) politische Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung der betroffenen Person anknüpft.

3.5.5. Die BF1-BF2 sind staatenlose Palästinenser. Herkunftsstaat nach Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 17, AsylG 2005 ist jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit jemand besitzt. Bei Staatenlosen ist der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes heranzuziehen.

"Sollte die Prüfung der Asylbehörde ergeben, dass der Asylwerber tatsächlich keine Staatsangehörigkeit besitzt und somit staatenlos ist, so wäre zu klären, in welchem Staat er am Beginn seiner Flucht den "gewöhnlichen Aufenthalt" im Sinne des Paragraph eins, Ziffer 4, letzter Halbsatz AsylG 1997 hatte. Diese gesetzliche Definition erfolgte in Anlehnung an Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, FlKonv. ("...oder wer staatenlos ist, sich ... außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthalts befindet ..."). Der UNHCR erläutert in seinem Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (1993), es müsse zur Festlegung des maßgeblichen Herkunftsstaates geprüft werden, ob eine Wechselbeziehung zwischen den angegebenen Fluchtgründen und dem Land, in dem der bisherige Wohnsitz lag, und im Verhältnis zu dem Furcht vor Verfolgung geltend gemacht wird, bestehe. Er bezieht sich dabei [wie auch Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law römisch eins (1966), 160 f] auf die Materialien zur Genfer Flüchtlingskonvention, wonach es sich um das Land handle, "in dem er (der Asylwerber) seinen Wohnsitz hatte und wo er Verfolgung erlitten hatte bzw. fürchtete, verfolgt zu werden, wenn er dahin zurückkehrte" (UNHCR-Handbuch, Rz 103). Gefordert wird eine 'feste Bindung' zu diesem Staat im Sinne einer zumindest für eine gewisse Dauer erfolgten Verlagerung der Interessen dorthin [Hinweis Grahl-Madsen, a.a.O., 160; Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999), Rz 158, und ihm folgend das E 22. 10. 2002, Zl. 2001/01/0089, sowie Schmidt/Frank, AsylG 1997, K 22 zu Paragraph eins ], ", (VwGH vom 20. Februar 2009, Zl. 2007/19/0535). Ist von der Staatenlosigkeit des Asylwerbers auszugehen, so kommt es für die Refoulementprüfung auf den Staat des "früheren gewöhnlichen Aufenthalts" des Asylwerbers an; das ist jener Staat, in dem er sich zu Beginn der Flucht aufgehalten hat. Bei ungeklärtem Herkunftsstaat ist die Frage der Zulässigkeit des Refoulements nur auf den behaupteten Herkunftsstaat zu beziehen (VwGH vom 19.11.2010, Zl. 2006/19/0502).

Vor dem Hintergrund der Judikatur war der frühere gewöhnliche Aufenthalt der BF1-BF2 iSd Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 17, AsylG in Syrien, wo sie sie geboren und als palästinensische Flüchtlinge bei GAPAR registriert sind. Bei UNRWA sind die BF1-BF2 nicht registriert. Ihre Fluchtvorbringen waren daher hinsichtlich ihres Herkunftsstaates Syrien zu prüfen.

Wie in der Beweiswürdigung des verfahrensgegenständlichen Erkenntnisses dargetan, ist es den BF1-BF2 insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen ihre Personen gerichtete, aktuelle Verfolgung im Herkunftsstaat von maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, substantiiert vorzubringen und glaubhaft zu machen. Vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Syrien und der Unglaubhaftigkeit des Vorbringens der BF1-BF2, kann daher nicht erkannt werden, dass diesen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.

3.5.6. Im Verfahren haben sich auch sonst keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen. Die Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der Palästinenser ist per se, wie in der Beweiswürdigung dargelegt, nicht dazu geeignet eine asylrelevante Verfolgung von erforderlicher Intensität im Herkunftsstaat der BF1-BF2 darzutun. Anhaltspunkte dafür, dass die BF1-BF2 als Rückkehrer infolge ihrer Asylantragstellung im Ausland konkrete Verfolgung in Syrien fürchten müssten, liegen vor dem Hintergrund der gewürdigten, umfangreichen und verschiedenen Länderberichte nicht vor. Sonstige Anhaltspunkte für eine asylrelevante, gegen die BF1-BF2 gerichtete, Bedrohung sind nicht hervorgekommen und wurden solche beschwerdeseitig auch nicht behauptet.

3.5.7. Da die BF1-BF2 sohin keine Verfolgungshandlungen in Bezug auf Syrien glaubhaft gemacht haben, liegen die in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK geforderten Voraussetzungen nicht vor und waren die Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide deshalb gemäß Paragraph 28, Absatz 2, in Verbindung mit 3 Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Da die Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde letztlich lediglich von Fragen der Beweiswürdigung abhängig war, ist die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Revision ist im konkreten Fall ausfolgenden Gründen nicht zulässig: Parteivorbringen ist abstrakt nach dem objektiven Erklärungswert auszulegen vergleiche VwGH vom 24.01.1994). Die Auslegung von protokollierten Vorbringens ist nicht reversibel vergleiche VwGH vom 18.05.2016 RA 2016/04/001). Die Beurteilung, ob ein identer Sachverhalt vorliegt, ist keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vergleiche VwGH vom 25.02.2016 2015/19/0267). Die Beurteilung der Zulässigkeit eines Eingriffes in das Privat- und/oder Familienleben nach Artikel 8, EMRK ist Frage des Einzelfalls vergleiche VwGH vom 23.06.2015 RA 2015/22/0027).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2024:W247.2275539.1.00