Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

15.11.2023

Geschäftszahl

I411 2280586-1

Spruch


I411 2280586-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Robert POLLANZ als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 (alias römisch 40 ), StA. Marokko, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU GmbH), Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 19.10.2023, Zl. römisch 40 , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, laut eigenen Angaben ein Staatsangehöriger von Marokko, reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 23.01.2023 erstmals in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Tags darauf begründete er seinen Asylantrag damit, dass er 40 Jahre alt sei und noch nie geheiratet habe. Als Berber sei er marginalisiert worden. Seit seiner Kindheit sei er gegen den islamischen Glauben, das werde in seiner Heimat nicht akzeptiert. In der Fastenzeit dürfe er nicht frei Essen, obwohl er kein Muslim sei. Seine Familie akzeptiere das nicht. Es herrsche auch Armut in Marokko. Er arbeite als Maurer und verdiene EUR 15 am Tag. Er könne sich nicht viel leisten in Marokko. Er fühle sich nicht wohl in Marokko, da es nicht akzeptiert werde, dass er ohne Bekenntnis sei.

2. Anfang Mai 2023 stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl das Asylverfahren ein, da der Beschwerdeführer kurz nach der Asylantragstellung seine Betreuungseinrichtung verlassen hat, in die Schweiz ausreiste und keine aufrechte Meldung mehr im Bundesgebiet hatte.

Im August 2023 reiste der Beschwerdeführer wieder ins Bundesgebiet ein und wurde neuerlich in die Grundversorgung aufgenommen. Das eingestellte Asylverfahren wurde daraufhin fortgesetzt.

3. Am 23.08.2023 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Als er zu seinen Gründen für die Ausreise aus Marokko befragt wurde, gab er an, dass die Gesellschaft in Marokko seine Meinung nicht akzeptiert habe. Das sei der Grund für seine Ausreise gewesen. Von staatlichen Stellen habe er diesbezüglich keine Probleme bekommen. Er habe auch seine eigene Meinung nicht geäußert. Er sei nicht überzeugt gewesen vom Fasten, habe das aber getan, damit er keine Probleme bekommen. Seine Freunde hätten eine schlechte Stimmung gegen ihn, weil sie draufgekommen seien, dass er nicht gläubig sei.

4. Mit Bescheid des Bundesamts vom 24.08.2023, Zl. römisch 40 , wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers vom 23.01.2023 vollinhaltlich abgewiesen.

5. Am 30.08.2023 ersuchten die deutschen Behörden Österreich um die Wiederaufnahme des Beschwerdeführers. Der Rückübernahme wurde am 13.09.2023 zugestimmt.

Nachdem der Beschwerdeführer am 05.10.2023 nach Österreich rücküberstellt worden ist, wurde er festgenommen und gegen ihn die Schubhaft angeordnet.

6. Am 09.10.2023 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Schubhaft den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass er nicht nach Marokko zurück könne. Es seien immer noch die gleichen Gründe, die er auch im ersten Asylverfahren angegeben habe. Bei einer Rückkehr hätte er Angst um seine Freiheit und sein Leben. In Bezug auf seine Fluchtgründe hätte es keine Änderungen gegeben.

7. Am 18.10.2023 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt niederschriftlich Einvernommen. Auf die Frage, warum er neuerlich um Asyl ansuche, antwortete er, darüber informiert worden zu sein, dass er nach Marokko abgeschoben werden soll. Das bedeute seinen Tod. Er wolle nicht nach Marokko. Sein Asylantrag sei abgelehnt worden. Er könne nicht mit Extremisten leben. Sein Leben wäre in Gefahr. Damit meine er, dass er das islamische Gesetz nicht einhalte und die ihn umbringen oder entführen würden. Er bete und faste nicht, das sei daher das Problem. Er sei 40 Jahre alt, das akzeptiere niemand in Marokko. Er lebe unter psychischen Druck. Er gehe nicht lebend zurück. Wenn er nach Marokko zurückgebracht werde, dann werde er sich dort umbringen. Er werde sich dann dort etwas antun, wenn er nochmal beim Opferfest in Marokko sein müsse. Er könne nicht zusehen, wie Tiere getötet werden. Wenn man dort sei, müsse man mitmachen. Das ertrage er nicht.

8. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 68, AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt römisch eins. und römisch II.). Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß Paragraph 57, AsylG (Spruchpunkt römisch III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.) und keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt römisch VI.). Ferner wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß Paragraph 53, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 2, FPG ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt römisch VII.).

9. Gegen diesen Bescheid richtet sich die im vollen Umfang erhobene Beschwerde vom 30.10.2023.

Inhaltlich wird im Wesentlichen vorgebracht, dass sich die wirtschaftliche Lage mit der Corona Pandemie verschlechtert habe und der Beschwerdeführer bei etwaiger Abschiebung nach Marokko keine Möglichkeit hätte, sich eine notwendige Existenzgrundlage in seinem Heimatstaat aufzubauen. Auch sei von der belangten Behörde nicht ermittelt worden, ob durch den marokkanischen Sicherheitsapparat auch tatsächlich Schutz vor seinen (privaten) Verfolgern aufgrund seines Abfalls vom Islam geboten werde.

Die Behörde beziehe sich in ihrer Beweiswürdigung darauf, dass sich der Beschwerdeführer auf sein Fluchtvorbringen des ersten Asylantrags (Atheismus) berufe, verkenne dabei aber, dass aufgrund der geänderten Lage in Marokko ein neuer Sachverhalt gegeben ist. Dies sei vor dem Hintergrund der Gewährung des subsidiären Schutzes aufgrund der geänderten Situation seit den Erdbeben in Marokko besonders fragwürdig. Im gegenständlichen Fall gehe es gerade nicht um subjektive, sondern um objektive Elemente, die sich geändert haben.

Der Beschwerdeführer könnte einer Verfolgung als Atheist nur dann entgehen, wenn er die innere Haltung nicht nach außen tragen würde. Dies könne aber nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden.

Dem Beschwerdeführer drohe wegen dem Abfall vom Islam bei einer Rückkehr nach Marokko eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Religion, dies gehe aus den Länderberichten hervor. Dass er nunmehr zum Christentum konvertieren möge, stelle ein neues Vorbringen dar bzw. liege ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, so dass der gegenständliche Asylantrag nicht zurückzuweisen wäre, sondern inhaltlich über den Antrag entschieden werden müsse.

Die unlängst geschehenen Erdbeben in Marokko würden dazu führen, dass sich die humanitäre Lage in Marokko stark verschlechtert habe. Die Auswirkungen auf den ganzen Staat und die Sicherheit- sowie Versorgungslage im gesamten Staat seien unbestreitbar. Die beschwerdeführende Partei verfüge über keine finanzielle Mittel und sei in Marokko medizinisch nicht versichert. Existenzmöglichkeiten seien von den persönlichen Umständen der Betroffenen und der jeweils aktuellen Sicherheits- und Versorgungslage abhängig. Dass er zum Zeitpunkt des Erdbebens in Deutschland gewesen sei, ändere nichts daran, dass die Lage im Falle einer Rückkehr überaus prekär wäre. Bezüglich etwaiger Existenzmöglichkeiten seien keine weitergehenden Ermittlungen getroffen worden, er wäre gefährdet in Marokko in eine ausweglose Situation zu geraten und sich nicht selbst versorgen zu können. Eine Verletzung der in Artikel 2 und 3 EMRK garantierten Rechte wäre übersteigend wahrscheinlich.

Überdies habe der Beschwerdeführer starke psychische Probleme, deren Behandlung in Marokko nicht sichergestellt wäre.

Außerdem habe er sich keinesfalls dem Verfahren in Österreich entziehen und die Rückkehrentscheidung missachten wollen. Er sei versehentlich in den falschen Zug eingestiegen und nach Deutschland gefahren. Eine fehlende Rückkehrwilligkeit sowie das Fehlen von Bemühungen bei der Beschaffung eines Reise- oder Identitätsdokuments für die Abschiebung stellen keinesfalls ausreichende Begründungen für die Verhängung eines Einreiseverbots dar. Er habe kein Verhalten gezeigt, welches ein Einreiseverbot rechtfertigen würde.

10. Mit Schriftsatz vom 30.10.2023, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 02.11.2023, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, Staatsangehöriger von Marokko und gehört der Volksgruppe der Berber an. Seine Identität steht nicht fest.

Er leidet an keinen lebensbedrohlichen und schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ist arbeitsfähig.

In seinem Herkunftsstaat absolvierte er eine Grundschulausbildung und war jahrelang erwerbstätig. Seine Mutter, seine drei Brüder und zwei Schwestern leben nach wie vor in Marokko. Im November 2022 reiste er legal mit einem Reisedokument auf dem Luftweg aus Marokko in die Türkei aus.

In weiterer Folge gelangte er über mehrere Länder illegal ins Bundesgebiet und stellte erstmals am 23.01.2023 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Kurz nach der Antragstellung begab er sich in die Schweiz, wo er am 14.02.2023 um Asyl ansuchte.

Im Mai 2023 stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl das Verfahren über den Asylantrag vom 23.01.2023 ein, da der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers unbekannt war.

Im August 2023 wurde der Beschwerdeführer nach seiner Wiedereinreise erneut in die Grundversorgung aufgenommen und das eingestellte Asylverfahren fortgesetzt.

Mit Bescheid vom 24.08.2023 wies das Bundesamt den Asylantrag des Beschwerdeführers vom 23.01.2023 vollinhaltlich ab.

Nach negativem Abschluss des Asylverfahrens reiste er nach Deutschland aus. Gegenüber den deutschen Behörden trat er mit einem anderen Geburtsdatum ( römisch 40 ) auf, als in Österreich.

Am 05.10.2023 wurde der Beschwerdeführer von Deutschland nach Österreich rücküberstellt, festgenommen und gegen ihn die Schubhaft angeordnet. Während der Schubhaft startete er einen Hungerstreik, um aus der Haft entlassen werden.

Der aus dem Stande der Schubhaft gestellte Folgeantrag auf Asyl vom 09.10.2023 ist mit Bescheid vom 19.10.2023 zurückgewiesen worden.

Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf und verfügt im Bundesgebiet über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen. Er ging auch zu keinem Zeitpunkt in Österreich einer legalen und der Pflichtversicherung unterliegenden Erwerbstätigkeit nach.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer machte im gegenständlichen Asylverfahren keine neuen Fluchtgründe, welche nach dem negativen Abschluss des ersten Asylverfahrens entstanden sind, geltend.

Auch in Bezug auf die Situation in Marokko hat sich nach dem negativen Abschluss des ersten Asylverfahrens bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides vom 19.10.2023 keine wesentliche Änderung ergeben. Ebenso wenig liegt eine entscheidungswesentliche Änderung in Bezug auf den Gesundheitszustand, die Arbeitsfähigkeit und die Person des Beschwerdeführers und der Rechtslage vor.

1.3. Zur (auszugsweise wiedergegebenen) Lage im Herkunftsstaat (mit Angabe der Quellen), soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:

Sicherheitslage

Letzte Änderung 2023-08-11 12:14

Marokko kann grundsätzlich als stabiles Land betrachtet werden (EDA 9.5.2023). Das französische Außenministerium rät bis auf einige Regionen zu normaler Aufmerksamkeit im Land. In den Grenzregionen zu Algerien wird zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten (FD 6.6.2023). Die Grenze zu Algerien ist seit 1994 geschlossen (AA 8.6.2023; vergleiche BMEIA 5.6.2023). Für die Grenzregionen zu Mauretanien in der Westsahara besteht eine Reisewarnung (AA 8.6.2023; vergleiche FD 6.6.2023, BMEIA 5.6.2023); zudem besteht eine Bedrohung durch Minen und nicht-detonierte Kampfmittel (AA 8.6.2023; vergleiche BMEIA 5.6.2023). Die Grenzregion zu Mauretanien ist zum Großteil vermint. Der einzig offene Grenzübergang nach Mauretanien Guerguarat/ Nouadhibou (Grenzposten PK 55) führt über eine Sandpiste durch vermintes Gebiet. Die Durchfahrt des Bereichs zwischen den beiden Grenzposten wird immer wieder durch wegelagernde Personen erschwert (Anhaltungen, Geldforderungen). Weder die marokkanischen noch mauretanischen Behörden verfügen dort über Exekutivrechte. Aufgrund der Aktivitäten durch die Terrororganisation Al Qaida in der benachbarten Sahelregion und in Westafrika besteht auch in Marokko ein gewisses Risiko (BMEIA 5.6.2023).

In der Region Tanger-Tetouan-Al Hoceima – vor allem im Rif-Gebirge – herrscht aufgrund sozialer Konflikte eine angespanntere Situation als im Rest des Landes. Die Kriminalitätsrate ist infolge des Rauschgifthandels sehr hoch. Es besteht ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (BMEIA 5.6.2023; vergleiche AA 8.6.2023).

Marokko kann als sicheres Land angesehen werden, nicht nur in Bezug auf Terrorismus. Ausnahme bildet nur die Westsahara, wo es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen marokkanischen Truppen und der POLISARIO (Frente Popular para la Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro - Volksfront zur Befreiung von Saguía el Hamra und Río de Oro) kommt. Der letzte größere Terroranschlag fand im Jahr 2011 statt. 2018 gab es bei Morden mit mutmaßlich terroristischem Hintergrund zwei, im Jänner 2022 ein weiteres Todesopfer und einen Verletzten, im Dezember 2022 nochmals einen Toten. Die Bedrohung durch den Extremismus ist jedenfalls gegeben; es ist vor allem der Effektivität der Exekutive im Bereich der Terrorismusbekämpfung zu danken, dass terroristische Gruppen kaum aktiv werden können. Die Behörden, hier vor allem das Bureau central d‘investigation judiciaire (BCIJ), sind effektiv beim Erkennen und Verhindern potenzieller terroristischer Bedrohungen durch rechtzeitiges Ausheben von Terrorzellen. Es kommt zu zahlreichen Verhaftungen von Terrorverdächtigen. Im Jahresvergleich 2021 zu 2022 kann eine weitere Verbesserung festgestellt werden, trotz kleinerer Vorfälle – dies zeigt auch die Auswertung des Global Terrorism Index der entsprechenden Jahre (STDOK 11.4.2023).

Demonstrationen und Protestaktionen sind jederzeit im ganzen Land möglich. Vereinzelte gewalttätige Auseinandersetzungen können dabei nicht ausgeschlossen werden (EDA 9.5.2023; vergleiche BMEIA 5.6.2023). In den größeren Städten ist fallweise mit Demonstrationen und Ausschreitungen zu rechnen (BMEIA 5.6.2023; vergleiche AA 8.6.2023). Proteste entzünden sich meist an wirtschaftlichen und sozialen Missständen (AA 8.6.2023). Es kann zu Taschendiebstählen und Raubüberfällen kommen (BMEIA 5.6.2023).

Partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für Reisen in das Landesinnere des völkerrechtlich umstrittenen Territoriums der Westsahara und in entlegene Saharazonen Südmarokkos. Insbesondere vor der unmittelbaren Grenzregion zu Algerien, wird gewarnt (BMEIA 5.6.2023; vergleiche AA 8.6.2023). Von Reisen in das Gebiet der Westsahara wird dringend abgeraten (AA 28.6.2023; vergleiche EDA 9.5.2023). Das völkerrechtlich umstrittene Gebiet der Westsahara erstreckt sich südlich der marokkanischen Stadt Tarfaya bis zur mauretanischen Grenze. Es wird sowohl von Marokko als auch von der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario beansprucht. Die United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara MINURSO überwacht den Waffenstillstand zwischen den beiden Parteien. Auf beiden Seiten der Demarkationslinie (Sandwall) sind diverse Minenfelder vorhanden. Seit November 2020 haben die Spannungen in der Westsahara zugenommen. In El Guerguerat an der Grenze zu Mauretanien und entlang der Demarkationslinie ist es wiederholt zu Scharmützeln zwischen marokkanischen Truppen und Einheiten der Frente Polisario gekommen, die manchmal zivile Opfer fordern. Mit weiteren Ereignissen dieser Art muss gerechnet werden (EDA 9.5.2023).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.6.2023): Marokko: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/marokkosicherheit/224080, Zugriff 8.8.2023

BMEIA - Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (5.6.2023): Reiseinformation Marokko (Königreich Marokko), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 8.8.2023

EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelenheiten [Schweiz] (9.5.2023): Reisehinweise für Marokko, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/marokko/reisehinweise-fuermarokko.html#eda0aa0c9, Zugriff 8.8.2023

FD - France Diplomatie [Frankreich] (6.6.2023): Maroc, Entrée/Séjour, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/maroc/#securite, Zugriff 8.8.2023

STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (11.4.2023): Themenbericht intern: Nordafrika - Terrorismus in Ägypten, Libyen, Marokko und Tunesien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung 2023-08-11 12:39

Der Grundrechtskatalog (Kapitel römisch eins und römisch II) der Verfassung ist substanziell; wenn man noch die durch internationale Verpflichtungen übernommenen Grundrechte hinzuzählt, kann man von einem recht umfassenden Grundrechtsrechtsbestand ausgehen. Als eines der Kerngrundrechte fehlt die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verfassung selbst stellt allerdings den Rechtsbestand unter den Vorbehalt der traditionellen „roten Linien“ - Monarchie, islamischer Charakter von Staat und Gesellschaft, territoriale Integrität (i. e. Annexion der Westsahara) - quasi als „Baugesetze“ des Rechtsgebäudes. Der vorhandene Rechtsbestand, der mit der neuen Verfassungslage v.a. in Bereichen wie Familien- und Erbrecht, Medienrecht und Strafrecht teilweise nicht mehr konform ist, gilt weiterhin (ÖB 8.2021). In den Artikeln 19 bis 35 garantiert die Verfassung die universellen Menschenrechte. Im Mai 2017 stellte sich Marokko dem Universellen Staatenüberprüfungsverfahren (UPR) des UN-Menschenrechtsrats. Marokko akzeptierte 191 der 244 Empfehlungen. Die nächste Überprüfung im Rahmen der Universellen Staatenüberprüfung (UPR) erfolgte im November 2022 (AA 22.11.2022).

Systematische staatliche Repressionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sind nicht festzustellen. Gewichtige Ausnahme: wer die Vorrangstellung der Religion des Islam infrage stellt, die Person des Königs antastet oder die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko anzweifelt (AA 22.11.2022). Nichtregierungsorganisationen, darunter die marokkanische Vereinigung für Menschenrechte (AMDH), Amnesty International und saharauische Organisationen, behaupteten, die Regierung habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen inhaftiert, wobei sie vorgebliche Strafanzeigen wie Spionage oder sexuelle Übergriffe vorbrachte (USDOS 20.3.2023). Marokko verfolgt eine aktive Menschrechtspolitik und konnte in wichtigen Bereichen, u. a. Frauenrechte, deutliche Fortschritte erzielen. NGOs kritisieren jedoch zunehmende Einschränkungen von Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit sowie die strafrechtliche Verfolgung von einzelnen Journalisten (AA 28.6.2023).

Verfassung und Gesetz sehen allgemeine Meinungs- und Pressefreiheit vor. Nach wie vor ist die Medienfreiheit jedoch durch die „roten Linien“ der Staatsräson erheblich eingeschränkt (USDOS 20.3.2023; vergleiche AA 22.11.2022).

Unabhängige Medien und Journalisten stehen unter erheblichem Druck, und das Recht auf Information wird von einer mächtigen Propaganda- und Desinformationsmaschine zerstört, die der politischen Agenda derer dient, die den Machthabern nahestehen. Unter Druck gaben die letzten unabhängigen Medien in Marokko, die Tageszeitung Akhbar Al Yawm, ihren Kampf auf, ihre letzte Veröffentlichung datiert vom April 2021. Die Hauptinformationsquelle für die Bevölkerung sind soziale Netzwerke und Online-Seiten (RSF 2023). Zu den wichtigsten Fernseh- und Radioeigentümern gehören die Königsfamilie und andere politisch einflussreiche Unternehmer (ROG 2023; vergleiche AA 22.11.2022).

Immer wieder werden Journalisten wegen kritischer Berichte beruflich wie privat von staatlicher Seite unter Druck gesetzt, bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung aufgrund anderer Delikte wie Unterschlagung oder Sexualstraftaten, obwohl die Beweise laut HRW teilweise dürftig oder zweifelhaft scheinen (AA 22.11.2022). Die Tendenz zur Selbstzensur ist auch bei unabhängigen Medien stark ausgeprägt und bleibt nach wie vor ernsthafte Hindernisse für die Entwicklung einer freien, unabhängigen und investigativen Presse (USDOS 20.3.2023). Für das Jahr 2023 wurde Marokko auf Platz 144 von 180 gelisteten Staaten runtergestuft (RSF 2023; vergleiche ROG 2023). Kritik am König ist in Marokko verboten und wird als „Angriff auf die heiligen Werte der Nation“ mit Gefängnis bestraft. Tabuthemen sind auch politische Proteste, die Westsahara-Politik, Korruption hochrangiger Politiker und inzwischen die Massenmigration nach Europa. Immer wieder werden Journalisten wegen unliebsamer Berichte vor Gericht gebracht und zu Haftstrafen verurteilt oder Korrespondenten ausländischer Medien abgeschoben. Zum Einschüchterungsrepertoire des Staats gehören auch Anzeigenboykotte, Drohungen, untergeschobene Drogendelikte, Rufmord, Überfälle, Einbrüche und seit neuestem Anklagen wegen angeblicher Sexualdelikte. Manche Gerichtsprozesse gegen Medienschaffende werden über Jahre hinweg verschleppt (ROG 2023). Es kommt auch zu Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung, v.a. gegen Blogger, Aktivisten und Studenten (FH 2023; vergleiche BS 23.2.2022).

Ferner verurteilt Reporter ohne Grenzen (RSF) die Zustimmung der marokkanischen Regierung zu einem Gesetzesvorschlag, der den Nationalen Presserat, ein Selbstregulierungsorgan, das den marokkanischen Medien eine gewisse Unabhängigkeit verliehen hat, ersetzen soll. Der Nationale Presserat, der gemäß der Verfassung von 2011 als beratendes Gremium unter der Ägide des Kommunikationsministeriums eingerichtet wurde, beendete die direkte staatliche Aufsicht über den Mediensektor, als sein Mandat im Oktober 2022 auslief. Sechs Monate später hat die Regierung von Premierminister Aziz Akhannouch den Gesetzentwurf verabschiedet. Beobachter werten diese unerklärliche Entscheidung als Zeichen eines klaren Willens der Regierung, die Kontrolle über die Medien wiederzuerlangen und jegliche Selbstregulierung zu beenden, da mit diesem Gesetz die Befugnisse des Rates auf ein temporäres Komitee überträgt. Der Gesetzentwurf der Regierung muss noch vom Parlament verabschiedet werden, allerdings ist noch nicht bekannt, wann das Parlament den Entwurf prüfen wird (RSF 14.4.2023).

Am 21.11.2022 wurde der Präsident der Anwaltskammer von Rabat und ehemaliger Minister für Menschenrechte, Mohamed Ziane, in seiner Kanzlei ohne richterlichen Beschluss festgenommen, nachdem 20 Sicherheitsbeamten sein Büro gestürmt hatten. Ziane war bereits vier Jahre lang Zielscheibe einer groß angelegten Diffamierungskampagne, die von staatlich gelenkten Online-Medien in einer konzertierten Aktion betrieben wurde, um sein Ansehen zu diskreditieren. Weiters wirft Ziane dem Regime vor, Dissidenten zu unterdrücken und mundtot zu machen. Ziane zufolge hat sich der Nationale Sicherheitsdienst in eine politische Polizei verwandelt, die Dissidenten überwacht und mit Diffamierungen überzieht, die von der Regierung nahestehenden Zeitungen und Websites verbreitet werden. Diese neuartigen Methoden der Unterdrückung, führen zu unfairen Gerichtsverfahren und Urteile gegen unabhängige Journalisten (Quatara.de 6.2.2023). Darüber hinaus werden derzeit laut Presseberichten vom 16.5.2023, neue Vorschriften für Online-Medien und die Nachrichtenberichterstattung erarbeitet. Da elektronische Medien und Nachrichtenagenturen manchmal ohne Lizenz betrieben werden, muss der rechtliche Rahmen definiert werden, um sicherzustellen, dass diese die gleichen Anforderungen erfüllen wie andere Medien. So verfügen digitale Mediendienste beispielsweise nicht über die erforderliche Infrastruktur oder zahlen keine Sozialversicherungsbeiträge für ihre Mitarbeiter. Das Gesetz über den Journalismus und das Verlagswesen stammt aus dem Jahr 2016 (BAMF 22.5.2023).

Ausländische Satellitensender und das Internet sind frei zugänglich (AA 22.11.2022). Gelegentlich unterbrechen die Behörden Webseiten und Internetplattformen (FH 2023). Die Arbeit der Presse wurde in der Covid-19-Krise zeitweise eingeschränkt (zeitweiliges Verbot des Drucks und Verkaufs von Zeitungen und Zeitschriften: Online-Berichterstattung zu COVID-19-Themen weitgehend über offizielle Kommuniqués, teilweise Einschränkung von Auskünften durch staatliche Stellen sowie auch journalistischer Arbeitsmöglichkeiten im Ausnahmezustand) (AA 22.11.2022). Die staatliche Überwachung von Online-Aktivitäten und persönlicher Kommunikation ist ein ernstes Problem. Der Einsatz von Spionageprogrammen und Überwachungstechnologien durch die Regierung ist weit verbreitet (FH 2023). Die – auch im öffentlichen Raum kaum kaschierten – Überwachungsmaßnahmen erstrecken sich auch auf die Überwachung des Internets und elektronischer Kommunikation, wobei Aktivisten, die für eine unabhängige Westsahara eintreten – vor allem im Gebiet der Westsahara selbst – besonders exponiert sind (ÖB 8.2021). Ein Gericht in Casablanca verurteilte einen Mann zu fünf Jahren Haft, weil er sich Ende 2020 auf Facebook kritisch zu den verbesserten diplomatischen Beziehungen zwischen Marokko und Israel äußerte. Ihm wird Kritik am König vorgeworfen, da dieser die Leitlinien der marokkanischen Außenpolitik bestimmt. Laut Artikel 267-5 des Strafgesetzbuches ist für die Untergrabung der Monarchie eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren vorgesehen und kann auf fünf Jahre erhöht werden (BAMF 7.8.2023).

Es kommt vereinzelt zur Strafverfolgung von Journalisten. Staatliche Zensur ist nicht bekannt. Viele Medien sind jedoch wirtschaftlich von regierungsnahen Unternehmen abhängig (AA 22.11.2022), bzw. ist diese eng mit den Machtzentren verbunden (BS 23.2.2022; vergleiche AA 22.11.2022), und wird durch die Selbstzensur der Medien im Bereich der oben genannten drei Tabuthemen ersetzt (AA 22.11.2022). Gesetzlich unter Strafe gestellt und aktiv verfolgt sind und werden kritische Äußerungen betreffend den Islam, die Institution der Monarchie und die offizielle Position der Regierung zur territorialen Integrität bzw. den Anspruch auf das Gebiet der Westsahara (USDOS 20.3.2023; vergleiche HRW 12.1.2023, AA 22.11.2022, ÖB 8.2021). Dies gilt auch für Kritik an Staatsinstitutionen oder das Gutheißen von Terrorismus (ÖB 8.2021; vergleiche HRW 12.1.2023). Solche Kritik kann nach dem Strafgesetzbuch strafrechtlich verfolgt werden, wobei die Strafen von Geldstrafen bis zu Freiheitsstrafen reichen können. Der Pressekodex, der auch die Meinungsfreiheit vorsieht, gilt nur für akkreditierte Journalisten. Die privaten Reden und Handlungen akkreditierter Journalisten bleiben laut Strafgesetzbuch strafbar. Lokale NGOs berichteten auch, dass die Behörden trotz der Pressekodizes, die die rechtswidrige Inhaftierung von Personen verhindern sollten, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machten, Strafgesetze einsetzten, um Kommentatoren, Aktivisten und Journalisten zu bestrafen, die die Regierung kritisieren (USDOS 20.3.2023). Laut Reporter ohne Grenzen befinden sich aktuell 11 Journalisten und 3 Medienmitarbeiter in Haft (RSF 2023).

Internationale NGOs werfen dem marokkanischen Staat vor, allgemeine Straftatbestände (Sexualstrafrecht, Steuerrecht, Verleumdung) zu nutzen, um kritische journalistische Stimmen und oppositionelle Meinungen zu unterdrücken. Aktivisten, die wegen ihres Engagements für Umweltschutz oder soziale Fragen vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen verurteilt werden (AA 22.11.2022). Kritiker werden in unfairen Gerichtsverfahren wegen schwerer Verbrechen wie Geldwäsche, Spionage, Vergewaltigung, sexueller Übergriffe und Menschenhandel angeklagt. Unter den Taktiken, um abweichende Meinungen mundtot zu machen, haben die Behörden auf unfaire Gerichtsverfahren, digitale und Kameraüberwachung, Belästigungskampagnen durch Medien in der Nähe des königlichen Hofes, bekannt als Makhzen, physische Überwachung, Aggression und Einschüchterung sowie gezielte Angriffe auf Angehörige von Aktivisten zurückgegriffen (HRW 12.1.2023). NGOs berichteten auch weiterhin über den Einsatz willkürlicher Überwachung von Menschenrechtsaktivisten und Journalisten, wobei Freedom House über den „weit verbreiteten“ Einsatz von Spyware und Überwachungstechnologien durch die Regierung berichtete. In einem Bericht vom Juli 2022 dokumentierte HRW die physische und elektronische Überwachung durch die Regierung, um unabhängige Journalisten und Menschenrechtsverteidiger zu schikanieren und ihre Rechte zu verletzen. Dem Bericht zufolge kamen mehrere Personen zu dem Schluss, dass einige der über sie in den Medien veröffentlichten Informationen detailliert genug waren, um nur durch staatliche Überwachung erlangt worden zu sein (USDOS 20.3.2023).

Die marokkanischen Behörden haben ihre Schikanen gegen Aktivisten und Kritiker verstärkt (HRW 12.1.2023) und verfolgten und inhaftierten 2022 mindestens sieben Journalisten und Aktivisten wegen Kritik an der Regierung sowie gegen Personen, die online über Religion sprachen oder sich mit Aktivisten solidarisierten (AI 27.3.2023). Zudem wird die Spyware Pegasus gegen Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Oppositionelle, Politiker und Diplomaten eingesetzt (HRW 12.1.2023).

Am 18.1.2023 forderte das EU Parlament Marokko schriftlich dazu auf, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit zu achten, inhaftierten Journalisten ein faires Verfahren mit sämtlichen Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren zu garantieren, ihre sofortige vorläufige Freilassung sicherzustellen und die Drangsalierung aller Journalisten, ihrer Anwälte und Familien einzustellen. Ferner fordert das EU Parlament die staatlichen Stellen nachdrücklich auf, ihren internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte im Einklang mit dem Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Marokko nachzukommen und verurteilte aufs Schärfste den Missbrauch von Anschuldigungen sexueller Übergriffe, mit denen Journalisten davon abgehalten werden sollen, ihre Aufgaben wahrzunehmen; und vertritt die Ansicht, dass dieser Missbrauch die Rechte der Frau gefährdet. Zudem fordert das EU Parlament die staatlichen Stellen Marokkos nachdrücklich auf, ihre Überwachung von Journalisten, unter anderem über die Spionagesoftware Pegasus einzustellen und Rechtsvorschriften zum Schutz von Journalisten zu erlassen und umzusetzen (EP 18.1.2023).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind in der Verfassung von 2011 verfassungsrechtlich geschützt, werden aber durch die „roten Linien“ Glaube, König, Heimatland eingeschränkt (AA 22.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). Versammlungen von mehr als drei Personen sind genehmigungspflichtig (USDOS 20.3.2023). Die Behörden gehen meist nicht gegen öffentliche Ansammlungen und die häufigen politischen Demonstrationen vor, selbst wenn diese nicht angemeldet sind (AA 22.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). In Einzelfällen kommt es jedoch zur gewaltsamen Auflösung von Demonstrationen (AA 22.11.2022; vergleiche FH 2023, USDOS 20.3.2023). Ein großer Rückschlag für die Meinungsfreiheit und die bürgerlichen Freiheiten waren auch die Verhaftungen von Journalisten, Künstlern und Menschenrechtsaktivisten aufgrund verschiedener Anschuldigungen, die ein Zeichen dafür sind, dass das Justizsystem weiterhin gegen Kritiker und unabhängige Akteure eingesetzt wird (BS 23.2.2022).

Obwohl verfassungsmäßig Vereinigungsfreiheit gewährleistet ist, schränkt die Regierung dieses Recht manchmal ein (USDOS 20.3.2023). Organisationen wird die offizielle Registrierung verweigert (HRW 12.1.2023). Politischen Oppositionsgruppen und Organisationen, die den Islam als Staatsreligion, die Monarchie, oder die territoriale Integrität Marokkos infrage stellen, wird kein NGO-Status zuerkannt (USDOS 20.3.2023).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2023): Marokko - Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/marokko-node/politisches-portrait/224120, Zugriff 8.8.2023

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.7.2023

AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Morocco And Western Sahara 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089568.html, Zugriff 11.4.2023

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.8.2023): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw32-2023.html;jsessionid=9297CD92FE9742BDDEEF644C3BE30042.internet271, Zugriff 8.8.2023

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.5.2023): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/EN/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw21-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 27.7.2023

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023

EP - Europäisches Parlament (18.1.2023): Gemeinsamer Entschliessungsantrag zur Lage von Journalisten in Marokko, insbesondere zum Fall Omar Radi, https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/RC-9-2023-0057_DE.html, Zugriff 11.4.2023

FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2085478.html, Zugriff 11.4.2023

ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

Quatara.de (6.2.2023): Menschenrechtslage in Marokko, Rabats Verleumdungsmaschinerie, https://de.qantara.de/inhalt/menschenrechtslage-in-marokko-rabats-verleumdungsmaschinerie, Zugriff 21.4.2023

RSF - Reporters sans frontière (14.4.2023): Le projet de remplacer le Conseil national de la presse au Maroc menace un peu plus l’indépendance de la profession, https://rsf.org/fr/le-projet-de-remplacer-le-conseil-national-de-la-presse-au-maroc-menace-un-peu-plus-l-ind%C3%A9pendance, Zugriff 27.7.2023

RSF - Reporters sans frontière (2023): Maroc / Sahara occidental, https://rsf.org/fr/pays/maroc-sahara-occidental, Zugriff 22.5.2023

ROG - Reporter ohne Grenzen (2023): Rangliste der Pressefreiheit, Marokko, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/marokko, Zugriff 22.5.2023

USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html, Zugriff 20.4.2023

Religionsfreiheit

Letzte Änderung 2023-08-11 12:40

Mehr als 99 % der Bevölkerung sind sunnitische Muslime und weniger als 0,1 % der Bevölkerung sind schiitische Muslime (USDOS 15.5.2023). Die restlichen religiösen Gruppen (Christen, Juden, schiitische Moslems und Baha’i) machen weniger als 1 % der Bevölkerung aus (AA 22.11.2022; vergleiche USDOS 15.5.2023).

Der sunnitische Islam malikitischer Rechtsschule ist Staatsreligion. Die verfassungsmäßige Stellung des Königs als Führer der Gläubigen und Vorsitzender des Ulema-Rats (Möglichkeit des Erlassens religiös verbindlicher Fatwas) ist weithin akzeptiert. Das Ministerium für Stiftungen und islamische Angelegenheiten (MEIA) kontrolliert strikt alle religiösen Einrichtungen und Aktivitäten und gibt das wöchentliche Freitagsgebet vor (AA 22.11.2022; vergleiche USDOS 15.5.2023). Marokko hat sich bemüht, den religiösen Bereich zu reformieren, um der Zunahme radikaler religiöser Rhetorik entgegenzuwirken (BS 23.2.2022). Zur Prävention von Radikalisierung überwachen die Sicherheitsorgane islamistische Aktivitäten in Moscheen und Schulen (AA 22.11.2022).

Artikel 3, der Verfassung garantiert Religionsfreiheit (AA 22.11.2022; vergleiche USDOS 15.5.2023). Der Artikel zielt auf die Ausübung der Staatsreligion ab, schützt aber auch die Ausübung anderer anerkannter traditioneller Schriftreligionen wie Judentum und Christentum. Neuere Religionsgemeinschaften - wie etwa die Baha'i - werden ebenso wenig staatlich anerkannt, wie abweichende islamische Konfessionen wie zum Beispiel die Schiiten. Fälle staatlicher Verfolgung aufgrund der Ausübung einer anderen als den anerkannten Religionen sind nicht bekannt (AA 22.11.2022).

Missionierung ist in Marokko nur Muslimen (de facto ausschließlich den Sunniten der malikitischen Rechtsschule) erlaubt. Mit Strafe bedroht ist es, Gottesdienste jeder Art zu behindern, den Glauben eines (sunnitischen) Muslim „zu erschüttern“ und zu missionieren (Artikel 220, Absatz 2, des marokkanischen Strafgesetzbuches). Dies schließt das Verteilen nicht-islamischer religiöser Schriften ein. Bibeln sind frei verkäuflich, werden jedoch bei Verdacht auf Missionarstätigkeit beschlagnahmt. Ausländische Missionare können unverzüglich des Landes verwiesen werden, wovon die marokkanischen Behörden in Einzelfällen Gebrauch machen (AA 22.11.2022).

Laizismus und Säkularismus sind gesellschaftlich negativ besetzt, der Abfall vom Islam (Apostasie) gilt als eine Art Todsünde, ist aber nicht strafbewehrt (AA 22.11.2022; vergleiche BS 23.2.2022). Beleidigung des Islam wird kriminalisiert und kann mit einer Haftstrafe geahndet werden (USDOS 15.5.2023; vergleiche BS 23.2.2022). Es gibt einen starken sozialen Druck, die islamischen Glaubensregeln zumindest im öffentlichen Raum zu befolgen. Grundsätzlich ist der freiwillige Religionswechsel Marokkanern nicht verboten, wird aber in allen Gesellschaftsschichten stark geächtet. Staatliche Stellen behandeln Konvertiten insbesondere familienrechtlich weiter als Muslime (AA 22.11.2022). Nicht-Muslime müssen offiziell zum Islam konvertieren, um die Pflegschaft für ein muslimisches Kind übernehmen zu können. Ein muslimischer Mann darf nach marokkanischem muslimischem Recht eine nicht-muslimische Frau heiraten, eine muslimische Frau kann dagegen in keinem Fall einen nicht-muslimischen Mann heiraten (USDOS 15.5.2023; vergleiche AA 22.11.2022).

Die Behörden verweigern weiterhin christlichen Gruppen die Freiheit, in Kirchen ihren Glauben auszuüben, das Recht auf christliche Heirat sowie Begräbnis und das Recht, Kirchen zu errichten (USDOS 15.5.2023). Schiitische Quellen berichteten, sie hätten Ashura privat beobachtet, um gesellschaftliche Belästigungen zu vermeiden. Schiitische Muslime sagten, dass viele es in Gebieten, in denen ihre Zahl geringer sei, versäumen, ihre Religionszugehörigkeit offenzulegen. Öffentliche Ashura-Prozessionen sind für sunnitische Muslime erlaubt, für schiitische Muslime jedoch verboten. Vertreter religiöser Minderheiten bestätigten, dass die Angst vor gesellschaftlicher Schikane, einschließlich der Ächtung durch die Familien der Konvertiten, vor sozialem Spott, Diskriminierung am Arbeitsplatz und potenzieller Gewalt, die Hauptgründe dafür seien den Glauben diskret zu praktizieren. Jüdische Bürger gaben weiterhin an, dass sie in Sicherheit leben und den Gottesdienst in der Synagoge besuchen, regelmäßig religiöse Stätten besuchen und jährliche Gedenkfeiern abhalten (USDOS 15.5.2023).

Marokkanische Christen und andere Religionsgemeinschaften üben ihren Glauben in der Regel nur im privaten Bereich aus. Marokkaner werden von staatlichen Organen gehindert, Gottesdienste in „ausländischen“ Kirchen zu besuchen, und riskieren bei jeder öffentlichen Glaubenspraxis den Vorwurf des Missionierens (AA 22.11.2022).

Medien, Aktivisten, Gemeindeleiter und christliche Konvertiten berichten, dass christliche Bürger von nicht christlichen Familienangehörigen und Freunden unter Druck gesetzt werden, zum Islam zu konvertieren oder ihrem christlichen Glauben abzuschwören. Einige junge christliche Konvertiten, die noch bei ihren muslimischen Familien leben, geben Berichten zufolge ihren Glauben nicht preis, weil sie glauben, sie könnten von zu Hause vertrieben werden, wenn sie sich nicht vom Christentum abschwören würden (USDOS 15.5.2023).

Angehörige der Bahai-Religion geben an, dass sie mit Familie, Freunden und Nachbarn offen über ihren Glauben sprechen (USDOS 15.5.2023).

Kinder und Jugendliche muslimischer Bürger besuchen weiterhin private christliche und jüdische Grund- und Oberschulen, da diese Schulen den Ruf haben, eine qualitativ hochwertige Bildung zu bieten (USDOS 15.5.2023).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023

USDOS - US-Außenministerium [USA] (15.5.2023) : 2022 Report on International Religious Freedom: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2091927.html, Zugriff 16.5.2023

Ethnische Minderheiten

Letzte Änderung 2023-08-11 12:40

Marokko erkennt ausdrücklich in seiner Verfassung die Diversität der Nation an. Staatliche Diskriminierung gegenüber ethnischen Minderheiten ist nicht vorhanden (AA 22.11.2022). Die Verfassung enthält auch die Anerkennung der berberischen Wurzeln, Traditionen und Sprache gleichberechtigt neben dem arabischen und jüdischen Kulturerbe (ÖB 8.2021). Die jüdischen Wurzeln der Nation werden geschützt und gepflegt (AA 22.11.2022).

Wer sich den Berbern, die eine recht heterogene, auf drei Hauptstämme aufgegliederte Bevölkerungsgruppe darstellen, zugehörig fühlt, hängt vom familiären, geografischen und soziokulturellen Hintergrund ab. Im Allgemeinen verweisen Berberstämmige mit Stolz auf ihre Abkunft, insbesondere wenn sie zu den alteingesessenen Familien oder Clans der historischen Städte im Berbergebiet (Fes, Marrakesch, Ouarzazate usw.) gehören. Der „Minderheitencharakter“ der Berber ist bei ca. 40 % der Bevölkerung mit berberischen Wurzeln relativ zu sehen. Aussagen über den Anteil von Berbern in bestimmten Bereichen (öffentlicher Dienst, Militär, freie Berufe, Wirtschaftstreibende) sind nicht greifbar. Nach Einschätzung der Botschaft mag eine Diskriminierung aufgrund der berberischen Herkunft im Einzelfall vorkommen, ein generelles diskriminierendes Verhaltensmuster ist nicht erkennbar (ÖB 8.2021).

Etwa die Hälfte der Bevölkerung macht eine berberische Abstammung geltend und spricht eine der drei in Marokko vertretenen Berbersprachen. Dies ist wichtiger Teil ihrer Identität. Die meisten Berber in Marokko sehen sich jedoch nicht als ethnische Minderheit. Marokko fördert Sprache und Kultur der Berber inzwischen aktiv (AA 22.11.2022). Mindestens 40 % der Bevölkerung sind Amazigh, und die Mehrheit der Marokkaner hat amazighische Wurzeln. Die Amazigh-Eliten haben Zugang zur Monarchie und ihre Interessen werden im Parlament vertreten, doch der Großteil der Amazigh-Bevölkerung ist sozial, wirtschaftlich und politisch marginalisiert. Die jüngsten Unruhen in Al Hoceïma, in der umliegenden Rif-Region und in anderen Städten Marokkos waren zu einem großen Teil auf die Ungerechtigkeiten zurückzuführen, denen sich viele Amazigh ausgesetzt sahen, und darauf, dass sie nicht in der Lage waren, ihren Unmut über das politische System zu äußern (FH 2023). In Artikel 5 der Verfassung wurde Amazigh, neben Arabisch, als offizielle Sprache anerkannt (BS 23.2.2022), vorerst bestehen aber nur vereinzelt Ansätze, dies in die Praxis umzusetzen (z. B. Straßenschilder) (ÖB 8.2021). Amazigh ist Mitte 2019 per Gesetz als Unterrichtssprache aufgewertet worden (AA 22.11.2022). Der berberische Sprachunterricht im Schulsystem ist nur wenig dicht und führt über die 6. Schulstufe nicht hinaus. Folglich ist eine höhere Bildung in berberischer Sprache nicht möglich (ÖB 8.2021).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023

FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

Grundversorgung

Letzte Änderung 2023-09-20 15:53

Die Grundversorgung der Bevölkerung ist gewährleistet, Brot, Zucker und Gas werden subventioniert (AA 22.11.2022). Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, Wasser, Strom und Abwasserentsorgung verbessert sich allmählich, aber es bestehen nach wie vor große infrastrukturelle Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Gebieten sowie innerhalb marginalisierter städtischer Viertel, in denen es immer noch an grundlegenden Dienstleistungen mangelt. Insgesamt sind 77 % der Haushalte an Abwassersysteme und 85 % an verbesserte Wasserquellen angeschlossen. Einigen Gemeinden fehlen noch immer die technischen und finanziellen Mittel für die Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen, einschließlich öffentlicher Verkehrsmittel (BS 23.2.2022). Staatliche soziale Unterstützung ist begrenzt (vor allem private Organisationen oder die Fondation Mohammed römisch VI), vielfach sind religiös-karitative Organisationen tätig. Die entscheidende Rolle bei der Betreuung Bedürftiger spielt nach wie vor die Familie (AA 22.11.2022).

Marokko hatte die Ausnahmesituationen, hervorgerufen durch die Pandemie und die Ukraine-Krise der vergangenen Jahre, bislang gut überstanden und hat sich dynamisch an die Herausforderungen angepasst. Die weltweit gestiegenen Energiepreise (Öl, Gas und Kohle), die Unterbrechung der Gaspipeline aus Algerien und anhaltender Wassermangel und damit einhergehender Probleme für die Landwirtschaft, haben die Preise für Getreide und Gemüse angeheizt und die Inflation 2022 auf 6,7 % steigen lassen. All dies gab dem aufkeimenden wirtschaftlichen Optimismus im Land zumindest 2022 einen ordentlichen Dämpfer (WKO 4.2023a). Ihren Höchststand erreichte die marokkanische Jahresinflation gegen Ende 2022 mit 8,3 % (WB 14.2.2023).

Allerdings konnte Marokko durch das international hohe Preisniveau von Phosphat im Export einiges auffangen. So konnte für 2022, trotz massiven Einbruch im Agrarbereich, ein Wirtschaftswachstum von 1 % erreicht werden. Für 2023 und die Periode bis ca. 2027 gehen Analysten von durchschnittlich 3 % jährlichem Wachstum aus. Aufgrund der starken Preiserhöhungen haben soziale Spannungen im Land zugenommen. Diese werden zwar anhalten, die generelle Stabilität des Landes wird aber dadurch nicht weiter beeinflusst (WKO 4.2023a).

Die trotz Regierungswechsel stabilen, politischen Verhältnisse und die zahlreichen Investitionspläne mit dem Ziel der Diversifizierung und Stärkung der marokkanischen Wirtschaft und einer Umstellung auf erneuerbare Energie, ziehen mittelfristig gute Geschäftschancen in den unterschiedlichsten Bereichen nach sich: Prozessoptimierung und Modernisierung der Industrie steht ganz oben auf der Agenda der marokkanischen Industrie. Hier ergeben sich für Automobilzulieferer, Industrieausstatter, Anlagenlieferanten und Dienstleister gute Marktchancen. Die Casablanca Finance City, wurde kürzlich wieder zum wichtigsten und besten Finanzzentrum auf dem Kontinent gekürt, bietet über Marokkos Grenzen hinaus Chancen im Bereich Dienstleistungen, Informationstechnologie, FinTec und Urban Development. Interessant sind auch die Bereiche erneuerbare Energie und Energieeffizienz, Wasserwirtschaft, Tourismus, Infrastrukturausbau, Chemie, maritime Wirtschaft, Umwelttechnologie sowie Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft. Auch im Agrarbereich (landwirtschaftliche Maschinen) oder im Bereich Papier und Holz (Schnittholz) und nicht zuletzt in der Pharmabranche gibt es gute Absatzchancen (WKO 4.2023a).

Marokko ist ein agrarisch geprägtes Land: Die Landwirtschaft erwirtschaftet in Marokko ca. 20 % des BIP und ist damit der bedeutendste Wirtschaftszweig des Landes. Ca. zwei Drittel der Landesfläche wird landwirtschaftlich genutzt, davon 18 % als Ackerland. Da davon nur rund 15 % systematisch bewässert werden, ist die Wetterabhängigkeit sehr hoch. Der Sektor schafft 40 % der Arbeitsplätze und ist Einkommensquelle für drei Viertel der Landbevölkerung. Von den 1,5 Mio. landwirtschaftlichen Betrieben sind mehr als zwei Drittel Kleinstbetriebe, die über weniger als 3 Hektar Land verfügen, mit geringer Mechanisierung arbeiten und nur zu 4 % am Export beteiligt sind. Die modernen Landwirtschaftsbetriebe decken erst rund ein Achtel der kultivierbaren Gesamtfläche ab (WKO 12.5.2023).

Die Arbeitslosenquote liegt für 2023 bei 11 % [Prognose]. Die Arbeitslosenquote der Erwerbstätigen zwischen 15-64 lag 2022 bei 12,9 %, die Jugendarbeitslosenquote (15-24 Jahre) lag bei 24,9 % (WKO 4.2023b). Die Dunkelziffer liegt wesentlich höher - vor allem unter der Jugend. Der informelle Bereich der Wirtschaft wird statistisch nicht erfasst, entfaltet aber erhebliche Absorptionskraft für den Arbeitsmarkt. Fremdsprachenkenntnisse - wie sie z. B. Heimkehrer aufweisen - sind insbesondere in der Tourismusbranche und deren Umfeld nützlich. Arbeitssuchenden steht die Internet-Plattform des nationalen Arbeitsmarktservices ANAPEC zur Verfügung (www.anapec.org), die neben aktueller Beschäftigungssuche auch Zugang zu Fortbildungsmöglichkeiten vermittelt. Unter 30-Jährige, die bestimmte Bildungsebenen erreicht haben, können mithilfe des OFPPT (www.ofppt.ma/) eine weiterführende Berufsausbildung einschlagen (ÖB 8.2021).

Die wirtschaftliche Erholung des Tourismus in Marokko nach COVID erhält nach der Fußball Weltmeisterschaft einen großen Schub. Marokkos Auftritt bei der Weltmeisterschaft war wie eine massive Marketingkampagne für das Land und somit für den Tourismus. Der Sektor ist die wichtigste Devisenquelle des Landes. Ende Oktober 2022 beliefen sich die Einnahmen aus dem Tourismus auf 6,1 Mrd. Euro, was einem deutlichen Anstieg von 148,9 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Das Land verzeichnete in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 7,7 Mio. Touristenankünfte. Dieser massive Zustrom von Touristen ermöglichte es dem Sektor, sich nach mehr als zwei Jahren Stagnation und Einnahmenausfällen zu erholen (WKO 1.2023).

Armut ist weit verbreitet und wirtschaftliche Möglichkeiten sind für einen großen Teil der Bevölkerung knapp (FH 2023).

Umfragen deuten darauf hin, dass das subjektive Wohlbefinden der marokkanischen Haushalte in den letzten Monaten gesunken ist. Der umfragebasierte Haushalts-Vertrauensindex der Haushalte, der von HCP erstellt wurde, begann gegen Ende 2021 zu sinken und erreichte im dritten Quartal 2022 einen 14-Jahres-Tiefstand. Besorgniserregend ist, dass mehr als die Hälfte der befragten Haushalte der Ansicht ist, dass sich ihre finanzielle Situation im vergangenen Jahr verschlechtert hat, während 81 % der Ansicht sind, dass sich ihr Lebensstandard verschlechtert hat, und 87 % erwarten einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Zukunft (WB 2022/23).

Es kam zu mehreren Demonstrationen gegen die steigenden Preise im Land. Am 4.12.2022 versammelten sich zwischen 1.200 und 3.000 Menschen in Rabat, um gegen die hohen Lebensmittelpreise, Korruption und staatliche Repressionen zu demonstrieren. Als Reaktion darauf hat die Regierung Maßnahmen ergriffen. Im Oktober hat die Regierung einen Fond mit 4,1 Mrd. EUR gestartet, um private Investitionen und die Wirtschaft des Landes zu unterstützen (BAMF 12.12.2022).

Um die Auswirkungen der Lebensmittel- und Energiepreise auf die Haushalte abzumildern, verabschiedete Marokko ein politisches Paket, das allgemeine Subventionen für Grundnahrungsmittel umfasste und die bereits bestehenden regulierten Preise beibehielt. Dieser Ansatz stabilisierte die Preise für Waren und Dienstleistungen, die fast ein Viertel der Ausgaben eines Durchschnittshaushalts ausmachen, und verhinderte so einen möglicherweise stärkeren Anstieg der Armut. Es erforderte die Mobilisierung zusätzlicher öffentlicher Ausgaben in Höhe von fast 2 % des BIP (WB 14.2.2023).

Ungeachtet dieser Maßnahmen litten bescheidene und gefährdete Haushalte immer noch am meisten unter den Auswirkungen der steigenden Lebensmittel- und sonstigen Preise aufgrund der Inflation. Dem Bericht zufolge war die jährliche Inflation für die ärmsten 10 % der Bevölkerung um fast ein Drittel höher als für die reichsten 10 % der Bevölkerung, was in erster Linie auf die Auswirkungen der Preissteigerungen bei Lebensmitteln zurückzuführen ist, die einen höheren Anteil an den Ausgaben der ärmeren Haushalte ausmachen. In dem Bericht heißt es ferner, dass die geplante umfassende Reform des sozialen Sicherheitsnetzes des Königreichs eine wirksame Ausrichtung der Subventionen auf die Unterstützung der Armen und Schwachen ermöglichen wird (WB 14.2.2023).

Die marokkanische Regierung führt Programme der Armutsbekämpfung (INDH) und des sozialen Wohnbaus. Eine staatlich garantierte Grundversorgung/arbeitsloses Basiseinkommen existiert allerdings nicht. Der Mindestlohn (SMIG) liegt bei 2.828 Dirham (ca. EUR 270). Ein Monatslohn von etwa dem Doppelten dieses Betrags gilt als bürgerliches Einkommen. Statistisch beträgt der durchschnittliche Monatslohn eines Gehaltsempfängers 4.060 Dirham, wobei allerdings die Hälfte der - zur Sozialversicherung angemeldeten - Lohnempfänger nur den Mindestlohn empfängt. Ein ungelernter Hilfsarbeiter erhält für einen Arbeitstag (10 Std.) ca. 100 Dirham, Illegale aus der Subsahara erhalten weniger (ÖB 8.2021).

Dennoch wird erwartet, dass sich das Wirtschaftswachstum Marokkos dank einer Erholung des Primärsektors im Jahr 2023 auf 3,1 % beschleunigen wird (WB 14.2.2023).

Ein Erdbeben der Stärke 7 mit Epizentrum in der Gemeinde Ighil in der Provinz Al Haouz, hat Marokko in der Nacht von Freitag, 8.9.2023, auf Samstag, 9.9.2023, erschüttert (Le matin.ma 8.9.2023; vergleiche Le matin.ma 10.9.2023a). Das Erdbeben war gegen 23:11 Uhr in mehreren Städten Marokkos zu spüren. Das Beben trieb viele Menschen in Casablanca, Rabat, Marrakesch und Agadir auf die Straßen (Le matin.ma 8.9.2023). Laut Reuters-Zeugen flohen Menschen in Rabat, etwa 350 km nördlich von Ighil, dem Epizentrum des Bebens, und in der Küstenstadt Imsouane, etwa 180 km westlich, aus Angst vor einem stärkeren Beben aus ihren Häusern (ORF 9.9.2023). Die Telefonleitungen waren gestört. Nach Angaben des US-amerikanischen Instituts für Geologische Überwachung (USGS) wurde gegen 23:30 Uhr nordöstlich von Taroudant ein zweites Beben der Stärke 4,9 registriert (Le matin.ma 8.9.2023).

Nach Angaben des örtlichen Beamten seien in der schwer zugänglichen Bergregion auch die meisten Opfer zu beklagen. Einwohner der Stadt Marrakesch berichten von eingestürzten Gebäuden in der historischen Altstadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört (tagesschau 9.9.2023).

Berichten zufolge leben 1,8 Millionen Menschen in den fünf betroffenen Provinzen, ein Drittel der marokkanischen Bevölkerung sind Kinder. Daher ist zu befürchten, dass unter den Opfern und Betroffenen auch sehr viele Kinder sind (Unicef.de 12.9.2023). Die meisten Opfer unter den Kindern gab es in den Provinzen Al Haouz, gefolgt von Chichaoua und Taroudant, berichtet die Tageszeitung Al Ahdath Al Maghribia. Seismologen sagen für die kommenden Tage und Wochen Nachbeben voraus (Magrhreb-Post.de 15.9.2023).

Die Schäden betreffen vor allem die Provinzen Chichaoua und Taroudant (Le matin 10.9.2023b).

Es war das stärkste Erdbeben, das jemals in der Geschichte Marokkos gemessen wurde und war so stark, dass es fast alle Bewohner des Königreichs spürten. Die Provinzen und Gemeinden Al Haouz, Marrakesch, Ouarzazate, Azilal, Chichaoua und Taroudant waren von dem starken Erdbeben besonders betroffen und verzeichneten fast alle Opfer und eingestürzten Gebäude. Auch in der Provinz Al Haouz wurden Nachbeben geringerer Intensität registriert (Le matin.ma 10.9.2023a). In Ausführung der Hohen Königlichen Weisungen wurde eine dreitägige Staatstrauer beschlossen (Le matin.ma 10.9.2023a; vergleiche tagesschau 12.9.2023). Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sind mehr als 300.000 Menschen in Marrakesch und umliegenden Gebieten von dem Unglück betroffen (tagesschau 12.9.2023; vergleiche Unicef.de 12.9.2023).

Die humanitäre Situation verschlechtert sich zunehmend. Die Familien benötigen nun am dringendsten Wasser, Nahrung, Hygieneartikel, Gesundheitsversorgung und eine sichere Unterkunft (Care.at 11.9.2023; vergleiche tagesschau 12.9.2023). Der Präsident des Repräsentantenhaus geht davon aus, dass der Wiederaufbau mehrere Jahre benötigen kann (Magrhreb-Post.de 18.9.2023a). Auch Präsident Biden drückte seine Unterstützung in einem Telefonat mit König Mohammed römisch VI. zum Ausdruck (Magrhreb-Post.de 18.9.2023b).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.12.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw50-2022 .pdf?__blob=publicationFile&v=6, Zugriff 12.4.2023

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 - Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023

Care.at (11.9.2023): Erdbeben in Marokko: CARE leistet Nothilfe, https://care.at/erdbeben-in-marokko-care-bereitet-soforthilfemassnahmen-vor/, Zugriff 18.9.2023

FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023, Zugriff 16.5.2023

Le matin.ma (18.9.2023): Séisme d'Al Haouz: reprise des études dans la commune d’Amizmiz, https://lematin.ma/express/2023/seisme-al-haouz-reprise-etudes-commune-damizmiz/394323.html, Zugriff 19.9.2023

Le matin.ma (17.9.2023): Séisme: environ 6.000 collégiens et lycéens des zones sinistrées transférés vers d'autres établissements, https://lematin.ma/express/2023/seisme-6000-collegiens-lyceens-zones-sinistrees-transferes/394279.html, Zugriff 19.9.2023

Le matin.ma (10.9.2023a): Séisme au Maroc: retour sur une catastrophe naturelle sans précédent, https://lematin.ma/express/2023/seisme-maroc-retour-catastrophe-naturelle-precedent/394000.html?, Zugriff 19.9.2023

Le matin.ma (10.9.2023b): Séisme au Maroc: le ministère de l’éducation suspend les cours dans 42 communes et douars, https://lematin.ma/express/2023/seisme-maroc-cours-suspendus-42-communes-douars/394008.html, Zugriff 19.9.2023

Le matin.ma (8.9.2023): Un séisme de magnitude 7 ressenti dans plusieurs villes du Maroc, https://lematin.ma/express/2023/seisme-magnitude-7-ressenti-plusieurs-villes-maroc/393919.html, Zugriff 18.9.2023

Magrhreb-Post.de (18.9.2023a): Marokko – König bedankt sich bei ausländischen Rettungskräften, https://www.maghreb-post.de/marokko-koenig-bedankt-sich-bei-auslaendischen-rettungskraeften/, Zugriff 19.9.2023

Magrhreb-Post.de (18.9.2023b): Marokko – USA bekräftigen Unterstützung nach dem schweren Erdbeben in Al Haouz, https://www.maghreb-post.de/marokko-usa-bekraeftigen-unterstuetzung-nach-dem-schweren-erdbeben-in-al-haouz/, Zugriff 19.9.2023

Magrhreb-Post.de (15.9.2023): Marokko – Erdbeben könnte bis zu 100.000 Kinder betroffen haben, https://www.maghreb-post.de/marokko-erdbeben-koennte-bis-zu-100-000-kinder-betroffen-haben/, Zugriff 18.9.2023

ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 30.9.2022

ORF - Österreichischer Rundfunk (9.9.2023): Verheerendes Erdbeben in Marokko: 296 Tote, https://orf.at/stories/3330521/, Zugriff 18.9.2023

tagesschau (12.9.2023): Der Überlebenskampf geht weiter, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/marokko-erdbeben-ausnahmezustand-104.html, Zugriff 18.9.2023

tagesschau (9.9.2023): Hunderte Tote bei schwerem Erdbeben in Marokko, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/erdbeben-marokko-100.html, Zugriff 18.9.2023

Unicef.de (12.9.2023): Erdbeben in Marokko: Mindestens 100.000 Kinder betroffen, https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/erdbeben-in-marokko-helfen/338922, Zugriff 18.9.2023

WB - The World Bank (14.2.2023): Morocco’s Economy Has Come Under Pressure from Supply Shocks, https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2023/02/14/morocco-s-economy-has-come-under-pressure-from-supply-shocks, Zugriff 20.4.2023

WB - The World Bank (2022/23): Middle East - North Africa: Economic Monitor – Morocco Economic Update, Responding to Supply Shocks, https://documents1.worldbank.org/curated/en/099332002132325417/pdf/IDU0e3742c55010a3044730a80a0ad6062acd9db.pdf, Zugriff 20.4.2023

WKO - Wirtschaftskammer Österreich (1.2023): Aussenwirtschaft Nordafrika Newsletter, Ägypten, Algerien Marokko, Libyen, Tunesien, Sudan, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/nordafrika-newsletter-2023-1.pdf, 20.4.2023

WKO - Wirtschaftskammer Österreich (4.2023a) : Aussenwirtschaft, Wirtschaftsbericht Marokko, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/marokko-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 19.5.2023

WKO - Wirtschaftskammer Österreich (4.2023b) : Länderprofil Marokko, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-marokko.pdf, Zugriff 19.5.2023

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung 2023-08-11 12:53

Die medizinische Versorgung durch Ärzte und Krankenhäuser in Marokko ist im Vergleich zur Weltbevölkerung unterdurchschnittlich (LI o.D.). Die medizinische Grundversorgung ist vor allem im städtischen Raum weitgehend gesichert, aber kostenpflichtig und bei privaten Anbietern auch teuer (AA 22.11.2022). Pro 1000 Einwohner stehen im Land 1,0 Krankenhausbetten zur Verfügung. Der weltweite Mittelwert liegt hier bei 2,9 Betten. Innerhalb der EU stehen 4,6 Betten für jeweils 1000 Einwohner zur Verfügung (LI o.D.). Es gibt einen großen qualitativen Unterschied zwischen öffentlicher und (teurer) privater Krankenversorgung. Selbst modern und gut ausgestattete medizinische Einrichtungen garantieren keine europäischen Standards (AA 22.11.2022). In Rabat und Casablanca finden sich allerdings gute Privatkliniken von hohem Standard (AA 8.6.2023; vergleiche BMEIA 5.6.2023). Der öffentliche Gesundheitssektor ist in seiner Ausstattung und Qualität sowie bei der Hygiene überwiegend nicht mit europäischen Standards zu vergleichen. Lange Wartezeiten und Mangel an medizinischen Versorgungsgütern und Arzneien sind zu beobachten (ÖB 8.2021). Insbesondere das Hilfspersonal ist oft unzureichend ausgebildet, Krankenwagen sind in der Regel ungenügend ausgestattet. Die Notfallversorgung ist wegen Überlastung der Notaufnahmen in den Städten nicht immer gewährleistet, auf dem Land ist sie insbesondere in den abgelegenen Bergregionen unzureichend (AA 22.11.2022). Mit rund 27.200 ausgebildeten Ärzten in Marokko stehen pro 1000 Einwohner rund 0,73 Ärzte zur Verfügung (LI o.D.). Es kommt zu einem ungleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung in den verschiedenen Regionen. Etwa 52 % der Ärzte befinden sich in den beiden Regionen Rabat-Salé-Kénitra und Casablanca-Settat, obwohl dort nur 34 % der Bevölkerung leben (Gesundheitsministerium, 2016). So hat nur 30 % der Landbevölkerung Zugang zu Gesundheitseinrichtungen (BS 23.2.2022).

Private Spitäler, Ambulanzen und Ordinationen bieten medizinische Leistungen in ähnlicher Qualität wie in Europa an, wenn auch nicht in allen fachmedizinischen Bereichen gleich und örtlich auf die Städte beschränkt (Casablanca, Rabat, Tanger und andere größere Städte). Diese Dienstleistungen sind freilich mit entsprechenden Honoraren verbunden. Eine Konsultation beim Wahlarzt (Allgemeinmedizin) kostet ab 150 Dirham (13 Euro), beim Facharzt ab 200 (17 Euro) Dirham bis 500 (45 Euro) Dirham und mehr bei Spezialisten (zum Vergleich der Mindestlohn: 2.570 Dirham/234 Euro) (ÖB 8.2021).

Chronische und psychiatrische Krankheiten oder auch AIDS-Dauerbehandlungen lassen sich in Marokko vorzugsweise in privaten Krankenhäusern behandeln. Bei teuren Spezialmedikamenten soll es in der öffentlichen Gesundheitsversorgung bisweilen zu Engpässen kommen. Bei entsprechender Finanzkraft ist fast jedes lokalproduzierte oder importierte Medikament erhältlich (AA 22.11.2022). Allerdings kann durch die medizinische Versorgung in Marokko die Sterblichkeit wesentlicher, bekannter Krankheiten weitestgehend reduziert werden. So sterben nach aktuellem Stand etwa 24 % aller Menschen, die an Krebs, Diabetes, Herzkreislauferkrankungen oder der Chylomikronen-Retentions-Krankheit (CRD) leiden (LI o.D.).

Auf 1.775 Einwohner entfällt ein Arzt. 152 öffentliche Krankenhäuser führen etwas mehr als 25.440 Betten (ein Spitalsbett auf ca. 1.381 Einwohner); daneben bestehen 2.408 Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung. Inhaber der Carte RAMED können bei diesen Einrichtungen medizinische Leistungen kostenfrei erhalten. Wer weder unter das RAMED-System fällt, noch aus einem Anstellungsverhältnis pflichtversichert ist, muss für medizinische Leistungen aus Eigenem aufkommen (ÖB 8.2021). Nach anderen Angaben sind medizinische Dienste kostenpflichtig und werden bei bestehender gesetzlicher Krankenversicherung von dieser erstattet. Es gibt ein an die Beschäftigung geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem (CNSS). Seit 2015 können sich unter bestimmten Umständen auch Studierende und legal im Land aufhaltende Ausländer versichern lassen. Mittellose Personen können auf Antrag bei der Präfektur eine Carte RAMED zur kostenfreien Behandlung erhalten (AA 22.11.2022).

Im Mai 2021 streikten die Ärzte im öffentlichen Dienst 48-Stunden, um gegen die Untätigkeit der Behörden zu protestieren, und forderten eine bessere Ausstattung der öffentlichen Krankenhäuser, wie auch bessere Gehalts- und Arbeitsbedingungen (AI 29.3.2022). Nach Demonstrationen gegen hohe Lebensmittelpreise und politische Repressionen in Rabat am 4.12.2022, ergriff die Regierung auch weitere Maßnahmen und führte die medizinische Versorgung für alle Bürger ein, von welchen bereits 10 Mio. Menschen profitiert haben (BAMF 12.12.2022).

Die Pandemie hat auch die Anfälligkeit der Gesundheitsinfrastrukturen deutlich gemacht. Marokko verdoppelte seine Kapazität an Krankenhausbetten, es wurden Testzentren eingerichtet und im Jänner 2021 startete landesweit eine massive Impfkampagne (BS 23.2.2022). Allerdings produzierte Marokko während der Coronapandemie mehr Medizintechnik lokal, wie z.B. Verbrauchsgüter wie Masken, Desinfektionsmittel aber auch Beatmungsgeräte oder Notfallbetten. Der Großteil der Hightech-Produkte wird weiterhin durch Importe gedeckt. Marokko baut zudem Kapazitäten auf, um in einigen Jahren selbst Impfstoffe produzieren und entwickeln zu können (ABG 2.2023). Im Laufe des Jahres 2022 starben 1.445 Menschen an Covid-19. Bis Ende 2022 hatten 66,8 % der Bevölkerung mindestens eine Dosis des Covid-19-Impfstoffs erhalten (AI 27.3.2023). Seit Beginn der Pandemie bis zum 25.7.2023 wurden in Marokko 1.275.224 Infizierte und 16.297 Todesfälle gemeldet (LI o.D.).

Im Bereich der Basis-Gesundheitsversorgung wurde 2012 das Programm RAMED eingeführt und erstreckt sich auf 8,5 Mio. Einwohner der untersten Einkommensschichten bzw. auf vulnerable Personen, die bisher keinen Krankenversicherungsschutz genossen. Im Oktober 2012 waren bereits 1,2 Mio. Personen im RAMED erfasst (knapp 3 % der Haushalte). RAMED wird vom Sozialversicherungsträger ANAM administriert, der auch die Pflichtkrankenversicherung AMO der unselbstständig Beschäftigten verwaltet. Zugang haben Haushaltsvorstände und deren Haushaltsangehörige, die keiner anderen Pflicht-Krankenversicherung unterliegen. Die Teilnahme an RAMED ist gratis (Carte RAMED), lediglich vulnerable Personen zahlen einen geringen Beitrag (11 Euro pro Jahr pro Person). Ansprechbar sind die Leistungen im staatlichen Gesundheitssystem (Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung und Vorsorge sowie Krankenhäuser) im Bereich der Allgemein- und Fachmedizin, stationärer Behandlung, Röntgendiagnostik etc. Die Dichte und Bestückung der medizinischen Versorgung ist auf einer Website des Gesundheitsministeriums einsehbar (ÖB 8.2021).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.6.2023): Marokko: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/marokkosicherheit/224080#content₅, Zugriff 8.8.2023

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

ABG Africa Business Guide (2.2.2023): iMOVE Marktstudie Marokko, https://www.africa-business-guide.de/resource/blob/955164/019a4e7d034e6e87d9adf302ccb32f34/imove-marktstudie-marokko-data.pdf, Zugriff 25.7.2023

AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Morocco And Western Sahara 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089568.html, Zugriff 11.4.2023

AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World’s Human Rights; Morocco and Western Sahara 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070307.html, Zugriff am 31.3.2022

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.12.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/Sharehttps://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw50-2022 .pdf?__blob=publicationFile&v=6, Zugriff 12.4.2023

BMEIA - Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (5.6.2023): Reiseinformation Marokko (Königreich Marokko), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 8.8.2023

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf, Zugriff 8.8.2023

LI - Länderdaten.info (o.D.): Gesundheitswesen in Marokko, https://www.laenderdaten.info/Afrika/Marokko/gesundheit.php, Zugriff 26.7.2023

ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 26.7.2023

Rückkehr

Letzte Änderung 2023-08-11 12:55

Das Stellen eines Asylantrags im Ausland ist nicht strafbar und wird nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts von den Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet (AA 22.11.2022).

Migrantinnen und Migranten können bei der freiwilligen Rückkehr aus Österreich nach Marokko durch die BBU (Rückkehrberatung und Organisation der Reise), bzw. IOM (Organisation der Reise im Falle von vulnerablen Personen oder Personen mit legalem Aufenthaltstitel in Österreich), nach Bestätigung der Kostenübernahme durch das BFA, unterstützt werden. Freiwillige Rückkehrer/innen aus Österreich nach Marokko haben zudem die Möglichkeit, nach Bestätigung der Projektaufnahme durch das BFA und Erfüllung der Teilnahmekriterien, am Reintegrationsprojekt Frontex JRS teilzunehmen (IOM 27.7.2023).

Das Reintegrationsprogramm „Frontex − Joint Reintegration Services“ (FX JRS) bietet Rückkehren, in Kooperation mit einer lokalen Partnerorganisation Unterstützung bei Ihrer Reintegration in Ihr Heimatland an. Das Post-arrival Paket im Wert von € 615 dient der unmittelbaren Unterstützung nach der Ankunft in Marokko. Es beinhaltet folgende Sofortleistungen: Nach der Begrüßung am Flughafen durch einen Reintegrationspartner und des Airports Pick-up, wie auch Unterstützung bei der Weiterreise (Organisation und Kostenübernahme), erhalten Rückkehrer u.a. eine Pre-Paid SIM-Karte, Hygieneartikel (Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Shampoo, etc.), eine Flasche Wasser, ein warmes Essen (auch als Gutschein möglich), altersgerechtes Spielzeug für Kinder. Zudem wird eine temporäre Unterkunft für bis zu drei Tage nach der Ankunft bereitgestellt und nach Bedarf auch unmittelbare medizinische Unterstützung (BMI 2023).

Des Weiteren sollte die rückkehrende Person keine oder weniger Sofortleistungen benötigen, erhält sie den anteiligen Betrag der € 615 vom lokalen Partner in bar ausbezahlt (BMI 2023).

Zur längerfristige Reintegrationsunterstützung, erhalten Rückkehrer ein Post-return Paket in der Höhe von Euro 2.000. Davon Euro 200 als Bargeld und Euro 1.800 in Form von Sachleistungen auf Grundlage eines Reintegrationsplans, der mit Hilfe der lokalen Partnerorganisation in den ersten sechs Monaten nach der Rückkehr erstellt wird. Zu den angebotenen Sachleistungen des Post-return Pakets gehören unter anderem: Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens, Bildungsmaßnahmen, Trainings, Unterstützung beim Eintritt in den Arbeitsmarkt, bei der Einschulung von Kindern, wie auch rechtliche und administrative Beratungsleistungen, Familienzusammenführung, Unterstützung im Zusammenhang mit Wohnen und Haushalt (Einrichtung) und medizinische und psychosoziale Unterstützung (BMI 2023).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf, Zugriff 20.3.2023

BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (2023): Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) - Marokko - So funktioniert die Rückreise in Ihre Heimat, https://www.returnfromaustria.at/morocco/morocco_deutsch.html, Zugriff 31.7.2023.

IOM - International Organization for Migration (27.7.2023): Informationen zur freiwilligen Rückkehr nach Marokko, Auskunft von IOM via E-Mail, Quelle liegt in der Staatendokumentation auf

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Richter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Marokko.

Ergänzend wurden Auszüge aus dem zentralen Melderegister, dem Strafregister, dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung und der Sozialversicherungsdatenbank eingeholt.

Der oben unter Punkt römisch eins. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen ergeben sich primär aus den im Akt einliegenden Unterlagen zum ersten und gegenständlichen Asylverfahren, dem eingeholten Auszug aus dem Fremdenregister und aus den Angaben des Beschwerdeführers in den durchgeführten Erstbefragungen und niederschriftlichen Einvernahmen.

Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegte und laut dem deutschen Personenübergabeprotokoll vom 05.10.2023 in Deutschland unter einem anderen Geburtsdatum auftrat, steht seine Identität nicht fest.

Dass er bisher in Österreich keiner der Pflichtversicherung unterliegenden Erwerbstätigkeit nachging, ergibt sich dem eingeholten Sozialversicherungsdatenauszug.

Die Feststellung zur mangelnden Integration des Beschwerdeführers ergibt sich aus der kurzen Aufenthaltsdauer und dem Fehlen von maßgeblichen Integrationsschritten.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hatte im Verfahren zu seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz im Wesentlichen erklärt, Marokko verlassen zu haben, da er als Berber marginalisiert worden sei und es nicht akzeptiert werde, dass er ohne Bekenntnis sei.

Im gegenständlichen Asylverfahren brachte der Beschwerdeführe keine neuen entscheidungswesentlichen Fluchtgründe vor, wie den Niederschriften zur Erstbefragung und niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt sowie dem Beschwerdeschriftsatz zu entnehmen ist.

In der Befragung am 09.10.2023 gab er auf die Frage, warum er neuerlich einen Asylantrag stelle, zur Antwort, dass es immer noch die gleichen Gründe seien, die er im ersten Verfahren angegeben habe. Auch in der Einvernahme am 18.10.2023 antwortete er, dass sich nichts geändert habe.

Bei Folgeanträgen sind die Asylbehörden ebenfalls dafür zuständig, mögliche Sachverhaltsänderungen in Bezug auf die Person des Antragstellers oder die Lage im Herkunftsstaat einer Prüfung zu unterziehen.

Eine wesentliche Verschlechterung der Versorgung- und Sicherheitslage in Marokko, welche den Beschwerdeführer seit der negativen Entscheidung vom 24.08.2023 individuell und konkret betreffen würde, kann nicht festgestellt werden.

Auch in Bezug auf den Gesundheitszustand und die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers haben sich keine wesentlichen Änderungen ergeben. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, insbesondere in der Beschwerde, wonach er starke psychische Probleme habe, vermag daran nichts zu ändern. Abgesehen davon, dass bereits im ersten Asylverfahren in der Einvernahme am 23.08.2023 von einer Medikamenteninnahme wegen Stress und Angstgefühle die Rede war (Protokoll vom 23.08.2023, Sitzung 3), erreichen seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen keinen Schweregrad, welcher die Durchführung einer neuerlichen Refoulementprüfung notwendig macht.

Während der Anhaltung in Schubhaft wurde der Beschwerdeführer mehrmals in einer Akutambulanz vorstellig (AS 145, 147).

Der Beschwerdeführer leidet an einer mittelschweren depressiven Episode und einer Anpassungsstörung (Ambulanzbefund des römisch 40 vom 17.10.2023), jedoch an keinen lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die einer Rückführung nach Marokko entgegenstünden.

Ausweislich der Länderinformationen ist außerdem in Marokko grundsätzlich eine ambulante und stationäre psychiatrische und psychologische Betreuung verfügbar.

Insgesamt hat sich daher im Vergleich zum Vorverfahren keine maßgebliche Sachverhaltsänderung ergeben.

2.4. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf den aktuellen Länderinformationen der Staatendokumentation für Marokko vom 20.09.2023 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Diese Länderinformationen stützen sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie bspw. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Aufgrund der Kürze der verstrichenen Zeit zwischen der Erlassung des bekämpften Bescheides und der vorliegenden Entscheidung ergeben sich keine wesentlichen Änderungen zu den im bekämpften Bescheid getroffenen Länderfeststellungen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zur Zurückweisung des Asylantrages wegen entschiedener Sache:

Da das Bundesamt mit dem angefochtenen Bescheid den Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat, ist Prozessgegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung, nicht aber der zurückgewiesene Antrag selbst.

Bei zurückweisenden behördlichen Entscheidungen erfolgt durch das Bundesverwaltungsgericht nur eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. (VwGH 17.12.2014, Ra 2014/03/0049, VwGH 31.5.2017, Ra 2016/22/0107).

Entschiedene Sache liegt vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben (VwGH 21. 3. 1985, 83/06/0023, u.a.). Es ist Sache der Partei, die in einer rechtskräftig entschiedenen Angelegenheit eine neuerliche Sachentscheidung begehrt, dieses Begehren zu begründen (VwGH 8. 9. 1977, 2609/76).

Von verschiedenen "Sachen" im Sinn des Paragraph 68, Absatz eins, AVG ist auszugehen, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern vergleiche VwGH 24.02.2005, 2004/20/0010).

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen. Die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235).

Nur eine solche Änderung des Sachverhaltes kann zu einer neuen Sachentscheidung führen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwGH 09.09.1999, Zl. 97/21/0913).

Ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz auf behauptete Tatsachen stützt, die bereits zum Zeitpunkt des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die dieser jedoch nicht bereits im ersten Verfahren vorgebracht hat, liegt schon aus diesem Grund keine Sachverhaltsänderung vor und ist der weitere Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (VwGH 04.11.2004, Zl. 2002/20/0391).

Für das Bundesverwaltungsgericht ist daher Sache des gegenständlichen Verfahrens die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers zu Recht gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG zurückgewiesen hat.

Die Anwendbarkeit des Paragraph 68, AVG setzt gemäß Absatz eins, das Vorliegen eines der „Berufung“ nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides, dh eines Bescheides, der mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht (mehr) bekämpft werden kann, voraus. Diese Voraussetzung ist hier gegeben, weil die Entscheidung des Bundesamts vom 24.08.2023, mit der das erste Asylverfahren negativ abgeschlossen wurde, in Rechtskraft erwuchs.

Das Bundesamt hat - wie sich aus dem (oben) festgestellten Sachverhalt und der dargelegten Beweiswürdigung ergibt - zu Recht darauf hingewiesen, dass entschiedene Sache vorliegt. Die Angaben des Beschwerdeführers sind im gegenständlichen Verfahren nicht dazu geeignet, eine neue inhaltliche Entscheidung zu bewirken.

Die Zurückweisung des Folgeantrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache war rechtmäßig, weshalb die Beschwerde hinsichtlich die Spruchpunkt römisch eins. und römisch II. abzuweisen war.

3.2.       Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen:

Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 wurde vom Beschwerdeführer nicht dargelegt und auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich keine Hinweise, die es nahelegen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt.

Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Paragraph 57, AsylG 2005 nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 57, AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

3.3.       Zur Rückkehrentscheidung:

3.3.1.   Rechtslage

Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (Paragraph 10, AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Diese Bestimmung bildet in Verbindung mit Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG auch die Rechtsgrundlage für die Rückkehrentscheidung nach einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082).

Gemäß Paragraph 9, Absatz eins, BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere die in Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer eins bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

3.3.2.   Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall

Zu prüfen ist, ob die von der belangten Behörde verfügte Rückkehrentscheidung mit Artikel 8, EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach Paragraph 55, AsylG überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Artikel 8, EMRK ist aus folgenden Gründen gegeben:

Der VwGH hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet, noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchgeführte Interessensabwägung zukommt vergleiche VwGH 15.3.2016, Zl. Ra 2016/19/0031-0034, mit Verweis auf VwGH vom 30.7.2015, Zl. Ra 2014/22/0055 bis 0058, vom 21.1.2016, Zl. Ra 2015/22/0119 und vom 15.12.2015, Zl. Ra 2015/19/0247, mwN).

Die bisher geführten Asylverfahren wurden rasch abgeschlossen und gingen auf keine erheblichen Verzögerungen zurück. Der andauernde Aufenthalt des Beschwerdeführers beruhte auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb er während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann.

Das Gewicht seiner privaten Interessen wird daher dadurch gemindert, dass sie in einem Zeitpunkt entstanden, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war vergleiche VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721; 30.04.2009, 2009/21/0086; VfSlg. 18.382/2008 mHa EGMR 24.11.1998, 40.447/98, Mitchell; EGMR 11.04.2006, 61.292/00, Useinov).

Der Beschwerdeführer führt in Österreich kein Familienleben und es fehlen alle Sachverhaltselemente, aus denen sich die Existenz gewisser unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens relevanter Bindungen allenfalls hätte ergeben können. Gleichzeitig hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat, sprachliche und kulturelle Verbindungen und auch familiäre Anknüpfungspunkte.

Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich (bzw Europa) stehen öffentliche Interessen gegenüber.

Ihm steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind – gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz – auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung – und damit eines von Artikel 8, Absatz 2, EMRK erfassten Interesses – ein hoher Stellenwert zukommt vergleiche zB VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086), schwerer als die schwach ausgebildeten privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.

Ebenso wenig vermag die strafgerichtliche Unbescholtenheit seine persönlichen Interessen entscheidend zu stärken (VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG als unzulässig angesehen werden, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Paragraph 55, AsylG nicht in Betracht kommt.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes römisch IV. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG und Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG abzuweisen war.

3.4.       Zum Ausspruch, dass die Abschiebung nach Marokko zulässig ist:

3.4.1.   Rechtslage

Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß Paragraph 50, Absatz eins, FPG unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, oder 3 EMRK oder deren 6. bzw 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß Paragraph 50, Absatz 2, FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach Paragraph 50, Absatz 3, FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

3.4.2.   Anwendung der Rechtslage auf den vorliegenden Fall

Im vorliegenden Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß Paragraph 50, Absatz eins, FPG unzulässig wäre.

Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach Paragraph 52, Absatz 9, FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach Paragraph 52, Absatz 9, FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen vergleiche dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse VwGH 19.02.2015, Ra 2015/21/0005 und 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 – 0062).

Exzeptionelle Umstände, die gegen eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Marokko sprechen würden, liegen nicht vor.

Ganz allgemein besteht in einem sicheren Herkunftsstaat wie Marokko (Paragraph eins, Ziffer 9, Herkunftsstaaten-Verordnung – HStV) derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Artikel 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPEMRK) ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen lebensbedrohlichen und schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ist arbeitsfähig. Er absolvierte eine Schulausbildung und verfügt über Berufserfahrung. Damit ist er bei seiner Rückkehr nach Marokko in der Lage, für seinen Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Darüber hinaus hat er in Marokko familiäre Anknüpfungspunkte.

Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des Paragraph 50, Absatz 2, FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Weiters steht keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Abschiebung entgegen.

Die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Marokko erfolgte somit zu Recht. Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes römisch fünf. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 52, Absatz 9, FPG abzuweisen war.

3.5.       Zum Ausspruch, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht:

Gemäß Paragraph 55, Absatz eins a, FPG besteht eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß Paragraph 68, AVG.

Zu Recht hat daher die belangte Behörde Paragraph 55, Absatz eins a, FPG zur Anwendung gebracht. Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes römisch VI. des angefochtenen Bescheides abzuweisen war.

3.6.       Zum Einreiseverbot:

3.6.1.   Rechtslage:

Gemäß Paragraph 53, Absatz eins, FPG kann vom Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

Gemäß Paragraph 53, Absatz 2, FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Absatz eins,, vorbehaltlich des Absatz 3,, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere in den Fällen des Paragraph 53, Absatz 2, Ziffer eins bis 9 anzunehmen.

3.6.2.   Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall

Bei der Erstellung der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in Paragraph 53, FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an. vergleiche VwGH 19.02.2013, 2012/18/0230).

Paragraph 53, Absatz 2, FrPolG 2005 enthält in seinen Ziffer eins bis 9 eine Aufzählung von Tatbeständen, bei deren Verwirklichung insbesondere anzunehmen ist, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Artikel 8, Absatz 2, MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Im Hinblick auf den demonstrativen Charakter dieser Tatbestände entspricht es der Judikatur des VwGH, dass sich auch in anderen hinsichtlich des Unrechtsgehaltes ähnlich schwerwiegenden Konstellation ergeben kann, dass durch den Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist und daher - nach Vornahme einer Beurteilung im Einzelfall - ein Einreiseverbot zu verhängen ist vergleiche VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0104, mwN).

Das Bundesamt stützte das Einreiseverbot auf Paragraph 53, Absatz 2, FPG und führte im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen begründend aus, dass der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung nicht fristgerecht freiwillig nachgekommen sei und die Anträge auf internationalen Schutz mutwillig gestellt worden seien.

Dem Bundesamt ist insgesamt beizupflichten, dass das Verhalten des Beschwerdeführers eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Nach negativem Abschluss des ersten Asylverfahrens kehrte er nicht freiwillig in seinen Herkunftsstaat zurück, sondern verblieb im Gebiet der Mitgliedstaaten.

Darüber hinaus trat der Beschwerdeführer in Deutschland mit einem anderen Geburtsdatum auf als in Österreich und stellte er innerhalb eines Jahres drei unberechtigte Asylanträge, wobei die letzte Asylantragstellung offenkundig rechtsmissbräuchlich erfolgte, um aus der Schubhaft entlassen zu werden und eine Abschiebung in den Herkunftsstaat zu verhindern. Sein Verhalten ist unbestritten den Grundinteressen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit Österreichs zuwidergelaufen.

Bei einer Gefährdungsprognose und der Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes im Sinne des Paragraph 53, Absatz 2, FPG stellt die zweifache unberechtigte Asylantragstellung einen Umstand dar, der auf Seiten des öffentlichen Interesses zu Lasten eines Fremden in Anschlag gebracht werden kann vergleiche VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0006).

Dass sich der Beschwerdeführer in Zukunft an die fremdenrechtlichen Bestimmungen halten wird, kann aufgrund seines gesetzten Verhaltens nicht angenommen werden. Umstände, die für eine positive Prognose sprechen, sind nicht hervorgekommen, vielmehr brachte der Beschwerdeführer mit seinen Aussagen im gegenständlichen Verfahren zum Ausdruck, nicht rückkehrwillig zu sein und nicht freiwillig ausreisen zu wollen.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch die Verhängung eines 2-jährigen Einreiseverbots effektiv begegnet werden kann. In der Gesamtschau der oben angeführten Umstände ist das Einreiseverbot als rechtmäßig und die festgesetzte Dauer als angemessen zu qualifizieren.

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß Paragraph 24, Absatz eins, VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Verhandlung kann nach Paragraph 24, Absatz 2, VwGVG entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei zurückzuweisen ist.

Da der verfahrenseinleitende Folgeantrag auf Asyl wegen entschiedener Sache zurückzuweisen war, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Paragraph 24, Absatz 2, VwGVG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung betreffend die betreffend die Zurückweisung eines Folgeantrages auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 68, AVG und den darauf aufbauenden Spruchpunkten noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2023:I411.2280586.1.00