Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

14.11.2023

Geschäftszahl

W275 2265477-1

Spruch


W275 2265477-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Stella VAN AKEN als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geboren am römisch 40 , StA. Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.10.2022, Zahl 1282730003/211160065, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht: 

A)

römisch eins. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

römisch II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

römisch III. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 wird römisch 40 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres erteilt.

römisch IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte römisch III., römisch IV., römisch fünf. und römisch VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig. 




Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise am 17.08.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 18.08.2021 wurde der Beschwerdeführer vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab dabei im Wesentlichen an, er sei Angehöriger der Shanshi, seine Frau gehöre hingegen dem Clan der Hawiye an und sie hätten heimlich geheiratet. Die Familie der Frau habe sie mit einem Mann ihrer Volksgruppe verheiraten wollen. Da die Frau dies nicht gewollt habe, seien die beiden geflüchtet.

Am 23.05.2022 fand die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Im Rahmen dieser Einvernahme gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er sich in eine Frau verliebt habe. Als er bei ihrer Familie um ihre Hand angehalten habe, sei er bedroht und beleidigt worden und man habe ihm gesagt, er solle dies nicht mehr tun, da er einer Minderheit angehöre. Der Beschwerdeführer und seine Freundin hätten ein Monat später dennoch geheiratet und seine Frau sei in weiterer Folge schwanger geworden. Als seine Frau ihrer Familie davon erzählt habe, hätte die Familie dies abgelehnt und gesagt, sie sei bereits einem anderen Mann versprochen, der zwischenzeitig Geld für sie bezahlt habe. Die Familie habe auch nach dem Aufenthaltsort des Beschwerdeführers gefragt und ihn einen Tag später angegriffen. Auf dem Marktplatz seien Männer auf ihn zugekommen und hätten ihn schlimm zugerichtet. Er sei an einen Baum gefesselt und später in den Fluss geworfen worden. Als er aus dem Fluss herausgekommen sei, habe er Leute um Hilfe gebeten und sei in weiterer Folge mit seiner Ehefrau geflüchtet.

Ergänzend legte der Beschwerdeführer Unterlagen zu seiner Asylantragstellung in Griechenland, eine Teilnahmebestätigung sowie ein Zeugnis über die Absolvierung der Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau A1 vor.

Mit oben genanntem Bescheid vom 24.10.2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.) und gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) sowie gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß Paragraph 46, FPG nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Für die freiwillige Ausreise wurde gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt römisch VI.).

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Am 05.10.2023 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinen persönlichen Lebensumständen sowie zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Er legte überdies ein Konvolut an Unterlagen (beinhaltend Teilnahmebestätigungen, Empfehlungsschreiben sowie Fotos in Kopie) vor.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 . Er ist Staatsangehöriger von Somalia, ledig und hat keine Kinder. Seine Identität steht nicht fest. Der Beschwerdeführer gehört dem Clan der Shanshi (auch Shaanshi), Sub-Clan römisch 40 , Sub-Sub-Clan römisch 40 , Sub-Sub-Sub-Clan römisch 40 , an und bekennt sich zur Religionsgemeinschaft des Islam. Seine Erstsprache ist Somali, er beherrscht diese in Wort und Schrift. Er spricht zudem etwas Englisch, Arabisch und Deutsch.

Der Beschwerdeführer ist in Marka (auch Merka), Lower Shabelle (Somalia), geboren und in römisch 40 , Lower Shabelle (Somalia), aufgewachsen. In Somalia hat er acht Jahre die Schule besucht und seiner Mutter bei ihrem Verkaufsstand am Markt geholfen, die als Alleinverdienerin für den Lebensunterhalt der Familie aufgekommen ist. Der Vater des Beschwerdeführers ist im Jahr 2013 bei einem Unfall verstorben. Bis zu seiner Ausreise lebte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Mutter, seinen Geschwistern und seiner Großmutter mütterlicherseits in einem Miethaus in römisch 40 . Seine Mutter sowie seine vier Brüder und zwei Schwestern leben mittlerweile nicht mehr in Somalia. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt mit seinen Familienangehörigen.

Der Beschwerdeführer stellte am 17.08.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

In Österreich besuchte der Beschwerdeführer Deutschkurse, nimmt am Vorbereitungslehrgang zur Nachholung des Pflichtschulabschlusses teil und engagiert sich freiwillig. Er hat überdies Freundschaften geschlossen, besucht Sprachcafés und spielt Fußball.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer war bzw. ist aufgrund der (vorgebrachten) heimlichen Eheschließung mit einer Clanangehörigen der Hawiye keiner (asylrelevanten) Bedrohung bzw. Verfolgung ausgesetzt. Dem Beschwerdeführer droht daher bei einer Rückkehr nach Somalia aus diesem Grund nicht konkret und individuell die Gefahr physischer und/oder psychischer Gewalt.

Das Vorliegen anderer Verfolgungsgründe aufgrund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ethnischer Zugehörigkeit wurde nicht konkret vorgebracht; Hinweise für eine solche Verfolgung sind auch amtswegig nicht hervorgekommen.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr in seinen Heimatort aufgrund der dort herrschenden schlechten allgemeinen Sicherheitslage, der schlechten Versorgungslage und der individuellen Umstände mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Dem Beschwerdeführer ist auch eine Rückkehr in eine andere Region Somalias aufgrund der individuellen Umstände in Verbindung mit der im ganzen Land äußerst angespannten Versorgungslage aktuell nicht zumutbar.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zu Somalia (Version 5, Stand 17.03.2023):


Politische Lage

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 28.6.2022, Sitzung 4f). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2022, Sitzung 4).

Staatlichkeit: Trotz massiver militärischer, diplomatischer und finanzieller Unterstützung hat die Regierung in Mogadischu kaum Fortschritte gemacht (Meservey 19.10.2021). Nach anderen Angaben hat Somalia in den vergangenen Jahren auf vielen Gebieten große Fortschritte erzielt. Der Staat ist etwa bei Steuereinnahmen effektiver geworden. Junge Somalis und Angehörige der Diaspora sind in der Zivilgesellschaft aktiv, und Mogadischu selbst hat sich stark verändert (BBC 18.1.2021). Somalia ist nun zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind demnach sehr schwach, wesentliche Staatsfunktionen können von ihnen nicht ausgeübt werden. Es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 28.6.2022, Sitzung 4/6). Die Bundesregierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 2022a, C1), da sie nur wenige Gebiete kontrolliert (BS 2022, Sitzung 33). Zudem hängt die Existenz des somalischen Staates zum größten Teil von der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft ab (HIPS 3.2021, Sitzung 9). Dies gilt natürlich auch für die Umsetzung von Aktivitäten seitens der Regierung (FH 2022a, C1).

Die Unfähigkeit, gegen die endemische Korruption vorzugehen, behindert den Staatsbildungsprozess und den Aufbau von Institutionen (BS 2022, Sitzung 18); der politische Machtkampf hat das Vertrauen der Bevölkerung in bestehende staatliche Institutionen weiter geschwächt, die politischen Konflikte haben die Kluft zwischen den Fraktionen vergrößert (BS 2022, Sitzung 18/42). Zusätzlich spielen Clanälteste bei der Führung des Landes eine bedeutende Rolle. Sie repräsentieren und lobbyieren für ihre Claninteressen (Sahan 16.9.2022).

Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 28). Seit 2016 und 2017 die fünf Bundesstaaten gegründet wurden, stockt der Verfassungsprozess. Grundlegende Fragen des Staatsaufbaus sind nicht geklärt. Dies lähmt staatliches Handeln und fördert politische Spannungen zwischen Mogadischu und den föderalen Gliedstaaten, weil eben die Verfassungsgebung und Kompetenzverteilung noch immer nicht abgeschlossen sind (AA 28.6.2022, Sitzung 4).

Regierung: Unter der bestehenden Übergangsverfassung aus dem Jahr 2012 wird der Präsident für eine Amtszeit von vier Jahren von einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments gewählt. Der Präsident teilt sich seine exekutive Macht mit dem Premierminister, der wiederum nur mit Unterstützung des Parlaments arbeiten kann (FH 2022a, A1).

2017 wurde Farmaajo als Präsident gewählt, sein Mandat endete eigentlich am 8.2.2021 (FH 2022a, A1), er regierte aber bis Mai 2022 weiter (AA 28.6.2022, Sitzung 4/6). Somalia stürzte in eine schwere Verfassungs- und politische Krise (Sahan 9.2.2021a), in deren Folge es in Mogadischu zwischen Kräften der Regierung und Kräften der Opposition auch zu Kampfhandlungen kam (UNSC 19.5.2021, Absatz 3 -, 11,). Nach dieser Eskalation im April 2021 konnte im Mai 2021 eine Einigung der Umsetzungsmodalitäten der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen erzielt werden. Trotz aller Bekundungen konnten die eigentlich Ende 2020 geplanten Parlamentswahlen nicht demokratisch gestaltet werden. Stattdessen wurde wieder auf einen Selektionspro-zess ähnlich wie bei den Wahlen 2016 zurückgegriffen. Zudem wurde der Wahlprozess zu einem Zweikammerparlament durch innenpolitische Streitigkeiten für mehr als ein Jahr verzögert (AA 28.6.2022, Sitzung 4/6). Mit der erneuten Wahl des ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamud (2012-2017) am 15.5.2022 ist der Wahlprozess mit großer Verzögerung abgeschlossen (AA 28.6.2022, Sitzung 4/6; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 2). Es gab 33 Kandidaten für das Präsidentenamt, darunter eine Frau. Die Präsidentschaftswahlen selbst wurden als friedlich und transparent bezeichnet (UNSC 1.9.2022, Absatz 4 f,). Nach mehr als 15 Monaten Streitigkeiten sind die Wahlen ruhig verlaufen. Im Vergleich zu den Wahlen im Jahr 2017 hat diesmal Geld bzw. Stimmenkauf keine entscheidende Rolle gespielt. In der letzten Wahlrunde erhielt Farmaajo 110 Stimmen, Hassan Sheikh Mohamud 214 Stimmen (AQ10, 5.2022). Der Wahlsieg wurde allgemein akzeptiert (AA 28.6.2022, Sitzung 4/6; vergleiche UNSC 1.9.2022, Absatz 5,). Am 9.6.2022 wurde der neue Präsident ins Amt eingeführt (UNSC 1.9.2022, Absatz 5 ;, vergleiche Sahan 10.6.2022; GN 9.6.2022). Dieser ernannte am 15.6.2022 Hamza Abdi Barre, einen ehemaligen Vorsitzenden der staatlichen Wahlkommission von Jubaland, zum Premierminister (BAMF 20.6.2022; vergleiche FTL 28.6.2022).

Parlament: Die provisorische Verfassung sieht ein Zweikammernparlament mit einem 275-köpfigen Unterhaus und einem 54 Senatoren umfassenden Oberhaus vor (HIPS 11.2021). Die Mitglieder zum Oberhaus werden von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt. Die Wahlen zum Oberhaus begannen im Juli 2021 und konnten nach Monaten der Streitigkeiten im November 2021 abgeschlossen werden (FH 2022a, A2). Sie wurden auf voller Breite manipuliert, nur um 15 der 54 Sitze gab es tatsächlich einen Wettstreit. Die meisten Senatoren sind nunmehr de facto von den Präsidenten der Bundesstaaten nominierte (HIPS 8.2.2022, Sitzung 8; vergleiche HIPS 11.2021) Alliierte, Freunde und manchmal auch Familienangehörige. Insgesamt hat es sich nicht um einen glaubwürdigen Wahlbewerb gehandelt, der Vorgang kann kaum als „Wahl“ bezeichnet werden (HIPS 11.2021).

Bei der Wahl zum Unterhaus wählen Älteste und Gruppen der Zivilgesellschaft eines bestimmten Subclans Wahlmänner, welche als Delegation dann wiederum einen Abgeordneten küren. Senatoren und Abgeordnete wählen schlussendlich den Präsidenten. Der Manipulation sind Tür und Tor geöffnet (FP 22.9.2021). Eigentlich war für die Wahlen vorgesehen, dass jeder einzelne Unterhausabgeordnete von 101 Wahldelegierten seines Clans gewählt wird (2017 waren es 51 Delegierte pro Sitz). Später wurde die Zahl auf 67 Delegierte pro Sitz gesenkt (HIPS 11.2021). Insgesamt wurden die Wahlen durch innenpolitische Streitigkeiten für mehr als ein Jahr verzögert. Die Abgeordneten wurden in indirekter Wahl von Delegierten gewählt (AA 28.6.2022, Sitzung 6; vergleiche UNSC 13.5.2022, Absatz 3 f, f,). In diesem Wahlsystem spielt eine begrenzte Anzahl an Volksvertretern eine sehr eingeschränkt demokratische Rolle (BS 2022, Sitzung 20). Es musste eine allseits akzeptierte Repräsentation der verschiedenen Clans sowie der Gliedstaaten sichergestellt werden, was den Prozess der Delegiertenbestimmung sehr langwierig und intransparent machte. Die Legitimität der letzten Wahlprozesse war noch weitestgehend akzeptiert. Der derzeitige Prozess wird von verschiedenen nationalen und internationalen Politikern und Beobachtern hinsichtlich seiner Legitimität in Frage gestellt (AA 28.6.2022, Sitzung 6). Tatsächlich ist es auf breiter Front zu Wahlmanipulationen gekommen (HIPS 8.2.2022, Sitzung 4; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 3) bzw. gab es zahlreiche Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten und einen Mangel an Transparenz (UNSC 8.2.2022, Absatz 2,) sowie hinsichtlich Bestechung (AA 28.6.2022, Sitzung 12). Der Wahlvorgang war selbst gegen den vorhergehenden – schwer defizitären – Wahlprozess noch eine dramatische Verschlechterung (Meservey 19.10.2021) und wird von einer Quelle als die korrupteste, intransparenteste und teuerste Wahl in der jüngeren Geschichte Somalias bezeichnet. Viele der Abgeordneten haben demnach ihre Stimme an den Höchstbietenden verkauft (Sahan 18.7.2022).

Am 28.4.2022 wurde der Wahlprozess der am 29.7.2021 begonnenen Parlamentswahlen abgeschlossen (AA 28.6.2022, Sitzung 6). Alle 275 Abgeordneten zum Unterhaus waren gewählt, 20 % davon sind Frauen (UNSC 13.5.2022, Absatz 2,). Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 12.4.2022, Sitzung 31f; vergleiche AA 28.6.2022, Sitzung 6; ÖB 11.2022, Sitzung 3f; BS 2022, Sitzung 12). Seit dem Jahr 2000 gilt diese 4.5-Formel, die eigentlich dazu bestimmt war, Somalia vorübergehend Stabilität zu verleihen. Allerdings hat sie sich bezüglich der Entwicklung des Landes als kontraproduktiv erwiesen. Denn mit ihr ist Clanzugehörigkeit und -Loyalität wieder wichtiger geworden als die Loyalität zum Staat (Sahan 28.3.2022).

Demokratie: Seit Jahrzehnten hat es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder nationaler Ebene mehr gegeben (AA 28.6.2022, Sitzung 6; vergleiche FP 10.2.2021; USDOS 12.4.2022, Sitzung 28f). In Süd-/Zentralsomalia gibt es keine demokratischen Institutionen (BS 2022, Sitzung 20). Somalia ist keine Wahldemokratie und hat auch keine strikte Gewaltenteilung, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2022, Sitzung 11/15). Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung demokratisch nicht legitimierter traditioneller Strukturen (v. a. Clanstrukturen) vergeben (AA 28.6.2022, Sitzung 6). Eine andere Quelle gibt zu bedenken: Auch wenn sie nicht wirklich frei und fair waren, so haben die in den letzten zwei Jahrzehnten in Somalia durchgeführten indirekten Wahlen zu Ergebnissen geführt, die im Allgemeinen von den politischen Akteuren und der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert wurden. So wurden durch einen – gewaltfreien – Wahlprozess jeweils schwache, aber akzeptierte Institutionen geschaffen (HIPS 11.2021). Generell sind zwar immer wieder progressive Bemühungen zu beobachten, jedoch scheint der Druck der konservativen Eliten im Land oftmals größer zu sein als das tatsächliche Bewusstsein in Bezug auf Demokratie und Menschenrechte (ÖB 11.2022, Sitzung 21).

Aktuelle politische Lage: Präsident Hassan Sheikh will die Staatsbildung im Konsens fortführen (Sahan 17.6.2022). Er setzt etwa auf ein klares und geregeltes Verhältnis zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten - auch wenn dabei noch ein weiter Weg zu gehen sein wird. Hassan Sheikh versucht zudem, Versäumnisse der Vorgängerregierung aufzuholen. Er hat in den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit mehr Gesetzesvorschläge (z.B. zum Nachrichtendienst, zur Stromversorgung, zur Fischerei) im Parlament zur Abstimmung gebracht als sein Vorgänger in fünf Jahren (BMLV 9.2.2023). Seine moderat-islamische politische Ausrichtung (BMLV 9.2.2023; vergleiche Sahan 28.6.2022) entspricht de facto der Ausrichtung der Muslimbruderschaft. Der Präsident stützt sich dabei auf die von ihm gegründete politische Partei, Union for Peace and Development, und die islamische Gruppierung Dam ul-Jadiid (Neues Blut) (BMLV 9.2.2023).

Präsident Hassan Sheikh hat von seinem Vorgänger eine politisierte, parteiische und unfähige Bürokratie geerbt. Die Nabad iyo Nolol (N&N, Friede und Leben), die Partei von Ex-Präsident Farmaajo, hat die letzten fünf Jahre damit verbracht, die Verwaltung ohne Skrupel zu zentralisieren (Sahan 17.6.2022). Politische Führungskräfte und Minister wurden auf Basis von Loyalität und nicht von Kompetenz ausgewählt. Jeder, der als Bedrohung wahrgenommen wurde, wurde angegriffen. Die Bundesregierung und regionale Führer haben alles getan, um zeitgerechte und glaubwürdige Wahlen zu verhindern. Der Versuch, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Wahlen zu manipulieren, führte das Land in politisches Chaos (Ali 28.1.2022). Um aber den Einfluss von N&N zu tilgen und eine inklusive Politik umzusetzen, wird es Zeit brauchen. Gleichzeitig wird N&N alles daran setzen, von Hassan Sheikh vorangetriebene Reformen zu sabotieren - und zwar von innerhalb der Regierung (Sahan 17.6.2022). Folglich ist das Machtzentrum Somalias nach der Machtübernahme durch den neuen Präsidenten paralysiert. Eine Elite im Wettstreit stehender islamistischer Fraktionen, die allesamt dem Föderalismus abgeneigt sind, versucht, Reformen zu hintertreiben oder rückgängig zu machen. Die N&N ist im Begriff, sich neu zu gruppieren. Der neue Präsident möchte dem mit einer Stärkung von Dam ul-Jadiid [„Partei“ bzw. politisch-islamische Strömung des Präsidenten] entgegenwirken. Insgesamt ist die Politik in Somalia zunehmend in der Hand von Eliten und fraktioniert (Sahan 28.6.2022).

Föderalisierung: Die Übergangsverfassung aus dem Jahr 2012 sieht föderale Strukturen vor (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 17), und zwar auf zwei Regierungsebenen: Die Bundesregierung (Federal Government) sowie die Bundesstaaten (Federal Member States), welche auch Lokalregierungen umfassen (SIDRA 12.2022, Sitzung 5). Seit damals sind sechs Entitäten durch die Bundesregierung als Bundesstaaten anerkannt worden: Puntland, Galmudug, Jubaland, South-West State (SWS) und HirShabelle. Jeder dieser Bundesstaaten hat eine eigene Verfassung. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 17). Die Hauptstadtregion Benadir (Mogadischu) verbleibt als Banadir Regional Administration/BRA unter direkter Kontrolle der Bundesregierung (HIPS 8.2.2022, Sitzung 19). Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, Sitzung 55f).

Ein Jahrzehnt nach Einführung der föderalen Verfassung gibt es nur geringe Fortschritte hinsichtlich der Implementierung funktionierender Beziehungen zwischen den Regierungsebenen (SIDRA 12.2022, Sitzung 6). Die Judicial Service Commission sowie das Verfassungsgericht wurden immer noch nicht eingerichtet, es gibt keine Möglichkeit, Konflikte zwischen den Regierungsebenen geregelt zu lösen (SIDRA 12.2022, Sitzung 18).

Die Verfassungen der Bundesstaaten widersprechen teilweise der Bundesverfassung, was wiederum zu Spannungen in den Beziehungen zwischen den Regierungsebenen führt. So sieht zum Beispiel die puntländische Verfassung diplomatische Beziehungen des Bundesstaates vor, obgleich die Außenpolitik laut Bundesverfassung bei der Bundesregierung liegt (SIDRA 12.2022, Sitzung 13). Gleichzeitig wurden zahlreiche Befugnisse nicht geklärt. Das betrifft die Verteidigung, welche militärischen Truppen und Polizeieinheiten vor Ort eingesetzt werden können, die Frage der Ressourcenverteilung, die Verteilung von internationalen Hilfsgeldern. Auch Entwicklungszusammenarbeitsprojekte werden über die Zentralregierung in Mogadischu abgewickelt, und die Verteilung auf die Regionen ist strittig, ebenso die Fragen, wer welche Hoheiten über welche Verträge hat (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 4).

Unter der Regierung von Präsident Farmaajo waren die Beziehungen zwischen Bundesregierung und einigen Bundesstaaten angespannt. Dabei ging es um Fragen der Machtteilung, um Ressourcen, Territorien und die Kontrolle bewaffneter Kräfte (SPC 9.2.2022). Präsident Farmaajo hatte versucht, die Macht wieder zu zentralisieren (TNYT 14.4.2021). Unter der neuen Regierung sind die Spannungen zwischen den Bundesstaaten und der Regierung vorerst weitestgehend abgeflaut (ÖB 11.2022, Sitzung 3; vergleiche BMLV 9.2.2023). Im Dezember 2022 arbeitete der Präsident von Puntland, Said Abdullahi Deni, aber einer Quelle zufolge bereits an einer Front gegen Präsident Hassan Sheikh. Dieser sollen die Präsidenten von Galmudug und dem SWS angehören (KM 8.12.2022; vergleiche SG 12.12.2022), möglicherweise auch jener von Jubaland (SG 12.12.2022).


South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle)

Der SWS wurde in den Jahren 2014/2015 etabliert (HIPS 2021, Sitzung 14). Im Jänner 2019 ist mit Abdulaziz Hassan Mohamed 'Laftagareen' ein neuer Präsident angelobt worden (UNSC 15.5.2019, Absatz 4,), dessen Amtszeit ist im Dezember 2022 ausgelaufen. Danach wurde mit der Einschüchterung von Gegnern begonnen (Sahan 6.7.2022). Präsident Laftagareen wollte seine Amtszeit um ein Jahr verlängern. Er war 2018 ins Amt gewählt worden, nachdem sein Konkurrent im Wahlkampf, der ehemalige hohe Funktionär der al Shabaab und nunmehriger Bundesreligionsminister, Mukhtar Robow, in Haft gesetzt worden war. Der Rat der Präsidentschaftskandidaten des SWS stellte sich gegen die Ambition Laftagareens. Zudem ist in Baidoa eine Miliz namens Salvation Army of South West aufgetreten, die der Opposition zuzurechnen ist. Die Amtszeit von Laftagareen war im April 2020 vom Parlament verlängert worden. Die Opposition erklärt dazu, dass es dafür keine Rechtsbasis gegeben hat (TEA 25.12.2022). Die Bundesregierung hat ein Vermittlungskomitee eingerichtet, das zwischen den Streitparteien vermitteln soll. Bei Unruhen im Dezember 2022 waren mindestens zehn Menschen getötet und zwanzig weitere verletzt worden, als Kräfte der Opposition mit den Sicherheitskräften zusammenstießen (Halbeeg 2.1.2023). Am 5.2.2023 wurde ein Abkommen zur weiteren Regelung des Wahlablaufs geschlossen. Dieses war durch die Vermittlung des Vorsitzenden des Bundesparlaments zwischen Laftagareen und der Opposition geschlossen worden. Das Abkommen sieht die Wahl der Parlamentsabgeordneten durch die Clanältesten im Zeitraum November bis Dezember 2023 und die anschließende Wahl des Regionalpräsidenten durch das Parlament im Jänner 2024 vor. Obwohl diese Abkommen de facto die Amtszeitverlängerung für Laftagareen bestätigt, legt es den politischen Konflikt in SWS bei (BMLV 9.2.2023).

Im März 2020 haben Clanälteste ein neues Regionalparlament gewählt (HIPS 2021, Sitzung 14; vergleiche UNSC 13.5.2020, Absatz 7,). Im Jahr 2021 konzentrierte sich die Regierung auf den Aufbau von Lokalräten in ausgewählten Bezirken. Dieser Prozess konnte in der offiziellen Hauptstadt des SWS, Baraawe (Lower Shabelle), in Waajid und Ceel Barde (Bakool) auch abgeschlossen werden (HIPS 8.2.2022, Sitzung 24). In den Gebieten, die in Bay von der Regionalregierung kontrolliert werden, funktioniert die Verwaltung einigermaßen. Beim Aufbau der Verwaltung konnten seit 2021 keine weiteren Fortschritte erzielt werden (BMLV 9.2.2023).

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2023). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, wird die Lage über die Kontrolle geringer Teilgebiete von Puntland von al Shabaab beeinflusst - und in noch geringeren Teilen vom Islamischen Staat in Somalia - während es hauptsächlich an Clandifferenzen liegt, wenn Puntland tatsächlich keinen Zugriff auf gewisse Gebiete hat. In Süd-/Zentralsomalia ist die Situation noch viel komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (BMLV 9.2.2023).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Die Sicherheitslage bleibt volatil (UNSC 1.9.2022, Absatz 15 ;, vergleiche BS 2022, Sitzung 38), mit durchschnittlich 227 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Monat (Zeitraum Mai-Juli 2022). Die meisten Vorfälle gingen auf das Konto von al Shabaab. Die Angriffe der Gruppe richten sich in erster Linie gegen somalische Sicherheitskräfte und ATMIS. Dabei werden Angriffe vorwiegend mit improvisierten Sprengsätzen und sogenannten hit-and-run-Angriffen durchgeführt. Am meisten betroffen von Aktivitäten der al Shabaab waren zuletzt Mogadischu, Lower Shabelle und Bay (UNSC 1.9.2022, Absatz 15,) und im Zusammenhang mit der Offensive auch Middle Shabelle, Mudug, Galgaduud und Hiiraan (BMLV 9.2.2023). Die österreichische Botschaft spricht in diesem Zusammenhang von einem bewaffneten Konflikt (ÖB 11.2022, Sitzung 2), während das deutsche Auswärtige Amt von Bürgerkrieg und bürgerkriegsähnlichen Zuständen in vielen Teilen Süd-/Zentralsomalias berichtet (AA 28.6.2022, Sitzung 5/9). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (ÖB 11.2022, Sitzung 2).

Die Afrikanische Union (AU) hat angekündigt, die Reduzierung der Truppenstärke von ATMIS zu verschieben. Diese Entscheidung deutet auf Lücken im Aufbau der somalischen Sicherheitskräfte hin. Geplant war eine Reduzierung um 2.000 Mann im Dezember 2022 und ein vollständiger Abzug bis Ende 2024. Die Truppenreduktion wurde nun von der AU auf Juni 2023 verschoben – auf Antrag Somalias (GO 24.11.2022; vergleiche TEA 29.11.2022). Die nächsten Schritte zur Truppenreduktion sollen aber eingehalten werden, am Ziel, im Dezember 2024 die letzten Teile von ATMIS abzuziehen, wird festgehalten (BMLV 9.2.2023).

ATMIS hält in Kooperation mit der somalischen Armee, regionalen Sicherheitskräften sowie mit regionalen und lokalen Milizen die Kontrolle über die seit 2012 eroberten Gebiete (BS 2022, Sitzung 6). Die somalische Regierung und ATMIS können keinen Schutz vor allgemeiner oder terroristischer Kriminalität im Land garantieren (AA 17.5.2022). Generell ist die Regierung nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen. Dafür ist sie in erster Linie auf ATMIS - aber auch auf Unterstützung anderer Staaten angewiesen (BMLV 9.2.2023; vergleiche BS 2022, Sitzung 11/13; HIPS 4.2021, Sitzung 16). Wenn ATMIS abzieht, würde Mogadischu rasch fallen (BMLV 9.2.2023; vergleiche Robinson 27.1.2022). An dieser Situation wird sich nur etwas ändern, wenn die aktuellen Bemühungen zur Ausbildung weiterer Soldaten (geplant sind zusätzliche 15.000 Mann bis Ende 2023) erfolgreich abgeschlossen werden können und mit entsprechenden finanziellen Mitteln (Gehälter, Ausrüstung) ausgestattet werden (BMLV 9.2.2023). Nach älteren Angaben ist die Regierung zudem zum eigenen Überleben schon alleine deswegen auf ausländische Truppen und Hilfe angewiesen, weil sie nicht in der Lage ist, aus eigenen Mitteln Polizisten und Soldaten zu bezahlen (FP 22.9.2021).

Trend: Die Bundesregierung hat es nicht geschafft, die Reichweite staatlicher Institutionen in Bezug auf die Bereitstellung von Dienstleistungen für Bürger und den Schutz ihres Lebens und ihres Eigentums über Mogadischu hinaus auszuweiten (BMLV 9.2.2023; vergleiche HIPS 3.2021, Sitzung 22). Der Kampf gegen al Shabaab stagnierte mehrere Jahre lang (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 7). Gegen Ende der Amtsperiode von Ex-Präsident Farmaajo war die Gruppe stärker denn je, immer mehr Gebiete gingen an die Gruppe verloren (Bryden 8.11.2021). Insgesamt konnte al Shabaab unter Ausnutzung der politischen Instabilität im Jahr 2021 in Galmudug, HirShabelle, Jubaland und dem SWS-Geländegewinne erzielen (HIPS 8.2.2022, Sitzung 6). Noch im Mai und Juni 2021 hatte die Bundesarmee bei einer Offensive in Middle Shabelle bewiesen, dass sie zu einer ausschließlich auf eigenen Kräften beruhenden Initiative kaum in der Lage war. Die Operation endete unter großen Verlusten im Fiasko (Sahan 14.7.2021).

Doch seit dem Abschluss der Wahlen im Mai 2022 und dem Beschluss der USA, wieder Truppen in Somalia zu stationieren, haben die militärischen Operationen gegen al Shabaab zugenommen (UNSC 10.10.2022, Absatz 36 ;, vergleiche Sahan 29.6.2022). Der Kampf gegen al Shabaab hat seit Mai 2022 größere Fortschritte erzielt als in den vergangenen fünf Jahren zusammen (Sahan 12.10.2022; vergleiche TEC 3.11.2022). Die Dürre hat Pastoralisten – u.a. die Hawadle / Ali Madaxweyne und die Habr Gedir / Saleeban – derart hart getroffen, dass sie sich weigerten, Steuern an al Shabaab abzuführen (AQ12 10.2022). Lokale (Clan-)Milizen, die Macawiisley, haben gegen al Shabaab revoltiert. Dies hatte mehrere Ursachen: Erstens hebt al Shabaab hohe Steuern ein – auf Händler, Landwirte, Verkehr und Viehbesitzer. Zweitens betreibt al Shabaab in einigen Gebieten Zwangsrekrutierungen. Mehrfach wurden Eltern dazu „überredet“, der Gruppe Kinder zu „spenden“. Drittens gibt es regelmäßig Berichte, wonach al Shabaab lokale Clans zwingt, der Gruppe Frauen und Mädchen zuzuführen. So werden etwa die Mitglieder der Selbstmordgruppe von al Shabaab mit Ehefrauen ausgestattet (Sahan 23.9.2022). Gleichzeitig sind aufgrund der Dürre im ländlichen Raum mehr als drei Millionen Stück Vieh verendet, eine Million Menschen musste fliehen, die Städte sind mit dem Zustrom überfordert. Die Landbevölkerung ist aufgebracht, weil sich al Shabaab diesbezüglich als wenig hilfreich erwiesen hat (Sahan 26.9.2022).

Während vorherige Offensiven immer von Truppen der AU geführt wurden, handelt es sich dieses Mal um eine somalische Offensive. An der Spitze des Kampfes stehen die Macawiisley, die Aufstände in mehreren Bezirken von HirShabelle angeführt haben. Sie kennen das Terrain und sind motiviert, für ihr eigenes Gebiet zu kämpfen (TEC 3.11.2022). Die Regierungskräfte bieten den Macawiisley Aufklärung, Informationen und Versorgung, ATMIS und die USA geben Luftunterstützung (Sahan 23.9.2022; vergleiche TEC 3.11.2022). Kräfte der Bundesarmee (Danab und Gorgor) wurden als alliierte Kräfte hinzugefügt. Schlussendlich wird den Macawiisley auch Ausbildung, Logistik und Unterstützung mit schweren Waffen zuteil (AQ12 10.2022). Dieses Zusammenwirken ist einmalig und der Grund dafür, dass al Shabaab zum Rückzug gezwungen wurde (Sahan 23.9.2022). Die Erfolge der Macawiisley sind beeindruckend, al Shabaab wurde aus den östlichen Teilen von Hiiraan und Middle Shabelle sowie aus wichtigen Orten in Galmudug verdrängt (BMLV 9.2.2023). Al Shabaab befindet sich auf dem Rückzug. Beide Seiten erlitten schwere Verluste (AQ12 10.2022). Aber vor allem al Shabaab wurde durch die jüngeren Offensiven schwer beschädigt. Der Verlust von Adan Yabaal ist für die Gruppe schmerzhaft, die Stadt war eines ihrer strategischen Zentren (Sahan 7.12.2022). Mehrere größere Städte und Dutzende Dörfer wurden befreit (Sahan 26.9.2022; vergleiche TEC 3.11.2022). Durch die Gebietsgewinne seitens der Regierung wird al Shabaab von lukrativen Handelsrouten abgedrängt (TEC 3.11.2022).

Die aktuelle Offensive hat al Shabaab dazu gezwungen, in entlegene Gebiete auszuweichen; dort konnte sich die Gruppe neu gruppieren und reorganisieren. Derweil haben sich Regierungskräfte in den Städten verstärkt und eingerichtet, das Zwischenland - und damit die Versorgungsrouten - hingegen al Shabaab überlassen (Sahan 30.11.2022). Einerseits sind die Macawiisley an der Grenze ihrer Durchhaltefähigkeit angelangt, andererseits können neu herangeführte Kräfte der Bundesarmee (Gorgor, Danab) erfolgreich Orte in Besitz nehmen (BMLV 9.2.2023). Allerdings stehen dann keine bzw. zu wenige leistungsfähige und verlässliche Truppen zur Verfügung, um diese Orte zu halten, wenn die Angriffstruppen weiterziehen (BMLV 9.2.2023; vergleiche Sahan 7.12.2022). Da sich aber al Shabaab weiterhin im freien Gelände zwischen den Ortschaften aufhält und bei jeder Gelegenheit die Orte selbst bzw. die Bewegungen zwischen den Ortschaften angreift (BMLV 9.2.2023), gelten die neuen Gewinne noch als fragil (Sahan 7.12.2022). Zudem sind die Clanmilizen nicht nur schlecht ausgebildet, sondern auch brutal. Gleichzeitig gibt es im weiter südlich gelegenen Teil Somalias keine derart gut ausgerüsteten und großen Clanmilizen (TEC 3.11.2022; vergleiche Sahan 7.12.2022). Außerdem haben sich nur einige Clans dem Kampf gegen al Shabaab angeschlossen. In der Vergangenheit hat sich wiederholt gezeigt, dass derartige Allianzen nicht immer von langer Dauer sind, sondern dass sich Clanmilizen gegeneinander wenden, sobald der gemeinsame Feind nicht mehr als existenzielle Gefahr wahrgenommen wird. Dies ist auch der Grund dafür, warum die Bundesregierung den Macawiisley keine Waffen liefert. Al Shabaab ist sich dessen ebenfalls bewusst und hat begonnen, Munition und Waffen an Nachbarclans jener Clans abzugeben, die sich den Macawiisley angeschlossen haben. Zudem arbeiten Kräfte von Ex-Präsident Farmaajo daran, in die Allianz einen Keil zu treiben (AQ12 10.2022). Insgesamt haben die militärischen Kräfte der al Shabaab in Zentralsomalia zwar hohe Verluste hinnehmen müssen, sind aber bei Weitem nicht geschlagen (BMLV 9.2.2023).

Durch Konflikte Vertriebene: Alleine in den ersten zehn Monaten 2022 wurden fast 1,6 Millionen Menschen zu Vertriebenen im Land, eine Million davon aufgrund von Dürre und 500.000 aufgrund von Konflikten. Fast die Hälfte dieser 500.000 wurde im Rahmen der Offensive lokaler Milizen und der Bundesarmee in Hiiraan vertrieben (VOA 15.12.2022). Die meisten neuen IDPs aufgrund von Konflikten gab es im Jahr 2022 in den Regionen Hiiraan (255.350), Galgaduud (120.610), Lower Shabelle (73.910), Bakool (56.510), Middle Shabelle (46.620) und Bay (21.370). Dahingegen wurden in Bari (200), Benadir (590), Nugaal (890) und Middle Juba (900) deutlich weniger Menschen neu vertrieben (UNHCR 31.12.2022).

Al Shabaab steht gemäß Aussagen des Experten Rashid Abdi mit dem Rücken zur Wand. Die Gruppe hat in wenigen Monaten mehr Gebiet verloren, als in den gesamten fünf Jahren zuvor und steht gleichzeitig einer Revolte mehrere Clans gegenüber. Damit steht auch das Wirtschaftsimperium al Shabaab unter Druck (GN 5.11.2022; vergleiche BMLV 9.2.2023). Insgesamt führt al Shabaab aber weiterhin einen Guerillakrieg (USDOS 2.6.2022, Sitzung 5) mit gewalttätigen, extremistischen Taktiken. Die Gruppe bleibt die signifikanteste Bedrohung für Frieden, Stabilität und Sicherheit. Sie ist in hohem Maß anpassungsfähig und mobil und kann ihren Einfluss auch in Gebieten außerhalb der eigenen Kontrolle geltend machen. Mit unterschiedlichen Methoden gelingt es al Shabaab, die Bevölkerung zu kontrollieren, Einfluss auf die Politik zu nehmen und in Süd-/Zentralsomalia für ein Klima der Angst zu sorgen: Kontrolle großer Gebiete; sogenannte hit-and-run-Angriffe gegen Städte und militärische Positionen; Ausnutzung von Clanstreitigkeiten mit einer Taktik des „teile und herrsche“; Unterbrechung von Hauptversorgungsrouten und Blockade von Städten; und in wichtigen Städten (z. B. Mogadischu, Baidoa, Galkacyo, Jowhar) gezielte Attentate, Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen und Mörserangriffe. Zusätzlich ist die Gruppe auch weiterhin in der Lage, größere - sogenannte „komplexe“ - Angriffe durchzuführen (UNSC 6.10.2021). Insgesamt verfolgt al Shabaab eine klassische Guerilla-Doktrin: Die Einkreisung von Städten aus dem ländlichen Raum heraus (BMLV 9.2.2023). Al Shabaab kann sich – frei nach Mao Zedong – als Guerilla innerhalb der Bevölkerung wie ein Fisch im Wasser bewegen. In Mogadischu oder anderen Gebieten unter Regierungskontrolle geschieht dies durch eine Mischung aus Einschüchterung und Anonymität (Sahan 20.7.2022).

Da al Shabaab an den Fronten an Boden verliert, hat die Gruppe ihre terroristischen Aktivitäten verstärkt. Dadurch soll suggeriert werden, dass die Gruppe jederzeit an jedem Ort zuschlagen kann (Sahan 14.12.2022; vergleiche AQ12 10.2022). Beim Einsatz von improvisierten Sprengsätzen ist hinsichtlich der Anzahl in den letzten Jahren keine Veränderung eingetreten. Allerdings sind die Opferzahlen seit 2020 stetig nach oben gegangen. Im Jahr 2020 wurden 501 Somali durch improvisierte Sprengsätze getötet; 2021 waren es 669; und in den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 gab es mindestens 855 Opfer (UNSC 10.10.2022, Absatz 10,). Daher war 2022 hinsichtlich der Opferzahlen ein sehr blutiges Jahr. Al Shabaab eskalierte Anschläge und komplexe Attentate - etwa in Belet Weyne und Mogadischu, weil die Gruppe etwa in Hiiraan und angrenzenden Gebieten zunehmend unter Druck geraten ist. Die Gruppe wollte mit größeren Gewalttaten zeigen, dass sie immer noch dazu in der Lage ist. Es handelte sich um Racheangriffe auf zivile Ziele, um den politischen Willen und die öffentliche Unterstützung für die Regierungsoffensive zu unterminieren (GN 5.11.2022). Angegriffen werden Regierungseinrichtungen und Sicherheitskräfte, aber auch Hotels, Märkte und andere öffentliche Einrichtungen (AA 17.5.2022).

Kampfhandlungen: In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es regelmäßig zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. ATMIS und al Shabaab (AA 28.6.2022, Sitzung 20; vergleiche AA 17.5.2022; ÖB 11.2022, Sitzung 21). Die Kriegsführung von al Shabaab erfolgt weitgehend asymmetrisch mit sog. hit-and-run-attacks, Attentaten, Sprengstoffanschlägen und Granatangriffen. Das Gros der Angriffe wird mit niedriger Intensität bewertet – jedoch sind die Angriffe zahlreich, zerstörerisch und kühn (JF 28.7.2020). Generell sind insbesondere die Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle betroffen (AA 28.6.2022, Sitzung 20). Auch entlang der Hauptversorgungsrouten unterhält al Shabaab weiterhin Angriffe, und die Gruppe hat einige davon einnehmen können (USDOS 12.4.2022, Sitzung 17). Im zweiten Halbjahr 2022 rebellierten in Hiiraan und Galmudug mehrere Clans gegen al Shabaab, es kam und kommt zu direkten Auseinandersetzungen (Sahan 26.9.2022).

Gebietskontrolle: Al Shabaab wurde im Laufe der vergangenen Jahre erfolgreich aus den großen Städten gedrängt (ÖB 11.2022, Sitzung 2). Während ATMIS und die Armee die Mehrheit der Städte halten, übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes die Kontrolle aus oder kann dort zumindest Einfluss geltend machen. Gleichzeitig hat al Shabaab die Fähigkeit behalten, in Mogadischu zuzuschlagen (USDOS 2.6.2022, Sitzung 5f). Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias befinden sich also teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle von al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 28.6.2022, Sitzung 5). In Baidoa und Jowhar hat sie stärkeren Einfluss (BMLV 9.2.2023; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 12). Ihre Verbündeten kontrollieren viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß (BMLV 9.2.2023). Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin. Viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und ATMIS sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben (BMLV 9.2.2023; vergleiche WZ 29.12.2021). Und selbst in den Orten und Städten wird die Regierung von Rebellen unterwandert (WZ 29.12.2021). Gebessert hat sich die Lage in Ost-Hiiraan und in Middle Shabelle, wo auch Bewegungen zwischen den Orten möglich sind (BMLV 9.2.2023). In Gebieten, in welchen al Shabaab keine direkte Kontrolle ausübt - sei es wegen der Präsenz von somalischen oder internationalen Sicherheitskräften, sei es wegen der Präsenz von Clanmilizen – versucht die Gruppe die lokale Bevölkerung und die Ältesten durch Störoperationen entlang der Hauptversorgungsrouten zu bestrafen bzw. deren Unterstützung zu erzwingen (UNSC 6.10.2021). Gleichzeitig erhöht al Shabaab mit der Einnahme von Wegzöllen das eigene Budget (HIPS 8.2.2022, Sitzung 6). Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle hält al Shabaab Blockaden aufrecht (HRW 13.1.2022).

Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia befinden sich unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab. Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind

1. das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; de facto die gesamte Region Middle Juba;

2. Jamaame und Badhaade in Lower Juba;

3. größere Gebiete um Ceel Cadde und Qws Qurun in der Region Gedo;

4. Gebiete nördlich und entlang des Shabelle in Lower Shabelle, darunter Sablaale und Kurtunwaarey;

5. der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor; sowie Rab Dhuure;

6. Gebiete rechts und links der Grenze von Bay und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;

7. sowie die südliche Hälfte von Galgaduud mit der Stadt Ceel Buur (PGN 23.1.2023).

In Süd-/Zentralsomalia kann kein Gebiet als frei von al Shabaab bezeichnet werden – insbesondere durch die Infiltration mit verdeckten Akteuren kann al Shabaab nahezu überall aktiv werden. Ein Vordringen größerer Kampfverbände von al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch ATMIS und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Städte mit konsolidierter Sicherheit – i. d. R. mit Stützpunkten von Armee und ATMIS – können von al Shabaab zwar angegriffen, aber nicht eingenommen werden. Immer wieder gelingt es al Shabaab kurzfristig kleinere Orte oder Stützpunkte - etwa Galcad am 20.1.2023 - einzunehmen, um sich nach wenigen Stunden oder Tagen wieder zurückzuziehen (BMLV 9.2.2023). Al Shabaab hat sich – in begrenztem Ausmaß – fähig gezeigt, Territorien, die bereits durch die Nationale Armee und ATMIS befreit wurden, wieder zurückzuerobern. In der Vergangenheit war das Scheitern, eroberte Territorien erfolgreich zu halten, mit dem Mangel an Polizeipräsenz in den eroberten Gebieten und der allgemein schlechten Moral in der Nationalen Armee verbunden, die auf sehr geringe und oftmals verzögerte Besoldung zurückzuführen war (ÖB 11.2022, Sitzung 9).

Andere Akteure: Über drei Jahrzehnte gewaltsamer Konflikte haben die sozialen Brüche größer werden lassen. Kämpfe zwischen Clanmilizen und gewaltsame Auseinandersetzungen in Bundesstaaten und zwischen Bundesstaaten und der Bundesregierung kennzeichnen den anhaltenden Konflikt um Macht und Ressourcen (BS 2022, Sitzung 34). Kämpfe zwischen Clans und Subclans, insbesondere um Wasser- und Landressourcen sind weit verbreitet, insbesondere in den Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle bzw. in Regionen, in denen die Regierung oder staatliche Behörden schwach oder nicht vorhanden sind (ÖB 11.2022, Sitzung 11). Es kommt immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 17.5.2022) sowie zwischen Milizen einzelner Subclans bzw. religiöser Gruppierungen wie ASWJ (AA 28.6.2022, Sitzung 20). Solche Kämpfe zwischen (Sub-)Clans - vorrangig um Land und Wasser, aber auch um Macht - haben im Jahr 2021 zugenommen. Bei Zusammenstößen in Galmudug, Jubaland und dem SWS kam es dabei zu Toten und massiven Vertreibungen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 4f). Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es auch zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15). Generell sind Clan-Auseinandersetzungen üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer - generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter - Gewalt verbunden sein (BMLV 9.2.2023).

Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 28.6.2022, Sitzung 19). Gewaltakte durch bewaffnete Gruppen und Banden und Armutskriminalität sind im gesamten Land weit verbreitet. Bewaffnete Überfälle, Autoraub („Carjacking“), sexueller Missbrauch und auch Morde kommen häufig vor (AA 17.5.2022).

Im Zeitraum Feber-Mai 2022 verübte der Islamische Staat in Somalia (ISIS) zwei Sprengstoffanschläge auf einen Polizisten und einen Beamten sowie einen Handgranatenanschlag auf einen Checkpoint der Polizei. Alle diese Vorfälle, bei denen zwei Zivilisten und drei Angehörige der Sicherheitskräfte verletzt wurden, ereigneten sich in Mogadischu (UNSC 13.5.2022, Absatz 21,). Im Zeitraum Mai-August 2022 verübte der ISIS einen Anschlag in Mogadischu, drei Polizisten wurden dabei verletzt (UNSC 1.9.2022, Absatz 22,). Nach Einschätzung der Expertengruppe der Vereinten Nationen kann der ISIS lediglich in Puntland eingeschränkt operieren (UNSC 10.10.2022, Absatz 31,).

Zivile Opfer: Bei Kampfhandlungen gegen al Shabaab, aber auch zwischen Clans oder Sicherheitskräften kommt es zur Vertreibung, Verletzung oder Tötung von Zivilisten (HRW 13.1.2022). Al Shabaab ist für einen Großteil der zivilen Opfer verantwortlich (siehe Tabelle weiter unten). Nach eigenen Angaben greift al Shabaab einfache Zivilisten nicht gezielt an (C4 15.6.2022). Jedenfalls gelten die meisten Anschläge außerhalb von Mogadischu ATMIS und somalischen Sicherheitskräften (AA 28.6.2022, Sitzung 6). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (BMLV 9.2.2023).

Allgemein ist die Datenlage zu Zahlen ziviler Opfer unklar und heterogen. Der Experte Matt Bryden veranschaulicht dies mit den Angaben mehrerer Organisationen. So gab es laut UNMAS (Mine Action Service) 2020 wesentlich weniger zivile Tote und Verletzte: 454 zu 1.140 im Jahr 2019. Dahingegen berichtet US-AFRICOM von 776 Vorfällen mit insgesamt 2.395 Opfern im Jahr 2020 und 676 Vorfällen mit 1.799 Opfern 2019. US-AFRICOM zählt zivile und militärische Opfer zusammen. Dementsprechend wären 2020 wesentlich mehr Sicherheitskräfte untern den Opfern gewesen als Zivilisten – ein Widerspruch zu den Angaben der UN, wonach Zivilisten die Hauptlast der Sprengstoffanschläge tragen würden. Dies wird auch von ATMIS bestätigt: Demnach richteten sich 2019 28 % der Anschläge direkt gegen Zivilisten, 2020 waren es nur 20 % (Sahan 6.4.2021a).

Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 17 Millionen Einwohnern (IPC 13.12.2022) lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:12.117 [Anm.: Rechnung auf Basis der in vorgenannten Quellen angegebenen Zahlen].

Luftangriffe: Immer wieder kommt es zu Luftschlägen, v.a. durch die USA: 2017 waren es 35, 2018 47, 2019 63, 2020 51 (HIPS 2021, Sitzung 21), 2021 11 (HRW 13.1.2022) und 2022 15 (BMLV 9.2.2023). Bei Luftangriffen auf al Shabaab und den ISIS sind zwischen 2017 und 2021 ca. 1.000 Kämpfer getötet worden (HIPS 2021, Sitzung 21). Auch Kenia führt nach wie vor Luftschläge in Somalia durch, z. B. am 22.6.2022 im Grenzgebiet von Gedo zu Kenia (GN 22.6.2022); und es kommt auch zu äthiopischen Luftangriffen (VOA 8.8.2022), z. B. am 30.7.2022 in der Region Bakool (SG 31.7.2022). Nach Angaben somalischer Armeevertreter sind nunmehr auch türkische Drohnen bei den Operationen gegen al Shabaab in Lower und Middle Shabelle zum Einsatz gekommen (VOA 30.11.2022).

South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle)

In den größeren von der Regierung kontrollierten Städten besteht eine grundlegende Verwaltung. Es gibt Bürgermeister, eine lokale Rechtsprechung und Ordnungskräfte. Die Regierung konnte mit internationaler Unterstützung ihre eigene, lokal rekrutierte Armee, die South West State Special Police Force (SWSSPF), weiter ausbauen. Sie wird von Äthiopien versorgt und ist in Bay der Hauptträger des Kampfes gegen al Shabaab. Al Shabaab kontrolliert viele ländliche Gebiete (BMLV 9.2.2023) und nahezu alle wichtigen Hauptversorgungsrouten (HIPS 8.2.2022, Sitzung 23f). Sicheres Reisen erfolgt über den Luftweg (BMLV 9.2.2023). Alle Verbindungsstraßen nach Baidoa werden von al Shabaab kontrolliert. Selbst gepanzerte Fahrzeuge werden mit dem Flugzeug eingeflogen, weil der Straßentransport aus Mogadischu als zu gefährlich eingestuft wird (NPR 17.12.2022). Da der SWS maßgeblich von den Häfen Kismayo und Mogadischu abhängig ist, müssen Güter durch von al Shabaab kontrolliertes Gebiet transportiert werden (HIPS 8.2.2022, Sitzung 23f). Al Shabaab bleibt in der Lage, die somalische Armee und ATMIS im Gebiet anzugreifen (BMLV 9.2.2023). Vor allem die Regionen Bay und Lower Shabelle sind von Angriffen und Anschlägen betroffen (UNSC 13.5.2022, Absatz 13,).

Stößt al Shabaab auf den Widerstand lokaler Clanmilizen, so wie dies bei den Leysan (Rahanweyn) in Bay und Bakool oder den Galja'el (Hawiye) in Lower Shabelle geschehen ist, und wo es kaum Schutz durch Sicherheitskräfte gibt, dann entführt die Gruppe mitunter Älteste, und es kommt zur Zwangsvertreibung ganzer Dörfer (BMLV 9.2.2023; vergleiche UNSC 6.10.2021).

Lower Shabelle: Wanla Weyne, Afgooye, Qoryooley, Merka und Baraawe befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS, Kurtunwaarey und Sablaale werden von al Shabaab kontrolliert. Dies gilt auch für große Teile des Hinterlandes nördlich des Shabelle (PGN 23.1.2023). Lower Shabelle ist nach wie vor von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen den Städten liegt im Fokus der al Shabaab (BMLV 9.2.2023).

Nach wie vor mangelt es den Regierungskräften an Kapazitäten, um erobertes Gebiet auch zu halten (BMLV 9.2.2023; vergleiche HIPS 8.2.2022, Sitzung 28). Immer wieder kann al Shabaab in Orte vordringen - z. B. am 7.4.2022 nach Buulo Mareer. Der Ort, in dem es Stützpunkte von ATMIS und Bundesarmee gibt, wurde vorab mit Mörsern beschossen und danach kurzzeitig von al Shabaab besetzt (ACLED 7.4.2022).

Anfang 2021 eskalierte der Konflikt zwischen al Shabaab und dem Clan der Galje’el (Hawiye). Al Shabaab vertrieb in Lower Shabelle dabei ca. 1.500 Haushalte aus 11 Dörfern. Im Zuge dieser Strafaktion ermordete die Gruppe zwei Menschen und setzte mehrere Dutzend Wohnstätten in Brand. Auch gegen Angehörige der Shanta Alemod (Rahanweyn) ging al Shabaab vor (UNSC 6.10.2021). Auch Mitte 2021 kam es im Gebiet zwischen al Shabaab, Galja'el, Shanta Alemod und Digil/Mirifle zu Auseinandersetzungen. Milizen der Galja'el griffen dabei Konvois an und beteiligten sich an Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Plünderungen und Landraub (USDOS 12.4.2022, Sitzung 7).

Afgooye liegt aufgrund seines strategischen Wertes im ständigen Fokus aller Konfliktparteien - die Stadt gilt als Schlüssel zu Mogadischu. Trotzdem kann Afgooye hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Die Lage in der Stadt hat sich in den vergangenen Monaten verbessert (BMLV 9.2.2023).

Merka kann hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Die Kontrolle über einige Dörfer an der Küste zwischen Mogadischu und Merka ist unklar. Allerdings kann al Shabaab diesen Landesteil nicht mehr so einfach erreichen, wie vor der Operation Badbaado (BMLV 9.2.2023). Bei einem Selbstmordattentat kamen am 27.7.2022 in Merka mindestens elf, nach anderen Angaben 20 Menschen ums Leben - darunter der Bürgermeister bzw. Bezirkschef (VOA 27.7.2022; vergleiche UNSC 1.9.2022, Absatz 25,).

Aus Baraawe gibt es auch weiterhin nur wenige sicherheitsrelevante Meldungen (BMLV 9.2.2023). Am 9.2.2022 kam es zu einem Mörserangriff auf Baraawe, vier Zivilisten wurden getötet (UNSC 13.5.2022, Absatz 15,).

In den Gebieten von Qoryooley und Kurtunwaarey hat al Shabaab 2021 die Bewohner einiger Dörfer der Leysan (Rahanweyn) zwangsvertrieben (UNSC 6.10.2021).

Bay: Die großen Städte – Baidoa, Buur Hakaba, Diinsoor – werden von Regierungskräften und ATMIS kontrolliert, dies gilt auch für Qansax Dheere und Berdale (PGN 23.1.2023). Die drei erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Im Umfeld der Stadt Diinsoor, die als Frontstadt bezeichnet werden kann, ist al Shabaab aktiv. Die Straße von Diinsoor nach Baidoa ist offen und nutzbar (BMLV 9.2.2023). Ab Feber 2022 hat al Shabaab wiederholt Armee- und ATMIS-Stützpunkte in Diinsoor angegriffen und dort auch zunehmend Gewalt gegen Zivilisten angewendet. Im März 2022 haben die Einwohner die Stadt temporär geräumt (UNSC 10.10.2022, Absatz 117,) - aufgrund von Feindseligkeiten von al Shabaab. Mehr als 17.000 Menschen sind damals geflohen. Am 5.2.2022 konnte al Shabaab Diinsoor sogar für kurze Zeit besetzen; immer wieder wurde die Stadt auch mit Mörsern beschossen (UNSC 13.5.2022, Absatz 38,).

Al Shabaab kontrolliert große Teile von Bay (PGN 23.1.2023). Die Gruppe kontrolliert den Ort Leego an der Straße von Wanla Weyne nach Buur Hakaba. Dort nimmt sie monatlich hunderttausende US-Dollar an Wegzoll ein (Bryden 8.11.2021). Die Straße nach Baidoa bleibt demnach für Zwecke der Regierung geschlossen (BMLV 9.2.2023; vergleiche Bryden 8.11.2021). Nach anderen Angaben ist die Kontrolle über Leego ungewiss (PGN 23.1.2023). Im April 2021 sind Flüchtlinge in Baidoa und in Berdale angelangt; sie waren vor Drohungen und möglichen Rekrutierungen durch al Shabaab geflüchtet (UNOCHA 17.6.2021, Sitzung 3).

Die Sicherheitslage in Baidoa ist stabil, die Stadt wird als relativ sicher beschrieben. Es gibt dort regelmäßig Sicherheitsoperationen und Razzien durch Sicherheitskräfte. Die Einsatzfähigkeit der SWS Police Force (SWSPF) hat sich nach der Aufnahme lokaler Rekruten verbessert. In Baidoa sind zudem eine sogenannte Formed Police Unit und einzelne Polizisten von ATMIS stationiert. Diese Polizisten bilden die lokale Polizei nicht nur aus, sondern unterstützen sie auch im Einsatz. Gleichzeitig ist Baidoa auf die Anwesenheit der äthiopischen ATMIS-Truppen angewiesen. Al Shabaab ist in der Lage, Baidoa in der Nacht zu infiltrieren (BMLV 9.2.2023). Allerdings weigert sich laut einer Studie aus dem Jahr 2020 rund ein Drittel der Wirtschaftstreibenden, in Baidoa Steuern an al Shabaab abzuführen. Dies weist auf einen besseren Schutz bzw. auf eine geringere Dichte an Straforganen der al Shabaab hin (HI 10.2020, Sitzung 2). Am 29.7.2022 wurden bei einem gezielten Anschlag in Baidoa der Justizminister des SWS und sein Sohn getötet, mindestens neun weitere Personen wurden verletzt (UNSC 1.9.2022, Absatz 25,). Mit der Einnahme von Goof Gaduud Burey Mitte Dezember 2022 konnte im Umland von Baidoa das Gebiet unter Kontrolle der Regierung ausgeweitet werden (HO 12.12.2022).

Am 22.12.2022 ist es in Baidoa zu Auseinandersetzungen gekommen, als regionale Kräfte das Haus von Mohamed Adan Ibrahim stürmen wollten. Letzterer ist Präsidentschaftskandidat für den SWS. Der amtierende Präsident Laftagareen möchte aber sein eigenes Mandat um ein Jahr verlängern. Die Union der Präsidentschaftskandidaten für den SWS hat hingegen zur Abhaltung von Wahlen aufgefordert (MM 23.12.2022). Die Bundesregierung hat ein Komitee eingerichtet, das zwischen den Streitparteien vermitteln soll. Bei den Unruhen waren mindestens zehn Menschen getötet und 20 weitere verletzt worden (Halbeeg 2.1.2023). Am 5.2.2023 wurde zwischen Regierung und Opposition ein Abkommen abgeschlossen (BMLV 9.2.2023).

Bakool: Ceel Barde, Yeed, Xudur und Waajid werden von Regierungskräften und ATMIS kontrolliert (PGN 23.1.2023). Die drei letztgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Ein mindestens 20 km breiter Grenzstreifen an der Grenze zu Äthiopien, der von durch Äthiopien gesponserte, lokale Clanmilizen beherrscht wird, ist frei von al Shabaab (BMLV 9.2.2023; vergleiche PGN 23.1.2023). Kleinere Teile der Region werden aber von der Gruppe kontrolliert, darunter auch die Städte Rab Dhuure und Tayeeglow (PGN 23.1.2023). In Xudur aber auch in Waajid befinden sich Stützpunkte der Armee. Außerdem operieren in Bakool unabhängige Clanmilizen. Die Verwaltung von Bakool steht massiven Problemen gegenüber, um die Bevölkerung zu erreichen (BMLV 9.2.2023). Gegen Xudur und Waajid hält al Shabaab weiterhin eine Blockade aufrecht, es kommt zu Versorgungsengpässen (ICG 1.10.2021). Nach anderen Angaben ist v. a. Xudur von einer Blockade betroffen. Gütertransporte werden immer wieder angegriffen (UNSC 6.10.2021). Die Versorgungsstraße nach Xudur wird nur fallweise freigekämpft. Insgesamt gibt es in Bakool nur geringe Kampfhandlungen (BMLV 9.2.2023). Um Xudur hatte al Shabaab die Menschen von 42 Orten im April 2021 dazu aufgefordert, ihre Dörfer zu verlassen. Fast 30.000 Menschen flohen daraufhin nach Xudur (UNSC 10.8.2021, Absatz 53,). Betroffen war maßgeblich der Clan der Leysan (Rahanweyn). Auch im Juni 2021 kam es zu Vertreibungen im Umland von Xudur, diesmal waren die Rahanweyn-Subclans Hadame und Luwaay betroffen. Beiden Clans hatte al Shabaab vorgeworfen, das Handelsverbot mit Xudur zu missachten (UNSC 6.10.2021). Im Juli und August 2022 kam es in den Gebieten von Yeed, Ato und Washaaqo zu schweren Auseinandersetzungen zwischen äthiopischer Liyu-Police und al Shabaab. In allen drei Orten befinden sich größere Kontingente der Liyu (VOA 20.7.2022; vergleiche MM 3.8.2022). Al Shabaab zerstörte dabei u. a. Einrichtungen der Liyu und tötete einige Mitglieder dieser Einheit (UNSC 1.9.2022, Absatz 24,). Diese Angriffe, die auch nach Äthiopien hinein zielten und von Bakool ausgegangen sind, weisen darauf hin, dass al Shabaab hier relativ einfach stärkere Kräfte (in diesem Fall rund 1.100 Mann) zusammenziehen kann (BMLV 9.2.2023).

Vorfälle: In den Regionen Bakool (492.487), Bay (1,287.587) und Lower Shabelle (1,425.393) leben nach Angaben einer Quelle 3,205.467 Einwohner (IPC 13.12.2022). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2021 insgesamt 55 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie violence against civilians). Bei 44 dieser 55 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2022 waren es ebenfalls 55 derartige Vorfälle (davon 39 mit je einem Toten) (ACLED 2023). In der Zusammenschau von Bevölkerungszahl und "Violence against Civilians" ergeben sich für 2022 folgende Zahlen (Vorfälle je 100.000 Einwohner): Bakool 0,41; Bay 1,24; Lower Shabelle 2,60

Al Shabaab

Al Shabaab ist eine radikal-islamistische, mit der al Qaida affiliierte Miliz (AA 28.6.2022, Sitzung 5; vergleiche SPC 9.2.2022). Die Gruppe erkennt die Bundesregierung nicht als legitime Regierung Somalias an (UNSC 10.10.2022, Absatz 5,) und lehnt die gesamte politische Ordnung Somalias, die sie als unislamisch bezeichnet, ab (Sahan 20.7.2022). Al Shabaab war mit Stand August 2022 stärker und besser entwickelt als im Jahr 2012 (BBC 24.8.2022). Im Zuge der politischen Machtkämpfe 2021 ergab sich für al Shabaab die Möglichkeit, die politische Elite als korrupt und inkompetent und sich selbst als verlässliche Alternative darzustellen (TNH 20.5.2021). Die Gruppe ist weiterhin eine gut organisierte und einheitliche Organisation mit einer strategischen Vision: die Eroberung Somalias (BMLV 9.2.2023; vergleiche BBC 18.1.2021) bzw. die Durchsetzung ihrer eigenen Interpretation des Islams und der Scharia in „Großsomalia“ (USDOS 2.6.2022, Sitzung 6) und der Errichtung eines islamischen Staates in Somalia (CFR 19.5.2021). Al Shabaab ist eine tief eingegrabene, mafiöse Organisation, die in fast allen Facetten der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik integriert ist (GITOC 8.12.2022). Der Anführer von al Shabaab ist Ahmed Diriye alias Sheikh Ahmed Umar Abu Ubaidah (UNSC 10.10.2022, Absatz 5,).

Al Shabaab kontrolliert auch weiterhin große Teile Süd-/Zentralsomalias und übt auf weitere Teile, wo staatliche Kräfte die Kontrolle haben, Einfluss aus. Nachdem al Shabaab in den vergangenen zehn Jahren weiter Gebiete verlustig ging, hat sich die Gruppe angepasst. Ohne Städte physisch kontrollieren zu müssen, übt al Shabaab durch eine Mischung aus Zwang und administrativer Effektivität dort Einfluss und Macht aus (BMLV 9.2.2023).

Verwaltung: Während al Shabaab terroristische Aktionen durchführt und als Guerillagruppe agiert, versucht sie unterhalb der Oberfläche eine Art Verwaltungsmacht zu etablieren - z. B. im Bereich der humanitären Hilfe und beim Zugang zu islamischer Gerichtsbarkeit (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 7; vergleiche FP 22.9.2021). römisch fünf. a. bei der Justiz hat al Shabaab geradezu eine Nische gefunden. Im Gegensatz zur Regierung ist al Shabaab weniger korrupt, Urteile sind konsistenter und die Durchsetzbarkeit ist eher gegeben (FP 22.9.2021). Bei der Durchsetzung von Rechtssprüchen und Kontrolle setzt al Shabaab vor allem auf Gewalt und Einschüchterung (BS 2022, Sitzung 10). [Zur Gerichtsbarkeit der al Shabaab siehe auch das Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen (6.1)]

Im eigenen Gebiet hat die Gruppe grundlegende Verwaltungsstrukturen geschaffen (BS 2022, Sitzung 10). Al Shabaab ist es gelungen, dort ein vorhersagbares Maß an Besteuerung, Sicherheit, Rechtssicherheit und sozialer Ordnung zu etablieren und gleichzeitig weniger korrupt als andere somalische Akteure zu sein sowie gleichzeitig mit lokalen Clans zusammenzuarbeiten (HO 12.9.2021). Al Shabaab sorgt dort auch einigermaßen für Ordnung (ICG 27.6.2019, Sitzung 1). Durch das Anbieten öffentlicher Dienste - v. a. hinsichtlich Sicherheit und Justiz - genießt al Shabaab in einigen Gebieten ein gewisses Maß an Legitimität (GITOC 8.12.2022). Mit der Hisbah verfügt die Gruppe über eine eigene Polizei (GITOC 8.12.2022; vergleiche UNSC 6.10.2021). Offensichtlich führt al Shabaab auch eine Art Volkszählung durch. Auf den diesbezüglich bekannten Formularen müssen u. a. Clan und Subclan, Zahl an Kindern in und außerhalb Somalias, Quelle des Haushaltseinkommens und der Empfang von Remissen angegeben werden (UNSC 10.10.2022, Sitzung 45). Völkerrechtlich kommen al Shabaab als de-facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihr kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 28.6.2022, Sitzung 5/19).

Die Gebiete von al Shabaab werden als relativ sicher und stabil beschrieben, bei einer Absenz von Clankonflikten und geringer Kriminalität (BMLV 9.2.2023; vergleiche JF 18.6.2021). Al Shabaab duldet nicht, dass irgendeine andere Institution außer ihr selbst auf ihren Gebieten Gewalt anwendet, sie beansprucht das Gewaltmonopol für sich. Jene, die dieses Gesetz brechen, werden bestraft. Al Shabaab unterhält ein rigoroses Justizsystem, welches Fehlverhalten – etwa nicht sanktionierte Gewalt gegen Zivilisten – bestraft. Daher kommt es kaum zu Vergehen durch Kämpfer der al Shabaab. Die Verwaltung von al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BMLV 9.2.2023).

Insgesamt nimmt die Gruppe im Vergleich zur Regierung effizienter Steuern ein, lukriert mehr Geld, bietet ein höheres Maß an Sicherheit, eine höhere Qualität an Rechtsprechung (Bryden 8.11.2021). Zudem ermöglicht al Shabaab Fortbildungsmöglichkeiten – auch für Frauen. In Jilib gehen laut einer Quelle Mädchen zur Schule, und Frauen werden von al Shabaab durchaus ermutigt, einer Arbeit nachzugehen (C4 15.6.2022).

Clans: Mitunter konsultieren lokale Verwalter der al Shabaab auch Clanälteste oder lassen bestehende Bezirksstrukturen weiter bestehen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 29). Andererseits nutzt al Shabaab auch Spannungen und Clankonflikte aus, um eigene Ziele zu erreichen. Dies beruht jedoch auf Gegenseitigkeit, denn auch manche Clans nutzen al Shabaab, um politische Vorteile zu erlangen oder sich an Rivalen zu rächen (SPC 9.2.2022). Manche Clans werden mit Zwang und Gewalt in Partnerschaft zu al Shabaab gehalten. Die Gruppe organisiert mitunter Feiern zur Ernennung neuer Clanältester (Nabadoon, Sultaan, Ugaas, Wabar) und stattetLletztere mit z. B. einem Fahrzeug und einer Waffe aus. Dies geschah beispielsweise bei somalischen Bantu im Bezirk Jamaame, aber auch bei Elay, Wa’caysle, Sheikhal oder Mudulod (UNSC 6.10.2021).

Rückhalt: Trotz des Einflusses, den die Gruppe in weiten Teilen Somalias ausüben kann, folgen nur wenige Somali der fremden und unflexiblen Theologie, den brutalen Methoden zur Kontrolle und der totalitären Vision von Staat und Gesellschaft (Sahan 30.6.2022). Es gibt einige wenige, ideologisch positionierte Anhänger; Personen, die religiös gebildet sind und sich bewusst auf dieser Ebene mit al Shabaab solidarisieren. Es gibt aber eine viel größere Anzahl von Menschen, die pragmatisch agieren. Sie akzeptieren al Shabaab als geringeres Übel (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 13). Andere unterstützen al Shabaab, weil die Gruppe Rechtsschutz bietet. Die meisten Menschen befolgen ihre Anweisungen aber aus Angst (FIS 7.8.2020, Sitzung 15f).

Stärke: Die Hälfte der Mitglieder von al Shabaab stellt den militärischen Arm (jabhat), welcher an der Front gegen die somalische Regierung und ATMIS bzw. AMISOM kämpft. Die andere Hälfte sind entweder Polizisten, welche Gesetze und Gerichtsurteile durchsetzen und Verhaftungen vornehmen; oder Richter. Außerdem verfügt al Shabaab in der Regierung, in der Armee und in fast jedem Sektor der Gesellschaft über ein fortschrittliches Spionagenetzwerk (Maruf 14.11.2018). Laut einer Schätzung vom Feber 2022 hat die Gruppe nunmehr 12.000 Kämpfer (VOA 17.5.2022). Eine andere Quelle berichtet im Juli 2022 von einer Stärke von 7.000-12.000 Mann (Sahan 4.11.2022); eine weitere Quelle bestätigt diese Zahl (BMLV 9.2.2023). Die tatsächliche Größe ist schwer festzulegen, da viele Angehörige der al Shabaab zwischen Kampf und Zivilleben hin- und her wechseln (WP 31.8.2019). Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen ATMIS manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt al Shabaab mit dem Amniyat über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk (BMLV 9.2.2023). Dieser Dienst, der mehr als nur ein Geheimdienst ist, verfügt über 500 bis 1.000 Mann (BBC 27.5.2019). Der Amniyat ist die wichtigste Stütze der al Shabaab, und diese Teilorganisation hat ihre Fähigkeiten in den vergangenen Jahren ausgebaut. Der Amniyat ist auch für die Erhebung ausnützbarer Clanrivalitäten zuständig (JF 18.6.2021). Al Shabaab verfügt jedenfalls über ein extensives Netzwerk an Informanten und ist in der Lage, der Bevölkerung Angst einzuflößen (UNSC 6.10.2021). Auch Namen von Nachbarn und sogar die Namen der Verwandten der Nachbarn werden in Datenbanken geführt (Maruf 14.11.2018).

Gebiete: Al Shabaab wurde zwar aus den meisten Städten vertrieben, bleibt aber auf dem Land in herausragender Position bzw. hat die Gruppe dort eine feste Basis. Zudem schränkt sie regionale sowie Kräfte des Bundes auf städtischen Raum ein, ohne dass diese die Möglichkeit hätten, sich zwischen den Städten frei zu bewegen (BMLV 9.2.2023). Al Shabaab kontrolliert Gebiete in den Regionen Lower Juba und Gedo (Jubaland); Bakool, Bay und Lower Shabelle (SWS); Hiiraan und - in sehr geringem Maße - Middle Shabelle (HirShabelle); Galgaduud und - in sehr geringem Maße - Mudug (Galmudug). Die Region Middle Juba wird zur Gänze von al Shabaab kontrolliert (PGN 23.1.2023).

Jedenfalls steht ebenso fest: Das Einsatzgebiet von al Shabaab ist fast so groß wie Deutschland. In diesem weitläufigen und infrastrukturell wenig erschlossenen Gebiet muss die Gruppe mit ca. 10.000 bewaffneten Kämpfern auskommen. Das bedeutet, dass al Shabaab zu keinem Zeitpunkt eine permanente Kontrolle über alle strategisch wichtigen Punkte ausüben kann. Die Gruppe kann nicht alle wichtigen Straßen kontrollieren, kann nicht in allen Orten des Hinterlandes mit permanenter Präsenz aufwarten, kann sich nicht um alle Konflikte vor Ort gleichzeitig kümmern (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 8). Gemäß einer Quelle verfügt al Shabaab bei Clans über Verbindungsleute (Kilmurry 1.4.2022); laut einer anderen Quelle hält al Shabaab in ihrem Gebiet vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen und zielt damit in erster Linie auf das Einheben von Steuern ab und übt Einfluss aus (LI 21.5.2019a, Sitzung 3). Eine andere Quelle erklärt, dass, auch wenn es dort keine permanenten Stationen gibt, die Polizei von al Shabaab regelmäßig auch entlegene Gebiete besucht. Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuzuschlagen, bzw. kann sie sich auch in vielen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen (BMLV 9.2.2023). Al Shabaab funktioniert in nahezu ganz Südsomalia als Schattenregierung bzw. -Verwaltung (GITOC 8.12.2022; vergleiche FP 22.9.2021). „Kontrolliert“ wird - wie es ein Experte ausdrückt - durch „exemplarische Gewalt“; durch das Streuen von Gerüchten; durch terroristische Anschläge zur Einschüchterung der Bevölkerung (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 8). In Gebieten, die an von der Regierung kontrollierte und von al Shabaab unter Blockade gestellte Städte grenzen, hat die Gruppe strenge Regeln hinsichtlich ökonomischer und beruflicher Tätigkeiten eingeführt. Al Shabaab setzt diese mit Drohungen und Gewalt durch und bestraft jene, die diese Regeln brechen (UNSC 10.10.2022, Absatz 117,).

Kapazitäten: Die Kämpfe der letzten Monate haben bei al Shabaab erhebliche Spuren hinterlassen. Die Angaben der Bundesregierung von angeblich 2.000 getöteten Kämpfern von al Shabaab seit Juni 2022 müssen allerdings angezweifelt werden und sind vermutlich doppelt so hoch angesetzt wie tatsächlich gegeben (BMLV 9.2.2023). Jedenfalls verfügt al Shabaab weiterhin über die Kapazität und die Präsenz, um in fast allen Teilen Somalias – auch in Mogadischu – Operationen durchführen zu können. Dabei geht die Einflusssphäre der Gruppe über jene Gebiete, die sie tatsächlich unter Kontrolle hat, hinaus (UNSC 10.10.2022, Absatz 8,). Al Shabaab hat jedoch nicht genügend Kapazitäten, um ständig und überall präsent zu sein. Sie führt z. B. Körperstrafen immer wieder exemplarisch aus; aber nur so intensiv und so oft, wie es nötig ist, um die lokale Bevölkerung zu erschrecken und dafür zu sorgen, dass ein Großteil der Menschen sich tatsächlich - zwangsläufig - mit der Herrschaft von al Shabaab arrangiert (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 9).

Steuern bzw. Schutzgeld [siehe auch Kapitel „Risiko in Zusammenhang mit Schutzgelderpressungen“]: In den Gebieten der al Shabaab gibt es ein zentralisiertes Steuersystem (BS 2022, Sitzung 10), dort wird alles und jeder besteuert (HI 10.2020, Sitzung 2f; vergleiche BBC 18.1.2021). Die Besteuerung scheint systematisch, organisiert und kontrolliert zu erfolgen (BS 2022, Sitzung 10). Mit Steuereinnahmen kann al Shabaab genug Geld generieren, um die Rebellion auch hinkünftig aufrechterhalten zu können (UNSC 6.10.2021). Schätzungen von Experten zufolge nimmt al Shabaab alleine an Checkpoints pro Jahr mehr als 100 Millionen US-Dollar ein (GITOC 8.12.2022).

Ein Teil der Einkünfte wird an einem Netzwerk an Straßensperren eingehoben. Insgesamt ist al Shabaab in der Lage, in ganz Süd-/Zentralsomalia erpresserisch Zahlungen zu erzwingen - auch in Gebieten, die nicht unter ihrer direkten Kontrolle stehen (UNSC 6.10.2021). Wirtschaftstreibende nehmen die Macht von al Shabaab zur Kenntnis und zahlen Steuern an die Gruppe – auch weil die Regierung sie nicht vor den Folgen beschützen kann, die bei einer Zahlungsverweigerung drohen (Bryden 8.11.2021). In umstrittenen Gebieten findet sich kaum jemand, der eine Schutzgeldforderung von al Shabaab nicht befolgt. Und selbst in Städten wie Mogadischu und sogar in Bossaso (Puntland) zahlen nahezu alle Wirtschaftstreibenden Steuern an al Shabaab; denn überall dort sind Straforgane der Gruppe aktiv. Jene, welche Abgaben an al Shabaab abführen, können ungestört leben; aber jene, die sich weigern, werden bestraft und ihr Leben bedroht. Vorerst werden dabei hohe Strafzahlungen ausgesprochen oder aber der Zugang zu Märkten wird blockiert, dann folgen auch Todesdrohungen. Zur tatsächlichen Exekution kommt es aber nur in Extremfällen. Andere müssen ihre Firma schließen, ihre Kontaktdaten ändern oder aus dem Land fliehen. Nur jene können den Druck ertragen und einer Besteuerung entgehen, welche sich außerhalb der Reichweite von al Shabaab befinden. Kaum jemand bezahlt die Abgaben freiwillig, das Antriebsmittel dafür ist die Angst (HI 10.2020, Sitzung 1ff). Denn al Shabaab agiert wie ein verbrecherisches Syndikat (FDD 11.8.2021). Ziel ist es, aus kriminellen Aktivitäten Gewinn zu lukrieren. Die Religion dient nur als Deckmantel (FIS 7.8.2020, Sitzung 18).

Laut einer Schätzung vom Feber 2022 kann al Shabaab pro Monat bis zu 10 Millionen USDollar generieren (VOA 17.5.2022). Eingehoben werden Steuern und Gebühren etwa auf die Landwirtschaft, auf Fahrzeuge, Transport und den Verkauf von Vieh (BS 2022, Sitzung 10; vergleiche UNSC 6.10.2021); sowie auf manche Dienstleistungen (HIPS 2020, Sitzung 13). Sogar Bundesbedienstete – darunter hochrangige Angehörige der Armee – führen Schutzgeld oder „Einkommenssteuer“ an al Shabaab ab. Dieser Faktor belegt aber auch den Pragmatismus von al Shabaab als mafiöser Organisation, wo Geld vor Ideologie gereiht wird (HI 10.2020, Sitzung 6f). Die Höhe der Steuer ist oft verhandelbar. Jedenfalls haben die Menschen de facto keine Wahl, sie müssen al Shabaab bezahlen (WP 31.8.2019).

Allgemeine Menschenrechtslage

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

In der somalischen Verfassung ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle (AA 28.6.2022, Sitzung 20).

Trotzdem werden Grund- und Menschenrechte regelmäßig und systematisch verletzt. Im Wettstreit stehende, politische Akteure in Süd-/Zentralsomalia sind in schwere und systematische Menschenrechtsverbrechen involviert (BS 2022, Sitzung 18; vergleiche AI 29.3.2022). Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: willkürliche und ungesetzliche Tötungen durch Kräfte der somalischen Bundesregierung; Entführungen und Verschwindenlassen; Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten; Folter und andere grausame Behandlung; harte Haftbedingungen; willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 1f; vergleiche BS 2022, Sitzung 34). Al Shabaab ist für die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverletzungen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 2; vergleiche UNSC 6.10.2021) und für den größten Teil ziviler Todesopfer verantwortlich (BS 2022, Sitzung 34). Es gibt aber auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch Kräfte der Bundesregierung und von Regionalregierungen. Auch Clanmilizen sind für Vergehen verantwortlich - darunter Tötungen, Entführungen und Zerstörung zivilen Eigentums (UNSC 6.10.2021).

Bei Kämpfen unter Beteiligung von ATMIS, Regierung, Milizen und al Shabaab kommt es zur Tötung, Verletzung und Vertreibung von Zivilisten sowie zu anderen Kriegsverbrechen, welche durch alle Konfliktbeteiligten verübt werden (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 2). Es gibt zahlreiche Berichte, wonach die Regierung und ihre Handlanger Personen willkürlich und außergesetzlich töten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 2). Nach anderen Angaben stellen extralegale Tötungen bei den Sicherheitskräften kein strukturelles Problem dar (AA 28.6.2022, Sitzung 22). Jedenfalls werden Sicherheitskräfte beschuldigt, Zivilisten bei Streitigkeiten um Land, bei Checkpoints, bei Zwangsräumungen und anderen Gelegenheiten willkürlich angegriffen zu haben (BS 2022, Sitzung 18). In solchen Fällen ist aufgrund des dysfunktionalen Justizsystems häufig von Straflosigkeit auszugehen (AA 28.6.2022, Sitzung 22).

Für die meisten Tötungen sind aber al Shabaab und Clanmilizen verantwortlich (USDOS 12.4.2022, Sitzung 3; vergleiche AI 29.3.2022). Im Zeitraum 7.5. bis 23.8.2022 kamen landesweit 419 Zivilisten ums Leben oder wurden verletzt. Für 88 Opfer trug dabei al Shabaab, für 249 Unbekannte, für 30 Clanmilizen, für 46 staatliche Sicherheitskräfte und für sechs die Liyu Police die Verantwortung (UNSC 1.9.2022, Absatz 52,). Im Zeitraum 1.2. bis 6.5.2022 sind es vergleichsweise insgesamt 428 Opfer gewesen (UNSC 13.5.2022, Absatz 51,). In den vergangenen Jahren war die Zahl an zivilen Opfern stetig zurückgegangen. Gemäß verfügbarer Zahlen der UN ist aber 2022 bereits im November das Jahr mit den höchsten Zahlen an getöteten (613) und verletzten (948) Zivilisten seit dem Jahr 2017. Dabei wurden bei Sprengstoffanschlägen 315 Menschen getötet und 686 verletzt. Von diesen Anschlägen können mindestens 94 Prozent al Shabaab angelastet werden. Die restlichen Opfer wurden durch staatliche Kräfte, Milizen und Unbekannte verursacht (UNOHCHR 14.11.2022).

Es gibt mehrere Berichte über von der Regierung gesteuertes, politisch motiviertes Verschwindenlassen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 5). Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen durch Bundes- und Regionalbehörden sowie durch alliierte Milizen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 9; vergleiche BS 2022, Sitzung 16). Die Regierung verwendet bei derartigen Verhaftungen oft den Vorwurf der Mitgliedschaft bei al Shabaab (USDOS 12.4.2022, Sitzung 10).

Generell ist Straflosigkeit die Norm. Die Regierung macht zumindest einige Schritte, um öffentlich Bedienstete – vor allem Sicherheitskräfte – strafrechtlich zu verfolgen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 2).

Al Shabaab verletzt in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Grundrechte (BS 2022, Sitzung 19). Die Gruppe ist für die Mehrheit schwerer Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; entführt Menschen, begeht Vergewaltigungen und vollzieht grausame Bestrafungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt (USDOS 12.4.2022, Sitzung 2). Die Gruppe rekrutiert Kindersoldaten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 2; vergleiche HRW 13.1.2022). Al Shabaab entführt Menschen und nimmt Geiseln (USDOS 12.4.2022, Sitzung 5). Die Entführung und Verhaftung von Zivilisten erfolgt, um Regelbrüche zu ahnden oder Kollaboration zu erzwingen. Von Ende 2020 bis September 2021 wurden 13 derartige Entführungen dokumentiert, betroffen waren 155 Zivilisten – u. a. Älteste, Wirtschaftstreibende und Jugendliche (UNSC 6.10.2021). Nachdem sich al Shabaab bei schweren Kämpfen im Bereich Siigale Degta (Lower Shabelle) am 8.3.2022 zurückziehen musste, kehrte die Gruppe noch am selben Tag in das Dorf zurück. Al Shabaab beschuldigte die Gemeinde der Spionage und Kollaboration mit der Bundesarmee, tötete mindestens einen Mann und entführte 33 Dorfbewohner (darunter neun Frauen). Der Verbleib dieser Menschen ist bis heute ungeklärt (UNSC 10.10.2022, Sitzung 86).

Al Shabaab verhängt in ihren Gebieten Körperstrafen. So werden sexuelle Vergehen mitunter mit Auspeitschen, Diebstahl mit Amputation und Spionage mit dem Tode bestraft (UNSC 6.10.2021). Al Shabaab richtet regelmäßig und ohne ordentliches Verfahren Menschen hin, denen Kooperation mit der Regierung, internationalen Organisationen oder westlichen Hilfsorganisationen vorgeworfen wird (AA 28.6.2022, Sitzung 16), bzw. Zivilisten, die zu Abtrünnigen oder Spionen deklariert werden (BS 2022, Sitzung 19). Al Shabaab übt teils Rache an der Bevölkerung von Gebieten, die zuvor „befreit“ aber danach von al Shabaab wieder eingenommen worden waren. Die Gruppe wendet u. a. auch das Mittel von Zwangsvertreibungen an, um sich an sich widersetzenden oder nicht die eigenen Regeln befolgenden Bevölkerungsgruppen zu rächen. Bei derartigen Kollektivstrafen wurden z. B. im ersten Halbjahr 2021 im SWS und in Galmudug mehr als 11.000 Familien vertrieben (UNSC 6.10.2021). Mitunter kommt es bei al Shabaab auch zu Zwangsarbeit (USDOS 12.4.2022, Sitzung 46).

Minderheiten und Clans

Der Clan ist die relevanteste soziale, ökonomische und politische Struktur in Somalia. Er bestimmt den Zugang zu Ressourcen sowie zu Möglichkeiten, Einfluss, Schutz und Beziehungen (SPC 9.2.2022). Dementsprechend steht Diskriminierung in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke haben (AA 28.6.2022, Sitzung 11). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2022, Sitzung 10). Selbst relative starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan 30.9.2022).

Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessenvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des Xeer. Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler. Al Shabaab installiert oft Älteste, welche die Gruppe repräsentieren. Er wird so zum Bindeglied zwischen der Gemeinschaft und al Shabaab. So werden zuvor legitime Strukturen in Geiselhaft genommen (Sahan 26.10.2022).

In ganz Somalia sehen sich Menschen, die keinem der großen Clans angehören, in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56) und für ökonomische sowie politische Partizipation (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56; vergleiche BS 2022, Sitzung 23). Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2022, Sitzung 23). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UNOCHA 14.3.2022).

Recht: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Weder das traditionelle Recht (Xeer) (SEM 31.5.2017, Sitzung 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, Sitzung 42; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 4). Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen (ÖB 11.2022, Sitzung 4). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, Sitzung 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, Sitzung 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, Sitzung 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14).

Angehörige von Minderheiten stehen vor Hindernissen, wenn sie Identitätsdokumente erhalten wollen - auch im Falle von Reisepässen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 58).

Politik: Politische Repräsentation, politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren - und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel (ÖB 11.2022, Sitzung 3). Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhalten (ÖB 11.2022, Sitzung 3; vergleiche USDOS 12.4.2022, Sitzung 31f; FH 2022a, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 2022a, B4). Sie werden von relevanten politischen Posten ausgeschlossen und die wenigen Angehörigen von Minderheiten, die solche Posten halten, haben kaum die Möglichkeit, sich für ihre Gemeinschaften einzusetzen (SPC 9.2.2022). So ist also selbst die gegebene, formelle Vertretung nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die 4.5-Formel hat bisher nicht zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bezogenen Gleichberechtigung beigetragen (ÖB 11.2022, Sitzung 4).

Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41; vergleiche AA 28.6.2022, Sitzung 14; FH 2022a, F4). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 28.6.2022, Sitzung 14). Zudem sind die Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen weniger gut ausgebaut, und sie verfügen über geringere Ressourcen (Sahan 24.10.2022) und erhalten weniger Remissen (Sahan 24.10.2022; vergleiche SPC 9.2.2022). Die mächtigen Gruppen erhalten den Löwenanteil an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird (Sahan 24.10.2022). Dementsprechend stehen Haushalte, die einer Minderheit angehören, einem höheren Maß an Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung gegenüber. Meist sind Minderheitenangehörige von informeller Arbeit abhängig, und die allgemeinen ökonomischen Probleme haben u.a. die Nachfrage nach Tagelöhnern zurückgehen lassen. Dadurch sind auch die Einkommen dramatisch gesunken (UNOCHA 14.3.2022).

Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41). In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (FIS 7.8.2020, Sitzung 39).

Al Shabaab: Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt (BS 2022, Sitzung 19; vergleiche ÖB 11.2022 Sitzung 6). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen "noblen" Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, Sitzung 11; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 4). Al Shabaab hat sich die gesellschaftliche Benachteiligung von Gruppen zunutze gemacht (Sahan 24.10.2022). Ein überproportionaler Teil von al Shabaab setzt sich aus Angehörigen der am meisten marginalisierten Gruppen Somalias zusammen (Sahan 30.9.2022). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist ein weiterer Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Missstände treiben ganze Gemeinden in die Arme von al Shabaab. Sie suchen ein taktisches Bündnis – haben dabei aber keine dschihadistische Vision, sondern wollen ihre Rivalen ausstechen. Al Shabaab nimmt derartige Spannungen gerne auf und verwendet sie für eigene Zwecke (Sahan 30.9.2022). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB 11.2022, Sitzung 4f).


Bevölkerungsstruktur

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Somalia ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings sei der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung unklar (AA 28.6.2022, Sitzung 11/14). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 12.4.2022, Sitzung 40). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UNOCHA 14.3.2022; vergleiche NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44; vergleiche SEM, 31.5.2017, Sitzung 12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 5).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2022, Sitzung 34). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, Sitzung 8).

Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

●             Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

●             Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

●             Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

●             Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

●             Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, Sitzung 9).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, Sitzung 25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, Sitzung 38ff).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, Sitzung 9). Zudem gewinnt die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation immer mehr an Bedeutung. Dadurch kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden (BS 2022, Sitzung 25).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation

Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums (SEM 31.5.2017, Sitzung 11). Die soziale Stellung der einzelnen ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich (SEM 31.5.2017, Sitzung 14). Sie werden aber als minderwertig (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44) und mitunter als Fremde erachtet (SPC 9.2.2022). So können Angehörige ethnischer Minderheiten auf Probleme stoßen - bis hin zu Staatenlosigkeit - wenn sie z. B. in einem Flüchtlingslager außerhalb Somalias geboren wurden (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 58).

Generell sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Verfolgung mehr ausgesetzt, wie dies Anfang der 1990er der Fall war (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44). Dies gilt auch für Mogadischu. Allerdings sind dort all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, Sitzung 3). In den Städten ist die Bevölkerung aber allgemein gemischt, Kinder gehen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Schule und Menschen ins Spital (UNFPA/DIS 25.6.2020).

Nach anderen Angaben drohen ethnischen Minderheiten Stigmatisierung, soziale Absonderung, Verweigerung von Rechten und ein niedriger sozialer, ökonomischer und politischer Status (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44), Arbeitslosigkeit und ein Mangel an Ressourcen. Sie werden am Arbeitsmarkt diskriminiert und vom Rest der Gesellschaft ausgeschlossen. Die meisten Angehörigen marginalisierter Gruppen haben keine Aussicht auf Rechtsschutz, nur selten werden solche Personen in die Sicherheitskräfte aufgenommen. Auch im Xeer werden sie marginalisiert. In Mogadischu mangelt es den Minderheiten auch an politischem Einfluss. Andererseits ändert sich die Situation langsam zum Besseren, die Einstellung v. a. der jüngeren Generation ändert sich; die Clanzugehörigkeit ist für diese nicht mehr so wichtig wie für die Älteren (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff).

Die Bantu sind die größte Minderheit in Somalia (SEM 31.5.2017, Sitzung 12f; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 41). Es gibt zahlreiche Bantu-Gruppen bzw. -Clans, wie z. B. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli, Oji oder Gobaweyne; pejorativ werden sie auch Adoon (Sklaven) oder Jareer (Kraushaar) genannt. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Juba und Shabelle (SEM 31.5.2017, Sitzung 12f; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Von den ca. 900.000 IDPs, die sich im Großraum Mogadischu aufhalten (Stand 2020), sind rund 700.000 Bantu (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff).

Die Bantu werden überall in Somalia rassistisch stigmatisiert (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25) und diskriminiert (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25; vergleiche BS 2022, Sitzung 9; USDOS 12.4.2022, Sitzung 41; GIGA 3.7.2018). Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu, die zum Teil einst als Sklaven ins Land gekommen waren, herab (SEM 31.5.2017, Sitzung 14; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Sie sind das dramatischste Beispiel für die Schlechterbehandlung durch dominierende Gruppen (Sahan 30.9.2022) und werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2022, Sitzung 9) und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 9f). Auch in IDP-Lagern werden sie diskriminiert, Bantu-Frauen mangelt es dort an Schutz durch die traditionelle Clanstruktur (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41; vergleiche LIFOS 19.6.2019, Sitzung 8). 80 % der Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt finden sich unter ihnen (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff). Überhaupt befinden sich Bantu in einer vulnerablen Situation, da zuvor bestehende Patronageverhältnisse (welche Schutz gewährleisteten) im Bürgerkrieg erodiert sind. Dadurch haben Bantu heute kaum Zugang zum Xeer (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 9f). Bantu sind besonders schutzlos (ÖB 11.2022, Sitzung 4; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 42). Andererseits sind einige Bantu-Gruppen mit lokal mächtigen Clans Allianzen eingegangen, um sich dadurch zu schützen (FIS 7.8.2020, Sitzung 44).

Mischehen werden stigmatisiert (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 7). Im September 2018 wurde ein Bantu in Mogadischu in Zusammenhang mit einer Mischehe getötet. Allerdings war dies ein sehr außergewöhnlicher Vorfall, über welchen viele Somali ihre Entrüstung äußerten (NLMBZ 3.2019, Sitzung 43). Al Shabaab hingegen hat zahlreiche Kinder der Bantu entführt oder zwangsrekrutiert. Trotzdem genießt die Gruppe bei dieser Minderheit größere Unterstützung (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 7ff). Die meisten Fußsoldaten von al Shabaab, die aus Middle Shabelle stammen, gehören zu Gruppen mit niedrigem Status – etwa zu den Bantu. Al Shabaab hat diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von "noblen" Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).

Einem Bericht zufolge sind aus den USA deportierte somalische Bantu - manchmal schon am Flughafen in Mogadischu - von Bewaffneten entführt worden, um Lösegeld zu erpressen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 58).

Benadiri ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben (z. B. Mogadischu, Merka, Baraawe) und sich traditionell im Handel betätigen. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien, Persien, Indien und Portugal (SEM 31.5.2017, Sitzung 13f; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos. Heute werden Benadiri gemeinhin als Händler respektiert (SEM 31.5.2017, Sitzung 13f). In Mogadischu stellen die Benadiri die zweitgrößte Minderheitengruppe. Einige von ihnen haben es geschafft, reich zu werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 41ff). Im Gegensatz zu den Bantu kommt ihnen kein geringerer Status zu, Mischehen sind kein Problem (LI 14.6.2018, Sitzung 17). Auch von Sicherheitsproblemen wird (in Mogadischu) nicht berichtet (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 45). Vielen Reer Xamar (Teil der Benadiri) ist es gelungen, ihre vormaligen Immobilien im Bezirk Xamar Weyne (Mogadischu) durch Zahlungen zurückzuerhalten. Dort stellen sie auch die Bevölkerungsmehrheit (LI 21.5.2019b, Sitzung 2f).

Die Bajuni sind ein kleines Fischervolk, das auf den Bajuni-Inseln im Süden Somalias sowie in Kismayo (SEM 31.5.2017, Sitzung 14; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57) aber auch entlang der kenianischen Küste bis Lamu lebt. Der UNHCR zählt die Bajuni zu den Benadiri (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57).

Kinder von Mischehen der al-Shabaab: Einige somalische Mädchen und Frauen haben ausländische Kämpfer (z.B. aus Europa, USA, Asien) der al Shabaab geheiratet. Die aus solchen Ehen hervorgegangenen Kinder sind teils leicht zu identifizieren (ICG 27.6.2019, Sitzung 9).

Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung (SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff). Sie sind somalischen Ursprungs, wurden aber von den traditionellen Clan-Lineages ausgeschlossen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können (SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff). Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57; vergleiche NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 45; SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff) - etwa Jäger, Lederverarbeiter, Schuster, Friseure, Töpferinnen, traditionelle Heiler oder Hebammen (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 45). Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff). Ein anderer Sammelbegriff ist Midgan (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57).

Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, Sitzung 43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, Sitzung 3).

Die berufsständischen Kasten werden zudem diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2022, Sitzung 9). Zu ihrer Diskriminierung trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vergleiche SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z. B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff).

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, Sitzung 49).

Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 4). Aufgrund dieses teils starken sozialen Drucks (FH 2022a, G3) kommen Mischehen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff; vergleiche FIS 5.10.2018, Sitzung 26). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden (ÖB 11.2022, Sitzung 4; vergleiche SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). In Mogadischu sind Mischehen möglich (FIS 5.10.2018, Sitzung 26). Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f). Die Gruppe hat Fußsoldaten, die zu Gruppen mit niedrigem Status gehören, dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von "noblen" Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).

Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die Ehepartner mit sich bringen – insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört (ÖB 11.2022, Sitzung 4). So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem "noblen" Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018, Sitzung 26).

Grundversorgung/Wirtschaft

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Wirtschaft und Arbeit

Mehrere Schocks haben die Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Erholung des Landes unterminiert, darunter Überschwemmungen, eine Heuschreckenplage und die Covid-19-Pandemie (AFDB 25.5.2022). Die somalische Wirtschaft hat sich allerdings als resilienter erwiesen, als zuvor vermutet: Ursprünglich war für 2020 ein Rückgang des BIP um 2,5 % prognostiziert worden (UNSC 13.11.2020, Absatz 17,), tatsächlich sind es dann nur minus 0,4 % geworden (UNSC 10.8.2021, Absatz 17,), nach anderen Angaben sogar nur 0,1 %. Für 2021 war ein Wachstum von 2,4 % prognostiziert, geworden sind es dann 2,9 % (FTL 29.11.2022). Für das Jahr 2022 prognostiziert die Weltbank ein Wachstum von 3,2 % (WB 6.2021, Sitzung 20).

Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Erholung sind Remissen und anhaltende Investitionen (UNSC 17.2.2021, Absatz 19,). Ein resilienter Privatsektor und starke Remissen aus der Diaspora bleiben Grundlage für Optimismus. Zudem gibt es unentwickelte Möglichkeiten aufgrund der Urbanisierung, sowie auf den Gebieten neuer Technologien, Bildung und Gesundheit Ausschussbericht 22.6.2022). Die Geldrückflüsse nach Somalia sind 2021 im Vergleich zu 2020 noch einmal gestiegen, von 30,8 % des BIP auf 31,3 % (AFDB 25.5.2022). Neben der Diaspora (VICE 1.3.2020) sind auch zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) tatkräftig dabei, das Land wiederaufzubauen (ÖB 11.2022, Sitzung 21). Das Maß an privaten Investitionen bleibt konstant. Die Inflation lag 2021 bei 4,6 %, für 2022 werden aufgrund höherer Nahrungsmittel- und Treibstoffpreise sowie der herrschenden Dürre 9,4 % prognostiziert (AFDB 25.5.2022).

Allerdings war das Wirtschaftswachstum schon in besseren Jahren für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern hätte können (UNSC 21.12.2018, Sitzung 4). Der Bevölkerungszuwachs nivelliert das Wirtschaftswachstum und hemmt die Reduzierung von Armut (BS 2022, Sitzung 30). Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt 875 US-Dollar (BS 2022, Sitzung 3). Zusätzlich bleibt die somalische Wirtschaft im Allgemeinen weiterhin fragil. Dies hängt mit der schmalen Wirtschaftsbasis zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist von Landwirtschaft und Fischerei abhängig und dadurch externen und Umwelteinflüssen besonders ausgesetzt (ÖB 11.2022, Sitzung 15). Landwirtschaft, Handel, Kommunikation und mobile Geldtransferdienste tragen maßgeblich zum BIP bei; alleine die Viehwirtschaft macht rund 60 % des BIP (BS 2022, Sitzung 31) und 80 % der Exporte aus (BS 2022, Sitzung 25). Der Großteil der Wirtschaft bzw. der wirtschaftlichen Aktivitäten ist dem informellen Sektor zuzurechnen (UNSC 10.10.2022, Absatz 64,). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft schwierig bis unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB 11.2022, Sitzung 2/15) bzw. sind vertrauenswürdige Daten kaum vorhanden (BS 2022, Sitzung 30).

Al Shabaab und andere nicht staatliche Akteure behindern kommerzielle Aktivitäten in Bakool, Bay, Gedo und Hiiraan (USDOS 12.4.2022, Sitzung 25).

Staatshaushalt: Die Regierung ist stark abhängig von externer Hilfe. Ein Großteil der Regierungsausgaben wird durch externe Akteure bezahlt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29; vergleiche BS 2022, Sitzung 40). Alleine die offizielle Entwicklungshilfe betrug 2019 1,9 Milliarden US-Dollar – 40 % des BIP (BS 2022, Sitzung 40). Aufgrund der fehlenden Kontrolle über das Territorium – aber auch hinsichtlich technischer Fähigkeiten – war die Regierung bisher nicht in der Lage, ein nationales Steuersystem aufzubauen. Selbst für grundlegende Staatsausgaben ist das Land auf externe Geber angewiesen (BS 2022, Sitzung 36). Von den Bundesstaaten gelingt es neben Puntland nur Jubaland, ein relevantes Maß an Einnahmen selbst zu generieren (WB 6.2021, Sitzung 16).

38 % der Staatsausgaben entfallen auf Verteidigung und Sicherheit (BS 2022, Sitzung 28), in den Jahren 2017 bis 2021 waren es durchschnittlich 31 % (AI 18.8.2021, Sitzung 19). Das Budget für das Jahr 2023 sieht mehr Geld für öffentliche Dienste wie Gesundheitszentren, Bildungseinrichtungen und Sicherheitskräfte vor (RD 28.12.2022).

Im Jahr 2020 hatte Somalia mit der Normalisierung der Beziehungen zu internationalen Finanzinstitutionen (Weltbank, Währungsfonds, Afrikanische Entwicklungsbank) einen Meilenstein erreicht. Das Land kann wieder partizipieren (HIPS 2021, Sitzung 4/23).

Arbeitsmarkt: Es gibt kein nationales Mindesteinkommen. Ca. 95 % der Berufstätigen arbeiten im informellen Sektor (USDOS 12.4.2022, Sitzung 48). In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund sowie vom Ort ab (BS 2022, Sitzung 30).

Das Unternehmertum spielt in der somalischen Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Schätzungen zufolge werden alleine dadurch mehr als drei Viertel aller Arbeitsplätze geschaffen (WB 22.3.2022). Zum Beispiel hat der Telekom-Konzern Hormuud Telecom in den vergangenen Jahren tausende Arbeitsplätze geschaffen und beschäftigt heute mehr als 20.000 Frauen und Männer (EAT 14.2.2021). Überhaupt sind zwei Drittel der aktiven Erwerbsbevölkerung Selbständige (WB 13.7.2022)

Einerseits wird berichtet, dass die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge und zurückkehrende Flüchtlinge in Süd-/Zentralsomalia limitiert sind. So berichten etwa Personen, die aus Kenia zurückgekehrt sind, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 27). Andererseits wird ebenso berichtet, dass die besten Jobs oft an Angehörige der Diaspora fallen – etwa wegen besserer Sprachkenntnisse (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Am Arbeitsmarkt spielen Clanverbindungen eine Rolle (USDOS 12.4.2022, Sitzung 48). Gerade, um eine bessere Arbeit zu erhalten, ist man auf persönliche Beziehungen und das Netzwerk des Clans angewiesen. Dementsprechend schwer tun sich IDPs, wenn sie vor Ort über kein Netzwerk verfügen; meist sind sie ja nicht Mitglieder der lokalen Gemeinde (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen (DI 6.2019, Sitzung 22f; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden (OXFAM 6.2018, Sitzung 10); außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise (DI 6.2019, Sitzung 22f). Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem wird von Ausbeutung und Unterbezahlung berichtet (OXFAM 6.2018, Sitzung 10).

Ende Mai 2022 hat die Regierung die National Youth Development Initiative gestartet. Mit dieser sollen Arbeitsplätze für Jugendliche geschaffen werden (WB 13.7.2022). Die von der EU finanzierte Dalbile Youth Initiative wurde im August 2020 gestartet und läuft weiter fort. Mit diesem Programm wird das Leben von ca. 5.000 jungen Menschen verändert werden, durch Unternehmertum, soziale Unternehmungen, Management Training, Mentorship, Ausbildung und Geldern für Start-ups (RD 23.9.2022). Im Rahmen dieses und anderer Programme hat UNFPA diverse Maßnahmen umgesetzt, um Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt besserzustellen. Im ersten Jahr der Dalbile Youth Initiative wurden mehr als 1.500 Jugendliche (davon ca. die Hälfte weiblich) mit Kapazitätsbildungsmaßnahmen erreicht. 68 Start-ups wurden mit Krediten versorgt (UNFPA 27.7.2022). Ein Programm von IOM unterstützt Jugendliche dabei, neue Fähigkeiten zu erwerben, die auf dem Arbeitsmarkt von Vorteil sind – etwa als Schneider, Installateur oder Elektriker. In Baidoa und Kismayo wurden 300 Jugendliche finanziell unterstützt, um bei lokalen Firmen Berufspraktika absolvieren zu können. Die meisten der Absolventen des Programms können danach ihren Lebensunterhalt mit eigenem Einkommen finanzieren (IOM 27.12.2022).

Einkommen, Tätigkeiten: An Arbeitstätigkeiten genannt werden: Träger am Bau; Arbeiten am Hafen (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f) Köhler; Hilfsarbeiter am Bau; Koranlehrer; Rickshaw-Fahrer; Transporteur mit einer Eselkarre; Transporteur mit einer Scheibtruhe (Khalil 1.2019, Sitzung 30). Arzt; Krankenschwester (FIS 5.10.2018, Sitzung 36); Universitätslektor (TG 8.6.2022); angestellte und selbstständige Überlandfahrer; Fleischverkäufer (RE 18.2.2021); Magd; Hausangestellte; Wäscherin; Marktverkäuferin. In der Verwaltung sind nur wenige Stellen verfügbar, besser stellt sich die Situation bei Polizei und Armee dar. Viele Menschen leben vom Kleinhandel oder von ihrer Arbeit in Restaurants oder Teehäusern. Allerdings ist eine Arbeit in der Gastwirtschaft mit niedrigem Ansehen verbunden. Die Mehrheitsbevölkerung ist derartige Tätigkeiten sowie jene auf Baustellen äußerst abgeneigt. Dort finden sich vielmehr marginalisierte Gruppen – z. B. IDPs – die oft auch als Tagelöhner arbeiten. Weibliche IDPs arbeiten als Mägde, Hausangestellte oder Wäscherinnen. Manche verkaufen Früchte auf Märkten (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Durch den Niedergang der Landwirtschaft, der maßgeblich durch die Dürre verursacht worden ist, ist auch die Nachfrage nach Arbeitskräften in der Landwirtschaft gesunken bzw. haben sich die Löhne dort verringert (IPC 4.6.2022).

IOM berichtet aus Mogadischu, dass dort für ungelernte Arbeitskräfte Jobs zur Verfügung stehen - etwa als Reinigungskraft, Träger oder im Zustelldienst, als Ziegelmacher, Wäscherin oder auch als Buchhalter. Oft werden derartige Jobs aber von Arbeitgebern an eigene Verwandte vergeben. Zu finden sind Jobs meist über die eigene Verwandtschaft oder persönliche Netzwerke. Es gibt aber auch Websites zur Arbeitsvermittlung: Shaqodoon.net und Qaranjobs.com. Frauen mit Ausbildung können sich um einen Job umsehen. Frauen ohne Ausbildung übernehmen üblicherweise Aufgaben im Haushalt oder aber sie finden eine Anstellung über Familienkontakte, oder indem sie von Tür zu Tür gehen. Frauen ohne Kontakte in Mogadischu müssen oft die am schlechtesten bezahlten Jobs annehmen - etwa als Wäscherin oder Reinigungskraft (IOM 2.3.2023)

Gesucht werden in Mogadischu Fachkräfte in den Bereichen Medizin (Ärzte, Krankenpfleger), Hotellerie, Wirtschaft und IT (IOM 2.3.2023).

Arbeitslosenquote: Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch (USDOS 12.4.2022, Sitzung 27), wobei es zu konkreten Zahlen unterschiedlichste und teils widersprüchliche Angaben gibt: Laut einer Quelle lag die Erwerbsquote (labour force participation) 2018 bei Männern bei 58 %, bei Frauen bei 37 % (UNSC 21.12.2018, Sitzung 4). Die Zahl für Frauen wird auch von einer Quelle im Jahr 2021 erwähnt (SLS 6.4.2021). Zwei Quellen nennen 2022 eine Jugendarbeitslosigkeit (15-29 Jahre) von 67-68% (RD 10.6.2022; vergleiche UNFPA 27.7.2022). Allerdings suchen laut einem Bericht der ILO nur 40 % der Jugendlichen tatsächlich nach einer Arbeit (UNFPA 27.7.2022). Eine weitere Quelle erklärte 2016, dass 58 % der männlichen Jugendlichen (Altersgruppe 15-35) ökonomisch aktiv waren, während drei von zehn Jugendlichen arbeitslos waren (UNFPA 8.2016, Sitzung 4). In einer anderen Quelle wird die Arbeitslosenrate für 2020 mit 13,1 % angeführt (BS 2022, Sitzung 23); die Weltbank nennt für das Jahr 2021 für ganz Somalia eine Arbeitslosenquote bei der Erwerbsbevölkerung von 19,9 % (WB 2022). Eine weitere Quelle nannte 2018 bei 15-24-Jährigen eine Quote von 48 % (OXFAM 6.2018, Sitzung 22, FN8) und die österreichische Botschaft in Nairobi erklärt, dass unterschiedliche Quellen unterschiedliche Kriterien verwenden und die Schätzungen zwischen 19,9 % und 47,4 % schwanken (ÖB 11.2022, Sitzung 15). Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben hingegen nur 14,3 % der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6 %, Kismayo 13 %, Baidoa 24 %) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von „arbeitslos“ unklar ist (z.B. informeller Sektor) (IOM 2.2016).

Nach Angaben einer Quelle hat sich die Arbeitslosigkeit - und damit auch die Armut - infolge der Covid-19-Pandemie verstärkt. 21 % mussten ihre Arbeit niederlegen; und das, obwohl nur 55 % der Bevölkerung überhaupt am Arbeitsmarkt teilnehmen. 78 % der Haushalte berichteten über einen Rückgang des Einkommens (WB 6.2021, Sitzung 23).

In einer eingehenden Analyse hat UNFPA im Jahr 2016 Daten zur Ökonomie in der somalischen Gesellschaft erhoben. Dabei wird festgestellt, dass nur knapp die Hälfte der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (15-64) überhaupt am Arbeitsleben teilnimmt. Der Rest ist „ökonomisch inaktiv“; in diese Gruppe fallen in erster Linie Hausfrauen, gefolgt von Schülern/Studenten, pensionierten oder arbeitsunfähigen Personen. Bei den ökonomisch Aktiven wiederum finden sich in allen Lebensbereichen deutlich mehr Männer (UNFPA 2016):

• Ländlich: 68,8 % der Männer - 40,5 % der Frauen

• Urban: 52,6 % der Männer - 24,6 % der Frauen

• IDP-Lager: 55,2 % der Männer - 32,6 % der Frauen

• Nomaden: 78,9 % der Männer - 55,6 % der Frauen (UNFPA 2016)

Aufgeschlüsselt für Puntland und Süd-/Zentralsomalia ergibt sich aus den UNFPA-Daten, dass dort 44,4 % der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeiten. 11,4 % gelten als Arbeitssuchende. 44,2 % der Bevölkerung sind ökonomisch inaktiv. Als arbeitend werden in der Studie folgende Personen bezeichnet: jene, die in den der Erhebung vorangegangenen zwölf Monaten bezahlter Arbeit nachgegangen sind oder selbstständig waren. Darunter fällt auch unbezahlte (aber produktive) Arbeit in der Familie, bei welcher direkt Einkommen generiert wird (etwa Viehhüten, Arbeit am eigenen Ackerland; Wirtschaftstreibende, Dienstleister im eigenen Betrieb). Als arbeitslos werden jene Personen bezeichnet, die in diesen zwölf Monaten nach Arbeit gesucht haben und bereit waren, eine Arbeit anzunehmen (UNFPA 2016, Sitzung 29).

In der gleichen Studie wurde der Status bzgl. Arbeit auch auf Geschlechter heruntergebrochen. Folglich waren zum damaligen Zeitpunkt in Puntland und Süd-/Zentralsomalia 13,8 % der Männer und 9 % der Frauen im Alter von 15-64 Jahren auf der Arbeitssuche, wohingegen 55,8 % der Männer und 32,9 % der Frauen einer Arbeit nachgingen (UNFPA 2016, Sitzung 31).

Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen in Puntland und Süd-/Zentralsomalia arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (65,6 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (13,5 %) (UNFPA 2016, Sitzung 36f).

Frauen: Der vor allem unter Männern vorherrschende Khat-Konsum, der im langjährigen Konflikt geforderte Blutzoll an der männlichen Bevölkerung und die hohe Scheidungsrate haben dazu geführt, dass Frauen immer mehr in ehemals männlich dominierte Wirtschaftsbereiche vorstoßen – etwa bei der Viehzucht, in der Landwirtschaft und im Handel. Frauen tragen nunmehr oft den Hauptteil zum Familieneinkommen bei (ICG 27.6.2019, Sitzung 10f). Gerade auch die Hungersnot von 2011 und die Dürre 2016/17 haben den Vorstoß von Frauen in männliche Domänen weiter vorangetrieben (DI 6.2019, Sitzung 22). In Süd-/Zentralsomalia und Puntland sind Frauen in 43 % der Haushalte mittlerweile die Hauptverdiener (OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Frauen spielen - außer bei den großen Betrieben - eine führende Rolle beim Unternehmertum. In Mogadischu und Bossaso sind ca. 45 % der formellen Unternehmen im Besitz von Frauen (WB 22.3.2022).

Trotzdem bietet sich für vom Land in Städte ziehende Frauen meist nur eine Tätigkeit als z. B. Wäscherin an, da es diesen Frauen i. d. R. an Bildung und Berufsausbildung mangelt. Allerdings können sie z. B. auch als Kleinhändlerin tätig werden. Sie verkaufen Treibstoff, Milch, Fleisch, Früchte, Gemüse oder Khat auf Märkten oder auf der Straße. 80-90 % des derart betriebenen Handels wird von Frauen kontrolliert. Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f), oder sie verkaufen Kleidung und Essen (RE 19.2.2021). Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin (OXFAM 6.2018, Sitzung 10) oder aber auch auf Baustellen (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Viele der hunderten Straßenreiniger in Mogadischu sind Witwen und die alleinigen Geldverdiener ihrer Familien. Das höchste hier verfügbare Einkommen beträgt 150 US-Dollar im Monat; manche bekommen Essensrationen. Die Stadtverwaltung versucht auch, männliche Reinigungskräfte anzuwerben, hat aber wenig Erfolg. Viele Männer weigern sich demnach, solche Arbeiten zu verrichten (AJ 21.7.2022). All die zuvor genannten Tätigkeiten führen Frauen jenseits des ihnen traditionell zugeschriebenen Bereichs des eigenen Haushalts aus (OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Natürlich gibt es für Frauen auch weiterhin kulturelle Einschränkungen bezüglich der Berufsausübung, z. B. können sie nicht Taxifahrerin werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f). Sie haben hinsichtlich Einkommensmöglichkeiten eine eingeschränkte Auswahl. Von Frauen abgehaltene Workshops (z. B. Schneiderei-, Henna- und Kochkurse) in Mogadischu tragen zur Verbesserung der Situation bei (DW 11.3.2021). Allerdings ist auch bekannt, dass Frauen eine geringere Aussicht auf eine Vollzeitanstellung haben (SLS 6.4.2021).

Lebensunterhalt: Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, kleine Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar (BS 2022, Sitzung 25f). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1 %). 6,9 % arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8 % als Handwerker, 4,7 % als Techniker, 4,1 % als Hilfsarbeiter und 2,3 % als Manager (UNFPA 2016, Sitzung 22).

Die Mehrheit der IDPs verdingt sich als Tagelöhner. Frauen gehen oft von Tür zu Tür und bieten ihre Dienste an, etwa als Wäscherinnen oder in der Hausarbeit. Männer gehen häufig auf Baustellen - die Städte werden ja wieder aufgebaut und daher braucht es auch viele Tagelöhner. Die begehrtesten Jobs sind jene auf Baustellen, wo der Verdienst höher ist als in anderen Bereichen. Es gibt auch viele Kleinstunternehmer beiderlei Geschlechts. Dabei bekommen die Menschen nicht immer einen Job, sie arbeiten z. B. nur 2-3 Tage in der Woche. Daneben gibt es humanitäre Hilfe, aber damit sind die Menschen nicht ausreichend versorgt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Nach anderen Angaben bieten NGOs und der Privatsektor den Menschen grundlegende Dienste – vor allem in urbanen Zentren (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Zudem haben Menschen in IDPLagern - v.a. wenn sie länger dort leben - in der Regel auch eine Nachbarschaftshilfe aufgebaut (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23).

In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60 %) und von Verwandten im Ausland (27 %) versorgt zu werden (IOM 2.2016, Sitzung 42f). Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/32f; vergleiche GIGA 3.7.2018) bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen – z. B. bei Krankenkosten – und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus (GIGA 3.7.2018). Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z. B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 9/32ff). Erweiterte Familie und Clan stellen also das grundlegende soziale Sicherheitsnetz dar (BS 2022, Sitzung 29).

Aufgrund des Fehlens eines formellen Bankensystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debtcredit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clanverbindungen eine wichtige Rolle – und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greißler anschreiben lassen (RVI 9.2018, Sitzung 4). Zusätzlich ist es 2019 gelungen, die Gargaara Company Ltd. zu etablieren. Über diese Institution werden Kredite an Mikro-, Klein- und mittlere Unternehmen vergeben. Gargaara spielt auch beim Abfedern von Auswirkungen der Covid-19-Pandemie eine Rolle (WB 6.2021, Sitzung 7).

Die Lebenshaltungskosten in Mogadischu liegen bei mindestens 200 US-Dollar im Monat, für mittlere Standards jedenfalls bei 300 US-Dollar (IOM 2.3.2023). Die Inflation zeigt Auswirkungen auf die Bewertung von Einkommen. Ein Universitätslektor in Mogadischu erörtert, dass vorher 130 US-Dollar ausgereicht haben, um für die Kinder Milch und Nahrung zu besorgen. Nun aber reichen nicht einmal 250 US-Dollar. Er verdient 800 US-Dollar und damit konnte er mit seiner Frau und sieben Kindern ein komfortables Leben führen. Jetzt erklärt er, kaum alle lebenswichtigen Kosten abdecken zu können (TG 8.6.2022).

Remissen: Im Jahr 2020 wurden insgesamt 2,8 Milliarden US-Dollar (2019: 2,3 Milliarden) nach Somalia zurück überwiesen. Davon flossen 1,6 Milliarden an Privathaushalte (2019: 1,3 Milliarden) (WB 6.2021, Sitzung 11f). Wie erwähnt, sind für viele Haushalte Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle (FIS 7.8.2020, Sitzung 34) bzw. ermöglichen sie es vielen somalischen Staatsbürgern, den Lebensunterhalt zu bestreiten (BS 2022, Sitzung 26). Diese Remissen, die bis zu 40 % eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen also wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei (BS 2022, Sitzung 29) und fördern die Resilienz der Haushalte (DI 6.2019, Sitzung 5). Städtische Haushalte erhalten viel eher regelmäßige monatliche Remissen, dort sind es 72 %. Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Überweisungen beträgt 229 US-Dollar (RVI 9.2018, Sitzung 1f). IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen (DI 6.2019, Sitzung 28). Auch die Bevölkerung in Südsomalia – und hier v. a. im ländlichen Raum – empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist (RVI 9.2018, Sitzung 2).

Mindestens 65 % der Haushalte, welche Remissen beziehen, erhalten diese regelmäßig (monatlich), der Rest erhält sie anlassbezogen oder im Krisenfall. Remissen können folglich Fluktuationen im Einkommen bzw. gestiegene Ausgaben ausgleichen. Dies ist gerade in Zeiten einer humanitären Krise - etwa jener von 2017 - wichtig. Durch Remissen können Haushalte Quantität und Qualität der für den Haushalt besorgten Lebensmittel verbessern, und ein sehr großer Teil der Überweisungen wird auch für Lebensmittel aufgewendet. Zusätzlich wird in Somalia in Zeiten der Krise auch geteilt. Menschen bitten z. B. andere Personen, von welchen sie wissen, dass diese Remissen erhalten, um Hilfe (RVI 9.2018, Sitzung 2f).

Grundversorgung und humanitäre Lage

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Regelmäßig wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen wie auch Überflutungen, zuletzt auch die Heuschreckenplage, die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zu einem Land mit hohen humanitären Nöten (AA 28.6.2022, Sitzung 4/23). Besonders hervorzuheben ist gegenwärtig die katastrophale humanitäre Situation durch die anhaltende Dürre und der damit verbundenen akuten Hungersnot. Auch wenn diese Extremsituation nur vereinzelte Bezirke betrifft, ist ganz Somalia von der Dürre und von einer Lebensmittelknappheit betroffen (ÖB 11.2022, Sitzung 21). Die Dürre und die Situation sind schlimmer als zur Hungersnot in den Jahren 2010/11. Millionen Stück Vieh sind verendet, vier Regenzeiten sind schlecht ausgefallen. Dies hat es seit mindestens vierzig Jahren nicht mehr gegeben. Eine Million Menschen mussten ihre Heime verlassen und fliehen. Gleichzeitig sind die Nahrungsmittelpreise stark gestiegen (UNOCHA 30.8.2022). Öffentliche Dienste gibt es kaum, meist finden sich Angebote wie Wasser- und Stromversorgung sowie Bildung und Gesundheitsdienste bei privaten Dienstleistern. Für viele Menschen sind derartige Dienste nur schwer oder gar nicht zugänglich (BS 2022, Sitzung 11). Der Gouverneur der somalischen Zentralbank erklärt, dass es für die Zurverfügungstellung eines finanziellen Sicherheitsnetzes für Bedürftige seitens der Regierung keinerlei budgetären Spielraum gibt (BB 29.6.2022).

Armut: Weite Teile der Bevölkerung in Somalia leiden unter Armut und Ernährungsunsicherheit. Die Weltbank schätzt, dass 71 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze von USD 1,90 pro Tag sowie 10 % knapp darüber leben. Besonders stark und weit verbreitet ist Armut in ländlichen Gebieten und in den Siedlungen von Binnenvertriebenen (ÖB 11.2022, Sitzung 15). Es gibt viele IDPs und Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 43). Generell sind somalische Haushalte aufgrund von Naturkatastrophen, Epidemien, Verletzung oder Tod für Notsituationen anfällig. Mangelnde Bildung, übermäßige Abhängigkeit von landwirtschaftlichem Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit, geringer Wohlstand und große Haushaltsgrößen tragen weiter dazu bei (ÖB 11.2022, Sitzung 15). Mit Stand 2018 waren 60 % der Somali zum größten Teil von der Viehzucht abhängig, 23 % waren Subsistenz-Landwirte (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Zwei Drittel der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Sie sind absolut vom Regen abhängig. In den vergangenen Jahren haben Frequenz und Dauer von Dürren zugenommen. Deswegen wurde auch die Kapazität der Menschen, derartigen Katastrophen zu begegnen, reduziert. Mit jeder Dürre wurden ihre Vermögenswerte reduziert: Tiere starben oder wurden zu niedrigen Preisen verkauft, Ernten blieben aus; es fehlt das Geld, um neues Saatgut anzuschaffen (TG 8.7.2019).

Dürre, Regenfälle, Überschwemmungen: Überschwemmungen und Dürre stellen für Somalia kein neues Phänomen dar. Immer spielt Wasser eine Rolle: Entweder gibt es zu viel davon, oder zu wenig. Derartige Katastrophen ereignen sich seit Jahrzehnten. Allein in den letzten fünfzig Jahren wurden drei Millionen Menschen durch Dürre und Hunger vertrieben. Im Zuge der Dürre im Jahr 1973 in Nordsomalia wurden mehr als 100.000 Familien nach Lower Shabelle und in die Juba-Regionen übersiedelt. Bei der Hungersnot in den Jahren 1991-1992 starben 300.000 Menschen, im Jahr 2011 mehr als 260.000 – die Hälfte davon Kinder unter fünf Jahren (Ali 28.1.2022). Seit 1990 hat Somalia zwölf Dürren und 19 Flutkatastrophen durchlebt (AJ 19.11.2021). Doch auch wenn Dürren in dieser afrikanischen Region üblich sind, werden sie tendenziell schlimmer (DW 17.6.2022). Somalia ist hinsichtlich des Klimawandels als Frontstaat zu bezeichnen und hat in Ostafrika bislang den größten Temperaturanstieg zu verzeichnen (HIPS 8.2.2022, Sitzung 13; vergleiche DW 17.6.2022).

Die Dürre ist diesmal schlimmer als in den Jahren 2010/2011, fünf aufeinanderfolgende Regenzeiten sind schlecht ausgefallen (UNOCHA 1.3.2023). Bereits am 23.11.2021 hat die Bundesregierung aufgrund der anhaltenden Dürre den Notstand ausgerufen (PGN 12.2021). Die kumulativen Auswirkungen der von fünf aufeinander folgenden, schlecht ausgefallenen Regenzeiten haben zum Verlust von Menschenleben und zu schweren Schäden an der Lebensgrundlage geführt. Aufeinanderfolgende schlechte bis ausbleibende Ernten bei Landwirten und rückläufige Viehbestände bei Pastoralisten tragen aufgrund des Verlusts der wichtigsten Nahrungs- und Einkommensquellen zu einer Verschlechterung der Ernährungssicherheit bei. Neben schwachen Niederschlägen und anhaltender Dürre gibt es noch weitere Gründe für akute Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung: hohe Lebensmittelpreise, Konflikte/Unsicherheit und Krankheitsausbrüche. Infolge dieser sich verstärkenden Schocks haben viele ländliche Haushalte eine Erosion ihrer Lebensgrundlagen und Bewältigungskapazitäten erlebt und sehen sich mit wachsenden Lücken in der Nahrungsmittelversorgung konfrontiert. Diese Faktoren haben zum Anstieg der Zahl an Menschen geführt, die aus ländlichen Gebieten in IDP-Lager geflüchtet sind (IPC 28.2.2023a). Von der Dürre sind rund 7,8 Millionen Menschen betroffen - fast 50 % der Bevölkerung (UNSC 1.9.2022, Absatz 39 ;, vergleiche GN 19.10.2022), die Mehrheit davon ist Hunger, Elend und dem Verlust der Lebensgrundlage ausgesetzt (UNSC 13.5.2022, Absatz 38 f,).

Die Deyr-Regenzeit 2022 verlief insgesamt unterdurchschnittlich. Im Norden des Landes verlief die Regenzeit durchschnittlich und sogar überdurchschnittlich; in Süd-/Zentralsomalia fielen hingegen nur 25 % bis 55 % der Durchschnittsmenge an Regen. Dies ist die fünfte aufeinanderfolgende unterdurchschnittliche Regenzeit (IPC 28.2.2023a).

FEWS NET erklärt in einem Statement im November 2022, dass es Jahre dauern wird, bevor sich Somalia von dieser Dürre erholt haben wird – und zwar unabhängig von der Qualität der Regenfälle im Jahr 2023. Der Bedarf an humanitärer Hilfe wird 2023 jedenfalls noch größer werden, weil viele Menschen ihre Lebensgrundlage verloren haben und von Unterstützung maßgeblich abhängig sind (Reuters 21.11.2022). Selbst wenn das positivste Szenario eintritt, wird sich die Ernährungssicherheit bestenfalls ab Mitte 2023 verbessern (UNSC 1.9.2022, Absatz 40,). Auch pastoralistische Haushalte in Nord- und Zentralsomalia werden mehrere Saisonen brauchen, bis sie sich von den Verlusten der jüngeren Vergangenheit erholt haben (IPC 28.2.2023a).

Ernte, Vieh, Nahrungsmittel, Preise: Mehrere Ernten sind unterdurchschnittlich ausgefallen (DW 17.6.2022). Prognosen sagen für die Ernte aus der Deyr-Regenzeit eine um ca. 32 % unterdurchschnittliche Ernte voraus (IPC 28.2.2023a). Unterdurchschnittliche Ernten vergrößern wiederum die Bedeutung von Nahrungsmittelimporten (IPC 4.6.2022). Dementsprechend hat nicht nur die Dürre, sondern auch der Krieg gegen die Ukraine, Nahrungsmittel knapp und teuer werden lassen (Kapila 21.6.2022; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 15) und die ohnehin angespannte Situation verschlimmert (DW 17.6.2022). Somalia bezieht mehr als 90 % seines Weizens von Russland und der Ukraine (Kapila 21.6.2022). Zusätzlich haben der schlechte Regen und die Flucht von Bauern auf der Suche nach Nahrung und Wasser dazu geführt, dass in Ackerbaugebieten weniger Frucht angebaut worden ist. Hinzu kommt ein Mangel an Saatgut, Bewässerungsmöglichkeiten und anderen Notwendigkeiten (IPC 4.6.2022). Die Lebensmittelpreise sind gegen Ende 2022 wieder etwas nach unten gegangen, verbleiben aber immer noch auf hohem Niveau (NPR 23.12.2022; vergleiche IPC 28.2.2023a). U.a. aufgrund finanzieller Hilfen sind Bauern im Zuge der Deyr-Regenfälle in ihre Heimat zurückgekehrt, um ihre Felder wieder zu kultivieren (IPC 28.2.2023a).

Weitere 3,9 Millionen sind von Wasserunsicherheit betroffen (ÖB 11.2022, Sitzung 15). Im Feber 2022 waren die Nahrungsmittel- und Wasserpreise in einigen Gebieten auf 140-160 % über dem Fünfjahresdurchschnitt angestiegen, ähnlich wie bei den Dürren in den Jahren 2010/11 und 2016/17 (UNSC 13.5.2022, Absatz 40,). Al Shabaab nutzt Wasser mitunter als Waffe, indem für den Zugang zu Wasserstellen Gebühren eingehoben werden (SPC 9.2.2022). Nachdem auch im März 2022 nur wenig Regenfälle verzeichnet wurden, haben 3,5 Millionen Menschen dringend Wasser gebraucht. 80 % der Wasserquellen waren landesweitausgetrocknet. Am Juba und am Shabelle sank der Wasserstand unter das historische Minimum, in Teilen der Flussverläufe trockneten die beiden Flüsse ganz aus, was wiederum die Landwirtschaft beeinflusst hat (UNSC 13.5.2022, Absatz 40,). Mit Stand Feber 2023 haben die Pegelstände in den Flüssen wieder annähernd Normalniveau erreicht (IPC 28.2.2023a).

Wassermangel und Mangel an Weidemöglichkeiten haben den Viehbestand der Nomaden dezimiert (MSF 7.6.2022). Mindestens ein Drittel des Viehbestands in Somalia ist vernichtet worden (UNOCHA 1.3.2023; vergleiche UNSC 1.9.2022, Absatz 43,). Alleine von Mitte 2021 bis Mai 2022 sind mehr als drei Millionen Stück Vieh verendet (IPC 4.6.2022; vergleiche AP 8.6.2022). Nach anderen Angaben waren es sogar sieben Millionen Ausschussbericht 22.6.2022). Dabei hat Vieh bis dahin maßgeblich zur Versorgung der Familien – mit Milch und Fleisch – beigetragen (AP 8.6.2022). Zudem finden sich in der Viehwirtschaft 90 % der informellen Beschäftigten und Vieh bildet 90 % der Exporte des Landes (UNOCHA 1.3.2023).

Fluchtbewegungen: Im Jahr 2022 sind in Süd-/Zentralsomalia 1,179.000 Menschen aufgrund der Dürre vertrieben worden, die meisten Menschen in den Regionen Bay (321.070), Lower Shabelle (183.270), Bakool (151.570), Galgaduud (127.440) und Mudug (110.100). Die wenigsten Menschen flohen aus Woqoyi Galbeed (Somaliland; 880), Hiiraan (3.220), Benadir (3.240) und Awdal (Somaliland; 6.300) (UNHCR 31.12.2022). 80 % der aufgrund von Dürre Geflüchteten sind Frauen und Kinder (UNSC 10.10.2022, Absatz 127,). Die Hungersnot ist selbst in Mogadischu spürbar, wo am Stadtrand immer wieder erschöpfte Menschen aus dem Hinterland eintreffen (AP 8.6.2022).

Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot] Mit Stand Feber 2023 befanden sich ca. 3,5 Millionen Menschen in IPC-Stufe 3 (20,8 % der Bevölkerung); ca. 1,4 Millionen in Stufe 4 (8 %) und 96.000 in Stufe 5 (Hungersnot; 0,6 %). Die meisten Nomaden befinden sich in IPC-Stufe 3 oder 4. Auch viele IDPs sind schwer betroffen. Die meisten armen Stadtbewohner finden sich in IPC-Stufe 3 (FSNAU 28.2.2023b; vergleiche IPC 28.2.2023a).

Die folgenden IPC-Food-Insecurity-Lagekarten zeigen die Situation im Zeitraum Mai 2022 bis Jänner 2023 sowie eine Prognose bis Juni 2023. Angesichts der IPC-Karten ist die Stadtbevölkerung i. d. R. von IPC 3 oder IPC 4 anteilig weniger betroffen als Menschen in ländlichen Gebieten:

Generell finden sich unter IDPs mehr Personen, die unter Ernährungsunsicherheit sowie an Mangel- oder Unterernährung leiden (USDOS 12.4.2022, Sitzung 25).

Hungersnot: Bei weiter steigenden Nahrungsmittelpreisen und unzureichender humanitärer Hilfe besteht die unmittelbare Gefahr einer Hungersnot. Besonders vulnerabel sind diesbezüglich marginalisierte Gruppen und Minderheitenclans (UNSC 1.9.2022, Absatz 40,). Die somalische Regierung zögert aus unterschiedlichen Gründen dabei, offiziell eine Hungersnot auszurufen. U. a. hat sie Angst vor einem Massenexodus aus ländlichen Gebieten in Städte, und Angst, dass in anderen Bereichen notwendige Entwicklungsgelder zur Nahrungsmittelhilfe umgeleitet werden (GN 7.11.2022b). Gegen Ende 2022 akut betroffen waren die zwei Bezirke Buur Hakaba und Baidoa (Bay), wo 200-300.000 Menschen dem Risiko einer Hungersnot ausgesetzt waren (GN 19.10.2022; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 15; UNSC 1.9.2022, Absatz 51,). Vorerst können die groß angelegte humanitäre Hilfe und etwas bessere Deyr-Regenfälle eine Hungersnot bis Juni 2023 verhindern. Allerdings bleiben bestimmte Teile der Bevölkerung besonders gefährdet, namentlich die agropastorale Bevölkerung des Bezirks Buur Hakaba (Bay) und die IDPs in Baidoa und Mogadischu. Sollte das Maß humanitärer Hilfe zurückgehen, dann wird die Zahl an Betroffenen wieder steigen (IPC 28.2.2023a).

Aus Gedo wurden bereits im November 2021 die ersten Hungertoten gemeldet (GN 24.11.2021a). In den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 sind alleine im Spital in Kismayo 33 Kinder an Unterernährung verstorben (RK 20.6.2022). Auch aus Hiiraan kommen Meldungen über Kinder, die an Unterernährung verstorben sind (Sahan 21.6.2022b). Im Jahr 2022 sind 1.186 Kinder in Ernährungszentren verstorben, 2021 waren es 670 (UNOCHA 1.3.2023). Viele andere sterben abseits solcher Zentren – in entlegenen Gebieten, auf dem Weg, um Hilfe zu suchen (AP 8.6.2022). Die UNO geht von tausenden Hungertoten seit Beginn des Jahres 2022 aus (BAMF 13.6.2022; vergleiche AP 8.6.2022).

In Somalia sind es die mächtigen Gruppen, die den Löwenanteil erhalten: an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird. Weitere Gründe sind, dass diese Gruppen traditionell über weniger Ressourcen verfügen, weniger Remissen erhalten und Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen nicht so gut ausgebaut sind. Al Shabaab hat sich diese Benachteiligung zunutze gemacht (Sahan 24.10.2022).

Die Zahlen zur akuten Unterernährung haben sich im ganzen Land verschlechtert. Ca. 1,8 Millionen Kinder unter fünf Jahren sind davon betroffen, fast 478.000 davon gelten als schwer unterernährt (IPC 28.2.2023a). Vor allem unter neu ankommenden IDPs in Mogadischu, Baidoa und Galkacyo werden hohe Zahlen gemeldet (UNSC 13.5.2022, Absatz 42,). Im Jahr 2022 mussten fast 460.000 Kinder wegen schwerer akuter Unterernährung behandelt werden (UNOCHA 1.3.2023).

Humanitäre Hilfe: In Somalia ist die längstdienende humanitäre Mission tätig, jährlich werden Milliarden US-Dollar ausgegeben (Ali 28.1.2022). Mit Stand August 2022 waren in Somalia in 73 von 74 Bezirken alleine 304 humanitäre Organisationen aktiv, davon 238 nationale NGOs (UNSC 1.9.2022, Absatz 47,). Im Jahr 2022 konnten 7,3 Millionen Menschen mit humanitärer Hilfe erreicht werden (UNOCHA 1.3.2023). Durchschnittlich erreicht humanitäre Hilfe pro Monat mehr als 6,2 Millionen Menschen (IPC 28.2.2023a). Alleine im Oktober 2022 wurde an 3,6 Millionen Menschen mobil Geld überwiesen (WFP 29.11.2022). Viele davon erhielten Nahrungsmittelhilfe durch Geldtransfers, mehr als eine Million Menschen profitieren von längerfristigen Programmen (UNSC 13.5.2022, Absatz 44,). Humanitäre Hilfe erfolgt z. B. durch den Danish Refugee Council (DRC). Dieser stellte etwa in Dayniile (Mogadischu) hunderten bedürftigen Haushalten von der EU finanziertes Geld über mobile Lösungen zu (DRC 15.11.2022). Insgesamt nutzen mehr als 7 % der Bevölkerung mobile Bankdienste, darüber werden mehr als zwei Drittel aller Zahlungen und 3 % des gesamten BIP abgewickelt (UNSC 10.10.2022, Absatz 66,). Die Weltbank stellt 143 Millionen US-Dollar zur Verfügung, um vulnerablen Haushalten, die übermäßig von den Klimaund Umweltschäden der letzten Jahre betroffen sind, mit Geld helfen zu können. Bestehende Programme für 160.000 Haushalte werden um mehr als 350.000 Haushalte erweitert. Bereits Anfang Juni 2022 wurde im Rahmen des Baxnaano-Programms Geld an 243.000 Haushalte überwiesen (WB 22.6.2022). Alleine die USA haben im Jahr 2022 1,3 Milliarden US-Dollar an Hilfsgeldern für Somalia zur Verfügung gestellt (FTL 15.12.2022). Das Rote Kreuz unterstützt mehr als 150.000 Familien – v. a. in Süd-/Zentralsomalia – mit mobilen Überweisungen. Sie erhalten 90 US-Dollar pro Monat. Zusätzlich stellt die Organisation landwirtschaftliche Ausbildung, Saatgut, Werkzeuge u. a. zur Verfügung und unterstützt landwirtschaftliche Kooperativen (ICRC 31.8.2022). CARE arbeitet an 56 Einrichtungen des Gesundheitsministeriums und mit 77 mobilen Kliniken, um lebensrettende Gesundheits- und Ernährungsleistungen zur Verfügung stellen zu können – v. a. an Schwangere, stillende Mütter und Kinder unter fünf Jahren (CARE 25.5.2022).

UN-Agenturen und andere Akteure haben im Zeitraum Jänner bis Mai 2022 in Gedo und Bay 42 neue Brunnen errichtet und in Lower Shabelle, Gedo, Lower Juba, Bay, Mudug und Galgaduud 55 Brunnen rehabilitiert. Alle Brunnen wurden mit Solaranlagen ausgestattet (UNSC 13.5.2022, Absatz 44,). In Galkacyo hat der DRC mit EU-Geldern Brunnen, Tanks und Wasserleitungen für 800 Haushalte gebaut (DRC 15.11.2022). In Puntland helfen u. a. Sicherheitskräfte bei der Verteilung von Wasser in von der Dürre betroffene Gebiete (FTL 20.6.2022). Die Weltbank hat im Dezember 2022 weitere 70 Millionen US-Dollar an Entwicklungsgeldern freigegeben, damit Resilienz bei der Wasserversorgung und damit auch in der Landwirtschaft geschaffen werden kann. Das Projekt Barwaaqo läuft in Somaliland, Puntland, Galmudug und dem SWS und soll auf HirShabelle und Jubaland ausgedehnt werden. Insgesamt soll das Projekt für 500.000 Menschen, die derzeit nur eingeschränkt Zugang zu Wasser haben, eine sichere Versorgung gewährleisten (XIN 16.12.2022).

Die Sicherheitslage beeinträchtigt die Arbeit humanitärer Kräfte. Ca. 740.000 Menschen in von nicht-staatlichen Gruppen kontrollierten Gebieten können nur schwerlich an humanitäre Hilfe gelangen (UNSC 1.9.2022, Absatz 46,). Die meisten Vorfälle gegen humanitäre Kräfte ereigneten sich zuletzt in Galmudug, HirShabelle und dem SWS (UNSC 13.5.2022, Absatz 47,). Al Shabaab schränkt die Zirkulation humanitärer Kräfte und Güter ein. Dies erfolgt durch Straßensperren, Blockaden und die Anwendung von Drohungen und Gewalt (UNSC 10.10.2022, Absatz 111,). Al Shabaab hat mit selbst erbrachter humanitärer Hilfe Propaganda gemacht; tatsächlich hat die Gruppe aber keine signifikante Hilfe geleistet (Sahan 12.10.2022). Anders als bei der Hungersnot im Jahr 2011 gestattet al Shabaab jedoch, dass Menschen auf der Suche nach humanitärer Hilfe ihre Gebiete verlassen (UNSC 10.10.2022, Absatz 113,).

Das Ausmaß und die Schwere der Dürrekrise übersteigen verfügbare humanitäre Ressourcen und Reaktionen (UNSC 1.9.2022, Absatz 48 ;, vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 15). Selbst in Mogadischu haben – anekdotischen Berichten zufolge – nicht alle IDPs Zugang zu Nahrungsmittelhilfe (RE 11.11.2022; vergleiche NPR 23.12.2022). Fast 90 % der IDPs in Mogadischu, Garoowe, Hargeysa und Burco können ihre Grundbedürfnisse nicht abdecken (UNOCHA 1.3.2023).

Gesellschaftliche Unterstützung: Insgesamt gibt es kein öffentliches Wohlfahrtssystem (BS 2022, Sitzung 29), keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe (AA 28.6.2022, Sitzung 23). Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor (BS 2022, Sitzung 29).

Das eigentliche soziale Sicherungsnetz ist die erweiterte Familie, der Subclan oder der Clan. Sie bieten oftmals zumindest einen rudimentären Schutz (AA 28.6.2022, Sitzung 23; vergleiche BS 2022, Sitzung 29). Ein Vorteil der somalischen Sozialstruktur ist die Verpflichtung zur Hilfe. Wenn eine Person des eigenen Clans Unterstützung braucht, dann ist die Gewährung derselben nicht verhandelbar (Sahan 24.10.2022). Vorrangig stellt die patrilineare (väterliche) Abstammungsgemeinschaft die Solidaritäts- und Schutzgruppe. Aber daneben gibt es auch die Patri-(Vater)-Linie der Mutter und zusätzlich möglicherweise noch angeheiratete Verwandtschaft. Alle drei Linien bilden i. d. R. - wie es ein Experte formuliert - „einen ganz beachtlichen Verwandtschaftskosmos“. Und in diesem Netzwerk kann Hilfe und Solidarität gesucht werden, es besteht diesbezüglich eine moralische Pflicht. Allerdings müssen verwandtschaftliche Beziehungen auch gepflegt werden. Entscheidend ist also nicht unbedingt die Quantität an Verwandten, sondern die Qualität der Beziehungen. Wer als schwacher Akteur in diesem Netzwerk positioniert ist, der wird schlechter behandelt als die stark Positionierten (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 32f). Eine Frau in Baidoa berichtet etwa, dass, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, sie und ihre Kinder von ihrem Bruder erhalten werden, der als Tagelöhner arbeitet (NPR 23.12.2022). In einer Dokumentation der Deutschen Welle wird ein junger Mann gezeigt, der im Sudan medizinisch versorgt und von dort zurückgeholt werden musste. Die Ältesten bzw. Sultans sammeln Geld im ganzen Clan, und dieser gab dafür schließlich 7.000 US-Dollar aus. Danach hat der Clan dem Mann um 3.000 US-Dollar ein Tuk-Tuk finanziert, damit er den gefährlichen Weg der Migration nicht noch einmal antritt (DW 3.2021). Diese Art des „Fundraising“ (Qaraan) erfolgt in Somalia und in der Diaspora als nicht nur, um sogenanntes Blutgeld im Fall eines Mordes zu sammeln, sondern auch, um andere Bedürfnisse eines Clanmitglieds abzudecken. Darunter fallen auch Probleme bei der Nahrungsmittelversorgung (Majid 2017, Sitzung 18).

Eine Hilfestellung bieten Remissen aus dem Ausland (BS 2022, Sitzung 29). Die 2020 mit 1,74 (ÖB 11.2022, Sitzung 15) und für 2021 mit 2,8 Milliarden (SRF 27.12.2021) US-Dollar bezifferten Geldsendungen spielen eine entscheidende Rolle bei der Verringerung der Armut (ÖB 11.2022, Sitzung 15). Im Jahr 2021 entsprach die Summe rund einem Drittel des Bruttoinlandprodukts. So kommt weit mehr Geld ins Land als durch Entwicklungshilfe (SRF 27.12.2021). Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22 % der städtischen, 12 % der ländlichen und 6 % der IDP-Haushalte Remissen beziehen (IPC 3.2021, Sitzung 2). Diese stellen einen bedeutenden Anteil des Budgets von Privathaushalten dar, v. a. für die unteren 40 %, wo Remissen 54 % aller Haushaltsausgaben decken (WB 6.2021, Sitzung 4). Minderheiten mangelt es oft am Zugang zu Remissen (SPC 9.2.2022). Laut einer Studie von IOM aus dem Jahr 2021 sind 67 % der Empfänger von Remissen arbeitslos. Für viele Menschen sind die Überweisungen ein Rettungsanker (Sahan 2.9.2022; vergleiche TS 30.8.2022). In einem Artikel berichtet ein Geschäftsmann und zehnfacher Vater, der seinen Betrieb zusperren musste, dass er von seiner Schwester in Saudi-Arabien mit 200 US-Dollar pro Monat unterstützt wird. Ein anderer Verkäufer, dem es wegen der Dürre ähnlich ergangen ist, erhält pro Monat 150 US-Dollar von einem Onkel in Südafrika, der auch noch für zwei seiner Brüder die Semestergebühren an der Universität in Mogadischu finanziert. Ein weiterer Verkäufer hat sich einerseits an einen Onkel in Großbritannien gewandt und ist andererseits mit seiner Familie zurück zu seinen Eltern gezogen, um sich die 20 US-Dollar Miete zu sparen. Vom Onkel in Großbritannien erhält er 250 US-Dollar im Monat (RE 22.7.2022).

In Krisenzeiten (etwa Hungersnot 2011 und Dürre 2016/17) stellt die Hilfe durch Freunde oder Verwandte die am meisten effiziente und verwendete Bewältigungsstrategie dar (DI 6.2019, Sitzung 15ff). Ohne die gegenseitige Unterstützung, ohne Teilen, wäre auch die aktuelle Katastrophe längst viel größer (Spiegel 24.9.2022). Neben Familie und Clan helfen hierbei auch andere soziale Verbindungen – seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z. B. Unterkunft und Nahrung finden können (DI 6.2019, Sitzung 15ff). Generell ist es auch üblich, Kinder bei engen oder fernen Verwandten unterzubringen, wenn eine Familie diese selbst nicht erhalten kann (SIDRA 6.2019b, Sitzung 4). 22 % der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten, 28 % bei institutionellen Pflegeeinrichtungen (7 %) untergebracht. Weitere 28 % schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn (OXFAM 6.2018, Sitzung 11f).

In der somalischen Gesellschaft – auch bei den Bantu – ist die Tradition des Austauschs von Geschenken tief verwurzelt (DI 6.2019, Sitzung 20f). Menschen, die selbst wenig haben, teilen ihre wenigen Habseligkeiten und helfen anderen beim Überleben. Es herrscht eine starke Solidarität (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 19), und mit dem traditionellen Teilen werden in dieser Kultur der Gegenseitigkeit bzw. Reziprozität Verbindungen gestärkt. Folglich wurden auch im Rahmen der Dürre 2016/17 die über Geldtransfers zur Verfügung gestellten Mittel und Remissen mit Nachbarn, Verwandten oder Freunden geteilt – wie es die Tradition des Teilens vorsah (DI 6.2019, Sitzung 20f). Selbst Kleinhändlerinnen in IDP-Lagern, die ihre Ware selbst nur auf Kredit bei einem größeren Geschäft angeschafft haben, lassen anschreiben und streichen manchmal die Schulden von noch ärmeren Menschen (RE 19.2.2021).

Gegenwärtig sind die Systeme sozialer Absicherung deutlich überdehnt (IPC 28.2.2023a). Die hohe Anzahl an IDPs zeigt allerdings, dass soziale Absicherungssysteme bei Krisen in vielen Teilen des Landes zunehmend überlastet sind (IPC 4.6.2022), dass also z. B. manche Clans nicht mehr in der Lage sind, der Armut ihrer Mitglieder entsprechend zu begegnen. Wenn Menschen in weit von ihrer eigentlichen Clanheimat entfernte Gebiete fliehen, verlieren sie zunehmend an Rückhalt und setzen sich größeren Risiken aus (DI 6.2019, Sitzung 12).

2. Beweiswürdigung: 

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Soweit in der gegenständlichen Entscheidung Feststellungen zum Namen sowie zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde sowie in der mündlichen Verhandlung Sitzung 7 der Niederschrift der Verhandlung). Der Beschwerdeführer hat kein Identitätsdokument vorgelegt. Diese Feststellungen gelten somit ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Clan- und Religionszugehörigkeit, zur Herkunft, zu den Sprachkenntnissen, zur Schulbildung und Berufserfahrung des Beschwerdeführers, zu dem Aufenthaltsort und den Lebensumständen seiner Familienangehörigen sowie dem derzeit bestehenden Kontakt mit diesen stützen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften sowie gleichbleibenden Angaben im gesamten Verfahren vergleiche etwa Sitzung 8ff der Niederschrift der Verhandlung), auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Somali sowie auf die Kenntnis der geografischen Gegebenheiten Somalias.

Die Feststellung zum Familienstand des Beschwerdeführers folgt aus dem – wie nachstehend beweiswürdigend dargelegt – unglaubhaften Fluchtvorbringen, welches sich auf die vermeintliche Heirat einer Angehörigen des Clans der Hawiye beschränkt. In Ermangelung glaubhafter Angaben bzw. einschlägiger Bescheinigungsmittel ergibt sich die Feststellung, dass der Beschwerdeführer ledig und kinderlos ist.

Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen, dass sich der Beschwerdeführer in Österreich ehrenamtlich engagiert, Freundschaften geschlossen hat und den Vorbereitungslehrgang zur Nachholung des Pflichtschulabschlusses besucht sowie Deutschkurse absolviert hat und Fußball spielt, beruhen auf seinen glaubhaften Angaben dazu in der mündlichen Verhandlung Sitzung 20ff der Niederschrift der Verhandlung) sowie den damit im Einklang stehenden Kurs- bzw. Teilnahmebestätigungen (Beilage ./1 der Niederschrift der Verhandlung).

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist, stützt sich auf seine Angaben in der mündlichen Verhandlung Sitzung 5 der Niederschrift der Verhandlung) sowie auf den Umstand, dass eine Arbeitsunfähigkeit weder behauptet wurde noch sonst im Verfahren hervorgekommen ist und der Beschwerdeführer auch in Somalia einer Beschäftigung nachgegangen ist.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Strafregister.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer brachte bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen vor, Somalia wegen seiner heimlichen Eheschließung mit einer Angehörigen eines Mehrheitsclans verlassen zu haben. Da er Angehöriger eines Minderheitenclans sei, habe die Familie der Frau sowohl ihn als auch eine Heirat der beiden abgelehnt. In der Folge hätten sie dennoch geheiratet und als seine Ehefrau schwanger geworden sei und ihrer Familie davon erzählt habe, sei er attackiert und schwer verletzt worden. Sodann sei er mit seiner Ehefrau ausgereist (AS 97; Sitzung 21 der Niederschrift der Verhandlung). Dieses Vorbringen des Beschwerdeführers ist aus nachstehenden Gründen nicht glaubhaft.

Die freie Erzählung der Fluchtgründe des Beschwerdeführers war im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zwar ausführlicher als in der Beschwerdeverhandlung, jedoch waren diesen Ausführungen kaum (nachvollziehbare) Details zu entnehmen. Auch auf Nachfrage war der Beschwerdeführer sowohl in der mündlichen Verhandlung als auch während der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wiederholt nicht in der Lage, detailliertere Angaben zu seinem Vorbringen zu machen und waren seine Antworten vielfach oberflächlich. Auffallend war zudem, dass die wenigen Details, die in den Ausführungen des Beschwerdeführers enthalten waren, zum Teil nicht übereinstimmten und er sein Fluchtvorbringen in der mündlichen Verhandlung nur knapp und überwiegend allgemein schilderte sowie nahezu sämtliche damit verbundene Umstände wiederholt erfragt werden mussten.

Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte der Beschwerdeführer etwa aus, er sei auf dem Marktplatz von den Brüdern seiner Ehefrau und zwei unbekannten Personen niedergeschlagen worden. Diese vier Personen seien aus dem Nichts gekommen und hätten sofort begonnen, ihn zu schlagen. Er habe sehr viel Blut verloren und sei sehr geschwächt gewesen. Man habe ihn in weiterer Folge an einen Baum gefesselt und die Angreifer seien während der fünf bis sechs Stunden, die er an den Baum gefesselt verbracht habe, verschwunden. Als diese zurückgekehrt seien, hätten sie ihn in den Fluss geworfen. Entgegen dieser Angaben hatte der Beschwerdeführer in derselben Einvernahme zunächst noch vorgebracht, dass die Angreifer bloß kurz weggegangen seien. Er fuhr sodann weiter fort, sehr schwach gewesen zu sein und viel Blut verloren zu haben, weshalb er sich hinsichtlich der einzelnen Umstände nicht mehr genau erinnern könne, er habe sich allerdings aus dem – sehr stark strömenden – Fluss selbst retten können (AS 97ff).

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer auf die Frage, weshalb er seinen Herkunftsstaat Somalia verlassen habe, lediglich allgemein Folgendes an: „Ich musste mein Leben retten, deswegen musste ich mein Heimatland verlassen. Sie wollten mich töten.“ Sitzung 21 der Niederschrift der Verhandlung). Auf konkrete Nachfrage hielt er sodann fest, dass die Brüder seiner Frau ihn hätten töten wollen, da seine Frau von ihm schwanger geworden sei und er sie heimlich geheiratet habe Sitzung 21f der Niederschrift der Verhandlung). Vor dem Hintergrund, dass die Familie der Ehefrau den Beschwerdeführer zunächst abgelehnt und den Kontakt der beiden verboten habe, ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Ehefrau sodann im ersten Monat der Schwangerschaft ihre Familie darüber aufklären und sich damit selbst sowie auch den Beschwerdeführer in Gefahr bringen würde. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer sodann ausführte, dass seiner Frau nichts weiter passiert sei, berichtete er in der mündlichen Verhandlung zunächst auch von keinen weiteren Geschehnissen. Erst auf Nachfrage, ob ihm selbst etwas angetan worden sei, antwortete er zunächst lediglich mit: „Ja.“ Sitzung 23 der Niederschrift der Verhandlung). Nachdem nahezu sämtliche Umstände bezüglich der Personen, der Art und Weise sowie der Folgen der vermeintlichen Vorfälle jeweils einzeln und wiederholt erfragt wurden, gab der Beschwerdeführer an, dass die zwei Brüder und zwei andere Männer ihn bei seinem Marktstand aufgesucht, „Hallo“ gesagt und ihn sodann geschlagen hätten Sitzung 24 der Niederschrift der Verhandlung).

Auch hinsichtlich der weiteren Ereignisse gelang es dem Beschwerdeführer nicht, ein schlüssiges Gesamtbild des vermeintlich Erlebten zu vermitteln. Wie bereits ausgeführt scheint gegenständlich kaum lebensnah, dass sich der Beschwerdeführer, nachdem er geschlagen und an einen Baum gefesselt worden sei sowie sehr viel Blut verloren habe, sodass ihm schwindlig und schwarz vor Augen (AS 100) bzw. er ohnmächtig geworden sei Sitzung 24 der Niederschrift der Verhandlung), aus einem sehr stark strömenden Fluss befreit habe und in weiterer Folge dreißig Minuten zu Fuß zu einem kleinen Dorf gegangen sei (AS 101). Überdies konnte der Beschwerdeführer nicht plausibel darlegen, weshalb die Angreifer ihn von dem Baum losgebunden, ihm die Fesseln abgenommen und ihn – sohin ohne Fesseln – in den Fluss werfen sollten Sitzung 24 der Niederschrift der Verhandlung), während er andererseits bei einer Rückkehr nach Somalia befürchte, dass er getötet werde Sitzung 25 der Niederschrift der Verhandlung). Letztlich bleibt hinsichtlich der von dem Beschwerdeführer angesprochenen Narben festzuhalten, dass lediglich aufgrund des Vorhandenseins von Narben deren Ursache und Ursprung nicht eindeutig bestimmbar ist.

Insbesondere ist der belangten Behörde zuzustimmen, dass sich der Beschwerdeführer auch hinsichtlich der darauffolgenden Geschehnisse und der Flucht mit seiner Ehefrau widersprach sowie überwiegend nicht nachvollziehbare Angaben tätigte. Der Beschwerdeführer habe laut seinen Ausführungen von einem Mann ein Telefon bekommen, seine Ehefrau unter ihrer eigenen Nummer angerufen und sei infolgedessen mit ihr gemeinsam geflüchtet (AS 101). Nun suche er allerdings seine Ehefrau und es sei ihm bisher nicht gelungen, sie zu erreichen; ihr Aufenthalt sei unbekannt Sitzung 25f der Niederschrift der Verhandlung). Auch die von dem Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegten Fotos, die laut den Angaben des Beschwerdeführers in Griechenland entstanden seien und ihn sowie seine Frau zeigen würden Sitzung 5 sowie Beilage ./2 der Niederschrift der Verhandlung), vermochten eine mögliche Ehe letztlich nicht zu beweisen und lassen jedenfalls nicht ohne Weiteres den Schluss auf eine mögliche Mischehe bzw. damit verbundene Probleme zu.

Im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu einem Minderheitenclan ist auszuführen, dass sich weder aus seinem Vorbringen noch aus den Länderberichten diesbezüglich eine aktuelle asylrelevante Gefährdung des Beschwerdeführers ergibt. Der Beschwerdeführer verneinte – abgesehen von seinem Vorbringen über die Ehe mit einer Angehörigen eines Mehrheitsclans – die Frage nach Problemen aufgrund seiner Clanzugehörigkeit ausdrücklich Sitzung 25 der Niederschrift der Verhandlung). Dies entspricht auch den Ausführungen in den Länderberichten, wonach von einer systematischen Vertreibung bzw. Verfolgung durch staatliche Stellen oder nichtstaatliche Akteure oder massiv diskriminierender Benachteiligung sämtlicher Mitglieder eines Minderheitenclans und dementsprechend einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung nicht ausgegangen werden kann. Es wird überdies ausdrücklich erwähnt, dass auch eine Mischehe so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen führt. Nach einer gewissen Zeit würde eine Mischehe in der Regel akzeptiert werden; insbesondere Angehörige der Hawiye würden den Umstand einer Mischehe nicht so eng sehen, in Mogadischu würde es sogar zunehmend zu solchen Ehen kommen.

In einer Gesamtschau der dargelegten beweiswürdigenden Erwägungen sowie unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Beschwerdeverhandlung konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass ihm in Somalia eine asylrelevante Verfolgung droht.

Die Feststellung, wonach das Vorliegen anderer Verfolgungsgründe aufgrund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ethnischer Zugehörigkeit nicht konkret vorgebracht wurde und Hinweise für eine solche Verfolgung auch amtswegig nicht hervorgekommen sind, ergibt sich aus der Aktenlage, insbesondere aus der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, der durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer keine Hinweise auf das Vorliegen einer solchen Verfolgung vorgebracht hat bzw. nicht einmal ein Hinweis auf eine solche amtswegig zu ersehen war.

2.3. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Heimatort bzw. in eine andere Region Somalias ergeben sich aus den oben angeführten Länderinformationen in Zusammenschau mit nachstehenden Erwägungen:

Die aktuell schlechte Versorgungslage in Somalia geht aus der wiedergegebenen Länderinformation deutlich hervor. Demnach hat die sich verschlimmernde Dürre in einigen Teilen Süd- und Zentralsomalias die Gefahr einer Hungersnot herbeigeführt. Die derzeitige Dürre stellt sich schlimmer dar als in den Jahren 2010/2011, da bisher fünf aufeinander folgende Regenzeiten schlecht ausgefallen sind; dies hat bereits zu schweren Schäden an der Lebensgrundlage der Bevölkerung geführt. Die aufeinander folgenden schlechten bis ausbleibenden Ernten sowie rückläufige Viehbestände tragen aufgrund des Verlusts der wichtigsten Nahrungs- und Einkommensquellen zu einer Verschlechterung der Ernährungssicherheit bei. Von der Bundesregierung wurde aufgrund der anhaltenden Dürre der Notstand ausgerufen. Auch hohe Lebensmittelpreise, Konflikte/Unsicherheiten und Krankheitsausbrüche tragen zur akuten Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung bei. Der Beschwerdeführer gab zudem an, dass seine Mutter bereits vor seiner Ausreise als Alleinverdienerin für ihre Kinder sorgen musste. Der Beschwerdeführer selbst habe auch die Schule nach dem Tod seines Vaters nicht zu Ende besuchen können, da er mitarbeiten habe müssen, um Lebensmittel sowie die Schule für die weiteren Geschwister zu finanzieren (AS 91). Überdies ist – in Übereinstimmung mit den Länderinformationen – ersichtlich, dass Al Shabaab über weite Teile des Landes – vor allem in ländlichen Regionen rund um die Herkunftsregion des Beschwerdeführers – Kontrolle ausübt.

Überdies sind die Familienangehörigen des Beschwerdeführers nicht mehr in Somalia aufhältig. Es wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes im vorliegenden Fall nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer in Somalia aufgewachsen und dementsprechend mit den somalischen Gepflogenheiten vertraut und grundsätzlich arbeitsfähig ist. Dennoch wäre er auch vor dem Hintergrund der insgesamt schlechten Versorgungslage sowie der Arbeitsmarkt- und Unterkunftssituation im gesamten Land, der prekären Sicherheitslage und in Zusammenschau mit den persönlichen Umständen der realen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gemäß Artikel 3, EMRK ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer hat überdies im gesamten bisherigen Verfahren gleichlautend vorgebracht, dass er keine (Kern-)Familienangehörigen mehr in Somalia hat. Bereits vor seiner Ausreise musste der Beschwerdeführer seit dem Tod seines Vaters arbeiten und seine Mutter unterstützen, um die Familie ernähren zu können. Vor dem Hintergrund, dass sich die Kernfamilie – insbesondere die Mutter und die Geschwister – aktuell nicht mehr in Somalia aufhält, kann somit nicht von einer ausreichenden Unterstützung des Beschwerdeführers durch seine Familie ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer hat zudem in seinem Heimatstaat nur in ländlichen Gebieten gelebt.

Angesichts dieser den Beschwerdeführer individuell betreffenden Umstände und der beschriebenen allgemeinen schlechten Versorgungslage sowie der sich aus den Länderfeststellungen ergebenden angespannten Sicherheitslage in Süd-/Zentralsomalia ist in einer Gesamtbetrachtung ernstlich zu befürchten, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Somalia in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten würde. Aus den genannten Gründen ist ihm überdies auch eine Rückkehr in eine andere Region Somalias nicht zumutbar. Wie oben ausgeführt, ist eine Unterstützung durch die Familie des Beschwerdeführers aktuell nicht gegeben. Die bisherige Existenzgrundlage, der Marktstand seiner Mutter, sei seit deren Ausreise nicht mehr vorhanden (AS 92).

Dem Beschwerdeführer würde daher vor dem Hintergrund der dargelegten Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der ihn betreffenden individuellen, exzeptionellen Umstände bei einer Rückkehr nach Somalia die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen.

2.4. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht (wesentlich) geändert haben.

Dem Beschwerdeführer wurde in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme zu den Länderberichten eingeräumt; er ist diesen nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig.

3.2. Zu A) römisch eins. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der Genfer Flüchtlingskonvention ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde vergleiche vergleiche VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 mwN). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche etwa VwGH 06.09.2018, Ra 2017/18/0055; vergleiche auch VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100, mwN).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Herkunftsstaates bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Herkunftsstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr vergleiche VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss vergleiche etwa VwGH 25.09.2018, Ra 2017/01/0203; 26.06.2018, Ra 2018/20/0307, mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Herkunftsstaat des Betroffenen aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren vergleiche etwa VwGH 12.06.2018, Ra 2018/20/0177; 19.10.2017, Ra 2017/20/0069). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist vergleiche VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der „Glaubhaft-machung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinne der ZPO zu verstehen. Es genügt daher, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, das heißt er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, Paragraph 45,, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden Verwaltungsgerichtes vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom Verwaltungsgericht nicht getroffen werden (VwGH 28.06.2016, Ra 2018/19/0262; vergleiche auch VwGH 18.11.2015, Ra 2015/18/0237-0240, mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer keine (drohende) Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht habe. Mit dieser Beurteilung ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – wie beweiswürdigend dargelegt – im Ergebnis im Recht.

Da sich aus den Verfahrensergebnissen auch sonst keine konkrete gegen den Beschwerdeführer gerichtete (drohende) Verfolgung in seinem Herkunftsstaat ableiten ließ, ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zu A) römisch II. und römisch III. Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 3, AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005) offensteht.

Nach Paragraph 11, Absatz eins, AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union zu den Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach der Statusrichtlinie auseinandergesetzt und festgehalten, dass Gerichtshof der Europäischen Union in seiner Judikatur beginnend mit seinem Urteil vom 18.12.2014, C-542/13, M'Bodj, klargestellt habe, dass die Statusrichtlinie die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nur in Fällen realer Gefahr, einen auf ein Verhalten eines Akteurs im Sinn des Artikel 6, Statusrichtlinie zurückzuführenden ernsthaften Schaden nach Artikel 15, Statusrichtlinie zu erleiden (Artikel 15, Litera a und b), sowie bei Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt (Artikel 15, Litera c,) vorsehe. Nicht umfasst seien dagegen insbesondere Fälle, in denen eine Rückkehr aufgrund allgemeiner Unzulänglichkeiten im Herkunftsland – etwa im Gesundheitssystem –, die nicht von Dritten (Akteuren) verursacht würden, eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten würde. Dem nationalen Gesetzgeber sei es – nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union – auch unter Mitbeachtung des Artikel 3, der Statusrichtlinie verboten, Bestimmungen zu erlassen oder beizubehalten, die einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuerkennen würden vergleiche allerdings zur Zulässigkeit der Erstreckung des Schutzes auf Angehörige eines Schutzberechtigten VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040, unter Hinweis auf EuGH 4.10.2018, C-652/16, Ahmedbekova).

Im Erkenntnis vom 21.05.2019, Ro 2019/19/0006, erkannte der Verwaltungsgerichtshof jedoch, dass eine Interpretation, mit der die Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 mit dem in der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union dargelegten Verständnis des subsidiären Schutzes nach der Statusrichtlinie in Übereinstimmung gebracht würde, die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer – unionsrechtlich nicht geforderten – Auslegung contra legem führen würde. Damit würde der Statusrichtlinie zu Unrecht eine ihr im gegebenen Zusammenhang nicht zukommende unmittelbare Wirkung zugeschrieben. Der Verwaltungsgerichtshof halte daher an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht werde – die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 begründen könne.

Ausgehend davon ist demnach zu prüfen, ob im Falle der Rückführung eines Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat Artikel 2, EMRK (Recht auf Leben), Artikel 3, EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde und somit zu einer Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 führte.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Artikel 2, oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) insbesondere einer gegen Artikel 2, oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat vergleiche etwa VwGH 20.11.2018, Ra 2018/20/0528; vergleiche auch VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053, mwN).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Artikel 2, oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen vergleiche etwa VwGH 01.03.2018, Ra 2017/19/0425; 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, mwN insbesondere zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofes).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Artikel 3, EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Artikel 3, EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen vergleiche etwa VwGH 20.11.2018, Ra 2018/20/0528; 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, mwN).

In diesem Zusammenhang ist auf die ständige Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hinzuweisen, wonach es – abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Artikel 3, EMRK darstellen würde – grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde vergleiche etwa VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, mit Verweis auf EGMR 05.09.2013, römisch eins gegen Schweden, Nr. 61 204/09). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

Zur innerstaatlichen Fluchtalternative betonte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, dass das Kriterium der „Zumutbarkeit“ nach Paragraph 11, Absatz eins, AsylG 2005 im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Artikel 8, Absatz eins, der Statusrichtlinie ist, dass von dem Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen.

Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat; es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härte zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001). Dabei handelt es sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, mwN).

Wie bereits festgestellt, würde dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seinen Heimatort aufgrund der dort herrschenden schlechten allgemeinen Sicherheitslage, der schlechten Versorgungslage und der individuellen Umstände mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen und ist ihm auch eine Rückkehr in eine andere Region Somalias (innerstaatliche Fluchtalternative) aufgrund seiner individuellen Umstände in Verbindung mit der im ganzen Land äußerst angespannten Versorgungslage aktuell nicht zumutbar.

Al Shabaab übt über weite Teile des ländlichen Raumes Süd-/Zentralsomalias Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben oder die von niemandem kontrolliert werden bzw. deren Situation unklar ist. Neben der schlechten allgemeinen Sicherheitslage – unter anderem in der Heimatregion des Beschwerdeführers – ist die aktuell äußerst schwierige Versorgungslage infolge der Dürre zu berücksichtigen. Aufgrund dessen in Zusammenschau mit dem Umstand, dass die (Kern-)Familie des Beschwerdeführers nicht mehr in Somalia aufhältig ist, wäre eine Rückführung für den Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer ernstzunehmenden Gefahr für Leib und Leben verbunden, weshalb eine Rückkehr in seine Heimatregion im Entscheidungszeitpunkt nicht möglich ist. Die Familie lebte bisher von den Einnahmen der Mutter durch ihren Marktstand, welcher in dieser Form seit deren Ausreise nicht mehr besteht.

In einem weiteren Schritt ist daher das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu prüfen. Dies bedeutet zunächst, dass es auf Basis der Länderberichte für den Beschwerdeführer sichere und erreichbare Städte gibt, die grundsätzlich in Betracht kämen, wie etwa Mogadischu und Kismayo. Zwar ist das Niveau an willkürlicher Gewalt in diesen Städten so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein. Diese Städte sind überdies durch internationale Flughäfen über den Luftweg auch sicher und legal erreichbar. Damit liegt die erste Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative vor.

Wie bereits ausgeführt, genügt es jedoch nicht, dem Beschwerdeführer entgegen zu halten, dass er in dem betroffenen Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative ausgehen zu können. Vielmehr muss es ihm möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härte zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Dabei handelt es sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall.

Fallgegenständlich muss neben der nach wie vor kritischen Sicherheitslage in Süd-/Zentralsomalia auch die aktuell angespannte Grundversorgungslage berücksichtigt werden. Wie beweiswürdigend ausgeführt ergibt sich aus den Länderberichten, dass sich insbesondere die ohnehin schon angespannte Ernährungssituation drastisch verschlechtert hat und es insbesondere für den Großteil der IDPs in Mogadischu und Kismayo schwierig ist, ihre Grundbedürfnisse abzudecken. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer mit städtischen Umgebungen und den Gegebenheiten in Mogadischu und Kismayo nicht vertraut ist und auch auf kein unterstützendes Netzwerk zurückgreifen könnte.

Angesichts dieser allgemeinen schlechten Versorgungslage und der den Beschwerdeführer individuell betreffenden Umstände unter Berücksichtigung der nicht vorhandenen Unterstützung durch Familienangehörige ist ernstlich zu befürchten, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Somalia (auch in andere Gebiete als seinen Herkunftsort) in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten würde.

Dem Beschwerdeführer würde daher vor dem Hintergrund der dargelegten Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der ihn betreffenden individuellen, exzeptionellen Umstände bei einer Rückkehr nach Somalia die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen. Es ist damit dargetan, dass seine Abschiebung eine Verletzung seiner Rechte nach Artikel 3, EMRK darstellen würde.

Im Ergebnis vermag das Bundesverwaltungsgericht daher unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen im gegenständlichen Entscheidungszeitpunkt in einer Gesamtschau keine Möglichkeit zu erkennen, den Beschwerdeführer auf die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Fall seiner Rückkehr nach Somalia zu verweisen.

In Ermangelung von Ausschlussgründen ist dem Beschwerdeführer daher gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuzuerkennen.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Fall des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt dem Beschwerdeführer mit vorliegendem Erkenntnis den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu, sodass eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der Dauer von einem Jahr zu erteilen ist.

3.4. Zu A) römisch IV. Behebung der Spruchpunkte römisch III., römisch IV., römisch fünf. und römisch VI. des angefochtenen Bescheides:

Aufgrund der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sind die Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben.


3.5. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist – soweit diese nicht unvertretbar ist – nicht revisibel vergleiche z.B. VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0149, mwN).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2023:W275.2265477.1.00