Bundesverwaltungsgericht
04.11.2023
W123 2263042-1
W123 2263042-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Somalia, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.10.2022, Zl. 1296179509/220415615, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 05.03.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen der am 06.03.2022 durchgeführten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, er habe sein Heimatland wegen der Sicherheit verlassen. Er habe dort immer in Gefahr gelebt. Weitere Fluchtgründe habe er nicht. Bei einer Rückkehr in seine Heimat habe er Angst „um seine Lieben“.
3. Am 10.10.2022 fand die Einvernahme des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde statt. Die Niederschrift lautet auszugsweise:
„[…]
Angaben zu Ihrem Fluchtgrund
F: Hatten Sie jemals persönliche Probleme aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, Ihres Religionsbekenntnisses, Ihrer Rasse, Ihrer Nationalität, aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen Ihrer politischen Überzeugung? Bitte die folgenden Fragen, vorerst nur mit ja oder nein beantworten.
A: Wegen meinem Clan. Dies ist auch meine Fluchtgeschichte. Sonst hatte ich keine Probleme.
F: Was war der konkrete Grund, warum Sie die Heimat verlassen haben? Erzählen Sie bitte möglichst chronologisch über alle Ereignisse, die Sie persönlich zum Verlassen der Heimat veranlasst haben (freie Erzählung)!
A: Ich habe meine Heimat aus persönlichen Gründen verlassen. Ich bin Angehöriger der Gabooye. Ich bin geboren und aufgewachsen in römisch 40 . Dort sind wir eine Minderheit. Dort ist der große Clan der Hawadle. Ich hatte oft Probleme wegen der Diskriminierung. Ende 2019 habe ich meine Frau römisch 40 kennengelernt. Wir hatten eine Beziehung und haben uns entschieden im April 2020 zu heiraten. Ich bin mit meinem Vater zum Vater meiner Frau. Wir haben gefragt, ob ich seine Tochter heiraten darf. Der Vater meiner Frau wollte das nicht. Er sagte, dass seine tochter Hawadle ist und ich Gabooye, deshalb dürfen wir nicht heiraten. Dann habe ich meiner Frau gesagt, dass wir nicht heiraten können, da ihr Vater dies nicht wollte. Wir haben dann ausgemacht, dass wir heimlich heiraten, weil wir uns liebten. Dann haben wir am 15.07.2020 heimlich geheiratet. Dann haben wir uns 2x in der Woche getroffen. Sie wurde dann schwanger von mir. Ihre Eltern haben das dann erfahren, dass meine Frau schwanger ist und wollten wissen, wer der Vater des Kindes ist. Meine Frau sagte, dass ich der Vater bin und wir heimlich geheiratet haben. Als dies die Familie meiner Frau erfuhr waren sie böse auf mich und die 2 Brüder meiner Frau haben mich attackiert. Als ich zu Hause war, kamen die Brüder meiner Frau und fragen, weshalb ich das getan habe. Sie haben mich geschlagen und misshandelt. Ich hatte große Angst und bin weggelaufen. Dann habe ich römisch 40 Richtung Mogadischu verlassen. Als ich in Mogadischu war, habe ich entschlossen, Somalia aufgrund meiner Sicherheit zu verlassen. Als ich Mogadischu war, war meine Cousine mütterlicherseits dort. Ich habe sie um Hilfe gebeten und sie hat mir dann geholfen einen Schlepper zu organisieren. Nach 22 Tagen in Mogadischu bin ich dann mit dem Flugzeug von Mogadischu nach Istanbul geflogen.
[…]
F: Was hätten Sie im Falle einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat konkret zu befürchten?
A: Wenn ich zurückkehren müsste, dann würde ich Probleme mit den Angehörigen meiner Frau bekommen.
[…]“
4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für 1 Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
5. Gegen den Spruchpunkt römisch eins. des obgenannten Bescheides der belangten Behörde richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 17.11.2022, in der der Beschwerdeführer einleitend sein bisheriges Vorbringen zusammenfasste und weiters vorbrachte, die belangte Behörde habe wichtige Ermittlungsschritte unterlassen. Mangels näherer Befragung zu den vom Beschwerdeführer angesprochenen Problemen aufgrund seiner Clanzugehörigkeit habe er die ihm konkret widerfahrene Diskriminierung nicht schildern können. Außerdem sei die Befragung zu der ihm drohenden Rache durch die Familie seiner heimlich geheirateten und von ihm schwanger gewordenen Ehefrau eines Mehrheitsclans oberflächlich und trage kaum zur Klärung des Sachverhalts bei. Ferner seien die Länderfeststellungen unvollständig und die Beweiswürdigung mangelhaft: Die belangte Behörde habe begründend unter anderem ausgeführt, dass der Beschwerdeführer legal ausgereist sei und es daher „nach logischem Denken“ nicht möglich sei, dass er in ganz Somalia verfolgt werde. Der Beschwerdeführer habe aber keine Probleme mit Behörden gehabt, wodurch ihm die Ausreise möglich gewesen sei. Die Verfolgung liege jedoch in einem fehlenden Schutz durch die Polizei. Sofern die Behörde davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer mangels Meldewesen nicht gefunden werden könne, hätte er dazu befragt werden müssen. Außerdem werde zum weiteren Argument, wonach der Beschwerdeführer in der Erstbefragung mit keinem Wort Probleme mit der Familie seiner Frau erwähnt habe, angemerkt, dass der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung kaum Zeit bekommen habe, seine Fragen zu beantworten, und auf eine weitere Einvernahme im Verfahren verwiesen worden sei. Da beim Beschwerdeführer zumindest zwei der von UNHCR beschriebenen Risikoprofile bezüglich internationalen Schutzerwägungen vorlägen, sei er jedenfalls einem Risiko von Verfolgung ausgesetzt. Dem Beschwerdeführer drohe Armut, weil er wegen seiner Clanzugehörigkeit keine Schul- oder Berufsausbildung bekommen habe und nicht für seinen Lebensunterhalt sorgen könne. Dies sei klar unter die GFK zu subsumieren, weil sich die wirtschaftliche Armut in einem darin genannten Grund (Volksgruppe) gründet. Dem Beschwerdeführer sei daher internationaler Schutz gemäß Paragraph 3, AsylG zu gewähren gewesen.
6. Am 19.10.2023 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinen Gründen für die Ausreise aus Somalia befragt wurde. Seine Rechtsvertretung wurde darauf hingewiesen, dass die aktuelle Länderinformation der Staatendokumentation Somalia der Entscheidung zugrunde gelegt wird, wobei diese unter Verweis auf den Beschwerdeschriftsatz auf die Abgabe einer Stellungnahme dazu verzichtete.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der Beschwerdeführer ist ein somalischer Staatsangehöriger und Moslem. Er gehört dem Clan der Gabooye, Subclan Yahar an, spricht Somali und stammt aus dem Dorf römisch 40 , Distrikt Buulo Barde, in der Region Hiiran.
1.1.2. Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass er bei einer allfälligen Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt wäre bzw. ein besonderes Interesse an der Person des Beschwerdeführers besteht bzw. bestehen könnte.
Der Beschwerdeführer konnte insbesondere nicht glaubhaft machen, dass er vor seiner Ausreise heimlich eine dem Mehrheitsclan der Hawiye zugehörige Frau geheiratet habe und von deren Familie bedroht worden sei. Der Beschwerdeführer konnte ferner nicht glaubhaft machen, dass er im Fall der Rückkehr nach Somalia einer individuellen Gefährdung durch die Familie seiner Ehefrau unterliege.
Der Beschwerdeführer konnte außerdem nicht glaubhaft machen, dass er persönlich wegen seiner Clanzugehörigkeit sonstigen Bedrohungen ausgesetzt gewesen sei oder solche im Fall seiner Rückkehr zu befürchten haben.
1.2. Zum Herkunftsstaat:
Auszug Länderinformation der Staatendokumentation vom 17.03.2023 (Version 5)
Minderheiten und Clans
Letzte Änderung: 17.03.2023
Zu Clanschutz siehe auch Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen
Der Clan ist die relevanteste soziale, ökonomische und politische Struktur in Somalia. Er bestimmt den Zugang zu Ressourcen sowie zu Möglichkeiten, Einfluss, Schutz und Beziehungen (SPC 9.2.2022). Dementsprechend steht Diskriminierung in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke haben (AA 28.6.2022, Sitzung 11). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2022, Sitzung 10). Selbst relative starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan 30.9.2022).
Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessenvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des Xeer. Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler. Al Shabaab installiert oft Älteste, welche die Gruppe repräsentieren. Er wird so zum Bindeglied zwischen der Gemeinschaft und al Shabaab. So werden zuvor legitime Strukturen in Geiselhaft genommen (Sahan 26.10.2022).
In ganz Somalia sehen sich Menschen, die keinem der großen Clans angehören, in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56) und für ökonomische sowie politische Partizipation (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56; vergleiche BS 2022, Sitzung 23). Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2022, Sitzung 23). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UNOCHA 14.3.2022).
Recht: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Weder das traditionelle Recht (Xeer) (SEM 31.5.2017, Sitzung 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, Sitzung 42; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 4). Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen (ÖB 11.2022, Sitzung 4). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, Sitzung 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, Sitzung 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, Sitzung 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14).
Angehörige von Minderheiten stehen vor Hindernissen, wenn sie Identitätsdokumente erhalten wollen - auch im Falle von Reisepässen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 58).
Politik: Politische Repräsentation, politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren - und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel (ÖB 11.2022, Sitzung 3). Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhalten (ÖB 11.2022, Sitzung 3; vergleiche USDOS 12.4.2022, Sitzung 31f; FH 2022a, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 2022a, B4). Sie werden von relevanten politischen Posten ausgeschlossen und die wenigen Angehörigen von Minderheiten, die solche Posten halten, haben kaum die Möglichkeit, sich für ihre Gemeinschaften einzusetzen (SPC 9.2.2022). So ist also selbst die gegebene, formelle Vertretung nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die 4.5-Formel hat bisher nicht zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bezogenen Gleichberechtigung beigetragen (ÖB 11.2022, Sitzung 4).
Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41; vergleiche AA 28.6.2022, Sitzung 14; FH 2022a, F4). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 28.6.2022, Sitzung 14). Zudem sind die Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen weniger gut ausgebaut, und sie verfügen über geringere Ressourcen (Sahan 24.10.2022) und erhalten weniger Remissen (Sahan 24.10.2022; vergleiche SPC 9.2.2022). Die mächtigen Gruppen erhalten den Löwenanteil an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird (Sahan 24.10.2022). Dementsprechend stehen Haushalte, die einer Minderheit angehören, einem höheren Maß an Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung gegenüber. Meist sind Minderheitenangehörige von informeller Arbeit abhängig, und die allgemeinen ökonomischen Probleme haben u.a. die Nachfrage nach Tagelöhnern zurückgehen lassen. Dadurch sind auch die Einkommen dramatisch gesunken (UNOCHA 14.3.2022).
Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41). In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (FIS 7.8.2020, Sitzung 39).
Al Shabaab: Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt (BS 2022, Sitzung 19; vergleiche ÖB 11.2022 Sitzung 6). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen "noblen" Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, Sitzung 11; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 4). Al Shabaab hat sich die gesellschaftliche Benachteiligung von Gruppen zunutze gemacht (Sahan 24.10.2022). Ein überproportionaler Teil von al Shabaab setzt sich aus Angehörigen der am meisten marginalisierten Gruppen Somalias zusammen (Sahan 30.9.2022). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist ein weiterer Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Missstände treiben ganze Gemeinden in die Arme von al Shabaab. Sie suchen ein taktisches Bündnis – haben dabei aber keine dschihadistische Vision, sondern wollen ihre Rivalen ausstechen. Al Shabaab nimmt derartige Spannungen gerne auf und verwendet sie für eigene Zwecke (Sahan 30.9.2022). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB 11.2022, Sitzung 4f).
[…]
Bevölkerungsstruktur
Letzte Änderung: 26.07.2022
Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Somalia ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings sei der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung unklar (AA 28.6.2022, Sitzung 11/14). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 12.4.2022, Sitzung 40). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UNOCHA 14.3.2022; vergleiche NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44; vergleiche SEM, 31.5.2017, Sitzung 12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 5).
Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2022, Sitzung 34). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, Sitzung 8).
Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:
● Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.
● Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.
● Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).
● Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.
● Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, Sitzung 9).
Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, Sitzung 25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, Sitzung 38ff).
Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, Sitzung 9). Zudem gewinnt die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation immer mehr an Bedeutung. Dadurch kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden (BS 2022, Sitzung 25).
[…]
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation
Letzte Änderung: 17.03.2023
Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums (SEM 31.5.2017, Sitzung 11). Die soziale Stellung der einzelnen ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich (SEM 31.5.2017, Sitzung 14). Sie werden aber als minderwertig (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44) und mitunter als Fremde erachtet (SPC 9.2.2022). So können Angehörige ethnischer Minderheiten auf Probleme stoßen - bis hin zu Staatenlosigkeit - wenn sie z. B. in einem Flüchtlingslager außerhalb Somalias geboren wurden (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 58).
Generell sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Verfolgung mehr ausgesetzt, wie dies Anfang der 1990er der Fall war (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44). Dies gilt auch für Mogadischu. Allerdings sind dort all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, Sitzung 3). In den Städten ist die Bevölkerung aber allgemein gemischt, Kinder gehen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Schule und Menschen ins Spital (UNFPA/DIS 25.6.2020).
Nach anderen Angaben drohen ethnischen Minderheiten Stigmatisierung, soziale Absonderung, Verweigerung von Rechten und ein niedriger sozialer, ökonomischer und politischer Status (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44), Arbeitslosigkeit und ein Mangel an Ressourcen. Sie werden am Arbeitsmarkt diskriminiert und vom Rest der Gesellschaft ausgeschlossen. Die meisten Angehörigen marginalisierter Gruppen haben keine Aussicht auf Rechtsschutz, nur selten werden solche Personen in die Sicherheitskräfte aufgenommen. Auch im Xeer werden sie marginalisiert. In Mogadischu mangelt es den Minderheiten auch an politischem Einfluss. Andererseits ändert sich die Situation langsam zum Besseren, die Einstellung v. a. der jüngeren Generation ändert sich; die Clanzugehörigkeit ist für diese nicht mehr so wichtig wie für die Älteren (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff).
Die Bantu sind die größte Minderheit in Somalia (SEM 31.5.2017, Sitzung 12f; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 41). Es gibt zahlreiche Bantu-Gruppen bzw. -Clans, wie z. B. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli, Oji oder Gobaweyne; pejorativ werden sie auch Adoon (Sklaven) oder Jareer (Kraushaar) genannt. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Juba und Shabelle (SEM 31.5.2017, Sitzung 12f; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Von den ca. 900.000 IDPs, die sich im Großraum Mogadischu aufhalten (Stand 2020), sind rund 700.000 Bantu (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff).
Die Bantu werden überall in Somalia rassistisch stigmatisiert (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25) und diskriminiert (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25; vergleiche BS 2022, Sitzung 9; USDOS 12.4.2022, Sitzung 41; GIGA 3.7.2018). Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu, die zum Teil einst als Sklaven ins Land gekommen waren, herab (SEM 31.5.2017, Sitzung 14; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Sie sind das dramatischste Beispiel für die Schlechterbehandlung durch dominierende Gruppen (Sahan 30.9.2022) und werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2022, Sitzung 9) und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 9f). Auch in IDP-Lagern werden sie diskriminiert, Bantu-Frauen mangelt es dort an Schutz durch die traditionelle Clanstruktur (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41; vergleiche LIFOS 19.6.2019, Sitzung 8). 80 % der Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt finden sich unter ihnen (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff). Überhaupt befinden sich Bantu in einer vulnerablen Situation, da zuvor bestehende Patronageverhältnisse (welche Schutz gewährleisteten) im Bürgerkrieg erodiert sind. Dadurch haben Bantu heute kaum Zugang zum Xeer (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 9f). Bantu sind besonders schutzlos (ÖB 11.2022, Sitzung 4; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 42). Andererseits sind einige Bantu-Gruppen mit lokal mächtigen Clans Allianzen eingegangen, um sich dadurch zu schützen (FIS 7.8.2020, Sitzung 44).
Mischehen werden stigmatisiert (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 7). Im September 2018 wurde ein Bantu in Mogadischu in Zusammenhang mit einer Mischehe getötet. Allerdings war dies ein sehr außergewöhnlicher Vorfall, über welchen viele Somali ihre Entrüstung äußerten (NLMBZ 3.2019, Sitzung 43). Al Shabaab hingegen hat zahlreiche Kinder der Bantu entführt oder zwangsrekrutiert. Trotzdem genießt die Gruppe bei dieser Minderheit größere Unterstützung (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 7ff). Die meisten Fußsoldaten von al Shabaab, die aus Middle Shabelle stammen, gehören zu Gruppen mit niedrigem Status – etwa zu den Bantu. Al Shabaab hat diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von "noblen" Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).
Einem Bericht zufolge sind aus den USA deportierte somalische Bantu - manchmal schon am Flughafen in Mogadischu - von Bewaffneten entführt worden, um Lösegeld zu erpressen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 58).
Benadiri ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben (z. B. Mogadischu, Merka, Baraawe) und sich traditionell im Handel betätigen. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien, Persien, Indien und Portugal (SEM 31.5.2017, Sitzung 13f; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos. Heute werden Benadiri gemeinhin als Händler respektiert (SEM 31.5.2017, Sitzung 13f). In Mogadischu stellen die Benadiri die zweitgrößte Minderheitengruppe. Einige von ihnen haben es geschafft, reich zu werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 41ff). Im Gegensatz zu den Bantu kommt ihnen kein geringerer Status zu, Mischehen sind kein Problem (LI 14.6.2018, Sitzung 17). Auch von Sicherheitsproblemen wird (in Mogadischu) nicht berichtet (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 45). Vielen Reer Xamar (Teil der Benadiri) ist es gelungen, ihre vormaligen Immobilien im Bezirk Xamar Weyne (Mogadischu) durch Zahlungen zurückzuerhalten. Dort stellen sie auch die Bevölkerungsmehrheit (LI 21.5.2019b, Sitzung 2f).
Die Bajuni sind ein kleines Fischervolk, das auf den Bajuni-Inseln im Süden Somalias sowie in Kismayo (SEM 31.5.2017, Sitzung 14; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57) aber auch entlang der kenianischen Küste bis Lamu lebt. Der UNHCR zählt die Bajuni zu den Benadiri (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57).
Kinder von Mischehen der al-Shabaab: Einige somalische Mädchen und Frauen haben ausländische Kämpfer (z.B. aus Europa, USA, Asien) der al Shabaab geheiratet. Die aus solchen Ehen hervorgegangenen Kinder sind teils leicht zu identifizieren (ICG 27.6.2019, Sitzung 9).
Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation
Letzte Änderung: 17.03.2023
Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung (SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff). Sie sind somalischen Ursprungs, wurden aber von den traditionellen Clan-Lineages ausgeschlossen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können (SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff). Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57; vergleiche NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 45; SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff) - etwa Jäger, Lederverarbeiter, Schuster, Friseure, Töpferinnen, traditionelle Heiler oder Hebammen (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 45). Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff). Ein anderer Sammelbegriff ist Midgan (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57).
Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, Sitzung 43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, Sitzung 3).
Die berufsständischen Kasten werden zudem diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2022, Sitzung 9). Zu ihrer Diskriminierung trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vergleiche SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z. B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff).
Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, Sitzung 49).
Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 4). Aufgrund dieses teils starken sozialen Drucks (FH 2022a, G3) kommen Mischehen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff; vergleiche FIS 5.10.2018, Sitzung 26). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden (ÖB 11.2022, Sitzung 4; vergleiche SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). In Mogadischu sind Mischehen möglich (FIS 5.10.2018, Sitzung 26). Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f). Die Gruppe hat Fußsoldaten, die zu Gruppen mit niedrigem Status gehören, dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von "noblen" Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).
Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die Ehepartner mit sich bringen – insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört (ÖB 11.2022, Sitzung 4). So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem "noblen" Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018, Sitzung 26).
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen - allgemein
Letzte Änderung 2023-03-17 08:44
Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Scharia wird ausschließlich von Männern angewendet, die oftmals zugunsten von Männern entscheiden (USDOS 12.4.2022, Sitzung 37/40). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts. Entsprechend gelten für Frauen andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer (z. B. halbe Erbquote). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, diese gelten auch in Somaliland (AA 28.6.2022, Sitzung 18). Auch im Rahmen der Ausübung des Xeer haben Frauen nur eingeschränkt Einfluss. Verhandelt wird unter Männern, und die Frau wird üblicherweise von einem männlichen Familienmitglied vertreten (SPC 9.2.2022). Oft werden Gewalttaten gegen Frauen außerhalb des staatlichen Systems zwischen Clanältesten geregelt, sodass ein Opferschutz nicht gewährleistet ist (AA 28.6.2022, Sitzung 15).
Die von Männern dominierte Gesellschaft und ihre Institutionen gestatten es somalischen Männern, Frauen auszubeuten. Verbrechen an Frauen haben nur geringe oder gar keine Konsequenzen (SIDRA 6.2019b, Sitzung 6). Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt werden oft im Rahmen kollektiver Clanverantwortung abgehandelt. Viele solche Fälle werden nicht gemeldet. Weibliche Opfer befürchten, von ihren Familien oder Gemeinden verstoßen zu werden, sie fürchten sich z. B. auch vor einer Scheidung oder einer Zwangsehe. Anderen Opfern sind die formellen Regressstrukturen schlichtweg unbekannt (SPC 9.2.2022).
Gemäß einer aktuellen Studie zum Gender-Gap in Süd-/Zentralsomalia und Puntland verfügen Frauen dort nur über 50 % der Möglichkeiten der Männer – und zwar mit Bezug auf Teilnahme an der Wirtschaft; wirtschaftliche Möglichkeiten; Politik; und Bildung (SLS 6.4.2021). Der Salafismus stellt in Somalia das größte Hindernis für die Förderung von Frauen dar. Trotzdem wächst die Zahl an Polizistinnen und Soldatinnen, und auch in Behörden werden zunehmend Frauen angestellt (Sahan 9.9.2022).
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung 2023-03-17 08:50
Diskriminierung: Die Diskriminierung von Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 40). Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär (AA 28.6.2022, Sitzung 17). Frauen werden in der somalischen Gesellschaft, in der Politik und in den Rechtssystemen systematisch Männern untergeordnet (LIFOS 16.4.2019, Sitzung 10; vergleiche USDOS 12.4.2022, Sitzung 40). Sie genießen nicht die gleichen Rechte und den gleichen Status wie Männer und werden diesen systematisch untergeordnet. Frauen leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik und Unterbringung (USDOS 12.4.2022, Sitzung 40).
Andererseits ist es der Regierung gelungen, Frauenrechte etwas zu fördern: Immer mehr Mädchen gehen zur Schule, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst wächst (ICG 27.6.2019, Sitzung 3). Frauen sind das ökonomische Rückgrat der Gesellschaft und mittlerweile oft die eigentlichen Brotverdiener der Familie (SIDRA 6.2019b, Sitzung 2). Daher ist es üblich, in einer Stadt wie Mogadischu Kleinhändlerinnen anzutreffen, die Khat, Gemüse oder Benzin verkaufen (TE 11.3.2019; vergleiche LIFOS 16.4.2019, Sitzung 11). Außer bei großen Betrieben spielen Frauen eine führende Rolle bei den Privatunternehmen. In Mogadischu und Bossaso gehören ca. 45 % aller formellen Unternehmen Frauen (WB 22.3.2022).
[…]
Eheschließung: Bei Eheschließungen gilt das Scharia-Recht. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 11.2022, Sitzung 10). Es gibt keine Zivilehe (LI 14.6.2018, Sitzung 7). Die Ehe ist extrem wichtig, und es ist in der somalischen Gesellschaft geradezu undenkbar, dass eine junge Person unverheiratet bleibt. Gleichzeitig besteht gegenüber der Braut die gesellschaftliche Erwartung, dass sie bei ihrer ersten Eheschließung Jungfrau ist (LIFOS 16.4.2019, Sitzung 38). Gerade bei der ersten Ehe ist die arrangierte Ehe die Norm (LI 14.6.2018, Sitzung 8f). Eheschließungen über Clangrenzen [Anm.: großer bzw. "nobler" Clans] hinweg sind normal (FIS 5.10.2018, Sitzung 26f).
Ehe-Alter / Kinderehe: Generell sind die Ausdrücke "Erwachsener" und "Kind" in Somalia umstritten und de facto gesetzlich nicht explizit definiert (SPA 1.2021). Zwar ist gemäß somalischem Zivilrecht für eine Eheschließung ein Mindestalter von 15 Jahren vorgesehen (ICG 27.6.2019, Sitzung 8), doch Scharia und Tradition nehmen eine Heiratsfähigkeit bei Erreichen der Pubertät an (LI 14.6.2018, Sitzung 7). Generell herrscht unter den relevanten Stakeholdern keine Einigkeit darüber, wann denn nun eigentlich das Heiratsalter erreicht ist (UNFPA 14.4.2022) - und dies, obwohl Somalia die Kinderrechtskonvention unterzeichnet hat, die eigentlich gegen eine Ehe vor dem Alter von 18 Jahren spricht (Sahan 19.9.2022). Laut Gesetzen sollen beide Ehepartner das "age of maturity" erreicht haben; als Kinder werden Personen unter 18 Jahren definiert. Außerdem sieht die Verfassung vor, dass beide Ehepartner einer Eheschließung freiwillig zustimmen müssen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 42; vergleiche Sahan 19.9.2022). Trotzdem ist die Kinderehe verbreitet (USDOS 12.4.2022, Sitzung 42; vergleiche FH 2022a, G3) – gerade in ärmeren, ländlichen Gebieten (ICG 27.6.2019, Sitzung 8; vergleiche FIS 5.10.2018, Sitzung 27; LI 14.6.2018, Sitzung 7). Denn die Scharia, in der kein Mindestalter vorgesehen ist, hat das Familiengesetz weitestgehend ersetzt (Sahan 19.9.2022). Oft werden Mädchen zwischen 10 und 16 Jahren verheiratet, wobei die Eheschließung von den Eltern schon sehr früh vereinbart wird. Die eigentliche Hochzeit erfolgt, wenn das Mädchen die Pubertät erreicht (FIS 5.10.2018, Sitzung 27). Eltern ermutigen Mädchen zur Heirat, in der Hoffnung, dass die Ehe dem Kind finanzielle und soziale Absicherung bringt und dass diese die eigene Familie finanziell entlastet. Zudem wird eine frühe Ehe als kulturelle und religiöse Anforderung wahrgenommen (UNFPA 14.4.2022). Bei einer Umfrage im Jahr 2017 gaben ca. 60 % der Befragten an, dass eine Eheschließung für Mädchen unter 18 Jahren kein Problem ist (AV 7.2017, Sitzung 36). Schätzungen zufolge heiraten 45 % der Mädchen vor ihrem 18. und 8 % vor ihrem 15. Geburtstag. Die Dürre hat das Risiko für viele Mädchen erhöht, bereits in jungen Jahren einer Ehe zugeführt zu werden. Es ist zu einem starken Anstieg der Zahl an Kinderehen gekommen. Viele durch die Dürre verarmte Familien holen Töchter aus den Schulen und verheiraten diese, um vom Brautgeld (yarad) leben zu können. In einem unsicheren Umfeld – etwa in einem IDP-Lager – wollen Eltern u.U. auch die Tochter vor Missbrauch schützen, indem sie diese verheiraten (Sahan 19.9.2022).
Arrangierte Ehe / Zwangsehe: Der Übergang von arrangierter zur Zwangsehe ist fließend. Bei Ersterer liegt die mehr oder weniger explizite Zustimmung beider Eheleute vor, wobei hier ein unterschiedliches Maß an Druck ausgeübt wird. Bei der Zwangsehe hingegen fehlt die Zustimmung gänzlich oder nahezu gänzlich (LI 14.6.2018, Sitzung 9f). Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 28.6.2022, Sitzung 18). Nach Angaben einer Quelle sind Zwangsehen in Somalia normal (SPA 1.2021). Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 gibt eine von fünf Frauen an, zur Ehe gezwungen worden zu sein; viele von ihnen waren bei der Eheschließung keine 15 Jahre alt (LIFOS 16.4.2019, Sitzung 10). Und manche Mädchen haben nur in eine Ehe eingewilligt, um nicht von der eigenen Familie verstoßen zu werden (SPA 1.2021). Es gibt keine bekannten Akzente der Bundesregierung oder regionaler Behörden, um dagegen vorzugehen. Außerdem gibt es kein Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr (USDOS 12.4.2022, Sitzung 43). Gegen Frauen, die sich weigern, einen von der Familie gewählten Partner zu ehelichen, wird mitunter auch Gewalt angewendet. Das Ausmaß ist unklar, Ehrenmorde haben diesbezüglich in Somalia aber keine Tradition (LI 14.6.2018, Sitzung 10). Vielmehr können Frauen, die sich gegen eine arrangierte Ehe wehren und/oder davonlaufen, ihr verwandtschaftliches Solidaritätsnetzwerk verlieren (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 33; vergleiche LI 14.6.2018, Sitzung 10).
Bereits eine Quelle aus dem Jahr 2004 besagt, dass sich die Tradition gewandelt hat, und viele Ehen ohne Einbindung, Wissen oder Zustimmung der Eltern geschlossen werden (LI 14.6.2018, Sitzung 9f). Viele junge Somali akzeptieren arrangierte Ehen nicht mehr (LIFOS 16.4.2019, Sitzung 11). Gerade in Städten ist es zunehmend möglich, den Ehepartner selbst zu wählen (LIFOS 16.4.2019, Sitzung 11; vergleiche LI 14.6.2018, Sitzung 8f). In der Hauptstadt ist es nicht unüblich, dass es zu – freilich oft im Vorfeld mit den Familien abgesprochenen – Liebesehen kommt (LI 14.6.2018, Sitzung 8f). Dort sind arrangierte Ehen eher unüblich. Gemäß einer Schätzung konnten sich die Eheleute in 80 % der Fälle ihren Partner selbst aussuchen bzw. bei der Entscheidung mitreden. Zusätzlich gibt es auch die Tradition der "runaway marriages", bei welcher die Eheschließung ohne Wissen und Zustimmung der Eltern erfolgt (FIS 5.10.2018, Sitzung 26f). Diese Art der Eheschließung ist in den vergangenen Jahren immer verbreiteter in Anspruch genommen worden (LI 14.6.2018, Sitzung 11).
Durch eine Scheidung wird eine Frau nicht stigmatisiert, und Scheidungen sind in Somalia nicht unüblich (LI 14.6.2018, Sitzung 18f; vergleiche FIS 5.10.2018, Sitzung 27f). Bereits 1991 wurde festgestellt, dass mehr als die Hälfte der über 50-jährigen Frauen mehr als einmal verheiratet gewesen ist (LI 14.6.2018, Sitzung 18). Die Zahlen geschiedener Frauen und von Wiederverheirateten sind gestiegen. Bei einer Scheidung bleiben die Kinder üblicherweise bei der Frau, diese kann wieder heiraten oder die Kinder alleine großziehen. Um unterstützt zu werden, zieht die Geschiedene aber meist mit den Kindern zu ihren Eltern oder zu Verwandten (FIS 5.10.2018, Sitzung 27f). Bei der Auswahl eines Ehepartners sind Geschiedene in der Regel freier als bei der ersten Eheschließung (LI 14.6.2018, Sitzung 19). Auch bei al Shabaab sind Scheidungen erlaubt und werden von der Gruppe auch vorgenommen (ICG 27.6.2019, Sitzung 9).
In Somalia gibt es keine Tradition sogenannter Ehrenmorde im Sinne einer akzeptierten Tötung von Frauen, welche bestimmte soziale Normen überschritten haben – z. B. Geburt eines unehelichen Kindes (LI 14.6.2018, Sitzung 10). Ein uneheliches Kind wird allerdings als Schande für die ganze Familie der Frau erachtet. Mutter und Kind werden stigmatisiert, im schlimmsten Fall werden sie von der Familie verstoßen (FIS 5.10.2018, Sitzung 27).
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes.
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu Herkunft, Staatsangehörigkeit, Religion, Clanzugehörigkeit und Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers gründen sich im Wesentlichen auf die nicht bestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid sowie seine diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde und in dem Beschwerdeschriftsatz. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.
2.2. Zum Fluchtgrund des Beschwerdeführers:
2.2.1. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes konnte der Beschwerdeführer insbesondere aufgrund der nicht plausiblen Angaben zu den Gründen für seine Ausreise betreffend eine Bedrohung durch die Familie seiner einem Mehrheitsclan angehörigen Ehefrau keine aktuelle Gefährdung seiner Person im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat glaubhaft machen.
2.2.2. Zunächst fällt dazu auf, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung nur allgemein anführte, dass er seine Heimat wegen „der Sicherheit“ verlassen und dort „immer in Gefahr“ gelebt habe vergleiche AS 18), während er die heimlich erfolgte Eheschließung, die Schwangerschaft seiner Ehefrau oder etwaige Übergriffe auf seine Person durch deren Familie nicht einmal ansatzweise erwähnte. Dabei wird keinesfalls übersehen, dass die Erstbefragung gemäß Paragraph 19, Absatz eins, AsylG 2005 insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich - abgesehen von einem Folgeantrag - nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben vergleiche etwa VwGH 14.6.2017, Ra 2017/18/0001, mwN). Gleichwohl ist es aber nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen vergleiche VwGH 25.06.2019, Ra 2018/19/0546). Im vorliegenden Fall erschließt sich nicht, weshalb der Beschwerdeführer seinen im weiteren Verfahren behaupteten Fluchtgrund in der Erstbefragung mit keinem Wort zum Ausdruck brachte, sondern lediglich allgemein auf eine „immer“ bestandene Gefahr hinweisen sollte.
Auf dahingehenden Vorhalt meinte der Beschwerdeführer bloß, dass er „nicht genau gefragt“ und nicht zu weiteren Schilderungen aufgefordert worden sei vergleiche AS 48 und S 6 in OZ 4). Diese Argumentation ist aber nicht geeignet, zu erklären, weshalb er die nach seinen späteren Behauptungen eigentlich fluchtauslösenden Ereignisse, insbesondere die angeführte, clanübergreifende Eheschließung oder die Bedrohung durch die Familie seiner Ehefrau, nicht einmal kurz erwähnte. Vielmehr wäre es dem Beschwerdeführer zumutbar und von ihm auch zu erwarten gewesen, schon im Rahmen der polizeilichen Erstbefragung auf die Frage, warum er sein Land verlassen habe (Fluchtgrund), die für seine Ausreise ursächlichen Vorfälle zumindest anzudeuten.
Aber auch abgesehen von dieser erheblichen Steigerung in seinem Vorbringen vermochte der Beschwerdeführer vor allem aufgrund der fehlenden Plausibilität seiner Angaben die von ihm vorgetragenen Fluchtgründe nicht glaubhaft machen:
2.2.3. Insbesondere ist anhand der Erzählungen des Beschwerdeführers vollkommen auszuschließen, dass weder seine Eltern, noch jene seiner angeblichen Ehefrau von deren gemeinsamen Treffen etwas mitbekommen hätten, obwohl die Frau den Beschwerdeführer nach der Heirat am 15.07.2020 etwa 2-mal wöchentlich im Haus von seiner Familie besucht habe:
Der Beschwerdeführer führte dazu unter anderem aus, dass sie sich zwischen 19:00 Uhr bis 20:30 Uhr oder 21:00 Uhr getroffen hätten, wobei seine Eltern manchmal zu Hause gewesen wären vergleiche S 13 in OZ 4). Da man einen Haupteingang benutzen müsse, um in sein Zimmer zu kommen vergleiche S 13 in OZ 4), wäre aber anzunehmen, dass seine Eltern die über mehrere Monate von Mitte Juli bis Dezember 2020 andauernden Besuche seiner Frau bemerkt hätten. Zudem erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass niemand die beiden gehört habe, obwohl sie regelmäßig Geschlechtsverkehr in dem Haus gehabt hätten vergleiche S 14 in OZ 4).
Bezüglich der Eltern seiner Ehefrau meinte der Beschwerdeführer zunächst bloß, dass er nicht sagen könne, ob diese „es gespürt“ hätten, und stellte die Vermutung auf, dass diese gedacht hätten, dass sie auf dem Heimweg von der Arbeit sei vergleiche S 14 in OZ 4). Da nach den vorangegangenen Angaben des Beschwerdeführers sein Wohnsitz von jenem seiner Gattin etwa 45 bis 60 Minuten zu Fuß entfernt gewesen sei vergleiche S 9 in OZ 4), kann aber nicht angenommen werden, dass ihrer Familie nichts aufgefallen sei oder diese nicht nachgefragt habe, warum die Ehefrau des Beschwerdeführers erst gegen 21:30/22:00 Uhr nach Hause komme. Selbst wenn man entsprechend der Angaben des Beschwerdeführers davon ausgeht, dass diese ihren Eltern grundsätzlich nicht habe Bescheid geben müsse, wenn sie nicht für eine längere Zeit und nicht weit weg aus dem Dorf gegangen sei vergleiche S 14 in OZ 4), so wäre angesichts der Häufigkeit der Treffen sowie der Uhrzeit bei der Rückkehr jedenfalls zu erwarten gewesen, dass sich deren Eltern erkundigt hätten, wo sie gewesen sei. Auf dahingehenden Vorhalt verwies der Beschwerdeführer aber bloß darauf, dass sie nicht täglich „diese Stunden“ weggewesen sei vergleiche S 15 in OZ 4). Dieser Umstand ist aber nicht geeignet zu erklären, dass deren Familie nicht zu ihrem regelmäßigen Fernbleiben am Abend nachgefragt hätte, obwohl der Beschwerdeführer selbst zuvor in der Befragung nicht ausschloss, dass diese einen Verdacht geschöpft haben könnte vergleiche S 14 in OZ 4).
2.2.4. Außerdem sind die Schilderungen des Beschwerdeführers zu dem gegen ihn gerichteten Angriff nach Bekanntwerden der Schwangerschaft seiner Ehefrau nicht überzeugend. Dazu beschrieb er in der Beschwerdeverhandlung vergleiche S 16 in OZ 4): „Zwei Brüder meiner Frau haben mich angegriffen. Sie wollten mich umbringen. Sie hätten mich getötet, wenn ich in ihre Hände geraten wäre. Sie haben mich aber verletzt. Sie haben mich geschlagen.“ Dabei erschließt sich zunächst nicht, dass der Beschwerdeführer betreffend die beabsichtigte Tötung darauf verwies, dass diese erfolgt wäre, wenn er „in ihre Hände geraten“ wäre, obwohl er sogleich danach anführte, dass sie ihn geschlagen hätten. Aber auch unabhängig davon vermochte der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar darzulegen, wie er im Zuge des Übergriffs bei ihm zu Hause habe überleben können. Sofern der Beschwerdeführer diesbezüglich anführte, er habe fliehen können, blieben seine Ausführungen dazu äußerst vage. Insbesondere konnte er nicht erklären, wie ihm die Flucht gelungen sei, obwohl ihm die zwei Brüder körperlich überlegen gewesen sein mussten vergleiche S 17 in OZ 4, arg. „R: Aber die Brüder waren Ihnen gegenüber überlegen, oder? BF: Nachdem sie mich verletzt haben, habe ich gleich danach versucht, zu flüchten und ich konnte davonlaufen. Sonst hätten sie mich umgebracht. Da bin ich mir sicher.“).
2.2.5. Eine Tötungsabsicht seitens der Familie der Ehefrau ist auch anhand der vorliegenden Länderinformationen nicht anzunehmen. So kommt es bezüglich Mischehen zwar weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, insbesondere dann wenn – wie vorliegend behauptet – eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Auch ist der Druck auf Mischehen vor allem in ländlichen Gebieten ausgeprägt. Es bestehen aber regionale Unterschiede, somit werden Mischehen im Clan-mäßig homogeneren Norden stärker stigmatisiert als im Süden, aus dem der Beschwerdeführer stammt. Außerdem sieht der Clan der Hawiye, zu dem auch die Ehefrau des Beschwerdeführers gehöre vergleiche S 10 in OZ 4), Mischehen weniger eng. Darüber hinaus führt eine Mischehe so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen.
In den Länderberichten wird zwar auch dargelegt, dass Mischehen negative Folgen mit sich bringen können; insbesondere wenn der Mann – wie gegenständlich der Beschwerdeführer – einer Minderheit angehört. Dazu wird aber weiter ausgeführt, dass es häufig, vor allem in ländlichen Gebieten, zur Verstoßung des aus einem „noblen“ Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen kommt. Zu einer solchen Verstoßung der Ehefrau sei es laut den Angaben des Beschwerdeführers aber nicht gekommen vergleiche S 16 in OZ 4). Zudem sorgt eine Mischehe laut der Länderinformation der Staatendokumentation zwar für Diskussion und Getratsche, wird aber nach einer gewissen Zeit meist akzeptiert.
Vor diesem Hintergrund ist es aber äußerst unwahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer einer maßgeblichen Gefährdung wegen der behaupteten Mischehe unterlegen sei oder eine solche im Fall seiner Rückkehr zu befürchten habe. Insbesondere erscheint es nahezu ausgeschlossen, dass die Brüder der Ehefrau versucht hätten, den Beschwerdeführer umzubringen. Die vom Beschwerdeführer vorgetragenen Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaats sind daher auch insofern massiv in Zweifel zu ziehen.
2.2.6. Ferner ist festzuhalten, dass es der Familie der Ehefrau offenbar auch während des ca. 22 Tage dauernden Aufenthalts des Beschwerdeführers in Mogadischu vergleiche S 18 in OZ 4) nicht gelungen sei, diesen zu finden. Hätten ihre Brüder bzw. sonstigen Angehörigen aber tatsächlich ein derart großes Interesse an der Person des Beschwerdeführers gehabt, wie von ihm dargestellt, so wäre jedenfalls davon auszugehen gewesen, dass es diesen möglich gewesen wäre, den Beschwerdeführer dort bei seiner Cousine zu finden. Dabei wird auch nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer angibt, das Haus nicht verlassen zu haben. Da die Brüder der Ehefrau aber von seinem Aufenthalt in der Stadt gewusst hätten vergleiche S 19 in OZ 4), wäre davon auszugehen, dass sie auch in der Lage hätten sein müssen, ihn dort vor seiner Ausreise bei seiner Verwandten zu finden. Den Angaben des Beschwerdeführers lässt sich aber nicht einmal entnehmen, dass die Brüder sich überhaupt auf den Weg nach Mogadischu gemacht hätten oder versucht hätten, seinen genauen Aufenthaltsort in Mogadischu, etwa durch Unterdrucksetzung seiner Kernfamilie im Heimatdorf, herauszufinden.
2.2.7. Zudem bestehen auffallende Ungereimtheiten in den Angaben des Beschwerdeführers zum Alter seiner Ehefrau. Dazu gab er vor dem erkennenden Richter einerseits an, dass diese bei deren Kennenlernen im Dezember 2019 ungefähr 19 Jahre alt gewesen sei vergleiche S 7 in OZ 4). Ausgehend von seinem im gegenständlichen Verfahren genannten Geburtsdatum im Jahr 2001, wäre der Beschwerdeführer beim ersten Treffen erst 18 Jahre alt gewesen und müsste damit jünger sein als die Ehefrau. Auf dahingehende Nachfrage meinte er aber, dass er etwa 1-1,5 Jahre älter als diese sei vergleiche S 7 in OZ 4). Diese Altersdifferenz stimmt zwar wiederum mit seiner Schätzung des Alters der Frau in der Einvernahme vor der belangten Behörde im Oktober 2022überein, wonach diese damals ca. 20 Jahre alt gewesen sei vergleiche AS 45), während der Beschwerdeführer – wiederum ausgehend von seinem angegebenen Geburtsdatum – im Alter von 21 Jahren gewesen sei; dem Beschwerdeführer wäre aber zumutbar gewesen, im gegenständlichen Verfahren miteinander in Einklang zu bringende Altersangeben zu tätigen. Auf Vorhalt, dass seine Frau nach seiner Antwort in der Beschwerdeverhandlung eigentlich älter wäre als er, verneinte der Beschwerdeführer dies nur und verwies nur darauf, dass sie ihm damals ihr geschätztes Alter genannt habe und nicht mehr sagen könne. Dies vermag die divergierenden Angaben des Beschwerdeführers in diesem Kontext aber nicht einmal ansatzweise zu erklären.
Aber auch wenn man die dem Beschwerdeführer beim erstmaligen Treffen mitgeteilte Altersschätzung von 19 Jahren zugrunde legt, so wäre davon auszugehen, dass die Frau zu diesem Zeitpunkt längst im heiratsfähigen Alter gewesen wäre. Anhand der vorliegenden Länderinformationen zum Ehe-Alter und zu Kinderehen, werden Mädchen nämlich oft zwischen 10 und 16 Jahren verheiratet, wobei die Eheschließung von den Eltern schon sehr früh vereinbart wird. Die eigentliche Hochzeit erfolgt, wenn das Mädchen die Pubertät erreicht. Zudem wird eine frühe Ehe als kulturelle und religiöse Anforderung wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund ist jedoch wahrscheinlich, dass die angebliche Ehefrau des Beschwerdeführers zum damaligen Zeitpunkt bereits verheiratet oder zumindest ihre künftige Eheschließung mit einem anderen Mann schon ausgemacht worden sei.
2.2.8. Außerdem vermochte der Beschwerdeführer nicht schlüssig darzulegen, weshalb er mit seiner Ehefrau im Heimatdorf verblieben sei. Der Beschwerdeführer brachte begründend dazu vor, dass die Familie seiner Frau ihn sicher verfolgt hätte, wenn sie woanders hingezogen wären vergleiche S 20 in OZ 4). Gegenständlich erscheint jedoch fraglich, ob es der Familie der Ehefrau wirklich möglich gewesen wäre, den Beschwerdeführer und seine Frau in einem anderen Landesteil zu finden. Vielmehr wäre im Fall einer Wahrunterstellung der vom Beschwerdeführer beschriebenen Geschichte anzunehmen, dass er und seine Frau durch den Verbleib im Heimatdorf einer viel größeren Bedrohung ausgesetzt gewesen wäre, zumal sie wissen mussten, dass sie früher oder später gefährdet seien, insbesondere falls seine Ehefrau schwanger wird. Vor diesem Hintergrund ist aber nicht erklärlich, dass der Beschwerdeführer sich selbst (und seine Frau) durch die heimliche Hochzeit und das Führen einer Beziehung einer derartigen Gefahr aussetzen würde.
2.2.9. Vor dem Hintergrund der dargelegten Umstände gelang es dem Beschwerdeführer im Ergebnis nicht, eine Gefährdung durch die Familie seiner angeblichen Ehefrau im Fall seiner Rückkehr nach Somalia glaubhaft zu machen.
Der Vollständigkeit halber ist in diesem Kontext auch darauf hinzuweisen, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Bedrohung weder von staatlichen Stellen oder der Al Shabaab, sondern von Privatpersonen ausgehe. Der Beschwerdeführer habe nach seinen Schilderungen aber nicht einmal versucht, Schutz durch die Behörden seines Herkunftsstaats, etwa in den von der Regierung kontrollierten Städten Buulo Barde oder Belet Weyne, zu erlangen (S 17 in OZ 4). Auch wenn die Polizisten dort dem gleichen Clan wie die Familie seiner Ehefrau angehören, kann nicht per se angenommen werden, dass die heimatstaatlichen Behörden dem Beschwerdeführer in der vorliegenden Konstellation keinen Schutz zukommen lassen würden.
2.2.10. Betreffend das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers zu einer Bedrohung aufgrund seiner Clanzugehörigkeit ergeben sich aus seinen Schilderung keine für das gegenständlichen Verfahren maßgebliche Gefährdungsmomente bezogen auf die Person des Beschwerdeführers. Selbst wenn es gelegentlich zu Diskriminierungen des Beschwerdeführers gekommen sein mag, kann nicht angenommen werden, dass diese eine verfahrensgegenständlich relevante Intensität erreichen würde vergleiche S 6f in OZ 4, arg. „R: Wann hat das begonnen und wie genau hat das ausgesehen? BF: Diese Diskriminierung uns gegenüber hat immer existiert, schon bereits vor meiner Geburt. Auch meine Eltern hat es betroffen. R: Aber Sie konnten vier Jahre die Grundschule besuchen und auch über mehrere Jahre den Beruf als Landwirt ausüben. Ist das richtig? BF: Ja. R: Dann kann ja die Diskriminierung nicht so schwerwiegend gewesen sein, sonst wäre Ihre Familie schon längst in eine andere Region gezogen. BF: In ganz Somalia werden meine Clanleute diskriminiert und es macht keinen Unterschied von einer Region zur anderen.“).
Etwaige maßgebliche Probleme bezüglich seiner Clanzugehörigkeit hat er im Verfahren somit nicht behauptet. Ferner ist auf die Länderinformationen zu verweisen, wonach Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Verfolgung mehr ausgesetzt sind. Eine asylrelevante Gefährdung des Beschwerdeführers alleine wegen seiner Clanzugehörigkeit kann daher nicht erkannt werden.
Abschließend bleibt lediglich der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass allfälligen dem Beschwerdeführer drohenden, nicht asylrelevanten Gefährdungen durch die bereits von der belangten Behörde erfolgte Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ausreichend Rechnung getragen wurde.
2.3. Zum Herkunftsstaat:
Es wurde vor allem Einsicht genommen in folgende Erkenntnisquelle des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers:
Länderinformation der Staatendokumentation „Somalia“ vom 17.03.2023 (Version 5)
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln.
Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ermöglicht, zu den herangezogenen Länderberichten eine Stellungnahme abzugeben, wobei diese darauf unter Verweis auf den Beschwerdeschriftsatz, in welchem diesen nicht substantiiert entgegengetreten wurde, verzichtete.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zu Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides:
3.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 leg.cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge Bundesgesetzblatt 55 aus 1955, (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005, die auf Artikel 9, der RL 2004/83/EG des Rates verweist).
Im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist vergleiche VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde vergleiche VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt vergleiche VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht vergleiche VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, ist auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus vergleiche VwGH 11.06.1997, 95/01/0627).
„Glaubhaftmachung" im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2 der GFK ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden. Zudem ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen vergleiche VwGH 09.05.1996, 95/20/0380). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema vergleiche VwGH 30.09.2004, 2001/20/0006, betreffend Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten vergleiche VwGH 28.05.2009, 2007/19/1248; 23.01.1997, 95/20/0303) reichen für sich alleine nicht aus, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten vergleiche VwGH 26.11.2003, 2001/20/0457).
3.2. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt vergleiche oben, 2.2.), kommt dem Beschwerdeführer hinsichtlich seines Vorbringens zur Verfolgungsgefahr keine Glaubwürdigkeit zu. Zudem konnte entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden, dass dieser nach einer allfälligen Rückkehr nach Somalia Verfolgungshandlungen bzw. Bedrohungssituationen ausgesetzt wäre.
3.3. Daher ist die gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides erhobene Beschwerde abzuweisen.
Da sich die vorliegende Beschwerde ausdrücklich nur gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides richtet, sind die Spruchpunkte römisch II. und römisch III. bereits in Rechtskraft erwachsen.
Zu B)
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
ECLI:AT:BVWG:2023:W123.2263042.1.00