Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

10.10.2023

Geschäftszahl

W123 2261350-1

Spruch


W123 2261350-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Somalia, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.09.2022, Zl. 1289209810/211735378, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

1.           Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 14.11.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.           Im Rahmen der am 15.11.2021 durchgeführten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, er sei von der Terroristengruppe Al Shabaab gezwungen worden, mit diesen zu kämpfen. Er wolle das jedoch nicht, weshalb er geflohen sei. Im Fall der Rückkehr in seine Heimat habe er Angst um sein Leben.

3.           Am 22.06.2022 fand die Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) statt. Die Niederschrift lautet auszugsweise:

„[…]

Angaben zu Ihrem Fluchtgrund

F: Hatten Sie jemals persönliche Probleme aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, Ihres Religionsbekenntnisses, Ihrer Rasse, Ihrer Nationalität, aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen Ihrer politischen Überzeugung? Bitte die folgenden Fragen, vorerst nur mit ja oder nein beantworten.

A: Nein. Nur wegen meiner Clanzugehörigkeit.

F: Was war der konkrete Grund, warum Sie die Heimat verlassen haben? Erzählen Sie bitte möglichst chronologisch über alle Ereignisse, die Sie persönlich zum Verlassen der Heimat veranlasst haben (freie Erzählung)!

A: Am 28.09.2020 war ich bei meinem Arbeitsplatz und habe als Installateur gearbeitet. Drei Mitglieder von der Al Shabab kamen mit dem Auto. Einer war unmaskiert und die anderen beiden hatten Masken auf. Sie waren auf bewaffnet. Sie stiegen aus und haben mich und meinen Kollegen aufgefordert mitzufahren. Sie haben mir die Augen verbunden und mich außerhalb von der Stadt gebracht wo sie ungestört waren. Das Lager in das wir gebracht wurden, dort waren noch 30 andere Mitglieder von der Al Shabab und alle waren markiert. Die beiden Mitglieder von der Al Shabab haben uns zur Rede gestellt und sie meinten, dass wir uns ihnen anschließen müssen. Sie sagten, dass sie mehr zahlen und Gott hilft auch, da wir etwas Gutes tun würden. Dann sagte plötzlich das zweite Mitglied, dass wir uns unbedingt anschließen müssen. Ich hatte nicht darauf geantwortet und mein Kollege meinte, dass wir uns anschließen. Ich habe auch ok gesagt. Ich wollte eigentlich nicht aber ich dachte wenn ich nein sage, würden sie mich umbringen.

Die beiden sagten dann, dass wenn wir uns doch nicht anschließen und zurücktreten, werden sie uns finden und uns töten. Einer sagte, dass Sie uns eine Granate geben und wir die bei einem Regierungsgebäude deponieren sollen. Wir sollten dort ein Loch machen und die Granate dort reineinlegen. Das wäre neben der Straße vor den Regierungsgebäude gewesen. Wir waren beide einverstanden und haben ja gesagt. Ich hatte einmal einen Anruf von Frau römisch 40 erhalten, sie ist Dolmetscherin bei der AMISON, ich hatte dort einmal als Installateur gearbeitet. Die Mitglieder fragten gleich, warum ich dort einmal gearbeitet habe. Sie sagte, dass ich dort nicht mehr hingehen darf und dort nicht arbeiten darf. Sie meinten, dass wenn sie anrufen, muss ich sofort abheben. Sie haben uns dann wieder nach Hause gehen lassen.

Mein Freund meinte dass ich eine Anzeige machen soll und ich habe beim Polizeikommando in Merka angerufen. Wir sollten uns dann gegen 18:00 treffen. Wir sind dann zurück zu unserem Arbeitsplatz gekommen. Jemand hatte aber die Werkzeuge gestohlen und unser Chef meinte, dass er uns das Geld vom Lohn abzieht. Um 18:00 haben wir uns dann mit der Polizei getroffen.

Wir haben dann alles erzählt und der meinte, dass alles ok ist und dass wir uns wieder melden sollen, wenn wir wieder einen Anruf erhalten.

Am 29.09.2020 gegen ca. 15:00 erhielt ich einen Anruf von der Al Shabab. Ich habe dann gleich die Polizei angerufen und wir sollten uns treffen. Die Polizei hatte sich dann versteckt. Es kam dann ein Mann mit einer Kühltasche in der Granaten waren und obenauf war Eis. Die Polizei kam dann raus und hat den Mann verhaftet. Sie haben in befragt und der Mann hat zugegeben dass noch zwei andere Männer da sind und die Polizei hatte diese dann auch verhaftet.

Der Täter gab zu, dass er offiziell Eiscreme verkauft. Es gibt noch zwei andere, der eine verkauft Fleisch und der andere Lebensmitteln. Der Plan war die Gruppe größer zu machen. Die Polizei hat alle drei verhaftet. Am 30.09.2020 sind wir dann ganz normal zur Arbeit gegangen. Ich war mit meinem Kollegen nach der Arbeit einkaufen. Als wir in Richtung nach Hause gingen. Drei Männer hatten uns dann verfolgt. Mein Kollege meinte, dass er keine Angst hat so wie ich und wir normal gehen sollen. Sie haben uns dann verfolgt und ich bin dann gleich um die Kurve gegangen und begann zu laufen. Es gab ein Haus mit einem Blechzaun und da bin ich dann rüber gesprungen. Mein Freund lief gerade aus und sie hatten ihn dann angeschossen. Sie haben auch in meine Richtung geschossen, aber sie trafen nur das Blech. Ich bin dann weitergelaufen und wieder über den Blechzaun rausgesprungen. Ich bin dann zur Polizei und ich wurde in das Krankenhaus gebracht und dort bekam ich eine medizinische Versorgung, weil ich mir beim Blech eine Schnittwunde zugezogen habe. Die Wunde wurde dann genäht. Ich habe dann mit meiner Frau telefoniert. Ich habe ihr gesagt, dass mein Kollege getötet wurde und ich gesucht werde. Ich sagte sie soll sofort die Wohnung verlassen. Dann habe ich mit dem Polizisten telefoniert, aber der hob nicht ab. Dann habe ich mit meinen Eltern telefoniert und ich habe alles meiner Mutter erzählt. Sie meinte ich soll zu ihr kommen.

Ich habe dann entschlossen, dass ich Somalia verlassen muss, weil sie mir sagten, dass sie mich überall finden werden. Meine Mutter hat dann mit einem Kollegen meines Vaters telefoniert und um Hilfe gebeten. Ich bin am 01.10.2021 in ein Boot in Richtung Mogadischu eingestiegen. Ich bin dann zu den Freunden meines Vater gegangen und habe sie um Hilfe gebeten. Ich bin dann zum Büro gegangen, habe den Reisepass und ein Visum organisiert und bin dann am 15.10.2020 nach Istanbul geflogen.

Im Jänner 2020 war unser Vater auf dem Feld und mehrere Männer kamen zu ihm und haben ihn aufgefordert das Land zu verlassen. Er sagte nein, dass sei seines und es hat ein Streit begonnen und einer nahm eine Machete und hat ihm den ganzen Arm samt Schulter abgeschlagen. Ich habe davon auch Fotos. Danach sind die Leute gegangen und andere Leute haben ihn durch Zufall gesehen. Sie haben ihn dann in das Krankenhaus gebracht. Ich habe dann einen Anruf bekommen, und sie teilten mir das mit. Ich war erst 5 Tage im Krankhaus bei meinem Vater. Erst dann habe ich eine Anzeige gemacht. Ich bin zur Polizei gegangen und habe ich dann eine Anzeige erstattet. Mich rief dann später die Polizei an und sagte, dass die Männer aus römisch 40 kommen und Sie sich da nicht einmischen möchten, weil die zu einem älteren Clan gehören. Im Februar wollte ich meine Frau von römisch 40 holen. Meine Frau war in römisch 40 , das ist in der Nähe von römisch 40 . Ich traf zufällig die Männer und Sie haben mich in einem Auto mitgenommen und mich dann geschlagen und fragte, warum ich sie angezeigt hätte. Sie haben mich mit einer Kette am Fuß und den Händen gefesselt und in einem Zimmer eingesperrt. Es kamen dann die AMISON Truppen und haben alles kontrolliert, ein Soldat öffnet dann die Türe zum Zimmer und sie haben mich dort gefunden. Ich hatte denen dann alles erzählt. Die AMISON Truppen haben mich dann zu ihrem Lager gebracht. Der Kommandeur fragte dann, ob ich alleine gehen kann oder ob ich Hilfe brauchte. Ich sagte, dass ich nicht alleine gehen kann. Nach 2 Tagen bin ich dann mit den AMISON Truppen von römisch 40 nach Merka mitgefahren. Ich erhielt dann noch einen Anruf von den Männern. Sie drohten mir, dass wenn ich eine Anzeige gegen Sie erstatten werde, werden sie mich töten. Deshalb machte ich keine Anzeige mehr.

Anmerkung: Eine pause wird angeordnet.

Beginn der Pause: 13:20

Ende der Pause: 13:35

F. Aus welchem Grund haben Sie den Vorfall mit Ihrem Vater mit keinem einzigen Wort erwähnt?

A: Ich habe in meinem Leben nie eine Befragung gehabt und ich war sehr müde. Ich hatte 7 Tage lang nichts gegessen. Der Dolmetscher meinte, dass ich meinen Fluchtgrund später noch erzählen. Den Vorfall mit meinem Vater habe ich nicht erwähnt, weil ich sehr müde war. Ich hatte Rückenweh und hatte Schmerzen. Der Schlepper hatte mir Medikamente gegeben und ich konnte dann wieder gehen und zu Fuß weitergehen.

F: Haben Sie diese Männer vor diesen Vorfall jemals gesehen?

A: Die Männer sind somalische Soldaten. Sie befinden sich römisch 40 .

F: Haben die Männer vor diesen Vorfall Sie jemals gesehen?

A: Ja, diese Männer kenne ich schon. Sie sind auch nach Merka gekommen.

F: Sie gaben heute an, dass Sie im Februar Ihre Frau holen wollten und von den Männern entführt wurden. Woher wussten die Männer, dass Sie der Sohn sind und Sie die Anzeige gemacht hatten?

A: Diese Männer stammen aus römisch 40 und das ist nicht weit weg von Merka. Ich bin in Merka als Installateur berühmt, deshalb.

F: Wie meines Sie das sie sind als Installateur in Merka berühmt?

A: Ich bin dort geboren und aufgewachsen. Ich machte dort sehr viele Installateurarbeiten.

F: Sie gaben heute an, dass Sie nachdem Sie von den AMISON Truppen befreit wurden Sie später nochmals von den Männern angerufen wurde. Woher hatten die

A: Als sie mich geschlagen haben, haben Sie mein Handy genommen. Ich kaufte dann eine neue SIM-Karte mit der gleichen Telefonnummer. Deshalb haben Sie meine Nummer gewusst.

F: Warum haben Sie sich nicht einfach eine neue Nummer geholt?

A: Ich hatte mir einfach eine neue Sim-Karte mit der alten Nummer besorgt.

F: haben nach diesem Vorfall nochmals einen Anruf erhalten?

A: Nein nur einmal. Ich habe dann aufgehört mit der Anzeige.

F: Sind Sie von den Personen nochmals bedroht worden?

A: Nein, nur das einmal. Sie meinten, dass wenn ich das weitermache werden sie mich töten und ich habe deshalb aufgehört.

F: Was machten die AMISON-Truppen, nachdem sie befreit wurden?

A: Sie haben nichts gemacht.

F: Welches Auto fuhren die Männer, als Sie entführt wurden?

A: Einen Land Cruiser, es ist ein Pickup mit einer Ladefläche und Sie trugen die Uniform der somalischen Soldaten.

F: Wieviel Lohn hätten Sie erhalten, wenn Sie bei der Al Shabab mitgemacht hätten?

A: Das weiß ich nicht, den Betrag sagten sie nicht.

Vorhalt: Es macht überhaupt keinen Sinn jemanden zwangsweise zu rekrutieren und ihm zusätzlich einen Gehalt zu zahlen. Wie erklären Sie das?

A: Sie haben mich mitgenommen und außerhalb der Stadt gebracht und ich mich der Gruppe anschließen soll. Sie sagten, dass ich auch Geld bekomme. Aber ich weiß es nicht warum Sie so einen Druck gemacht haben. Sie sagten ich würde dann ihnen helfen und ich würde als Gegenleistung Geld erhalten.

F: Wie weit war die Entfernung zwischen Ihrem Arbeitsplatz und dem Lager der Al Shabab?

A: Ich kann das nicht schätzen mit dem Auto, weil Sie mir die Augen verbunden haben. Zu Fuß waren es ca. 30 bis 35 km. Da wo sie mich hingebracht haben das ist nicht ein Lager sondern ruhiger Platz.

Vorhalt: Sie gaben an, dass Sie vom Arbeitsplatz von drei Mitglieder der Al Shabab mitgenommen wurden und Ihnen die Augen verbunden wurde. Sie werden zwangsweise rekrutiert und man lässt Sie dann einfach so wieder gehen. Welchen Sinn macht es dann bei der Hinfahrt ihnen die Augen zu verbinden?

A: Ich dacht, dass Sie mir die Augen verbunden, weil Sie verbergen wollten, auf welcher Straße wir dort hingefahren sind.

Vorhalt: Sie gaben gerade an, dass Sie an einen ruhigen Platz gebracht wurden. Ihre Antwort ergibt weiterhin keinen Sinn, da Sie danach zu Fuß ohne verbundene Augen zurückgehen konnten. Wie haben Sie den Weg zurück zu Ihrem Arbeitsplatz gefunden?

A: Es gibt noch das nächste Dorf mit dem Namen römisch 40 Merka. Wenn man nein sagt, dann bringen Sie einen dort hin. Ich habe aber zugestimmt und deshalb haben Sie mich freigelassen.

F: Was genau befindet sich in diesem Dorf?

A: Ich war dort noch nie, es ist ca. 20 km von Merk entfernt.

F: Sie gingen am 01.10.2020 nach Mogadischu und reisten erst am 15.10.2020 aus. Wo genau haben sich dort aufgehalten?

A: Ich habe mich bei einem Bekannten von meiner Mutter. Er heißt römisch 40 .

F: Wurden Sie in dieser Zeit von der Al Shabab bedroht?

A: Ich habe eine SMS von den Mitgliedern der AL Shabab erhalten. Mir wurde 10 USD geschickt und ich sollte die Kleidung für meine Beerdigung kaufen.

F: Woher hatte die Al Shabab Ihre Telefonnummer?

A: Als Sie zu kamen hatten Sie mein Handy genommen und haben nachgesehen welche Nummer ich habe und welche Kontakt ich habe.

F: Aus welchem Grund haben Sie nach dem Vorfall mit der Al Shabab nicht die Nummer gewechselt?

A: Die Al Shabab hat mich bedroht und Geld geschickt zum Kleidung kaufen für meine Beerdigung. Da habe ich mich dann entschieden das Handy auszuschalten und die SIM-Karte rauszunehmen.

F: Die Frage wird wiederholt. Aus Welchem Grund haben Sie eine neue SIM-Karte mit neuer Telefonnummer geholt?

A: Weil ich habe die SIM-Karte behalten weil ich eine Anzeige gegen die Al Shabab gemacht habe und die Polizei mich noch anrufen hätte können. Die Polizei meinte ich bräuchte keine Angst vor denen haben und ich könnte meine SIM-Karte behalten.

F: Aus welchem Grund haben Sie sich nach der Drohung nicht erneut an die Polizei gewandt?

A: Ich habe eine Anzeige gegen die Al Shabab gemacht. Der Polizist hat dann drei Männer eingesperrt.

F: Warum haben Sie sich nicht erneut an die Polizei gewandt? Ihnen wurde doch bereits beim erstmal schon geholfen?

A: Ich habe die Entscheidung getroffen, Somalia zu verlassen und bin nach Mogadischu. Dort hatte ich dann erst den Anruf erhalten. Die Mitglieder der Al Shabab haben meinen Kollegen getötet, durch diese Flucht bin ich verletzt worden und kam in Krankenhaus. Dann habe ich den Polizisten angerufen und er ging nicht mehr ran. Ich ging dann direkt zur Polizei und der Wachmann hat mich gefragt warum ich hierhergekommen bin. Ich sagte ich möchte zum Polizisten. Er meinte, dass der nicht da ist und ich morgen wieder kommen kann. Ich fragte den Wachmann, ob er die private Nummer hat. Er meinte, dass er nur die Dienstnummer wie ich habe und ich dort anrufen kann. Ich bin dann gegangen.

F: Sind Sie am nächsten Tag nochmals zur Polizei?

A: Nein.

F: Warum nicht?

A: Ich war dort und der Wachmann meinte, dass ich gehen soll und den Polizisten anrufen soll. Der hat aber nicht abgehoben.

F: In der Erstbefragung erwähnten Sie diese Details mit keinem einzigen Wort. Wie erklären Sie das?

A: Ich war sehr müde und hatte Schmerzen. Der Schlepper hatte mir Medikamente gegeben und es war meine erste Befragung in meinem Leben.

F: Sind sie legal oder illegal ausgereist?

A: Legal.

F: Wie konnten Sie legal ausreisen, wenn Sie in Somalia gesucht werden?

A: Der Schlepper hatte alles organisiert.

F: Sind das alle Fluchtgründe?

A: Das war alles. Ich habe nichts mehr hinzuzufügen.

[…]“

4.           Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für 1 Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).

5.           Gegen den Spruchpunkt römisch eins. des obgenannten Bescheides der belangten Behörde richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 19.10.2022, in der der Beschwerdeführer einleitend sein bisheriges Vorbringen zusammenfasste und weiters vorbrachte, die belangte Behörde habe wichtige Ermittlungsschritte unterlassen, indem der Beschwerdeführer zu seinen angesprochenen Problemen wegen der Clanzugehörigkeit nicht näher befragt und ein Vorfall mit seinem Vater als nicht asylrelevant erachtet worden sei. Außerdem habe sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit den Berichten über die Lage in Somalia auseinandergesetzt und sei die im angefochtenen Bescheid enthaltene Beweiswürdigung aufgrund näher dargestellter Gründe mangelhaft. Neben dem bereits vorgebrachten Asylgrund wegen einer Verfolgung durch die Al Shabaab sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer einem Minderheitenclan angehöre und seine Familie Opfer eines Clankonflikts geworden sei. Alle diese Umstände würden zumindest kumulativ eine asylrelevante Verfolgung bilden.

6.           Am 13.09.2023 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinen Gründen für die Ausreise aus Somalia befragt wurde. Seine Rechtsvertretung wurde darauf hingewiesen, dass die aktuelle Länderinformation der Staatendokumentation Somalia der Entscheidung zugrunde gelegt wird, wobei dieser unter Verweis auf den Beschwerdeschriftsatz auf die Einräumung einer Frist zur Abgabe einer Stellungnahme dazu verzichtete.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist ein somalischer Staatsangehöriger und Moslem. Er gehört dem Clan der Dir, Subclan Biyomaal an, spricht Somali und stammt aus der Stadt Merka in der Region Lower Shabelle.

1.1.2. Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass er bei einer allfälligen Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt wäre bzw. ein besonderes Interesse an der Person des Beschwerdeführers besteht bzw. bestehen könnte.

Der Beschwerdeführer konnte insbesondere nicht glaubhaft machen, dass die Al Shabaab ihn entführt und seinen Anschluss verlangt oder ihn bedroht habe, weil er eine Anzeige bei der Polizei erstattet habe. Der Beschwerdeführer konnte ferner nicht glaubhaft machen, dass er im Fall der Rückkehr nach Somalia einer individuellen Gefährdung durch die Al Shabaab unterliege.

Der Beschwerdeführer konnte ferner nicht glaubhaft machen, dass er persönlich wegen seiner Clanzugehörigkeit etwaigen Bedrohungen, insbesondere durch Angehörige der Habr Gedir, ausgesetzt gewesen sei oder solche im Fall seiner Rückkehr zu befürchten haben.


1.2. Zum Herkunftsstaat:

Auszug Länderinformation der Staatendokumentation vom 17.03.2023 (Version 5)

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Letzte Änderung: 15.03.2023

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2023). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, wird die Lage über die Kontrolle geringer Teilgebiete von Puntland von al Shabaab beeinflusst - und in noch geringeren Teilen vom Islamischen Staat in Somalia - während es hauptsächlich an Clandifferenzen liegt, wenn Puntland tatsächlich keinen Zugriff auf gewisse Gebiete hat. In Süd-/Zentralsomalia ist die Situation noch viel komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (BMLV 9.2.2023).

https://stp-intern-p.justiz.cal.local/at.gv.bfa.coicms-p/services/file/0f2884694870407c11db8f51df0b9872e90a6db7PGN 23.1.2023

Al Shabaab

Letzte Änderung: 17.03.2023

Al Shabaab ist eine radikal-islamistische, mit der al Qaida affiliierte Miliz (AA 28.6.2022, Sitzung 5; vergleiche SPC 9.2.2022). Die Gruppe erkennt die Bundesregierung nicht als legitime Regierung Somalias an (UNSC 10.10.2022, Absatz 5,) und lehnt die gesamte politische Ordnung Somalias, die sie als unislamisch bezeichnet, ab (Sahan 20.7.2022). Al Shabaab war mit Stand August 2022 stärker und besser entwickelt als im Jahr 2012 (BBC 24.8.2022). Im Zuge der politischen Machtkämpfe 2021 ergab sich für al Shabaab die Möglichkeit, die politische Elite als korrupt und inkompetent und sich selbst als verlässliche Alternative darzustellen (TNH 20.5.2021). Die Gruppe ist weiterhin eine gut organisierte und einheitliche Organisation mit einer strategischen Vision: die Eroberung Somalias (BMLV 9.2.2023; vergleiche BBC 18.1.2021) bzw. die Durchsetzung ihrer eigenen Interpretation des Islams und der Scharia in "Großsomalia" (USDOS 2.6.2022, Sitzung 6) und der Errichtung eines islamischen Staates in Somalia (CFR 19.5.2021). Al Shabaab ist eine tief eingegrabene, mafiöse Organisation, die in fast allen Facetten der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik integriert ist (GITOC 8.12.2022). Der Anführer von al Shabaab ist Ahmed Diriye alias Sheikh Ahmed Umar Abu Ubaidah (UNSC 10.10.2022, Absatz 5,).

Al Shabaab kontrolliert auch weiterhin große Teile Süd-/Zentralsomalias und übt auf weitere Teile, wo staatliche Kräfte die Kontrolle haben, Einfluss aus. Nachdem al Shabaab in den vergangenen zehn Jahren weiter Gebiete verlustig ging, hat sich die Gruppe angepasst. Ohne Städte physisch kontrollieren zu müssen, übt al Shabaab durch eine Mischung aus Zwang und administrativer Effektivität dort Einfluss und Macht aus (BMLV 9.2.2023).

Verwaltung: Während al Shabaab terroristische Aktionen durchführt und als Guerillagruppe agiert, versucht sie unterhalb der Oberfläche eine Art Verwaltungsmacht zu etablieren - z. B. im Bereich der humanitären Hilfe und beim Zugang zu islamischer Gerichtsbarkeit (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 7; vergleiche FP 22.9.2021). römisch fünf. a. bei der Justiz hat al Shabaab geradezu eine Nische gefunden. Im Gegensatz zur Regierung ist al Shabaab weniger korrupt, Urteile sind konsistenter und die Durchsetzbarkeit ist eher gegeben (FP 22.9.2021). Bei der Durchsetzung von Rechtssprüchen und Kontrolle setzt al Shabaab vor allem auf Gewalt und Einschüchterung (BS 2022, Sitzung 10). [Zur Gerichtsbarkeit der al Shabaab siehe auch das Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen (6.1)]

Im eigenen Gebiet hat die Gruppe grundlegende Verwaltungsstrukturen geschaffen (BS 2022, Sitzung 10). Al Shabaab ist es gelungen, dort ein vorhersagbares Maß an Besteuerung, Sicherheit, Rechtssicherheit und sozialer Ordnung zu etablieren und gleichzeitig weniger korrupt als andere somalische Akteure zu sein sowie gleichzeitig mit lokalen Clans zusammenzuarbeiten (HO 12.9.2021). Al Shabaab sorgt dort auch einigermaßen für Ordnung (ICG 27.6.2019, Sitzung 1). Durch das Anbieten öffentlicher Dienste - v. a. hinsichtlich Sicherheit und Justiz - genießt al Shabaab in einigen Gebieten ein gewisses Maß an Legitimität (GITOC 8.12.2022). Mit der Hisbah verfügt die Gruppe über eine eigene Polizei (GITOC 8.12.2022; vergleiche UNSC 6.10.2021). Offensichtlich führt al Shabaab auch eine Art Volkszählung durch. Auf den diesbezüglich bekannten Formularen müssen u. a. Clan und Subclan, Zahl an Kindern in und außerhalb Somalias, Quelle des Haushaltseinkommens und der Empfang von Remissen angegeben werden (UNSC 10.10.2022, Sitzung 45). Völkerrechtlich kommen al Shabaab als de-facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihr kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 28.6.2022, Sitzung 5/19).

Die Gebiete von al Shabaab werden als relativ sicher und stabil beschrieben, bei einer Absenz von Clankonflikten und geringer Kriminalität (BMLV 9.2.2023; vergleiche JF 18.6.2021). Al Shabaab duldet nicht, dass irgendeine andere Institution außer ihr selbst auf ihren Gebieten Gewalt anwendet, sie beansprucht das Gewaltmonopol für sich. Jene, die dieses Gesetz brechen, werden bestraft. Al Shabaab unterhält ein rigoroses Justizsystem, welches Fehlverhalten – etwa nicht sanktionierte Gewalt gegen Zivilisten – bestraft. Daher kommt es kaum zu Vergehen durch Kämpfer der al Shabaab. Die Verwaltung von al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BMLV 9.2.2023).

Insgesamt nimmt die Gruppe im Vergleich zur Regierung effizienter Steuern ein, lukriert mehr Geld, bietet ein höheres Maß an Sicherheit, eine höhere Qualität an Rechtsprechung (Bryden 8.11.2021). Zudem ermöglicht al Shabaab Fortbildungsmöglichkeiten – auch für Frauen. In Jilib gehen laut einer Quelle Mädchen zur Schule, und Frauen werden von al Shabaab durchaus ermutigt, einer Arbeit nachzugehen (C4 15.6.2022).

Clans: Mitunter konsultieren lokale Verwalter der al Shabaab auch Clanälteste oder lassen bestehende Bezirksstrukturen weiter bestehen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 29). Andererseits nutzt al Shabaab auch Spannungen und Clankonflikte aus, um eigene Ziele zu erreichen. Dies beruht jedoch auf Gegenseitigkeit, denn auch manche Clans nutzen al Shabaab, um politische Vorteile zu erlangen oder sich an Rivalen zu rächen (SPC 9.2.2022). Manche Clans werden mit Zwang und Gewalt in Partnerschaft zu al Shabaab gehalten. Die Gruppe organisiert mitunter Feiern zur Ernennung neuer Clanältester (Nabadoon, Sultaan, Ugaas, Wabar) und stattetLletztere mit z. B. einem Fahrzeug und einer Waffe aus. Dies geschah beispielsweise bei somalischen Bantu im Bezirk Jamaame, aber auch bei Elay, Wa’caysle, Sheikhal oder Mudulod (UNSC 6.10.2021).

Rückhalt: Trotz des Einflusses, den die Gruppe in weiten Teilen Somalias ausüben kann, folgen nur wenige Somali der fremden und unflexiblen Theologie, den brutalen Methoden zur Kontrolle und der totalitären Vision von Staat und Gesellschaft (Sahan 30.6.2022). Es gibt einige wenige, ideologisch positionierte Anhänger; Personen, die religiös gebildet sind und sich bewusst auf dieser Ebene mit al Shabaab solidarisieren. Es gibt aber eine viel größere Anzahl von Menschen, die pragmatisch agieren. Sie akzeptieren al Shabaab als geringeres Übel (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 13). Andere unterstützen al Shabaab, weil die Gruppe Rechtsschutz bietet. Die meisten Menschen befolgen ihre Anweisungen aber aus Angst (FIS 7.8.2020, Sitzung 15f).

Stärke: Die Hälfte der Mitglieder von al Shabaab stellt den militärischen Arm (jabhat), welcher an der Front gegen die somalische Regierung und ATMIS bzw. AMISOM kämpft. Die andere Hälfte sind entweder Polizisten, welche Gesetze und Gerichtsurteile durchsetzen und Verhaftungen vornehmen; oder Richter. Außerdem verfügt al Shabaab in der Regierung, in der Armee und in fast jedem Sektor der Gesellschaft über ein fortschrittliches Spionagenetzwerk (Maruf 14.11.2018). Laut einer Schätzung vom Feber 2022 hat die Gruppe nunmehr 12.000 Kämpfer (VOA 17.5.2022). Eine andere Quelle berichtet im Juli 2022 von einer Stärke von 7.000-12.000 Mann (Sahan 4.11.2022); eine weitere Quelle bestätigt diese Zahl (BMLV 9.2.2023). Die tatsächliche Größe ist schwer festzulegen, da viele Angehörige der al Shabaab zwischen Kampf und Zivilleben hin- und her wechseln (WP 31.8.2019). Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen ATMIS manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt al Shabaab mit dem Amniyat über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk (BMLV 9.2.2023). Dieser Dienst, der mehr als nur ein Geheimdienst ist, verfügt über 500 bis 1.000 Mann (BBC 27.5.2019). Der Amniyat ist die wichtigste Stütze der al Shabaab, und diese Teilorganisation hat ihre Fähigkeiten in den vergangenen Jahren ausgebaut. Der Amniyat ist auch für die Erhebung ausnützbarer Clanrivalitäten zuständig (JF 18.6.2021). Al Shabaab verfügt jedenfalls über ein extensives Netzwerk an Informanten und ist in der Lage, der Bevölkerung Angst einzuflößen (UNSC 6.10.2021). Auch Namen von Nachbarn und sogar die Namen der Verwandten der Nachbarn werden in Datenbanken geführt (Maruf 14.11.2018).

Gebiete: Al Shabaab wurde zwar aus den meisten Städten vertrieben, bleibt aber auf dem Land in herausragender Position bzw. hat die Gruppe dort eine feste Basis. Zudem schränkt sie regionale sowie Kräfte des Bundes auf städtischen Raum ein, ohne dass diese die Möglichkeit hätten, sich zwischen den Städten frei zu bewegen (BMLV 9.2.2023). Al Shabaab kontrolliert Gebiete in den Regionen Lower Juba und Gedo (Jubaland); Bakool, Bay und Lower Shabelle (SWS); Hiiraan und - in sehr geringem Maße - Middle Shabelle (HirShabelle); Galgaduud und - in sehr geringem Maße - Mudug (Galmudug). Die Region Middle Juba wird zur Gänze von al Shabaab kontrolliert (PGN 23.1.2023).

Jedenfalls steht ebenso fest: Das Einsatzgebiet von al Shabaab ist fast so groß wie Deutschland. In diesem weitläufigen und infrastrukturell wenig erschlossenen Gebiet muss die Gruppe mit ca. 10.000 bewaffneten Kämpfern auskommen. Das bedeutet, dass al Shabaab zu keinem Zeitpunkt eine permanente Kontrolle über alle strategisch wichtigen Punkte ausüben kann. Die Gruppe kann nicht alle wichtigen Straßen kontrollieren, kann nicht in allen Orten des Hinterlandes mit permanenter Präsenz aufwarten, kann sich nicht um alle Konflikte vor Ort gleichzeitig kümmern (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 8). Gemäß einer Quelle verfügt al Shabaab bei Clans über Verbindungsleute (Kilmurry 1.4.2022); laut einer anderen Quelle hält al Shabaab in ihrem Gebiet vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen und zielt damit in erster Linie auf das Einheben von Steuern ab und übt Einfluss aus (LI 21.5.2019a, Sitzung 3). Eine andere Quelle erklärt, dass, auch wenn es dort keine permanenten Stationen gibt, die Polizei von al Shabaab regelmäßig auch entlegene Gebiete besucht. Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuzuschlagen, bzw. kann sie sich auch in vielen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen (BMLV 9.2.2023). Al Shabaab funktioniert in nahezu ganz Südsomalia als Schattenregierung bzw. -Verwaltung (GITOC 8.12.2022; vergleiche FP 22.9.2021). "Kontrolliert" wird - wie es ein Experte ausdrückt - durch "exemplarische Gewalt"; durch das Streuen von Gerüchten; durch terroristische Anschläge zur Einschüchterung der Bevölkerung (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 8). In Gebieten, die an von der Regierung kontrollierte und von al Shabaab unter Blockade gestellte Städte grenzen, hat die Gruppe strenge Regeln hinsichtlich ökonomischer und beruflicher Tätigkeiten eingeführt. Al Shabaab setzt diese mit Drohungen und Gewalt durch und bestraft jene, die diese Regeln brechen (UNSC 10.10.2022, Absatz 117,).

Kapazitäten: Die Kämpfe der letzten Monate haben bei al Shabaab erhebliche Spuren hinterlassen. Die Angaben der Bundesregierung von angeblich 2.000 getöteten Kämpfern von al Shabaab seit Juni 2022 müssen allerdings angezweifelt werden und sind vermutlich doppelt so hoch angesetzt wie tatsächlich gegeben (BMLV 9.2.2023). Jedenfalls verfügt al Shabaab weiterhin über die Kapazität und die Präsenz, um in fast allen Teilen Somalias – auch in Mogadischu – Operationen durchführen zu können. Dabei geht die Einflusssphäre der Gruppe über jene Gebiete, die sie tatsächlich unter Kontrolle hat, hinaus (UNSC 10.10.2022, Absatz 8,). Al Shabaab hat jedoch nicht genügend Kapazitäten, um ständig und überall präsent zu sein. Sie führt z. B. Körperstrafen immer wieder exemplarisch aus; aber nur so intensiv und so oft, wie es nötig ist, um die lokale Bevölkerung zu erschrecken und dafür zu sorgen, dass ein Großteil der Menschen sich tatsächlich - zwangsläufig - mit der Herrschaft von al Shabaab arrangiert (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 9).

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Wehrdienst und Rekrutierungen (durch den Staat und Dritte)

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 26.07.2022

Die somalische Armee ist eine Freiwilligenarmee (BMLV 19.7.2022). Es gibt keinen verpflichtenden Militärdienst. Allerdings rekrutieren Clans regelmäßig – und teils unter Androhung von Zwangsmaßnahmen für die Familie – junge Männer zum Dienst in einer Miliz, bei den staatlichen Sicherheitskräften oder bei al Shabaab. Dadurch soll für den eigenen Clan oder Subclan Schutz erlangt werden (AA 28.6.2022, Sitzung 16).

(Zwangs-)Rekrutierungen und Kindersoldaten

Letzte Änderung: 17.03.2023

Kindersoldaten: Allen Konfliktparteien wird vorgeworfen, Kinder zu rekrutieren (BS 2022, Sitzung 19). Im Jahr 2021 gab es immer wieder Berichte über den Einsatz von Kindersoldaten durch die Bundesarmee, alliierte Milizen, die Sufi-Miliz Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ) und al Shabaab (USDOS 12.4.2022, Sitzung 16). Im ersten Halbjahr 2021 sind 631 Kinder rekrutiert und eingesetzt worden; weitere 348 wurden entführt - oft mit dem Ziel einer Rekrutierung. Für 77 % der Fälle zeichnet al Shabaab verantwortlich (UNSC 6.10.2021). Dahingegen waren im Vergleichszeitraum 2020 insgesamt 535 Kinder rekrutiert worden, mehr als 400 davon durch al Shabaab. Im Jahr 2019 waren noch 1.169 durch al Shabaab rekrutiert worden, 2018 waren es 2.300 (UNSC 28.9.2020, Absatz 137 f,). Die Regierung versucht der Rekrutierung von Kindern durch die Armee mit Ausbildungs- und Screening-Programmen entgegenzuwirken. Der Umstand, dass es keine Geburtenregistrierung gibt, macht diese Arbeit schwierig (USDOS 12.4.2022, Sitzung 16f).

Generell wird festgestellt, dass immer dann, wenn aktive Kampfhandlungen zunehmen, in der Vergangenheit ein damit verbundener Anstieg bei der Rekrutierung von Kindern zu verzeichnen war (UNSC 6.10.2021). Gerade in umkämpften Gebieten ist wiederholt eine besonders hohe Zahl an Rekrutierungen zu verzeichnen (AA 28.6.2022, Sitzung 17).

Kindersoldaten - al Shabaab: Al Shabaab ist weniger an die Rekrutierung Erwachsener als an der Rekrutierung von 8-12-jährigen Kindern interessiert. Diese sind leichter zu indoktrinieren und formbarer (Sahan 6.5.2022). Al Shabaab rekrutiert und entführt auch weiterhin Kinder (UNSC 10.10.2022, Absatz 127 ;, vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 6; HRW 13.1.2022). Alleine im Zeitraum Jänner bis März 2022 sind 177 derartige Fälle bekannt (UNSC 10.10.2022, Absatz 127,). Die Gruppe entführt systematisch Kinder von Minderheitengruppen (BS 2022, Sitzung 19). Al Shabaab führt u. a. Razzien gegen Schulen, Madrassen und Moscheen durch (USDOS 12.4.2022, Sitzung 17). Es gibt Berichte über Gruppenentführungen aus Madrassen heraus. So sind etwa bei zwei Vorfällen in Bay und Hiiraan im ersten Halbjahr 2021 insgesamt 35 Buben entführt und zwangsrekrutiert worden (UNSC 6.10.2021). Außerdem indoktriniert und rekrutiert al Shabaab Kinder gezielt in Schulen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 17; vergleiche UNSC 6.10.2021; ÖB 11.2022, Sitzung 6). Al Shabaab betreibt eigene Schulen mit eigenem Curriculum. Die besten Schüler werden einer höheren Bildung zugeführt, während der große Rest in Ausbildungslager der Gruppe gebracht wird (VOA 16.11.2022).

Manchmal werden Clanälteste bedroht und erpresst, damit Kinder an die Gruppe abgegeben werden (USDOS 12.4.2022, Sitzung 17). Es wird mitunter auch Gewalt angewendet, um von Gemeinden und Ältesten junge Rekruten zu erpressen (BS 2022, Sitzung 19). In den Gebieten unter ihrer Kontrolle verlangt al Shabaab von Familien, dass sie einen oder zwei ihrer Buben in ihre Ausbildungslager schicken. Familien, die sich weigern, müssen mit Bußgeldern rechnen; manchmal werden sie auch mit Strafverfolgung oder Schlimmerem bedroht. Manche Familien schicken ihre Buben weg, damit sie einer Rekrutierung entgehen (Sahan 6.5.2022). Knapp die Hälfte der Kinder wird mittels Gewalt und Entführung rekrutiert, die andere durch Überzeugung der Eltern, Ältesten oder der Kinder selbst (AA 28.6.2022, Sitzung 17). Die Methoden unterscheiden sich jedenfalls. So wurde beispielsweise ein Fall dokumentiert, wo im Gebiet um Xudur (Bakool) al Shabaab in manchen Dörfern die „freiwillige“ Übergabe von Kindern zwischen 12 und 15 Jahren forderte, während in anderen Dörfern Kinder zwangsweise rekrutiert wurden. Zudem sind Clans unterschiedlich stark betroffen. So berichten etwa die Hadame [Rahanweyn], dass immer wieder Kinder von al Shabaab zwangsrekrutiert worden sind - z.B. im Feber 2021 (UNSC 6.10.2021). Insgesamt bleibt die freiwillige oder Zwangsrekrutierung von Kindern aber unüblich und hauptsächlich auf jene Gebiete beschränkt, wo al Shabaab am stärksten ist (Sahan 6.5.2022). Nach Angaben einer Quelle entführt al Shabaab aber systematisch Kinder von Minderheitengruppen. Auch Mädchen werden für Zwangsehen mit Al-Shabaab-Kämpfern entführt (ÖB 11.2022, Sitzung 6).

Aus Lagern oder anderen Einrichtungen der al Shabaab können Kinder nur mit Schwierigkeit entkommen. Die Kinder sind dort brutalem physischen und psychischen Stress ausgesetzt, die der Folter nahekommen; sie sollen gebrochen werden (Sahan 6.5.2022). In Lagern werden Kinder einer grausamen körperlichen Ausbildung unterzogen. Sie erhalten keine adäquate Verpflegung, dafür aber eine Ausbildung an der Waffe, physische Strafen und religiöse Indoktrination. Kinder werden gezwungen, andere Kinder zu bestrafen oder zu exekutieren. Eingesetzt werden Kinder etwa als Munitions- und Versorgungsträger, zur Spionage, als Wachen; aber auch zur Anbringung von Sprengsätzen, in Kampfhandlungen und als Selbstmordattentäter (USDOS 12.4.2022, Sitzung 17). Mädchen werden auf eine Ehe vorbereitet, manchmal aber auch auf Selbstmordmissionen. Armeeeinheiten - wie Danab - haben immer wieder Operationen unternommen, um Kinder aus solchen Ausbildungslagern zu befreien (6.5.2022 Sahan).

Manchmal werden Kinder aus den Händen der al Shabaab befreit, so etwa durch Sicherheitskräfte im August 2020, als 33 Buben aus einer Madrassa in Kurtunwareey (Lower Shabelle) befreit wurden. Alle Kinder wurden mit ihren Eltern wiedervereint (UNSC 13.11.2020, Absatz 46,).

(Zwangs-)Rekrutierung: Hauptrekrutierungsbereich von al Shabaab ist Süd-/Zentralsomalia (ÖB 11.2022, Sitzung 6). Die meisten Rekruten stammen aus ländlichen Gebieten – v. a. in Bay und Bakool. Bei den meisten neuen Rekruten handelt es sich um Kinder, die das Bildungssystem der al Shabaab durchlaufen haben, was wiederum ihre Loyalität zur Gruppe fördert (HI 12.2018, Sitzung 1). Etwa 40 % der Fußsoldaten von al Shabaab stammen aus den Regionen Bay und Bakool (Marchal 2018, Sitzung 107). Die Mirifle (Rahanweyn) konstituieren hierbei eine Hauptquelle an Fußsoldaten (EASO 9.2021c, Sitzung 18). Bei den meisten Fußsoldaten, die aus Middle Shabelle stammen, handelt es sich hingegen um Angehörige von Gruppen mit niedrigem Status, z. B. Bantu (Ingiriis 2020). Ein überproportionaler Teil von al Shabaab setzt sich aus Angehörigen der am meisten marginalisierten Gruppen Somalias zusammen (Sahan 30.9.2022).

Direkter Zwang wird bei einer Rekrutierung in der Praxis nur selten angewendet (Ingiriis 2020), jedenfalls nicht strategisch und nur eingeschränkt oder unter spezifischen Umständen (Marchal 2018, Sitzung 92). Alle Wehrfähigen bzw. militärisch Ausgebildeten innerhalb eines Bereichs auf dem von al Shabaab kontrollierten Gebiet sind als territoriale „Dorfmiliz“ verfügbar und werden als solche auch eingesetzt, z.B. bei militärischen Operationen im Bereich oder zur Aufklärung (BMLV 9.2.2023). Wenn al Shabaab ein Gebiet besetzt, dann verlangt es von lokalen Clanältesten die Zurverfügungstellung von bis zu mehreren Dutzend – oder sogar hundert – jungen Menschen oder Waffen (Marchal 2018, Sitzung 105). Insgesamt handelt es sich bei Rekrutierungsversuchen aber oft um eine Mischung aus Druck oder Drohungen und Anreizen (FIS 7.8.2020, Sitzung 18; vergleiche ICG 27.6.2019, Sitzung 2). Knapp ein Drittel der in einer Studie befragten al Shabaab-Deserteure gab an, dass bei ihrer Rekrutierung Drohungen eine Rolle gespielt haben. Dies kann freilich insofern übertrieben sein, als Deserteure dazu neigen, die eigene Verantwortung für begangene Taten dadurch zu minimieren (Khalil 1.2019, Sitzung 14). Al Shabaab agiert sehr situativ. So kommt Zwang etwa zur Anwendung, wenn die Gruppe in einem Gebiet nach einem verlustreichen Gefecht schnell die Reihen auffüllen muss (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 36/40). Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch al Shabaab (BMLV 9.2.2023; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 17f). Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)rekrutierung zu entziehen (BMLV 9.2.2023). Laut dem Experten Marchal rekrutiert al Shabaab zwar in Mogadischu; dort werden aber Menschen angesprochen, die z. B. ihre Unzufriedenheit oder ihre Wut über AMISOM bzw. ATMIS oder die Regierung äußern (EASO 9.2021c, Sitzung 21).

Manche Mitglieder von al Shabaab rekrutieren auch in ihrem eigenen Clan (Ingiriis 2020). Von al Shabaab rekrutiert zu werden bedeutet nicht unbedingt einen Einsatz als Kämpfer. Die Gruppe braucht natürlich z. B. auch Mechaniker, Logistiker, Fahrer, Träger, Reinigungskräfte, Köche, Richter, Verwaltungs- und Gesundheitspersonal sowie Lehrer (EASO 9.2021c, Sitzung 18).

Eine Rekrutierung kann viele unterschiedliche Aspekte umfassen: Geld, Clan, Ideologie, Interessen – und natürlich auch Drohungen und Gewalt (EASO 9.2021c, Sitzung 21). Al Shabaab versucht, junge Männer durch Überzeugungsarbeit, ideologische und religiöse Beeinflussung und finanzielle Versprechen anzulocken. Jene, die arbeitslos, arm und ohne Aussicht sind, können, trotz fehlendem religiösem Verständnis, auch schon durch kleine Summen motiviert werden. Für manche Kandidaten spielen auch Rachegefühle gegen Gegner von al Shabaab eine Rolle (FIS 7.8.2020, Sitzung 17; vergleiche Khalil 1.2019, Sitzung 33). Bei manchen spielt auch Abenteuerlust eine Rolle (Khalil 1.2019, Sitzung 33). Etwa zwei Drittel der Angehörigen von al Shabaab sind der Gruppe entweder aus finanziellen Gründen beigetreten, oder aber aufgrund von Kränkungen in Zusammenhang mit Clan-Diskriminierung oder in Zusammenhang mit Misshandlungen und Korruption seitens lokaler Behörden (Felbab 2020, Sitzung 120f). Feldforschung unter ehemaligen Mitgliedern von al Shabaab hat ergeben, dass 52 % der höheren Ränge der Gruppe aus religiösen Gründen beigetreten waren, bei den Fußsoldaten waren dies nur 15 % (Botha 2019). Ökonomische Anreize locken insbesondere Jugendliche, die oft über kein (regelmäßiges) Einkommen verfügen (SIDRA 6.2019a, Sitzung 4). Von Deserteuren wurde der monatliche Sold für verheiratete Angehörige der Polizei und Armee von al Shabaab mit 50 US-Dollar angegeben; Unverheiratete erhielten nur Gutscheine oder wurden in Naturalien bezahlt. Jene Angehörigen von al Shabaab, welche höherbewertete Aufgaben versehen (Kommandanten, Agenten, Sprengfallenhersteller, Logistiker und Journalisten) verdienen 200-300 US-Dollar pro Monat; allerdings erfolgen Auszahlungen nur inkonsequent (Khalil 1.2019, Sitzung 16). Nach neueren Angaben verdienen Fußsoldaten und niedrige Ränge 60-100 US-Dollar, Finanzbedienstete z. B. 250 US-Dollar im Monat (UNSC 10.10.2022, Absatz 52,). Gemäß somalischen Regierungsangaben erhalten neue Rekruten 30 US-Dollar im Monat, ein ausgebildeter Fußsoldat oder ein Fahrer 70 US-Dollar; den höchsten Sold erhält demnach mit 25.000 US-Dollar der Emir selbst (FGS 2022, Sitzung 99). Feldforschung unter ehemaligen Mitgliedern von al Shabaab hat ergeben, dass 84 % der Fußsoldaten und 31 % der höheren Ränge überhaupt nicht bezahlt worden sind (Botha 2019).

Im Übrigen ist auch die Loyalität von al Shabaab ein Anreiz. Während die Regierung kriegsversehrten Soldaten keinerlei Unterstützung zukommen lässt, sorgt al Shabaab für die Hinterbliebenen gefallener Kämpfer (FIS 7.8.2020, Sitzung 17). Manche versprechen sich durch ihre Mitgliedschaft bei al Shabaab auch die Möglichkeit einer Rache an Angehörigen anderer Clans (Khalil 1.2019, Sitzung 14f; vergleiche EASO 9.2021c, Sitzung 20). Für Angehörige marginalisierter Gruppen bietet der Beitritt zu al Shabaab zudem die Möglichkeit, sich selbst und die eigene Familie gegen Übergriffe anderer abzusichern (FIS 5.10.2018, Sitzung 34). Auch die Aussicht auf eine Ehefrau wird als Rekrutierungswerkzeug verwendet (USDOS 12.4.2022, Sitzung 42f). So z. B. bei somalischen Bantu, wo Mischehen mit somalischen Clans oft Tabu sind. Al Shabaab hat aber eben diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von starken somalischen Clans – etwa den Hawiye oder Darod – zu heiraten (Ingiriis 2020).

Verweigerung: Üblicherweise richtet al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Diese "Vorschreibung" - also wieviele Rekruten ein Dorf, ein Gebiet oder ein Clan stellen muss - erfolgt üblicherweise jährlich, und zwar im Zuge der Vorschreibung anderer jährlicher Abgaben. Die meisten Rekruten werden über Clans rekrutiert. Es wird also mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt. Dabei wird mitunter auch Druck ausgeübt. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer, denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan. Damit al Shabaab die Verweigerung akzeptiert, muss eine Form der Kompensation getätigt werden. Entweder der Clan oder das Individuum zahlt, oder aber die Nicht-Zahlung wird durch Rekruten kompensiert. So gibt es also für Betroffene manchmal die Möglichkeit des Freikaufens (BMLV 9.2.2023). Eltern versuchen, durch Geldzahlungen die Rekrutierung ihrer Kinder zu verhindern (UNSC 10.10.2022, Absatz 127,). Diese Wahlmöglichkeit ist freilich nicht immer gegeben. In den Städten liegt der Fokus von al Shabaab eher auf dem Eintreiben von Steuern, in ländlichen Gebieten auf der Aushebung von Rekruten (BMLV 9.2.2023).

Sich einer Rekrutierung zu entziehen ist möglich, aber nicht einfach. Die Flucht aus von al Shabaab kontrolliertem Gebiet gestaltet sich mit Gepäck schwierig, eine Person würde dahingehend befragt werden (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 18). Trotzdem schicken Eltern ihre Kinder mitunter in von der Regierung kontrollierte Gebiete – meist zu Verwandten (UNSC 10.10.2022, Absatz 127,).

Es besteht die Möglichkeit, dass einem Verweigerer bei fehlender Kompensationszahlung die Exekution droht. Insgesamt finden sich allerdings keine Beispiele dafür, wo al Shabaab einen Rekrutierungsverweigerer exekutiert hat (BMLV 9.2.2023). Ein Experte erklärt, dass eine einfache Person, die sich erfolgreich der Rekrutierung durch al Shabaab entzogen hat, nicht dauerhaft und über weite Strecken hin verfolgt wird (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 40). Stellt allerdings eine ganze Gemeinde den Rekrutierungsambitionen von al Shabaab Widerstand entgegen, kommt es mitunter zu Gewalt (BMLV 9.2.2023; vergleiche UNSC 28.9.2020, Annex 7.2).

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Minderheiten und Clans

Letzte Änderung: 17.03.2023

Zu Clanschutz siehe auch Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen

Der Clan ist die relevanteste soziale, ökonomische und politische Struktur in Somalia. Er bestimmt den Zugang zu Ressourcen sowie zu Möglichkeiten, Einfluss, Schutz und Beziehungen (SPC 9.2.2022). Dementsprechend steht Diskriminierung in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke haben (AA 28.6.2022, Sitzung 11). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2022, Sitzung 10). Selbst relative starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan 30.9.2022).

Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessenvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des Xeer. Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler. Al Shabaab installiert oft Älteste, welche die Gruppe repräsentieren. Er wird so zum Bindeglied zwischen der Gemeinschaft und al Shabaab. So werden zuvor legitime Strukturen in Geiselhaft genommen (Sahan 26.10.2022).

In ganz Somalia sehen sich Menschen, die keinem der großen Clans angehören, in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56) und für ökonomische sowie politische Partizipation (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56; vergleiche BS 2022, Sitzung 23). Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2022, Sitzung 23). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UNOCHA 14.3.2022).

Recht: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Weder das traditionelle Recht (Xeer) (SEM 31.5.2017, Sitzung 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, Sitzung 42; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 4). Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen (ÖB 11.2022, Sitzung 4). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, Sitzung 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, Sitzung 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, Sitzung 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14).

Angehörige von Minderheiten stehen vor Hindernissen, wenn sie Identitätsdokumente erhalten wollen - auch im Falle von Reisepässen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 58).

Politik: Politische Repräsentation, politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren - und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel (ÖB 11.2022, Sitzung 3). Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhalten (ÖB 11.2022, Sitzung 3; vergleiche USDOS 12.4.2022, Sitzung 31f; FH 2022a, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 2022a, B4). Sie werden von relevanten politischen Posten ausgeschlossen und die wenigen Angehörigen von Minderheiten, die solche Posten halten, haben kaum die Möglichkeit, sich für ihre Gemeinschaften einzusetzen (SPC 9.2.2022). So ist also selbst die gegebene, formelle Vertretung nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die 4.5-Formel hat bisher nicht zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bezogenen Gleichberechtigung beigetragen (ÖB 11.2022, Sitzung 4).

Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41; vergleiche AA 28.6.2022, Sitzung 14; FH 2022a, F4). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 28.6.2022, Sitzung 14). Zudem sind die Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen weniger gut ausgebaut, und sie verfügen über geringere Ressourcen (Sahan 24.10.2022) und erhalten weniger Remissen (Sahan 24.10.2022; vergleiche SPC 9.2.2022). Die mächtigen Gruppen erhalten den Löwenanteil an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird (Sahan 24.10.2022). Dementsprechend stehen Haushalte, die einer Minderheit angehören, einem höheren Maß an Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung gegenüber. Meist sind Minderheitenangehörige von informeller Arbeit abhängig, und die allgemeinen ökonomischen Probleme haben u.a. die Nachfrage nach Tagelöhnern zurückgehen lassen. Dadurch sind auch die Einkommen dramatisch gesunken (UNOCHA 14.3.2022).

Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41). In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (FIS 7.8.2020, Sitzung 39).

Al Shabaab: Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt (BS 2022, Sitzung 19; vergleiche ÖB 11.2022 Sitzung 6). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen "noblen" Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, Sitzung 11; vergleiche ÖB 11.2022, Sitzung 4). Al Shabaab hat sich die gesellschaftliche Benachteiligung von Gruppen zunutze gemacht (Sahan 24.10.2022). Ein überproportionaler Teil von al Shabaab setzt sich aus Angehörigen der am meisten marginalisierten Gruppen Somalias zusammen (Sahan 30.9.2022). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist ein weiterer Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Missstände treiben ganze Gemeinden in die Arme von al Shabaab. Sie suchen ein taktisches Bündnis – haben dabei aber keine dschihadistische Vision, sondern wollen ihre Rivalen ausstechen. Al Shabaab nimmt derartige Spannungen gerne auf und verwendet sie für eigene Zwecke (Sahan 30.9.2022). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB 11.2022, Sitzung 4f).

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Bevölkerungsstruktur

Letzte Änderung: 26.07.2022

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Somalia ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings sei der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung unklar (AA 28.6.2022, Sitzung 11/14). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 12.4.2022, Sitzung 40). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UNOCHA 14.3.2022; vergleiche NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44; vergleiche SEM, 31.5.2017, Sitzung 12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 5).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2022, Sitzung 34). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, Sitzung 8).

Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

●             Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

●             Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

●             Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

●             Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

●             Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, Sitzung 9).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, Sitzung 25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, Sitzung 38ff).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, Sitzung 9). Zudem gewinnt die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation immer mehr an Bedeutung. Dadurch kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden (BS 2022, Sitzung 25).

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Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation

Letzte Änderung: 17.03.2023

Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums (SEM 31.5.2017, Sitzung 11). Die soziale Stellung der einzelnen ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich (SEM 31.5.2017, Sitzung 14). Sie werden aber als minderwertig (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44) und mitunter als Fremde erachtet (SPC 9.2.2022). So können Angehörige ethnischer Minderheiten auf Probleme stoßen - bis hin zu Staatenlosigkeit - wenn sie z. B. in einem Flüchtlingslager außerhalb Somalias geboren wurden (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 58).

Generell sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Verfolgung mehr ausgesetzt, wie dies Anfang der 1990er der Fall war (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44). Dies gilt auch für Mogadischu. Allerdings sind dort all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, Sitzung 3). In den Städten ist die Bevölkerung aber allgemein gemischt, Kinder gehen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Schule und Menschen ins Spital (UNFPA/DIS 25.6.2020).

Nach anderen Angaben drohen ethnischen Minderheiten Stigmatisierung, soziale Absonderung, Verweigerung von Rechten und ein niedriger sozialer, ökonomischer und politischer Status (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44), Arbeitslosigkeit und ein Mangel an Ressourcen. Sie werden am Arbeitsmarkt diskriminiert und vom Rest der Gesellschaft ausgeschlossen. Die meisten Angehörigen marginalisierter Gruppen haben keine Aussicht auf Rechtsschutz, nur selten werden solche Personen in die Sicherheitskräfte aufgenommen. Auch im Xeer werden sie marginalisiert. In Mogadischu mangelt es den Minderheiten auch an politischem Einfluss. Andererseits ändert sich die Situation langsam zum Besseren, die Einstellung v. a. der jüngeren Generation ändert sich; die Clanzugehörigkeit ist für diese nicht mehr so wichtig wie für die Älteren (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff).

Die Bantu sind die größte Minderheit in Somalia (SEM 31.5.2017, Sitzung 12f; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 41). Es gibt zahlreiche Bantu-Gruppen bzw. -Clans, wie z. B. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli, Oji oder Gobaweyne; pejorativ werden sie auch Adoon (Sklaven) oder Jareer (Kraushaar) genannt. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Juba und Shabelle (SEM 31.5.2017, Sitzung 12f; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Von den ca. 900.000 IDPs, die sich im Großraum Mogadischu aufhalten (Stand 2020), sind rund 700.000 Bantu (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff).

Die Bantu werden überall in Somalia rassistisch stigmatisiert (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25) und diskriminiert (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25; vergleiche BS 2022, Sitzung 9; USDOS 12.4.2022, Sitzung 41; GIGA 3.7.2018). Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu, die zum Teil einst als Sklaven ins Land gekommen waren, herab (SEM 31.5.2017, Sitzung 14; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Sie sind das dramatischste Beispiel für die Schlechterbehandlung durch dominierende Gruppen (Sahan 30.9.2022) und werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2022, Sitzung 9) und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 9f). Auch in IDP-Lagern werden sie diskriminiert, Bantu-Frauen mangelt es dort an Schutz durch die traditionelle Clanstruktur (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41; vergleiche LIFOS 19.6.2019, Sitzung 8). 80 % der Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt finden sich unter ihnen (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff). Überhaupt befinden sich Bantu in einer vulnerablen Situation, da zuvor bestehende Patronageverhältnisse (welche Schutz gewährleisteten) im Bürgerkrieg erodiert sind. Dadurch haben Bantu heute kaum Zugang zum Xeer (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 9f). Bantu sind besonders schutzlos (ÖB 11.2022, Sitzung 4; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 42). Andererseits sind einige Bantu-Gruppen mit lokal mächtigen Clans Allianzen eingegangen, um sich dadurch zu schützen (FIS 7.8.2020, Sitzung 44).

Mischehen werden stigmatisiert (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 7). Im September 2018 wurde ein Bantu in Mogadischu in Zusammenhang mit einer Mischehe getötet. Allerdings war dies ein sehr außergewöhnlicher Vorfall, über welchen viele Somali ihre Entrüstung äußerten (NLMBZ 3.2019, Sitzung 43). Al Shabaab hingegen hat zahlreiche Kinder der Bantu entführt oder zwangsrekrutiert. Trotzdem genießt die Gruppe bei dieser Minderheit größere Unterstützung (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 7ff). Die meisten Fußsoldaten von al Shabaab, die aus Middle Shabelle stammen, gehören zu Gruppen mit niedrigem Status – etwa zu den Bantu. Al Shabaab hat diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von "noblen" Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).

Einem Bericht zufolge sind aus den USA deportierte somalische Bantu - manchmal schon am Flughafen in Mogadischu - von Bewaffneten entführt worden, um Lösegeld zu erpressen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 58).

Benadiri ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben (z. B. Mogadischu, Merka, Baraawe) und sich traditionell im Handel betätigen. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien, Persien, Indien und Portugal (SEM 31.5.2017, Sitzung 13f; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos. Heute werden Benadiri gemeinhin als Händler respektiert (SEM 31.5.2017, Sitzung 13f). In Mogadischu stellen die Benadiri die zweitgrößte Minderheitengruppe. Einige von ihnen haben es geschafft, reich zu werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 41ff). Im Gegensatz zu den Bantu kommt ihnen kein geringerer Status zu, Mischehen sind kein Problem (LI 14.6.2018, Sitzung 17). Auch von Sicherheitsproblemen wird (in Mogadischu) nicht berichtet (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 45). Vielen Reer Xamar (Teil der Benadiri) ist es gelungen, ihre vormaligen Immobilien im Bezirk Xamar Weyne (Mogadischu) durch Zahlungen zurückzuerhalten. Dort stellen sie auch die Bevölkerungsmehrheit (LI 21.5.2019b, Sitzung 2f).

Die Bajuni sind ein kleines Fischervolk, das auf den Bajuni-Inseln im Süden Somalias sowie in Kismayo (SEM 31.5.2017, Sitzung 14; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57) aber auch entlang der kenianischen Küste bis Lamu lebt. Der UNHCR zählt die Bajuni zu den Benadiri (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57).

Kinder von Mischehen der al-Shabaab: Einige somalische Mädchen und Frauen haben ausländische Kämpfer (z.B. aus Europa, USA, Asien) der al Shabaab geheiratet. Die aus solchen Ehen hervorgegangenen Kinder sind teils leicht zu identifizieren (ICG 27.6.2019, Sitzung 9).

Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation

Letzte Änderung: 17.03.2023

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung (SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff). Sie sind somalischen Ursprungs, wurden aber von den traditionellen Clan-Lineages ausgeschlossen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57). Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können (SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff). Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57; vergleiche NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 45; SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff) - etwa Jäger, Lederverarbeiter, Schuster, Friseure, Töpferinnen, traditionelle Heiler oder Hebammen (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 45). Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff). Ein anderer Sammelbegriff ist Midgan (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 57).

Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, Sitzung 43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, Sitzung 3).

Die berufsständischen Kasten werden zudem diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2022, Sitzung 9). Zu ihrer Diskriminierung trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vergleiche SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z. B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff).

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, Sitzung 49).

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Angehörige anderer Clans in der Position als Minderheit, Clanlose

Letzte Änderung: 13.06.2022

Auch Angehörige starker Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. So sehen sich beispielsweise die Biyomaal als exponierter Dir-Clan in Südsomalia manchmal in dieser Rolle. Generell gerät eine Einzelperson immer dann in die Rolle der Minderheit, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Die Position als "Gast" ist schwächer als jene des "Gastgebers". Im System von "hosts and guests" sind Personen, die sich außerhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. In Mogadischu gelten etwa Angehörige der Isaaq, Rahanweyn und Darod als "Gäste". Dieses System gilt auch für IDPs (SEM 31.5.2017, Sitzung 11f/32f).

Diskriminierung: In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus. Diskriminierung erfolgt etwa auch beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Gerichtsverfahren (USDOS 12.4.2022, Sitzung 40). Angehörige eines (Sub-)Clans können in von einem anderen (Sub-)Clan dominierten Gebiete auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser (AA 18.4.2021, Sitzung 12). In Mogadischu ist es im Allgemeinen schwierig, Menschen die dort aufgewachsen sind, nach Clans zu differenzieren. Es gibt keine äußerlichen Unterschiede, auch der Akzent ist der gleiche. Selbst anhand von Namen lassen sich die Menschen nicht einmal ethnisch zuordnen, da vor allem arabische Namen verwendet werden (UNFPA/DIS 25.6.2020).

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2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Herkunft, Staatsangehörigkeit, Religion, Clanzugehörigkeit und Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers gründen sich im Wesentlichen auf die nicht bestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid sowie seine diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde und in dem Beschwerdeschriftsatz. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.

2.2. Zum Fluchtgrund des Beschwerdeführers:

2.2.1. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes konnte der Beschwerdeführer insbesondere aufgrund der nicht plausiblen und grob widersprüchlichen Angaben zu den Gründen für seine Ausreise betreffend eine ihm drohende Zwangsrekrutierung durch die Al Shabaab oder eine allfällige Bestrafung wegen seiner diesbezüglichen Verweigerung oder einer Anzeigeerstattung bei der Polizei keine aktuelle Gefährdung seiner Person im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat glaubhaft machen.

2.2.2. Einerseits erweist sich die vom Beschwerdeführer vorgetragene „Geschichte“ bezüglich der versuchten Rekrutierung durch die Al Shabaab insgesamt als nicht plausibel:

Der Beschwerdeführer konnte etwa nicht einmal ansatzweise angeben, warum die Al Shabaab speziell an einer Rekrutierung des Beschwerdeführers (und seines Kollegen bzw. Freundes) interessiert gewesen sein sollte vergleiche S 7 in OZ 4, arg. „R: Warum ausgerechnet Sie beide? BF: Ich kann nicht sagen, warum gerade wir zwei. Wir haben gerade gearbeitet, als die drei Al Shabaab-Mitglieder zu uns kamen.“; s.a. S 10 in OZ 4, arg. „R: Wieso benötigt die Al Shabaab ausgerechnet Sie und Ihren Kollegen für allfällige Anschläge gegen die Regierung? BF: Wir können nicht sagen, warum ausgerechnet wir zwei von der Al Shabaab ausgesucht wurden. Aber sie haben uns wiederholend gesagt, dass wir Einwohner aus der Stadt sind, wir sind dort geboren und wir werden niemanden auffallen.“). Sofern der Beschwerdeführer auf die zweite dahingehende Nachfrage darauf verweist, dass er als Einwohner der Stadt weniger auffälliger sei, vermag das noch nicht zu erklären, weshalb ausgerechnet er und sein Kollege und nicht ein beliebiger anderer Bewohner seiner Heimatstadt dafür in Frage kommen sollten.

Ferner ist nicht erklärlich, dass die Al Shabaab den Beschwerdeführer und seinen Kollegen zwar sofort von der Arbeitsstelle in deren Lager (bzw. nach seiner davon abweichenden späteren Behauptung an einen „ruhigen Platz“, vergleiche AS 45 und 47) bringen sollten, um sie dort zur Mitarbeit aufzufordern, diese aber dann nach Erteilung einer Zustimmung dazu einfach freilassen sollten, ohne einen konkreten Auftrag über die Verübung eines Anschlags mitzugeben, sondern nur darauf zu verweisen, dass sie sich melden würden vergleiche S 8 in OZ 4) sowie sie dann schon am nächsten Tag telefonisch zu kontaktieren und ihnen an einem vereinbarten Treffpunkt einen Behälter mit einer Bombe zu übergeben vergleiche AS 45). Aber selbst zu diesem Zeitpunkt seien dem Beschwerdeführer und seinem Kollegen noch keine weiteren Anweisungen erteilt worden, was sie damit tun sollten vergleiche S 10 in OZ 4). Der Beschwerdeführer konnte auch nicht angeben, ob überhaupt schon ein konkreter Anschlag geplant gewesen sei vergleiche S 10 in OZ 4). Sofern eine solche Planung aber schon stattgefunden haben sollte, wäre zu erwarten gewesen, dass sie dem Beschwerdeführer und seinem Kollegen entsprechende Informationen spätestens im Zuge der Übergabe der Bombe weitergegeben hätten. Geht man folglich davon aus, dass die Al Shabaab noch keine näheren Vorstellungen über den Zeitpunkt und die genaue Vorgehensweise bei der Verübung des Anschlags gehabt habe, so erschließt sich nicht, weshalb sie den Beschwerdeführer und seinen Kollegen bereits einen Tag nach der erteilten Zustimmung extra treffen sollten, nur um diesen die Bombe zu übergeben.

Wie die belangte Behörde bereits zutreffend aufzeigte ist in diesem Kontext ferner nicht schlüssig, weshalb dem Beschwerdeführer und dem Kollegen zwar beim Transport die Augen verbunden worden seien, die Al Shabaab sie aber anschließend von dort einfach freilassen sollten. Auch die diesbezügliche Begründung des Beschwerdeführers ist nicht geeignet, dies nachvollziehbar zu erklären vergleiche AS 48, arg. „Vorhalt: Sie gaben an, dass Sie vom Arbeitsplatz von drei Mitglieder der Al Shabab mitgenommen wurden und Ihnen die Augen verbunden wurde. Sie werden zwangsweise rekrutiert und man lässt Sie dann einfach so wieder gehen. Welchen Sinn macht es dann bei der Hinfahrt ihnen die Augen zu verbinden? A: Ich dacht, dass Sie mir die Augen verbunden, weil Sie verbergen wollten, auf welcher Straße wir dort hingefahren sind. Vorhalt: Sie gaben gerade an, dass Sie an einen ruhigen Platz gebracht wurden. Ihre Antwort ergibt weiterhin keinen Sinn, da Sie danach zu Fuß ohne verbundene Augen zurückgehen konnten. Wie haben Sie den Weg zurück zu Ihrem Arbeitsplatz gefunden? A: Es gibt noch das nächste Dorf mit dem Namen römisch 40 Merka. Wenn man nein sagt, dann bringen Sie einen dort hin. Ich habe aber zugestimmt und deshalb haben Sie mich freigelassen.“).

Sofern dahingehend im Beschwerdeschriftsatz auf einen möglichen Einschüchterungsversuch sowie anschließenden Vertrauensgewinn wegen der erteilten Zustimmung hingewiesen wird, vermag diese Argumentation bei einer Gesamtbetrachtung der Situation nicht zu überzeugen: So ergibt sich aus der unstrittigen Länderinformation zur Rekrutierungspraxis der Al Shabaab, dass diese versucht, junge Männer durch Überzeugungsarbeit, ideologische und religiöse Beeinflussung und finanzielle Versprechen anzulocken. Es sind auch im gegenständlichen Verfahren keine Hinweise hervorgekommen, welche im vorliegenden Fall des Beschwerdeführers eine andere Vorgehensweise der Al Shabaab begründen könnte. Angesichts der oben dargestellten Aussage habe offenbar kein spezielles Interesse an der Person des Beschwerdeführers oder dessen Kollegen bestanden, welches gegebenenfalls eine Rekrutierung samt des mit dem Aufwand einer Verbringung in ein ca. 30-35 km entferntes Lager vergleiche AS 47) verbundenen Einschüchterungsversuchs erklären könnte. Ebenso lässt die Nichterteilung konkreter Anordnungen bezüglich der Verübung eines Anschlags darauf schließen, dass kein solcher geplant gewesen sei und folglich noch kein spezieller Bedarf der Al Shabaab an weiteren Kämpfern bestanden habe, welches das umständliche Vorgehen der Al Shabaab rechtfertigen könnte.

Auch sonst entspricht die vom Beschwerdeführer beschriebene Vorgehensweise der Al Shabaab nicht der vorliegenden Berichtslage: Nach der unstrittigen Länderinformation zu Somalia wird direkter Zwang bei einer Rekrutierung in der Praxis nur selten angewendet, jedenfalls nicht strategisch und nur eingeschränkt oder unter spezifischen Umständen. Üblicherweise richtet Al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht – wie vom Beschwerdeführer behauptet – an Einzelpersonen. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer, denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan. Auch dies spricht gegen ein den Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr treffendes individuelles Risiko, zumal – wie bereits erwähnt – keinerlei Gründe hervorgekommen sind, welche auf ein besonderes Interesse der Al Shabaab an der Rekrutierung der Person des Beschwerdeführers (wie etwa besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten von ihm) schließen lassen würden.

2.2.3. Darüber hinaus verstrickte sich der Beschwerdeführer insbesondere bezüglich des geschilderten Vorfalls am 30.09.2020 in gravierende, nicht aufklärbare Widersprüche:

Während er vor der belangten Behörde dazu in der freien Erzählung seines Fluchtgrundes noch beschrieb, dass die Al Shabaab seinen Freund angeschossen vergleiche AS 45) und diesen sogar getötet hätten vergleiche AS 46 und 49), wusste der Beschwerdeführer davon in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nichts mehr. Insbesondere antwortete der Beschwerdeführer, konkret danach befragt, ob sein Freund angeschossen worden sei, dass er das nicht sagen könne und nicht wisse, ob dieser bei den Schüssen getroffen worden sei vergleiche S 11 in OZ 4). Auch auf weitere Nachfrage dazu verwies der Beschwerdeführer bloß neuerlich darauf, dass er es nicht gesehen und nur Schüsse gehört habe vergleiche S 11 in OZ 4).

Ferner schilderte der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde, dass die Al Shabaab auch in seine Richtung geschossen hätten, aber nur das Blech getroffen hätten vergleiche AS 45). Demgegenüber verneinte er in der Beschwerdeverhandlung explizit, dass auf ihn geschossen worden sei, und führte ergänzend aus, er habe Schüsse gehört, aber fliehen können und sei über eine Mauer gesprungen vergleiche S 12 in OZ 4).

Außerdem sei der Beschwerdeführer seiner vor der belangten Behörde präsentierten Version folgend, danach zur Polizei gegangen und in das Krankenhaus gebracht worden, weil er sich beim Blech eine Schnittwunde zugezogen habe vergleiche AS 45). Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer vor dem erkennenden Richter nicht sicher angeben konnte, wobei er sich die Verletzung zugezogen habe, sondern bloß die Vermutung aufstellte, dass er beim Sprung über ein Wellblech verletzt worden sein könnte vergleiche S 12 in OZ 4), meinte er auf die Frage, ob er dann in ein Krankhaus gebracht worden sei, dass er selbst ins Spital gegangen sei vergleiche S 12 in OZ 4).

Betreffend ein derart zentrales und einschneidendes Ereignis wäre aber jedenfalls zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer in der Lage ist, gleichbleibende Angaben zu tätigen und seine Schilderungen nicht derart grobe Diskrepanzen aufweisen.

Bezüglich diesem Vorfall ist auch darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer auf Frage des erkennenden Richters nicht angeben konnte, wer die Männer gewesen seien, die ihn verfolgt hätten, sondern nur meinte, dass es unbekannte Männer gewesen seien vergleiche S 12 in OZ 4).

2.2.4. Zudem befindet sich die Heimatstadt des Beschwerdeführers unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS und kann hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Es wäre daher anzunehmen, dass er auch staatlichen Schutz erhalten hätten können. Sofern der Beschwerdeführer erst auf Vorhalt der belangten Behörde erstmals vorbrachte, dass er sich nach der Tötung seines Kollegen neuerlich an die Polizei gewandt habe, wobei ihm eine weitere Hilfe verweigert worden sei vergleiche AS 48f), ist dies als reine Schutzbehauptung zu werten, zumal er in der sonst sehr ausführlichen freien Erzählung seines Fluchtgrundes keinerlei dahingehende Anhaltspunkte erwähnte, sondern nur anführte, dass der Polizist nicht abgehoben habe vergleiche AS 46). Zudem beschrieb er zuvor in seiner Schilderung, dass er schon nach seiner Flucht vor den Männern zur Polizei gegangen sei vergleiche AS 45), wobei er auch dazu mit keinem Wort anmerkte, dass ihm eine Unterstützung verweigert worden sei. Ferner ist nicht plausibel, weshalb die Polizei zwar zuerst mit dem Beschwerdeführer und seinem Kollegen hinsichtlich der Festnahme von Al Shabaab-Anhängern kooperieren sollten, ihnen aber dann plötzlich grundlos keinen Schutz mehr zukommen lassen sollten. Seine diesbezüglichen Aussagen sind auch insofern als gesteigert anzusehen, als er vor dem Bundesverwaltungsgericht erstmals behauptete, dass ihm von dem auf der Polizeistation anwesenden Wachmann gedroht worden sei, er müsse sofort verschwinden, sonst werde er mit Gewalt rausgeschmissen vergleiche S 12 in OZ 4). Vor der belangten Behörde gab er dazu nur an, dass er nach verweigerter Herausgabe der Privatnummer des Polizisten unter Verweis auf dessen Dienstnummer gegangen sei vergleiche AS 49).

2.2.5. Des Weiteren ist nicht erklärlich, weshalb der Beschwerdeführer nicht – spätestens während seines Aufenthalts in Mogadischu – seine SIM-Karte bzw. Telefonnummer wechselte, obwohl diese der Al Shabaab schon seit der Verbringung des Beschwerdeführers und seines Kollegen am 28.09.2020 bekannt gewesen sei vergleiche S 13f in OZ 4) und sie ihn nach Verlassen seiner Heimatstadt auch telefonisch bedroht hätten. Auf dahingehenden Vorhalt vermochte der Beschwerdeführer keine nachvollziehbare Begründung zu nennen vergleiche S 13f in OZ 4, arg. „R: Das haben Sie heute schon einmal gesagt. Bereits damals hätten Sie sofort Ihre Sim-Karte wechseln können und Sie hätten keinen Anruf mehr von der Al Shabaab bekommen können. Umso mehr dann aber in der Zeit, als Sie bereits in Mogadischu waren. Warum haben Sie das nicht getan? BF: Als die Al Shabaab-Mitglieder damals am 30.09.2020 von der Polizei festgenommen wurden, dachte ich, dass die Al Shabaab nicht mehr nach mir sucht. In Mogadischu war ich die ganze Zeit im Haus des Freundes meines Vaters. Sein Freund sagte mir, ich darf das Haus nicht verlassen, damit ich den Leuten nicht auffalle. Er will nicht, dass er meinetwegen Probleme mit der Al Shabaab kriegt.“; s.a. AS 48). Sofern der Beschwerdeführer in diesem Kontext weiters darauf hinweist, dass ihm – wie bereits oben erwähnt – nach der Festnahme der Al Shabaab-Mitglieder kein polizeilicher Schutz mehr zugekommen sei, wäre unter Zugrundelegung dieser Darstellung, umso mehr davon auszugehen gewesen, dass er seine SIM-Karte spätestens nach seiner Ankunft gewechselt hätte vergleiche S 14 in OZ 4). Bezüglich der vom Beschwerdeführer dazu aufgeworfenen Frage der Erreichbarkeit seiner Familie vergleiche S 14 in OZ 4), ist festzuhalten, dass diese durch einen Wechsel der SIM-Karten keinesfalls verunmöglicht worden wäre. Ihm wäre etwa offen gestanden, selbst oder über den Freund seines Vaters, bei dem er gewohnt habe, seiner Familie die neue Telefonnummer zukommen zu lassen, um für diese erreichbar zu sein.

2.2.6. Ferner ist festzuhalten, dass es der Al Shabaab offenbar auch während des 2-wöchigen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Mogadischu vergleiche S 13 in OZ 4) nicht gelungen sei, diesen zu finden. Hätte die Al Shabaab aber tatsächlich ein derart großes Interesse an der Person des Beschwerdeführers gehabt, wie von ihm dargestellt, so wäre jedenfalls davon auszugehen gewesen, dass es dieser möglich gewesen wäre, den Beschwerdeführer dort bei dem Freund seines Vaters zu finden. Soweit der Beschwerdeführer vor dem erkennenden Richter darauf hinwies, dass er „die ganze Zeit“ im Haus des Freundes seines Vaters geblieben sei vergleiche S 13 in OZ 4), widerspricht dies zudem seiner Darstellung vor der belangten Behörde, wonach er zum „Büro“ gegangen sei, den Reisepass und das Visum organisiert habe vergleiche AS 46).

2.2.7. Äußerst verwunderlich erscheint auch, dass der Beschwerdeführer zwar zu Beginn der Beschwerdeverhandlung behauptete, dass seine Familie seit 30.09.2020 in römisch 40 leben würden vergleiche S 3 in OZ 4), während er gegen Ende seiner Befragung nicht einmal ansatzweise angeben konnte, wann diese in das andere Dorf umgezogen seien und im massiven Widerspruch zu seiner ursprünglichen Angabe meinte, dass diese am Tag seiner Flucht nach Mogadischu infolge der Verfolgung durch die unbekannten Männer am 30.09.2020 noch in seiner Heimatstadt gewesen seien und er sie später gewarnt habe, dass sie auch flüchten sollten vergleiche S 15 in OZ 4). Angesichts seiner Aussage vor der belangten Behörde ist jedenfalls davon auszugehen, dass seine Mutter und Geschwister nach dem Umzug regelmäßig nach Merka gegangen seien vergleiche AS 44). Persönliche Drohungen gegenüber seiner Familie habe es aber nicht gegeben vergleiche S 15 in OZ 4). Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass der allfällige Umzug seiner Familie wegen dem vom Beschwerdeführer behaupteten Fluchtgrund erfolgt sei. Im Übrigen kann nicht angenommen werden, dass die Al Shabaab seine Familie plötzlich im Dezember 2022 und damit mehr als 2 Jahre nach seiner Ausreise aus Somalia angerufen hätten, um zu fragen, wo sich der Beschwerdeführer befinde vergleiche S 15 in OZ 4).

2.2.8. Aufgrund der dargelegten Umstände, gelang es dem Beschwerdeführer im Ergebnis nicht, eine Gefährdung durch Mitglieder der Al Shabaab im Fall seiner Rückkehr nach Somalia glaubhaft zu machen. Dabei wird nicht übersehen, dass Al Shabaab weiterhin in Somalia, unter anderem im Heimatdorf des Beschwerdeführers, aktiv ist. In Anbetracht der nicht plausiblen und widersprüchlichen Schilderungen des Beschwerdeführers zu einer ihn persönlich betreffenden Gefährdung durch diese kann allerdings alleine aus diesem Umstand keine verfahrensgegenständlich relevante Bedrohung des Beschwerdeführers entnommen werden.

2.2.9. Betreffend das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers zu einer Bedrohung im Zusammenhang mit der Verletzung seines Vaters im Zuge von Grundstücksstreitigkeiten und aufgrund seiner Clanzugehörigkeit fällt zunächst auf, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung nur darauf verwies, dass er von der Al Shabaab gezwungen worden sei, mit ihnen zu kämpfen vergleiche AS 11), während er einen körperlichen Übergriff auf seinen Vater oder eine Gefährdung durch Angehörige der Habr Gedir nicht einmal ansatzweise erwähnte. Dabei wird keinesfalls übersehen, dass die Erstbefragung gemäß Paragraph 19, Absatz eins, AsylG 2005 insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich - abgesehen von einem Folgeantrag - nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben vergleiche etwa VwGH 14.6.2017, Ra 2017/18/0001, mwN). Gleichwohl ist es aber nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen vergleiche VwGH 25.06.2019, Ra 2018/19/0546). Im vorliegenden Fall erschließt sich jedoch nicht, weshalb der Beschwerdeführer dahingehende Befürchtungen mit keinem Wort anführen sollte.

Auf dahingehenden Vorhalt meinte der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde, dass er sehr müde gewesen sei, mehrere Tage nichts gegessen habe und unter Schmerzen gelitten habe vergleiche AS 46). Diese Begründung ist aber vor dem Hintergrund als Schutzbehauptung zu werten, als in der Niederschrift der Erstbefragung ausdrücklich festgehalten wurde, dass ihm die die Niederschrift rückübersetzt wurde und er keine Ergänzungen und Korrekturen habe vergleiche AS 13). Ferner wurde bezüglich seinem Fluchtgrund ausdrücklich festgehalten, dass er alle seine Gründe und dazugehörigen Ereignisse angegeben habe vergleiche AS 11).

Aber auch abgesehen davon ergaben sich im gegenständlichen Verfahren keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine konkret die Person des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit einem Streit seines Vaters oder generell wegen seiner Clanzugehörigkeit. Betreffend die dazu in vorgelegten Fotos ist zunächst festzuhalten, dass weder erwiesen ist, ob diese tatsächlich den Vater des Beschwerdeführers zeigen, noch belegt ist, dass die darauf abgebildete Person ihren Arm aufgrund des vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfalls verlor.

Selbst wenn man das diesbezüglich erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde legt, lassen sich daraus noch nicht mit der für das gegenständliche Verfahren erforderlichen Sicherheit den Beschwerdeführer persönlich treffende Gefährdungsmomente ableiten. Insbesondere habe sich der Übergriff auf seinen Vater bereits im Jänner 2020 bei einem Versuch der Habr Gedir ihm das Grundstück wegzunehmen ereignet. Danach sei er jedoch mit seiner Familie in der Heimatstadt verblieben und diese erst nach den Ende September 2020 entstandenen Probleme des Beschwerdeführers mit der Al Shabaab umgezogen. Insbesondere nannte der Beschwerdeführer vor dem erkennenden Richter keine weiteren Vorfälle in diesem Zusammenhang und nahm nicht auf die vor der belangten Behörde angesprochene Anzeigeerstattung und Entführung im Februar 2020 Bezug vergleiche AS 46). Aber auch dahingehend könnte angesichts des in weiteren Folge offenbar ungestörten Verbleibs in der Heimatstadt vergleiche insb. AS 47, arg. „F: Sind Sie von den Personen nochmals bedroht worden? A: Nein, nur das einmal. […]“) keine aktuelle Gefährdung angenommen werden. Es bestehen auch keine konkreten Hinweise dafür, dass die Habr Gedir aktuell ein spezielles Interesse an der Familie des Beschwerdeführers oder diesem selbst hätten. Eine persönliche Gefährdung des Beschwerdeführers kann auch aus seiner Antwort auf die Frage nach einem allfälligen Zusammenhang mit seinem Fluchtvorbringen nicht abgeleitet werden vergleiche S 6 in OZ 4, arg. „R: Steht der Vorfall mit Ihrem Vater mit Ihrem Fluchtvorbringen im Zusammenhang? BF: Es hat nichts miteinander zu tun. Das was meinem Vater passiert ist, war wegen der Clanzugehörigkeit. Das ist im Jänner 2020 passiert. Meine Probleme haben am 28.09.2020 begonnen und zwar wegen Al Shabaab.“).

Ebenso lassen seine allgemeinen Ausführungen zu Streitigkeiten seines Clans mit jenem der Habr Gedir noch nicht auf eine verfahrensgegenständlich relevante Bedrohung schließen vergleiche S 5 in OZ 4, arg. „R: Haben Sie in der Zeit, als Sie in Marka lebten, Alltagsdiskriminierung aufgrund Ihrer Clanzugehörigkeit erfahren? BF: Nein. Es gab Clankonflikte und immer wieder Auseinandersetzungen zwischen meinem Clan und den Habr Gedir. Die Habr Gedir Kräfte kommen dort hin im Namen der Regierungskräfte und kämpfen mit unserem Clan. Wenn Sie dann unsere Clankräfte besiegen, dann müssen wir die Stelle verlassen.“). Selbst wenn es gelegentlich zu Auseinandersetzungen der Clans kommen mag, kann nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer davon in besonderer Weise betroffen wäre oder diese eine verfahrensgegenständlich relevante Intensität erreichen würde. Ferner ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer Diskriminierungen wegen seiner Clanzugehörigkeit ausdrücklich verneinte und die Mehrheit der Einwohner in seiner Heimatstadt dem (zum noblen Clan der Dir gehörenden) Subclan der Biyomaal angehören.

Etwaige maßgebliche Probleme bezüglich seiner Clanzugehörigkeit hat er im Verfahren somit nicht behauptet. Ferner ist auf die Länderinformationen zu verweisen, wonach selbst Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Verfolgung mehr ausgesetzt sind. Eine asylrelevante Gefährdung des Beschwerdeführers alleine wegen seiner Clanzugehörigkeit kann daher nicht erkannt werden.

Abschließend bleibt lediglich der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass allfälligen dem Beschwerdeführer drohenden, nicht asylrelevanten Gefährdungen durch die bereits von der belangten Behörde erfolgte Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ausreichend Rechnung getragen wurde.

2.3. Zum Herkunftsstaat:

Es wurde vor allem Einsicht genommen in folgende Erkenntnisquelle des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers:

Länderinformation der Staatendokumentation „Somalia“ vom 17.03.2023 (Version 5)

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln.

Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ermöglicht, zu den herangezogenen Länderberichten eine Stellungnahme abzugeben, wobei sie diesen nicht substantiiert entgegentrat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zu Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides:

3.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 leg.cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge Bundesgesetzblatt 55 aus 1955, (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005, die auf Artikel 9, der RL 2004/83/EG des Rates verweist).

Im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist vergleiche VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde vergleiche VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt vergleiche VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht vergleiche VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, ist auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus vergleiche VwGH 11.06.1997, 95/01/0627).

„Glaubhaftmachung" im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2 der GFK ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden. Zudem ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen vergleiche VwGH 09.05.1996, 95/20/0380). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema vergleiche VwGH 30.09.2004, 2001/20/0006, betreffend Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten vergleiche VwGH 28.05.2009, 2007/19/1248; 23.01.1997, 95/20/0303) reichen für sich alleine nicht aus, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten vergleiche VwGH 26.11.2003, 2001/20/0457).

3.2. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt vergleiche oben, 2.2.), kommt dem Beschwerdeführer hinsichtlich seines Vorbringens zur Verfolgungsgefahr keine Glaubwürdigkeit zu. Zudem konnte entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden, dass dieser nach einer allfälligen Rückkehr nach Somalia Verfolgungshandlungen bzw. Bedrohungssituationen ausgesetzt wäre.

3.3. Daher ist die gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides erhobene Beschwerde abzuweisen.

Da sich die vorliegende Beschwerde ausdrücklich nur gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides richtet, sind die Spruchpunkte römisch II. und römisch III. bereits in Rechtskraft erwachsen.

Zu B)

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2023:W123.2261350.1.00