Bundesverwaltungsgericht
26.09.2023
L531 2269847-1
L531 2269847-1/11E
L531 2269863-1/10E
L531 2269850-1/10E
L531 2269856-1/10E
L531 2269854-1/10E
L531 2269859-1/ 7E
L531 2269861-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Anita MAYRHOFER über die Beschwerden von römisch 40 , geb. römisch 40 , römisch 40 , geb. römisch 40 , römisch 40 , geb. römisch 40 , römisch 40 , geb. römisch 40 , römisch 40 , geb. römisch 40 , römisch 40 , geb. römisch 40 römisch 40 , geb. römisch 40 , alle StA. Irak, vertreten durch die BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl je vom 28.02.2023, ZIen. römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.07.2023 zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
römisch eins.1. Die beschwerdeführenden Parteien (in weiterer Folge gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch kurz als „bP1“ bis „bP7“ bezeichnet), sind Staatsangehörige des Iraks, wobei die bP1 mit der bP2 verheiratet ist und es sich bei der bP3, bP4 und bP5 jeweils um ihre volljährigen Söhne und bei der bP6 und bP7 um ihre minderjährigen Töchter handelt. Die bP reisten legal und gemeinsam aus ihrem Herkunftsstaat aus und gelangten schlepperunterstützt ua. über Rumänien – wo sich die Familie trennte – nach Österreich. Die bP1 reiste gemeinsam mit der bP2, der bP5 sowie den minderjährigen bP6 und bP7 rechtswidrig in das Bundesgebiet ein, wo sie am römisch 40 .2021 bei der belangten Behörde (in weiterer Folge „bB“) Anträge auf internationalen Schutz stellten. Die volljährigen bP3 und bP4 folgten sodann ihrer Familie und stellten am römisch 40 .2021 bei der bB Anträge auf internationalen Schutz.
römisch eins.2.1. Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes römisch 40 .2021 brachte die bP1 zu ihrer Ausreisemotivation aus dem Herkunftsstaat im Wesentlichen Folgendes vor:
„Ich werde von Firmen gepfändet und es gibt auch ein Gericht gegen mich, da ich jemanden Geld schuldig bin. Die Lage mit meinem Geschäft (selbständiger Verkäufer von Lebensmitteln) wurde auch immer schlechter. Das ist der einzige Grund, warum ich den Irak verlassen habe. Andere Fluchtgründe habe weder ich, noch meine Familienmitglieder.“
Im Fall der Rückkehr befürchte die bP1 wegen ihrer offenen Schulden inhaftiert zu werden.
Die bP2 führte erstbefragt aus: „Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und die schlechte wirtschaftliche Lage im Irak, verließen meine Familie und ich meine Heimat. Das ist mein einziger Grund, warum wir den Irak verlassen haben.“ Bei einer Rückkehr habe sie Angst vor der unsicheren Lage.
Die bP5 führte erstbefragt aus: „Aus Angst vor der unsicheren Lage in meiner Heimat und von den türkischen Truppen habe ich gemeinsam mit meiner Familie den Irak verlassen. Das ist mein einziger Grund, warum ich meine Heimat verlassen habe. Andere Fluchtgründe gibt es nicht. Bei einer Rückkehr habe sie Angst, sie wolle nicht zurück.
Die zum Zeitpunkt der Erstbefragung 14jährige bP6 führte erstbefragt aus, dass sie die selben Fluchtgründe wie ihre Eltern habe, eigene Fluchtgründe habe sie keine. Ihr sei es in ihrem Land nicht gut gegangen und wolle sie nicht zurück.
Für die minderjährige bP7 wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.
römisch eins.2.2. Die bP3 gab in ihrer Erstbefragung am römisch 40 .2021 im Wesentlichen Folgendes an: „Wir lebten in Armut, es gab keine Möglichkeit meine Schulausbildung fortzusetzen. Ich möchte hier zur Schule gehen und meine Schulausbildung abschließen. Ich möchte zu meiner Familie, welche bereits hier lebt. Sonst habe ich keine weiteren Fluchtgründe.“ Die bP3 gab an, „keine“ Rückkehrbefürchtungen zu haben.
Die bP4 gab in ihrer Erstbefragung am römisch 40 .2021 im Wesentlichen Folgendes an: „In meiner Heimat herrscht Krieg. Mein Dorf wurde zerstört, weil es ein Kriegsschauplatz zwischen der PKK und der türkischen Armee war. Wegen des Krieges konnten wir die Schule nicht besuchen und es herrscht Armut. Sonst habe ich keine weiteren Gründe einer Asylantragstellung. Die bP4 gab an, im Falle der Rückkehr „nichts“ zu befürchten.
römisch eins.2.3. Sämtliche bP traten schon in Bulgarien in Erscheinung, wo sie Anträge auf internationalen Schutz gestellt hatten. Ein Verfahren nach der Dublin römisch III Verordnung wurde eingeleitet, die bP verblieben jedoch in Österreich bzw. wurden ihre Verfahren hier zugelassen.
römisch eins.2.4. In ihrer schriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am römisch 40 .2023 brachte die bP1 nach allgemeinen Belehrungen und Fragen zu ihren persönlichen Verhältnissen zum Fluchtgrund im Wesentlichen vor, dass sie von einem Geschäftspartner bedroht werde, nachdem sie offene Verbindlichkeiten nicht hätte bezahlen können. Die Familie hätte zwei Häuser im Irak besessen, diese habe die bP1 im Dezember 2020 verkauft um ihre Gläubiger befriedigen zu können; jedoch hätte der Verkaufserlös nicht gereicht um die Schulden aus der Geschäftstätigkeit (Lebensmittelgeschäft) zu begleichen.
Die bP2 brachte im Zuge ihrer schriftlichen Einvernahme am selben Tag im Wesentlichen vor, dass ihr Ehemann im Irak Probleme gehabt hätte. Sie wisse nicht wie ihr Ehemann bedroht worden sei, weil „der Mann ( römisch 40 ) nur drei Mal bei uns zu Hause war, ich machte mir nur Sorgen wegen den Töchtern“. Persönlich sei die bP2 nicht bedroht worden.
In ihrer schriftlichen Einvernahme vor der bB am römisch 40 2023 brachte die bP3 im Wesentlichen vor, dass die Familie das Land verlassen hätte, weil der Vater Probleme gehabt hätte. Auf Nachfrage brachte die bP3 ergänzend vor, dass der Vater mit einem Freund Probleme gehabt hätte, nachdem er sich sein Geschäft nicht mehr habe leisten können und in Konkurs gegangen sei. Der Vater, die bP1 habe die Schulden gegenüber seinem Freund nicht mehr bezahlen können, deswegen „hatten sie Streit. Befragt, ich weiß nicht wie die Bedrohungen ausgesehen haben, mein Vater hat nur erzählt, dass er bedroht wurde...“.
In ihrer Einvernahme am selben Tage brachte die bP4 vor, dass sie bei der Erstbefragung deshalb nicht ausgeführt habe, dass ihr Vater bedroht worden und dies der Hauptgrund des Verlassens des Herkunftsstaates gewesen wäre, da ihr der Vater erst in Österreich davon erzählt hätte. Zu Ihrem Ausreisegrund führte die bP4 sodann aus, dass der Vater Probleme gehabt hätte, zudem sei „unser Dorf“ zerstört worden, wobei sie dann später nachgefragt vermeinte, dass sie in dem Dorf nur Verwandte besucht und nicht gelebt hätten.
Die ebenfalls am römisch 40 .2023 einvernommene bP5 brachte zusammenfassend vor, dass die Familie den Irak wegen der Bedrohung des Vaters durch einen Gläubiger im Dezember 2020 verlassen hätte, dies sei ihr einziger Grund gewesen.
Schließlich brachte die zum Zeitpunkt ihrer Einvernahme minderjährige bP6 in Anwesenheit ihres Vaters in ihrer Befragung vor der bB am römisch 40 .2023 vor, dass ihre Eltern beschlossen hätten nach Österreich zu gehen. Sie selbst sei nie konkret bedroht worden. Sie könne sich ein Leben im Irak vorstellen, sie würde nichts Besonderes machen, hätte keine Zukunft und führte aus, dass sie die Schule nicht mehr besucht hätte, da die Lehrer sehr streng gewesen wären.
römisch eins.2.5. Die bP brachten nachstehende Bescheinigungsmittel in Vorlage:
● 7 Personalausweise im Original (Neue Ausstellungsmodalität)
● 1 Wohnkarte im Original
● 1 Staatsbürgerschaftsnachweis
● 1 Auszug aus dem Personenstandsregister im Original
● 1 Auszug aus dem Familienregister im Original
● 2 Seiten Ehevertrag in Kopie der bP1 und bP2
● 9 Seiten Schriftstücke in Arabisch (Gesundheitszeugnisse)
● Schulbesuchsbestätigung Polytechnische Schule römisch 40 zur bP6
● Unterstützungsschreiben der Mittelschule römisch 40 zur bP6
● Bescheid des AMS römisch 40 über eine Beschäftigungsbewilligung der bP3 vom 31.05.2022
römisch eins.3.1. Mit Bescheiden der bB je vom 28.02.2023 wurden die Anträge der bP auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Irak gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG betrage die Frist zur freiwilligen Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch VI.).
In Bezug auf sämtliche bP wurde ein im Spruch inhaltlich gleichlautender Bescheid erlassen, weshalb sich aus dem Titel des Familienverfahrens gem. Paragraph 34, AsylG ebenfalls kein anderslautender Bescheid ergab.
römisch eins.3.2. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die bB das Vorbringen der bP in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht glaubhaft.
römisch eins.3.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak traf die bB ausführliche Feststellungen.
römisch eins.3.4. Rechtlich führte die bB aus, dass weder ein unter Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter Paragraph 8, Absatz eins, AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Artikel 8, EMRK dar, weshalb Rückehrentscheidung und Abschiebung in Bezug auf den Irak zulässig wären.
römisch eins.4.1. Gegen die im Spruch genannten Bescheide wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsätzen innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. In sämtlichen Beschwerden wurde mit Verweis auf die Länderberichte insbesondere auf die Allgemeine Menschenrechtslage, die Verfolgung von Sunniten durch schiitische Milizen, Folter und unmenschliche Behandlung im Allgemeinen und die volatile Sicherheitslage im Irak Bezug genommen. Generell wurde moniert, die bB habe mangelhafte Ermittlungen und in der Folge mangelhafte Feststellungen getroffen. Zudem wurde in allen Beschwerden geltend gemacht, dass die bP als Angehörige der Volksgruppe der Kurden bzw. des sunnitischen Glaubens im Irak Diskriminierungen und Verfolgung ausgesetzt wären.
Abschließend wird in den Beschwerden jeweils gleichlautend, nebst Durchführung einer mündlichen Verhandlung, begehrt, den bP den Status der Asylberechtigten, oder hilfsweise den der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, sowie hilfsweise die Rückkehrentscheidungen für auf Dauer unzulässig zu erklären oder den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
römisch eins.4.2. In der gemeinsamen Beschwerde der bP1, bP2, bP6 und bP7 wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die bP2 und ihre beiden Töchter der sozialen Gruppe der Frauen und Kinder bzw. Mädchen angehören und laut UNHCR besonders vulnerabel wären. So habe etwa die bP6 vor der bB gesagt, sie würde später gerne den Beruf der Friseurin ausüben, hätte sich jedoch vor dem männlichen Einvernahme-Organ nicht getraut auch auszuführen, dass es im Irak keine Möglichkeit zur Ausübung dieses Berufs gäbe.
römisch eins.4.3. In der Beschwerde der bP3 wird im Wesentlichen vorgebracht, dass dieser aufgrund des patriarchischen Systems im Irak bei der Einreise nicht bewusst gewesen sei, dass sie auch eigene Ansichten und Gründe hätte vorbringen dürfen. Als eigenen Fluchtgrund würde die bP3 daher Vorbringen, als ältester Sohn der bP1 von den Gläubigern ihres Vaters verfolgt zu werden. Ferner sei der bP3 wegen ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe in Verbindung mit ihrer Stammeszugehörigkeit sowie ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der kampffähigen Männer Asyl zu gewähren bzw. wäre sie mangels Unterstützungsmöglichkeiten durch Familienangehörige bei einer Rückkehr unmenschlicher und erniedrigender Behandlung ausgesetzt.
römisch eins.4.4. In der Beschwerde der bP4 wird im Wesentlichen vorgebracht, dass diese bereits in der Erstbefragung wie auch vor der bB darauf aufmerksam gemacht hätte, dass auch Krieg herrschen würde und sie sich von vorherein von der PKK versteckt gehalten hätte. Sie habe sich der Rekrutierung nachhaltig entziehen können, indem sie mit ihrer Kernfamilie ins Ausland flüchtete. Ansonsten wäre die bP4 – als einzig verbliebener Sohn der bP1 im Irak - von den Gläubigern des Vaters zur Verantwortung gezogen worden.
römisch eins.4.5. Auch in der Beschwerde der bP5 wird vorgebracht, dass diese sich nicht der PKK habe anschließen wollen und sich deshalb drei bis vier Monate versteckt gehalten hätte, wobei sie seitens der PKK bei ihrer Tante gesucht worden wäre. Sie habe sich somit einer Rekrutierung nachhaltig ebenfalls nur entziehen können, indem sie mit ihrer Kernfamilie ins Ausland flüchtete. Andernfalls wäre auch sie der einzig verbliebene Sohn der bP1 im Irak gewesen und wäre sie ansonsten von den Gläubigern des Vaters zur Verantwortung gezogen worden.
römisch eins.5. Am 10.07.2023 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Beisein der bP und der Rechtsvertretung, sowie eines Dolmetschers für die Sprache Kurdisch-Kurmanji und Bahdini. Die bB ist der mündlichen Beschwerdeverhandlung entschuldigt ferngeblieben.
Im Verlauf der Verhandlung wurden den bP1 bis bP6 neuerlich die Gelegenheit eingeräumt, ihre Ausreisegründe und ihre Rückkehrbefürchtungen umfassend darzulegen und wurden sie zu ihren bisherigen Integrationsbemühungen befragt.
Im Zuge der Einvernahme brachten die bP weitere Unterlagen zu ihrer Integration (Schulbesuchsbestätigung der bP6 vom 07.07.2023; Schulnachricht der bP7 vom 10.02.2023 und 07.07.2023; Schriftübungen der bP7; undatierte Lohnzettel der bP3; Meldung der Beschäftigungsaufnahme der bP3 an das AMS römisch 40 vom 07.02.2023; Bescheid AMS römisch 40 vom 06.02.2023 über eine Beschäftigungsbewilligung die bP3 betreffend; Deutschpass vom römisch 40 jeweils ab 25.04.2023 die bP5, bP4, bP1, bP2 betreffend) sowie zwei Screenshots von Videos zum Fluchtvorbringen die PKK betreffend, in Vorlage.
römisch eins.6. Zum im Zuge der Beschwerdeverhandlung ausgehändigten aktuellen Bericht der Staatendokumentation zum Irak brachten die bP mit Schriftsatz vom 12.07.2023 eine gemeinsame Stellungnahme ein, die sich insbesondere mit der schwierigen Lage der Frauen im Irak auseinandersetzt.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
römisch II.1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Parteien:
Bei den bP handelt es sich um irakische Staatsangehörige, welche sich zum sunnitischen Islam bekennen. Die bP gehören der Volksgruppe der Kurden an und stammen aus römisch 40 , einer Großstadt in der Provinz Dahuk in der Autonomen Region Kurdistan. Die Muttersprache der bP ist Kurdisch-Kurmanji bzw. sprechen sie den Dialekt Bahdini. Ihre Staatsangehörigkeit und der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist der Irak. Die Identität der bP steht nicht fest.
Die bP sind gesunde Menschen mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer –wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherten Existenzgrundlage. Die volljährigen bP sind arbeitsfähig.
Die Pflege und Obsorge der minderjährigen bP 6 (fast 17 Jahre) und bP 7 (10 Jahre) ist durch deren Eltern gesichert.
Die bP 1 wurde in römisch 40 , Bezirk römisch 40 in der Provinz Dahuk geboren und übersiedelte mit ihrer Familie im Jahr 1979 nach römisch 40 in der gleichen Provinz und etwa Anfang 1988 nach römisch 40 . Die bP 1 gehört dem Clan „ römisch 40 “ an, welcher etwa 200 bis 300 Personen umfasst. Sie hat fünf Jahre die Schule besucht und keine Berufsausbildung abgeschlossen. Die bP1 hat als Hilfsarbeiter begonnen zu arbeiten, betrieb von 1997 bis 2012 ein Restaurant und sodann bis 2018 ein Lebensmittelgeschäft; bis zur ihrer Ausreise arbeitete sie als Kellner und LKW-Fahrer. Die Eltern der bP1 sind bereits verstorben; in römisch 40 leben zwei Brüder mit ihren Familien, wobei ein Bruder eine Landwirtschaft betreibt und einer in einem Restaurant arbeitet. Beide Brüder verfügen über Liegenschaftseigentum. Im Irak leben mehrere Onkel und weitere Verwandte der bP1. Die bP1 steht in Kontakt mit ihren Verwandten und im Irak aufhältigen Freunden. In Norwegen hält sich ein Bruder der bP1 auf, in Deutschland ein weiterer Bruder.
Die bP2 wurde in römisch 40 in der Provinz Dahuk geboren und übersiedelte mit ihrer Familie etwa im Jahr 1982 nach römisch 40 . Sie hat nur kurz die Schule besucht und hat keine Berufsausbildung abgeschlossen. Sie war zuletzt Hausfrau. Die Mutter, sowie drei Brüder und drei Schwestern der bP2 leben in römisch 40 . Der Vater ist verstorben. Die bP2 steht mit ihren Angehörigen in Kontakt und befinden sich noch weitere Verwandte und Freunde der bP2 im Irak. Brüder der bP2 arbeiten im Baubereich, ein Bruder war Pershmerga, die Ehemänner der Schwestern arbeiten entweder als Pershmerga oder im Baubereich. In Deutschland sind zwei Schwestern und ein Bruder aufhältig, in Großbritannien zwei weitere Brüder.
Ein Sohn der bP1 und bP2 lebt in Deutschland.
Die volljährige bP3 wurde in römisch 40 geboren und hat dort sechs Jahre die Grundschule und drei Jahre die Hauptschule besucht ohne einen Abschluss zu erlangen. Sie hat keine Berufsausbildung abgeschlossen. Die bP3 arbeitete bis zur Ausreise in einem Restaurant. Sie steht mit ihren Onkeln und Tanten sowie Freunden im Irak in Kontakt.
Die volljährige bP4 wurde in römisch 40 geboren und hat dort sechs Jahre die Schule besucht. Nachdem sie mehrmals eine Klasse wiederholen musste, hat sie die Schule abgebrochen. Sie hat keine Berufsausbildung und arbeitete zuletzt als Parkwächter. Sie steht mit ihren Onkeln und Tanten, ihrer Großmutter sowie Freunden im Irak in Kontakt.
Die volljährige bP5 wurde in römisch 40 geboren und hat dort sieben Jahre die Schule besucht ohne einen Abschluss zu erlangen, sie hat keine Berufsausbildung abgeschlossen. Sie hat unregelmäßig bis zur ihrer Ausreise als Kellner gearbeitet. Sie steht mit ihren Onkeln und Tanten sowie Cousins und Freunden im Irak in Kontakt.
Die beiden minderjährigen Töchter, bP6 und bP7 sind in römisch 40 geboren und haben dort fünf bzw. vier Jahre die Schule besucht.
Die bP waren in Besitz eines zweistöckigen Hauses in römisch 40 sowie einer landwirtschaftlichen Fläche im Heimatort der bP1. Die bP1 verkaufte das Haus Ende 2020 und das Grundstück, um damit die schlepperunterstützte Reise der Familie zu finanzieren.
Die bP reisten Ende Februar 2021 gemeinsam und unter Verwendung ihrer Reisepässe und mit türkischen Visa legal in einem Fahrzeug eines Verwandten aus dem Irak aus und gelangten mit dem Flugzeug von Diyarbakir nach Istanbul, von wo sie eine schlepperunterstützte Reise über die Westbalkanroute begannen. Die bP3 und die bP4 stellten am römisch 40 .2021 in Bulgarien einen Antrag auf internationalen Schutz; während der Prüfung ihrer Anträge stellten sie am 20.05.2021 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Zu den bP1, bP2 und bP5 bis bP7 liegen zu Bulgarien jeweils EURODAC-Treffer der Kategorie 1 (Asylantragstellung) vom römisch 40 .2021 vor. Hieraus folgt, dass die bP in Bulgarien einen Asylantrag ("1") gestellt haben müssen, denn gemäß Artikel 2, Absatz 3, Sitzung 3 der DurchführungsVO werden Daten von Asylbewerbern mit "1" gekennzeichnet. Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse der EURODAC-Abfrage und der Angaben der bP in ihren diesbezüglichen Einvernahmen richtete die bB jeweils auf Artikel 18, Absatz eins, Litera b, der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) gestützte Wiederaufnahmeersuchen an Bulgarien. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl je vom 09.07.2021, Zlen. römisch 40 römisch 40 römisch 40 römisch 40 die bP1, bP2, bP5, bP7, vom 12.07.2021, Zl. römisch 40 die bP6, sowie je vom 27.07.2021, Zlen. römisch 40 die bP3 und bP4 betreffend, wurde die jeweiligen Anträge gemäß Paragraph 5, Absatz eins, AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Bulgarien gemäß Artikel 18, Absatz eins, Litera b, Dublin-III-VO für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz zuständig sei. Zudem wurde die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung nach Bulgarien zulässig sei. Den Beschwerden der bP gegen die zuvor zitierten Bescheide wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnissen vom 22.02.2022, W239 2245315-1/7E und W239 2245316-1/7E sowie vom 10.01.2022, W235 2244833-1/6E, W235 2244834-1/5E, W235 2244829-1/5E, W235 2244830-1/5E, W235 2244832-1/5E, stattgegeben und jeweils begründend festgestellt, dass obwohl die Zuständigkeit Bulgariens zur Führung der Asylverfahren der bP unzweifelhaft vorlag, aber die Überstellung der Beschwerdeführer nicht innerhalb der in Artikel 29, Absatz eins, Dublin-III-VO festgelegten Frist von sechs Monaten erfolgte. Die Verfahren wurden nicht ausgesetzt bzw. fand keine sonstige Fristverlängerung im Sinne des Artikel 29, Absatz 2, Dublin-III-VO statt, sodass die in Artikel 29, Absatz 2, Dublin-III-VO normierte Rechtsfolge des Zuständigkeitsüberganges auf Österreich stattgefunden hat.
Es wurde nicht dargelegt, dass den bP die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz nicht auch in anderen sicheren Staaten möglich gewesen wäre und/oder, dass Flüchtlinge dort bei Vorliegen der Voraussetzungen keinen Schutz erlangen könnten. Sie reisten illegal und schlepperunterstützt in Österreich ein.
Die bP stellten unter Verwendung einer anderen Identität als in Österreich ( römisch 40 ) in Bulgarien Anträge auf internationalen Schutz. Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels im Original konnte die Identität der bP im Verfahren nicht abschließend festgestellt werden. Soweit diese namentlich genannt werden, legt das Gericht auf die Feststellung wert, dass dies lediglich der Identifizierung der bP als Verfahrenspartei dient, nicht jedoch eine Feststellung der Identität im Sinne einer Vorfragebeurteilung iSd Paragraph 38, AVG bedeutet.
römisch II.1.2. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Parteien:
Keine der bP gehörte in ihrem Herkunftsstaat einer politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und waren die bP vor ihrer Ausreise keiner individuellen Verfolgung oder sonstiger Gefährdung durch staatliche Organe oder Privatpersonen, insbesondere auch aufgrund ihrer kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit oder ihres islamisch-sunnitischen Religionsbekenntnisses ausgesetzt und werden im Falle einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion einer solchen auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sein.
Auch hatten die bP vor ihrer Ausreise keine Probleme mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften ihres Herkunftsstaates zu gewärtigen und verließen sie den Herkunftsstaat legal unter Verwendung ihrer irakischen Reisepässe.
Die bP1 wurde wegen etwaiger Zahlungsschwierigkeiten nicht von einem Freund bzw. Geschäftspartner namens „ römisch 40 “ bedroht oder verfolgt, ihr droht wegen Zahlungsschwierigkeiten keine Verfolgung durch ehemalige Geschäftspartner, Angehörige ihres Clans oder staatliche Organe. Demzufolge ist keine der anderen bP im Sinne einer „Sippenhaftung“ von einer derartigen Verfolgung bedroht.
Den Irak verließen die bP zur Verbesserung ihrer Lebenssituation auf Grund wirtschaftlicher bzw. privater Interessen.
Die bP4 und bP5 waren keiner versuchten Zwangsrekrutierung durch die PKK ausgesetzt. Sie haben sich weder in der Vergangenheit versteckt gehalten, noch droht ihnen bei einer Rückkehr in den Irak, dass sie von der PKK oder irgendeiner anderen Miliz oder Gruppierung zwangsrekrutiert werden. Auch konnte in Hinblick auf die minderjährigen bP6 und bP7 nicht festgestellt werden, dass diese mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Rekrutierung durch die PKK oder irgendeiner anderen Miliz oder Gruppierung ausgesetzt sein würden.
In der KRI besteht keine allgemeine Wehrpflicht.
Den weiblichen minderjährigen bP droht bei einer Rückkehr in ihr Heimatland keine Zwangsheirat. Ebenso wenig sind die weiblichen bP im Fall einer Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von geschlechtsspezifischer oder häuslicher Gewalt, insbesondere von Genitalverstümmelung, betroffen.
Den beschwerdeführenden Parteien bzw. der Familie wurde vor ihrer Ausreise auch keine Nähe zum Islamischen Staat unterstellt und wurden sie von diesem auch nicht aufgefordert, sich an Kampfhandlungen zu beteiligen.
Keiner der bP droht im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung der bP festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe, sowie kriegerische Ereignisse oder terroristische Anschläge oder eine mangelnde existenzielle Lebensgrundlage im Irak bzw. der KRI.
römisch II.1.3. Zum Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien in Österreich:
Die bP haben in Österreich keine Verwandten und leben auch sonst mit keiner nahe stehenden Person zusammen, welche nicht zur Kernfamilie zu zählen ist.
Da ihnen in diesem Verfahren weder der Status eines Asylberechtigten noch jener eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, erweist sich die Einreise gem. Paragraph 120, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 7, FPG als rechtswidrig. Hätten sie diesen unbegründeten Asylantrag nicht gestellt, wären sie rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig und ist im Lichte dieses Umstandes davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.
Die volljährigen bP1, bP2, bP4 und bP5 beziehen laufend Leistungen aus der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig bzw. haben über längere Zeit hinweg keine legalen, ernsthaften und tauglichen Bemühungen zur Herstellung der Selbsterhaltungsfähigkeit in jenen Gebieten des österreichischen Arbeitsmarktes unternommen, die auch Asylwerbern zugänglich sind, etwa im Bereich der saisonalen Tätigkeit in der Landwirtschaft oder im Gastgewerbe, bzw. selbstständiger Tätigkeit vergleiche hierzu etwa https://www.ams.at/unternehmen/service-zur-personalsuche/beschaeftigung-auslaendischer-arbeitskraefte/beschaeftigung-von-asylwerberinnen-und-asylwerbern#wie-koennen-asylwerber-innen-beschaeftigt-werden). Die minderjährigen bP6 und bP7 beziehen laufend Leistungen aus der Grundversorgung und werden von ihren Eltern versorgt.
Die bP3 bezog bis 31.05.2022 aus dem Titel „Krankenversicherung“ und bis 03.06.2022 weitere Leistungen aus der Grundversorgung. Der bP3 wurde mit Bescheid des AMS römisch 40 vom römisch 40 .2022 erstmals eine Beschäftigungsbewilligung für die „ römisch 40 römisch 40 KG als „Abräumer/in“ im Ausmaß von 40 Stunden ausgestellt. Diese wurde mit Bescheid vom römisch 40 .2023, gültig von römisch 40 .2023 bis römisch 40 .2024 verlängert. Die bP3 war von römisch 40 .2022 bis römisch 40 .2022, von römisch 40 .2023 bis römisch 40 .2023 und ist laufend seit römisch 40 .2023 bei dem im Bescheid genannten Arbeitgeber mit einem monatlichen Bruttolohn von EUR 1.700,00 beschäftigt. Die bP3 ist selbsterhaltungsfähig.
Die bP1 lebt gemeinsam mit der bP2, den beiden minderjährigen bP6 und bP7 und der bP5 in einer Wohnung, die bP4 lebt in derselben Straße. Die bP3 lebt seit römisch 40 2022 in einer Unterkunft ihres Arbeitgebers.
Die bP waren nicht in der Lage, ihren Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen. Die bP1, bP2, bP4 und bP5 besuchen seit Ende April 2023 zweimal wöchentlich einen Deutschkurs. Keine der bP hat einen Deutschkurs abgeschlossen oder ein Sprachzertifikat über den Nachweis des Erwerbs der deutschen Sprache erworben. Zu den aktuellen Deutschkenntnissen ist anzuführen, dass sich die Deutschkenntnisse der bP1 bis bP5 in der Verhandlung als kaum vorhanden erwiesen, die bP 6 weist aufgrund ihres Schulbesuches Deutschkenntnisse auf.
Die bP6 besuchte zuletzt die Polytechnische Schule römisch 40 als außerordentliche Schülerin wobei kein Schulfach beurteilt wurde. Die bP7 besuchte zuletzt die sechste Schulstufe der Mittelschule römisch 40 als außerordentliche Schülerin wobei nur zwei Schulfächer, „Technisches Werken, Textiles Werken“ (Note 3) und „Religion“ (Note 1) beurteilt wurden.
In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheinen keine Vormerkungen wegen rk. gerichtlicher Verurteilungen in Hinblick auf die strafmündigen bP auf.
Keine der bP ist Mitglied in einem Verein oder engagiert sich in nachhaltiger Form ehrenamtlich.
Die bP verfügen über erste soziale Kontakte in Österreich, eine besondere dahingehende soziale Integration konnte nicht festgestellt werden.
Eine besondere Integration in beruflicher, gesellschaftlicher oder sozialer Hinsicht in Österreich konnte insgesamt nicht festgestellt werden.
römisch II.1.4. Zur Situation bei einer Rückkehr in die KRI:
Aus der derzeitigen Lage ergibt sich im Herkunftsstaat, insbesondere in der Herkunftsregion der bP, unter umfassender Berücksichtigung aller Umstände des gegenständlichen Falles, keine Situation, wonach im Falle der Rückkehr eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der bP als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts besteht.
Bei den volljährigen bP handelt es sich um mobile, junge, gesunde, arbeitsfähige Menschen. Einerseits stammen die bP aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehören die bP keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf ihre individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellen als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. So war es den bP auch vor dem Verlassen ihres Herkunftsstaates möglich, dort ihr Leben zu meistern.
Die volljährigen bP haben Zugang zum Arbeitsmarkt in der Herkunftsregion und es steht ihnen frei, eine Beschäftigung bzw. zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen.
Ebenso haben die bP Zugang zum –wenn auch minder leistungsfähigen als das österreichische- Sozialsystem des Herkunftsstaates und könnten dieses in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus ist es den bP unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden bzw. das PDS in Anspruch zu nehmen.
Die bP leiden an keiner Krankheit, die im Irak nicht behandelbar wäre und steht ihnen im Falle einer Rückkehr das dortige Gesundheitssystem offen.
Ebenso kam hervor, dass die bP im Herkunftsstaat nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen. Sie stammen aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird und können die bP daher Unterstützung durch ihre Familie erwarten. Alle bP stehen in Kontakt mit ihren Familienangehörigen in der Provinz Dahuk sowie mit Freunden und Bekannten.
Familienangehörige leben nach wie vor im Irak in der KRI und sind sichtlich in der Lage, dort ihr Leben zu meistern.
Die bP verfügen im Rahmen einer Gesamtschau über eine wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich gesicherten Existenzgrundlage.
Es ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht in eine, allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage geraten.
Die Provinz Dahuk bzw. römisch 40 ist mit Linienflügen von Wien nach Erbil und sodann über die Schnellstraße Nummer 3 und die Fernstraße römisch 40 oder alternativ über die Schnellstraße Nummer 2 über Mossul ohne die maßgebliche Wahrscheinlichkeit eintretender sicherheitsrelevanter Vorfälle erreichbar.
Die bP verfügen über Personalausweise in Original.
römisch II.1.5. Zur gegenwärtigen Lage im Herkunftsstaat Irak
politische Lage in der Kurdistan Region Irak (KRI)
Letzte Änderung: 11.08.2022
Die Kurdistan Region Irak (KRI) erhielt bereits 1991 de facto Autonomie (DFAT 17.8.2020, S.18) und ist als territoriale Entität in der irakischen Verfassung anerkannt (DFAT 17.8.2020, S.18; vergleiche Rudaw 20.11.2019). Artikel 141 besagt, dass die in der KRI seit 1992 erlassenen Rechtsvorschriften in Kraft bleiben und dass die von der Kurdischen Regionalregierung (KRG) erlassenen Beschlüsse als gültig betrachtet werden, sofern sie nicht im Widerspruch zur irakischen Verfassung stehen (DFAT 17.8.2020, S.18). Die KRI besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah (DFAT 17.8.2020, S.18) sowie aus dem im Jahr 2014 durch Ministerratsbeschluss aus Sulaymaniyah herausgelösten Gouvernement Halabja, wobei dieser Beschluss noch nicht in die Praxis umgesetzt wurde (GIZ 1.2021a). Die Gewaltenteilung in der KRI steht auf dem Prüfstand, da die politische Macht eng mit den beiden führenden kurdischen Clans der Barzani (KDP) und der Talabani (PUK) verbunden ist (BS 23.2.2022, S.13).
Die KRI wird von einem Präsidenten mit weitreichenden exekutiven Befugnissen geführt. Der Entwurf der kurdischen Verfassung sieht alle vier Jahre Präsidentschaftswahlen vor und begrenzt die Amtszeit auf zwei Perioden. 2013 wurde jedoch die Amtszeit des vormaligen Präsidenten Masoud Barzani von der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) nach bereits achtjähriger Amtszeit aufgrund einer politischen Vereinbarung mit der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) verlängert (FH 28.2.2022). Der Präsident der KRI vertritt die KRI auf nationaler und internationaler Ebene und ist für die Beziehungen und die Koordinierung zwischen der Regierung der KRI und der Zentralregierung zuständig (DFAT 17.8.2020). Das kurdische Parlament besteht aus 111 Mitgliedern, die alle vier Jahre gewählt werden. Im aktuellen Parlament, das im November 2018 gewählt wurde, sind sechzehn Parteien und Listen vertreten. Insgesamt sind elf Parlamentssitze für ethnische und konfessionelle Minderheiten reserviert. Je fünf der Sitze sind für Turkmenen und Christen reserviert, einer für Armenier. Laut Gesetz müssen mindestens 30% der Sitze von Frauen gehalten werden (KP 2021; vergleiche DFAT 17.8.2020, S.18, FH 28.2.2022). Bei den letzten Wahlen vom September 2018 erzielte die regierende KDP 45 Sitze, die PUK 21, Gorran 12 und mehrere kleinere Parteien und Minderheitenvertreter verteilten sich auf den Rest. Gorran und andere kleinere Parteien lehnten das Wahlergebnis wegen Betrugsvorwürfen und anderer Unregelmäßigkeiten ab (FH 28.2.2022). Religiöse Einmischung in die Politik ist in der KRI weitgehend nicht existent (BS 23.2.2022).
Artikel 140 der irakischen Verfassung aus dem Jahr 2005 sieht eine Lösung der Frage um die sogenannten umstrittenen Gebiete, Regionen in den Gouvernements Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din vor (Rudaw 11.11.2020). Artikel 58 beinhaltet Maßnahmen, die darauf abzielen, die unter der Herrschaft von Saddam Hussein durchgeführte Arabisierungspolitik zu korrigieren (Rudaw 30.7.2019; vergleiche Rudaw 11.11.2020). Die Frage von Artikel 140 hätte bis spätestens 2007 durch ein Referendum geregelt werden sollen, bei dem die Einwohner des Gebietes entscheiden sollten, ob sie sich der Region Kurdistan anschließen oder an die föderale irakische Regierung gebunden bleiben wollten, wurde jedoch nie umgesetzt (Rudaw 11.11.2020). Im Juli 2019 stellt das Oberste Bundesgericht des Irak fest, dass Artikel 140 und Artikel 58 der Übergangsregierung (2005/2006) nach wie vor umzusetzen sind (Rudaw 30.7.2019). In einer Sitzung des Verfassungsausschusses haben einige schiitische Mitglieder die Meinung geäußert, dass Artikel 140 aus der Verfassung gestrichen werden sollte (Rudaw 11.11.2020).
Im Jahr 2017 hat die KRG zu einem Referendum über die Unabhängigkeit Kurdistans aufgerufen, welches vom irakischen Höchstgericht für verfassungswidrig erklärt wurde (GIZ 1.2021a; vergleiche FAZ 18.9.2017). Dieses Unabhängigkeitsreferendum, bei dem sich rund 93 % der Wähler für die Unabhängigkeit aussprachen, war angeblich durch Einschüchterung und Betrug beeinträchtigt (FH 3.3.2021; vergleiche SDZ 27.9.2017). Im Nachgang zum Unabhängigkeitsreferendum hat die irakische Armee die umstrittenen Gebiete, welche nach dem Zurückdrängen des Islamischen Staates (IS) unter kurdischer Kontrolle standen, im Herbst 2017 größtenteils wieder unter ihre Kontrolle gebracht (AA 25.10.2021, S.17-18). Dabei kam es im Oktober 2017 zu teils auch schweren bewaffneten Auseinandersetzungen mit Opfern auf beiden Seiten (AA 2.3.2020). Der langjährige Präsident der KRI, Masoud Barzani, der das Referendum mit Nachdruck umgesetzt hatte, trat als Konsequenz zurück (FH 28.2.2022; vergleiche GIZ 1.2021a). Das Präsidentenamt blieb daraufhin bis Mai 2019 vakant (FH 3.3.2021). Die Exekutivgewalt lag währenddessen in den Händen von Premierminister Nechirvan Barzani, seinem Neffen (FH 28.2.2022). Seither ist die Lage in den umstrittenen Gebieten generell angespannt. Es gibt Meldungen von Landbesetzungen und Vertreibung kurdischer Bevölkerungsteile durch Araber einerseits und großen Vorbehalten der dort lebenden Kurden und religiösen Minderheiten gegen die schiitischen PMF-Milizen andererseits (AA 25.10.2021, S.18).
Die Beziehungen zwischen dem Zentralirak und der KRI haben sich während der Amtszeit von Premierminister al-Kadhimi zwar verbessert, bleiben jedoch angespannt. Grund hierfür sind unter anderem die ausbleibenden, ungeklärten Transferleistungen aus dem Zentralirak, welche die finanzielle Lage der Bevölkerung in der KRI verschlechtern (AA 25.10.2021, S.6). Insbesondere die Verabschiedung eines Gesetzes, das die Festschreibung des KRI-Anteils am irakischen Gesamthaushalt an die die Überweisung von Öl- und Zolleinnahmen der KRI an den Zentralirak bindet, bleiben ein Streitpunkt (AA 25.10.2021, S.6). Am 12.11.2020 verabschiedete das irakische Parlament zudem ein Budget-Defizitgesetz in Abwesenheit der Vertreter der KRI, welche die Sitzung boykottierten. Die KRI wird darin aufgefordert ihre gesamten Einnahmen, insbesondere auch jene aus dem Ölsektor, an die Zentralregierung abzugeben, um vom Staatshaushalt zu profitieren (Kurdistan24 12.11.2020). Am 15.2.2022 hat das Oberste Bundesgericht das Öl- und Gasgesetz Nr. 22/2007 der KRG für verfassungswidrig erklärt und beschlossen, dass die KRG verpflichtet sei, die gesamte Ölproduktion aus den Ölfeldern in der KRI und aus anderen Gebieten, aus denen das Ministerium für Naturressourcen der KRG Öl gefördert hat, abzuliefern. Auch habe das irakische Ölministerium das Recht alle mit der KRG abgeschlossenen Ölverträge über den Export und den Verkauf von Öl und Gas zu überprüfen (RoI FSC 16.2.2022). Die KRG erklärte die Entscheidung für verfassungswidrig und hat angekündigt alle verfassungsmäßigen, rechtlichen und gerichtlichen Maßnahmen zu ergreifen, um alle im Öl- und Gassektor geschlossenen Verträge zu schützen und zu wahren (Gov.KRD 15.2.2022).
Dagegen verbesserte sich die Sicherheitskooperation im Kampf gegen den IS leicht (AA 25.10.2021, S.6). Zudem unterzeichneten Bagdad und Erbil im Oktober 2020 eine Übereinkunft zu Sinjar [Shengal], die sich eine rasche Verbesserung der Sicherheitslage und Klärung der Verwaltungsverantwortlichkeiten zum Ziel setzt (AA 22.1.2021, S.6). In Abstimmung mit der UN-Unterstützungsmission für den Irak (UNAMI) hat das Abkommen die föderale Regierung gestärkt und den Weg für den Wiederaufbau im Sinjar-Distrikt geebnet. Allerdings nehmen die Jesiden-Vertreter eine ablehnende Haltung ein, da sie in die Verhandlungen nicht einbezogen wurden. Das Abkommen sieht die Beseitigung der bewaffneten Gruppen in der Region vor, einschließlich der PKK und der PMF-Kräfte (Al Monitor 13.10.2020).
Nachdem die KRI 1991 ihre de-facto-Autonomie vom Irak Saddam Husseins erlangt hatte, hat sie sich zu einem politischen Duopol zurückentwickelt, das insbesondere von den beiden familienzentrierten Parteien, der KDP und der PUK, beherrscht wird (MEI 24.2.2021; vergleiche FH 3.3.2021, France24 22.2.2020). In der Region Kurdistan fehlt den demokratischen Institutionen die Kraft, den Einfluss der langjährigen Machthaber einzudämmen (FH 28.2.2022). Diese beiden Parteien kontrollieren die staatlichen Institutionen auf allen Ebenen, dazu das Militär und die inneren Sicherheitskräfte (MEI 24.2.2021). Beide verfügen auch über bewaffnete Einheiten (Peshmergas), die eigentlich unter dem gemeinsamen Kommando des Peshmerga-Ministeriums der KRG stehen sollten (BS 29.4.2020, S.7f; vergleiche AA 25.10.2021, S.9). Die KDP und die PUK haben die demokratischen Grundsätze der Regierungsbildung häufig untergraben (BS 29.4.2020, S.14), und versuchen, einen echten demokratischen Diskurs zu verhindern, indem sie den freien Zugang zu staatlichen Informationen einschränken, kritische Journalisten und politische Aktivisten verhaften und ihnen nahestehende Medienunternehmen finanzieren. Darüber hinaus beaufsichtigen sie ein weitverbreitetes Klientelsystem, das durch die Ölindustrie der Region und Budgettransfers der irakischen Regierung angeheizt wird, und das Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor an diejenigen vergibt, die als politisch loyal gelten, und Aufträge an parteinahe Unternehmen vergibt (MEI 24.2.2021). Die KDP hat ihr Machtzentrum in Erbil, die PUK ihres in Sulaymaniyah. Beide verfügen einerseits über eine bedeutende Anzahl von Sitzen im irakischen Parlament und gewannen andererseits auch die meisten Sitze bei den Wahlen in der KRI im September 2018 (CRS 3.2.2020). In der KRI ist im Raum Erbil und Dohuk eine Oppositionsbewegung zur KDP kaum existent. In der Region um Sulaymaniyah und Halabja haben sich in den vergangenen Jahren auch Gruppen von der PUK abgewandt, allerdings ohne großen politischen Einfluss gewinnen zu können (AA 25.10.2021, S.10). Trotz Wählerverlustes konnte sich die PUK einflussreiche Ressorts sowohl in der KRG als auch in Bagdad sichern (BS 29.4.2020, S.14). Der Machtkampf zwischen KDP und PUK schwächt einerseits inner-kurdische Reformen und andererseits Erbils Position gegenüber Bagdad (GIZ 1.2021a; vergleiche ICG 27.3.2019). Nebst den beiden dominanten Parteien, KDP und PUK, sind insbesondere Gorran (Wandel), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert (KAS 2.5.2018, S.21; vergleiche WI 8.7.2019), sowie eine Reihe kleinerer islamistischer Parteien präsent (KAS 2.5.2018).
Auch nach dem Rücktritt von Präsident Masoud Barzani teilt sich die Barzani-Familie die Macht. Nechirvan Barzani, langjähriger Premierminister unter seinem Onkel Masoud, beerbte ihn im Amt des Präsidenten der KRI. Masrour Barzani, Sohn Masouds, wurde im Juni 2019 zum neuen Premierminister der KRI ernannt (GIZ 1.2021a; vergleiche FH 28.2.2022) und im Juli 2019 durch das kurdische Parlament bestätigt (CRS 3.2.2020).
Proteste in der KRI gehen auf das Jahr 2003 zurück. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind gleichgeblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018). Während der Massenproteste in Bagdad und dem Südirak im Herbst 2019 blieb es in der Kurden-Region ruhig. 2017 und 2018 waren zuvor Proteste in der KRI niedergeschlagen worden (BAMF 5.2020, S.10), wobei es sogar, etwa 2017 in Sulaymaniyah, Todesopfer zu beklagen gab (France24, 22.2.2020). Wegen der verschlechterten Wirtschaftslage, hoher Arbeitslosigkeit und des Mangels an Strom- und Wasserversorgung kommt es auch in der KRI zu lokal begrenzten Protesten und Demonstrationen (AA 25.10.2021, S.5). Von Mai bis Oktober 2020 hatten etwa Aktivisten und Lehrer in der Region Dohuk Proteste organisiert, um die von den Behörden verzögerte Auszahlung der Gehälter zu fordern. Es kam auch zu Festnahmen. Infolge verurteilte ein Gericht in der KRI am 16.2.2021 in einem als äußerst fehlerhaft kritisierten Verfahren drei Journalisten und zwei Aktivisten zu sechs Jahren Gefängnis (HRW 22.4.2021). Und im Dezember 2020 wurden bei gewaltsamen Protesten acht Menschen getötet und hunderte verletzt. Anlass waren die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und (wiederum) die Nichtauszahlung von Gehältern im öffentlichen Dienst. In Ortschaften jenseits der größeren Städte und in Sulaymaniyah wurden die Büros diverser Parteien in Brand gesteckt. Die Regierung nahm Organisatoren der Proteste fest und schloss einen Fernsehsender, der über die Demonstrationen berichtete (MEI 24.2.2021; vergleiche Al Jazeera 8.12.2020).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.8.2021
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WI - Washington Institute (8.7.2019): Gorran and the End of Populism in the Kurdistan Region of Iraq, https://www.washingtoninstitute.org/fikraforum/view/gorran-and-the-end-of-populism-in-the-kurdistan-region-of-iraq, Zugriff 13.8.2021
Islamischer Staat (IS)
Letzte Änderung: 22.08.2022
Im Dezember 2017 erklärte der Irak offiziell den Sieg über den Islamischen Staat (IS), nachdem im Monat zuvor mit Rawa im westlichen Anbar, das letzte urbane Zentrum des IS im Irak zurückerobert worden war (Al Monitor 11.7.2021). Der IS stellt nach wie vor eine Bedrohung dar (DIIS 23.6.2021; vergleiche MEE 4.2.2021, Garda 15.4.2021, USDOS 16.12.2021). Er ist als klandestine Terrorgruppe aktiv, deren Fähigkeit zu operieren dadurch verringert ist, dass er weder Territorium noch Zivilbevölkerung beherrscht (FH 3.3.2021). Der IS versucht jedoch vor allem in jenen Gebieten Fuß zu fassen, deren Kontrolle zwischen der kurdischen Regionalregierung und der föderalen Regierung umstritten ist (USDOS 16.12.2021). Laut irakischen Kommandanten ist der IS nicht mehr in der Lage Territorien zu halten (MEE 4.2.2021).
Nur eine Minderheit der IS-Kräfte ist aktiv in Kämpfe verwickelt, besonders in einigen Gebieten im Nord- und Zentralirak. In Gebieten mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit konzentriert sich der IS auf die Doppelstrategie der Einschüchterung und Versöhnung mit den lokalen Gemeinschaften, während er auf ein erneutes Chaos oder den Abzug der internationalen Anti-Terrortruppen wartet (NI 19.5.2020). Der IS unterhält im gesamten West- und Nordirak Zellen, die gut ausgerüstet und äußerst mobil sind. Es wird angenommen, dass sie die Unterstützung aus den marginalisierten sunnitischen Gemeinschaften in der Region erhalten (Garda 15.4.2021). Schätzungen über die Stärke des IS gehen von 2.000 bis zu 10.000 IS-Kämpfer im Irak, dürften aber zu hoch gegriffen sein und sich zur Hälfte aus Unterstützern und Schläfern zusammensetzen (NI 18.5.2021). Auch die Vereinten Nationen schätzen die Stärke des IS im Irak und in Syrien auf etwa 10.000 Kämpfer, wobei es sich dabei um eine Schätzung handelt und die Zahl tatsächlich geringer ausfällt (Wilson Center 10.12.2021).
Eine grundlegende geografische Verteilung der IS-Kämpfer lässt sich aus deren Operationen ableiten, die sie gegen die Sicherheitskräfte und die PMF durchführen. Diese betreffen hauptsächlich Anbar, Bagdad, Babil, Kirkuk, Salah ad-Din, Ninewa und Diyala (NI 18.5.2021). Nach der territorialen Niederlage im Jahr 2017 haben sich Zellen des IS weitgehend im Gebietsdreieck zwischen den Gouvernements Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk, einschließlich des Hamrin-Gebirges, im Nordirak neu gruppiert. Das Gebiet liegt zwischen den Zuständigkeiten der irakischen Sicherheitskräfte und denen der Kurdischen Regionalregierung (KRG), den Peshmerga (MEE 4.2.2021). Um die 2.000 der Kämpfer sollen sich in diversen Dreiecksgebieten konzentrieren: Das Gebiet zwischen Nord, West und Süd Bagdad, das Gebiet zwischen den nördlichen Hamreenbergen, Südkirkuk und dem Osten von Salah-ad-Din, das Gebiet zwischen Makhmour, Shirqat und den Khanoukenbergen im nördlichen Salah ad-Din, das Gebiet zwischen Baaj in Ninewa, Rawa im nördlichen Anbar und dem Tharthar See, das Gebiet zwischen Wadi Hauran, Wadi al-Qathf und Wadi al-Abyad in Anbar (NI 19.5.2020). Auch Informationen irakischer Sicherheitsbeamter deuten darauf hin, dass der IS auf abgelegene Stützpunkte tief in der Wüste in Anbar, Ninewa, in Gebirgszügen, Tälern und Obstplantagen in Bagdad, Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala zurückgreift, um seine Kämpfer unterzubringen und Überwachungs- und Kontrollpunkte zur Sicherung der Nachschubwege einzurichten. Er nutzt diese Stützpunkte auch, um Kommandozentren und kleine Ausbildungslager einzurichten. In urbanen Gebieten hat der IS seine Kämpfer in kleinen mobilen Untergruppen reorganisiert und seine Aktivitäten in Gebieten in denen er noch Einfluss hat verstärkt, indem er die internen Probleme des Iraks ausnutzt und sich vertrautes geografisches Gebiet zunutze macht (NI 18.5.2021). Im Jänner 2022 erklärte der Leiter der irakischen Sicherheitsmedienzelle, Generalmajor Sa'ad Ma'an, dass der IS weiterhin in den Qarachokh-Bergen, in der Gegend südlich von Makhmur und in Teilen der Gouvernements Kirkuk, Diyala und Salah ad-Din präsent sei (NRT 4.2.2022).
Der verstärkte Einsatz von mobilen IS-Gruppen, die in verschiedenen Gebieten operieren, oft weit entfernt von ihren Stützpunkten oder von Unterkünften wie den Madafat Anmerkung, Grundausbildungslager), die sich in unwegsamem Gelände, Felsenhöhlen oder unterirdischen Tunneln befinden, bedeutet, dass die tatsächliche Präsenz der Gruppe nicht anhand ihrer territorialen Ansprüche oder von Ankündigungen irakischer Behörden beurteilt werden kann (NI 18.5.2021). Der IS verlässt sich bei der Planung und Ausführung seiner Aktivitäten auf geografisches Terrain. Obwohl die Gruppe nicht mehr als Staat agiert, wie es in den Jahren des Kalifats von 2014 bis 2018 der Fall war, beziehen sich ihre Kommuniqués, in denen sie sich zu Anschlägen bekennt, immer noch auf das Wilayat als Teil ihrer PR-Strategie (NI 18.5.2021).
Der IS wählt seine Einsatzgebiete nach strategischen Faktoren aus: Ein Faktor ist die Generierung von Finanzmitteln, an den Handelsrouten zum Iran, zu Syrien und zwischen den irakischen Gouvernements, durch Steuern bzw. Schutzgelder, die Transportunternehmen auferlegt werden, sowie aus dem Schmuggel von Medikamenten, Waffen, Zigaretten, Öl, illegalen Substanzen und Lebensmitteln. Ein anderer Faktor ist die Schaffung strategischer Tiefe und sicherer Häfen. So konzentriert sich der IS auf die Ansiedlung in verlassenen Dörfern im Nord- und Zentralirak, wo natürliche geographische Barrieren und Gelände, wie Täler, Berge, Wüsten und ländliche Gebiete, konventionelle Militäroperationen zu einer Herausforderung machen. Hier nutzt der IS Höhlen, Tunnel und Lager zu Ausbildungszwecken, auch um sich Überwachung, Spionage und feindlichen Operationen zu entziehen. Ein weiterer Faktor ist die direkte Nähe zum Ziel. Der IS konzentriert sich beispielsweise auf Randgebiete um Städte und große Dörfer, die eine große Präsenz von einerseits Stammesmilizen oder lokalen Streitkräften und andererseits von nicht-lokalen loyalistischen PMF-Milizen aufweisen, sowie auf niederrangige Beamte, die mit der Regierung für die Vertreibung des IS zusammengearbeitet haben. Solche Gebiete sind häufig instabil aufgrund von Friktionen zwischen den verschiedenen Kräften. Einheimische, vor allem solche, die durch die anwesenden Kräfte geschädigt wurden, können dem IS gegenüber aufgeschlossener sein (CPG 5.5.2020).
Der IS hat die jüngsten Entwicklungen im Irak, wie die weitreichenden öffentlichen Proteste, den Rücktritt der Regierung und die daraus resultierende politische Stagnation, die Machtkämpfe um die Ermordung des Führers der PMF, Abu Mahdi al-Muhandis, durch die USA und den Abzug von US-Streitkräften aus dem Irak, operativ genutzt und in eher kleinen Gruppen von neun bis elf Männern Anschläge in Diyala, Salah ad-Din, Ninewa, Kirkuk und im Norden Bagdads verübt (CPG 5.5.2020).
Der IS begeht zumeist Angriffe mit Kleinwaffen, Hinterhalte und Bombenanschläge am Straßenrand (IEDs) (Wilson Center 10.12.2021; vergleiche USDOS 16.12.2021). Er greift jedoch auch auf Selbstmordattentate, Attentate, Entführungen und Sabotageakte zurück. Dabei sind Angriffe im kleinen Ausmaß heute am weitesten verbreitet. Die Ziele sind je nach Gebiet unterschiedlich, aber im Allgemeinen handelt es sich um die Sicherheitskräfte der verschiedenen Gebiete, ihre vermeintlichen Unterstützer/Kollaborateure und die breitere Bevölkerung schiitischer und anderer nicht-sunnitischer Muslime, die alle als Ungläubige und Abtrünnige gelten (Wilson Center 10.12.2021).
Seit Sommer 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021). Der IS hat sich zu Dutzenden solcher Anschläge bekannt und bedroht auch andere lebenswichtige Infrastruktur. Es wird angenommen, dass der IS versucht, Panik zu verbreiten, indem er das Elektrizitätsnetz angreift (Rudaw 8.8.2021).
Nach der Tötung des "Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi wurde Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi 2019 der neue Anführer des IS. Dieser wurde als Ameer Muhammed Sa'id al-Salbi al-Mawla identifiziert, ein langjähriger Anführer des IS aus Tal'afar im Nordirak (NI 19.5.2020; vergleiche CISAC 2021). Am 4.2.2022 kam al-Qurashi bei einer Militäroperation der USA in Nordsyrien ums Leben (Al Jazeera 4.2.2022; vergleiche Reuters 9.2.2022, GS 11.3.2022). Im März 2022 wurde verkündet, dass Abu al-Hassan al-Hashimi al-Qurayshi die Nachfolge angetreten hat. Hinter diesem nom de guerre verbirgt sich laut irakischen und westlichen Geheimdienstquellen Juma Awad al-Badri, ein Bruder des ersten "Kalifen" (GS 11.3.2022).
Dem "Kalifen" sind zwei fünfköpfige Ausschüsse unterstellt: ein Shura (Beratungs-) Rat und ein Delegiertenausschuss. Jedes Mitglied des Letzteren ist für ein Ressort zuständig (Sicherheit, sichere Unterkünfte, religiöse Angelegenheiten, Medien und Finanzierung). Die verschiedenen Sektoren des IS arbeiten auf lokaler Ebene dezentralisiert, halbautonom und sind finanziell autark (NI 19.5.2020).
Quellen:
Al Jazeera (4.2.2022): Profile: Who was Abu Ibrahim al-Qurayshi?, https://www.aljazeera.com/news/2022/2/4/abu-ibrahim-al-qurayshi-who-was-isil-killed-in-us-raid, Zugriff 18.2.2022
Al Monitor (11.7.2021): Islamic State uses hit-and-run tactics in Iraq, https://www.al-monitor.com/originals/2021/07/islamic-state-uses-hit-and-run-tactics-iraq, Zugriff 25.8.2021
AN - Arab News (14.8.2021): West Baghdad without water after ‘attack’ on power grid, https://www.arabnews.com/node/1911056/middle-east, Zugriff 25.8.2021
CISAC - Center for International Security and Cooperation (2021): The Islamic State, https://cisac.fsi.stanford.edu/mappingmilitants/profiles/islamic-state#highlight_text_12400, Zugriff 25.8.2021
CPG - Center for Global Policy (5.5.2020): ISIS in Iraq: From Abandoned Villages to the Cities, https://cgpolicy.org/articles/isis-in-iraq-from-abandoned-villages-to-the-cities/, Zugriff 4.6.2020
DIIS - Danish Institute for international Studies (23.6.2021): Security provision and external actors in Iraq, https://www.diis.dk/en/research/security-provision-and-external-actors-in-iraq, Zugriff 25.8.2021
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021
Garda World (15.4.2021): Iraq: At least five people killed, 21 injured in car bomb explosion in Baghdad April 15 /update 1, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/467636/iraq-at-least-five-people-killed-21-injured-in-car-bomb-explosion-in-baghdad-april-15-update-1, Zugriff 25.8.2021
GS - Global Security (11.3.2022): Abu al-Hassan al-Hashimi al-Qurayshi, https://www.globalsecurity.org/military/world/para/abu-al-hassan-al-hashimi.htm, Zugriff 6.7.2022
MEE - Middle East Eye (4.2.2021): Islamic State regrouping in northern Iraq and relying on women operatives, https://www.middleeasteye.net/news/iraq-islamic-state-regrouping-northern-women-operatives, Zugriff 10.4.2021
NI - Newlines Institute (18.5.2021): ISIS in Iraq: Weakened but Agile, https://newlinesinstitute.org/iraq/isis-in-iraq-weakened-but-agile/?ref=nl, Zugriff 20.5.2021
NI - Newlines Institute (19.5.2020): ISIS 2020: New Structures and Leaders in Iraq Revealed, https://newlinesinstitute.org/isis/isis-2020-new-structures-and-leaders-in-iraq-revealed/, Zugriff 4.6.2021
NRT - Nalia Media Corporation (4.2.2022): Three Peshmerga wounded in ISIS attack in Qarachokh Mountains, http://nrttv.com/En/detail6/2461, Zugriff 9.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (16.12.2021): Country Report on Terrorism 2020 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2065356.html, Zugriff 22.2.2022)
Reuters (9.2.2022): Islamic State likely to pick battle-hardened Iraqi as next leader - officials, analysts, https://www.reuters.com/world/middle-east/islamic-state-likely-pick-battle-hardened-iraqi-next-leader-officials-analysts-2022-02-09/, Zugriff 18.2.2022
Rudaw (8.8.2021): More than 18 attacks on electricity towers thwarted in Iraq in two weeks: military spox, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/080820212, Zugriff 25.8.2021
Wilson Center (10.12.2021): Explainer: The Islamic State in 2021, https://www.wilsoncenter.org/article/explainer-islamic-state-2021, Zugriff 18.2.2021
Sicherheitslage in der Kurdistan Region Irak (KRI)
Letzte Änderung: 22.08.2022
In der Kurdistan Region Irak (KRI) üben die kurdischen Kräfte das Monopol auf die Anwendung legitimer Gewalt in städtischen Gebieten aus. Die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) betreibt illegale Kontrollpunkte in den Grenzgebieten innerhalb der KRI, insbesondere im Sinjar-Gebirge, und erhebt Steuern von Einwohnern, einschließlich Landwirten und Viehhaltern (BS 23.2.2022). Die PKK ist in den Qandil Bergen (Erbil) präsent (WKI 11.5.2021). 2007 haben die Türkei und die Zentralregierung in Bagdad eine Vereinbarung getroffen, dass die Türkei Kämpfer der verbotenen PKK über die gebirgige Grenze in den Nordirak verfolgen darf, ohne zuvor die Erlaubnis der irakischen Regierung in Bagdad einholen zu müssen (Reuters 28.9.2007). Die Türkei führt im Nordirak zum Teil massive militärische Operationen gegen die PKK durch (GIZ 1.2021a). Seit 2018 hat die Türkei mehrere Militäroperationen auf KRI-Boden ausgeführt. Von August 2018 bis Mai 2019 fand die "Operation Resolve" statt (Clingendael 3.2022). Von Mai 2019 bis Juni 2020 führten die türkischen Streitkräfte die "Operation Claw" durch (FH 3.3.2021; vergleiche Clingendael 3.2022) und errichteten mehrere temporäre Militärstützpunkte, vorgeblich, um die eigene Grenzsicherheit zu erhöhen (FH 3.3.2021; vergleiche GIZ 1.2021a). Weitere Militäroperationen sind "Claw-Tiger", "Claw-Eagle" und "Claw-Thunder", von Juni 2020 bis heute (Clingendael 3.2022). Die Türkei hat eine etwa 25 km tiefe Sicherheitszone errichtet (WKI 11.5.2021) und verfügt über mindestens 41 Militärstützpunkte in der KRI (WKI 11.5.2021; vergleiche BS 23.2.2022). Die Gründung weiterer Militärstützpunkte ist geplant (Reuters 18.6.2020). Durch die Einrichtung dieses Netzes von Militärstützpunkten soll die Handlungsfreiheit der PKK eingeschränkt werden. Die Stützpunkte dienen auch als Startpunkte für Such- und Zerstörungsoperationen durch mobile Bodentruppen und Lufteinheiten (Clingendael 3.2022). Seit Beginn der jüngsten Militäroperation "Claw Lock" wurden vier weitere Stützpunkte, zwei in Avashin und zwei in Zap, errichtet. Am 16.6.2022 wurde außerdem mit dem Bau eines neuen Stützpunktes auf dem Berg Kurazharo oberhalb von Shiladze begonnen (CPT 30.6.2022).
Zuvor hatte die Türkei im April 2021 eine neuerliche Militäroperation gegen die PKK in den Gebieten von Metina, Avasin und Basyan, im Gouvernement Dohuk eingeleitet (Al Jazeera 16.8.2021; vergleiche FAZ 24.4.2021, Rudaw 24.4.2021). Ein Ziel der Operation war es, eine Militärbasis zu errichten, um die Bewegungen der PKK zwischen der KRI, der Türkei und Syrien zu unterbinden (Rudaw 5.5.2021). Das Gebiet von Metina, wo eine neue türkische Basis entstehen soll, steht im Mittelpunkt der Operation "Claw Lightning", während die "Operation Claw Thunder" auf die Gebiete Avashin und Basyan weiter östlich zielt (IKHRW o.D.). Die jüngste türkische Militärkampagne namens "Claw Lock" hat am 17.4.2022 begonnen. Ziel ist es die vollständige militärische Kontrolle über die gebirgige Grenzregion zu erlangen, die sich etwa 180 km von Osten nach Westen und bis zu 15 km südlich der irakisch-türkischen Grenzlinie erstreckt. Die Kampagne hat mit massiven Luftangriffen und dem Einsatz von Spezialeinheiten bis zu 12-15 km südlich der türkisch-irakischen Grenze in den Gebieten von Zap und Avashin, die zuvor von der Zivilbevölkerung geräumt worden waren, begonnen. Es wurden auch gezielte Drohnenangriffe gegen PKK-Mitglieder bis nach Kalar, 280 km von der irakisch-türkischen Grenze entfernt durchgeführt. Bei zwei Drohnenangriffen kamen Zivilisten ums Leben, darunter ein Kind. Insgesamt sind zwischen 21.5. und 21.6.2022 drei Kinder und zwei erwachsene Zivilisten getötet worden, 15 Zivilisten wurden verletzt (CPT 30.6.2022).
Obwohl die unmittelbar an die türkisch-irakische Grenze angrenzenden Gebiete nur dünn besiedelt sind, wirkt sich die Ausweitung der türkischen Operationen nach Süden zunehmend negativ auf das Leben der irakischen (kurdischen) Bewohner aus. Türkische Drohnen- und Artillerieangriffe fordern immer mehr zivile Opfer, zerstören ziviles Eigentum und Vieh und zwingen die Dorfbewohner, ganze Gebiete zu verlassen (Clingendael 3.2022).
Die folgende Karte zeigt einen Überblick über die militärische Präsenz der Türkei im Nordirak im Januar 2022:
Nachdem die Bedrohung durch den Islamischen Staat (IS) zurückgegangen war, begannen die Peshmerga-Truppen der kurdischen Regionalregierung (KRG) mit Versuchen, die PKK aus der Region zu vertreiben. Die Spannungen eskalierten nach der Ermordung eines kurdischen Grenzbeamten, angeblich durch die PKK. Inzwischen setzt die PKK ihre Angriffe auf eine wichtige Pipeline und auf Peshmerga-Soldaten fort (BS 23.2.2022).
Der IS greift in der KRI gelegentlich an und sucht nach günstigen Gelegenheiten für Angriffe (Wing 3.5.2021). Der IS hat die Taktik geändert, von groß angelegten zu kleineren und gezielten Angriffen. Dabei hat der IS seine Angriffe auch auf kurdische Sicherheitskräfte verstärkt (VOA 11.5.2021). Der IS teste auch im November und Dezember 2021 die Sicherheit in der KRI mit Angriffen in Sulaymaniyah und Erbil (Wing 4.1.2022).
Die folgende Karte des Amts für Statistik der Kurdistan Region Irak weist die kurdischen Gouvernements und deren Distrikte aus. [Anm.: Hierbei ist zu beachten, dass auch Distrikte inkludiert sind, die zu den umstrittenen Gebieten zählen aber bis zu einem gewissen Grad unter kurdischer Verwaltung stehen. Dazu zählen in Dohuk die Distrikte Akre, Bardarash und Shekhan, in Erbil der Distrikt Makhmour und zum Teil der Distrikt Mergasor, sowie in Sulaymaniyah die Distrikte Khanaqin und Kifri.]
Gouvernement Dohuk
Für April 2021 hat der Irakexperte Joel Wing einen sicherheitsrelevanten Vorfall mit einem toten türkischen Soldaten und einem verwundeten Zivilisten verzeichnet (Wing 3.5.2021). Ein hochrangiger Sicherheitsbeamter aus Dohuk berichtet, dass im Zuge einer türkischen Militäroperation der Ort Zinare Kesta und nahe gelegene Dörfer in der Region Metina bombardiert wurden (Rudaw 24.4.2021). Das Dorf Zinare Kesta wurde im Mai 2021 aufgrund der schweren türkischen Bombardements vollständig evakuiert (Rudaw 5.5.2021).
Im April 2022 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle ohne Opfer verzeichnet (Wing 11.5.2022). Beide Vorfälle, darunter ein Raketenbeschuss eines türkischen Militärlagers, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 11.5.2022).
Der Datenbank von ACLED zufolge gab es im Gouvernement Dohuk im Jahr 2021 1.543 Vorfälle, in der ersten Hälfte des Jahres 2022 waren es 1.408. Nimmt man die umstrittenen Distrikte Akre, Bardarash und Shekhan dazu, kommen 2021 63 und 2022 18 Vorfälle dazu.
Im Distrikt Amediya wurden im Jahr 2021 1.405 Vorfälle verzeichnet. Bei 1.387 dieser Vorfälle handelte es sich um Kampfhandlungen zwischen der türkischen Armee und der PKK, sowie der PJAK und in zwei Fällen der People's United Revolutionary Movement (HBDH). Zwischen Februar und Juni 2021 wurden fünf Vorfälle verzeichnet, die sich auf die Vertreibung von hunderten Zivilisten beziehen, die vor den anhaltenden Bombardements und Kampfhandlungen während der türkischen Operationen Claw-Lightning und Claw-Thunderbolt geflohen sind. Bei sieben weiteren Vorfällen waren Zivilisten von türkischen Luft-/Drohnenangriffen oder Artillerie- und Raketenbeschuss betroffen. Nur ein Vorfall wird mit dem IS in Verbindung gebracht. In Fünf Fällen kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Peshmerga und Angehörigen der PKK. Im Jahr 2022 wurden 1.383 Vorfälle verzeichnet, von denen 1.362 auf den Konflikt zwischen der Türkei und der PKK zurückgehen. Bei vier Vorfällen kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Peshmerga und Angehörigen der PKK. In drei Vorfällen waren Zivilisten indirekt von Kampfhandlungen betroffen, wobei es Todesfälle und Verletzte gab (ACLED 2022).
Im Distrikt Dohuk wurden im Jahr 2021 19 Vorfälle verzeichnet. Sechs der Vorfälle stammen aus dem Türkei-PKK-Konflikt. Bei 13 der verzeichneten Vorfälle handelte es sich um friedliche Demonstrationen. Im Jahr 2022 wurden es fünf Vorfälle verzeichnet, darunter drei Vorfälle von gezielter Gewalt gegen Zivilisten (ACLED 2022).
Im Distrikt Semile wurden im Jahr 2021 zwei Vorfälle verzeichnet, bei denen PKK-Angehörige bei einem IED-Anschlag gegen Sicherheitspersonal in einem IDP-Lager Kinder getötet haben (ACLED 2022).
Im Distrikt Zaxo wurden im Jahr 2021 116 Vorfälle verzeichnet, von denen 113 mit Kampfhandlungen des Türkei-PKK-Konflikts in Zusammenhang stehen. Im Jahr 2022 waren es 20 Vorfälle von denen 18 Kampfhandlungen zwischen der türkischen Armee und der PKK betrafen. Bei einem der Vorfälle beschoss die PKK eine Medienagentur (ACLED 2022).
Im umstritten Distrikt Akre wurden 2021 57 Vorfälle verzeichnet, von denen 55 Luft-/Drohnenangriffe der türkischen Armee gegen die PKK ausmachten. Bei den übrigen beiden handelte es sich um einen IED-Angriff der PKK gegen eine Peshmerga-Patrouille und um einen Vorfall, bei dem die PKk das Haus eines Zivilisten anzündete, der sich weigerte sie aufzunehmen. 2022 wurden 16 Vorfälle verzeichnet, von denen 15 im Zusammenhang mit dem Türkei-PKK-Konflikt stehen (ACLED 2022).
Im umstrittenen Distrikt Bardarash wurden 2021 und 2022 je zwei Vorfälle verzeichnet. Darunter die Ermordung eines Peshmerga außer Dienst und eine friedliche Demonstration (ACLED 2022).
Im umstrittenen Distrikt Shekhan wurden 2021 drei Vorfälle verzeichnet, von denen zwei mit dem Türkei-PKK-Konflikt in Verbindung standen (ACLED 2022).
ACLED 2022 | ||||||
| 1.-3.2021 | 4.-6.2021 | 7.-9.2021 | 10.-12.2021 | 1.-3.2022 | 4.-6.2022 |
Gewalt gegen Zivilisten (davon Entführungen) | 2 (1) | 2 |
| 1 | 2 (1) | 4 |
bewaffnete Auseinandersetzungen | 11 | 115 | 155 | 67 | 6 | 371 |
Sprengstoffanschläge, Landminen, IEDs, Granaten |
| 17 | 10 | 2 | 1 | 18 |
Selbstmordanschläge |
|
|
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|
|
|
Artillerie- und Raketenbeschuss | 2 | 59 | 105 | 66 | 26 | 195 |
Luft-/Drohnenangriff | 91 | 286 | 361 | 203 | 171 | 599 |
Proteste/ friedliche Demonstrationen | 1 | 3 | 4 | 7 |
|
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Protest mit Intervention |
|
|
|
| 1 |
|
Proteste/ exzessive Gewalt gegen Demonstranten |
|
|
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|
|
|
gewalttätige Demonstrationen/ Aufstände/ Mobgewalt |
|
|
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|
Strategische Entwicklungen | 4 | 23 | 4 | 3 | 5 | 27 |
Vorfälle gesamt | 111 | 505 | 639 | 349 | 212 | 1214 |
Im Gouvernement Dohuk, unterteilt in die Distrikte Amediya, Dohuk, Semile, Zaxo, Akre (umstritten), Bardarash (umstritten) und Shekhan (umstritten) wurden 2021 vier Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten angegriffen wurden (Kategorie "violence against civilians"), sowie 13 Vorfälle, bei denen Zivilisten zu Betroffenen gehörten, z.B. durch IEDs, Luft-/Drohnenangriffe, etc., verzeichnet. 2022 waren es bis Juni sechs Vorfälle von gezielter Gewalt gegen Zivilisten, sowie drei weitere bei denen Zivilisten betroffen waren (Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann).
Zivilisten als Ziele oder Opfer von Gewalt (davon Entführungen):
ACLED 2022 | ||||||
| 1.-3.2021 | 4.-6.2021 | 7.-9.2021 | 10.-12.2021 | 1.-3.2022 | 4.-6.2022 |
Amediya | 1 | 3 | 7 | 2 | 3 (1) | 3 |
Dohuk |
|
|
|
|
| 3 |
Semile |
|
| 2 |
|
|
|
Zaxo | 1 (1) | 1 |
|
|
|
|
Akre (umstritten) |
| 1 |
|
| 1 |
|
Bardarash (umstritten) |
| 1 |
|
|
|
|
Shekhan (umstritten) |
|
|
|
|
|
|
Vorfälle gesamt | 2 (1) | 5 | 9 | 2 | 4 (1) | 6 |
Quellen:
Al Jazeera (16.8.2021): Three Turkish soldiers killed in explosion in northern Iraq, https://www.aljazeera.com/news/2021/8/16/three-turkish-soldiers-killed-in-explosion-in-northern-iraq, Zugriff 25.8.2021
Al Monitor (7.7.2021): Militias launch spate of attacks on US positions in Iraq, https://www.al-monitor.com/originals/2021/07/militias-launch-spate-attacks-us-positions-iraq, Zugriff 25.8.2021
ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2022): 2021-01-01-2022-06-30-Middle_East-Iraq, Zugriff 6.7.2022
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069660/country_report_2022_IRQ.pdf, Zugriff 17.6.2022
Clingendael (3.2022): Turkish interventions in its near abroad: The case of the Kurdistan Region of Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2022-03/Policy_brief_Turkish_interventions_Kurdistan_region_of_Iraq_0.pdf, Zugriff 6.7.2022
CPT - Community Peacemaker Teams (30.6.2022): Press Release: Turkish forces are killing children, wounding farmers and targeting villages under the auspices of 'Claw-Lock' operation, https://static1.squarespace.com/static/59a826c98419c278e3fc88a4/t/62bdcf25d2656d02efeb00e4/1656606505034/Civilian-Casualties-Claw-Lock-Jun2022.pdf, 21.6.2022
FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (24.4.2021): Türkei startet neue Offensive gegen Kurden im Nordirak, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kampf-gegen-pkk-offensive-der-tuerkei-im-nordirak-17310447.html, Zugriff 25.8.2021
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021
Guardian, The (4.4.2021): Kurds in 'mountain prison' cower as Turkey fights PKK with drones in Iraq, https://www.theguardian.com/world/2021/apr/04/iraq-turkey-pkk-drones-kurds-kurdistan, Zugriff 20.4.2021
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
IKHRW - Iranian Kurdistan Human Rights Watch (o.D.): New Turkish base will be opened in Duhok, https://www.ikhrw.com/en/article/new-turkish-base-will-be-opened-in-duhok/, Zugriff 25.8.2021
Gov.KRD MoP - Ministry of Planning, Kurdistan Region Statistics Office [Irak - KRI] (2022): Kurdistan Region Administration Map, https://krso.gov.krd/en/map, Zugriff 6.7.2022
NRT - Nalia Radio and Television (13.3.2022): Iran’s IRGC claim responsibility for missile attack on Erbil, http://nrttv.com/En/detail6/2813, Zugriff 9.6.2022
NRT - Nalia Radio and Television (4.2.2022): Three Peshmerga wounded in ISIS attack in Qarachokh Mountains, http://nrttv.com/En/detail6/2461, Zugriff 9.6.2022
Reuters (18.6.2020): Turkey plans more military bases in north Iraq after offensive: official, https://www.reuters.com/article/us-turkey-security-iraq/turkey-plans-more-military-bases-in-north-iraq-after-offensive-official-idUSKBN23P12U, Zugriff 16.3.2021
Reuters (28.9.2007): Turkey, Iraq sign terrorism deal amid border row, https://www.reuters.com/article/us-turkey-iraq-idUSL2874027620070928, Zugriff 25.8.2021
Rudaw (5.5.2021): Duhok’s Kesta village completely evacuated overnight due to Turkish bombardments, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/05052021, Zugriff 25.8.2021
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Wing, Joel, Musings on Iraq (6.4.2022): Islamic State Continues To Fade Away In Iraq, http://musingsoniraq.blogspot.com/2022/04/islamic-state-continues-to-fade-away-in.html, Zugriff 9.6.2022
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Wing, Joel, Musings on Iraq (6.9.2021): Islamic State’s Summer Offensive In Iraq Ends In August, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/09/islamic-states-summer-offensive-in-iraq.html, Zugriff 7.9.2021
Wing, Joel, Musings on Iraq (2.8.2021): Violence Picks Up Again In Iraq In July 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/08/violence-picks-up-again-in-iraq-in-july.html, Zugriff 25.8.2021
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Wing, Joel, Musings on Iraq (7.6.2021): Islamic State’s Offensive Appears Over While Pro-Iran Groups Maintain Campaign In May 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/06/islamic-states-offensive-appears-over.html, Zugriff 25.8.2021
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Rechtsschutz / Justizwesen
Rechtsschutz / Justizwesen in der Kurdistan Region Irak (KRI)
Letzte Änderung: 11.08.2022
Auch in der Kurdistan Region Irak (KRI) gibt es Defizite der rechtsstaatlichen Praxis, wenngleich das Justizsystem grundsätzlich funktional ist (AA 25.10.2021, S.12). Der Kurdische Justizrat ist rechtlich, finanziell und administrativ unabhängig vom Justizministerium der Kurdischen Regionalregierung (KRG), die Exekutive beeinflusst jedoch politisch sensible Fälle. Ebenso nehmen die regional stärksten Parteien Einfluss auf Ernennungen von Richtern und auf Urteile (USDOS 12.4.2022).
Beamte der KRI berichten, dass Staatsanwälte und Verteidiger bei der Durchführung ihrer Arbeit häufig auf Hindernisse stoßen, und dass Prozesse aus administrativen Gründen unnötig verzögert werden (USDOS 12.4.2022). COVID-19-Präventivmaßnahmen und Schließungen stellten im Jahr 2020 zusätzliche Hindernisse für die Abwicklung von Gerichtsverfahren dar (USDOS 30.3.2021). Nach Angaben der Unabhängigen Menschenrechtskommission der KRI (IHRCKR) bleiben Häftlinge auch nach gerichtlicher Anordnung ihrer Freilassung für längere Zeit in den Einrichtungen des internen Sicherheitsdienstes der KRI (USDOS 12.4.2022).
Es gibt Berichte darüber, dass Männern und Buben, insbesondere solchen, denen vorgeworfen wurde mit dem Islamischen Staat (IS) in Verbindung zu stehen, ihr Recht auf eine angemessene Verteidigung verweigert wurde. Personen, die des Kurdischen nicht mächtig sind, wurde kein Dolmetscherdienst zur Verfügung gestellt, bereitgestellte Anwälte sprachen erst am Tag der Verhandlung mit ihren Mandanten, und Gerichtsverhandlungen wurden in Schnellverfahren geführt, wobei keine Untersuchungen über Behauptungen von Folter und anderen Misshandlungen eingeleitet wurden (AI 11.2020).
In der KRI können Kinder ab dem Alter von elf Jahren strafrechtlich verfolgt werden, was gegen internationale Standards verstößt (HRW 13.1.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
AI - Amnesty International (11.2020): Marked for Life - Displaced Iraqis in Cycle of Abuse and Stigmatization [MDE 14/3318/2020], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041230/MDE1433182020ENGLISH.pdf, Zugriff 2.2.2021
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066472.html, Zugriff 21.1.2022
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021
Sicherheitskräfte und Milizen
Letzte Änderung: 11.08.2022
Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, demontierte die Koalitions-Übergangsverwaltung das irakische Militär und schickte dessen Personal nach Hause. Statt des Bisherigen war ein politisch neutrales Militär vorgesehen. Das aufgelöste Militär bildete einen großen Pool für Aufständische (Fanack 8.7.2020).
Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS).
Militäreinheiten verschiedener Zweige der irakischen Sicherheitskräfte und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), einschließlich Stammeseinheiten, aus mehreren Provinzen, nehmen gemeinsam an Sicherheitsoperationen gegen den sog IS teil, unterstützt durch Luftstreitkräfte der irakischen Armee und der internationalen Koalition (NI 18.5.2021). Seit Anfang 2021 gibt es ein Koordinationsabkommen zwischen den ISF und den Peschmerga der Kurdischen Regionalregierung (KRG). Die Zusammenarbeit soll sich auf die Koordinierung und das Sammeln von Informationen zur Bekämpfung des IS in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" beschränken und die Lücken zwischen den Sicherheitskräften schließen, die bisher vom IS ausgenutzt werden konnten. Es gibt auch Stimmen, die für die Bildung einer gemeinsamen Truppe einstehen (Rudaw 23.5.2021).
Neben den staatlichen Sicherheitskräften gibt es das Volksmobilisierungskomitee, eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, der etwa 60 Milizen angehören, die als Volksmobilisierungskräfte (PMF) bekannt sind. PMF operieren im ganzen Land. Obwohl sie Teil der irakischen Sicherheitskräfte sind und Mittel aus dem Verteidigungshaushalt der Regierung erhalten, operieren sie oft außerhalb der Kontrolle der Regierung und in Opposition zur Regierungspolitik (USDOS 12.4.2022).
Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle (USDOS 12.4.2022; vergleiche BS 23.2.2022), insbesondere über bestimmte, mit dem Iran verbündete Einheiten der Volksmobilisierungskräfte (PMF) und das Popular Mobilization Committee (USDOS 12.4.2022). Außerdem wird die staatliche Kontrolle über das gesamte irakische Territorium durch die Dominanz der PMF, durch verbliebene IS-Kämpfer, durch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), eine Reihe von Stämmen, Clans und andere Milizen und schließlich durch die militärischen Interventionen regionaler Mächte, insbesondere des Iran, Israels und der Türkei, beeinträchtigt (BS 23.2.2022).
Quellen:
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069660/country_report_2022_IRQ.pdf, Zugriff 17.6.2022
Fanack (8.7.2020): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 28.1.2021
NI - Newlines Institute (18.5.2021): ISIS in Iraq: Weakened but Agile, https://newlinesinstitute.org/iraq/isis-in-iraq-weakened-but-agile/?ref=nl, Zugriff 20.5.2021
Rudaw (23.5.2021): Peshmerga-Iraq cooperation will ‘close that gap,’ cut off ISIS: Coalition, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/230520212, Zugriff 3.6.2021
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)
Letzte Änderung: 11.08.2022
Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Einheiten, die vom Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF), und dem Counter-Terrorism Service (CTS) verwaltet werden. Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 12.4.2022).
Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 150.000 bis 185.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Es gibt kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitreichend (AA 25.10.2021, S.9).
Straffreiheit für Angehörige der Sicherheitskräfte ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums, sowie über extra-legale Tötungen (USDOS 12.4.2022). Den Sicherheitskräften werden zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen zur Last gelegt: Im Zuge von Antiterror-Operationen, aber auch an Checkpoints, wurden nach 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer gefangen genommen (AA 25.10.2021, S.9).
Nach der Rückkehr der Zentralregierung nach Kirkuk Ende 2017 klagten mehrere Gemeinschaften ethnischer und religiöser Minderheiten über Diskriminierung, Vertreibung und gelegentliche Gewalt auch durch Sicherheitskräfte der Regierung (DFAT 17.8.2020, S.20).
Die irakischen Sicherheitskräfte, Armee, Bundes- und lokale Polizei werden bei ihrer Professionalisierung durch internationale Militär-und Polizeiausbildung unterstützt (AA 25.10.2021, S.9).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (17.8.2020): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036511/country-information-report-iraq.pdf, Zugriff 23.8.2021
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi
Letzte Änderung: 11.08.2022
Der Name "Volksmobilisierungskräfte" (arab: al-Hashd ash-Sha‘bi, engl.: Popular Mobilization Forces - PMF oder auch Popular Mobilization Units - PMU) bezeichnet eine Dachorganisation, ein loses Bündnis von etwa 40 bis 70 Milizen (USDOS 12.4.2022; vergleiche FPRI 19.8.2019, Clingendael 6.2018, S.1f, Wilson Center 27.4.2018), die, je nach Quelle, zwischen 45.000 und 142.000 Kämpfer umfassen (ICG 30.7.2018). Die PMF formierten sich 2014 infolge eines Rechtsgutachtens, einer sogenannten Fatwa, durch Ayatollah Ali as-Sistani, welcher darin zum Kampf gegen den vorrückenden Islamischen Staat (IS) aufrief (SWP 8.2016, S.2-4; vergleiche TCF 5.3.20218, S.2, EPIC 5.2020). Die irakische Regierung bemühte sich hernach, die Kontrolle über diese zu bewahren, indem sie am 15.6.2014 eine Kommission (auch Komitee genannt) der Volksmobilisierung bildete, das formal dem Ministerpräsidenten untersteht (SWP 8.2016, S.4). Alle PMF sind offiziell dem Vorsitzenden des Ausschusses für Volksmobilisierung und somit letztlich dem Premierminister unterstellt. In der Praxis unterstehen mehrere Einheiten auch dem Iran und seinem Korps der Islamischen Revolutionsgarden (USDOS 12.4.2022).
Die PMF sind keine einheitliche Organisation, sondern bestehen aus einer Reihe von Netzwerken, die sich in ihrer Struktur und ihren Verbindungen zueinander und zu anderen Akteuren im Staat unterscheiden (CH 2.2021, S.9). Sie haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat (Clingendael 6.2018, S.3f). Die PMF weisen ein breites Spektrum auf, sowohl organisatorisch und ideologisch als auch in Bezug auf die religiöse Zusammensetzung der einzelnen Formationen. Die PMF bestehen aus Einheiten mit unterschiedlicher Geschichte, Zugehörigkeit und Loyalität (TCF 5.3.2018, S.3). Die PMF haben nach dem erfolgreichen Kampf gegen den IS, der israelisch-iranischen Eskalation und dem Rückzug der USA aus dem Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan (JCPOA, "Atomabkommen") mit dem Iran im Jahr 2018 enorm an Einfluss gewonnen (BS 23.2.2022, Sitzung 7).
Die PMF werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Erstens die pro-iranischen schiitischen Milizen und zweitens die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen. Letztere nehmen eine positivere Haltung gegenüber der irakischen Regierung ein und sprechen sich für die Auflösung der PMF und die Eingliederung ihrer Mitglieder in die irakische Armee bzw. Polizei aus. Und drittens gibt es die heterogene Gruppe der nicht-schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu Letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen "Sinjar Widerstandseinheiten". Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018, S.3f). Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist somit schiitisch, was auch die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind im Allgemeinen in oder in der Nähe ihrer Heimatregionen tätig (USDOS 12.4.2022).
Die PMF wurden im Dezember 2016 (erstmals) formell in die irakischen Streitkräfte integriert (AA 22.1.2021, S.16; vergleiche FPRI 19.8.2019). Allerdings hat die gewählte offizielle Formulierung, welche die PMF als Teil der Sicherheitskräfte des Landes bezeichnet und sie gleichzeitig als "unabhängig" definiert, viel Raum für Interpretationen gelassen (ICSR 1.11.2018, S.5). Seit 2017 unterstehen die PMF formell dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 25.10.2021, S.15; vergleiche FPRI 19.8.2019). Am 8.3.2018 brachte der damalige irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi eine Proklamation ein, mit der die Mitglieder der PMF in die irakischen Sicherheitskräfte eingegliedert wurden, wobei sie dasselbe Gehalt wie die Angehörigen des Militärs erhalten, denselben Gesetzen unterworfen werden und Zugang zu Militärschulen und Militärinstituten erhalten sollten (EPIC 5.2020). Am 1.7.2018 folgte ein dementsprechendes Dekret, wonach der Regierungschef als Oberkommandierender der PMF deren Vorsitzenden ernennt. Bewaffneten Gruppen, die offen oder verdeckt außerhalb der Bestimmungen des Dekrets arbeiten, gelten demnach als illegal und werden entsprechend verfolgt (1000 IT 11.7.2019). Trotz dieser und weiterer Versuche der Regierung, die PMF zu regulieren und zu kontrollieren, operieren viele der mächtigsten Gruppierungen der PMF weiterhin außerhalb der formalen Befehlskette und führen illegale, politische, wirtschaftliche und sicherheitsrelevante Aktivitäten durch (EPIC 5.2020). Verschiedene PMF-Einheiten haben sogar Militärindustrien im Irak aufgebaut, von simpler Ausrüstung und Munition bis mutmaßlich zur Produktion von Artilleriegranaten (WI 23.3.2020, S.70f). Die begrenzten Einflussmöglichkeiten des Premierministers haben es den PMF erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen (AA 25.10.2021, S.16).
Die PMF-Netzwerke stehen in einer symbiotischen Beziehung zu den irakischen Sicherheitsdiensten, den politischen Parteien und der Wirtschaft. Zu ihren Mitgliedern gehören nicht nur Kämpfer, sondern auch Parlamentarier, Kabinettsminister, lokale Gouverneure, Mitglieder von Provinzräten, Geschäftsleute in öffentlichen und privaten Unternehmen, hohe Beamte, humanitäre Organisationen und Zivilisten. Politische Entscheidungsträger, die die PMF reformieren oder einschränken wollen, haben sich auf eine Reihe von Optionen verlassen: die einzelnen Gruppen gegeneinander ausspielen, alternative Sicherheitsinstitutionen aufbauen, Sanktionen gegen Einzelpersonen verhängen oder mit militärischer Gewalt vorgehen. Diese Optionen haben jedoch weder zu einer Reform der PMF-Netzwerke noch zu einer Reform des irakischen Staates geführt (CH 2.2021, S.2).
Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen (FPRI 19.8.2019). In diesem Zusammenhang kommt vor allem der Badr-Organisation eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von der Badr-Organisation dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann (Süß 21.8.2017). Die Kontrolle der Badr-Organisation über das Innenministerium verstärkte deren Einfluss auf die Zuteilung der staatlichen Mittel und deren Weitergabe an die einzelnen PMF-Milizen (Clingendael 6.2018, S.6).
Insbesondere mit dem Iran verbündete Einheiten operieren im ganzen Land oft außerhalb der Kontrolle der Regierung oder gar in Opposition zur Regierungspolitik (USDOS 12.4.2022). Selbiges gilt auch für die (offizielle) PMF-Kommission (USDOS 12.4.2022), welche wiederum tendenziell pro-iranische Gruppen bevorzugt hat (ICG 30.7.2018). In der Praxis sind etliche Einheiten auch dem Iran und dessen Korps der Islamischen Revolutionsgarden unterstellt (USDOS 12.4.2022). Überdies haben einige bewaffnete Gruppen, wie die der pro-iranischen Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hezbollah und Harakat Hezbollah an-Nujaba sowohl Kämpfer innerhalb als auch außerhalb der PMF. Diejenigen, die sich außerhalb der Truppe befinden, beteiligen sich an Aktivitäten, wie zum Beispiel Kämpfen in Syrien, die nicht zum Auftrag der Volksmobilisierungskräfte gehören (WoR 11.11.2019), denn das Wirken der PMF ist laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teile der PMF sind (USDOS 13.3.2019). Die Präsenz pro-iranischer PMF-Milizen, namentlich der Kata'ib Hezbollah und der Kata'ib Sayyid ash-Shuhada, in Syrien nahe oder an der Grenze zum Irak belegen Berichte über Angriffe auf Einrichtungen der US-Armee und Vergeltungsmaßnahmen seitens der US-Streitkräfte im Verlaufe des Jahres 2021 (RFE/RL 27.6.2021; vlg. BBC 28.6.2021).
Die PMF sind vor allem Sicherheitsakteure. Ihr Beitrag im Kampf gegen den IS und beim Halten von Gebieten nach der Vertreibung des IS sind wichtige Faktoren für ihren aktuellen, mächtigen Status. Als staatlich anerkannte Sicherheitskräfte kontrollieren ihre Mitglieder ein bedeutendes Territorium und strategische Gebiete im Irak, größtenteils in Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Sicherheitsbehörden. Manchmal nützen die PMF jedoch ihre Position bei der Kontrolle lokaler Gebiete aus, um ihre eigenen Interessen, auch in finanzieller Hinsicht, durchzusetzen. Sie agieren als Lückenbüßer, wenn sich die staatlichen Stellen als unzureichend in ihrem Handeln im Bereich der Sicherheit erweisen. In einigen Gebieten sind die PMF der wichtigste Sicherheitsakteur, an den sich die Einheimischen wenden, wenn sie Schutz oder einen Fürsprecher bei Streitigkeiten oder bei der Strafverfolgung benötigen (CH 2.2021, Sitzung 18f).
Die wirtschaftliche/finanzielle Macht der einzelnen PMF-Gruppen setzt sich zusammen aus: ihrem Anteil an staatlich zugewiesenen Mitteln, autonomen einkommengenerierenden Aktivitäten und externer Finanzierung (vor allem durch den Iran). Autonome einkommenschaffende Aktivitäten erfolgen in der Regel in Form von religiösen Steuern, Einnahmen aus Heiligtümern und Unterstützung durch religiöse Wohltätigkeitsorganisationen. Diese Mittel sind jedoch relativ bescheiden (Clingendael 6.2018, S.7f). Den Löwenanteil machen die offiziellen Zuwendungen aus. 2020 betrugen die Budgetmittel der PMF-Kommission 2,6 Mrd. US-Dollar (CH 2.2021, S.19). - Darüberhinaus aquirieren PMF-Milizen Einnahmen aus halb-legalen Quellen und in krimineller Weise (FPRI 19.8.2019). Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind (Posch 8.2017). Neben diesen illegalen Methoden erwerben die PMF beispielsweise im ganzen Land Grundstücke, was ihnen ermöglicht, Unternehmen anzusiedeln und von diesen dann Abgaben zu lukrieren. Einnahmen werden, auch in Kooperation mit anderen Sicherheitskräften, an Grenzübergängen und Checkpoints an wichtigen Verkehrsverbindungen generiert (CH 2.2021, S.29-31). Außer durch die Finanzierung durch den irakischen sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mithilfe der Organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem so hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der Organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat (Posch 8.2017).
Trotz des Schutzes, den die PMF bieten, sind sie aufgrund ihrer strategischen Kontrolle und ihrer sich wandelnden Rolle weiterhin eine Quelle lokaler Auseinandersetzungen und Polarisierungen. Es wurden in den letzten Jahren mehrere Berichte von Anwohnern, Menschenrechtsbeobachtern und internationalen Organisationen über das Fehlverhalten der PMF laut (Clingendael 5.2021, S.17). So klagten nach der Rückkehr der Zentralregierung nach Kirkuk Ende 2017 mehrere Gemeinschaften ethnischer und religiöser Minderheiten über Diskriminierung, Vertreibung und gelegentliche Gewalt durch PMF-Gruppen (DFAT 17.8.2020, S.20). Einige PMF gehen auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 12.4.2022). Die Medien meldeten zahlreiche Vorfälle, bei denen schiitische PMF in die Häuser ethnischer und religiöser Minderheiten im gesamten Gouvernement Kirkuk eindrangen, sie plünderten und niederbrannten (DFAT 17.8.2020, S.20, 26, 32). In Ninewa, beispielsweise, nahmen mit dem Iran verbündete PMF willkürlich bzw. unrechtmäßig Kurden, Turkmenen, Christen und Angehörige anderer Minderheiten fest. Es gab zahlreiche Berichte über die Beteiligung der 30. und 50. PMF-Brigaden an Erpressungen, illegalen Verhaftungen, Entführungen und Festnahmen von Personen ohne Haftbefehl. Glaubwürdige Informationen der Strafverfolgungsbehörden wiesen darauf hin, dass die 30. PMF-Brigade an mehreren Orten in der Provinz Ninewa geheime Gefängnisse unterhielt, in denen 1.000 Gefangene untergebracht waren, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus konfessionellen Gründen festgenommen wurden. Die Anführer der 30. PMF-Brigade sollen die Familien der Inhaftierten gezwungen haben, im Gegenzug für die Freilassung ihrer Angehörigen hohe Geldbeträge zu zahlen (USDOS 12.4.2022). Jesiden und Christen sowie lokale und internationale NGOs berichteten von anhaltenden verbalen und körperlichen Übergriffen durch Mitglieder der PMF, welche auch für etliche Angriffe auf, und Vertreibungen von Sunniten, angeblich aus Rache für Verbrechen seitens des IS an Schiiten, verantwortlich gemacht werden (USDOS 2.6.2022).
Einige PMF-Einheiten in den südlichen Gouvernements Najaf und al-Qadisiya sollen Kinder rekrutiert und militärische Ausbildungslager für Schüler unter 18 Jahren gesponsert haben. Einige mit dem Iran verbündete PMF-Gruppen, insbesondere Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH) und Harakat Hizbollah an-Nujaba (HHN), rekrutierten weiterhin Burschen unter 18 Jahren für den Kampf in Syrien und im Jemen (DFAT 17.8.2020, S.47).
Mehrere Quellen geben an, dass zu den PMF gehörende Kräfte, oft von Iran unterstützte Milizen, 2019 für viele der tödlichen Angriffe auf Demonstranten, auch durch Scharfschützen, verantwortlich waren (EASO 10.2020, S.31; vergleiche WI 23.3.2020, S.91), namentlich die pro-iranischen Saraya Talia al-Khorasani, Kata'ib Sayyid ash-Shuhada, Asa'ib Ahl al-Haqq und die Badr-Organisation. Die PMF wurden international auch für illegale Massenverhaftungen und Folter, Einschüchterungsversuche gegen Demonstranten und Journalisten, Attentate, Bombenanschläge und Plünderungen von Fernsehsendern kritisiert. Nach Angaben des irakischen Hochkommissariats für Menschenrechte wurden über 500 Menschen getötet und über 23.500 verwundet (Stand März 2020). Im Januar 2020 waren auch Kämpfer von Saraya as-Salam an Angriffen auf Demonstranten und an der Erstürmung von Proteststätten durch die Badr-Milizen beteiligt, die die Zeltlager der Demonstranten niederbrannten (WI 23.3.2020, S.91). Im Laufe des Jahres 2020 haben Mitglieder der PMF Aktivisten ermordet oder entführt und mindestens 30 Menschen in Bagdad, Nasriyah und Basra getötet. Auf mehr als 30 weitere wurden Mordanschläge verübt, sie kamen mit Verletzungen davon. Bis zum Ende des Jahres wurden 56 Aktivisten gewaltsam zum Verschwinden gebracht. Diejenigen, die während der Proteste 2019 gewaltsam verschwunden sind, werden weiterhin vermisst (AI 7.4.2021). Anfang Jänner 2021 belegten die USA den Vorsitzenden der PMF-Kommission, Faleh al-Fayyadh, mit Sanktionen, da dieser für die Anordnung und Ausführung der Ermordung friedlicher Demonstranten und der Durchführung einer gewaltsamen Aktion gegen die irakische Demokratie verantwortlich sei (Al Monitor 8.1.2021).
Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben, jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdistan Region Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor (DIS/Landinfo 5.11.2018, S.23). Anlässlich der sozialen Proteste zeigten die PMF ihre Fähigkeit, Kritiker zu verfolgen. Beispielsweise können kritische Kommentare in sozialen Medien zur Verfolgung seitens Asa‘ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Hezbollah oder der Saraya as-Salam führen, welche im Stande sind, die Personen ausfindig zu machen und sie anschließend zu bedrohen und zu attackieren. Namentlich Kata’ib Hizbollah kann jeden ins Visier nehmen und kennt etwa die Namen aller, die über den internationalen Flughafen einreisen (AQ1 27.5.2021).
Präsident der PMF-Kommission ist - auf dem Papier - Faleh al-Fayyadh. Er hat jedoch keinen großen Mitarbeiterstab und unterliegt häufig den Anweisungen der Mittelsmänner im weiteren Netzwerk der PMF (CH 2.2021, S.7). Inoffizieller Spiritus Rector und strategische Kopf der Volksmobilisierung war Jamal Ebrahimi alias Abu Mahdi al-Muhandis, Vize-Kommandeur der PMF (Zenith 3.1.2020) und zugleich Begründer sowie Anführer der pro-iranischen Kata’ib Hizbollah, welche von den USA als Terrororganisation eingestuft ist (Guardian 3.1.2020; vergleiche Wilson Center 27.4.2018). Abu Mahdi Al-Muhandis galt als rechte Hand des iranischen Generalmajors der Revolutionsgarden, Qassem Soleimani. Beide wurden am 3.1.2020 bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 21.2.2020; vergleiche MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020). Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 21.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi, Kommandeur der Kata'ib Hizbollah, zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 21.2.2020; vergleiche MEMO 21.2.2020). Die Ernennung erfolgte einseitig durch die Vertreter des inneren Zirkels innerhalb der Hashd ash-Sha'bi, deren fünf (pro-iranische) Milizen dem sogenannten "Muhandis-Kern" zugeordnet werden (Warsaw Institute 9.7.2020). Die vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 21.2.2020).
Formal wurde der Loslösungsprozess der vier Atabat- bzw. Schrein-Milizen mit einer Entscheidung des scheidenden Regierungschefs Mahdi am 22.4.2020 eingeleitet, wonach diese Einheiten vom PMF-Kommando getrennt werden und von nun an direkt dem Premierminister verantwortlich sind (Warsaw Institute 9.7.2020; vergleiche AAA 23.4.2020, Al Monitor 29.4.2020). Laut Aussagen aus dem Kreis der Schrein-Milizen auf einer Koordinierungskonferenz im Dezember 2020 wollten diese die irakische Regierung unterstützen, sich von Fraktionen und politische Parteien zu trennen, welche die Interessen eines anderen Staates, gemeint ist der Iran, verfolgen (Al Monitor 4.12.2020; vergleiche Diyaruna 22.2.2021). Erklärtes Ziel der vier Schrein-Milizen sei auch die Eingrenzung und Isolation der pro-iranischen PMF (Diyaruna 22.2.2021).
Diese fortschreitende Zersplitterung der PMU lässt sich auf viele Faktoren zurückführen. Einer der Hauptgründe ist das Fehlen eines einheitlichen Ziels, das zuvor der Sieg über den IS darstellte. Ein weiterer Katalysator war der Tod von Abu Mahdi al Muhandis, der in der Lage war, die unterschiedlichen Fraktionen zu einen (AIIA 12.1.2021). Und obwohl der Nachfolger Muhandis, Abu Fadak Al-Mohammedawi, enge Beziehungen zu Iran unterhält, gibt es eine breite Opposition gegen seine Führung in seiner eigenen Miliz, Kata'ib Hizbollah, die ihn als den unrechtmäßigen Chef der PMF betrachtet (Manara 10.3.2021). Die neueste Erscheinung, welche als Zeichen einer weiteren Aufsplitterung der PMF gewertet wird, ist das Auftreten mehrerer kleinerer Splittergruppen im Verlaufe des Jahres 2020, die mit größeren, vom Iran unterstützten Gruppierungen verbunden sind, die sich sowohl durch Gewalt gegen Zivilisten als auch gegen Einrichtungen der US-geführten Militärallianz hervortun (AIIA 12.1.2021).
Innerhalb der schiitischen PMF gibt es Formationen, die mit den religiösen Lehrstätten im Irak bzw. den schiitischen religiösen Autoritäten (Marji'iya) verbunden sind (TCF 5.3.2018, S.4), und deshalb auch gelegentlich als Hashd al-Marji'i bezeichnet werden (TCF 5.3.2018, S.4; vergleiche ICSR 1.11.2018, S.24). Geläufiger sind die Termini "Schrein"-Milizen bzw. Saraya al-'Atabat (kurz: Atabat) (WI 5.2.2021; vergleiche ICSR 1.11.2018, S.24). Prominenter und umstrittener sind die mit dem Iran verbündeten Formationen, die oft als Hashd al-Wala'i bezeichnet werden - wala' ist das arabische Wort für Loyalität - eine Anspielung auf die Loyalität dieser Formationen gegenüber dem iranischen Obersten Führer Ali Khamenei. Die erstgenannten Gruppen sind in der Regel kleiner und wurden nach dem Fall von Mossul im Jahr 2014 als direkte Reaktion auf Sistanis Aufruf zur Massenmobilisierung gegen die Bedrohung durch den IS gebildet. Bei den letztgenannten, stärker auf Iran ausgerichteten Formationen handelt es sich eher um erfahrenere Gruppen mit einer längeren Geschichte paramilitärischer Aktivitäten im Irak und in einigen Fällen auch in Syrien (TCF 5.3.2018, S.3f).
Pro-iranische Milizen: al-Hashd al-Wala'i / al-Muqawama al-Islamiyya
Das Lager, welches u.a. als al-Hashd al-Wala'i bezeichnet wird, umfasst jene PMF-Formationen, die entweder mit dem Iran verbündet sind oder mit ihm zusammenarbeiten, und die innerhalb der PMF sowohl quantitativ als auch qualitativ die Oberhand haben (EUI 6.2020, S.3). Die vom Iran unterstützten irakischen Milizen bezeichnen sich selbst auch als al-Muqawama al-Islamiyya - der islamische Widerstand - Widerstand vor allem gegen die US-geführten Koalitionstruppen, meist in Form von Raketen- und Sprengstoffangriffen (JS 12.4.2021). Jene PMF (bzw. deren Vertreter), welche im Februar 2020 das Wahlkomitee zur Bestimmung eines neuen stellvertretenden Vorsitzenden nach dem Tode Muhandis bildeten, gelten als die wichtigsten Iran-affinen Milizen. Diese sind: Kata'ib Hizbollah, die Badr-Organisation, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Sayyid ash-Shuhada und Kata'ib Jund al-Imam (WI 23.3.2020, S.23; vergleiche ICG). Hinzu kommen noch Harakat Hizbollah an-Nujaba (Bewegung der Partei Gottes der Noblen) (ICG 30.7.2018, S.3), mit mindestens 1.500 Kämpfern, auch in Syrien aktiv (WI 23.3.2020, S.110, 204) und eine der kampferfahrensten Milizen und stark seitens des Iran gefördert (ITIC 8.1.2020), sowie die Kata’ib Imam Ali (Bataillone des Imam Ali), deren Anführer, Shibl al Zaydi, 2018 von den USA wegen seiner Verbindungen zu den Iranischen Revolutionsgarden als Terrorist eingestuft wurde (LWJ 15.12.2020). Zudem war Kata’ib Imam Ali auch 2021 in Syrien präsent (AAA 22.3.2021). Dazu gesellen sich noch die Saraya Talia al-Khorasani, die auch in Syrien aktiv waren (WI 23.3.2020, S.110, 205; vergleiche ICG 30.7.2018, S.27). Einige der pro-iranischen PMF sicherten sich bei den letzten Wahlen auch ihren Einfluss im Parlament. Innerhalb der 2018 gewonnenen Parlamentssitze des Wahlbündnisses "Fatah" sind 22 Abgeordnete der Badr-Organisation zugehörig und 15 dem politischen Flügel der Asai‘b Ahl al-Haqq, Sadiqoun (CH 2.2021, S.21f; vergleiche EPIC 5.2020).
Die Badr-Organisation, die mächtigste schiitische Miliz, gilt als Irans ältester Stellvertreter im Irak. Sie wurde 1982 im Iran gegründet, um Saddam Hussein zu bekämpfen, und wurde zunächst vom Korps der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) finanziert, ausgebildet, ausgerüstet und geführt (Soufan 20.3.2020; vergleiche Wilson Center 27.4.2018). Nach der US-Invasion im Jahr 2003 kehrte sie in den Irak zurück und wurde in die neue irakische Regierung integriert. Ihre Kräfte wurden zur größten Fraktion innerhalb der staatlichen Sicherheitskräfte, insbesondere der Polizei (Wilson Center 27.4.2018), die wiederum zu einem Instrument der Badr-Organisation erwuchs (SWP 2.7.2021, S.26). Sie nahm an Wahlen teil; ihre Führer wurden in die neue Regierung in Kabinettspositionen aufgenommen. Sie behielt jedoch ihre Miliz bei (Wilson Center 27.4.2018). Sie umfasst rund 20.000 Kämpfer (Soufan 20.3.2020) und unterhält mindestens zehn Brigaden der staatlich finanzierten PMF, möglicherweise sogar 17 (WI 2.9.2021). Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt. Viele Badr-Mitglieder waren oder sind Teil der offiziellen Staatssicherheitsapparate, insbesondere des Innenministeriums und der Bundespolizei (FPRI 19.8.2019). So haben einige Mitglieder der PMF auch Doppelpositionen inne. Abu Dergham al-Maturi, beispielsweise, führte die 5. PMF-Brigade, eine Badr-Brigade, und fungierte gleichzeitig als stellvertretender Kommandeur der Bundespolizei im Innenministerium (CH 2.2021, S.18f). Oder das Badr-Führungsmitglied Qassim al-Araji war Innenminister (2017-2018) und ist nun der nationale Sicherheitsberater. Die Badr ist eine große und komplexe Organisation, die sowohl einen militärischen als auch einen politischen Flügel und viele Unterfraktionen hat. Im Großen und Ganzen hat sich Badr durch seine Wahlerfolge, seine paramilitärische Macht und seine Patronagenetzwerke tief in den irakischen Staat eingebettet. Badr war die Quelle für viele jüngere und radikalere Gruppen, einschließlich Kata'ib Hisbollah. Zwar setzt sich die Badr-Organisation für den Abzug der US-Kampftruppen aus der Region ein, doch hat sie sich im Gegensatz zu den anderen pro-iranischen PMF von Angriffen auf die USA und deren Verbündete öffentlich distanziert. Innerhalb der Muqawama nimmt die Badr-Organisation weiterhin eine wichtige Rolle ein und bleibt gleichzeitig ihren Wurzeln als iranischer Stellvertreter treu, mit weiterhin engen institutionellen und personellen Beziehungen zum IRGC (WI 2.9.2021).
Die Kata’ib Hizbollah (Brigaden der Partei Gottes) umfassen etwa 3.000 bis 7.000 Kämpfer (Al Arabiya 31.5.2020), anderen Schätzungen zufolge sogar 20.000 (Soufan 20.3.2020). Die Kata'ib Hisbollah haben enge konfessionelle, ideologische und finanzielle Bindungen zum Iran (Al Arabiya 31.5.2020). Keine andere Miliz steht den IRGC näher (Soufan 20.3.2020). Sie sind für zahlreiche Angriffe auf die von den USA geführte Militärallianz verantwortlich und riefen u.a. auch zu Terrorattacken gegen Saudi-Arabien auf. Menschenrechtsorganisationen werfen der Miliz schwere Menschenrechtsverletzungen vor, insbesondere gegen Sunniten (Al Arabiya 31.5.2020). Sie arbeiten intensiv mit der Badr-Organisation und der libanesischen Hizbollah zusammen. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).
Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH) (Liga der Rechtschaffen) verfügt über etwa 15.000 Kämpfer (Soufan 20.3.2019). Die AAH ist eine mächtige schiitische Muslim-Miliz, die sich 2007 von Sadrs damaligen Mahdi-Armee abgespalten hat (Clingendael 6.2018; vergleiche EPIC 5.2020). Die AAH wurde ursprünglich von den IRGC mit Unterstützung der libanesischen Hisbollah in iranischen Lagern ausgerüstet, finanziert und ausgebildet und war auch in Syrien präsent (Wilson Center 27.4.2018). Die militärische und finanzielle Unterstützung durch die Al-Quds-Einheit der IRGC hält weiterhin an (ITIC 8.1.2020). Sie richtete politische Büros, religiöse Schulen und soziale Dienste ein, vor allem im Süden Iraks und in Bagdad (Wilson Center 27.4.2018). Ihr Anführer, Qais al-Khazali, wurde von den US-Behörden im Irak wegen seiner Rolle bei tödlichen Angriffen auf US-Truppen im Jahr 2007 für fünf Jahre inhaftiert. Er gilt den für die USA als einer der Verantwortlichen für den Anschlag auf die US-Botschaft in Bagdad zu Silvester 2019. Am 3.1.2020 stufte das US-Außenministerium die AAH als terroristische Organisation und Khaz'ali als "Specially Designated Global Terrorist" ein (EPIC 5.2020). Innerhalb der Volksmobilisierung erwarb sich die Organisation den Ruf, politisch-weltanschauliche mit kriminellen Motiven zu verbinden und besonders gewalttätig zu sein. Sie wird für zahlreiche Verbrechen gegen sunnitische Zivilisten verantwortlich gemacht (SWP 2.7.2021, S.25).
Die seit 2020 vermehrt in Erscheinung tretenden pro-iranischen Splittergruppen haben ein zweifelhaftes Maß an Autonomie. Es ist nicht klar, ob es sich bei diesen um unabhängige Gruppen handelt, die von den größeren "Mutter"-Milizen unterstützt werden, oder ob sie lediglich eine Fassade für diese größeren Milizen bilden, um sich den US-Sanktionen durch die Einstufung als terroristische Organisation zu entziehen (AIIA 12.1.2021; vergleiche JS 10.3.2021). Sie werden diesbezüglich insbesondere Kata'ib Hizbollah, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Sayyid ash-Shuhada und der Harakat Hizbollah an-Nujaba zugeordnet (JS 10.3.2021). Ihre Anzahl ist vage und wird auf 10 bis 20 Gruppen geschätzt (Al Arabiya 18.11.2020). Die neuen Splittergruppen treten durch primär zwei unterschiedliche Handlungsweisen in Erscheinung: Zum einen bewaffnete Milizen, die in der Lage sind, Anschläge auf US-Einrichtungen im Irak zu verüben, und zum anderen Straßenbanden, die eine Art sozialen Krieg auf den Straßen Bagdads führen. Zu den Ersteren gehören Usbat al-Tha'ireen (Liga der Revolutionäre) und Ashab al-Kahf (die Gefährten der Höhle), die sich regelmäßig zu Raketen- oder IED-Angriffen auf US-Ziele bekennen (AIIA 12.1.2021). Usbat al-Tha'ireen übernahm beispielsweise die Verantwortung für den Angriff auf Camp Taji im März 2020, bei dem zwei amerikanische Soldaten und ein britischer Soldat getötet wurden (WI 10.4.2020; vergleiche Al Arabiya 18.11.2020), während Ashab al-Kahf zahlreiche Angriffe auf Konvois sowie einen Raketenangriff auf die US-Botschaft im November 2020 für sich reklamierte (JS 10.3.2021). Zur zweiten Gruppe gehören Raba Allah/Rab'Allah (das Volk Gottes), Jund Soleimani (die Soldaten Soleimanis) und Jabhat Abu Jadahah (eng. People of the Lighter's Front), die, getragen von stark religiösen Anwandlungen, als Sittenpolizei agieren und das liberalere Leben Bagdads unterdrücken, indem sie beispielsweise Massagesalons angriffen oder Bombenanschläge auf Geschäfte verübten, die Alkohol verkauften (AIIA 12.1.2021; vergleiche WI 9.4.2021). Rab'Allah gilt als wichtigste Gruppe. Im Oktober 2020 verübte sie Brandanschläge auf Büros von Fernsehsendern sowie der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP). Weiters führte sie Hetzkampagnen gegen Personen aus Politik und Medien durch und drohte ihnen mit Gewalt. Zudem organisierte sie Proteste vor ausländischen Vertretungen (WI 9.4.2021).
Iran-kritische Milizen: Atabat / Schrein-Milizen / Hashd al-Marji‘i
Bei den "Schrein"- oder Atabat-Milizen (andere Bezeichnungen: Hashd al-Atabat/ Saraya al-Atabat/ al-Atabat al-Muqadasa) oder auch Hashd al-Marji‘i handelt es sich um paramilitärische Gruppen, die mit den schiitischen Heiligtümern in Najaf und Kerbala verbunden sind, deshalb auch die Bezeichnung "Schrein-Milizen" (ICSR 1.11.2018, S.24; vergleiche WI 28.5.2020, Diyaruna 1.3.2021). Liwa Ansar al-Marjaiya, Liwa Ali al-Akbar, Firqat al-Abbas al-Qitaliyah, letztere bekannter unter der Bezeichnung Abbas Kampfdivision (Abbas Combat Division) und Firqat al-Imam Ali al-Qitaliyah haben keine Verbindungen zum Korps der Islamischen Revolutionsgarde (IRGC) des Iran, sondern zu Ayatollah Ali as-Sistani, dem irakischen schiitischen Kleriker, den sie als ihr Vorbild betrachten. Insgesamt verfügen die Atabat über rund 18.000 aktive Soldaten und Zehntausende von Reservisten. Die Abbas Kampfdivision (Firqat al-Abbas) ist die militärisch fähigste der vier Gruppen, gestärkt durch die logistische Ausbildung und die Zusammenarbeit mit dem irakischen Verteidigungsministerium. Mehrere Merkmale unterscheiden die Atabat von den pro-iranischen Einheiten der PMF: Erstens arbeiten sie nur mit nationalen irakischen Institutionen zusammen und dürfen nicht mit IRGC-Kommandeuren oder anderen ausländischen Militärs in Verbindung treten. Zweitens halten sie sich aus der Politik heraus, während die iran-freundlichen Gruppen sogar ihre eigenen politischen Parteien gegründet haben. Drittens betrachten die Atabat-Einheiten die Vereinigten Staaten nicht als Feind, trotz anlassbezogener Verurteilungen von US-Aktionen. Viertens wurden die Atabat nicht der Verletzung von Menschenrechten beschuldigt. Tatsächlich haben sie kein Interesse daran, in den sunnitisch-arabischen Gebieten präsent zu sein, in denen viele solcher Verstöße begangen wurden. Ihr Hauptinteresse gilt den schiitischen heiligen Städten Karbala und Najaf und dem Wüstengebiet, die diese Städte mit Anbar verbindet. Die Atabat wurden auch nicht der Erpressung beschuldigt, im Gegensatz zu den vielen PMF-Gruppen, die solche Taktiken anwenden, um sich selbst zu erhalten, und damit den Unmut der sunnitischen Bevölkerung verschärfen (WI 28.5.2020). Die Schrein-Milizen spielten eine wichtige Rolle bei der Verteilung von Hilfsgütern im Rahmen einer Kampagne von Großayatollah as-Sistani mit dem Namen Maraji'yat al-Takaful (Solidarität der Marji'i) zur wirtschaftlichen Unterstützung der Menschen, die unter der von der Regierung verhängten Ausgangssperre während der COVID-Krise litten (EUI 6.2020, S.3).
Saraya as-Salam / Friedenskompanien
Die Saraya as-Salam mobilisierten sich 2014 aus den Rängen der vormaligen Mahdi-Armee, die dem irakischen Kleriker Muqtada as-Sadr untersteht. Sie verfolgen eine nationalistische Ideologie und eigene politische Ziele (Clingendael 6.2018, S.3). Sadr und seine Anhänger lehnen die pro-Khamenei paramilitärischen Führer und Gruppen entschieden ab. Dennoch bleiben sie Teil der Gesamtstruktur der PMF. Sie sind hinsichtlich einer Integration in die Sicherheitskräfte aufgeschlossen (ICG 30.7.2018, S.3f; vergleiche FPRI 19.8.2019). Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann. Ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert (Süß 21.8.2017). Hinsichtlich der im Herbst 2019 aufflammenden Proteste vollzog Muqtada as-Sadr eine zwiespältige Politik. - Schon in der Anfangsphase der Oktober-Demonstrationen 2019 waren Sadristen aktiv an den Demonstrationen beteiligt, und deren Paramilitärs verteidigten andere Demonstranten vor der Gewalt staatlicher und mit dem Iran verbündeter bewaffneter Kräfte. Im Frühjahr 2020 allerdings, nachdem Sadr die Demonstranten wegen ihres Auftretens gegenüber den religiösen Autoritäten tadelte, ihre "Abweichung" vom "richtigen Weg" kritisierte und parallel die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Saraya as-Salam und der pro-iranischen Asa'ib Ahl al-Haqq eingestellt wurden, gingen die Sadr-Miliz bzw. seine Anhänger in Bagdad und weiteren Städten im Südirak gewaltsam gegen Demonstranten vor und besetzten Protestlager (FPRI, 3.2020, S.2, 17; vergleiche BAMF 5.2020, S.9f, 22).
Quellen:
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AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 20.8.2021
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AQ1 - Anonyme Quelle 1 (27.5.2021): Bei der Quelle handelt es sich um einen Länderexperten für den Irak
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https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2020/laenderreport-25-irak.pdf?__blob=publicationFile&v=2, Zugriff 1.9.2021
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Kurdische Sicherheitskräfte (Peshmerga) und Nachrichtendienste
Letzte Änderung: 11.08.2022
Die Kurdischen Sicherheitskräfte sind nicht in den Sicherheitsapparat der Zentralregierung eingegliedert (AA 25.10.2021, S.9). Nach der irakischen Verfassung hat die Kurdische Regionalregierung (KRG) das Recht, ihre eigenen Sicherheitskräfte (Polizei und die militärischen Peshmega) sowie jene des Inlandsgeheimdienstes (Asayish) zu unterhalten (USDOS 12.4.2022). Die beiden wichtigsten kurdischen politischen Parteien, die Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und die Patriotischen Union Kurdistans (PUK), unterhalten jeweils einen unabhängigen Sicherheitsapparat (AA 25.10.2021, S.9; vergleiche USDOS 12.4.2022). Zusätzlich kontrollieren sie auch getrennt voneinander militärische Einheiten der Peshmerga und der Asayish. Nominell unterstehen sie dem Innenministerium der KRG (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 22.1.2021).
Die beiden Einheiten, die den Großteil der Peshmerga-Kräfte ausmachen und über 100.000 Mann stark sind, werden von der KDP und PUK kontrolliert. Die Kräfte der Einheit Nr.70 gehören zur PUK und die Kräfte der Einheit Nr.80 werden von der KDP kontrolliert (Rudaw 21.6.2021). Seit 2005 ist die Vereinigung der KDP und PUK-eigenen Peshmerga-Streitkräfte unter dem Peshmerga-Ministerium ein wichtiges innenpolitisches Thema (Rudaw 3.4.2017; vergleiche GPPi 3.2018). Mit der territorialen Niederlage des Islamischen Staates (IS) Ende 2017 haben auch die internationalen Koalitionspartner im Rahmen eines 2018 begonnenen Reformprogramms auf die Zusammenlegung der kurdischen Kräfte unter dem Peshmerga-Ministerium gedrängt (Rudaw 21.6.2021). Obwohl es bereits gelungen ist, mehrere bestehende Brigaden effektiv zu vereinen, kämpft das Peshmerga-Ministerium noch darum, alle Peshmerga-Einheiten unter sein Kommando zu bringen (Rudaw 3.4.2017; vergleiche GPPi 3.2018). Die KDP und PUK haben seit Ende 2018 Schritte unternommen, um ihre jeweiligen Peshmerga zu vereinigen (BS 23.2.2022, Sitzung 16). Auf Brigade-Ebene werden die Führungspositionen nach einem 50-50-Prinzip verteilt: Brigaden unter der Leitung von KDP-Kommandanten haben PUK-Stellvertreter und umgekehrt. In der Praxis sind die meisten Brigaden jedoch immer noch entlang der Parteigrenzen aufgegliedert (GPPi 3.2018) und die Peshmergaeinheiten auf die jeweiligen politischen Parteien fixiert geblieben (BS 23.2.2022, Sitzung 16).
Im April 2021 wurde die Einrichtung gemeinsamer Koordinationszentren zum Austausch von Informationen zur Bekämpfung des IS zwischen den Irakischen Sicherheitskräften (ISF) und den Peshmerga-Kräften beschlossen. Diese sollen dazu dienen, die Sicherheitslücken, zwischen deren Einsatzgebieten zu schließen, die vom IS ausgenutzt werden. Die Koordinationszentren befinden sich in Diyala, Kirkuk, Makhmour und Ninewa (Rudaw 23.5.2021).
Im Kampf gegen den IS hatten die Peshmerga über die ursprünglichen Grenzen von 2003 der KRI hinaus Gebiete befreit. Aus diesen zwischen Bagdad und Erbil seit jeher umstrittenen Gebieten hat die irakische Armee die Peshmerga nach Abhaltung des Unabhängigkeitsreferendums im September 2017 größtenteils zurückgedrängt. In weiten Teilen haben die Peshmerga sich kampflos zurückgezogen, es gab jedoch auch teils schwere bewaffnete Auseinandersetzungen mit Opfern auf beiden Seiten (AA 14.10.2020).
Die Sicherheitsdienste der KRI halten in den von ihnen kontrollierten Gebieten bisweilen Verdächtige ohne Haftbefehl fest, insbesondere auf der Grundlage des Antiterrorismusgesetzes. Die schlecht definierten administrativen Grenzen zwischen den kurdischen Gouvernements sowie dem (nicht-kurdischen) Rest des Landes führen zu anhaltender Verwirrung über die Zuständigkeit der Sicherheitskräfte und der Gerichte. Angehörige der Sicherheitskräfte haben dokumentierte Übergriffe begangen (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.10.2020): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2040689/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_14.10.2020.pdf, Zugriff 3.3.2021
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069660/country_report_2022_IRQ.pdf, Zugriff 17.6.2022
GPPi - Global Public Policy Institute (3.2018): Iraq after ISIL, Sub-State Actors, Local Forces, and the Micro-Politics of Control, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Gaston_Derzsi-Horvath_2018_Iraq_After_ISIL.pdf, Zugriff 7.6.2022
Rudaw (21.6.2021): Coalition ‘very happy’ with Peshmerga reform, Kurdish-Iraqi coordination: colonel, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/210620212, Zugriff 21.6.2021
Rudaw (23.5.2021): Peshmerga-Iraq cooperation will ‘close that gap,’ cut off ISIS: Coalition, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/230520212, Zugriff 25.8.2021
Rudaw (3.4.2017): Over 150,000 enlisted as Peshmerga troops in Kurdistan Region, official data shows, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/03042017, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
Folter und unmenschliche Behandlung in der Kurdistan Region Irak (KRI)
Letzte Änderung: 11.08.2022
Missbräuchliche Verhöre sollen unter bestimmten Bedingungen in einigen Haftanstalten der internen Sicherheitseinheit der Kurdistan Region Irak (KRI), der Asayish, und der Geheimdienste der großen politischen Parteien, der Parastin der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) und der Zanyari der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) stattfinden (USDOS 11.3.2020). Berichten zufolge kommt es in Gefängnissen der kurdischen Geheimpolizei (Asayish) in der KRI zur Anwendung von Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige (AA 25.10.2021, S.21).
Es gibt Berichte, dass Sicherheitskräfte der KRI verschiedene Formen der Misshandlung, einschließlich Schläge, anwenden. Auch gegen Jugendliche und Frauen mit vermeintlichen IS-Verbindungen (USDOS 11.3.2020).
Die Kurdische Regionalregierung (KRG) verfolgt Vorwürfe von Misshandlungen durch Beamte des Innenministeriums oder durch Asayish nicht einheitlich. Die Hilfsmission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI) berichtete im August und Dezember 2021, dass in einigen Gefängnissen der KRG grundlegende Standards und Verfahrensgarantien nicht eingehalten wurden und dass die bestehenden Mechanismen zur Entgegennahme von Folterbeschwerden nicht wirksam sind (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 2.2.2021
Korruption
Letzte Änderung: 11.08.2022
Korruption ist nach wie vor ein großes Problem im Irak (FH 28.2.2022; vergleiche GIZ 1.2021b). Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Staatsdiener vor, aber die Regierung setzt das Gesetz nicht immer wirksam um (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 3.3.2021). Weniger als 5 % der Korruptionsfälle werden angezeigt (GIZ 1.2021b). Das Justizsystem, das selbst durch Politisierung und Korruption behindert wird, bearbeitet nur einen Bruchteil der Fälle, die von der Integritätskommission, einer von drei Antikorruptionsbehörden, untersucht werden (FH 28.2.2022).
Beamte sind häufig ungestraft in korrupte Praktiken verstrickt. Die Untersuchung von Korruption ist nicht frei von politischer Einflussnahme. Die Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung wurden durch Mangel an Einigkeit bezüglich der institutionellen Rollen, an politischem Willen und politischem Einfluss, mangelnder Transparenz und durch unklare Rechtsvorschriften und Regulierungsverfahren behindert. Im August 2020 hat Premierminister al-Kadhimi per Verordnung einen ständigen Sonderausschuss zur Untersuchung und strafrechtlichen Verfolgung größerer Korruptionsfälle eingesetzt. Im September 2020 wurden aufgrund der Arbeit des Antikorruptionsausschusses 19 hochrangige Personen verhaftet. Im Oktober 2020 wurden rund 1.000 Beamte entlassen, nachdem sie wegen Vergehen gegen die öffentliche Ordnung, darunter Verschwendung öffentlicher Gelder, Bestechung und Veruntreuung, verurteilt worden waren (USDOS 30.3.2021). Der von Premierminister al-Kadhimi eingesetzte Ständige Sonderausschuss zur Untersuchung von Korruption und bedeutenden Straftaten hat seine Arbeit im Laufe des Jahres 2021 fortgesetzt. Da er von der Antiterroreinheit der Regierung unterstützt wird, welche Haftbefehle und gerichtliche Anordnungen umsetzen kann, werden korrupte Beamte Berichten zufolge unter Druck gesetzt (USDOS 12.4.2022).
Antikorruptions-, Strafverfolgungs- und Justizbeamte sowie Mitglieder der Zivilgesellschaft und der Medien werden wegen ihrer Bemühungen zur Bekämpfung korrupter Praktiken bedroht und eingeschüchtert (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022). Sie sind sowohl im föderalen Irak, als auch in der KRI mit Verhaftungen, Verleumdungsklagen und Gewalt konfrontiert (FH 28.2.2022). Korruption war einer der Auslöser für die sogenannten Tishreen-Proteste, die 2019 ausgebrochen sind (FH 28.2.2022).
Die Kurdistan Region Irak (KRI) leidet unter ähnlichen Korruptionsproblemen (FH 28.2.2022).
Auf dem Corruption Perceptions Index 2021 von Transparency International wird der Irak mit 23 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) und nimmt Rang 157 von 180 Staaten ein (TI 25.1.2022).
Quellen:
FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021b): Irak - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
TI - Transparency International (25.1.2022): Iraq, https://www.transparency.org/en/cpi/2021/index/irq, Zugriff 2.2.2022
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021
Wehrdienst, Rekrutierungen und Wehrdienstverweigerung
Letzte Änderung: 11.08.2022
Im Irak besteht keine Wehrpflicht (AA 25.10.2021, S.12). Männer zwischen 18 und 40 Jahren können sich freiwillig zum Militärdienst melden (CIA 18.1.2021). Seit 2003 wurden keine Personen mit Verbindungen zum alten Regime bei den neuen Sicherheitskräften aufgenommen (AA 22.1.2021). Am 31.8.2021 hat die irakische Regierung die Annahme eines Gesetzesentwurfs zur Wiedereinführung der Wehrpflicht beschlossen. Sollte dieses Gesetz auch vom Parlament angenommen werden, könnte der Irak wieder Wehrpflichtige einziehen (AA 25.10.2021, S.12).
Laut Kapitel 5 des irakischen Militärstrafgesetzes von 2007 ist Desertion in Gefechtssituationen mit bis zu sieben Jahren Haft strafbar. Das Überlaufen zum Feind ist mit dem Tode strafbar (MoD 10.2007). Angehörige des irakischen Militärs, die 2014 desertiert sind, können auf der Grundlage eines Beschlusses des Ministerrates vom Juni 2019 wieder der irakischen Armee beitreten und so einer Strafverfolgung auf der Grundlage des Militärstrafgesetzes entgehen. Regierungsangaben zufolge betrifft dies über 52.000 Soldaten und 2.000 Angehörige von Spezialeinheiten (AA 25.10.2021, S.12).
Die Rekrutierung in die Volksmobilisierungskräfte (PMF) erfolgt ausschließlich auf freiwilliger Basis. Viele schließen sich den PMF aus wirtschaftlichen Gründen an. Desertion von Kämpfern niederer Ränge hätte wahrscheinlich keine Konsequenzen oder Vergeltungsmaßnahmen zur Folge (DIS/Landinfo 5.11.2018; vergleiche UK Home Office 1.2021).
Auch in der Kurdistan Region Irak (KRI) herrscht keine Wehrpflicht (DIS 12.4.2016; vergleiche EASO 1.2021). Kurdische Männer und Frauen können sich freiwillig zu den Peshmerga melden (DIS 12.4.2016). Rekruten für die Peshmerga unterzeichnen einen Vertrag für eine bestimmte Dienstzeit, nach dessen Ablauf die Person freiwillig gehen kann (EASO 1.2021 ).
Mehrere Quellen haben festgestellt, dass es für hochrangige Peshmerga schwieriger sein kann, die Armee zu verlassen und dass dies Konsequenzen haben kann. Nicht aber für Peshmerga niederen Ranges (EASO 1.2021). Die Strafe für Desertion von den Peshmerga kann, je nach den Umständen, von der Auflösung des Vertrages bis zur Verurteilung zum Tode reichen (DIS 12.4.2016; vergleiche EASO 1.2021). Es wurden jedoch weder vor 2015 noch in neueren Berichten derartige Fälle bekannt (EASO 1.2021).
Es gibt keine Berichte darüber, dass das Verteidigungsministerium der Zentralregierung Kinder für den Dienst in den Sicherheitsdiensten einberufen oder rekrutiert hat (USDOS 30.3.2021). Die Regierung und die religiösen schiitischen Führer haben Kindern unter 18 Jahren ausdrücklich verboten, im Kampf zu dienen. 2021 gab es einen verifizierten Bericht über die Rekrutierung und den Einsatz eines Kindersoldaten durch die PMF (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.2021
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (18.1.2021): The World Factbook – Iraq, file:///home/co7295/Dokumente/LIB_KI/IRAK/IRAK_LIB_Update_2021/Quellen/CIA%2018.1.2021.html#military-and-security, Zugriff 18.1.2021
DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (12.4.2016): The Kurdistan Region of Iraq (KRI); Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation; Report from fact finding mission to Erbil, the Kurdistan Region of Iraq (KRI) and Beirut, Lebanon, 26 September to 6 October 2015, https://www.ecoi.net/en/file/local/1302021/1226_1460710389_factfindingreportkurdistanregionofiraq11042016.pdf, Zugriff 1.4.2021
DIS/Landinfo - Danish Immigration Service [Dänemark]; Norwegian Country of Origin Information Center [Norwegen] (5.11.2018): Northern Iraq: Security situation and the situation for internally displaced persons (IDPs) in the disputed areas, incl. possibility to enter and access the Kurdistan Region of Iraq (KRI), https://www.ecoi.net/en/file/local/1450541/1226_1542182184_iraq-report-security-idps-and-access-nov2018.pdf, Zugriff 1.4.2021
EASO – European Asylum Support Office (1.2021): Country Guidance: Iraq; Common analysis and guidance note, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045437/Country_Guidance_Iraq_2021.pdf, Zugriff 3.3.2021
MoD - Republic of Iraq, Ministry of Defense [Irak] (10.2007): Military Penal Code No. 19 of 2007, https://ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/ihl-nat.nsf/implementingLaws.xsp?documentId=9C60EDC34C397A53C1257C080040F111&action=openDocument&xp_countrySelected=IQ&xp_topicSelected=GVAL-992BUA&from=state, Zugriff 18.1.2021
UK Home Office [Großbritannien] (1.2021): Country Policy and Information Note Iraq: Sunni Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043500/Iraq_-_Sunni_Arabs_-_CPIN_-_v3.0_-_January_2021_-_ext.pdf, Zugriff 1.4.2021
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021
Allgemeine Menschenrechtslage in der Kurdistan Region Irak (KRI)
Letzte Änderung: 12.08.2022
Es gibt eine unabhängige kurdische Menschenrechtskommission, die sich aber auf die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen beschränkt. Sie kann selten eine volle Aufklärung oder gar Ahndung von Menschenrechtsverletzungen gewährleisten (AA 25.10.2021, S.21).
Sicherheitskräfte der Kurdischen Regionalregierung (KRG) wie Peshmerga und Asayish verstoßen bisweilen gegen die Gesetze (USDOS 12.4.2022).
Kurdischen Sicherheitskräften werden Gewalt, Drohungen und willkürliche Inhaftierung von Journalisten und Medienvertretern vorgeworfen (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022). Es gibt auch Vorwürfe von willkürlichen Verhaftungen, sowie von Missbrauch und Folter von Gefangenen und Häftlingen (USDOS 12.4.2022). Es liegen keine zuverlässigen Statistiken über die Anzahl solcher Vorfälle vor (USDOS 30.3.2021). Peshmerga und Asayish wird vorgeworfen, Vorschriften selektiv umzusetzen, auch aus ethno-konfessionellen Gründen. Die Vorwürfe umfassen auch Erpressung und die Verweigerung einer Rückkehr von Zivilisten in ihre Heimat, insbesondere sunnitischer Araber sowie Angehöriger ethno-konfessioneller Minderheiten (USDOS 12.4.2022).
Es besteht quasi Straffreiheit für Regierungsbeamte und Sicherheitskräfte, einschließlich bestimmter Einheiten der kurdischen Sicherheitsdienste, wie der Asayish (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021
Todesstrafe in der Kurdistan Region Irak (KRI)
Letzte Änderung: 12.08.2022
In der Kurdistan Region Irak (KRI) wurde die Todesstrafe im Jahr 2008 in einem De-facto-Moratorium ausgesetzt, außer für wesentliche Fälle, wie zur Bekämpfung des Terrorismus (HRW 13.1.2022; vergleiche AA 25.10.2021, Sitzung 22). In den Jahren 2015 und 2016 wurde dieses Moratorium zweimal gebrochen, wobei vier Hinrichtungen vorgenommen wurden. Im Jahr 2020 saßen fast 400 zum Tode verurteilte Personen in kurdischen Gefängnissen (AA 25.10.2021, Sitzung 22).
Berichten zufolge hat die Kurdische Regionalregierung (KRG) damit begonnen, Morde an Frauen, einschließlich Ehrenmorde, als Tötungsdelikte zu verfolgen, was bedeutet, dass die Schuldigen mit Strafen bis hin zur Todesstrafe belegt werden können (DFAT 17.8.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
DFAT - Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (17.8.2020): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036511/country-information-report-iraq.pdf, Zugriff 3.3.2021
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066472.html, Zugriff 21.1.2022
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 12.08.2022
Anmerkung: Aufgrund der komplexen Verflechtung religiöser und ethnischer Identitäten ist eine strikte Unterscheidung zwischen rein religiösen Minderheiten und rein ethnischen Minderheiten im Irak oft nur schwer möglich. Um eine willkürliche Trennung zu vermeiden, werden alle Minderheiten, einschließlich derer, bei denen das religiöse Element überwiegt, im Abschnitt "Minderheiten" behandelt.
Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche FH 28.2.2022). Gemäß Artikel 2 Absatz 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche GIZ 1.2021a). Es darf kein Gesetz erlassen werden, das den "erwiesenen Bestimmungen des Islams" widerspricht (RoI 15.10.2005; vergleiche USDOS 2.6.2022). In Absatz 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert (AA 25.10.2021, S.11). Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen oder Atheisten (RoI 15.10.2005; vergleiche USDOS 2.6.2022).
Artikel 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche ROI 15.10.2005). Artikel 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche ROI 15.10.2005). Die meisten politischen Führer haben sich nach der Niederlage des Islamischen Staats (IS) für religiösen Pluralismus ausgesprochen, und Minderheiten, die in befreiten Gebieten leben, können ihre Religion seitdem weitgehend frei ausüben (FH 28.2.2022).
Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Mandäer-Sabäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der Regierung gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 2.6.2022).
Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 2.6.2022; vergleiche USCIRF 4.2021).
Mit Einführung eines neuen Personalausweises im Jahr 2015 wurde ein Eintrag, der die Religionszugehörigkeit des Passinhabers deklarierte, dauerhaft abgeschafft (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche USDOS 2.6.2022). Es wurde allerdings ein Passus in die Bestimmungen aufgenommen, der religiöse Minderheiten diskriminiert. Artikel 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 25.10.2021, S.11). Der Online-Antrag auf einen Personalausweis verlangt nach wie vor die Deklaration der Religionszugehörigkeit, wobei nur Muslim, Christ, Mandäer-Sabäer, Jeside und Jude zur Auswahl stehen. Dabei wird zwischen den verschiedenen Konfessionen des Islams (Shi‘a-Sunni) bzw. den unterschiedlichen Denominationen des Christentums nicht unterschieden. Personen, die anderen Glaubensrichtungen angehören, können nur dann einen Ausweis erhalten, wenn sie sich selbst als Muslim, Jeside, Mandäer-Sabäer, Jude oder Christ deklarieren. Ohne einen amtlichen Personalausweis kann man keine Eheschließung eintragen lassen, seine Kinder nicht in einer öffentlichen Schule anmelden, keinen Reisepass beantragen und auch einige staatliche Dienstleistungen nicht in Anspruch nehmen (USDOS 2.6.2022).
Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage dazu bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze. Fünf Sitze sind für die christliche Minderheit sowie jeweils ein Sitz für Jesiden, Mandäer-Sabäer, Shabak und Faili Kurden reserviert. Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 22.1.2021).
Einschränkungen der Religionsfreiheit sowie Gewalt gegen und Belästigung von Minderheitengruppen durch staatliche Sicherheitskräfte (ISF) sind nach Angaben von Religionsführern und NGOs außerhalb der Kurdistan Region Irak (KRI) nach wie vor weit verbreitet. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 2.6.2022).
Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass Regierungstruppen, einschließlich der ISF, der Peshmerga und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), die Freizügigkeit innerhalb des Landes unter anderem aus ethnisch-konfessionellen Gründen selektiv einschränken, um z.B. die Einreise von Personengruppen in von ihnen kontrollierte Gebiete zu begrenzen (USDOS 12.4.2022).
Die Behörden der Kurdischen Regionalregierung (KRG) diskriminierten weiterhin Minderheiten, darunter Türken, Araber, Yeziden, Shabak und Christen, in Gebieten, die sowohl von der KRG als auch von der Zentralregierung im Norden des Landes beansprucht werden. Diskriminierung von Minderheiten durch Regierungstruppen, insbesondere durch manche PMF-Gruppen, und andere Milizen, sowie das Vorgehen verbliebener aktiver IS-Kämpfer, hat ethnisch-konfessionelle Spannungen in den umstrittenen Gebieten weiter verschärft. Es kommt weiterhin zu Vertreibungen wegen vermeintlicher IS- Zugehörigkeit. Kurden und Turkmenen, sowie Christen und andere Minderheiten im Westen Ninewas und in der Ninewa-Ebene berichten über willkürliche und unrechtmäßige Verhaftungen durch PMF (USDOS 12.4.2022).
Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig festzustellen, wie viele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren sind (USDOS 12.4.2022).
Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in die religiösen Bräuche der Mitglieder von Minderheitengruppen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt. Manche Minderheitenvertreter berichten jedoch über Schikanen und Restriktionen durch lokale Behörden. Sie berichten weiterhin über Druck auf ihre Gemeinschaften Landrechte abzugeben, wenn sie sich nicht stärker an islamische Gebote halten (USDOS 2.6.2022).
In der KRI erhalten Religionsgemeinschaften ihre Anerkennung durch die Registrierung beim Ministerium für Stiftungen und religiöse Angelegenheiten (MERA) der KRG. Um sich registrieren zu können, muss eine Gemeinschaft mindestens 150 Anhänger haben, Unterlagen über die Quellen ihrer finanziellen Unterstützung vorlegen und nachweisen, dass sie nicht "anti-islamisch" ist. Acht Glaubensrichtungen sind anerkannt und bei der KRG-MERA registriert: Islam, Christentum, Jesidentum, Judentum, Mandäer-Sabäismus, Zoroastrismus, Yarsanismus und der Bahai-Glaube (USDOS 2.6.2022).
Es gibt keine Gesetze, die eine Heirat zwischen Schiiten und Sunniten verbieten (DFAT 17.8.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021
DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (17.8.2020): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036511/country-information-report-iraq.pdf, Zugriff 12.8.2021
FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Irak - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 3.3.2021
USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF – Recommended for Special Watchlist: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052974/Iraq+Chapter+AR2021.pdf, Zugriff 2.2.2021
USDOS - US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073956.html, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
Ethnische und religiöse Minderheiten
Letzte Änderung: 12.08.2022
Die genaue ethno-konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung des Iraks ist unklar, da die letzten Volkszählungen manipulativ waren und beispielsweise nur die Angaben "Araber" und "Kurde" zuließen. Andere Bevölkerungsgruppen wurden so statistisch marginalisiert. Laut Schätzungen teilen sich die Einwohner Iraks folgendermaßen auf: in etwa 75-80 % Araber, 15-20 % Kurden und etwa 5 %, Tendenz fallend, Minderheiten, zu denen unter anderem Assyrer, Armenier, Mandäer/Sabäer und Turkmenen zählen (GIZ 1.2021c).
Die wichtigsten ethno-konfessionellen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65 % der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22 %) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20 %) (AA 25.10.2021).
Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Religiöse Minderheiten können im Alltag jedoch gesellschaftliche Diskriminierung erfahren. Übergriffe werden selten strafrechtlich geahndet. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdistan Region Irak (KRI), oft benachteiligt. Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten im Zentralirak faktisch unter weitreichender Diskriminierung. Der irakische Staat, unter der Verwaltung von Bagdad, kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 25.10.2021). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 28.2.2022). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch Volksmobilisierungskräfte (PMF), in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 12.4.2022).
Die Hauptsiedlungsgebiete der meisten religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des Islamischen Staates (IS) standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer/Sabäern, Kaka‘i, Shabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit unterschiedlicher Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 25.10.2021).
In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 25.10.2021). Es gibt jedoch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Shabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" (USDOS 2.6.2022). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte, der Peschmerga und vor allem der schiitischen Milizen und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) (AA 25.10.2021).
Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden besonders in den zwischen der Zentralregierung und der KRI "umstrittenen Gebieten" (Gouvernement Kirkuk, sowie Teile von Ninewa, Salah Ad-Din und Diyala) Tendenzen zur gewaltsamen ethnisch-konfessionellen Homogenisierung festgestellt. Die Mission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI) und Amnesty International haben dokumentiert, wie angestammte Bevölkerungsgruppen vertrieben bzw. Binnenvertriebene an der Rückkehr gehindert wurden. Dabei handelte es sich oft um die sunnitische Bevölkerung, die häufig unter dem Generalverdacht einer Zusammenarbeit mit dem IS steht, aber auch um Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen. Beschuldigt werden sowohl kurdische Peshmerga als auch PMF-Milizen und in geringerem Ausmaß auch Armee und Polizei (AA 25.10.2021).
Anmerkung zu beiden Karten:
Die religiös-konfessionelle sowie ethnisch-linguistische Zusammensetzung der irakischen Bevölkerung ist höchst heterogen. Die hier dargebotenen Karten zeigen nur die ungefähre Verteilung der Hauptsiedlungsgebiete religiös-konfessioneller bzw. ethnisch-linguistischer Gruppen und Minderheiten. Insbesondere in Städten kann die Verteilung deutlich von der ländlichen Umgebung abweichen (BMI 2016). Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend die Minderheit, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017).
Die territoriale Niederlage des sog. IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Dennoch können rund eine Million Iraker, die vom IS vertrieben wurden, nicht in ihre Häuser zurückkehren, sowohl aus Sicherheits- als auch aus wirtschaftlichen Gründen (FH 28.2.2022). Angehörige der PMF verlangen an Kontrollpunkten von IDPs, insbesondere von Angehörigen von religiösen Minderheiten überhöhte Geldbeträge für die Überquerung der Grenze. Alternativ riskieren die Betroffenen in die Lager zurückgeschickt zu werden (USCIRF 4.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
BMI - Bundesministerium für Inneres; BMLVS - Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (2016): Atlas: Middle East & North Africa, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1487770786_2017-02-bfa-mena-atlas.pdf, Zugriff 15.5.2021
FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021c): Irak - Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
Lattimer EASO - Lattimer, Mark in EASO - European Asylum Support Office (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf, Zugriff 25.8.2021
USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF – Recommended for Special Watchlist: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052974/Iraq+Chapter+AR2021.pdf, Zugriff 2.2.2021
USDOS - US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073956.html, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
Kurden
Letzte Änderung: 12.08.2022
Schätzungen zufolge sind 15-20 % der irakischen Bevölkerung Kurden, die mehrheitlich im Nordosten des Irak leben (GIZ 1.2021c; vergleiche AA 25.10.2021). Die Kurden in der Kurdistan Region Irak (KRI) bekennen sich überwiegend als Sunniten. Aber es gibt unter ihnen auch neuzeitliche Zoroastrier und Jesiden. Die meisten Kurden Bagdads fühlen sich einem schiitischen Religionszweig verbunden: dem des Faili-Schiitentums (GIZ 1.2021c).
Auch Kurden sind von ethnisch-konfessionellen Auseinandersetzungen betroffen, wenn sie außerhalb der KRI leben. Nach dem Unabhängigkeitsreferendum von 2017 hat die zentral-irakische Armee die zwischen der KRI und der Zentralregierung sogenannten "umstrittenen Gebiete" größtenteils wieder unter die Kontrolle Bagdads gebracht. Das Verhältnis zwischen Kurden und Arabern in den Gebieten ist generell angespannt (AA 25.10.2021).
Es gibt Berichte über willkürliche Festnahmen von Kurden, insbesondere in Ninewa, durch mit dem Iran verbündete PMF-Milizen (USDOS 12.4.2022). Kurden beklagen Landraub und Vertreibung (Rudaw 9.12.2020; vergleiche AA 25.10.2021). So gibt es immer wieder Meldungen über Landstreitigkeiten zwischen Kurden und Arabern, insbesondere im Gouvernement Kirkuk (Rudaw 9.12.2020). Im Dezember 2020 wurden beispielsweise die kurdischen Einwohner des Dorfes Palkana im Gouvernement Kirkuk gezwungen ihre Häuser zu verlassen (USDOS 30.3.2021; vergleiche K24 15.12.2020, Rudaw 9.12.2020). Ein Kontingent bestehend aus Angehörigen der Irakischen Armee, der PMF und der Bundespolizei hat das Dorf gestürmt und unter Androhung von Haft und Gewalt von den kurdischen Einwohnern die Räumung ihrer Häuser verlangt (K24 15.12.2020; vergleiche Rudaw 9.12.2020). Personen, die sich weigerten, wurden festgenommen (Rudaw 9.12.2020). Zu Hilfe gerufene lokale Polizei hat nicht eingegriffen (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021c): Irak - Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
K24 - Kurdistan 24 (15.12.2020): Kurdistan Region Parliament warns of continued 'Arabization' in Kirkuk, https://www.kurdistan24.net/en/story/23640-Kurdistan-Region-Parliament-warns-of-continued-%27Arabization%27-in-Kirkuk, Zugriff 1.4.2021
Rudaw (9.12.2020): Kurds forced out of Kirkuk village: locals, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/09122020, 1.4.2021
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen
Letzte Änderung: 12.08.2022
In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25 % im Parlament verankert. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) sind es 30 % (AA 25.10.2021; vergleiche FH 28.2.2022, USDOS 12.4.2022). Diese formale Repräsentation hat geringe Auswirkungen auf die staatliche Politik gegenüber Frauen, die von politischen Debatten und Führungspositionen üblicherweise ausgeschlossen sind (FH 28.2.2022).
Der Irak hat 1986 das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) ratifiziert. Irakische Gesetze erfüllen jedoch nicht die Anforderungen des Übereinkommens, insbesondere das Personenstandsgesetz und das Strafgesetz (BS 23.2.2022, S.26). Frauen sind auch im Alltag Diskriminierung ausgesetzt, die ihre gleichberechtigte Teilnahme am politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben einschränkt. Sie werden selten in Entscheidungspositionen und andere einflussreiche Positionen ernannt (AA 25.10.2021; vergleiche FH 28.2.2022). Die traditionelle Rollenverteilung in der Familie lässt weniger Möglichkeiten für Frauen, sich im Studium oder beruflich weiter zu entwickeln. Dies wird zum Teil aus der religiösen Tradition begründet, aber auch patriarchalische Strukturen sind weit verbreitet (AA 25.10.2021).
Frauen werden unter mehreren Aspekten der Gesetzgebung ungleich behandelt (AA 25.10.2021; vergleiche FH 28.2.2022). Zwar ist laut Artikel 14 und 20 der Verfassung jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Artikel 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragrafen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit als eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung (AA 25.10.2021). Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsbürgerschaftsrecht (AA 25.10.2021; vergleiche FH 28.2.2022). So können Frauen in Bezug auf das Erbrecht unter Druck geraten, ihre Rechte an männliche Verwandte abzutreten (FH 28.2.2022). Die Stellung der Frau hat sich jedenfalls im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert (AA 25.10.2021; vergleiche FIS 22.5.2018). Auch die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen, insbesondere unter Binnenflüchtlingen (IDPs) (AA 25.10.2021). Die Bewegungsfreiheit von Frauen wird durch gesetzliche Bestimmungen eingeschränkt (FH 28.2.2022). So hindert das Gesetz Frauen beispielsweise daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen (FH 28.2.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022), oder ein Dokument zur Feststellung des Personenstands zu erhalten, welches für den Zugang zu Beschäftigung, Bildung und einer Reihe von Sozialdiensten erforderlich ist (FH 28.2.2022).
Frauen werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Die Regierung al-Kadhimis hat zwar eine Untersuchungskommission eingesetzt, die solche Fälle untersuchen und die Täter vor Gericht bringen soll, bisher jedoch ohne konkrete Ergebnisse (BS 23.2.2022, S.14). Die geschätzte Erwerbsquote von Frauen liegt bei etwa 11,5 % (Stand 2019) (WB 29.1.2021a). Die geschätzte Arbeitslosigkeit bei Frauen, die an der Arbeitswelt teilhaben, liegt laut Weltbank bei etwa 30,6 % (Stand 2019) (WB 29.1.2021b). Der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak zufolge liegt sie bei 13 % (UNIraq 2021). Die Jugendarbeitslosigkeit bei Frauen und Mädchen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren wird auf etwa 63,3 % geschätzt (Stand 2017) (CIA 15.6.2021). Frauen, die nicht an der irakischen Arbeitswelt teilhaben, sind einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt, selbst wenn sie in der informellen Wirtschaft mit Arbeiten wie Nähen oder Kunsthandwerk beschäftigt sind (Frontine 12.11.2019). Die genauen Zahlen unterscheiden sich je nach Statistik und Erhebungsmethode (FIS 22.5.2018).
Frauen und Mädchen sind im Bildungssystem deutlich benachteiligt und haben noch immer einen schlechteren Bildungszugang als Buben und Männer (GIZ 1.2021c). Frauen wird überproportional der Zugang zu Bildung verwehrt (AA 25.10.2021). Im Alter von zwölf Jahren aufwärts sind Mädchen stärker von Analphabetismus betroffen als Buben (GIZ 1.2021c). Etwa 79,9 % der Frauen im Alter von über 15 Jahren können lesen und schreiben (Stand 2017) (UNESCO 2021; vergleiche WB 9.2020). In der Altersgruppe der 15 bis 24-jährigen Mädchen und Frauen liegt die Rate bei 92,1 % (Stand 2017) (UNESCO 2021). In ländlichen Gebieten ist die Einschulungsrate bei Mädchen (rund 77 %) weit niedriger als jene der Buben (rund 90 %). Je höher die Bildungsstufe ist, desto geringer ist der Anteil an Mädchen. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine frühe Ehe für sie vor (GIZ 1.2021c).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069660/country_report_2022_IRQ.pdf, Zugriff 17.6.2022
CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2021): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/iraq/, Zugriff 20.6.2021
FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022
FIS - Finnisch Immigration Service [Finnland] (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 14.1.2021
Frontline (12.11.2019): How Conflict in Iraq Has Made Women and Girls More Vulnerable, https://www.pbs.org/wgbh/frontline/article/how-conflict-in-iraq-has-made-women-and-girls-more-vulnerable/, Zugriff 1.4.2021
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021c): Irak - Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
UNESCO - United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (2021): Iraq, Education and Literacy, http://uis.unesco.org/en/country/iq, Zugriff 1.4.2021
UNIraq (2021): Country Profile, http://www.uniraq.com/index.php?option=com_k2&view=item&layout=item&id=941&Itemid=472&lang=en, Zugriff 18.3.2021
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
WB - World Bank (29.1.2021a): Labor force participation rate, female (% of female population ages 15+) (modeled ILO estimate), https://data.worldbank.org/indicator/SL.TLF.CACT.FE.ZS?locations=IQ, Zugriff 1.4.2021
WB - World Bank (29.1.2021b): Unemployment, female (% of female labor force) (modeled ILO estimate) - Iraq, https://data.worldbank.org/indicator/SL.UEM.TOTL.FE.ZS?locations=IQ, Zugriff 1.4.2021
WB - World Bank (9.2020): Literacy rate, adult female (% of females ages 15 and above) - Iraq, https://data.worldbank.org/indicator/SE.ADT.LITR.FE.ZS?end=2017&locations=IQ&start=2017&view=bar, Zugriff 1.4.2021
Häusliche Gewalt, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt
Letzte Änderung: 22.08.2022
Häusliche Gewalt ist weiterhin ein allgegenwärtiges Problem (USDOS 30.3.2021; vergleiche HRW 13.1.2021, BS 23.2.2022). Im Jahr 2020 kam es zu einem sprunghaften Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt (FH 28.2.2022). Meldungen über Vergewaltigung, häusliche Gewalt, Misshandlung in der Ehe, Verbrennunng und Selbstverbrennung, Selbstverletzung aufgrund von Misshandlung in der Ehe, sexuelle Belästigung von Minderjährigen und Selbstmord aufgrund der zunehmenden Spannungen in den Haushalten sind während der COVID-19 Pandemie angestiegen. Laut der föderalen Polizei hat häusliche Gewalt um fast 20 % zugenommen (USDOS 12.4.2022).
Auch Tötung von Frauen und Mädchen durch ihre Familien und Ehemänner wurden 2021 verzeichnet (HRW 13.1.2022). Das irakische Strafgesetz enthält zwar Bestimmungen zur Kriminalisierung von Körperverletzung, aber nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches hat der Ehemann das Recht, seine Frau, sowie seine Kinder innerhalb der durch Gesetz oder Gewohnheit vorgeschriebenen Grenzen zu disziplinieren (HRW 13.1.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022). Diese Grenzen sind recht vage definiert, sodass verschiedene Arten von Gewalt als rechtmäßig interpretiert werden können (FIS 22.5.2018). Nach Artikel 128, Absatz 1 des Strafgesetzbuches können Straftaten, die aufgrund der Ehre oder vom Opfer provoziert begangen wurden, ungestraft bleiben, bzw. kann in solchen Fällen die Strafe gemildert werden (FIS 22.5.2018; vergleiche HRW 13.1.2022, USDOS 12.4.2022). Täter, die Gemeinschaft, aber auch Opfer selbst sehen häusliche Gewalt oft als normal und rechtfertigen sie aus kulturellen und religiösen Gründen. Frauen tendieren dazu, häusliche Gewalt aus Scham oder Angst vor Konsequenzen nicht zu melden, manchmal auch, um den Täter zu schützen. Viele Frauen haben kein Vertrauen in die Polizei und halten den von ihr gebotenen Schutz für nicht angemessen (FIS 22.5.2018).
Während sexuelle Übergriffe, wie z. B. Vergewaltigung, sowohl gegen Frauen als auch gegen Männer strafbar sind, sieht Artikel 398 des irakischen Strafgesetzbuches vor, dass Anklagen aufgrund von Vergewaltigung fallen gelassen werden können, wenn der Angreifer das Opfer heiratet (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022, UNSC 30.3.2021, StC 25.6.2021). Dies gilt sowohl im Irak als auch in der Kurdistan Region Irak (KRI) (StC 25.6.2021). Eine Bestimmung verhindert hierbei eine Scheidung innerhalb der ersten drei Ehejahre (USDOS 12.4.2022). Dies trifft auch zu, wenn das Opfer minderjährig ist (FIS 22.5.2018). Vergewaltigung innerhalb der Ehe stellt keine Straftat dar (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022). Es gab keine zuverlässigen Schätzungen über die Häufigkeit von Vergewaltigungen oder Informationen über die Effektivität der staatlichen Durchsetzung des Gesetzes (USDOS 12.4.2022). Berichten zufolge sind besonders binnenvertriebene Frauen und Mädchen, insbesondere solche, die mit dem IS in Verbindung gebracht werden, sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt (EMHRM 6.2021).
Der Irak hat zwar eine nationale Strategie gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen angenommen, die Verabschiedung eines Gesetzesentwurfs zum Schutz vor häuslicher Gewalt steht jedoch noch aus (UNFPA 2020). Bemühungen des irakischen Parlaments, einen Gesetzesentwurf gegen häusliche Gewalt zu verabschieden, sind seit 2019 ins Stocken geraten (HRW 13.1.2022). Die erneuten Bemühungen irakischer Frauenrechtsorganisationen, das Parlament zur Verabschiedung eines Gesetzes zum Verbot geschlechtsspezifischer Gewalt zu bewegen, blieben erfolglos (FH 28.2.2022). Entsprechende parlamentarische Bemühungen zur Verabschiedung eines Gesetzentwurfs gegen häusliche Gewalt sind seit 2019 ins Stocken geraten (HRW 13.1.2022).
Fälle von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt bleiben weitgehend ungemeldet. Gründe dafür sind fehlender Zugang zu gerichtlichen oder administrativen Mechanismen, Angst vor Stigmatisierung und Repressalien (EMHRM 6.2021; vergleiche UNSC 30.3.2021) sowie fehlende strafrechtliche Verantwortung der Täter und Schutzmechanismen für Opfer (EMHRM 6.2021). Auch Angehörige der irakischen Sicherheitskräfte haben Frauen in den von ihnen kontrollierten Lagern, wie z. B. in Ninewa, belästigt und sexuell missbraucht. 2020 wurden 30 Fälle von konfliktbezogener sexueller Gewalt durch bewaffnete Akteure, hauptsächlich gegen Frauen verzeichnet, einer gegen einen inhaftierten Mann (UNSC 30.3.2021). In der KRI ist die Zahl der Frauenmorde gestiegen. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2022 wurden in der KRI elf Frauen getötet, die meisten von ihnen durch Schüsse. 2021 waren es 45 Frauen, 2020 waren es 25 Frauen (France 24 20.3.2022).
Frauen, die infolge einer Vergewaltigung Kinder geboren haben, haben Probleme für ihre Kinder Identitätspapiere zu erhalten und damit einhergehend Zugang zu Dienstleistungen (UNSC 30.3.2021).
Obwohl der IS ein System organisierter Vergewaltigungen, sexueller Sklaverei und Zwangsheirat von jesidischen Frauen und Mädchen und anderen Minderheiten etablierte, wurde kein IS-Mitglied wegen dieser spezifischen Verbrechen strafrechtlich verfolgt oder verurteilt (HRW 13.1.2022). Im Zuge des IS-Vormarsches auf Sinjar sollen über 5.000 jesidische Frauen und Mädchen verschleppt worden sein, von denen Hunderte später als Trophäen an IS-Kämpfer übergeben oder nach Syrien verkauft wurden. Diese Frauen wurden anschließend oftmals von ihren Familien aus Gründen der Tradition verstoßen oder sie wurden gezwungen, die aus den Zwangsehen entstandenen Kinder zu verstoßen (AA 25.10.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069660/country_report_2022_IRQ.pdf, Zugriff 17.6.2022
EMHRM - Euro-Mediterranean Human Rights Monitor (6.2021): Exiled At Home: Internal displacement resulted from the armed conflict in Iraq and its humanitarian consequences, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/IraqReportEN.pdf, Zugriff 1.7.2021
FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022
FIS - Finnisch Immigration Service [Finnland] (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 14.1.2021
France 24 (20.3.2022): Deadly attacks on women rise sharply in Iraqi Kurdistan, https://www.france24.com/en/live-news/20220320-deadly-attacks-on-women-rise-sharply-in-iraqi-kurdistan, Zugriff 7.6.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066472.html, Zugriff 21.1.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 10.2.2021
StC - Save the Children (25.6.2021): Married by exception: Child marriage policies in the Middle East and North Africa, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/married_by_exception.pdf, Zugriff 28.6.2021
UNFPA - United Nations Population Fund (2020): The National Strategy to Combat Violence against Women and Girls 2018-2030, https://iraq.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/the_national_strategy_to_combat_violence_against_women_and_girls_2018-2030.pdf, Zugriff 1.4.2021
UNSC - UN Security Council (30.3.2021): Conflict-related sexual violence; Report of the Secretary-General [S/2021/312], https://www.ecoi.net/en/file/local/2049397/S_2021_312_E.pdf, Zugriff 1.4.2021
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021
Zwangsehen, Kinderehen, temporäre Ehen, Blutgeld-Ehe (Fasliya)
Letzte Änderung: 12.08.2022
Zwangs- und Kinderehen sind weit verbreitet, insbesondere im Zusammenhang mit Vertreibung und Armut (FH 28.2.2022; vergleiche AA 14.10.2020). Traditionelle Formen von arrangierten, frühen und erzwungenen Ehen sind besonders unter der überwiegend ungebildeten ländlichen und der Stammesbevölkerung vertreten (UK Home Office 3.2021). Rund 24 % der Frauen werden als Mädchen vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet (AA 25.10.2021; vergleiche FH 28.2.2022).
Das gesetzliche Mindestalter für eine Eheschließung beträgt mit elterlicher Erlaubnis 15 Jahre, ohne Erlaubnis 18 Jahre (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022). Berichten zufolge unternimmt die Regierung jedoch wenig Anstrengungen, um dieses Gesetz durchzusetzen. Traditionelle Zwangsverheiratungen von Mädchen, Kinderehen und sogenannte Ehen auf Zeit (zawaj al-mut‘a) finden im ganzen Land statt (USDOS 12.4.2022). Zwangs-Kinderehen werden als passive Bewältigungsmechanismen für vertriebene, in Armut lebende Familien mit nachteiligen Lebensumständen eingesetzt (EMHRM 6.2021). Das Gesetz stellt Zwangsverheiratungen unter Strafe, macht aber vollzogene Zwangsverheiratungen nicht automatisch ungültig (USDOS 12.4.2022).
Ehen auf Zeit oder sogenannte Vergnügungs-Ehen sind ein Problem im Irak (StC 25.6.2021). Ehe auf Zeit ist eine im zwölferschiitischen Islam erlaubte Möglichkeit auf religiös gebilligten Geschlechtsverkehr. Im sunnitischen Islam sind diese Ehen nicht erlaubt, auch wenn manche sunnitische Geistliche eine ähnliche Form der Ehe auf Zeit, misyar, gestatten (BBC 4.10.2019). Dabei werden junge Mädchen und Frauen für kurze Zeit mit älteren Männern verheiratet (StC 25.6.2021). Zwangsehen und Ehen auf Zeit werden benutzt, um Frauen und Mädchen innerhalb des Irak zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zu verkaufen (OHCHR 11.11.2019; vergleiche USDOS 12.4.2022). Dabei zahlt ein Mann der Familie der Betroffenen eine Mitgift für die Erlaubnis, sie für einen bestimmten Zeitraum zu heiraten. Besonders junge Frauen, die durch den Konflikt mit dem IS verwitwet oder verwaist sind, werden für diese Art der Ausbeutung als anfällig angesehen (USDOS 30.3.2021). Viele Frauen und Mädchen sind durch Flucht und Verfolgung besonders gefährdet. Es gibt vermehrt Berichte, dass Mädchen in Flüchtlingslagern zur Heirat gezwungen werden. Dies geschieht entweder, um ihnen ein vermeintlich besseres Leben zu ermöglichen, oder um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Häufig werden die Ehen nach kurzer Zeit wieder annulliert, mit verheerenden Folgen für die betroffenen Mädchen (AA 22.1.2021).
Fasliya bezeichnet eine traditionelle Stammespraxis zur Schlichtung von Konflikten, bei der Frauen eines Stammes mit Männern eines verfeindeten Stammes als Entschädigung für Mord bzw. für die Verletzung von Mitgliedern des anderen Stammes verheiratet werden (USDOS 12.4.2022; vergleiche Musawah 11.2019). Dies geschieht ohne die Zustimmung der betreffenden Frauen (Musawah 11.2019). Ende der 1950er Jahre wurde die Blutgeld-Ehe gesetzlich verboten (Al-Monitor 18.6.2015). Es kommt jedoch nach wie vor zu Blutgeld-Ehen zur Beilegung von Stammeskonflikten (UK Home Office 3.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022). Diese Tradition wird besonders in Gebieten fortgesetzt, in denen der Einfluss der Stämme größer als der staatlicher Institutionen ist. Großayatollah as-Sistani fordert ein Ende dieser Praxis (USDOS 12.4.2022).
Im Jahr 2011 hat das kurdische Regionalparlament mit Gesetzt Nr. 8 ein Gesetz zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt erlassen, das auch die Zwangsehe, die Kinderehe und die Blutgeld-Ehe unter Strafe stellt (PKI 21.6.2011). Das gesetzliche Mindestalter für eine Eheschließung mit elterlicher Erlaubnis beträgt in der Kurdistan Region Irak (KRI) 16 Jahre, ohne Erlaubnis 18 Jahre (USDOS 12.4.2022).
Nach Angaben des Hohen Rates für Frauenangelegenheiten der Kurdischen Regionalregierung (KRG) tragen Flüchtlinge und IDPs in der KRI zu einer zunehmenden Zahl an Kinderehen und Polygamie bei. Die KRG hat die Polizei und Beamte des Büros zur Bekämpfung häuslicher Gewalt beauftragt, Eltern davon abzuhalten, ihre Kinder zwangssweise zu verheiraten und führt Aufklärungskampagnen zur Bekämpfung sexueller Gewalt durch (USDOS 12.4.2022). Das Gesetz der KRG stellt Zwangsheirat unter Strafe und setzt vollzogene Zwangsehen aus, macht sie aber nicht automatisch ungültig (USDOS 12.4.2022). Der kurdische Hohen Rat für Frauenangelegenheiten hat mit Unterstützung von UNFPA einen Plan zur Verringerung der Kinderheirat entwickelt, der sich auf Aufklärung konzentriert (StC 25.6.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.10.2020): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2040689/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_14.10.2020.pdf, Zugriff 3.3.2021
Al-Monitor (18.6.2015): Blood money marriage makes comeback in Iraq, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2015/06/iraq-tribes-women-blood-money-marriage-dispute-settlement.html, Zugriff 3.3.2021
BBC News (4.10.2019): The teenager married too many times to count, https://www.bbc.co.uk/news/extra/iuKTEGjKgS/teenage_iraq_brides, Zugriff 3.3.2021
EMHRM - Euro-Mediterranean Human Rights Monitor (6.2021): Exiled At Home: Internal displacement resulted from the armed conflict in Iraq and its humanitarian consequences, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/IraqReportEN.pdf, Zugriff 1.7.2021
FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022
Musawah, publiziert durch CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (11.2019): Thematic Report on Article 16, Muslim Family Law and Muslim Women's Rights in Iraq; 74th CEDAW Session, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/Shared Documents/IRQ/INT_CEDAW_CSS_IRQ_37333_E.docx, Zugriff 1.4.2021
OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights (11.11.2019): UN women’s rights experts issue findings on Andorra, Bosnia and Herzegovina, Cambodia, Iraq, Kazakhstan, Lithuania, and Seychelles, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=25277&LangID=E, Zugriff 1.4.2021
PKI - The Parliament of Kurdistan – Iraq [Irak] (21.6.2011): Act No. 8 from 2011, The Act of Combating Domestic Violence in Kurdistan Region-Iraq, http://www.ekrg.org/files/pdf/combat_domestic_violence_english.pdf, Zugriff 1.4.2021
StC - Save the Children (25.6.2021): Married by exception: Child marriage policies in the Middle East and North Africa, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/married_by_exception.pdf, Zugriff 28.6.2021
UK Home Office [UK] (3.2021): Country Policy and Information Note Iraq: ‘Honour’ crimes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2048206/Iraq_-_Honour_Crimes_-_CPIN_-_v2.0_-_March_2021_-_EXT.pdf, Zugriff 1.4.2021
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
Ehrenverbrechen an Frauen
Letzte Änderung: 12.08.2022
Als Ehrenverbrechen werden Praktiken beschrieben, die zur Verhaltenskontrolle innerhalb von Familien oder sozialen Gruppen eingesetzt werden, um wahrgenommene kulturelle und religiöse Überzeugungen und/oder die Ehre zu schützen (CPS o.D.). Ehrenverbrechen können auftreten, wenn die Täter der Meinung sind, dass eine Person die Familie und/oder die Gemeinschaft beschämt hat, indem diese ihren Ehrenkodex gebrochen hat (CPS o.D.), bzw. "Schande" über die Familie oder den Stamm gebracht hat. Ehrenverbrechen werden oft in Form von Mord begangen, obwohl sie auch andere Arten der Gewalt umfassen können, wie z.B. körperliche Misshandlung, Einsperren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Entzug von Bildung, Zwangsverheiratung, erzwungener Selbstmord und öffentliche Schändung bzw. "Entehrung" (MRG 11.2015). Die Familien- und die individuelle Ehre wird ausschließlich von Männern gehalten und kann verloren oder wiedergewonnen werden. Frauen dagegen können nur eine Quelle der Familien- oder individuellen "Schande" sein, und können nicht aktiv Ehre in ihre Familie oder ihren Stamm bringen (TCF 7.11.2019).
Ehrendelikte werden überwiegend von männlichen Familienmitgliedern gegen weibliche Familienmitglieder verübt, obwohl gelegentlich auch Männer Opfer solcher Gewalt werden können. Ehrenverbrechen werden meist begangen, nachdem eine Frau eines der folgenden Dinge getan hat bzw. dessen verdächtigt wird: Freundschaft oder voreheliche Beziehung mit einem Mann; Weigerung, einen von der Familie ausgewählten Mann zu heiraten; Heirat gegen den Willen der Familie; Ehebruch; Opfer einer Vergewaltigung oder Entführung geworden zu sein. Solche Verletzungen der Ehre werden als unverzeihlich angesehen. In den meisten Fällen wird die Tötung der Frau, manchmal auch die des Mannes, als der einzige Weg gesehen, die Ehrverletzung zu sühnen (MRG 11.2015).
Ehrenmorde bleiben auch weiterhin ein ernstes Problem im ganzen Land (USDOS 12.4.2022; vergleiche EASO 1.2021, AA 25.10.2021). Ehrenverbrechen kommen in allen Teilen des Landes vor und beschränken sich nicht auf bestimmte ethnische oder religiöse Gruppen (EASO 1.2021). Das Ausmaß der Ehrenmorde ist aufgrund einer hohen Dunkelziffer nicht bekannt (UK Home Office 3.2021). UNAMI berichtete 2018, dass jedes Jahr mehrere hundert Frauen durch Ehrenmorde sterben. Einige Familien sollen Ehrenmorde so arrangiert haben, dass sie wie Selbstmord aussehen (UK Home Office 3.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022). Obwohl einige Gemeinschaften Dekrete erlassen und Schritte unternommen haben, um Frauen von der vermeintlichen Schuld freizusprechen, die mit ihrer sexuellen Ausbeutung durch IS-Kämpfer verbunden ist, bleiben Ehrenmorde ein Risiko (USDOS 12.4.2022).
Das Strafgesetzbuch des Irak sieht für Gewalttaten aus "ehrenhaften Motiven", inklusive Ehrenmorde, milde, reduzierte Strafen vor (FH 28.2.2022; vergleiche HRW 13.1.2022, StC 25.6.2021, AA 25.10.2021). In Fällen von Gewalt gegen Frauen erlaubt das irakische Recht zudem den Grund der "Ehre" als rechtmäßige Verteidigung. Wenn ein Mann des Mordes an einer Frau angeklagt wird, die er getötet haben soll, weil sie des Ehebruchs verdächtigt worden war, begrenzt das Gesetz seine mögliche Strafe auf maximal drei Jahre Gefängnis (USDOS 12.4.2022). Strafen für Ehrenverbrechen sind selten (FH 28.2.2022; vergleiche EASO 1.2021).
In der Kurdistan Region Irak (KRI) wurden "Ehrenmorde" durch eine Abänderung des irakischen Strafrechts im Jahr 2015 anderen Morden strafrechtlich gleichgestellt. In einigen gesellschaftlichen Gruppen gilt der "Ehrenmord" aber immer noch als rechtfertigbar (AA 25.10.2021). Offizielle Daten der Kurdischen Regionalregierung (KRG) nennen in der KRI 50 Ehrenmorde im Jahr 2017, 46 im Jahr 2018 und 120 im Jahr 2019 (BS 23.2.2022, S.14). Die Generaldirektion für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen des Innenministeriums der Kurdischen Regionalregierung (KRG) hat für 2021 bis September 19 Fälle von Ehrenmord bestätigt (USDOS 12.4.2022). Im übrigen Irak werden Tötungen in der Familie von den Behörden nur unzureichend gemeldet, weshalb es keine genauen Daten über geschlechtsspezifische Gewalt gibt. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass die Situation für Frauen im föderalen Irak schlechter ist als in der KRI (BS 23.2.2022, S.14).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069660/country_report_2022_IRQ.pdf, Zugriff 17.6.2022
CPS - The Crown Prosecution Service [UK] (o.D.): Honour Based Violence and Forced Marriage, https://www.cps.gov.uk/publication/honour-based-violence-and-forced-marriage, Zugriff 1.4.2021
EASO – European Asylum Support Office (1.2021): Country Guidance: Iraq; Common analysis and guidance note, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045437/Country_Guidance_Iraq_2021.pdf, Zugriff 3.3.2021
FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066472.html, Zugriff 7.6.2022
MADRE, The Organization of Women’s Freedom in Iraq (OWFI), Human RightsandGender Justice Clinic (HRGJ) (2020): Seeking Accountability for Gender Based Violence and Human Rights Violations In Iraq, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CAT/Shared%20Documents/IRQ/INT_CAT_ICO_IRQ_42514_E.pdf, Zugriff 1.4.2021
MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq: Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report-A4_OCTOBER-2015_WEB.pdf, Zugriff 1.4.2021
StC - Save the Children (25.6.2021): Married by exception: Child marriage policies in the Middle East and North Africa, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/married_by_exception.pdf, Zugriff 28.6.2021
TCF - The Century Foundation (7.11.2019): Tribal Justice in a Fragile Iraq, https://tcf.org/content/report/tribal-justice-fragile-iraq/?agreed=1, Zugriff 2.2.2021
UK Home Office [UK] (3.2021): Country Policy and Information Note Iraq: ‘Honour’ crimes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2048206/Iraq_-_Honour_Crimes_-_CPIN_-_v2.0_-_March_2021_-_EXT.pdf, Zugriff 1.4.2021
UNHRC - UN Human Rights Council (5.6.2018): Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions on her mission to Iraq, https://www.refworld.org/docid/5b7ad39d4.html, Zugriff 1.4.2021
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
Genitalverstümmelung (FGM – Female Genital Mutilation)
Letzte Änderung: 12.08.2022
Das Thema der Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen im Irak war lange Zeit ein Tabu, über das kaum gesprochen wurde (UK Home Office 2.2020; vergleiche MRG 11.2015). Erst als durch Studien die alarmierend hohe FGM-Rate im kurdischen Norden aufgezeigt wurde, hat sich dies geändert (MRG 11.2015). Seit 2011 stellt ein Gesetz in der Kurdistan Region Irak (KRI) die Genitalverstümmelung unter Strafe (AA 25.10.2021; vergleiche PKI 21.6.2011). Die UNO arbeitet mit Regierungsinstitutionen und lokalen NGOs zusammen, um FGM durch Sensibilisierungskampagnen zu verhindern (UNICEF 6.2.2019). FGM ist in der KRI weit verbreitet (BS 23.2.2022, S.15). NGOs berichten, dass die Praxis weiter betrieben wird, vor allem in ländlichen Gebieten, insbesondere in Erbil und Sulaymaniyah, sowie in Kirkuk (USDOS 12.4.2022; vergleiche DFAT 17.8.2020). Eine Umfrage aus dem Jahr 2016 ergab, dass fast 45 % der befragten Frauen in der KRI FGM ausgesetzt waren, (DFAT 17.8.2020). In Erbil waren 2018 etwa 50,1 % der Frauen vom FGM betroffen, in Sulaymaniyah waren es 45,1 %. In Dohuk hingegen nur etwa 3,1% (UNICEF 6.12.2018; vergleiche BMC 1.4.2021). Auch unter IDPs wird FGM noch praktiziert (DFAT 17.8.2020). Allerdings geht die FGM-Rate kontinuierlich zurück (USDOS 12.4.2022; vergleiche BMC 1.4.2021). Außerhalb der KRI ist FGM nicht üblich (USDOS 12.4.2022; vergleiche BS 23.2.2022, S.15).
Einer Untersuchung aus 2018 zufolge wurden etwa 7,4 % der irakischen Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren einer FGM unterzogen. In der KRI waren es 37,5 %, im Zentral- und Südirak hingegen nur 0,4 %. Bei Mädchen im Alter von 0 bis 14 Jahren ist der Prozentsatz mittlerweile auf 1 % gesunken, bzw. auf 3 % in der KRI (UNICEF 6.12.2018).
Außerhalb der KRI gibt es bisher keine staatlichen Anstrengungen zur Bekämpfung von FGM. Dabei gibt es laut einer Studie in Kirkuk auch Betroffene in der arabischen und turkmenischen Bevölkerung, wenn auch in geringerem Ausmaß (AA 25.10.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
BMC Women's Health (1.4.2021): Changes in the prevalence and trends of female genital mutilation in Iraqi Kurdistan Region between 2011 and 2018, https://bmcwomenshealth.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12905-021-01282-9, Zugriff 10.4.2021
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069660/country_report_2022_IRQ.pdf, Zugriff 17.6.2022
DFAT - Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (17.8.2020): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036511/country-information-report-iraq.pdf, Zugriff 3.3.2021
MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq: Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report-A4_OCTOBER-2015_WEB.pdf, Zugriff 1.4.2021
PKI - The Parliament of Kurdistan – Iraq [Irak] (21.6.2011): Act No. 8 from 2011, The Act of Combating Domestic Violence in Kurdistan Region-Iraq, http://www.ekrg.org/files/pdf/combat_domestic_violence_english.pdf, Zugriff 1.4.2021
UK Home Office [UK] (2.2020): Country Policy and Information Note Iraq: Blood feuds, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025236/Iraq_-_Blood_Feuds_-_CPIN_v2.0_-_Feb_2020_-_EXT__004_.pdf, Zugriff 1.4.2021
UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (6.2.2019): Protecting Girls in Iraq from Female Genital Mutilation, https://www.unicef.org/iraq/press-releases/protecting-girls-iraq-female-genital-mutilation, Zugriff 1.4.2021
UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (6.12.2018): 2018 Muliple Indicator Cluster Survey (MICS6) Briefing, https://www.unicef.org/iraq/media/481/file/MICS6.pdf, Zugriff 1.4.2021
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
Verwestlichung, westlicher bzw. nicht-konservativer Lebensstil
Letzte Änderung: 12.08.2022
Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten, was das persönliche Erscheinungsbild betrifft (FH 3.3.2021). Personen, die als nicht konform mit den lokalen sozialen und kulturellen Normen angesehen werden, weil sie ein "westliches" Verhalten an den Tag legen, sind Drohungen und Angriffen von Einzelpersonen aus der Gesellschaft sowie von Milizen ausgesetzt. Volksmobilisierungskräfte (PMF) haben es auf Personen abgesehen, die Anzeichen für eine Abweichung von ihrer Auslegung der schiitischen Normen zeigen, manchmal mit Unterstützung der schiitischen Gemeinschaft (EASO 1.2021). Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 25.10.2021). Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen, bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten (USDOS 2.6.2022; vergleiche DFAT 17.8.2020). Nicht-schiitische Muslime und nicht-muslimische Frauen berichten, dass sie sich gesellschaftlich unter Druck gesetzt fühlen, bspw. während des heiligen Monats Muharram, insbesondere während Ashura, den Hijab und schwarze Kleidung zu tragen, um Belästigungen zu vermeiden (DFAT 17.8.2020). Im Jahr 2018 gab es einige Morde an Frauen aus der Schönheits- und Modebranche, die in der Öffentlichkeit standen. Die Angreifer blieben unbekannt, aber die Regierung machte extremistische Gruppen für die Morde verantwortlich (FH 3.3.2021).
Für Frauen außerhalb des Hauses zu arbeiten, wird in weiten Teilen der Gesellschaft als inakzeptabel angesehen. Berufe, wie die Arbeit in Geschäften, Restaurants oder in den Medien, wurden als etwas Schändliches angesehen. Gleiches gilt für die Teilnahme an lokaler und nationaler Politik (IWPR 8.3.2021). So wurden weibliche Aktivisten, die an den Protesten teilnahmen, in politischen Kampagnen als promiskuitiv verunglimpft (ICG 26.7.2021). Entsprechend sprach sich as-Sadr im Februar 2020 für eine Geschlechtertrennung auf den öffentlichen Plätzen aus (ICG 26.7.2021; vergleiche AIIA 1.4.2020). Im Zuge des darauffolgenden Frauenmarsches am 13.2.2020 wurden weibliche Demonstranten mit Tränengas angegriffen, bedroht, attackiert, entführt und in einigen Fällen getötet (AIIA 1.4.2020). Im August 2020 verübten Unbekannte eine Reihe von Attentaten auf regierungskritische Demonstranten. Die gewalttätigsten Angriffe ereigneten sich im Gouvernement Basra und führten zur Tötung von drei Aktivisten und zwei Zivilisten (MEMO 17.9.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
AIIA - Australian Institute of International Affairs (1.4.2020): The Pink and Purple Protest: Iraqi Women Invert the Gender Game, https://www.internationalaffairs.org.au/australianoutlook/the-pink-and-purple-protest-iraqi-women-invert-the-gender-game/, Zugriff 15.5.2021
DFAT - Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (17.8.2020): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036511/country-information-report-iraq.pdf, Zugriff 3.3.2021
EASO – European Asylum Support Office (1.2021): Country Guidance: Iraq; Common analysis and guidance note, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045437/Country_Guidance_Iraq_2021.pdf, Zugriff 3.3.2021
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021
ICG - International Crisis Group (26.7.2021): Iraq’s Tishreen Uprising: From Barricades to Ballot Box, https://www.ecoi.net/en/file/local/2056850/223-iraq-tishreen.pdf, Zugriff 2.8.2021
IWPR - Institute for War & Peace Reporting (8.3.2021): Iraq: Justice for Survivors as Activists Overturn Taboos, https://iwpr.net/global-voices/iraq-justice-survivors-activists-overturn-taboos, Zugriff 15.5.2021
MEMO - Middle East Monitor (17.9.2020): Iraq: Female activist and family slaughtered in Baghdad, https://www.middleeastmonitor.com/20200917-iraq-female-activist-and-family-slaughtered-in-baghdad/, Zugriff 15.5.2021
USDOS - US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073956.html, Zugriff 7.6.2022
Kinder
Letzte Änderung: 12.08.2022
Artikel 29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Der Irak ist dem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten (AA 25.10.2021). Nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches haben Eltern das Recht, ihre Kinder innerhalb der durch Gesetz oder Gewohnheit vorgeschriebenen Grenzen zu disziplinieren (HRW 13.1.2022).
Kinder sind einerseits in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage, andererseits durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen (AA 25.10.2021). Laut UNICEF machen Kinder fast die Hälfte der durch den Konflikt vertriebenen Iraker aus (USDOS 12.4.2022).
Vor der COVID-19-Krise lebte laut UNICEF eines von fünf Kindern in Armut (AA 25.10.2021). Einem Bericht für das Jahr 2021 zufolge leben 38 % aller irakischer Kinder in Armut (USDOS 12.4.2022). Über 1,16 Millionen Kinder im Alter von unter fünf Jahren waren unterernährt (AA 25.10.2021). Ende 2020 lag die Zahl der Kinder im Irak, die humanitäre Hilfe benötigen, bei 1,89 Millionen (UNICEF 20.1.2021).
Nach dem Gesetz ist der Vater der Vormund seiner Kinder, aber auch einer geschiedenen Mutter kann das Sorgerecht für ihre Kinder bis zum Alter von zehn Jahren zugesprochen werden, verlängerbar durch ein Gericht bis zum Alter von 15 Jahren, wobei die Kinder zu diesem Zeitpunkt wählen können, bei welchem Elternteil sie leben möchten (USDOS 12.4.2022). Das irakische Familienrecht unterscheidet zwischen zwei Arten der Vormundschaft (wilaya und wasiya), sowie der Pflege bzw. Sorge (hanada). Dem Vater kommt immer die Vormundschaft (wilaya) zu. Wenn dieser nicht mehr lebt, dem Großvater bzw. nach Entscheidung eines Shari‘a-Gerichts einem anderen männlichen Verwandten. Nur ein Mann kann demnach wali sein. Die Fürsorgeberechtigung (hanada), d.h. die Verantwortung für die Erziehung, Sicherheit und Betreuung eines Kindes, kommt im Falle einer Scheidung der Mutter zu. D.h. die Kinder leben bei der Mutter, im Falle von Knaben bis zum 13. Lebensjahr und im Falle von Mädchen bis zum 15. Lebensjahr (Migrationsverket 15.8.2018).
Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen und Witwen hatten oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder. Kinder, die nicht die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Humanitäre Organisationen berichten von einem weitverbreiteten Problem bezüglich Kindern, die im Gebiet des Islamischen Staates (IS) geboren worden sind und keine von der Regierung ausgestellte Geburtsurkunden erhalten. Etwa 15.000 Kinder sind davon betroffen (USDOS 12.4.2022).
Gewalt gegen Kinder/Minderjährige
Gewalt gegen Kinder bleibt ein großes Problem, aber aktuelle, zuverlässige Statistiken über das Ausmaß des Problems sind nicht verfügbar (USDOS 12.4.2022). Berichten zufolge verkaufen Menschenhändlernetze irakische Kinder zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Letztere erfolgt im In- und Ausland (USDOS 1.7.2021). Verbrecherbanden sollen Kinder zwingen, im Irak zu betteln (USDOS 1.7.2021; vergleiche FH 28.2.2022). Sie werden auch gezwungen Drogen zu verkaufen (USDOS 1.7.2021). Ebenso ist Kinderprostitution ein Problem, insbesondere unter Flüchtlingen. Aufgrund der Strafmündigkeit ab einem Alter von neun Jahren im Irak, bzw. elf Jahren in der Kurdistan Region Irak (KRI), behandeln die Behörden sexuell ausgebeutete Kinder oft wie Kriminelle und nicht wie Opfer (USDOS 30.3.2021).
Kinderarbeit
Die Verfassung und das Gesetz verbieten die schwersten Formen von Kinderarbeit (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 21.1.2021). In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Das Arbeitsgesetz begrenzt für Personen unter 18 Jahren die tägliche Arbeitszeit auf sieben Stunden und verbietet Arbeiten, die der Gesundheit, Sicherheit oder Moral schaden können. Dieses Gesetz gilt jedoch nicht für Jugendliche, die in Familienbetrieben arbeiten, die ausschließlich Waren für den Hausgebrauch herstellen. Es gibt daher Berichte über Kinder, die in Familienbetrieben gefährliche Arbeiten verrichten. Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen, wie erzwungenes Betteln und kommerzielle sexuelle Ausbeutung, manchmal als Folge von Menschenhandel, kommt im ganzen Land vor (USDOS 12.4.2022). Trotz des Verbotes der Kinderarbeit arbeiten etwa 500.000 Kinder vorrangig in der Landwirtschaft oder im Straßenverkauf. Armut begünstigt Kindesentführungen und Kinderhandel (AA 21.1.2021).
Das Ministerium für Arbeit und Soziales der kurdischen Regionalregierung (KRG) schätzt, dass mehrere hundert Kinder in der KRI arbeiten, oft als Straßenverkäufer oder Bettler, was sie besonders gefährdet. Das Ministerium betrieb eine 24-Stunden-Hotline zur Meldung von Arbeitsmissbrauch, einschließlich Kinderarbeit, bei der monatlich etwa 200 Anrufe eingingen (USDOS 12.4.2022).
Strafverfolgung von Kindern/Minderjährigen
Die Strafmündigkeit im Irak in den Gebieten unter der Verwaltung der Zentralregierung beträgt neun Jahre und elf Jahre in der Kurdischen Region im Irak (KRI) (USDOS 12.4.2022; vergleiche HRW 13.1.2022).
Laut Berichten der Vereinten Nationen sind zahlreiche Jugendliche wegen Terrorismusvorwürfen angeklagt oder verurteilt (AA 21.1.2021; vergleiche HRW 13.1.2022). Bei einigen von ihnen handelt es sich um ehemalige Opfer von Zwangsrekrutierungen (USDOS 1.7.2021). Es mangelt nach wie vor an Jugendstrafanstalten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) berichtet jedoch, dass jugendliche Häftlinge mittlerweile vorwiegend von erwachsenen Straftätern getrennt inhaftiert werden (AA 21.1.2021). Einem Bericht des IHRCKR zufolge sind außerdem bspw. über 50 Minderjährige gemeinsam mit ihren Müttern in der Erziehungsanstalt für Frauen und Kinder in Erbil untergebracht (USDOS 30.3.2021),
Kindersoldaten, Rekrutierung von Kindern/Minderjährigen
Die Regierung und schiitische religiöse Führer verbieten Kindern unter 18 Jahren ausdrücklich den Kriegsdienst. Es gibt keine Berichte, wonach Kinder von staatlicher Seite zum Dienst in den Sicherheitskräften einberufen oder rekrutiert werden (USDOS 12.4.2022).
Rekrutierung von Kindern ist ein Problem (FH 28.2.2022). Kinder sind nach wie vor anfällig für Zwangsrekrutierung und den Einsatz durch diverse bewaffnete Gruppen, die im Irak operieren. Dazu zählen der IS, Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF), Stammesmilizen, die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) und andere vom Iran unterstützte Milizen (USDOS 1.7.2021). 2021 gab es jedoch einen bestätigten Bericht über den Einsatz eines Kindersoldaten durch PMF (USDOS 12.4.2022).
Es gibt Berichte, wonach der IS in den vergangenen Jahren Kinder als Soldaten eingesetzt hat (AA 21.1.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022), ebenso als menschliche Schutzschilde, Informanten, Bombenbauer, Henker und Selbstmordattentäter (USDOS 1.7.2021). Unter anderem aufgrund der territorialen Niederlage des IS liegen für das Jahr 2021 nur wenige Informationen über den Einsatz von Kindern durch den IS vor (USDOS 12.4.2022).
Mehrere Quellen berichten, dass die PKK und die Volksschutzeinheiten (YPG), die in der KRI und in Sinjar, Ninewa operieren, weiterhin Kinder rekrutieren und einsetzen. Im Jahr 2021 berichtete eine nicht verifizierte Quelle, dass die PKK Dutzende von Kindern rekrutiert habe, um sie auf den Kampf vorzubereiten, darunter auch Kinder aus Kirkuk (USDOS 1.7.2021).
[Anm.: Informationen zu Kinderehen können dem Kapitel Zwangsehen, Kinderehen, temporäre Ehen, Blutgeld-Ehe (Fasliya) entnommen werden, Informationen zu Kindern, die unter dem IS geboren sind finden sich in Kapitel (Mutmaßliche) IS-Mitglieder, IS-Sympatisanten und IS-Familien (Dawa‘esh).]
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066472.html, Zugriff 7.6.2022
Migrationsverket [Schweden] (15.8.2018): Irak - familjerätt och vårdnad, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442095/4792_1535708243_180815601.pdf, Zugriff 25.8.2021
UNICEF - UN Children's Fund, Central Statistical Organization (20.1.2021): Iraq Humanitarian Situation Report (IDP Crisis): End-Year 2020, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNICEF%20Iraq%20Humanitarian%20Situation%20Report%20%28IDP%20Crisis%29%20-%20End-Year%202020.pdf, Zugriff 25.8.2021
UNICEF - UN Children's Fund, Central Statistical Organization, Kurdistan Region Statistical Office (2.2019): 2018 Multiple Indicator Cluster Survey, Survey Findings Report, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/English_7.pdf, Zugriff 5.8.2021
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021
USDOS – US Department of State [USA] (1.7.2021): 2021 Trafficking in Persons Report: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2055124.html , Zugriff 25.8.2021
Bildungszugang
Letzte Änderung: 12.08.2022
Die irakischen Bildungseinrichtungen unterstehen dem Bildungsministerium in Bagdad, welches durch Direktorate in allen Gouvernements vertreten ist (GIZ 1.2021c). Die Grundschulbildung für Kinder mit irakischer Staatsbürgerschaft in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten (USDOS 12.4.2022). Es existieren vier Schulstufen: Die nicht verpflichtende Vorschule, die verpflichtende Grundschule (Alter 6-11 Jahre), die Sekundarausbildung und die Hochschulausbildung (GIZ 1.2021c).
In der Kurdischen Region im Irak (KRI) ist ein eigenes, der Kurdischen Regionalregierung (KRG) unterstehendes Bildungsministerium zuständig. Der Lehrplan in der KRI ähnelt dem zentralirakischen Lehrplan weitgehend, es wird jedoch großteils auf Kurdisch gelehrt (GIZ 1.2021c). Schulpflicht besteht hier bis zum Alter von 15 Jahren. Auch sie ist kostenlos (USDOS 12.4.2022). Neben den staatlichen Schulen gibt es auch private, meist mit ausländischer Beteiligung aufgebaute Schulen (GIZ 1.2021c).
Eine flächendeckende Sicherung der Grundbildung konnte nicht gewährleistet werden (GIZ 1.2021c). Die Sicherheitslage, das Einquartieren von Binnenvertriebenen in Schulgebäuden und eine große Zahl zerstörter Schulen verhinderten, und verhindern mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate seit 2003 drastisch gefallen ist, besonders in ländlichen Gebieten (AA 25.10.2021). Nach Angaben von UNESCO auf 85,6 % (AA 25.10.2021; vergleiche BS 23.2.2022), laut dem irakischen Planungsministerium auf 87 %. Zum Unterschied dazu sind in der KRI fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig (AA 25.10.2021). Laut UNESCO waren 2017 79,9 % der Frauen und 91,2 % der Männer über 15 Jahre des Lesens und Schreibens mächtig (AA 25.10.2021; vergleiche BS 23.2.2022). Nach Angaben des Planungsministeriums von Januar 2020 liegt die Alphabetisierungsrate von Frauen bei 83 % im Vergleich zu 92 % bei den Männern (AA 25.10.2021).
Laut Schätzungen sind etwa 22 % der Erwachsenen nie zur Schule gegangen. Während mehr als 90 % der Kinder eine Grundschule besuchen, fällt die Schülerzahl in der Altersklasse 15 bis 17 unter die Hälfte (GIZ 1.2021c). Ein gleichberechtigter Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten (USDOS 12.4.2022). Es gibt eine Benachteiligung von Mädchen im Bildungssystem, die nach wie vor einen schlechteren Zugang zu Bildung haben. So sind Mädchen im Alter ab zwölf Jahren doppelt so stark von Analphabetismus betroffen wie Buben (GIZ 1.2021c). Auf dem Land fällt die Einschulungsrate von Mädchen (77 %) weit niedriger aus als die von Buben (90 %). Je höher die Bildungsstufe, desto weniger Mädchen sind vertreten. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine frühe Ehe für sie vor (GIZ 1.2021c; vergleiche UN OCHA 2019). Tausende von Kindern ohne Ausweispapiere werden von den Behörden weiterhin daran gehindert staatliche Schulen zu besuchen, darunter auch staatliche Schulen in Vertriebenenlagern (HRW 13.1.2022).
Die Einschulungsquoten von Mädchen sind auf allen Bildungsebenen gestiegen, liegen aber immer noch unter denen der Buben. Mädchen brechen die Ausbildung tendenziell häufiger ab als Buben (BS 23.2.2022). Eine 2018 durchgeführte Umfrage zur Situation von Kindern im Irak hat ergeben, dass 91,6 % der Kinder im Irak in der Grundschule eingeschrieben sind (92,7 % der Buben, 90,4 % der Mädchen). Im Zentralirak sind dies 90,8 % (92,2 % der Buben, 89,3 % der Mädchen), in der KRI sind es 96 % (95,8 % der Buben, 96,2 % der Mädchen). Der Anteil der Kinder aus urbanen Gebieten, die eine Grundschule besuchen, ist dabei mit 93 % höher als jener in ruralen Gebieten mit 88,6%. Entsprechend sinkt auch der Anteil der Buben von 93,8 % auf 90,5 % und der der Mädchen von 92,2 % auf 86,7%. Der Anteil der Kinder, die die untere Sekundarstufe (Unterstufe) besuchen liegt bei 57,5 %, wobei der Anteil von Buben und Mädchen gleich ist. Im Zentralirak sind dies 55,6 % (56,5 % der Buben, 54,7 % der Mädchen), in der KRI sind es 67,1 % (63,1 % der Buben, 70,6 % der Mädchen). Auch hier ist der Anteil der Kinder aus urbanen Gebieten mit 64,5 % (63,7 % der Buben, 65,2% der Mädchen) höher als der in ruralen Gebieten mit 43,8 % (45,2 % der Buben, 42,4 % der Mädchen). Der Anteil der Kinder, die die obere Sekundarstufe (Oberstufe) besuchen, liegt bei 24,2 % (31 % der Buben, 35,3 % der Mädchen. Im Zentralirak sind dies 28,8 % (28,0 % der Buben, 29,7 % der Mädchen), in der KRI sind es 52 % (44,4 % der Buben, 60,7 % der Mädchen). Auch hier ist der Anteil der Kinder aus urbanen Gebieten mit 37 % (34,4 % der Buben, 39,6 % der Mädchen) höher als der in ruralen Gebieten mit 24,9 % (24,1 % der Buben, 25,7 % der Mädchen) (UNICEF 2.2019). Aktuelle, verlässliche Statistiken über Einschreibungen, Anwesenheit oder Abschlüsse sind nicht verfügbar (USDOS 30.3.2021).
Einer Umfrage von 2021 zufolge, die in Bagdad, Basra und Mossul durchgeführt wurde, geben 65 % der Befragten an, dass ihre Kinder zur Schule gehen können, während die Kinder von 24 % nicht zur Schule gehen. Während 72 % der von Männern geführten Haushalte angeben, dass ihre Kinder zur Schule gehen können, sind es bei den von Frauen geführten Haushalten nur 56%. Auch regional gibt es erhebliche Unterschiede in Bezug auf den Schulbesuch: In Mossul liegt die Quote bei 82 %, in Basra bei 74% und in Bagdad bei 56%. Was die ethnischen Gruppen betrifft, so gehen die Kinder von 67 % der Araber und 61 % der Kurden zur Schule. 57 % der Christen geben an, dass sie ihre Kinder zur Schule schicken können, ebenso wie 74 % der schiitischen und 68% der sunnitischen Muslime. 92 % der Kinder derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, gehen zur Schule, aber nur 63 % derjenigen, die weniger verdienen (BFA, IRFAD 2021).
70 % der Befragten geben an, dass ihre Kinder eine öffentliche Schule besuchen, während nur 16 % eine Privatschule besuchen. Regional gesehen besuchen 82 % der Kinder in Mossul, 78 % in Basra und 62 % in Bagdad eine öffentliche Schule, während 18 % in Mossul, 22 % in Basra und 14 % in Bagdad eine Privatschule besuchen. Während die Quote bei den öffentlichen Schulen ähnlich hoch ist, besuchen 19 % der kurdischen Kinder eine Privatschule, gegenüber 9% der arabischen Kinder. Auch die religiösen Gruppen weisen unterschiedliche Muster auf: Öffentliche Schulen werden von 61 % der Kinder von Christen, 84 % der Kinder von schiitischen Muslimen und 73 % der Kinder von sunnitischen Muslimen besucht. Privatschulen werden von 26 % der Kinder von Christen, 9% der Kinder von sunnitischen Muslimen und 15 % der Kinder von sunnitischen Muslimen besucht. 30 % der Kinder von Personen mit einem Einkommen von mehr als 700.000 IQD besuchen eine Privatschule, aber nur 13 % der Kinder von Personen mit einem geringeren Einkommen. 39 % der Befragten geben an, weniger als 70.000 IQD pro Kind für die Schule zu zahlen, während nur 4 % zwischen 150.000 und 300.000 IQD zahlen. In Bagdad zahlen 34 % weniger als 70.000 IQD, ebenso 39 % in Basra und 54 % in Mosul; nur in Bagdad zahlen einige der Befragten (7 %) zwischen 150.000 und 300.000 IQD. 56 % der Kurden zahlen weniger als 70.000 IQD pro Kind und Monat, gegenüber 35 % der Araber. Was die religiösen Gruppen betrifft, so geben 54 % der sunnitischen Muslime an, weniger als 70.000 pro Monat zu zahlen, ebenso wie 30 % der Christen und 32 % der schiitischen Muslime (BFA, IRFAD 2021).
60 % der Befragten geben an, dass ihre Kinder keinen Zugang zur Hochschulbildung haben, während dieser für 31 % der Befragten gegeben ist. Von den weiblich geführten Haushalten haben nur 25 % der Befragten Hochschulzugang, wärend es 37 % bei männlich geführten Haushalten sind. Regionale Unterschiede zeigen, dass in Basra 83 % keinen Zugang haben, ebenso wie 77 % in Mossul, aber nur 42 % in Bagdad. 65 % der Kurden geben an, dass sie keinen Zugang zur Hochschulbildung haben, während 58 % der Araber keinen Zugang haben. Der fehlende Zugang ist fast gleichmäßig auf die Konfessionen verteilt: 60 % der Christen, 64 % der schiitischen Muslime und 64 % der sunnitischen Muslime. Hinsichtlich eines Zugangs zu höherer Bildung hat die Befragung ergeben, dass 58 % derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, gegenüber 34 % derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen (BFA, IRFAD 2021).
Aufgrund der COVID-19-Pandemie waren die Schulen in den von Bagdad kontrollierten Gebieten von März bis November 2020 geschlossen, in der KRI von März 2020 bis zum Ende des Schuljahres (HRW 13.1.2021).
Wegen der COVID-19-Pandemie blieben die Schulen bis zum Ende des Schuljahres 2020-21 geschlossen, sodass mehr als zehn Millionen Schüler nicht zur Schule gehen konnten. UNICEF unterstützte das Bildungsministerium bei der Übertragung von Unterricht über das Bildungsfernsehen und digitale Plattformen. Der Zugang der Kinder zu alternativen Lernplattformen über das Internet und das Fernsehen wurde jedoch durch die begrenzte Konnektivität und Verfügbarkeit digitaler Geräte sowie durch den Mangel an Strom behindert. Außerdem hat das Bildungsministerium keine Richtlinien für die Durchführung von Fernunterricht herausgegeben (USDOS 12.4.2022). Schulen wurden vom irakischen Bildungsministerium angewiesen, den Lehrbetrieb aus der Ferne fortzusetzen, einschließlich der Ablegung von Prüfungen. In den Abschlussjahrgängen müssen die Schüler ihre Prüfungen jedoch in Anwesenheit ablegen. Einige Schulen haben hybride Unterrichtsmodelle eingerichtet, bei denen die Schüler an 2-3 Tagen pro Woche den Unterricht in Anwesenheit besuchen konnten. Ab Mai 2021 wurden jedoch alle Schulen wieder auf Fernstudien umgestellt (IOM 18.6.2021). Familien, die durch den IS-Konflikt vertrieben wurden, sind am meisten durch die Schulschließungen betroffen, da die meisten von ihnen keinen Zugang zu digitalen Lernmöglichkeiten haben (HRW 13.1.2021). Ebenso stehen Familien mit geringem Einkommen oder aus entlegenen Gebieten hinsichtlich eines Fernstudiums vor einem Hindernis, aufgrund der Erfordernis an eine stabile Internetleitung und an ein adäquates Equipment zu kommen (IOM 18.6.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
BFA Staatendokumentation (Autor), IRFAD - Iraqi Foundation for Analysis and Development (Autor) (2021): Dossier Iraq; Socio-Economic Survey 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2062611/IRAQ+-+Socio-Economic+Survey+2021.pdf, Zugriff 29.11.2021
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069660/country_report_2022_IRQ.pdf, Zugriff 17.6.2022
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021c): Irak - Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066472.html, Zugriff 7.6.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 10.2.2021
IOM - International Organization for Migration (18.6.2021): Information on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Iraq and in the Kurdish Region, requested by the Austrian Federal Office for Immigration and Asylum, Zugriff 21.6.2021
UNICEF - UN Children's Fund, Central Statistical Organization (20.1.2021): Iraq Humanitarian Situation Report (IDP Crisis): End-Year 2020, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNICEF%20Iraq%20Humanitarian%20Situation%20Report%20%28IDP%20Crisis%29%20-%20End-Year%202020.pdf, Zugriff 25.8.2021
UNICEF - UN Children's Fund, Central Statistical Organization, Kurdistan Region Statistical Office (2.2019): 2018 Multiple Indicator Cluster Survey, Survey Findings Report, https://mics.unicef.org/files?job=W1siZiIsIjIwMTkvMDMvMDEvMTkvMjMvMTgvNTg5L0VuZ2xpc2gucGRmIl1d&sha=aea1de7cc6f6ec09, Zugriff 5.8.2021
UN OCHA (2019): Iraq - Education Cluster Strategy, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/1_Education-Cluster-Strategy-Iraq-2019-2019_02_10.pdf, Zugriff 16.3.2021
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021
Berufsgruppen & Menschen, die einer bestimmten Beschäftigung nachgehen
Letzte Änderung: 16.08.2022
Journalisten, Blogger, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte sowie Mitglieder des Sicherheitsapparats, wie Polizisten und Soldaten, sind besonders gefährdet. Auch Mitarbeiter der Ministerien sowie Mitglieder von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von Entführungen und gezielten Attentaten. Die Täter sind meist Angehörige von Milizen oder des Islamischen Staates (IS) (AA 25.10.2021).
Es sind fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, die Alkohol verkaufen, vor allem Jesiden und Christen (AA 25.10.2021; vergleiche USDOS 2.6.2022) sowie Mandäer-Sabäer. Das Verbot des Alkoholkonsums für Muslime hindert muslimische Geschäftsinhaber daran, Genehmigungen für den Alkoholverkauf zu beantragen. Christen werden deshalb als Strohmänner benutzt, um dieses Verbot zu umgehen (USDOS 2.6.2022). Läden, die Alkohol verkaufen bzw. deren Inhaber und Angestellte, werden immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 14.10.2020). Christliche, jesidische und sabäisch-mandäische Ladenbesitzer, insbesondere solche mit Alkoholverkaufslizenzen, berichten, dass sie von PMF-Milizen erpresst und angegriffen wurden (USDOS 12.4.2022). Im Oktober 2020 wurde beispielsweise ein Bombenanschlag auf ein von Christen betriebenes Spirituosengeschäft in Bagdad verübt. Nach Angaben von Anwohnern handelte es sich bei den Angreifern um mit der PMF verbündete Milizionäre (USDOS 12.5.2021). Im November 2021 wurde das Haus einer christlichen Familie, die ab-Haus Alkohol mit einer Lizenz handelt, zum wiederholten mal angegriffen (USDOS 2.6.2022).
Auch Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 25.10.2021).
Im Juli 2021 gab es 13 Angriffe mit Bomben (IED) auf Konvois, die Nachschub für die USA transportierten. Vier in Dhi Qar, je zwei in Anbar, Babil und Diwaniyah, sowie je einen in Bagdad, Basra und Salah ad-Din (Wing 2.8.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
USDOS - US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073956.html, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2051589.html, Zugriff 15.5.2021
Wing, Joel, Musings on Iraq (2.8.2021): Violence Picks Up Again In Iraq In July 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/08/violence-picks-up-again-in-iraq-in-july.html, Zugriff 25.8.2021
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 16.08.2022
Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, als Reaktion auf Sicherheitsbedrohungen und Angriffe, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen (USDOS 12.4.2022).
In vielen Teilen des Landes, die von der Kontrolle durch den Islamischen Staat (IS) befreit wurden, kam es zu Bewegungseinschränkungen für Zivilisten, darunter sunnitische Araber sowie ethnische und religiöse Minderheiten, aufgrund von Kontrollpunkten von Sicherheitskräften (ISF, PMF, Peshmerga) (USDOS 12.4.2022). Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der IS richtet falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (AI 26.2.2019; vergleiche Zeidel/al-Hashimis 6.2019). Kämpfer des IS haben ihre Entführungsaktivitäten in den zwischen der kurdischen und irakischen Regierung umstrittenen Gebieten verstärkt (Rudaw 1.2.2020). So wurden beispielsweise Anfang 2020 bei zwei Vorfällen in den umstrittenen Gebieten von Diyala und Salah ad-Din, in der Garmiyan Region, mehrere Zivilisten an IS-Checkpoints entführt (Rudaw 1.2.2020; vergleiche K24 31.1.2020, K24 2.2.2020). Die Garmiyan-Verwaltung ist eine inoffizielle Provinz der Kurdistan Region Irak (KRI), die die drei Distrikte Kalar, Kifri und Chamchamal umfasst. Regionale kurdische Peshmerga- und Asayish-Kräfte sind für die Sicherheit in Garmiyan zuständig, während nationale irakische Kräfte die Region im Süden und Westen kontrollieren (K24 2.2.2020).
Der offizielle Wohnort wird durch die Aufenthaltskarte ausgewiesen. Bei einem Umzug muss eine neue Aufenthaltskarte beschafft werden, ebenso bei einer Rückkehr in die Heimatregion, sollte die ursprüngliche Bescheinigung fehlen (FIS 17.6.2019). Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) aus ethno-konfessionellen Gründen Bestimmungen, welche Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, selektiv umgesetzt haben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken (USDOS 12.4.2022).
Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS zwischen 2014 und 2017 führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert, noch werden sie offiziell bekannt gegeben (UNHCR 11.1.2021). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom sog. IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 28.2.2022).
Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im März 2020 führten die Behörden auf nationaler und regionaler Ebene eine Reihe von Beschränkungen ein, darunter auch für die interne Bewegungsfreiheit (UNHCR 11.1.2021. So war etwa die Bewegungsfreiheit in den großen Städten und zwischen den einzelnen Gouvernements zum Teil stark eingeschränkt (GIZ 1.2021a). Die Vorgehensweise der lokalen Behörden bei der Durchsetzung dieser Beschränkungen war in den einzelnen Gouvernements unterschiedlich. Die meisten Beschränkungen wurden ab August 2020 wieder aufgehoben (UNHCR 11.1.2021).
Die Regierung verlangt von Bürgern unter 18 Jahren, die das Land verlassen wollen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 12.4.2022). Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen nationalen Reisepass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren (AA 25.10.2021).
Der Irak hat fünf internationale Flughäfen: Bagdad, Najaf, Basra, Erbil und Sulaymaniyah (Anadolu 23.7.2020). Der internationale Flughafen von Mossul ist seit 2014 geschlossen, nachdem der IS die Stadt im Juni 2014 eingenommen hatte. Der Flughafen ist beschädigt und muss noch renoviert werden (Kirkuk Now 4.2.2020).
Der Irak verfügt über ein Straßennetz von etwa 45.000 km Länge. Etwa 80 % der Straßen sind asphaltiert. Allerdings ist es schwierig, den Zustand der Straßen zu ermitteln. Explosionen und der Verkehr großer Mengen gepanzerter Fahrzeuge kann diese in Mitleidenschaft gezogen haben (Driver Abroad o.D.).
Die wichtigste Straße im Irak ist die Autobahn (Freeway) 1, die von Basra über Nasiriyah, Al Diwaniyah, Al Hillah, Bagdad, Fallujah, Habbaniyah, Ramadi nach Ar Rutba in Anbar und weiter nach Syrien und Jordanien führt. Andere wichtige Straßen sind:
Fernstraße 1: von Bagdad über Taji, Samarra, Tikrit und Mossul nach Syrien
Fernstraße 2: von Bagdad über Baqubah, Al Khalis, Kirkuk, Erbil, Mossul, Dohuk und Zakhu in die Türkei
Fernstraße 3: von Bagdad über Baqubah und Erbil in den Iran
Fernstraße 4: von Kirkuk über Sulaymaniyah, Darbinadikhan und Jalaulah nach As Sa'Diyah
Fernstraße 5: von Baqubah über Muqdadiyah, As Sa'Diyah und Khanaqin in den Iran
Fernstraße 6: von Bagdad über Al Kut und Al Amarah nach Basra
Fernstraße 7: von Al Kut über Ash Shatrah nach Nasiriyah.
Fernstraße 8: von Bagdad über Al Hillah, Al-Qadisiyyah, As Samawah, Nasiriyah und Basra nach Kuwait.
Fernstraße 9: von Karbala über Al-Najaf nach Al-Qadisiyyah.
Fernstraße 10: von Ar Rutbah nach Jordanien.
Fernstraße 11: von Bagdad über Al Fallujah, Al Ramadi und Ar Rutbah nach Syrien.
Fernstraße 12: von Al Ramadi über Hit, Haditha und Al-Karābilah nach Syrien (Driver Abroad o.D.) Die Sicherheitslage auf allen Strecken ist unvorhersehbar und kann sich schnell ändern. In den von den Sicherheitskräften kontrollierten Gebieten gibt es zahlreiche Kontrollpunkte. Die Fahrt auf vielen Straßen zwischen den Städten erfordert eine strenge Sicherheitsüberprüfung. In den umstrittenen Gebieten, in denen die Sicherheit nicht gewährleistet ist, dürfen nur Fahrzeuge aus dem jeweiligen Gouvernorat die Straßen befahren. Autos mit Nummernschildern aus einem anderen Gouvernement benötigen eine Sicherheitsgenehmigung (Driver Abroad o.D.).
In der Kurdischen Region im Irak (KRI) ist die Situation im Allgemeinen besser als im Rest des Landes. Im Norden der KRI gab es jedoch auch terroristische Zwischenfälle und Luftangriffe (Driver Abroad o.D.). Die meisten Straßen in der KRI wurden nicht nach modernen Betriebs- und Sicherheitsstandards gebaut und befinden sich aufgrund unzureichender Sicherheitsmaßnahmen häufig in einem schlechten Zustand. Seit Anfang 2014 hat sich die Wirtschaftskrise in der Region auch negativ auf die Straßen ausgewirkt. Die kurdische Regionalregierung (KRG) stoppte fast alle Straßenbau- und Instandhaltungsprojekte. Infolgedessen ist die Zahl der Unfälle gestiegen (Mohammed, Jaff, Schrock 9.2019).
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K24 - Kurdistan 24 (2.2.2020): ISIS abducts two brothers at fake checkpoint in Garmiyan, https://www.kurdistan24.net/en/story/21816-ISIS-abducts-two-brothers-at-fake-checkpoint-in-Garmiyan, Zugriff 16.3.2021
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Rudaw (1.2.2020): ISIS kidnaps 9 civilians in two nights in disputed areas of Diyala, Saladin provinces, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/010220201, Zugriff 16.3.2021
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Einreise und Einwanderung in die Kurdistan Region Irak (KRI)
Letzte Änderung: 16.08.2022
Die Kurdistan Region Irak (KRI) schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten für Nicht-Einheimische ein (USDOS 12.4.2022). Es wird für die Einreise in die Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah, zwecks Aufenthalt von bis zu 30 Tagen, kein Bürge benötigt (UNHCR 11.1.2021). Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die KRI einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehören - auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehen lassen. Checkpoints werden manchmal für längere Zeit geschlossen (USDOS 12.4.2022). Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen (USDOS 30.3.2021).
Inner-irakische Migration aus dem föderalen Irak in die KRI ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug (Niederlassung) jedoch kontrolliert (AA 25.10.2021). Wer sich dauerhaft niederlassen möchte, muss sich bei der kurdischen Geheimpolizei (Asayish-Behörde) des jeweiligen Distrikts anmelden (AA 25.10.2021; vergleiche UNHRC 11.1.2021). Eine Sicherheitsfreigabe durch die Asayish ist dabei in allen Regionen der KRI notwendig. Eine zusätzliche Anforderung für alleinstehende arabische und turkmenische Männer ist, dass sie eine feste Anstellung und ein Unterstützungsschreiben ihres Arbeitgebers vorweisen müssen. Nur in Dohuk muss eine Person in Begleitung des Bürgen, der die Einreise ermöglicht, vorstellig werden, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Für eine Niederlassung in Erbil oder Sulaymaniyah wird keine Bürgschaft verlangt (UNHCR 11.1.2021). Die Aufenthaltsgenehmigung ist, in der Regel, einjährig erneuerbar, abgesehen von Dohuk, wo die Aufenthaltsgenehmigung nur bis zu sechs Monate gültig ist (UNHCR 11.1.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022). Personen ohne feste Anstellung erhalten jedoch nur eine einmonatige, erneuerbare Genehmigung. Auch alleinstehende arabische und turkmenische Männer erhalten generell nur eine monatlich erneuerbare Aufenthaltsgenehmigung. Unter Vorlage des Nachweises einer regulären Beschäftigung und eines Unterstützungsschreibens ihres Arbeitgebers können sie auch eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung beantragen (UNHCR 11.1.2021). Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 25.10.2021).
Die kurdischen Behörden wenden Beschränkungen regional unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt (USDOS 30.3.2021). Die kurdischen Behörden haben Tausende von Arabern daran gehindert, in ihre Dörfer im Unterbezirk Rabia und im Bezirk Hamdaniya im Gouvernement Ninewa zurückzukehren, Gebiete, aus denen kurdische Einheiten 2014 den IS vertrieben und die territoriale Kontrolle übernommen hatten. Gleichzeitig jedoch erlaubte die KRG kurdischen Dorfbewohnern, in diese Gebiete zurückzukehren (HRW 13.1.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066472.html, Zugriff 7.6.2022
UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (11.1.2021): Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Iraq; Ability of Persons Originating from Formerly ISIS-Held or Conflict-Affected Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Internal Relocation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043432/5ffc243b4.pdf, Zugriff 1.3.2021
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048100.html, Zugriff 1.4.2021
USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 2.2.2021
Grundversorgung und Wirtschaft in der Kurdistan Region Irak (KRI)
Letzte Änderung: 16.08.2022
Wirtschaftslage
Wie im gesamten Land ist auch in der Kurdistan Region Irak (KRI) das Erdöl die Haupteinnahmequelle und trägt fast 80% zum BIP der Region bei. Die Landwirtschaft macht etwa 10% des BIP aus, der Tourismus 4% und Dienstleistungen und sonstige Industrie 6%. Öl macht auch bis zu 90% der Exporte aus der Region aus (IRIS 5.2021). Die Kurdische Regionalregierung (KRG) kann für ihren aufgeblähten öffentlichen Sektor und die Ölindustrie nicht zahlen. Die KRG hat Gehaltszahlungen mehrfach verzögert und im Mai 2021 eine Gehaltskürzung von 21% angekündigt. Darüber hinaus hat sie mehrfach die Zahlungen verpasst. Eine Studie der Vereinten Nationen hat ergeben, dass diese Probleme zu einem Rückgang des monatlichen Familieneinkommens in Kurdistan von 31% führten, höher als im Rest des Landes (Wing 9.6.2021).
Die Arbeitslosenrate in der KRI wird für das Jahr 2018 auf 9% geschätzt. Dabei lag im Jahr 2017 die Arbeitslosigkeit bei Männern bei 8,1% im Vergleich zu 20,1% bei Frauen (KRSO 2021). Die Arbeitsmarktbeteiligung wird in der KRI auf etwa 40% geschätzt (ILO 2021).
Nahrungsmittelversorgung
Grundnahrungsmittel sind in allen Gouvernements verfügbar. Das Lebensmittelrationierungsprogramm (PDS) des irakischen Handelsministeriums ist noch nicht abgeschlossen (IOM 18.6.2021). Ungünstige Niederschlagsmengen haben 2021 die Getreideproduktion im Nordirak und auch in der KRI beeinträchtigt. Die Ernte soll rund 50% unter jener im Jahr 2020 liegen (FAO 11.6.2021).
Wasserversorgung
In der KRI herrscht wegen einer Dürre, im Zusammenspiel mit Staudämmen im Iran, Wasserknappheit. Die KRG hat deswegen zusätzliche 1,7 Millionen Dollar (2,5 Mrd IQD) für Trinkwasser bereitgestellt (Rudaw 5.8.2021; vergleiche Rudaw 4.7.2021). Grundsätzlich ist Trinkwasser in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021).
Stromversorgung
Die Stromversorgung erfolgt durch Betrieb eigener Kraftwerke (AA 14.10.2020). Der Großteil des Stroms wird durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe erzeugt. Etwa 9% des Stroms werden aus Wasserkraft gewonnen (Rudaw 18.9.2021).
Die Stromversorgung unterliegt erheblichen Schwankungen (AA 14.10.2020). Sie ist nur für bis zu 20 Stunden pro Tag gegeben (AA 14.10.2020; vergleiche K24 15.5.2021). Im Sommer 2021 konnten die drei kurdischen Gouvernements Erbil, Dohuk und Sulaymaniyah nur etwa zwölf Stunden lang Strom am Tag liefern. Darüber hinaus werden Generatoren verwendet, die jedoch nicht den gesamten Bedarf abdecken können (Anadolu 8.7.2021). Insbesondere im Sommer und im Winter ist der Strombedarf wegen Klimatisierung bzw. Heizung höher (AA 14.10.2020). Nach Angaben des KRG-Ministeriums für Elektrizität beträgt der Strombedarf im Sommer mindestens 4.500 MW (Rudaw 3.7.2021). Es werden jedoch nur bis zu 3.500 MW Strom produziert (K24 15.5.2021). Die Kraftwerke laufen jedoch vor allem wegen Brennstoffmangel nicht mit voller Kapazität (Rudaw 3.7.2021). Die KRG plant die Steigerung der Stromversorgung durch die Implementierung mehrerer Energieprojekte (K24 15.5.2021).
Erbil
Einer Umfrage zufolge gehen 29% der befragten Personen in Erbil einer formellen Beschäftigung nach, 28% einer informellen und 42% gingen keiner Beschäftigung nach. Als Gründe für Arbeitslosigkeit werden ein Mangel an Startkapital, der Lockdown aufgrund von COVID-19 (22%) und ein Mangel an verfügbaren Jobs genannt (DRC 4.2020). Die Arbeitslosenrate wird für das Jahr 2017 auf 9,2% geschätzt (KRSO 2021). Die Arbeitsmarktbeteiligung lag 2018 bei 65,9% bei den Männern und 14,8% bei den Frauen (IOM 7.2018; vergleiche EASO 9.2020). Laut einer Umfrage von Februar 2021 im Distrikt Khabat liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte bei 244 USD (~356.590 IQD). Der Lohn für ungelernte Arbeiter reicht von 34 bis 500 USD (~49.690 bis 730.710 IQD), wobei der Durchschnitt bei 168 USD liegt (~245.520 IQD). Etwa 10% der Frauen sind berufstätig (IOM 9.2021w). Im Distrikt Makhmur mussten viele Arbeitgeber aufgrund der COVID-19-Pandemie vorübergehend schließen. Nach der Wiedereröffnung fiel die Nachfrage geringer aus und Arbeitgeber haben etwa 73% der Beschäftigten gehalten. Das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte ist im Vergleich zu vor COVID-19 um etwa 20 USD gesunken von 335 USD (~489.570 IQD) auf 315 (~460.350 IQD). Bei ungelernten Arbeitskräften ist der Durchschnittslohn jedoch gestiegen, von 159 USD (~232.360 IQD) auf 171 USD (~249.900 IQD) (IOM 9.2021x).
Im Jahr 2018 waren etwa 5,32% der Bevölkerung des Gouvernements Erbil armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Einer anderen Quelle zufolge betrug die Armutsrate im Jahr 2018 6,7% (KRSO 2021). Etwa 2,63% der Bevölkerung Erbils (rund 128.700 Personen) sind unzureichend ernährt. Für rund 3,3% (rund 77.200 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Erbil im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).
Das Gouvernement Erbil und insbesondere die Stadt Erbil sind wegen der Dürre des Sommers 2021 besonders hart von Wasserknappheit betroffen (Rudaw 4.7.2021). Der Zab-Fluss und das Brunnenwasser der Stadt Erbil sind durch die Dürre beeinträchtigt, weswegen Trinkwasser seit Juli 2021 knapp ist. Die Bewohner sind gezwungen, abgefülltes Wasser zu kaufen. Eine Tankfüllung kostet über 50 Dollar (~72.970 IQD) und reicht für höchstens eine Woche. Das durchschnittliche Monatseinkommen eines Haushalts in der KRI liegt nach Angaben von NRT bei weniger als 250 Dollar (~364.870 IQD) pro Monat (Al Monitor 12.8.2021). Wasserknappheit tritt jedes Jahr erneut auf (Al Monitor 29.7.2021).
In Erbil herrscht Stromknappheit (Rudaw 4.7.2021). Stromausfälle beeinträchtigen auch die Wasserversorgung in Erbil (Al-Monitor 29.7.2021).
Dohuk
Die Arbeitslosenrate in Dohuk wird für das Jahr 2017 auf 13,8% geschätzt (KRSO 2021). Einer Umfrage vom Februar 2021 im Distrikt Zakho zufolge ist die Beschäftigungsquote aufgrund der COVID-19-Pandemie zurückgegangen, welche auch Auswirkungen auf das Durchschnittsgehalt hat. So ist das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte von 418 USD (~610.870 IQD) auf 356 USD (~520.260 IQD) gefallen. Ungelernte Arbeitnehmer verdienten hingegen unverändert durchschnittlich 254 USD (~371.200 IQD).
Im Jahr 2018 waren etwa 0,98% der Bevölkerung des Gouvernements Dohuk von akuter Armut betroffen und 2,95% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Einer anderen Quelle zufolge betrug die Armutsrate im Jahr 2018 8,6% (KRSO 2021). Etwa 5,49% der Bevölkerung Dohuks (rund 330.900 Personen) hat unzureichende Nahrungsaufnahme. Für rund 34,33% (rund 615.700 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Dohuk im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).
Die Wasserversorgung im Gouvernement Dohuk ist stabilisiert und Flüchtlinge, Binnenvertriebene und die Bevölkerung in den Aufnahmegemeinden haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (GIZ 2021)
Aufgrund von Stromversorgungsproblemen hat die Regierung des Gouvernements eine Vereinbarung mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) unterzeichnet, um einen Solarenergiepark zu errichten (Al Monitor 20.2.2020). Bewohner des Deralok Sub-Distrikt berichten, dass sie nur etwa zehn bis zwölf Stunden Energie aus dem nationalen Stromnetz erhalten (Rudaw 3.7.2021)..
Sulaymaniyah
Schlechte Infrastruktur und Korruption behindern die wirtschaftliche Entwicklung des Gouvernements Sulaymaniyah (IOM 9.2021). Die Arbeitslosenrate in Sulaymaniyah wird für das Jahr 2017 auf 9,4% geschätzt (KRSO 2021). Im Jahr 2018 waren etwa 0,28% der Bevölkerung von akuter Armut betroffen und 2,69% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Einer anderen Quelle zufolge betrug die Armutsrate im Jahr 2018 4,46% (KRSO 2021).
Einer Umfrage vom Februar 2021 im Distrikt Halabja zufolge liegen die Durchschnittsgehälter für Facharbeiter bei 273 USD (~398.440 IQD) und reichen von 82 USD bis über 600 USD (~119.680 bis 875.690 IQD). Die Durchschnittslöhne für ungelernte Arbeitskräfte waren vor COVID-19 mit 290 USD (~423.250 IQD) höher und liegen nach den letzten Schätzungen der Arbeitgeber derzeit bei etwa 221 USD (~322.550 IQD). Allerdings gab nur die Hälfte der Arbeitgeber an, ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen (IOM 9.2021). Im Distrikt Kalar verdienen Fachkräfte durchschnittlich 396 USD (~539.260 IQD) und reichen von etwa 100 USD bis 1000 USD (~146.140 bis 1.461.410 IQD). Mehr als zwei Drittel der Arbeitgeber gaben an, auch ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen, die im Durchschnitt 241 USD (~352.200 IQD) erhielten, wobei die Löhne zwischen 100 und 600 USD (~146.140 bis 876.850 IQD) lagen (IOM 9.2021A).
Für je etwa 15,2% der Bevölkerung (rund 30.000 Personen) ist die Nahrungsaufnahme unzureichend, bzw. ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Sulaymaniyah im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).
Der Fluss Chami Rokhana im Süden der Sulaymaniyahs ist aufgrund der Dürre und wegen iranischer Dammbauten ausgedrocknet (Rudaw 5.8.2021). Vertreter der Gesundheitsbehörden warnen davor, dass durch die Wasserknappheit Krankheiten, die durch verunreinigtes Wasser verursacht werden, zunehmen könnten (K24 10.6.2021).
Im Jahr 2020 wurde laut der Generaldirektion für Elektrizitätsversorgung in Sulaymaniyah täglich Strom für 20 Stunden geliefert. Auch für 2021 wurde diese Menge anvisiert, jedoch sorgte rückgängiger Wasserstand dafür, dass die Kraftwerke am Dukan-Damm und in Darbandikhan nicht wie bisher Energie produzieren konnten (Shafaq 20.5.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.10.2020): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2040689/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_14.10.2020.pdf, Zugriff 3.3.2021
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Rudaw (4.7.2021): Erbil province hit hardest by water crisis: governor, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/04072021, Zugriff 29.8.2021
Rudaw (3.7.2021): Deralok hydropower plant to be online by end of the year, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/03072021, Zugriff 29.9.2021
Shafaq News (20.5.2021): Electric power decline in the Region due to the decrease in two major water dams, https://shafaq.com/en/Kurdistan/Electric-power-decline-in-the-Region-due-to-the-decrease-in-two-major-water-dams, Zugriff 29.9.2021
WB, WFP, FAO, IFAD - World Bank (WB), World Food Programme (WFP), Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), International Fund for Agricultural Development (IFAD) (9.2020): Food Security in Iraq - Impact of COVID-19, with a Special Feature on Digital Innovation, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Iraq%20Food%20Security%20Report%20August%202020%20-%20Arabic.pdf, Zugriff 1.10.2021
WB - World Bank (5.4.2021): Republic of Iraq, https://pubdocs.worldbank.org/en/527001554825517687/mpo-irq.pdf, Zugriff 10.4.2021
WFP - World Food Programme (9.2021): Hunger Map Live, Iraq https://hungermap.wfp.org/, Zugriff 27.9.2021
Wing, Joel, Musings on Iraq (9.6.2021): Iraq’s Kurdistan Can’t Pay Its Bills, https://musingsoniraq.blogspot.com/2021/06/iraqs-kurdistan-cant-pay-its-bills.html, Zugriff 10.6.2021
Medizinische Versorgung in der Kurdistan Region Irak (KRI)
Letzte Änderung: 16.08.2022
Das öffentliche Gesundheitssystem in der Kurdistan Region Irak (KRI) wird durch das Gesundheitsministerium (MoH) in Erbil verwaltet. Es gibt fünf Gesundheitsdirektionen (DoH) des MoH, eine in Dohuk, eine in Erbil und drei in Sulaymaniyah: das Slemani DoH, das Germian DoH und das Rania DoH. Unter jeder der Direktionen gibt es Gesundheitssektoren auf Distriktebene. Finanziert wird das öffentliche Gesundheitssystem durch eine Haushaltszuweisung der Kurdischen Regionalregierung (KRG), aus der die Gehälter der im öffentlichen Sektor tätigen medizinischen Fachkräfte, sowie Medikamente, Verbrauchsmaterialien und Investitionen in die Infrastruktur des Gesundheitswesens, wie Gebäude und Geräte bezahlt werden. Dabei ist die KRG von Zahlungen der irakischen Zentralregierung in Bagdad abhängig, die 17 % ihres Budgets ausmachten (MedCOI 8.2020).
Gesundheitsdienste werden hauptsächlich durch den öffentlichen Sektor angeboten, wobei auch der private Sektor und Nichtregierungsorganisationen nach und nach ihre Gesundheitseinrichtungen aufbauen (MedCOI 8.2020).
Die Gesundheitsversorgung in der KRI ist dreigeteilt. Primäre Gesundheitsversorgung wird durch Hauptzentren der primären Gesundheitsversorgung (PHC) sowie PHC-Unterzentren bereitgestellt. Im Jahr 2017 gab es in der KRI 548 PHCs. Diese sind mit mindestens einem Allgemeinmediziner besetzt und bieten eine medizinische Grundversorgung. Die meisten der PHCs versorgen mehr als 10.000 Personen. PHC-Unterzentren verfügen hingegen nicht über einen Arzt und ihre Leistungen sind in der Regel eingeschränkter. Sie stellen grundlegende Medikamente zur Verfügung und versorgen in der Regel etwa 2.000 Personen. Krankenhäuser bieten sekundäre und tertiäre Versorgung. Im Jahr 2017 gab es in der KRI 19 öffentliche und sieben private Krankenhäuser im Gouvernement Dohuk, 24 öffentliche und 19 private Krankenhäuser im Gouvernement Erbil sowie 33 öffentliche und 16 private Krankenhäuser im Gouvernement Sulaymaniyah (MedCOI 8.2020).
Die meisten Menschen leben in einem Umkreis von 30 Minuten um ein Zentrum der PHC, und die Gesamtzahl und Art der Gesundheitseinrichtungen (d.h. Krankenhäuser und PHCs) sind im weltweiten Vergleich ausreichend, jedoch ist die geografische Verteilung der angebotenen Leistungen, des Personals und der Ausstattung ungleichmäßig. In mehreren PHCs waren Labor- oder andere Geräte zwar vorhanden, aber nicht funktionsfähig, oder das PHC hatte keinen geschulten Nutzer für diese. Die KRG ist dabei Gesundheitsinformationssysteme (HIS) und Evidenz für die Entscheidungsfindung zu verbessern, um damit auch die Behandlung zu verbessern und den Fortschritt hin zu einer universellen Gesundheitsversorgung zu beschleunigen (MedCOI 8.2020).
Die staatliche medizinische Versorgung in der KRI ist kostenlos bzw. sehr kostengünstig, allerdings qualitativ schlecht und mit langen Wartezeiten verbunden (AA 25.10.2021; vergleiche IOM 18.6.2021). Private Krankenhäuser, auch auf hohem medizinischem Niveau, sind kostspielig und sind nur für die obere Mittelschicht leistbar (AA 25.10.2021). Es gibt keine privaten Krankenversicherungen, sodass Zahlungen in privaten Einrichtungen aus eigener Tasche bezahlt werden müssen (MedCOI 8.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
IOM - International Organization for Migration (18.6.2021): Information on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Iraq and in the Kurdish Region, requested by the Austrian Federal Office for Immigration and Asylum, Zugriff 21.6.2021
MedCOI - Medical Country of Origin Information (8.2020): Country Fact Sheet, Access to Healthcare: Iraq-Kurdistan, Zugriff 3.3.2021
Rückkehr
Letzte Änderung: 16.08.2022
Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten, auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, unter anderem von ihrer ethnischen und konfessionellen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort (AA 25.10.2021).
Einer Studie von 2021 zufolge sind soziale Netzwerke wichtige Erleichterer oder Hemmer einer Wiedereingliederung. Die meisten Studienteilnehmer waren sich darin einig, dass ein starkes soziales Netz ein Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Wiedereingliederung ist und berichteten von einem positiven Einfluss der Netzwerke nach ihrer Rückkehr, es gab jedoch auch Berichte von eher negativen Empfängen (FIS, ERRIN 2021).
Rückkehrer berichten über psychosoziale Bedürfnisse vor, während und nach einer Rückkehr. Dabei stehen psychosoziale Dienste weitgehend nicht oder kaum zur Verfügung. Ein Faktor ist Angst vor einer Stigmatisierung durch die Familie, nicht jedoch die Stigmatisierung selbst. 90 % der Studienteilnehmer berichteten, dass sie von ihrer Familie und ihren Freunden freudig empfangen wurden (FIS, ERRIN 2021).
Während die Forschungsteilnehmer nur wenige Probleme beim formalen Zugang zu Bildung und Gesundheitsfürsorge meldeten, beeinträchtigen Anpassungsschwierigkeiten und Qualitätsbarrieren ihre Fähigkeit, diese Dienste in Anspruch zu nehmen (FIS, ERRIN 2021).
Reintegration und Sicherheit werden durch Schutz, Stabilisierung, Rechtsstaatlichkeit und sozialen Zusammenhalt beeinflusst. An vielen Orten bleiben auch nach der Niederlage des sog. Islamischen Staates (IS) Quellen der Gewalt bestehen, die Rückkehrer betreffen können. In einigen Fällen kann Gewalt sogar durch die tatsächliche Rückkehr verschiedener Bevölkerungsgruppen an einen bestimmten Ort geschürt werden. Gewaltrisiken bleiben anhaltende Angriffe des IS oder anderer bewaffneter Gruppen, aber auch soziale Konflikte in Form von ethnisch-konfessionellen oder stammesbedingten Spannungen und Gewalt, darunter auch Racheakte. Auch politische Konkurrenz spielt bei diesem Risiko eine Rolle, da verschiedene Sicherheitsakteure in der fragmentierten Sicherheitskonfiguration nach dem Konflikt im Irak um territoriale Vorherrschaft ringen (IOM 2021).
Eine Untersuchung von 2020, zu der fast 7.000 Binnenvertriebene und 2.700 Rückkehrer befragt wurden, hat ergeben, dass die Zahl der Rückkehrerhaushalte, die mehr als 20 % ihrer monatlichen Gesamtausgaben für Gesundheit oder Medikamente ausgeben, im Jahr 2020 stark, auf 38 % gestiegen ist (im Vergleich zu 7 % im Jahr 2019) (IOM 18.6.2021). Einer Studie von 2021 zufolge, sehen sich Rückkehrer nach ihrer Rückkehr mit Barrieren für den Lebensunterhalt konfrontiert, die zwar nicht unbedingt ein Hindernis für die Wiedereingliederung darstellen, aber eine Ursache für eine erneute Abwanderung sind (FIS, ERRIN 2021).
Hinsichtlich der Beschäftigung berichteten etwa 12 % der befragten Rückkehrerhaushalte von vorübergehender und 1% von dauerhafter COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit. In der Kurdistan Region Irak (KRI) waren mehrere Distrikte im Gouvernement Erbil besonders von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 71 % der IDP- und Rückkehrerhaushalte im Distrikt Rawanduz meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19, im Distrkt Shaqlawa waren es 56 %. Im Gouvernement Sulaymaniyah war der Distrikt Dokan mit 52% am stärksten betroffen. Im föderalen Irak war der Distrikt Al-Kut im Gouvernement Wassit am stärksten von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 56 % seiner IDP- und Rückkehrerhaushalte meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19 (IOM 18.6.2021).
Im Jahr 2020 hatten 59 % der Rückkehrer ein durchschnittliches Monatseinkommen von weniger als 480.000 Irakischen Dinar (IQD) (~267,90 EUR) (im Vergleich zu 55 % im Jahr 2019 und 71 % im Jahr 2018). Bei Rückkehrerhaushalten, die von alleinstehenden Frauen geführten wurden, lag der Anteil sogar bei 79 %. In der KRI waren die Haushaltseinkommen von Binnenvertriebenen- und Rückkehrerhaushalten im Jahr 2020 besonders niedrig: In den Bezirken Chamchamal, Halabcha, Rania und und Dokan im Gouvernement Sulaymaniyah und im Bezirk Koysinjag im Gouvernement Erbil hatten im Berichtszeitraum der MCNA-VIII-Erhebung (Juli - September 2021) zwischen 92 % und 93 % der Rückkehrerhaushalte ein Monatseinkommen von weniger als 480.000 IQD (IOM 18.6.2021).
Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussein sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 1.2021d).
Um die Rückkehr von Flüchtlingen in die Herkunftsgebiete zu erleichtern, fianziert das UNDP die Umsetzung von Projekten zur Wiederherstellung der Infrastruktur, der Existenzgrundlagen und des sozialen Zusammenhalts in Anbar, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din. Darüber hinaus führte das Programm der Vereinten Nationen für Won- und Siedlungswesen (UN-Habitat) Schnellbewertungen von zerstörten Häusern in Gebieten von Ninewa durch und unterstützte 2.190 Familien, deren Häuser zerstört wurden, bei der Registrierung von Entschädigungsansprüchen. UN-Habitat stellte weiterhin Wohnberechtigungsscheine für jesidische Rückkehrer in Sinjar aus (UNSC 3.8.2021).
Es gibt mehrere Organisationen, die Unterstützung bei der Wiedereingliederung anbieten, darunter ETTC (Europäisches Technologie- und Ausbildungszentrum), IOM (Internationale Organisation für Migration) und GMAC (Deutsche Zentrum für Jobs, Migration und Reintegration). Ebenso gibt es mehrere NGOs, die bedürftigen Menschen finanzielle und administrative Unterstützung bereitstellen sowie Institutionen, die Darlehen für Rückkehrer anbieten. Beispielsweise Bright Future Institution in Erbil, die Al-Thiqa Bank, CHF International/Vitas Iraq, die National Bank of Iraq, die Al-Rasheed Bank und die Byblos Bank (IOM 18.6.2021).
In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 25.10.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
FIS - Finnish Immigration Service; ERRIN – European Return and Reintegration Network (2021): Sustainable Reintegration in Iraq, https://returnnetwork.eu/wp-content/uploads/2021/08/ERRIN-Sustainable-Reintegration-in-Iraq_shortened.pdf, Zugriff 18.2.2022
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021d): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
IOM - International Organization for Migration (18.6.2021): Information on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Iraq and in the Kurdish Region, requested by the Austrian Federal Office for Immigration and Asylum, Zugriff 21.6.2021
IOM - International Organization for Migration (2021): Home Again? Categorising Obstacles to Returnee Reintegration in Iraq, https://iraq.iom.int/files/IOM%20Iraq%20Home%20Again%2C%20Categorising%20Obstacles%20to%20Returnee%20Reintegration%20in%20Iraq.pdf, Zugriff 13.3.2021
UNSC - UN Security Council (3.8.2021): Implementation of resolution 2576 (2021); Report of the Secretary-General [S/2021/700], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058500/S_2021_700_E.pdf, Zugriff 15.5.2021
Staatsbürgerschaft und Dokumente
Letzte Änderung: 16.08.2022
Artikel 18 der irakischen Verfassung besagt, dass jede Person, die zumindest über einen irakischen Elternteil verfügt, die Staatsbürgerschaft erhält und somit Anspruch auf Ausweispapiere hat (Irakische Nationalversammlung 15.10.2005; vergleiche USDOS 12.4.2022). Dies wird in Artikel 3 des irakischen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 2006 bestätigt, jedoch wird in Artikel 4 darauf hingewiesen, dass Personen, die außerhalb des Iraks von einer irakischen Mutter geboren werden und deren Vater entweder unbekannt oder staatenlos ist, vom Minister für die irakischen Staatsbürgerschaft in Betracht gezogen werden können. Dies geschieht, wenn sich die besagte Person innerhalb eines Jahres nach ihrer Vollmündigkeit für die irakische Staatsbürgerschaft entscheidet. Wenn dies aus schwierigen Gründen unmöglich ist, kann die Person trotzdem noch um die irakische Staatsbürgerschaft ansuchen. In jedem Fall muss der Antragsteller zum Zeitpunkt seiner Bewerbung aber im Irak ansässig sein (Irakische Nationalversammlung 7.3.2006). Eine Doppelstaatsbürgerschaft ist gemäß Artikel 10 des Staatsbürgerschaftsgesetzes No.26/2006, möglich (RoI MoFA 2021b).
Für die Ausstellung einer Geburtsurkunde für ein im Ausland geborenes Kind ist eine Registrierung bei der Konsularabteilung einer irakischen Botschaft notwendig. Der Vater der Kindes muss in der Konsularabteilung der Botschaft anwesend sein. Im Fall seines Ablebens ist der Ehevertrag ein erforderliches Dokument, um die Vaterschaft des Kindes zu belegen. Innerhalb von zwei Monaten nach dem Geburtstermin muss eine beglaubigte Geburtsbestätigung von der zuständigen Behörde des Landes, in dem die Geburt erfolgte, vorgelegt werden. Bei Verspätung ist eine Gebühr für die verzögerte Registrierung in Höhe von 10.000 irakischen Dinar (IQD) [Anm.: 5,69 € (Stand April.2021)] zu bezahlen (RoI MoFA 2021a).
Laut dem irakischen Passgesetz kann jede Person über 18 Jahren, unabhängig von ihrem Geschlecht und ohne Erlaubnis des Vormunds einen Pass erhalten (Irakisches Innenministerium 2017). Ein Personalausweis wird etwa für den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, Bildung und Wohnen benötigt (USDOS 12.4.2022; vergleiche FIS 17.6.2019). Er wird auch für die Beantragung anderer amtlicher Dokumente, wie den Reisepass, benötigt (FIS 17.6.2019). Im Oktober 2015 ist ein neues nationales Ausweisgesetz in Kraft getreten. Laut diesem soll ein neuer biometrischer Personalausweis vier Karten ersetzen: den alten Personalausweis, den Staatsangehörigkeitsnachweis, den Aufenthaltsnachweis und den Lebensmittelausweis. Seit der Jahreswende 2015/2016 werden die neuen Ausweise sukzessive ausgestellt, bisher mehr als zehn Millionen (FIS 17.6.2019). In den seit 2016 ausgestellten Personalausweisen ist die Religionszugehörigkeit des Inhabers nicht mehr vermerkt, obwohl bei der Online-Beantragung immer noch nach dieser Information gefragt wird, und ein Datenchip auf dem Ausweis weiterhin Angaben zur Religion enthält (USDOS 2.6.2022). Viele Iraker besitzen nach wie vor ihren alten Personalausweis und den erforderlichen Staatsbürgerschaftsnachweis. Zwar haben die alten Ausweise kein Ablaufdatum, doch werden sie laut irakischen Behörden im Jahr 2024 ihre Gültigkeit verlieren. Die alten Ausweise werden dabei nach wie vor an Orten ausgegeben, an denen die notwendigen Gegebenheiten für die Ausstellung der neuen Dokumente nicht vorhanden sind. Da Ausweise in der Regel nur an den Orten der Aufenthaltsmeldung ausgestellt werden, benötigen IDPs häufig die Hilfe anderer, um zumindest an einen alten Ausweis zu kommen (FIS 17.6.2019).
Jedoch können Frauen ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters weder einen Reisepass beantragen (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022) noch einen Personalausweis bekommen (USDOS 12.4.2022).
Auch 2021 wurden Personen, denen ein Naheverhältnis zum Islamischen Staat (IS) vorgeworfen wurde, eine Sicherheitsfreigabe, wichtige Identifikationskarten und andere zivile Papiere vorenthalten (HRW 13.1.2022). Der IS konfiszierte und zerstörte routinemäßig zivile und andere staatlich ausgestellte Dokumente und stellte stattdessen eigene Dokumente aus, die vom irakischen Staat nicht anerkannt werden, z.B. Heiratsurkunden (CCiC 1.4.2021; vergleiche NRC 4.2019). Viele Familien haben ihre Dokumente während der Kämpfe verloren oder sie wurden von Sicherheitskräften konfisziert - entweder nachdem sie aus den vom IS kontrollierten Gebieten geflohen waren oder als sie in den Lagern für Binnenvertriebene (IDPs) ankamen. Fehlende Sicherheitsfreigaben hindern Familien daran, zivile Dokumente zu erhalten oder zu erneuern. Bis heute fehlen schätzungsweise 37.980 Irakern, die in Binnenvertriebenenlagern leben, diverse zivile Dokumente (CCiC 1.4.2021).
Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind in Umlauf. Zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 25.10.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf, Zugriff 1.12.2021
CCiC - Center for Civilians in Conflict (1.4.2021): Ignoring Iraq’s Most Vulnerable: The Plight of Displaced Persons, https://civiliansinconflict.org/wp-content/uploads/2021/04/CIVIC_Iraq_Report_Final-Web.pdf, Zugriff 8.6.2021
FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022
FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (17.6.2019): Irak: Tiendonhankintamatka Bagdadiin Helmikuussa 2019 Paluut Kotialueille (Entisille ISIS-Alueille); Ajankohtaista Irakilaisista Asiakirjoista, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf/c5019f7f-e3f7-981b-7cea-3edc1303aa78/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf, Zugriff 13.3.2020
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066472.html, Zugriff 7.6.2022
Irakische Nationalversammlung [Irak] (9.9.2015): Iraq: Passports Law (2015), inoffizielle englische Übersetzung, https://www.refworld.org/docid/5c755e247.html, Zugriff 10.2.2021
Irakische Nationalversammlung [Irak] (7.3.2006): Iraqi Nationality Law, Law 26 of 2006,inoffizielle englische Übersetzung, https://www.refworld.org/docid/4b1e364c2.html, Zugriff 10.2.2021
Irakische Nationalversammlung [Irak] (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, inoffizielle englische Übersetzung, http://www.refworld.org/topic,50ffbce524d,50ffbce525c,454f50804,0,,LEGISLATION,IRQ.html, Zugriff 10.2.2021
NRC - Norwegian Refugee Council [Norwegen] (4.2019): Barriers from birth: Undocumented children in Iraq sentenced to a life on the margins, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/barriers-from-birth---report.pdf, 1.4.2021
RoI MoFA - Republic of Iraq, Ministry of Foreign Affairs [Irak] (2021a): Birth Certificate, https://www.mofa.gov.iq/birth-certificate, Zugriff 3.3.2021
RoI MoFA - Republic of Iraq, Ministry of Foreign Affairs [Irak] (2021b): Passport Issuance, https://www.mofa.gov.iq/passport-issuance, Zugriff 8.6.2021
USDOS - US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073956.html, Zugriff 7.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 7.6.2022
2. Beweiswürdigung:
römisch II.2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in die Verfahrensakte des BFA, unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der volljährigen bP und der bP6, der bekämpften Bescheide samt Beschwerdeschriftsätzen, den in Vorlage gebrachten Unterlagen der bP sowie durch Einvernahme der bP1, bP2, bP3, bP4, bP5 und der bP6 jeweils als Partei in der am 10.07.2023 vor dem Bundesverwaltungsgericht abgehaltenen mündlichen Verhandlung. Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensakts des belangten Bundesamtes, das ein mängelfreies und ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat.
römisch II.2.2. Zu den personenbezogenen Feststellungen:
Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich der bP ergeben sich –vorbehaltlich der Feststellungen zur Identität- aus ihren in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben sowie ihren Sprach- und Ortskenntnissen und den seitens der bP vorgelegten Bescheinigungsmittel in Form von irakischen Personalausweisen und einem Familienregisterauszug. Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels im Original konnte die Identität der bP nicht festgestellt werden. Soweit diese namentlich genannt werden, legt das Gericht auf die Feststellung wert, dass dies lediglich der Identifizierung der bP als Verfahrenspartei dient, nicht jedoch eine Feststellung der Identität bedeutet. Es zeigt sich letztlich, dass den bP offensichtlich daran gelegen ist, auf diese Art und Weise eine Rückführung zumindest zu erschweren.
Die Feststellungen zur Staats- und Volksgruppenzugehörigkeit, ihrem religiösen Bekenntnis, dem jeweiligen Familienstand sowie den Angaben zur Ausbildung, Berufstätigkeiten und dem Verbleib der weiteren Familienangehörigen beruhen auf den weitgehend gleichlautenden Angaben der bP im Rahmen ihrer Erstbefragungen, ihrer Einvernahmen vor der bB und zuletzt ihren Angaben in der Beschwerdeverhandlung, sofern im Folgenden nicht spezifisch darauf eingegangen wird.
So gab die bP1 etwa ihre berufliche Laufbahn im Verfahren gleichlautend an, versuchte jedoch mit der Aussage, sie habe nach 2018 nicht mehr gearbeitet, ihre missliche Lage zu argumentieren, wobei die Aussage jedoch in Widerspruch zu den Angaben der anderen bP steht. Sowohl bP3, bP2 oder auch bP4 sagten, dass der Vater bis zur Ausreise gearbeitet hat und wurde die entsprechende Feststellung getroffen. Nachdem die Größe des Lebensmittelgeschäftes der bP1 nicht nachprüfbar ist und auch etwa die Größe der Verkaufsfläche nicht bescheinigt wurde, konnte eine Feststellung, es hätte sich um einen großen Supermarkt gehandelt, nicht verifiziert werden.
In Hinblick auf die bP2 zeigen sich Abweichungen bei der Anzahl der im Irak aufhältigen Geschwister, wobei das BVwG den letzten Angaben der bP2 in der Beschwerdeverhandlung gefolgt ist, nachdem sie in der Verhandlung auch konkrete Angaben zu den Berufen der Geschwister tätigte. Der Aufenthalt des Sohnes der bP 1 und 2 in Deutschland wurde von allen bP bestätigt und ergibt sich daraus auch das von ihnen genannte Zielland ihrer Reise (etwa die bP 2 vor der bB „Wir wollten nach Deutschland, ich wollt zu meinem Sohn...“). Der Aufenthalt weiterer Angehöriger in Europa wird seitens des erkennenden Gerichts nicht in Zweifel gezogen, in Österreich sind jedoch keine weiteren Familienmitglieder aufhältig.
Die Feststellungen zu den im Irak lebenden Familienangehörigen, deren Aufenthaltsorten sowie deren Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts ergeben sich aus den Angaben der bP in der Beschwerdeverhandlung. Schon in diesem Zusammenhang traten allerdings gravierende Ungereimtheiten in den Angaben der bP auf, die wiederum – wie schon die Angaben der bP 1 zur Verschleierung ihrer Arbeitstätigkeit bis zur Ausreise – wohl darauf zurückzuführen sind, dass die Familie grundsätzlich versuchte, ihre eigene Lage und die Lage ihrer Familienangehörigen in der KRI möglichst schlecht darzustellen. So gaben zwar einige der bP in der Verhandlung an, dass ihre Familie im Irak keinen Besitz mehr hätte, die bP 3 führte demgegenüber jedoch aus, dass ein Onkel einen Autowäschereibetrieb besitzt, ein weiterer in einem Restaurant arbeite und es allen gut ginge. Die bP 1 führte aus, dass es der Familie nicht „rosig“ ginge, einer der Brüder aber ein kleines Haus habe und einer eine kleine Landwirtschaft mit Grundstück. Insgesamt geht das BVwG davon aus, dass die Familienangehörigen der bP in der KRI in gesicherten Verhältnissen leben und für ihre Existenz sorgen können und die anderweitigen Angaben lediglich einen Versuch der bP darstellen, ihrer Rückkehrmöglichkeiten und Unterstützungsmöglichkeiten in der KRI zu verschleiern. Zu den teilweise extrem ausweichenden Angaben aller bP in der Verhandlung wird an dieser Stelle beispielsweise die Aussage der bP 4 in der Verhandlung in diesem Zusammenhang dargestellt:
RI: Wovon lebt Ihre Familie im Heimatland? Wie geht es Ihnen?
P: Sie arbeiten als Tagelöhner und finanzieren ihr Leben.
RI: Haben Onkel Tanten auch Besitztümer wie Häuser, Grundstücke oder Betriebe?
P: Wie gesagt, einige von ihnen haben was, die anderen nicht.
RI erinnert die an die Wahrheits- sowie an die Mitwirkungspflicht.
RI wiederholt die obige Frage.
P: Einige haben was, die anderen nicht.
Dass sämtliche bP mit ihrer Familie wie auch Freunden und Bekannten regelmäßig in Kontakt stehen, ergibt sich aus ihren in diesem Zusammenhang übereinstimmenden Aussagen vor der bB und – gleichlautend - in der Beschwerdeverhandlung.
Feststellungen zum Schulbesuch der Kinder der bP1 und bP2, sowie den beruflichen Tätigkeiten der bP3 bis bP5 in der KRI ergeben sich aus ihren Angaben im Verfahren. Dass die bP 2 auch versuchte, sich in ein besonders hilfsbedürftiges Licht zu rücken, zeigen auch die mehrmals getroffenen Angaben, dass sie Analphabetin sei und nur 2 Jahre die Schule besucht habe. Ihre Unterschrift auf den Einvernahmeprotokollen bestätigt dies gerade nicht, ihr Erklärungsversuch in der Verhandlung, sie hätte den Schriftzug „geübt“ erhellt sich schon vor dem Hintergrund nicht, dass bei Analphabeten keinesfalls derartige Schriftzüge regelmäßig wiederholt werden könnten und diese eher mit zittrigen Kreuzen wenn überhaupt Unterschriften setzen. Zudem wurde von der bP 2 auch wie selbstverständlich die Benutzung eines eigenen Handys angegeben, was bei Analphabeten in der Form auch fraglich wäre.
Dass die Familie in römisch 40 ein Haus besaß, in welchem die gesamte Familie lebte, wurde von allen bP gleichbleibend geschildert, bei der Größe des Hauses gab es kleine Divergenzen wie auch beim Verkaufserlös, sodass festgehalten wird, dass es um ca 39.000 $ bis 40.000 $ verkauft wurde, was den gleichlautenden Angaben der bP2 und bP3 entspricht und wird dahingehend den Angaben der bP1 vor der bB nicht gefolgt, da diese den niedrigeren Betrag wohl lediglich zur Untermauerung ihres Vorbringens in Zusammenhang mit der schwierigen finanziellen Lage benutzte und etwa auch nicht erwähnte, wieviel sie für das zweite Grundstück erhielt. Dass es sich nicht um „Häuser“ handelte wie von der bP1 an einer Stelle kolportiert, sondern um das Familienhaus und eine landwirtschaftliche Fläche (etwa mit Nebengebäuden) ergibt sich aus den ihren späteren Ausführungen und jenen der bP2. Die bP2 tätigte als einzige eine konkrete Aussage zum Verkaufserlös des landwirtschaftlichen Grundstückes der bP1. Dahingehend hinterließ die bP2 einen glaubwürdigen Eindruck vor dem erkennenden Gericht.
Übereinstimmende Angaben der bP liegen auch hinsichtlich des Umstandes vor, dass die bP1 über viele Jahre hinweg ein Restaurant und sodann von 2012 bis 2018 ein Lebensmittelgeschäft führte. Die bP1 schilderte dies gleichlautend und traf sie ihre Angaben in diesem Zusammenhang durchaus detailliert und lebensnah, wenn sie von ihrem Geschäft erzählte. Es wurde die Existenz des Geschäftes auch von den anderen bP bestätigt. Aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten musste die bP1 im Jahr 2018 ihr Geschäft schließen und arbeitete sodann bis zu ihrer Ausreise in einem Restaurant als Angestellter. Das Jahr 2018 findet sich ebenfalls durchgängig in den Aussagen der bP und ist mit den Aussagen der Söhne, der Vater habe von 2018 bis zur Ausreise in einem Restaurant gearbeitet, ebenfalls in Einklang zu bringen.
Vorweg soll an dieser Stelle bereits festgehalten werden, dass die bP bis zu ihrer Ausreise grundsätzlich mit wenigen Ausnahmen (bP 4 und 5 behaupten, 2020 bei einer Tante gelebt zu haben) ihren Lebensmittelpunkt immer in ihrer Heimatstadt römisch 40 hatten und gaben sie dies auch in der mündlichen Verhandlung bzw. im Verfahren halbwegs konsistent so an. Letztlich kann von einem sich "Verstecken", einer Verlegung der Herkunftsregion oder einer innerstaatlichen Fluchtalternative hinsichtlich aller bP schon mangels Glaubwürdigkeit einer längerfristigen Verlegung des Wohnsitzes in diesem Zusammenhang daher nicht gesprochen werden, auch wenn dies vereinzelt von einigen bP bzw. in den Beschwerden behauptet wurde. Fundierte Angaben zu einer dauerhaften Verlegung des Wohnsitzes oder wie in der Beschwerde der bP 3 beispielsweise behauptet zu einer bereits mehrfach erfolgten Flucht innerhalb der Region Kurdistan, kamen von keiner der bP. Beispielhaft sei an dieser Stelle erwähnt, dass die bP 4 erstbefragt angegeben hat, dass sie wegen dem Krieg und der Zerstörung ihres Dorfes ausgereist wäre. In der Einvernahme vor der bB relativierte sie unter anderem diese Angaben, vermeinte zuerst, dass sie nicht mehr wisse, wann das Dorf zerstört worden wäre und führte schließlich doch auch an, sie wisse das nicht, weil sie nicht in diesem Dorf, sondern in römisch 40 gelebt hätte. Auch zu Beginn der Verhandlung wurde noch im Zusammenhang mit Videos ausgeführt, dass diese Szenen aus dem Gebiet zeigen würden, in welchem die bP 4 und 5 „vorher“ gelebt hätten. Die bP 1 gab befragt zu den Fluchtgründen der Kinder an, dass zwei ihrer Söhne in einem Dorf gelebt hätten, wo die PKK präsent gewesen sei. Doch auch in der Verhandlung relativierten die bP 4 und 5 die Angaben zu einem Aufenthalt in einem „Dorf“ oder anderen Ort wieder selbst und konnten nicht glaubwürdig darstellen, dass sie tatsächlich über einen längeren Zeitraum ihre Heimatstadt römisch 40 verlassen hätten.
Daher wird an dieser Stelle im Hinblick auf die Beschwerden auch darauf hingewiesen, dass es auf eine innerstaatliche Fluchtalternative schon mangels – noch darzustellender - glaubwürdiger Verfolgungshandlungen nicht ankommt. Zudem wäre eine eingehende Auseinandersetzung mit der Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit des Staates einschließlich diesbezüglicher Feststellungen nur dann erforderlich ist, wenn eine Verfolgung durch Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen festgestellt wird vergleiche VwGH 02.10.2014, Ra 2014/18/0088), was im gegenständlichen Verfahren gerade nicht der Fall ist.
Dass die strafmündigen bP strafrechtlich unbescholten sind, ergibt sich aus den vom erkennenden Gericht durchgeführten Abfragen im Strafregister. Allfällige Verwaltungsübertretungen sind nicht aktenkundig.
Im Hinblick auf ihren gesundheitlichen Zustand legten die bP während des gesamten Verfahrens dar, gesund zu sein. Lediglich zur minderjährigen bP 6 wurden im Laufe des Verfahrens ein Laborbefund vom römisch 40 .2021 in Vorlage gebracht und von den Eltern vage gesundheitliche Probleme in den Raum gestellt, wobei völlig unklar blieb, woran die bP 6 genau gelitten haben soll.
Die bP 6 gab am 07.07.2021 vor der belangten Behörde selbst an, dass sie seit ca. 2 Monaten an zu hohem Puls leide und 2 Medikamente einnehme. Es wurde in Folge nur der erwähnte unauffällige Bluttest vom Juni 2021 vorgelegt sowie eine Medikamentenverordnung vom Juli 2021 betreffend ein Eisen- und ein Folsäurepräparat. In der später erfolgten Einvernahme im Februar 2023 führte die bP 6 auf die Frage, ob sie an gesundheitlichen Problemen leide oder litt aus, dass sie völlig gesund sei und keine Medikamente benötige. In der Beschwerdeverhandlung wurde von ihr zweifelsfrei vorgebracht, dass sie weder Medikamente einnehmen muss, noch, dass sie sich in medizinischer Behandlung befindet und war daher festzustellen, dass die bP alle gesund sind.
Die festgestellte Arbeitsfähigkeit der volljährigen bP ergibt sich aus ihren Schilderungen zum Gesundheitszustand und etwaigen vorherigen beruflichen Tätigkeiten.
Die Wohnsitznahmen bzw. derzeitigen Wohnverhältnisse ergeben sich durch Einsichtnahme in das ZMR und den Angaben der bP in der mündlichen Verhandlung.
Dass die bP erste soziale Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet geknüpft haben, ergibt sich aus ihren Schilderungen vor dem Bundesverwaltungsgericht in der Beschwerdeverhandlung. Etwaige Unterstützungserklärungen (mit Ausnahme eines Unterstützungsschreibens zur bP 6 vom Februar 2023) wurden nicht in Vorlage gebracht, auch haben sich im gesamten Verfahren keine tiefergreifenden Freundschaften oder Beziehungen zu in Österreich aufhältigen Personen – außerhalb des Familienverbandes – ergeben. Die bP selbst konnten in der Verhandlung keinerlei besondere soziale Vernetzung oder freundschaftliche Beziehungen zu bestimmten Personen darlegen. Seit der Verhandlung wurden keine weiteren Unterlagen vorgelegt und wurde auch im Rahmen der Stellungnahme vom 12.06.2023 kein weiteres Vorbringen zur Integration erstattet, sodass das BVwG davon ausgeht, dass die geschilderte Situation der bP in diesem Zusammenhang noch aktuell ist.
Die Feststellungen hinsichtlich der von den bP jeweils in Anspruch genommenen Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber ergeben sich zweifelsfrei aus den angefertigten Auszügen aus dem Betreuungsinformationssystem. Die festgestellte Erwerbstätigkeit der bP 3 ergibt sich durch Einsichtnahme in das AJ-WEB Auskunftsverfahren und die in Vorlage gebrachten Beschäftigungsbewilligungen und diesbezügliche Unterlagen.
Feststellungen zu weiteren Integrationsmaßnahmen der bP beruhen auf ihren Aussagen in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht und in Vorlage gebrachten Unterlagen, wobei etwa die behaupteten ehrenamtlichen Tätigkeiten der bP1 im Jahr 2022 nicht bescheinigt wurden und dementsprechend auch nicht festgestellt werden konnten bzw. selbst im Falle der dargestellten vereinzelten Tätigkeiten keine besonderen Integrationsbemühungen daraus ableitbar wären. Die jeweils festgestellten Deutschkenntnisse gründen sich auf die Wahrnehmungen des erkennenden Gerichts und die in Vorlage gebrachten Unterlagen zu Deutschkursen (Deutschpässe). Keine der bP konnte den Erwerb eines Deutschzertifikats nachweisen. Der Schulbesuch der bP6 und bP7 ist durch die in Vorlage gebrachten Zeugnisse entsprechend nachgewiesen. Zu den Deutschkenntnissen der minderjährigen bP7 können keine abschließenden Feststellungen getroffen werden; zweifelsfrei fest steht lediglich, dass das entsprechende Schulfach nicht benotet wurde und ihr aufgrund des Schulbesuches geringfügige Deutschkenntnisse zugestanden werden.
Die Feststellungen zum Zeitpunkt der Asylantragstellung und der bisherigen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet ergeben sich unzweifelhaft aus dem Akteninhalt, ebenso wie der Umstand, dass die bP über keine weiteren Aufenthaltstitel verfügen.
Feststellungen zu den Dublin-Verfahren wie auch den unterschiedlichen Angaben der bP zu ihrer Identität (Namen und tw. Geburtsdaten) sind den entsprechenden Verfahrensakten und Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes zu entnehmen.
Die direkte und gefahrlose Erreichbarkeit der Heimatstadt der bP über den Flughafen der Stadt Erbil und sodann weiter über die Schnellstraße Nr. 3 oder alternativ Nr. 2 ergibt sich aus den Angaben zur Straßensicherheit im Country of Origin Information Report der EUAA vom Januar 2022. Gegenteilige Behauptungen wurden im Verfahren nicht vorgebracht und haben die bP insbesondere zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass eine Rückkehr in die Herkunftsregion aufgrund unsicherer Verkehrswege nicht möglich sei. Berichte über sicherheitsrelevante Vorfälle im Gouvernement Dahuk betreffen in der Regel nicht die Sicherheit von Verkehrswegen.
römisch II.2.3. Zum asylrelevanten Vorbringen der bP:
In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene freie Beweiswürdigung im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze im Wesentlichen von ihrem objektiven Aussagekern her in sich schlüssig und stimmig ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Behörde einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubhaft anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen. Als glaubhaft könnten Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt vergleiche zB. VwGH 6.3.1996, 95/20/0650). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.2.1993, 92/03/0011; 1.10.1997, 96/09/0007).
Aus dem Wesen der Glaubhaftmachung ergibt sich insbesonders:
● dass die Ermittlungspflicht der Behörde / des BVwG grds. durch die (auf Nachfrage) vorgebrachten Tatsachen und angebotenen Beweise eingeschränkt ist (VwGH 29.3.1990, 89/17/0136; 25.4.1990, 90/08/0067);
● ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte ist die Behörde / das Bundesverwaltungsgericht nicht verpflichtet jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen vergleiche VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN);
● nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann die Beurteilung eines „gar nicht erstatteten Vorbringens“ mitunter sogar auch zu einer vom VwGH wahrzunehmenden Rechtsverletzung führen vergleiche zB VwGH 9.9.2010, 2007/20/0558 bis 0560; 10.08.2018, Ra 2018/20/0314);
● die allgemeine Behauptung von Verfolgungs- bzw. Gefährdungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen vergleiche VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN).
Nach der Judikatur des VwGH sind grds. weder die Behörde noch das VwG verpflichtet, einer asylwerbenden Person im Wege eines Vorhaltes zur Kenntnis zu bringen, dass Widersprüche vorhanden sind, die im Rahmen der gemäß Paragraph 45, Absatz 2, AVG vorzunehmenden Beweiswürdigung zu ihrem Nachteil von Bedeutung sein könnten, und ihr aus diesem Grund eine Stellungnahme hiezu zu ermöglichen vergleiche VwGH 29.01.2021, Ra 2021/14/0011; 28.06.2018, Ra 2017/19/0447, mwN).
Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten -–z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.01.2001, Zl.2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.02.2001, Zl. 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.
Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden. (VwGH v. 29.6.2000, 2000/01/0093).
römisch II.2.3.1. Die Feststellungen zur Ausreise aus dem Irak und der schlepperunterstützten Reise nach Österreich ist den dahingehend konsistenten Angaben der bP zu entnehmen. Dementsprechend reisten die bP gemeinsam legal und unter Verwendung ihrer Reisepässe aus dem Irak aus und hatten dabei laut eigenen Angaben keine Schwierigkeiten mit den Behörden zu gewärtigen. Gleichlautend wurde dabei geschildert, dass ein weiteres Familienmitglied die bP über die Grenze in die Türkei brachte, welche Familienmitglieder die Familie nunmehr bei der Ausreise unterstützten (Onkel, Bruder der bP 1, Schwester der bP 3 -7 welche nicht mitreiste, Neffe) kann aufgrund der divergierenden Angaben der bP nicht festgestellt werden. Gerade der Umstand, dass selbst zu derart einfach zu klärenden Angaben widersprüchliche Angaben vorliegen, erweckt schon erhebliche Zweifel an der persönlichen Glaubwürdigkeit der bP.
Der genaue Zeitpunkt der Ausreise kann mangels Vorlage der Reisepässe oder anderer Dokumente wie auch unterschiedlichen Angaben der bP nicht festgestellt werden. Die Familie flog glaubhaft gemeinsam von Diyarbakir nach Istanbul und setzte sodann ihre Reise schlepperunterstützt fort. Nicht nachvollziehbar ist demgegenüber, dass die bP 4 behauptete, dass sie die Reisepässe von Istanbul aus zurück in den Irak geschickt hätten. Einen Grund dafür könne die bP 4 nicht angeben und macht ein derartiges Verhalten nur dann Sinn, wenn man davon ausgeht, das den bP bewusst war, dass die Reisepässe eine etwaige Abschiebung aus der EU erleichtert ermöglichen würden und sie dies unbedingt schon im Vorfeld verhindern wollten. Die bP 3 vermeinte wiederum erstbefragt, dass sich ihr Reisepass beim Vater in Österreich befände, wobei dieser in der Verhandlung angegeben hat, dass sie die Reisepässe in der Türkei den Schlepper übergeben hätten. Die bP 3 versuchte dann in der Verhandlung zu erklären, warum sie „gedacht“ hätte, dass der Vater den Reisepass habe, verwickelte sich jedoch schon bei diesem an sich einfachen Sachverhalt in diverse Widersprüche in der Verhandlung.
Generell war auch das Verhalten der bP in Bezug auf die vorerst getätigte Asylantragstellung in Bulgarien und die dann erfolgte Weiterreise nach Österreich gerade nicht geeignet dazustellen, dass die bP tatsächlich auf der Suche nach Schutz ihr Land verlassen hätten. Hierzu wird festgehalten, dass gerade die Angaben der bP zum Fluchtweg gegen ihr Vorbringen, Schutz vor Verfolgung finden zu wollen, sprechen. Hätten die bP tatsächlich ihr Heimatland lediglich wegen der Suche nach Schutz verlassen, wäre dieses Ziel bereits in anderen Ländern (Länder an den Außengrenzen der EU, durchreiste EU Länder) erreicht gewesen, wohin sie als irakische Staatsangehörige – teilweise legal- auch leicht reisen hätten können. Die aktenkundigen Dublin-Verfahren bestätigten grundsätzlich die Zuständigkeit Bulgariens zur Führung der Asylverfahren der bP, letztendlich erfolgte die Überstellung der bP nicht innerhalb der in Artikel 29, Absatz eins, Dublin-III-VO festgelegten Frist von sechs Monaten und ging somit die Zuständigkeit über. Die bP haben es offensichtlich aus persönlichen Gründen vorgezogen, Bulgarien zu verlassen, da sie in ein „besseres“ Land reisen wollten bzw. wie die bP 2 und auch teilweise ihre Kinder vermeinten, dass dort das Essen nicht geschmeckt hätte. Vor allem haben die bP in diesem Zusammenhang auch jedenfalls über ihre Identität getäuscht, da sie in Bulgarien wie auch in Österreich im Rahmen des durchgeführten Dublin Verfahrens sich noch gänzlich anderer Personaldaten bedienten. Dass man Namen verwechselt hätte und die bP keine Schuld an den falschen Angaben hätten, erhellt sich für das BVwG nicht, da den bP offensichtlich bewusst war, wie wichtig ihre Identitätsdaten für eine etwaige Rückführung sind und sie in diesem Zusammenhang auch über den Verbleib der Reisepässe nicht nachvollziehbare Angaben tätigten. Gänzlich unplausibel sind die Angaben der bP 1 in der Verhandlung, dass ihnen in Bulgarien kein Dolmetscher bzw. gemäß später revidierter Angabe nur ein Dolmetscher, der sie nicht verstanden hätte, zur Verfügung gestellt worden sei und die Behörden dort einfach eingetragen hätten, was sie wollten und den bP erst im Rahmen der Einvernahmen in Österreich aufgefallen wäre, dass die Daten falsch sind.
Die bP1 konnte als einziger konkrete Angaben zu den Kosten der schlepperunterstützten Reise tätigen und nannte in der Erstbefragung einen Betrag von 35.000 $. Wenn die bP1 sodann in der Beschwerdeverhandlung behauptet, ihr Neffe hätte sich um alles gekümmert und 3.000 $ für die gesamte Reise hinterlegt bzw. würde dies den Gesamtbetrag darstellen so kann dieser Betrag schon nicht mit den Angaben in anderen Verfahren in Hinblick auf eine 7köpfige Familie in Einklang gebracht werden. In Rumänien wurde die Familie jedenfalls getrennt und reisten die Eltern mit den minderjährigen Töchtern und der bP5 vor ab weiter; bP3 und bP4 folgten nach.
Aus den Ausführungen der volljährigen bP ergibt sich letztlich eindeutig, dass sie nach Deutschland zum weiteren Sohn der bP1 und bP2 wollten und schon aus diesem Grund Ziel nicht das erste etwaigen Schutz gewährende Land war.
römisch II.2.3.2. Die bP wenden in den Beschwerden ein, dass den Aussagen in der Erstbefragung zu den Fluchtgründen keine relevante Bedeutung zukomme, weil diese nicht dazu gedacht wäre, die Fluchtgründe erschöpfend darzustellen.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass sich die Erstbefragung Paragraph 19, Absatz eins, AsylG 2005 zufolge nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat und gegen eine unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen Bedenken bestehen vergleiche VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061 mwN). Dennoch fällt im gegenständlichen Fall ins Gewicht, dass etwa die bP5 bei der Erstbefragung lediglich die allgemein unsichere Lage sowie die Angst vor den türkischen Truppen erwähnt, jedoch persönliche Ereignisse, etwa die später zentral werdende Behauptung, sie wäre aufgefordert worden, mit der PKK zu kämpfen bzw. dass es einen Entführungsversuch gegeben hätte (Auto einsteigen sollen), überhaupt nicht ins Treffen führte. Auch die bP4 gab in ihrer Erstbefragung lediglich allgemein an, in ihrer Heimat herrsche Krieg und ihr „Dorf“ sei zerstört worden, weil es ein Kriegsschauplatz zwischen PKK und türkischer Armee sei. Die bP 3 meinte erstbefragt noch, dass sie wegen der Armut keine Schule mehr besuchen hätte können und hier in Österreich mit ihrer Familie leben wolle. Selbst die bP2 führte erstbefragt aus, aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der schlechten wirtschaftlichen Lage im Irak die Heimat verlassen zu haben. Auch nachgefragt führte sie lediglich die allgemein unsichere Lage ins Treffen und vermeinte, keine weiteren Gründe zu haben. Schließlich erwähnte sogar die bP 1 erstbefragt noch keine konkreten Probleme mit einem Gläubiger, sondern erwähnte nur, dass sie von Firmen gepfändet worden sei und es auch ein Gerichtsverfahren gegen sie gäbe, da sie jemanden Geld schuldig sei. Dass nicht einmal die bP 1 selbst diese später sogar als Mitglied der Mafia bezeichnete Person erwähnt, die letztlich Grund für ihre Ausreise gewesen sei, spricht schon gravierend gegen die Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens sowie auch generell gegen die Glaubwürdigkeit der Angaben der gesamten Familie im Rahmen einer Gesamtbetrachtung.
Selbst wenn die Erstbefragung keine detaillierte Aufnahme des Ausreisegrundes umfasst, wäre dennoch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts zu erwarten gewesen, dass schon in der Erstbefragung von den bP die unmittelbar ihre Person betreffenden Vorfälle dargelegt werden, anstatt sich lediglich auf die allgemeine unsichere sowie wirtschaftlich schlechte Lage zu beziehen. Vor allem hat keine der bP auch nur am Rande eine Verfolgung der bP 1 durch einen bestimmten Gläubiger erwähnt, was schon im Hinblick darauf verwundert, dass vor der bB dies dann später als der wesentliche Ausreisegrund dargestellt wird.
Gegenständlich haben die bP ausdrücklich angegeben, dass sie von Anbeginn vorhatten, in Europa bzw. Deutschland ihre Anträge zu stellen. Aussagehemmende Faktoren wurden seitens der bP nicht konkret dargelegt, die sie daran gehindert hätten, schon bei der Erstbefragung die Fluchtgründe zumindest im Ansatz bekannt zu geben. Auch finden sich jeweils im von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgenommenen Befragungsprotokoll keine Hinweise, dass sich der Gesundheitszustand bzw. der sonstige allgemeine Zustand einer der bP so schlecht darstellte, dass sie nicht in der Lage gewesen wäre, der Befragung zu folgen und vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen. So zeigt auch der Inhalt der Protokolle, dass sie in der Lage waren, an sie gerichtete Fragen vollständig zu beantworten und bestehen keine Hinweise, dass die Postulationsfähigkeit bei der Schilderung der Ausreisegründe bzw. Rückkehrhindernisse eine herabgesetzte gewesen wäre. Mit ihren Unterschriften bestätigten die bP die Richtigkeit der Protokolle.
Es ist - entgegen der Auffassung der bP- auch nicht unvertretbar, in den in der Erstbefragung als Fluchtgrund geäußerten allgemeinen Sicherheitsbedenken sowie der Anführung von wirtschaftlichen Problemen einen anderen Fluchtgrund zu sehen als in den nachfolgend vorgebrachten Problemen mit einem Gläubiger der bP 1 bzw. dem Versuch einer Zwangsrekrutierung vergleiche zB. VwGH 17.05.2018, Ra 2018/20/0168-3). Es ist schon nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen vergleiche VwGH 20.7.2020, Ra 2020/01/0210, mwN; 19.10.2020, Ra 2020/01/0362-7).
Vor allem haben die bP auch ganz unterschiedlich versucht, die Divergenzen zu erklären, und haben ihre Behauptungen nur eines gemein, nämlich, dass sie spekulativ und angesichts der unbestritten gebliebenen und protokollierten Tatsache, dass die Niederschriften rückübersetzt und keine Beanstandungen gemacht wurden, nicht überzeugend waren. So gab die bP 4 an, bei der Erstbefragung müde gewesen zu sein, die bP 5 vermeinte, dass sie sehr wohl in der Erstbefragung angegeben hätte, dass die PKK versucht habe sie zu rekrutieren, ohne dann erklären zu können, warum sie das Erstbefragungsprotokoll unterschrieben hat und auch in der Einvernahme vor der bB vorerst über Vorhalt der Angaben bestätigte, dies angegeben zu haben. Die bP 3 schwieg sichtlich mangels Erklärung zum entsprechenden Vorhalt von der bB und hat auch die bP 2 nicht erklärt, warum sie die Probleme ihres Ehegatten nicht schon früher erwähnte.
Dem Beschwerdevorbringen, die volljährigen, gesunden und noch dazu männlichen bP hätten sich ob des „partriarchischen“ Systems in der Erstbefragung noch nicht getraut, eigene Fluchtgründe zu nennen, kann vom Gericht nicht gefolgt werden. Denn „Gründe“ wurde ja sehr wohl behauptet – eben gerade nicht jene der bP1, sondern allgemein gehaltene und insbesondere nur auf die Sicherheits- und Wirtschaftslage bezogen. Hemmende Faktoren für die weiblichen bP durch Anwesenheit von Männern wurden auch nur in den Beschwerden behauptet und können schon vor dem Hintergrund nicht nachvollzogen werden, dass die weiblichen bP dann auch in der Verhandlung vor der weiblichen Richterin keinerlei weiteren Probleme anführten und sich letztlich auch nur auf die Gründe der bP 1 stützten.
An dieser Stelle wird auch darauf hingewiesen, dass die Frage, ob eine Beweisaufnahme im verwaltungsgerichtlichen Verfahren notwendig ist, grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung durch das Verwaltungsgericht unterliegt vergleiche VwGH 30.9.2019, Ra 2019/01/0329).
In Bezug auf den in der Beschwerdeschrift der bP 1 ua. gestellten Antrag, (die bP mussten flüchten und hätten auch auf der Flucht „schlimme Erlebnisse“ durchlebt, welche sie noch heute psychisch belasten und werde einerseits auch ein medizinisches Gutachten in Bezug auf die Auswirkungen wie posttraumatische Belastungsstörungen in Folge der Fluchterlebnisse beantragt und andererseits die Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin und Richterin) wird festgehalten, dass hier kein tauglicher Beweisantrag vorliegt. Ein tauglicher Beweisantrag liegt nach der Rsp des VwGH nur dann vor, wenn darin sowohl das Beweisthema wie auch das Beweismittel genannt sind und wenn das Beweisthema sachverhaltserheblich ist (VwGH 24.1.1996, 94/13/0152; Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht, 3. Auflage, S 174).
Die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist an sich schon nicht geeignet, Aufklärung über etwaige Ursachen von durch nichts belegten posttraumatischen Belastungsstörungen zu geben bzw. etwas über die Nachvollziehbarkeit des Fluchtvorbringens auszusagen vergleiche VwGH 18. März 2021, Ra 2021/18/0091-8; 22.11.2019, Ra 2019/20/0286, mwN).
Aus sachlicher Sicht setzt ein Beweisantrag voraus, dass er „prozessual ordnungsgemäß“ gestellt wird, denn nur dann ist er als solcher beachtlich. Entscheidend für einen Beweisantrag ist vor allem die Angabe des Beweismittels und des Beweisthemas, also der Punkt und Tatsachen, die durch das angegebene Beweismittel geklärt werden sollen. Erheblich ist ein Beweisantrag jedoch in der Folge nur dann, wenn Beweisthema eine Tatsache ist, deren Klärung, wenn diese schon nicht selbst erheblich (sachverhaltserheblich) ist, zumindest mittelbar beitragen kann Klarheit über eine erhebliche (sachverhaltserhebliche) Tatsache zu gewinnen (Hinweis, Stoll, BAO-Handbuch, 1891). Beweise bei einem nur unbestimmten Vorbringen müssen nicht aufgenommen werden (Hinweis VwGH 20.1.1988, 87/13/0022, 0023; VwGH 24.01.1996, 94/13/0125); Thienel Verwaltungsverfahrensrecht, 3. Auflage, S 174)
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, wenn es auf sie nicht ankommt oder wenn das Beweismittel – ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung – untauglich ist vergleiche VwGH vom 27. Februar 2003, Zl 2002/20/0492; VwGH 24. 4. 2003, 2000/20/0231). Das ho. Gericht ist daher nicht verhalten, dem Beweisantrag zu entsprechen, da dieser schon viel zu unbestimmt ist und letztlich nicht einmal ersichtlich ist, welche bP an einer Belastungsstörung leiden würden. Vielmehr wurde hinsichtlich aller bP – mit Ausnahme den Behauptungen in Zusammenhang mit der bP 6 – angegeben, dass sie gesund sind und wäre mit einem derartigen Gutachten auch Nichts zur Wahrheitsfindung in gegenständlichen Verfahren beigetragen.
römisch II.2.3.3. Das BVwG konnte sich in der Verhandlung zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussagen der beschwerdeführenden Parteien zudem zum ausreisekausalen Erlebnis einen persönlichen Eindruck und damit von ihrem verbalen sowie nonverbalen Verhalten und vom Inhalt ihrer Aussagen, als die wesentlichen Entscheidungskriterien der Glaubhaftigkeitsbeurteilung, Kenntnis verschaffen.
Hinsichtlich des Inhaltes der gemachten Angaben wurde unter Zugrundelegung von allgemein anerkannten Realkennzeichen einer wahren Aussage nicht der Eindruck erweckt, dass die bP 1 gerade im Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen von tatsächlich persönlich so erlebten Realereignissen sprach. An dieser Stelle sei bereits festgehalten, dass entgegen den Behauptungen in den Beschwerden auch in der Verhandlung – wie schon im erstinstanzlichen Verfahren – keine der bP Probleme ob ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit schilderte, keine der volljährigen bP gemäß ihren Angaben politisch im Irak aktiv war und auch keine Probleme mit staatlichen Organen im Irak bzw. der KRI geschildert wurden.
Insbesondere waren die Angaben der bP in der Verhandlung – wie noch aufzuzeigen ist - teilweise völlig unplausibel, widersprüchlich und manchmal auch lebensfremd. Zum Vorbringen der bP im Hinblick auf die angeblichen Probleme der bP 1 mit einem Gläubiger ist vorweg nochmals darauf hinzuweisen, dass sich letztlich im Zeitpunkt der Einreise bei der Erstbefragung weder die bP 2, noch ihre Kinder auf die Fluchtgründe der bP1 stützten. Zudem haben sich die bP 2 und die Kinder auch im weiteren Verfahren hinsichtlich der Fluchtgründe im Zusammenhang mit der bP 1 in Widersprüche verwickelt und konnten letztlich selbst keinerlei konkrete Angaben zur Unterstützung des Vorbringens der bP 1 tätigen, da sie an sich alle vermeinten, nie persönlich einem Übergriff in diesem Zusammenhang ausgesetzt gewesen zu sein und auch nie einen Übergriff auf die bP 1 selbst wahrgenommen zu haben. Die bP 2-6 vermochten mit ihren Angaben das Fluchtvorbringen der bP 1 gerade nicht zu stützen. Daran ändert auch die erstmals in der Beschwerdeverhandlung getätigte Aussage der bP 6, sie sei bei den Bedrohungen gegen die bP 2 zuhause gewesen nichts, da sie diese vor der bB noch mit keinem Wort erwähnt hat und ihre Aussagen zudem völlig oberflächlich waren und auch keine persönliche Betroffenheit erkennbar war. Letzteres wäre bei der Anwesenheit mehrerer bewaffneter Männer anzunehmen gewesen und waren schon die Angaben der bP 2 zu den angeblichen Nachfragen des Gläubigers bei ihr zu Hause nicht glaubwürdig.
Während auch gerade in den Beschwerden behauptet wurde, die bP 1 hätte sich im Irak vor der Ausreise schon verstecken müssen, verneinte die bP 2 vorerst die Frage, ob ihr Ehegatte zeitweise auswärts geschlafen habe in der Verhandlung und meinte, sie hätte im Heimatort immer gemeinsam mit dem Mann gelebt. Erst konkret nachgefragt, ob der Mann sich jemals verstecken musste, schwenkte die bP 2 um und vermeinte, ja sehr oft, er habe sich im Restaurant, in dem er gearbeitet habe, versteckt, was an sich schon kein Verstecken bedeuten kann, da gerade am Arbeitsplatz wohl nach ihm gesucht worden wäre. Die bP 1 wiederum gab im Widerspruch befragt dazu von der Richterin an, dass sie zu anderen Leuten wie beispielsweise ihrer Schwester gegangen sei und dort geschlafen hätte. Gerade diese groben Widersprüche in Details in der Verhandlung zeigen, dass die bP zwar versucht haben, ihre Rahmengeschichte abzusprechen, bei Nachfragen in Details jedoch offene Lücken auftraten, sie sich in Widersprüche verwickelten und versuchten, in der Verhandlung den Fragen auszuweichen bzw. möglichst keine nachprüfbaren Details anzugeben. Dies zeigte sich beispielsweise auch darin, dass die bP 1 nach mehreren Nachfragen zu Drohungen gegen ihre Person in der Verhandlung plötzlich erstmalig vermeinte, ihre Handynummer wegen der Drohungen gewechselt zu haben. Die darauf offenbar unvorbereitete bP 2 versuchte vorerst den Fragen auszuweichen, vermeinte wie mehrfach an anderen Stellen auch, keine Erinnerungen mehr bzw. etwas vergessen zu haben und gab dann aber nach mehrfachen Nachfragen an, dass die bP 1 zuvor nie die Nummer gewechselt hätte, sondern erst in Österreich eine neue österreichische Nummer erhalten hätte.
Ähnlich war das Verhalten der bP 4 und 5 in der Verhandlung befragt zu ihrer angeblichen Zwangsrekrutierung zu bewerten. So waren die Angaben bereits dazu, ob sie jemals an einem anderen Ort als in römisch 40 gelebt haben bereits widersprüchlich und wird beispielhaft aus dem Protokoll hinsichtlich der bP 4 diesbezüglich zitiert:
RI: Wie oft sind sie innerhalb des Iraks vor ihrer Ausreise umgezogen? Geben Sie bitte die einzelnen Orte mit Jahresangaben an, wo sie im Irak je gelebt haben!
P: Ich war immer in römisch 40 , aber in zwei Bezirken.
RI: Wie lange haben Sie mit den Eltern im gemeinsamen Haushalt gelebt?
P: Mein ganzes Leben.
RI: Was war der Grund warum Sie ihr Heimatland verlassen haben? Schildern Sie bitte kurz die Eckdaten der Probleme!
P: In dem Dorf, wo mein Bruder und ich gelebt haben, gab es Kampfhandlungen zwischen den Türken und den PKK Kämpfern. Meinem Bruder wurde gesagt, dass er und ich in die Kampfhandlungen der PKK ziehen sollten. Wir haben beide abgelehnt.
RI: Sie gaben vorhin an, das sie nirgendwo anders, als in römisch 40 gelebt haben?
P: Meine Tante lebt noch weiterhin in diesem Dorf. Mein Bruder war dort. Ich war auch dort im Jahr e2020, für drei Monate. Während meines Aufenthaltes in diesem Dorf, wurde mein Bruder von der PKK aufgefordert, mit mir gemeinsam Waffen zu tragen. Wir wollten aber keine Waffen tragen.
Zusätzlich zu den gravierenden Widersprüchen dazu, ob überhaupt ein Aufenthalt der bP 4 und 5 in dem besagten „Dorf“ stattgefunden hat, führte die bP 4 auch erstmalig in der Verhandlung an, dass sie einmal dabei gewesen sei, als ihr Bruder von der PKK aufgefordert worden sei, sich ihnen anzuschließen. Damals hätte man ihnen gesagt, sie sollen mitgehen und man würde ihnen beibringen, wie man mit einer Waffe umgeht. Die bP 5, welche bereits einen gescheiterten Ausreiseversuch in die EU im Jahr 2019 hinter sich haben will, weil sie in diesem Dorf eben Probleme mit der PKK gehabt hätte, konnte schon nicht erklären, warum sie dann nach gescheiterter Flucht und Rückkehr in den Irak nochmals wie behauptet 2020 gerade in dieses angeblich gefährliche Dorf zurückgekehrt sei. Abgesehen davon, dass sie nunmehr in der Verhandlung entgegen dem bisherigen Vorbringen ihre Angaben auch dahingehend steigerte, dass sie sogar tatsächlich an der Waffe ausgebildet worden wäre, verneinte die bP 5 dezidiert, dass ihr Bruder einmal dabei gewesen sei, als sie selbst Kontakt mit der PKK gehabt habe. Sie wisse nicht, ob der Bruder auch eine Aufforderung erhalten hat.
Keine der bP konnte auch nur ansatzweise glaubhaft konkrete Bedrohungs- oder Verfolgungshandlungen konkretisieren. Den gänzlich vage und oberflächlich gebliebenen sowie in sich widersprüchlichen Schilderungen in der Verhandlung kann bereits für sich betrachtet keine glaubwürdige Verfolgungshandlung von maßgeblicher Intensität entnommen werden und sprechen vor allem die aufgezeigten, gravierenden Widersprüche in der Verhandlung gegen die persönliche Glaubwürdigkeit der bP.
Die bP 1 gab in der Verhandlung völlig undetailliert an:
RI: Was war der Grund warum Sie ihr Heimatland verlassen haben? Schildern Sie bitte kurz die Eckdaten der Probleme!
P: Die Gläubiger haben mir gedroht, weil ich nicht mehr imstande war, die Schulden zurückzuzahlen. Mein Leben war in Gefahr.
RI: Was war der unmittelbare Grund, warum Sie ausgerechnet im Februar 2021 ihr Heimatland verlassen haben?
P: Ich habe zu diesem Zeitpunkt festgestellt, dass ich nicht fähig bin, die Schulden zurückzahlen. Mir wurde klar, dass ich dort nicht mehr bleiben kann, weil ich weiß, dass diese Leute ihre Drohung wahrmachen und mich töten. Es ist oft geschehen, dass Leute wegen Geschäfte getötet wurden.
RI: Wer sollte Sie aktuell aus welchem Grund bei einer Rückkehr in das Heimatland verfolgen?
P: Ein Mann namens Ramazan ist wütend auch mich. Bei ihm haben ich die meisten Schulden.
RI: Wie hieß der Mann genau, mit dem Sie Probleme hatten?
P: Ich weiß zwar nicht, wie er heißt. Er hat eine große Firma für Großhandel für Reis, Tomatenmark und andere Lebensmittel.
Ähnlich vage führte die bP 2 aus:
RI: Wie oft kam dieser Mann zu ihnen nach Hause? Wann kam er genau zu ihnen nach Hause? Wer von ihrer Familie war anwesend? Machen Sie bitte konkrete Angaben zu Datum, anwesenden Personen und Häufigkeit der Besuche!
P: Meine beiden jüngeren Töchter waren zu Hause. Drei Mal waren sie bei mir zu Hause, wie ich mich erinnere. Die beiden Töchter waren damals sehr klein.
Dessen ungeachtet kann einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung ohnedies nur dann Asylrelevanz zukommen, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten vergleiche VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010, mwN) und ist gegenständlich festzuhalten, dass die bP nicht vorbrachten, Schutz der staatlichen Organe in der KRI gesucht zu haben oder dass ihnen Schutz und Hilfe nicht zuerkannt worden wäre. Laut den Aussagen der bP2 in der Beschwerdeverhandlung habe sich diese schlichtweg „nicht getraut“ Anzeige zu erstatten, konnte jedoch nicht glaubhaft machen, wie sie zu dieser Einstellung kam. Die bP 1 steigerte ihr Vorbringen in diesem Zusammenhang in der Verhandlung sogar nochmals gravierend, indem sie befragt nach einer etwaigen Schutzsuche bei Behörden erstmalig behauptete, dass der sie verfolgende Gläubiger R sogar ein Mafioso gewesen sei.
Soweit die Vertretung in den Beschwerden bzw. allgemein in Ausführungen – im Gegensatz zu den bP - anführt, dass ihnen „mangels unterstützenden sozialen oder familiären Netzwerkes“ eine Rückkehr nicht zumutbar sei, kann dem auch nicht gefolgt werden. Die bP wurden im Rahmen einer offenen Fragestellung in der Verhandlung aufgefordert, alle Probleme, die sie im Falle einer Rückkehr in die Herkunftsregion erwarten, anzugeben. Die bP sind in römisch 40 aufgewachsen, wurden dort sozialisiert und waren dort teilweise beschäftigt bzw. besuchten die Schule. Die Familie hat noch Verwandte und auch Freunde dort, mit denen sie in Kontakt steht. Ausgehend davon, dass die bP nicht den Eindruck erweckten, dass sie die Lage in ihrer Heimatregion, wo sie aufgewachsen sind und gelebt haben, nicht einzuschätzen vermögen – so verzichteten sie etwa schon großteils auf eine Stellungnahme zu den Berichten vor der bB - folgt das BVwG den persönlichen Angaben der bP hinsichtlich der Rückkehrbefürchtungen in der Verhandlung.
Zur Feststellung, dass die bP – die im Herkunftsstaat sozialisiert wurden und dort bis zur Ausreise auch lebten - im Falle der Rückkehr keine persönlichen Probleme hinsichtlich der Versorgungslage in Bezug auf Unterkunft, medizinische Versorgung und Nahrung äußerten, ist anzuführen, dass die bP zum maßgeblichen aktuellen Zeitpunkt derartige Probleme bei einer Reintegration im Herkunftsstaat anlässlich der Aufforderung in der Verhandlung, alle Probleme anzugeben, die sie im Falle der Rückkehr erwarten, eben dezidiert nicht vorbrachten. Abgesehen davon ergeben sich auch aus der aktuellen Berichtslage keine diesbezüglichen, über die bloße Möglichkeit hinausgehende allgemeinen und exzeptionellen Umstände hinsichtlich der Versorgungslage.
Vielmehr haben die bP mit Ausnahme der bP 1 bei der Befragung vor der bB noch letztlich selbst allesamt angegeben, dass sie im Irak persönlich weder bedroht noch verfolgt worden wären, erst später im Zuge der Beschwerden und Beschwerdeverhandlung steigerten sie wiederum ihr Vorbringen. Zudem äußerten sie vor der bB nicht nur keine Rückkehrbefürchtungen, vielmehr gab die bP 3 beispielsweise sogar an:
F: Weshalb ist es anderen Familien im Irak möglich zu leben und den Lebensunterhalt zu
bestreiten und Ihnen nicht?
A: 10 Tage vor meiner Ausreise wurde mein Reisepass ausgestellt, bzw. hat mir mein
Vater gesagt, dass er mit uns das Land verlassen wollte, er wollte, dass ich nicht im Irak
bleibe, befragt, ja ich könnte mir das schon vorstellen in den Irak zurückzukehren, im
Falle einer Rückkehr könnte ich wieder im Irak normal leben und wieder arbeiten.
Den bP steht es als irakische Staatsbürger auch offen, am Public Distribution System (PDS) teilzunehmen, einem sachleistungsorientierten Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft und an die Bevölkerung verteilt. Auch wenn das Programm von schlechter Organisation gekennzeichnet ist und Verzögerungen bei der Ausgabe der Rationen dokumentiert sind, ist zumindest von einer Unterstützung im Hinblick auf den Bedarf an Grundnahrungsmitteln auszugehen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Familie in der Lage sein wird, in ihrer Herkunftsregion, in der zahlreiche Verwandte leben und arbeiten und zu denen sie in Kontakt stehen, eine Existenzgrundlage für sich (wieder) aufzubauen.
römisch II.2.3.4. Die bP1 selbst gründet letztlich ihre Flucht- und Rückkehrbefürchtung bzw. das Verfolgungsmotiv in der Erstbefragung, in der Einvernahme bei der bB und in der Beschwerde zumindest gleichlautend auf Probleme aus dem privaten Bereich, wonach sie gegenüber einem oder mehreren Gläubigern Schulden gehabt hätte und von dem Gläubiger „ römisch 40 “ in der Fassung R) bedroht worden wäre.
römisch II.2.3.4.1. Auffällig ist in diesem Zusammenhang bereits, dass die bP 4 zu diesem Fluchtgrund vor der bB lediglich meinte, der Vater habe den Entschluss gefasst, dass sie ausreisen und sie sei mitgegangen. Dass die damals schon volljährige bP 3 einfach mit den Eltern mitgegangen wäre, ohne auch nur im Ansatz zu ergründen, was nun der genaue Grund für die Ausreise ist (sie will erst in Österreich den tatsächlichen Grund erfahren haben), erscheint schon an sich nicht nachvollziehbar. Noch weniger ist plausibel, dass die P 4 dann bereits 4 Monate vor der Ausreise tatsächlich zu arbeiten aufgehört hätte, da der Vater gemeint hätte, sie müssten sich vorbereiten für die Reise. In der Verhandlung dann vermeinte die bP 4, dass sie nur 2 Monate als Wächter gearbeitet habe, dann hätte man keinen Bedarf mehr gehabt.
Zusätzlich erhellt sich für das BVwG nicht, warum die bP 4 nichts von den Problemen des Vaters im Irak gewusst haben will, die bP 3 demgegenüber aber angegeben hat, dass der Vater schon im Irak gesagt habe, er werde bedroht und sie müssten nach Europa reisen. Dass die zwei im Ausreisezeitpunkt volljährigen Brüder letztlich über Monate hinweg mit der Familie die Ausreise vorbereitet hätten, ohne dass sie wirklich konkrete Details oder überhaupt etwas - wie die bP 4 vermeint - betreffend der Probleme des Vaters mit einer Person namens R mitbekommen hätten, ist gänzlich unglaubwürdig. Es ist völlig lebensfremd, dass die bP4 von den ausreisekausalen Ereignissen im Winter 2020/21 nichts mitbekommen haben will, welche immerhin zum Verkauf des Familienhauses, der Anschaffung sämtlicher Reisepässe für die Familie, dem kompletten Abbruch des Lebens in der KRI und einer wochenlangen schlepperunterstützten Reise nach Europa geführt haben soll. Schließlich bezieht sich die bP4 in der Beschwerdeverhandlung überhaupt nicht mehr auf den Fluchtgrund ihres Vaters und lässt das ohnedies vage und oberflächliche Vorbringen wieder fallen.
Es erhellt sich auch nicht, dass die bP 2 gerade auch ihren Kindern nichts von den Besuchen von R erzählt hätte, und steigerte die bP 2 insbesondere in der Verhandlung nochmals ihr Vorbringen dahingehen, dass sie selbst „Bedrohungen“ ausgesetzt gewesen sei. Während sie vor der bB noch angegeben hat, dass 3x bei ihr nach ihrem Mann gefragt worden wäre und man dabei „laut“ mit ihr gesprochen hätte, versuchte sie in der Verhandlung plötzlich Morddrohungen bei diesen Besuchen zu konstruieren.
römisch II.2.3.4.2. Dass die Wirtschaftslage im Irak – wie auch der KRI - infolge des Krieges ab 2014 schlechter wurde und die bP1 2018 mit ihrem Geschäft in eine finanzielle Schieflage geraten ist, wird grundsätzlich nicht in Zweifel gezogen. Mangels Unterlagen und widersprüchlicher Angaben der bP1 können aber überhaupt keine konkreten Feststellungen zu Forderungen, Gläubigern, etwaigen Verfahren, Ratenvereinbarungen etc. getroffen werden. Es wäre an der bP 1 gelegen, ihr Vorbringen mit entsprechenden Unterlagen zu untermauern. Aus ihrem widersprüchlichen und in sich nicht stimmigen Vorbringen können in diesem Zusammenhang keine Schlussfolgerungen gezogen und keine Feststellungen getroffen werden. Sollte die bP1 diverse Schulden aufgrund ihrer früheren selbständigen Tätigkeit haben, so ist für das erkennende Gericht durchaus nachvollziehbar, dass der eine oder andere Gläubiger „wütend“ war und etwa auch Beschimpfungen oder Drohungen ausgesprochen hat. Eine Pfändung offener und offenkundig berechtigter Forderungen stellt jedenfalls auch keine asylrelevante Verfolgung dar und blieben die Angaben der bP 1 zu einem angeblichen Gerichtsverfahren im Irak wegen der Schulden in einem derart vagen Bereich, sodass auch dazu keine konkreten Feststellungen getroffen werden konnten. Einerseits gab die bP 1 erstinstanzlich an, dass sie wegen der Schulden bei einer Firma bei Gericht gewesen sei, um dann andererseits wieder nachgefragt anzugeben, dass sie weder zur Polizei noch zu Gericht gegangen sei. Die bP 2 wiederum vermeinte vor der bB lediglich, dass der Mann zu Gericht gehen hätte wollen, es aber kein Gerichtsverfahren gegeben hätte, da die anderen Personen dies nicht gewollt hätten. Auch in der Verhandlung vermeinte die bP 1 einerseits, dass die bP 1 nicht zu Gericht gehen habe wollen, sie selbst jedoch wegen der Konkurssache öfter bei Gericht gewesen sei. Die bP 3, welche im Geschäft des Vaters mitgearbeitet hätte, vermeinte in der Verhandlung vorerst auf die Frage, ob der Vater jemals bei Gericht gewesen sei, dass sie selbst diesen 2x begleitet habe. Genauer nachgefragt, worum es bei diesen Terminen ging, revidierte sie ihre Angaben und führte aus, dass sie nur wisse, dass der Vater 2x dort gewesen sei, sie könne sich aber an nichts Weiteres erinnern, es sei alles „wegen dem Geld“ gewesen.
Aus den eigenen Zahlungsschwierigkeiten ein glaubwürdiges Fluchtszenario rund um den ominösen Gläubiger R zu konstruieren, gelingt der bP1 jedenfalls nicht. Dies aufgrund eigener Widersprüche in ihren Aussagen, völlig unglaubwürdigen Begründungen und Divergenzen mit den Aussagen der andern P. Zudem kann festgehalten werden, dass es nicht nachvollziehbar ist, den Erlös aus dem Verkauf einer Liegenschaft und eines Hauses zwar für die Ausreise der Familie aus der KRI – nicht jedoch für die Begleichung offener Forderungen von Gläubigern, die in diesem Zusammenhang schon Drohungen wegen der Nichtbezahlung aussprechen – heranzuziehen. Sollte die bP1 - wie vor der bB behauptet - selbst noch Forderungen gegenüber Kunden aus den Jahren 2018 bis 2019 in Höhe von 25.000 $ gehabt haben, so hält es das BVwG auch nicht für glaubwürdig, dass diese über Jahre hinweg zur Gänze uneinbringlich gewesen sein sollen. Dass die bP1 selbst zu Gericht gegangen wäre, um diese Forderungen einzutreiben, behauptet sie nicht, was an sich Zweifel an deren Existenz aufkommen lässt. Wenn die bP1 vor der bB sodann behauptet, sie hätte das Geschäft 2018 geschlossen und an einen anderen übergeben, dann bleibt offen, was mit den Lebensmitteln und sonstigen Waren passiert ist und warum die bP hierfür keine Ablöse erhalten hat. Undeutlich und widersprüchlich sind auch die Aussagen der bP 1, was mit den im Geschäft befindlichen Inventar passiert ist. Auch hier ist schon nicht nachvollziehbar, warum sie diese nicht dem Nachfolger zur Ablöse angeboten hat, um ihre Schulden zu bezahlen. Sie behauptet dann aber, die Geräte zu ihrem Neffen gebracht zu haben, dieser habe sie verkauft – auch hier bleibt wieder gänzlich offen, warum die Familie sodann nicht die Schulden mit dem Erlös zurückbezahlt hat. Aus den Aussagen der bP1 lässt sich somit lediglich nachvollziehbar schließen, dass sie gegenüber Dritten uneinbringliche Forderungen unbekannter Höhe hatte. Das Bundesverwaltungsgericht kann somit jedoch nicht nachvollziehen, warum die bP nicht schon eher – etwa das Grundstück – verkauft hat, um ihre eigenen Schulden zurückzubezahlen.
Über die konkrete Schuldenhöhe können keine Feststellungen getroffen werden, weil es an Unterlagen mangelt und die bP1 auch in der Beschwerdeverhandlung kaum konkrete Angaben machte. Allerdings ist durchaus für die weiteren Überlegungen von Interesse, dass die bP1 in der Beschwerdeverhandlung ihre Schulden auf zweimal 15.000 $ sowie „Es gab auch andere Personen, denen ich kleinere Beträge schulde“ – kurzum jedenfalls weniger als die bP1 durch den Hausverkauf lukriert hatte, einschätzte. Die bP 1 versuchte mehrfach, einer konkreten Beantwortung der Frage auszuweichen, warum sie nicht die Gläubiger bzw. R vorrangig bezahlte, sondern vielmehr hohe Kosten für eine Schleppung der gesamten Familie auf sich nahm. Im Übrigen versuchte sie auch weiteren Fragen, wie Fragen zur finanziellen Unterstützung durch ihre Familie, auszuweichen. So hätte sie, als sie bereits im Ausland war, eine hohe Summe von der Familie erhalten, welche sie nicht zurückzahlen müsste, warum sie diese Summe nicht bereits im Irak zur Ableistung der Schulden erhalten hat, konnte sie nicht allein damit erklären, dass gerade da Ramadan war. Schließlich vermeinte die bP 1 an anderer Stelle dann, dass die 15000$ von einem Bekannten stammen würden, was wiederum gravierend mit den Angaben, das Geld sei von der Familie gekommen, in Widerspruch steht.
Schon die bB versuchte trotz der Widersprüche nochmals die Beweggründe der bP1 mit einer entsprechenden Fragestellung zu erforschen:
F: Wenn Sie die 15000$ bezahlen würden, wären dann die Probleme erledigt?
A: Ja, wenn ich das Geld R gebe, dann hätte ich kein Problem im Irak. Befragt, weshalb ich nach dem Verkauf der Häuser die Schulden mit R nicht beglichen habe gebe ich an, auf einmal hat er sich anders verhalten, er war wie ein Bruder, befragt, weshalb ich nach dem Hausverkauf die Schulden nicht beglichen habe, gebe ich an, er war wie ein Bruder, ich habe gesagt, ich muss den anderen Schulden bezahlen, ich habe gedacht, dass die Kunden ihre Schulden bei mir bezahlen werden, aber sie sind nicht gezahlt (25000 $), befragt, was ich mit den 37000$ gemacht habe gebe ich an, ich habe mehrere Firmen bezahlt, einer Firma: 8000$, einer Firma 12000$, einer Firma 5500$ , einer Firma 3800$, einer Firma 4500$, den Rest habe ich für mich und er Familie ausgegeben, befragt, die Gerichtsverhandlung war, im 25.01.2021 musste wegen Ramazan zu Gericht.
Damit bestätigt die bP1 – zumindest im ersten Satz – selbst, dass mit Tilgung der Schuld gegenüber R ihr Problem gelöst gewesen wäre. Dem BVwG erschließt sich wie bereits erwähnt schon nicht, warum der Familie der bP von Bekannten oder auch Verwandten während (!) der Reise Geld zur Verfügung gestellt wurde, aber der Familie vor (!) ihrer Ausreise bei Begleichung offener Forderungen nicht geholfen worden sein soll. Völlig unglaubwürdig im Zusammenhang mit den zuerst erstatteten Angaben, dass R wie ein Bruder bzw. ein sehr guter Freund gewesen sei, konnte die bP im gesamten Verfahren auch keinerlei konkrete Angaben zur Person des R ans sich machen, wie dies selbst im Falle einer auch nur bloßen Geschäftsverbindung zu erwarten wäre. Völlig unplausibel ist somit, dass die bP 1 nicht einmal den Nachnamen von R angeben konnte und konnte sie in der Verhandlung dann auch gesteigerte Vorbringen, dass R ein Mafioso sei nicht nachvollziehbar darlegen da sich schon nicht erhellte, warum ihr die kriminelle Ader des R nicht schon vorher aufgefallen ist, wenn sie doch selbst im Zusammenhang mit der Annahme der verbrecherischen Eigenschaften anmerkt, dass dieser und seine Leute immer Waffen getragen hätten.
römisch II.2.3.4.3. Was zur Frage überleitet, wer der ominöse Gläubiger R nunmehr tatsächlich gewesen sein soll und was dieser mit den behaupteten regelmäßigen Besuchen bei der Familie der bP hätte bezwecken wollen. Dazu ist mit Blick auf die Erstbefragung festzuhalten, dass die bP1 zwar von Pfändungen berichtet, nicht jedoch von Drohungen eines bestimmten Gläubigers. Vor der bB gibt die bP1 sodann in sich widersprüchlich an, es hätte am 25.01.2021 einen Gerichtstermin mit dem Gläubiger gegeben, gleichzeitig bringt sie vor, der „letzte Besuch“ von R sei an diesem Tag gewesen – kurz zuvor jedoch hat sie wieder völlig widersprüchlich angegeben, dass der letzte Besuch im November 2020 gewesen sein soll. Keine diesen Zeitangaben deckt sich im Übrigen mit den Angaben der bP2.
Völlig widersprüchlich waren auch die Aussagen dazu, ob es nun bereits ein Insolvenzverfahren gegeben hat und R mit dem Ergebnis unzufrieden war, oder ob R ein Verfahren verhindert hat. Auch in der Beschwerdeverhandlung erhellt sich das Gesamtbild nicht.
Laut den Angaben der bP2 in der Verhandlung wäre R ein Großhändler mit einer zweiten, nicht näher identifizierbaren Person dreimal bei ihr zuhause erschienen, und zwar von November bis Dezember 2020. Ein genauer Tag war der bP2 nicht erinnerlich, was an sich schon bei einem derart einschneidenden Erlebnis, das zu einem Verlassen des Heimatlandes geführt haben sollte, nicht glaubwürdig ist. Kurz zuvor behauptete die bP2 noch, dass zwei Männer „immer wieder“ gekommen wären. Auch vor der bB brachte die bP2 vor, dass es drei Besuche von R gegeben hätte; allerdings erwähnt sie damals weder Waffen noch einen zweiten Mann, was ebenfalls Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen aufkommen lässt. Zudem erhellte sich nicht, warum die bP1 zu wissen glaubte, dass R mit seinem Cousin bei den bP zuhause war. Selbst war die bP1 jedoch gar nie anwesend. Die bP2 konnte keine Aussagen zu der zweiten Person tätigen, womit nicht nachvollziehbar ist, woher die bP1 dann wissen konnte, dass es sich um den Cousin von R gehandelt haben soll.
Die bP2 liefert letztlich in ihrer Einvernahme vor dem BVwG die plausibelste Erklärung für den Hausverkauf: „Mein Mann hat es damals verkauft, damit wir die Reise organisieren können.“ Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund der völlig widersprüchlichen, inkonsistenten und teils völlig lebensfremden Aussagen der bP1 und bP2 davon aus, dass sich die Familie der bP1 - infolge der Schließung des Geschäfts und offener Forderungen gepaart mit dem mangelnden Bemühen der volljährigen bP um adäquate Beschäftigung - tatsächlich in einer finanziellen tristen Lage befand, und das die Familie sodann – nachdem bereits ein Sohn in Deutschland aufhältig ist und die bP5 beim ersten Versuch, nach Europa zu gelangen, gescheitert ist – sich nunmehr Ende Februar 2021 gemeinsam auf den Weg nach Europa, respektive zum Sohn nach Deutschland aufmachte und dafür ihr Haus verkaufte – schlichtweg um die Flüge und schlepperunterstützte Reise der 7-köpfigen Familie zu finanzieren.
Der Vollständigkeit halber ist noch festzuhalten, dass die von der bP2 geäußerten Ängste rund um ihre Töchter oder ihre Kinder im Allgemeinen nicht nachvollziehbar sind, weil nicht klar ist, was ein Gläubiger mit der Tötung eines Familienmitgliedes hätte erreichen wollen. Nachvollziehbarer wäre noch die Angst vor einer möglichen Entführung oder Erpressung gewesen, damit die bP1 endlich ihre Schulden begleicht; mit einer Tötung hätte der Gläubiger gar nichts erreicht.
Völlig abstrus ist auch die erst erstmalig in der Beschwerdeverhandlung getätigte Aussage der bP1, bei Ramazan handle es sich um einen „Mafiosi“ und sein Clan sei ein „böser Clan“. Wenn es sich tatsächlich um einen Mafiosi gehandelt hätte, erhellt sich für das BVwG schon nicht, warum dieser jahrelang zusah und erst im Winter 2020 vereinzelt Drohungen hätte aussprechen sollen und offenkundig bis Februar 2021 wieder nichts getan hätte – sprich zu einem Zeitpunkt, wo dieser laut bP 2 so mächtige Mann wohl von dem Liegenschaftsverkauf hätte wissen müssen.
römisch II.2.3.4.4. Das Bundesverwaltungsgericht kann auch den erstmals in einzelnen Beschwerden aufgeworfenen Fragen der Clanzugehörigkeit oder der Vergeltung durch den Stamm nicht folgen. Zwar gehören mindestens 75% der irakischen Bevölkerung einem Stamm an bzw. stehen mit einem solchen in Verbindung; gerade jedoch im urbanen Bereich und im Norden des Landes verlieren Stammeszugehörigkeiten zusehends an Bedeutung. Zudem wurde von der bP1 persönlich zu keinem Zeitpunkt im Verfahren behauptet, von einem eigenen Clan- bzw. Stammesmitglied wegen etwaiger Zahlungsschwierigkeiten und/oder Verfahren bedroht worden zu sein, vielmehr zeigen die behaupteten Unterstützungsleistungen durch den Neffen und den Schwager (oder Bekannten) lediglich, dass Familie und Freunde zu den bP stehen und Hilfe anbieten und bezeugen damit gerade das Gegenteil einer Verfolgung. Dass der ominöse R Mitglied eines „bösen Clans“ wäre (jener R dessen Namen und damit auch dessen Clan die bP gar nicht nennen konnten), wurde erstmals in der Beschwerdeverhandlung und dies auch erst auf die Frage, warum kein Schutz durch staatliche Behörden gesucht wurde, behauptet.
Die vereinzelten Berichte zum Ausschluss aus einem Stamm oder gar der Tötung eigener Stammesmitglieder beziehen sich etwa auf Fälle von Vergewaltigung, Bestehlen von Mitgliedern des eigenen Stammes, vorgeworfenen Nähe zum IS und dergleichen und können damit an sich schon nicht in Zusammenhang mit den behaupteten Fluchtgründen der bP gebracht werden.
Dass die Kinder der bP 1 und 2 im Sinne einer „Sippenhaftung“ nunmehr bei einer Rückkehr mit dem Tode bedroht wären, kann nicht nachvollzogen werden, da sich bereits nicht ergründet, welchen Vorteil der Gläubiger davon haben sollte und war schon das Vorbringen an sich in diesem Zusammenhang absolut unglaubwürdig. Auch ergeben sich aus den Länderberichten keinerlei Anhaltspunkte auf eine „Sippenhaftung“ der Söhne der bP1 im Zusammenhang mit den Geldschulden und wird hinsichtlich der Behauptungen in den Beschwerden, die bP wären teilweise wegen ihrer Angehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie oder sozialen Gruppe der wehrfähigen Männer einer Verfolgung im Irak ausgesetzt, auf die rechtliche Beurteilung verwiesen.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Angabe der bP 3 in der Verhandlung:
RI: In Ihrer Beschwerde steht, dass Wehrfähige Männer Probleme bekommen könnten. Was möchten Sie damit sagen?
P: Ich kann mich nicht erinnern, was ich damals gesagt habe. Gemeint war damit vielleicht meine beiden Brüder, die sich der PKK hätten anschließen sollen. Nicht ich war gemeint.
Zur Sippenhaft wird an dieser Stelle noch ausgeführt, dass für das BVwG nicht erkennbar ist, dass wie in den Beschwerden ausgeführt die Stämme entscheiden würden und Schuldner straflos von Gläubigern bedroht werden dürften. Unabhängig von der Unglaubwürdigkeit des zugrundeliegenden Vorbringens haben die bP gerade auch nicht glaubwürdig vorgebracht, das sie von ihrer Familie keine Unterstützung mehr erhalten könnten. Vielmehr wurden sie sogar nach der Ausreise noch finanziell unterstützt und ergab sich aus den persönlichen Angaben der bP – im Gegensatz zu den Angaben in den Schriftsätzen – auch, dass es der Familie letztlich nicht schlecht geht und wurde persönlich von den bP mit keinem Wort erwähnt, dass sie der Familie Geld zurückzahlen müssten. Auf welche „Stammestradition“ sich die Ausführungen in betreffend angeblich fehlender Unterstützungsmöglichkeiten der Familie im Irak sowie einer Verfolgung durch den Stamm selbst in den Schriftsätzen stützen, vermag das Gericht nicht zu erkennen.
römisch II.2.3.4.5. Zusammenfassend ist zum Vorbringen auszuführen, dass das erkennende Gericht zur Überzeugung gelangte, dass in den Angaben der bP glaubwürdige Anknüpfungspunkte oder Hinweise für eine individuelle Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention nicht erkennbar waren. Das konstruierte Fluchtvorbringen der bP1, welches von teilweise nicht nachvollziehbaren und widersprüchlichen Begründungen durchzogen war, konnte weder für die bP1 noch für ein anderes ihrer Familienmitglieder eine substantielle Grundlage eines Antrages auf internationalen Schutz darstellen.
Der angebliche Ausreisegrund war nicht glaubwürdig und konnten die bP im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auch keinerlei Gefährdung für den Rückkehrfall nachvollziehbar darlegen.
Das Bundesverwaltungsgericht gelangte zur Überzeugung, dass die bP das familieneigene Haus samt Grundstück bewusst verkauft haben, um der siebenköpfigen Familie die Reise zum bereits in Europa befindlichen Sohn zu finanzieren und die bP somit aus persönlichen und vor allem wirtschaftlichen Gründen den Irak verlassen haben. Dies bestätigten mehr oder weniger alle bP im Rahmen ihrer Aussagen und gab beispielsweise die bP 4 vor der bB auch an, dass sie den Irak verlassen hätte, da es der Familie finanziell schlecht gegangen sei und sie selbst nur 100 Dollar verdient hätte.
Zudem ist erwähnenswert, dass letztlich auch alle bP ihre Ausreise ursprünglich in der Erstbefragung ua. auf die finanziellen Aspekte stützten und vor allem auch einhellig alle bP angegeben haben – selbst die angeblich selbst von der PKK bedrohten bP 4 und 5 – dass ihr Vater den Entschluss für die Ausreise getroffen hat. Auch die bereits mehrfach geschilderten Ausreisevorbereitungen sprechen gerade nicht dafür, dass die bP tatsächlich aus gegründeter Furcht vor Verfolgung den Irak verlassen haben, sondern indizieren die Ausreise aus wirtschaftlichen Gründen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch, dass die bP 3 im Widerspruch zu anderen Angaben anderer bP durchaus nachvollziehbar 2x in der Verhandlung befragt nach der Ausstellung der Reisepässe bestätigt hat, dass diese für alle Familienmitglieder unmittelbar vor der Ausreise ausgestellt wurden und das Warten auf diese die Ausreise verzögert hat.
Das Bundesverwaltungsgericht ist sich ob der Länderberichte bewusst, dass die wirtschaftliche Lage im Irak – wie auch der KRI – nicht einfach ist, allerdings stellt dies per se keinen Fluchtgrund dar und ist nicht nachvollziehbar, wie es der Familie mit immerhin fünf erwachsenen und arbeitsfähigen Personen – die noch dazu in Besitz von Liegenschaftseigentum waren – die, ebenso wie viele andere Verwandte bis zu ihrer Ausreise ihr Leben im Irak bewältigen konnten, dies nach Februar 2021 nicht mehr hätten bewerkstelligen können. Gerade in den Aussagen der Kinder der bP1 und bP2 zeigte sich ein Unwille, eine entsprechende Ausbildung im Irak abzuschließen und sich ernsthaft um ein Fortkommen zu bemühen. Immerhin gelang es der bP1 über Jahre hinweg, durch ihre Selbständigkeit die sieben- bzw. achtköpfige Familie zu ernähren und kann letztlich auch nicht festgestellt werden, dass der Familie durch das Insolvenzverfahren der bP 1 die komplette Existenzgrundlage entzogen worden wäre.
römisch II.2.3.5. In den Beschwerden der bP 4 und bP 5 wird wie erwähnt konkret vorgebracht, dass die beiden neben dem Fluchtgrund des Vaters auch geltend gemacht hätten, dass Krieg herrsche und dass sich die beiden „von vornherein“ vor der PKK versteckt gehalten hätten. Ihnen würde eine Zwangsrekrutierung durch Kämpfer der PKK drohen. Warum etwa dem älteren Bruder, der bP3 dieses Szenario nicht drohen würde, ergründet sich bereits nicht. Schließlich wird auch diesem Fluchtvorbringen, welches keinen Eingang in die Erstbefragungen der bP4 und bP5 fand und von Widersprüchlichkeiten im weiteren Gang des Verfahrens gekennzeichnet ist, jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen.
Zusätzlich zu den bisherigen Ausführungen dazu ist festzuhalten, dass in der KRI kein Krieg herrscht und damit Dahuk (bzw. die Orte römisch 40 ) auch kein „Kriegsschauplatz“ ist. In der KRI üben die kurdischen Kräfte das Monopol auf die Anwendung legitimer Gewalt in städtischen Gebieten aus. Die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) betreibt illegale Kontrollpunkte in den Grenzgebieten innerhalb der KRI, insbesondere im Sinjar-Gebirge, und erhebt Steuern von Einwohnern, einschließlich Landwirten und Viehhaltern (BS 23.2.2022). Die PKK hat laut Schätzungen der EuAA etwa 5000 Kämpfer in der KRI stationiert und befindet sich das Headquarter in den Qandil Bergen (Erbil).
Schon in ihrer Einvernahme vor der bB antwortete die bP 4 auf die offen gestellte Frage nach ihren Fluchtgründen wie folgt: „Ich habe bereits ausgeführt, das unser Dorf zerstört wurde, ich habe 6 Jahre die Schule besucht, ich habe nichts gelernt, mein Vater hat Probleme, deswegen haben wir das Land verlassen.“. Persönlich bedroht oder verfolgt worden sei die bP4 nie und erwähnte sie trotz mehrfacher Nachfragen, ob sie nunmehr alle Fluchtgründe angegeben habe, eine Zwangsrekrutierung mit keinem Wort. Damit konnte die bP4 erstinstanzlich überhaupt keine Bedrohung glaubhaft machen, von einer versuchten Zwangsrekrutierung durch die PKK ist weder in der Erstbefragung noch der Einvernahme vor der bB die Rede.
Selbst in der Beschwerdeverhandlung gibt die bP4 befragt zu ihren persönlichen Verhältnissen vorerst an, dass sie ihr ganzes Leben mit den Eltern im gemeinsamen Haushalt in römisch 40 gelebt hätte. In völligem Widerspruch dazu behauptet die bP4 sodann aber im weiteren Verlauf der Verhandlung erstmals wiederum unter Bezugnahme auf das „Dorf“ (in dem sie gemäß Erstbefragung gelebt hätte, was sie später jedoch wiederrufen hat), dass es „in dem Dorf, wo mein Bruder und ich gelebt haben“ Kampfhandlungen zwischen den Türken und der PKK gegeben hätte. „Meinem Bruder wurde gesagt, dass er und ich in die Kampfhandlungen der PKK ziehen sollten. Wir haben beide abgelehnt.“ Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das gesamte Vorbringen der bP4 ob diverser Widersprüche als unglaubwürdig und dieses nochmalige Zurückkommen auf das Vorbringen in Zusammenhang mit einem Dorf i, welches sie selbst schon einmal als letztlich nicht den Tatsachen entsprechend revidiert hat, als untauglichen Versuch in der Verhandlung, ihrem Vorbringen doch etwas relevanten Gehalt zu geben.
Die bP5 wiederum äußerte in ihrer Erstbefragung gerade keine Angst vor der PKK, sondern vor den türkischen Gruppen. In ihrer Einvernahme vor der bB brachte sie sodann vor, dass sie im Jahr 2020 sechs Monate bei der Tante gelebt hätte, im Oktober 2020 sei sie dann nach Istanbul gegangen, um weiter nach Europa zu reisen, sei jedoch mangels finanzieller Mittel für die Weiterreise in den Irak zurückgekehrt. Sie sei einmal – im Jahr 2020 – von einem PKK-Kämpfer in römisch 40 angesprochen worden ob sie nicht mitkämpfen wolle. Sie habe dann das Dorf verlassen, weitere Konsequenzen habe es nicht gegeben.
Ihre Aussage hat die bP5 sodann aber nochmals in der Beschwerdeverhandlung wie dargestellt geändert und erstmals vorgebracht, nach 2019 noch einmal im Dorf gewesen und dort „festgenommen“ und „ausgebildet“, wie man mit Waffen umgeht worden zu sein. Diese Aussagen werden weder von irgendeiner anderen bP untermauert, noch sind sie in sich stimmig oder glaubwürdig. Es bleibt völlig unklar, wann die bP5 in der Türkei gewesen sein soll, da die bP5 nicht einmal in der Lage ist, kontinuierlich zu schildern, um welches Jahr es sich gehandelt haben soll. Noch diffuser wird dann die Behauptung, man hätte der bP5 Videos gezeigt, bis sie nicht mehr gewollt habe (der Ausbildungszweck erschließt sich hier nicht) und völlig unplausibel ist schließlich die Behauptung, die bP5 wäre zweimal von den Türken angegriffen worden. Damit würde sie bestätigen, dass sie doch rekrutiert worden wäre, was sie bis zu diesem Zeitpunkt immer abgestritten hatte. Dass sie übrigens aufgefordert worden wäre, in ein Auto zu steigen, um mit der PKK mitzufahren, behauptet die bP5 in der Beschwerdeverhandlung auch zum ersten Mal – wohin und wann bleibt erneut unklar. Abschließend sei die bP5 aber wieder nach Hause gekommen und hätte „gesehen“ wir ihr Vater sich für die Ausreise vorbereitet hätte. Laut Aussagen vor der bB hätte sie jedoch nach ihrer Rückkehr aus dem Dorf im November 2020 wieder als Kellner gearbeitet. Offenkundig ohne, dass die PKK gekommen wäre um sie für den Kampf wieder abzuholen. Schließlich misslang der bP 5 in der Verhandlung auch noch der Versuch, sich auf die beiden erwähnten Videos zu stützen. Vorerst behauptete die bP 5 zwar selbstsicher, dass die „natürlich“ auf den Videos persönlich zu sehen sei, revidierte die Aussage dann jedoch dahingehend, dass sie nicht erkennbar in den Videos sei. Man sehe auch lediglich, wie die türken „uns“ angreifen und wie wir geflüchtet sind. Auch diese angeblichen Vorfälle auf den beiden Videos konnte sie zeitlich nicht einordnen und letztlich nicht in Zusammenhang mit ihrer Person bringen.
Die bP5 konnte während des Verfahrens somit weder konsistent schildern, wann sie in römisch 40 gelebt haben will oder wann und unter welchem Umständen die PKK versucht hätte, sie zu rekrutieren. Wie sich sodann noch in der Beschwerdeverhandlung zeigte, konnte sie auch nicht gleichlautend schildern, wie oft sie aufgefordert worden wäre, mitzukämpfen. Warum die PKK ausgerechnet Interesse an zwei jungen Männern hätte haben sollen, die selbst kein Interesse für die Belange der PKK zeigen und deren Familie überhaupt keine Anknüpfungspunkte zur PKK hat, erschließt sich dem Bundesverwaltungsgericht ebenfalls nicht. Vor allem auch nicht, warum die PKK jemanden mehrfach auffordern sollte mitzukämpfen, der offenkundig kein Interesse am Kampf hat.
Zusammengefasst konnten weder bP4 noch bP5 eine versuchte Zwangsrekrutierung glaubhaft machen. Allgemein und mit Blick auf die UNHCR Schutzerwägungen vom Mai 2019 ist weiter festzuhalten, dass bP4 und bP5 zum Zeitpunkt der behaupteten Rekrutierung (Sommer 2020) keine „Kinder“ mehr waren und damit das entsprechende Risikoprofil auf Seite 112 bzw. mit Verweis auf FN 599 nicht zu prüfen ist. Auch EuAA erkennt im Country Guidance Bericht zum Irak vom Juni 2022 per se keine asylrelevante Gefährdung sunnitischer Kurden in Bezug auf eine Zwangsrekrutierung durch die PKK. Der Bericht hält generell fest, dass die Intensität bewaffneter Auseinandersetzungen und militärischer Operationen im Irak „significantly“ zurückgegangen ist und damit eine Angst vor Zwangsrekrutierungen nur in „exceptional cases“ vorliegen würde. In Hinblick auf die kurdischen bP haben sich im Verfahren keine risikoerhöhenden Umstände ergeben. Vielmehr haben sich etwa vornehmlich schiitische, arbeitslose junge Turkmenen im Jahr 2020 freiwillig der PKK angeschlossen, sodass auch nicht erkennbar ist, dass die PKK auf Zwangsrekrutierungen angewiesen wäre.
Die bP3 sagte im Verfahren gleichbleibend, dass sie immer in römisch 40 gelebt hätte und das Fluchtvorbringen ihrer Brüder in keinem Zusammenhang mit ihr stehen würde. Sie selbst sei wegen der Bedrohungen gegenüber ihrem Vater geflüchtet; dieses Fluchtvorbringen wurde wie bereits dargestellt als unglaubwürdig erachtet. Auch aus dem individuellen Profil der bP3 ergeben sich keine risikoerhöhenden Umstände.
Schließlich ist noch auf die Frage einer möglichen Zwangsrekrutierung der minderjährigen bP6 und bP7 einzugehen, nachdem etwa die UNHCR Schutzerwägungen gerade in FN 599 festhalten, dass weiterhin über die Rekrutierung und den Einsatz von Kindern durch Stammeskräfte, die PMF und die PKK/YPG (kurdische Volksverteidigungseinheiten) im Irak berichtet wurde. Die Schutzerwägungen verweisen grundsätzlich auf einen Berichtszeitraum vor Mai 2019, sodass letztlich genauer auf den aktuelleren Country Guidance Bericht der EuAA zu diesem Themenkreis eingegangen wird. Dieser hält etwa für das Jahr 2020 fest, dass die PKK Kinder entführt haben soll und YBS die Zahl der Kinder auf „Hunderte“ schätzt. Es ist jedoch darauf zu verweisen, dass die Anzahl bewaffneter Auseinandersetzungen im Irak deutlich zurückgegangen ist und Zwangsrekrutierungen von Kindern äußerst selten vorkommen, und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung nur in „exceptional cases“ gegeben wäre. Ein derartiger außerordentlicher Fall liegt gegenständlich nicht vor. Gerade für die erst 10jährige bP7 kann eine mögliche Zwangsrekrutierung ausgeschlossen werden. Bei der Familie der bP6 und bP7 handelt es sich um keine Flüchtlinge, ihre mehrheitlich von Kurden bewohnte Heimatstadt mit geschätzten mehr als 300.000 Einwohnern ist weder von PKK Gruppierungen besetzt, noch gibt es irgendwelche Anhaltspunkte, dass etwa die fast 17jährige bP6 ein erhöhtes Risiko hätte. Von der Familie selbst wurden in Hinblick auf die – noch dazu – weiblichen bP6 und bP7 keine Gefährdungen geschildert. Zudem ist gegenständlich auch festzuhalten, dass etwa das Vorbringen der – männlichen – bP4 und bP5 als unglaubwürdig eingestuft wurde. Somit ergeben sich weder aus der Aktenlage noch dem Vorbringen Risikofaktoren und kann eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der bP, Opfer einer Zwangsrekrutierung durch die PKK zu werden, ausgeschlossen werden.
Etwaige versuchte Zwangsrekrutierungen seitens des IS oder der PMF wurden nicht einmal ansatzweise seitens der bP behauptet.
römisch II.2.3.6. Die bP brachten – entgegen den Behauptungen in den Beschwerdeschriftsätzen - selbst keine mit ihrer kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit in Zusammenhang stehenden Schwierigkeiten vor der Ausreise vor, sodass demzufolge zur Feststellung zu gelangen ist, dass die bP in ihrem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund ihrer kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit zu gewärtigen hatten.
Sollte mit den Ausführungen in den Beschwerden allgemein auf Diskriminierungen gegenüber Angehörigen der kurdischen Volksgruppe verwiesen werden, an die sich die Familie bereits gewöhnt und deswegen kein Vorbringen erstattet hätte, so darf daran erinnert werden, dass die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen wird vergleiche VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069). Selbst in der Beschwerdeverhandlung wurden von keiner der bP auch nur ansatzweise Benachteiligungen, Diskriminierungen oder gar Verfolgungshandlungen geschildert, die in den Beschwerden aus den Länderinformationen zitierten Diskriminierungen von Minderheiten beziehen sich gerade nicht auf Kurden aus der KRI.
Ausweislich der Länderfeststellungen ist festzuhalten, dass im Irak Schätzungen zufolge 15-20 % der irakischen Bevölkerung Kurden sind – die mehrheitlich im Nordosten des Irak und damit vor allem in der Heimatprovinz der bP leben. Kurden können von ethnisch-konfessionellen Auseinandersetzungen betroffen sein, wenn sie außerhalb der KRI leben. Damit ergeben sich auch aus der allgemeinen Berichtslage keine vom BVwG amtswegig aufzugreifenden Anhaltspunkte für eine Verfolgung der bP in der KRI aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit.
Keine der bP brachte zudem mit ihrem Bekenntnis zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung in Zusammenhang stehenden asylrelevanten Schwierigkeiten vor der Ausreise vor. Sie äußerten auch keine dahingehenden substantiierten Rückkehrbefürchtungen. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die irakische Gesellschaft nach dem Sturz des sunnitisch geprägten Regimes von Saddam Hussein in zunehmenden Maße religiös gespalten ist und sich in den Jahren 2006 bis 2008 massive konfessionelle Konflikte ereigneten. Auch kann der Berichtslage entnommen werden, dass der sunnitischen Minderheit seitens der schiitischen Mehrheit oftmals eine Sympathie zum Islamischen Staat unterstellt wurde, was auch zu Vergeltungsmaßnahmen, Misshandlungen, Entführungen etc. führte. Auch wenn derartige Vorfälle wiederkehrend stattfinden, konnte in Anbetracht der Anzahl der dokumentierten Vorfälle nie auf eine derartige Intensität solcher Übergriffe geschlossen werden, dass von einer systematischsten und zielgerichteten asylrelevanten Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung im Irak – immerhin mehrere Millionen Menschen – gesprochen werden kann und ergibt sich dies auch nicht aus der aktuellen Berichtslage. Gegenständlich ist zudem zu bedenken, dass die bP der kurdischen Volkgruppe zugehörig sind und in römisch 40 in der Autonomen Republik Kurdistan lebten. Laut eigenen Aussagen der bP1 etwa gibt es „in unserer Region .. keine Schiiten, es sind alle Sunniten. Aber es gibt Christen.“
Der Verwaltungsgerichtshof ist im Übrigen einer behaupteten Gruppenverfolgung von Sunniten in mehreren Entscheidungen nicht nähergetreten (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/18/0014; 19.06.2019, Ra 2018/01/0379; 25.06.2019, Ra 2019/19/0193; 10.07.2019, Ra 2019/14/0225, und 18.07.2019, Ra 2019/19/0191). Auch mit Blick auf die heranzuziehenden UNHCR Schutzerwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen vom Mai 2019 ergibt sich kein Risikoprofil sunnitischer Kurden, stammen die bP selbst aus der Kurdistan Region Irak, wo die meisten Kurden sunnitischer Religionszugehörigkeit sind.
römisch II.2.3.7. Was den in der Stellungnahme vom 12.07.2023 aufgeworfenen Punkt der mangelnden Bildungschancen anbelangt, so ist dieser entsprechend dem EuAA Country Guidance Bericht vom Juni 2022 (wie auch den UNHCR Schutzerwägungen) einer Risikoanalyse zu unterziehen. Nicht für alle Minderjährigen besteht eine hinreichend große Gefahr, um eine begründete Furcht vor Verfolgung im Zusammenhang mit vorsätzlichen Einschränkungen des Zugangs zu Bildung festzustellen. Die folgenden Umstände könnten für eine Gefährdung maßgeblich sein: (fehlende) Identitätsdokumente (zB. Verweigerung einer Geburtsurkunde), ethnisch-religiöser Hintergrund, Geschlecht (für Mädchen besteht eine größere Gefahr), Behinderungen, Alter, Wahrnehmung der traditionellen Geschlechterrollen in der Familie, schlechter sozioökonomischer Status des Minderjährigen und seiner Familie, Herkunftsgebiet, usw.
Mit Blick auf die Lebensläufe der bP zeigt sich tatsächlich, dass diese allesamt nur eine äußerst rudimentäre Ausbildung im Irak erhalten haben. Die Gründe dafür liegen jedoch weder in einem mangelnden Schulsystem, noch etwa in familiären Umständen wie dem häufig in den Beschwerden zitierten „patriarchische“ System (welches hier keine Rolle spielt, weil es keinerlei Ansatzpunkte gibt, dass der Vater oder ein männliches Clanmitglied den Schulbesuch der bP3 bis bP7 verhindert hätte oder im Falle der Rückkehr verhindern würde). Vielmehr spiegelt sich in den Aussagen der Kinder der bP1 und bP2 wider, dass diese keinen Wert auf eine Schulbildung gelegt und die Eltern dem nichts entgegengesetzt haben. Die oberflächlichen und unbestimmten Angaben der bP selbst genügen den Anforderungen an ein Fluchtvorbringen im Sinne der GFK im Hinblick auf etwaige Befürchtungen im Zusammenhang mit einer fehlenden Bildungsmöglichkeit in keinster Weise.
Es ist allgemein richtig, dass das irakische Bildungssystem europäischen Standards nachhinkt, allerdings zeigt sich – gerade mit Blick auf die KRI – dass Kindern in der Regel zumindest eine Grundschulausbildung offensteht und haben sich mit Blick auf die Situation der Familie vor ihrer Ausreise, sprich bP1 als Betreiber eines Restaurants bzw. eines Lebensmittelgeschäfts, wohnhaft in einem urbanen Gebiet und unter Berücksichtigung der Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit keinerlei Anhaltspunkte ergeben, warum den bP3 bis bP7 der Zugang zum öffentlichen Schulsystem und in weiterer Folge einer Berufsausbildung in der KRI – wo auch tausende andere Kinder eine Ausbildung erhalten können – verwehrt hätte bleiben sollen.
In der KRI ist ein eigenes, der Kurdischen Regionalregierung (KRG) unterstehendes Bildungsministerium zuständig. Der Lehrplan in der KRI ähnelt dem zentralirakischen Lehrplan weitgehend, es wird jedoch großteils auf Kurdisch gelehrt (GIZ 1.2021c). Schulpflicht besteht hier bis zum Alter von 15 Jahren. Auch sie ist kostenlos (USDOS 12.4.2022). Die Alphabetisierungsrate im Zentralirak hat durch die Sicherheitslage, das Einquartieren von Binnenvertriebenen, zerstörten Schulen gelitten; zum Unterschied dazu sind in der KRI fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig (AA 25.10.2021).
Laut Schätzungen sind etwa 22 % der Erwachsenen nie zur Schule gegangen, was auf keine der bP zutrifft. Während mehr als 90 % der Kinder eine Grundschule besuchen, fällt die Schülerzahl in der Altersklasse 15 bis 17 unter die Hälfte (GIZ 1.2021c). In der Familie der bP haben sowohl die bP3 (neun Jahre), bP4 (sechs Jahre), bP5 (sieben Jahre), bP6 (fünf Jahre) als auch die bP7 (vier Jahre) Schulen besucht. Die Einschulungsquoten von Mädchen sind auf allen Bildungsebenen gestiegen, liegen aber immer noch unter denen der Buben. Mädchen brechen die Ausbildung tendenziell häufiger ab als Buben (BS 23.2.2022). Das zeigt sich etwa auch bei der bP6, die schlichtweg nach fünf Jahren gemäß eigenen Angaben nicht mehr die Schule besuchen wollte, weil die Lehrer so streng waren. Bei der bP7 kam laut Aussagen der bP2 die Pandemie dazwischen bzw. verhinderte einen weiteren Schulbesuch und gab die bP 4 selbst an, dass sie nach 6 Jahren von der Schule „geschmissen“ worden sei, da sie nicht gut gelernt bzw. das letzte Jahr 3x wiederholt habe. Die bP 3 habe die Schule abgebrochen, weil sie arbeiten hätte müssen, wobei die bP 3 gerade im Geschäft des Vaters mitgeholfen hat.
Ein gleichberechtigter Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten (USDOS 12.4.2022). Auf dem Land fällt die Einschulungsrate von Mädchen (77 %) weit niedriger aus als die von Buben (90 %). Je höher die Bildungsstufe, desto weniger Mädchen sind vertreten. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine frühe Ehe für sie vor (GIZ 1.2021c; vergleiche UN OCHA 2019). Ausweislich der Länderberichte hängt die Quote der eingeschulten Kinder am Einkommen der Familie (je höher desto eher), die Quote liegt in Mossul mit 82% etwa höher als in Basra mit 74%; es zeigen sich leichte Abweichungen bei Religions- und Volksgruppenzugehörigkeiten. Beim Herkunftsort der bP handelt es sich um einen urbanen Bereich in der KRI. Der Vater der bP hat bis zur Ausreise ein regelmäßiges Einkommen erwirtschaftet, die Familie besaß ein Haus und landwirtschaftliche Gründe. Von keiner der bP wurde behauptet, dass sie seitens des Vaters an einem weiterführenden Schulbesuch gehindert worden wären.
Aufgrund der COVID-19-Pandemie waren die Schulen in den von Bagdad kontrollierten Gebieten von März bis November 2020 geschlossen, in der KRI von März 2020 bis zum Ende des Schuljahres (HRW 13.1.2021). Wegen der COVID-19-Pandemie blieben die Schulen bis zum Ende des Schuljahres 2020-21 geschlossen, sodass mehr als zehn Millionen Schüler nicht zur Schule gehen konnten. UNICEF unterstützte das Bildungsministerium bei der Übertragung von Unterricht über das Bildungsfernsehen und digitale Plattformen. Der Zugang der Kinder zu alternativen Lernplattformen über das Internet und das Fernsehen wurde jedoch durch die begrenzte Konnektivität und Verfügbarkeit digitaler Geräte sowie durch den Mangel an Strom behindert. Im gegenständlichen Fall trifft dies auf die bP7 zu, vor allem aber auch an mangelnden Personen in ihrer Umgebung die Homeschooling hätten betreiben können.
Die volljährigen bP haben allesamt zumindest eine grundlegende Schulbildung im Irak erhalten. Der Vater hat fünf Jahre die Grundschule besucht und danach gearbeitet; wobei er unter anderem ein Restaurant und einen Supermarkt führte und entsprechenden Verdienst lukrierte.
Die bP 2 hat auch selbst nicht behauptet, dass sie an einem weiteren Schulbesuch wegen ihres Geschlechts gehindert worden wäre. Sie hat in Hinblick auf ihre Töchter jedoch zweifelsfrei vorgebracht, dass die bP6 in der KRI fünf Jahre und die bP7 vier Jahre die Schule besucht haben.
Aus den Länderberichten ergibt sich keinesfalls, dass den bP3 bis bP7 eine Schul- oder Berufsausbildung verwehrt gewesen wäre. Die Gründe liegen auf individueller – gegenständlich jedoch nicht relevanter – Ebene. So sagt die bP6 etwa in ihrer Einvernahme vor der bB am römisch 40 .2023, dass sie 5 Jahre die Grundschule besucht hätte (so bereits ihre Angaben in der Erstbefragung), jedoch bereits ein Jahr vor der Ausreise nicht mehr in die Schule gegangen wäre, „ich wollt nicht mehr in die Schule gehen, befragt, einfach so, befragt, ich hätte die Schule besuchen können, ich wollte einfach nicht, befragt, in Österreich besuche ich die Schule...“ und weiter wisse sie nicht, ob es in ihrem Heimatort die Möglichkeit gäbe Friseurin zu lernen, weil sie bei der Ausreise „noch klein“ gewesen sei.
Auch die bP1 vermittelte dem BVwG im Übrigen nicht den Eindruck, dass sie ihre Töchter an einer Schulausbildung hindern habe wollen und wurden für die bP6 und die bP7 auch Schulunterlagen aus Österreich in Vorlage gebracht. Die bP3 wiederum wisse nicht, warum ihre Geschwister die Schule nicht abgeschlossen hätten – etwaige familiäre Gründe, Druck oder gar Verbote wurden nicht erwähnt.
Die bP 4 führte in ihrer Einvernahme vor der bB aus, dass sie von der Schule „geschmissen“ wurde, weil sie nicht gut gelernt hätte und steht diese Aussage in völligem Widerspruch zur Erstbefragung, wonach die bP 4 „wegen des Krieges“ die Schule nicht hätte besuchen können. Nun war aber die Provinz Dahuk von Attacken des IS in den Jahren 2014 bis 2017 nicht betroffen und hatten etwaige Konflikte in der Umgebung der Provinz damit auch keine Schulschließungen zur Folge, sodass diese Argumentation der bP 4 nicht nachvollzogen werden kann. Den Aussagen der bP 4 vor der bB – von der Schule „geschmissen“ da nicht gelernt und Klassen mehrfach wiederholt – war eher Glauben zu schenken. Dies vor allem, weil sich diese Argumentation zumindest halbwegs mit den Aussagen in der Beschwerdeverhandlung decken, wonach die bP4 die Schule sechs Jahre besucht hätte. Nachdem sie zweimal Sitzengeblieben sei, habe sie darin keinen Sinn mehr gesehen und habe sie aufgehört, die Schule weiter zu besuchen. Erneut ist weder von einem Druck oder Verboten seitens der Familie oder etwa „Armut“ die Sprache. Die bP3 hat laut Eigenem die neunte Schulklasse „abgebrochen“. In Hinblick auf die bP3 wurde in der Beschwerde moniert, die bB hätte es verabsäumt, sich mit dem Vorbringen der bP 3 dahingehend, dass sie wegen der „Armut“ der Familie die Schule nicht abschließen hätte können, auseinanderzusetzen. Die bP 3 hat etwa im Jahr 2014 die Schule abgebrochen, dies zu einem Zeitpunkt, wo die bP 1 noch ein gut gehendes Geschäft betrieb und die Familie ein Haus und landwirtschaftlichen Grund besaß. Das BVwG kann die Argumentation daher nicht nachvollziehen, unabhängig davon, dass ein mangelnder Schulabschluss keine asylrelevante Verfolgung darstellt. Zudem wäre es der ledigen, im elterlichen Haushalt lebenden bP 3 frei gestanden, neben ihrer Tätigkeit in einem Restaurant einen Beruf zu erlernen (gleiches gilt für bP4 un bP5).
Frauen werden zwar am Arbeitsmarkt diskriminiert und weisen eine niedrige Beschäftigungsquote auf, das Vorbringen die bP 6 und/oder bP 7 könnten in der KRI per se keinen Beruf ausüben findet in den Länderberichten jedoch keine Deckung. Zudem entspricht es dem Amtswissen, dass Frauen im Irak gerade als Friseurin häufig tätig sind vergleiche etwa Erkenntnisse zu L507 2208383-1, G302 2177075-1, I414 2140229-1, L504 2210572-1, I413 2201521-1, I405 2161069-1 ua.).
Eine Schutzgewährung in Österreich wegen mangelnder Bildungschancen kann damit – auch in Zusammenhang mit allen weiteren Aspekten in Bezug auf die Familie, deren Angehörige alle jedoch keinerlei besonderes Risikoprofil aufweisen – nicht erkannt werden.
Den volljährigen bP steht es frei, im Rückkehrfall neuerlich einer Beschäftigung nachzugehen. Auch den weiblichen bP ist es zumutbar, im Fall der Rückkehr zumindest eine Teilzeitbeschäftigung aufzunehmen, zeigt sich doch auch in den Länderinformationen, dass auch weibliche Personen im Irak am Erwerbsleben teilnehmen können. Dass es Frauen im Irak bzw. in der KRI grundsätzlich nicht möglich wäre, einer Arbeit nachzugehen, lässt sich der Quellenlage nicht entnehmen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die bP im arbeitsfähigen Alter im Irak keine Tätigkeit ausüben sollten. Zwar ist die Situation im Land von einer generell hohen Arbeitslosenquote, insbesondere bei Jugendlichen und Frauen, gekennzeichnet vergleiche etwa Research paper der Staatendokumentation „Socio-economic dynamics: Baghdad“ vom 31.7.2019), allerdings ist auch festzuhalten, dass es eben sehr wohl Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten auch für Frauen gibt.
römisch II.2.3.8. In den UNHCR Schutzerwägungen vom Mai 2019 (dh. Berichtslage vor der Ausreise der bP) zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen werden zwölf Personengruppen, die als besonders schutzbedürftig angesehen werden definiert. Die bP können als nicht politisch aktive sunnitische Kurden aus der Provinz Dahuk keiner dieser Personengruppen eindeutig zugeordnet werden.
Wohl vertritt der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge die Ansicht, dass Frauen und Mädchen ohne stabilen familiären Rückhalt, einschließlich Witwen und geschiedenen Frauen, abhängig von den individuellen Umständen des jeweiligen Falls möglicherweise internationalen Flüchtlingsschutz benötigen. Dazu wird erläutert, dass Frauen ohne männliche Unterstützung durch ihre Familie oder ihren Stamm, wie Witwen, geschiedene Frauen und Frauen, die vor Situationen häuslicher Gewalt, Gewalt im Namen der „Ehre“ oder Zwangs- bzw. Kinderehe geflohen sind, besonders vulnerabel hinsichtlich weiterem Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel und dass alleinerziehende Mütter und deren Kinder gesellschaftliche Ausgrenzung und Stigmatisierung erfahren. In Ansehung der weiblichen bP2, bP6 und bP7 ist festzuhalten, dass einer Rückkehr gemeinsam mit ihrer Familie, sprich bP1, bP3, bP4 und bP5 keine Hindernisse entgegenstehen und es sich gerade nicht um alleinstehende Frauen handelt. Darüber hinaus wurde kein substantiiertes Vorbringen dahingehend erstattet, dass den weiblichen Familienmitgliedern von irgendeinem Akteur unmittelbar Gefahr, im Sinne von Missbrauch oder etwa Zwangsverehelichung udgl. drohen würde. Einzig der wie ausgeführt nicht nachvollziehbare angebliche „Wunsch“ nach einer Schulbildung und die Befürchtungen, keinen Beruf in der KRI ausüben zu dürfen, wurden geäußert.
Die Berücksichtigung der Position des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge vom Mai 2019 zeigt somit keine aktuelle und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende individuelle Gefährdung der weiblichen bP im Rückkehrfall auf.
Derartiges lässt sich auch aus dem aktuelleren EuAA Country Guidance Bericht zum Irak vom Juni 2022 nicht ableiten. Auch EuAA definiert Risikoprofile, unter welche keine der sunnitischen, kurdischen, weder politisch aktiven, noch in den im Bericht erwähnten Berufen tätigen bP fällt.
So wurde etwa auch zu keinem Zeitpunkt im Verfahren behauptet, dass eine der bP Mitglied der Peshmerga gewesen wäre. Bei den bP handelt es sich auch nicht um Faili-Kurden. In Hinblick auf Frauen werden ähnliche Themenkomplexe wie in den UNHCR-Schutzerwägungen angeführt, etwa risikoerhöhende Faktoren wie Herkunftsgebiet, schlechter sozioökonomischer Status, Status als Binnenvertriebene etc. Ein erhöhtes Risiko im Hinblick auf geschlechtsspezifische Gewalt kann der vorgebrachten und festgestellten Familienstruktur nicht entnommen werden. Zur Frage Risikoprofile Kinder betreffend kann wiederum mit Blick auf den EuAA Country Guidance Bericht festgehalten werden, dass die minderjährigen bP weder von Kinderarbeit, geschlechtsspezifischer oder häuslicher Gewalt, insbesondere weiblicher Genitalverstümmelung/Beschneidung, Zwangsprostitution oder Zwangsheirat betroffen wären, ebenso ist keine Zwangsrekrutierung zu befürchten. Weder bP1 noch bP2 äußerten eine Absicht dahingehend, die bP6 oder bP7 zukünftig der Prostitution zuführen zu wollen oder einer Zwangsverheiratung oder der Zwangsarbeit. Auch kann die maßgebliche Gefahr von Zwangsarbeit bzw. Kinderarbeit im Rückkehrfall verneint werden, zumal das Verfahren ergab, dass den bP im Rückkehrfall ein leistungsfähiges familiäres Netz zur Verfügung steht. Der Eintritt einer existenziellen Notlage im Rückkehrfall, der Zwangsarbeit bzw. Kinderarbeit der minderjährigen bP erfordern würde, ist demnach nicht zu besorgen. Zwangsrekrutierung kommt beim irakischen Militär nicht vor.
Bezüglich der Situation von Frauen im Irak, ist festzuhalten, dass wenn sich die weiblichen bP wegen ihrer Eigenschaft als irakische Frauen als verfolgt erachten, eine Gruppenverfolgung sämtlicher Angehöriger des weiblichen Geschlechts im Irak ausweislich der Feststellungen nicht vorliegt. Festzuhalten bleibt weiter, dass nach der Rechtsprechung des VwGH Frauen Asyl beanspruchen können, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden vergleiche etwa VwGH vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017-0018, m.w.N.). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen (zuletzt VwGH 28.06.2018, Ra 2017/19/0579). Dabei führt nicht jede Änderung in der Lebensführung während ihres Aufenthaltes in Österreich, die im Fall der Rückkehr nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu, dass der Asylwerberin internationaler Schutz gewährt werden muss, sondern nur eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung, in der die Inanspruchnahme oder Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt und die im Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (zuletzt VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).
Die weiblichen bP 2 und 6 konnten in der Verhandlung nicht glaubhaft machen, dass sie im Bundesgebiet einen Lebensstil tatsächlich leben, der einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein anerkannten und verbreiteten Werten im Herkunftsstaat darstellen würde, ein entsprechendes Vorbringen wurde auch nicht persönlich, sondern letztlich vorwiegend in den Schriftsätzen erstattet, wobei insbesondere in diesem Punkt der persönliche Eindruck in der Verhandlung zu berücksichtigen ist. Dabei bleibt festzuhalten, dass die bP 2 während der gesamten Dauer der mündlichen Verhandlung ein Kopftuch trug und die bP 6 nicht erklären konnte, aus welchen Gründen sie noch keines trägt (wenn man es nicht mag, mag man es nicht). Die bP 6 konnte in der Verhandlung auch gerade nicht erklären, welche Aktivitäten und Handlungen, die sie in Österreich vornimmt, ihr im Irak nicht möglich wären. Gerade der hierzu ins Treffen geführte Schulbesuch kann dafür nicht als Beispiel herangezogen werden, da die bP 6 gerade wie dargestellt schon im Irak kein weiteres Interesse daran hatte und auch in Österreich gerade auch im Hinblick auf die noch nicht besonders ausgeprägten Deutschkenntnisse keine besonderen Bemühungen in diese Richtung erkennbar sind. Die bP 2 führte als wesentlichen Unterschied zwischen ihrem Leben im Irak und in Österreich die Arbeitsmöglichkeit an, wobei sie selbst angab, dass sie noch keinerlei Schritte unternommen hat, um eine Arbeit zu finden, was in Anbetracht der jüngsten Tochter mit 10 Jahren möglich wäre. Vielmehr vermeinte sie in der Verhandlung lediglich, dass ihr Mann in einem Restaurant einmal für sie gefragt hätte und gab sie auch in der Verhandlung ohne weitere Risikoerwähnung an, dass sie aus einer streng gläubigen Familie stamme. Irgendwelche besonderen Anknüpfungspunkte an die österreichische Gesellschaft konnte keine der weiblichen bP darlegen. Vielmehr gab die bP 2 in der Verhandlung befragt nach ihren Sorgen um ihre Töchter dann nur mehr an, dass damit gemeint sei, dass sie Angst hätte, dass diese von den Männern im Irak getötet werden.
Der allgemeine Hinweis darauf, dass es für Frauen im Irak gefährlich sei bzw. der pauschale Verweis auf die „Zugehörigkeit der sozialen Gruppe der Frauen im Irak“ ist für sich alleine nicht geeignet, eine Gefährdung im Rückkehrfall glaubhaft zu machen vergleiche dazu VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, worin der Grundsatz wiederholt wird, dass das Vorbringen des Asylwerbers eine entsprechende Konkretisierung aufweisen muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen und dass die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, dem nicht gerecht wird).
Auch wenn das Gericht nicht verkennt, dass es im Irak in den vergangenen Jahren vor dem Hintergrund des starken Einflusses von nicht nur in religiöser Hinsicht radikalen politischen Kräften zu einer "Islamisierung" der Gesellschaft im Allgemeinen gekommen ist und dabei auch die Frauen als solche ein Änderung des früheren - unter Saddam Hussein entwickelten - säkulareren Rollenbildes der Frau hinzunehmen hatten, so stellt sich die aktuelle Situation im Irak mangels dahingehender stichhaltiger Hinweise nicht so dar, dass es Frauen per se nicht (mehr) möglich wäre am allgemeinen öffentlichen wie auch beruflichen Leben teilzunehmen oder besonders drakonischen Praktiken sowie Sanktionen in punkto Bekleidung u.ä. unterworfen zu sein.
Die weiblichen bP sind im Fall einer Rückkehr in den Irak auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund ihres weiblichen Geschlechts oder ihres westlichen Lebensstils gefährdet.
Die UNHCR Schutzerwägungen halten in Hinblick auf Überlebende von Zwangsrekrutierung und Rekrutierung Minderjähriger fest, dass diese Gruppen wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen. Wie bereits beweiswürdigend ausgeführt, wurde das dahingehende Vorbringen der bP4 und bP5 als unglaubwürdig beurteilt. EuAA hält fest, dass Kinder nach wie vor anfällig für Zwangsrekrutierung und den Einsatz durch diverse bewaffnete Gruppen, die im Irak operieren sein können. Dazu zählen der IS, Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF), Stammesmilizen, die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) und andere vom Iran unterstützte Milizen. Diesbezüglich wird auf die getroffenen Ausführungen oben verwiesen.
Dass schließlich Rückkehrer aus dem westlichen Ausland schon aufgrund des Auslandsaufenthaltes oder einer im Ausland erfolgten Asylantragstellung besonders vulnerabel wären, kann den zur Rückkehr getroffenen Feststellungen zur Lage im Irak nicht entnommen werden.
Die bP brachten auch zu keiner Zeit im Verfahren vor, dass ihnen im Herkunftsstaat jemals eine Sympathie oder Nähe zum Islamischen Staat unterstellt wurde. Wenn etwa in der Beschwerde zur bP3 vorgebracht wird, die bP3 würde dem entsprechenden Risikoprofil der UNHCR Schutzerwägungen unterliegen, so wird dies in weiterer Folge nicht näher ausgeführt. Weder handelt es sich bei der bP3 um eine Person arabischer Herkunft, noch stammt sie aus einem ehemaligen vom IS besetzten Gebiet oder ergeben sich irgendwelche Anhaltspunkte aus ihrem familiären Hintergrund.
Ebenso wenig wurden Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften des Herkunftsstaates vorgebracht.
Die bP weisen kein exponiertes persönliches Profil auf und sind daher in keinster Weise gefährdet, im Rückkehrfall in das Blickfeld bestimmter staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure zu geraten. Da sie vor der Ausreise kein politisches Engagement entfalteten, besteht kein Anknüpfungspunkt für eine Verfolgung aus politischen Gründen im Rückkehrfall und es wurde auch kein dahingehendes Vorbringen erstattet.
Die bP haben sich auch in Anbetracht ihres persönlichen Profils in Hinblick auf eine allfällige Strafverfolgung nicht exponiert und brachten auch keine dahingehenden Befürchtungen im Rückkehrfall vor.
römisch II.2.4. Zu den getroffenen Länderfeststellungen
römisch II.2.4.1. Die vom Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den in das Verfahren eingebrachten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Schon vor der bB kann eine Verletzung des Parteiengehörs im Zusammenhang mit den Länderinformationen nicht erkannt werden, vielmehr haben die bP mehrheitlich auf eine Stellungnahme verzichtet. In den Beschwerden hatten die bP sodann die Möglichkeit, entsprechend auf die Länderinformationen einzugehen. Den bP wurden in der mündlichen Verhandlung aktuelle Länderfeststellungen zum Irak ausgehändigt und die Möglichkeit eingeräumt, hierzu Stellung zu nehmen, wobei die rechtliche Vertretung in einer gemeinsamen, schriftlichen Stellungnahme zu den letzten ausgehändigten Informationen insbesondere auf die schwierige Lage für Frauen verwies. Aus den Länderberichten ergäbe sich, dass Frauen im Irak kaum Schulbildung erhalten würden und es ihnen fast nicht möglich sei zu arbeiten. Die minderjährigen bP6 und bP7 hätten somit im Irak keine Perspektiven auf ein eigenständiges Leben und könnten die Schule nicht abschließen, bzw. keinen Beruf ausüben. Dieses Vorbringen wurde wie dargestellt bereits ausführlich behandelt.
In den Beschwerden wurde lediglich allgemein auf die Sicherheitslage und allgemeine Menschenrechtslage, etwaige Verfolgungen von Sunniten durch schiitische Milizen verwiesen, ohne substantiiert vorzubringen inwiefern die bP von den Themenkomplexen betroffen wären und wurden auch diese Themenkreise bereits abschließend erörtert.
Die bP traten den Quellen und deren Kernaussagen, welche in den Länderfeststellungen getroffen wurden, somit nicht entsprechend entgegen und haben die zitierten Berichte zur Sicherheitslage, Folter, Menschenrechtslage, dem Gesundheitswesen und gerade zu Diskriminierungen von Minderheiten in anderen als der Herkunftsregion der bP keinen Konnex zum Vorbringen der bP. Auch die in der Verhandlung vorgelegten Screenshots zu Videos vermögen den getroffenen Feststellungen nichts entgegenzusetzen. Darin kommen die bP gemäß ihren eigenen Angaben nicht persönlich vor und sehe man nur Angriffe der PKK. Die Videos sollten zum Beweis dafür dienen, dass nach wie vor Kampfhandlungen stattfinden, was das Gericht an sich auch nicht verkennt, jedoch haben die bP eben keine persönliche Betroffenheit glaubwürdig vorgebracht.
In Anbetracht der Seriosität und Plausibilität der angeführten, herangezogenen Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild zeichnen, ergibt sich kein Grund, an der Richtigkeit und der Vollständigkeit der Angaben zu zweifeln. Den bP ist es im Ergebnis nicht gelungen, ein abweichendes Lagebild zu zeichnen. Unter Berücksichtigung der Quellen, die über aktuelle Vorfälle berichten, wobei der Schwerpunkt auf jene Berichte/Vorfälle die zeitnah der Entscheidung lagen liegt, vermag das BVwG nicht zu erkennen, dass gerade für die bP im Falle der Rückkehr eine hohe Wahrscheinlichkeit bestünde, dass sie Opfer der allgemeinen Lage werden würden. Eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende Wahrscheinlichkeit kann angesichts ihres Persönlichkeitsprofiles und unter Berücksichtigung der konkreten, aktuellen Lage in der KRI nicht erkannt werden. Es kann ob der Berichtslage zudem nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz der bP in ihrer Heimatprovinz davon ausgegangen werden muss, dass diese wahrscheinlich das Opfer eines terroristischen Anschlages, krimineller Aktivtäten oder anderweitiger willkürlicher Gewalt werden würden vergleiche auch rechtliche Würdigung unten).
römisch II.2.4.2. Die direkte und gefahrlose Erreichbarkeit der der Heimatstadt ergibt sich aus den herangezogenen Länderinformationsquellen betreffend die aktuelle Sicherheitslage und im Speziellen die Straßensicherheit in der Provinz Dahuk. Gegenteilige Behauptungen wurden im Verfahren nicht vorgebracht und es haben die bP insbesondere zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass eine Rückkehr in die Herkunftsregion auf Grund unsicherer Verkehrswege nicht möglich sei. Berichte über sicherheitsrelevante Vorfälle in der Provinz betreffen zudem in der Regel nicht die Sicherheit von Verkehrswegen.
Die bP führten zudem selbst aus, dass ihnen die Ausreise im Auto eines Familienmitglieds Richtung Türkei gefahrlos und problemlos Ende Februar 2021 möglich war. Türkische Luftangriffe richten sich gegen Stellungen der PKK in der unmittelbaren Grenzregion und nicht gezielt oder systematisch gegen zivile Infrastruktur in der Provinz.
3. Rechtliche Beurteilung:
römisch II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht und Verbindung des Verfahren:
römisch II.3.1.1. Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 87 aus 2012, idgF) entscheidet das Bundesverwaltungs-gericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
römisch II.3.1.2. Gemäß Paragraph 6, des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesver-waltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 10 aus 2013, idgF entscheidet im gegenständlichen Fall der Einzelrichter.
römisch II.3.1.3. Gem. Paragraph 17, Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, Bundesgesetzblatt Teil eins, 33 aus 2013, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 122 aus 2013, hat das ho. Gericht das AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles und jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Paragraph eins, BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. Gem. Paragraphen 16, Absatz 6,, 18 Absatz 7, BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die Paragraphen 13, Absatz 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
römisch II.3.1.4. Gemäß Paragraph 27, VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, auf Grund der Beschwerde (Paragraph 9, Absatz eins, Ziffer 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (Paragraph 9, Absatz 3,) zu überprüfen.
römisch II.3.1.5. Das BVwG kann nach Paragraph 17, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 39, Absatz 2, AVG unter Bedachtnahme auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis mehrere in seine Zuständigkeit fallende Rechtssachen zur gemeinsamen Entscheidung verbinden. Damit soll der Behörde etwa die mehrfache Aufnahme der gleichen Beweise erspart bleiben. Die Verbindung mehrerer Verwaltungssachen setzt voraus, dass für sie alle dieselbe Behörde bzw. dasselbe VwG sachlich und örtlich zuständig ist und diese in allen betroffenen Angelegenheiten das AVG anzuwenden hat (Hengstschläger/Leeb, AVG Paragraph 39,, Rz 29f).
Zu A) (Spruchpunkt römisch eins)
römisch II.3.2. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
römisch II.3.2.1 Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Paragraph 3, AsylG lauten:
„§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) …
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. | dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offen steht oder |
2. | der Fremde einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6,) gesetzt hat. |
...“
Gegenständlicher Antrag war nicht wegen Drittstaatsicherheit (Paragraph 4, AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (Paragraph 4 a, AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (Paragraph 5, AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag der bP inhaltlich zu prüfen ist.
Flüchtling im Sinne von Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten habe vergleiche zuletzt VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108).
Der maßgebliche Blickpunkt ergibt sich aus der Frage, ob die bP im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer weiteren aktuellen Gefahr einer Verfolgung zu rechnen hätte (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194). Mit anderen Worten gesagt, stellt die Aufgabe des Asylrechts der Schutz vor zukünftig drohender Verfolgung und nicht die Kompensation in der Vergangenheit erlittenen Unrechts dar.
römisch II.3.2.2. Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die von den bP behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können.
Wie im gegenständlichen Fall bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, war dem Vorbringen der bP1 zum behaupteten Ausreisegrund insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Für die minderjährigen bP6 und bP7 wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht; bP2 und bP3 bezogen sich auf den Fluchtgrund der bP1; bP4 und bP5 teilweise ebenfalls. Keine der bP hat eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft gemacht.
Darüber hinaus ist festzuhalten, dass –rein hypothetisch betrachtet ohne hierdurch den behaupteten ausreiskausalen Sachverhalt als glaubwürdig werten zu wollen – es der bP möglich und zumutbar wäre, sich im Falle der behaupteten Bedrohung durch einen Gläubiger an die Sicherheitsbehörden ihres Herkunftsstaates bzw. insbesondere ihrer Herkunftsregion zu wenden, welche willens und fähig wären, in diesem Zusammenhang Schutz zu gewähren.
Auch wenn ein solcher Schutz (so wie in keinem Staat auf der Erde) nicht lückenlos möglich ist, existieren im Herkunftsstaat der bP Behörden, welche zur Strafrechtspflege bzw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit berufen und auch effektiv tätig sind. Die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden ist somit gegeben vergleiche hierzu auch die Ausführungen des VwGH im Erk. vom 8.6.2000, Zahl 2000/20/0141).
Die bloße Möglichkeit, dass staatlicher Schutz nicht rechtzeitig gewährt werden kann, vermag eine gegenteilige Feststellung nicht zu begründen, solange nicht von der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit der Nichtgewährung staatlichen Schutzes auszugehen ist vergleiche hierzu die im Erkenntnis noch zu treffenden Ausführungen zum Wahrscheinlichkeitskalkül).
Im gegenständlichen Fall hat die bP nicht einmal behauptet, dass das geschilderte Verhalten jener Personen, die gegen Familienangehörige der bP vorgingen, in ihrem Herkunftsstaat nicht pönalisiert wäre oder die Polizei oder auch andere für den Rechtsschutz eingerichtete Institutionen grds. nicht einschreiten würden, um einen Schaden mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit abzuwenden.
Auch weisen die den Feststellungen der belangten Behörde bzw. des erkennenden Gerichts zu Grunde liegenden Quellen nicht auf Gegenteiliges hin und ergibt sich weiters aus den von der belangten Behörde bzw. vom erkennenden Gericht herangezogenen Quellen, dass im Herkunftsstaat der bP kein genereller Unwille bzw. die Unfähigkeit der Behörden herrscht, Schutz zu gewähren. Es kann dem Vorbringen auch nicht entnommen werden, dass die bP selbst keinen Zugang zu den Schutzmechanismen hätten bzw. dass gerade in ihrem Fall ein qualifizierter Sachverhalt vorliege, der es als erwiesen erscheinen ließe, dass die im Herkunftssaat vorhandenen Behörden gerade im Fall der bP aus Gründen der GFK untätig blieben.
Auch die allgemeine Lage ist im Herkunftsstaat nicht dergestalt, dass sich konkret für die beschwerdeführende Partei mit ihrem sich aus den Feststellungen ergebenen Persönlichkeitsprofil eine begründete Furcht vor einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden asylrelevanten Verfolgung ergeben würde.
Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind.
Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur hinzunehmen sind, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstiger Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).
Eine individuelle Gefährdung durch Terroristen und/oder die Milizen des Islamischen Staates vor der Ausreise war bereits nicht gegeben, weil der Distrikt römisch 40 in der Provinz Dahuk der Autonomen Region Kurdistan selbst zu keinem Zeitpunkt vom Islamischen Staat gefährdet war, so dass eine Verfolgung durch den Islamischen Staat als Ausreisegrund jedenfalls ausscheidet.
Die bP gehören außerdem der kurdischen Volksgruppe und damit der in der Autonomen Region Kurdistan mehrheitlich vertretenen Ethnie an und sind in dieser Hinsicht nicht exponiert. Schwierigkeiten auf Grund der ethnischen Zugehörigkeit vor der Ausreise oder im Fall einer Rückkehr kamen im Verfahren nicht hervor.
Hinsichtlich des bloßen Umstands der Zugehörigkeit zum Islam sunnitischer Prägung ist darauf hinzuweisen, dass sich entsprechend der herangezogenen Länderberichte die Situation für sunnitische Kurden in der Autonomen Region Kurdistan nicht derart gestaltet, dass von Amts wegen aufzugreifende Anhaltspunkte dafür existieren, dass gegenwärtig Personen sunnitischer Religionszugehörigkeit im Irak, insbesondere in der Autonomen Region Kurdistan, generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit einer eine maßgebliche Intensität erreichenden Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden. Die bP haben demnach nicht bereits auf Grund ihrer sunnitischen Glaubensrichtung eine individuell gegen ihre Person gerichtete Verfolgung zu befürchten vergleiche VwGH 09.05.2016, Ra 2016/01/0068; 17.12.2015, Ra 2015/20/0048 mwN). Insbesondere darf in diesem Zusammenhang angemerkt werden, dass sie am Ort der Rückkehr keiner religiösen Minderheit angehören werden, zumal sich die Bewohner in der Provinz Dahuk überwiegend zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam bekennen.
Im Hinblick auf die vorliegenden Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen im Irak haben sich ferner keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle irakischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe ausgesetzt zu sein. Die Verfassung sieht für Frauen gewisse Rechte, unter anderem das Wahlrecht, vor. Die weiblichen bP (bP2, bP6 und bP7) können auch keinem der im Country Guidance Bericht der EuAA zum Irak vom 2022 angeführten Risikoprofile (Zwangs- und Kinderheirat; Weibliche Genitalverstümmelung/Beschneidung; In der Öffentlichkeit stehende Frauen; Frauen, die vermeintlich gegen Moralvorstellungen verstoßen haben; Frauen mit vermeintlichen Verbindungen zum IS; Alleinstehende Frauen und weibliche Haushaltsvorstände) zugeordnet werden.
Entsprechendes gilt im Übrigen für die Risikoprofile betreffend Kinder: Die minderjährigen bP6 und bP7 waren und sind nicht von Kinderarbeit, geschlechtsspezifischer oder häuslicher Gewalt, insbesondere weiblicher Genitalverstümmelung/Beschneidung, Zwangsprostitution oder Zwangsheirat betroffen, ebenso ist keine Zwangsrekrutierung zu befürchten.
In der KRI gibt es keine Wehrpflicht, der Zugang zu den Peshmerga erfolgt auf freiwilliger Basis. Hinsichtlich der minderjährigen bP6 und bP7 wurde nicht vorgebracht, dass diese einer Zwangsrekrutierung durch den IS, Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF), Stammesmilizen, die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) und andere vom Iran unterstützte Milizen ausgesetzt gewesen wären oder ihnen dies drohen würde und kann auch aus den individuellen Verhältnissen kein erhöhtes Risiko abgeleitet werden. In Hinblick auf die volljährigen bP4 und bP5 war das Risikoprofil ob ihres Alters an sich nicht zu prüfen, dem Vorbringen einer etwaigen (versuchten) Zwangsrekrutierung durch die PKK wurde zudem die Glaubwürdigkeit abgesprochen und weisen die Beiden generell kein spezifisches Risikoprofil auf.
Im Hinblick auf die in der Beschwerde vorgenommene rechtliche Anknüpfung an den Tatbestand der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe führte der VwGH (VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479) in Erörterung des Artikel 10, Absatz eins, Litera d, der Statusrichtlinie (RL 20004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes) aus, dass insbesondere dann von einer bestimmten sozialen Gruppe gesprochen werden kann, "wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird."
Aus Artikel 10, Absatz eins, Litera d, Qualifikationsrichtlinie ergibt sich für das Vorliegen einer sozialen Gruppe:
"Eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
--die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
--die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird."
Wenn in vereinzelten Beschwerden auf die soziale Gruppe der „Männer im kampffähigen Alter“ verwiesen wird, so sei der Vollständigkeit festgehalten, dass weder im Irak noch in der KRI eine Wehrpflicht besteht. Die Peshmerga sind die Streitkräfte der KRI und können sich kurdische Männer und Frauen freiwillig zum Dienst melden. Rekruten für die Peshmerga unterzeichnen einen Vertrag für eine bestimmte Dienstzeit, nach dessen Ablauf die Person freiwillig gehen kann. Auch der EuAA Country Guidance Bericht vom Juni 2022 bestätigt, dass das Anwerben Mitglied der Peshmerga zu werden, auf freiwilliger Basis basiert und es keine Berichte von Zwangsrekrutierungen gibt. Schon grundsätzlich kann letztlich im Hinblick auf die zitierte Judikatur und die Voraussetzungen für die Annahme einer Verfolgung einer sozialen Gruppe nicht erkannt werden, dass eine soziale Gruppe vorläge oder diese noch dazu einer relevanten Verfolgung unterliegen würde.
Den minderjährigen Kindern bP6 und bP7 steht der Zugang zur Bildung in der KRI offen, wie auch der Abschluss einer Berufsausbildung und sodann die Ausübung eines Berufes, etwa jener der Friseurin. Den volljährigen bP3 bis bP5 steht ebenfalls der Zugang zur Bildung in der KRI offen.
Eine asylrelevante Verfolgung im Sinne einer „sozialen Gruppe der Familie“ ist nur dann gegeben, wenn eine Person auf Grund ihrer Angehörigeneigenschaft zu einem Familienmitglied verfolgt wird, dem seinerseits aus anderen Konventionsgründen, etwa wegen seiner politischen Gesinnung, Verfolgung droht, mithin die Verfolgung auf das Familienmitglied "durchschlägt" vergleiche zur so genannten Sippenhaftung etwa VwSlg. 15.743 A/2001). Der Fluchtgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie kann aber auch dann erfüllt sein, wenn der einzige Grund für die Verfolgung einer Person ihre Angehörigeneigenschaft zu einem Familienmitglied ist, bei dem selbst entweder gar keine asylrelevante Verfolgung oder ebenfalls nur die Zugehörigkeit zum Familienverband als Anknüpfungsmerkmal iSd GFK vorliegt vergleiche VwGH 21.3.2007, Zl. 2006/19/0083 bis 0085). Eine derartige Konstellation, in der die Angehörigeneigenschaft bei sämtlichen verfolgten Familienmitgliedern das einzige Anknüpfungsmerkmal iSd GFK ist, liegt vor, wenn sich die private Verfolgung auf Grund eines Verhaltens, das die Verfolger einem Familienmitglied anlasten, gegen einen unbeteiligten Dritten bloß wegen dessen Abstammung richtet (VfGH 29.09.2014, Zl U2699/2013).
In der Praxis betrifft diese Konstellation häufig Fälle von Blutrache oder Blutfehden, also von Verfolgungshandlungen gegenüber Personen, die in die Rache gegen den unmittelbar Betroffenen bloß aufgrund ihrer familiären Verbindung zu diesem einbezogen werden (VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 mwA).
Gegenständlich wurde dem Vorbringen des Vaters, er sei von einem Gläubiger wegen offener Zahlungsforderungen bedroht worden, im Zuge der Beweiswürdigung schon die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Die anderen bP haben nicht einmal behauptet, persönlich bedroht worden zu sein und kann das Bundesverwaltungsgericht auch in Anbetracht der Berichtslage zur KRI – insbesondere auch kurdischen Stämmen im urbanen Bereich - keine konkrete Gefährdung – auch im Zusammenhang mit einer etwaigen Sippenhaftung oder der Annahme einer sozialen Gruppe der Familie - erkennen.
Selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens der bP1 fehlt es an einem kausalen Zusammenhang mit einem Konventionsgrund. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren vergleiche VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233 unter Hinweis auf VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112, mwN). Entscheidungswesentlich ist dabei, auf welche Ursachen allenfalls fehlender staatlicher Schutz zurückzuführen ist. Nur wenn der Heimatstaat des Beschwerdeführers aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren, käme einer primär kriminell motivierten Verfolgung nämlich asylrelevanter Charakter zu vergleiche VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010). Dass die irakischen Behörden aus asylrelevanten Gründen nicht gewillt wären, der bP1 oder einer anderen bP Schutz zu gewähren, wurde nicht einmal vorgebracht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
Da sich auch im Rahmen des Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten somit aus. Es gibt keine konkreten, glaubwürdigen Anhaltspunkte dafür, dass sie bei einer Rückkehr in den Irak maßgeblich wahrscheinlich Gefahr laufen würden, einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100). Dass Rückkehrer aus dem westlichen Ausland aus sonstigen Gründen besonders schutzbedürftig oder gefährdet wären, kann der Berichtslage den Irak betreffend ebenso wenig entnommen werden.
römisch II.3.3. Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat
römisch II.3.3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Paragraph 8, AsylG lauten:
„§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. | der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder |
2. | … |
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, ist mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, … zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offen steht.
…“
Der Prüfungsrahmen ist auf den Herkunftsstaat des Asylwerbers beschränkt.
Artikel 2, EMRK lautet:
„(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.
(2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:
…
Artikel 3, EMRK lautet:
„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Artikel eins, des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).
Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).
Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).
Artikel 3, EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.
Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Artikel 3, EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffene Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden vergleiche etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).
Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Artikel 3, EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Artikel 3, EMRK führen vergleiche für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).
Gem. der Judikatur des EGMR muss die bP die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen vergleiche EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 – Kalema gg. Frankreich, DR 53, Sitzung 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus vergleiche EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: römisch zehn u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen vergleiche EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, Sitzung 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt -so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht ( z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005).
Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle vergleiche VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann vergleiche auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).
Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] Paragraph 8, Absatz eins, AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre vergleiche VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).
Der VwGH geht davon aus, dass die bP vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.
Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn des Artikel 15, Litera c, der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlich bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (VG München 13.05.2016, M 4 K 16.30558).
Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Beschwerdeführers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein vergleiche EuGH U. 17.02.2009, C-465/07). Ob eine Situation genereller Gewalt eine ausreichende Intensität erreicht, um eine reale Gefahr einer für das Leben oder die Person zu bewirken, ist insbesondere anhand folgender Kriterien zu beurteilen: ob die Konfliktparteien Methoden und Taktiken anwenden, die die Gefahr ziviler Opfer erhöhen oder direkt auf Zivilisten gerichtet sind; ob diese Taktiken und Methoden weit verbreitet sind; ob die Kampfhandlungen lokal oder verbreitet stattfinden; schließlich die Zahl der getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten (EGRM U 28.06.2011, Sufi/Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 8319/07, 11449/07).
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Artikel 3, EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt jedoch nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09). Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Artikel 2, oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, zur Lage in Bagdad). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427).
Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).
Dessen ungeachtet sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch dann abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (Paragraph 8, Absatz 3, AsylG 2005).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen im Übrigen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Artikel 3, EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen vergleiche zum Ganzen VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).
römisch II.3.3.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtsprechung folgende Überlegungen angestellt:
Im gegenständlichen Fall ist es keiner der bP gelungen, eine individuelle Bedrohung bzw. Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen und gehören die bP auch keiner Personengruppe mit speziellem Risikoprofil an, weshalb sich daraus auch kein zu berücksichtigender Sachverhalt ergibt, der gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG zur Unzulässigkeit der Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung in den Herkunftsstaat führen könnte.
Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen in Bezug auf den Irak nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Artikel 2, bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.
Den bP droht – mangels dahingehender Anhaltspunkte – nicht die Todesstrafe, weshalb das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Artikel 2, EMRK, oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe ausscheidet.
Es kann auch nicht erkannt werden, dass den bP im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Artikel 3, EMRK überschritten wäre vergleiche hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), haben doch die bP selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihnen im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und sie in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären.
Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat der bP in einigen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vergleiche auch Artikel 3, des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch, jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter Paragraph 8, Absatz eins, AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.
Die Sicherheitslage im Irak hat sich seit dem Ende der groß angelegten Kämpfe gegen den Islamischen Staat (IS) erheblich verbessert. Ausweislich der Berichtslage herrscht im Irak weder ein Bürgerkrieg noch eine „allgemeine Kriegssituation“. Das Gouvernement Dahuk steht unter der Kontrolle der Demokratischen Partei Kurdistans und war dieses nicht von Angriffen des Islamischen Staates betroffen. Das Risiko von Anschlägen des Islamischen Staates besteht heutzutage zwar, allerdings vorrangig im irakisch-iranischen Grenzgebiet und an den Binnengrenzen zu den Gouvernements Diyala und Kirkuk. Das Gouvernement Dahuk liegt fernab dieser Gebiete.
Als problematisch können die militärischen Angriffe der Türkei auf Stellungen der PKK angesehen werden, da diese minunter auch zivile Opfer haben. Somit hat sich die Sicherheitslage in den nördlichen Grenzgebieten auf Grund von Konflikten zwischen türkischen Streitkräften und der PKK seit dem Jahr 2019 verschlechtert. Die nördlichen Grenzgebiete in den Distrikten Zakho und Amediye sind das Ziel türkischer Luft- und Artillerieangriffe, was etwa zur Evakuierung von 13 Dörfern führte. Da der Konflikt zunehmend über Distanzangriffe ausgetragen wird, wirkt er sich stärker auf das Leben der Zivilbevölkerung aus. In Anbetracht der aktuellen Sicherheitslage kommt die EUAA zum Schluss, dass alleine die Anwesenheit einer Zivilperson in den Distrikten Zakho und Amediye nicht ausreicht, um dem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne des Artikel 15 Litera c, der Richtlinie 2011/95/EU ausgesetzt zu sein. Allerdings erreicht die nicht gezielt gegen bestimmte Individuen gerichtete Gewalt ein hohes Ausmaß, so dass eine geringere Anzahl einzelner Elemente erforderlich ist, um die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15 Litera c, der Richtlinie 2011/95/EU festzustellen.
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist vor dem Hintergrund der von EGMR und EuGH entwickelten Kriterien für die Intensität genereller Gewalt zunächst maßgeblich, dass die bP in den letzten Jahrzehnten zwar in römisch 40 gelebt haben, dass sie jedoch nicht vorbrachten, in irgendeiner Weise in römisch 40 römisch 40 on Luftangriffen betroffen gewesen zu sein. Lediglich am Rande wird von einem der Söhne erwähnt, er habe Angst vor den türkischen Angriffen und verwies dieser auf die allgemein unsichere Lage. Die Eltern wiederum brachten derartige Bedenken nicht vor. Dass das „Dorf“ zerstört worden wäre wie die bP4 behauptete konnte nicht nachgewiesen werden und konnte auch aus der Berichtslage nicht abgeleitet werden. Im Distrikt leben nach wie vor mehrere Verwandte mit ihren Familien. Aus diesen Überlegungen geht das BVwG bereits nicht von einer realen Gefahr einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der bP infolge willkürlicher Gewalt aus.
Offenbar richten sich weder türkische Militäraktionen gezielt gegen den Herkunftsort (diesbezüglich weisen auch die laufend aktualisierten BAMF Briefing Notes keine Ereignisse auf), noch ist die Intensität der Vorfälle dermaßen hoch, dass eine erhebliche individuelle Bedrohung vorliegt. Entsprechend der Berichtslage bedienen sich die türkischen Streitkräfte zudem keiner Methoden und Taktiken, die direkt auf Zivilisten gerichtet sind. Von den 116 registrierten sicherheitsrelevanten Vorfällen im Distrikt römisch 40 im Jahr 2021 stehen 113 mit Kampfhandlungen des Türkei-PKK-Konflikts in Zusammenhang. Im Jahr 2022 waren es 20 Vorfälle von denen 18 Kampfhandlungen zwischen der türkischen Armee und der PKK betrafen. Mit Blick auf die Briefing Notes des deutschen BAMF für das erste Halbjahr 2023 ergaben sich keinerlei Angriffe auf römisch 40 und zeigen die vereinzelten Berichte zu Angriffen der türkischen Armee zumeist ein gezieltes Vorgehen: Am 17.05.23 hat ein vermutlich türkischer Kampfjet mehrere Ziele im Gouvernement Dohuk beschossen. Davon insbesondere betroffen waren die Berge um die Ortschaften Sheladze und Deralok. Am 23.05.23 wurde ein Gebäude der Yekîneyên Berxwedana Şingal (YBŞ, Widerstandseinheiten Shingal) in Khalaf (Bezirk Sinjar/Shingal, Provinz Ninive) mutmaßlich von türkischer Seite mit Drohnen angegriffen, dabei starben mindestens drei Kämpfer der YBŞ. Die YBŞ ist eine mit der PKK verbundene jesidische Miliz. Bei einem weiteren Drohnenangriff in Sinjar/Shingal wurden am 01.06.23 zwei weitere Kämpfer der YBŞ verletzt. Am 09.06.23 wurde ein aus der Türkei stammender Kurde in Sulaimaniyya auf offener Straße erschossen. Der Mann hatte mutmaßlich Verbindungen zur kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Am 11.06.23 starben zwei türkische Soldaten in Dohuk durch eine Bombe, ob es sich dabei um einen Vergeltungsschlag handelt, ist unklar. Am 24.06.23 bombardierte die türkische Luftwaffe die Bergregion von Metina (Provinz Dohuk); Zivilpersonen wurden Berichten zufolge nicht verletzt, das Gebiet ist aufgrund des Konflikt zwischen der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und dem türkischen Militär Sperrzone.
Auch wenn mit diesen von ACLED und dem BAMF aufgezeichneten Auseinandersetzungen tragische Fälle fehlgeleiteter (nicht gezielter) Angriffe einhergingen bzw. einhergehen können, bei welchen Zivilisten verletzt oder getötet werden, folgt aus den Feststellungen, dass die registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle im Distrikt nahezu ausschließlich auf Angriffe auf Stellungen der PKK bzw. bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen türkischen Streitkräften und PKK-Kämpfer zurückgehen. So wurden im Zeitraum Jänner 2021 bis Juni 2022 lediglich in zwei Fällen ein Zivilist Ziel oder Opfer von Gewalt.
Das Niveau genereller Gewalt erreicht im Herkunftsort der bP somit nicht eine solche Intensität, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung von Zivilpersonen darstellt. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle sind zwar der Anzahl nach zahlreich, betreffen aber nahezu ausschließlich Angriffe auf Stellungen oder Kämpfer der PKK. In Übereinstimmung mit der Einschätzung der EuAA ist daher nicht davon auszugehen, dass die bP bei einer Rückkehr in die Herkunftsregion dem realen Risiko eines ernsthaften Schadens ausgesetzt sind. Eine gravierende Intensivierung der Auseinandersetzungen zwischen der PKK und türkischen Streitkräften in der türkisch-irakischen Grenzregion droht ob der obigen Feststellungen nicht, eine Verschlechterung der Sicherheitslage ist daher nicht zu prognostizieren. Es liegt auch kein dahingehendes Vorbringen vor, sodass kein Anlass besteht, von der eingangs zitierten Einschätzung der EuAA abzugehen.
Die allgemeine Sicherheitslage ist daher nicht dergestalt, dass jeder dorthin Zurückkehrende der realen Gefahr unterläge, mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einer Verletzung seiner durch Artikel 2, oder 3 EMRK garantierten Rechte ausgesetzt zu sein oder für ihn die ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt anzunehmen wäre.
Maßgebliche individuelle Gefährdungsmomente sind nicht vorhanden. Die bP gehören nicht staatlichen oder privaten Sicherheitskräften an, haben kein politisches oder gesellschaftliches Amt inne und sind auch nicht wegen von ihnen gesetzten politischen oder zivilgesellschaftlichen Aktivitäten exponiert. Keiner der bP gehört der PKK an, so dass kein Grund erkennbar ist, weshalb sie im Rückkehrfall in bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der PKK und türkischen bzw. allenfalls auch kurdischen Streitkräften verwickelt werden sollten. Eine örtliche Verschiebung des bewaffneten Konflikts zwischen der PKK und türkischen Streitkräften von der türkisch-irakischen Grenzregion in die unmittelbare Herkunftsregion der bP droht nicht. Die bP4 und bP5 konnten nicht glaubhaft machen, dass sie von den Angriffen der türkischen Streitkräfte individuell betroffen gewesen wären; die anderen bP haben derartiges überhaupt nicht behauptet. Um von der realen Gefahr einer drohenden Verletzung der durch Artikel 2, oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372 mwN). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist in Anbetracht der Feststellungen zur Sicherheitslage und des Profils der bP nicht zu erkennen.
Das Bundesverwaltungsgericht kann zusammenfassend keine Gefährdungsmomente erkennen, die entgegen der vorstehenden Erwägungen doch die reale Gefahr eines ernsthaften Schadens begründen würden.
Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter Paragraph 8, Absatz eins, AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.
Weitere, in der Person der bP begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.
Zur individuellen Versorgungssituation der bP wurde bereits festgestellt, dass diese im Herkunftsstaat über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügen:
Bei den volljährigen bP1 bis bP5 handelt es sich um mobile, junge, gesunde, arbeitsfähige Menschen. Die minderjährige bP6 wird in Kürze 17 Jahre alt; die bP7 ist zehn Jahre und ist ihre Betreuung bzw. Obsorge durch Anwesenheit der bP1 und bP2 gesichert. Einerseits stammen die bP aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehören die bP keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellen, als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. So war es den bP auch vor dem Verlassen ihres Herkunftsstaates möglich, dort ihr Leben zu meistern.
Sämtliche bP haben den Großteil ihres Lebens in der KRI bzw. in Dahuk verbracht, wo sie der Mehrheitsethnie angehören und ihre Muttersprache etwa auch in den Schulen gelehrt wird. Sie sind mit den lokalen Gebräuchen und Sitten vertraut; auch die minderjährigen bP wurden in der KRI sozialisiert. Die männlichen bP haben alle Berufserfahrungen im Irak gesammelt. Allen arbeitsfähigen bP steht es frei eine Beschäftigung bzw. zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen oder das –wenn auch nicht sonderlich leistungsfähige- Sozialsystem des Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen. Der bP6 und bP7 steht eine Berufsausbildung und –ausübung ebenfalls offen.
Ebenso kam hervor, dass die bP im Herkunftsstaat nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen. Sie stammen aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird und können die bP daher Unterstützung durch ihre Familie erwarten.
Aufgrund der bereits getroffenen Ausführungen und Feststellungen ist jedenfalls im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht in eine, allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage geraten.
Es wäre den volljährigen bP zumutbar, durch eigene und notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite, zB. durch Hilfsorganisationen, karitativ tätige Organisationen – erforderlichenfalls unter Anbietung ihrer gegebenen Arbeitskraft als Gegenleistung - jedenfalls auch nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten, beizutragen, um das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen zu können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine oder wenig Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können.
Darüber hinaus ist es den bP unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Im Rahmen der Rückkehrhilfe wird dabei der Neubeginn zu Hause unterstützt, Kontakt zu Hilfsorganisationen im Heimatland vermittelt, finanzielle Unterstützung geleistet und beim Zugang zu Wohn-, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten geholfen. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Artikel 3, EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt demnach nicht vor.
Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht in eine, allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage geraten.
Anzumerken ist, dass nach wie vor die Familienangehörigen es offensichtlich für möglich und zumutbar erachten im Irak zu leben und dort das zum Leben Erforderliche zu erwirtschaften. Dass sich die bP in Relation zu diesen besonders exponiert hätten, kam nicht glaubhaft hervor.
Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die bP im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat die dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht über eine allfällige Anfangsschwierigkeit überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage geraten.
Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat wird keine der bP in ihren Rechten nach Artikel 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt.
römisch II.3.3.3. Im vorliegenden Fall konnten seitens der bP keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung in den Herkunftsstaat belegt werden, respektive die Notwendigkeit weitere Erhebungen seitens des Bundesverwaltungsgerichts. Aus der Aktenlage sind keine Hinweise auf das Vorliegen relevanter, (schwerer) Erkrankungen ersichtlich.
Die bP sind gesund und leiden an keiner schweren, lebensbedrohlichen Krankheit und wurden im Verfahren keine medizinischen Befunde vorgelegt. Aus den herangezogenen Länderberichten ist zudem ersichtlich, dass die medizinische Versorgung im Irak zwar sehr angespannt ist, sie ist aber grundsätzlich gegeben.
Im gegenständlichen Fall besteht im Lichte der Berichtslage kein Hinweis, dass die bP vom Zugang zu medizinsicher Versorgung im Irak ausgeschlossen wären und bestehen auch keine Hinweise, dass Krankheiten nicht behandelbar wären. Auch faktisch Hindernisse, welche das Fehlen eines Zugangs zur medizinischen Versorgung aus in der Person der bP gelegenen Umständen belegen würden, kamen nicht hervor.
Ebenso ist davon auszugehen, dass Österreich in der Lage ist, im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausreichende medizinische Begleitmaßnahmen zu setzen (VwGH 25.4.2008, 2007/20/0720 bis 0723, VfGH v. 12.6.2010, Gz. U 613/10-10 und die bereits zitierte Judikatur; ebenso Erk. des AsylGH vom 12.3.2010, B7 232.141-3/2009/3E mwN).
römisch II.3.3.4. Bei der Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter, volatiler allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich vergleiche UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Artikel 1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte in den Herkunftsländerinformationen hat sich die Behörde / das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich mit der Situation von Minderjährigen auseinanderzusetzen. Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt hervorgehoben, welche Bedeutung die Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige haben vergleiche zB VfGH 9.6.2017, E 484/2017 ua.; 11.10.2017, E 1803/2017 ua.; 25.9.2018, E 1463/2018 ua.; 26.2.2019, E 3837/2018 ua.; 13.3.2019, E 1480/2018 ua.; 26.6.2019, E 2838/2018 ua.; 26.6.2019, E 5061/2018 ua.; 26.6.2019, 1846/2019; 23.09.2019, E 1138/2019-16, E 1144-1145/2019-18 ua.).
Eine besondere Vulnerabilität - etwa aufgrund von Minderjährigkeit - ist bei der Beurteilung, ob den revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Artikel 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung mit der Situation, die eine solche Person bei ihrer Rückkehr vorfindet vergleiche VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0381, mwN).
Somit läge es an den bP, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihnen im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine insbesondere dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fordert das Prüfungskalkül des Artikel 3, EMRK für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).
Bei den bP handelt es sich insoweit risikoerhöhend um eine Familie mit fünf Kindern, wovon derzeit lediglich zwei minderjährig sind, wobei die bP6 in Kürze 17 Jahre alt wird. Familien mit minderjährigen Kindern stellen in Hinblick auf die minderjährigen Kinder eine besonders vulnerable und besonders schutzbedürftige Personengruppe dar vergleiche Definition schutzbedürftiger Personen in Artikel 21, der EU-Richtlinie 2013/33/EU). Diese besondere Vulnerabilität ist bei der Beurteilung, ob den bP bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Artikel 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen vergleiche VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0089; VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0036).
Dies verlangt wiederum – auch bei Kindern, die mit ihren Eltern leben – nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die bP am angenommenen Rückkehrort vorfinden, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474-0479, und VfGH 11.10.2017, E 1803-1805/2017). Dazu zählt insbesondere die Möglichkeit, eine entsprechende Unterkunft zu finden. Dabei reicht aus Sicht des Verwaltungsgerichtshofs ein allgemeiner Hinweis auf allfällig vorhandene familiäre Unterstützung nicht aus (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315-0320).
Aufgrund der Ermittlungsergebnisse und der gegenständlichen Familienstruktur geht das Bundesverwaltungsgericht von einer gesicherten Existenzlage der Eltern – und somit auch der Kinder - im Herkunftsstaat aus und hat sich zudem im Verfahren gezeigt, dass die Familie über ein Netzwerk verfügt, welches finanzielle Mittel zur Verfügung stellen kann (so wurde die Familie laut bP1 selbst noch in Österreich von Verwandten unterstützt). Die Familie war vor ihrer Ausreise bereits keiner existenzbedrohenden Notlage ausgesetzt und haben sich keine Gründe ergeben warum die Versorgung im Rückkehrfall – auch unter Berücksichtigung, dass der Vater das Haus verkauft hat – nicht sichergestellt sein sollte. Die Familie könnte für den Anfang bei einem der Brüder der bP1 unterkommen um sich sodann etwa um ein Miethaus zu kümmern. Die siebenköpfige Familie verfügt über zumindest vier männliche Familienangehörige, die zum Lebensunterhalt beitragen können; die Söhne sind auch alle noch ledig, sprich haben keine sonstigen finanziellen Verpflichtungen. Die bP verfügen über nahe Verwandte im Heimatort und stehen mit ihren Verwandten und Freunden nach wie vor in regelmäßigem, gutem Kontakt. Nachdem auch Stammesprobleme im Verfahren ausgeschlossen wurden, können auch von weiteren Verwandten Unterstützungsleistungen erwartet werden. Auch die in Europa ansässigen Verwandten haben die Familie unterstützt und sind keine Gründe hervorgekommen, warum diese Leistungen nunmehr im Falle der Rückkehr nicht erbracht werden könnten. Die bP2 war im Herkunftsstaat Hausfrau und hat sich um die Erziehung der Kinder gekümmert; auch diesbezüglich haben sich keine Änderungen ergeben. Wie bereits argumentiert stehen den minderjährigen Töchtern Schul- und Berufsausbildung in der KRI offen, auch ist ihnen eine Berufsausübung nicht verwehrt (weder durch die gesetzliche Lage, noch haben sich in Ansehung der Familie entsprechende Anhaltspunkte ergeben). Schließlich sind die beiden minderjährigen bP gesund. Ferner haben sich – wie bereits erörtert – keine Anhaltspunkte für das Risiko häuslicher oder geschlechtsspezifischer Gewalt, Zwangsprostitution, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit oder Zwangsehe im Rückkehrfall ergeben. Zusammengefasst verfügen die minderjährigen bP bei einer Rückkehr gemeinsam mit ihren Eltern und Brüdern in die Heimatprovinz Dahuk über eine gesicherte Existenzgrundlage, ihre Betreuung im Familienverband ist gesichert und können sie bei ihrer Rückkehr ihre Schulausbildung fortsetzen um sodann einen Beruf zu erlernen.
römisch II.3.3.5. Aufgrund der getroffenen Ausführungen ist davon auszugehen, dass die bP nicht vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen müssen, in ihrem Herkunftsstaat mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr im Sinne des Paragraph 8, AsylG ausgesetzt zu sein, weshalb die Gewährung von subsidiären Schutz ausscheidet.
Den beschwerdeführenden Parteien droht – im Lichte der vorangeführten Ausführungen - keine Gefahr im Sinne des Paragraph 8, AsylG, weshalb die Gewährung von subsidiärem Schutz zu verneinen ist.
römisch II.3.4. Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung
römisch II.3.4.1. Gesetzliche Grundlagen (auszugsweise):
Paragraph 10, AsylG 2005, Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme:
„§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. …
2. …
3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
4. – 5. …
(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
(3) ...“
Paragraph 57, AsylG 2005, Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:
Paragraph 57, (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Absatz eins a, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) –(4) …
Paragraph 9, BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) – (6) …“
Paragraph 52, FPG, Rückkehrentscheidung:
„§ 52. (1) …
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (Paragraph 10, AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. …
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. – 4. …
und kein Fall der Paragraphen 8, Absatz 3 a, oder 9 Absatz 2, AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(3)- (11)...“
Paragraph 55, FPG, Frist für die freiwillige Ausreise
Paragraph 55, (1)...
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß Paragraph 68, AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß Paragraph 18, BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. Paragraph 37, AVG gilt.
(4) – (5).
Artikel 8, EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
„(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“
römisch II.3.4.2. Die gegenständlichen, nach nicht rechtmäßiger Einreise in Österreich gestellten Anträge auf internationalen Schutz waren abzuweisen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt (ein sonstiger Aufenthaltstitel der drittstaatsangehörigen Fremden ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet) im Bundesgebiet mehr vor und fallen die bP nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.
Es liegen im Lichte des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise vor, dass den bP allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargetan. Die bB erteilte den bP zurecht kein Aufenthaltsrecht gem. Paragraph 57, AsylG, zumal der Aufenthalt der bP nicht gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Absatz eins a, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, dies nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel erforderlich ist und die bP auch nicht Opfer von Gewalt wurden, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896 erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und die bP auch nicht glaubhaft machten, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Gemäß Paragraph 10, Absatz 2, AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
römisch II.3.4.3. Die Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann einen ungerechtfertigten Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Artikel 8, Absatz eins, EMRK darstellen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.
Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR, Cruz Varas and others vs Sweden, 46/1990/237/307, 21.3.1991).
römisch II.3.4.4. Fallbezogen stellten die bP im Mai 2021 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Ihre Beschwerden wurden in allen Spruchpunkten abgewiesen, so dass die Familienmitglieder in gleichem Maße von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen sind. Bei den bP handelt es sich um die Eltern mit ihren fünf Kindern, die ansonsten über keine Verwandten in Österreich verfügen. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme bewirkt somit lediglich einen Eingriff in das Privatleben der bP.
Gemäß Artikel 8, Absatz 2, EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Zweifellos handelt es sich sowohl bei der belangten Behörde als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Artikel 8, Absatz 2, EMRK und ist der Eingriff in Paragraph 10, AsylG gesetzlich vorgesehen.
Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung der durch Artikel 8, (1) EMRK geschützten Rechte der bP im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Artikel 8, EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Artikel 8, (2) EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.
römisch II.3.4.5. Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der gesetzlichen Determinanten im Lichte der Judikatur Folgendes:
● Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war
Die bP halten sich seit etwas mehr als zwei Jahren in Österreich auf. Sie reisten illegal in das Bundesgebiet ein und konnten ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung unbegründeter Anträge auf internationalen Schutz vorübergehend legalisieren.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet – ohne Hinzutreten weiterer maßgeblicher Umstände - noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Artikel 8, EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (VwGH vom 23.10.2019, Zl. Ra 2019/19/0289, vergleiche auch VwGH 5.6.2019, Ra 2019/18/0078; 15.3.2016, Ra 2016/19/0031; jeweils mwN). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil - abseits familiärer Umstände - eine von Artikel 8, EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist.
Die Aufenthaltsdauer nach Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer eins, BFA-VG ist allerdings nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist. Liegt eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen vergleiche VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0212, mwN).
Auch wenn im Rahmen dieses Faktums entsprechend der aktuellen Judikatur zu berücksichtigen ist, dass eine Antragstellung vom Ausland aus nicht möglich und daher -de facto in den überwiegenden Fällen- eine solche erst nach illegaler Einreise möglich ist, muss auch darauf hingewiesen werden, dass die handlungsfähigen bP die rechtswidrige Einreise sichtlich in Umgehungsabsicht von fremden- und niederlassungsrechtlichen Vorschriften zur Stellung eines sichtlich unbegründeten Antrages auf internationalen Schutzes vornahm und die Behörden wiederholt täuschten, was wiederum sehr wohl fremdenrechtlichen Interessen, im Sinne eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung berührt.
Liegt - wie im gegenständlichen Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer der Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären vergleiche etwa VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0498, mwN).
● Das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Privatlebens)
Vor allem die Kinder der bP1 und bP2 verfügen über erste soziale Anknüpfungspunkte im Inland; entweder im Rahmen der Schule, bei der bP3 durch ihre Erwerbstätigkeit (Kollegenkreis) und durch Freizeitaktivitäten (Fußball spielen). Die Kinder der bP1 und bP2 sind alle ledig.
In Bezug auf die im Bundesgebiet aufhältigen Mitglieder der Kernfamilie wurde bereits festgehalten, dass sämtliche Familienmitglieder im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen sind, weshalb diese keinen Eingriff in das Familienleben der bP darstellen (wie bereits zitiert: EGMR, Cruz Varas and others vs Sweden, 46/1990/237/307, 21.3.1991).
● Die Schutzwürdigkeit des Privatlebens
Die bP begründeten ein allfälliges Privatleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert wurde. Auch war der Aufenthalt der bP zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privat- und Familienlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt. Es ist auch festzuhalten, dass die bP nicht gezwungen sind, nach einer Ausreise die bestehenden Bindungen zur Gänze abbrechen zu müssen. So stünde es ihnen frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten vergleiche Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Artikel 8, MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN).
Ebenso stünde es den bP frei – so wie jedem anderen Fremden auch - sich um eine legale Wiedereinreise und einen legalen Aufenthalt zu bemühen. Soweit die minderjährigen bP hier aufgrund ihres Alters dazu nur eingeschränkt in der Lage sind, können sie sich der Unterstützung ihrer Eltern bedienen.
● Grad der Integration
Die volljährigen bP – mit Ausnahme der bP3 - haben hierorts keine maßgeblichen wirtschaftlichen Anknüpfungspunkte in Form einer legalen Erwerbstätigkeit oder anderweitiger maßgeblicher wirtschaftlicher Interessen und sind zum Entscheidungszeitpunkt zur Sicherstellung ihres Auskommens auf Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber angewiesen. Die bP3 hat sich um Erteilung einer Beschäftigungsbewiligung bemüht und ist diese seit 01.06.2022 mit kurzen Unterbrechungen im Bereich der Gastronomie beschäftigt. Sie ist zurzeit selbsterhaltungsfähig und wohnt auch nicht mehr bei der Familie, sondern in einer Unterkunft ihres Arbeitgebers. Die somit nur kurz bezogenen Leistungen aus der Grundversorgung und die nunmehrige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sind für die bP3 zu werten, wenn auch ob der kurzen Dauer noch von keiner tiefgreifenden beruflichen Integration gesprochen werden kann.
Die anderen volljährigen bP konnten nicht überzeugend argumentieren, warum dem Sohn/Bruder eine Beschäftigung und damit die Lukrierung eines Verdienstes möglich ist – ihnen selbst jedoch nicht; sie haben sich weder um Einstellungszusagen noch um eine Ausbildung im Inland bemüht.
Keine der bP hat sich um den Erwerb der deutschen Sprache in den letzten zwei Jahren ernstlich bemüht. Zu einzelnen Familienmitgliedern wurden Unterlagen zu einem Deutschkurs beginnend mit Ende April 2023 (die bP sind seit Mai 2021 in Österreich aufhältig) in Vorlage gebracht. Auch um eine Ausbildung (eines der Hauptargumente der bP für den weiteren Verbleib in Österreich) hat sich sichtlich keine ernsthaft bemüht. Wenn die minderjährige bP7 eine NMS besucht, so kommt sie damit der Schulpflicht in Österreich nach und bestätigt sie mit Vorlage der Zeugnisse den Besuch der Schule, es fanden jedoch nur in zwei Nebenfächern Benotungen statt. Die bP6, die ebenfalls die Schul- und Berufsmöglichkeiten in Österreich in ihren Aussagen immer wieder in den Vordergrund stellte, hat eine Polytechnischen Lehrgang „besucht“ – sie hat weder tiefergehende Deutschkenntnisse nachgewiesen, noch wurden ihre Leistungen in der Schule benotet.
Die volljährigen bP sind – in Bezug auf ihr jeweiliges Lebensalter - erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig, haben hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und waren im Asylverfahren nicht in der Lage, ihren Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen.
Die Kinder der bP1 und bP2 haben wie bereits dargestellt erste Bekanntschaften geschlossen, tiefgreifende Beziehungen zu in Österreich rechtmäßig aufhältigen Personen wurden nicht dargelegt. Keine der bP engagiert sich ehrenamtlich oder in einem Verein. Die behaupteten punktuellen ehrenamtlichen Tätigkeiten wurden weder belegt noch haben sie in der letzten Zeit oder kontinuierlich stattgefunden und können selbst bei Annahme, dass die bP vereinzelt über die Caritas bei Aktionen teilgenommen haben, keine tiefergehenden Aspekte einer Integration erkannt werden.
Im Verfahren kam somit nicht hervor, dass eine der bP tiefergehend in die österreichische Gesellschaft integriert wäre. Es liegen daher keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale vor.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die –hier bei weitem nicht vorhandenen- Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).
● Bindungen zum Herkunftsstaat
Die bP verbrachten den überwiegenden Teil ihres Lebens im Irak bzw. der KRI, wurden dort sozialisiert und bekennen sich sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung. Sie sprechen ihre Muttersprache und arabisch auf sehr guten Niveau. In ihrer Heimatprovinz leben mehrheitlich Kurden und selbst gemäß den Angaben der bP keine bzw. kaum Schiiten. Keine der bP hat eine Schul- oder Berufsausbildung im Irak abgeschlossen, jedoch haben sämtliche bP eine Grundschulausbildung – auch die bP 2 zumindest für einige Jahre - im Irak absolviert. Weder Schul- noch Berufsausbildung oder Berufsausübung waren den bP bis dato in der KRI verwehrt und sind sie dies auch nicht bei einer Rückkehr der gesunden und arbeitsfähigen bP.
Die volljährigen, arbeitsfähigen männlichen bP waren im Irak bereits beruflich tätig; vorwiegend im Bereich der Gastronomie; die bP1 hat in der Vergangenheit ein Restaurant und ein Lebensmittelgeschäft auf selbständiger Basis betrieben und sind keine Gründe im Verfahren hervorgekommen, warum sie nicht erneut in den genannten Bereichen – ob nun auf selbständiger oder unselbständiger Basis – tätig sein sollte. Die Söhne, bP3 bis bP5 haben ebenfalls Berufserfahrungen in der KRI gesammelt, waren auch bis zuletzt dort tätig bzw. haben von sich aus Tätigkeiten abgebrochen (etwa bP4).
Auch den beiden Töchtern, bP6 und bP7 steht in der KRI eine weitere Schul- und Berufsausbildung wie auch Berufsausübung offen und sind im Verfahren keine stichhaltigen Gründe hervorgekommen, warum etwa die bP6 nicht den Beruf der Friseurin in der KRI ausüben könnte. Bei den minderjährigen bP6 und bP7 ist zudem festzuhalten, dass es sich dabei um eine fast 17jährige und eine 10jährige gesunde junge Frau bzw. Mädchen handelt, die ebenfalls in der KRI sozialisiert wurden und mehrere Jahre dort in die Schule gingen.
Die Familie verfügt über familiären Anschluss durch die Geschwister der bP1 (zwei Brüder) und die Mutter und Geschwister der bP2 (drei Brüder und drei Schwestern) und haben sämtliche bP durchgängig im Verfahren angegeben, mit ihren Verwandten, teils auch noch mit Freunden in gutem und regelmäßigen Kontakt zu stehen. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es den bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.
Aus welchen Gründen die volljährigen bP als erwachsene, gesunde und arbeitsfähige Menschen bei einer Rückkehr in den Irak nicht in der Lage sein sollten, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, ist nicht ersichtlich bzw. wurde auch nicht vorgebracht, zumal die volljährigen bP über den kulturellen Hintergrund und die erforderlichen Sprachkenntnisse für ihre Herkunftsregion im Irak verfügen. Den bP steht es als irakische Staatsbürger auch offen, am Public Distribution System (PDS) teilzunehmen.
Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland – letztlich Folge des seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens des Heimatlandes – sind im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen vergleiche VwGH 17.04.2020, Ra 2020/21/0083).
● Strafrechtliche Unbescholtenheit
Die strafmündigen bP sind in Österreich jeweils strafrechtlich unbescholten.
Die Feststellung, wonach die bP strafrechtlich unbescholten ist, relativiert sich durch den erst verhältnismäßig kurzen Aufenthalt der bP und stellt darüber hinaus laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.
● Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts
Die bP reisten schlepperunterstützt und unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Gebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und verletzten hierdurch das hoch einzuschätzende Öffentliche Interesse an einem geordneten Vollzug des Fremden- und Niederlassungsrecht.
Soweit die minderjährigen bP hierbei keinen Einfluss auf das Verhalten ihrer Eltern hatten, wird auf die Ausführungen hinsichtlich der objektiven Zurechenbarkeit des Verhaltens der Eltern hingewiesen, welche hier sinngemäß gelten.
Auf das Wiederaufleben der Strafbarkeit der seinerzeitigen Einreise und die hierzu bereits angestellten Überlegungen wird an dieser Stelle nochmals verwiesen.
● Die Frage, ob das Privatleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst waren:
Den volljährigen bP musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender ist. Ebenso indiziert die rechtswidrige und schlepperunterstützte Einreise den Umstand, dass den bP die Unmöglichkeit der legalen Einreise und dauerhaften Niederlassung bewusst war, da davon auszugehen ist, dass sie in diesem Fall diese weitaus weniger beschwerliche Art der legalen Einreise und Niederlassung gewählt hätten.
● Mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer:
Ein derartiges Verschulden kann der Aktenlage nicht entnommen werden.
- Auswirkung der allgemeinen Lage in Irak bzw. der KRI auf die bP
Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass dem Artikel 8, EMRK innewohnenden Recht auf das Privat- und Familienleben auch ein Recht auf körperliche Unversehrtheit abzuleiten ist vergleiche etwa Erk. d. VwGH vom 28.6.2016, Ra 2015/21/0199-8). Vor diesem Hintergrund ist die Zulässigkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Lichte des Artikel 8, EMRK auch vor dem Hintergrund der Lage im Herkunftsstaat, welche die bP im Falle einer Rückkehr vorfinden, zu prüfen, wobei bereits an dieser Stelle Artikel 8, EMRK –anders als Artikel 3, leg. cit.- einen Eingriffsvorbehalt kennt.
Im Rahmen der Beurteilung der allgemeinen Lage in der der Republik Irak bzw. der KRI ergaben sich im gegenständlichen Fall keine Hinweise auf einen aus diesem Blickwinkel relevanten Sachverhalt. Es ist den Geschwistern der bP1 und bP2 und deren Familien, die ebenfalls der kurdischen Volksgruppe und der sunnitischen Religiongsgemeinschaft angehören, möglich in der Heimatprovinz der bP zu leben und dort ihren Lebensunterhalt zu besorgen. Wenn von den Söhnen der bP1 und bP2 mangelnde berufliche Verdienstchancen aufgeworfen wurden, so ist einerseits entgegenzuhalten, dass sich keiner um eine entsprechende Schul- oder Berufsausbildung bemühte, jedoch sehr wohl berufstätig war, andererseits, dass es ihren Verwandten und Freunden offenkundig möglich ist, in unterschiedlichen Berufen ihr Auskommen zu finden.
- Zurechenbarkeit des Verhaltens der Eltern
Das ho. Gericht verkennt zwar nicht, dass sich die Kinder das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung gemäß Artikel 8, EMRK nicht im vollen Umfang subjektiv verwerfen lassen müssen, doch ist dieses Verhalten dennoch nicht unbeachtlich.
Der Verfassungsgerichtshof hielt in seiner Entscheidung vom 10.03.2011, Zl. B1565/10 (betreffend einem im Alter von 8 Jahren mit seinen Eltern eingereisten, im Entscheidungszeitpunkt 17-jährigen, welcher beinahe die gesamte Schullaufbahn in Österreich absolvierte und herausragende sportliche Leistungen für einen österreichischen Sportklub erbrachte) fest, dass es in der Verantwortung des Staates gelegen ist, Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass dem 17-jährigen die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre, - neun Jahre verstreichen. Es sei die Aufenthaltsverfestigung des 17-jährigen zwar überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgt, keine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung sei vorgelegen; jedoch sei ihm als Minderjährigem, der seine Eltern nach Österreich begleitete, dies nicht in jenem Maße zuzurechnen wie seinen Obsorgeberechtigten.
In diesem Fall wurde festgehalten, dass keine Anpassungsfähigkeit des 17-jährigen mehr vorliege, der wesentliche Teile seiner Kindheit und Jugend in Österreich verbrachte (im Gegensatz zu Kindern, die sich im Zeitpunkt ihrer Ausweisung noch in anpassungsfähigem Alter befinden; vergleiche EMRK 26.01.99, Fall Sarumi, Appl 43279/98) und wurden grundsätzliche Ausführungen zur herabgesetzten Verantwortlichkeit von Minderjährigen getroffen.
Auch in der Entscheidung des VfGH vom 07.10.2010, Zl. B 950-954/10-08 wurde unter Bezugnahme auf das mangelnde Verschulden der Beschwerdeführer an der 7-jährigen Verfahrensdauer festgehalten, dass die belangte Behörde bei ihrer Interessenabwägung zusätzlich stärker gewichten hätte müssen, dass die minderjährigen Beschwerdeführer den Großteil ihres Lebens ins Österreich verbracht haben, sich mitten in ihrer Schulausbildung befanden und sich hier sowohl schulisch als auch gesellschaftlich sehr gut integriert haben.
Insbesondere hätte die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte vergleiche zB VfGH 12.6.2010, U614/10) – in diesem Fall die Integration der Beschwerdeführer während ihrer einzigen Asylverfahren, welche für die Bf. 1, 2, 3 und 4 sieben Jahre (in denen keine einzige rechtskräftige Entscheidung ergangen ist) dauerten, erfolgte. Dass dies auf eine schuldhafte Verzögerung durch die Beschwerdeführer zurückzuführen wäre, wurde von der belangten Behörde weder dargestellt, noch war es aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten ersichtlich.
Obwohl der Verfassungsgerichtshof in diesen beiden Entscheidungen die den Beschwerdeführern nicht zurechenbarer Dauer der Asylverfahren als wesentliches Argument für eine Interessensabwägung zu Gunsten der Beschwerdeführer herangezogen hat, ist dennoch aus dem Beschluss des VfGH vom 12.6.2010, U614/10 ableitbar, dass in gewissen Fällen trotz fehlender subjektiver Vorwerfbarkeit des Verhaltens der Minderjährigen im Hinblick auf die Verfahrensdauer dennoch das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung in Bezug auf die minderjährigen Kinder eine Rolle spielt.
Es wird in diesem Zusammenhang auf die Erkenntnisse des VfGH vom 12.6.2010, erstens Zl. U 614/10 (Beschwerdeführerin wurde 1992 geboren, war zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich minderjährig, hatte zumindest am Anfang ihres Aufenthaltes in Österreich keinen Einfluss auf das bzw. die Asylverfahren, entzog sich aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Alter der mündigen Minderjährigkeit und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge), zweitens Zl. U613/10 (Beschwerdeführerin wurde 1962 geboren, war während des gesamten Verfahrens handlungsfähig und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge) und den Beschluss desselben Tages Zl. U615/10 ua (minderjährige Asylwerber während des gesamten Asylverfahrens, welche auf den Verlauf des Verfahrens bzw. der Verfahren keinen Einfluss hatten) hingewiesen. In diesen Verfahren stellte der VfGH in Bezug auf die 1962 geborene Beschwerdeführerin im vollen Umfang und in Bezug auf die 1992 geborene Beschwerdeführerin (Tochter der 1962 geborenen Beschwerdeführerin) in einem gewissen eingeschränkten Umfang fest, dass sich diese das Verhalten, welches zum langen Aufenthalt in Österreich führte, zurechnen lassen müssen und es daher nicht zu ihren Gunsten im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des Artikel 8, EMRK geltend machen können. Obwohl die minderjährigen Beschwerdeführer auf das Verhalten ihrer 1962 geborenen Mutter und 1992 geborenen Schwester keinerlei Einfluss hatten und ihnen deren Verhalten, insbesondere jenes der Mutter, nicht subjektiv vorgeworfen werden konnte, wurde die Behandlung derer Beschwerden dennoch mit Beschluss U615/10 ua. abgewiesen.
Entsprechend der höchstgerichtlichen Judikatur darf bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände iSd Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 8, BFA-VG 2014 maßgeblich relativierend einbezogen werden, dass sich der Fremde (spätestens nach Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz im Administratvverfahren) seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste vergleiche VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0034; VwGH 22.12.2009, 2009/21/0348). Wenngleich minderjährigen Kindern dieser Vorwurf nicht zu machen ist, muss das Bewusstsein der Eltern über die Unsicherheit ihres Aufenthalts auch auf die Kinder durchschlagen vergleiche VwGH 29.2.2012, 2009/21/0251), wobei diesem Umstand allerdings bei ihnen im Rahmen der Gesamtabwägung im Vergleich zu anderen Kriterien weniger Gewicht zukommt vergleiche VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072; 28.02.2020, Ra 2019/14/0545; 23.10.2019, Ra 2019/19/0405).
Im Lichte der beschriebenen Ausführungen verkennt das ho. Gericht zwar nicht, dass sich die Kinder das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung gemäß Artikel 8, EMRK nicht im vollen Umfang subjektiv verwerfen lassen müssen, doch ist dieses Verhalten im Rahmen einer objektiven Zurechnung dennoch nicht unbeachtlich und gelten die Ausführungen in Bezug auf die Eltern –wenn auch in abgeschwächter Form- auch für die Kinder.
- Kindeswohl
Der VwGH hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass im Rahmen der Interessenabwägung nach Artikel 8, EMRK die Auswirkungen der Entscheidung und die Konsequenzen einer Außerlandesbringung des Beschwerdeführers auf das Familienleben und auf das Kindeswohl zu erörtern sind vergleiche jüngst VwGH 15.3.2022, Ra 2021/21/0286; VwGH 22.02.2022 Ra 2021/21/0322).
Allfällige ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt (OGH 08.07.2003, Zl. 4Ob146/03d unter Verweis auf Coester in Staudinger, BGB13 Paragraph 1666, Rz 82 mwN). Zudem gehören die Eltern und deren soziookönomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (ebd.).
Bei der Beurteilung, ob im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Verletzung von durch Artikel 2 und 3 EMRK geschützten Rechten droht, ist nach der Judikatur des VwGH eine eventuelle besondere Vulnerabilität der Betroffenen im Speziellen zu berücksichtigen, wobei der VwGH auch auf die Definition schutzbedürftiger Personen in Artikel 21, Der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) verweist vergleiche zuletzt VwGH vom 13.12.2018, Zl. Ra 2018/18/0336 sowie vom 30.08.2017, Zl. Ra 2017/18/0089 zum Irak sowie VwGH vom 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 und diverse andere zu Afghanistan). Artikel 21, der Aufnahmerichtlinie zählt als besonders schutzbedürftige Personen unter anderem Minderjährige auf.
Der Verfassungsgerichtshof hat - aufgrund der vom BVwG selbst herangezogenen UNHCR-Richtlinien- in seiner Entscheidung vom 12.12.2018, Zl E 667/2018 hinsichtlich einer Familie aus Kabul festgehalten, dass Familien mit besonderem Schutzbedarf - nach Ansicht des UNHCR - nur dann eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offensteht, wenn sie Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, die Zurückkehrenden tatsächlich zu unterstützen. Die zugrundeliegende Entscheidung des BVwG wurde behoben, da vom BVwG nicht näher begründet wurde, warum es davon ausging, dass der Bruder der Erstbeschwerdeführerin eine sechsköpfige Familie ausreichend unterstützen könne bzw wolle. Es sei verabsäumt worden, die Erstbeschwerdeführerin zur konkreten Lebenssituation ihres Bruders und ihrer Schwester zu befragen.
Demnach wird von der Judikatur – zuletzt auch in einer Einzelentscheidung hinsichtlich des sicheren Herkunftsstaates Georgien (VwGH vom 07.03.2019, Ra 2018/21/0216 bis 0217-13) - eine konkrete Auseinandersetzung damit gefordert, welche Rückkehrsituation eine Familie mit minderjährigen Kindern im Herkunftsstaat tatsächlich vorfindet, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479) sowie der Unterkunftsmöglichkeit (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).
Im vorliegenden Fall ist daher insbesondere zu berücksichtigen, dass unter den bP minderjährige Kinder – somit Angehörige einer besonders vulnerablen und besonders schutzbedürftigen Personengruppe - sind. Daher ist eine konkrete Auseinandersetzung mit der Rückkehrsituation, die die minderjährigen bP bzw. die Familie mit minderjährigen Kindern im Heimatstaat tatsächlich vorfinden würden, erforderlich.
Nach der Rechtsprechung des VwGH sind gemäß Paragraph 9, Absatz eins und 2 BFA-VG 2014 bei einer Rückkehrentscheidung, von welcher Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (Hinweis Urteile des EGMR vom 18. Oktober 2006, Üner gegen die Niederlande, Beschwerde Nr. 46410/99, Randnr. 58, und vom 6. Juli 2010, Neulinger und Shuruk gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 41615/07, Randnr. 146). Maßgebliche Bedeutung kommt hinsichtlich der Beurteilung des Kriteriums der Bindungen zum Heimatstaat nach Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 5, BFA-VG 2014 dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden ("adaptable age"; Hinweis Urteile des EGMR vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie und andere gegen Norwegen, Beschwerde Nr. 265/07, Randnr. 66, vom 17. Februar 2009, Onur gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 27319/07, Randnr. 60, und vom 24. November 2009, Omojudi gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 1820/08, Randnr. 46; siehe dazu auch das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2007, Zlen. 2006/01/0216 bis 0219) befinden vergleiche VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072, mwN zur diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR; 24.09.2019, Ra 2019/20/0274; Führt die Überprüfung des Kriteriums nach Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 5, BFA-VG 2014 zu dem Ergebnis, dass eine Minderjährige zum Heimatland keine oder nur mehr äußerst geringe Bindungen aufweist, wird das - vorausgesetzt, sie ist unbescholten und hat in Österreich einen ausreichenden Grad an Integration erreicht - in der Regel dafür sprechen, ihr den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, und zwar jedenfalls dann, wenn nicht - in zumutbarer Weise - erwartet werden kann, dass sie sich im Falle einer Rückführung an die Verhältnisse im Heimatland, etwa das Erlernen der dortigen Sprache, den Aufbau neuer Kontakte, die Fortsetzung einer begonnenen Ausbildung, usw., wieder anpassen. In einem solchen Fall kommt auch bei einer verhältnismäßig kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich den fehlenden Bindungen der Minderjährigen zum Heimatstaat im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung großes Gewicht zu (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070).21.05.2019, Ra 2019/19/0136).
Grundsätzlich ist im gegenständlichen Fall festzuhalten, dass sämtlich bP irakische Staatsangehörige sind und alle im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bedroht sind und gehören die sozioökonomischen Lebensverhältnisse der bP 1 und bP 2 zum von den minderjährigen bP6 und bP7 hinzunehmenden Lebensrisiko, weshalb aus dem Umstand der Beendigung des Aufenthaltes per se noch kein relevanter Eingriff in das Kindeswohl ableitbar ist.
Die bP6 und bP7 kamen im vierzehnten und achten Lebensjahr nach Österreich. Sie sprechen die Mehrheitssprache ihrer Herkunftsprovinz, gehören dort auch der Mehrheitsethnie an, wurden in der KRI sozialisiert, haben dort nach wie vor Verwandte und Freunde und haben den Großteil ihrer bisherigen Schulausbildung ebenfalls in der KRI erhalten. Den beiden wird die Wiederaufnahme ihrer Schulausbildung (sollte dies nunmehr auch von der bP6 gewünscht sein) in der Herkunftsprovinz möglich sein und steht ihnen der Zugang zum Schulsystem in der KRI offen. Durch ihre Sozialisierung in der KRI über gut vierzehn bzw. acht Jahre hinweg sind sie mit den gesellschaftlichen Werten, der Kultur, Sitten und Gebräuchen eingehend vertraut.
Vor diesem Hintergrund vermag das Bundesverwaltungsgericht auch nicht zu erkennen, dass durch eine Rückkehrentscheidung in die etwa in der UN-Kinderrechtskonvention oder der Grundrechtscharta verbrieften Rechte auf unzulässige Weise eingegriffen würde.
Wie bereits ausgeführt verfügen die minderjährigen bP über Bezugspersonen in Form naher Angehöriger in der KRI (Großelternteile, Tanten und Onkeln, Cousins und Cousinnen). Zudem werden die minderjährigen bP in Beleitung ihrer Eltern in den Herkunftsstaat zurückkehren, wodurch die erneute Eingliederung nochmals erleichtert wird.
In Anbetracht der gemeinsamen Rückkehr im Familienverband kann auch davon ausgegangen werden, dass auf Grund der Anwesenheit sämtlicher Bezugspersonen keine das Kindeswohl beeinträchtigende Entwurzelung eintritt (VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162). Die gebotene Berücksichtigung des Kindeswohls führt somit nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Rückkehrentscheidung.
römisch II.3.4.6. Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Artikel 8, (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Absatz 2, EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).
Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).
Ebenso wird durch die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung und das nur für die Dauer des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsrecht, das fremdenpolizeiliche Maßnahmen nach (negativer) Beendigung des Asylverfahrens vorhersehbar erscheinen lässt, die Interessensabwägung anders als in jenen Fällen, in welchen der Fremde aufgrund eines nach den Bestimmungen des NAG erteilten Aufenthaltstitels aufenthaltsberechtigt war, zu Lasten des (abgelehnten) Asylsuchenden beeinflusst vergleiche Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Seite 348).
Im gegenständlichen Fall ist bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Sachverhalt ersichtlich, welcher die Annahme rechtfertigen würde, dass den bP gem. Paragraph 21, (2) und (3) NAG die Legalisierung ihres Aufenthaltes vom Inland aus offen steht, sodass sie mit rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine unbedingte Ausreiseverpflichtung trifft, zu deren Durchsetzung es einer Rückkehrentscheidung bedarf.
Bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens sind die bP somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.
Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der Ausweisung [bzw. nunmehr Rückehrentscheidung] von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.
Wie bereits erwähnt, garantiert die EMRK gemäß der Rechtsprechung des EGMR vergleiche aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Ausweisungsentscheidung) aber auch in das nach Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben eines Fremden eingreifen (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland oder BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vergleiche dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).
Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde vergleiche hierzu auch das Estoppel-Prinzip [„no one can profit from his own wrongdoing“], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).
römisch II.3.4.7. Zusammenfassende Abwägung
Im Rahmen der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass es im Sinne des Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 8, BFA-VG grds. maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich (spätestens nach Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz durch das Bundesamt) die bP ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 10.04.2017, Ra 2016/01/0175).
Die strafrechtliche Unbescholtenheit kann von einem Fremden, welcher sich integrieren möchte, vorausgesetzt werden und vermag dies die privaten Interessen nicht sonderlich verstärken.
Die Aufenthaltsdauer nach Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer eins, BFA-VG 2014 stellt nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist vergleiche etwa VwGH vom 30. Juli 2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058).
Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass bei einer relativ kurzen Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich von noch nicht fünf Jahren nach der Rechtsprechung regelmäßig erwartet wird, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (VwGH 10.04.2019, Ra 2019/18/0049 mwN).
Besteht aber insgesamt noch keine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen, dass von einer "außergewöhnlichen Konstellation" gesprochen werden kann, so muss dem Fremden allein wegen seiner Integrationsbemühungen - ungeachtet des noch nicht langen Inlandsaufenthalts und des Umstands, dass bei ihm nur ein Eingriff in das Privatleben und nicht auch in ein Familienleben zur Debatte steht - nicht unter dem Gesichtspunkt des Artikel 8, MRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden ( VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0189; VwGH 28.11.2019, Ra 2019/18/0457, 0458).
Insbesondere aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer der bP in Österreich sind zum Entscheidungszeitpunkt keine Aspekte einer außergewöhnlichen schützenswerten, dauernden Integration hervorgekommen, dass allein aus diesem Grunde die Rückkehrentscheidungen auf Dauer unzulässig zu erklären wären.
Es wird seitens des BVwG nicht verkannt, dass auch Aspekte einer allenfalls vorliegenden besonderen Vulnerabilität der Beschwerdeführer, sofern diese die Schwelle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes nicht erreichen, im Zuge der Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens entsprechend zu berücksichtigen sind. Insofern kann etwa auch das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich höheres Gewicht verleihen (in diesem Sinne vergleiche bereits VwGH 22.7.2011, 2010/22/0171); in diesem Sinn können auch hier Aspekte des Artikel 3, EMRK relevant sein; siehe zuletzt VwGH 15.10.2015, Ra 2015/20/0218-0221). Es obliegt dem Fremden, substanziiert darzulegen, auf Grund welcher konkreter Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig ist und dass diese nur in Österreich erfolgen kann. Denn nur dann ist ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse iSd Artikel 8, MRK an einem Verbleib in Österreich -auch in seinem Gewicht - beurteilbar (VwGH vom 05.07.2011, Zl. 2008/21/0282; vergleiche auch VwGH vom 15. Mai 2007, 2006/18/0107).
Auch diese Voraussetzungen sind fallgegenständlich nicht gegeben. Wie bereits zuvor festgehalten, befindet sich keine der bP in Österreich aktuell in einer ärztlichen bzw. psychologischen Behandlung.
Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände und unter Einbeziehung der oa. Judikatur der Höchstgerichte ist gegenständlich ein überwiegendes öffentliches Interesse – nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, konkret das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung und Stärkung der Einwanderungskontrolle, das wirtschaftliche Wohl des Landes sowie zur Verhinderung von strafbaren Handlungen insbesondere in Bezug auf den verwaltungsstrafrechtlich pönalisierten, nicht rechtmäßigen Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet, an der Aufenthaltsbeendigung der bP festzustellen, das ihre Interessen an einem Verbleib in Österreich überwiegen. Die Rückkehrentscheidung ist daher als notwendig und nicht unverhältnismäßig zu erachten.
Die persönlichen Bindungen in Österreich lassen keine besonderen Umstände im Sinn des Artikel 8, EMRK erkennen, die es den bP schlichtweg unzumutbar machen würden, auch nur für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Aufenthalts- bzw. Niederlassungsverfahrens in ihr Heimatland zurückzukehren vergleiche zB. VwGH 25.02.2010, 2008/18/0332; 25.02.2010, 2008/18/0411; 25.02.2010, 2010/18/0016; 21.01.2010, 2009/18/0258; 21.01.2010, 2009/18/0503; 13.04.2010, 2010/18/0087; 30.04.2010, 2010/18/0111; 30.08.2011, 2009/21/0015), wobei bei der Rückkehrentscheidung mangels gesetzlicher Anordnung hier nicht auf das mögliche Ergebnis eines nach einem anderen Gesetz durchzuführenden (Einreise- bzw. Aufenthalts)Verfahrens Bedacht zu nehmen ist vergleiche VwGH 18.9.1995, 94/18/0376).
römisch II.3.4.8. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des Paragraph 9, BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der beiden bP im Bundesgebiet das persönliche Interesse der bP am Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Artikel 8, EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in den Beschwerden nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.
römisch II.3.5. Abschiebung und Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise
römisch II.3.5.1. Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG hat die bB mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Für die gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des Paragraph 50, FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).
Gemäß Paragraph 50, FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, EMRK oder Artikel 3, EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Absatz eins,), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Absatz 2,) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Absatz 3,).
Im gegenständlichen Fall sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß Paragraph 52, Absatz 9, in Verbindung mit Paragraph 50, FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung in den Irak unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlicher Beschwerde nicht schlüssig dargelegt und wurden bzw. werden hierzu bereits an entsprechend passenden Stellen des gegenständlichen Erkenntnisses Ausführungen getätigt, welche die in Paragraph 50, Absatz eins und 2 FPG erforderlichen Subsumptionen bereits vorwegnehmen.
Es kamen keine Umstände hervor, die im Abschiebungsfall zu einer Verletzung von Artikel 2, oder 3 EMRK führen würden und wird auf die Ausführungen im Rahmen des subsidiären Schutzes verwiesen. Es kamen auch keine Umstände hervor, welche insbesondere beim Ausspruch betreffend die Abschiebung zu berücksichtigen gewesen wären.
Eine im Paragraph 50, Absatz 3, FPG genannte Empfehlung des EGMR liegt ebenfalls nicht vor.
römisch II.3.5.2. Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach Paragraph 55, Absatz 2, FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Da derartige Umstände im Verfahrensverlauf nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zur freiwilligen Ausreise zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.
römisch II.3.5.3. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Rückkehrentscheidung vorliegen, keine Umstände gegen die Zulässigkeit der Abschiebung sprechen und eine Frist für eine freiwillige Ausreise besteht, ist die Beschwerde gegen diese Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide ebenfalls als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts-hofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
ECLI:AT:BVWG:2023:L531.2269847.1.00