Bundesverwaltungsgericht
29.08.2023
W113 2265618-1
W113 2265618-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Katharina DAVID über die Beschwerde des römisch 40 , Betriebsnummer römisch 40 , gegen den Bescheid des Vorstandes des Geschäftsbereichs römisch II der Agrarmarkt Austria vom 10.01.2022, Zahl II/4-DZ/21-19064502010, betreffend Direktzahlungen 2021, zu Recht:
A)
1. Der Beschwerde wird mit der Maßgabe Folge gegeben, dass Beihilfenkürzungen wegen Unterschreitung der Mindestalpungsdauer nicht zu verhängen sind.
2. Der Agrarmarkt Austria wird gemäß Paragraph 19, Absatz 3, MOG 2021 aufgetragen, die entsprechenden Berechnungen gemäß den Vorgaben dieses Erkenntnisses durchzuführen und der beschwerdeführenden Partei das Ergebnis bescheidmäßig mitzuteilen.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Die beschwerdeführende Partei stellte für das Antragsjahr einen Mehrfachantrag-Flächen (MFA), beantragte die Gewährung von Direktzahlungen und spezifizierte zu diesem Zweck in der Internet-Applikation INVEKOS-GIS eine Reihe von landwirtschaftlichen Nutzflächen. Sie trieb ihre Nutztiere auf die Alm römisch 40 auf.
2. Mit angefochtenem Bescheid des Vorstandes des Geschäftsbereichs römisch II der Agrarmarkt Austria (in der Folge: belangte Behörde oder AMA) wurden EUR 2.458,76 an Direktzahlungen gewährt. Für die Alm römisch 40 wurde keine anteilige Futterfläche ermittelt, auch wurde für die gealpten Schafe keine gekoppelte Stützung gewährt. Begründend wurde die Unterschreitung der Mindestalpungsdauer von 60 Tagen angeführt.
3. In der dagegen binnen offener Frist erhobenen Bescheidbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wird zusammengefasst im Wesentlichen ausgeführt, dass die Tiere wegen Höherer Gewalt, nämlich massiven andauernden Rissgeschehens römisch 40 durch Wolf und Bär, vorzeitig abgetrieben worden seien. Eine Bestätigung der Tiroler Landesregierung liege bei. Am Tag vor dem Abtrieb habe es in beiden Tälern mehrere gerissene Schafe gegeben, weshalb man sich als Notmaßnahme zum Schutz der Tiere zum Abtrieb von der Alm entschieden hätte.
Der Beilage angeschlossen war ein Schreiben der Tiroler Landesregierung, Abteilung Landesveterinärdirektion, vom 21.07.2021, in dem ausgeführt wird, dass mit 26.06.2021 im römisch 40 Risse durch große Beutegreifer, in diesem Fall Bär und Wolf, zu vermelden gewesen seien. Zuletzt wird ausgeführt, dass nicht auszuschließen sei, dass die Anwesenheit von großen Beutegreifern im gegenständlichen Gebiet andauere und ohne entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Weidetiere weitere Risse von Schafen oder Ziegen zu befürchten seien.
4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und führte im Zuge der Vorlage zusammengefasst im Wesentlichen aus, dass mit dem zuständigen Ministerium vereinbart worden sei, dass im Falle eines bestätigten Risses eines großen Beutegreifers auf einer Alm ein Wildtierriss grundsätzlich als ein Fall der "Höheres Gewalt" einzustufen sei und dieser damit den vorzeitigen Abtrieb aller überlebenden Tiere jedes Auftreibers der vom Wildtierriss betroffenen Alm berechtigt. Ein vorzeitiger Abtrieb von Tieren aus Angst vor einem möglichen Riss, zum Beispiel, weil es auf den Nachbaralmen bereits Risse gegeben habe, könne nicht als "Höhere Gewalt" anerkannt werden, da sich kein entsprechendes "Höhere-Gewalt"-Ereignis auf dieser Alm ereignet habe. Ebenso würde ein Nicht-Auftreiben von Tieren aufgrund der Befürchtung einer Schädigung der Tiere durch große Beutegreifer keine "Höhere Gewalt" darstellen. Da es auf der Alm, auf die die beschwerdeführende Partei aufgetrieben hat, zu keinem Wildtierriss gekommen sei, liege gemäß den mit dem Ministerium vereinbarten Vorgaben kein Fall Höherer Gewalt vor; demnach reichen Wildrisse auf der Nachbarsalm für die Anerkennung der "Höheren Gewalt" nicht aus. Ferner sei ein vorzeitiger Abtrieb auch nicht mittels Bescheid oder Verordnung angeordnet worden. Da die gegenständlichen Tiere vor Erreichen der 60-tägigen Alpungsdauer abgetrieben worden seien, konnte für sie folglich keine gekoppelte Stützung gewährt werden.
5. Zur Frage von Umfang und Belegenheit des Rissgeschehens holte das Gericht eine Stellungnahme des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 20.06.2023 ein.
6. In der Folge wurde der beschwerdeführenden Partei durch das Gericht zu dieser Stellungnahme rechtliches Gehör gewährt und wurde ihr aufgetragen, auf einer Karte des betroffenen Gebiets die Belegenheit der eigenen Schafherde und die Risse, von denen sie Kenntnis erlangt habe, einzuzeichnen, damit das Gericht feststellen kann, wie nahe die verzeichneten Risse an die eigene Schafherde herangekommen sind.
7. Dieser Aufforderung ist die beschwerdeführende Partei nicht nachgekommen.
8. Zu dem vom Gericht durchgeführten Ermittlungsverfahren wurde der belangten Behörde mit Schriftsatz vom 12.07.2023 rechtliches Gehör gewährt, wozu sie mit Schreiben vom 09.08.2023 zusammengefasst im Wesentlichen vorbrachte, dass es im Antragsjahr auf der Alm römisch 40 (Nomenklatur der AMA: römisch 40 ) bis zum vorzeitigen Abtrieb aller auf diese Alm aufgetriebenen Schafe keinen der belangten Behörde gemeldeten Wildtierriss gegeben habe. Die in der Stellungnahme des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 20.06.2023 erwähnten Wildtierrisse seien jedoch auf der Alm römisch 40 (Nomenklatur der AMA: Agrargemeinschaft römisch 40 ) erfolgt. Die belangte Behörde bleibe somit bei ihrer Stellungnahme, dass auf der von der beschwerdeführenden Partei bestoßenen Alm römisch 40 im Antragsjahr keine Wildtierrisse stattgefunden hätten.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die beschwerdeführende Partei bewirtschaftete im Antragsjahr 2021 einen landwirtschaftlichen Betrieb. Sie trieb am 12.06.2021 16 Mutterschafe und 12 sonstige Schafe auf die Alm römisch 40 auf und wegen Schafsrissen durch die großen Beutegreifer Bär und Wolf auf der Nachbaralm römisch 40 und im römisch 40 , somit in unmittelbarer Nähe zur eigenen Schafherde, am 18.07.2021 vorzeitig von der Alm ab. Insgesamt wurden 25 der im Sommer 2021 auf die Alm römisch 40 aufgetriebenen Nutztiere als abgängig gemeldet. Seit dem Almsommer 2022 ist die Alm römisch 40 eine Projektalm des Landes Tirol. Im Jahr 2022 sowie bis 20.06.2023 wurden keine Nutztierrisse durch große Beutegreifer bekannt. Die Weideflächen der Almen römisch 40 (in der u.a. Karte mit B bezeichnet und rot gefärbt) und römisch 40 (in der u.a. Karte mit A bezeichnet und lila gefärbt) stellen sich wie folgt dar:
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus dem Verwaltungs- und dem verwaltungsgerichtlichen Akt und wurden nicht bestritten. Die Feststellung zur kurzen Distanz zwischen den großen Beutegreifern und der eigenen Schafherde ergibt sich aus der Beschwerdeschrift. Die Feststellung zu den Rissen auf der Alm römisch 40 in den Jahren 2021 bis 2023 ergibt sich aus der Stellungnahme des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 20.06.2023.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zur Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts
Gemäß Artikel 131, Absatz 2, B-VG erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden in Rechtssachen in Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden. Gemäß Paragraph eins, AMA-Gesetz 1992, BGBl. römisch eins 1992/376 i.V.m. Paragraph 6, Marktordnungsgesetz 2021 (MOG 2021), BGBl. römisch eins 2007/55 erfolgt die Abwicklung der landwirtschaftlichen Direktzahlungen durch die Agrarmarkt Austria (AMA) im Rahmen der unmittelbaren Bundesverwaltung.
Zu A)
3.2. Maßgebliche Rechtsgrundlagen in der für das Antragsjahr maßgeblichen Fassung:
Das Bundesgesetz über die Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen und die Grundsätze der Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik (Marktordnungsgesetz 2021) BGBl römisch eins 2007/55 (in der Folge MOG 2021) lautet auszugsweise:
„3. Abschnitt
Gemeinsame Bestimmungen
Vorschriften zu Bescheiden und Rückzahlung
Paragraph 19, […]
(2) Bescheide zu den in den Paragraphen 7,, 8 bis 8e, 8f, 8g und 10 angeführten Maßnahmen können zusätzlich zu den in Paragraph 68, AVG angeführten Gründen von Amts wegen von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, aufgehoben oder abgeändert werden, soweit dies zur Erfüllung unionsrechtlicher Vorgaben erforderlich ist.
(3) Das Bundesverwaltungsgericht kann der AMA auftragen, gemäß den Vorgaben im Erkenntnis die entsprechenden Berechnungen durchzuführen und das Ergebnis bescheidmäßig mitzuteilen.
(4) Im Verfahren betreffend Bescheide, die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts abändern, aufheben oder ersetzen, ist die AMA an die für die Erkenntnisse maßgebliche, dort dargelegte Rechtsanschauung gebunden.
[…]
(7) Abweichend von Paragraph 14, Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 33 aus 2013,, beträgt die Frist für eine Beschwerdevorentscheidung sechs Monate.
[…]“
„Schlussbestimmung
Paragraph 32, […]
(17) Auf Sachverhalte, die vor dem 1. Jänner 2023 verwirklicht worden sind, sind die Paragraph 7,, Paragraph 8,, Paragraph 8 a,, Paragraph 8 b,, Paragraph 8 c,, Paragraph 8 d,, Paragraph 8 e,, Paragraph 8 f,, Paragraph 8 g,, Paragraph 8 h,, Paragraph 8 i,, Paragraph 12,, Paragraph 21 und Paragraph 26 a, in der Fassung des Bundesgesetzes Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 104 aus 2019, weiterhin anzuwenden.
[…]“
Das Bundesgesetz über die Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (Marktordnungsgesetz 2007 – MOG 2007), BGBl römisch eins 2007/55, in der Fassung BGBl römisch eins 2019/104, lautet auszugsweise:
„Fakultative gekoppelte Stützung
Paragraph 8 f, (1) Die in Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer 6, vorgesehene gekoppelte Stützung wird für Rinder, Schafe und Ziegen je aufgetriebene raufutterverzehrende Großvieheinheit (RGVE) gewährt.
(2) […]
(3) Die gekoppelte Stützung beträgt
1. je Kuh bzw. je RGVE Mutterschafe und Mutterziegen 62 €
2. je sonstige RGVE 31 €.
(4) […]“
Die Verordnung (EU) 2013/1306 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.12.2013 über die Finanzierung, die Verwaltung und das Kontrollsystem der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr 352/78, (EG) Nr 165/94, (EG) Nr 2799/98, (EG) Nr 814/2000, (EG) Nr 1290/2005 und (EG) Nr 485/2008 des Rates, ABl L 2013/347, 549 (in der Folge VO (EU) 2013/1306) lautet auszugsweise:
„Artikel 2
In dieser Verordnung verwendete Begriffe
(1) […]
(2) Für die Zwecke der Finanzierung, der Verwaltung und Überwachung der GAP, werden als Fälle „höherer Gewalt“ und „außergewöhnliche Umstände“ insbesondere folgende Fälle bzw. Umstände anerkannt:
a) Tod des Begünstigten;
b) länger andauernde Berufsunfähigkeit des Begünstigten;
c) eine schwere Naturkatastrophe, die den Betrieb erheblich in Mitleidenschaft zieht;
d) unfallbedingte Zerstörung von Stallgebäuden des Betriebs;
e) eine Seuche oder Pflanzenkrankheit, die den ganzen Tier- bzw. Pflanzenbestand des Begünstigten oder einen Teil davon befällt;
f) Enteignung des gesamten Betriebes oder eines wesentlichen Teils davon, soweit diese Enteignung am Tag des Eingangs der Verpflichtung nicht vorherzusehen war.“
Die Delegierte Verordnung (EU) 2014/640 der Kommission vom 11.03.2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf das integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem und die Bedingungen für die Ablehnung oder Rücknahme von Zahlungen sowie für Verwaltungssanktionen im Rahmen von Direktzahlungen, Entwicklungsmaßnahmen für den ländlichen Raum und der Cross-Compliance, ABl L 2014/181, 48 (in der Folge VO (EU) 2014/640) lautet auszugsweise:
„Artikel 2
Begriffsbestimmungen
(1) Für die Zwecke des integrierten Systems im Sinne von Artikel 67 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 gelten die Begriffsbestimmungen in Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 und Artikel 67 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013.
Zudem gelten folgende Begriffsbestimmungen:
(1) bis (22) […]
23. „ermittelte Fläche“:
a) im Rahmen flächenbezogener Beihilferegelungen die Fläche, die alle Förderkriterien oder anderen Auflagen im Zusammenhang mit den Voraussetzungen für die Beihilfegewährung erfüllt, ungeachtet der Zahl der Zahlungsansprüche, über die der Begünstigte verfügt, oder
b) im Rahmen flächenbezogener Stützungsmaßnahmen die Fläche der Flurstücke oder Parzellen, die durch Verwaltungskontrollen oder Vor-Ort-Kontrollen ermittelt wurde;
[…]“
„Artikel 4
Höhere Gewalt und außergewöhnliche Umstände
(1) Konnte ein Begünstigter aufgrund höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Umstände die Förderkriterien oder andere Auflagen nicht erfüllen, so gilt im Bereich der Direktzahlungen, dass er seinen Beihilfeanspruch für die Fläche bzw. die Tiere behält, die bei Eintreten des Falls von höherer Gewalt oder der außergewöhnlichen Umstände förderfähig war(en).
[…]
(2) Fälle höherer Gewalt und außergewöhnliche Umstände sind der zuständigen Behörde mit den von ihr anerkannten Nachweisen innerhalb von fünfzehn Arbeitstagen ab dem Zeitpunkt, ab dem der Begünstigte oder der Anspruchsberechtigte hierzu in der Lage ist, schriftlich mitzuteilen.
Die Verordnung mit horizontalen Regeln für den Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik BGBl römisch II 2015/100 (in der Folge Horizontale GAP-Verordnung) lautet auszugsweise:
„Besondere Vorschriften für bestimmte Nutzungen
Paragraph 23, (1) bis (3) […]
(4) Gemeinsam genutzte Almflächen werden unter sinngemäßer Anwendung des Paragraph 13, Absatz eins,, 2 und 4 der Direktzahlungs-Verordnung 2015 entsprechend der Anzahl der ordnungsgemäß gemeldeten und mindestens 60 Tage gealpten Tiere (Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde), ausgedrückt in RGVE, anteilig den einzelnen Betriebsinhabern zugeteilt. Werden Tiere auf mehrere Almen aufgetrieben, so erfolgt eine Zuteilung der Tiere auf die Alm, wo sie am längsten aufgetrieben werden. Vorzeitig abgetriebene Tiere können anerkannt werden, wenn sie wieder aufgetrieben werden, sofern die Unterbrechung der Alpungsdauer nicht mehr als zehn Kalendertage beträgt und die Meldung binnen 14 Tagen ab Wiederauftrieb erfolgt. Gleiches gilt für die Meldung von Tierbewegungen von einer Alm auf eine andere Alm. Diese Regelung ist sinngemäß auch für Gemeinschaftsweideflächen anzuwenden.“
Die Verordnung über Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik BGBl römisch II 2014/368 (in der Folge Direktzahlungs-Verordnung 2015) lautet auszugsweise:
„Fakultative gekoppelte Stützung
Paragraph 13, (1) Die fakultative gekoppelte Stützung kann nur für jene auf Almen aufgetriebenen Rinder, Schafe und Ziegen gewährt werden, die gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rinder und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 820/97, ABl. Nr. L 204 vom 11.08.2000 Sitzung 1, bzw. gemäß der Verordnung (EG) Nr. 21/2004 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Schafen und Ziegen und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 und der Richtlinien 92/102/EWG und 64/432/EWG, ABL. Nr. L 5 vom 09.01.2004 Sitzung 8, gekennzeichnet und registriert sind. […]
(2) und (3) […]
(4) Die Tiere müssen mindestens 60 Tage gealpt werden. Die Alpungsdauer beginnt mit dem Tag des Auftriebs, jedoch höchstens 14 Tage vor Abgabe der Alm/Weidemeldung für Rinder bzw. der Almauftriebsliste. Der Tag des Almabtriebs wird bei der Alpungsdauer nicht berücksichtigt. […]
[…]“
Außerdem stellt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs jedes Ereignis, das auf außerhalb der Sphäre des Wirtschaftsteilnehmers liegenden, ungewöhnlichen und unvorhersehbaren Umständen beruht, deren Folgen trotz aller von ihm aufgewandten Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können, einen Fall höherer Gewalt dar vergleiche in diesem Sinne Urteile vom 17.12.1970, Internationale Handelsgesellschaft, 11/70, EU:C:1970:114, Rn. 23, und vom 17.12.2015, Szemerey, C 330/14, EU:C:2015:826, Rn. 58; EuGH 16.02.2023, C 343/21, Rz 58).
Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH vergleiche hiezu nur etwa das Urteil des Gerichtshofes vom 15.12.1994 in der Rechtssache C-136/93, Transafrica SA gegen Administracion del Estado Espanol, Slg. 1994, I-5757, RNr. 14, mwN) trägt der Begriff der "höheren Gewalt" im Bereich der Agrarverordnungen der besonderen Natur öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen den Wirtschaftsteilnehmern und der nationalen Verwaltung sowie der Zweckbestimmung dieser Regelung Rechnung. Folglich ist der Begriff der "höheren Gewalt" nach dieser Rechtssprechung nicht auf eine absolute Unmöglichkeit beschränkt, sondern im Sinne von ungewöhnlichen und unvorhersehbaren Umständen zu verstehen, die vom Willen des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers unabhängig sind und deren Folgen trotz aller aufgewandten Sorgfalt nur um den Preis unverhältnismäßiger Opfer vermeidbar gewesen wären. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes vergleiche die Mitteilung C (88) 1696 der Kommission über den Begriff "höhere Gewalt" im Landwirtschaftsrecht der Europäischen Gemeinschaften (88/C 259/07)) enthält der Begriff der höheren Gewalt daher ein objektives Element (ungewöhnliche, vom Willen des Betroffenen unabhängige Umstände) sowie ein subjektives Element (trotz aller Sorgfalt unvermeidbare Folgen). Hinsichtlich des objektiven Elements kommt es auf die Definition des Begriffs "ungewöhnliche, vom Willen des Betroffenen unabhängige Umstände" an. Hier ist zwischen den gewöhnlichen unternehmerischen Risiken, die bei allen vergleichbaren Geschäften bestehen, und außergewöhnlichen Risiken zu unterscheiden. "Ungewöhnlich" ist danach ein Umstand, der als unvorhersehbar anzusehen ist oder zumindest als derart unwahrscheinlich, dass ein sorgfältiger Kaufmann davon ausgehen kann, dass das Risiko vernachlässigt werden kann (beispielsweise: Blitzschlag, Eisgang auf Schifffahrtskanälen, Lawinenverschüttung von Straßen, die im Winter normalerweise passierbar sind). Ein Umstand ist "vom Willen des Betroffenen unabhängig", wenn er im weiteren Sinne außerhalb seines Einflussbereiches liegt; nicht vom Willen des Betroffenen unabhängig sind die Handlungen seiner Vertragspartner, auch wenn sie strafbar sind, da es dem Marktteilnehmer obliegt, seine Geschäftspartner sorgfältig auszuwählen und sie mit genügendem Nachdruck zur Beachtung der Vertragsklauseln anzuhalten. Das subjektive Element enthält die Verpflichtung, die Folgen des ungewöhnlichen Ereignisses mit allen geeigneten Mitteln zu begrenzen (mit Ausnahme unverhältnismäßiger Opfer). Insbesondere muss der Unternehmer die Vertragsabwicklung sorgfältig beobachten und sofort reagieren, wenn er eine Anomalie feststellt; er muss alle erforderliche Sorgfalt walten lassen, um die in den maßgeblichen Vorschriften vorgesehenen Fristen einzuhalten. Aus der Formel "außer im Falle höherer Gewalt" ist zu schließen, dass die Beweislast für das Vorliegen eines derartigen Falles den Unternehmen obliegt, die sich darauf berufen vergleiche zu all dem die bereits erwähnte Mitteilung C (88) zu 1696 der Kommission, in diesem Sinne auch das hg. Erkenntnis vom 21.06.1999, Zl. 98/17/0362; VwGH 07.11.2005, 2005/17/0086).
3.3. Rechtliche Würdigung:
Mit dem Antragsjahr 2015 wurden die Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Marktordnung reformiert. An die Stelle der Einheitlichen Betriebsprämie traten die Basisprämie und mehrere ergänzende Zahlungen, insb. die Zahlung für dem Klima- und Umweltschutz förderliche Landbewirtschaftungsmethoden (= Ökologisierungszahlung bzw. „Greeningprämie“). An die Stelle der an die Produktion gekoppelt gebliebenen Mutterkuhprämie trat eine Prämie für den Auftrieb von Tieren auf Almen („gekoppelte Stützung“).
In Österreich kann gemäß Paragraph 8 f, Absatz eins, MOG 2007 für den Auftrieb von Rindern, Schafen und Ziegen auf Almen eine gekoppelte Stützung gewährt werden, Paragraph 23, Absatz 4, Horizontale GAP-Verordnung sieht dafür eine Mindestalpungsdauer von 60 Tagen vor, die im vorliegenden Fall (Auftrieb am 12.06.2021, Abtrieb am 18.07.2021) unterschritten wurde.
Die beschwerdeführende Partei begründet dies mit Rissgeschehen durch große Beutegreifer auf der Nachbaralm. Nach Ansicht der belangten Behörde fallen jedoch erst Risse auf jener Alm, auf die aufgetrieben wurde, unter Höhere Gewalt, nicht jedoch bereits Risse auf Nachbaralmen.
Nach der obzitierten Judikatur von EuGH und VwGH versteht man unter höherer Gewalt jedes Ereignis, das auf außerhalb der Sphäre des Wirtschaftsteilnehmers liegenden bzw. von deren Willen unabhängigen, ungewöhnlichen und unvorhersehbaren Umständen beruht, deren Folgen trotz aller von ihm aufgewandten Sorgfalt mit allen geeigneten Mitteln (mit Ausnahme unverhältnismäßiger Opfer) nicht hätten vermieden werden können.
Nutztierrisse durch große Beutegreifer liegen ohne Zweifel außerhalb der Sphäre der Landwirte. Es entspricht dem Amtswissen des Gerichts, dass Nutztierrisse durch große Beutegreifer in Tirol nicht erstmals im Antragsjahr 2021 aufgetreten sind, weshalb solche Ereignisse im Antragsjahr nicht gänzlich unvorhersehbar waren. Auch hätte die Wahrscheinlichkeit von Nutztierrissen mit gewissem Aufwand, z.B. gelenkter Weideführung, Herdenschutzhunden etc verringert werden können, wie die Stellungnahme des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 20.06.2023 für die Alm römisch 40 bestätigt. Die darin beschriebenen Maßnahmen waren wirksam und haben von den Landwirten keine unverhältnismäßigen Opfer verlangt. Es entspricht ebenfalls dem Amtswissen des Gerichts, dass in Tirol bisher wenige individuelle private Herdenschutzmaßnahmen getroffen worden sind.
Das Gericht ist somit der Ansicht, dass die Nutztierrisse durch große Beutegreifer im Jahr 2021 in Tirol nicht als Ereignisse höherer Gewalt einzustufen sind.
Gerade für das römisch 40 hat das Ermittlungsverfahren ergeben, dass Risse sowohl durch Bär als auch Wolf zu verzeichnen waren. Diese Intensität ist (unter den damaligen Voraussetzungen, insbesondere im Wesentlichen der nicht vorhandenen Herdenschutzmaßnahmen) durchaus als außergewöhnlicher Umstand zu sehen.
Sodann stellt sich die Frage der Betroffenheit von diesem als außergewöhnlich anerkannten Umstand. Die belangte Behörde hat als Grenze der Betroffenheit von Nutztierrissen die durch eigene Tiere bestoßene Alm gezogen. Die aktuelle Verwaltungspraxis wird im Folgenden auf zwei hypothetische Sachverhalte angewendet:
1. Beutegreifer befinden sich auf der Alm römisch 40 im nordöstlichsten Almbereich, Nutztiere weiden (auch) im südwestlichsten Bereich dieser Alm. Ein Tierriss auf dieser Alm würde auch zum Abtrieb der Tiere im Südosten berechtigen, obwohl die Beutegreifer erst den gesamten Kartenabschnitt zurückzulegen hätten.
2. Beutegreifer befinden sich im nordwestlichen Bereich der Alm römisch 40 , die hier direkt an die Alm römisch 40 angrenzt, auf der die Nutztiere weiden. Selbst wenn die Beutegreifer 5 Minuten von den Nutztieren entfernt sind, berechtigt die aktuelle Verwaltungspraxis der belangten Behörde nicht deren Abtrieb.
Das Gericht kommt somit zum Ergebnis, dass die aktuelle Verwaltungspraxis der belangten Behörde, die im Falle von Nutztierrissen den Abtrieb aller Tiere der betroffenen Alm, nicht jedoch von Nachbaralmen, zulässt, unsachlich ist.
Eine sachliche Lösung der Frage der Grenzen der Betroffenheit hat sich insbesondere an folgenden Parametern zu orientieren:
1. der Entfernung der Beutegreifer zu den aufgetriebenen Tieren,
2. der zeitlichen Erreichbarkeit der Tiere durch die Beutegreifer, und
3. der Möglichkeit der Almverantwortlichen, durch andere Maßnahmen als den Abtrieb der Tiere rechtzeitig wirksame Abhilfe zu schaffen.
Nachdem den Almverantwortlichen im Jahr 2021 kaum akute, wirksame Abhilfemöglichkeiten zur Verfügung gestanden sind und die Nutztiere der beschwerdeführenden Partei aufgrund von außergewöhnlichen Umständen von zwei großen Beutegreifern binnen kurzer Zeit hätten erreicht werden können, stand der beschwerdeführenden Partei – auch aus tierschutzrechtlicher Sicht – nur mehr der Abtrieb der Tiere als wirksame Abhilfemaßnahme zur Verfügung.
Die belangte Behörde ist daher zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Nutztiere der beschwerdeführenden Partei nicht auf Grund außergewöhnlicher Umstände oder Höherer Gewalt von der Alm abgetrieben worden sind. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden und der belangten Behörde die Neuberechnung der Direktzahlungen aufzutragen, dies gemäß Artikel 4, VO (EU) 2014/640 unter Außerachtlassung der Unterschreitung der Mindestalpungsdauer.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte entfallen, da eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war und Artikel 47, GRC dem nicht entgegenstand. Letztlich handelte es sich um die Beurteilung reiner Rechtsfragen, die auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Verwaltungsgerichtshofes keiner Erörterung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung bedürfen (VwGH 21.12.2016, Ra 2016/04/0117); vergleiche dazu mwN auch Senft, Verhandlungspflicht der Verwaltungsgerichte aus grundrechtlicher Perspektive, ZVG 2014/6, 523.
Zu B)
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Es liegt auch dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn die Rechtslage eindeutig ist (VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).
ECLI:AT:BVWG:2023:W113.2265618.1.00