Bundesverwaltungsgericht
13.07.2023
L508 2271812-1
L508 2271812-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr.in HERZOG als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Libanon, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.04.2023, Zl. römisch 40 , zu Recht erkannt:
A)
römisch eins. Die Beschwerde wird gemäß den Paragraph 3, Absatz eins,, Paragraph 8, Absatz eins,, Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3,, Paragraph 57, AsylG 2005 idgF in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG, Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2 und Absatz 9,, Paragraph 46,, Paragraph 55, FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.
römisch II. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „aus den besonders berücksichtigungswürdigen Gründen“ gemäß Paragraph 56, AsylG 2005 wird gemäß Paragraph 6, AVG 1991 mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF), ein Staatsangehöriger aus dem Libanon und ein Angehöriger der arabischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Religionsgemeinschaft, reiste im April 2022 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 30.04.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz (Aktenseite des Verwaltungsverfahrensakts [im Folgenden: AS] 2).
2. Im Rahmen der Erstbefragung, an dem Tag der Antragstellung (AS 1- 13), gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen zu Protokoll, dass es im Libanon keine Sicherheit und viele Probleme zwischen den Parteien gäbe. Die Arbeitslosigkeit und die Inflation seien sehr hoch und gäbe es im Libanon auch keine Arbeit. Im Falle einer Rückkehr fürchte er die Armut und den Konflikt zwischen den verschiedenen Parteien. Die Frage, ob er im Falle seiner Rückkehr mit Sanktionen oder unmenschlicher Behandlung zu rechnen habe wurde von ihm mit „Keine“ beantwortet.
3. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (nachfolgend: BFA) am 12.04.2023 (AS 43 - 49) gab der BF - zu seinen Ausreisegründen befragt - an, dass er den Libanon am 11.04.2022 legal verlassen habe. Er habe im Libanon ca. 7 Jahre gemeinsam mit seinem Vater als Fliesenleger gearbeitet. Sein Vater würde diesen Beruf noch immer gelegentlich ausüben. Seine Mutter sei verstorben. Die Familie verfüge über ein Einfamilienhaus. Den Libanon habe er verlassen, da es dort keine Sicherheit gäbe und er keine Waffe tragen wolle. Er wolle in Österreich einen Job annehmen und sein eigenes Geld verdienen, finde aber keine Arbeit. Er wolle in Sicherheit und Freiheit leben. Eine persönliche Bedrohung wurde vom BF dezidiert verneint.
In der Folge bejahte der BF explizit, dass das bisher Geschilderte sein einziger Fluchtgrund bezüglich des Libanons sei.
Weitere Angaben zu seinen ausreisekausalen Problemen machte der Beschwerdeführer nach entsprechenden Fragen und Vorhalten durch den Leiter der Amtshandlung.
Im Übrigen wurde dem BF ein Vorhalt in Bezug auf die Schutzfähigkeit des Libanesischen Staates aus den aktuellen Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat gemacht und gab er dazu an, dass dies nicht zutreffe. Schon kleine Kinder seien bewaffnet (AS 48).
4. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 12.04.2023 (AS 51 - 116) wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen. Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon abgewiesen (Spruchpunkte römisch eins. und römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Libanon gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkte römisch IV. und römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch VI.).
4.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des BF als glaubwürdig aber nicht asylrelevant (Bescheid Seite 50ff.).
In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des Paragraph 3, AsylG biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd Paragraph 8, Absatz eins, AsylG ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt wurde, weshalb gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt wurde, dass dessen Abschiebung in den Libanon gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei. Ferner wurde erläutert, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
5. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2023 (AS 119) wurde dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 52, Absatz eins, BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
6. Gegen den oa. Bescheid des BFA erhob der Beschwerdeführer fristgerecht mit Schriftsatz vom 10.05.2023 (AS 133 ff) in vollem Umfang Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, wobei der Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den BF günstigerer Bescheid erzielt worden wäre, bekämpft wurde. Hinsichtlich des genauen Inhalts der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.
6.1. Zunächst wurden im Wesentlichen der bisherige Verfahrensgang und die Gründe für die Antragstellung kurz angeführt. Zudem wurde festgehalten, dass sich die libanesische Polizei nicht um den Schutz der Bürger kümmere.
6.2. Die belangte Behörde habe gemäß Paragraph 18, Absatz 1 AsylG in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrags geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrags notwendig erscheinen.
6.3. Des Weiteren wurde moniert, dass die Feststellung bezüglich der Unglaubwürdigkeit des BF auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung basiere und Paragraph 60, AVG verletzen würde. Im Anschluss wurden Überlegungen zu den beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffen. Hierbei wurde unter auszugsweiser Zitierung eines Erkenntnisses des BVwG aus dem Jahr 2014 festgehalten, dass Widersprüche, die sich aus unterschiedlichen Angaben in der Erstbefragung und in der Einvernahme vor dem BFA ergeben, nicht geeignet seien, dem BF ausschließlich aus diesem Grund die Glaubwürdigkeit zur Gänze abzusprechen, zumal sich die Erstbefragung gemäß Paragraph 19, AsylG nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen habe. Des Weiteren werde in der Beweiswürdigung auf das Vorbringen des BF nicht eingegangen und werde dem BF die Glaubwürdigkeit abgesprochen, ohne auf seine Asylgründe näher einzugehen. Die Angaben des BF würden durch die Länderberichte bestätigt werden. Dem Beschwerdeführer sei es nicht zumutbar abzuwarten, bis er einem Angriff zum Opfer fallen könnte. Hätte die belangte Behörde das Vorbringen des BF entsprechend gewürdigt und hätte sie einen Abgleich mit den einschlägigen Länderberichten vorgenommen, wäre sie zu dem Schluss gekommen, dass die geschilderte Verfolgungsgefahr objektiv nachvollziehbar sei.
Des Weiteren habe die belangte Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrags geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrags notwendig erscheinen. Diesen Anforderungen habe die belangte Behörde nicht entsprochen.
6.4. Schließlich wurde hinsichtlich Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides Folgendes festgehalten. Während sich Feststellungen iSd AVG auf bewiesene Tatsachen beziehen, also auf Tatsachen, an deren Existenz kein vernünftiger Zweifel bestehe, sei an die Glaubhaftmachung ein wesentlicher anderer Maßstab anzulegen. Es genüge das Überwiegen der Wahrscheinlichkeit, um die Glaubhaftigkeit eines Sachverhalts anzunehmen. Vor diesem Hintergrund hätte die Behörde schon aufgrund des von ihr geführten Verfahrens zum Schluss kommen müssen, dass die Verfolgungsgefahr für den BF im Fall seiner Rückkehr in den Libanon glaubhaft sei.
Asylrelevante Verfolgung könne nicht nur durch staatliche Organe, sondern auch durch Dritte vorliegen, soweit der Staat weder gewillt noch in der Lage sei, derartige Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden. Der Beschwerdeführer fühle sich von Kriminellen bedroht. Auch eine Bedrohung durch Privatpersonen sei asylrelevant und sei der libanesischen Staat weder fähig noch gewillt, Verfolgungshandlungen zu unterbinden. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht vorliege.
6.5. Was Spruchpunkt römisch II. betrifft, so gehe aus den Aussagen des BF hervor, dass ihm bei einer Rückkehr in sein Heimatland eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung drohe. Eine Verletzung des Artikel 3, EMRK würde im Fall der Abschiebung jedenfalls vorliegen und mache jene somit unzulässig. Hätte das BFA seine Ermittlungspflicht in angemessener Weise wahrgenommen und den vorliegenden Sachverhalt rechtlich richtig beurteilt, hätte dem BF im vorliegenden Fall zumindest der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden müssen.
6.6. Die Rückkehrentscheidung hätte ferner für dauerhaft unzulässig erklärt werden müssen und die belangte Behörde hätte dem BF gem. Paragraph 58, Absatz 2, AsylG eine Aufenthaltsberechtigung (plus) von Amts wegen zu erteilen gehabt, zumal der BF strafgerichtlich unbescholten sei. In Abwägung der Tatbestände des Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG würden jedenfalls die privaten Interessen des BF an der Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens gegenüber den öffentlichen Interessen an einer Rückkehrentscheidung und Abschiebung des BF überwiegen. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wider den BF wäre daher unverhältnismäßig iSv Artikel 8, Absatz 2, EMRK und daher unzulässig. Sein Aufenthalt in Österreich gefährde weder die öffentliche Ruhe und Ordnung noch die nationale Sicherheit oder das wirtschaftliche Wohl. Der Eingriff in das schützenswerte Privatleben des BF sei als unverhältnismäßig zu qualifizieren und daher auf Dauer unzulässig.
6.7. Gemäß Artikel 47 Absatz 2, GRC habe jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt werde. Gem. Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG könne eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspreche. Der VwGH habe im Zuge der Auslegung der Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ die folgenden Kriterien erarbeitet. Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde müsse die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde dürfe kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleiben könne wie ein Vorbringen, das gegen das in Paragraph 20, BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstoße.
In der gegenständlichen Beschwerde sei die Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens aufgezeigt worden. Wie vorangehend dargelegt, sei der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht vollständig erhoben worden, wesentliche Aspekte des Parteivorbringens nicht berücksichtigt worden und fehle eine Plausibilitätskontrolle des Vorbringens vor dem Hintergrund aktueller und ausgewogener Länderberichte. Da das BVwG seiner Entscheidung aktuelle Länderberichte zugrunde zu legen habe und die Feststellungen des Bundesamtes zumindest insofern zu ergänzen haben werde, sei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung schon allein aus diesem Grunde erforderlich. Zudem sei der Beweiswürdigung des Bundesamtes substantiiert entgegengetreten worden. Da die entscheidungswesentlichen Feststellungen im Wesentlichen von der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des BF abhängig seien, habe sich das Bundesverwaltungsgericht einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Auch in Hinblick auf die bekämpfte aufenthaltsbeendende Maßnahme und die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen des BF in Österreich, habe der VwGH wiederholt festgestellt, dass der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, insbesondere auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Artikel 8, EMRK relevanten Umstände, besondere Bedeutung zukomme. Zweck einer Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sei darüber hinaus nicht nur die Klärung des Sachverhalts und die Einräumung von Parteiengehör zu diesem, sondern auch das Rechtsgespräch und die Erörterung der Rechtsfragen. Dies gelte insbesondere dann, wenn sich die Rechtslage während des Verfahrens in einem entscheidungswesentlichen Punkt ändere, sich daraus eine Rechtsfrage ergebe, die im bisherigen Verfahren noch nicht erörtert worden sei und zu der die beschwerdeführende Partei noch keine Gelegenheit zu einer Äußerung gehabt habe.
6.7. Abschließend wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge
* die angefochtene Entscheidung im Spruchpunkt römisch eins. dahingehend abändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz Folge gegeben und dem BF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde;
* in eventu die angefochtene Entscheidung dahingehend abändern, dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon zuerkannt werde;
* in eventu die gegen den BF ausgesprochene Rückkehrentscheidung aufheben;
* in eventu dem BF einen Aufenthaltstitel aus den besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraphen 56, ff AsylG erteilen;
* in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverweisen;
* eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen.
6.8. Mit diesem Rechtsmittel wurde kein hinreichend substantiiertes Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, zu einer anderslautenden Entscheidung zu gelangen.
7. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des BFA unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, des Bescheidinhalts sowie des Inhalts der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Verfahrensbestimmungen
1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter
Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 87 aus 2012, idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß Paragraph 6, des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 10 aus 2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
1.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 33 aus 2013, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 122 aus 2013,, geregelt (Paragraph eins, leg.cit.). Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, Bundesgesetzblatt Nr. 194 aus 1961,, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, Bundesgesetzblatt Nr. 173 aus 1950,, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, Bundesgesetzblatt Nr. 29 aus 1984,, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Paragraph eins, BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 87 aus 2012, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 144 aus 2013, bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Gem. Paragraphen 16, Absatz 6,, 18 Absatz 7, BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die Paragraphen 13, Absatz 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
1.3. Prüfungsumfang
Gemäß Paragraph 27, VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (Paragraph 9, Absatz eins, Ziffer 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (Paragraph 9, Absatz 3,) zu überprüfen.
Gemäß Paragraph 28, Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß Paragraph 28, Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß Paragraph 28, Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Absatz 2, nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
2. Zur Entscheidungsbegründung:
Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den gegenständlichen Verfahrensakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, des bekämpften Bescheides sowie des Beschwerdeschriftsatzes.
2.1. Auf der Grundlage dieses Beweisverfahrens gelangt das BVwG nach Maßgabe unten dargelegter Erwägungen zu folgenden entscheidungsrelevanten Feststellungen:
2.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und dessen Fluchtgründen:
Der Beschwerdeführer ist libanesischer Staatsangehöriger und gehört der arabischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Religionsgemeinschaft an.
Die Identität des Antragstellers konnte mangels Vorlage von geeigneten Dokumenten nicht festgestellt werden.
Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat, sowie des Umstands, dass der Antragsteller eine für den Libanon gebräuchliche Sprache spricht sowie aufgrund seiner Kenntnisse über den Libanon ist festzustellen, dass es sich bei ihm um einen Staatsangehörigen aus dem Libanon handelt.
Der Beschwerdeführer stammt aus der zweitgrößten Stadt des Libanons nämlich Tripoli. Er ist ledig und kinderlos.
Der BF besuchte im Libanon die Grundschule und hat gemeinsam mit seinem Vater rund 7 Jahre als Fliesenleger gearbeite. Der BF ging insoweit vor der Ausreise mehrere Jahre einer beruflichen Beschäftigung nach, wodurch er auch seinen Lebensunterhalt bestritt. Sein Vater ist auch aktuell noch gelegentlich als Fliesenleger tätig.
Der BF verließ den Libanon am 11. April 2022 legal per Flugzeug in die Türkei und reiste in der Folge - schlepperunterstützt – am 30. April 2022 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo der BF am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Im Libanon, konkret in Tripoli, leben sein Vater, zwei Brüder und zwei Schwestern. Sein Vater bewohnt dort ein im Eigentum befindliches Haus. Der BF steht mit seiner Familie in Kontakt.
Der von ihm vorgebrachte Ausreisegrund (Verlassen des Heimatlandes aufgrund allgemeiner Sicherheitsprobleme sowie aufgrund wirtschaftlicher respektive finanzieller Probleme respektive des Wunsches nach Arbeit in Europa) wird grundsätzlich für glaubhaft erachtet. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus Gründen der GFK asylrelevant verfolgt bzw. dessen Leben bedroht wurde beziehungsweise dies im Falle einer Rückkehr in den Libanon mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintreffen könnte.
2.1.2. Zur Möglichkeit der Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Es konnten im konkreten Fall auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Gefahr liefe, im Libanon einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Libanon in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde. Nicht feststellbar war, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Heimat keine Existenzgrundlage zur Befriedigung seiner elementaren Lebensbedürfnisse hätte.
Im Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in seinem Heimatland festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung, er befindet sich nicht in medizinischer Behandlung und nimmt keine Medikamente ein. Aktuell ist er gesund und gehört keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung an.
Er hat mit Ausnahme seines nunmehrigen Aufenthalts in Europa sein Leben zum überwiegenden Teil im Libanon verbracht, wo er sozialisiert wurde und wo sich nach wie vor seine nächsten Verwandten aufhalten.
Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr bei seiner Familie - konkret bei seinem Vater und den vier Geschwistern - unentgeltlich wohnen wird können. Seine Kernfamilie ist im Hinblick auf eine Unterstützung des Beschwerdeführers leistungsfähig und -willig. Davon abgesehen ist der Beschwerdeführer als arbeitsfähig und -willig anzusehen. Der Beschwerdeführer ist jung und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen. Er hat eine mehrjährige Schulbildung und verfügt über Berufserfahrung als Fliesenleger. Der Beschwerdeführer spricht Arabisch.
Bei einer Rückkehr in den Libanon und einer neuerlichen Ansiedelung in seiner Herkunftsregion kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in seiner Herkunftsregion einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.
Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
2.1.3. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war nie nach Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der Paragraph 382 b, oder Paragraph 382 e, EO.
2.1.4. Der private und familiäre Lebensmittelpunkt des BF befindet sich im Libanon. Der Beschwerdeführer verfügt zum Entscheidungszeitpunkt über keine relevanten Bindungen zu Österreich. In Österreich halten sich keine Verwandten des BF auf. Ein Onkel lebt in der Bundesrepublik Deutschland.
Er unterhält in Österreich keine Beziehung.
Der Beschwerdeführer besucht(e) in Österreich weder einen Deutschkurs, noch hat er eine Deutschprüfung erfolgreich absolviert. Er verfügt allenfalls über geringe Deutschkenntnisse.
Er knüpfte normale soziale Kontakte. Unterstützungserklärungen brachte er nicht in Vorlage.
Der Beschwerdeführer verfügt seit seiner erstmaligen Hauptwohnsitzmeldung am 11.05.2022 - abgesehen von einer kurzzeitigen Unterbrechung von 03.06.2022 bis 08.06.2022 - über eine aufrechte Meldeadresse im österreichischen Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer bezieht seit seiner Antragstellung im April 2022 laufend Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und lebt von staatlicher Unterstützung. Der BF war bzw. ist gegenwärtig nicht legal erwerbstätig. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF in Österreich selbsterhaltungsfähig ist. Der BF verfügt weder über eine Einstellungszusage noch über einen gültigen arbeitsrechtlichen Vorvertrag.
Er ist als voll erwerbsfähig anzusehen, etwaige gesundheitliche Einschränkungen des Beschwerdeführers sind nicht aktenkundig.
Er leistet keine offizielle ehrenamtliche Tätigkeit und ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation in Österreich.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer umfassenden und fortgeschrittenen Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden, welche die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen würden.
2.1.5. Zur aktuellen Lage im Libanon war insbesondere unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer im Bescheid offengelegten Quellen (LIB der Staatendokumentation, Datum der Veröffentlichung: 01.03.2023) festzustellen:
COVID-19
Laut einem Bericht des libanesischen Gesundheitsministeriums (MoPH) zur Beobachtung von COVID-19-Infektionen im Libanon betrug die COVID-19 bedingte Belegung der Intensivstationen in der Woche vom 13.2.2023 bis zum 20.2.2023 13 %. Die lokale PCR-Positivitätsrate lag bei 8,4 %. 71,2 % der Bevölkerung haben laut offiziellen Daten mindestens eine COVID-19 Impfdosis erhalten (MoPH 20.2.2023). Das Gesundheitsministerium hat eine Hotline für Aufklärung und Fragen zu COVID-19 eingerichtet (MoPH 2023). Der Libanon hat im Januar 2021 eine elektronische Plattform für Bürger und Einwohner eingerichtet, die sich gegen COVID-19 impfen lassen wollen (AN 29.1.2021; vergleiche MoPH 28.1.2021). Ähnlich wie in vielen anderen Ländern wurde eine App zur Ermittlung von Kontaktpersonen, „Ma3an“, entwickelt, um Menschen zu benachrichtigen, die möglicherweise mit COVID-19 in Kontakt gekommen sind. Auf kommunaler Ebene haben die lokalen Gemeinden die Aufgabe der Nachverfolgung von Fällen und der Verhängung von Quarantänen übernommen (RAND 6.5.2022).
Im Libanon traf die Pandemie mit der Wirtschaftskrise zusammen. Die Krankenhäuser befanden sich bereits in einer schwierigen Situation, was sich auf alle gesundheitsbezogenen Aspekte, auch auf COVID-19 Patienten, auswirkte. Unmittelbar nach Ausbruch der Pandemie wurde deutlich, dass private Krankenhäuser keine Abteilung für COVID-19 Patienten öffnen wollten, und der libanesische Staat war nicht in der Lage, sie dazu zu verpflichten, zumal die für die Gesundheitsversorgung bereitgestellten öffentlichen Gelder aufgebraucht waren und in der Vergangenheit nicht vollständig an diese Krankenhäuser gezahlt wurden. Es dauerte Wochen, bis einige private Krankenhäuser beschlossen, einige Abteilungen für COVID-19-Patienten zu öffnen (HBS 2.12.2022). Die COVID-19-Krise verschärfte auch die bereits bestehenden Ungleichheiten in den Bereichen Beschäftigung und Bildung und verringerte die Chancen für viele der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen (UNICEF 6.2022). Besonders schwerwiegende Auswirkungen hatte COVID-19 auf Flüchtlingsgemeinschaften, insbesondere auf Frauen und Mädchen, was durch die grundlegenden Hindernisse, mit denen sie konfrontiert sind, noch verstärkt wurde: Bewegungsfreiheit, Schutz, Zugang zu Gesundheitsdiensten und Beschäftigung. Auch über die Pandemie hinaus deuten Schätzungen von Hilfsstudien darauf hin, dass COVID-19 noch lange Zeit unverhältnismäßig starke Auswirkungen auf Flüchtlingsfrauen im Libanon haben wird, insbesondere auf diejenigen, die Gewalt ausgesetzt waren (HBS 2.12.2022).
Quellen:
- AN - Arab News (29.1.2021): Lebanon launches online platform for vaccine registration, https://www.arabnews.com/node/1800166/middle-east, Zugriff 21.2.2023
- HBS - Heinrich Böll Stiftung – Beirut Office (2.12.2022): https://lb.boell.org/sites/default/files/2022-12/fqml-en-e.pdf, Zugriff 30.1.2023
- MoPH - Ministry of Public Health [Libanon] (20.2.2023): Monitoring of COVID-19 Infection In Lebanon – 20/2/2023, https://www.moph.gov.lb/en/Pages/127/43750/monitoring-of-covid-19-, Zugriff 21.2.2023
- MoPH - Ministry of Public Health [Libanon] (2023): Novel Coronavirus 2019, https://www.moph.gov.lb/en/Pages/2/24870/novel-coronavirus-2019-, Zugriff 21.2.2023
- MoPH - Ministry of Public Health [Libanon] (28.1.2021):
COVID-19 Vaccine Platform (Presentation), https://www.moph.gov.lb/userfiles/files/Prevention/nCoV-%202019/Covid19_Vaccine_Process(2020)-1-1.pdf, Zugriff 21.2.2023
- RAND (6.5.2022): Lebanon: Challenges and Successes in COVID-19 Pandemic Response, https://www.rand.org/blog/2022/05/lebanon-challenges-and-successes-in-covid-19-pandemic.html, Zugriff 21.2.2023
- UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (6.2022): Synthesis of the crisis impact on the Lebanese labour market and potential business, employment and training opportunities, https://www.unicef.org/lebanon/media/8726/file/ILO%20UNICEF%20Synthesis%20report%20EN%20.pdf, Zugriff 21.2.2023
Politische Lage
Der Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Ta’if-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten „Dokument der Nationalen Versöhnung“ (AA 5.12.2022). Der Nationalpakt verteilt die Regierungsgewalt auf einen maronitischen christlichen Präsidenten, einen schiitischen Sprecher der Abgeordnetenkammer (Parlament) und einen sunnitischen Premierminister (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022, AA 5.12.2023). Bei der im Abkommen von Ta’if vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es keine Fortschritte (AA 5.12.2022). Die libanesische Elite ist nicht bereit, ein System abzuschaffen, das ihre Macht garantiert, oder sich der Kontrolle durch ein neues, demokratischeres und rechenschaftspflichtiges Parlament zu stellen (CH 11.8.2021).
Die 128 Abgeordnetensitze im Parlament werden nach einem detaillierten Schlüssel für die 18 anerkannten Religionsgemeinschaften je zur Hälfte von Christen (zwölf anerkannte christliche
Konfessionen) bzw. Muslimen (Sunniten, Schiiten, Drusen, Alawiten und Ismailiten) besetzt.
Das libanesische System wird von der Zusammenarbeit der verschiedenen religiösen Gruppen getragen; daneben spielen Familien- und regionale Interessen eine große Rolle (AA 5.12.2023). Das komplizierte konfessionelle Proporzsystem, das Christen, Schiiten und Sunniten gleichermaßen Zugang zu Macht und Ämtern sichern soll, hat in den vergangenen Jahren zu einer vollständigen Blockade des politischen Prozesses geführt (WZ 15.1.2023). In der libanesischen Politik bestehen formelle und informelle Allianzen, allerdings häufig auch über die religiöse Kluft hinweg. Die „Allianz des 8. März“ ist eine Koalition, deren zwei führende Parteien schiitische Muslime (Hizbollah) und Christen (Freie Patriotische Bewegung) sind, die durch eine pro-syrische Agenda vereint sind. Ihnen gegenüber steht die „Allianz des 14. März“, eine anti-syrische Gruppe, die von sunnitischen Muslimen und christlichen Maroniten dominiert wird. Die ungewöhnliche und mangelhafte politische Struktur des Libanon ermöglicht es der Hizbollah, über die Allianz des 8. März enorme Macht und parlamentarische Kontrolle auszuüben, ohne selbst über eine hohe Anzahl von Sitzen im Parlament zu verfügen (CH 11.8.2021). Außerdem hat die Hizbollah im Laufe der Jahre eine mehrdimensionale Strategie verfolgt, die neben ihrem Militärapparat auch mehrere politische Mittel umfasst. Neben der Bildung eines politischen Gürtels aus nicht-schiitischen Verbündeten (Christen, Alawiten, Drusen und Sunniten) gehörte auch die massive Unterwanderung der öffentlichen Verwaltung und anderer Einrichtungen wie der allgemeinen Gewerkschaft und der Verkehrsgewerkschaft dazu (USIP 8.6.2022). Zumindest in ihren Hochburgen (Teile der Bekaa-Ebene, südliche Beiruter Vororte, Teilgebiete des Südens) stellt die Hizbollah auch weiterhin eine Art Staat im Staat dar und übernimmt dort die sozialen und politischen Aufgaben (AA 5.12.2022). In der Europäischen Union wird bislang lediglich der „militärische Arm“ der Hizbollah als Terrororganisation gelistet. Diese künstliche Unterscheidung zwischen einem militärischen und dem politischen Arm, die von der Hizbollah selbst negiert wird, ist international umstritten (ELNET 5.5.2021; vergleiche ST 12.5.2021). Neben Deutschland, den USA, Kanada und den Niederlanden hat auch Großbritannien die Hizbollah als Ganzes verboten. In Österreich gilt für die Hizbollah – also auch für den politischen Arm – ein Symbole-Verwendungsverbot (ST 12.5.2021).
Die jüngsten Parlamentswahlen im Libanon fanden am 15.5.2022 statt (AA 5.12.2023). Die Wahlen waren die ersten seit einem landesweiten Aufstand im Jahr 2019 gegen eine politische Elite, die weithin als korrupt und ineffektiv gilt. Die Hizbollah und ihre verbündete Allianz gewannen 62 der 128 Sitze, und haben damit ihre Mehrheit im libanesischen Parlament verloren. Die Hizbollah behielt zwar ihre eigenen Sitze, aber die christliche Freie Patriotische Bewegung von Präsident Michel Aoun verlor an Unterstützung. Die „Lebanese Forces“, eine rivalisierende christliche Partei mit engen Beziehungen zu Saudi-Arabien, gewann 19 Sitze und damit 15 Sitze mehr als bei den letzten Wahlen im Jahr 2018 (BBC 17.5.2022). Kandidaten, die als Opposition zum Establishment gelten, haben 13 Sitze im Parlament gewonnen (OT 17.5.2022). Das zersplitterte Parlament war allerdings nicht in der Lage, einen neuen Präsidenten zu wählen, sodass nach dem Ende der Amtszeit von Michel Aoun im Oktober 2022 ein Vakuum entsteht. Michel Moawad, ein Anti-Hizbollah-Kandidat, hat in mehreren Wahlgängen die meisten Stimmen erhalten, aber keine Mehrheit. Die Abstimmung wird so lange fortgesetzt, bis jemand die Pattsituation durchbrechen kann. Da es keinen Präsidenten gibt, ist die Regierung von Premierminister Najib Mikati nur geschäftsführend tätig, was die anhaltende Wirtschaftskrise im Libanon noch verschärft, da die Währung einen neuen Rekordtiefstand erreicht hat (21Vote 21.2.2023).
Die Hizbollah und ihr wichtigster Verbündeter, die Amal-Bewegung von Nabih Berri, setzen sich für eine ausschließliche Vertretung der schiitischen Gemeinschaft ein, indem sie alle ihrer Gemeinschaft zugewiesenen Parlamentssitze und den gesamten Quotenanteil der Schiiten in jeder Regierung kontrollieren. Im System der Machtteilung im Libanon bedeutet dies, dass sie gegen jede Entscheidung ein Veto einlegen oder jede Sitzung des Parlaments oder der Regierung für ungültig erklären können, indem sie alle schiitischen Mitglieder auffordern, nicht teilzunehmen oder dagegen zu stimmen. Letztlich kann die Partei außerdem immer noch auf Einschüchterung und direkte Aktionen zurückgreifen und ihre bewaffneten Mitglieder mobilisieren, wenn die politischen Mittel nicht ausreichen (USIP 8.6.2022). Die wachsende wirtschaftliche Not und die Frustration über das politische System lösen im ganzen Land häufig weit verbreitete Proteste und zivile Unruhen aus, bei denen konkrete finanzielle und wirtschaftliche Maßnahmen zur Eindämmung der Krise gefordert werden (REACH 6.4.2022). Mehr als 200 Menschen protestierten Ende Januar 2023 vor dem libanesischen Justizpalast gegen die Versuche, die Ermittlungen im Zusammenhang mit der tödlichen Explosion im Beiruter Hafen im Jahr 2020 zu stoppen. Richter Tarek Bitar kündigte an, dass er die Ermittlungen zu der Explosion, bei der mehr als 220 Menschen ums Leben kamen, wieder aufnehmen werde, nachdem sie aufgrund von juristischen Auseinandersetzungen und politischem Druck auf höchster Ebene 13 Monate lang ausgesetzt worden waren (Reuters 26.1.2023). Im Oktober 2021 wurden bei einer Demonstration, zu der die Schiitische Amal und Hizbollah aufgerufen hatten, um die Absetzung des Richters Bitar zu fordern, sieben Menschen getötet und Dutzende verwundet (ToI 16.10.2021).
Quellen:
- 21Vote (21.2.2023): Ongoing Middle East Elections - Lebanon Indirect Presidential Election (by parliament): Continuing, https://21votes.com/middle-east-110/, Zugriff 1.3.2023
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023
- BBC - British Broadcasting Corporation (17.5.2022): Lebanon election: Hezbollah and allies lose parliamentary majority, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-61463884, Zugriff 1.3.2023
- CH - Chatham House (11.8.2021): Lebanon’s politics and politicians, https://www.chathamhouse.org/2021/08/lebanons-politics, Zugriff 28.2.2023
- ELNET (5.5.2021): Gemeinsam gegen Hisbollah – eine Bestandsaufnahme für Deutschland, Österreich und die Schweiz, https://elnet-deutschland.de/themen/politik/gemeinsam-gegen-hisbollah-eine-bestandsaufnahme-fuer-deutschland-oesterreich-und-die-schweiz/, Zugriff 1.3.2023
- FH - Freedom House (3.6.2022): Freedom on the Net 2022 – Lebanon, https://freedomhouse.org/country/lebanon/freedom-net/2022, Zugriff 8.2.2023
- OT - L’Orient Today (17.5.2022): Lebanon elects a new Parliament: A breakdown of divisions, winners and losers, https://today.lorientlejour.com/article/1299886/lebanon-elects-a-new-parliament.html, Zugriff 1.3.2023
- REACH - REACH Initiative (6.4.2022): Lebanon: 2021 Multi-Sector Needs Assessment - April 2022, https://reliefweb.int/report/lebanon/lebanon-2021-multi-sector-needs-assessment-april-2022, Zugriff 23.1.2023
- Reuters (26.1.2023): Lebanese protest as fate of blast probe hangs in balance, https://www.reuters.com/world/middle-east/lebanese-protest-anger-over-efforts-hamstring-blast-probe-2023-01-26/, Zugriff 1.3.2023
- ST - Der Standard (12.5.2021): Österreich verbietet sämtliche Hisbollah-Symbole, https://www.derstandard.at/story/2000126602629/oesterreich-verbietet-saemtliche-hisbollah-symbole, Zugriff 1.3.2023
- ToI - The Times of Israel (16.10.2021): A who’s who of the groups involved in Beirut violence that left 7 dead, https://www.timesofisrael.com/the-groups-involved-in-deadly-beirut-violence-that-left-7-dead/, Zugriff 1.3.2023
- USIP - United States Institute of Peace (8.6.2022): Lebanon’s Election Offers Lessons for Now and the Future, https://www.usip.org/publications/2022/06/lebanons-election-offers-lessons-now-and-future, Zugriff 1.3.2023
- WZ - Wiener Zeitung (15.1.2023): Krisenstaat ohne Exit-Strategie, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2134289-Krisenstaat-ohne-Exit-Strategie.html, Zugriff 23.1.2023
Sicherheitslage
[Anm.: Für Informationen bzgl. der Sicherheitslage in den palästinensischen Flüchtlingslagern siehe Kapitel 20.2 „Palästinensische Flüchtlinge“]
Die allgemeine Sicherheitslage ist durch die Proteste und den wirtschaftlichen Abschwung unübersichtlicher geworden (AA 12.5.2022). Es kommt zu Demonstrationen, Straßenblockaden, Streiks und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Gruppierungen sowie zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften. Dabei werden vereinzelt auch Schusswaffen eingesetzt (EDA 14.2.2023). Diebstähle, Schießereien und Zusammenstöße nehmen zu, da immer mehr Menschen verzweifelt versuchen, über die Runden zu kommen, was manchmal zu tödlichen Auseinandersetzungen führt. Die von den Banken eingeführten informellen Kapitalverkehrskontrollen für Einlagen haben dazu geführt, dass einige Menschen in verschiedenen Bankfilialen im ganzen Land Geiseln genommen haben, um an ihr Geld zu kommen. Die sich verschlechternde Sicherheitslage stellt eine besondere Herausforderung für die libanesischen Sicherheitskräfte dar, die ohnehin schon mit der Wirtschaftskrise zu kämpfen haben, durch die ihre Ressourcen schrumpfen und die Gehälter ihrer Mitarbeiter gekürzt werden (NL 27.9.2022).
Die libanesische schiitische Miliz Hizbollah kontrolliert den Zugang zu Teilen des Libanon und operiert innerhalb des Landes relativ ungestraft (CRS 11.1.2023). Ihr „militärischer Arm“ ist von der EU seit 2013 als terroristische Vereinigung gelistet. Die Hizbollah übernimmt zumindest in ihren Hochburgen (Teile der Bekaa-Ebene, südliche Beiruter Vororte, Teilgebiete des Südens) faktisch auch die Funktion einer Sicherheitsbehörde (AA 5.12.2023). Im Libanon präsent sind neben der Hizbollah auch andere Terrorgruppen wie die Abdallah Azzam Brigades, al-Aqsa Martyrs Brigade, Asbat al-Ansar, Hamas, an-Nusrah Front (Hay'at Tahrir ash-Sham), Palestine Liberation Front, Islamic Revolutionary Guard Corps/Qods Force, Islamic State of Iraq and ash-Sham (ISIS); PFLP-General Command; Popular Front for the Liberation of Palestine (CIA 14.2.2023).
Südlibanon
Viele Gebiete (Zonen) im gesamten Südlibanon gelten als Militärgelände der Hizbollah. Der Zugang zu diesen Gebieten ist untersagt. Die örtliche Zivilbevölkerung, die United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL)-Truppen und sogar die libanesische Armee haben keinen Zugang zu diesen Gebieten. Einige der Gebiete befinden sich in unmittelbarer Nähe von Dörfern (Alma 16.6.2022). Entlang der Blauen Linie im Südlibanon kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen dem Libanon und Israel. Bei den grenzüberschreitenden Streitigkeiten zwischen beiden Seiten werfen die Libanesen Israel wiederholt vor, den libanesischen Luftraum und die Hoheitsgewässer zu verletzen. Im Oktober 2022 legten Libanon und Israel unter Vermittlung der USA nach zwei Jahren indirekter Verhandlungen ihre Seegrenze fest. Die beiden Länder befinden sich technisch gesehen immer noch im Kriegszustand und unterhalten keine diplomatischen Beziehungen, was jede Art von Kontakt zwischen libanesischen und israelischen Bürgern verbietet (AlM 23.1.2023).
Am 29.8.2022 nahmen Beamte des libanesischen Generaldirektorats für Sicherheit in Bint Jbeil mehrere Männer fest, die verdächtigt wurden, ISIS-Terroristen zu sein. Ihnen wurde vorgeworfen, in den Reihen von ISIS in Syrien zu kämpfen, illegal in den Libanon einzudringen und mit Drogen und Falschgeld zu handeln (ITIC 6.9.2022).
Nordlibanon
Es bestehen große Spannungen in der Region, die sich durch den Konflikt in Syrien und die Anwesenheit zahlreicher Flüchtlinge verschärft haben. Es sind bewaffnete Gruppierungen aktiv, und Grenzüberschreitungen durch Kämpfer sind häufig. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen der Armee und militanten Gruppierungen oder zwischen verschiedenen politisch-religiösen Gruppierungen, vor allem in und um Ersal, Ra’s Baalbek und Qaa. Die Gefahr von weiteren Anschlägen und einer Eskalation ist groß (EDA 14.2.2023). Die Schwächung der Streitkräfte hat ihre Fähigkeit eingeschränkt, schnell auf Notsituationen zu reagieren, einschließlich Zusammenstößen zwischen bewaffneten Gruppen im Nordlibanon. Einige Gemeinden und politische Parteien in Gebieten wie Keserwane und Matn (Gouvernement Berg-Libanon), die nördlich der Hauptstadt Beirut (Gouvernement Beirut) liegen, führen lokale Maßnahmen durch, um die steigende Kriminalität zu bekämpfen, wobei die Einwohner als Wächter fungieren und abwechselnde Schichten übernehmen. Ähnliche Maßnahmen gibt es bereits in den von der schiitischen Bewegung Hizbollah kontrollierten Gebieten in den Vororten der Hauptstadt (CR 18.10.2022).
Grenzgebiet zu Syrien
Der Konflikt in Syrien wirkt sich auf die Sicherheitslage entlang der Grenze aus. In der Nähe der syrischen Grenze ereigneten sich in der Vergangenheit wiederholt Kämpfe zwischen extremistischen Gruppierungen und den libanesischen Streitkräften (EDA 14.2.2023).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.1.2023): Libanon: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/libanon-node/libanonsicherheit/204048, Zugriff 16.2.2023
- AlM - Al-Monitor (23.1.2023): Lebanon's army 'on alert' following border tension with Israel, https://www.al-monitor.com/originals/2023/01/lebanons-army-alert-following-border-tension-israel, Zugriff 16.2.2023
- Alma (16.6.2022): The Mapping of Hezbollah’s Military Areas in South Lebanon, https://israel-alma.org/2022/06/16/the-mapping-of-hezbollahs-military-areas-in-south-lebanon/, Zugriff 16.2.2023
- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (14.2.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 16.2.2023
- CR - Control Risks (18.10.2022): Economic crisis to continue to negatively affect Lebanon's security environment, https://www.controlrisks.com/our-thinking/insights/big-picture-series-economic-crisis-to-continue-to-negatively-affect-security-environment, Zugriff 16.2.2023
- CRS - Congressional Research Service (11.1.2023): Lebanese Hezbollah, https://crsreports.congress.gov/product/pdf/IF/IF10703, Zugriff 16.2.2023
- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (14.2.2023): Reisehinweise für Libanon, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/libanon/reisehinweise-libanon.html#edafd977b, Zugriff 16.2.2023
- ITIC - Meir Amit Intelligence and Terrorism Information Center (6.9.2022): Spotlight on Terrorism: Hezbollah, Lebanon and Spotlight on Terrorism: Hezbollah, Lebanon and Syria (August 21 – September 5, 2022), https://www.terrorism-info.org.il/en/spotlight-on-terrorism-hezbollah-lebanon-and-spotlight-on-terrorism-hezbollah-lebanon-and-syria-august-21-september-5-2022/, Zugriff 16.2.2023
- NL - Now Lebanon (27.9.2022): Security situation in Lebanon worsens as economic crisis continues, https://nowlebanon.com/security-situation-in-lebanon-worsens-as-economic-crisis-continues/, Zugriff 16.2.2023
Rechtsschutz / Justizwesen
Die Verfassungsinstitutionen, insbesondere Parlament, Regierung und Justizwesen, funktionieren im Prinzip nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, sind aber in ihrer tatsächlichen Arbeit nicht- verfassungsgemäßen politischen Einflussnahmen ausgesetzt. Neben den in mehrere Instanzen gegliederten und strukturell dem französischen Justizwesen angeglichenen Zivilgerichten existieren in Libanon konfessionelle Gerichtsbarkeiten, in deren Zuständigkeit die familienrechtlichen, bei den islamischen Religionsgemeinschaften auch die erbrechtlichen Verfahren, fallen (AA 5.12.2022). Nach der libanesischen Verfassung werden die Personenstandsgesetze von jeder einzelnen Glaubensgemeinschaft erlassen, wobei das Gewohnheitsrecht mit religiösen Grundsätzen kombiniert wird (AN 26.8.2022). Frauen werden nach wie vor durch 15 verschiedene glaubensbasierte Personenstandsgesetze diskriminiert. Zu den Diskriminierungen gehört die Ungleichbehandlung beim Zugang zu Scheidung, Sorgerecht, Erbschaft und Eigentumsrechten (HRW 12.1.2023). Im Libanon gibt es außerdem keine zivile Ehe (HRW 7.2.2023). Jede der großen Glaubensgemeinschaften hat ein anderes gesetzliches Heiratsalter (AN 26.8.2022). Eine Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität diskriminiert, ist in Libanon nicht zu erkennen. Allgemeine kriminelle Delikte werden im Rahmen feststehender straf- bzw. strafprozessrechtlicher Vorschriften nach insgesamt weitgehend rechtsstaatlichen Prinzipien verfolgt und geahndet (AA 5.12.2022).
Die Rechtsprechung ist gemäß Verfassung unabhängig. Es kommt jedoch zu politischer
Einflussnahme. Die Einhaltung der in der Verfassung garantierten richterlichen Unabhängigkeit ist in der praktischen Durchführung durch verbreitete Korruption, chronischen Richtermangel und politische Einflussnahme eingeschränkt. Auch die Gewaltenteilung wird in der Praxis nur eingeschränkt respektiert; insbesondere in politisch brisanten Ermittlungsverfahren kommt es zur Einflussnahme auf die Justiz (AA 5.12.2022). Diverse Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz haben die laufenden Ermittlungen in einigen hochkarätigen Strafsachen der letzten Zeit beeinträchtigt, wie z.B. die Untersuchung der Explosion im Hafen von Beirut und die Untersuchung der Rolle des Gouverneurs der libanesischen Zentralbank beim finanziellen Zusammenbruch des Landes. Diese Einmischung hat einmal mehr gezeigt, wie anfällig die libanesische Justiz für willkürliche, unzulässige oder ungerechtfertigte politische Einmischungen ist, was ihre anhaltenden Mängel und die insgesamt fehlende Unabhängigkeit des libanesischen Justizsystems widerspiegelt (ICJ 12.2022).
Das Rechtssystem unterscheidet im Strafrechtsbereich zwischen ordentlichen und
Militärgerichten. Delikte gegen die Staatssicherheit, gegen das Militär oder deren Angehörige unterliegen dem Militärstrafrecht (AA 5.12.2022). Das Militärgericht ist außerdem zuständig für Fälle, in denen Zivilpersonen des Waffenbesitzes und der Wehrdienstverweigerung beschuldigt werden (USDOS 12.4.2022). Dabei werden die Zuständigkeiten der Militärgerichtsbarkeit oft extensiv ausgelegt, vor allem beim Vorwurf des Terrorismus. Militärgerichte verurteilen auch zivile Angeklagte wegen terroristischer Delikte mit islamistischem Hintergrund in Schnellverfahren ohne ausreichenden Rechtsbeistand. Seit Jahren (allerdings ohne greifbare Fortschritte) wird erwogen, alle Militärverfahren, wenngleich unter Beibehaltung der prozeduralen Besonderheiten, ordentlichen Gerichten zu übertragen. Gegen Urteile des sogenannten Justizrates („Conseil de Justice“) kann kein Rechtsmittel eingelegt werden. Dieses mit fünf Richtern des Kassationsgerichtshofs besetzte Gericht urteilt auf Beschluss des Ministerrates in Strafverfahren, die die nationale Sicherheit betreffen (AA 5.12.2022). Andersrum können zwar auch zivile Gerichte gegen Militärangehörige vorgehen, doch werden diese Fälle häufig vom Militärgericht verhandelt, auch wenn es sich um Anklagen handelt, die nichts mit dem offiziellen Militärdienst zu tun haben. Menschenrechtsaktivisten äußern die Befürchtung, dass solche Verfahren zu Straffreiheit führen könnten (USDOS 12.4.2022).
Verwaltung und Justiz in den palästinensischen Flüchtlingslagern sind sehr unterschiedlich, wobei die meisten Lager unter der Kontrolle gemeinsamer palästinensischer Sicherheitskräfte stehen, die mehrere Fraktionen repräsentieren. Die palästinensischen Gruppen in den Flüchtlingslagern verfügen über ein autonomes Justizsystem, das für Außenstehende meist nicht transparent ist und sich der Kontrolle des Staates entzieht. So versuchen beispielsweise lokale Volkskomitees in den Lagern, Streitigkeiten durch informelle Vermittlungsmethoden zu lösen, übergeben aber gelegentlich Personen, die schwerwiegenderer Vergehen (z. B. Mord und Terrorismus) beschuldigt werden, den staatlichen Behörden zur Verhandlung (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 3.2.2023
- AN - Arab News (26.8.2022): Early marriage blights lives of young girls in Lebanon’s marginalized communities, https://www.arabnews.com/node/2030696/middle-east, Zugriff 7.2.2023
- HRW - Human Rights Watch (7.2.2023): Lebanon Rejects Civil Marriages, Puts Children at Risk, https://www.hrw.org/news/2023/02/07/lebanon-rejects-civil-marriages-puts-children-risk, Zugriff 7.2.2023
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 3.2.2023
- ICJ - International Commission of Jurists (12.2022): Lebanon: Upholding Judicial Independence Discussion and Recommendations on the Draft Law on the Independence of the Judiciary - An Advocacy Paper, https://icj2.wpenginepowered.com/wp-content/uploads/2022/12/LEBANON-Judicial-Independens-ENG-full.pdf, Zugriff 7.2.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 3.2.2023
Sicherheitsbehörden
Im Libanon gibt es drei große Sicherheitsbehörden: die Internal Security Forces (ISF), die General Security (GS) und die Generaldirektion für Staatssicherheit (GDSS). Diese Behörden haben unterschiedliche, sich jedoch manchmal überschneidende Aufgaben. Die ISF stellen die größte Sicherheitskraft (ISPI 2.8.2022). Sie sind die allgemein zuständige Polizei des Staates und gleichzeitig Hilfsorgan der Justiz (z.B. zum Führen des Kriminalregisters), sie werden durch einen sunnitischen General geleitet (AA 5.12.2022) und unterstehen dem (ebenfalls sunnitischen) Innenminister (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 5.12.2022). Sie sind für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Stabilität zuständig, einschließlich des Schutzes von Eigentum und Personen sowie der Durchsetzung von Gesetzen und Vorschriften (ISPI 2.8.2022). Die demgegenüber schiitisch geprägte GS hat neben Fragen der Ein- und Ausreisekontrollen auch eine nachrichtendienstliche Funktion inne (AA 5.12.2022; vergleiche ISPI 2.8.2022). Die GS untersteht ebenfalls dem Innenministerium (USDOS 12.4.2022). Die GDSS ist die kleinste Sicherheitsbehörde (ISPI 2.8.2022). Sie ist über den Obersten Verteidigungsrat dem Premierminister unterstellt und ist für die Untersuchung von Spionage und anderen Angelegenheiten der nationalen Sicherheit zuständig. Die parlamentarische Polizeitruppe (PPF) ist dem Parlamentspräsidenten unterstellt und hat die Aufgabe, die Räumlichkeiten des Parlaments und die Residenz des Parlamentspräsidenten zu schützen. Sowohl die ISF als auch die libanesischen Streitkräfte (LAF) stellen Einheiten für die PPF bereit (USDOS 12.4.2022). Die LAF, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die äußere Sicherheit zuständig, dürfen aber aus Gründen der nationalen Sicherheit Verdächtige festnehmen und inhaftieren (USDOS 12.4.2022). Anders als die anderen Sicherheitsinstitutionen gilt die Armee als parteipolitisch und konfessionell weitgehend neutral (trotz eines stets christlichen Oberbefehlshabers und zahlreicher christlicher Generäle) und genießt grundsätzlich hohes Ansehen in allen Bevölkerungsteilen (AA 5.12.2022).
Ein Polizeigesetz im engeren Sinne gibt es nicht. Dass die Institutionen einer bestimmten Konfession und ihrem politischen Lager zuzuordnen sind, beeinflusst teilweise spürbar die Zusammenarbeit untereinander (AA 5.12.2022). Berichten zufolge zwingt die anhaltende wirtschaftliche, politische und soziale Krise im Libanon die Bewohner dazu, ihre Sicherheit selbst in die Hand zu nehmen, und es bilden sich Nachbarschaftswachen, die dort einspringen, wo die staatliche Sicherheit versagt hat (AlM 17.12.2022; vergleiche Haaretz 29.11.2022). Die Auswirkungen der wirtschaftlichen Probleme des Landes auf die Sicherheitskräfte sind besonders besorgniserregend, da die grassierende Inflation die operativen Budgets der libanesischen Sicherheitsbehörden und die Gehälter ihrer Mitarbeiter entwertet hat. Die Moral hat sich verschlechtert, viele Mitarbeiter gehen einer Schwarzarbeit nach und eine wachsende Zahl desertiert. Die Fähigkeit des Staates, die Straßen zu kontrollieren, wird immer schwächer, vor allem in den Randgebieten, während die Kriminalitätsrate drastisch ansteigt. Immer mehr Bürger kaufen Schusswaffen auf dem Schwarzmarkt, um ihre Familien und ihr Eigentum zu schützen. Es bildet sich ein Mosaik lokaler Sicherheitsvorkehrungen, bei dem sich Gemeindepolizisten und Aktivisten politischer Parteien mit kommerziellen Anbietern und Freiwilligen aus der Bevölkerung zusammentun, um die Sicherheit in den Vierteln und Dörfern zu gewährleisten (ICG 27.1.2022). Dennoch erhalten die zivilen Behörden die Kontrolle über die Streitkräfte der Regierung und andere Sicherheitskräfte, obwohl palästinensische Sicherheits- und Milizkräfte, die Hizbollah und andere extremistische Elemente außerhalb der Leitung oder Kontrolle der Regierungsbeamten operieren. Die Sicherheitskräfte der Regierung sowie bewaffnete nichtstaatliche Akteure wie die Hizbollah setzen die Praxis der außergerichtlichen Verhaftung und Inhaftierung fort, einschließlich der Inhaftierung in Isolationshaft. NGOs berichten, dass Straflosigkeit ein erhebliches Problem bei den Sicherheitskräften, einschließlich der ISF, der LAF und der PPF, darstellt. Straflosigkeit ist auch ein Problem in Bezug auf die Handlungen bewaffneter nichtstaatlicher Akteure wie der Hizbollah. Auf Fotos und Videos wurden Personen, die der PPF angehören sollen, dabei gefilmt, wie sie während der Proteste im August 2020 mit scharfer Munition auf Demonstranten schossen (USDOS 12.4.2022).
Die staatlichen Institutionen haben in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff, bspw. in den palästinensischen Flüchtlingslagern (AA 5.12.2022). Die Flüchtlingslager waren für die libanesischen Behörden bekanntermaßen tabu (T961 19.1.2023). Auch in anderen Landesteilen schränkt die Existenz nicht-staatlicher Akteure die Zugriffsmöglichkeiten der Staatsorgane ein. Dies gilt insbesondere für die südlichen Vororte Beiruts und die schiitischen Siedlungsgebiete in der Bekaa-Ebene und im Süden des Landes, in denen die Hizbollah präsent ist und Druck auf staatliche Institutionen ausübt. So sind z.B. in diesen Gebieten polizeiliche Ermittlungen oder auch die Präsenz der libanesischen Armee nur eingeschränkt möglich (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
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- AlM - Al Monitor (17.12.2022): As Lebanon unravels, Beirut neighborhood takes security into its own hands, https://www.al-monitor.com/originals/2022/12/lebanon-unravels-beirut-neighborhood-takes-security-its-own-hands, Zugriff 7.2.2023
- Haaretz (29.11.2022): Beirut ‘Neighborhood Watch’ Echoes Lebanon’s Troubled Past, https://www.haaretz.com/middle-east-news/2022-11-27/ty-article/beirut-neighborhood-watch-echoes-lebanons-troubled-past/00000184-b86c-db6f-a9ac-feed96bf0000, Zugriff 7.2.2023
- ICG - International Crisis Group (27.1.2022): Lebanon: Fending Off Threats from Within and Without, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/east-mediterranean-mena/lebanon/lebanon-fending-threats-within-and-without, Zugriff 7.2.2023
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- T961 - The 961 (19.1.2023): Murderer Who Escaped From Sweden Was Just Caught In Palestinian Refugee Camp In Lebanon, https://www.the961.com/murderer-escaped-sweden-caught-palestinian-refugee-camp-lebanon/, Zugriff 9.2.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 7.2.2023
Folter und unmenschliche Behandlung
Das Gesetz verbietet die Anwendung von Gewalt, um ein Geständnis oder Informationen über eine Straftat zu erlangen, aber die Justiz hat Foltervorwürfe nur selten untersucht oder verfolgt (USDOS 12.4.2022). Die Anwendung von Folter durch Angehörige der Strafverfolgungsbehörden, des Militärs und der staatlichen Sicherheitskräfte hält trotz der Verabschiedung von Antifoltergesetzen und der Schaffung von institutionellen Mechanismen zur Unterbindung dieser Praxis an (FH 24.2.2022). Obwohl zivilgesellschaftliche Organisationen seit langem dokumentieren, dass es immer wieder zu Folterungen und einer verfestigten Praxis von Gewalt, Demütigung und Misshandlung in der Haft kommt, haben die Behörden keine nennenswerten Schritte unternommen, um gegen diese Verstöße vorzugehen (Alkamara 15.1.2023). Die Regierung bestreitet die systematische Anwendung von Folter (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 5.12.2022), obwohl die Behörden einräumten, dass es während der Untersuchungshaft auf Polizeistationen oder in Militäreinrichtungen, wo Beamte Verdächtige ohne die Anwesenheit eines Anwalts verhörten, manchmal zu gewaltsamen Misshandlungen kam (USDOS 12.4.2022). Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen Foltervorwürfen sind bisher nur in Einzelfällen bekannt geworden. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland berichtet, dass es sich laut libanesischer Regierung um „Exzesse Einzelner“ handelt, gegen die man noch stärker auf strafrechtlicher Grundlage vorgehen werde (AA 5.12.2022). Beschwerden über Folter, die von Demonstranten im Jahr 2020 eingereicht wurden, wurden von den Gerichten nicht weiterverfolgt (HRW 12.1.2023). Zwischen dem 25. und 31.1.2021 wurden 35 Personen im Zusammenhang mit Protesten in Isolationshaft genommen. Nach seiner Freilassung wies ein Festgenommener Anzeichen schwerer Schläge am ganzen Körper auf, mit erheblichen Verletzungen an Kopf, Schultern und Hals, und berichtete, dass er gefoltert oder anderweitig misshandelt worden sei (AI 29.3.2022).
Obwohl das Parlament 2017 ein Anti-Folter-Gesetz verabschiedet hat, wird die Folter durch Sicherheitskräfte fortgesetzt, die Justizbehörden ignorieren weiterhin die Bestimmungen des Gesetzes, und die Rechenschaftspflicht für Foltervorwürfe bleibt schwer zu erreichen (HRW 12.1.2023). Die Untersuchungsabteilung der libanesischen Streitkräfte (LAF) leitete im Mai 2020 eine interne Untersuchung über die angebliche Folterung von Gefangenen in LAF-Gefängnissen in Sidon und Tripolis ein, nachdem es in diesen Städten zu Protesten gekommen war. Die Untersuchung wurde ausgesetzt, da keine formellen Anschuldigungen von den Opfern vorlagen und der ursprüngliche Untersuchungsrichter von seinem Posten zurücktrat (USDOS 12.4.2022). Im Jahr 2019 hat der libanesische Ministerrat die fünf Mitglieder des nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter ernannt, aber noch keine Mittel für den Mechanismus bereitgestellt (HRW 12.1.2023). Menschenrechtsorganisationen haben, anders als das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, seit 2007 keinen Zutritt zu den Militärgefängnissen und zum Verhörzentrum im Verteidigungsministerium (AA 5.12.2022). NGOs und ehemalige Gefangene berichten weiterhin, dass Drogenkonsumenten, Prostituierte und LGBTI-Personen durch Beamte der Internal Security Force (ISF) - unter anderem durch Androhung längerer Haft und Preisgabe ihrer Identität gegenüber Familie oder Freunden - misshandelt wurden, insbesondere in Haftanstalten außerhalb Beiruts. Erzwungene Analuntersuchungen von Männern, die der gleichgeschlechtlichen sexuellen Aktivität verdächtigt werden, sind in den Polizeidienststellen Beiruts zwar verboten, werden aber in Tripoli und anderen Städten außerhalb der Hauptstadt weiterhin durchgeführt (USDOS 12.4.2022). Im September 2022 starb ein syrischer Flüchtling im Gewahrsam der Staatssicherheit an den Folgen von Folter. Mehrere Beamte wurden verhaftet und stehen vor Militärgerichten, denen es an Unabhängigkeit mangelt (HRW 12.1.2023). Das Access Center for Human Rights (ACHR) berichtete über Fälle von Folter, ungerechten Gerichtsverfahren und „unmenschlichen“ Bedingungen während der Inhaftierung von syrischen Flüchtlingen durch die libanesischen Behörden (OT 14.3.2022; vergleiche AI 23.3.2021).
Die LAF, die ISF und die Direktion für allgemeine Sicherheit (DGS) verfügen über neue Verhaltenskodizes, die sie mit Unterstützung des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte entwickelt und 2020 umgesetzt haben, um die Achtung und den Schutz der Menschenrechte zu fördern und Elemente der Rechenschaftspflicht einzuführen. Die Gendarmerieeinheit der ISF hat mit Unterstützung der Geberländer ein Schulungsprogramm eingeführt, das auch Menschenrechtsschulungen umfasst (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 3.2.2023
- AI - Amnesty International (29.3.2022): Lebanon 2021, https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/lebanon/report-lebanon/, Zugriff 3.2.2023
- AI - Amnesty International (23.3.2022): Lebanon: ‘I Wished römisch eins Would Die’ - Syrian refugees arbitrarily detained on terrorism-related charges and tortured in Lebanon, https://www.amnesty.org/en/documents/mde18/3671/2021/en/?utm_source=annual_report&utm_medium=epub&utm_campaign=2021&utm_term=english, Zugriff 3.2.2023
- Alkamara (15.1.2023): Lebanon : Alkarama joins lebanese civil society in a common call to adress the situation in Roumieh and other detention centers, https://www.alkarama.org/en/articles/lebanon-lack-means-no-excuse-lack-will, Zugriff 2.3.2023
- FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 3.2.2023
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 3.2.2023
- OT - L’Orient Today (14.3.2022): Rights group alleges refugees arbitrarily detained, held in 'inhumane' conditions in Lebanon, https://today.lorientlejour.com/article/1293607/rights-group-alleges-refugees-arbitrarily-detained-held-in-inhumane-conditions-in-lebanon.html, Zugriff 3.2.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 3.2.2023
Korruption
Libanon leidet unter endemischer Korruption (USDOS 12.4.2022). Die politische und wirtschaftliche Elite betrachtet den Staat mehr oder weniger als Selbstbedienungsladen für sich und ihre Klientel (WZ 15.1.2023). Die Korruption durchdringt alle Ebenen und Zweige der Regierung, da die Auswahl für öffentliche Ämter auf ethnischen und parteilichen Loyalitäten und Klientelismus beruht, was zu einem aufgeblähten, ineffizienten und korrupten öffentlichen Dienst führt (U4 8.9.2022). Der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen hängt oft von Schmiergeldzahlungen oder persönlichen Beziehungen (wasta) ab (TI 19.9.2022; vergleiche U4 8.9.2022). Gemäß Transparency International’s Corruption Perceptions Index liegt der Libanon im Jahr 2022 in Bezug auf Korruption auf Platz 150 von insgesamt 180 Staaten (TI o.D.). Die Korruption hat im Libanon einen historischen Höchststand erreicht und verschärft dadurch die Wirtschaftskrise weiter, die zu einer noch nie dagewesenen Armut und Ungleichheit geführt hat (TI 19.9.2022).
Zu den häufigsten Korruptionsarten gehören im Allgemeinen politische Klientelwirtschaft, Versäumnisse der Justiz, insbesondere bei der Untersuchung von Amtsmissbrauch und Bestechung auf mehreren Ebenen innerhalb der nationalen und kommunalen Regierung. Am 7.4.2021 erhob ein Staatsanwalt Anklage gegen den Gouverneur der Zentralbank, Riad Salameh, den Vorsitzenden der Societe General Banque du Liban, Antoun Sehnaoui, Michel Mecattaf von der Firma Mecattaf und die Vorsitzende der Bankenkontrollkommission der Zentralbank, Maya Dabbagh wegen des Verdachts, dass die Bank große Summen überwiesen hat, was zu einer Abwertung des Pfunds führte. Der Fall wurde an einen Ermittlungsrichter verwiesen (USDOS 12.4.2022). Darüber hinaus ermitteln derzeit fünf europäische Länder gegen Riad Salameh wegen des Vorwurfs, öffentliche Gelder in Europa gewaschen zu haben (AP 11.1.2023).
Seit der Explosion im Beiruter Hafen im August 2020 fordern die Angehörigen eine transparente Untersuchung der Ursachen dieser verheerenden Tragödie (OT 9.12.2022). Die Richter, die für die Untersuchung der Explosion verantwortlich waren, haben die Ermittlungen mehrfach unter politischem Druck unterbrochen, nachdem Anklage gegen mehrere derzeitige und frühere hochrangige Beamte erhoben wurde (USDOS 12.4.2022). Libanons oberster Staatsanwalt hat im Januar 2023 Anklage gegen Richter Tarek Bitar erhoben, der die tödliche Explosion im Hafen von Beirut untersuchte, und die Freilassung aller im Zusammenhang mit dem Fall inhaftierten Verdächtigen angeordnet, wie aus Justizkreisen verlautete. Diese Entscheidung spiegelt den zunehmenden Widerstand der libanesischen Regierungsklasse gegen die Bemühungen von Richter Bitar wider, seine Ermittlungen zu der verheerenden Explosion wieder aufzunehmen (AJ 25.1.2023). Die jüngsten Korruptionsskandale, in die hochrangige Beamte verwickelt waren, haben das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Institutionen des Landes erschüttert und zu zivilen Unruhen geführt (TI 19.9.2022; vergleiche U4 8.9.2022).
Die libanesische Regierung hat Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung eingeleitet. Der Libanon hat das UN-Übereinkommen gegen Korruption ratifiziert, und die Regierung hat den Prioritäten des Rahmens für Reform, Erholung und Wiederaufbau (3RF) zugestimmt. Darüber hinaus wird in der 2020 verabschiedeten Nationalen Korruptionsbekämpfungsstrategie des Libanon der Fahrplan der Regierung zur Korruptionsbekämpfung beschrieben. Die Nationale Antikorruptionskommission, die mit der Umsetzung dieser Strategie betraut ist, verfügt jedoch nach wie vor nicht über die für die Erfüllung ihres Mandats erforderlichen Statuten und Ressourcen (OT 6.12.2022). Die Zentrale Aufsichtsbehörde (Central Inspection Board - CIB), ein Aufsichtsgremium innerhalb des Amtes des Premierministers, ist für die Überwachung von Verwaltungsabteilungen, einschließlich Beschaffungs- und Finanzmaßnahmen zuständig und ist weitgehend unabhängig von politischer Einflussnahme. Die CIB kann Bedienstete der nationalen und kommunalen Verwaltung inspizieren und ist befugt, ihre Entlassung zu beantragen oder Fälle zur Strafverfolgung weiterzuleiten. Die Befugnisse der CIB erstrecken sich nicht auf Kabinettsminister oder Kommunalbeamte. Auch der Sozialversicherungsfond, der Rat für Entwicklung und Wiederaufbau, und öffentliche Einrichtungen, die umfangreiche Finanzströme verwalten, fallen nicht in die Zuständigkeit der CIB. Berichten zufolge haben Beamte im Jahr 2021 in großem Umfang ungestraft korrupte Praktiken angewandt. Regierungs- und Sicherheitsbeamte, Zollbeamte und Mitglieder der Justiz unterliegen den Gesetzen gegen Bestechung und Erpressung, aber das Fehlen einer strengen Durchsetzung schränkt die Wirksamkeit der Gesetze ein (USDOS 12.4.2022). In den letzten fünf Jahren wurden mehrere Gesetze zur Korruptionsbekämpfung verabschiedet, doch ihre Umsetzung bleibt problematisch (TI 19.9.2022), was zum Teil auf einen Mangel an politischem Willen zurückzuführen ist (U4 8.9.2022). Unter anderem verabschiedete das Parlament ein Gesetz über das Recht auf Zugang zu Informationen und ein Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen, das darauf abzielt, Schlupflöcher zu schließen, die Veruntreuungen im öffentlichen Sektor ermöglichen. Im Oktober 2022 verabschiedete das Parlament außerdem ein Gesetz über das Bankgeheimnis, das Teil der zwischen Libanon und dem IWF vereinbarten Maßnahmen ist. Ebenso wird an der Fertigstellung eines Gesetzentwurfs über die Unabhängigkeit der Justiz gearbeitet (OT 6.12.2022).
Quellen:
- AJ - Al Jazeera (25.1.2023): Lebanon’s top prosecutor charges Beirut blast Judge Tarek Bitar, https://www.aljazeera.com/news/2023/1/25/lebanon-top-prosecutor-files-charges-against-judge-tarek-bitar, Zugriff 3.2.2023
- AP - Associated Press, The (11.1.2023): European legal team arriving in Lebanon in corruption probe, https://apnews.com/article/lebanon-france-germany-riad-salameh-business-35980e85bb487c3aaf681a10ee3fb7cd, Zugriff 3.2.2023
- OT - L’Orient Today (6.12.2022): Anti-corruption: Lebanon stands at a crossroads, https://today.lorientlejour.com/article/1321009/anti-corruption-lebanon-stands-at-a-crossroads.html, Zugriff 3.2.2023
- TI - Transparency International (19.9.2022): Lebanon: Overview of corruption and anti-corruption, https://knowledgehub.transparency.org/helpdesk/lebanon-overview-of-corruption-and-anti-corruption, Zugriff 19.9.2022
- TI - Transparency International (o.D.): Our Work in Lebanon – Country Data, https://www.transparency.org/en/countries/lebanon, Zugriff 3.2.2023
- U4 - U4 Anti-Corruption Resource Centre (8.9.2022): Lebanon: Overview of corruption and anti-corruption, https://www.u4.no/publications/lebanon-overview-of-corruption-and-anti-corruption.pdf, Zugriff 3.2.2023
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- WZ - Wiener Zeitung (15.1.2023): Krisenstaat ohne Exit-Strategie, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2134289-Krisenstaat-ohne-Exit-Strategie.html, Zugriff 23.1.2023
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Im Libanon sind zahlreiche lokale und internationale, im öffentlichen Leben deutlich wahrnehmbare Menschenrechtsorganisationen tätig. Die große Mehrheit von ihnen kann grundsätzlich frei arbeiten. Allerdings beklagen auch sie, wie viele zivilgesellschaftliche Organisationen, einen abnehmenden Handlungsspielraum und mitunter ein Klima der Bedrohung seitens nicht-staatlicher Akteure (z.B. durch die Hizbollah) (AA 5.12.2022). NGOs müssen das in Grundzügen seit 1909 bestehende Vereinsgesetz und andere anwendbare Gesetze in Bezug auf Arbeit, Finanzen und Einwanderung einhalten. Auch ist eine Registrierung beim Innenministerium erforderlich, womit unter Umständen ein Genehmigungsverfahren verbunden ist. NGOs sehen sich manchmal bürokratischen Behinderungen oder Einschüchterungen durch die Sicherheitsdienste ausgesetzt, je nachdem, in welchem Bereich sie tätig sind oder welche Initiativen sie ergreifen (FH 24.2.2022). Rechtlich erschwert bleibt die Gründung von Organisationen für Ausländer; dies macht es palästinensischen und syrischen Flüchtlingen de facto unmöglich, unabhängig von libanesischen Partnern NGOs zur Verfolgung ihrer Interessen zu gründen. In der Praxis treten libanesische Staatsangehörige für palästinensische und syrische Flüchtlinge als Gründer und Organe auf (AA 12.5.2022).
Organisationen der Zivilgesellschaft und NGOs spielten unter anderem bei der Katastrophenbewältigung im Zusammenhang mit der Explosion im Hafen von Beirut im Jahr 2020 eine entscheidende Rolle, da sie kurzfristige Soforthilfe und humanitäre Hilfe leisten konnten. Sie leisten auch langfristige Hilfe, um die Menschen bei der Bewältigung der multidimensionalen Krise im Libanon zu unterstützen (ICNL 14.11.2022). Die libanesische Zivilgesellschaft hat demnach eine führende Rolle dabei gespielt, auf die Bedürfnisse der Gesellschaft zu reagieren und Lücken im öffentlichen Sektor zu schließen (RDPP 12.12.2022).
Versuche der Einschüchterung und Beeinflussung durch politische Institutionen oder nichtstaatliche Akteure haben während des Jahres 2022 zugenommen. Dabei werden z.B. NGOs, die internationale Unterstützung erhalten, teilweise als ausländische Agenten diffamiert (AA 5.12.2022). In Gebieten, die von der Hizbollah beherrscht werden, sind unabhängige NGOs Schikanen und Einschüchterungen ausgesetzt, einschließlich sozialem, politischem und finanziellem Druck. Berichten zufolge bezahlte die Hizbollah Jugendliche, die in „inakzeptablen“ NGOs arbeiteten, damit sie die Gruppen verließen (USDOS 12.4.2022)
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
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- FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 8.2.2023
- ICNL - International Center for Not-For-Profit Law (14.11.2022): Lebanon, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/lebanon, Zugriff 30.1.2023
- RDPP - Region Development & Protection Programme [Lone Bildsøe Lassen, Ayla-Kristina Olesen Yurtaslan & Maisa Shquier (authors)] (12.12.2022): Localization of Aid in Jordan and Lebanon. A longitudinal qualitative study, https://rdpp-me.org/assets/RDPP%20Localization%20Study.pdf, Zugriff 1.2.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 8.2.2023
Wehrdienst und Rekrutierungen
Die allgemeine Wehrpflicht wurde 2006 abgeschafft und die Armee in eine Berufsarmee umgewandelt. Der Zugang zum Militärdienst ist nicht an ethnische oder religiöse Kriterien gebunden (AA 5.12.2022). Im Alter von 17 bis 25 Jahre können Männer und Frauen im Libanon den freiwilligen Militärdienst ableisten (CIA 11.1.2023). Laut dem US-Ministerium für Arbeit beträgt das Mindestalter für den Eintritt in den freiwilligen Wehrdienst 18 Jahre (UDOL 28.9.2022). Fahnenflüchtigen drohen nach Artikel 107, ff. des Militärstrafgesetzbuches Haftstrafen. Für Offiziere bzw. in Spannungszeiten erhöht sich das Strafmaß empfindlich. Auf Fahnenflucht mit Überlaufen zum Feind steht die Todesstrafe (Artikel 110, lib. MilitärStGB). Dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland ist allerdings kein Fall bekannt, in der diese vollstreckt wurde (AA 5.12.2022).
Die Vereinten Nationen (UN) bestätigen für das Jahr 2021 die Rekrutierung und den Einsatz von 32 Jungen im Alter von 11 bis 17 Jahren durch nicht identifizierte bewaffnete Gruppen (24), Fath al-Islam (3), Hizbollah (2), Jund Ansar Allah (1), Saraya al-Muqawama7 (1) und Da'esh (1) (UNGA & UNSC 23.6.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023
- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.1.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 1.2.2023
- UDOL - United States Department of Labor [USA] (28.9.2022): 2021 Findings on the Worst Forms of Child Labor: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2082757.html, Zugriff 1.2.2023
- UNGA - United Nations General Assembly & UNSC - United Nations Security Council (23.6.2022): Children and armed conflict - Report of the Secretary-General (A/76/871-S/2022/493), https://childrenandarmedconflict.un.org/wp-content/uploads/2022/07/Secretary-General-Annual-Report-on-children-and-armed-conflict.pdf, Zugriff 1.2.2023
Allgemeine Menschenrechtslage
Libanon ist eines der 51 Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen (UN), die am 26.6.1945 die UN-Charta unterzeichnet haben (UN o.D.). Die Präambel der libanesischen Verfassung hält ausdrücklich fest, dass der Libanon die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen beachtet. Der Staat ist Vertragsstaat wichtiger internationaler Menschenrechtsabkommen, jedoch wurden die meisten der Fakultativprotokolle zu den Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert, so beispielsweise auch das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR) von 1991. Der Libanon ist bislang keinem internationalen Übereinkommen zum Status von Flüchtlingen beigetreten (AA 5.12.2022).
Die Libanesen haben eine starke Vorstellung von sich selbst als Mitglieder eines repräsentativen und demokratischen Systems (IACL 18.10.2022). Der Libanon verfügt über eine starke und lebendige Zivilgesellschaft mit den vielfältigsten und aktivsten NGOs der Region (RDPP 12.12.2022). Allerdings bringt die tiefgreifende Wirtschaftskrise katastrophale Folgen für die Menschenrechte im Land mit sich (HRW 12.1.2023). Laut eines UN Sonderberichts über extreme Armut und Menschenrechte im Libanon, ist der libanesische Staat, einschließlich seiner Zentralbank, für grundlegende Menschenrechtsverletzungen, einschließlich der unnötigen Verarmung der Bevölkerung, verantwortlich, die sich aus der von Menschen verursachten Wirtschafts- und Finanzkrise ergeben haben (OHCHR 11.4.2022). Die Reaktion der Behörden auf die sich verschärfende Wirtschaftskrise im Libanon hat das Recht der Einwohner auf Gesundheit und sogar ihr Recht auf Leben in den akutesten Momenten der Treibstoff- und Medikamentenknappheit nicht gewährleistet (AI 29.3.2022). Zu den bedeutenden Menschenrechtsproblemen gehören zudem glaubwürdige Berichte über: schwerwiegende politische Eingriffe in die Justiz; schwerwiegende Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der Medienfreiheit, einschließlich Gewalt, Gewaltandrohung oder ungerechtfertigter Verhaftungen oder strafrechtlicher Verfolgung von Journalisten, sowie Zensur; schwerwiegende Einschränkungen der Internetfreiheit; Abschiebung von Flüchtlingen in ein Land, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht sind; schwerwiegende und weit verbreitete Korruption auf hoher Ebene; das Bestehen oder die Anwendung von Gesetzen, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen kriminalisieren; Gewaltverbrechen oder Gewaltandrohungen gegen Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender-Personen und Intersexuelle (LGBTI) und das Bestehen der schlimmsten Formen von Kinderarbeit (USDOS 12.4.2022).
Im Januar 2021 wurde die Menschenrechtslage in Libanon zum dritten Mal im Rahmen des allgemeinen Überprüfungsverfahrens des UN-Menschenrechtsrats („Universal Periodic Review“, UPR) überprüft. Die Antworten der Regierung in diesem Rahmen wurden von Menschenrechtsgruppen negativ aufgenommen; insbesondere seien die Zuständigkeit von Militärstrafgerichten über Zivilisten aufrechterhalten und UPR-Empfehlungen betreffend der Gleichbehandlung der Geschlechter nicht umgesetzt worden (AA 5.12.2022). Obwohl die Rechtsstruktur die strafrechtliche Verfolgung und Bestrafung von Beamten vorsieht, die Menschenrechtsverletzungen und Korruption begangen haben, bleibt die Durchsetzung ein Problem. Regierungsbeamte genießen ein gewisses Maß an Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen, einschließlich der Umgehung oder Beeinflussung von Gerichtsverfahren. Das Nationale Menschenrechtsinstitut (NHRI) soll die Menschenrechtslage im Libanon überwachen, Beschwerden über Verstöße entgegennehmen und regelmäßig Berichte und Empfehlungen abgeben. Mit Stand Dezember 2021 hatte das NHRI die ihm zugewiesenen Aufgaben noch nicht aufgenommen (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023
- AI - Amnesty International (29.3.2022): Lebanon 2021, https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/lebanon/report-lebanon/, Zugriff 1.2.2023
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 1.2.2023
- IACL - The International Association of Constitutional Law (18.10.2022): Lebanon: A Century of a Constitutional Contradiction, https://blog-iacl-aidc.org/new-blog-3/2022/10/18/lebanon-a-century-of-a-constitutional-contradiction, Zugriff 1.2.2023
- OHCHR - United Nations High Commissioner for Human Rights (11.4.2022): Visit to Lebanon Report of the Special Rapporteur on extreme poverty and human
rights, Olivier De Schutter, (A/HRC/50/38/Add.1), https://lebanon.un.org/sites/default/files/2022-05/FINAL%20SR%20Report%20on%20his%20Visit%20to%20Lebanon-ENG-Published%20May2022.pdf, Zugriff 1.2.2023
- RDPP - Region Development & Protection Programme [Lone Bildsøe Lassen, Ayla-Kristina Olesen Yurtaslan & Maisa Shquier (authors)] (12.12.2022): Localization of Aid in Jordan and Lebanon. A longitudinal qualitative study, https://rdpp-me.org/assets/RDPP%20Localization%20Study.pdf, Zugriff 1.2.2023
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- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 1.2.2023
Meinungs- und Pressefreiheit
Die Verfassung sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung vor, auch für Pressevertreter, und legt fest, dass Einschränkungen nur unter außergewöhnlichen Umständen vorgenommen werden dürfen. Die Regierung respektierte dieses Recht im Allgemeinen. Einzelpersonen steht es im Grunde frei, die Regierung zu kritisieren und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu diskutieren (USDOS 12.4.2022). Allerdings wies eine Koalition von NGOs im Juli 2020 auf eine zunehmende Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung hin, insbesondere in den sozialen Medien, vor allem bei politischen und sozialen Themen (USDOS 12.4.2022; vergleiche SMEX 13.7.2020). Im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt der Libanon im Jahr 2022 Rang 130 von 180 Ländern (RSF 23.1.2023). Im Jahr 2021 lag der Libanon noch auf Platz 107 von 180 Ländern, was bedeutet, dass der Libanon im vergangenen Jahr um 23 Plätze abgerutscht ist, obwohl Vergleiche dadurch erschwert werden, dass die RSF ihre Methodik in diesem Jahr geändert hat, um neue Indikatoren zu berücksichtigen (OT 4.5.2022).
Die Rundfunk- und Fernsehszene des Libanon ist vielfältig und lebendig und spiegelt den Pluralismus des Landes und seine Spaltung wider. Es war das erste arabische Land, das private Radio- und Fernsehsender zuließ, und hat sich zu einem regionalen Medienzentrum entwickelt (BBC 17.5.2022). Obwohl die Medien des Landes zu den offensten und vielfältigsten in der Region gehören, sind fast alle Medien von der Schirmherrschaft politischer Parteien, wohlhabender Einzelpersonen oder ausländischer Mächte abhängig und üben folglich ein gewisses Maß an Selbstzensur aus (FH 24.2.2022). Laut RSF herrscht in den libanesischen Medien zwar echte Meinungsfreiheit, doch wird der Sektor in der Praxis von einer Handvoll Personen kontrolliert, die direkt mit politischen Parteien verbunden sind oder lokalen Dynastien angehören. Die einflussreichsten Fernsehsender sind: LBCI, Al Jadeed und MTV, die jeweils den Familien Daher-Saad, Khayat und Murr gehören. Al Manar ist der offizielle Fernsehsender der Hizbollah. Die Presse ist ein Ausdruck des politischen und kommunalen Separatismus im Land, einschließlich der religiösen Überwachung der Medien (RSF 23.1.2023). Hinzu kommt, dass die Finanzkrise und die Auswirkungen der Explosion im Beiruter Hafen im Jahr 2020 viele Medien gezwungen haben, ihr Personal und ihre Budgets zu kürzen (BBC 17.5.2022; vergleiche RSF 23.1.2023).
Es ist eine Straftat, den Präsidenten oder die Sicherheitsdienste zu kritisieren oder zu verleumden. Die Behörden nutzen diese Gesetze mitunter, um Journalisten zu schikanieren und zu inhaftieren (FH 24.2.2022). Journalisten, Social Media-Aktivisten und Blogger können für ihre Tätigkeit nach dem Strafgesetzbuch (insb. wegen Verleumdung) bestraft werden; zunehmend werden sie zu Befragungen der Sicherheitsbehörden vorgeladen. Immer wieder werden Journalisten durch nicht-staatliche Gruppen, insbesondere durch die Hizbollah, bedroht oder eingeschüchtert (AA 5.12.2022).Trotz der rechtlichen und praktischen Hindernisse, mit denen sie konfrontiert sind, können viele Journalisten über heikle Themen wie staatliche Korruption, Fehlverhalten der Eliten und das Verhalten bewaffneter Gruppen wie der Hizbollah berichten und diese kommentieren (FH 24.2.2022).
Es herrscht Unklarheit darüber, welcher rechtliche Rahmen für Online-Nachrichtenseiten im Land gilt. Es gibt kein spezielles Gesetz, das die Online-Rede regelt (USDOS 12.4.2022). Politiker und Journalisten werden durch ausgeklügelte Spionagesoftware ins Visier genommen, und mehrere Online-Journalisten und Nutzer sozialer Medien wurden vom Büro für Cyberkriminalität vorgeladen (FH 3.6.2022). Online-Hass- und Desinformationskampagnen, die von Netzwerken von Hizbollah-Anhängern betrieben werden, zielen auf Kritiker und Gegner der Partei ab, um sie zu verleumden und zu diffamieren (NL 16.3.2022; vergleiche FH 3.6.2022).
Quellen:
- BBC - British Broadcasting Corporation (17.5.2022): Lebanon profile – Media, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-14648683, Zugriff 8.2.2023
- FH - Freedom House (3.6.2022): Freedom on the Net 2022 – Lebanon, https://freedomhouse.org/country/lebanon/freedom-net/2022, Zugriff 8.2.2023
- FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 8.2.2023
- NL - Now Lebanon (16.3.2022): Suppressors and freedom of expression, https://nowlebanon.com/suppressors-and-freedom-of-expression/, Zugriff 8.2.2023
- OT - L’Orient Today (4.5.2022): Lebanon falls 23 places in Reporters Without Borders' annual press freedom ranking, https://today.lorientlejour.com/article/1298372/lebanon-falls-23-places-in-reporters-without-borders-annual-press-freedom-ranking.html, Zugriff 8.2.2023
- RSF - Reporters Sans Frontières (23.1.2023): Lebanon, https://rsf.org/en/country/lebanon, Zugriff 8.2.2023
- SMEX - Social Media Exchange (13.7.2020): Lebanon: New Coalition to Defend Free Speech, https://smex.org/lebanon-new-coalition-to-defend-free-speech/, Zugriff 8.2.2022
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 8.2.2023
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Die Behörden respektieren im Allgemeinen das von der Verfassung geschützte Versammlungsrecht (FH 24.2.2022; vergleiche AA 5.12.2022, USDOS 12.4.2022), und in der Praxis versammeln sich die Menschen regelmäßig ohne Genehmigung oder Abstimmung mit den Sicherheitsdiensten (FH 24.2.2022). Offiziell müssen die Organisatoren drei Tage vor einer Demonstration eine Genehmigung beim Innenministerium einholen (USDOS 12.4.2022). Gelegentlich werden Demonstrationen – insbesondere aus dem salafistischen Spektrum – aus Sicherheitsgründen untersagt (AA 5.12.2022). In den letzten Jahren konnten Demonstranten gegen die schlechte Funktionsweise der Regierung und den Mangel an Dienstleistungen protestieren, doch kam es bei diesen Veranstaltungen häufig zu Gewalt seitens der Behörden, politischer Parteien, Milizen und ziviler Teilnehmer (FH 24.2.2022). Die Sicherheitskräfte griffen gelegentlich ein, um Demonstrationen aufzulösen, in der Regel, wenn Demonstranten Sachschäden verursachten, oder es zu Zusammenstößen zwischen gegnerischen Demonstranten kam (USDOS 12.4.2022). Durch ein während des Pride Month 2022 vom Innenministerium erlassenes Verbot von LGBTI-Versammlungen wurde die Versammlungsfreiheit eingeschränkt (AA 5.12.2022; vergleiche AlM 1.12.2022). Rechtsgruppen haben gegen die Entscheidung Berufung eingelegt (HRW 12.1.2023; vergleiche AlM 1.12.2022). Seit der Libanon im Mai 2017 als erstes arabisches Land die Pride Week feierte, hatten libanesische NGOs die Möglichkeit, trotz des Drucks von religiösen Persönlichkeiten Versammlungen zu organisieren (AlM 1.12.2022).
Die Verfassung sieht die Vereinigungsfreiheit vor, wobei einige Bedingungen gesetzlich festgelegt sind, und die Regierung hat das Gesetz im Allgemeinen respektiert (USDOS 12.4.2022). Für die Gründung einer Vereinigung ist keine vorherige Genehmigung erforderlich, aber die Organisatoren müssen das Innenministerium benachrichtigen, um eine rechtliche Anerkennung zu erhalten, und das Ministerium muss überprüfen, ob die Organisation die „öffentliche Ordnung, die öffentliche Moral und die staatliche Sicherheit“ respektiert. In einigen Fällen hat das Ministerium die Anmeldeunterlagen einer NGO an die Sicherheitskräfte geschickt, um Nachforschungen über die Gründungsmitglieder einer Organisation anzustellen (USDOS 12.4.2022; vergleiche OHCHR 11.2021). Das Innenministerium ist in die Kritik geraten, weil es Vereinigungen, insbesondere solchen, die sich mit sensiblen Themen wie den Rechten von LGBTI befassen, lange nach der Anmeldung keine Bescheinigungen ausstellt. Dazu gehört auch die libanesische LGBTI-Vereinigung Helem, die seit 2004, als sie dem libanesischen Innenministerium ihre Vereinigungsmeldung vorlegte, auf eine offizielle Bestätigung ihrer Gründung wartet. In der Praxis kann eine Vereinigung jedoch auch ohne die Eintragung durch das Innenministerium tätig werden - die fehlende Rechtspersönlichkeit hat jedoch praktische Auswirkungen, da sie beispielsweise kein Bankkonto eröffnen oder keine Räumlichkeiten mieten kann (OHCHR 11.2021). Organisationen müssen darüber hinaus Vertreter des Ministeriums zu jeder Generalversammlung einladen, bei der die Mitglieder über Satzungen, Änderungen oder Sitze im Vorstand abstimmen. Das Ministerium muss dann die Abstimmung oder Wahl validieren. Geschieht dies nicht, kann die Organisation durch einen Erlass des Ministerrats aufgelöst werden (USDOS 12.4.2022).
Das Kabinett muss alle politischen Parteien zulassen (USDOS 12.4.2022). In den letzten Jahren hat die Zahl der politischen Gruppen, die das Establishment im Libanon herausfordern wollen, zugenommen (TPI 4.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 8.2.2023
- AlM - Al Monitor (1.12.2022): Lebanon's Shura Council suspends ban on LGBTQ event, https://www.al-monitor.com/originals/2022/11/lebanons-shura-council-suspends-ban-lgbtq-event, Zugriff 8.2.2023
- FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 8.2.2023
- OHCHR - Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (11.2021): Freedom of Association in the Middle East and North Africa Region, https://romena.ohchr.org/sites/default/files/2022-04/Freedom-of-Association-EN.pdf, Zugriff 8.2.2023
- TPI - The Policy Initiative (4.2022): Lebanon’s Political Alternatives: Mapping the Opposition, https://api.thepolicyinitiative.org/content/uploads/files/Lebanon%E2%80%99s-Political-Alternatives-Report.pdf, Zugriff 8.2.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 8.2.2023
Haftbedingungen
Die sozioökonomische Krise im Libanon hat auch die ohnehin schon schlechten Haftbedingungen in den libanesischen Gefängnissen weiter verschärft. Die schlechten Bedingungen und die mangelnde medizinische Versorgung führen regelmäßig zu Aufständen und Unruhen in den Gefängnissen (AlM 7.8.2022). Die Haftbedingungen in den 18 regulären libanesischen Haftanstalten entsprechen nicht den internationalen Mindestanforderungen. Es herrscht ein eklatanter Mangel an hygienischen Standards, medizinischer Versorgung, Bewegungsmöglichkeiten, Versorgung mit Nahrungsmitteln, Beschäftigungsmöglichkeiten in Haft (etwa: Berufsausbildung) und an geschultem Gefängnispersonal (AA 5.12.2022).
Aufgrund von Rückständen in der Justiz bleiben die Gefangenen in vielen Fällen monatelang, manchmal sogar jahrelang, ohne Gerichtsverfahren inhaftiert (OT 26.9.2022; vergleiche PI 19.5.2022, USDOS 12.4.2022). Die Regierung selbst gab im September 2022 an, dass mit über 8.200 Gefangenen eine Belegung von 323 % (Strafgefangene) bzw. 222 % (Untersuchungshäftlinge) herrsche (AA 5.12.2022). Nach Angaben des geschäftsführenden Innenministers Bassam Mawlawi befinden sich 79,1 % der Häftlinge in Untersuchungshaft und warten auf ihren Prozess (OT 31.8.2022). Untersuchungshäftlinge werden von den Behörden oftmals zusammen mit verurteilten Häftlingen festgehalten. Laut Statistiken der Internal Security Forces (ISF) waren im Jahr 2021 110 Minderjährige und 207 Frauen inhaftiert. Die ISF halten Frauen in vier speziellen Frauengefängnissen (Baabda, Beirut, Zahle und Tripoli) gefangen. Das ISF berichtete außerdem, dass im Laufe des Jahres 2021 19 Personen in Haftanstalten gestorben sind. 18 Gefangene starben an medizinischen Problemen, darunter Herzinfarkt, Krebs und COVID-19, und ein Gefangener verübte Selbstmord. Einige NGOs kritisieren die Nachlässigkeit der Behörden und das Versäumnis, den Gefangenen eine angemessene medizinische Versorgung zukommen zu lassen, was zu einigen Todesfällen beigetragen haben könnte (USDOS 12.4.2022). Da der Zugang zu Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und minimaler medizinischer Versorgung für die Gefängnisinsassen im ganzen Land immer schwieriger wird, hat dies erhebliche Auswirkungen auf diejenigen, die ohnehin schon am meisten gefährdet sind, darunter auch Migranten und Flüchtlinge (Alkarama 15.1.2023). Seit August 2016 verfügt die General Security über eine neue Haftanstalt, sodass sich die Haftbedingungen für Ausländer, die abgeschoben oder ausgeliefert werden sollen, relativ verbessert haben; die Möglichkeiten medizinischer Versorgung sind allerdings, wie im gesamten Land, eingeschränkt (AA 5.12.2022).
Es gibt in den Justizvollzugsanstalten eine elektronische Datenbank zur Nachverfolgung von
Verbleib, Haftdauer und medizinischer Betreuung von Gefangenen (AA 5.12.2022). Im August 2022 wurden dem Parlament zwei Gesetzesentwürfe vorgelegt (OT 26.9.2022), mit denen die Überbelegung der libanesischen Gefängnisse verringert werden soll. Die Gesetzentwürfe waren eine Reaktion auf die Drohung von Catering-Unternehmen, ab dem 1.9.2022 kein Essen mehr an Häftlinge zu liefern, wenn der Staat sie nicht bezahlt (OT 31.8.2022). Die Regierung ließ eine unabhängige Überwachung der Haftbedingungen durch lokale und internationale Menschenrechtsgruppen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zu, und diese Überwachung fand auch statt. Außerdem können Gefangene und Häftlinge Misshandlungen direkt bei der Menschenrechtsabteilung der ISF melden. Nach Angaben der ISF-Menschenrechtsabteilung ergriff die ISF Disziplinarmaßnahmen gegen Offiziere, die sie für Missbrauch oder Misshandlung verantwortlich machte, einschließlich Entlassungen, doch wurden diese Informationen nicht veröffentlicht. Die ISF berichtete, dass fünf ISF-Offiziere bestraft wurden, weil sie Verdächtige nicht über ihre Rechte bei der Festnahme gemäß Artikel 47 der Strafprozessordnung informiert hatten (USDOS 12.4.2022). Nichtregierungsorganisationen kritisieren allerdings, dass das libanesische Recht zwar vorsieht, dass die Aufsicht über die Gefängnisse von der Gefängnisabteilung des Justizministeriums wahrgenommen wird, die Haftanstalten jedoch weiterhin der Generaldirektion der Sicherheitskräfte unterstehen. Dies führt dazu, dass die Gefangenen ihre Beschwerden über Folterungen oder Misshandlungen bei denselben Behörden einreichen müssen, die diese Handlungen durchgeführt oder zugelassen haben (Alkarama 15.1.2023).
Auch nichtstaatliche Organisationen wie die Hizbollah und palästinensische Milizen betreiben Berichten zufolge inoffizielle Gefängnisse (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023
- Alkamara (15.1.2023): Lebanon : Alkarama joins lebanese civil society in a common call to adress the situation in Roumieh and other detention centers, https://www.alkarama.org/en/articles/lebanon-lack-means-no-excuse-lack-will, Zugriff 1.2.2023
- AlM - Al Monitor (7.8.2022): Thirty inmates saw out of Lebanon jail, escape: authorities, https://www.al-monitor.com/originals/2022/08/thirty-inmates-saw-out-lebanon-jail-escape-authorities, Zugriff 1.2.2023
- OT - L’Orient Today (26.9.2022): römisch eins s reducing the prison year to six months the solution to prison overcrowding? https://today.lorientlejour.com/article/1312733/is-reducing-the-prison-year-to-six-months-the-solution-to-prison-overcrowding.html, Zugriff 1.2.2023
- OT - L’Orient Today (31.8.2022): Mawlawi to introduce bill that would reduce prison sentences, https://today.lorientlejour.com/article/1310010/mawlawi-to-introduce-bill-that-would-reduce-prison-sentences.html, Zugriff 1.2.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 1.2.2023
Todesstrafe
Die Justiz verhängt weiterhin Todesurteile. Der Libanon hat allerdings seit 2004 keinen verurteilten Straftäter mehr hingerichtet, da seit 18 Jahren de facto ein Vollstreckungsmoratorium besteht (OT 18.4.2022; vergleiche AA 5.12.2022). 81 Verurteilte, libanesische und ausländische, warten derzeit in der Todeszelle, hauptsächlich im Zentralgefängnis Roumieh. Die Justiz wartet noch immer auf einen nationalen Konsens zur Abschaffung der Todesstrafe (OT 18.4.2022). Offiziell droht im Libanon laut Gesetz die Todesstrafe noch für eine Reihe Delikte des allgemeinen Strafrechts (lib. StGB), darunter u.a. Hochverrat, militärischer Umsturz und Spionage, Verbrechen gegen die Verkehrssicherheit mit Todesfolge und Terrorismus in besonders schweren Fällen (AA 5.12.2022).
Im Jahr 2021 wurde mindestens zwölf mal die Todesstrafe verhängt, während es im Jahr zuvor zwei Urteile gab. Am 5.10.2021 verurteilte das Ständige Militärgericht des Landes vier Männer zum Tode, weil sie an einem Angriff der in Syrien ansässigen bewaffneten Gruppe Jabhat an-Nusra auf libanesische und syrische Soldaten in Arsal, Libanon, im Jahr 2014 beteiligt waren, bei dem mehrere Soldaten beider Armeen ums Leben kamen (AI 24.5.2022). Im Libanon sind keine extralegalen Tötungen durch libanesische Staatsorgane bekannt geworden. Extralegale Hinrichtungen können aber für militärische Kampfhandlungen in Gebieten außerhalb staatlicher Kontrolle nicht ausgeschlossen werden. Bei einem Antiterroreinsatz der libanesischen Armee in der Gegend von Arsal am 30. Juni 2017 wurden 350 Personen vorübergehend festgenommen, mindestens vier starben im Gewahrsam der Armee, nach Armeeangaben infolge bereits bestehender gesundheitlicher Probleme. Menschenrechtsgruppen fordern seither erfolglos eine Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023
- AI - Amnesty International (24.5.2022): Death sentences and executions 2021, https://www.amnesty.org/en/documents/act50/5418/2022/en/, Zugriff 30.1.2023
- OT - L’Orient Today (18.4.2022): Ansar’s quadruple femicide revives the debate on the death penalty in a Lebanon in crisis, https://today.lorientlejour.com/article/1297086/ansars-quadruple-femicide-revives-the-debate-on-the-death-penalty-in-a-lebanon-in-crisis.html, Zugriff 30.1.2023
Religionsfreiheit
Die Verfassung sieht „absolute Glaubensfreiheit“ vor und erklärt, dass der Staat alle religiösen Gruppen und Konfessionen sowie den Personenstand und die religiösen Interessen von Personen jeder religiösen Gruppe respektiert. Die Verfassung garantiert die freie Ausübung religiöser Riten, sofern sie die öffentliche Ordnung nicht stören, und erklärt die Gleichheit der Rechte und Pflichten für alle Bürger ohne Diskriminierung oder Bevorzugung (USDOS 2.6.2022). Es gibt 18 staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften, davon sind zwölf christlich und fünf muslimisch (AA 5.12.2022; vergleiche USDOS 2.6.2022, CIA 11.1.2023). Eine kleine jüdische Gemeinde kommt hinzu (FAZ 18.8.2020). Christen wie Muslime üben ihre Religion offen und ohne Einschränkung aus. Die kleine Anzahl an Juden und Jüdinnen geben sich meist nicht öffentlich zu erkennen (AA 5.12.2022). Zu den Gruppen, die die Regierung nicht anerkennt, gehören die Baha'is, Buddhisten, Hindus und mehrere protestantische Gruppen (USDOS 2.6.2022).
Nach Schätzungen von Statistics Lebanon sind 64,9 % der Bevölkerung Muslime (32 % Sunniten, 31,3 % Schiiten und 1,6 % Alawiten und Ismailiten zusammen). Statistics Lebanon schätzt außerdem, dass 32 % der Bevölkerung Christen sind. Die größte christliche Gruppe sind die maronitischen Katholiken (mit 52,5 % der christlichen Bevölkerung), gefolgt von den griechisch-orthodoxen Christen (25 % der christlichen Bevölkerung) (USDOS 2.6.2022). Der Anteil der Drusen beläuft sich auf lediglich 4,5 % der Bevölkerung (CIA 11.1.2023). In der Verfassung heißt es, dass bei der Verteilung von Kabinettsposten und hochrangigen Posten im öffentlichen Dienst ein „gerechtes und ausgewogenes Verhältnis“ zwischen den großen Religionsgemeinschaften herrschen soll (USDOS 2.6.2022). Von den 64 Sitzen für Muslime im libanesischen Parlament entfallen 27 auf die Schiiten und 27 auf die Sunniten, acht auf die Drusen und zwei auf die Alawiten. Von den 64 Sitzen für Christen entfallen 34 auf Maroniten, 14 auf Orthodoxe, 8 auf Mitglieder der griechischen Kirche, 5 auf Armenier und 3 auf andere christliche Minderheiten Ausschussbericht 25.1.2022).
Laut Gesetz gestattet die Regierung anerkannten Religionsgemeinschaften die Anwendung ihrer eigenen Regeln für Familien- und Personenstandsangelegenheiten, einschließlich Heirat, Scheidung, Sorgerecht für Kinder und Erbschaft. Schiiten, Sunniten, anerkannte Christen und Drusen verfügen über staatlich ernannte subventionierte klerikale Gerichte, die das Familien- und Personenstandsrecht gemäß den Überzeugungen der jeweiligen Religionsgemeinschaft verwalten. Während die religiösen Gerichte und die religiösen Gesetze rechtlich an die Bestimmungen der Verfassung gebunden sind, hat der Kassationsgerichtshof, das höchste Zivilgericht im Justizsystem, nur eine sehr begrenzte Aufsicht über die Verfahren und Entscheidungen der religiösen Gerichte. Gemäß der Verfassung können anerkannte Religionsgemeinschaften ihre eigenen Schulen betreiben, sofern sie die allgemeinen Vorschriften für öffentliche Schulen einhalten, die besagen, dass die Schulen nicht zu konfessionellem Zwist anstiften oder die nationale Sicherheit gefährden dürfen. Die Regierung erlaubt den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, schreibt ihn aber nicht vor. Sowohl christliche als auch muslimische Vertreter lokaler Religionen veranstalten gelegentlich Aufklärungsveranstaltungen in öffentlichen Schulen (USDOS 2.6.2022).
Die Ehe kann nur durch anerkannte Religionsgemeinschaften und in religiöser Form
geschlossen werden (AA 5.12.2022). Einige christliche und muslimische Religionsbehörden führen interreligiöse Eheschließungen durch (USDOS 2.6.2022). Diese waren allerdings nur in wenigen Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, die letztlich darauf abzielen, dass ein Ehepartner zum Glauben des anderen konvertiert. Die vor einer anerkannten religiösen Instanz geschlossenen Ehen müssen anschließend in das libanesische Personenstandsregister eingetragen werden, damit die Eheurkunde rechtliche Beweiskraft erlangen kann. Eine zivile Eheschließung in Libanon ist weiterhin nicht möglich (AA 5.12.2022).
Konversion
Die Konversion ist im Libanon nicht ohne Stigma oder Schwierigkeiten, aber sie ist rechtlich zulässig, und das Kräfteverhältnis zwischen Islam und Christentum ist annähernd ausgeglichen (FT 1.2023). Laut Gesetz steht es einer Person frei, zu einer anderen Religion zu konvertieren, wenn ein örtlicher leitender Beamter der Religionsgemeinschaft, der die Person beitreten möchte, dem Wechsel zustimmt. Die Religionsgemeinschaft stellt ein Dokument aus, in dem die neue Religion des Konvertiten bestätigt wird, sodass der Konvertit seine neue Religion bei der Direktion für den Personenstand des Innenministeriums eintragen lassen kann. Die neue Religion wird anschließend in die von der Regierung ausgestellten Personenstandsurkunden eingetragen. Die Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, die übliche Angabe ihrer Religion aus den von der Regierung ausgestellten Personenstandsurkunden zu entfernen oder die Art der Angabe zu ändern. Für die Änderung der Dokumente ist keine Genehmigung der religiösen Beamten erforderlich, und die Eintragung der Person bei der Direktion für den Personenstand wird nicht geändert oder aufgehoben (USDOS 2.6.2022). In der Praxis kommen Konversionen nur in Ausnahmefällen vor, zumal Konvertiten nur eingeschränkt mit Verständnis ihres familiären oder gesellschaftlichen Umfelds rechnen können und allenfalls auch der Gefahr physischer Bedrohung ausgesetzt sind. Staatlichen Repressionen sind Konvertiten nicht ausgesetzt (AA 5.12.2022).
Blasphemie
Das Strafgesetzbuch sieht eine Höchststrafe von einem Jahr Gefängnis für jeden vor, der wegen „öffentlicher Gotteslästerung“ verurteilt wird (USDOS 2.6.2022; vergleiche HRF 26.11.2022). Es wird nicht definiert, was dies bedeutet. Gesetzliche Bestimmungen sehen mögliche Geld- oder Gefängnisstrafen für sektiererische Provokationen vor und der Presse ist die Veröffentlichung von blasphemischen Inhalten in Bezug auf die offiziell anerkannten Religionen des Landes oder von Inhalten, die sektiererische Fehden provozieren könnten, untersagt (USDOS 2.6.2022).
Quellen:
- AB - Al Bawaba (25.1.2022): Religious and Ethnic Groups in Lebanon, https://www.albawaba.com/opinion/religious-and-ethnic-groups-lebanon-1463785, Zugriff 30.1.2023
- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.1.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 30.1.2023
- FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (18.8.2020): Religionsführer im Libanon : Moralische Autoritäten, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/welche-rolle-religionsfuehrer-im-libanon-spielen-16909146.html, Zugriff 6.3.2023
- FT - First Things (1.2023): From Mecca to Rome, https://www.firstthings.com/article/2023/01/from-mecca-to-rome, Zugriff 31.1.2023
- HRF - Human Rights First (26.11.2022): Compendium Blasphemy Laws – Lenbanon, https://humanrightsfirst.org/wp-content/uploads/2022/11/Compendium-Blasphemy-Laws.pdf, Zugriff 31.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2074032.html, Zugriff 30.1.2023
Minderheiten
Die Bevölkerung des Libanon von geschätzten 5.296.814 Menschen besteht zu 95 % aus Arabern, zu 4 % aus Armeniern und zu 1 % aus sonstigen Ethnizitäten (CIA 11.1.2023). Die demografischen Daten sind umstritten, und seit 1932 hat es keine Volkszählung mehr gegeben. Einige Minderheitengruppen werden in erster Linie durch ihre Religion definiert, andere durch ihre ethnische Zugehörigkeit (MR 5.2020). Es besteht im Grundsatz keine ethnisch diskriminierende Gesetzgebung für libanesische Staatsangehörige oder die 18 anerkannten konfessionellen Gruppen. Die armenisch-stämmige Bevölkerung, eine bedeutende ethnische Minderheit, ist in Staat und Gesellschaft integriert. Die ca. 100.000 Personen umfassende kurdisch-stämmige Bevölkerung türkischen, syrischen oder irakischen Ursprungs wird nicht als Minderheit anerkannt, unterliegt aber keiner Repression wegen ihrer Volkszugehörigkeit; nach wie vor ist ein kleiner Teil dieser Bevölkerungsgruppe (ca. 1.000 - 1.500 Personen) aber staatenlos und hat damit keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen (AA 5.12.2022). [Anm.: Zur Lage von palästinensischen und syrischen Flüchtlingen siehe Kapitel 21.1 und 21.1.]
Einen Sonderfall stellen in Libanon lebende ausländische Hausangestellte dar. Es handelt sich überwiegend um Frauen aus Süd- und Südostasien sowie aus Afrika. Medien und Menschenrechtsorganisationen berichten glaubhaft von weit verbreiteten Fällen schwerer Misshandlung, sexuellen Missbrauchs, wirtschaftlicher Ausbeutung und Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch Passentzug seitens der Arbeitgeber. In einer im Oktober 2022 veröffentlichten Studie der NGO Egna Legna Besidet in Zusammenarbeit mit der Lebanese American University, bei der 913 Interviews mit ausländischen Hausangestellten durchgeführt wurden, gaben 68 % der Befragten an, während ihres Aufenthalts im Libanon mindestens eine Erfahrung von sexueller Belästigung gemacht zu haben. Für ausländische Hausangestellte gelten die Schutzbestimmungen des libanesischen Arbeitsrechts nicht, sondern das sogenannte Kafala System. Die Erfordernis eines persönlichen „Sponsors“ für die Aufenthaltsgenehmigung unterwirft die Betroffenen faktischer und rechtlicher Abhängigkeit. Die Regierung hat 2020 einen neuen Mustervertrag mit Mindestanforderungen an Arbeitsbedingungen verordnet. Dieser Vertrag ist allerdings aufgrund von Klagen von Vermittlungsagenturen vor Gericht derzeit ausgesetzt. Im Übrigen blieben staatliche Bemühungen für eine signifikante Verbesserung der Lage von Hausangestellten unzureichend (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023
- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.1.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 30.1.2023
- MR - Minority Rights (5.2020): Lebanon, https://minorityrights.org/country/lebanon/, Zugriff 30.1.2023
Beduinen – al-Ashaer, bzw. al-Arabiya
Die meisten Beduinen identifizieren sich aufgrund des sozialen Stigmas nicht als „Badu“ sondern als „Al-Ashaer“ („Stämme“) oder „Al-Arabiya“ (ÖB 28.10.2021). Beduinen sind nomadische Araber, die seit Hunderten von Jahren im Nahen Osten präsent sind (T961 28.1.2021). Sie sind stark in eigenen Traditionen verwurzelt, einschließlich eines traditionellen Rechtssystems und eines sie von anderen Libanesen differenzierenden Dialekts (ÖB 28.10.2021). Ein Teil der Angehörigen der Nomadenstämme/Beduinen in der Bekaa-Ebene und der Region Akkar wurde 1994 eingebürgert. Auch wenn diese rechtlich nicht diskriminiert werden, handelt es sich sozial und ökonomisch neben den palästinensischen und syrischen Flüchtlingen um die am stärksten benachteiligte Bevölkerungsgruppe. Die Lage der nicht-eingebürgerten Beduinen ist besonders prekär; sie haben keinen Zugang zu staatlichen Leistungen (AA 5.12.2022).
Ursprünglich lebten Beduinen vor allem in der Bekaa-Ebene sowie in Wadi Khaled im Akkar. Mittlerweile gibt es solche Gruppen im gesamten Land. Viele Beduinen leben schon lange im Land, zusätzliche Gruppen kamen während des Syrien-Kriegs in den Libanon. Die meisten von ihnen sind nach wie vor staatenlos, die Einbürgerung einiger zehntausende unter Premierminister Rafik Hariri 1994 stieß vor allem bei der christlichen Bevölkerungsgruppe auf Kritik, da man eine Veränderung des Bevölkerungsgleichgewichts befürchtete (ÖB 28.10.2021). Vielen staatenlosen Beduinen im Libanon werden aufgrund ihrer fehlenden Staatsangehörigkeit Grundbedürfnisse und Dienstleistungen wie Arbeit und die Schulbildung ihrer Kinder verweigert. Die Tatsache, dass sie im Staat unterrepräsentiert sind, macht es schwieriger, ihre Stimme zu Gehör zu bringen, zumal viele von ihnen den Gedanken ablehnen, politischen Parteien beizutreten, weil sie sich stark ihrem Stamm zugehörig fühlen (T961 28.1.2021). Die Zahl der über das Schulsystem gut integrierten Beduinen dürfte 5 % nicht übersteigen, sodass die überwiegende Mehrzahl weiterhin als Tagelöhner in der Landwirtschaft arbeitet. Es fehlt in ihren Dörfern an grundlegender Infrastruktur (ÖB 28.10.2021).
Bei den Sunniten in Khalde [nahe Beirut] handelt es sich meist um Beiruter Beduinen, die während des Bürgerkriegs von christlichen Milizen aus dem Stadtteil Quarantaine [Karantina] vertrieben wurden („Arab Al-Maslakh“ oder „Schlachthausaraber“) (ÖB 28.10.2021; vergleiche OT 6.5.2922). Der Zusammenstoß in Khalde im August 2021 involvierte die Hizbollah und auf der anderen Seite Mitglieder eines Beduinenstammes (KT 3.8.2021; vergleiche Reddit 1.8.2021). Ein Jahr zuvor war ein Mitglied des Stammes von einem Hizbollah-Mitglied getötet worden. Dieses wurde ein Jahr später aus Rache bei einer Hochzeit ermordet. Dann folgte ein Angriff auf dessen Beerdigungszug in Khalde, was in eine Auseinandersetzung mit mindestens fünf Toten mündete (KT 3.8.2021).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023
- KT - Khmer Times (3.8.2021): Armed groups clash in area south of Lebanese capital, https://www.khmertimeskh.com/50907321/armed-groups-clash-in-area-south-of-lebanese-capital/, Zugriff 30.1.2023
- ÖB Beirut (28.10.2021): Auskunft per E-Mail
- OT - L’Orient Today (6.5.2022): In Khaldeh, 'a gate to four places,' the Arab tribes stake out their turf, https://today.lorientlejour.com/article/1298555/in-khaldeh-a-gate-to-four-places-the-arab-tribes-stake-out-their-turf.html, Zugriff 30.1.2023
- Reddit [Posting von Johnny GSG9] (1.8.2022): Video: Arabs of Khalde (Bedouin clans) clashing with Hezbollah supporters in Khalde, Lebanon. 1 august 2021, https://www.reddit.com/r/CombatFootage/comments/ovze48/arabs_of_khaldebedouin_clans_clashing_with/, Zugriff 30.1.2023
- T961 - The961 (28.1.2021): How The Bedouins of Lebanon Came To Be, https://www.the961.com/story-bedouins-of-lebanon/, Zugriff 30.1.2023
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen
Frauen sind im politischen und gesellschaftlichen Leben deutlich unterrepräsentiert. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2020 gingen insgesamt acht Sitze an Frauen, was eine leichte Verbesserung gegenüber 2018 darstellt (2018: sechs) (AA 5.12.2022; vergleiche HBS 2.12.2022). Im Bericht des Weltwirtschaftsforums zum Gender Gap 2022 wird der Libanon auf Platz 119 von 146 Ländern geführt und gehört damit zu den Ländern, die im regionalen Vergleich noch am besten abschneiden (WEF 13.7.2022). Innerhalb der Familien und der Gesellschaft herrscht allerdings weiterhin ein patriarchalisches System, das den Frauen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert (AA 5.12.2022). Frauen im Libanon werden sowohl durch das Gesetz und als auch in der Praxis diskriminiert (USDOS 12.4.2022).
Libanon hat 1997 das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) ratifiziert, jedoch bezüglich zahlreicher Bestimmungen Vorbehalte eingelegt. Das dazugehörige Fakultativprotokoll zur Möglichkeit der Individualbeschwerde wurde bisher nicht unterzeichnet (AA 5.12.2022). Die Verfassung verbietet nicht ausdrücklich die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (USDOS 12.4.2022). Seit Dezember 2020 ist sexuelle Belästigung in Libanon strafbar (AA 5.12.2022). Die rechtliche Stellung der Frau wird stark durch die konfessionell unterschiedlichen Personenstandsgesetze beeinflusst (AA 5.12.2022; vergleiche HRW 12.1.2023; vergleiche HBS 2.12.2022) [siehe hierzu auch Kapitel 5. „Rechtsschutz/Justizwesen“]. Alle 18 anerkannten Religionsgemeinschaften haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für diese Angelegenheiten zuständig sind, und die Gesetze variieren je nach Religionsgemeinschaft. So wenden beispielsweise sunnitische Religionsgerichte ein Erbrecht an, das einer Tochter die Hälfte des Erbes eines Sohnes zuspricht. Das religiöse Recht in Sorgerechtsangelegenheiten bevorzugt in den meisten Fällen den Vater, unabhängig von der Religionszugehörigkeit. Scharia-Gerichte gewichten die Aussage eines Mannes genauso wie die zweier Frauen (USDOS 12.4.2022). Auch das Staatsangehörigkeitsrecht diskriminiert Frauen, die an ihren Ehepartnern und ihren Kindern nicht die Staatsangehörigkeit übertragen dürfen (USDOS 12.4.2022; vergleiche HBS 2.12.2022, HRW 12.1.2023). Das Personenstandsrecht wird in hohem Maße von religiösen Persönlichkeiten geschützt, beherrscht die Familiengerichte und wirkt sich auf alle Aspekte des Lebens der Frauen im Lande aus. Zu den Personenstandsgesetzen kommen die Gesetze hinzu, die im Laufe der Jahre im Mittelpunkt feministischer Kämpfe standen, nämlich das Staatsangehörigkeitsgesetz, das Gesetz über geschlechtsspezifische Gewalt, das Gesetz über Belästigung, das Sorgerechtsgesetz und das Kafala-System, das auf das Fehlen gerechter Gesetze zum Schutz von Migrantinnen zurückzuführen ist (HBS 2.12.2022). Problematisch ist auch, dass es kein allgemeinverbindliches gesetzliches Mindestheiratsalter gibt und zahlreiche religiös-konfessionelle Rechtsstatute die Verheiratung von Minderjährigen erlauben [Anm.: siehe hierzu auch das Unterkapitel 18.2 „Kinder“] (AA 5.12.2022).
Gemäß Artikel 487 -, 489, des Strafgesetzes erhalten Frauen bei Verurteilung wegen Ehebruchs höhere Strafen als Männer (AA 5.12.2022). Die Mindesthaftstrafe für eine Person, die wegen Vergewaltigung verurteilt wird, beträgt fünf Jahre, bei Vergewaltigung eines Minderjährigen sieben Jahre. Das Gesetz befreit Vergewaltiger nicht mehr von der Strafverfolgung oder hebt ihre Verurteilung auf, wenn sie ihre Opfer geheiratet haben (USDOS 12.4.2022). 2017 wurde durch die Aufhebung des Paragraphs 522 des Strafgesetzbuches die Straffreiheit abgeschafft, für den Fall, dass der Vergewaltiger das Opfer nach der Tat heiratete. Gewalt gegen Frauen (und Kinder) ist ein verbreitetes soziales Problem, das öffentlich prominent diskutiert wird (AA 5.12.2022). Eine wachsende Zahl von Fällen von Femizid und häuslicher Gewalt macht deutlich, dass das entsprechende Gesetz gegen Gewalt in der Familie stärker umgesetzt werden muss (HRW 12.1.2023). Frauen und Mädchen sind weiterhin verschiedenen Risiken und Arten von geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Im zweiten Quartal 2022 waren körperliche Angriffe und psychische oder emotionale Misshandlungen mit 36 % bzw. 34 % die am häufigsten gemeldeten Arten von geschlechtsspezifischer Gewalt. Sexueller Missbrauch bleibt ein Risiko mit verheerenden Folgen für Frauen und Mädchen. Aufgrund der damit verbundenen Stigmatisierung wird jedoch nach wie vor zu wenig darüber berichtet. Vergewaltigung und sexuelle Nötigung machen 17 % aller gemeldeten Vorfälle aus, so der UN-Gender-Based-Violence-Bericht aus dem Jahr 2022 (UNFPA et al. 7.10.2022).
Dank der Lobbyarbeit und der hartnäckigen Bemühungen von Frauenorganisationen und Aktivisten und Aktivistinnen wurde 2014 ein Gesetz erlassen, das häusliche Gewalt unter Strafe stellt (CSKC 31.12.2014; vergleiche HBS 2.12.2022, AA 5.12.2022). Das Gesetz ist jedoch nach wie vor nicht in der Lage, einen umfassenden Schutz zu bieten, da es nicht alle Arten von Gewalt anerkennt, moralischen, emotionalen und verbalen Übergriffen keine Bedeutung beimisst und die wirtschaftliche und finanzielle Unabhängigkeit der Frauen von ihren Tätern nicht garantiert (HBS 2.12.2022). Einer der Hauptmängel des Gesetzes besteht darin, dass es Vergewaltigung in der Ehe nicht ausdrücklich unter Strafe stellt, was nach anderem libanesischem Recht keine Straftat ist. Ein früherer Entwurf des Gesetzes sah Vergewaltigung in der Ehe als Straftat vor, doch wurde diese Bestimmung auf Druck religiöser Autoritäten gestrichen (HRW 3.4.2014). Als eine Art Kompromiss stellt das Gesetz die Anwendung von Drohungen oder Gewalt durch einen Ehepartner unter Strafe, um ein „eheliches Recht auf Geschlechtsverkehr“ einzufordern, nicht aber die nicht einvernehmliche Verletzung der körperlichen Unversehrtheit selbst (HRW 3.4.2014; vergleiche USDOS 12.4.2022). Die Aktivistinnen und Aktivisten kritisierten auch den Verweis auf ein „eheliches Recht auf Geschlechtsverkehr“, das es im libanesischen Strafrecht nicht gibt, und befürchten, dass dies zur Legitimierung von Vergewaltigungen in der Ehe verwendet werden könnte (HRW 3.4.2014). Darüber hinaus ist das Strafmaß deutlich niedriger als bei Vergewaltigung außerhalb der Ehe (AA 5.12.2022). Während die Regierung versucht das Gesetz effektiv durchzusetzen, verhindert seine Auslegung durch religiöse Gerichte in Fällen, die vor diese und nicht vor Zivilgerichte gebracht wurden, die vollständige Umsetzung des Zivilrechts in allen Provinzen (USDOS 12.4.2022). Laut KAFA (enough) Violence & Exploitation, einer lokalen zivilgesellschaftlichen Organisation, waren im Juni 2022 93 % der Täter in neu gemeldeten Missbrauchsfällen die Ehemänner (KAFA 18.8.2022). Obwohl das Gesetz für Körperverletzung eine Höchststrafe von zehn Jahren Gefängnis vorsieht, konnten sich religiöse Gerichte auf das Personenstandsrecht berufen, um von einer misshandelten Ehefrau zu verlangen, dass sie in die gemeinsame Wohnung mit ihrem Misshandler zurückkehrt. Einige Polizeibehörden, vor allem in ländlichen Gebieten, behandelten häusliche Gewalt als eine soziale und nicht als eine kriminelle Angelegenheit (USDOS 12.4.2022).
Im Allgemeinen bemühen sich Polizei- und Justizbeamte um eine bessere Bearbeitung von Fällen häuslicher Gewalt, stellen jedoch fest, dass sozialer und religiöser Druck - vor allem in konservativeren Gemeinschaften - dazu führt, dass zu wenig Fälle gemeldet werden. Einige Opfer, die oft unter dem Druck von Verwandten stehen, suchen die Schlichtung durch religiöse Gerichte oder zwischen Familien, anstatt sich an die Justiz zu wenden. Es gibt Berichte und Fälle von ausländischen Hausangestellten, in der Regel Frauen, die unter Misshandlung, Missbrauch und in einigen Fällen unter Vergewaltigung oder sklavereiähnlichen Bedingungen leiden (USDOS 12.4.2022). KAFA hat eine langfristige Zusammenarbeit mit der libanesischen Sicherheitsbehörden (ISF) eingeleitet, um eine bessere Reaktion auf misshandelte und von Gewalt bedrohte weibliche Hausangestellte zu entwickeln und umzusetzen (KAFA 2022). Die Internal Security Forces (ISF) informieren ihre Menschenrechtsabteilung über Fälle, in denen Opfer häuslicher Gewalt und andere gefährdete Gruppen involviert sind, damit die Beamten die Fälle verfolgen und den Opfern angemessene Unterstützung bieten können. Die Abteilung für Frauenangelegenheiten im Sozialministerium und mehrere NGOs setzen ihre Projekte zur Bekämpfung von sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt fort, z. B. die Bereitstellung von Beratung und Unterkünften für Opfer (USDOS 12.4.2022). Der Libanon ist ein Zielland des internationalen Frauenhandels, vornehmlich aus Osteuropa, Russland und Syrien. Die Regierung arbeitet inzwischen mit NGOs zusammen, um diesen die Betreuung von Opfern des Frauenhandels zu ermöglichen (AA 5.12.2022).
Besonders schwierig ist die Situation von Flüchtlingsfrauen in der gegenwärtigen Krise. Dies beschränkt sich nicht nur auf die krisenbedingte wirtschaftliche Belastung, sondern bezieht sich auch auf ihre eigenen derzeitigen Möglichkeiten, Schutz zu suchen und Rechte zu erlangen. Im Libanon sind syrische und palästinensische Flüchtlingsfrauen und -mädchen noch weit von jeglicher Form der Gleichstellung entfernt, selbst mit ihren libanesischen (nicht geflüchteten) Mitbürgerinnen (HBS 2.12.2022).
Die Zahl der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und der zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs) im Libanon ist stetig gestiegen (ICNL 14.11.2022). Wichtige libanesische NGOs und CSOs, die sich für Frauen einsetzen, sind neben KAFA (KAFA o.D.) auch Lebanese Democratic Women’s Gathering (RDFL) (RDFL o.D.), Lebanese Council for Women (LCW) (CSKC o.D.), Dar Al Amal (DAA) (DAA o.D.) oder Fe-Male (FM o.D.).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 27.1.2023
- CSKC - Civil Society Knowledge Center (31.12.2014): Issuance of Law no. 293 for the Protection of Women and Family Members from Domestic Violence, https://civilsociety-centre.org/content/issuance-law-no-293-protection-women-and-family-members-domestic-violence, Zugriff 30.1.2023
- CSKC - Civil Society Knowledge Center (o.D.): Lebanese Council for Women (LCW), https://civilsociety-centre.org/content/lebanese-council-women-lcw, Zugriff 30.1.2023
- Dar Al Amal (DAA) (o.D.): About Us, https://www.dar-alamal.org/aboutus.php, Zugriff 30.1.2023
- FM - Fe-Male (o.D.) Who We Are, https://www.fe-male.org/who-we-are, Zugriff 30.1.2023
- HBS - Heinrich Böll Stiftung – Beirut Office (2.12.2022): https://lb.boell.org/sites/default/files/2022-12/fqml-en-e.pdf, Zugriff 30.1.2023
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 30.1.2023
- HRW - Human Rights Watch (3.4.2014): Lebanon: Domestic Violence Law Good, but Incomplete, https://www.hrw.org/news/2014/04/03/lebanon-domestic-violence-law-good-incomplete, Zugriff 30.1.20223
- ICNL - International Center for Not-For-Profit Law (14.11.2022): Lebanon, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/lebanon, Zugriff 30.1.2023
- KAFA - KAFA (enough) Violence & Exploitation (18.8.2022): Second Quarter Report 2022, https://kafa.org.lb/en/node/508, Zugriff 27.1.2023
- KAFA - KAFA (enough) Violence & Exploitation (2022): Annual Report on Activities 2021, https://kafa.org.lb/sites/default/files/2022-12/annual-report-2021-final.pdf, Zugriff 30.1.2023
- RDFL - The Lebanese Democratic Women’s Gathering (o.D.): About Us, https://www.rdflwomen.org/eng/about-us/, Zugriff 30.1.2023
- UNFPA - United Nations Population Fund / UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees / UNICEF - United Nations Children’s Fund (7.10.2022): Gender-Based Violence Information Management System - Overview of Incidents of GBV and Women and Girls’ access to justice services Quarter 2-2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2081458/GBVIMS+Thematic+Report_Final_Q2+2022.pdf, Zugriff 27.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 27.1.2023
- WEF - World Economic Forum (13.7.2022): Global Gender Gap Report 2022, https://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2022.pdf, Zugriff 30.1.2023
Kinder
Eine Reihe schwerwiegender Krisen im Libanon führt dazu, dass die Zahl der Kinder, die Missbrauch, Ausbeutung und Gewalt ausgesetzt sind, steigt (UNICEF 12.2021). Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise haben die Fähigkeit der Regierung beeinträchtigt, libanesischen Kindern grundlegende Dienstleistungen wie sauberes Trinkwasser, Bildung und Gesundheitsdienste zur Verfügung zu stellen (ACAP 31.5.2022). Immer mehr junge Menschen brechen ihre schulische Ausbildung ab und gehen einer schlecht bezahlten, unregelmäßigen und informellen Arbeit nach, um ein Einkommen zu erzielen, mit dem sie ihren Familien helfen können, die wachsenden Herausforderungen zu bewältigen (UNICEF 28.1.2022).
Für libanesische Staatsbürger ist die Bildung bis zum Ende der Grundschulzeit kostenlos und obligatorisch. Staatenlose Kinder oder Kinder ohne libanesische Staatsbürgerschaft sowie Flüchtlinge haben nicht dieses Recht – auch nicht die Kinder von libanesischen Müttern und nicht-libanesischen Vätern. Die Staatsbürgerschaft wird ausschließlich vom Vater abgeleitet. Dies kann zur Staatenlosigkeit von Kindern einer libanesischen Mutter und eines nicht-libanesischen Vaters führen, wenn die Kinder nicht durch ihre Väter eine ausländische Staatsbürgerschaft bekommen können. Das Ministerium für Bildung und höhere Bildung ordnete an, dass die Zahl der nicht-libanesischen Schüler in einem bestimmten Klassenzimmer während der regulären Schulzeit nicht höher sein darf als die Zahl der libanesischen Schüler, wodurch die Zahl der Schüler manchmal begrenzt wird (USDOS 12.4.2022). Die Einschulungsrate für 6 bis 11-jährige libanesische Kinder (Nicht-Flüchtlinge) liegt bei ca. 90 %, bei den 3- bis 5-jährigen liegt sie über 90 % (Vorschulen) (AA 5.12.2022). Allerdings mussten im Schuljahr 2021/22 30.000 Schüler die Schule verlassen. Mehr als 700.000 Kinder sind aufgrund der zunehmenden Armut gefährdet, nie wieder ein Klassenzimmer zu besuchen (AlM 4.3.2022).
Kinder leiden in verschiedenen Lebensbereichen unter den Folgen der multiplen Krisen im Land, wobei ihre Bildung stark gefährdet ist (AlM 4.3.2022). Bildungseinrichtungen berichten, dass einige Schulen aufgrund der Wirtschaftskrise, der Abwertung des libanesischen Pfunds und des Mangels an Finanzmitteln gezwungen waren, im Laufe des Jahres 2021 zu schließen. Darüber hinaus wurden viele Lehrkräfte entlassen oder haben gekündigt (USDOS 12.4.2022). Die Instabilität des öffentlichen Bildungssystems im Libanon hat sich durch die Streiks der Lehrkräfte noch verschlimmert (AlM 4.3.2022). Die Lehrer im Libanon streiken wegen der Bezahlung und der Arbeitsbedingungen und verschärfen damit die Bildungskrise, durch die schätzungsweise eine Million Kinder ohne Schulbildung zurückbleiben (STC 19.1.2023). Einige Lehrer sind entschlossen, nicht zur Schule zurückzukehren, bis die Regierung ihren Forderungen nachkommt (AlM 4.3.2022).
Die zunehmend schwierige sozioökonomische Lage im Libanon hat zu einer Zunahme negativer Bewältigungsmechanismen, einschließlich Kinderarbeit, geführt (UNICEF 28.1.2022). Speziell in abgelegenen und ländlichen Gebieten (Bekaa/Akkar) ist Kinderarbeit gleichwohl verbreitet. Betroffene kommen meist aus den unteren sozialen Schichten und haben oft keine libanesische Staatsangehörigkeit, wie palästinensische bzw. syrische Flüchtlinge oder auch die Kinder afrikanischer oder asiatischer Hausangestellter. Das gesetzliche Mindestalter für eine Arbeitsaufnahme liegt bei 14 Jahren (AA 5.12.2022). Kinderarbeit und Kinderzwangsarbeit unter der syrischen Flüchtlingsbevölkerung nehmen weiter zu, insbesondere in der Landwirtschaft, auf dem Bau sowie beim Straßenverkauf und beim Betteln. Für diese Kinder besteht ein hohes Risiko, Opfer von Menschenhandel zu werden, vor allem auf den Straßen der großen städtischen Gebiete wie Beirut und Tripolis sowie in den ländlichen Gebieten von Bekaa und Akkar (USDOS 6.9.2022). Libanon verfügte über kein umfassendes Kinderschutzgesetz, obwohl die gesetzlichen Bestimmungen Kindern, die Opfer von Gewalt wurden, einen gewissen Schutz bieten. Das Gesetz verbietet und bestraft kommerzielle sexuelle Ausbeutung, Kinderpornografie und Kinderhandel (USDOS 12.4.2022).
Das Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr beträgt 18 Jahre für Männer und Frauen, und die Strafe für Vergewaltigung beträgt mindestens fünf Jahre Zwangsarbeit und mindestens sieben Jahre Haft, wenn das Opfer jünger als 15 Jahre ist. Die Regierung hat das Gesetz im Allgemeinen durchgesetzt (USDOS 12.4.2022). Es gibt allerdings kein gesetzliches Mindestalter für die Eheschließung. Jede religiöse Gruppierung hat ihre eigenen religiösen Gerichte, die Fragen des persönlichen Status wie Heirat, Scheidung, Sorgerecht und Erbschaft regeln. Das Mindestalter für die Eheschließung schwankt je nach Glaubensrichtung zwischen 14 und 18 Jahren (USDOS 12.4.2022). Religiöse Gerichte legen das Alter auf der Grundlage von 15 verschiedenen Personenstandsgesetzen fest, von denen einige die Heirat von Mädchen unter 15 Jahren erlauben. Dies ist ein großes Hindernis für die Bekämpfung der Kinderheirat auf nationaler Ebene. Für geflüchtete Mädchen im Libanon besteht zusätzlich ein erhöhtes Risiko einer Kinderheirat (DGC 9.11.2022). UN-Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und Regierungsbeamte stellen hohe Rate an Frühehen unter der syrischen Flüchtlingsbevölkerung fest, die in einigen Fällen viermal so hoch waren wie vor Beginn des Syrien-Konflikts. Sie führten diesen Umstand teilweise auf den sozialen und wirtschaftlichen Druck auf Familien mit begrenzten Ressourcen zurück (USDOS 12.4.2022).
Angesichts des zunehmenden Stresses zu Hause, des fehlenden geregelten Schulalltags und des Rückgangs der sozialen Dienste sind mindestens eine Million Kinder im Libanon von direkter Gewalt bedroht. UNICEF-Partner berichten über steigende Raten häuslicher Gewalt, die sowohl Frauen als auch Kinder einem größeren Risiko aussetzt (UNICEF 12.2021). Die Hälfte der libanesischen Kinder - etwa 700.000 - benötigt jetzt humanitäre Hilfe, und Tausende sind von Unterernährung bedroht, da der Krieg in der Ukraine die nationale Nahrungsmittelkrise weiter zu verschärfen droht. Mehr als 200.000 Kinder leiden bereits an Unterernährung und 7 % aller Kinder sind unterentwickelt, ein Indikator für chronische Unterernährung (STC 14.4.2022). Laut UNICEF stieg zwischen April und Oktober 2021 die Zahl der Kinder, die keinen Zugang zu medizinischer Versorgung hatten, als sie diese benötigten, von 28 % auf 34 % (UNICEF 4.2022).
Wenn die Geburt eines Kindes nicht innerhalb des ersten Jahres registriert wird, ist das Verfahren zur Legitimierung der Geburt langwierig und kostspielig, was die Familien oft von der Registrierung abhält. Syrische Flüchtlinge benötigen keinen legalen Wohnsitz mehr, um die Geburt ihrer Kinder registrieren zu lassen. Die Geburtenregistrierung bleibt für einige unzugänglich, weil die Regierung den Nachweis eines legalen Wohnsitzes und einer legalen Heirat verlangte - Dokumente, die für Flüchtlinge oft nicht verfügbar sind (USDOS 12.4.2022).
Lokale NGOs wie die Lebanese Union for Child Welfare (LUCW) setzen sich für die Rechte von Kindern ein (DM o.D.). Naba'a - Developmental Action without Borders, eine NGO die mit palästinensischen und libanesischen Gemeinschaften arbeitet (Naba’a o.D.), hat sich zum Ziel gesetzt, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Kinder und Jugendliche ungeachtet ihrer Religion, ihres Geschlechts und ihrer Nationalität entfalten und in Harmonie leben können (CHS o.D.). Frauenrechtsorganisationen im Libanon, darunter Kafa und Abaad, setzen sich seit langem unter anderem dafür ein, das Mindestheiratsalter auf 18 Jahre festzusetzen (DGC 9.11.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 27.1.2023
- ACAP - The Assessment Capacities Project (31.5.2022): https://www.acaps.org/sites/acaps/files/products/files/20220531_acaps_briefing_note_lebanon_impact_of_crisis_on_children.pdf, Zugriff 27.1.2023
- AlM - Al-Monitor (4.3.2022): Children's education at risk in Lebanon due to economic crisis, https://www.al-monitor.com/originals/2022/03/childrens-education-risk-lebanon-due-economic-crisis, Zugriff 27.1.2023
- CHS - Core Humanitarian Standard Alliance (o.D.): Developmental Action without Borders (Naba'a), https://www.chsalliance.org/about/our-members/developmental-action-without-borders-nabaa/, Zugriff 27.1.2023
- DGC - Durban Girls’ College (9.11.2022): Legal Marriage Age Lebanon, https://dgc.co.za/legal-marriage-age-lebanon/, Zugriff 27.1.2023
- DM - Daleel-Madani (o.D.): Lebanese Union For Child Welfare, https://daleel-madani.org/ar/civil-society-directory/lebanese-union-child-welfare/about, Zugriff 27.1.2023
- Naba’a - Developmental Action without Borders (o.D.): About Us, https://www.nabaa-lb.org/, Zugriff 27.1.2023
- STC - Safe the Children (19.1.2023): One Million Children Left Without Education In Lebanon After Public Schools Shut Their Doors, https://www.savethechildren.net/news/one-million-children-left-without-education-lebanon-after-public-schools-shut-their-doors, Zugriff 27.1.2023
- STC - Safe the Children (14.4.2022): Half of Lebanese children now need support due to food, healthcare shortages – new data, https://www.savethechildren.net/news/half-lebanese-children-now-need-support-due-food-healthcare-shortages-new-data, Zugriff 27.1.2023
- UNICEF - United Nations Children’s Fund (4.2022): A Worsening Health Crisis for Children, https://www.unicef.org/lebanon/media/8491/file/Child%20Health%20Report%20EN%20.pdf, Zugriff 27.1.2023
- UNICEF - United Nations Children’s Fund (28.1.2022): Searching for Hope: A Grim Outlook for Youth as Lebanon Teeters on the Brink of Collapse, https://www.unicef.org/lebanon/media/7746/file, Zugriff 27.1.2023
- UNICEF - United Nations Children’s Fund (12.2021): Violent Beginnings: Children growing up in Lebanon’s crisis, https://www.unicef.org/lebanon/media/7626/file/Child%20Protection%20-%20Violent%20Beginnings%20.pdf, Zugriff 27.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (6.9.2022): 2022 Trafficking in Persons Report: Lebanon, https://www.state.gov/reports/2022-trafficking-in-persons-report/lebanon/, Zugriff 27.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 27.1.2023
LGBTI-Personen
LGBTI-Menschen [LGBTI - Lesbian, Gay, Bisexual, Transexuall/Transgender, Intersexual] werden im Libanon systematisch diskriminiert und sind weiterhin unverhältnismäßig stark von der Wirtschaftskrise betroffen. Transgender-Frauen sind mit systemischer Gewalt und Diskriminierung beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, einschließlich Beschäftigung, Gesundheitsversorgung und Wohnraum, konfrontiert (HRW 12.1.2023; vergleiche HBS 2.12.2022).
Im Libanon wurde Artikel 534 des Strafgesetzbuchs, der „jeden Geschlechtsverkehr, der den Gesetzen der Natur widerspricht“ verurteilt, in der Vergangenheit dazu verwendet, Menschen wegen gleichgeschlechtlicher Beziehungen zu verfolgen (TML 26.11.2022; vergleiche AA 5.12.2022) und mit bis zu einem Jahr Gefängnis zu bestrafen (HRW 12.1.2023; vergleiche AA 15.12.2022 ). In den letzten Jahren haben Richter der unteren Instanzen jedoch damit begonnen, homosexuelle Beziehungen nicht mehr zu verurteilen, da sie sie nicht als naturwidrig ansehen, und damit einen rechtlichen Präzedenzfall für die gesamte Gemeinschaft geschaffen (TML 26.11.2022). Ein Bezirksberufungsgericht entschied im Jahr 2018 ebenfalls, dass einvernehmliches gleichgeschlechtliches Verhalten nicht rechtswidrig ist (HRW 12.1.2023; vergleiche HDT o.D.). Dies ist
allerdings weiterhin Ausdruck einer Mindermeinung in der Rechtsprechung (AA 5.12.2022).
Sicherheitskräfte nutzen diesen Artikel immer noch, um Menschen aufgrund ihres Geschlechtsidentität oder -ausdruck zu verhaften, insbesondere Trans-Frauen (TML 26.11.2022). Trans-Personen fallen nicht nur unter Gesetze, die gleichgeschlechtliche Handlungen unter Strafe stellen, sondern können auch nach dem Gesetz über das Verbot der „Verkleidung als Frau“ mit einer Höchststrafe von sechs Monaten Haft bestraft werden (HDT o.D.). Eine generelle polizeiliche und gerichtliche Verfolgung von Personen, die der Homosexualität verdächtigt werden, findet zwar nicht statt, doch kommt es gelegentlich zu Schikanen, z.T. auch gewaltsamen Übergriffen, gegen LGBTI-Personen durch Sicherheitsorgane, aber auch durch religiöse Gruppen (AA 5.12.2022). NGOs geben an, dass die offizielle und gesellschaftliche Diskriminierung von LGBTI-Personen weiter anhält. Demnach gibt es Berichte von LGBTI-Flüchtlingen über körperliche Misshandlungen durch lokale Banden, die die Opfer nicht bei den Internal Security Forces (ISF) meldeten. Personen, die mit Gewalt konfrontiert waren, zögerten, Vorfälle zu melden, weil sie weitere Diskriminierungen oder Repressalien befürchteten. Es gibt keine Bemühungen der Regierung, gegen mögliche Diskriminierung vorzugehen (USDOS 12.4.2022). Laut Human Rights Watch hat hingegen digitales Targeting der Regierung im Libanon zu willkürlichen Verhaftungen, zum Rückgriff auf unrechtmäßig erlangte persönliche digitale Informationen bei der Strafverfolgung und zur Erpressung von LGBTI-Personen geführt (HRW 21.2.2023).
Am 24.6.2022 hat der geschäftsführende Innenminister Bassam Mawlawi ein Schreiben an die Kräfte der allgemeinen und der inneren Sicherheit gerichtet, in dem er beide Institutionen anwies, Versammlungen zu verhindern, die „unnatürliche sexuelle Beziehungen“ und „das Phänomen der sexuellen Abweichung“ fördern (TML 26.11.2022; vergleiche HRW 12.1.2023). Rechtsgruppen haben gegen die Entscheidung Berufung eingelegt (HRW 12.1.2023). Am 1.11.2022 beschloss der Staatsrat, das oberste Verwaltungsgericht des Libanon, die Aussetzung des Beschlusses von Innenminister Mawlawi (Helem 15.11.2022; vergleiche TML 26.11.2022). Während in Teilen Beiruts eine im Vergleich zu anderen Ländern der Region weitgehende Toleranz gegenüber LGBTI vorherrscht und auch in diesem Bereich aktive NGOs toleriert werden und mit Einschränkungen arbeiten können, sind soziale Zwänge außerhalb Beiruts groß (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 27.1.2023
- HBS - Heinrich Böll Stiftung – Beirut Office (2.12.2022): https://lb.boell.org/sites/default/files/2022-12/fqml-en-e.pdf, Zugriff 30.1.2023
- HDT - Human Dignity Trust (o.D.): Lebanon, https://www.humandignitytrust.org/country-profile/lebanon/, Zugriff 27.1.2023
- Helem (15.11.2022): Suspension of Minister of Interior’s Homophobic Decision, https://uploads-ssl.webflow.com/6103f4af16787766f28ab22b/6387f2288c6c882d2f654677_Helem_Statement_November_15_2022.pdf, Zugriff 27.1.2022
- HRW - Human Rights Watch (21.2.2023): “All This Terror Because of a Photo” Digital Targeting and Its Offline Consequences for LGBT People in the Middle East and North Africa, https://www.hrw.org/report/2023/02/21/all-terror-because-photo/digital-targeting-and-its-offline-consequences-lgbt, Zugriff 28.2.2023
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 19.1.2023
- TML - The Medialine (26.11.2022): Despite Win in Courts, LGBT Community Suffers Discrimination, Abuse in Lebanon, https://themedialine.org/people/despite-win-in-courts-lgbt-community-suffers-discrimination-abuse-in-lebanon/, Zugriff 27.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 27.1.2023
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz gewährt Bewegungsfreiheit in Bezug auf Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, und die Regierung respektierte grundsätzlich diese Rechte. Einschränkungen gibt es nur für Flüchtlinge und Asylsuchende, von denen die meisten aus Palästina, Syrien und dem Irak stammen (USDOS 12.4.2022) [Anm.: Für detaillierte Informationen wird auf das entsprechenden Kapitel 20 „IDPs und Flüchtlinge“ verwiesen]. Berichten zufolge werden im Libanon diskriminierende Ausgangssperren verhängt, die sich gegen ausländische oder syrische Staatsangehörige richten (MRG 31.1.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022). Während die Gemeinden ursprünglich Sicherheitsbedenken als Rechtfertigung für die Verhängung von Ausgangssperren für syrische Bürger anführten, insbesondere im Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg und seinen Folgen im Libanon, lieferte die Ausbreitung der Covid-19-Pandemie eine zusätzliche Rechtfertigung für die Einschränkung der Bewegungsfreiheit syrischer Bürger. Während der Pandemie wurde berichtet, dass mindestens 21 libanesische Gemeinden Beschränkungen für syrische Flüchtlinge eingeführt hatten, die nicht für libanesische Bürger gelten (MRG 31.1.2022).
Kontrollpunkte sind im Libanon weit verbreitet (AA 5.12.2022). Bewaffnete nichtstaatliche Akteure behindern oder verhindern die Bewegungsfreiheit in den von ihnen kontrollierten Gebieten. Bspw. kontrollieren Bewaffnete Hizbollah-Mitglieder den Zugang zu einigen von der Hizbollah kontrollierten Gebieten (USDOS 12.4.2022).
Libanon kann auf dem Landweg derzeit nur in Richtung Syrien verlassen werden. Aufgrund des besonderen Charakters der Beziehungen zwischen den beiden Staaten können libanesische Staatsangehörige mit Personalausweis über einen der sechs offiziellen Grenzübergänge problemlos nach Syrien ein- und ausreisen. Auch die „grüne Grenze“ zwischen Libanon und Syrien ist trotz einer gewissen Verbesserung der Grenzüberwachung nach wie vor durchlässig; die Grenze wurde allerdings seit Mitte 2011 in Teilbereichen auf syrischer Seite vermint. Die Demarkationslinie (Blaue Linie) zu Israel ist für den Grenzverkehr geschlossen und wird durch einen durchgehenden Grenzzaun/-mauer auf israelischer Seite befestigt (AA 5.12.2022).
Innerhalb der Familien übten die Männer mitunter eine beträchtliche Kontrolle über weibliche Verwandte aus, indem sie deren Aktivitäten außerhalb des Hauses oder deren Kontakt zu Freunden und Verwandten einschränkten (USDOS 12.4.2022). Verheiratete Frauen benötigen für die Ausstellung eines Reisepasses die Zustimmung des Ehemannes (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 27.1.2023
- MRG - MENA Rights Group (31.1.2022): Joint report on the erosion of the non-refoulement principle in Lebanon since 2018, https://menarights.org/en/documents/joint-report-erosion-non-refoulement-principle-lebanon-2018, Zugriff 27.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 27.1.2023
IDPs und Flüchtlinge
Das Gesetz sieht weder die Gewährung von Asyl noch die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus vor (USDOS 12.4.2022). Dennoch ist der Libanon nach wie vor das Land, das die meisten Flüchtlinge pro Kopf der Bevölkerung aufnimmt (UNHCR 10.2022; vergleiche TNH 26.9.2022). Die Regierung schätzt die Zahl der syrischen Flüchtlinge auf 1,5 Mio. und die Zahl der Flüchtlinge anderer Nationalitäten auf 12.377. Dazu zählen unter anderem 6.878 Flüchtlinge aus dem Irak und 2.379 Flüchtlinge aus dem Sudan (UNHCR 10.2022). Hinzu kommen ca. 210.000 im Land lebende palästinensische Flüchtlinge (UNRWA 21.10.2022). Libanon ist bislang keiner internationalen Konvention zur Regelung des Status von Flüchtlingen beigetreten (AA 5.12.2022). Als Reaktion auf den Anstieg der irakischen Flüchtlinge im Libanon im Jahr 2003 unterzeichnete die libanesische Regierung ein Memorandum of Understanding (MoU) mit dem Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR), in der der Libanon erklärte, dass er kein Asylland sei, sondern lediglich ein Transitland für Asylsuchende aus Drittländern. Das MoU verpflichtete das UNHCR, die Flüchtlinge in Zusammenarbeit mit der libanesischen Generaldirektion für Sicherheit zu registrieren und ihnen eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Als 2011 Tausende von Syrern, die vor Krieg und Verfolgung flohen, in den Libanon kamen, war die Vereinbarung von 2003 nicht aktualisiert worden, und das UNHCR musste im Libanon ohne eine formelle Vereinbarung arbeiten. Ohne einen Mechanismus, der sicherstellt, dass Aufenthaltsgenehmigungen ordnungsgemäß ausgestellt werden, sehen sich die Flüchtlinge häufig mit unlauteren Praktiken der Mitarbeiter der allgemeinen Sicherheitsbehörden konfrontiert, die willkürlich zusätzliche Dokumente oder Gebühren verlangen und teilweise sogar die Ausstellung von Genehmigungen ohne Begründung verweigern (TIMEP 8.12.2022).
Im Libanon haben 80 % der Flüchtlinge keine legalen Aufenthaltspapiere. Dies ist eine unmittelbare Folge davon, dass die libanesische Regierung dem UNHCR 2015 untersagt hat, die im Libanon ankommenden Syrer zu registrieren (RBC 5.8.2022). Der Ausbruch der Covid-19-Pandemie im Libanon im Februar 2020 hat die syrische und palästinensische Bevölkerung disproportional getroffen; die Sterberate war vier- bzw. dreimal so hoch wie der nationale Durchschnitt (AA 5.12.2022). Trotz Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für syrische Flüchtlinge durch Abkommen wie den Libanon Compact haben die COVID-19-Pandemie und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage zu einer Verschlechterung der Bedingungen für Flüchtlinge beigetragen (RBC 5.8.2022). NGOs und UN-Organisationen berichten weiterhin über Fälle sexueller Belästigung und Ausbeutung von Flüchtlingen durch Arbeitgeber und Vermieter, einschließlich der Zahlung von Löhnen unterhalb des Mindestlohns, übermäßig langer Arbeitszeiten, Schuldknechtschaft und des Drucks auf Familien, einer frühen Verheiratung ihrer Töchter zuzustimmen, um die wirtschaftliche Not zu lindern (USDOS 12.4.2022).
Im Jahr 2019 gab der Oberste Verteidigungsrat (HDC) den Sicherheitsdiensten Anweisungen zur verstärkten Durchsetzung der Bauvorschriften. Dies führte zur Zerstörung von Tausenden von Flüchtlingsunterkünften. Bis 31.8.2021 waren Berichten zufolge mindestens 115 Flüchtlingsfamilien von den Anweisungen zum Abriss von festen Strukturen in Zentral- und Nord-Bekaa betroffen. Einige Flüchtlingskinder leben und arbeiten auf der Straße. Angesichts des schlechten wirtschaftlichen Umfelds, der eingeschränkten Bewegungsfreiheit und der geringen Möglichkeiten für Erwachsene, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sind viele syrische Flüchtlingsfamilien darauf angewiesen, dass ihre Kinder Geld für die Familie verdienen, indem sie betteln oder kleine Gegenstände auf der Straße verkaufen. Flüchtlingskinder sind stärker als libanesische Kinder von Ausbeutung, geschlechtsspezifischer Gewalt und Kinderarbeit bedroht, da sie im Vergleich zu ihren Eltern, die oft keine Aufenthaltsgenehmigung besitzen, eine größere Bewegungsfreiheit haben (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 25.1.2023
- RBC - ReBuild Consortium (5.8.2022): Refugees in Lebanon – problems and some solutions, https://www.rebuildconsortium.com/refugees-in-lebanon-problems-and-some-solutions/, Zugriff 26.1.2023
- TIMEP - The Tahir Institute for Middle East Policy (8.12.2022): Lebanon’s Refugee and Asylum Legal Framework, https://timep.org/explainers/lebanons-refugee-and-asylum-legal-framework/, Zugriff 26.1.2023
- TNH - The New Humanitarian (26.9.2022): Debunking the dangerous myth that refugees are an economic burden in Lebanon, https://www.thenewhumanitarian.org/opinion/2022/09/26/Syrian-refugees-Lebanon-economics, Zugriff 6.3.2023
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (10.2022): Lebanon Fact Sheet – October 2022, https://reporting.unhcr.org/document/3918, Zugriff 26.1.2023
- UNRWA - United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (21.10.2022): Hitting Rock Bottom - Palestine Refugees in Lebanon Risk their Lives in Search of Dignity, https://reliefweb.int/report/lebanon/hitting-rock-bottom-palestine-refugees-lebanon-risk-their-lives-search-dignity-enar, Zugriff 26.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 26.1.2023
Syrische Flüchtlinge
Laut Daten des Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) waren mit Stand 31.12.2022 814.715 syrische Flüchtlinge beim UNHCR registriert (UNHCR 31.12.2022). Da die Regierung das UNHCR angewiesen hat, die Registrierung syrischer Flüchtlinge Anfang 2015 einzustellen, sind in dieser Gesamtzahl keine syrischen Flüchtlinge enthalten, die nach diesem Zeitpunkt angekommen sind (USDOS 12.4.2022). Die libanesische Regierung schätzt, dass von den sechs Millionen Menschen, die im Land leben, 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge sind (SACD 7.11.2022; vergleiche UNHCR 31.12.2022). Diese Schätzung umfasst sowohl registrierte als auch nicht registrierte Flüchtlinge. Die meisten dieser Flüchtlinge leben in den gefährdeten Aufnahmegemeinschaften unter armen Bedingungen (SACD 7.11.2022). Es kommt vereinzelt zu Übergriffen von Libanesen gegen syrische Flüchtlinge (AA 5.12.2022). Libanesische Beamte haben oft erklärt, dass die Integration der mehrheitlich sunnitischen Syrer in die Wirtschaft das System der Machtteilung zwischen Christen, Sunniten und Schiiten im Staat stören könnte (SACD 7.11.2022). Dementsprechend äußern die Libanesen häufig ihre Besorgnis über den Wettbewerb mit Syrern und ihren etablierten Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt, während einige libanesische Politiker Flüchtlinge opportunistisch als Sündenböcke für die sozioökonomische Verschlechterung des Landes benutzen (SACD 7.11.2022; vergleiche AI 23.3.2021). Diese Rhetorik hat sich in den letzten Monaten verschärft, und Regierungsvertreter sprechen nun offen von einer erzwungenen Rückkehr der Syrer nach Syrien (SACD 7.11.2022).
Lebensbedingungen
Es gibt keine offiziellen Flüchtlingslager für Syrer. Die meisten syrischen Flüchtlinge leben in städtischen Gebieten, viele von ihnen in unfertigen, minderwertigen Wohnungen oder in Gebäuden, die bisher nicht als Wohnraum genutzt wurden. Etwa 20 % leben nach Angaben des UNHCR in informellen Zeltsiedlungen, die häufig an landwirtschaftliche Flächen angrenzen (USDOS 12.4.2022). Über die Hälfte (57 %) der syrischen Flüchtlingsfamilien leben in überfüllten Unterkünften, in Unterkünften, die nicht den humanitären Standards entsprechen, und/oder in einsturzgefährdeten Unterkünften (UNHCR et al. 25.1.2022). Die Situation syrischer Flüchtlinge im Libanon hat sich angesichts der extremen Wirtschaftskrise dramatisch verschlechtert (AA 5.12.2022). Einer UN-Studie zufolge nahmen die Flüchtlinge häufig Kredite auf, um Grundbedürfnisse wie Miete, Lebensmittel und Gesundheitsversorgung zu decken, sodass mehr als 90 % verschuldet sind und unter Ernährungsunsicherheit leiden (USDOS 12.4.2022; vergleiche UNHCR et al. 25.1.2022). Human Rights Watch (HRW) schätzt, dass neun von zehn syrischen Flüchtlingen in extremer Armut leben (HRW 12.1.2023; vergleiche AA 5.12.2022). Eine von der Syrian Association for Citizens’ Dignity (SACD) durchgeführte Umfrage unter syrischen Flüchtlingen im Libanon hat gezeigt, dass 88 % der syrischen Flüchtlinge in einem Zustand der Rechtsunsicherheit und 96 % in einem Zustand der wirtschaftlichen Unsicherheit leben. 64 % der Teilnehmer gaben an, dass sie kein offizielles Dokument oder keine offizielle Aufenthaltsgenehmigung im Libanon haben (SACD 7.11.2022). Flüchtlinge ohne regulären Migrationsstatus sind von Inhaftierung und Schikanen bedroht und sehen sich mit Hindernissen beim Zugang zu wichtigen Dienstleistungen und bei der Registrierung von Geburten und Eheschließungen konfrontiert (AI 23.3.2021).
Akkar, Bekaa und Baalbek-El Hermel meldeten den höchsten Anteil von Haushalten unterhalb eines S/MEB von 94 %, was darauf hindeutet, dass diese Regionen die höchsten Anteil der sozioökonomisch gefährdeten Haushalte beherbergen [S/MEB - Survival and Minimum Expenditure Baskets: Der S/MEB dient als Referenz, um abzuschätzen, was eine syrische Flüchtlingsfamilie im Libanon zum Überleben benötigt] (UNHCR et al. 25.1.2022). Die schwierige sozioökonomische Lage führt zu negativen Bewältigungsmechanismen wie vermehrtem Betteln, Kürzung von Gesundheits- und Nahrungsmittelausgaben, Nichtbegleichung der Miete und vermehrten Zwangsräumungen, einer höheren Zahl von Schulabbrechenden, Kinderarbeit und Frühverheiratungen (AA 5.12.2022). Flüchtlinge dürfen weiterhin nur in drei Sektoren (Landwirtschaft, Bausektor und Müllentsorgung) arbeiten, benötigen dafür aber eine offizielle Arbeitsgenehmigung, die so gut wie nie erteilt wird (AA 5.12.2022; vergleiche AI 23.3.2021). In der Folge wurden noch mehr Flüchtlinge in irreguläre Arbeitsverhältnisse gedrängt. Es werden regelmäßig Razzien der Sicherheitsbehörden gegen im informellen Sektor tätige Flüchtlinge durchgeführt. Flüchtlinge haben nur bedingt Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung. Der Besuch staatlicher libanesischer Schulen ist syrischen Kindern im Prinzip gestattet. Oftmals werden Kinder bei der Anmeldung an Schulen aber dennoch abgewiesen (AA 5.12.2022).
Im März veröffentlichte Amnesty International einen Bericht, der eine Reihe von Verstößen dokumentiert, die vor allem vom libanesischen Militärgeheimdienst gegen 26 syrische Flüchtlinge, darunter vier Kinder, begangen wurden, die zwischen 2014 und Anfang 2021 wegen Terrorismusvorwürfen inhaftiert waren. Zu den Verstößen gehörten unfaire Gerichtsverfahren und Folter, die Schläge mit Metallstöcken, Elektrokabeln und Plastikrohren umfasste. Die Behörden gingen den Foltervorwürfen nicht nach (AI 29.3.2022; vergleiche AI 23.3.2021).
Rückkehr
Der Libanon hat sich zwar wiederholt zum Prinzip des Non-Refoulement [Anm.: Ein im Völkerrecht verankerter Grundsatz, die Rückführung von Personen in Staaten, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, zu unterlassen] bekannt (AA 5.12.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022), rechtliche Garantien gibt es jedoch weiterhin keine. Die Regierung drängt auf internationale Unterstützung bei der Rückführung der Flüchtlinge nach Syrien (AA 5.12.2022). Am 14.7.2020 verabschiedete die libanesische Regierung einen Plan für die Rückkehr von Flüchtlingen (AA 5.12.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022). Darin verpflichtete sie sich, Hindernisse zu beseitigen, die eine Rückkehr behindern, und die Ausreiseverfahren zu erleichtern, einschließlich des Verzichts auf Gebühren, die ausreisende Flüchtlinge andernfalls als Bedingung für ihre Ausreise zu entrichten hätten. Berichten zufolge spielt die libanesische Regierung die Schutzrisiken und den Mangel an grundlegenden Dienstleistungen herunter, mit denen die Rückkehrer in Syrien konfrontiert sind. Erhebliche finanzielle und personelle Hürden erschwert es der Regierung allerdings, die neue Politik umzusetzen (USDOS 12.4.2022). Dennoch sieht die libanesische Regierung, unter Verweis auf die sukzessive Rückerlangung der Territorialkontrolle durch das syrische Regime, die Bedingungen für eine sichere und freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien als gegeben an. UNHCR widerspricht dieser Einschätzung (AA 5.12.2022). Die Commission of Inquiry des UN-Menschenrechtsrats zur Lage in Syrien stellte in ihrem Bericht vom 17.8.2022 (A/HRC/51/45) ebenfalls fest, dass die Arabische Republik Syrien noch immer kein sicherer Ort für eine Rückkehr ist (OHCHR 17.8.2022; vergleiche AA 5.12.2022).
Gleichwohl wurden von der General Security Ende Oktober 2022 unterstützte Rückführungen von ca. 500 Personen, die mutmaßlich auf Freiwilligkeit beruhten, durchgeführt (AA 5.12.2022; vergleiche TNA 26.10.2022, TIMEP 8.12.2022). Am 5.11.2022 wurde eine zweite unterstützte Rückführung von 350 Personen durchgeführt (TIMEP 8.12.2022). UNHCR dokumentierte im Jahr 2022 5.192 freiwillige Rückführungen aus dem Libanon (SD 19.10.2022). Der Plan von 15.000 Rückführungen pro Monat, stieß nicht nur international auf Ablehnung, sondern führte auch innerhalb des geschäftsführenden Kabinetts zu Diskussionen (TIMEP 23.1.2023). Im Rahmen des derzeitigen Rückkehrverfahrens sammelt die libanesische Sicherheitsbehörde die Namen der Syrer, die sich für eine Rückkehr registrieren lassen, und übermittelt diese Informationen an die syrischen Behörden, die die Sicherheitsgenehmigung erteilen oder verweigern. Menschenrechtsaktivisten zu Folge ist der Rückführungsprozess undurchsichtig und entspricht nicht den Sicherheitsvorkehrungen, die notwendig sind, um eine freiwillige, sichere und würdige Rückkehr zu gewährleisten (SD 19.10.2022; vergleiche AI 14.10.2022). Obwohl die libanesischen Behörden betonen, keine gewaltsamen Abschiebungen durchzuführen, dokumentierte das Access Center for Human Rights, eine libanesische Nichtregierungsorganisation, im Jahr 2021 59 Abschiebefälle (SD 19.10.2022). Bei der überwiegenden Mehrheit, 51, handelte es sich um Syrer, die versuchten, auf dem Seeweg nach Europa zu gelangen, und nach ihrer Rückkehr in den Libanon nach Syrien abgeschoben wurden (SD 19.10.2022; vergleiche AA 5.12.2022). Darüber hinaus erlaubte ein Beschluss des Obersten Verteidigungsrates aus dem Jahr 2019 den libanesischen Behörden, Syrer abzuschieben, die nach April 2019 illegal in das Land eingereist sind (SD 19.10.2022; vergleiche USDOS 12.4.022). Diese Rückführungen wurden zu einem Verwaltungsverfahren, für das kein Gerichtsbeschluss erforderlich ist. Bis September 2021 wurden 6.345 Syrer auf der Grundlage des Ratsbeschlusses zwangsweise rückgeführt (SD 19.10.2022). Libanon führt zudem mitunter aus Syrien einreisende Personen an die syrische Grenze zurück, wenn sich im Laufe ihres Aufenthalts im Land herausstellt, dass die Einreise in den Libanon mit gefälschten Dokumenten erfolgte. Außerdem werden über den internationalen Flughafen Beirut einreisende Syrer in der Regel an den Ausgangsflughafen zurückgeschickt, wenn sie nicht über einen Aufenthaltstitel für den Libanon verfügen (AA 5.12.2022).
Am 28.8.2021 nahm der militärische Geheimdienst sechs syrische Männer vor der syrischen Botschaft im Bezirk Baabda fest, denen die Botschaft zuvor telefonisch mitgeteilt hatte, sie könnten ihre Pässe abholen. Die Männer wurden beschuldigt, ohne gültige Papiere eingereist zu sein, und dem allgemeinen Geheimdienst übergeben, der am 5.9.2021 ihre Abschiebung anordnete. Die sechs Männer wurden 46 Tage lang ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Nachdem Forderungen laut wurden, sie freizulassen, hob der Geheimdienst die Ausweisungsbefehle am 8.9.2021 auf und ließ alle Männer am 12.10.2021 frei (AI 29.3.2022). Aufgrund der Rechtsunsicherheit ist jeder Flüchtling oder jeder sich illegal im Land aufhaltende Ausländer von Abschiebehaft und Abschiebung bedroht (Ausnahme: Palästinenser). Syrische Flüchtlinge ohne libanesische Aufenthaltsgenehmigung erhalten im Rahmen von Personenkontrollen regelmäßig schriftliche Aufforderungen zur Ausreise. Diese werden nun zunehmend auch vollstreckt, insbesondere bei Syrer, die nach April 2019 irregulär eingereist sind (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 25.1.2023
- AI - Amnesty International (14.10.2022): Lebanon: Stop the so-called voluntary returns of Syrian refugees, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2022/10/lebanon-stop-the-so-called-voluntary-returns-of-syrian-refugees/, Zugriff 26.1.2023
- AI - Amnesty International (29.3.2022): Lebanon 2021, https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/lebanon/report-lebanon/, Zugriff 26.1.2023
- AI - Amnesty International (23.3.2022): Lebanon: ‘I Wished römisch eins Would Die’ - Syrian refugees arbitrarily detained on terrorism-related charges and tortured in Lebanon, https://www.amnesty.org/en/documents/mde18/3671/2021/en/?utm_source=annual_report&utm_medium=epub&utm_campaign=2021&utm_term=english, Zugriff 26.1.2023
- SACD - Syrian Association for Citizens’ Dignity (7.11.2022): The Myth of “Voluntary” Return from Lebanon: Despite Facing Horrendous Conditions, Syrians Reject Premature Return, https://syacd.org/wp-content/uploads/2022/11/Lebanon-Report-En.pdf, Zugriff 25.1.2023
- SD - Syria Direct (19.10.2022): Facing a dead end in Lebanon, 1,600 Syrian families sign up for ‘voluntary return’, https://syriadirect.org/facing-a-dead-end-in-lebanon-1600-syrian-families-sign-up-for-voluntary-return/, Zugriff 26.1.2023
- TIMEP - The Tahir Institute for Middle East Policy (8.12.2022): Lebanon’s Refugee and Asylum Legal Framework, https://timep.org/explainers/lebanons-refugee-and-asylum-legal-framework/, Zugriff 26.1.2023
- TIMEP - The Tahir Institute for Middle East Policy (23.1.2023): The Selective Return of Syrian Refugees, https://timep.org/commentary/analysis/the-selective-return-of-syrian-refugees/, Zugriff 26.1.2023
- TNA - Tasnim News Agency (26.10.2022): First Phase of Voluntary Return of Syrian Refugees Kicks Off in Lebanon, https://www.tasnimnews.com/en/news/2022/10/26/2794116/first-phase-of-voluntary-return-of-syrian-refugees-kicks-off-in-lebanon, Zugriff 26.1.2023
- OHCHR - United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights (17.8.2022): Report of the Independent International Commission on Inquiry on the Syrian Arab Republic, https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G22/463/09/PDF/G2246309.pdf?OpenElement, Zugriff 26.1.2023
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (31.12.2022): Operational Data Portal – Syrian Regional Refugee Response, https://data.unhcr.org/en/situations/syria/location/71, Zugriff 26.1.2023
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees / UNICEF - United Nations Children’s Fund / WFP - World Food Programme (25.1.2022): VASYR 2021 - Vulnerability Assessment of Syrian Refugees in Lebanon, https://reliefweb.int/report/lebanon/vasyr-2021-vulnerability-assessment-syrian-refugees-lebanon, Zugriff 26.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 26.1.2023
Palästinensische Flüchtlinge
Die palästinensischen Flüchtlinge sind meist Nachkommen jener Flüchtlingen, die in den 1940er und 1950er Jahren ins Land kamen. Die meisten sind sunnitische Muslime, aber einige sind auch Christen (USDOS 2.6.2022). Im Libanon leben rund 210.000 Palästinensische Flüchtlinge. Dazu zählen 180.000 Palästina-Flüchtlinge aus dem Libanon (PRL) und 30.000 Palästina-Flüchtlinge aus Syrien (PRS), die dort als Ausländer betrachtet werden (UNRWA 21.10.2022; vergleiche UNICEF o.D.a, ECHO 11.11.2022). Laut Angaben der Volks- und Wohnungszählung in palästinensischen Lagern und Versammlungen im Libanon (PHHCCG), die vom libanesisch-palästinensischen Dialogkomitee (LPDC) in Zusammenarbeit mit der Zentralverwaltung für Statistik (CAS) und dem palästinensischen Zentralbüro für Statistik (PCBS) durchgeführt wurde, lebten im Jahr 2017 174.422 palästinensische Flüchtlinge im Libanon (Al-Shabaka 7.3.2022; vergleiche PCBS 21.12.2017).
Es gibt vier Gruppen von palästinensischen Flüchtlingen im Libanon (UNRWA 6.12.2022; vergleiche UNHCR 2.2016):
„Registrierte“ Flüchtlinge („Palestinensische Flüchtlinge“) (PRL), sind beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) und den libanesischen Behörden registriert (UNHCR 2.2016). Im Libanon sind mehr als 479.000 Flüchtlinge beim UNRWA registriert (UNRWA o.D.a; vergleiche AA 5.12.2022). Es wird jedoch geschätzt, dass sich viele von ihnen nicht mehr im Land aufhalten (UNHCR 2.2016; vergleiche AA 5.12.2022). UNRWA definiert Palästina-Flüchtlinge als Personen, die zwischen dem 1. Juni 1946 und dem 15. Mai 1948 ihren gewöhnlichen Wohnsitz in Palästina hatten und die infolge des Konflikts von 1948 [Nakba] sowohl ihre Heimat als auch ihre Lebensgrundlage verloren haben (UNRWA o.D.b; vergleiche UNRWA 6.12.2022).
„Nicht registrierte“ palästinensische Flüchtlinge, sind nicht beim UNRWA registriert sind, aber bei den libanesischen Behörden (UNHCR 2.2016). Dazu zählen vor allem Palästinenser, die infolge des Sechs-Tage-Kriegs von 1967 und danach vertrieben wurden (UNRWA 6.12.2022). Schätzungsweise 35.000 palästinensische Flüchtlinge sind beim Directorate General of Political and Refugees Affairs (DPRA), nicht aber beim UNRWA registriert. Nicht registrierte Palästinenser erhalten Berichten zufolge dieselben Aufenthaltsgenehmigungen wie die beim UNRWA registrierten; allerdings wird ihnen ein anderes Reisedokument (Laissez Passer) ausgestellt, das für ein Jahr gültig ist und dreimal verlängert werden kann (UNHCR 2.2016).
„Non-ID“ palästinensische Flüchtlinge, haben keine Ausweispapiere und sind weder beim UNRWA noch bei den libanesischen Behörden registriert (UNRWA 6.12.2022; vergleiche UNHCR 2.2016). Die schätzungsweise 3.000 bis 5.000 „Non-ID“-Palästinenser werden oft als die am meisten gefährdeten Palästinenser im Libanon angesehen werden. Diese Palästinenser kamen in den 1960er Jahren in das Land und besitzen keine formal gültigen Ausweispapiere (USDOS 12.4.2022; vergleiche UNRWA o.D.c). In den meisten Fällen bot das UNRWA den Palästinensern ohne Papiere dennoch medizinische Grundversorgung, Schul- und Berufsausbildung an. Bei den meisten dieser Personen handelte es sich um Männer, von denen viele mit vom UNRWA registrierten Flüchtlingen oder libanesischen Staatsbürgerinnen verheiratet waren, die den Flüchtlingsstatus oder die Staatsbürgerschaft nicht auf ihre Ehemänner oder Kinder übertragen konnten (USDOS 12.4.2022). „Non-ID“-Palästinenser laufen Gefahr, wegen illegalen Aufenthalts verhaftet zu werden, sobald sie die Lager verlassen. Auch wenn auf Drängen (nicht zuletzt der EU) bisher ca. 1.000 Identitätsnachweise ausgestellt wurden, bleibt die Rechtsstellung der betroffenen Personen unverändert prekär (AA 5.12.2022).
Palästinensische Flüchtlinge aus Syrien (PRS), sind ab 2011 in den Libanon gekommen (UNHCR 2.2016). Die Direktion für allgemeine Sicherheit (DGS) erleichterte die Einreise von PRS in den Libanon in der Anfangsphase (2011-2013) des Syrien-Konflikts. Seit 2013 wurden PRS, die in den Libanon einreisen wollten, Beschränkungen auferlegt. Seit 2014 werden Einreisevisa an der syrisch-libanesischen Grenze nur noch an PRS erteilt, die entweder einen verifizierten Botschaftstermin im Libanon, ein vorab genehmigtes Visum der DGS oder ein Flugticket und ein Visum für ein Drittland haben. Die meisten Visa wurden nur für einen 24-stündigen Transit erteilt. Es gibt keine offiziellen Bewegungsbeschränkungen für PRS im Land. PRS ohne legalen Status waren jedoch de facto mit Hindernissen konfrontiert, vor allem mit der Gefahr der Verhaftung an Kontrollpunkten (USDOS 12.4.2022). Berichten zufolge sind palästinensische Flüchtlinge aus Syrien aufgrund ihres fehlenden Rechtsstatus im Libanon von Inhaftierung und Geldstrafen und/oder der gewaltsamen Rückkehr nach Syrien bedroht (UNRWA 21.10.2022). PRS erhalten von UNRWA eine begrenzte Grundunterstützung, darunter Nahrungsmittelhilfe, Bargeld und Winterhilfe, z.B. in Form von Bargeld zum Kauf von Heizmaterial (USDOS 12.4.2022). Das UNRWA stellt PRS-Familien einen monatlichen Mehrzweck-Barzuschuss in Höhe von 100 USD pro Familie und zusätzlich 27 USD für jedes Familienmitglied pro Monat zur Deckung der Lebensmittelkosten zur Verfügung (UNRWA o.D.d). [Anm.: Durch die hohe Inflation nimmt die Kaufkraft des Geldes stark ab vergleiche hierzu auch Kapitel 21 Grundversorgung und Wirtschaft].
Lebensbedingungen und rechtliche Lage
Nach der jüngsten UNRWA-Erhebung gelten 93 % aller Palästina-Flüchtlinge im Libanon als arm. Sehr viele palästinensische Flüchtlingsfamilien sind nicht mehr in der Lage, sich eine sekundäre Gesundheitsversorgung zu leisten. Einige lassen lebensrettende Behandlungen ausfallen, um keine Schulden anzuhäufen (UNRWA 21.10.2022).
Repressionen allein aufgrund der palästinensischen Volkszugehörigkeit sind nicht bekannt (AA 5.12.2022). Palästinensische Flüchtlinge, darunter auch Kinder, haben aber nur eingeschränkte soziale und bürgerliche Rechte und keinen Zugang zu staatlich bereitgestellten Gesundheits-, Bildungs- oder anderen sozialen Diensten (USDOS 12.4.2022). Sie dürfen, anders als andere Ausländer, im Libanon seit 2001 keinen Grund und Boden erwerben (AA 5.12.2022). Palästina-Flüchtlinge dürfen im Libanon 39 Berufe nicht ausüben, unter anderem in den Bereichen Allgemeinmedizin, Zahnmedizin, Pharmazie, Ergotherapie und Recht (UNRWA 21.10.2022). Für ihre Schulbildung und gesundheitliche Versorgung hängt die palästinensische Bevölkerung ausschließlich vom UNRWA-Hilfswerk bzw. Hilfsleistungen anderer NGOs (z.B. des Palästinensischen Roten Halbmondes) ab (AA 5.12.2022). Da sie formell nicht die Staatsbürgerschaft eines anderen Staates besitzen, können die palästinensischen Flüchtlinge auch nicht die gleichen Rechte wie andere im Libanon lebende und arbeitende Ausländer beanspruchen (UNRWA o.D.a). Palästinenserinnen können per Gesetz durch Heirat die libanesische Staatsbürgerschaft erlangen, doch werden ihnen häufig gesetzlich nicht vorgesehene administrative Hürden in den Weg gestellt (z.B. Einbürgerung erst nach Geburt eines Sohnes). Libanesische Frauen, die mit einem Palästinenser (oder anderem Ausländer) verheiratet sind, können ihre Staatsangehörigkeit weder an ihren Ehemann noch an ihre Kinder weitergeben (AA 5.12.2022).
Am 3.6.2019 stellte der ehemalige libanesische Arbeitsminister Camille Abu Suleiman eine Kampagne mit dem Titel „Nur Ihre Landsleute können Ihnen helfen, Ihr Geschäft anzukurbeln“ vor. Im Rahmen dieser Kampagne, die angeblich Teil der Bemühungen zur Regulierung ausländischer Arbeitskräfte ist, wurde Unternehmen und anderen Einrichtungen eine einmonatige Frist eingeräumt, um Mitarbeiterlisten zu „korrigieren“ und undokumentierte nicht-libanesische Arbeitnehmer zu registrieren. Am 10.7.2019 begann eine landesweite Razzia, bei der viele Unternehmen in ausländischem Besitz, insbesondere syrische und palästinensische, gewaltsam geschlossen wurden. Daraufhin kam es unter anderem in den großen Lagern von Rashidieh und Ein el-Hilweh im Südlibanon sowie in Nahr el-Bared im Norden zu Massendemonstrationen. Am 8.12.2021 kündigte der aktuelle geschäftsführende libanesische Arbeitsminister Mustafa Bayram einen Ministerbeschluss an, der es Palästinensern, die im Libanon geboren und beim Innenministerium registriert sind, ermöglichen würde, in Berufen zu arbeiten, die bisher nur libanesischen Staatsangehörigen offen standen. Im Februar 2022 focht die Maroniten-Liga Bayrams die Entscheidung an und legte beim Schura-Rat Einspruch ein, um die Entscheidung rückgängig zu machen. Der Schura-Rat gab dem Einspruch statt und setzte die Umsetzung des Beschlusses aus (Al-Shabaka 7.3.2022).
Palästinensische Flüchtlingslager
45 % der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon leben in den zwölf Flüchtlingslagern des Landes: in der Nähe von Beirut (Mar Elias Camp, Burj Barajneh Camp, Dbayeh Camp, Shatila Camp), von Tripoli (Nahr el-Bared Camp, Beddawi Camp), von Sidon (Ein El Hilweh Camp, Mieh Mieh Camp), von Tyros (El-Buss Camp, Rashidieh Camp, Burj Shemali Camp) und von Baalbek (Wavel Camp). Die Bedingungen in den Lagern sind katastrophal und gekennzeichnet durch Überbelegung, schlechte Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit, Armut und fehlenden Zugang zur Justiz. Das UNRWA verwaltet und kontrolliert die Lager nicht, da dies in die Zuständigkeit der Behörden des Gastlandes fällt (UNRWA o.D.a). Die Sicherheitsbedingungen in einigen Lagern haben sich im Laufe der Jahre verschlechtert. Die Gewalt und der Gebrauch von Waffen haben zugenommen. Viele Flüchtlinge haben auf negative Bewältigungsmechanismen zurückgegriffen, unter anderem auf den Konsum von Drogen (UNRWA 21.10.2022). Die zwölf über das ganze Land verteilten palästinensischen Flüchtlingslager sind der Kontrolle durch staatliche Gewalt weitgehend entzogen. Die Sicherheit innerhalb der Lager wird teilweise durch palästinensische bewaffnete Ordnungskräfte und Volkskomitees gewährleistet, die von der jeweils politisch bestimmenden Fraktion gestellt werden. Ausnahme stellt das Lager Nahr El Bared dar, das unter libanesischer Kontrolle steht. Die libanesische Armee beschränkt sich auf Zugangskontrollen und die Sicherung der Umgebung (AA 5.12.2022). Die den zwölf offiziellen palästinensischen Flüchtlingslagern im Land zugewiesene Fläche hat sich seit 1948 nur geringfügig verändert, obwohl sich die Bevölkerungszahl vervierfacht hat. Folglich leben die meisten palästinensischen Flüchtlinge in überbevölkerten Lagern, von denen einige in den vergangenen Konflikten schwer beschädigt wurden (USDOS 12.4.2022). Immer wieder kommt es speziell in den Lagern Mieh-Mieh und Ein El Hilweh zu schweren bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen extremistischen Gruppierungen (Jund al-Scham, Abdullah-Azzam-Brigaden, Ansar Allah etc.). Die libanesischen Sicherheitskräfte greifen in diese Auseinandersetzungen entgegen der bisherigen per Abkommen geregelten Praxis, immer häufiger ein, weil die eigentlich zuständigen palästinensischen Sicherheitsbehörden zunehmend überfordert scheinen (AA 5.12.2022). Die Gebäude in den Lagern sind alt und jederzeit einsturzgefährdet, die Infrastruktur ist unzureichend, die Wasserqualität schlecht und die Abfallentsorgung nicht vorhanden. Aufgrund der schlechten Wohnverhältnisse und der fehlenden sanitären Einrichtungen in den Lagern sind übertragbare Krankheiten unter den Flüchtlingen ebenfalls weit verbreitet (WRMEA 28.1.2022). Einzelne Hinweise deuten auch darauf hin, dass Kinderarbeit in den palästinensischen Flüchtlingslagern weit verbreitet ist (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 25.1.2023
- Al-Shabaka (7.3.2022): The Mobilizing Power of Palestinians in Lebanon, https://al-shabaka.org/commentaries/the-mobilizing-power-of-palestinians-in-lebanon/, Zugriff 24.1.2023
- ECHO - Directorate-General for European Civil Protection and Civil Aid Operations (11.11.2022): Where We Work – Lebanon, https://civil-protection-humanitarian-aid.ec.europa.eu/where/middle-east/lebanon_en, Zugriff 24.1.2023
- PCBS - Palestinian Central Bureau of Statistics (21.12.2017): New census: 174422 Palestinian refugees in Lebanon, http://www.pcbs.gov.ps/post.aspx?lang=en&ItemID=3013, Zugriff 24.1.2023
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (2.2016): The situation of Palestinian Refugees in Lebanon, http://www.refworld.org/pdfid/56cc95484.pdf, Zugriff 25.1.2023
- UNRWA - United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (21.10.2022): Hitting Rock Bottom - Palestine Refugees in Lebanon Risk their Lives in Search of Dignity, https://reliefweb.int/report/lebanon/hitting-rock-bottom-palestine-refugees-lebanon-risk-their-lives-search-dignity-enar, Zugriff 24.1.2023
- UNRWA - United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (o.D.a): Where We Work, https://www.unrwa.org/where-we-work/lebanon, Zugriff 24.1.2023
- UNRWA - United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (o.D.b): Palestine Refugees, https://www.unrwa.org/palestine-refugees, Zugriff 25.1.2023
- UNRWA - United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (o.D.c): Protection Baseline Study of Non - ID Palestinians in Lebanon (Local/International), https://www.unrwa.org/sites/default/files/isp_protection_baseline_study_of_non_id_palestinians_in_lebanon.pdf, Zugriff 25.1.2023
- UNRWA - United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (o.D.d): Palestine refugees from Syria in Lebanon, https://www.unrwa.org/palestine-refugees-syria-lebanon, Zugriff 25.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2074032.html, Zugriff 25.1.2023
- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 25.1.2023
- WRMEA - Washington Report On Middle East Affairs (28.1.2022): Palestinians Continue to Suffer in Lebanese Refugee Camps, https://www.wrmea.org/jordan-lebanon-syria/palestinians-continue-to-suffer-in-lebanese-refugee-camps.html, Zugriff 25.1.2023
Grundversorgung und Wirtschaft
Der Libanon befindet sich seit drei Jahren in einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die zu den schlimmsten der Welt zählt (WB 14.4.2022; vergleiche NPR 5.6.2022). Die wirtschaftliche Situation hat sich seit Oktober 2019 immer weiter verschlechtert (EUI 12.1.2022; vergleiche AA 5.12.2022). Mitten in dieser Krise forderte die Explosion im August 2021 im Hafen von Beirut mehr als 200 Tote, mehr als 6.500 Verletzte und 300.000 Obdachlose. Dieses verheerende Ereignis verschlimmerte die ohnehin schon katastrophale sozioökonomische Lage im Land (EUI 12.1.2022).
Die Währung des krisengeschüttelten Libanon, die einst einen Wert von 1.500 pro USD hatte, ist seit Ende 2019 auf Talfahrt und hat seitdem über 90 % ihres Wertes verloren (ABCNEWS 19.1.2023; vergleiche TNN 19.1.2023, KAKE 20.1.2023). Die Finanzkrise hat drei Viertel der Bevölkerung in die Armut gestürzt, und Millionen von Menschen haben mit einer der höchsten Inflationsraten der Welt zu kämpfen (ABCNews 19.1.2023). Der drastische Verfall der Währung treibt die Inflation weiter in die Höhe, die sich seit Juli 2020 im dreistelligen Bereich bewegt. Die Inflation lag im Jahr 2021 bei durchschnittlich 150 % und in der ersten Hälfte des Jahres 2022 bei durchschnittlich 218 % und erreichte im Januar 2022 einen Höchststand von 240 % (im Vergleich zum Vorjahr). Der Inflationsdruck wurde durch den Anstieg der weltweiten Lebensmittelpreise seit Beginn des Ukraine-Kriegs noch verschärft. Die Inflation wirkt wie eine höchst regressive Steuer, die die Armen und Schwachen der libanesischen Gesellschaft unverhältnismäßig stark trifft, zumal Grunderzeugnisse, darunter Lebensmittel, die Haupttreiber der Gesamtinflation sind (WB 23.11.2022). Im Juni 2022 lag die Inflation bei Lebensmitteln bei 332 % (WB 23.11.2022; vergleiche HRW 12.1.2023). Der Libanon zählt zu den weltweit am stärksten verschuldeten Staaten (WZ 4.11.2022). Die wirtschaftliche Schrumpfung und die Währungsabwertung tragen zu einer ohnehin schon unhaltbaren Schuldendynamik bei. Die öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt erreicht den Prognosen zufolge im Jahr 2021 172,5 % und im Jahr 2022 180,7 % (WB 23.11.2022). Im Jahr 2020 trugen Auslandsüberweisungen in der Höhe von 6,63 Mrd. USD zu ungefähr 25,6 % des BIP im Libanon bei. Für Familien, die Gelder aus dem Ausland erhalten, machen die Überweisungen im Durchschnitt 40 % des gesamten Haushaltseinkommens aus und ermöglichen dadurch den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, die sonst nur schwer leistbar wären (WKO 10.2022).
Am 4.4.2022 gab der stellvertretende Premierminister die Illiquidität des Libanon und der Libanesischen Zentralbank (Banque de Liban, BDL) bekannt, nachdem der Staat seine Schulden nicht begleichen konnte (WKO 10.2022). Der Zusammenbruch der Banken, der durch ausbleibende Investoren und nicht gedeckte Schulden ausgelöst wurde, hat für einen Großteil der Menschen gravierende Auswirkungen. Die Staatsanwaltschaft fror kurzerhand über Nacht sämtliche Guthaben von 20 Banken ein. Betroffen sind auch Fremdwährungen. Es werden im Höchstfall an Sparer nur wenige hundert Dollar pro Monat ausgezahlt. Die nie per Gesetz legalisierte Kapitalkontrolle betrifft alle Bürger, sofern diese noch nicht in die Armut abgerutscht sind (WZ 4.11.2022). Inmitten der sich verschärfenden und ausweitenden Bankenkrise im Libanon, hat die Frustration bei einigen Anlegern zu radikalen Maßnahmen geführt, als die Landeswährung auf dem Schwarzmarkt einen neuen Tiefstand gegenüber dem Dollar erreichte (WKO 10.2022). So kam es zu vermehrten Banküberfällen von verzweifelten Kunden, die ihre Geldeinlagen einforderten um ihre Ersparnisse gegen den Kursverfall zu retten (WKO 10.2022; vergleiche WZ 4.11.2022; PC 27.12.2022). Infolgedessen erklärten die libanesischen Banken Mitte September 2022 einen Generalstreik und verlangten staatliche Maßnahmen, um ein sicheres Arbeitsumfeld zu gewährleisten. Nachdem für eine Woche sämtliche Banken geschlossen waren, hat der libanesische Bankenverband erklärt, dass die Banken in begrenzten Umfang für Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Krankenhäusern wieder geöffnet sind (WKO 10.2022). Manche Banken haben Betonmauern und Stacheldraht um ihre Gebäude gezogen, damit aufgebrachte Bürger sie nicht mehr stürmen können (WZ 9.1.2023).
Laut einer von der Staatendokumentation des BFA in Auftrag gegebenen Umfrage des Instituts Statistics Lebanon sind lediglich 34,84 % der in der Studie befragten Libanesen durchgehend erwerbstätig, während 17,74 % einer Gelegenheitsarbeit nachgehen (SL 2022). Steigende Arbeitslosigkeit, eine abwertende Landeswährung, eine explodierende Inflation und die Streichung von Subventionen haben es vielen Menschen erschwert, ihre Grundbedürfnisse zu decken (HRW 12.12.2022). Inzwischen wurden fast alle Subventionen auf Treibstoff, Nahrungsmittel und medizinische Güter abgebaut (AA 5.12.2022). Die Preise für Strom, Wasser und Gas sind in die Höhe geschnallt und stiegen zwischen Juni 2021 und Juni 2022 um 595 % (HRW 12.1.2023). Immer mehr Erwachsene lassen Mahlzeiten ausfallen oder können sich keine Medikamente leisten, gleichzeitig müssen immer mehr Kinder arbeiten gehen, um ihre Familien zu unterstützen. Erschwerend kommt hinzu, dass der anhaltende Krieg in der Ukraine die Preise für Grundnahrungsmittel und Energie weiter in die Höhe treibt. Vor dem Krieg bezog der Libanon 80 % der gesamten Weizeneinfuhren aus der Ukraine und 15 % aus Russland, wie aus libanesischen Zollangaben hervorgeht. Niedrige Einkommen und dreistellige Inflationsraten führen dazu, dass sich viele Menschen lebenswichtige Güter und Dienstleistungen nicht mehr leisten können (HRW 12.12.2022). Dreiviertel der Bevölkerung, insb. im Nord-Libanon (Region Akkar), in der nördlichen Bekaa-Ebene (insb. Region Hermel) sowie in Süd-Libanon, leben an oder unter der Armutsgrenze von ca. 4 USD pro Tag (AA 5.12.2022; vergleiche ACAP 31.5.2022). 82 % der Bevölkerung leben in mehrdimensionaler Armut in Bezug auf das Einkommen und verschiedene Aspekte der Lebensbedingungen (ACAP 31.5.2022; vergleiche UNESCWA 3.9.2021). Gefährdete Bevölkerungsgruppen, darunter vertriebene Syrer, palästinensische Flüchtlinge aus Syrien (PRS) und palästinensische Flüchtlinge im Libanon (PRL), sind besonders von einem starken Anstieg der Armut, Lücken in wichtigen Versorgungsketten und Einschränkungen beim Zugang zu Nahrungsmitteln, Gesundheitsversorgung, Bildung und anderen grundlegenden Dienstleistungen betroffen (GoL & UN 1.2022; vergleiche HRW 12.1.2023).
Rund zwei Millionen Menschen im Libanon, darunter 1,29 Millionen Libanesen und 700.000 syrische Flüchtlinge, sind derzeit von Ernährungsunsicherheit betroffen (UN 19.1.2023; vergleiche KAKE 20.1.2023). Die erste integrierte Analyse der akuten Ernährungsunsicherheit im Libanon (Integrated Food Security Phase Classification, IPC) prognostiziert, dass sich die Situation zwischen Januar und April 2023 weiter verschlechtern wird. Der Analyse zufolge ist die akute Ernährungsunsicherheit der libanesischen Bevölkerung im Bezirk Akkar am höchsten, gefolgt von Baabda, Baalbek und Tripoli (UN 19.1.2023). Laut Human Rights Watch hat die Ernährungsunsicherheit ein alarmierendes Ausmaß erreicht, was dazu führt, dass viele Familien, darunter auch Kinder, regelmäßig hungern müssen (HRW 12.12.2022). Laut der Umfrage von Statistics Lebanon schaffen es lediglich 13,55 % der Befragten, ihre Familien ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. Eine Mehrheit von 71,94 % der Befragten kann ihren Haushalt gerade noch mit ausreichend Lebensmitteln versorgen (36,13 %) oder kann dies kaum noch tun (35,81 %) (SL 2022).
Auch die Elektrizitätsversorgung im Libanon ist weiterhin unzureichend. Fast 34 % des Stroms geht durch „technische Verluste“ wie Netzausfälle und „nichttechnische Verluste“, einschließlich Diebstahl, verloren. Seit der Explosion am Beiruter Hafen hat sich im ganzen Land die Stromversorgung, allem voran durch die immer schlimmer werdende finanzielle Situation, extrem verschlechtert. Zuletzt führte der Mangel an Treibstoff in den wichtigsten Kraftwerken des Landes zu einem flächendeckenden Zusammenbruch des Stromnetzes (WKO 10.2022). Des Weiteren kann sich die libanesische Regierung den Brennstoff für die lokalen Kraftwerke nicht leisten. Somit kommt es zu Stromausfällen, welche bis zu 22 Stunden pro Tag dauern (WKO 10.2022; vergleiche HRW 12.1.2023). Die meisten Haushalte besitzen trotz der nahezu täglichen Stromausfälle noch immer keinen Generator, bzw. kann die Hausgemeinschaft sich den Treibstoff für den Betrieb der Aggregate nicht mehr leisten (WZ 15.1.2023). Während die weit verbreiteten Stromausfälle alle Libanesen betreffen, hat die Krise die Ungleichheit im Land noch verschärft (HRW 12.1.2023).
Die Gespräche zwischen der libanesischen Regierung und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) haben zu einer Einigung über ein Unterstützungsprogramm im Wert von rund 3 Mrd. USD für die nächsten 46 Monate geführt. Ein finanzieller Sanierungsplan zum Schutz der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft wurde jedoch nicht aufgenommen (DW 19.1.2023). Der Libanon muss außerdem noch entscheidende Struktur- und Finanzreformen durchführen, die erforderlich sind, um 3 Mrd. USD an IWF-Hilfe freizusetzen (TNN 17.1.2023).
Versicherungsdienstleistungen
Das libanesische Sozialschutzsystem ist ein zweigeteiltes Modell, das eine Sozialversicherung für die Bessergestellten und Sozialhilfe für die extrem Armen vorsieht, während ein großer Teil der Menschen mit mittlerem oder niedrigem Einkommen ausgeschlossen ist. Die Sozialversicherung umfasst eine Reihe von beitragsabhängigen Programmen über den Nationalen Sozialversicherungsfonds (NSSF), die an eine formelle Beschäftigung in einem Arbeitsmarkt gebunden sind, der überwiegend informell ist, sodass viele keinen Anspruch auf das Programm haben (HRW 12.12.2022). Laut einer Studie der Internationale Arbeitsorganisation (ILO) können lediglich 22,2 % der Beschäftigungsverhältnisse in der Stichprobe als formell bezeichnet werden, während 67,4 % aller Beschäftigten im informellen Sektor tätig sind. Syrer und Palästinenser weisen mit 95 % bzw. 93,9 % einen extrem hohen Anteil an informeller Beschäftigung auf (ILO 12.8.2021). Für arme Libanesen besteht bislang nur ein rudimentäres System der sozialen Sicherung in Form des nationalen Armutsprogramms (NPTP) (AA 5.12.2022). Trotz des alarmierenden Ausmaßes der Ernährungsunsicherheit ist die Abdeckung gering: Nach eigenen Angaben des Programms profitieren 3,5 % der Bevölkerung von dem Programm (HRW 12.12.2022). Anderen Angaben zufolge erhalten derzeit lediglich 63.993 Familien Nahrungsmittelhilfe in Höhe von 20 USD pro Kopf/pro Monat im Rahmen des NPTP. Die Unterstützung macht ca. 2/3 Drittel des im August 2022 festgelegten Survival Minimum Expenditure Basket (SMEB) aus. Die Anzahl der Haushalte soll bis Januar 2023 auf 75.000 erhöht werden (AA 5.12.2022). Während der Covid-19-Pandemie initiierte die Regierung außerdem das Programm Emergency Social Safety Net (ESSN), das mit einem Weltbankdarlehen in Höhe von 246 Millionen USD für drei Jahre finanziert wurde, um den Schutz und die Bereitstellung von Sozialleistungen für extrem arme Haushalte auszuweiten. Die Einführung des Programms begann im März 2022 mit dem Ziel, bis 2025 786.000 Personen, etwa 11,6 % der Bevölkerung, mit Bargeld zu unterstützen (HRW 12.12.2022). Die Einführung eines weiteren sozialen Sicherungsprogramms „ratio card“-System der Regierung für etwa 500.000 Haushalte wurde 2021 angekündigt, aber bislang nicht umgesetzt. Es existiert zudem weder eine allgemeine Arbeitslosen- noch eine Rentenversicherung. Wesentliches Element sozialer Sicherung ist die Familie, daneben karitative und religiöse Einrichtungen (immer nur für die jeweilige Religionsgruppe) (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 23.1.2023
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- ACAP - The Assessment Capacities Project (31.5.2022): https://www.acaps.org/sites/acaps/files/products/files/20220531_acaps_briefing_note_lebanon_impact_of_crisis_on_children.pdf, Zugriff 20.1.2023
- DW - Deutsche Welle (19.1.2023): Lebanon's middle class vanishes as economy collapses, https://www.dw.com/en/lebanons-middle-class-vanishes-as-economy-collapses/a-64442064, Zugriff 23.1.2023
- EUI - European Union Institute (12.1.2022): Lebanon: How the Post War’s Political Economy Led to the Current Economic and Social Crisis, https://cadmus.eui.eu/bitstream/handle/1814/73856/QM-01-22-031-EN-N.pdf, Zugriff 20.1.2023
- GoL & UN - Government of Lebanon and the United Nations [Lebanon] (1.2022): Lebanon Crisis Response Plan 2022-2023, https://www.3rpsyriacrisis.org/wp-content/uploads/2022/06/LCRP-2022_FINAL.pdf, Zugriff 23.1.2023
- HRW - Human Rights Watch (12.12.2022): Lebanon: Rising Poverty, Hunger Amid Economic Crisis, https://www.hrw.org/news/2022/12/12/lebanon-rising-poverty-hunger-amid-economic-crisis, Zugriff 23.1.2023
- ILO - International Labour Organization (12.8.2021): Assessing Informality and Vulnerability among Disadvantaged Groups in Lebanon: A Survey of Lebanese, and Syrian and Palestinian Refugees, https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---arabstates/---ro-beirut/documents/publication/wcms_816649.pdf, Zugriff 23.1.2023
- KAKE (20.1.2023): Lebanon to restore UN payments 'immediately' after losing voting rights in General Assembly, https://www.kake.com/story/48197739/lebanon-to-restore-un-payments-immediately-after-losing-voting-rights-in-general-assembly, Zugriff 23.1.2023
- NPR - National Public Radio (5.6.2022): Lebanon's hospitals are running out of medicine and staff in ongoing economic crisis, https://www.npr.org/sections/goatsandsoda/2022/06/05/1102214169/lebanons-hospitals-are-running-out-of-medicine-and-staff-in-ongoing-economic-cri, Zugriff 20.1.2023
- PC - Purlitzer Center (27.12.2022): My Money or Your Life: The Bank Robbers of Beirut, https://pulitzercenter.org/stories/my-money-or-your-life-bank-robbers-beirut, Zugriff 23.1.2023
- SL - Statistics Lebanon Ltd, Hrsg.: Country of Origin Information Unit (Staatendokumentation), BFA (2022): Lebanon. Socio-economic survey 2022
- TNN - The National News (19.1.2023): Workers hopeless as Lebanese pound plummets to 50,000 to the dollar, https://www.thenationalnews.com/mena/lebanon/2023/01/19/workers-hopeless-as-lebanese-pound-plummets-to-50000-to-the-dollar/, Zugriff 23.1.2023
- TNN - The National News (17.1.2023): Lebanon’s tax revenue more than halved from 2019-2021, IMF says, https://www.thenationalnews.com/business/economy/2023/01/17/lebanons-tax-revenue-more-than-halved-from-2019-2021-imf-says/, Zugriff 23.1.2023
- UN - United Nations (19.1.2023): Around 2 million facing food insecurity across Lebanon, https://news.un.org/en/story/2023/01/1132642, Zugriff 23.1.2023
- UNESCWA - United Nations Economic and Social Commission for Western Asia (3.9.2021): Multidimensional poverty in Lebanon (2019-2021) - Painful reality and uncertain prospects, https://www.unescwa.org/sites/default/files/news/docs/21-00634-_multidimentional_poverty_in_lebanon_-policy_brief_-_en.pdf, Zugriff 23.1.2023
- WB - World Bank (23.11.2022): LEBANON ECONOMIC MONITOR: Time for an Equitable Banking Resolution, https://documents1.worldbank.org/curated/en/099927411232237649/pdf/IDU08288b3490ed820409e0886a08ea1efef93be.pdf, Zugriff 23.1.2023
- WB - World Bank (14.4.2022): Lebanon's Economic Update — April 2022, https://www.worldbank.org/en/country/lebanon/publication/economic-update-april-2022, Zugriff 20.1.2023
- WKO – Wirtschatskammer Österreich [Österreich] (10.2022): Außenwritschaft – Wirtschaftsbericht Libanon, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/libanon-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 23.1.2023
- WZ - Wiener Zeitung (15.1.2023): Krisenstaat ohne Exit-Strategie, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2134289-Krisenstaat-ohne-Exit-Strategie.html, Zugriff 23.1.2023
- WZ - Wiener Zeitung (9.1.2023): "Wir haben hier nur noch Zombiebanken", https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2173684-Wir-haben-hier-nur-noch-Zombiebanken.html, Zugriff 23.1.2023
Medizinische Versorgung
Staatliche Krankenhäuser gibt es in allen größeren Städten. Auch sehr spezielle Behandlungen (Operationen am offenen Herzen, Krebstherapien) können im Land grundsätzlich durchgeführt werden. Die Nachversorgung kriegsbedingter Behinderungen ist möglich (inkl. Transplantationen). Lediglich Patienten mit sehr seltenen oder schwersten Erkrankungen müssen zwingend ins Ausland überwiesen werden, etwa schwerste Brandverletzungen (AA 5.12.2023). Die Wirtschaftskrise im Libanon hat allerdings auch Folgen für den Betrieb von Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen. Es mangelt an Intensivstationen, Dialyseeinheiten und Kühlketten, was Sterilisations- und Diagnoseverfahren beeinträchtigt (ACAPS 31.5.2022). Aufgrund von Personalmangel und Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten, Treibstoff, Strom und Wasser müssen libanesische Krankenhäuser die Bereitstellung von Gesundheitsleistungen rationieren und Prioritäten setzen (ACAPS 31.5.2022; vergleiche NPR 5.6.2022). Dies beeinträchtigt vor allem die Qualität der Gesundheitsversorgung von Frauen und Kindern erheblich (UNICEF 21.4.2022; vergleiche NPR 5.6.2022).
Die Abwanderung tausender Ärzte und Krankenpflegepersonal aus dem Libanon, der Mangel an Medikamenten und medizinischem Material sowie Stromausfälle haben das Gesundheitswesen in eine Krise gestürzt (HRW 12.1.2023). Seit 2019 haben fast 40 % der Ärzte und 30 % des registrierten Krankenpflegepersonal den Libanon aufgrund der Wirtschaftskrise dauerhaft oder vorübergehend verlassen. Der daraus resultierende Personalmangel hat dazu geführt, dass Krankenhäuser Stationen geschlossen haben, was ihre Fähigkeit, Gesundheitsdienstleistungen zu erbringen, beeinträchtigt (ACAPS 31.5.2022). Fast alle privaten Krankenhäuser schlossen einige ihrer Abteilungen. Seit Sommer 2021 haben viele Abteilungen wieder geöffnet und die Honorare für Ärzte und für das Krankenpflegepersonal wurden in libanesischen Pfund minimal angepasst. 18 der 163 privaten Krankenhäuser sind aufgrund der finanziellen Situation von der Schließung bedroht (MedCOI 17.6.2022).
Angesichts der explodierenden Inflation haben einige private Krankenhäuser die Behandlungspreise mindestens verdoppelt und zahlreiche Mitarbeiter entlassen (AA 5.12.2022). Die meisten Krankenhäuser haben etwa 40 % ihrer Kapazitäten abgebaut. Bspw. mussten einige der Abteilungen für offene Herzchirurgie im Libanon geschlossen werden, weil das Fachpersonal und die Chirurgen für offene Herzchirurgie das Land aufgrund der Wirtschaftskrise verlassen hatten (MedCOI 17.6.2022). Die Versorgung mit Medikamenten hat sich in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 rapide verschlechtert; selbst einfache Schmerzmittel sind oft schwer zu bekommen; seit November 2021 sind die Subventionen für Medikamente praktisch abgeschafft, so dass viele Medikamente nicht mehr erschwinglich sind (AA 5.12.2022; vergleiche MedCOI 17.6.2022).
Eine im September 2021 veröffentlichte UN-Studie stellte fest, dass der Prozentsatz der Haushalte, die keine medizinische Versorgung erhielten, von 9 % im Jahr 2019 auf 33 % im Jahr 2021 gestiegen war. Die Zahl der Menschen, die keine Medikamente mehr bekommen konnten, hatte sich innerhalb von zwei Jahren sogar verdoppelt (AI 29.3.2022). Neben dem Medikamentenmangel führt der Mangel an Treibstoff dazu, dass die libanesischen Krankenhäuser nur mit 50 % ihrer Kapazität arbeiten können. Als Folge der staatlichen Stromrationierung, die die Verfügbarkeit von Strom auf zwei bis drei Stunden pro Tag beschränkt, kommt es in den Krankenhäusern weiterhin zu Stromausfällen. Aufgrund des Treibstoffmangels sind die Krankenhäuser nicht in der Lage, Ersatzgeneratoren zu betreiben. Dieses anhaltende Problem bedroht die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten im Land und wird dies wahrscheinlich auch weiterhin tun, da die Treibstofflieferanten Schwierigkeiten haben, die für die Aufrechterhaltung der Kette erforderlichen Devisen zu beschaffen (ACAPS 31.5.2022).
Der Libanon ist eines von 30 Ländern, die im Jahr 2022 Cholera Ausbrüche gemeldet haben (BMJ 19.1.2023). Der Ausbruch hat sich über die acht Gouvernorate des Libanon (20 der 26 Bezirke) ausgebreitet. Bis zum 17.1.2023 wurden insgesamt 6.158 mögliche und bestätigte Cholerafälle und 23 damit verbundene Todesfälle gemeldet, was einer Sterblichkeitsrate von 0,37 % entspricht. Die Zahl der Cholerafälle ist in den letzten Wochen deutlich zurückgegangen, wobei die meisten Fälle seit Anfang 2023 aus der Bekaa-Region und in geringerem Maße aus Akkar und dem Berg Libanon gemeldet wurden. Seit dem 9.12.2022 wurden keine neuen Todesfälle mehr registriert (OCHA et al. 18.1.2023).
Versicherungsdienstleistungen
Der Nationale Sozialversicherungsfonds (NSSF) [auch: Caisse Nationale de la Sécurité Sociale (CSSN)], der größte beschäftigungsbasierte Anbieter von Sozialleistungen, ist nahezu zahlungsunfähig und hat den Versicherten ihre Arztrechnungen nicht erstattet (HRW 12.1.2023; vergleiche TPS 22.3.2022). Der NSSF bietet seit seiner Gründung im Jahr 1965 einen völlig unzureichenden Versicherungsschutz. Ausgeschlossen sind dabei bspw. informell Beschäftigte und Arbeitslose. Sobald ein NSSF-Versicherter seinen Arbeitsplatz verliert, hat er keinen Anspruch mehr auf Krankenversicherungsschutz. Sie bietet keine Versicherung gegen Arbeitsunfälle oder Berufsrisiken, obwohl dies im Gründungsgesetz vorgesehen war. Trotz seiner erheblichen Defizite bot der NSSF dennoch einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung – c.a. 1.2 Millionen Menschen (Xinhua 21.12.2021) – ein Mindestmaß an sozialem Schutz (TPS 22.3.2022).
Neben privater wie staatlicher Krankenversicherung können Behandlung und Medikation für mittellose und/oder aus dem Ausland zurückkehrende Libanesen durch eine Überweisung des Gesundheitsministeriums an dessen Vertragskrankenhäuser (darunter auch renommierte Kliniken wie das American University Hospital oder das Hôtel Dieu in Beirut) und Vertragsärzte erfolgen. Die Vertragskrankenhäuser des Gesundheitsministeriums sind verpflichtet, vom Gesundheitsministerium zugewiesene Patienten im Rahmen einer monatlichen Quote aufzunehmen. Sie wehren sich gelegentlich – soweit diese Quote überschritten wird oder besonders „teure“ Fälle darunter sind – mit juristischen oder bürokratischen Maßnahmen gegen die Überweisung oder versuchen, Einzelpersonen an eine karitative Organisation „weiterzureichen“. Parallel existiert ein vom Gesundheits- und Sozialministerium gefördertes Netzwerk von „Erstversorgungseinrichtungen“, die häufig von Nichtregierungsorganisationen betrieben werden. Diese nehmen einfache Behandlungen (Impfungen/Gabe von Generika/Röntgen etc.) gegen eine Gebühr vor. Rückkehrende können grundsätzlich auch eine – allerdings kostspielige – private Krankenversicherung abschließen. Bei UNRWA registrierte palästinensische Flüchtlinge werden grundsätzlich vom Gesundheitsdienst der UNRWA versorgt, doch deckt diese Versorgung Leistungen der Nachsorge (qualifizierte Krankenhausversorgung) nur unzureichend ab. Andere Flüchtlinge und Ausländer haben keinen Zugang zur staatlichen Krankenversorgung und müssen ihre Behandlungskosten selbst tragen oder eine private Krankenversicherung abschließen. Für ältere Personen oder bei Vorerkrankungen kann es ausgeschlossen oder prohibitiv teuer sein, eine private Krankenversicherung abzuschließen (AA 5.12.2022). Die steigende Nachfrage nach öffentlichen Gesundheitsdiensten verschärft das Problem, da immer mehr Libanesen, die ihre Gesundheitsversorgung in erster Linie über den privaten Sektor in Anspruch nahmen, sich die Kosten aber nicht mehr leisten konnten, Zugang zu öffentlichen Gesundheitsdiensten suchen. Dem öffentlichen Gesundheitssektor fehlt es an Kapazitäten, um die gestiegene Nachfrage zu bewältigen (ACAPS 31.5.2022).
Der Libanon ist darüber hinaus das einzige Land in der MENA-Region ohne ein offizielles Rentensystem für Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft (TPS 22.3.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.1.2023): Libanon: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/libanonsicherheit/204048, Zugriff 19.1.2023
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
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- ACAPS - The Assessment Capacities Project (31.5.2022): https://www.acaps.org/sites/acaps/files/products/files/20220531_acaps_briefing_note_lebanon_impact_of_crisis_on_children.pdf, Zugriff 19.1.2022
- AI - Amnesty International (29.3.2022): Libanon 2021, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/libanon-2021, Zugriff 19.1.2023
- BMJ - British Medical Journal Health & Care Informatics (19.1.2023): Cholera is back but the world is looking away, https://www.bmj.com/content/380/bmj.p141, Zugriff 20.1.2023
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 19.1.2023
- Local Doctor via EUAA MedCOI (17.6.2022): AVA 15758, Zugriff 19.1.2023
- NPR - National Public Radio (5.6.2022): Lebanon's hospitals are running out of medicine and staff in ongoing economic crisis, https://www.npr.org/sections/goatsandsoda/2022/06/05/1102214169/lebanons-hospitals-are-running-out-of-medicine-and-staff-in-ongoing-economic-cri, Zugriff 19.1.2023
- OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs / UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees / UNICEF - United Nations Children’s Fund & WHO - Wolrd Health Organization (18.1.2023): Lebanon Cholera Outbreack Situation Report No 8, 18 January 2023, https://reliefweb.int/report/lebanon/lebanon-cholera-outbreak-situation-report-no-8-18-january-2023, Zugriff 20.1.2023
- TPS - The Public Source (22.3.2022): The Full Story Behind the Looming Collapse of the National Social Security Fund, https://thepublicsource.org/social-security-lebanon, Zugriff 20.1.2023
- UNICEF - United Nations Children’s Fund (21.4.2022): Die Krise im Libanon bedroht die Gesundheit der Kinder, https://unicef.at/news/einzelansicht/die-krise-im-libanon-bedroht-die-gesundheit-der-kinder/, Zugriff 19.1.2023
- Xinhua (21.12.2021): Lebanese losing end of service benefits to local currency devaluation, http://www.news.cn/english/2021-12/21/c_1310386538.htm, Zugriff 20.1.2023
Rückkehr
Die Einreisekontrollen an den Grenzübergängen und am internationalen Flughafen Beirut sind strikt. Reise- und Dokumentendaten werden seit 1995 an allen Einreisestellen erfasst und sind durch die General Security zentral abrufbar. Es ist möglich, sich gegen eine geringe Gebühr die Ein- und Ausreisebewegungen aus dem Libanon bescheinigen zu lassen. Personen ohne gültige Dokumente werden erfasst und an der Einreise gehindert. Der Libanon erkennt keine von EU-Staaten für libanesische Staatsangehörige oder Staatenlose ausgestellten Heimreisepapiere an (AA 5.12.2022; vergleiche DIS 9.2022). Libanesische Staatsbürger können nicht ohne Vorlage eines Reisepasses bzw. eines von der zuständigen libanesischen Auslandsvertretung ausgestellten Heimreisedokuments (z. B. Laissez-Passer) einreisen (AA 5.12.2022).
Es sind keine Fälle bekannt, in denen libanesische Staatsbürger, die, beispielsweise aus Deutschland, abgeschoben wurden, aus diesem Grund eine diskriminierende Behandlung im Libanon erfahren haben. Sie werden wie alle Einreisenden von den Sicherheitsbehörden überprüft. Ein besonderes staatliches Interesse an dieser Personengruppe ist nicht erkennbar. In Abwesenheit verurteilte Personen werden bei der Einreise in Strafhaft genommen und verbüßen die verhängte Haftstrafe. Sie haben unmittelbar nach Haftantritt die Möglichkeit, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen. Das Verfahren wird vollständig neu durchgeführt, und es gilt das Verbot der „reformatio in peius“ [Verschlechterungsverbot]. In solchen Fällen sind keine Vorwürfe von Folter oder Misshandlung bekannt (AA 5.12.2022).
Laut Bericht des Danish Immigration Service (DIS) sträuben sich die libanesischen Behörden seit Mai 2018 den staatenlosen palästinensischen Flüchtlingen aus dem Libanon (PRLs), die sich im Ausland aufhalten, die Rückkehr in den Libanon zu gestatten, wenn sie keine Aufenthaltsgenehmigung in dem Land haben, in dem sie sich derzeit aufhalten. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rückkehr freiwillig oder zwangsweise erfolgen soll. Die Zahl der erfolgreichen Rückführungen innerhalb dieses Zeitraums ist sehr begrenzt. Anträge für neue oder zu verlängernde palästinensische Reisedokumente sowie die Ausstellung von Laissez-passer für PRLs werden vom libanesischen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und Emigranten auf Eis gelegt. Es begründet dies damit, dass der Libanon bereits genug Flüchtlinge beherbergt und von der internationalen Gemeinschaft angesichts der großen Anzahl von Flüchtlingen im Libanon keine ausreichende Unterstützung erhält (DIS 9.3.2020). Laut offiziellen Angaben der libanesischer Botschaft Berlin ist für die Ausstellung eines Reisedokuments [DDV – Document de Voyage] für Palästinensische Volkszugehörige aus dem Libanon ein Aufenthaltstitel für Deutschland bzw. eine Bescheinigung der zuständigen Ausländerbehörde, dass ein Aufenthaltstitel vorliegt bzw. erteilt werden kann, notwendig (BL 11.2021). Ausländische Staatsangehörige, vor allem Syrer und Palästinenser, bei denen der Verdacht einer irregulären Einreise nach Deutschland besteht, müssen damit rechnen, dass ihnen die Einreise in den Libanon verweigert wird. Dies kann auch trotz einer aktuell gültigen Aufenthaltserlaubnis für Deutschland der Fall sein (AA 19.1.2023). Besteht bei der Einreise in den Libanon der Verdacht, dass ein Drittausländer vormals illegal nach Europa gelangt ist, verweigern libanesische Grenzbehörden die Einreise. Luftfahrtunternehmen sind dann in der Pflicht, den Passagier zurück zu befördern und pro Passagier wird ein Bußgeld in Höhe von derzeit 2.000 USD erhoben (AA 5.12.2022).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.1.2023): Libanon: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/libanonsicherheit/204048, Zugriff 19.1.2023
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 19.1.2023
- BL - Botschaft des Libanon in der Bundesrepublik Deutschland [Libanon] (11.2021): Erforderliche Dokumente zur Beantragung eines elektronisch lesbaren Reisedokuments (DDV) für palästinensische Volkszugehörige aus dem Libanon (gültig ab November 2021), http://www.libanesische-botschaft.info/images/forms/info-ddv-de-Nov2021.pdf, Zugriff 19.1.2023
- DIS - Danish Immigration Service (9.3.2020): Lebanon, Report on stateless Palestinian refugees from Lebanon and their possibility to reenter Lebanon from a third country (Report based on a Fact Finding Mission to Beirut, Lebanon, from 7 to 10 January 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2026439/Landerapport+Lebanon+Marts+2020.pdf, Zugriff 19.1.2023
2.2. Das BVwG stützt sich im Hinblick auf diese Feststellungen auf folgende Erwägungen:
2.2.1. Der oben unter Punkt römisch eins. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsakts des Bundesverwaltungsgerichts.
2.2.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat den entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens erhoben und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens sowie die aus seiner Sicht bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen klar und übersichtlich zusammengefasst. Das BVwG schließt sich im entscheidungswesentlichen Umfang diesen Ausführungen mit den nachstehenden Erwägungen an.
2.2.3. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Einklang mit dem Akteninhalt.
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde, sowie auf der Kenntnis und Verwendung einer für den Libanon gebräuchlichen Sprache und auf den Kenntnissen der geografischen Gegebenheiten des Libanon. Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren.
Der Beschwerdeführer hat weder vor der belangten Behörde noch vor dem Bundesverwaltungsgericht Dokumente, die seine Identität zweifelsfrei belegen hätten können und mit seinen Identitätsangaben übereinstimmen würden, im Original vorgelegt.
Dass er Moslem sunnitischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe ist, sagte der Beschwerdeführer glaubhaft aus.
Die Feststellungen zu seiner regionalen Herkunft, seinem Personenstand, seiner Kinderlosigkeit, seiner schulischen Ausbildung, seiner im Libanon ausgeübten Erwerbstätigkeit, zum sonstigen persönlichen Umfeld bzw. zu den Lebensumständen im Libanon, zur legalen Ausreise aus dem Libanon im April 2022 und der Einreise nach Österreich konnten aufgrund einer Zusammenschau der diesbezüglich glaubhaften, weil nachvollziehbaren und plausiblen, Schilderungen des BF in der Erstbefragung und vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im gegenständlichen Verfahren getroffen werden. Die Angaben des BF waren im Wesentlichen stringent und es ist kein Grund ersichtlich, warum der Beschwerdeführer etwa in Bezug auf seine privaten und familiären Verhältnisse oder seine zuletzt beruflich ausgeübten Tätigkeiten falsche Angaben hätte machen sollen.
Wann der Beschwerdeführer den Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt hat, ist in unbedenklichen Urkunden/ Unterlagen dokumentiert. Es ist auch naheliegend, dass der Beschwerdeführer, kurz bevor er den Antrag auf internationalen Schutz stellte, in das Bundesgebiet eingereist ist. Die Feststellungen zur unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet ergeben sich aus dem diesbezüglich unbestrittenen Akteninhalt sowie aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer in Umgehung der die Einreise regelnden Vorschriften ohne die erforderlichen Dokumente in Österreich einreiste.
Die Feststellungen über den Aufenthalt eines Onkels in der Bundesrepublik Deutschland, die Lebenssituation des Beschwerdeführers in Österreich und die fehlenden Aspekte einer Integration in Österreich beruhen auf den bisherigen Angaben vor der belangten Behörde und im gegenständlichen Beschwerdeverfahren.
Die Feststellungen über die Lebenssituation des Beschwerdeführers in Österreich und die fehlenden Aspekte einer Integration in Österreich beruhen (im Umkehrschluss) auf den bisherigen Angaben vor der belangten Behörde und im gegenständlichen Beschwerdeverfahren. Der BF verfügt über keinerlei „familiäre“ Anknüpfungspunkte in Österreich. Sein privater und familiärer Lebensmittelpunkt lag zuletzt im Libanon. Dem BF wurde bereits in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 12.04.2023 ausreichend Gelegenheit eingeräumt, alle für die Entscheidung wesentlichen Umstände vorzubringen. Dabei ist es dem BF jedoch nicht gelungen, durch konkrete und substantiierte Ausführungen darzulegen, warum entgegen der Ansicht des BFA dennoch vom Vorliegen eines schützenswerten Privat- und Familienlebens auszugehen sei. Auch in der Beschwerde vermochte der BF der Beurteilung des BFA nichts Konkretes entgegenzusetzen, was zu einer anderen Beurteilung der privaten Situation des BF in Österreich führen könnte. Es ist dem BF in einer Gesamtschau daher nicht gelungen, darzulegen, dass ihm zum Schutz des Privat- und Familienlebens ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen sei, wobei diesbezüglich auch auf die detaillierten Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung unter Punkt 3.3.4. verwiesen wird.
Dass der Beschwerdeführer seit seiner erstmaligen Hauptwohnsitzmeldung am 11.05.2022 - abgesehen von einer kurzzeitigen Unterbrechung von 03.06.2022 bis 08.06.2022 - über eine aufrechte Meldeadresse im österreichischen Bundesgebiet verfügt, ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister. Dass der BF seit seiner Antragstellung im April 2022 laufend Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, ergibt sich wiederum aus einer Einsichtnahme in das Betreuungsinformationssystem.
Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich entspricht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichts (Einsichtnahme in das Strafregister).
Den Daten des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister kann schließlich entnommen werden, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nie nach Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG 2005 geduldet war. Hinweise darauf, dass sein weiterer Aufenthalt zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig wäre oder der Beschwerdeführer im Bundesgebiet Opfer von Gewalt im Sinn der Paragraph 382 b, oder Paragraph 382 e, EO wurde, kamen im Verfahren nicht hervor und es wurde auch kein dahingehendes Vorbringen erstattet, sodass keine dahingehenden positiven Feststellungen getroffen werden können.
2.2.4. Die Feststellungen zum Vorbringen des Beschwerdeführers bzw. dessen Fluchtgründen und zu seiner Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung und in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, den getroffenen Länderfeststellungen sowie auf den Ausführungen in der Beschwerde.
Die Feststellung zum Nichtvorliegen einer asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen Gefährdung des Beschwerdeführers ergibt sich einerseits aus dem seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des Bundesverwaltungsgerichts als nicht asylrelevant erachteten Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer Bedrohung und Verfolgung sowie andererseits aus den detaillierten, umfangreichen und aktuellen Länderfeststellungen zur Lage im Libanon.
Hinweise auf asylrelevante die Person des Beschwerdeführers betreffende Bedrohungssituationen konnte dieser nicht dartun.
2.2.4.1. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl basiert - entgegen den Ausführungen in der Beschwerde vergleiche etwa AS 134 ff) - auf einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren und fasst in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammen. Das Bundesamt hat sich mit dem individuellen Vorbringen auseinandergesetzt und in zutreffenden Zusammenhang mit der Situation des Beschwerdeführers gebracht.
2.2.4.2. Das belangte Bundesamt legte im Rahmen der Beweiswürdigung dar, dass es dem BF nicht gelungen sei, ein asylrelevantes Fluchtvorbringen darzutun. Das belangte Bundesamt erachtete das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er den Libanon wegen der allgemein angespannten Sicherheitssituation, den allgemein schlechten Lebensbedingngen und der schwierigen Lage am Arbeitsmarkt verlassen habe, grundsätzlich für glaubhaft und führte aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen könne, zumal eine allgemein angespannte Sicherheitsituation, schlechte Lebensbedingungen und wirtschaftliche Gründe nicht asylrelevant seien. Dem ist seitens des Bundesverwaltungsgerichtes nicht entgegenzutreten.
Der BF brachte im gesamten Verfahren, somit in seiner Erstbefragung und seiner Einvernahme vor dem BFA stets vor, dass er den Libanon wegen der allgemein angespannten Sicherheitssituation und weil er keine Waffe tragen wolle sowie den allgemein schlechten Lebensbedingngen und der schwierigen Lage am Arbeitsmarkt verlassen habe. Auf konkrete Nachfrage hat der BF eine konkrete Bedrohung oder Gefährdung dezidiert verneint vergleiche AS 46 und 47).
Eine konkrete Verfolgung/ Gefährdung seiner Person wurde somit in diesem Zusammenhang nicht geltend gemacht.
Wenn der Beschwerdeführer ausführt, dass er es ablehne eine Waffe zu tragen (ohne dies näher zu begründen) so ist der vollständigkeithalber auszuführen, dass im Libanon die allgemeine Wehrpflicht im Jahr 2006 abgeschafft und die Armee in eine Berufsarmee umgewandelt wurde. Der Zugang zum Militärdienst ist nicht an ethnische oder religiöse Kriterien gebunden (AA 5.12.2022). Im Alter von 17 bis 25 Jahre können Männer und Frauen im Libanon den freiwilligen Militärdienst ableisten (CIA 11.1.2023). Zwar ergibt sich aus dem LIB auch, dass die Vereinten Nationen (UN) für das Jahr 2021 die Rekrutierung und den Einsatz von 32 Jungen im Alter von 11 bis 17 Jahren durch nicht identifizierte bewaffnete Gruppen (24), Fath al-Islam (3), Hizbollah (2), Jund Ansar Allah (1), Saraya al-Muqawama7 (1) und Da'esh (1) bestätigten (UNGA & UNSC 23.6.2022), jedoch hat der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens dargetan, dass je von einer dieser bewaffneten Gruppen versucht wurde, ihn persönlich und konkret zu rekrutieren, weswegen sich weitere dahingehende Überlegungen erübrigen.
Die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichts schließt sich daher der Argumentation der belangten Behörde an, dass der Beschwerdeführer den Libanon ausschließlich augrund der allgemein angespannte Sicherheitsssituation, den allgemein schlechten Lebensbedingngen und der schwierigen Lage am Arbeitsmarkt bzw. dem Wunsch nach Arbeitsaufnahme in Europa verlassen hat und dass diesen keine Asylrelevanz zukommen kann.
Vor dem Hintergrund, dass ein Onkel des Beschwerdeführers in der Bundesrepublik Deutschland seit mehreren Jahrzehnten aufhältig ist und eine Einreise oder ein Erhalt eines Aufenthaltstitels für den Beschwerdeführer für die Bundesrepublik Deutschland oder Österreich nach den fremdenrechtlichen oder niederlassungsrechtlichen Bestimmungen offenbar nicht möglich war, bestätigt sich daher die Ansicht des BFA und des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Asylantragstellung lediglich zum Zwecke des Erhalts eines Aufenthaltstitels für Österreich erfolgte. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz unter Umgehung der fremdenrechtlichen Bestimmungen einzig (offensichtlich missbräuchlich) zur Erreichung eines Aufenthaltstitels für Österreich nach dem Asylgesetz eingebracht wurde. Verstärkt wird dieser Eindruck auch dadurch, dass der BF im Rahmen der Einvernahme am 12.04.2023 nach erfolgter Rückübersetzung die Frage stellte, obe er nach Deutschland könne, wenn sein Onkel für ihn eine Bürgschaft übernehme.
2.2.4.3. Die Feststellungen zur Rückkehrmöglichkeit ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung leidet, sich nicht in medizinischer Behandlung befindet, keine Medikamente einnimmt, aktuell gesund ist und keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung angehört, ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer im bisherigen Verfahren diesbezüglich keinerlei gegenteiligen Angaben getätigt hat. Zu Beginn der Erstbefragung verneinte der BF Beschwerden oder Krankheiten zu haben, die ihn an dieser Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen würden (AS 7). In der Einvernahme vor dem BFA am 12.04.2023 bestätigte der BF, dass er gesund sei. Er verneinte explizit in ärztlicher Behandlung zu stehen oder Medikamente einzunehmen (AS 45). Es ist daher von keiner - schon gar keiner schwerwiegenden - Erkrankung des Beschwerdeführers auszugehen. Dass der Beschwerdeführer Gründe haben könnte, insofern wahrheitswidrige Aussagen zu tätigen, ist nicht im Geringsten ersichtlich.
Die Feststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers beruhen auf dessen Ausführungen im gegenständlichen Verfahren im Hinblick auf die mehrjährige Schulausbildung und die Berufserfahrung im Herkunftsstaat. Ferner brachte der Beschwerdeführer - wie zuvor erörtert - keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor, welche die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen würden und äußerte der BF im Zuge der Einvernahme vor dem BFA am 12.04.2023 auch den Wunsch, im Bundesgebiet bleiben zu können, um hier zu zu arbeiten. In Anbetracht der Schulbildung und Berufserfahrung des BF sowie der Sprachkenntnisse geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass es dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar ist, durch Aufnahme einer unselbständigen oder selbständigen Tätigkeit ein ausreichendes Einkommen zur Selbsterhaltung zu erwirtschaften.
Die Feststellungen zur einer Ansiedlung des Beschwerdeführers in seiner Herkunftsregion und deren Folgen, ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben des Beschwerdeführers. Die Feststellung zur Prognose, dass sich der Beschwerdeführer in seiner Herkunftsregion eine Existenz aufbauen kann, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Der Beschwerdeführer kann zunächst beispielsweise bei seinem Vater und/oder seinen 4 Geschwister, die ebenfalls weiterhin problemlos in dessen Herkunftsregion leben, eine Unterkunft finden. Der Beschwerdeführer ist mit der libanesischen Kultur und den libanesischen Gepflogenheiten sozialisiert. Er kann sich daher im Libanon zurechtfinden, zumal er in seiner Herkunftsregion die Schule besuchte. Der Beschwerdeführer hat eine mehrjährige Schulausbildung und verfügt über Berufserfahrung als Fliesenleger. Der gesunde Beschwerdeführer ist zudem im erwerbsfähigen Alter, volljährig und arbeitsfähig. Er kann zumindest anfangs durch manuelle Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten für sein Auskommen sorgen. Dabei wird durchaus berücksichtigt, dass es durch die COVID-19 bedingten Einschränkungen nicht einfach für den Beschwerdeführer sein wird, Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten zu finden. Der Beschwerdeführer kann von seinen Familienangehörigen im Libanon zumindest vorübergehend (finanziell) unterstützt werden.
Das Bundesverwaltungsgericht geht daher aufgrund dieser Umstände davon aus, dass sich der Beschwerdeführer nach anfänglichen Schwierigkeiten im Libanon erneut niederlassen und sich dort eine Existenz ohne unbillige Härten aufbauen kann.
2.4.4.4. Die seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vorgenommene Beweiswürdigung ist im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze in sich schlüssig und stimmig. Sie steht auch im Einklang mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Behörde einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen kann, wenn der Asylwerber während des Verfahrens im Wesentlichen gleich bleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen. Als glaubhaft könnten Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 6.3.1996, 95/20/0650).
Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch-empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, Paragraph 45, AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: "Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (...)"; vergleiche auch VwGH 18.06.2014, Ra 2014/01/0032, wonach der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß Paragraph 17, VwGVG 2014 in Verbindung mit Paragraph 45, Absatz 2, AVG auch für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht uneingeschränkt gelte.)
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts ist unter Heranziehung dieser, von der höchstgerichtlichen Judikatur festgelegten Prämissen für den Vorgang der freien Beweiswürdigung dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht entgegenzutreten.
2.2.4.5. Der Beschwerdeführer machte in der Beschwerde zwar u. a. eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend, er bestritt die schlüssige Beweiswürdigung jedoch keineswegs substantiiert und brachte auch keine relevante Neuerung hinsichtlich der Fluchtgründe vor.
Der Beschwerdeführer rügte zwar die Verletzung von Verfahrensvorschriften, inwieweit (konkret) die belangte Behörde (die) Verfahrensvorschriften verletzt habe, zeigt er aber nicht nachvollziehbar auf und ist diesbezüglich anzumerken, dass das Protokoll der Einvernahme vor dem BFA den Eindruck vermittelt, dass der Organwalter den Beschwerdeführer ausführlich und objektiv zu seinem behaupteten Herkunftsstaat und seinem Fluchtvorbringen befragt und ihn mit entscheidungswesentlichen Fragen konfrontiert hat. Bei Betrachtung der gegenständlichen Niederschrift kann dieser Vorwurf daher nicht nachvollzogen werden. Die Asylbehörde hat die materielle Wahrheit von Amts wegen zu erforschen. Hierbei kann oftmals nur auf eine genaue Befragung des Asylwerbers zurückgegriffen werden. Hinsichtlich der Fragestellung lassen sich aber keine Besonderheiten feststellen und bei genauer Betrachtung hinterlässt die Niederschrift den Eindruck, dass sie den konkreten Verlauf wiedergibt. Der Niederschrift ist weiters nicht zu entnehmen, dass der BF während der Einvernahme diese Beanstandung kundtat, was aber seiner Mitwirkungsverpflichtung entsprochen hätte. Zur Vollständigkeit sei erwähnt, dass der BF am Ende der Einvernahme vor dem BFA am 12.04.2023 nach der Rückübersetzung der Niederschrift keine Einwendungen gegen die Niederschrift vorbrachte. Des Weiteren bestätigte der BF, dass er die Dolmetscherin einwandfrei verstanden habe.
Der Beschwerdeführer wurde im Rahmen des Asylverfahrens umfassend niederschriftlich vom BFA einvernommen, wobei er in dieser Einvernahme die Gelegenheit hatte, sich zu seinen Verfolgungsgründen und Rückkehrbefürchtungen zu äußern. Das BFA beließ es dabei nicht bei offenen Fragen, sondern versuchte auch durch konkrete Fragestellung den Grund seiner Furcht und zu erwartende Rückkehrprobleme zu erhellen, was nach Ansicht der erkennenden Richterin auch hinreichend geschehen ist. Die Verpflichtung der Behörde zur amtswegigen Ermittlungspflicht geht nicht so weit, dass sie in jeder denkbaren Richtung Ermittlungen durchzuführen hätte, sondern sie besteht nur insoweit, als konkrete Anhaltspunkte aus den Akten (etwa das Vorbringen der Partei (VwSlg 13.227 A/1990) dazu Veranlassung geben (VwGH 4.4.2002, 2002/08/0221)).
Die Behörde ist auch im Rahmen der Refoulementprüfung nur in dem Umfang zu amtswegigen Ermittlungen verhalten, in dem ein ausreichend konkretes, eine maßgebliche Bedrohung aufzeigendes Vorbringen erstattet wird, nicht aber zur Prüfung, ob die Partei denkbarerweise irgendwelchen Gefährdungen ausgesetzt wäre vergleiche VwGH 18.05.2006, 2005/21/0034, 3.9.1997, 96/01/0474, 30.9.1997, 96/01/0205).
2.2.4.6. Insofern in der Beschwerdeschrift ausgeführt wird, dass sich der BF von Kriminellen bedroht fühle und der Staat Libanon weder schutzfähig noch –willig sei und auch eine Verfolgung durch Private asylrelevant sei, so ist auszuführen, dass aus dem subjektiven Sicherheitsgefühl des BF vor einer Gefährdung durch Kriminelle kein GFK-Konex ableitbar ist und gehen diese Ausführungen in der Beschwerde folglich ins Leere.
2.2.4.7. Wenn in der Beschwerdeschrift moniert wird, dass die belangte Behörde in nicht erkennbarer Weise dargelegt habe, warum sie die Angaben des BF für unglaubwürdig halte und die Beweiswürdigung unschlüssig sei, so ist abermals festzuhalten, dass die belangte Behörde das Vorbringen des BF, dass er sein Heimatland wegen der allgemeinen angespannten Sicherheitssituation und der schlechten Lebensbedingungen sowie aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe, dem Verfahren zu grunde gelegt hat und muss dieser Einwand in der Beschwerde folglich ebenso ins Leere gehen.
2.2.4.8. Die Rüge in der Beschwerde, dass die Begründung Paragraph 60, AVG verletzte, geht jedenfalls ins Leere. Die Bescheidbegründung bezweckt insbesondere, die Parteien über die von der Behörde angestellten Erwägungen zu unterrichten und ihnen damit eine zweckmäßige Rechtsverfolgung zu ermöglichen. Genau dies hat das BFA getan, was auch durch die Beschwerdeausführungen belegt wurde. Auch das Bundesverwaltungsgericht vermag an der Begründung der belangten Behörde keine entscheidungswesentlichen rechtswidrigen Mängel entdecken.
Im Ergebnis ist es dem Beschwerdeführer mit der Beschwerde weder gelungen eine wesentliche Unschlüssigkeit der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen, noch ist er dieser im Rahmen der Anfechtungsbegründung in substantiierter Form entgegengetreten. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, dass der Beschwerdeführer entweder in begründeter Form eine maßgebliche Unrichtigkeit der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung dargetan oder Argumente vorgebracht hätte, die einerseits zu einer anderen Gewichtung oder Bewertung der verfahrensgegenständlichen Beweismittel führen würden oder aus denen andererseits im Rahmen der allgemeinen Denklogik eine Prävalenz des von ihm dargestellten Geschehnisablaufs gegenüber jenem von der Verwaltungsbehörde angenommenen hervorleuchtet, was im Ergebnis zu einer anders gelagerten Wahrscheinlichkeitsbeurteilung des der weiteren rechtlichen Würdigung zugrunde zu legenden historisch-empirischen Sachverhalts führen würde.
2.2.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:
2.2.5.1. Die getroffenen Feststellungen zur Situation im Libanon (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Datum der Veröffentlichung 01.03.2023), ergeben sich aus den in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid bzw. Erkenntnis angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen, denen weder der Beschwerdeführer noch dessen gewillkürte Vertretung in der Beschwerde - wie nachfolgend dargelegt - substantiiert entgegentreten sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Es ist allgemein zu den Feststellungen auszuführen, dass es sich bei den herangezogenen Quellen zum Teil um staatliche bzw. staatsnahe Institutionen handelt, die zur Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet sind.
Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates über den berichtet wird zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann.
Bei Berücksichtigung der soeben angeführten Überlegungen hinsichtlich des Inhalts der Quellen unter Berücksichtigung der Natur der Quelle und der Intention derer Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin um ausreichend ausgewogenes Material.
Angesichts der erst kürzlich ergangenen Entscheidung der belangten Behörde, weisen die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit auf. In Anbetracht der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Der BF trat den Quellen und deren Kernaussagen zu den herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage im Libanon auch nicht substantiiert entgegen. Die maßgeblichen Länderinformationen, die die Behörde und daran anknüpfend die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichts den Feststellungen als Beweismittel zugrunde gelegt hat, erscheinen schlüssig, richtig und vollständig.
Mit seinem nunmehrigen Beschwerdevorbringen, die Behörde habe nicht alle zur Beurteilung des Sachverhalts notwendigen aktuellen Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in Zusammenhang mit den Fluchtgründen getroffen, wendet sich der Beschwerdeführer nicht substantiiert gegen die von der Behörde herangezogenen Länderinformationen und die darauf beruhenden Feststellungen. Hinsichtlich der Würdigung der vorgebrachten Fluchtgründe verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die bisherigen Ausführungen. Inwieweit konkret entscheidungswesentliche Länderinformationen bzw. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat fehlen würden, bringt der Beschwerdeführer nicht vor. Dass sich die Situation in seiner Heimatstadt anders darstellen würde, als sie die Behörde und das Bundesverwaltungsgericht aufgrund des aktuellen Länderinformationsblatts für den gesamten Herkunftsstaat feststellten, legt der Beschwerdeführer ebenso wenig dar, wie er die Relevanz der angeblichen Mängel aufzeigt.
Im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage ist zur Vollständigkeit anzumerken, dass das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die vorhandenen Aktivitäten der Hisbollah bzw. der im Libanon aktiven militanten Gruppen in den vom BFA herangezogenen Länderinformationsquellen hinreichend dokumentiert sind und wird auch festgestellt, dass die Sicherheitslage im Libanon instabil ist und der Libanon mit einer nicht unerheblichen terroristischen Bedrohung konfrontiert ist. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt ebenso wenig dass die Sicherheitslage im Libanon in manchen Bereichen prekär ist. Ebenso ist als notorisch bekannt anzusehen, dass sich am 4. August 2020 im Hafen von Beirut eine verheerende Explosion mit 218 Toten und rund 7.000 Verletzten ereignete. 300.000 Menschen wurden obdachlos und große Teile der Stadt wurden stark beschädigt. Tausende zogen in der Folge zu Protesten auf die Straßen und forderten eine umfassendere Aufklärung der Hintergründe der Explosion.
Bei Betrachtung der aktuellen Lageberichte kann jedoch nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Libanon und insbesondere nach Beirut mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr bzw. einer realen Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Aus den diesem Verfahren zu Grunde gelegten Feststellungen ergibt sich zwar, dass sich die aktuelle Sicherheitslage wie auch die Menschenrechtssituation im Libanon angespannt darstellt. Die Situation im Libanon ist aber nicht derart, um von einer "realen Gefahr" einer Verletzung von Artikel 2, EMRK oder Artikel 3, EMRK ausgehen zu müssen. Weiters ergibt sich aus den Feststellungen, dass im Libanon kein Bürgerkrieg herrscht. Ferner ist die Grundversorgung grundsätzlich gewährleistet. Eine allgemeine Gefährdung von allen Rückkehrern wegen des Faktums ihrer Rückkehr lässt sich aus den Quellen ebenso wenig folgern. Dass dem Beschwerdeführer aufgrund sonstiger Umstände (schwere Erkrankung, sonstige besondere Vulnerabilität) die Gründung einer neuen Existenz im Libanon nicht möglich wäre, ergibt sich aus den Feststellungen ebenfalls nicht.
Der Beschwerdeführer konnte in der Beschwerde auch keine Berichte vorlegen oder namhaft machen, die der grundsätzlichen Lageeinschätzung des BFA entgegenstehen würden.
Da der Beschwerdeführer nach Auffassung der Behörde und des Bundesverwaltungsgerichts in seinem – gesamten – Herkunftsstaat keine wie immer geartete Verfolgung, Bedrohung oder sonstige Gefährdung durch den Staat, andere Bevölkerungsteile oder sonstige Privatpersonen zu gewärtigen hatte und dergleichen auch im Falle der Rückkehr nicht zu gewärtigen hätte, erübrigt es sich, auf die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Herkunftsstaat einzugehen. Dasselbe gilt im Übrigen für die Frage der Schutzfähigkeit und -willigkeit der Sicherheitsbehörden im Libanon.
2.2.5.2. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Behörde beziehungsweise das Verwaltungsgericht verpflichtet ist, sich aufgrund aktuellen Berichtsmaterials ein Bild über die Lage in den Herkunftsstaaten der Asylwerber zu verschaffen vergleiche VwGH 30.10.2020, Ra 2020/19/0298). In Ländern mit besonders hoher Berichtsdichte, wozu der Libanon zweifelsfrei zu zählen ist, liegt es in der Natur der Sache, dass die Behörde nicht sämtliches existierendes Quellenmaterial verwenden kann, da dies ins Uferlose ausarten würde und den Fortgang der Verfahren zum Erliegen bringen würde. Vielmehr wird den oa. Anforderungen schon dann entsprochen, wenn es einen repräsentativen Querschnitt des vorhandenen Quellenmaterials zur Entscheidungsfindung heranzieht vergleiche VwGH 11.11.2008, 2007/19/0279). Die der Entscheidung zu Grunde gelegten länderspezifischen Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers können somit zwar nicht den Anspruch absoluter Vollständigkeit erheben, jedoch als so umfassend qualifiziert werden, dass der Sachverhalt bezüglich der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Verbindung mit der Beleuchtung der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat als geklärt angesehen werden kann, weshalb gemäß hg. Ansicht nicht von einer weiteren Ermittlungspflicht, die das Verfahren und damit gleichzeitig auch die ungewisse Situation des Beschwerdeführers unverhältnismäßig und grundlos prolongieren würde, ausgegangen werden kann. Die vom BFA und dem Bundesverwaltungsgericht getroffene Auswahl des Quellenmaterials ist aus diesem Grunde daher ebenso wenig zu beanstanden.
Es wurden somit im gesamten Verfahren keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen.
2.2.6. Insoweit das Bundesamt den Grundsatz des Parteiengehörs gem. Paragraph 45, Absatz 3, AVG verletzt haben mag, zumal dem BF die Länderfeststellungen nicht ausgehändigt wurden und ihm keine Frist zur Stellungnahme eingeräumt wurde, so ist dazu wie folgt auszuführen: Auch wenn das BFA dem Beschwerdeführer das Parteiengehör - etwa durch Nichtvorhalt der vom BFA herangezogenen Länderfeststellungen - versagt haben mag, ist gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vergleiche VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) eine solche Verletzung des Parteiengehörs saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Beschwerde dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der verwaltungsbehördlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten die Berufungsbehörde [nunmehr: das Verwaltungsgericht] das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 10.09.2015, Ra 2015/09/0056). Diese Anforderungen an den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sind erfüllt, eine allfällige Verletzung des Parteiengehörs ist daher durch die Stellungnahmemöglichkeit in der Beschwerde als saniert anzusehen.
2.2.7. Der Beschwerdeführer beantragte in seiner Beschwerdeschrift eine mündliche Verhandlung bzw. persönliche Einvernahme. Hierbei wurde aber nicht angeführt, was bei einer weiteren - persönlichen Einvernahme im Asylverfahren - konkret an entscheidungsrelevantem und zu berücksichtigendem Sachverhalt noch hervorkommen hätte können. Das Fluchtvorbringen hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitssituation sowie der wirtschaftlichen/privaten Gründe wurde ohnehin dem Verfahren zugrunde gelegt und handelt es sich dabei um eine Rechtsfrage in Bezug auf die Asylrelevanz bzw. den Verfolgungsbegriff und keine Thematik der Beweiswürdigung, weshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben konnte.
2.2.8. Der Beschwerdeschriftsatz enthält im Übrigen keine konkreten Ausführungen, die zu einer anders lautenden Entscheidung führen könnten und vermag daher die erkennende Richterin auch nicht zu weiteren Erhebungsschritten und insbesondere auch nicht zur Abhaltung einer mündlichen Verhandlung veranlassen, wobei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu keinem anderen Verfahrensausgang geführt hätte.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit, Schutz im EWR-Staat oder in der Schweiz oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins,, Abschnitt A, Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Artikel eins, Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Nach Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974,, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung". Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist vergleiche zB. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0069; VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 15.03.2015, Ra 2015/01/0069; VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472.
Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 09.04.1997, Zl. 95/01/055; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse vergleiche VwGH 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; VwGH 16.02.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose vergleiche VwGH 22.01.2021, Ra 2021/01/0003)
Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein vergleiche VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; jüngst VwGH 23.02.2021, Ra 2020/18/0500).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt (VwGH 28.04.2015, Ra 2014/19/0177; VwGH 12.06.2020, Ra 2019/18/0440); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183, VwGH 08.06.2000, 99/20/0203).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 18.11.2015; Ra 2015/18/0220; VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108).
Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann weiters nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203, VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0291, VwGH 07.09.2000, Zl. 2000/01/0153, VwGH 20.05.2015, Ra 2015/20/0030; VwGH 29.01.2020, Ra 2019/18/0228, ua.)
3.1.2. Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht der erkennenden Richterin die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund nicht gegeben.
Der Beschwerdeführer vermochte nämlich keine asylrelevante Verfolgung darzutun.
Die erkennende Richterin legt - wie bereits das BFA - das Vorbringen des Beschwerdeführers der rechtlichen Beurteilung zugrunde, und konnte der Beschwerdeführer keine Umstände dartun, die die Annahme rechtfertigen würden, dass er in seinem Heimatstaat einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt sei, und konnten daher die von ihm geltend gemachten Fluchtgründe nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen. Es ist dem Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang nicht gelungen, eine gezielt und konkret gegen ihn gerichtete, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende, Asylrelevanz erreichende Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darzutun.
3.1.2.1. Der Beschwerdeführer brachte glaubhaft vor, den Libanon wegen der allgemein schlechten Sicherheitssituation und den schlechten Lebensbedingungen verlassen zu haben. Was nun die allgemeine Sicherheitssituation bzw. allgemeinen Probleme aufgrund einer unsicheren Sicherheitslage im Libanon betrifft, so handelt es sich dabei nicht um eine individuell gegen den BF gerichtete Verfolgung. Der Beschwerdeführer hat eine individuell gegen ihn gerichtete asylrelevante Verfolgung somit nicht vorgebracht:
Das Asylrecht schützt Personen, gegen die mit staatlichen Maßnahmen von erheblicher Intensität in Verfolgungsabsicht vorgegangen wird. In diesem Sinne gilt als Verfolgung zielgerichtetes Handeln des Heimatstaates, das sich direkt gegen den einzelnen wendet und in dessen Leib, Leben, Freiheit oder psychische Integrität eingreift. Nicht als Verfolgung gilt aber ein Nachteil, der sich aus der allgemeinen Situation ergibt. Nachteile, welche auf die allgemeinen politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Lebensbedingungen in einem Staat zurückzuführen sind, stellen keine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes dar.
Eine Kriegssituation oder eine allgemein schlechte Situation bzw. Unruhen im Heimatstaat indizieren nach der ständigen Rechtsprechung, aber auch nach der Auslegung, die die Genfer Flüchtlingskonvention in anderen Staaten und auf internationaler Ebene gefunden hat, für sich allein nicht die Flüchtlingseigenschaft.
Das Asylrecht hat nicht die Aufgabe, vor den allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die aus Krieg, Bürgerkrieg, Revolution und sonstigen Unruhen hervorgehen.
Wesentlich für den Flüchtlingsbegriff ist die Furcht vor einer gegen den Asylwerber selbst konkret gerichteten Verfolgungshandlung, nicht die Tatsache, dass es etwa Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen im Heimatstaat des BF gibt.
Besondere Umstände, dass die Vertreter staatlicher bzw. quasi-staatlich agierender Autoritäten, ein individuell sich gegen die Person des Antragstellers richtendes Interesse an einer Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe gehabt hätten, konnten nicht glaubhaft gemacht werden.
Die vom Beschwerdeführer angedeuteten Beeinträchtigungen (allgemeine Angriffe/ Auseinandersetzungen der militanten/ terroristischen Gruppen) richten sich in ihrer Intension nicht konkret gegen den Beschwerdeführer selbst. Voraussetzung für eine Asylgewährung sind jedoch konkret gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen oder zumindest die wohlbegründete Furcht vor solchen vergleiche Erk. des VwGH v. 17.02.1994, Zl.94/19/0774). Derartiges hat der Beschwerdeführer aber nicht glaubhaft vorgebracht. Hinsichtlich der ins Treffen geführten Nachteile, welche auf die allgemeinen politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen in seinem Heimatstaat zurückzuführen sind, ist festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind. Bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur sind hinzunehmen, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstigen Unruhen entstehen. Ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt vergleiche auch Erkenntnis d. VwGH v. 14.03.1995, Zahl 94/20/0798).
3.1.2.2. Die geltend gemachten wirtschaftlichen/finanziellen Gründe des Beschwerdeführers bzw. der Wunsch nach Arbeitsaufnahme in Österreich oder der Bundesrepublik Deutschland weisen keinen GFK-Konnex auf.
Der Beschwerdeführer hat glaubhaft vorgebracht, dass er sein Heimatland auch wegen der Armut und folglich aus wirtschaftlichen/finanziellen Gründen verlassen hat und beabsichtigt habe, in Europa zur Verbesserung seiner Lebenssituation eine Beschäftigung aufzunehmen.
Der Beschwerdeführer nahm somit nicht einmal ansatzweise auf einen in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Grund Bezug, sondern hat im Besonderen seine wirtschaftliche/finanzielle Lage in seinem Heimatland angeführt. Diese kann jedoch nicht zu einer Asylgewährung führen, setzt eine solche doch konkrete gegen den Asylwerber gerichtete Verfolgung oder Furcht vor Verfolgung voraus. Nachteile, die auf die allgemeinen politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Lebensbedingungen in einem Staat zurückzuführen sind, stellen keine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes dar und sind auch, da eine Existenzbedrohung, respektive wirtschaftliche Nachteile nicht basierend auf den Gründen der GFK vorgebracht wurde, nicht asylrelevant; derartiges (mangelnde Lebensgrundlage) wäre ausschließlich unter Spruchpunkt römisch II. zu prüfen.
Eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A Ziffer 2 Genfer Flüchtlingskonvention liegt somit nicht vor und es braucht daher auf die Frage der Schutzwilligkeit und -fähigkeit der staatlichen Organe vor derartigen Bedrohungen sowie des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mehr eingegangen werden; vergleiche überdies bereits oben unter 2.2.5.1.
3.1.2.3. Ferner ist auszuführen, dass – selbst unter der Annahme, dass ein GFK-Konnex (bspw. wegen Religions- der Volksgruppenzugehörigkeit) gegeben sein sollte - solche Benachteiligungen auf sozialem, wirtschaftlichem oder religiösem Gebiet für die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft nur dann ausreichend sind, wenn sie eine solche Intensität erreichen, die einen weiteren Verbleib des Asylwerbers in seinem Heimatland unerträglich machen, wobei bei der Beurteilung dieser Frage ein objektiver Maßstab anzulegen ist vergleiche Erkenntnis d. VwGH vom 22.06.1994, Ziffer 93 /, 01 /, 0443 ;, VwGH 06.11.2009, 2006/19/1135). Die vom Beschwerdeführer erwähnten Schwierigkeiten erfüllen dieses Kriterium nicht. Die Nachteile, welche der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge zu tragen hatte (etwa geringe Entlohnung), stellen keinen derart gravierenden Eingriff in seine Grundrechte dar, um dem in der Flüchtlingskonvention angesprochenen Sachverhalt zugrunde gelegt werden zu können.
3.1.3. Auch das Vorliegen eines Nachfluchtgrundes ist im gegenständlichen Fall zu verneinen. Nach den getroffenen Feststellungen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass libanesische Staatsangehörige, die aus dem Ausland in ihre Heimat zurückkehren, nunmehr asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt wären.
3.1.4. In einer Gesamtschau sämtlicher Umstände und mangels Vorliegens einer aktuellen Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des BFA daher abzuweisen.
3.2. Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon
3.2.1. Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 hat die Behörde einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z1), wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine "reale Gefahr" einer Verletzung von Artikel 2, EMRK (Recht auf Leben), Artikel 3, EMRK (Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung) oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 (Abschaffung der Todesstrafe) zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, ist mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung nach Paragraph 7, zu verbinden (Absatz 2, leg cit). Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offen steht (Absatz 3, leg cit).
Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung sind zunächst konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein „real risk“ einer gegen Artikel 3, MRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174). Die anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236; VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwN). Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236; VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwH).
Unter "realer Gefahr" ist in diesem Zusammenhang eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen vergleiche VwGH 99/20/0573 v. 19.2.2004 mwN auf die Judikatur des EGMR. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). So auch der EGMR in stRsp, welcher anführt, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller "Beweise" zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt - so weit als möglich - Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (zB EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005).
3.2.2. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Beweisverfahrens kann nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in sein Herkunftsland einer existentiellen Gefährdung noch einer sonstigen Bedrohung ausgesetzt sein könnte, sodass die Abschiebung eine Verletzung des Artikel 3, EMRK bedeuten würde. Eine Gefährdung durch staatliche Behörden bloß aufgrund des Faktums der Rückkehr ist nicht ersichtlich, auch keine sonstige allgemeine Gefährdungslage durch Dritte.
Der Beschwerdeführer hat weder eine lebensbedrohende Erkrankung noch einen sonstigen auf seine Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstand" behauptet oder bescheinigt, der ein Abschiebungshindernis im Sinne von Artikel 3, EMRK in Verbindung mit Paragraph 8, Absatz eins, AsylG darstellen könnte.
Im Libanon erfolgen weder grobe, massenhafte Menschenrechtsverletzungen unsanktioniert, noch ist nach den seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl getroffenen Feststellungen von einer völligen behördlichen Willkür auszugehen ist, weshalb auch kein "real Risk" (dazu jüngst VwGH vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582) einer unmenschlichen Behandlung festzustellen ist.
Im Rahmen der bei Beurteilung des subsidiären Schutzes auch vorzunehmenden Prüfung, ob der Antragsteller einer "ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts" ausgesetzt wäre (Artikel 15, Buchst. c Status-RL) ist nicht gefordert, dass der Antragsteller beweist, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Eine solche Bedrohung liegt auch dann vor, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein vergleiche EuGH 17.02.2009, Rs. C-465/07, Elgafaji, Rn 45).
Wie bereits oben ausgeführt wurde, hat der Beschwerdeführer keine ihn konkret drohende aktuelle, an asylrelevante Merkmale iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität bzw. keine sonstigen für eine aktuell drohende unmenschliche Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe dargetan. Es kann angesichts der Feststellungen auch sonst nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass ihn im Libanon eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität oder eine sonstige relevante (allgemeine oder individuelle) Bedrohung oder Gefährdung erwarten würde.
Betreffend die Sicherheitslage im Libanon - der Beschwerdeführer stammt aus der zweitgrößten Stadt Tripoli - ist mit Blick auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers in diesem Zusammenhang auf die Länderfeststellungen im gegenständlichen Erkenntnis zu verweisen, wonach sich die Sicherheitslage im Libanon in den vergangenen Jahren zwar verschlechtert hat und sich als volatil erweist. Die allgemeine Sicherheitslage ist durch die Proteste und den wirtschaftlichen Niedergang auch unübersichtlicher geworden. Es kommt zu Demonstrationen, Straßenblockaden, Streiks und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Gruppierungen sowie zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können die Sicherheitslage im Libanon zudem jederzeit und unvermittelt beeinflussen. So wirken sich die anhaltenden Spannungen mit Israel und der bewaffnete Konflikt in Syrien weiterhin auf den Libanon aus. In der Nähe der syrischen Grenze ereigneten sich in der Vergangenheit des Weiteren wiederholt Kämpfe zwischen extremistischen Gruppierungen und den libanesischen Streitkräften. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen der Armee und militanten Gruppierungen oder zwischen verschiedenen politisch-religiösen Gruppierungen, vor allem in und um Arsal, Ras Baalbek und Qaa. Terroristische Gruppen wie die Hamas, die Palestine Liberation Front, PFLP-General Command, Asbat al-Ansar, Fatah al-Islam, Fatah al-Intifada, Jund al-Sham, der Palästinensische Islamische Dschihad und die Abdullah-Azzam-Brigaden operierten auch weiterhin in Gebieten mit begrenzter Regierungskontrolle, vor allem in den zwölf palästinensischen Flüchtlingslagern. Im ganzen Land besteht das Risiko von terroristischen Akten, vor allem in Tripoli im Norden des Landes und in den südlichen Stadtteilen von Beirut.
Die anhaltenden Spannungen mit Israel und der bewaffnete Konflikt in Syrien haben den Feststellungen zufolge demnach Auswirkungen auf die Sicherheitslage, wobei an dieser Stelle festzuhalten ist, dass die Stadt Tripoli, in welchem der Beschwerdeführer vor der Ausreise lebte, deutlich von jenen Grenzgebieten zu Syrien und Israel entfernt liegt, in welchen (aktuell) Auseinandersetzungen stattfanden bzw. -finden. Des Weiteren ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nicht vorbrachte, von Kampfhandlungen betroffen gewesen zu sein. Eine individuelle Betroffenheit des Beschwerdeführers von Kampfhandlungen ist demnach - schon in Anbetracht seines ständigen Aufenthalts in Tripoli relativ weit weg von den unsicheren Regionen im Norden und Süden bzw. der Grenze zu Syrien - nicht anzunehmen. Eine individuelle Betroffenheit von Kampfhandlungen im Rückkehrfall ist demnach ebenso wenig zu befürchten. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer selbst auch kein substantiiertes Vorbringen dahingehend erstattet, dass er schon aufgrund seiner bloßen Präsenz in seiner Heimatstadt Tripoli mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch terroristische Anschläge, organisierte Kriminalität oder bürgerkriegsähnliche Zustände ausgesetzt wäre.
Die allgemeine Sicherheitslage ist somit jedenfalls nicht dergestalt, dass für ihn die ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt anzunehmen wäre. Besondere Gefährdungsmomente, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Beschwerdeführer in besonderem Maße von etwaigen dort stattfindenden Gewaltakten bedroht wäre, wurden weder in den Einvernahmen noch in der Beschwerde glaubhaft vorgebracht vergleiche dazu VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137).
Es erscheint daher eine Rückkehr des Beschwerdeführers in den Libanon (in die Stadt Tripoli) nicht grundsätzlich ausgeschlossen und aufgrund der individuellen Situation des Beschwerdeführers insgesamt auch zumutbar. Für die hier zu erstellende Gefahrenprognose ist zunächst zu berücksichtigen, dass es dem Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise aus dem Libanon möglich war, offenbar ohne größere Probleme in Tripoli zu leben. Seinem Vorbringen vor dem BFA und in der Beschwerde ist keine gravierende Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit aus Sicherheitsgründen zu entnehmen. Es ist auch zu berücksichtigen, dass es sein Vater und vier Geschwister nicht für erforderlich erachteten den Libanon zu verlassen. Sie leben nach wie vor problemlos dort.
Da sich der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen somit nicht festgestellt werden, dass für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konflikts besteht.
Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137-14 zur Frage der Zuerkennung von subsidiärem Schutz, in welchem sich der VwGH mit der Frage einer Rückkehrgefährdung iSd Artikel 3, EMRK aufgrund der bloßen allgemeinen Lage (hier: Irak), insbesondere wegen wiederkehrenden Anschlägen und zum anderen einer solchen wegen – kumulativ mit der allgemeinen Lage – zu berücksichtigenden individuellen Faktoren, befasst hat und die Revision gegen das Erkenntnis des BVwG als unbegründet abgewiesen wurde.
Das BVwG verkennt auch nicht, dass sich - den Feststellungen des BFA und des BVwG zugrunde gelegten länderkundlichen Informationen zufolge - die allgemeine Lage in der Herkunftsregion der BF insbesondere aufgrund der Corona-Pandemie und der Explosion im Hafen von Beirut am 04.08.2020 und des dadurch ausgelösten Niedergangs des Wirtschaftslebens bzw. der dadurch bewirkten Zerstörung wichtiger Infrastruktur für Mitglieder der dortigen Zivilbevölkerung als sehr schwierig darstellen kann bis dahin, dass sie in einem Zustand dauerhafter Armut zu leben haben.
Es ist unter Berücksichtigung der individuellen Situation des BF (gesunder junger Mann mit sozialem Netz durch seine Familienangehörigen im Libanon; Schulbildung und Berufserfahrung als Fliesenleger) jedoch nicht ersichtlich, warum dem Beschwerdeführer eine Existenzsicherung im Libanon, auch an anderen Orten bzw. in anderen Landesteilen des Libanon, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten, nicht möglich und zumutbar sein sollte. Es wäre dem Beschwerdeführer letztlich auch zumutbar, durch eigene und notfalls wenig attraktive und seiner Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite, zB. Verwandte, sonstige ihn schon bei der Ausreise unterstützende Personen, Hilfsorganisationen, religiös-karitativ tätige Organisationen - erforderlichenfalls unter Anbietung seiner gegebenen Arbeitskraft als Gegenleistung - jedenfalls auch nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten, beizutragen, um das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen zu können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine oder wenig Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können.
Es gibt auch keine entsprechenden Hinweise darauf, dass eine existenzielle Bedrohung des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine Versorgung und Sicherheit im Libanon gegeben ist.
Im Fall des erwachsenen Beschwerdeführers kann bei einer Gesamtschau nicht davon ausgegangen werden, dass er im Fall einer Rückkehr in den Libanon gegenwärtig einer spürbar stärkeren, besonderen Gefährdung ausgesetzt wäre. Seine Familie, insbesondere sein Vater und vier Geschwister (2 Brüder und 2 Schwester),lebt nach wie vor im Libanon und ist somit ein soziales Netz gegeben, in welches er bei seiner Rückkehr wieder Aufnahme finden wird. Es ist somit nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Libanon völlig allein und ohne jede soziale Unterstützung wäre. Es sind zudem keine Gründe ersichtlich, warum er als Erwachsener nicht selbst im Libanon einer Erwerbstätigkeit nachgehen können sollte. Er ist im Libanon aufgewachsen, hat dort die überwiegende Zeit seines Lebens verbracht und ist dort zur Schule gegangen, wurde dort sozialisiert und es kam nicht hervor, dass er im Libanon keine familiären und privaten Anknüpfungspunkte mehr hat. Sein Vater und seine vier Geschwister leben nach wie vor im Libanon und ist für seine Versorgung im Falle der Rückkehr in den Libanon gesorgt. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass die Verwandten des Beschwerdeführers selbst in bescheidenen Verhältnissen leben, kann aufgrund ihrer Anzahl davon ausgegangen werden, dass zumindest anfänglich eine hinreichende Unterstützung im Wege der Zurverfügungstellung einer temporären Unterkunft und von Gütern des täglichen Bedarfs sowie zumindest im Wege von Geldaushilfen durch die Angehörigen stattfindet. Dass sein Vater derzeit zumindest gelegentlich einer Erwerbstätigkeit nachgeht, belegt außerdem, dass die ökonomische Lage im Libanon sehr wohl dergestalt ist, dass hinreichend Arbeitsmöglichkeiten bestehen und eine Existenzsicherung durch eigene Erwerbstätigkeit möglich ist. Zu beachten ist weiters, dass von Seiten des in der Bundesrepublik Deutschland aufhältigen Onkels auch Geldsendungen, die teilweise sogar mit einer höheren Kaufkraft vor Ort verbunden sind, oder die Übermittlung von Warensendungen (zB. Lebensmittel) in den Libanon möglich sind. Befürchtete Schwierigkeiten beim Zugang zu Wasser, Strom und Treibstoff im Rückkehrfall wurden nicht vorgebracht, sodass ungeachtet der in den Feststellungen dokumentierten Schwierigkeiten, den Zugang zu sauberem Trinkwasser für alle Bevölkerungsschichten sicherzustellen, nicht mit dahingehenden Einschränkungen im Rückkehrfall zu rechnen ist.
Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhalts gem. Artikel 2, und/ oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.
3.2.3. Auch die aktuelle allgemein bekannte COVID-19-Pandemie führt nicht dazu, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfüllt wären. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass schon aus dem Begriff der Pandemie folgt, dass sich die Atemwegserkrankung COVID-19 länder- und kontinentübergreifend ausbreitet. Es handelt sich hierbei definitionsgemäß um eine weltweite Problematik und kein Staat der Welt kann absolute Sicherheit vor dieser Erkrankung bieten, was die aktuellen Entwicklungen in der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika belegen. Es handelt sich weder bei der Pandemie noch bei den von den verschiedenen Staaten weltweit ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung bzw. Verhinderung der Ausbreitung um auf den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers beschränkte Phänomene.
Darüber hinaus ist zu bedenken, dass der BF aufgrund seines Alters und Gesundheitszustands auch nicht zur notorischen Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer allfälligen Erkrankung an COVID-19 zählt vergleiche auch die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, Bundesgesetzblatt Teil 2, 203 aus 2020,). Was die Belastung der libanesischen Wirtschaft durch die COVID-19-Pandemie betrifft, so verkennt die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichts in diesem Zusammenhang nicht, dass im Libanon (wie nahezu weltweit) infolge der gegen die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 ergriffenen Maßnahmen mit wirtschaftlich nachteiligen Entwicklungen zu rechnen ist. Allerdings ist derzeit kein über die kurzfristigen und pandemiebedingten wirtschaftlichen Einbußen hinausgehender Zusammenbruch der libanesischen Wirtschaft zwingend erkennbar. Das Bundesverwaltungsgericht geht ferner davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage – diese ist derzeit infolge der COVID-19-Pandemie weltweit angespannt – nach der Überwindung der COVID-19-Pandemie entspannen wird und außerdem die derzeitigen pandemiebedingten wirtschaftlichen Schwierigkeiten jedenfalls nicht zu einem gänzlichen Entzug der Lebensgrundlage der libanesischen Bürgerinnen und Bürger führen wird, zumal der libanesische Staat doch willens und fähig ist, die Grundversorgung sicherzustellen vergleiche die obigen Ausführungen zur ab Herbst 2021 geplanten Auszahlung einer monatlichen Geldhilfe von 25 US-Dollar pro Person für maximal sechs Personen je bedürftiger Familie). Da der Beschwerdeführer sich darüber hinaus im Fall einer Rückkehr erneut etwa in Form von Hilfsarbeiten beruflich betätigen kann und eine - vorübergehende - Wohnmöglichkeit bei nahen Angehörigen besteht, ist jedenfalls von einer Deckung der Grundbedürfnisse auszugehen.
Eine durch die Lebensumstände im Zielstaat bedingte Verletzung des Artikel 3, EMRK setzt in jedem Fall nach der Rechtsprechung eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr voraus. Die bloße Möglichkeit eines dem Artikel 3, EMRK widersprechenden Nachteils reicht hingegen nicht aus, um Abschiebungsschutz zu rechtfertigen (VwGH vom 06.11.2009, Zl. 2008/19/0174, EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09, zuletzt VwGH 10.03.2021, Ra 2021/19/0060). Nach der derzeitigen Sachlage und der Anzahl an Infizierten wäre daher eine mögliche Ansteckung des Beschwerdeführers im Libanon mit COVID-19 und ein diesbezüglicher außergewöhnlicher Krankheitsverlauf allenfalls spekulativ. Eine reale und nicht auf Spekulationen gegründete Gefahr ist somit nicht zu erkennen. Ergänzend ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer sonstige Bedenken bezüglich der Rückkehrsituation im Lichte der COVID-19-Pandemie auch nicht substantiiert dargelegt hat vergleiche dazu VwGH vom 07.09.2020, Ra 2020/20/0314-6 sowie jüngst VwGH vom 22.01.2021, Ra 2020/01/0423).
3.2.4. Aufgrund der Ausgestaltung des Strafrechts des Herkunftsstaats des Beschwerdeführers (die Todesstrafe wurde zwar nicht abgeschafft, es bestehen jedoch keine glaubhaften Hinweise, dass der Beschwerdeführer einen Sachverhalt verwirklichte, welcher im Libanon mit der Todesstrafe bedroht ist) scheidet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Artikel 2, EMRK, oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe aus.
Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in wesentlichen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechts-verletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vergleiche auch Artikel 3, des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch, jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält, schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthalts aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter Paragraph 8, Absatz eins, AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen zu sein. Ebenso betreffen die festgestellten Problemfelder zu einem erheblichen Teil Bereiche, von denen der Beschwerdeführer nicht betroffen ist.
Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter Paragraph 8, Absatz eins, AsylG subsumierbaren Sachverhalts abgeleitet werden.
Weitere, in der Person des Beschwerdeführers begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.
Somit war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl abzuweisen.
3.3. Zur Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung (Paragraph 57, AsylG sowie Paragraph 52, FPG):
3.3.1. Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt wird.
3.3.2. Gemäß Paragraph 57, Absatz eins, AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
3.3.2.1. Der Beschwerdeführer befindet sich seit Ende April 2022 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde behauptet wurde.
3.3.3. Gemäß Paragraph 52, Absatz 2, FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (Paragraph 10, AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
3.3.3.1. Der Beschwerdeführer ist als libanesischer Staatsangehöriger kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach Paragraph 13, AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.
Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
3.3.4. Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG lautet:
(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraph 45, oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre.
Der Begriff des "Familienlebens" in Artikel 8, EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0037; VwGH 09.09.2021, Ra 2020/22/0174; vergleiche dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Artikel 8 ;, Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vergleiche auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Artikel 8, EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0037 mwN; auch Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Artikel 8, Absatz 2, EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).
3.3.4.1. Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten oder sonstige nahen Angehörigen in Österreich. Die sozialen Kontakte, die der Beschwerdeführer in Österreich unterhält, sind nicht als Familienleben iSd Artikel 8, EMRK zu qualifizieren, weshalb insofern ein Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts zu verneinen ist.
Insoweit ein Onkel in der Bundesrepublik Deutschland lebt, ist schon deshalb mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme keine Trennung von einer im Bundesgebiet zurückbleibenden Person verbunden, was nach VwGH 26.03.2015, 2013/22/0284, eine Berücksichtigung der Beziehungen in der Interessenabwägung freilich nicht obsolet macht. Zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit, wie etwa gegenseitige Unterhaltsgewährung oder eine anderweitige wechselseitige immaterielle Unterstützung, auf die ein Teil zwingend angewiesen wäre, sind im Verfahren bezüglich dieser Person nicht hervorgekommen und wurden auch nicht behauptet. Ein schützenswertes Familienleben im Sinn der zitieren Rechtsprechung liegt daher nicht vor, zumal der Beschwerdeführer - mag auch Kontakt bestehen - explizit verneinte, dass er diese Person beispielsweise in Form persönlicher Begegnungen in der Bundesrepublik Deutschland besucht habe.
Die aufenthaltsbeendende Maßnahme bewirkt somit lediglich einen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers.
Sohin blieb zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung einen unzulässigen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf ein Privatleben in Österreich darstellt.
3.3.4.2. Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008,
Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme unter dem Aspekt einer Verletzung von Artikel 8, EMRK thematisiert.
In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Artikel 8, Absatz 2, EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon 10 Jahre im Aufnahmestaat lebte.
Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Artikel 8, EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist vergleiche Thym, EuGRZ 2006, 541).
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Artikel 8, EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt vergleiche etwa VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0191; VwGH 25.04.2018, Ra 2018/18/0187; vergleiche auch VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwN). Es kann jedoch auch nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen „kann“ und somit schon allein auf Grund eines Aufenthaltes von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen auszugehen wäre vergleiche VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413, mwN).
Liegt - wie im vorliegenden Fall - eine kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs allerdings regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen vergleiche etwa VwGH 10.04.2019 Ra 2019/18/0049, mwN). Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu vergleiche VwGH 16.02.2021, Ra 2019/19/0212 sowie VwGH vom 19.03.2021, Ra 2019/19/0123, mwN). Allerdings nimmt das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 8, BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste vergleiche VwGH 28.02.2019, Ro 2019/01/0003, mwN; dort auch zur Bedeutung einer Lehre iZm Interessenabwägung nach Artikel 8, EMRK).
Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Artikel 8, Absatz 2, EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013; vergleiche zum unsicheren Aufenthaltsstatus auch die Entscheidungen des VwGH vom 27.06.2019, Ra 2019/14/0142, vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0015, vom 06.05.2020, Ra 2020/20/0093 vom 27.02.2020, Ra 2019/01/0471 und zuletzt vergleiche VwGH 05.03.2021, Ra 2020/21/0428).
Für den gegenständlichen Fall ergibt sich Folgendes:
Der Beschwerdeführer ist seit Ende April 2022 in Österreich aufhältig. Er bezieht seit seiner Antragstellung im April 2022 laufend Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und lebt von staatlicher Unterstützung. Der BF war bzw. ist gegenwärtig nicht legal erwerbstätig. Die bisherige Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers beträgt lediglich etwa vierzehneinhalb Monate, womit diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt zweifelsfrei noch zu kurz ist, um bereits jetzt von einer außergewöhnlichen schützenswerten dauernden Integration zu sprechen. In Anbetracht des Umstands, dass der Antrag auf internationalen Schutz unbegründet ist, er versuchte diesen mit einem nichtasylrelevantem Vorbringen zu begründen und der Beschwerdeführer zur Antragstellung illegal in das Bundesgebiet von Österreich eingereist war, sind gravierende öffentliche Interessen festzustellen, die für eine aufenthaltsbeendende Rückkehrentscheidung sprechen. Diese Interessen überwiegen in ihrer Gesamtheit das private Interesse des Beschwerdeführers am weiteren Verbleib, selbst wenn er soziale Kontakte im Bundesgebiet knüpft(e) und sein zukünftiges Leben hier gestalten will. Private und familiäre Interessen von Fremden am Verbleib im Gastland sind jedenfalls weniger stark zu gewichten, wenn diese während eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz begründet werden, da der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt nicht von vornherein von einem positiven Ausgang des Verfahrens ausgehen konnte und sein Status bis zum Abschluss des Verfahrens ungewiss ist. Auch nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bewirkt in Fällen, in denen das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen der Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten, eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Artikel 8, EMRK vergleiche VwGH 26.04.2010, 2007/01/1272 mwN). Der Beschwerdeführer reiste Ende April 2022 in das Bundesgebiet ein und am 12.04.2023 erging im Verfahren des BF der - abweisende - Bescheid des BFA. Der Beschwerdeführer durfte daher gemäß der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz rund elfeinhalb Monate nach seiner Einreise seinen zukünftigen Aufenthalt nicht mehr als gesichert betrachten und nicht mehr darauf vertrauen, in Zukunft in Österreich verbleiben zu können vergleiche VwGH 29.04.2010, 2010/21/0085; zuletzt VwGH 20.12.2012, 2011/23/0341).
Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten in Österreich und befindet sich hier in keiner Lebensgemeinschaft.
Soweit der BF über private Bindungen in Österreich verfügt, ist darauf hinzuweisen, dass diese zwar durch eine Rückkehr in den Libanon gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass der BF hierdurch gezwungen wird, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm in Österreich nahe stehen, gänzlich abzubrechen. Auch hier steht es ihm frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch kurzfristige Urlaubsaufenthalte) aufrechtzuerhalten. Ebenso wäre dem Beschwerdeführer im Falle der Aufenthaltsbeendigung die Aufrechterhaltung des Kontakts zu seinem in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Onkel möglich. Der Vollständigkeit halber weist das Bundesverwaltungsgericht auch darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer generell freisteht, einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet im Wege der Beantragung eines Aufenthaltstitels und einer anschließenden rechtmäßigen Einreise herbeizuführen, zumal gegen ihn kein Einreiseverbot besteht vergleiche die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs VwGH 22.01.2013, 2012/18/0201, 29.06.2017, Ro 2016/21/0007, 17.03.2016, Ro 2016/21/0007, und insbesondere 30.07.2015, Ra 2014/22/0131, sowie Paragraph 11, Absatz eins, Ziffer 3, NAG und die Voraussetzungen für die Erteilung von Visa nach der Verordnung (EU) 2016/399 (Schengener Grenzkodex) und nach dem FPG).
Der Beschwerdeführer übt in Österreich keine erlaubte Beschäftigung aus und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der BF war bzw. ist gegenwärtig nicht legal erwerbstätig und lebt seit seiner Antragstellung im April 2022 im Rahmen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber von staatlicher Unterstützung. Er konnte keine eigenen Existenzmittel in Österreich nachweisen. Des Weiteren beherrscht der BF die deutsche Sprache allenfalls in geringer Weise. Er besucht keinen Deutschkurs. Er ist kein Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation und geht hier keiner ehrenamtlichen oder gemeinnützigen Arbeit nach. Unterstützungsschreiben konnte der Beschwerdeführer nicht vorlegen.
Der persönliche und familiäre Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers liegt im Libanon, wo sein Vater und vier Geschwister leben und er somit über ein soziales Netz verfügt, zumal der BF in Bezug auf sein Lebensalter erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig ist und kann auch aufgrund der erst kurzen Abwesenheit (etwa fünfzehn Monate) aus seinem Heimatland Libanon nicht davon ausgegangen werden, dass bereits eine völlige Entwurzelung vom Herkunftsland stattgefunden hat und somit bestehen nach wie vor Bindungen des BF zum Libanon.
Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine Erhöhung des Gewichts der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).
Letztlich ist die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthalts der beschwerdeführenden Partei in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, zu verneinen, zumal sich der BF im gegenständlichen Verfahren erst seit etwa achteinhalb Monaten in Österreich befindet. Zwischen der Antragstellung durch den Beschwerdeführer und der gegenständlichen Entscheidung durch die belangte Behörde liegen rund elfeinhalb Monate. Von der Vorlage der Beschwerde bis zur Entscheidung durch das Verwaltungsgericht vergingen rund zwei Monate.
Auch der Verfassungsgerichtshof erblickte in einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen einen kosovarischen (ehemaligen) Asylwerber keine Verletzung von Artikel 8, EMRK, obwohl dieser im Laufe seines rund achtjährigen Aufenthaltes seine Integration u.a. durch gute Kenntnisse der deutschen Sprache, Besuch von Volkshochschulkursen in den Fachbereichen Rechnen, Computer, Deutsch, Englisch, Engagement in einem kirchlichen Verein, erfolgreiche Kursbesuche des Ausbildungszentrums des Wiener Roten Kreuzes und ehrenamtliche Mitarbeit beim Österreichischen Roten Kreuz sowie durch die Vorlage einer bedingten Einstellungszusage eines Bauunternehmers unter Beweis stellen konnte (VfGH 22.09.2011, U 1782/11-3, vergleiche ähnlich auch VfGH 26.09.2011, U 1796/11-3).
Das Bundesverwaltungsgericht kann aber auch keine unzumutbaren Härten in einer Rückkehr des Beschwerdeführers erkennen: Der Beschwerdeführer beherrscht nach wie vor die Sprache Arabisch, sodass auch seine Resozialisierung und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit an keiner Sprachbarriere scheitert und von diesem Gesichtspunkt her möglich ist. Im Hinblick auf den Umstand, dass der erwachsene Beschwerdeführer den überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht hat, ist davon auszugehen, dass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen, zumal dort seine engsten Familienangehörigen (Vater, Geschwister) leben. Insoweit kann - auch aufgrund der erst kurzen Abwesenheit (etwa fünfzehn Monate) aus seinem Heimatland Libanon - nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer seinem Kulturkreis völlig entrückt wäre und sich in seiner Heimat überhaupt nicht mehr zurecht finden würde, zumal der BF dort vor seiner Ausreise auch als Fliesenleger tätig gewesen ist. Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Libanon - letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlands ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen vergleiche VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0076; jüngst VwGH 07.07.2021, Ra 2021/18/0167). Zur Resozialisierung im Heimatland hat der Verwaltungsgerichtshof wie folgt festgestellt: Der Verwaltungsgerichtshof hat schon in mehreren (mit dem vorliegenden vergleichbaren) Fällen zum Ausdruck gebracht, die von Fremden geltend gemachten Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland vermögen deren Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern seien vielmehr - letztlich auch als Folge des seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens ihres Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen.
Würde sich darüber hinaus ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrags erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vergleiche das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Dezember 2003, Zl. 2003/07/0007; vergleiche dazu auch das Erkenntnis VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass "eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.").
Angesichts der - somit in ihrem Gewicht erheblich geminderten - Gesamtinteressen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich überwiegen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich neben den gefährdeten Sicherheitsinteressen insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf vergleiche dazu im Allgemeinen und zur Gewichtung der maßgeblichen Kriterien VfGH 29.09.2007, B 1150/07).
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des Paragraph 9, BFA-VG ist daher davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt somit, dass der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, in Verbindung mit Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG wider den Beschwerdeführer keine gesetzlich normierten Hindernisse entgegenstehen.
Die belangte Behörde hat in ihrer Entscheidung im Übrigen zutreffend eine Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Paragraph 55, AsylG 2005 unterlassen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101, dargelegt hat, bietet das Gesetz keine Grundlage dafür, in Fällen, in denen - wie hier - eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, FPG erlassen wird, darüber hinaus noch von Amts wegen negativ über eine Titelerteilung nach Paragraph 55, AsylG 2005 abzusprechen.
3.3.5. Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Nach Paragraph 50, Absatz eins, FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach Paragraph 50, Absatz 2, FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Artikel 33, Ziffer eins, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974,), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005).
Nach Paragraph 50, Absatz 3, FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
3.3.5.1. Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des Paragraph 50, FPG ergeben würde.
3.3.6. Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach Paragraph 55, Absatz 2, FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
3.3.6.1. Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.
3.3.6.2. Anzumerken ist ferner, dass die Vollziehung der Außerlandesbringung in die Zuständigkeit des BFA fällt und diesbezüglich die aktuellen Umstände in Bezug auf die Covid-19-Pandemie entsprechend zu berücksichtigen sein werden.
Zu A) (Spruchpunkt römisch II)
Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 56, AsylG 2005
Soweit erstmals in der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (eventualiter) ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „aus den besonders berücksichtigungswürdigen Gründen“ (gemäß Paragraph 56, AsylG 2005) gestellt wurde, war dieser Antrag mangels sachlicher Zuständigkeit zurückzuweisen, zumal ein solcher Antrag beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl persönlich als sachlich zuständige Behörde zu stellen gewesen wäre vergleiche Paragraph 58, Absatz 5, AsylG 2005). Mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes, darüber inhaltlich abzusprechen, hatte es den Antrag bzw. die Beschwerde insoweit als unzulässig zurückzuweisen; vergleiche – mit Verweis auf VwGH 30.06.2016, Ra 2016/11/0044 – Winkler Paragraph 27, VwGVG Rz 5, in: Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 (2017).
4. Entfall einer mündlichen Verhandlung
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
Der Verwaltungsgerichtshof (Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018) hielt in diesem Zusammenhang fest, dass sich die bisher zu Paragraph 67 d, AVG ergangene Rechtsprechung auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erster Instanz insoweit übertragen lässt, als sich die diesbezüglichen Vorschriften weder geändert haben noch aus systematischen Gründen sich eine geänderte Betrachtungsweise als geboten darstellt.
Die in Paragraph 24, Absatz 4, VwGVG getroffene Anordnung kann nach dessen Wortlaut nur zur Anwendung gelangen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist. Schon deswegen kann - entgegen den Materialien - nicht davon ausgegangen werden, diese Bestimmung entspräche (zur Gänze) der Vorgängerbestimmung des Paragraph 67 d, Absatz 4, AVG. Zudem war letztgenannte Norm nur auf jene Fälle anwendbar, in denen ein verfahrensrechtlicher Bescheid zu erlassen war. Eine derartige Einschränkung enthält Paragraph 24, Absatz 4, VwGVG nicht (mehr).
Für den Anwendungsbereich der vom BFA-VG 2014 erfassten Verfahren enthält Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG 2014 eigene Regelungen, wann - auch: trotz Vorliegens eines Antrags - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann. Lediglich "im Übrigen" sollen die Regelungen des Paragraph 24, VwGVG anwendbar bleiben. Somit ist bei der Beurteilung, ob in vom BFA-VG erfassten Verfahren von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann, neben Paragraph 24, Absatz eins bis 3 und 5 VwGVG in seinem Anwendungsbereich allein die Bestimmung des Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG 2014, nicht aber die bloß als subsidiär anwendbar ausgestaltete Norm des Paragraph 24, Absatz 4, VwGVG, als maßgeblich heranzuziehen.
Mit Blick darauf, dass der Gesetzgeber im Zuge der Schaffung des Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG 2014 vom bisherigen Verständnis gleichlautender Vorläuferbestimmungen ausgegangen ist, sich aber die Rechtsprechung auch bereits damit auseinandergesetzt hat, dass sich jener Rechtsrahmen, in dessen Kontext die hier fragliche Vorschrift eingebettet ist, gegenüber jenem, als sie ursprünglich geschaffen wurde, in maßgeblicher Weise verändert hat, geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass für die Auslegung der in Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG 2014 enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" nunmehr folgende Kriterien beachtlich sind:
● der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und
● bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen
● die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und
● das BVwG diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen
● in der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in Paragraph 20, BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.
Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch das BFA vorangegangen. Für die in der Beschwerde behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr wurde im Verfahren den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung und der Erforschung der materiellen Wahrheit entsprochen. Eine behauptete Verletzung des Rechts auf Parteiengehör ist jedenfalls durch die Stellungnahmemöglichkeit in der Beschwerde als saniert anzusehen. Der Sachverhalt wurde daher nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung des BFA festgestellt.
Das BFA hat die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt und das Bundesverwaltungsgericht teilt die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung vergleiche diesbezüglich die auch unter Punkt 2.2.4. wiedergegebene Argumentation des BFA).
Bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes weist die Entscheidung des BFA vom 12.04.2023 immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit auf.
Was das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerde betrifft, so findet sich in diesen kein neues bzw. kein ausreichend konkretes Tatsachenvorbringen hinsichtlich allfälliger sonstiger Fluchtgründe. Auch tritt der Beschwerdeführer in der Beschwerde den seitens der belangten Behörde getätigten beweiswürdigenden Ausführungen nicht in ausreichend konkreter Weise entgegen. Überdies wurde das Vorbringen des Beschwerdeführers ohnehin dem Verfahren zugrunde gelegt und als nicht asylrelevant qualifiziert.
Nach Artikel 47, Absatz 2, der Grundrechtecharta der Europäischen Union (in der Folge als Charta bezeichnet) hat zwar jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Die in Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG vorgesehene Einschränkung der Verhandlungspflicht iSd des Artikel 52, Absatz eins, der Charta ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts allerdings zulässig, weil sie eben - wie in der Charta normiert - gesetzlich vorgesehen ist und den Wesensgehalt des in Artikel 47, Absatz 2, der Charta verbürgten Rechts achtet. Die möglichst rasche Entscheidung über Asylanträge ist ein Ziel der Union, dem ein hoher Stellenwert zukommt vergleiche etwa Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26.06.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes). Das Unterbleiben der Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt festgestellt werden kann, ohne dass der Entfall der mündlichen Erörterung zu einer Verminderung der Qualität der zu treffenden Entscheidung führt, trägt zur Erreichung dieses Zieles bei. Damit erfüllt die in Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG vorgesehene Einschränkung auch die im letzten Satz des Artikel 52, Absatz eins, der Charta normierte Voraussetzung vergleiche dazu zur im Ergebnis inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung des Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG, nämlich Paragraph 41, Absatz 7, AsylG 2005, auch VfGH 27.9. 2011, U 1339/11-3). Daher ist auch aus europarechtlicher Sicht eine Verhandlung im Asylverfahren nicht zwingend vorgesehen.
Was die in der Beschwerde behauptete Verhandlungspflicht anbelangt, da sich das Bundesverwaltungsgericht einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer zu verschaffen habe, zumal die entscheidungswesentlichen Feststellungen im Wesentlichen von der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers abhängig seien, so ist dem zu entgegnen, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang - wie auch in der Beschwerde dargestellt - lediglich wiederholt darauf hingewiesen hat, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukomme, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Artikel 8, EMRK (sonst) relevanten Umstände. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann allerdings eine Verhandlung unterbleiben vergleiche etwa VwGH 02.09.2021, Ra 2020/21/0364, Rn 13, mwN). Ein solch eindeutiger Fall liegt hier vor. Der Beschwerdeführer hält sich erst seit rund 14 Monaten in Österreich auf, wobei der Aufenthalt lediglich aufgrund eines Antrags auf internationalen Schutz vorübergehend rechtmäßig war. Dass hinsichtlich seines Privat- und Familienlebens grundsätzliche Änderungen seit Erlassung der negativen Entscheidung durch das BFA eingetreten sind, legte der Beschwerdeführer im Rechtsmittelschriftsatz nicht dar. Unter Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und der vorangehenden diesbezüglich zur Rückkehrentscheidung getroffenen Ausführungen sowie speziell des Umstands, wonach sich der Beschwerdeführer eben erst etwa 14 Monaten im Bundesgebiet aufhält, bestehen insoweit keine Bedenken, die gegenständlich gegen den Beschwerdeführer erlassene Rückkehrentscheidung ohne Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Beschwerdeführer zu bestätigen.
Insofern zudem in der Beschwerde argumentiert wird, dass im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Verhandlungspflicht erfüllt seien, da es an einer Plausibilitätskontrolle des Vorbringens des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund aktueller und ausgewogener Länderberichte fehle, so ist einerseits auf die Ausführungen in der Beweiswürdigung zur Aktualität der Länderberichte und andererseits den Beschwerdegegenstand und das Vorbringen des Beschwerdeführers zu verweisen, wodurch sich zeigt, dass die belangte Behörde das vom Beschwerdeführer geschilderte Vorbringen in einem ausreichenden Maße vor dem Hintergrund des von ihr herangezogenen und dem BF zur Kenntnis gebrachten Länderinformationsblatts der Staatendokumentation beurteilte.
Insoweit schließlich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wegen eines Rechtsgesprächs und zur Erörterung der Rechtsfragen beantragt wurde, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben, weil keine Rechtsfragen offen waren, die in einer mündlichen Verhandlung zu erörtern waren, insbesondere hat sich entgegen dem Beschwerdevorbringen die Rechtslage während des Verfahrens nicht nur nicht in einem entscheidungswesentlichen Punkt geändert, sondern gar nicht geändert.
Unter Berücksichtigung der Umstände, dass das ausreisekausale Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht asylrelevant qualifiziert wurde und die getroffenen Feststellungen auf den Angaben des Beschwerdeführers selbst sowie auf den in das Verfahren einbezogenen Länderberichten, denen der Beschwerdeführer auch nicht substantiiert entgegengetreten ist, basieren, hat sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts keine Notwendigkeit ergeben, den als geklärt erscheinenden Sachverhalt mit dem Beschwerdeführer im Rahmen einer Verhandlung neuerlich zu erörtern. Im Ergebnis bestand daher kein Anlass für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, wobei im Übrigen darauf hinzuweisen ist, dass auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu keinem anderen Verfahrensausgang geführt hätte.
Letztlich ist auch nochmals auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.06.2014, Zl. Ra 2014/20/0002-7 hinzuweisen, in welchem dieser nunmehr auch explizit festhält, dass, insoweit das Erstgericht die die Beweiswürdigung tragenden Argumente der Verwaltungsbehörde teilt, das im Rahmen der Beweiswürdigung ergänzende Anführen weiterer - das Gesamtbild nur abrundenden, aber nicht für die Beurteilung ausschlaggebenden - Gründe, nicht dazu führt, dass die im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 28.05.2014, Zlen. Ra 2014/20/0017 und 0018 dargestellten Kriterien für die Abstandnahme von der Durchführung der Verhandlung gemäß dem ersten Tatbestand des Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG nicht erfüllt sind.
Zu B) Zum Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab vergleiche die unter Punkt 2. bis 4. angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar teilweise zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht der erkennenden Richterin auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Flüchtlingsbegriff, zur Asylrelevanz, dem Refoulementschutz bzw. zum durch Artikel 8, EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht.
Ebenso wird zu diesen Themen keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert.
Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist die zur asylrechtlichen Ausweisung ergangene zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs übertragbar. Die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat knüpft an die zitierte Rechtsprechung zu den Spruchpunkten römisch eins. und römisch II. des angefochtenen Bescheides an.
ECLI:AT:BVWG:2023:L508.2271812.1.00