Bundesverwaltungsgericht
22.06.2023
W124 2271094-1
W124 2271094-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , zu Recht erkannt:
A)
römisch eins. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte römisch eins. bis römisch fünf. als unbegründet abgewiesen.
römisch II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch VI. des angefochtenen Bescheides wird insoweit stattgegeben, als dieser zu lauten hat: „Gemäß Paragraph 55, Absatz 2, FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung“.
römisch III. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch VII. und römisch VIII. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und diese ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF) ist Staatsangehöriger von Indien, gehört der Volksgruppe der Punjabi an, ist Angehöriger der Religion des Sikhismus, stammt aus dem Bundesstaat Punjab und reiste illegal ins Bundesgebiet ein, wo er am römisch 40 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
1.2. Er gab im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am römisch 40 an in Indien zwölf Jahre die Hauptschule besucht und zuletzt als Klimatechniker gearbeitet zu haben. Er habe zuletzt in römisch 40 im Bundesstaat Punjab gewohnt. Punjabi würde er als Muttersprache beherrschen. Er sei ledig und seine Eltern, sein Bruder und seine Schwester würden noch im Herkunftsstaat leben. Am römisch 40 sei er mit dem Zug nach römisch 40 und legal mit dem Flugzeug nach Armenien gereist, wo er sich drei Wochen aufgehalten habe. Von dort aus sei er über Serbien und Ungarn schließlich am römisch 40 in das Bundesgebiet eingereist. Seinen Reisepass habe er in Ungarn verloren vergleiche AS 3f).
Zu seinen Fluchtgründen brachte er vor, dass er das Land wegen Grundstücksstreitigkeiten mit seinem Nachbar verlassen habe. Dieser habe ihn ein paar Mal geschlagen und mit dem Umbringen bedroht. Bei einer Rückkehr fühle er sich in Indien unsicher vergleiche AS 13).
1.3. Beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) langte am römisch 40 ein Schreiben vom römisch 40 der LPD römisch 40 ein, wonach dem BF die Ladung zur Einvernahme am römisch 40 erfolgreich übermittelt werden konnte vergleiche AS 21).
1.4. Am römisch 40 fand eine niederschriftliche Einvernahme statt, in welcher der BF ausführte, dass es ihm gesundheitlich gut gehe und er sich auch ansonsten nicht in ärztlicher Behandlung oder in Therapie befände. Zudem sei er geistig und körperlich in der Lage die Einvernahme durchzuführen. Seinen Pass habe er in Ungarn bei einem Freund gelassen.
Er spreche Punjabi, sonst keine Sprache, sei ein Staatsbürger Indiens, gehöre der Volksgruppe der Jat ( römisch 40 ) und dem Glauben der Sikh an. Er sei ledig und kinderlos. Er sei in römisch 40 , eine Stadt in der Nähe von römisch 40 , geboren und aufgewachsen. Sein Vater heiße römisch 40 und sei römisch 40 geboren, seine Mutter heiße römisch 40 und sei römisch 40 geboren. Zudem habe er von römisch 40 bis römisch 40 acht Jahre lang die Grundschule und vier Jahre eine allgemeinbildende höhere Schule besucht. Er habe in seiner Herkunftsstadt als Klimatechniker gearbeitet und diese von römisch 40 bis römisch 40 repariert. Danach habe er bis März römisch 40 bei einer Tankstelle die Autos betankt. Danach habe er keine Arbeit mehr gefunden und sei daher am römisch 40 nach Armenien gereist wo er drei Wochen auf seinen Weitertransport nach Serbien gewartet habe. Seine Eltern würden eine Landwirtschaft besitzen. Ursprünglich hätten sie 13 Kühe gehabt, welche jedoch verkauft worden seien. Sein Vater baue Weizen und Reis an und verkaufe diese auf dem Großmarkt. Seine Schwester sei verheiratet und lebe mit ihrem Mann, welcher eine eigene Landwirtschaft besitze, sein Bruder sei ledig und kinderlos und helfe seinem Vater in der Landwirtschaft. Zudem habe er drei Onkel väterlicherseits, zwei Onkel sowie zwei Tanten mütterlicherseits. Er habe mit seiner Familie in einem mittelgroßen Haus mit Grundstücken und Nebengebäuden gelebt.
Befragt zu seinen Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates gab er an, dass er hier sei um zu arbeiten, da er in Indien keine Arbeit gefunden habe. Nach Vorhalt seines in der Erstbefragung angegebenen Fluchtgrundes erwiderte er, dass vor rund römisch 40 Jahren, er glaube römisch 40 , sein Vater einen Streit mit einer namentlich genannten Person gehabt habe. Dieser habe ihn und seinen Vater geschlagen, seither sei jedoch nichts mehr gewesen. Dies sei jedoch nicht der Grund warum er hier sei. Er wolle hier arbeiten. Ansonsten gäbe es keine Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates und er habe sämtliche Gründe vollständig geschildert.
In Österreich habe er zudem niemanden. Weiters lebe er mit Landsleuten zusammen. Auch ansonsten habe er im Bundesgebiet keine Interessen, sei in keinen Vereinen tätig und besuche auch keinen Deutschkurs. Er arbeite seit Dezember römisch 40 als Zeitungszusteller, verdiene dort ca. EUR 700, wodurch er die Miete in Höhe von EUR 200 bezahlen könne, besitze jedoch weder eine Beschäftigungsbewilligung noch eine Gewerbeberechtigung. Er verfüge auch über keine Vermögenswerte.
Er sei auch weder aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit verfolgt worden oder habe Probleme mit den heimatlichen Behörden gehabt, noch jemals in seinem Herkunftsstaat vor Gericht gestanden oder in Haft gewesen. Er sei auch nicht vorbestraft. Zudem bestehe keine staatliche Fahndungsmaßnahme, wie zB ein Haftbefehl gegen ihn und er habe nie einer bewaffneten Gruppierung angehört, sei kein Mitglied einer politischen Partei oder einer Organisation gewesen bzw. diesen nahe gestanden oder politisch tätig gewesen. Im Übrigen habe er auch keine gröberen Probleme mit Privatpersonen gehabt vergleiche AS 67f).
1.5. Mit dem nunmehr angefochtenen, oben angeführten Bescheid des BFA, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF gem. Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, abgewiesen und ihm der Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) sowie gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Indien nicht zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.). Gleichzeitig wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Spruchpunkt römisch VI. wurde dem BF nach Paragraph 55, Absatz eins a, FPG keine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt. Zudem wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 4, BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt römisch VII.) und gegen den BF gemäß Paragraph 53, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 2, Ziffer 7, FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt römisch VIII.).
Demnach BF führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Identität des BF mangels Vorlage eines entsprechenden Dokumentes nicht festgestellt habe werden können. Dass der BF in Österreich über keine maßgeblichen familiären oder sozialen Bindungen verfüge ergebe sich aus seiner Erstbefragung, wonach er innerhalb der EU auch keine Verwandten habe. Er habe keine Aufenthaltsverfestigenden Umstände vorgebracht und keine wesentlichen Integrationsmaßnahmen gesetzt. Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates des BF führte die belangte Behörde aus, dass der BF seine Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe. Der Grundstücksstreit sei schon längst beigelegt. Im Falle einer Rückkehr sei der BF keiner Gefahr einer Verletzung von Artikel 2,, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt oder würde infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen bzw. innerstaatlichen Konfliktes willkürlicher Gewalt ausgesetzt sein. Weiters würde er auch in keine existentielle Notlage geraten oder eine Rückkehr mit einer unzumutbaren Härte verbunden sein. Ferner habe der BF bisher keine Deutschkurse besucht und gehe ohne versichert zu sein einer unrechtmäßigen Beschäftigung nach. Aus letzterer ergäbe sich auch eine die Erlassung des Einreiseverbotes begründende Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung. Zudem habe er seinen Reisepass auch versteckt und der Behörde vorenthalten
Rechtlich wurde zu Spruchpunkt römisch eins. ausgeführt, dass der BF keine asylrelevanten Umstände vorgebracht habe. Es seien keine Anhaltspunkte einer Gefährdung nach Artikel 2, oder EMRK ersichtlich.
Bezüglich Spruchpunkt römisch II. wurde ausgeführt, dass der BF kein Vorbringen erstattet habe, wodurch ihm subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen sei. Bei einer Rückkehr würde er auch in keine lebensbedrohliche Notlage geraten oder eine Gefahr für seine körperliche Unversehrtheit bestehen. Zudem würde er keine Gefahr laufen grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht mehr befriedigen zu können. Er leide auch an keiner Erkrankung. Eine Abschiebung verstoße nicht gegen Artikel 2,, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder Artikel 15, Litera c, Status RL.
Zu Spruchpunkt römisch III. führte das Bundesamt aus, dass dem BF kein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG erteilt werden könne, da die diesbezüglichen Voraussetzungen nicht auf ihn zutreffen würden.
Gemäß Spruchpunkt römisch IV. sei die Rückkehrentscheidung zulässig, da weder ein Eingriff in das Familienleben des BF vorliege und das öffentliche Interesse einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seinem Interesse im Bundesgebiet bleiben zu dürfen überwiege, zumal er über keine Deutschkenntnisse, besondere Beziehungen oder sonstige integrationsbegründenden Umstände verfügen würde. Im Übrigen stehe dem auch seine Aufenthaltsdauer nicht entgegen. Der BF sei zwar strafrechtlich unbescholten sei, dies könne sein Interesse an einem Verbleib in Österreich jedoch nicht verstärken.
Außerdem sei gemäß Spruchpunkt römisch fünf. die Abschiebung nach Indien zulässig, da sich wie in Spruchpunkt römisch II. dargelegt keine Gefährdung ergebe, ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme und es keine diesbezügliche Empfehlung des EGMR gebe.
Gemäß Spruchpunkt römisch VI. wurde dem BF keine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt und gemäß Spruchpunkt römisch VII. ist einer Beschwerde gegen den Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt worden.
Mit Spruchpunkt römisch VIII. wurde über den BF ein Einreiseverbot verhängt, was das BFA im Wesentlichen mit Paragraph 53, Absatz 2, Ziffer 7, begründet hat, obwohl auch die Behörde davon ausgeht, dass der BF hierbei nie betreten worden sei. Dennoch sei eine Gefahr für die öffentliche Ruhe Ordnung und Sicherheit gegeben. Aufgrund des Gesamtbeurteilung seines Verhaltens, der Lebensumstände des BF, seiner familiären und privaten Anknüpfungspunkte sei auch die Höhe des Einreiseverbotes zur Erreichung der in Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten. vergleiche AS 81f).
1.6. Mit Schreiben vom römisch 40 ersuchte das BFA die römisch 40 um die Zustellung des Bescheides an den BF vergleiche AS 239).
1.7. Beim BFA langte schließlich am römisch 40 ein Schreiben vom römisch 40 der LPD römisch 40 ein, wonach dem BF der Bescheid am römisch 40 , nach Hinterlassung einer Türverständigung am selben Tag an seiner Wohnadresse, persönlich auf der Dienststelle ausgefolgt werden konnte vergleiche AS 245).
1.8. In der gegen den Bescheid fristgerecht eingebrachten Beschwerde wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Entscheidung in vollem Umfang angefochten werde, was mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den BF günstigerer Bescheid erzielt worden wäre, begründet wurde.
Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig und unrichtig, da sie sich nicht mit dem konkreten Vorbringen des Beschwerdeführers befassen würden. Aufgrund seiner Verfolgung wegen Grundstücksstreitigkeiten sowie seiner Sikh Abstammung stünde ihm auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zu. Die Behörden seien auch nicht fähig bzw. gewillt ihm den nötigen Schutz zukommen zu lassen. Zudem sei das Ermittlungsverfahren mangelhaft, da die Behörde kein länderkundliches Sachverständigengutachten habe anfertigen lassen. Die Behörde habe es auch unterlassen den BF dazu zu befragen, was ihm bei den Grundstücksstreitigkeiten wiederfahren sei. Da der BF auch regierungskritisch sei, hätte das BFA ihn auch zu seiner politischen Einstellung befragen müssen. Die Vorgehensweise der Behörde zeige, dass diese voreingenommen agiert hätten und darauf bedacht gewesen seien, das Asylverfahren möglichst rasch zu beenden. Überdies fehle es an fundierten, ausreichend aktuellen Länderberichten zur Beurteilung der rezenten wirtschaftlichen und sozioökonomischen Situation sowie zur Versorgungslage unter Berücksichtigung des Covid-19 Erregers. Insgesamt würde der BF bei seiner Rückkehr in eine aufsichtlose, existenzbedrohende Lebenssituation geraten, weshalb ihm auch aus diesem Grund keine innerstaatliche Fluchtalternative zukomme.
Weiters sei auch der Grundsatz des Parteiengehörs verletzt worden, da dem BF keine ausreichende Zeit bzw. Gelegenheit eingeräumt worden sei um auf die Länderfeststellungen zu antworten oder zu reagieren. Er sei auch nicht belehrt worden, dass er sich hierfür an eine Rechtsberatung wenden könne. Wären die Länderfeststellungen dem Beschwerdeführer in einer für ihn verständlichen Sprache vorgehalten worden, hätte er den Zusammenhang zwischen dem fluchtauslösenden Sachverhalt und seiner Verfolgung stärker hervorgehoben. Zudem habe er nicht wissen können, dass diverse Diskriminierungshandlungen asylrelevant sein könnten. Das BFA habe den BF zu keinem Zeitpunkt belehrt, gegen welche Gesetze er durch seine unrechtmäßige erwerbsmäßige Tätigkeit er verstoße und welche Konsequenzen dies im Asylverfahren habe. Das BFA sei auch seiner Manuduktionspflicht nicht nachgekommen, da es dem BF erst im Rahmen der Bescheiderlassung mitgeteilt habe, dass er auf seinen Anspruch auf Grundversorgung freiwillig verzichtet habe. Im Übrigen sei er von der belangten Behörde auch nicht dazu aufgefordert worden sich in diese zu begeben und seine illegale Arbeit zu beenden. Zudem habe er erst nach seiner Einvernahme von der Anzeige bei der zuständigen Finanzpolizei erfahren.
Bezüglich der mangelhaften Beweiswürdigung führte er aus, dass diese teilweise lediglich aus inhaltsleeren Textbausteinen bestehe und sich unzureichend mit dem individuellen Vorbringen des BF beschäftige. Der Beschwerdeführer habe sein Vorbringen lebensnah gestaltet und frei gesprochen. Das Vorbringen sei jedoch auch nicht mit den Länderfeststellungen abgeglichen worden. Bei entsprechender Würdigung wäre das BFA zu dem Schluss gekommen, dass die geschilderte Verfolgungsgefahr objektiv nachvollziehbar sei. Auch die Widersprüche wären leicht aufzulösen gewesen. So sei die Familie als Angehörige der Sikh immer wieder Auseinandersetzungen und Angriffen ausgesetzt gewesen und hätten keinen polizeilichen Schutz erhalten. Weitere Widersprüche seien auf Ermittlungsmängel zurückzuführen, weshalb diesen nicht entgegengetreten werden könne. Im Übrigen dürften BF in der Erstbefragung nicht zu den näheren Fluchtgründen befragt werden und der psychische und physische Zustand bei dieser sei besonders zu berücksichtigen.
Zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit führte der BF aus, dass der BF ein Sikhangehöriger sei, welcher von der Polizei nicht ausreichend geschützt werde. Dessen Fluchtvorbringen sei glaubhaft und wohlbegründet, da es sich mit aktuellen, fallbezogenen Länderberichten decke und sich aus den bisherigen Verfolgungshandlungen ergebe. Dem BF wäre daher internationaler Schutz gemäß Paragraph 3, AsylG zu gewähren gewesen. Aufgrund seiner politischen Einstellung bezüglich der Bauernproteste in Verbindung mit seiner Sikh Abstammung sei der BF unmenschlicher bzw. erniedrigender Behandlung durch Sicherheitsbehörden ausgesetzt, weshalb die Abschiebung eine Verletzung nach Artikel 3, EMRK darstellen würde und unzulässig sei. Dem BF wäre daher zumindest der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen. Im Übrigen mangle es an einer innerstaatlichen Fluchtalternative, da ihm in seinem Herkunftsstaat weder vom Staat noch sonstigen Akteuren Schutz zu Teil werden könne, noch er ein relativ normales Leben ohne unangemessene Härten möglich sei. Hierbei sei auch auf die persönlichen Umstände des BF abzustellen. Selbst bei kurzzeitiger Unterstützung durch Hilfsorganisationen bzw. Rückkehrhilfe sei eine Existenzgründung ohne stabil vorhandenes soziales Netz in Indien nicht möglich. Die Verwandten des BF würden ihn nicht unterstützen wollen, da sie selbst polizeilicher Willkür unterlägen. Zudem werde der BF durch die Rückkehrentscheidung in Artikel 3, in Verbindung mit 8 EMRK verletzt. Die Interessenabwägung sei mangelhaft und da der BF keine hinreichende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, habe weder eine Rückkehrentscheidung noch ein Einreiseverbot erlassen werden dürfen. Begründend führte er hierzu weiter aus, dass der BF in Europa über Angehörige verfüge. Für die Gültigkeit des Einreiseverbotes im gesamten Schengenraum hätten daher die Familien- und privaten Verhältnisse in allen Mitgliedstaaten berücksichtigt werden müssen. Außerdem mangle es einer individuellen Gefährdungsprognose und der BF sei kein Straftäter. Das BFA habe auch nicht prognostiziert wie lange die vom BF ausgehende Gefährdung anhalten werde. Die Erlassung eines Einreiseverbotes in der Dauer von drei Jahre in der gesamten EU sei unverhältnismäßig. Er habe lediglich aus Unwissenheit für ein paar Monate als Prospektverteiler ohne Gewerbeberechtigung gearbeitet. Hier habe er keine Gefahr für die Öffentlichkeit dargestellt, da diese Arbeit ohnehin von keinem Österreicher ausgeführt werden würde und es sich um ein beinahe geringfügiges Einkommen gehandelt habe. Dass die belangte Behörde, die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung auf den Gründen zur Erlassung des Einreiseverbotes stütze, widerspreche VwGH Judikatur, weshalb dies zu Unrecht erfolgt sei vergleiche AS 261f).
1.7. Das BFA legte dem BVwG die Beschwerde unter Anschluss der Verwaltungsakten vor, wo diese am römisch 40 einlangten.
römisch eins. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der BF ist indischer Staatsangehöriger, gibt an am römisch 40 in der Stadt römisch 40 , nahe der Stadt römisch 40 , im Distrikt römisch 40 , Bundesstaat Punjab, geboren zu sein und spricht Punjabi als seine Muttersprache. Die Identität des BF konnte jedoch nicht festgestellt werden. Er gehört der Volksgruppe der „Jat“, sowie der Religion der Sikhs an.
Der BF hat nach nicht rechtmäßiger Einreise spätestens am römisch 40 im Bundesgebiet am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Seinen Reisepass hat er in Ungarn verloren, hat keinen Deutschkurs besucht und verfügt über keine maßgeblichen Deutschkenntnisse. Der BF besuchte in seinem Heimatsstaat acht Jahre lang die Grundschule und vier Jahre eine allgemeinbildende höhere Schule. Danach hat er als Klimatechniker und an einer Tankstelle gearbeitet, wobei er ab März römisch 40 keiner Arbeit mehr nachging. Er ist gesund, leidet an keiner schwerwiegenden Krankheit und ist arbeitsfähig.
1.2. Zu den Flucht- und Verfolgungsgründen im Herkunftsstaat
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF auf Grund seines Streites mit seinem Nachbarn in Indien bzw. aufgrund seines Religionsbekenntnisses zum Sikhismus oder aufgrund seiner politischen Einstellung zu den Bauernprotesten verfolgt wird.
Der BF hat Indien am römisch 40 verlassen.
Es wird weiters nicht festgestellt, dass der BF im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien in seinem Recht auf das Leben gefährdet ist, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht ist oder willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt ist.
Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Herkunftsstaat des BF infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht gewillt oder in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter durch Privatpersonen abzuwenden.
1.3. Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers
Der BF ist ledig, hat keine Kinder und lebt auch in Österreich in keiner Familiengemeinschaft oder in einer familienähnlichen Gemeinschaft. Seine Familie, bestehend aus seinen Eltern und seinem Bruder, leben nach wie vor in der Herkunftsstadt des Beschwerdeführers in einem mittelgroßen Haus mit Grundstücken sowie Nebengebäuden und betreiben dort eine Landwirtschaft. Die Schwester des BF ist verheiratet und lebt mit ihrem Ehemann in einem Dorf in römisch 40 , wo auch sie einer landwirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen. Ein Onkel des BF väterlicherseits lebt mit seiner Familie ebenfalls im Herkunftsort des Beschwerdeführers. Auch sie betreiben eine Landwirtschaft, wobei diesem durch den zweiten Onkel des BF väterlicherseits geholfen wird. Der dritte Onkel des BF väterlicherseits ist bereits verstorben und hat eine Familie hinterlassen, wobei dessen erwachsenen Söhne die Mutter versorgen. Zudem hat der BF auch je zwei Onkel und Tanten mütterlicherseits, welche allesamt eine eigene Familie haben und eine Landwirtschaft, zwei im Herkunftsort des BF, eine in römisch 40 und eine in römisch 40 , beide im Distrikt römisch 40 , betreiben.
Es ist im Verfahren nicht hervorgekommen, dass der BF in Österreich über einen Freundeskreis verfügt, der auch österreichische Staatsangehörige oder enge soziale Bindungen umfasst. Er ist nicht Mitglied eines Vereins, eines Clubs oder einer sonstigen Organisation.
Er geht in Österreich keiner legalen Beschäftigung nach. Er arbeitet jedoch ohne versichert zu sein seit Mitte Dezember römisch 40 als Zeitungszusteller und verdient ca. 700,- Euro im Monat, wovon er ca. EUR 200,- Miete bezahlt. Es nicht ersichtlich, dass der BF auf sonstige Weise am gesellschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich teilnimmt.
Der BF ist strafgerichtlich unbescholten und bezieht laut dem aktuellen Auszug der Grundversorgung seit dem römisch 40 keine Leistungen mehr aus dieser.
1.4. Zur Situation im Herkunftsstaat
Auszüge aus dem aktuellem Länderinformationsblatt Indien vom 14.11.2022
Länderspezifische Anmerkungen
Letzte Änderung: 04.09.2020
Hinweis:
Das Länderinformationsblatt geht nicht oder nur eingeschränkt auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowie auf eventuelle Maßnahmen gegen diese ein - wie etwa Einstellungen des Reiseverkehrs in oder aus einem Land oder Bewegungseinschränkungen im Land. Dies betrifft insbesondere auch Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung, die Möglichkeiten zur Selbst-Quarantäne, die Versorgungslage, wirtschaftliche, politische und andere Folgen, die derzeit nicht absehbar sind. Diesbezüglich darf jedoch auf die regelmäßigen Kurzinformationen der Staatendokumentation zur aktuellen COVID-19 Lage in bestimmten Ländern hingewiesen werden.
Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der John Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Covid-19
Letzte Änderung: 11.11.2022
Mit Stand 7.9.2022 wurden 44.472.241 COVID-19-Fälle offiziell bestätigt. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden 528.057 Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 gemeldet (WHO o.D.). Indien wird allerdings vorgeworfen, einen Bericht der WHO über die weltweite Zahl der COVID-19-Toten verzögert zu haben, nachdem die Berechnungen ergaben, dass das Land die Zahl der Toten um schätzungsweise 3,5 Millionen zu niedrig angesetzt hatte. Dies würde die bei Weitem höchste Zahl von Todesopfern in einem Land weltweit bedeuten. Diese Zahl deckt sich auch mit früheren Schätzungen von Wissenschaftlern, Datenanalysten und medizinischen Fachzeitschriften, wonach die tatsächliche Zahl der COVID-19-Toten in Indien bis zu zehnmal höher ist als in den offiziellen Statistiken angegeben (TG 18.4.2022).
Das Exekutivdirektorium der Weltbank hat am 28.6.2022 zwei sich ergänzende Darlehen in Höhe von jeweils 500 Millionen US-Dollar zur Unterstützung und Verbesserung des indischen Gesundheitssektors genehmigt. Die COVID-19-Pandemie hat demnach die Notwendigkeit unterstrichen, die Kernfunktionen des öffentlichen Gesundheitswesens in Indien neu zu beleben, zu reformieren und auszubauen sowie die Qualität und den Umfang der Gesundheitsdienste zu verbessern (WB 28.6.2022). In Mumbai wird von einer Stärkung der Infrastruktur vor allem für die Behandlung schwerer Fälle berichtet. Offizielle Daten zeigen seit 31.5.2022 im Wesentlichen einen Nettozuwachs an Krankenhausbettenkapazität. So haben sich die Krankenhäuser auch darauf geeinigt, 80 % ihrer COVID-19-Betten zu staatlichen Tarifen abzurechnen und für die restlichen 20 % die Krankenhaustarife zu berechnen (BuS 8.6.2022).
Indien hatte hinsichtlich COVID-19-Impfungen einen langsamen Start. Logistische Probleme, Lieferengpässe, zögerliche Reaktionen auf den Impfstoff und eine zweite Welle von COVID-19 während dieser Zeit erschwerten die Einführung (BBC 18.7.2022). Ein Impfprogramm für die 15- bis 18-Jährigen begann im Jänner 2022, für die 12- bis 14-Jährigen im März 2022. Laut dem indischen Gesundheitsministerium haben 2,17 Milliarden Menschen in Indien mindestens eine Impfdosis erhalten (MoHFW 22.9.2022). Damit haben 98 % der Erwachsenen mindestens eine Dosis des COVID-19-Impfstoffs erhalten, und 90 % sind vollständig geimpft worden (BBC 18.7.2022).
Indiens Arbeitnehmerschaft ist während der Pandemie geschrumpft, wie die periodische Arbeitskräfteerhebung der Regierung zeigt. Im Zeitraum 2019/20 verdienten etwa 23 % der Erwerbstätigen ein regelmäßiges Gehalt oder einen Lohn, im Zeitraum 2020/21 waren es nur noch 21 %. Einige religiöse Minderheiten sind unverhältnismäßig stark betroffen, darunter vor allem Muslime. Berücksichtigt man das Geschlecht, so zeigen die Daten, dass der Anteil an Frauen in formeller Beschäftigung bei allen Religionen deutlich zurückgegangen ist (TP 16.8.2022; vergleiche Bloomberg 2.6.2022) und im Jahr 2022 nur noch bei 9 % liegt. Im Vergleich dazu lag die Zahl der erwerbstätigen Frauen in Indien im Jahr 2020 noch bei 19 % (Bloomberg 2.6.2022).
Quellen:
BBC - British Broadcasting Corporation (18.7.2022): Covid vaccine: India becomes second country to cross two billion Covid jabs, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-56345591, Zugriff 2.9.2022
Bloomberg (2.6.2022): 90% of Women in India Are Shut Out of the Workforce, https://www.bloomberg.com/news/features/2022-06-02/covid-cut-india-s-women-out-of-the-job-market-now-90-aren-t-in-the-workforce?leadSource=uverify%20wall, Zugriff 12.9.2022
BuS - Business Standard (8.6.2022): Mumbai boosts hospital capacity as Covid cases rise, bed occupancy doubles, https://www.business-standard.com/article/current-affairs/mumbai-boosts-hospital-capacity-as-covid-cases-rise-bed-occupancy-doubles-122060801105_1.html, Zugriff 12.9.2022
MoHFW - Ministry of Health and Family Welfare [Indien] (22.9.2022): COVID-19 India: as on 22. September 2022, https://www.mohfw.gov.in/, Zugriff 22.9.2022
TG - The Guardian (18.4.2022): Covid-19: India accused of trying to delay WHO revision of death toll, https://www.theguardian.com/world/2022/apr/18/covid-19-india-accused-of-attempting-to-delay-who-revision-of-death-toll, Zugriff 12.9.2022
TP - The Print (16.8.2022): India’s ‘salaried class’ shrank during Covid, Muslims hit hardest, govt data suggests, https://theprint.in/india/indias-salaried-class-shrank-during-covid-muslims-hit-hardest-govt-data-suggests/1077850/, Zugriff 12.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071142.html, Zugriff 2.9.2022
WHO - World Health Organization (o.D.): India: WHO Covid-19 Data, https://covid19.who.int/region/searo/country/in, Zugriff 12.9.2022
WB - World Bank (28.6.2022): World Bank Approves $1 Billion to Support India’s Health Sector for Pandemic Preparedness and Enhanced Health Service Delivery, https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2022/06/28/world-bank-approves-1-billion-to-support-india-s-health-sector-for-pandemic-preparedness-and-enhanced-health-service-del, Zugriff 12.9.2022
Politische Lage
Letzte Änderung: 11.11.2022
Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen (AA 22.9.2021; vergleiche CIA 1.9.2022) und einer multireligiösen sowie multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt. Trotz vieler, teils durchaus gravierender Defizite im Menschenrechtsbereich ist die Stabilität Indiens als rechtsstaatliche Demokratie mit weitgehenden individuellen Freiheitsrechten – besonders im regionalen Vergleich – nicht gefährdet (AA 22.9.2021). Seit fast sieben Jahrzehnten finden freie und faire Wahlen statt (BS 23.2.2022; vergleiche FH 24.2.2022). Das Parteiensystem ist relativ stabil und gesellschaftlich verwurzelt, wobei allerdings informelle Verfahren, Fraktionszwang und Klientelismus vorherrschen (BS 23.2.2022).
Das Land ist eine föderale, parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 22.9.2021). Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Regionalparteien, die in einzelnen Bundesstaaten allein oder in Koalitionen die Landesregierungen bilden, aber auch auf nationaler Ebene zunehmend von politischer Bedeutung sind (AA 22.9.2021). Die Zentralregierung hat im indischen Föderalsystem deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten. Die Hauptstadt Neu Delhi verfügt über einen besonderen Rechtsstatus (AA 25.2.2022). Die horizontale Gewaltenteilung ist in der Verfassung durch ein System der gegenseitigen Kontrolle ("Check and Balances"), das weitgehend umgesetzt wird, gewährleistet (BS 23.2.2022).
Der Präsident des Landes wird von einem Wahlkollegium gewählt, das sich aus den Mitgliedern der beiden Kammern des Parlaments und jenen der gesetzgebenden Versammlungen der Staaten zusammensetzt (INDI 5.2022). Er ist das Staatsoberhaupt und der Premierminister fungiert als Regierungschef (USDOS 12.4.2022). Neben seiner allgemeinen repräsentativen Funktion entscheidet der Präsident, welche Partei am besten in der Lage ist, eine Regierung zu bilden. Weiters umfassen seine legislativen Befugnisse u. a. die Auflösung oder Einberufung des Parlaments, zu seinen exekutiven Befugnissen gehört die Ernennung des Obersten Richters Indiens aus einer Liste, die ihm vom Obersten Gerichtshof übermittelt wird; zudem fungiert der indische Präsident auch als Oberbefehlshaber der Armee, wenngleich der Premierminister über die exekutive Gewalt verfügt (KAS 7.2022). Seit Ende Juli 2022 hat den Posten des Präsidenten erstmals eine indigene Frau inne: Droupadi Murmu, die der Santal-Gemeinschaft (einer der ältesten und größten indigenen Gruppen Indiens) angehört (KAS 7.2022; vergleiche E+E 27.7.2022).
Im Einklang mit der Verfassung haben die 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien (INDI 5.2022; vergleiche NPI o.D.) ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 12.4.2022). Hinsichtlich der Staatlichkeit weist das Gewaltmonopol des Staates auf seinem Territorium geringe Probleme auf. Die große Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert den indischen Nationalstaat als legitim. Die Legitimität des Nationalstaates wird jedoch in abgelegenen Gebieten, in denen der Staat und seine Institutionen praktisch nicht vorhanden sind, die von kleinen ethnischen Gruppen und Stämmen bewohnt werden, und die auch durch die Präsenz von Rebellenorganisationen gekennzeichnet sind, in Frage gestellt (BS 23.2.2022).
Als Premierminister wird normalerweise der Spitzenkandidat der stärksten Parteien bzw. der Mehrheitsfraktion in der Lok Sabha, dem indischen Unterhaus, berufen. Er wird formal vom Unterhaus für fünf Jahre gewählt und kann ebenfalls wiedergewählt werden. Der Premierminister und der Ministerrat führen die Regierungsgeschäfte. Aufgrund der dynastischen Traditionen werden wichtige Entscheidungen oft vom Premierminister und seinen Beraterstäben ohne Abstimmung und Rücksprache mit den jeweiligen Ministerien getroffen (BPB 7.4.2014).
Bei den Parlamentswahlen zwischen 11.4. und 19.5.2019 wurden 542 Mitglieder des Unterhauses gewählt. Das von der amtierenden Bharatiya Janata Party (BJP, 'Indische Volkspartei') angeführte Bündnis erzielte einen weiteren Sieg gegen den Indischen Nationalkongress (INC) und seine oppositionellen Verbündeten (BBC 23.5.2019; vergleiche KAS 4.2022). Die BJP gewann 37,76 % der Stimmen und 55,8 % der Sitze im Parlament. Hingegen errang die INC 19,7 % der Stimmen und 9,7 % der Parlamentssitze (römisch IV o.D.; vergleiche PILS 10.11.2020).
Aktivisten und Minderheitengruppen zufolge wandelt sich Indien allmählich von einer säkularen multikulturellen Nation zu einem hinduistisch geprägten Staat. Unter der seit 2014 amtierenden Regierung von Premierminister Narendra Modi ist demnach der säkulare Charakter des Landes ins Hintertreffen geraten (DW 14.8.2022; vergleiche FH 24.2.2022). Die Hindutva-Ideologie, von der sich die regierende BJP leiten lässt, befürwortet die Vorherrschaft der Hindus und sieht die Errichtung eines "Hindu-Staates" (einer "Hindu Rashtra") vor, wobei Nicht-Hindus nicht alle Rechte eingeräumt werden, die den Hindus zukommen (HBS 12.7.2022). Die BJP gehört zu einem Netzwerk von Organisationen, in dessen Zentrum die radikal hindunationalistische Kaderorganisation "Rashtriya Swayamsevak Sangh" (RSS) steht, die ursprünglich von den italienischen Faschisten in den Zwanzigerjahren inspiriert wurde (E+E 3.3.2022; vergleiche HBS 12.7.2022).
Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion Neu Delhi vom Feber 2020 musste die Partei des Regierungschefs Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020; vergleiche DS 11.2.2020). Modis Partei hat vor 2020 bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand Rückschläge hinnehmen müssen (Qa 14.2.2020; vergleiche KBS 12.2.2020). Viele Regionalwahlkämpfe fanden inmitten der COVID-19-Pandemie zum Teil mit riesigen Wahlkundgebungen statt. Viele Experten sehen darin die Ursache für den dramatischen Anstieg der Infektionszahlen im Land. Modi hatte sich im Wahlkampf besonders in Westbengalen engagiert, das an der Grenze zu Bangladesch liegt und eine starke muslimische Minderheit hat. Die BJP versprach, Hunderttausende Muslime auszuweisen, die vor Jahrzehnten aus Bangladesch nach Indien geflohen waren (DS 3.5.2021; vergleiche ZO 2.5.2021).
Außenpolitisch wird Indien derzeit vor allem vom Westen kritisch beäugt, da das Land den Krieg Russlands in der Ukraine noch nicht öffentlich verurteilt hat, sich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegenüber der russischen Aggression gar enthielt. Eine Quelle erklärt, dass das Land eine Mittelposition einnimmt und von neuen günstigen Öllieferungen Moskaus profitiert (FAZ 21.7.2022; vergleiche WW 5.3.2022). Einer anderen Quelle zufolge hat sich Indien in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt und verfolgt demnach - nachdem es sich während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profiliert hatte - heute eine pro-westliche Politik (BICC 7.2022). Nach wieder anderen Angaben betont das Land trotz der Annäherung an die USA und der zunehmenden Spannungen mit China weiterhin seine strategische Autonomie. Diese beinhaltet auch den Anspruch auf eine eigenständige Rolle im Kontext der geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA im Indo-Pazifik. So haben Indien und China in den letzten Jahren auch immer wieder kooperiert, z. B. in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Innerhalb der Quad-Staaten Anmerkung, Staatengruppe bestehend aus Australien, Japan, Indien und USA) hat sich Indien für ein inklusives Verständnis des Indo-Pazifiks ausgesprochen, das im Unterschied zu den Vorstellungen der USA bislang immer die Einbeziehung Chinas beinhaltete (SWP 7.2020).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 27.9.2022
BBC - British Broadcasting Corporation (23.5.2019): Lok Sabha: India general election results 2019, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-48315659, Zugriff 27.9.2022
BICC - Bonn International Centre for Conflict Studies (7.2022): Länderinformation Indien: Informationsdienst, Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte, https://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2022_Indien.pdf, Zugriff am 27.9.2022
BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (7.4.2014): Indiens politisches System, https://www.bpb.de/themen/asien/indien/44443/indiens-politisches-system/, Zugriff 27.9.2022
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069774/country_report_2022_IND.pdf, Zugriff 27.9.2022
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (1.9.2022): The World Factbook - India, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/india/#people-and-society, Zugriff 27.9.2022
DS - Der Standard (3.5.2021): Indien: Regionalwahl-Schlappe für Modi inmitten steigender Corona-Zahlen, https://www.derstandard.at/story/2000126330932/indienregionalwahl-schlappe-fuer-modi-inmitten-steigender-corona-faelle, Zugriff 27.9.2022
DS - Der Standard (11.2.2020): Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu-Delhi, https://www.derstandard.at/story/2000114439669/niederlage-fuer-indiens-regierungschef-modi-bei-wahl-in-neu-delhi, Zugriff 27.9.2022
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FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (21.7.2022): Ureinwohnerin Murmu als neues Staatsoberhaupt gewählt, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indien-ureinwohnerin-als-neues-staatsoberhaupt-gewaehlt-18190463.html, 27.9.2022
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NPI - National Portal of India [Indien] (o.D.): States and Union Territories, https://knowindia.india.gov.in/states-uts/, Zugriff 12.9.2022
PILS - Parliament of India, Lok Sabha [Indien] (10.11.2020): Seventeenth Lok Sabha, https://loksabhaph.nic.in/Members/PartywiseList.aspx, Zugriff 27.9.2022
Qa - Qantara (14.2.2020): Herbe Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, https://de.qantara.de/content/herbe-niederlage-fuer-indiens-regierungschef-modi-bei-wahl-in-neu-delhi, Zugriff 27.9.2022
SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2020): Indisch-chinesische Konfrontation im Himalaya. Eine Belastungsprobe für Indiens strategische Autonomie, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A63_IndienChina.pdf, Zugriff 27.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071142.html, Zugriff am 27.9.2022
WW - Wirtschaftswoche (5.3.2022): Warum Indien trotz allem zu Russland hält, https://www.wiwo.de/politik/ausland/krieg-in-der-ukraine-warum-indien-trotz-allem-zu-russland-haelt/28129218.html, Zugriff 27.9.2022
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Sicherheitslage
Letzte Änderung: 14.11.2022
Die Sicherheitslage in Indien ist aufgrund der Größe und Vielfalt des Landes und abhängig von Zeit und Ort unterschiedlich. Zivile Unruhen, einschließlich gewaltsamer Ausschreitungen, sind komplex und vielfältig und können Folgendes umfassen: Spannungen zwischen verschiedenen religiösen, sozialen und ethnischen Gemeinschaften; Aufstände, Terroranschläge oder Proteste, die durch ideologische oder politische Ziele motiviert sind; Spannungen entlang umstrittener Grenzgebiete; und Spannungen innerhalb von Gemeinschaften über Themen wie Landbesitz und Ehestreitigkeiten (DFAT 10.12.2020).
Dem österreichischen Außenministerium (BMEIA) zufolge besteht in den westlichen Teilen von Ladakh ein hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 11.10.2022). Das deutsche Auswärtige Amt erachtet die Sicherheitslage hier für grundsätzlich stabil, schließt allerdings einzelne terroristische Aktivitäten nicht aus (AA 18.10.2022). Laut BMEIA besteht weiters ein hohes Sicherheitsrisiko in den Grenzgebieten und in der Gegend westlich von Mulbek, in den Gebieten entlang der pakistanischen und der chinesischen Grenze, in der unmittelbare Nachbarschaft zur pakistanischen Grenze, in den Bundesstaaten Rajasthan und Punjab sowie in den Gebieten westlich der Orte Jaisalmer und Bikaner. In den Bundesstaaten Chhattisgarh und Jharkand, in den östlichen Landesteilen von Maharashtra und Madhya Pradesh, sowie vereinzelt in Odisha und Bihar sind linksgerichtete Aufständische aktiv, die immer wieder Anschläge auf öffentliche Einrichtungen bzw. öffentliche Verkehrsmittel und Sicherheitskräfte verüben (BMEIA 11.10.2022).
In den nordöstlichen Bundesstaaten (Arunachal Pradesh, Assam, Nagaland, Manipur (BMEIA 11.10.2022; vergleiche AA 18.10.2022), Meghalaya, Mizoram und Tripura) sind ebenfalls vereinzelt aufständische Gruppen aktiv (BMEIA 11.10.2022). Diese führen dort einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (FH 24.2.2022; vergleiche ÖB 8.2021). Dazu zählen beispielsweise Separatistengruppen wie die United Liberation Front Assom, die National Liberation Front Tripura, der National Socialist Council Nagaland, die Manipur People’s Liberation Front und Weitere (ÖB 8.2021). Die Regierung und die Behörden des Bundesstaates Assam unterzeichneten am 15.9.2022 eine Vereinbarung mit acht bewaffneten Stammesgruppen in Assam, die darauf abzielt, die Gruppen zu integrieren und ihnen politische und wirtschaftliche Rechte zu gewähren (ICG 9.2022; vergleiche TOI 15.9.2022). Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. maoistisch-umstürzlerischen) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind i.d.R. Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 22.9.2021; vergleiche ÖB 8.2021).
In der ost- und zentralindischen Bergregion dauert der maoistische Aufstand - gewalttätige linksextremistische Gruppen (sog. „Naxaliten“ oder „maoistische Guerilla“) (AA 22.9.2021) - an, wo lokale Zivilisten und Journalisten, die als regierungsfreundlich gelten, angegriffen und durch Gewalt vertrieben werden und in von der Regierung geführten Lagern leben (FH 24.2.2022). Von Chhattisgarh aus kämpfen die Naxaliten in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andhra Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.9.2021). In ihrer jetzigen Form sind die naxalitisch-maoistischen Aktivitäten jedoch auf etwa ein Dutzend Bundesstaaten beschränkt. In den Jahren 2019 und 2020 konzentrierten sich, den ACLED-Daten zufolge, 80 % dieser Aktivitäten auf nur vier Bundesstaaten - Chhattisgarh, Jharkhand, Odisha und Maharashtra (ACLED 11.3.2021). Am 13.11.2021 wurden bei Feuergefechten zwischen indischen Soldaten und Naxaliten in einem abgelegenen, rohstoffreichen Waldgebiet im Distrikt Gadchiroli im Bundesstaat Maharashtra, etwa 1.000 km östlich von Mumbai, 26 maoistische Rebellen getötet. Drei Einheiten der Streitkräfte wurden schwer verletzt (BAMF 15.11.2021). Der indische Naxalismus entstand in den 1960er-Jahren im Zuge eines Aufstandes armer Landarbeiter gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung im Dorf Naxalbari im Unionsstaat Westbengalen als eine linksextremistische Bewegung, die sich u. a. auf Mao Tse-tung beruft, wonach politische Macht aus Gewehrläufen kommt. Die Bewegung fand auch in anderen Teilen Indiens Anhänger. Heute bilden den Kern der Aufständischen und Unterstützer Angehörige unterer Kasten und kastenlose Dalits sowie Adivasi (BPB 18.1.2007; vergleiche EB o.D.).
In Punjab ist der Terrorismus Ende der 1990er-Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan bzw. dem Ausland aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 8.2021). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2019 insgesamt zwei Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2020 wurden drei Personen durch Terrorakte getötet, 2021 waren es zwei Todesopfer und bis zum 11.10.2022 wurden für dieses Jahr keine Opfer verzeichnet [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP o.D.a.).
Nach wie vor sind auch sogenannte Ehrenmorde ein Problem, vor allem in Punjab, Uttar Pradesh und Haryana (ÖB 8.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022). Diese sind i. d. R. darauf zurückzuführen, dass das Opfer gegen den Willen seiner Familie geheiratet hat oder heiraten will (USDOS 12.4.2022). Die Ahndung von Ehrenmorden ist schwierig, da diese oft als Selbstmord oder natürlicher Tod ausgelegt werden (ÖB 8.2021).
Im gesamten Land sind kleinere (BICC 7.2022), u.a. in Großstädten auch schwerere terroristische Anschläge möglich (BMEIA 11.10.2022; vergleiche AA 18.10.2022). Die Sicherheitslage bleibt diesbezüglich angespannt. Dies gilt insbesondere im zeitlichen Umfeld staatlicher und religiöser Feiertage sowie von Großereignissen (AA 18.10.2022). Indien unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung (Prevention of Terrorism Ordinance) verabschiedet (BICC 7.2022). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2019 insgesamt 621 Todesopfer durch terroristische Gewalt, für 2020 591, für 2021 585; 2022 wurden bis zum 4. Oktober insgesamt 340 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP o.D.b.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in der Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 8.2021).
Im Juni 2022 kam es in mehreren indischen Bundesstaaten zu gewaltsamen Protesten wegen Äußerungen zweier ehemaliger Sprecher der regierenden Bharatiya Janata Party (BJP), welche als Beleidigung des Propheten Mohammed angesehen wurden (ICG 6.2022; vergleiche AI 14.6.2022). Die Zahl der Todesopfer der Gewalttaten belief sich auf zwei. Während die Proteste in Delhi, Maharashtra, Karnataka, Telangana und Gujarat weitgehend friedlich verliefen, wurden aus Uttar Pradesh (Prayagraj), Howrah in Westbengalen und Teilen von Jammu und Kaschmir Zusammenstöße zwischen der Polizei und Demonstranten gemeldet (QT 11.6.2022).
Bauernproteste gab es gegen die Ende 2020 von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors. Widerstand hatte sich vor allem bei Sikhs im Punjab - dem Brotkorb Indiens - formiert, aber auch in anderen Teilen des Landes. Als im Jänner 2021 die Proteste in Neu Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt waren und u. a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellte die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021). Am 19.11.2021 hat Premierminister Narendra Modi nach mehr als einem Jahr anhaltender Bauernproteste die Reform zur Liberalisierung des Agrarsektors aufgehoben (BAMF 22.11.2021; vergleiche DS 6.12.2021).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 19.10.2022
ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (11.3.2021): Naxal-Maoist Insurgency Trends in India During the Coronavirus Pandemic, https://acleddata.com/2021/03/11/naxal-maoist-insurgency-trends-in-india-during-the-coronavirus-pandemic/, Zugriff 19.10.2022
AI - Amnesty International (14.6.2022): India: Excessive use of force, arbitrary detention and punitive measures against protesters must end immediately, https://www.ecoi.net/de/dokument/2074361.html, Zugriff 19.10.2022
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.11.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw47-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2, Zugriff 19.10.2022
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (15.11.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw46-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2, Zugriff 19.10.2022
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.3.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw12-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 19.10.2021
BICC - Bonn International Centre for Conflict Studies (7.2022): Länderinformation Indien, Informationsdienst, Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte, https://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2021_Indien.pdf, Zugriff 19.10.2022
BMEIA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (11.10.2022): Indien (Republik Indien), Sicherheit & Kriminalität (Stand 19.10.2022), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/indien/, Zugriff 19.10.2022
BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (18.1.2007): Naxaliten: "Größte Herausforderung für die innere Sicherheit", https://www.bpb.de/themen/asien/indien/44474/naxaliten-groesste-herausforderung-fuer-die-innere-sicherheit/, Zugriff 19.10.2022
DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 19.10.2022
DS - Der Standard (6.12.2021): Indiens Bauern zwingen Premier Modi in die Knie, https://www.derstandard.at/story/2000131655280/indiens-bauern-zwingen-premier-modi-in-die-knie, Zugriff 19.10.2022
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FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068733.html, Zugriff 19.10.2022
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ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 19.10.2022
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TOI - Times of India (15.9.2022): Peace pact signed with 8 tribal militant groups of Assam, https://timesofindia.indiatimes.com/india/peace-pact-signed-with-8-tribal-militant-groups-of-assam/articleshow/94228567.cms, Zugriff 19.10.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071142.html, Zugriff 19.10.2022
Jammu und Kaschmir
Letzte Änderung: 14.11.2022
Das Unionsterritorium Jammu und Kaschmir (bis zum 31.10.2019 ein Bundesstaat) ist Teil der größeren Region Kaschmir, die seit der Teilung des Subkontinents im Jahr 1947 Gegenstand von Streitigkeiten zwischen Indien, Pakistan und China ist. Im August 2019 wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Herabstufung von Jammu und Kaschmir vom Status eines Bundesstaates zu dem eines Unionsterritoriums und die Abspaltung eines Teils von Jammu und Kaschmir, der als Region Ladakh bekannt ist, in ein eigenes Unionsterritorium vorsah (EB o.D.; vergleiche ÖB 8.2021). Der Widerruf des Autonomiestatuts des einzigen mehrheitlich von Muslimen bewohnten Bundesstaats Jammu und Kaschmir - einer seit Jahrzehnten von politischer Unruhe und Terrorismus gezeichnete Region - ging mit Menschenrechtseinschränkungen einher. So wurden mit der Begründung der Terrorabwehr bürgerliche Freiheiten wie Versammlungs- und Pressefreiheit über Monate hinweg eingeschränkt. Die lokale Bevölkerung wurde unter eine umfassende Kommunikationsblockade von Internet und Telefon gestellt. Lokale Politiker und Aktivisten wurden präventiv inhaftiert oder unter Hausarrest gestellt (AA 22.9.2021; vergleiche ÖB 8.2021, BS 23.2.2022). Mit der Union der zwei Territorien in direkter Unterstellung unter die Zentralregierung wurden den Bewohnern viele ihrer bisherigen politischen Rechte entzogen. Bürgerliche Freiheiten wurden beschnitten, um öffentlichen Widerstand gegen die Neuordnung zu unterdrücken. Die indischen Sicherheitskräfte werden häufig der Menschenrechtsverletzungen beschuldigt (FH 24.2.2022; vergleiche BICC 7.2022), aber nur wenige werden bestraft (FH 24.2.2022). Die Regierung schloss 2019 die Menschenrechtskommission von Jammu und Kaschmir und beauftragte die National Human Rights Commission of India (NHRC) mit der Überwachung von Menschenrechtsverletzungen im Gebiet. Die NHRC ist für alle Menschenrechtsverletzungen zuständig, außer in bestimmten Fällen, an denen das Militär beteiligt ist (USDOS 12.4.2022).
Drei Jahre nach der Aufhebung des besonderen Autonomiestatus der Region schränken die indischen Behörden Human Rights Watch zufolge die freie Meinungsäußerung, die friedliche Versammlung und andere Grundrechte in Jammu und Kaschmir ein. Die repressive Politik der Regierung und das Versäumnis, mutmaßliche Übergriffe der Sicherheitskräfte zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, haben für die Einwohner die Unsicherheit erhöht (HRW 2.8.2022). Die Behörden berufen sich auf Gesetze sowie auf Terrorismusvorwürfe, um Razzien durchzuführen und willkürlich Journalisten, Aktivisten und politische Anführer ohne Beweise und ohne gerichtliche Überprüfung festzunehmen (HRW 2.8.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022). Diese können im Übrigen Verdächtige bei Sichtkontakt erschießen und Gebäude zerstören, in denen mutmaßlich Kämpfer oder Waffen untergebracht sind (BS 23.2.2022). Der große Handlungsspielraum, der dem Militär und den paramilitärischen Kräften eingeräumt wird, wird auch oft missbraucht (ÖB 8.2021).
In den späten 1980er-Jahren entstanden in der Region militante Organisationen, deren Ziel es war, sich der Kontrolle der indischen Unionsregierung zu widersetzen (EB 25.8.2022). In den letzten drei Jahren sind in Jammu und Kaschmir mehrere neue militante Gruppen entstanden, die durch die Angst und die Wut der Bevölkerung über die Versuche der Zentralregierung, nach 2019 einen demografischen Wandel herbeizuführen, genährt wurden. Ältere Gruppen wie Hizbul Mujahideen und die von Pakistan installierten dschihadistischen Vereinigungen Laschkar-e Taiba und Jaish-e-Mohammed sind immer noch aktiv (ICG 28.6.2022; zu Laschkar-e Taiba vergleiche ACLED 18.8.2022 u. zu Jaish-e Mohammed vergleiche ACLED 6.10.2022), aber neue Gruppen mit nicht-religiösen Namen wie The Resistance Front, Kashmir Tigers, People's Anti-Fascist Front oder United Liberation Front of Kashmir stehen jetzt an der Spitze der militanten Aktivitäten, und mehrere haben sich zu Anschlägen auf Hindus und andere Minderheiten bekannt (ICG 28.6.2022; vergleiche CFR 12.5.2022, ÖB 8.2021 beispielsweise bzgl. der Gruppe Jaish-e-Mohammed).
Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2018 insgesamt 452 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in der Region Jammu und Kaschmir. Im Jahr 2019 wurden 283 Personen bei Terrorakten getötet, 2020 waren es 321 und im Jahr 2021 274. Im Jahr 2022 wurden bis zum 11. Oktober insgesamt 225 Todesfälle durch terroristische Gewaltanwendungen aufgezeichnet [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP o.D.c).
Im Oktober 2021 veranlasste eine neue Welle militanter Angriffe auf Angehörige religiöser Minderheiten in der Region und auf Arbeitsmigranten viele Menschen zur Flucht. Die Sicherheitskräfte reagierten auf den Anstieg der militanten Gewalt mit der kurzzeitigen Festnahme von Hunderten von Zivilisten; die Zunahme der Gewalt, die sowohl von den Militanten als auch von den Sicherheitskräften verursacht wurde, führte in weniger als drei Wochen zum Tod von mindestens 33 Menschen (FH 24.2.2022). Berichten zufolge finden in Jammu und Kaschmir Tötungen sowohl durch staatliche als auch nicht-staatliche Kräfte statt (USDOS 12.4.2022). Terrorgruppen und Rebellenverfügen über spezifische Informationen über die Identität und den Standort von Zielpersonen. In der ersten Hälfte des Jahres 2022 wurden mindestens neun Arbeitsmigranten getötet oder verletzt (ICG 28.6.2022).
Anfang 2021 wurde das Waffenstillstandsabkommen von 2003 über die Line of Control - die De-facto-Grenze zwischen dem indischen und dem pakistanischen Teil von Jammu und Kaschmir - erneuert. Die Meinungsverschiedenheiten über Kaschmir halten jedoch an (ICG 28.6.2022). Laut Bonn International Center for Conflict Studies lässt sich aktuell feststellen, dass sich die Situation in der Kaschmirregion entspannt hat und beide Konfliktparteien sich in letzter Zeit annähern. Eine langfristige Lösung liegt dennoch fern. Dabei charakterisieren Annäherung und Eskalation den Konflikt bereits seit einigen Jahren (BICC 7.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 21.10.2022
ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (6.10.2022): ACLED Regional Overview: South Asia and Afghanistan (24 - 30 September 2022), https://acleddata.com/2022/10/06/regional-overview-south-asia-and-afghanistan-24-30-september-2022/, Zugriff 21.10.2022
ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (18.8.2022): ACLED Regional Overview: South Asia and Afghanistan (6-12 August 2022), https://acleddata.com/2022/08/18/regional-overview-south-asia-and-afghanistan-6-12-august-2022/, Zugriff 21.10.2022
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.4.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw15-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 21.10.2022
BICC - Bonn International Centre for Conflict Studies (7.2022): Länderinformation Indien: Informationsdienst, Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte, https://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2022_Indien.pdf, Zugriff am 21.10.2022
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069774/country_report_2022_IND.pdf, Zugriff 21.10.2022
CFR - Council on Foreign Relations (12.5.2022): Conflict Between India and Pakistan, https://www.cfr.org/global-conflict-tracker/conflict/conflict-between-india-and-pakistan, Zugriff 25.10.2022
EB - Encyclopædia Britannica (25.8.2022): Kashmir, https://www.britannica.com/place/Kashmir-region-Indian-subcontinent/The-Kashmir-problem, Zugriff 21.10.2022
EB - Encyclopædia Britannica (o. D.): Jammu and Kashmir, https://www.britannica.com/place/Jammu-and-Kashmir, Zugriff 20.10.2022
FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 - Indian Kashmir, https://www.ecoi.net/de/dokument/2074648.html, Zugriff 21.10.2022
HRW - Human Rights Watch (2.8.2022): India: Repression Persists in Jammu and Kashmir, https://www.ecoi.net/de/dokument/2076653.html, Zugriff 21.10.2022
ICG - International Crisis Group (28.6.2022): Violence in Kashmir: Why a Spike in Killings Signals an Ominous New Trend, https://www.crisisgroup.org/asia/south-asia/india-pakistan-kashmir/violence-kashmir-why-spike-killings-signals-ominous-new-trend, Zugriff 21.10.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht zu Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 20.10.2022
SATP - South Asia Terrorism Portal (o.D.c.): Datasheet - Jammu & Kashmir, Yearly Fatalities, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/fatalities/india-jammukashmir#, Zugriff 7.5.2021
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071142.html, Zugriff 21.10.2022
Indiens Grenzregionen
Letzte Änderung: 14.11.2022
Indien hat gemeinsame Landgrenzen mit Pakistan, Bangladesch, Bhutan, China, Myanmar und Nepal. Diese Länder bilden zusammen mit den nahe gelegenen Inselstaaten Malediven und Sri Lanka die unmittelbare Nachbarschaft Indiens (WHO 2022). Die Beziehungen Indiens zu seinen Nachbarn in der südasiatischen Region sind seit Jahrzehnten schwierig (BS 23.2.2022). Es gab drei Kriege gegen Pakistan (1947, 1965 und 1999) (CFR 12.5.2022), mit der Volksrepublik China (VR China) wurden bewaffnete Grenzkonflikte ausgetragen, in Bangladesch und Sri Lanka militärisch interveniert und zudem übt Indien militärischen Einfluss auf Nepal aus. Darüber hinaus gibt es bewaffnete Konflikte innerhalb des Landes. Der Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan gilt als der bedeutendste regionale Konflikt mit Potenzial zur nuklearen Eskalation (BICC 7.2022; vergleiche IISS 4.2019, CFR 12.5.2022).
Indien und Pakistan
Indien und Pakistan teilen in einer 3.323 km langen Grenze, entlang den Bundesstaaten Gujarat, Rajasthan, Punjab sowie den Unionsterritorien Jammu und Kaschmir wie auch Ladakh (MHA o.D.). Die Länder teilen sprachliche, kulturelle, geografische und wirtschaftliche Verbindungen, doch sind die Beziehungen der beiden Staaten aufgrund einer Reihe historischer und politischer Ereignisse in ihrer Komplexität verstrickt und werden durch die gewaltsame Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947, den Konflikt um Jammu und Kaschmir sowie die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen den beiden Nationen bestimmt (EFSAS o.D.).
Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche mehrfach zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Indien wirft Pakistan u. a. vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region Jammu und Kaschmir, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Kaschmirgebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 7.2022). Es finden verstärkt bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen indischen und pakistanischen Truppen entlang der internationalen Grenze und der Waffenstillstandslinie (Line of Control, LoC) statt (AA 18.7.2022; vergleiche CRF 12.5.2022). Beide Seiten beschuldigen dabei die jeweils andere Seite, den Waffenstillstand zu verletzen, und behaupten, sie würden nur als Reaktion auf Angriffe schießen (CRF 12.5.2022). Im Feber 2019 verübten von Pakistan unterstützte Militante einen Selbstmordanschlag auf indische Truppen in Pulwama (Jammu und Kaschmir), bei dem indische Sicherheitskräfte getötet wurden. Als Reaktion darauf griff die indische Luftwaffe Lager der Militanten auf pakistanischem (nicht umstrittenem) Gebiet an, woraufhin die pakistanische Luftwaffe Vergeltungsmaßnahmen ergriff (BS 23.2.2022; vergleiche ÖB 8.2021). Dieser Vorfall markierte einen neuen Tiefpunkt in den bilateralen Beziehungen zwischen Indien und Pakistan. Die Änderung des Status quo - des Autonomiestatus - in Jammu und Kaschmir im August 2019 wurde wiederum von Pakistan als Provokation empfunden, da das Gebiet umstritten ist (BS 23.2.2022).
Durch Waffenschmuggel gelangen immer wieder pakistanische Waffen nach Nordindien und dort in die Hände der Rebellengruppen United Liberation Front of Asom (ULFA), National Socialist Council of Nagaland (NSCN), National Democratic Front of Boroland (NDFB). Insbesondere die ULFA ist am Schmuggel beteiligt und erwirbt Waffen in Thailand oder anderen südostasiatischen Ländern, die sie anschließend nach Myanmar, Nepal und Bangladesch liefert oder an maoistische Gruppen im eigenen Land verkauft. Darüber hinaus ist auch der Seeweg eine beliebte Schmuggelroute (BICC 7.2022).
Die Regierung hat nach den Mumbai-Anschlägen im November 2008 mit verschärften Anti-Terrormaßnahmen und einer Umstrukturierung der Antiterroreinheiten reagiert und setzt nun auch vermehrt auf internationale Zusammenarbeit, insbesondere um den Druck auf die pakistanische Regierung zu erhöhen, effektive Maßnahmen zur Bekämpfung des von pakistanischem Boden ausgehenden Terrorismus zu ergreifen (ÖB 8.2021). Beispielsweise drängte Indien im August 2021 angesichts der Verbindungen Pakistans zu den Taliban auf Zusagen dieser, dass das Land nicht von extremistischen Gruppen für Anschläge auf Indien genutzt werden wird (HRW 13.1.2022).
In einer Vereinbarung zwischen Indien und Pakistan mit dem Ziel, "einen gegenseitig vorteilhaften und nachhaltigen Frieden zu erreichen", heißt es, dass nach längeren Verhandlungen die zuletzt bestehende Vereinbarung von 2003 über eine Waffenruhe "in Wort und Geist" ab dem 25.2.2021 umzusetzen ist (PIB 25.2.2021; vergleiche SZ 26.2.2021).
Indien und China
Indien und China teilen laut einer Quelle eine 2.659 km lange Grenze (CIA 25.10.2022). Einer weiteren Quelle zufolge ist ihre gemeinsame Grenze 4.056 km lang (DFAT 10.12.2020). Eigenen Angaben nach verläuft Indiens 3.488 km lange Grenze mit China entlang den Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Sikkim, Uttarakhand, Himachal Pradesh und dem Unionsterritorium Ladakh (MHA o.D.). Indien und China die seit 1962 bestehenden Streitigkeiten über den Grenzverlauf im Himalaja nicht beigelegt. Beide Länder beanspruchen Tausende Quadratkilometer in einem Gebiet, das sich von den Schneewüsten in der Region Ladakh im Westen bis zu den Bergwäldern im Osten zieht (DWN 9.9.2022). Zusammenstöße zwischen Grenzpatrouillen an der 1996 vereinbarten "Line of Actual Control" (LAC), der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin sind häufig (DFAT 10.12.2020; vergleiche FIDH 23.6.2020).
Im Sommer 2020 kam es an der umstrittenen Grenze in Ladakh, früher Teil von Jammu und Kaschmir, zu einem militärischen Patt zwischen chinesischen und indischen Truppen (BS 23.2.2022; vergleiche HT 14.10.2022). Diese stießen im Juni im Galwan-Tal zusammen, wobei es zu den schwersten Kämpfen seit mehr als vier Jahrzehnten gekommen ist und beide Seiten Opfer zu beklagen hatten (THLSC 4.5.2022). Beide Seiten stationierten jeweils mehr als 50.000 Soldaten (HT 14.10.2022). Der Vorfall bedeutet eine weitere Verschlechterung der bereits angespannten Beziehungen zwischen Indien und China (BS 23.2.2022; vergleiche THLSC 4.5.2022), woraufhin nach mehr als zwei Dutzend diplomatischen und militärischen Gesprächsrunden die Truppen von den beiden Ufern des Pangong-Sees, Gogra und Hot Springs, abgezogen wurden (HT 14.10.2022). Zwei Jahre nach dem Unentschieden gibt es immer noch wenig Klarheit über die grundlegende Ursache der anhaltenden Krise an der LAC. Der chinesisch-indische Grenzkonflikt dauert bis heute an verschiedenen Reibungspunkten in Ost-Ladakh an, ungeachtet der wichtigen Durchbrüche im Feber und August 2021, als sich die Truppen beider Seiten gegenseitig vom Nord- und Südufer des Pangong Tso zurückzogen (THLSC 4.5.2022). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 7.2022).
Indien und Bangladesch
Bangladesch und Indien haben eine gemeinsame Grenze von 4.096 km Länge, wobei eine Reihe von grenzüberschreitenden Fragen ihre bilateralen Beziehungen und ihre Zusammenarbeit bestimmen (Shahriar 27.7.2021) und es von Zeit zu Zeit zu kleineren Auseinandersetzungen kommt. Vom Bundesstaat Bihar aus gibt es einen regen Schmuggelverkehr nach Bangladesch. Gleichzeitig werden auch Waffen aus Bangladesch illegal nach Indien gebracht. Dadurch hat sich die Region zu einer regen Transitzone für den Waffenschmuggel entwickelt. Zu Spannungen kommt es in Nordost-Indien auch deswegen, weil mindestens 100.000 Bangladescher dort illegal eingewandert sind. Sie werden als Konfliktpotenzial wahrgenommen (BICC 7.2022). Im Übrigen kontrolliert Indien die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt (GIZ 8.2020a). Beide Länder sind in hohem Maße vom Ganges-Brahmaputra-Meghna-Becken abhängig. Dementsprechend ist der schwindende Wasservorrat in der Trockenzeit zu einem der Hauptprobleme zwischen den beiden Ländern geworden (JASRAE 4.2021). Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 8.2020a; vergleiche PIB 7.9.2022).
Indien und Nepal
Nepal ist für Indien von besonderer sicherheitspolitischer Bedeutung (GIZ 8.2020a). Die beiden Länder haben eine rund 1.800 Kilometer lange offene internationale Grenze, die durch den bilateralen Vertrag über Frieden und Freundschaft (1950) geregelt wird. In der Region Lipulekh macht ein etwa 606 Quadratkilometer umstrittenes Gebiet den Kernpunkt langwieriger Grenzstreitigkeiten zwischen den beiden Ländern aus (AIIA 8.1.2021). Weiters haben sich die Beziehungen zwischen Indien und Nepal im Laufe des Jahres 2020 verschlechtert, nachdem das nepalesische Parlament im Juni 2020 eine Aufnahme dreier umstrittener Grenzgebiete in das nepalesische geografische Kartenwerk abgesegnet hat. Die kartografische Erfassung der umstrittenen Gebiete ist eine Reaktion auf den Bau einer Straße durch eines der umstrittenen Gebiete durch Indien, welches in einer im November 2019 überarbeiteten Karte als zu Indien gehörig ausgewiesen wurde (HRW 13.1.2021). Trotzdem unterstützt Indien die nepalesische Regierung in ihrem Kampf gegen die maoistische Guerilla mit Waffen und Gerät (BICC 7.2022).
Indien und Sri Lanka
Indien und der Inselstaat Sri Lanka pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis (GIZ 8.2020a). Indien lieferte in der Vergangenheit Waffen an die LTTE ("Tamil Tigers") in Sri Lanka (BICC 7.2022). Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 8.2020a). Indien setzt sich für einen Prozess der Versöhnung der ehemaligen Gegner des Bürgerkrieges in Sri Lanka ein (HRW 13.1.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (27.10.2022): Indien: Reise- und Sicherheitshinweise (Stand 31.10.2022), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/indiensicherheit/205998#content_1, Zugriff 3.11.2022
AIIA - Australian Institute of International Affairs (8.1.2020): Most Read of 2020: Border Disputes Between India and Nepal: Will India Act as a Responsible Rising Power?, https://www.internationalaffairs.org.au/australianoutlook/20832/, Zugriff 3.11.2022
AnA - Anadolu Agency (7.9.2022): India, Bangladesh vow to jointly combat terrorism, extremism, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/india-bangladesh-vow-to-jointly-combat-terrorism-extremism/2679000, Zugriff 3.11.2022
BICC - Bonn International Centre for Conflict Studies (7.2022): Länderinformation Indien, Informationsdienst, Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte, https://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2022_Indien.pdf, Zugriff 3.11.2022
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069774/country_report_2022_IND.pdf, Zugriff 3.11.2022
CFR - Council on Foreign Relations (12.5.2022): Conflict Between India and Pakistan, https://www.cfr.org/global-conflict-tracker/conflict/conflict-between-india-and-pakistan, Zugriff 3.11.2022
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (25.10.2022): The World Factbook - India, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/india/, Zugriff 3.11.2022
DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf Zugriff 3.11.2022
DWN - Deutsche Wirtschaftsnachrichten (9.9.2022): Entspannung im Himalaya: Indien und China ziehen Truppen von umstrittener Grenze ab, https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/700092/Entspannung-im-Himalaya-Indien-und-China-ziehen-Truppen-von-umstrittener-Grenze-ab, Zugriff 3.11.2022
EFSAS - European Foundation for South Asia Studies (o.D.): Topics Indo-Pak Relations, https://www.efsas.org/topics/indo-pak-relations.html, Zugriff 3.11.2022
FIDH - International Federation for Human Rights (23.6.2020): China/India/Pakistan: De-escalate tensions along border lines and seek peaceful resolution of disputes,
https://www.fidh.org/en/region/asia/india/china-india-pakistan-de-escalate-tensions-along-border-lines-and-seek, Zugriff 3.11.2022
Shahriar - Saleh Shahriar (27.7.2021): Bangladesh-India border issues: A critical review, in: Geoforum 124, August 2021, Sitzung 257-260, https://www.researchgate.net/profile/Saleh-Shahriar/publication/352176827_Bangladesh-India_border_issues_A_critical_review/links/6134bfc6c69a4e48797d92a1/Bangladesh-India-border-issues-A-critical-review.pdf?_sg%5B0%5D=tn1xS0h-l_KTeuXaJiboBsgrkCuZEospwR2O7nNYXL-d6_Nyvaw30j_gJEfoMGIGXNaFSZaQiEcCl2PtsGzDFw.YjGxadd8O2qgWZIOEha95LSszIHrHfwxKs8b7wko8XGSKac7CNW2pGEggVlDjpEO9TykDp6ihn7hDeLDDsfpbw&_sg%5B1%5D=OGyTd3nX3bHFC3EoeWrqt42HmMTYNGCp_0PooiDR7aj9ksXRYRXcC-UGDmNAJ7w1gDCjFveJu5tpj8T2J2KLVHkwu7T6L4EDt9W_-XRjTdoX.YjGxadd8O2qgWZIOEha95LSszIHrHfwxKs8b7wko8XGSKac7CNW2pGEggVlDjpEO9TykDp6ihn7hDeLDDsfpbw&_iepl%5BgeneralViewId%5D=3nllIsCQZ1VgDRCMe0r1vBtxpS9USiVDwIJv&_iepl%5Bcontexts%5D%5B0%5D=searchReact&_iepl%5BviewId%5D=l0GT4vY75UehClmcrcpirGe69kxDyoq6VbHq&_iepl%5BsearchType%5D=publication&_iepl%5Bdata%5D%5BcountLessEqual20%5D=1&_iepl%5Bdata%5D%5BinteractedWithPosition1%5D=1&_iepl%5Bdata%5D%5BwithoutEnrichment%5D=1&_iepl%5Bposition%5D=1&_iepl%5BrgKey%5D=PB%3A352176827&_iepl%5BtargetEntityId%5D=PB%3A352176827&_iepl%5BinteractionType%5D=publicationDownload, Zugriff 3.11.2022
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (8.2020a): Indien, https://web.archive.org/web/20210105180136/https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 3.11.2022 [Anm.: Archivierte Version vom 5.1.2021]
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066488.html, Zugriff 3.11.2022
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IISS - International Institute for Strategic Studies (4.2019): The India–Pakistan security crisis, https://www.iiss.org/publications/strategic-comments/2019/india-and-pakistan, Zugriff 3.11.2022
JASRAE - Journal of Advances and Scholarly Researches in Allied Education (4.2021): India-Bangladesh Relations: Neighbor Disputes and Border Issues, http://ignited.in/File_upload/Download_Article/JASRAE_ISSUE_3_VOL_18_304842.pdf, Zugriff 3.11.2022
MHA - Ministry of Home Affairs [Indien] (o.D.): Division of MHA, Border Management-I Division, Management of International Borders, Department of Border Management, https://www.mha.gov.in/sites/default/files/BMdiv_I_Annexure_I_12032021.pdf, Zugriff 3.11.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht zu Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 3.11.2022
PIB - Press Information Bureau [Indien] (7.9.2022): India - Bangladesh Joint Statement during the State Visit of Prime Minister of Bangladesh to India, https://pib.gov.in/PressReleasePage.aspx?PRID=1857392, Zugriff 3.11.2022
PIB - Press Information Bureau [Indien] (25.2.2021): Joint Statement, https://www.pib.gov.in/PressReleseDetail.aspx?PRID=1700682, Zugriff 3.11.2022
SZ - Süddeutsche Zeitung (26.2.2021): Wenn plötzlich Frieden ausbricht, https://www.sueddeutsche.de/politik/line-of-control-kaschmir-indien-waffenruhe-pakistan-1.5219103, Zugriff 3.11.2022
SZ - Süddeutsche Zeitung (26.2.2019): Indien bombardiert pakistanischen Teil Kaschmirs, https://www.sueddeutsche.de/politik/indien-pakistan-luftangriff-1.4345509, Zugriff 3.11.2022
THLSC - The Henry L. Stimson Centre (4.5.2022): China's Evolving Strategic Discourse on India, From Doklam to Galwan and Beyond, https://www.stimson.org/2022/chinas-evolving-strategic-discourse-on-india/, Zugriff 3.11.2022
WHO - World Health Organization (2022): Health Systems in Transition; Vol. 11 No. 1 2022; India; Health System Review, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071615/9789290229049-eng.pdf, Zugriff 3.11.2022
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 14.11.2022
Die Justiz in Indien arbeitet formell unabhängig von den politischen Staatsorganen (FH 24.2.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022). Es gibt eine verfassungsmäßig garantierte Gerichtsbarkeit mit dreistufigem Instanzenzug (AA 22.9.2021). Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte (AA 22.9.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022, FH 24.2.2022) sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 22.9.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022). Viele Verdächtige bleiben oft länger in Haft als die Dauer der Strafe, die sie im Falle einer Verurteilung erhalten könnten (FH 24.2.2022). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre (AA 22.9.2021; vergleiche ÖB 8.2021). Außer bei von Todesstrafe bedrohten Delikten sollen Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 % aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft, was dazu führt, dass Zeugen aufgrund von Bestechung und/oder Bedrohung vor Gericht häufig nicht frei aussagen (AA 22.9.2021). Die Rechte auf ein ordnungsgemäßes Verfahren werden nicht konsequent eingehalten. Die Bürger sehen sich bei der Verfolgung der Rechtsansprüche mit erheblichen Hindernissen konfrontiert, darunter z. B. auch die Forderungen nach Bestechungsgeldern (FH 24.2.2022).
Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen (USDOS 12.4.2022). In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z. B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u. a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 22.9.2021) z. B. bei Anwendung des Unlawful Activities Prevention Act (UAPA). Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt. Gerichte sind verpflichtet, Urteile öffentlich zu verkünden, und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern oder sich schuldig zu bekennen (USDOS 12.4.2022).
Das Justizsystem gliedert sich in: a) Supreme Court - das Oberste Gericht - mit Sitz in Delhi; es regelt als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten und ist auch Berufungsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. b) High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Berufungsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. c) Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. d) Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 8.2021).
Im Dezember 2019 veröffentlichte das Ministerium für Recht und Justiz den "Scheme on Fast Track Special Courts for Expeditious Disposal of Cases of Rape and Protection of Children against Sexual Offences (POCSO)" Act. Das Gesetz zielt darauf ab, 1.023 Fast-Track-Gerichte im ganzen Land einzurichten, um die 166.882 [Stand 2020] Vergewaltigungs- und POCSO-Gesetzesfälle zu erledigen, die bei verschiedenen Gerichten anhängig sind (USDOS 30.3.2021). Das Gesetz sieht vor, dass in jedem Bezirk mindestens ein Sondergericht für Sexualstraftaten gegen Kinder (POCSO-Gericht) eingerichtet wird, aber die Umsetzung dieser Bestimmung verzögert sich. Die Regierung gab an, dass während der COVID-19-Pandemie 49.000 anhängige Fälle im Zusammenhang mit Vergewaltigung und Sexualdelikten an Kindern durch den Einsatz von 1.023 Schnellgerichten bearbeitet wurden (USDOS 12.4.2022).
Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z. B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit (National Security Act, 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit (Jammu and Kashmir Public Safety Act, 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu zwei Jahren (in Fällen des Public Safety Act) ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden (AA 22.9.2021). Eine Reihe an Sicherheitsgesetzen ermöglicht die Inhaftierung ohne Anklage oder auf Grundlage vage definierter Straftaten (FH 24.2.2022). Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind nicht bekannt (AA 22.9.2021).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischem Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es ist nicht unüblich, dass Häftlinge misshandelt werden, in einigen Fällen sogar mit Todesfolge. Es kommt mitunter auch zu Folter (AA 22.9.2021; vergleiche LI 5.10.2021). Es wurde von Fällen berichtet, in denen die Polizei Verdächtigen das Recht auf einen Rechtsbeistand verweigerte (USDOS 12.4.2022; vergleiche TOI 5.10.2021).
Einzelpersonen oder NGOs können bei jedem Obersten Gericht oder direkt beim Obersten Gerichtshof eine Klage im öffentlichen Interesse einreichen, um gerichtliche Abhilfe für einen öffentlichen Schaden zu erlangen. Die Beschwerden können eine Verletzung öffentlicher Pflichten durch einen Regierungsbeamten oder einen Verstoß gegen eine Verfassungsbestimmung beinhalten. NGOs sind der Meinung, dass Regierungsbeamte in Fällen von Korruptions- und Parteilichkeitsvorwürfen gegenüber Organisationen der Zivilgesellschaft rechenschaftspflichtig sind (USDOS 12.4.2022).
Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Gemeinderäte, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führen, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 24.2.2022). In Indien gibt es zudem die Möglichkeit der Alternative Dispute Redressal (ADR / Alternative Streitbeilegung) (NPI 26.4.2022; vergleiche BuS 9.4.2022). ADR bietet die Möglichkeit, alle Arten von Angelegenheiten zu lösen, einschließlich zivilrechtlicher, kommerzieller, industrieller und familiärer Angelegenheiten usw., bei denen die Menschen nicht in der Lage sind, eine Verhandlung zu beginnen und eine Einigung zu erzielen. Im Allgemeinen wird bei ADR eine neutrale dritte Partei eingesetzt, die den Parteien hilft, miteinander zu kommunizieren, die Differenzen zu erörtern und den Streit zu lösen. Das Verfahren verläuft ohne Einschaltung gerichtlicher Institutionen (LSI o.D.)
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 1.9.2022
BuS - Business Standard (9.4.2022): Alternative dispute resolution could transform legal landscape: CJI Ramana, https://www.business-standard.com/article/current-affairs/alternative-dispute-resolution-could-transform-legal-landscape-cji-ramana-122040900686_1.html, Zugriff 12.9.2022
FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom House: Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 2.9.2022
NPI - National Portal of India [Indien] (26.4.2022): Alternative Dispute Redressal (ADR), https://www.india.gov.in/topics/law-justice/alternative-dispute-redressal-adr, Zugriff 9.9.2022
LI - Law Insider (5.10.2021): Harassment in Indian Prisons, https://www.lawinsider.in/columns/harassment-in-indian-prisons, Zugriff 14.9.2022
LSI - Legal Service India (o.D.): Alternative Dispute Resolution (ADR), https://www.legalserviceindia.com/legal/article-1678-alternative-dispute-resolution-adr-.html, Zugriff 2.9.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
TOI - The Times of India (5.10.2021): Being kept in illegal confinement, not allowed to meet lawyer: Priyanka Gandhi, https://timesofindia.indiatimes.com/india/illegally-confined-not-allowed-to-meet-lawyer-priyanka-gandhi-on-her-detention/articleshow/86784461.cms, Zugriff 21.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071142.html, Zugriff 1.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff 21.9.2022
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 14.11.2022
Die indische Polizei (Indian Police Service) untersteht den Bundesstaaten (AA 22.9.2021) und ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 7.2022). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten (BICC 7.2022). Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert (BICC 7.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022). Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während Erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit die Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die für Frauen und Kinder zuständig sind. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (BICC 7.2022).
Die rechtsstaatliche Kontrolle der Polizei ist in ganz Indien defizitär. Hier zeigt sich vor allem ein den Anforderungen an einen modernen Rechtsstaat nicht adäquater Ausbildungs- und Ausrüstungsstand der Polizei (AA 22.9.2021). Vor allem die Korruption innerhalb der Polizei ist nach wie vor ein Problem. Darüber hinaus wird von Folter, Misshandlung und Vergewaltigung durch Strafverfolgungs- und Sicherheitsbeamte berichtet (FH 24.2.2022). Dies schlägt sich in einem mangelhaften Vertrauen der Bevölkerung nieder und hat damit auch mittelbar Auswirkungen auf andere Menschenrechtsbereiche, z. B. die Bereitschaft zu Strafanzeigen bei Menschenrechtsverstößen. Besonders in sogenannten Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 22.9.2021). Die Sicherheitskräfte stützen ihr Vorgehen dabei auf den Armed Forces Special Powers Act (AFSPA), der es praktisch unmöglich macht, sie für etwaige Menschenrechtsverletzungen bzw. sonstige Straftaten im Rahmen ihres Dienstes zur Rechenschaft zu ziehen (ÖB 8.2021; vergleiche HRW 13.1.2022, AA 22.9.2021). Seit dem Entzug des Autonomiestatuts im August 2019 gehen die Sicherheitskräfte noch repressiver vor (ÖB 8.2021). Der AFSPA ermöglicht es der Zentralregierung, einen Bundesstaat oder ein Unionsterritorium als "Unruhegebiet" zu bezeichnen und die Sicherheitskräfte in diesem Bundesstaat zu ermächtigen, tödliche Gewalt anzuwenden, um "Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten" und jede Person festzunehmen "gegen die ein begründeter Verdacht besteht", ohne den Festgenommenen über die Gründe für die Festnahme zu informieren (USDOS 12.4.2022).
Im Juli 2016 ließ das Oberste Gericht in einem Zwischenurteil zum AFSPA in Manipur erste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erkennen. Der Schutz der Menschenrechte sei auch unter den Regelungen des AFSPA unbedingt zu gewährleisten (AA 22.9.2021). Eine Einschränkung der Zuständigkeit des AFSPA erfolgte im April 2021 auf Empfehlung eines hochrangigen Ausschusses, der eingesetzt wurde, um die Möglichkeit einer Aufhebung des AFSPA zu prüfen, nachdem die Armee im Dezember 2021 im Distrikt Mon in Nagaland 14 Zivilisten aufgrund einer "Verwechslung" getötet hatte. Daraufhin wurde das AFSPA in einigen Polizeidistrikten von Manipur und Assam aufgehoben (IE 1.10.2022; vergleiche TOI 1.4.2022). Der AFSPA ist derzeit vor allem in Teilen des Nordostens in Kraft. Die Zentralregierung hat das Gesetz in drei Bezirken von Arunachal Pradesh und neun Bezirken von Nagaland um sechs Monate, vom 1.10.2022 bis zum 30.3.2023, verlängert (IT 1.10.2022). Für den Bundesstaat Jammu und Kaschmir existiert eine eigene Fassung (AA 22.9.2021).
Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die "Beschützerin der Nation", aber nur im militärischen Sinne (BICC 7.2022). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 22.9.2021; vergleiche BICC 7.2022). Gemessen an der Zahl der Soldaten hat Indien die zweitgrößten Streitkräfte der Welt. Das personalstarke indische Heer verfügt über eine beträchtliche Anzahl an schweren Waffen. Diese sind jedoch teilweise veraltet, insbesondere die noch von der UdSSR gelieferten Waffensysteme. Indien ist jedoch dabei, diese durch neuere Systeme aus Eigenproduktion bzw. aus ausländischer Produktion zu ersetzen (BICC 7.2022).
Paramilitärischen Einheiten werden als Teil der Streitkräfte v.a. bei internen Konflikten eingesetzt - so in Jammu und Kaschmir sowie in den nordöstlichen Bundesstaaten. Bei diesen Einsätzen kommt es oft zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen (BICC 7.2022). Eine der paramilitärischen Einheiten der indischen Armee ist die hochspezialisierte Special Frontier Force (SFF). Die Einheit besteht hauptsächlich aus tibetischen Flüchtlingen und operiert entlang der tibetischen Grenze, um die strategische Sicherheit Indiens gegenüber China zu erhöhen. Aufgrund der Grenzstreitigkeiten und der Bedrohung aus dem Norden hatte Indien Bedarf an einer gezielten Spezialausbildung, und so wurde die SFF in den Grenzgebieten stationiert und zu hochspezialisierten Dschungel- und Gebirgskämpfern ausgebildet. Die SFF arbeitet zwar technisch unabhängig, untersteht aber dem Direktor des Research and Analysis Wing (R&AW - Indiens wichtigster Auslandsnachrichtendienst) (GD 11.10.2022).
Insgesamt gibt es in Indien 15-16 Arten von paramilitärischen Streitkräften (MVI 9.8.2020). Dazu zählen neben der SFF die Central Reserve Police Force (CRPF), eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze; die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz) als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesch und Myanmar, die auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt wird; die Assam Rifles, zuständig für die Grenzverteidigung im Nordosten (ÖB 8.2021); die National Security Guard (NSG); die Indo Tibetan Border Police (ITBP); die Central Industrial Security Force (CISF); das Defence Security Corps (DSC); die Railway Protection Force (RPF); die Sashastra Seema Bal (SSB); die India Reserve Battalions (IRB); und einige weitere Einheiten wie die CRPF's Commando Battalions for Resolute Action (CoBRA) (MVI 9.8.2020), eine Spezialeinheit, die für Guerilla-/Dschungelkriegseinsätze zur Bekämpfung von Maoisten aufgestellt wurde (CRPF 10.6.2022). Die u.a. auch in den von linksextremistischen Gruppen (sogenannten Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium. Auch die Nachrichtendienste Indiens im Inland (Intelligence Bureau - IB) wie Ausland (R&AW) handeln auf gesetzlicher Grundlage. Sie unterstehen über den nationalen Sicherheitsberater direkt dem Premierminister (AA 22.9.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 17.10.2022
BICC - Bonn International Centre for Conflict Studies (12.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, https://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2022_Indien.pdf, Zugriff 17.10.2022
CRPF - Central Reserve Police Force [Indien] (10.6.2022): CoBRA Sector, https://crpf.gov.in/about-sector-cobra-sector.html, Zugriff 17.20.2022
FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068733.html, Zugriff 17.10.2022
GD - Grey Dynamics (11.10.2022): Special Frontier Force: Tibetan Elite Mountain Warfare Unit, https://greydynamics.com/special-frontier-force-indias-elite-mountain-warfare-unit/#A_Modern_SFF, Zugriff 17.10.2022
HRW - Human Rights Watch (22.8.2022): India: Repression Persists in Jammu and Kashmir, https://www.hrw.org/news/2022/08/02/india-repression-persists-jammu-and-kashmir, Zugriff 19.10.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - India, https://www.ecoi.net/en/document/2066488.html, Zugriff 17.10.2022
IE - Indian Express (1.10.2022): ‘Disturbed area’ application in Nagaland, Arunachal to continue for 6 more months, https://indianexpress.com/article/india/disturbed-area-application-in-nagaland-arunachal-to-continue-for-6-more-months-8183688/, Zugriff 17.10.2022
IT - India Today (1.10.2022): AFSPA extended in Arunachal Pradesh, Nagaland for six months from today, https://www.indiatoday.in/india/story/afspa-extended-arunachal-pradesh-nagaland-six-months-from-today-2007010-2022-10-01, Zugriff 17.10.2022
MVI - Mission Victory India (9.8.2020): India's Para Military Forces Need Radical Restructuring! https://missionvictoryindia.com/para-military-forces-a-need-for-restructuring-merger-consolidation-employment-in-befitting-roles/, Zugriff 17.10.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 17.10.2022
TOI - Times of India (1.4.2022): After decades, AFSPA to go from parts of 3 North East states, https://timesofindia.indiatimes.com/india/after-decades-afspa-to-go-from-parts-of-3-north-east-states/articleshow/90578789.cms, Zugriff 17.10.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/en/document/2071142.html, Zugriff 17.10.2022
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 14.11.2022
Indien hat im Jahr 1997 das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe unterzeichnet, jedoch bisher nicht ratifiziert (AA 22.9.2021). Es sind außerdem keine für die Ratifizierung notwendigen Änderungen der nationalen Gesetzgebung eingeleitet worden (BICC 7.2022). Ein Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Folter (Bill on the Prevention of Torture), welcher innerstaatliche Voraussetzung der Ratifizierung der UN-Anti-Folterkonvention ist (AA 22.9.2021), wurde vom Parlament bisher nicht verabschiedet (AA 22.9.2021; vergleiche FH 24.2.2022).
Folter ist in Indien verboten (AA 22.9.2021) und der indische Staat verfolgt Folterer grundsätzlich und veranstaltet Kampagnen zur Bewusstseinsbildung bei den Sicherheitskräften. Allerdings bleiben Menschenrechtsverletzungen, begangen von Polizeibeamten und paramilitärischen Einheiten, häufig ungeahndet und führen nicht einmal zu Ermittlungsverfahren (ÖB 8.2021), weil Opfer ihre Rechte nicht kennen oder eingeschüchtert werden (AA 22.9.2021). Besonders gefährdet sind Angehörige unterer Kasten und andere sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten (ÖB 8.2021).
Es kommt immer wieder zu willkürlichen Übergriffen der Staatsorgane, insbesondere der Polizeikräfte, vor allem gegenüber Häftlingen in Polizeigewahrsam, die unter Umständen auch zum Tode führen können (ÖB 8.2021). Es ist nicht unüblich (AA 22.9.2021) bzw. ist es weit verbreitet, dass Häftlinge misshandelt werden - insbesondere Angehörige marginalisierter Gruppen (FH 24.2.2022); in einigen Fällen sogar mit Todesfolge (AA 22.9.2021).
Trotz der Ausbildungsmaßnahmen für höherrangige Polizisten (ÖB 8.2021) gibt es auch weiterhin Berichte über die Anwendung von Folter (USDOS 12.4.2022; vergleiche ÖB 8.2021), willkürliche Verhaftungen (ÖB 8.2021) und erzwungene Geständnisse (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.9.2021) - obwohl aufgrund von Folter erlangte Aussagen vor Gericht nicht zur Verwertung zugelassen sind (AA 22.9.2021). Aus den Zahlen, die dem indischen Parlament im August 2021 vorgelegt wurden, geht hervor, dass in den vorangegangenen drei Jahren 5.569 Menschen in richterlichem oder polizeilichem Gewahrsam gestorben sind (FH 24.2.2022). Gelegentlich wird auch von Tötungen bei gestellten Zwischenfällen (sog. "encounter killings") berichtet (AA 22.9.2021). So wurden in einem aufsehenerregenden Fall im Dezember 2019 in Hyderabad vier einer Gruppenvergewaltigung und des Mordes beschuldigte Verdächtigte von der Polizei bei einem angeblichen Lokalaugenschein "auf der Flucht" erschossen. Die Tat wurde von Teilen der Gesellschaft und einigen Politikern explizit begrüßt (AA 23.9.2020).
In einigen Fällen wird von willkürlichen und nicht gemeldeten Verhaftungen berichtet, bei denen dem Verhafteten mitunter ausreichend Wasser und Nahrung vorenthalten werden. Die angerufenen Gerichte haben in den letzten Jahren teilweise verstärkt Verantwortung gezeigt, zumal NGOs und die Presse kritisch über die ihnen bekannt gewordenen Fälle berichten (ÖB 8.2021). Auch über Übergriffe und teils schwere Menschenrechtsverletzungen der Militärs und der paramilitärischen Gruppen bei ihren Einsätzen im Inneren (vor allem in Jammu und Kaschmir sowie in Indiens Nordosten) berichten Menschenrechtsorganisationen und die National Human Rights Commission (ÖB 8.2021; vergleiche HRW 22.8.2022) - sowohl gegenüber der Zivilbevölkerung, als auch gegenüber Personen, die zu Recht oder zu Unrecht der Militanz zugerechnet werden (ÖB 8.2021). Darunter fallen routinemäßige Schikanen und Misshandlungen (HRW 22.8.2022), sowie willkürliche Festnahmen und extralegale Tötung (HRW 22.8.2022; vergleiche ÖB 8.2021).
Vergehen werden vereinzelt (militär-) gerichtlich geahndet, der Prozess und Prozessausgang bleiben allerdings geheim (ÖB 8.2021). Insgesamt werden den Sicherheitskräften (Polizei, paramilitärische Einheiten, Militär) schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihren Einsätzen in den Krisengebieten des Landes nachgesagt (BICC 7.2022).
Der Armed Forces Special Powers Act (AFSPA) gewährt den Sicherheitskräften selbst bei schweren Menschenrechtsverletzungen weitgehend Immunität vor Strafverfolgung (HRW 13.1.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022, AA 22.9.2021). Gemäß dem AFSPA kann die Zentralregierung einen Bundesstaat oder ein Unionsterritorium als Unruhegebiet [disturbed area] ausweisen und die Sicherheitskräfte in diesem Staat ermächtigen, tödliche Gewalt anzuwenden, um Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten und jede Person zu verhaften, gegen die ein "begründeter Verdacht" besteht - ohne den Festgenommenen den Grund der Festnahme mitzuteilen (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 22.9.2021). Zusätzlich können Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl durchgeführt werden (AA 22.9.2021). Jedoch wurde das umstrittene Sonderermächtigungsgesetz AFSPA im April 2018 für den Bundesstaat Meghalaya aufgehoben, im Bundesstaat Arunachal Pradesh auf acht Polizeidistrikte beschränkt und ist seit April 2019 in drei weiteren Polizeidistrikten von Arunachal Pradesh teilweise aufgehoben. Unverändert in Kraft ist es in folgenden als Unruhegebiete geltenden Staaten: Assam, Nagaland sowie in Teilen von Manipur (AA 22.9.2021). Für das Unionsterritorium Jammu und Kaschmir existiert eine eigene Fassung (AA 22.9.2022). Auch dort ist das AFSPA weiter in Kraft (HRW 13.1.2022).
Es gibt zwar Ermittlungen und Verfolgungen von Einzelfällen, aber eine unzureichende Durchsetzung wie auch ein Mangel an ausgebildeten Polizeibeamten und ein überbelastetes und unterfinanziertes Gerichtssystem tragen zu einer geringen Zahl von Verurteilungen bei (USDOS 12.4.2022). Neue Fälle von Folter in Polizeigewahrsam und außergerichtlichen Tötungen machen deutlich, dass es nach wie vor an Rechenschaftspflicht für polizeiliche Übergriffe mangelt und Polizeireformen nicht durchgesetzt werden (BICC 7.2022). Die Behörden berufen sich weiterhin auf Paragraf 197 der Strafprozessordnung, der die Genehmigung der Regierung für die strafrechtliche Verfolgung von Polizeibeamten vorschreibt, um die Rechenschaftspflicht selbst in Fällen von schweren Misshandlungen zu verhindern. Im März 2021 lehnte die Regierung des Bundesstaates Gujarat die Genehmigung zur strafrechtlichen Verfolgung von drei Polizeibeamten ab, die der außergerichtlichen Tötung an einer muslimischen Frau im Jahr 2004 beschuldigt wurden (HRW 13.1.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 12.9.2022
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 12.9.2022
BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2022): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, https://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2022_Indien.pdf, Zugriff 12.9.2022
FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068733.html, Zugriff 5.9.2022
HRW - Human Rights Watch (22.8.2022): India: Repression Persists in Jammu and Kashmir, https://www.hrw.org/news/2022/08/02/india-repression-persists-jammu-and-kashmir, Zugriff 19.10.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - India, https://www.ecoi.net/en/document/2066488.html, Zugriff 12.9.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/en/document/2071142.html, Zugriff 5.9.2022
Korruption
Letzte Änderung: 14.11.2022
Korruption ist in Indien weit verbreitet (AA 22.9.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022). Sie ist auf allen Regierungsebenen vertreten. NGOs berichten, dass üblicherweise Bestechungsgelder bezahlt werden, um Dienste wie Polizeischutz, Schuleinschreibung, Zugang zu Wasserversorgung oder Beihilfen zu beschleunigen (USDOS 12.4.2022). Während die Bestechung bei Transaktionen auf der Ebene der Zentralregierung vor allem durch die Digitalisierung zurückgegangen zu sein scheint, grassiert die Korruption in den meisten staatlichen Behörden und vor allem auf lokaler bzw. kommunaler Ebene (TOI 15.8.2022).
Ermittlungen und strafrechtliche Verfolgung von Einzelfällen finden zwar statt, aber die unzureichende Durchsetzung, der Mangel an ausgebildeten Polizeibeamten und ein überlastetes und unterfinanziertes Gerichtssystem tragen zu einer geringen Zahl von Verurteilungen bei (USDOS 12.4.2022). Groß angelegte politische Korruptionsskandale haben wiederholt Bestechlichkeit und anderes Fehlverhalten aufgedeckt, doch wird den Behörden eine selektive, parteiische Durchsetzung bei Bestrafungen vorgeworfen (FH 24.2.2022).
Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Dienst vor, in der Praxis kommen Staatsdiener mit korrupten Praktiken häufig ungestraft davon (USDOS 12.4.2022). Mit dem Lokpal- und dem Lokayuktas-Gesetz von 2014 wurden unabhängige nationale und bundesstaatliche Stellen geschaffen, die Beschwerden über Korruption gegen Beamte oder Politiker entgegennehmen, solche Vorwürfe untersuchen und Verurteilungen gerichtlich durchsetzen sollen. Die neuen Behörden haben ihre Tätigkeit nur schleppend aufgenommen; Schlüsselpositionen blieben 2021 unbesetzt, und bei den Ermittlungen zu Korruptionsvorwürfen gegen Beamte wurden nur geringe Fortschritte erzielt (FH 24.2.2022). Im Juni 2021 berichtete der Anti-Korruptions-Ombudsmann des Landes, dass er im Laufe des Jahres 110 Korruptionsbeschwerden, darunter vier gegen Parlamentsmitglieder, erhalten hat (USDOS 12.4.2022).
Indien scheint im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International im Jahre 2021 mit einer Bewertung von 40 (von 100) (0 sehr korrupt, 100 kaum korrupt) auf dem 85. Platz von 180 Staaten auf (2020: Bewertung 40, 86. Rang von 180 Staaten) (TI 2022; vergleiche TI 2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 5.9.2022
FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068733.html, Zugriff 5.9.2022
TOI - Times of India (15.8.2022): India at 75: Indians confident country's clout will rise but feel joblessness will be top challenge in next 5 years, says survey, https://timesofindia.indiatimes.com/india/india-at-75-indians-confident-countrys-clout-will-rise-but-feel-joblessness-will-be-top-challenge-in-next-5-years-says-survey/articleshow/93560471.cms, Zugriff 5.9.2022
TI - Transparency International (2022): Corruption Perceptions Index 2021, https://www.transparency.org/en/cpi/2021, Zugriff 5.9.2022
TI - Transparency International (2021): Corruption Perceptions Index 2020, https://www.transparency.org/en/cpi/2020, Zugriff 21.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/india/, Zugriff 5.9.2022
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 14.11.2022
Indiens Zivilgesellschaft ist vielstimmig; es gibt eine schier unüberschaubare Anzahl von NGOs, offizielle Schätzungen gehen von über 300.000 aus - darunter viele in- und ausländische Menschenrechtsorganisationen (AA 22.9.2021). Nach anderen Angaben sind sogar Millionen von NGOs in einer Reihe von Themenbereichen tätig, darunter Umweltfragen, der Schutz der Menschenrechte und der Kampf für die Gleichstellung der Geschlechter (BS 23.2.2022).
Die meisten in- und ausländischen Menschenrechtsorganisationen können i.d.R. ohne Einschränkungen durch die Regierung operieren (USDOS 12.4.2022; vergleiche ÖB 8.2021, AA 22.9.2021), Fälle von Menschenrechtsverletzungen untersuchen und die Ergebnisse veröffentlichen (USDOS 12.4.2022) - zumindest außerhalb von Jammu und Kaschmir (ÖB 8.2021). Die Regierung trifft sich i. d. R. mit inländischen NGOs, beantwortet deren Anfragen und ergreift als Reaktion auf ihre Berichte und Empfehlungen Maßnahmen. Die National Human Rights Commission (NHRC) arbeitet mit zahlreichen NGOs zusammen, und in mehreren Ausschüssen der NHRC sind NGOs vertreten. Die Regierung schloss 2019 die Menschenrechtskommission von Jammu und Kaschmir und beauftragte die NHRC, dort Menschenrechtsverletzungen zu überwachen (USDOS 12.4.2022).
Aufeinanderfolgende indische Regierungen haben zeitweise versucht, die Aktivitäten von NGOs, insbesondere von solchen, die sich mit Themen befassen, die als sensibel gelten (z.B. strukturelle Diskriminierung, Rechte von Dalits, Stammesangehörigen und anderen benachteiligten Gruppen) einzuschränken (DFAT 10.12.2020). Schikanen gegen NGOs haben unter Premierminister Modi erheblich zugenommen. Einige NGOs, insbesondere diejenigen, die an Untersuchungen von Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind (FH 24.2.2022), sehen sich zunehmenden Behinderungen durch die Behörden ausgesetzt (ÖB 8.2021; vergleiche FH 24.2.2022). NGOs sind nicht selten Schikanen der Behörden (Verzögerung oder Versagung von Genehmigungen vor allem auch zum Empfang ausländischer Mittel, häufige Rechnungs- und Finanzprüfungen, schleppende Bearbeitung oder Versagung der Visaerteilung für ausländisches Personal, Ausreiseverbote) und auch Drohungen, etwa durch Armee oder Polizei (AA 22.9.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022, FH 24.2.2022) und mitunter tödlicher Gewalt ausgesetzt (FH 24.2.2022).
Immer wieder werden Aktivisten, oftmals unter dem Vorwurf, mit terroristischen Organisationen in Verbindung zu stehen, verhaftet (ÖB 8.2021); einige NGOs wurden beschuldigt, Verbindungen zu extremistischen Gruppen zu haben (TG 2.1.2022).
Ausländische NGOs
Die Aktivitäten ausländischer NGOs wurden weiter eingeschränkt (BS 23.2.2022). Durch den Foreign Contribution Regulation Act 2020 (FCRA) wurde es NGOs mehr oder weniger unmöglich gemacht, ausländische Finanzierungen zu erhalten. Dies betrifft u. a. auch europäische NGOs, bzw. solche, die mit Europa zusammenarbeiten, u. a. die österreichische Dreikönigsaktion (ÖB 8.2021). Die Konten von Amnesty International Indien, welches sich sehr kritisch zu Menschenrechtsverletzungen der Regierung geäußert hatte, wurden auf Basis dieses Gesetzes gesperrt, womit Amnesty seine Arbeit einstellen musste (ÖB 8.2021; vergleiche DW 29.12.2021). Unter Anwendung des FCRA entzog das Innenministerium im Juni 2021 der Commonwealth Human Rights Initiative die Zulassung. Die Menschenrechtsorganisation setzte sich für Gerechtigkeit und den Zugang zu Information ein. Auch zehn internationale NGOs, die sich mit Umweltschutz, Klimawandel und Kinderarbeit befassten, verloren ihre Zulassung. Außerdem setzte das Ministerium mehr als 80 Wohltätigkeits- und Menschenrechtsorganisationen ohne Angabe von Gründen auf die sogenannte Prior-Reference-Category-Liste. Organisationen, die auf dieser Liste stehen, können Finanzmittel nur nach einer Genehmigung durch das Innenministerium empfangen oder vergeben, wodurch ihre Arbeit erheblich eingeschränkt wird (AI 29.3.2022).
Unter bestimmten Umständen erlaubt der FCRA der Bundesregierung, NGOs den Zugang zu ausländischer Finanzierung zu verweigern, wobei die Behörden beschuldigt wurden, diese Macht selektiv gegen vermeintliche politische Gegner einzusetzen. Die FCRA-Lizenzen von mehr als 20.600 Gruppierungen wurden in den letzten 10 Jahren gekündigt, fast 6.000 allein im Jahr 2021 (FH 24.2.2022).
Jammu und Kaschmir
Einige Menschenrechtsbeobachter in Jammu und Kaschmir können Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, werden aber Berichten zufolge von den Sicherheitskräften, der Polizei und anderen Strafverfolgungsbehörden immer wieder behindert oder schikaniert (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 13.9.2022
AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Indien 2021, https://www.ecoi.net/en/document/2070253.html, Zugriff 13.9.2022
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069774/country_report_2022_IND.pdf, Zugriff 13.9.2022
DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 13.9.2022
DW - Deutsche Welle (29.12.2021): India: Activists slam 'witch hunt' of foreign-funded NGOs, https://www.dw.com/en/india-activists-slam-witch-hunt-of-foreign-funded-ngos/a-60286446, Zugriff 30.9.2022
FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068733.html, Zugriff 5.9.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
TG - The Guardian (2.1.2022): https://www.theguardian.com/world/2022/jan/02/oxfam-says-its-work-in-india-is-imperilled-by-ban-on-foreign-funding, Zugriff 30.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/en/document/2071142.html, Zugriff 20.9.2022
Ombudsmann
Letzte Änderung: 14.11.2022
Im Oktober 1993 wurde die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission / NHRC) gegründet (NHRC 9.10.2018). Ihre Satzung beinhaltet den Schutz des Menschenrechtsgesetzes aus dem Jahre 1993, geändert durch den Protection of Human Rights (Amendment) Act von 2006 (NHRC 9.10.2018; vergleiche INDI 13.9.2006). Die Kommission verkörpert nach eigenen Angaben das Anliegen Indiens für den Schutz der Menschenrechte (NHRC 9.10.2018). Die NHRC ist ein unabhängiges und unparteiisches Untersuchungs- und Beratungsorgan der Zentralregierung. Sie hat das Mandat, sich mit Menschenrechtsverletzungen durch Beamte zu befassen, sich in Gerichtsverfahren einzuschalten, die Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und das öffentliche Bewusstsein für Menschenrechte zu fördern. Die NHRC ist direkt dem Parlament rechenschaftspflichtig. Sie hat die Möglichkeit, Zeugen zu laden, Dokumentationen zu erstellen und öffentliche Berichte einzufordern. Sie empfiehlt auch angemessene Entschädigungen in Form von Kompensationen für Familien von durch Regierungskräfte Getöteten. Sie kann aber weder die Umsetzung ihrer Empfehlungen durchsetzen noch Vorwürfen gegen militärisches oder paramilitärisches Personal nachgehen. 24 Bundesstaaten haben eigene Menschenrechtskommissionen, die eigenständige Untersuchungen durchführen, aber unter der NHRC arbeiten (USDOS 12.4.2022).
Menschenrechtsgruppen mutmaßen, dass die Menschenrechtskommissionen durch die lokale Politik in ihrer Tätigkeit eingeschränkt sind. Es gibt Vorwürfe von Menschenrechtsgruppen, wonach Fälle, die älter als ein Jahr sind, nicht untersucht werden. Sie kritisieren weiter, dass nicht alle Beschwerden registriert, Fälle willkürlich abgewiesen, nicht gründlich untersucht und Beschwerden zurück zum angeblichen Verursacher geleitet werden, sowie, dass die Beschwerdeführer nicht ausreichend geschützt werden (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
INDI - Gesetzgebung [Indien] (13.9.2006): The Protection of Human Rights (Amendment) Act, 2006, https://indiankanoon.org/doc/1886090/, Zugriff 11.10.2022
NHRC - National Human Rights Commission India [Indien] (9.10.2018): National Human Rights Commission India, http://www.nhrc.nic.in/about-us/about-the-Organisation, Zugriff 4.10.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/en/document/2071142.html, Zugriff 4.10.2022
Wehrdienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung: 14.11.2022
Indien unterhält eine Berufsarmee (AA 22.9.2021). Es besteht keine Wehrpflicht (BICC 7.2022; vergleiche CIA 29.9.2022). Das Mindesteintrittsalter in die Armee ist das 16. Lebensjahr (ÖB 8.2021; vergleiche CIA 29.9.2022). Fahnenflucht, der Versuch der Fahnenflucht und die Beihilfe dazu werden nach dem Army Act von 1950 und den entsprechend lautenden Navy Act und Air Force Act je nach Schwere des Falles mit hohen Gefängnisstrafen oder mit der Todesstrafe geahndet (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.9.2021, INDI 20.5.1950). Eine positive Entwicklung der letzten Jahre war die höchstrichterliche Rechtsprechung, die eine Chancengleichheit von Frauen in den indischen Streitkräften sicherstellt (2020) (AA 22.9.2021). Über Zwangsrekrutierungen durch die Armee ist nichts bekannt (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.9.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 13.10.2022
BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2022): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, https://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2022_Indien.pdf, Zugriff 13.10.2022
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (29.9.2022): The World Factbook – India, Military and Security, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/india/#military-and-security, Zugriff 13.10.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (20.5.1950): The Army Act, 1950, https://www.mod.gov.in/sites/default/files/TheArmyAct1950.pdf, Zugriff 13.10.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 14.11.2022
Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 22.9.2021). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt (ÖB 8.2021). Die Verfassungs- und Rechtsordnung enthalten Garantien für die grundlegenden Menschenrechte und Freiheiten. Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet. Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z. B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u. a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 22.9.2021).
Die Lage der Menschenrechte in Indien ist regional und themenbezogen unterschiedlich (BICC 7.2022). Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, welche die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 22.9.2021).
Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, dort wo es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu (BICC 7.2022). Den Sicherheitskräften (BICC 7.2022; vergleiche ÖB 8.2021), aber auch den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen - seien es separatistische Organisationen oder regierungstreue Milizen - werden massive Menschenrechtsverletzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Es gibt Befürchtungen, dass die neue, drakonische Anti-Terror-Gesetzgebung die Menschenrechtslage verschlimmern wird und dass diese Gesetze gegen politische Gegner missbraucht werden. Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert. Den Sicherheitskräften wird Parteilichkeit vorgeworfen, besonders hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten. Die Stimmung wird durch hindu-nationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 7.2022).
Insgesamt umfassen Menschenrechtsprobleme u. a. willkürliche Hinrichtungen, einschließlich von rechtswidrigen und willkürlichen Tötungen, Folter, inhumane Behandlung oder Bestrafung, willkürliche Verhaftungen, harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen sowie Korruption in der Regierung. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession gibt nach wie vor Anlass zur Sorge (USDOS 12.4.2022). Ursachen vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tief verwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 22.9.2021). Diskriminierung aufgrund der Kastenzugehörigkeit ist nach wie vor weit verbreitet, insbesondere in ländlichen Gebieten (USDOS 12.4.2022). Die Gewalt gegen Dalits und Adivasi hielt unvermindert an (AI 29.3.2022). Säureangriffe auf Männer und Frauen führen weiterhin zu Todesfällen und dauerhaften Entstellungen (USDOS 12.4.2022).
Terroristische Gruppierungen in Jammu und Kaschmir, in den nordöstlichen Bundesstaaten und in Gebieten, die vom maoistischen Terrorismus betroffen sind, begehen schwere Übergriffe, darunter Tötungen und Folter von Soldaten, Polizisten, Regierungsbeamten und Zivilisten, sowie Entführung und Rekrutierung von Kindern und deren Einsatz als Kindersoldaten (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 22.9.2022
AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Indien 2021, https://www.ecoi.net/en/document/2070253.html, Zugriff am 26.9.2022
BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2022): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, https://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2022_Indien.pdf, Zugriff 12.9.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/en/document/2071142.html, Zugriff 26.9.2022
Meinungs- und Pressefreiheit
Letzte Änderung: 14.11.2022
Die Verfassung garantiert Rede- und Meinungsfreiheit. Im Allgemeinen können Einzelpersonen die Regierung öffentlich oder privat kritisieren, ohne Repressalien fürchten zu müssen (USDOS 12.4.2022). Persönliche Äußerungen und private Diskussionen waren in Indien lange Zeit offen und frei. NGOs geben allerdings an, dass die Behörden in Indien verschiedene Gesetze (FH 24.2.2022), politisch motivierte Gerichtsverfahren (HRW 13.1.2022) und Steuerrazzien (HRW 13.1.2022; vergleiche AI 8.9.2022) eingesetzt haben, um kritische Stimmen in den Medien zum Schweigen zu bringen (FH 24.2.2022; vergleiche HRW 13.1.2022, AI 8.9.2022).
Im Mai 2022 hat Indiens oberstes Gericht das Gesetz zur Volksverhetzung aus der Kolonialzeit ausgesetzt (NYT 11.5.2022; vergleiche IPC 4.2.2022). Laut einem Gesetzentwurf vom Feber 2022 ist die Bestimmung über die Volksverhetzung mit der demokratischen Struktur Indiens nicht weiter vereinbar (IPC 4.2.2022). Das Gesetz gegen Volksverhetzung ist zwar mit dem Gesetzentwurf noch nicht endgültig abgeschafft, die Regierung Modi hat jedoch versprochen, das Gesetz im Rahmen eines umfassenderen Projekts zur Aufarbeitung alter Gesetze aus der Kolonialzeit zu überarbeiten. Eine Verurteilung nach dem indischen Gesetz gegen Volksverhetzung ist generell selten, in den letzten Jahren sind die auf dem Gesetz basierenden Anklagen allerdings gestiegen (NYT 11.5.2022). Laut der NGO Freedom House werden vor allem Aktivisten, Muslime und Mitglieder anderer marginalisierter Gemeinschaften regelmäßig wegen Verhetzung angeklagt, wenn sie die Regierung und ihre Politik kritisieren (FH 24.2.2022). Auch eine Reihe von Akademikern, Schriftstellern und Dichtern wird unter dem Antiterrorismusgesetz festgehalten, zu dem auch der Tatbestand der Volksverhetzung gehört. Nach Angaben des indischen National Crime Records Bureau (NCRB) wurden von den 548 Personen, die zwischen 2015 und 2020 wegen Volksverhetzung angeklagt waren, nur ein Dutzend verurteilt (NYT 11.5.2022).
Obwohl die Pressefreiheit in der indischen Verfassung nicht dezidiert erwähnt ist, wird auch diese von der Regierung im Allgemeinen in der Praxis respektiert. Unabhängige Medien handeln aktiv und vertreten generell ein breites Spektrum von Ansichten. Journalisten und NGOs berichteten allerdings, dass Regierungsbeamte sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene kritische Medien durch physische Schikanen und Angriffe einschüchtern, Eigentümer unter Druck setzen, Sponsoren ins Visier nehmen, Klagen wegen Nichtigkeiten fördern und in einigen Gebieten Kommunikationsdienste wie Mobiltelefone und das Internet blockieren sowie die Bewegungsfreiheit einschränken. Journalisten, die sich in ihrer Berichterstattung oder in den sozialen Medien kritisch über die Regierung äußern, werden weiterhin schikaniert und mitunter inhaftiert (USDOS 12.4.2022). Obwohl Medienberichte über Menschrechtsverletzungen, Korruption und politische Skandale breiten Niederschlag finden (AA 22.9.2021), werden sie durch informelle Maßnahme teilweise eingeschränkt (AA 22.9.2021; vergleiche FH 24.2.2022).
Im jüngsten Ranking des Press Freedom Index der NGO Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt Indien Platz 150 von 180 Ländern. Dem Index zufolge hat sich die Pressefreiheit in den letzten Jahren stetig verschlechtert (RSF 3.5.2022; vergleiche OI 28.6.2022). Online-Desinformationen im Vorfeld von Wahlen und Korruption in der Medienlandschaft haben das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Presse erschüttert (FH 24.2.2022). Das Gesetz verbietet Inhalte, die religiöse Gefühle verletzen oder Feindschaft zwischen Gruppen schüren könnten. Behörden berufen sich auf diese Bestimmungen, um Print- und Rundfunkmedien, digitale Medienplattformen - einschließlich Streaming-Dienste - und die Veröffentlichung oder Verbreitung von Büchern einzuschränken (USDOS 12.4.2022).
Aktuellen Angaben von RSF zufolge befinden sich derzeit 10 Journalisten in Haft, ein Journalist wurde seit dem 1.1.2022 getötet (RSF 14.9.2022). Das Committee to Protect Journalists (CPJ) berichtet von 7 getöteten Journalisten in den Jahren 2021 und 2022 (CPJ o.D.). Verschiedenen unabhängigen Berichten zufolge wurden 55 Journalisten verhaftet, angezeigt und bedroht, weil sie während der Pandemie über COVID-19 berichtet hatten. Im indisch verwalteten Kaschmir sind Journalisten zwischen die Fronten geraten, und ihre Situation hat sich dramatisch verschlechtert, seit Indien 2019 die Halbautonomie der Region aufgehoben hat (DW 5.5.2022; vergleiche BAMF 14.2.2022). RSF zufolge werden Reporter dort häufig von der Polizei und paramilitärischen Einheiten schikaniert, wobei einige von ihnen mehrere Jahre lang in sogenannter "vorläufiger" Haft sitzen (RSF 5.2022). In jüngerer Vergangenheit war festzustellen, dass hauptsächlich regierungskritische Berichte aus digitalen Archiven verschwunden sind. Kritische Medienschaffende sehen darin die Absicht der indischen Regierung, die konfliktreiche Geschichte Kaschmirs nicht weiter zu thematisieren (BAMF 14.2.2022; vergleiche CS 23.11.2021, RP 14.2.2022).
Der Staat hat auch weiterhin das Monopol auf das AM-Radio und beschränkt die Vergabe von Lizenzen an FM-Radiostationen, deren Sendungen Unterhaltungs- und Bildungszwecken dienen. Satellitenfernsehen ist weit verbreitet und stellt für das staatliche Fernsehnetzwerk eine Konkurrenz dar (USDOS 12.4.2022). Die Internetnutzung wächst rapide. Experten gingen im Jänner 2020 von 688 Millionen Internetnutzern aus (ca. 50 % der Bevölkerung). Ein freier Zugang zum Netz ist gerade in Indien zentral für die Ausübung von Meinungs- und Pressefreiheit (AA 22.9.2021). Allerdings schränkt die Regierung den Zugang zum Internet ein, unterbricht den Internetzugang, zensiert Online-Inhalte und überwacht Berichten zufolge gelegentlich die Nutzer digitaler Medien wie Chatrooms und die Kommunikation von Mensch zu Mensch. Das Gesetz erlaubt es der Regierung, Internetseiten und -inhalte zu sperren und das Versenden von Nachrichten, welche die Regierung als aufrührerisch oder beleidigend ansieht, zu kriminalisieren (USDOS 12.4.2022). Die im Feber 2021 erlassenen Information Technology (Intermediary Guidelines and Digital Media Ethics Code) Rules ermöglichen darüber hinaus eine stärkere staatliche Kontrolle über Online-Inhalte (HRW 13.1.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 5.9.2022
AI - Amnesty International (8.9.2022): India: Authorities must stop weaponizing central agencies to clamp down on civil society, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2022/09/india-authorities-must-stop-weaponizing-central-agencies-to-clamp-down-on-civil-society/, Zugriff 14.9.2022
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (14.2.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw07-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=4 , Zugriff 5.9.2022
CPJ - Committe to Protect Journalists (o.D.): Explore all CPJ Data: 7 Journalists Killed in India between 2021 and 2022, https://cpj.org/data/killed/?status=Killed&type%5B%5D=Journalist&cc_fips%5B%5D=IN&start_year=2021&end_year=2022&group_by=year, Zugriff 13.10.2022
CS - Coda Story (23.11.2021) Kashmir’s vanishing newspaper archives, https://www.codastory.com/rewriting-history/kashmir-vanishing-newspaper/, Zugriff 14.9.2022
DW - Deutsche Welle (5.5.2022): Why is India falling in the World Press Freedom Index?, https://www.dw.com/en/why-is-india-falling-in-the-world-press-freedom-index/a-61697180, Zugriff 5.9.2022
FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068733.html, Zugriff 5.9.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - India, https://www.ecoi.net/en/document/2066488.html, Zugriff 5.9.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (4.2.2022): The Indian Penal Code (Amendment) Bill, 2021, http://164.100.47.4/BillsTexts/RSBillTexts/asintroduced/IPC%20124A.pdf, Zugriff 9.9.2022
NYT - New York Times (11.5.2022): India’s Top Court Suspends Colonial-Era Sedition Law, https://www.nytimes.com/2022/05/11/world/asia/india-sedition-law-suspended.html, Zugriff 9.9.2022
OI - Outlook India (28.6.2022): Why Declining Press Freedom is Nobody's Concern in India, https://www.outlookindia.com/national/why-declining-press-freedom-is-nobody-s-concern-in-india--news-205243, Zugriff 5.9.2022
RP - Radio Pakistan (14.2.2022) [Pakistan]: India erases years of reporting from digital archives in IIOJK: Report, https://www.radio.gov.pk/14-02-2022/india-erases-years-of-reporting-from-digital-archives-in-iiojk-report, Zugriff 14.9.2022
RSF - Reporter ohne Grenzen (Stand 14.9.2022): Abuses in real time in India, https://rsf.org/en/country/india, Zugriff 14.9.2022
RSF - Reporter ohne Grenzen (3.5.2022): Nahaufnahme Asien-Pazifik. Absolute and autocratic control of information, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2022/RSF_Nahaufnahme_Asien-Pazifik_2022.pdf, Zugriff 5.9.2022
RSF - Reporter ohne Grenzen (5.2022 / Stand 14.9.2022): India - Safety, https://rsf.org/en/country/india, Zugriff 14.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071142.html, Zugriff 5.9.2022
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung: 14.11.2022
Das Gesetz garantiert die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 12.4.2022; vergleiche DFAT 10.12.2020). Trotz einiger Einschränkungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, wie z. B. eine Bestimmung der Strafprozessordnung, welche die Behörden ermächtigt, die Versammlungsfreiheit einzuschränken und Ausgangssperren zu verhängen, wenn "sofortige Verhinderung oder schnelle Abhilfe" erforderlich sind, finden regelmäßig friedliche Protestveranstaltungen statt (FH 24.2.2022). Ein Antrag für das Abhalten von Versammlungen und Demonstrationen muss vorab bei den zuständigen lokalen Behörden gestellt werden. Vereinzelt werden Anträge abgelehnt, wie beispielsweise in Jammu und Kaschmir, wo die Behörden Separatistengruppen manchmal keine Erlaubnis ausstellen (ÖB 8.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022) und die Sicherheitskräfte manchmal Mitglieder politischer Gruppen, die an Protesten teilnehmen, den Zutritt zu Demonstrationen verweigern, oder solche Personen verhaften. In Zeiten von Unruhen in Jammu und Kaschmir ziehen die Behörden die Strafprozessordnung heran, um öffentliche Versammlungen zu verbieten oder Ausgangssperren zu verhängen (USDOS 12.4.2022).
Die nationale Regierung und einige Regierungen von Bundesstaaten setzten zwischen Dezember 2019 und März 2020 Versammlungsverbote und scharfe Munition ein, um die breit getragenen Proteste gegen den Citizenship Amendment Act (CAA) und Vorschläge zur Einführung eines Bürgerregistrierungsverfahrens landesweit zu unterdrücken. Demonstranten wurden festgenommen und der Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigert (FH 24.2.2022).
Die Verfassung schützt auch das Recht, Vereinigungen und Gewerkschaften zu bilden (USDOS 12.4.2022; vergleiche DFAT 10.12.2020). Dieses Recht unterliegt allerdings Einschränkungen im Interesse der öffentlichen Ordnung, des Anstands oder der Moral (DFAT 10.12.2020; vergleiche INDI 5.2022). Staatliche und lokale Behörden behindern bisweilen die Registrierung von Gewerkschaften, unterdrücken unabhängige Gewerkschaftsaktivitäten und machen von ihrer Befugnis Gebrauch, Streiks für illegal zu erklären und Gerichtsurteile zu erzwingen (USDOS 12.4.2022). Gewerkschaften spielen in Indien jedoch eine relativ geringe Rolle, da nur etwa 10 % der arbeitenden Bevölkerung im formellen Sektor beschäftigt sind und nur ca. 8 % der indischen Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind (ÖB 8.2021).
Während die Regierung das Recht auf Vereinigungsfreiheit im Allgemeinen respektiert, kommt es zu einer verstärkten Überwachung und Regulierung von NGOs, die ausländische Mittel erhalten. Nach Ansicht von Finanzexperten und Vertretern von NGOs schränkt die neue Gesetzgebung im Rahmen des Foreign Contribution Regulation Act 2020 (FCRA) die Möglichkeiten kleinerer, regionaler Organisationen zur Mittelbeschaffung und die Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft stark ein (USDOS 12.4.2022).
Opposition
Indien hat ein Mehrparteiensystem und es gibt acht nationale Parteien: BJP (Bharatiya Janata Party), INC (Indian National Congress), CPI-M (Communist Party of India (Marxist), CPI (Communist Party of India), BSP (Bahujan Samaj Party), NCP (Nationalist Congress Party), AITC (All India Trinamool Congress) und NPP (National People's Party). Daneben hat Indien über 50 anerkannte bundesstaatliche Parteien und 2.796 nicht anerkannte Parteien (JJ 28.1.2022). Andere Stellen sprechen von Hunderten von politischen Parteien, die bei der Wahlkommission registriert sind, wobei nur eine kleine Gruppe als nationale Parteien registriert ist (DFAT 10.12.2020). Neben den großen nationalen Parteien NCP und BJP sowie überregional wirkenden kommunistischen Parteien gibt es eine Vielzahl von Regionalparteien, die in einzelnen Bundesstaaten allein oder in Koalitionen die Landesregierungen bilden, aber auch auf nationaler Ebene zunehmend von politischer Bedeutung sind (AA 22.9.2021).
In den letzten acht Jahren hat sich die Bharatiya Janata Party (BJP) als dominierende Kraft in der indischen Politik etabliert (CEIP 12.7.2022). Auf bundesstaatlicher und nationaler Ebene lösen sich allerdings regelmäßig verschiedene Parteien in der Regierung ab (FH 24.2.2022).
Die politische Opposition kann sich frei betätigen (AA 22.9.2021). Politische Parteien können sich im Allgemeinen ohne Einmischung bilden, und in der Praxis konkurrieren eine Vielzahl von Parteien, die eine Reihe von Ansichten und Interessen vertreten (FH 24.2.2022). Die Wahlen zu Gemeindeversammlungen, Stadträten und Parlamenten auf bundesstaatlicher wie nationaler Ebene sind frei, gleich und geheim. Sie werden - ungeachtet von Problemen, die aus der Größe des Landes, verbreiteter Armut bzw. hoher Analphabetenrate und örtlich vorkommender Manipulationen resultieren - nach Einschätzung internationaler Beobachter korrekt durchgeführt. Behinderungen der Opposition kommen insbesondere auf regionaler und kommunaler Ebene vor, z. B. durch nur eingeschränkten Polizeischutz für Politiker, Vorenthalten von Genehmigungen für Wahlkampfveranstaltungen, tätliche Übergriffe durch Anhänger anderer Parteien. Derartige Vorkommnisse werden von der Presse aufgegriffen und können von den politischen Parteien öffentlichkeitswirksam thematisiert werden. Sie ziehen i. d. R. Sanktionsmaßnahmen der unabhängigen und angesehenen staatlichen Wahlkommission (Election Commission of India) nach sich (AA 22.9.2021). Die Regierungspartei hat dennoch verschiedene Instrumente eingesetzt, um die Wahlkampftätigkeit der Oppositionsparteien einzuschränken. Im Oktober 2021 wurde eine Reihe von Oppositionsführern in Uttar Pradesh verhaftet, als sie versuchten, den Ort eines tödlichen Zwischenfalls zu besuchen, bei dem das Auto eines BJP-Kabinettsministers angeblich protestierende Bauern angefahren hatte (FH 24.2.2022).
Die Finanzierung der politischen Parteien ist undurchsichtig. Ein 2017 eingeführtes System von Wahlanleihen ermöglicht es, dass die Identität der Geldgeber der State Bank of India bekannt ist, aber vor der Öffentlichkeit verborgen bleibt, und hat der BJP erhebliche Vorteile bei der Mittelbeschaffung verschafft (FH 24.2.2022). Darüber hinaus hat die Regierung über das Criminal Bureau of Investigation selektiv Antikorruptionsermittlungen gegen Oppositionspolitiker durchgeführt und dabei Anschuldigungen gegen politische Verbündete unbeachtet gelassen (FH 24.2.2022; vergleiche TOI 7.9.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 14.10.2022
CEIP - Carnegie Endownment for International Peace (12.7.2022): The Opposition Space in Contemporary Indian Politics, https://carnegieendowment.org/2022/07/12/opposition-space-in-contemporary-indian-politics-pub-87490, Zugriff 14.10.2022
DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 14.10.2022
FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068733.html, Zugriff 14.10.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (5.2022): The Constitution of India, https://legislative.gov.in/sites/default/files/COI_English.pdf, Zugriff 28.9.2022
JJ - Jagran Josh (28.1.2022): List of All the Political Parties in India 2022, https://www.jagranjosh.com/general-knowledge/list-of-all-the-political-parties-in-india-1476786411-1, Zugriff 14.10.2022
TOI - Times of India (7.9.2022): römisch eins s the anti-corruption drive against political opposition linked with 2024 elections?, https://timesofindia.indiatimes.com/blogs/blunt-frank/is-the-anti-corruption-drive-against-political-opposition-linked-with-2024-elections/, Zugriff 17.10.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 14.10.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071142.html, Zugriff 14.10.2022
Haftbedingungen
Letzte Änderung: 14.11.2022
Dem Bericht des Prison Statistics of India (PSI) aus dem Jahr 2020 zufolge, gab es damals landesweit 1.306 Gefängnisse mit einer genehmigten Kapazität von 414.033 Personen - bei einer Häftlingszahl von 488.511(USDOS 12.4.2022). Der Frauenanteil unter den Inhaftierten liegt bei 4,1 % (WPB 31.12.2021; vergleiche AA 22.9.2021). Der Anteil der Gefängnisinsassen an der Gesamtbevölkerung ist mit ca. 0,34 % zwar niedrig (AA 22.9.2021), dennoch sind die Haftanstalten oft stark überfüllt (USDOS 12.4.2022; vergleiche NCRB 12.2021). Nach offiziellen Angaben liegt die durchschnittliche Belegungsquote der Haftanstalten auf nationaler Ebene in Indien bei 130,2 % (WPB 31.12.2021). Die Gefängnisse in Delhi melden die höchste Überbelegung mit einer Belegungsrate von 175 %, gefolgt von Uttar Pradesh mit 168 % und Uttarakhand mit 159 % (USDOS 12.4.2022). Etwa 70 % (AA 22.9.2021) bis 76 % aller Gefangenen sind Untersuchungshäftlinge (USDOS 12.4.2022; vergleiche NCRB 12.2021).
Gefängnisse und Haftanstalten sind auch weiterhin personell unterbesetzt und verfügen über keine ausreichende Infrastruktur (USDOS 12.4.2022). Es gibt drei Klassen der Unterbringung, wobei die Kategorie A gewisse Privilegien (Einzelzelle, Transistorradio, Verpflegung durch Angehörige) bietet. Der Großteil der Gefangenen (Kategorie C) muss sich allerdings mit spärlichen Verhältnissen zufriedengeben. Hier ist es die Regel, dass sich bis zu 50 Inhaftierte eine Großraumzelle teilen müssen, keine Betten zur Verfügung stehen und im Winter Decken fehlen (ÖB 8.2021). Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet, für die Hygiene sind die Häftlinge selbst verantwortlich (AA 22.9.2021). Die Haftbedingungen sind häufig lebensbedrohlich, vor allem aufgrund unzureichender sanitärer Bedingungen, mangelnder medizinischer Versorgung und extremer Überbelegung. Trinkwasser ist nicht durchgängig verfügbar (USDOS 12.4.2022). Doch kann jeder Häftling die Haftbedingungen hinsichtlich Unterbringung, Hygiene, Verpflegung und medizinischer Behandlung durch Geldzahlungen verbessern. Auch ist es üblich, dass Häftlinge von Verwandten zusätzlich versorgt werden (AA 22.9.2021).
Der Public Safety Act (PSA) gilt nur in Jammu und Kaschmir und erlaubt staatlichen Behörden die Festnahme von Personen ohne Anklage oder gerichtliche Überprüfung für bis zu zwei Jahren. Während dieser Zeit ist den Familienmitgliedern kein Zugang zu den Häftlingen erlaubt. Presseberichten zufolge ist die Zahl der Inhaftierungen im Rahmen der PSA von 134 im Jahr 2020 auf 331 im Jahr 2021 gestiegen (USDOS 12.4.2022).
Auf Geschlechtertrennung wird geachtet. Eine Trennung von Kleinkriminellen und Schwerverbrechern gibt es selten. Nach dem Gesetz müssten Jugendliche in eigens vorgesehenen Jugendstrafanstalten untergebracht werden, allerdings kann vor allem in ländlichen Regionen nicht davon ausgegangen werden (ÖB 8.2021).
Es gibt weiterhin Berichte über rechtswidrige und willkürliche Tötungen, Folter, Fälle von unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung durch Polizei- und Gefängnisbeamte (USDOS 12.4.2022). Misshandlungen durch das Gefängnispersonal gegen inhaftierte Personen, insbesondere gegen diejenigen, die marginalisierten Gruppen angehören, sind weit verbreitet. Ein Gesetzentwurf, der Folter verhindern soll, ist noch anhängig (FH 24.2.2022).
Die NHRC erhält und untersucht Häftlingsbeschwerden über Menschenrechtsverletzungen. Von Vertretern der Zivilgesellschaft wird jedoch angenommen, dass aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen nur wenige Häftlinge Beschwerden einreichen (USDOS 12.4.2022).
Im Jahr 2020 sind insgesamt 1.887 Insassen in Justizgewahrsam gestorben (NCRB 12.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022). Nach Regierungsangaben ist ein großer Teil der Todesfälle in den Gefängnissen auf Krankheiten wie Tuberkulose und HIV/Aids zurückzuführen, deren Verlauf durch die Haftbedingungen und mangelhafte Versorgung verschlimmert bzw. beschleunigt wird (AA 22.9.2021). Im März 2021 berichtete die National Campaign Against Torture (NCAT) über den Tod von insgesamt 111 Personen in Polizeigewahrsam im Jahr 2020. Uttar Pradesh und Gujarat meldeten mit jeweils 11 die meisten Todesfälle in Gewahrsam, gefolgt von Madhya Pradesh mit 10 Todesfällen (NCAT 3.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022). Von den 111 von NCAT Jahr 2020 dokumentierten Toten sind 51 mutmaßlich durch Folter gestorben (NCAT 3.2021). Die Vorwürfe über Folter und außergerichtliche Tötungen halten an. Die Nationale Menschenrechtskommission hat in den ersten neun Monaten des Jahres 2021 143 Todesfälle in Polizeigewahrsam und 104 mutmaßliche außergerichtliche Tötungen registriert (HRW 13.1.2022). Das indische Recht schreibt vor, dass eine Ermittlung bei einem Todesfall in Gewahrsam durch einen Richter erfolgen muss. Dabei ist die Polizei verpflichtet, einen First Information Report (FIR) zu erstellen. Eine nicht am bisherigen Verlauf der Ermittlungen beteiligte Abteilung der Polizei untersucht daraufhin den Todesfall (DFAT 10.12.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 22.9.2022
DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 21.9.2022
FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068733.html, Zugriff 5.9.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - India, https://www.ecoi.net/en/document/2066488.html, Zugriff 27.9.2022
NCAT - National Campaign Against Torture (3.2021): India: Annual Report on Torture 2020, http://www.uncat.org/wp-content/uploads/2021/03/IndiaTortureReport2020.pdf, Zugriff 27.9.2022
NCRB - National Crime Records Bureau MoHA [Indien] (12.2021): Prison Statistics India 2020, https://ncrb.gov.in/sites/default/files/PSI_2020_as_on_27-12-2021_0.pdf, Zugriff 21.9.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/en/document/2071142.html, Zugriff 21.9.2022
WPB - World Prison Brief / Institute for Crime & Justice Policy Research (31.12.2021): World Prison Brief data, India, https://www.prisonstudies.org/country/india, Zugriff 21.9.2022
Todesstrafe
Letzte Änderung: 14.11.2022
Gemäß Artikel 53, Strafgesetzbuch von 1860 (INDI 6.10.1860) gilt für bestimmte Verbrechen die Todesstrafe (Mord, Hochverrat, Anstiftung zu Selbstmord eines Kindes, terroristische Gewalttat, Besitz von tödlichem Sprengstoff, wiederholter Drogenhandel, Vergewaltigung von Kindern etc.) (ÖB 8.2021; vergleiche INDI 6.10.1860). In Militärgesetzen ist die Todesstrafe als Regelstrafe für schwere Fälle von Kollaboration, Meuterei und Fahnenflucht vorgesehen. Ende 2001 trat eine Änderung des Sprengstoffgesetzes in Kraft, die den Besitz tödlicher Sprengstoffe mit der Todesstrafe bedroht. Die Antiterrorgesetzgebung sieht für terroristische Straftaten, durch die Menschen zu Tode kommen, ebenfalls die Todesstrafe vor (ÖB 8.2021). Der Supreme Court stellte 2018 die Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe nicht in Frage, rief die Gerichte aber zu einer besonders sorgfältigen Prüfung der Fälle ("rarest of rare cases") auf (AA 19.7.2019; vergleiche ÖB 8.2021). In den letzten Jahren wurde der Anwendungsbereich der Todesstrafe vor allem in Vergewaltigungsfällen weiter ausgedehnt (AA 22.9.2021). Vergewaltigungen von Mädchen unter zwölf Jahren können seit August 2018 mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 19.7.2019; vergleiche AI 4.2022), wobei die Mindeststrafe für Gruppenvergewaltigung eines Mädchens unter 12 Jahren entweder eine lebenslange Haftstrafe oder die Todesstrafe ist (USDOS 12.4.2022).
Obwohl jedes Strafgericht die Todesstrafe verhängen kann, wird sie nur nach Bestätigung durch den Obersten Gerichtshof vollstreckt. Letzterer kann eine erneute Beweisaufnahme anordnen oder die Strafe umwandeln. Die Gouverneure in den Unionsstaaten und der Staatspräsident haben das Begnadigungsrecht. Die zahlreichen Berufungsmöglichkeiten tragen dazu bei, dass die Todesstrafe oft erst viele Jahre nach ihrer Verhängung vollstreckt wird (ÖB 8.2021).
Die indische Regierung hat im Jahr 2012 das inoffizielle Moratorium in Bezug auf die Todesstrafe aufgehoben (HRW 27.1.2016). Die Todesstrafe wird von weiten Teilen der Politik und der Gesellschaft befürwortet (AA 22.9.2021).
Am 20.3.2020 wurden vier Todesurteile im Fall einer 2012 begangenen Gruppenvergewaltigung vollstreckt (AA 22.9.2021; vergleiche ZO 20.3.2020, BBC 20.3.2020, IT 20.3.2020). Es waren dies die ersten Hinrichtungen seit dem Jahr 2015 (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.9.2021). 2021 wurden 144 Personen zum Tode verurteilt (AI 5.2022). Aktuell warten in indischen Gefängnissen rund 400 Verurteilte auf die Vollstreckung der Todesstrafe (AA 22.9.2021). Ein indisches Gericht verurteilte am 18.2.2022 im Zusammenhang mit einer 2008 verübten Serie von Bombenanschlägen in Ahmedabad im Bundesstaat Gujarat, bei denen 56 Menschen getötet und 200 verwundet wurden, 38 Personen zum Tode (BAMF 21.2.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 27.9.2022
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.7.2019): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 20.9.2022
AI - Amnesty International (5.2022): Death Sentences and Executions 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2073393/ACT5054182022ENGLISH.pdf, Zugriff 20.9.2022
AI - Amnesty International (4.2022): India: Persecution of minorities and shrinking space for dissent, https://www.amnesty.org/en/wp-content/uploads/2022/04/ASA2054912022ENGLISH.pdf, Zugriff 27.9.2022
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (21.2.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw08-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=2, Zugriff 20.9.2022
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HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - India, https://www.ecoi.net/en/document/1189409.html, Zugriff 27.9.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (6.10.1860): The Indian Penal Code 1860, https://legislative.gov.in/sites/default/files/A1860-45.pdf, Zugriff 27.9.2022
IT - India Today (20.3.2020): Justice for Nirbhaya: 4 men convicted for gang-rape hanged 7 years after brutal crime, https://www.indiatoday.in/india/story/nirbhaya-gang-rape-murder-convicts-executed-hanged-delhi-tihar-jail-1657649-2020-03-20, Zugriff 20.9.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/en/document/2071142.html, Zugriff 20.9.2022
ZO - Zeit Online (20.3.2020): Vier Männer wegen Vergewaltigung einer Studentin hingerichtet, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-03/indien-sexuelle-gewalt-vergewaltigung-taeter-hinrichtung, Zugriff 20.9.2022
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 14.11.2022
[Zu religiösen Mischehen siehe Kapitel "Relevante Bevölkerungsgruppen / Ehen"]
Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (INDI 5.2022; vergleiche USDOS 2.6.2022, AA 22.9.2021), sieht einen säkularen Staat vor, fordert den Staat auf, alle Religionen unparteiisch zu behandeln, und verbietet Diskriminierung auf religiöser Basis. Die Bürger müssen ihren Glauben in einer Weise ausüben, welche die öffentliche Ordnung, Moral oder Gesundheit nicht beeinträchtigt (USDOS 2.6.2022; vergleiche INDI 5.2022). Laut Schätzungen aus dem Jahr 2011 gibt es 79,8 % Hindus, 14,2 % Muslime, 2,3 % Christen und 1,7 % Sikhs. Die restlichen 2 % verteilen sich auf andere Religionsgemeinschaften (CIA 29.9.2022).
Muslime, Sikhs, Christen, Parsis, Jain und Buddhisten gelten als gesetzlich anerkannte Minderheitengruppen unter den religiösen Gruppierungen. Das Gesetz legt fest, dass die Regierung für den Schutz religiöser Minderheiten verantwortlich ist und ihnen die Bewahrung ihrer Kultur und religiösen Interessen ermöglicht. Bundesstaatliche Regierungen sind dazu befugt, religiösen Gruppen gesetzlich den Status von Minderheiten zuzuerkennen. Personenstandsgesetze legen für Angehörige bestimmter Religionsgemeinschaften zivilrechtliche Regeln für Heirat, Scheidung, Adoption und Erbschaft fest, die auf Religion, Glauben und Kultur beruhen. Hinduistische, christliche, parsische, jüdische und islamische Personenstandsgesetze sind rechtlich anerkannt und können gerichtlich durchgesetzt werden (USDOS 2.6.2022). Langfristig plant die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) die Einführung eines einheitlichen Zivilrechts, das vermutlich zu Lasten der Autonomie von religiösen Minderheiten gehen würde (AA 22.9.2021).
Im Jahr 2021 hat sich die Lage der Religionsfreiheit in Indien erheblich verschlechtert. Die Förderung und Durchsetzung von Maßnahmen wurde durch die indische Regierung verschärft, die sich negativ auf religiöse Minderheiten auswirkt. Obwohl in der Verfassung die Religionsfreiheit festgesetzt ist, wurden in vielen Bundesstaaten Anti-Konversionsgesetze eingeführt, wodurch Drohungen und Gewalt durch Mobs und Bürgerwehrgruppen, u.a. gegen Muslime, oft straffrei bleiben (USCIRF 4.2022). Mehrere Bundesstaaten haben solche Gesetze erlassen oder geändert - vorgeblich, um dadurch religiöse Zwangskonversionen zu verhindern. Allerdings werden diese Gesetze größtenteils dazu verwendet, Minderheitengemeinschaften - insbesondere Christen, Muslime, Dalits und Adivasi - zu verfolgen (HRW 13.1.2022). Des Weiteren wurden in 10 Bundesstaaten Gesetze erlassen, die religiöse Konversion einschränken: Arunachal Pradesh, Chhattisgarh, Gujarat, Himachal Pradesh, Jharkhand, Madhya Pradesh, Odisha, Rajasthan, Uttar Pradesh und Uttarakhand (USDOS 2.6.2022). Im August 2019 fügte die Legislative des Bundesstaates Himachal Pradesh "Nötigung" der Liste der Konversionsverbrechen hinzu, die auch Bekehrung durch "Betrug", "Gewalt" und "Verlockung" umfassen. Die Definition von "Verlockung" wurde erweitert und umfasst somit auch "das Angebot einer Versuchung" (USDOS 10.6.2020). Es bestehen viele vage Formulierungen, die als Verbot von einvernehmlichen Bekehrungen interpretiert werden können (USCIRF 4.2020). "Verlockung" kann sehr weit ausgelegt werden, um Personen, die missionarisch tätig sind, zu verfolgen. Manche Bundesstaaten fordern für Konversion eine Genehmigung der Regierung (FH 3.3.2021). Ghar Wapsi oder "Heimkehr"-Zeremonien sind zu einem wichtigen Instrument geworden, mit dem hindunationalistische Gruppen wie der Visha Hindu Parishad (VHP / World Hindu Council) und dessen militanter Jugendflügel Bajrang Dal, Christen und Muslime in Visier nehmen, um die Rückgewinnung der hinduistischen Nation zu erreichen. Dabei handelt es sich i. d. R. um Zeremonien, bei denen Nicht-Hindus zur hinduistischen Religion rückkonvertiert werden (FORB 26.4.2021).
Mehrere Urteile des Obersten Bundesgerichts und des Obersten Gerichtshofs haben die Präsidialverordnung von 1950 bestätigt, die im Wesentlichen besagt, dass diejenigen die zu einer anderen Religion konvertieren - insbesondere Islam oder Christentum - und den Hinduismus, Buddhismus oder Sikhismus aufgeben, ihren rechtlichen Status als registrierte "Scheduled Castes" und damit den Anspruch auf Leistungen und Vorteile, die sich daraus ergeben, verlieren (OPI 23.9.2022; vergleiche LILA 16.9.2022, IE 20.9.2022).
Das friedliche Nebeneinander im multiethnischen und multireligiösen Indien ist zwar die Norm (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.9.2021), allerdings sind in einigen Unionsstaaten religiöse Minderheiten immer wieder das Ziel fundamentalistischer Fanatiker, oft auch mit Unterstützung lokaler Politiker (ÖB 8.2021). Die politische Dominanz der hindunationalistischen BJP verursacht Sorgen bei konfessionellen Minderheiten, insbesondere bei Muslimen (AA 22.9.2021). Nicht-Hindus werden von nationalistischen Hindus als keine echten Inder gesehen (ÖB 8.2021). In den vergangenen Jahren betrieb die BJP eine Politik, die auf konsequente Diskriminierung von Minderheiten wie Angehörigen des muslimischen und des christlichen Glaubens sowie Menschen aus den niedrigsten Kasten angelegt ist (BAMF 28.2.2022). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 8.2021). Die Regierung hat für das Jahr 2021 keine Daten von "communal violence" veröffentlicht. Die Daten aus dem Jahr 2020 zeigen einen starken Anstieg der Gewalt auf kommunaler Ebene im Vergleich zu 2019, der hauptsächlich auf die Gewalt ("Dehli riots") im Februar 2020 und die Proteste nach der Verabschiedung des Citizenship Amendment Act (CAA) zurückzuführen ist (USDOS 2.6.2022). Hassverbrechen gegen marginalisierte Gemeinschaften haben stark zugenommen, es herrscht Straflosigkeit (AI 21.4.2022).
Im Hinduismus gilt die Kuh als heilig (USCIRF 4.2020; vergleiche HRW 19.2.2021). Artikel 48 der indischen Verfassung weist den Staat an, Maßnahmen zu ergreifen, um das Schlachten von Kühen und Kälbern sowie weiteren Milch- und Nutztieren zu verbieten (INDI 5.2022). 21 Bundesstaaten kriminalisieren das Schlachten von Kühen in verschiedenen Formen. Der Schutz von Kühen wird von der BJP und der Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) als zentrales politisches Anliegen propagiert (USCIRF 4.2020; vergleiche HRW 19.2.2021). Bürgerwehr-Mobs, die oft über soziale Medien organisiert sind, haben religiöse Minderheiten - darunter Muslime, Christen und Dalits - unter dem Verdacht angegriffen, Rindfleisch zu essen, Kühe zu schlachten oder Rinder zum Schlachten zu transportieren. Die meisten derartigen gewalttätigen, in Einzelfällen tödlichen Vorfälle werden in Bundesstaaten gemeldet, in denen das Schlachten von Rindern verboten ist (USCIRF 4.2022; vergleiche USDOS 2.6.2022).
Die Nationale Kommission für Minderheiten, welcher Vertreter der sechs ausgewiesenen religiösen Minderheiten und der Nationalen Menschenrechtskommission angehören, untersucht Vorwürfe von religiöser Diskriminierung. Das Ministerium für Minderheitenangelegenheiten ist auch befugt, Untersuchungen anzustellen. Diese Stellen verfügen jedoch über keine Durchsetzungsbefugnisse, sondern legen ihre gewonnenen Erkenntnisse zu Untersuchungen auf Grundlage schriftlicher Klagen durch Beschwerdeführer bei, welche strafrechtliche oder zivilrechtliche Verstöße geltend machen, und legen ihre Ergebnisse den Strafverfolgungsbehörden zur Stellungnahme vor. 18 der 28 Bundesstaaten des Landes und das National Capital Territory of Delhi verfügen über staatliche Minderheitenkommissionen, die auch Vorwürfe religiöser Diskriminierung untersuchen (USDOS 2.6.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 10.10.2022
AI - Amnesty International (21.4.2022): India: Persecution of Minorities and Shrinking Space for DIssident, https://www.amnesty.org/en/wp-content/uploads/2022/04/ASA2054912022ENGLISH.pdf, Zugriff 10.10.2022
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (28.2.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw09-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 10.10.2022
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (29.9.2022): The World Factbook - India, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/india/#people-and-society, Zugriff 10.10.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 10.10.2022
FORB - Freedom of Religion or Belief in full - A blog by CSW (26.4.2021): The death of secularism in India: ‘Homecoming’ in the name of the Hindu rashtra, https://forbinfull.org/2021/04/26/the-death-of-secularism-in-india-homecoming-in-the-name-of-the-hindu-rashtra/, Zugriff 12.10.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - India, https://www.ecoi.net/en/document/2066488.html, Zugriff 10.10.2022
HRW - Human Rights Watch (19.2.2021): India: Government Policies, Actions Target Minorities, https://www.ecoi.net/de/dokument/2045877.html, Zugriff 10.10.2022
IE - Indian Express (20.9.2022): Supreme Court quota for Dalit Muslims and Christians: story so far, https://indianexpress.com/article/explained/scheduled-caste-quota-for-dalit-muslims-and-christians-story-so-far-8160838/, Zugriff 27.9.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (5.2022): The Constitution of India, https://legislative.gov.in/sites/default/files/COI_English.pdf, Zugriff 10.10.2022
LILA - Live Law (16.9.2022): Religious Conversion and Caste: A Conceptual Discussion, https://www.livelaw.in/columns/religious-conversion-art-14-caste-national-council-of-dalit-christians-reservation-benefits-reconversion-scheduled-caste-community-209430, Zugriff 27.9.2022
OPI - OP India (23.9.2022): Reports say govt may set up panel to ‘study condition of Dalits who convert to Islam or Christianity’: Why we need to tread carefully, https://www.opindia.com/2022/09/govt-set-up-a-panel-condition-dalit-christians-islam-problems-reservation/, Zugriff 27.9.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
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USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2020): United States Commission on International Religious Freedom 2020 Annual Report; USCIRF - Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028963/India.pdf, Zugriff 10.10.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: India, https://www.state.gov/reports/2021-report-on-international-religious-freedom/india/, Zugriff 10.10.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031372.html, Zugriff 10.10.2022
Christen
Letzte Änderung: 14.11.2022
Die christliche Bevölkerung ist über das gesamte Land verteilt, allerdings in größerer Konzentration im Nordosten und in den südlichen Bundesstaaten Kerala, Tamil Nadu und Goa. In drei kleinen Bundesstaaten im Nordosten (Nagaland, Mizoram, und Meghalaya) stellen die Christen die Mehrheit (USDOS 2.6.2022).
Gewaltsame Angriffe auf Christen und Kirchen in verschiedenen Teilen Indiens nehmen zu (AJ 2.12.2021). Verantwortlich dafür sind nationalistische Hindu-Gruppierungen, die Zwangskonvertierungen als Vorwand nehmen (NF 18.1.2022). Anti-Konversionsgesetze führen zu einer Kultur der Straffreiheit für landesweite Kampagnen von Drohungen und Gewalt durch Mobs und Bürgerwehrgruppen, u. a. gegen Christen, die der Konversion beschuldigt werden. Im Oktober 2021 ordnete die Regierung von Karnataka eine Untersuchung der Kirchen und Priester im Bundesstaat an und ermächtigte die Polizei, Tür-zu-Tür-Kontrollen durchzuführen, um Hindus zu finden, die zum Christentum konvertiert sind (USCIRF 4.2022; vergleiche CI 29.11.2021).
Im Vergleich zum Jahr 2020 (279 Vorfälle) (USDOS 2.6.2022) wurden 2021 486 Gewalttaten gegen Christen im Land registriert (UCAN 3.1.2022; vergleiche USDOS 2.6.2022). Die vom United Christian Forum (UCF) gesammelten Daten zeigen einen Aufwärtstrend in den letzten Jahren (UCAN 3.1.2022). Die meisten Fälle wurden aus den von der BJP regierten Bundesstaaten gemeldet. Mehrere NGOs halten fest, dass über 500 Fälle von Gewalt gegen Christen der UCF-Hotline im Laufe des Jahres 2021 gemeldet wurden (USDOS 2.6.2022). Vermehrte Angriffe finden aus Gründen der religiösen Intoleranz statt, vor allem an religiösen Stätten (FP 5.10.2022). Es wird von mindestens 50 Angriffen gegen die christliche Gemeinschaft zwischen Juni und Oktober 2021 allein in Uttar Pradesh berichtet (USCIRF 4.2022). Zu den gewalttätigen Vorfällen gehören auch Belästigung und soziale Ausgrenzung, sexuelle Übergriffe, Drohungen und Einschüchterung, Vandalismus und Schändung religiöser Stätten sowie die Unterbrechung von Gebetsgottesdiensten und andere Aggressionen (FP 5.10.2022). Besonders von Gewalt betroffen sind marginalisierte christliche Dalits, wobei das verwurzelte Kastendenken eine signifikante Rolle spielt (AA 22.9.2021).
Im Zeitraum 1.10.2020 bis 30.9.2021 wurden 10 Christen ermordet, 47 Kirchen und religiöse Besitztümer wurden angegriffen (im Berichtszeitraum davor waren es 76); 1.310 Christen aufgrund ihres Glaubens festgenommen (72), 1.779 wurden physisch oder mental angegriffen - darunter Schläge und Todesdrohungen (1.500), 38 wurden - aufgrund ihres Glaubens - Opfer von Vergewaltigung oder sexueller Belästigung (OD 12.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 11.10.2022
AJ - Aljazeera (2.12.2021): Why India is witnessing spike in attacks on Christians, churches, https://www.aljazeera.com/news/2021/12/2/india-christians-church-hindu-groups-bjp-conversion, Zugriff 17.10.2022
CI - Clarion India (29.11.2021): Karnataka Govt Keeping Record of 'Hindus' Who Have Converted to Christianity', https://clarionindia.net/karnataka-govt-keeping-record-of-hindus-who-have-converted-to-christianity/, Zugriff 14.10.2022
CSW - Christian Solidarity Worldwide (17.2.2020): Christians attacked on way back from national meeting, https://www.csw.org.uk/2020/02/17/press/4556/article.htm, Zugriff am 10.10.2022
FP - Fair Planet (5.10.2022): What is triggering Anti-Christian Violence in India? https://www.fairplanet.org/story/what-is-triggering-anti-christian-violence-in-india/, Zugriff 11.10.2022
NF - New Frame (18.1.2022): Hindu extremists target India’s Christians, https://www.newframe.com/hindu-extremists-target-indias-christians/, Zugriff 17.10.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
OD - Open Doors (12.2021): India: Full Country Dossier, https://www.opendoors.de/sites/default/files/country_dossier/india_wwl_2022_country_dossier.pdf, Zugriff 11.10.2022
UCAN - Union of Catholic Asian News (3.1.2022): India sees 'record level of violence against Christians', https://www.ucanews.com/news/india-sees-record-level-of-violence-against-christians/95567, 11.10.2022
USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2022): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF - Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): India, https://www.uscirf.gov/sites/default/files/2022-04/2022%20India.pdf, Zugriff 10.10.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031372.html, Zugriff 10.10.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: India, https://www.state.gov/reports/2021-report-on-international-religious-freedom/india/, Zugriff 10.10.2022
Muslime
Letzte Änderung: 14.11.2022
Muslime sind die mit Abstand größte religiöse Minderheit. Es gibt große muslimische Gemeinschaften in den Bundesstaaten Uttar Pradesh, Bihar, Maharashtra, West-Bengalen, Telangana, Karnataka, Kerala, als auch in den Unionsgebieten Jammu und Kaschmir, sowie in Lakshadweep. Muslime machen in Lakshadweep 95 % und in Jammu und Kaschmir 68,3 % der Bevölkerung aus (USDOS 2.6.2022).
Die politischen Rechte von Indiens Muslimen sind bedroht. Nach Ansicht von Freedom House betreibt die von Premierminister Narendra Modi und der BJP geführte Regierung eine diskriminierende Politik, die die Verfolgung von Muslimen verstärkt (FH 24.2.2022). Wichtige Initiativen der BJP-Regierung, wie u.a. die Abschaffung der Kaschmir-Autonomie, das neue Citizenship Amendment Act (CAA) oder der National Register of Citizens in Assam sind bewusst gegen die muslimische Minderheit gerichtet (ÖB 8.2021). Im Dezember 2019 verabschiedete das Parlament das erwähnte CAA, das nicht-muslimischen Einwanderern und Flüchtlingen aus benachbarten muslimischen Mehrheitsstaaten einen besonderen Zugang zur indischen Staatsbürgerschaft gewährt. Gleichzeitig betreibt die Regierung Pläne für die Schaffung eines nationalen Bürgerregisters. Viele Beobachter sind der Meinung, dass das Register dazu verwendet wird, um muslimische Wähler zu entrechten, indem es sie effektiv als illegale Einwanderer klassifiziert (FH 24.2.2022; vergleiche USCIRF 4.2022). Muslime haben überproportional häufig keine Dokumente, um den Geburtsort anzugeben. Nicht-Muslime ohne gültige Papiere hingegen haben im Rahmen des CAA in einem Schnellverfahren Anspruch auf die Staatsbürgerschaft (FH 24.2.2022).
Muslime werden weiterhin in wesentlichen Lebensbereichen besonders häufig benachteiligt, und häufig werden Übergriffe gewaltbereiter Hindus bekannt (AA 22.9.2021). Sie werden geplanten und gezielten Drohungen, sexueller Gewalt und Morden ausgesetzt (TD 12.8.2022). Spannungen zwischen den beiden größten Glaubensgemeinschaften – den Hindus und den Muslimen haben eine lange Vergangenheit (ÖB 8.2021).
Das Versäumnis der Polizei, gegen gewalttätige BJP-Anhänger vorzugehen, ermutigt hindunationalistische Gruppen dazu, Muslime und Regierungskritiker ungestraft anzugreifen (HRW 13.1.2022). Darüber hinaus haben die Behörden zu außergerichtlichen Mitteln gegriffen, durch eine Praxis, die Kritiker als "Bulldozer-Justiz" bezeichnen. Im Jahr 2022 zerstörten die Behörden in mehreren Bundesstaaten die Häuser von Menschen mit der Begründung, dass für die abgerissenen Gebäude keine ordnungsgemäße Genehmigung vorlag. Kritiker geben jedoch an, dass hier in erster Linie Muslime ins Visier genommen wurden, von denen einige zuvor an Protesten teilgenommen hatten. Daraufhin erklärte der Oberste Gerichtshof Indiens, dass Abrisse "keine Vergeltungsmaßnahmen" sein dürfen. Trotzdem wurde die Praxis fortgesetzt (CFR 14.7.2022).
Während der gesamten Pandemie, berichteten Patienten über eine ungleiche Behandlung aufgrund von Religion und Kaste. In einer von Oxfam durchgeführten Umfrage gaben 33 % der Muslime an, Diskriminierung in Krankenhäusern erlebt zu haben (USCIRF 4.2022). Bürgerwehrgruppen, die sich für den Schutz von Kühen einsetzen, griffen muslimische Männer in mehreren Bundesstaaten an oder prügelten sie zu Tode (AI 29.3.2022). Im Jänner 2022 wurde in mehreren staatlichen Bildungseinrichtungen im indischen Bundesstaat Karnataka muslimischen Studentinnen das Tragen des Hijabs oder Kopftuchs verboten. Die BJP-Regierung des Bundesstaates hatte das diskriminierende Verbot unterstützt. Im Dezember 2021 hielten ultranationalistische Hindus, von denen viele Verbindungen zur BJP haben, einen dreitägigen religiösen Kongress in Uttar Pradesh ab, bei dem Redner offen zur Tötung von Muslimen aufriefen. Im Bundesstaat Haryana unterstützte der BJP-Ministerpräsident Hindu-Bürgerwehren, die forderten, muslimische Gebete in öffentlichen Räumen zu unterbinden. Fotos von Hunderten prominenter, gebildeter muslimischer Frauen wurden auf Apps veröffentlicht, auf denen sie zum Verkauf angeboten wurden, um sie zu demütigen, zu erniedrigen und einzuschüchtern (HRW 9.2.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 10.10.2022
AI - Amnesty International (29.3.2022): India 2021, https://www.ecoi.net/en/document/2070252.html, Zugriff 11.10.2022
CFR - Council on Foreign Relations (14.7.2022): India's Muslims: An Increasingly Marginalized Population, https://www.cfr.org/backgrounder/india-muslims-marginalized-population-bjp-modi#chapter-title-0-6, Zugriff 11.10.2022
FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 - India, https://www.ecoi.net/en/document/2068733.html, Zugriff 11.10.2022
HRW - Human Rights Watch (9.2.2022): Hijab Ban in India Sparks Outrage, Protests, https://www.ecoi.net/en/document/2067832.html, Zugriff 21.2.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - India, https://www.ecoi.net/en/document/2066488.html, Zugriff 11.10.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
TD - The Diplomat (12.8.2022): Violence against Indian Muslims Must Be Urgently Investigated, https://thediplomat.com/2022/08/violence-against-indian-muslims-must-be-urgently-investigated/, 11.10.2022
USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2022): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF - Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): India, https://www.uscirf.gov/sites/default/files/2022-04/2022%20India.pdf, Zugriff 10.10.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: India, https://www.state.gov/reports/2021-report-on-international-religious-freedom/india/, Zugriff 10.10.2022
Sikhs
Letzte Änderung: 14.11.2022
In Indien leben rund 25,8 Millionen Sikhs (OD 12.2021), im Bundesstaat Punjab sind es 60 % der Bevölkerung (ÖB 8.2021). Der Sikhismus ist dort die vorherrschende Religion. Weitere bedeutende Sikh-Gemeinschaften gibt es in Haryana, Himachal Pradesh, Uttaranchal und Delhi (MRGI o.D.). In Artikel 25 b (römisch II) der Verfassung wird festgehalten, dass zum Hinduismus auch Personen, die sich zur Religion der Sikhs, Buddhisten und Jain bekennen, miteingeschlossen werden (INDI 5.2022; vergleiche USDOS 2.6.2022). Der Sikhismus stellt also rechtlich keine eigenständige Religion dar (DFAT 10.12.2020). Im Dezember 2019 verabschiedete das Parlament das Citizenship (Amendment) Act (CAA), das einen beschleunigten Weg zur Staatsbürgerschaft für Sikhs vorsieht (USDOS 2.6.2022; vergleiche AA 22.9.2021).
Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben (ÖB 8.2021). Sie können aber Ziele örtlich begrenzter Diskriminierung werden. Es wird angenommen, dass Sikhs in Indien im Allgemeinen einem geringen Maß an offizieller und gesellschaftlicher Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind (DFAT 10.12.2020). Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Sikhs alleine aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt werden. Die Sikhs stellen im Punjab einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen - auch bundesweit - offen. So waren z.B. praktisch alle Generalstabschefs der Bundesarmee bisher Sikhs (ÖB 8.2021).
Auslandsaktivitäten bestimmter Gruppen (radikale Sikhs, Kaschmiris) werden durch den Geheimdienst beobachtet. Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützt haben, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen der Polizei gegen Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt wurden, selbst wenn diese Strafe bereits verbüßt worden ist (AA 22.9.2021). In Indien verbotene militante Sikh-Organisationen sind: Babbar Khalsa International (BKI), Khalistan Commando Force, Khalistan Zindabad Force und International Sikh Youth Federation (MHA o.D.). Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren. Es erfolgen jedoch Verhaftungen, sobald jemand offen eine verbotene Organisation (z.B. die Bewegung Khalistan) unterstützt (ÖB 8.2021).
Streitpunkt zwischen den Sikh-Gruppen ist das Ausmaß, in dem die Autonomie eines unabhängigen Sikh-Staates - bekannt als Khalistan - unterstützt werden soll (DFAT 10.12.2020). Die sezessionistische Terrorbewegung für ein unabhängiges Khalistan wurde 1993 zerschlagen. Es gibt allerdings Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die militante Bewegung in Punjab wieder zu beleben, auch wenn der harte Kern der in Indien verbotenen Sikh-Gruppierungen, wie z. B. die BKI, in andere Unionsstaaten bzw. nach Pakistan ausgewichen ist (ÖB 8.2021). Die BKI ist zwar in mehreren Ländern, wie Kanada und dem Vereinigten Königreich, tätig, aber am aktivsten ist sie in Pakistan unter der Schirmherrschaft des pakistanischen Geheimdienstes (ISI) (IE 16.5.2022). Unterstützung in finanzieller und logistischer Form erfolgt insbesondere aus Pakistan (vom ISI) und vom westlichen Ausland (UK, Deutschland, Kanada usw.) (ÖB 8.2021).
Die Terrorgruppen Lashkar-e-Taiyaaba und Hizbul Mujahideen töteten im Laufe des Jahres 2021 mehrere Zivilisten und Arbeitsmigranten, die u. a. der Minderheit der Sikh-Gemeinschaft im mehrheitlich muslimischen Unionsterritorium Jammu und Kaschmir angehörten. Medienberichten zufolge lösten die Morde unter den Sikhs im Kaschmirtal große Angst aus, sodass Hunderte von ihnen Jammu und Kaschmir verließen (USDOS 2.6.2022).
Am 19.11.2021 wurde von Premierminister Narendra Modi die Reform zur Liberalisierung des Agrarsektors nach mehr als einem Jahr anhaltender Bauernproteste aufgehoben (BAMF 22.11.2021). Hunderttausende von Landwirten, von denen viele der Minderheit der Sikh-Gemeinschaft angehörten, hatten seit November 2020 gegen Änderungen der Landwirtschaftsgesetze protestiert und wurden von BJP-Führern und regierungsnahen Medien beschuldigt, eine separatistische Agenda zu verfolgen (HRW 13.1.2022). Gegen protestierende Angehörige der Sikhs wurden Ermittlungen wegen ihrer angeblichen Verbindungen zu separatistischen Gruppen eingeleitet (HRW 19.2.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 10.10.2022
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.11.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw47-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2, Zugriff 11.10.2022
DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 10.10.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066488.html, Zugriff 10.10.2022
HRW - Human Rights Watch (19.2.2021): India: Government Policies, Actions Target Minorities, https://www.ecoi.net/de/dokument/2045877.html, Zugriff 11.5.2021
IE - Indian Express (16.5.2022): Under scanner for RPG attack: Babbar Khalsa, oldest and most organised Sikh militant outfit, https://indianexpress.com/article/political-pulse/under-scanner-for-rpg-attack-babbar-khalsa-oldest-and-most-organised-sikh-militant-outfit-7920662/, Zugriff 20.10.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (5.2022): The Constitution of India, https://legislative.gov.in/sites/default/files/COI_English.pdf, Zugriff 10.10.2022
MRGI - Minority Rights Group International (o.D.): Sikhs, https://minorityrights.org/minorities/sikhs/, Zugriff 12.10.2022
MHA - Ministry of Home Affairs [Indien] (o.D.): Banned Organisations, https://www.mha.gov.in/banned-organisations, Zugriff 17.10.2022
OD - Open Doors (12.2021): India: Full Country Dossier, https://www.opendoors.de/sites/default/files/country_dossier/india_wwl_2022_country_dossier.pdf, Zugriff 11.10.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: India, https://www.state.gov/reports/2021-report-on-international-religious-freedom/india/, Zugriff 10.10.2022
Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung: 14.11.2022
Im Artikel 29 der indischen Verfassung wird festgehalten, dass jede Gruppe, die im Hoheitsgebiet Indiens wohnt und eine eigene Sprache, Schrift oder Kultur besitzt, das Recht hat, diese zu bewahren. Gemäß Artikel 30 der Verfassung können alle Minderheiten, basierend auf Religion oder Sprache, Bildungseinrichtungen ihrer Wahl gründen und verwalten. Der Staat darf bei der Gewährung von Beihilfen für Bildungseinrichtungen keine Bildungseinrichtung aus dem Grund diskriminieren, dass sie von einer Minderheit geleitet wird, sei es aufgrund der Religion oder der Sprache (INDI 5.2022). Somit bieten bestimmte Artikel der Verfassung den Minderheiten Schutz und legen Schutzmaßnahmen für sie fest, ohne jedoch den Begriff "Minderheit" genau zu definieren. Aus den verfassungsrechtlichen Bestimmungen geht hervor, dass es sich bei einer Minderheitengemeinschaft in Indien in erster Linie um eine sprachliche oder kulturelle Gruppe handelt. Grundsätzlich entscheidet die Zentralregierung, wer in Indien den Status einer Minderheitengemeinschaft erhält. Dies geschieht auf Grundlage des "National Commission for Minorities Act" von 1992 (IT 30.3.2022 vergleiche INDI 17.5.1992). Darüber hinaus können die einzelnen Bundesstaaten über den Minderheitenstatus der in Frage kommenden Gemeinschaften innerhalb ihres Hoheitsgebiets entscheiden (IT 30.3.2022). Zum Schutz der benachteiligten Gruppen und zur Gewährleistung ihrer Repräsentation im Unterhaus des Parlaments, muss jeder Bundesstaat Sitze für die geschützten Kasten und Stämme in Proportion zur Bevölkerung des Staates reservieren. Nur Kandidaten, die diesen Gruppen angehören, dürfen an den Wahlen in den reservierten Wahlkreisen teilnehmen. Mitglieder der Minderheitenbevölkerung dienten als Premierminister, Vizepräsidenten, Richter des Obersten Gerichts und Mitglieder des Parlaments (USDOS 12.4.2022).
Allerdings trübt sich die Menschenrechtslage speziell für Minderheiten vor dem Hintergrund einer von der regierenden BJP (Bharatiya Janata Party) markant vorgetragenen Hindu-Mehrheitspolitik weiter ein (AA 22.9.2021). Mehrere Bundesstaaten haben Gesetze erlassen oder geändert, die angeblich religiöse Zwangskonversionen verhindern sollen, aber diese Gesetze wurden größtenteils dazu genutzt, um Minderheitengemeinschaften, insbesondere Christen, Muslime, Dalits und Adivasi, zu verfolgen (HRW 13.1.2022). Angriffe auf Minderheiten haben in Indien zugenommen. Hassverbrechen, einschließlich Gewalt gegen Dalits, Adivasi und religiöse Minderheiten, werden mitunter ungestraft begangen (AI 21.4.2022).
Im Nordosten des Landes sind die Auseinandersetzungen um den Zugang zu Land und die Verteilung der Erträge vor allem ethno-politischer Natur. Die Hauptursachen, die auf die britische Kolonialzeit zurückgehen, liegen zum einen in der wirtschaftlichen Abhängigkeit, Rückständigkeit und politischen Marginalisierung der Region und zum anderen in den Konflikten zwischen den kulturell und ethnisch sehr unterschiedlichen Stammes- und Bevölkerungsgruppen. Die Nordostregion unterscheidet sich kulturell und ethnisch erheblich vom restlichen Indien. Bis heute fühlt sich die lokale Bevölkerung um ihre wirtschaftliche und politische Macht betrogen. Dies erklärt auch den Widerstand gegen (illegale) Einwanderung aus Bangladesch und das neue Staatsbürgerschaftsgesetz. Auch bei der Schaffung der indischen Bundesstaaten wurden die Interessen der lokalen Bevölkerung sowie die Siedlungsgebiete der unterschiedlichen Stämme und Ethnien nur unzureichend berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund hat sich der Nordosten zum Nährboden für separatistische Bestrebungen und Konflikte entwickelt (BPB 28.9.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 27.9.2022
AI - Amnesty International (21.4.2022): India. Persecuption of Minorities and shrinking space for dissent, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071815/ASA2054912022ENGLISH.pdf, Zugriff: 28.9.2022
BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (28.9.2020): Indien, https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/215390/indien, Zugriff 27.9.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (5.2022): The Constitution of India, https://legislative.gov.in/sites/default/files/COI_English.pdf, Zugriff 28.9.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (17.5.1992): The National Commission For Minorities Act, 1922, https://www.minorityaffairs.gov.in/sites/default/files/ncm_act1992.pdf Zugriff 3.10.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - India, https://www.ecoi.net/en/document/2066488.html, Zugriff 28.9.2022
IT - India Today (30.3.2022): Who is minority citizen in India?, https://www.indiatoday.in/india/story/minority-citizen-in-india-supreme-court-minorities-1931455-2022-03-30, Zugriff 28.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/, Zugriff 5.9.2022
Dalits
Letzte Änderung: 14.11.2022
Der Begriff Dalit, abgeleitet aus dem Sanskrit für "Unterdrückte" oder "Zerschlagene", bezieht sich auf Angehörige jener Gruppen, die von der Gesellschaft als die unterste Kaste (USDOS 12.4.2022) bzw. Kastenlose (offiziell: Scheduled Castes / SCs) betrachtet werden (AA 22.9.2021). Die Zahl der Dalits wird auf ca. 200 Millionen bzw. auf 17 % (USDOS 12.4.2022) - nach anderen Angaben ein Fünftel - der Bevölkerung geschätzt (AA 22.9.2021). Obwohl laut Verfassung die Kastendiskriminierung verboten ist (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 22.9.2021, FH 24.2.2022), bleibt die Registrierung zum Zwecke positiver Förderprogramme bestehen, und die Bundes- und Bundesstaatsregierungen betreiben weiterhin verschiedene Programme, um Mitglieder niederer Kasten zu stärken - wie Bereitstellung von qualitativ besseren Unterkünften und Zugang zu subventionierten Nahrungsmitteln (USDOS 12.4.2022). Gesetze sehen auch Quoten für historisch unterprivilegierte Stämme, Dalits und Gruppen, die von der Regierung als "andere rückständige Klassen" eingestuft werden, im Bildungswesen und bei staatlichen Stellen vor (FH 24.2.2022). Kritiker behaupten, dass viele dieser Programme an den Folgen einer mangelhaften Umsetzung und Korruption leiden (USDOS 12.4.2022).
Dennoch bleiben Dalits eine der am stärksten unterprivilegierten Schichten der indischen Gesellschaft(MRGI o.D.). Trotz umfangreicher Förderprogramme und Verbot der Benachteiligung aufgrund von Kastenzugehörigkeit werden Angehörige niedriger Kasten und Kastenlose diskriminiert (AA 22.9.2022; vergleiche FH 24.2.2022). Diese Benachteiligung ist in der Struktur der indischen Gesellschaft angelegt, fußt auf sozialen und religiösen Traditionen und verläuft vielfach implizit (AA 22.9.2021). Die Diskriminierung von Dalits umfasst z.B. den Zugang zu Dienstleistungen, wie medizinischer Versorgung und Bildung, oder zu Tempeln, sowie bei Hochzeiten (USDOS 12.4.2022; vergleiche ÖB 8.2021). Viele Dalits sind unterernährt, und die meisten Zwangsarbeiter sind Dalits. Dalits, die ihr Recht durchsetzen wollen, werden oft angegriffen - vor allem im ländlichen Raum. Als Landwirtschaftsarbeiter für Landbesitzer höherer Kasten arbeiten sie Berichten zufolge oft ohne finanzielles Entgelt (USDOS 12.4.2022).
Das Strafrechtssystem bietet Angehörigen der Dalits nicht den gleichen Schutz (FH 24.2.2022). Problematisch ist oftmals das Verhalten von Polizei und Justiz, aber auch von einzelnen Lehrern in staatlichen Schulen gegenüber Dalits. Dalits können häufig keinen Schutz durch die Polizei erwarten oder müssen, soweit die Täter einflussreich sind, sogar Repressalien durch die Polizei befürchten (ÖB 8.2021; vergleiche AI 7.4.2021). Weiters wird Angehörigen der Dalits manchmal der Zugang zu bestimmten Schulen, u. a. aufgrund ihrer Kaste verweigert, und es kommt zur Diskriminierung von Dalit-Kindern in den Schulen (USDOS 12.4.2022). Verbrechen gegen Dalits bleiben häufig ungestraft, entweder weil die Behörden dabei versagen, Täter strafrechtlich zu verfolgen, oder aber weil die Opfer Verbrechen aus Angst vor Vergeltung nicht melden (USDOS 12.4.2022). Das Gesetz zur Verhütung von Grausamkeiten (Prevention of Atrocities Act PAA) von 1989 sieht scharfe Strafen für insbesondere Dalit-feindliche Straftaten vor. Allerdings kommt es nur in den seltensten Fällen auch tatsächlich zu einem Gerichtsverfahren (ÖB 8.2021).
Das National Crime Record Bureau berichtet, dass im Jahr 2021 insgesamt 50.900 Straftaten an SCs registriert worden sind. Das entspricht einem Anstieg von 1,2 % gegenüber 2020 (50,291 Fälle) (NCRB 2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 27.9.2022
AI - Amnesty International (7.4.2021): The State of the World's Human Rights - India 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048696.html, Zugriff 27.9.2022
FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068733.html, Zugriff 27.9.2022
MRGI - Minority Rights Group International (o.D.): Dalits, https://minorityrights.org/minorities/dalits/, Zugriff 27.9.2022
NCRB - National Crime Records Bureau [Indien] (2022): Crime in India 2021, https://ncrb.gov.in/sites/default/files/CII-2021/CII_2021Volume%201.pdf, Zugriff 27.9.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071142.html, Zugriff 5.9.2022
Adivasi
Letzte Änderung: 14.11.2022
Der Begriff "Adivasi" leitet sich von dem Hindi-Wort "adi", für "ursprünglich" oder "am frühesten", und "vasi", für Einwohner ab. Offiziell gelten die Adivasi als "scheduled tribes" (STs) („registrierte Stammesgemeinschaften“), aber Name und Status variieren von Bundesstaat zu Bundesstaat. Einige Gemeinschaften gelten in einem Bundesstaat als STs, im anderen nicht - wenn sie umsiedeln, verlieren sie möglicherweise Sonderrechte. Es zählen ungefähr 104 Millionen Menschen zu den STs. Das sind fast 9 % der Gesamt- und mehr als 11 % der Landbevölkerung. Sie sprechen mehr als 100 Sprachen und unterscheiden sich in Sozialstruktur, Bräuchen, Sprache, Religion, Essensgewohnheiten, Kleidung, wirtschaftlicher Lebensgrundlage und in ihren kulturellen Ausdrucksformen (EZ 27.7.2022). Ihr Hauptsiedlungsgebiet sind die Bundesstaaten Zentralindiens, der sogenannte "Tribal Belt", bestehend aus den Bundesstaaten Madhya Pradesh, Chhattisgarh, Maharashtra, Orissa, Jharkhand und Gujarat (GfbBV 2021).
Die Verfassung garantiert zwar die sozialen, ökonomischen und politischen Rechte von benachteiligten Gruppen von indigenen Stämmen und das Gesetz spricht ihnen einen speziellen Status zu, doch werden diese Rechte oftmals von den Behörden auch verweigert (USDOS 12.4.2022). Viele leben unterhalb der Armutsgrenze. Trotz deutlicher Fortschritte innerhalb der letzten Jahre haben Adivasi mit Bezug auf fast alle sozio-ökonomischen Indikatoren die schlechtesten Lebensbedingungen aller Inder. Sie erfahren gesellschaftliche Diskriminierung, mitunter auch Gewalt (AA 22.9.2021). Menschenrechtsorganisationen wie das Asian Center for Human Rights sprechen von einer Zunahme von Straftaten gegen Angehörige indigener Bevölkerungsgruppen. Es wird von Straftaten, wie Diskriminierung, Belästigung, Folter, willkürlichen Verhaftungen, sowie Lynchjustiz durch Straßenmobs berichtet (ÖB 8.2021; vergleiche CS 3.2022), u.a. an Adivasi, die in großem Umfang und in systemischer Weise oft ungestraft begangen wurden (AI 29.3.2022; vergleiche ÖB 8.2021, CS 3.2022). Insgesamt wurden 8.802 Straftaten gegen STs registriert. Dies entspricht einem Anstieg von 6,4 % gegenüber 2020 (8.272 Fälle). Die registrierte Kriminalitätsrate stieg von 7,9 im Jahr 2020 auf 8,4 im Jahr 2021 (NCRB 2022).
In den meisten nordöstlichen Bundesstaaten sieht das Gesetz Stammesrechte vor, allerdings halten sich einige Behörden nicht daran (USDOS 12.4.2022). In manchen Bundesstaaten, wie Meghalaya, ist der Erwerb von Stammesland durch Nichtstammesangehörige explizit verboten (AA 22.9.2021) bzw. muss Landverkauf an nicht-indigene Personen von Stammesautoritäten genehmigt werden (USDOS 12.4.2022). Adivasi-Vertreter und NGOs berichten seit Jahren aus einigen Bundesstaaten von systematischem und oft entschädigungslosem Entzug des von Adivasi genutzten Landes durch Bergbauunternehmen und Industrieprojekte. Auch aus diesem Grund finden linksextremistische Guerilla-Gruppen (sogenannte Naxaliten) in den Gebieten der Ureinwohner, u. a. in Jharkhand und Chhattisgarh, ihre Haupt-Aktionsbasis. Der Forest Rights Act (FRA) aus dem Jahr 2006 soll die traditionellen Landrechte der Adivasis stärken und Waldgebiete vor Maßnahmen der Forstpolitik bewahren. Problematisch erweist sich jedoch der Eigentumsnachweis. Regierungsstatistiken zufolge gab es seit dem Inkrafttreten des FRA über 4 Millionen Klagen von Angehörigen indigener Stämme, von denen weniger als 2 Millionen Erfolg hatten. Zu heftiger Kritik führte eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, nach der all diejenigen, die mit der Klage scheiterten, die Schutzgebiete verlassen müssen. Dazu kam es bislang nicht, nachdem das Gericht im September 2019 die Implementierung des Urteils vorübergehend ausgesetzt hat (AA 22.9.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021),https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 27.9.2022
AI - Amnesty International (29.3.2022): The State of the World's Human Rights - India 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070252.html, Zugriff 27.9.2022
CS – Cultural Survival (3.2022): Observations on the State of Indigenous Human Rights in India, https://www.culturalsurvival.org/sites/default/files/UPR%20India%202022%20-FINAL.pdf, Zugriff 3.10.2022
EZ - Entwicklung und Zusammenarbeit (27.7.2022): Mehr als 100 Millionen Menschen gehören zu Indiens Adivasi, https://www.dandc.eu/de/article/indiens-adivasi-gemeinschaften-haben-traditionelle-normen-und-einen-besonderen-rechtsstatus, Zugriff 27.9.2022
GfbV - Gesellschaft für bedrohte Völker (2021): Adivasi, https://www.gfbv.de/de/informieren/laender-regionen-und-voelker/voelker/adivasi/, Zugriff 27.9.2022
NCRB - National Crime Records Bureau [Indien] (2022): Crime in India 2021, https://ncrb.gov.in/sites/default/files/CII-2021/CII_2021Volume%201.pdf, Zugriff 27.9.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071142.html, Zugriff 5.9.2022
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen
Letzte Änderung: 14.11.2022
Der Grundsatz der Geschlechtergleichstellung ist in der indischen Verfassung verankert. Frauen haben das Grundrecht, gleichen Schutz vor dem Gesetz zu genießen und nicht aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert zu werden (INDI 5.2022; vergleiche IJLMH 5.2022, TDG 2.3.2022). Indien ist allerdings seit jeher eine extrem patriarchalische Gesellschaft (Care 28.5.2022; vergleiche ÖB 8.2021, IJLMH 5.2022). Diese patriarchalische Struktur trägt dazu bei, dass die soziale Realität von Frauen in Indien von systematischer Benachteiligung und Diskriminierung bestimmt bleibt - weniger aufgrund staatlichen Handelns, als vielmehr aufgrund tief verwurzelter sozialer Traditionen (AA 22.9.2021). Frauen haben demnach zwar Zugang zu sozialen und rechtlichen Leistungen, mehr Unabhängigkeit und Mitspracherecht sowie die Möglichkeit, sich in öffentlichen Angelegenheiten zu engagieren (CAR 14.7.2022), doch trotz dieser Fortschritte bleibt geschlechtsspezifische Diskriminierung nach wie vor eine alltägliche Erscheinung (ÖB 8.2021; vergleiche CAR 14.7.2022). Auch Aktivisten, die sich für Frauenrechte einsetzen, sind häufig Diskriminierung ausgesetzt, die bis zu falschen Anklagen oder unrechtmäßigem Freiheitsentzug reicht (ÖB 8.2021).
Es gibt keine Gesetze, welche die Beteiligung von Frauen oder Angehörigen von Minderheitengruppen am politischen Prozess einschränken. Das Gesetz reserviert ein Drittel der Sitze in den Gemeinderäten für Frauen. Obwohl religiöse, kulturelle und traditionelle Praktiken Frauen teilweise an einer proportionalen Beteiligung an politischen Ämtern hindern, sind Frauen in einigen hochrangigen politischen Ämtern vertreten. Bei den Parlamentswahlen 2019 wurden 78 Frauen in das Unterhaus gewählt (USDOS 12.4.2022).
Viele Bundesstaaten fördern die Sterilisation von Frauen als Familienplanungsmethode, was einerseits zu riskanten, minderwertigen Verfahren und andererseits zu einem eingeschränkten Zugang zu nicht dauerhaften Sterilisationsmethoden geführt hat (USDOS 12.4.2022; vergleiche ORFo 7.4.2022). Berichten zufolge wurden einige Frauen, insbesondere arme Frauen und Frauen aus niedrigeren Kasten, zum Abbinden der Eileiter, zur Entfernung der Gebärmutter oder zu anderen Formen der Sterilisation gedrängt (USDOS 12.4.2022). Im Bundesstaat Chhattisgarh kam es in der Vergangenheit zu unter Zeitdruck durchgeführten und organisierten Massensterilisationen in Lagern, mit Fällen von verpfuschten Operationen und mangelhafter medizinischer Versorgung (ORFo 7.4.2022; vergleiche TW 17.9.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 8.9.2022
Care (28.5.2022): Gender Inequality In The Indian Society, https://www.careindia.org/blog/gender-in-inequality/, Zugriff 8.9.2022
CAR - Current Affairs Review (14.7.2022): The Role of Women in India Post Independence, https://www.currentaffairsreview.com/the-role-of-women-in-india-post-independence/, Zugriff 9.9.2022
IJLMH - International Journal of Law Management and Humanitites (5.2022): A Critical Analysis of Gender Justice under the Indian Constitution, https://www.ijlmh.com/paper/a-critical-analysis-of-gender-justice-under-the-indian-constitution/# , Zugriff 12.9.2022
KO - Kashmir Obeserver (3.2.2022): The Patriarchy in Acid Attacks, https://kashmirobserver.net/2022/02/03/the-patriarchy-in-acid-attacks/, Zugriff 12.9.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (5.2022): The Constitution of India, https://legislative.gov.in/sites/default/files/COI_English.pdf, Zugriff 8.9.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 8.9.2022
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TDG - The Daily Guardian (2.3.2022): An analysis of constitutional safeguards provided to women in India, https://thedailyguardian.com/an-analysis-of-constitutional-safeguards-provided-to-women-in-india/, Zugriff 12.9.2022
TW - The Wire (17.9.2021): Despite Tragic History of Sterilisation Camps, Chhattisgarh Has Not Learnt Its Lessons, https://thewire.in/rights/tragic-history-sterilisation-camps-chhattisgarh-lessons-not-learnt, Zugriff 13.10.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071142.html, Zugriff 9.9.2022
Geschlechtsspezifische Gewalt
Letzte Änderung: 14.11.2022
Vergewaltigungen und andere sexuelle Übergriffe sind ein ernstes Problem (FH 24.2.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022), offizielle Statistiken weisen Vergewaltigungen als eines der am schnellsten wachsenden Verbrechen des Landes aus (USDOS 12.4.2022). Das Gesetz stellt Vergewaltigung in den meisten Fällen unter Strafe (USDOS 12.4.2022; vergleiche IPC 21.4.2018). Geschlechtsverkehr oder sexuelle Handlungen eines Mannes mit seiner eigenen Frau, die nicht jünger als 15 Jahre ist, gelten nicht als Vergewaltigung (IPC 21.4.2018) und können nicht strafrechtlich belangt werden (NPR 8.2.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022). Ein Großteil der Fälle sexueller Gewalt findet innerhalb der Familien statt (AA 22.9.2021). Laut der jüngsten National Family Health Survey (NFHS) des indischen Gesundheitsministeriums gaben 32 % der jemals verheirateten Frauen im Alter von 18 bis 49 Jahren an, körperliche, sexuelle oder emotionale Gewalt durch den Ehepartner erlebt zu haben (MoHFW 25.11.2021). Was die sexuelle Gewalt betrifft, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine indische Frau von ihrem Ehemann sexuelle Gewalt erfährt, 17-mal höher als von einer anderen Person (NPR 8.2.2022; vergleiche MoHFW 25.11.2021). Die COVID-19-Pandemie und die Lockdown-Regelungen führten zu einem Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt (USDOS 12.4.2022; vergleiche AI 7.4.2021). Frauen und Kinder waren stärker gefährdet, da z. B. der Täter seinen Lebensunterhalt verloren hatte und weil die Familie gezwungen war, zu Hause und mit dem Täter eingeschlossen zu bleiben; es gab nur begrenzte Möglichkeiten, zu entkommen oder Zugang zu Ressourcen zu erhalten (USDOS 12.4.2022). In Indien sind die NFHS und das National Crime Records Bureau (NCRB) die einzigen beiden Quellen, die Daten über Gewalt gegen Frauen auf nationaler Ebene liefern. Die Daten des NCRB umfassen nur Fälle, wo Frauen oder Familien Anzeige bei der Polizei erstattet haben. Da das Gesetz sexuelle Gewalt durch Ehemänner nicht anerkennt, ist die Zahl der Meldungen über Vergewaltigungen in der Ehe sehr gering (NIH 29.3.2022). Laut der jüngsten NFHS-Studie aus den Jahren 2019-2021 haben nur 14 % jener Frauen, die zu Hause körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt haben, in irgendeiner Form Hilfe gesucht (MoHFW 25.11.2021).
Der Bericht Crime in India 2021 des NCRB zeigt auf, dass in Indien im Jahr 2021 31.677 Fälle von Vergewaltigung registriert wurden und jede Stunde fast 49 Fälle von Verbrechen gegen Frauen gemeldet wurden (TH 31.8.2022; vergleiche NCRB 2022). Die Straftaten gegen Frauen nahmen 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 15,3 % zu (FP 30.8.2022), in Delhi sogar um mehr als 40 % (IT 30.8.2022). Die steigenden Fallzahlen lassen sich in Teilen auch auf eine zunehmende Bereitschaft zurückführen, Vergewaltigungen anzuzeigen. Doch Beobachter sind der Ansicht, dass die Zahl der Vergewaltigungen nach wie vor sehr lückenhaft dokumentiert ist. Frauen in Gebieten wie Jammu und Kaschmir oder Jharkhand und Chhattisgarh sowie gefährdete Dalit- oder Stammesfrauen werden häufig Opfer von Vergewaltigungen oder Vergewaltigungsdrohungen. Organisationen der Zivilgesellschaft bieten Frauen und Kindern, die eine Vergewaltigung überlebt haben, vorübergehend Notunterkünfte an (USDOS 12.4.2022). Im Rahmen des Swadhar Greh-Programms können NGOs, die sich seit mindestens drei Jahren für Frauen einsetzen, eine staatliche Finanzierung ihrer Frauenhäuser beantragen. Das Programm wurde 2001 von der Zentralregierung ins Leben gerufen, um Frauen, die in Not geraten sind, Unterstützung und Schutz zu bieten. Die Heime bieten Frauen, die häusliche Gewalt und sexuellen Missbrauch erlitten haben, sowie Frauen aus wirtschaftlich und sozial schwachen Schichten eine vorübergehende Unterkunft, Verpflegung, Beratung, Rechtsbeistand und Schulungen an, um sie zu rehabilitieren. Während COVID-19 wurden die Zahlungen jedoch ausgesetzt, obwohl der Bedarf an Frauenhilfsprogrammen gestiegen ist (TSC 22.2.2022).
Es gibt weiter Berichte, dass Frauen und Mädchen, die im Devadasi-System symbolische Ehen mit Hindu-Gottheiten eingehen (eine Form der sogenannten rituellen Prostitution), Opfer von Vergewaltigungen oder sexuellem Missbrauch durch Priester und Tempelherren werden, einschließlich Sexhandels (USDOS 12.4.2022). Diese Praxis wurde in Karnataka, Maharashtra, Andhra Pradesh und Tamil Nadu festgestellt (USDOS 12.4.2022; vergleiche TCo 29.5.2022) und betrifft fast immer Mädchen aus den Gemeinschaften der Scheduled Castes und Scheduled Tribes (USDOS 12.4.2022). Nach Angaben der staatlichen National Commission for Women (NCW) aus dem Jahr 2015 gibt es in Indien noch mindestens 44.000 aktive Devadasis. Die NCW merkte jedoch auch an, dass die tatsächliche Zahl bis zu einer Viertelmillion betragen könnte (TCo 29.5.2022).
Säureangriffe auf Männer und Frauen führen weiterhin zu Todesfällen und dauerhaften Entstellungen (USDOS 12.4.2022). Säureangriffe sind zwar ein Verbrechen, das sich gegen jede Person richten kann, doch meist sind Frauen, vor allem junge Frauen, das Ziel dieser Angriffe. Der Hauptgrund für diese Angriffe ist, dass Frauen die herrschende Gesellschaftsordnung infrage stellen, indem sie nicht bereit sind, sich zu unterwerfen (KO 3.2.2022). Jährlich werden in Indien etwa 1.000 Frauen von Gewalttätern mit Säuren - Salzsäure, Salpetersäure und Schwefelsäure - angegriffen, meist im Gesicht (NN 10.6.2022).
In Indien ist die weibliche Genitalverstümmelung (FGM) eine weitverbreitete Praxis in einer kleinen Gemeinschaft (GK 4.3.2022). Namentlich wird FGM von 70 bis 90 % der Dawoodi-Bohra-Muslimen praktiziert. Deren Zahl wird auf eine Million geschätzt, die sich auf die Bundesstaaten Maharashtra, Gujarat, Madhya, Pradesh und Rajasthan verteilt. Es gibt kein nationales Gesetz, das sich mit FGM befasst (USDOS 12.4.2022). Die Dawoodi-Bohra-Gemeinschaft argumentiert, dass die Praxis nicht eingeschränkt werden könne, da die indische Verfassung in Artikel 25 Religionsfreiheit gewähre. Der Oberste Gerichtshof stellte allerdings fest, dass die Praxis von FGM gegen die Artikel 15 und 21 der indischen Verfassung verstößt und hat sie daraufhin zu einer illegalen Handlung erklärt (GK 4.3.2022).
Staatliche Maßnahmen und Strafverfolgung
Die Strafverfolgung und der Rechtsweg für Opfer von Vergewaltigungen sind unzureichend, und das Justizsystem ist nicht in der Lage, das Problem wirksam anzugehen. Es kommt vor, dass die Polizei versucht, Opfer von Vergewaltigungen und ihre Angreifer zu versöhnen oder eine Heirat zwischen Opfer und Täter vorzuschlagen (USDOS 12.4.2022). Stereotypisierung und geschlechtsspezifische Diskriminierung in Gerichtsverfahren sind weit verbreitet und tief verankert. Richter legen oft Maßstäbe dafür an, was sie für ein angemessenes Verhalten von Frauen halten. Dies führt zu Entscheidungen, die auf vorgefassten Meinungen und nicht auf Fakten beruhen. So forderte der Oberste Gerichtshof im März 2021 bei der Anhörung des Falles gegen einen Regierungsangestellten, der auf Grundlage des Gesetzes zum Schutz von Kindern vor sexuellen Straftaten angeklagt war, den Angeklagten auf, das minderjährige Opfer zu heiraten (OMCT 6.5.2022). Frauenaktivisten stellen fest, dass die niedrigen Verurteilungsraten in Vergewaltigungsfällen einer der Hauptgründe dafür sind, dass die sexuelle Gewalt unvermindert anhält und zuweilen nicht gemeldet wird (USDOS 12.4.2022; vergleiche TOI 29.3.2022). Die Länge der Gerichtsverfahren, die mangelnde Unterstützung der Opfer und der unzureichende Schutz von Zeugen und Überlebenden stellen - während der COVID-19-Pandemie zusätzlich stärker ausgeprägte - große Probleme dar (USDOS 12.4.2022).
Die Mindeststrafe für Vergewaltigung beträgt 10 Jahre Haft. Die Mindeststrafe für die Vergewaltigung eines Mädchens unter 16 Jahren liegt zwischen 20 Jahren und lebenslänglich; die Mindeststrafe für die Gruppenvergewaltigung eines Mädchens unter 12 Jahren ist entweder lebenslänglich oder die Todesstrafe (USDOS 12.4.2022; vergleiche IPC 21.4.2018). Das Gesetz zum Schutz von Frauen gegen häusliche Gewalt sieht Strafsanktionen vor und soll die Ehefrau neben häuslicher Gewalt auch vor dem Verlust ihres in die Familie des Mannes eingebrachten Vermögens und vor dem Verstoß aus dem Familienhaushalt schützen (ÖB 8.2021; vergleiche INDI 2005).
Eine positive Entwicklung der letzten Jahre war die höchstrichterliche Rechtsprechung, die etwa erzwungenen Geschlechtsverkehr mit einem minderjährigen Ehepartner unter Strafe gestellt (2017) und Ehebruch entkriminalisiert hat (2018) (AA 22.9.2021). Die Regierung erkennt außerdem die Rolle des Gesundheitspersonals bei der Behandlung von Opfern sexueller Gewalt an und führte Protokolle ein, die internationalen Standards für eine solche medizinische Versorgung entsprechen. Die Regierung weist die Gesundheitseinrichtungen an, dafür zu sorgen, dass Opfer aller Formen sexueller Gewalt sofortigen Zugang zu Gesundheitsdiensten erhalten, einschließlich Notfallverhütung, Polizeischutz, Notunterkünften, gerichtsmedizinischen Diensten und Überweisungen für Rechtshilfe und andere Dienste. Die Umsetzung der Leitlinien verlief jedoch aufgrund begrenzter Ressourcen und sozialer Stigmatisierung uneinheitlich (USDOS 12.4.2022). Die Regierung hat Schnellgerichte für die Bearbeitung anhängiger Vergewaltigungsfälle eingerichtet, um diese Fälle zu beschleunigen (USDOS 12.4.2022; vergleiche INDI 2019). Zivilgesellschaftliche Organisationen sorgen für die Sensibilisierung und die überlebensorientierte, nicht stigmatisierende, vertrauliche und kostenlose Betreuung von Gewaltopfern und erleichtern die Überweisung an tertiäre Einrichtungen, Sozialdienste und Rechtsdienste. Diese Dienste sollen Frauen und Kinder dazu ermutigen, sich und den Vergewaltigungsfall zu melden. Darüber hinaus hat die Zentralregierung Maßnahmen ergriffen, um die Sicherheit von Frauen bei der Anzeige von Gewalt zu verbessern. Dazu gehören gesonderte Zentren für die Meldung der Straftat und der Zugang zu medizinischer Unterstützung, Frauenhilfsstellen in Polizeistationen und Schulungsprogramme für Polizei, Staatsanwälte, medizinisches Personal und die Justiz, um den Opfern auf mitfühlende und respektvolle Weise zu begegnen (USDOS 12.4.2022).
Das Gesetz zur Bekämpfung von sexueller Gewalt am Arbeitsplatz wird nach wie vor nur unzureichend durchgesetzt, insbesondere für Frauen im informellen Sektor (HRW 13.1.2022). Die Arbeitgeber sind entweder nicht über die Bestimmungen des Gesetzes informiert oder haben sie nur teilweise umgesetzt, und diejenigen, die interne Gremien eingerichtet haben, haben nur schlecht ausgebildete Mitglieder (TOI 8.4.2022). Gemäß dem Gesetz über sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz von 2013 muss jede gewerbliche oder öffentliche Organisation mit zehn oder mehr Beschäftigten eine interne Beschwerdekommission einrichten (TOI 8.4.2022; vergleiche INDI 2013).
Quellen:
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GK - Greater Kashmir (4.3.2022): It's a crime, period. https://www.greaterkashmir.com/editorial-page-2/its-a-crime-period, Zugriff 12.9.2022
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Ehen (arrangierte, Zwangsehen, Mischehen), Ehrenmorde, Mitgiftstreitigkeiten
Letzte Änderung: 14.11.2022
Obwohl es in Indien offiziell kein Kastenwesen mehr gibt (LSI 22.7.2022), ist die Heirat innerhalb der eigenen Kaste nach wie vor ein wesentliches Merkmal der Ehe in Indien (BBC 8.12.2021). Die Endogamie (die Praxis, jemanden aus der eigenen Gemeinschaft, dem eigenen Clan oder Stamm zu heiraten und andere als ungeeignet abzulehnen) ist in Indien noch weit verbreitet und impliziert, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kaste bei der Partnersuche oberste Priorität hat. Bei diesen endogamen Ehen handelt es sich um eine Form der arrangierten Ehe, bei der Braut und der Bräutigam derselben Kaste den Bund der Ehe eingehen, nachdem sie die Zustimmung ihrer beiden Familien erhalten haben (FII 2.12.2020). Es ist jedoch klar, zwischen dem Konzept der arrangierten Ehe und der Zwangsehe zu unterscheiden. Im Gegensatz zur Zwangsehe geben bei einer arrangieren Ehe beide Partner ihre volle Zustimmung (FII 2.12.2020; vergleiche GoUK 28.7.2022). Die Zustimmung muss ohne Einfluss von außen erfolgen und ausschließlich die eigene Entscheidung einer Person repräsentieren. Wenn entweder die Braut oder der Bräutigam oder sogar beide nicht bereit sind, die Ehe einzugehen, handelt es sich um eine Zwangsehe (FII 2.12.2020). Der Zwang zur Heirat kann physischen, psychologischen, finanziellen, sexuellen und emotionalen Druck umfassen (GoUK 28.7.2022). Wenn jemand die Idee einer Zwangsheirat oder einer arrangierten Ehe ablehnt, wird dies schnell als persönliche Beleidigung der Eltern angesehen, was zu Spannungen innerhalb der Familie führen kann (FII 2.12.2020). In einer 2018 durchgeführten Umfrage unter mehr als 160.000 Haushalten in Indien gaben 93 % der verheirateten Paare an, dass ihre Ehe arrangiert worden war (BBC 8.12.2021).
Interreligiöse Paare können in Indien nach dem Special Marriage Act von 1954 heiraten (INDI 1954). Dies ist allerdings oft mit der Androhung von Schikanen und Gewalt durch Familienmitglieder verbunden (CLPR 29.1.2022), da das Gesetz von den Paaren verlangt, den staatlichen Behörden ihre Heiratsabsicht mitzuteilen, und eine Frist von 30 Tagen vorsieht, in der jeder Einspruch gegen die Ehe erheben kann (CLPR 29.1.2022; vergleiche INDI 1954). Öffentliche Bekanntmachungspflichten für interreligiöse Ehen sind zuweilen Auslöser für gegen Paare gerichtete Gewalt (USCIRF 4.2022). Hinzu kommt, dass sich Anti-Konversionsgesetze zunehmend auf interreligiöse Beziehungen konzentriert haben. Seit 2018 haben mehrere Bundesstaaten Gesetze erlassen oder bestehende Anti-Konversionsgesetze überarbeitet, um interreligiöse Ehen ins Visier zu nehmen und/oder zu kriminalisieren (USCIRF 4.2022; vergleiche CLPR 29.1.2022, IE 16.8.2022). Das neue Anti-Konversionsgesetz von Karnataka, welches im September 2022 verabschiedet wurde (VN 20.9.2022), verbietet Ehen, die mit dem alleinigen Ziel der Konversion geschlossen werden, sowie Konversionen, die mit der ausschließlichen Absicht der Heirat durchgeführt werden (CLPR 29.1.2022; vergleiche IE 16.8.2022). Konversionen sind durch das Gesetz nur noch mit einem großen bürokratischen Aufwand möglich und auch nur dann, wenn niemand dagegen Einspruch erhebt. Wenn jemand eine Zwangskonversion anprangert, liegt die Beweislast bei der Person, die sich dagegen verteidigt (VN 20.9.2022). Eine Verordnung, die im Feber 2021 in Kraft trat, erklärt die Religionskonversion durch Heirat zu einem nicht kautionsfähigen Vergehen, bei dem Angeklagten bis zu 10 Jahre Gefängnis drohen, wenn es zu einem Schuldspruch kommt (AJ 26.7.2022; vergleiche IE 16.8.2022). Radikale Hindugruppen haben den Begriff "Liebesdschihad" aufgeworfen, mit dem sie ein angebliches Phänomen beschreiben, bei dem muslimische Männer Hindu-Frauen dazu verleiten, sie zu heiraten und zum Islam zu konvertieren (AJ 26.7.2022; vergleiche BBC 8.12.2021, TG 21.1.2022, AA 22.9.2021). In Uttar Pradesh wurden muslimische Männer, die versuchten, einwilligende Hindu-Frauen zu heiraten, angegriffen oder ins Gefängnis gesteckt. Von den 208 Personen, die zwischen November 2020 und August 2021 auf der Grundlage von Anti-Konversionsgesetzen verhaftet wurden, waren alle Muslime. Bislang wurde niemand verurteilt (TG 21.1.2022).
Eine positive Entwicklung der letzten Jahre war die höchstrichterliche Rechtsprechung, die 2018 das fundamentale Recht auf freie Wahl des Ehepartners unterstrich (AA 22.9.2021). Zwangsverheiratungen sind in Indien nach Artikel 15 des indischen Vertragsgesetzes von 1872 illegal (NCC 11.2021; vergleiche INDI 1872), sie fallen unter Nötigung (HT 25.6.2020) und stellen eine Verletzung der Menschenrechte dar. Jedoch kann für eine Frau, die sich weigert, eine arrangierte Ehe einzugehen, die Gefahr bestehen, einem Verbrechen aus Gründen der Familienehre zum Opfer zu fallen (NCC 11.2021).
Seit dem 31.7.2019 ist in Indien durch Parlamentsbeschluss die islamische Scheidung "instant triple talaq" verboten und strafbar (AA 22.9.2021; vergleiche BBC 14.9.2022).
Sogenannte Ehrenmorde bleiben insbesondere im Punjab, in Uttar Pradesh und Haryana ein Problem (USDOS 12.4.2022; vergleiche ÖB 8.2021). Oft sind sie darauf zurückzuführen, dass das Opfer gegen den Willen seiner Familie geheiratet hat (USDOS 12.4.2022). Die Ahndung von Ehrenmorden ist schwierig, da diese oft als Selbstmord oder natürlicher Tod ausgelegt werden (ÖB 8.2021). In Indien gibt es bereits eine Reihe von Gesetzen und Systemen zum Schutz vor Ehrenverbrechen. Das Problem ist, dass die bestehenden Gesetze nur selten durchgesetzt werden (LSI 29.7.2022). Viele Aktivisten argumentieren, dass das indische Strafgesetzbuch und die Abschnitte der Strafprozessordnung nicht ausreichen, um diese Morde aufzuklären (OI 15.1.2022).
Auch in Zusammenhang mit Mitgiftstreitigkeiten sind Morde und Entführungen verbreitet (ÖB 8.2021). Das Gesetz verbietet zwar die Annahme von Mitgift, aber viele Familien boten und nahmen weiterhin Mitgift an, was dazu geführt hat, dass Mitgiftstreitigkeiten ein ernstes Problem bleiben (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 24.2.2022, GoI 31.5.2022). Die Daten des National Crime Records Bureau (NCRB) zeigen, dass es im Jahr 2020 insgesamt 7.045 Todesfälle im Zusammenhang mit Mitgift gab, verglichen mit 7.141 im Jahr 2019. Die höchste Zahl an Fällen wurde in Uttar Pradesh mit 2.302 Opfern registriert. Die meisten Bundesstaaten beschäftigen Mitgiftverbotsbeauftragte (USDOS 12.4.2022). Laut indischer Regierung wurden nicht nur Änderungen am Gesetz zum Verbot der Mitgift (Dowry Prohibition Act, 1961) vorgenommen, um es strenger und wirksamer zu gestalten (GoI 31.5.2022; vergleiche TH 4.1.2022, INDI 2018), sondern auch die Belästigung wegen Mitgift wurde unter Strafe gestellt und im Rahmen des Gesetzes zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt (Protection of Women from Domestic Violence Act, 2005) als Grund für Zivilklagen anerkannt (GoI 31.5.2022; vergleiche INDI 2005).
Quellen:
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BBC - British Broadcasting Corporation (8.12.2021): What the data tells us about love and marriage in India, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-59530706, Zugriff 14.9.2022
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CLPR - Center for Law & Policy Research (29.1.2022): Tightening the Noose on Interfaith Marriage, https://clpr.org.in/blog/tightening-the-noose-on-interfaith-marriage/, Zugriff 14.9.2022
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Kinder
Letzte Änderung: 14.11.2022
Die Verfassung garantiert freie Bildung für Kinder von sechs bis 14 Jahren (USDOS 12.4.2022; vergleiche INDI 5.2022). In Indien gibt es allerdings starke Ungleichheiten im Bildungsbereich, die durch die COVID-19-Pandemie noch verstärkt wurden (TD 29.4.2022). Schulunterbrechungen, die mit Einkommenseinbußen und dem Verlust von Arbeitsplätzen einhergingen, führten zu einer Zunahme von Kinderarbeit, Frühverheiratung und Menschenhandel. Einem UNICEF-Bericht zufolge besteht für etwa 10 Millionen Schüler (UNICEF 1.5.2021; vergleiche HRW 13.1.2022), oder 8 % aller Kinder (USDOS 12.4.2022; vergleiche UNICEF 1.5.2021), die Gefahr, dass sie nie wieder zur Schule gehen (HRW 13.1.2022; vergleiche UNICEF 1.5.2021, USDOS 12.4 2022). Die Herausforderungen der COVID-19-Krise verschlimmern auch die ohnehin schon kritische Situation Indiens in Bezug auf die Unterernährung (I4I 6.1.2022). Nach offiziellen Angaben sind 36 % der unter-fünfjährigen Kinder in Indien untergewichtig (MoHFW 25.11.2021; vergleiche AA 22.9.2021). Darüber hinaus sind laut Angaben von UNICEF 5.772.472 Kinder unter fünf Jahren von schwerer Mangelernährung betroffen (UNICEF 5.2022; vergleiche DTE 18.5.2022).
Zahlreiche Kinder sind durch die Pandemie zu Waisen geworden, haben nur noch ein Elternteil oder sind sich selbst überlassen worden (TP 30.5.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022, NPR 6.9.2022). Nachdem die National Commission for Protection of Child Rights (NCPCR) ihre Besorgnis über Beschwerden bzgl. illegaler Adoptionen von durch COVID-19 verwaisten Kindern geäußert hatte, wies der Oberste Gerichtshof die Bundesstaaten an, strenge Maßnahmen gegen illegale Adoptionen zu ergreifen und die Gesetze und Vorschriften besser bekannt zu machen (USDOS 12.4.2022; vergleiche NCPCR 2022). Die NCPCR misst der Identifizierung dieser Kinder eine große Bedeutung zu, da diese in naher Zukunft gefährdet sein könnten, Opfer von Kinderhandel zu werden (TP 30.5.2022; vergleiche NCPCR 2022).
Die Zahl der vermissten Kinder ist im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 30,8 % gestiegen (NCRB 29.8.2022), wobei sich laut USDOS die Fälle vermisster Kinder in den Teeanbaugebieten fast verdoppelt hat (USDOS 29.7.2022). Aus dem Bundesstaat Madhya Pradesh wird die höchste Zahl vermisster Kinder gemeldet. Jeden Tag werden dort 30 Kinder vermisst, von denen neun nie wiederzurückkehren, so die Daten des National Crime Records Bureau (NCRB). Jährlich verschwinden etwa 10.000 Kinder. Man geht davon aus, dass die meisten von ihnen für Hausarbeit, Sex und Heirat verschleppt werden (AnA 30.7.2022). Die Zivilgesellschaft berichtet, dass für Kinder aus wirtschaftlich schwachen Familien ein erhöhtes Risiko besteht, Opfer von Arbeits- oder Sexhandel zu werden, vor allem aufgrund des pandemiebedingten Verlusts der elterlichen Arbeitsplätze und der Schließung von Schulen (USDOS 29.7.2022)
Das Gesetz verbietet Menschenhandel und stellt die Ausbeutung von Kindern durch Prostitution unter Strafe (USDOS 29.7.2022). Das Gesetz verbietet auch Kindesmissbrauch, erkennt aber körperliche Misshandlung durch Betreuungspersonen, Vernachlässigung oder psychischen Missbrauch nicht als strafbare Handlungen an (USDOS 12.4.2022). Gewalt gegen Kinder und sexueller Missbrauch von Kindern ist ein ernstes soziales Problem (AA 22.9.2021). Das NCRB berichtet 2021 von einem Anstieg der Kriminalität gegen Kinder um 16,2 % im Vergleich zum Vorjahr (NCRB 29.8.2022). Im Jahr 2019 wurde das Gesetz zum Schutz von Kindern vor Sexualstraftaten aus dem Jahre 2012 geändert. Mit dem Gesetzentwurf wird u.a. das Mindeststrafmaß von zehn auf 20 Jahre und das Höchststrafmaß auf die Todesstrafe angehoben (INDI 6.8.2019). Kritiker zweifeln an der Wirksamkeit dieser Gesetzesänderungen, u.a. deswegen, weil das Thema des sexuellen Missbrauchs innerhalb der Familien ein Tabu bleibt (TDG 17.2.2022; vergleiche ND 5.2.2021, HAQCRC 24.7.2019). Und dem NCRB zufolge wurden im Jahr 2021 97,1 % der Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern von einem Verwandten oder Bekannten des Kindes begangen (NCRB 29.8.2022).
Finanzielle Notlagen, der Tod der Eltern und die Schließung von Schulen haben dazu geführt, dass immer mehr Mädchen von einer Kinderheirat bedroht sind (USDOS 12.4.2022; vergleiche UNICEF 7.3.2021). Der Bundesstaat Telangana beispielsweise meldete von April 2020 bis März 2021 einen Anstieg der Fälle um 27 % im Vergleich zum Vorjahr (USDOS 29.7.2022). Indien ist das Land mit der höchsten Anzahl an Kinderehen weltweit (UNICEF 1.12.2021). Heiratssysteme und -praktiken variieren je nach Region, Kaste und Stamm. Die Rate der Kinderheirat ist im Nordwesten des Landes höher und im Südosten niedriger (TOI 27.9.2021). Das Gesetz zum Verbot von Kinderehen aus dem Jahr 2006 sieht das Verbot und die Bestrafung von Kinderheiraten vor. Das Gesetz gibt dem Kind, dessen Ehe geschlossen wurde, die Möglichkeit, diese gerichtlich annullieren zu lassen (INDI 10.1.2007). Die Behörden setzen das Gesetz nicht konsequent durch und gehen auch nicht gegen die Praxis vor, dass Opfer von Vergewaltigungen zur Heirat gezwungen werden (USDOS 12.4.2022). Berichten zufolge stieg auch der Einsatz von Kinderarbeit während COVID-19-Lockdowns sprunghaft an (FH 24.2.2022). Eine im Rahmen der Kampagne gegen Kinderarbeit (CACL) in 24 Bezirken von Tamil Nadu durchgeführten Studie berichtet von einem Anstieg des Anteils der arbeitenden Kinder von 28 % auf 80 % aufgrund der Pandemie und der Schulschließungen. Dieser Anstieg beläuft sich auf 280 % bei Kindern aus gefährdeten Gemeinschaften. Eine ähnliche Erhebung in 19 Bezirken Westbengalens ergab einen Anstieg der Kinderarbeit um rund 105 % während der Pandemie (CBGA/CRY 17.11.2021). Mit den Gesetzesänderungen des Child Labour (Prohibition and Regulation) Amendment Act 2016/2017 wurde zwar ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot für Kinder unter 14 Jahren eingeführt, diese Änderungen werden aber von der indischen Zivilgesellschaft aufgrund ihrer weitreichenden Ausnahmeregelungen kritisiert (AA 22.9.2021). Im Kontext der Gesetzesänderung wurde die Liste der als gefährlich eingestuften Berufe von 83 auf 3 gekürzt (CBGA/CRY 17.11.2021).
Obwohl die Rekrutierung von Kindern unter 18 Jahren durch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen strafrechtlich verboten ist, rekrutieren maoistische Gruppen, insbesondere in Chhattisgarh und Jharkhand, Kinder im Alter von 12 Jahren, um zu kochen, Material zu transportieren, Informationen über Sicherheitskräfte zu sammeln, mit Waffen und improvisierten Sprengsätzen umzugehen und in einigen Fällen als menschliche Schutzschilde zu dienen (USDOS 12.4.2022). Der UN-Bericht über Kinder und bewaffnete Konflikte berichtet von der Rekrutierung und dem Einsatz von 18 Jungen durch bewaffnete Gruppen in Jammu und Kaschmir im Jahr 2021 (UN 23.6.2022; vergleiche ÖB 8.2021). Es gab außerdem Berichte, dass terroristische Gruppen Kinder aus Schulen in Chhattisgarh rekrutierten (USDOS 12.4.2022).
Eine Analyse von Regierungsdaten aus den Jahren 2015-16 ergab, dass bei etwa 62 % der Kinder unter fünf Jahren die Geburt registriert wurde und die Eltern eine Geburtsurkunde erhielten. Kinder ohne Staatsbürgerschaft oder Registrierung haben unter Umständen keinen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, können sich nicht in der Schule anmelden oder später keine Ausweisdokumente erhalten (USDOS 12.4.2022). Das Gesetz verbietet Tests zur Geschlechtsbestimmung, den Einsatz aller Technologien zur Bestimmung des Geschlechts eines Fötus und geschlechtsspezifische Abtreibungen (USDOS 12.4.2022; vergleiche INDI 17.3.2003). Dennoch sind der verbotene Einsatz von pränatalen Tests zur Geschlechtsbestimmung, um weibliche Föten selektiv abzutreiben (FH 24.2.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022, AA 22.9.2021) und die Vernachlässigung weiblicher Kinder nach der Geburt nach wie vor besorgniserregend (FH 24.2.2022). Um der Geschlechtsselektion entgegenzuwirken, führten fast alle Bundesstaaten "Mädchenförderungspläne" ein, um die Bildung und das Wohlergehen von Mädchen zu fördern (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 22.9.2021).
In Indien gibt es einige (Nicht-)staatliche Akteure, die für das Wohl und die Rechte der Kinder eintreten (IOM 2021). Dazu zählen die Childline India Foundation, einen kostenlosen telefonischen Notdienst für Kinder (CLI o.D.), Child Rights and You (CRY), eine indische NGO, die sich durch die Zusammenarbeit mit lokalen Projektpartnern für die Wahrung der Kinderrechte in Indien einsetzt (CRY o.D.) und Save the Children, die in Zusammenarbeit mit staatliche Stellen und Organisationen der Zivilgesellschaft mehrere Programme mit dem Fokus auf Ernährung, Bildung, Kinderschutz, humanitäre Hilfe sowie Katastrophenvorsorge und Kinderarmut in Indien durchführt (STC o.D.).
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Sexuelle Minderheiten
Letzte Änderung: 14.11.2022
Die indische Gesellschaft hat über die Hijras (Transgender und Intersexuelle bzw. "Drittes Geschlecht") einen traditionellen Zugang zu Transgender-Themen (AA 22.9.2021; vergleiche ÖB 8.2021). Obwohl Hijras lange Zeit in der indischen Gesellschaft mit Respekt behandelt wurden (CAT 23.11.2021), stellen sie heute eine stigmatisierte und marginalisierte Gemeinschaft dar, weshalb es für viele Transfrauen wichtig ist, sich als Transgender und nicht als Hijras zu identifizieren (TC 31.5.2022). Im Jahr 2014 erkannte Indien Hijras und andere geschlechtsuntypische Menschen als Teil einer Kategorie des "dritten Geschlechts" an (TC 31.5.2022; vergleiche ÖB 8.2021).
Im Jahr 2018 entschied der Oberste Gerichtshof, dass die Anwendung von Abschnitt 377 des indischen Strafgesetzbuchs zum Verbot von gleichgeschlechtlichem Geschlechtsverkehr verfassungswidrig ist, und die Gerichte haben seitdem die staatlichen und nationalen Behörden dazu gedrängt, die Diskriminierung sexueller Minderheiten zu bekämpfen (FH 24.2.2022). Demnach ist Homosexualität zwischen einwilligenden Erwachsenen nicht mehr strafbar, ebenso ist die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung nunmehr verboten (ÖB 8.2021). Im Juni 2021 erließ das Oberste Gericht von Madras Leitlinien für die Sicherheit von Angehörigen sexueller Minderheiten und zur Verhinderung von Belästigungen durch die staatlichen Behörden. In dem Urteil wird die weitverbreitete Diskriminierung anerkannt und es werden mehrere Maßnahmen empfohlen, um Vorurteile in der Gesellschaft zu bekämpfen. Darunter finden sich u. a. Schulungs- und Sensibilisierungsprogramme für Polizei und Justiz (HRW 13.1.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022) sowie Entzug der Zulassung von Ärzten, die behaupten, Homosexualität "heilen" zu können (USDOS 12.4.2022).
Vertreter sexueller Minderheiten berichten weiterhin von gesellschaftlicher Diskriminierung, manchmal auch in Form von Gewalt (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 22.9.2012, FH 24.2.2022), insbesondere in ländlichen Gebieten (USDOS 12.4.2022). Aktivisten berichten über verstärkte Diskriminierung und Gewalt gegen sexuelle Minderheiten im Osten des Landes während der COVID-19-Lockdowns. Weiters wird berichtet, dass Transgender weiterhin Schwierigkeiten haben, eine medizinische Behandlung zu erhalten (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
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HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066488.html, Zugriff 14.9.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 14.9.2022
TC - The Conversation (31.5.2022): Transgender women are finding some respect in India, but a traditional gender-nonconforming group – hijras – remains stigmatized, https://theconversation.com/transgender-women-are-finding-some-respect-in-india-but-a-traditional-gender-nonconforming-group-hijras-remains-stigmatized-177197, Zugriff 14.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071142.html, Zugriff 14.9.2022
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 14.11.2022
Die Niederlassungsfreiheit (ÖB 8.2021; vergleiche FH 24.2.2022) sowie landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung werden gesetzlich gewährt, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 22.9.2021, ÖB 8.2021). Allerdings verlangen das Innenministerium und die Regierungen der Bundesstaaten von ihren Bürgern Sondergenehmigungen, wenn sie in bestimmte Bundesstaaten reisen wollen (USDOS 12. 4.2022; vergleiche ÖB 8.2021). In den Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram und Manipur sind sogenannte Inner Line Permits (Dokumente mit denen die Regierung versucht, die Einreise in bestimmte Gebiete in der Nähe der internationalen Grenze Indiens zu regeln) erforderlich. Darüber hinaus wird von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für Angehörige der Dalits berichtet (USDOS 12.4.2022). Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit, sich in anderen Landesteilen niederzulassen. Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut (ÖB 8.2021). Die Bewegungsfreiheit wird in einigen Teilen des Landes durch aufständische Gewalt oder kommunale Spannungen behindert (FH 24.2.2022).
Es gibt immer noch kein staatliches Registrierungssystem, was bedeutet, dass ein großer Teil der Bevölkerung keinen Personalausweis besitzt. Daran hat auch die Einführung des digitalen Identitätssystems Aadhaar im Jahr 2009 nichts geändert, da die Registrierung weiterhin freiwillig ist. Dies begünstigt die Ansiedlung in einem anderen Teil des Landes im Falle von Verfolgung. Selbst bei laufender Strafverfolgung ist es keine Seltenheit, in ländlichen Gebieten in einem anderen Teil des Landes leben zu können, ohne verfolgt zu werden (AA 22.9.2021).
Die Regierung kann jedem Antragsteller per Gesetz die Ausstellung eines Reisepasses verweigern, wenn dieser außerhalb des Landes an Aktivitäten teilnimmt, welche für "die Souveränität und Integrität der Nation abträglich sind". Der Trend, die Ausfertigung und Aktualisierung von Reisedokumenten für Bürger aus Jammu und Kaschmir zu verzögern, hält weiterhin an. Eine Bearbeitung kann bis zu zwei Jahre dauern. Berichten zufolge unterziehen die Behörden in Jammu und Kaschmir geborene Antragsteller - einschließlich der Kinder von dort stationierten Militäroffizieren - zusätzlichen Sicherheitsüberprüfungen, bevor sie entsprechende Reisedokumente ausstellen (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 14.9.2022
BMEIA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (15.2.2022): Indien (Republik Indien) - Aktuelle Hinweise (unverändert gültig seit: 11.2.2022), https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/indien/, Zugriff 15.2.2022
FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068733.html, Zugriff 14.9.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071142.html, Zugriff 14.9.2022
Meldewesen
Letzte Änderung: 14.11.2022
Noch gibt es in Indien kein nationales Melderegister bzw. Staatsbürgerschaftsregister (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.9.2021) und auch kein zentralisiertes Strafregister (AA 22.9.2021). Im Jahr 2009 führte Indien allerdings Aadhaar ein, ein digitales Identitätssystem für die fast 1,4 Milliarden Menschen des Landes (UCLA 13.4.2022; vergleiche CSM 25.4.2022). Das Aadhaar-Programm weist jedem Inder eine eindeutige 12-stellige Nummer zu, die mit den biometrischen Daten der Person verknüpft ist - alle 10 Fingerabdrücke und ein Iris-Scan (UCLA 13.4.2022; vergleiche ÖB 8.2021, CSM 25.4.2022). Während das Programm eigentlich freiwillig sein sollte, wurde die Aadhaar-Nummer schnell zur Notwendigkeit, da einige indische Bundesstaaten sie zur Voraussetzung machten, um subventionierten Reis, Kochgas und Schulessen zu erhalten oder um Immobilien zu kaufen. Kritiker bemängeln jedoch, dass das Programm die am stärksten marginalisierten Teile der Bevölkerung nicht berücksichtigt (UCLA 13.4.2022), und die bestehenden Formen der Ausgrenzung und Diskriminierung bei öffentlichen und privaten Dienstleistungen noch verschärft (CHRGJ 17.6.2022). Es wurde vielfach dokumentiert, wie das Versagen einer Aadhaar-Authentifizierungsmethode (Scannen des Fingerabdrucks oder über Mobiltelefon) zur Verweigerung von Sozialleistungen und zum systematischen Ausschluss von Randgruppen führen kann. Das Fehlen und/oder die Veränderung von Fingerabdrücken ist bei vielen Menschen aufgrund von körperlichen Behinderungen, hohem Alter oder jahrelanger körperlicher Arbeit üblich, was zum Scheitern der Authentifizierung führt. Ebenso haben viele Menschen, insbesondere Frauen ohne Einkommen, keine eigene Telefonnummer, was auch nach einer erfolgreichen Registrierung zu Problemen bei der Authentifizierung führen kann, bspw. bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen (Interactions 4.2022). Mittlerweile wurden über 1,2 Milliarden Aadhaar-Registrierungen vorgenommen, womit ein Großteil der indischen Bevölkerung erfasst ist (ÖB 8.2021; vergleiche CSM 25.4.2022).
Das National Population Register (NPR) verfügt derzeit über eine Datenbank mit 119 Millionen Einwohnern. Das NPR, dessen Daten erstmals 2010 erhoben und 2015 mit Aadhaar-, Handy- und Lebensmittelkartennummern aktualisiert wurden, soll mit der nächsten Volkszählung aktualisiert werden, die aufgrund der COVID-19-Pandemie auf unbestimmte Zeit verschoben wurde (TH 27.4.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 14.9.2022
CHRGJ - Center for Human Rights and Global Justice (NYU School of Law) (17.6.2022): Press Release: The World Bank and co. may be paving a ‘Digital Road to Hell’ with support for dangerous digital ID, https://chrgj.org/2022/06/17/press-release-the-world-bank-and-co-may-be-paving-a-digital-road-to-hell-with-support-for-dangerous-digital-id/, Zugriff 11.10.2022
CSM - The Christian Science Monitor (25.4.2022): On biometric IDs, India is a ‘laboratory for the rest of the world’, https://www.csmonitor.com/World/Asia-South-Central/2022/0425/On-biometric-IDs-India-is-a-laboratory-for-the-rest-of-the-world, Zugriff 23.9.2022
Interactions (published by the Association for Computing Machinery) (4.2022): Marginalized Aadhaar: India’s Aadhaar biometric ID and mass surveillance, https://interactions.acm.org/enter/view/marginalizedaadhaar#R4, Zugriff 11.10.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 14.9.2022
TH - The Hindu (27.4.2022): Birth, death reporting to be automated, https://www.thehindu.com/news/national/registration-of-birth-death-to-be-real-time-with-minimum-human-interface/article65359979.ece, Zugriff 14.9.2022
UCLA - University of California Los Angeles Anderson Review (13.4.2022): Addressing Its Lack of an ID System, India Registers 1.2 Billion in a Decade, https://anderson-review.ucla.edu/addressing-its-lack-of-an-id-system-india-registers-1-2-billion-in-a-decade/, Zugriff 23.9.2022
Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge
Letzte Änderung: 14.11.2022
Indien hat die UN-Konvention über die Anerkennung von Flüchtlingen von 1951 und das Protokoll von 1967 nicht unterzeichnet und gewährt ausländischen Flüchtlingen i. d. R. keinen besonderen Status. Besondere Gesetze zum Status von Flüchtlingen gibt es nicht. Personen erhalten einzelfallabhängig und je nach Nationalität einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen. So bekommen Tamilen aus Sri Lanka und Tibeter grundsätzlich indische Passersatzpapiere, die mit einem dauernden Bleiberecht verbunden sind. Nepalesen können nach dem Freundschaftsvertrag von 1950 frei nach Indien einreisen und sind indischen Bürgern weitgehend gleichgestellt. Staatsangehörige von Bhutan erhalten eine Aufenthaltsberechtigung in Indien. Sonstige Flüchtlinge werden durch den UNHCR registriert und betreut. Sie erhalten lediglich ein UNHCR-Dokument, das sie als asylberechtigt ausweist (AA 22.9.2021). Gemäß der am 10.1.2020 in Kraft getretenen Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes (Citizenship Amendment Act, 2019), erhalten bestimmte Migranten, die vor dem 31.12.2014 als Flüchtlinge aus den Nachbarländern Afghanistan, Bangladesch und Pakistan kamen, vereinfacht die indische Staatsbürgerschaft. Dies gilt für Hindus, Sikhs, Buddhisten, Jain, Parsis oder Christen, ausgenommen sind Muslime (AA 22.9.2022; vergleiche INDI 2019). Allerdings hat der zuständige Minister angekündigt, dass mit der Umsetzung dieses Gesetzes erst nach der COVID-19-Pandemie begonnen werden wird (CNBC 8.5.2022). Grundsätzlich kann jeder Flüchtling nach zwölfjährigem Aufenthalt in Indien indischer Staatsangehöriger werden. Der Großteil der Tibeter lehnt dies jedoch in der Hoffnung, eines Tages in die Heimat zurückkehren zu können, ab. Tibetische Flüchtlinge haben mithilfe von NGOs (teils mit ausländischer Unterstützung) sowie Bemühungen der tibetischen Exilregierung und Institutionen Möglichkeiten zur Schul-/Berufsausbildung sowie Zugang zu Startkapital und sind dementsprechend wirtschaftlich aktiv (AA 22.9.2021).
Indien teilt Flüchtlingen Siedlungsgebiete zu, Flüchtlinge aus Afghanistan erhielten etwa Land in Lajpat Nagar in Delhi. Schon aufgrund der religiösen Verwandtschaft werden diese Flüchtlinge nicht nur toleriert, sondern in die indische Gesellschaft integriert und dort akzeptiert (AA 22.9.2021).
Binnenvertriebene lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: Vertriebene aufgrund von Naturkatastrophen, Vertriebene aufgrund von Entwicklungsmaßnahmen wie dem Bau von Staudämmen und Vertriebene aufgrund von Gewalt und Konflikten. Für die ersten beiden Kategorien gibt es in Indien Gesetze (OI 6.4.2022) - das Grunderwerbsgesetz (INDI 2013) und das Katastrophenmanagementgesetz (INDI 2005). Für die dritte Kategorie von Vertriebenen gibt es in Indien jedoch kein eigenes Gesetz (OI 6.4.2022). Die Versorgung von Binnenvertriebenen fällt im Allgemeinen in den Zuständigkeitsbereich der Regierungen der Bundesstaaten und der lokalen Behörden, was Lücken in der Versorgung und eine mangelhafte Dokumentation zur Folge hat. So sind Angaben zur genauen Anzahl der durch Konflikte oder durch Gewalt Vertriebenen schwierig, da die Regierung die Bewegungen der Vertriebenen nicht dokumentiert und humanitäre und Menschenrechtsorganisationen nur begrenzten Zugang zu den Lagern und betroffenen Regionen haben. Zwar werden die Bewohner der Vertriebenenlager von den Behörden registriert, jedoch lebt eine unbekannte Anzahl von Vertriebenen außerhalb dieser Lager. Vielen Binnenvertriebenen fehlt es an ausreichender Nahrung, sauberem Wasser, Unterkünften und medizinischer Versorgung (USDOS 12.4 2022).
Seit der Unabhängigkeit hat Indien immer wieder gewaltsame Zusammenstöße zwischen Gemeinschaften erlebt, die zu umfangreichen Vertreibungen geführt haben (OI 6.4.2022). Die Vertreibung aus langwierigen Konflikten stellt in Indien eine Herausforderung dar. Viele Menschen wurden vor Jahrzehnten durch Konflikte in den Bundesstaaten Assam, Mizoram und Tripura im Nordosten vertrieben. In Jammu und Kaschmir wurden, wenn überhaupt, nur geringe Fortschritte bei der Erreichung dauerhafter Lösungen erzielt (IDMC 19.5.2022). Im Jahr 2020 wurden etwa 3.900 Personen aufgrund von Konflikten und Gewalt vertrieben, während fast vier Millionen Menschen wegen Naturkatastrophen ihre Heimatregion verlassen mussten (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff am 8.9.2022
CNBC - Consumer News and Business Channel (CNBC-TV18) (8.5.2022): Revisiting Citizenship Amendment Act and why its implementation is delayed, https://www.cnbctv18.com/politics/revisiting-citizenship-amendment-act-and-why-its-implementation-is-delayed-13396932.htm, Zugriff
11.10.2022
IDMC - Internal Displacement Monitoring Centre (19.5.2022): India, Country Profile, Overview, https://www.internal-displacement.org/countries/india, Zugriff 8.9.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (2013): The Right to Fair Compensation and Transparency in Land Acquisition, Rehabilitation and Resettlement Act 2013, https://legislative.gov.in/sites/default/files/A2013-30.pdf, Zugriff 10.10.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (2005): The Disaster Management Act 2005, https://ndma.gov.in/sites/default/files/PDF/DM_act2005.pdf, Zugriff 10.10.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (2019): The Citizenship (Amendment) Bill 2019, http://164.100.47.4/BillsTexts/LSBillTexts/PassedLoksabha/370_C_2019_LS_E.pdf, Zugriff 3.10.2022
OI - Outlook India (6.4.2022): Rights in Exile. Does India Need To Rethink Its Policy on Displaced Persons?, https://www.outlookindia.com/national/who-are-internally-displaced-people-and-what-are-the-laws-for-them--news-190316, Zugriff 8.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/india/, Zugriff 8.9.2022
Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 14.11.2022
Allgemeine Wirtschaftsleistung
Indiens Wirtschaft zählt zu den größten und am schnellsten wachsenden weltweit (DS 15.8.2022; vergleiche IBEF 8.2022). Das reale BIP-Wachstum im Geschäftsjahr 2021-22 liegt bei 8,7 % (IBEF 8.2022). Damit wurde der durch die COVID-19-Pandemie bedingte Wirtschaftseinbruch überwunden (WKO 4.2022; vergleiche IBEF 8.2022), und die indische Wirtschaft befindet sich wieder auf einem positiven Wachstumspfad. Für das am 1.4.2022 begonnene Wirtschaftsjahr wird ein Wachstum von 7,2 % des BIP prognostiziert. Diese Wachstumsdynamik wird von einem wiedererstarkten Privatkonsum, einem enormen Investitionsprogramm-Stimulus der Regierung sowie einer relativ hohen COVID-19-Impfquote der Bevölkerung getragen (WKO 4.2022).
Arbeitsmarkt
Laut Zahlen des Centre for Monitoring the Indian Economy (CMIE) umfasste die Erwerbsbevölkerung 2021 durchschnittlich 430 Millionen Menschen (GTAI 19.4.2022). Nur 5 % der Gesamtarbeitskräfte sind ausgebildete Fachkräfte. Nicht mehr ganz die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig (ÖB 8.2021).
Der indische Arbeitsmarkt wird vom informellen Sektor dominiert. Dieser umfasst Familien- und Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes sowie des Dienstleistungsbereichs und unterliegt keiner Kontrolle oder Besteuerung durch den Staat. Infolgedessen bestehen in diesem Bereich keine rechtsverbindlichen Bestimmungen oder formal geregelten Arbeitsverhältnisse (Wiemann 2019; vergleiche AAAI 8.2020). Annähernd 90 % der Beschäftigten werden dem informellen Sektor zugerechnet - sie sind weder gegen Krankheit (Wiemann 2019; vergleiche AAAI 8.2020, BMZ 1.8.2022) oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (Wiemann 2019; vergleiche AAAI 8.2020). Geregelte Arbeitsverhältnisse mit angemessenen und regelmäßigen Einkünften sind im "informellen" Sektor die Ausnahme (AA 22.9.2021).
Es besteht eine umfassende und internationale Standards im Wesentlichen entsprechende Arbeits- und Sozialgesetzgebung, aber sie betrifft nur die Beschäftigten in formellen Arbeitsverhältnissen - das sind ca. 8 % (AA 22.9.2021) bis 10 % (ÖB 8.2021). Gewerkschaften konzentrieren sich immer noch ganz überwiegend auf den (kleinen) formellen Sektor und sind zumeist parteipolitisch gebunden (AA 22.9.2021).
Die nationale Arbeitsvermittlungsagentur, welche bei dem Ministerium für Arbeit und dem Direktorat für Arbeit und Training angesiedelt ist, bietet Arbeitssuchenden Stellen an. Letztere müssen sich dort selbst registrieren und werden sofort informiert, sobald eine passende Stelle verfügbar ist. Einige Bundesstaaten bieten Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen Informationen über die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der Fähigkeiten entsprechend der Marktnachfrage zur Verfügung gestellt werden (IOM 2021).
Der erste Lockdown führte zum Verlust von 140 Millionen Arbeitsplätzen (ÖB 8.2021). Dem Centre for Monitoring the Indian Economy (CMIE) zufolge lag die Arbeitslosenquote 2021 bei durchschnittlich 7,8 %. Für Februar 2022 meldet CMIE 8,1 %. Damit liegt die Arbeitslosigkeit weiterhin über den Werten von vor der Pandemie (GTAI 19.4.2022).
Nahrungsmittelsicherheit, Armut
In absoluten Zahlen ist Indien mit 230,8 Millionen Menschen nach wie vor das Land mit den meisten Menschen, die in Armut leben. Es ist jedoch gelungen, in den vergangenen Jahren weite Teile der Bevölkerung aus der Armut zu befreien. 2005/06 waren davon noch 55,1 % der Einwohner betroffen, 2015/16 dann 27,7 % und 2020/21 16,4 %. 415 Millionen Menschen entkamen so innerhalb von 15 Jahren der Armut (Welt 17.10.2022; vergleiche UNDP / OPHI 10.2022).
Trotzdem war Indien 2021 mit rund 224,3 Millionen unterernährten Menschen das Land mit den meisten von Hunger und Unterernährung betroffenen Menschen (Statista 17.8.2022). Im Welthunger-Index (WHI) 2022 stuft die NGO Welthungerhilfe die Hungerlage in Indien mit einem WHI-Wert von 29,1 als "ernst" ein. Indien rangiert auf Platz 107 von insgesamt 121 bewerteten Ländern im Index (GHI 10.2022; vergleiche AJ 15.10.2022)). Auf der Grundlage von Daten aus den Jahren 2019-2021 sind 16,3 % der indischen Bevölkerung unterernährt (AJ 15.10.2022). Etwa ein Drittel aller Kinder unter fünf Jahren leidet wegen chronischer Unterernährung an Wachstumsverzögerungen. Die Kindersterblichkeit ist höher als in den Nachbarländern Nepal und Bangladesch, die zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt gehören (BMZ 1.8.2022).
Ein Programm, demzufolge 800 Millionen Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten (also etwa zwei Drittel der Bevölkerung) wurde bis November 2020 verlängert und im April 2021 im Zuge der zweiten Covid-19-Welle wieder in Kraft gesetzt. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der Covid-19-Krise betroffen ist (ÖB 8.2021). Das Programm ist bis Dezember 2022 verlängert worden (PIB 15.10.2022).
Wohnraum und Sozialwesen
Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zumeist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, die sich ebenfalls an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (IOM 2021). Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze (IOM 2021; vergleiche NSAP 21.11.2017) oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches den Teilnehmern ermöglicht, systematisch Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (IOM 2021).
Zahlreiche Sozialprogramme sollen die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern. De facto ist der Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen in vielen Teilen Indiens noch wegen gravierender qualitativer und quantitativer Mängel, Korruption und Missmanagement beschwerlich bzw. oft verwehrt. Mit der Einführung der Identifikationsnummer "Aadhaar" und der davon unabhängigen Eröffnung von Bankkonten für jeden Haushalt in Indien konnten erste Erfolge bei der Eindämmung von Korruption und beim "verlustfreien" Transfer staatlicher Sozialleistungen verbucht werden (AA 22.9.2021).
Die Aadhaar-Karte enthält eine zwölfstellige persönliche Identifikationsnummer, die vor allem den ärmeren Bevölkerungsgruppen besseren und einfacheren Zugang zu staatlichen Transferleistungen verschaffen soll (SWP 6.10.2021). Seit 2010 wurde rund 1,2 Milliarden indischer Bürger eine Aadhaar-Karte ausgestellt (DFAT 10.12.2020). Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. Später wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Um eine Aadhaar-Karte zu erhalten, sind keine umfangreichen Unterlagen erforderlich, und es stehen mehrere Optionen zur Verfügung, wodurch sie auch für ärmere Bürger ohne Papiere zugänglich ist (DFAT 10.12.2020).
Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz (AA 22.9.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff am 14.10.2022
AAAI - Action Aid Association [India] (8.2020): Workers in the Time of Covid-19, https://www.actionaidindia.org/wp-content/uploads/2020/08/Workers-in-the-time-of-Covid-19_ebook1.pdf, Zugriff 14.10.2022
AJ - Al Jazeera (15.10.2022): India slips in Global Hunger Index, ranks 107 out of 121 nations, https://www.aljazeera.com/news/2022/10/15/india-hunger, Zugriff 18.10.2022
BMZ - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung [Deutschland] (1.8.2022): Extremer Reichtum, extreme Armut, https://www.bmz.de/de/laender/indien/soziale-situation-10292, Zugriff 14.10.2022
DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 14.10.2022
DS - Der Standard (15.8.2022): 75 Jahre Unabhängigkeit: Modi will Indiens Entwicklung voranbringen, https://www.derstandard.at/story/2000138282130/75-jahre-unabhaengigkeit-modi-will-indiens-entwicklung-voranbringen, Zugriff 14.10.2022
GHI - Global Hunger Index (10.2022): GLOBAL HUNGER INDEX 2022: INDIA, https://www.globalhungerindex.org/pdf/en/2022/India.pdf, Zugriff 18.10.2022
GTAI - German Trade and Invest [Deutschland] (19.4.2022): Indiens Löhne sollen 2022 kräftig steigen, https://www.gtai.de/de/trade/indien/wirtschaftsumfeld/indiens-loehne-sollen-2022-kraeftig-steigen-229184, Zugriff 25.10.2022
IBEF - India Brand Equity Foundation (8.2022): Introduction, https://www.ibef.org/economy/indian-economy-overview, Zugriff 14.10.2022
IOM - Internationale Organisation für Migration / Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (2021): Länderinformationsblatt Indien 2021, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2021_India_DE.pdf, Zugriff 14.10.2022
NSAP - National Social Assistance Programme [India] (21.11.2017): Manual for District Level Functionaries, https://darpg.gov.in/sites/default/files/NSAP-District%20Manual_21.11.2017%281%29.pdf, Zugriff 18.10.2022
ORF - Österreichischer Rundfunk (27.9.2018): Indiens Form der digitalen Überwachung, https://orf.at/stories/3035121/, Zugriff 14.10.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 14.10.2022
PIB - Press Information Bureau [Indien] (15.10.2022): Global Hunger Report 2022, https://pib.gov.in/PressReleseDetailm.aspx?PRID=1868103, Zugriff 18.10.2022
Statista Research Department (17.8.2022): Länder mit der höchsten Anzahl unterernährter Menschen 2021, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/271436/umfrage/laender-mit-der-hoechsten-anzahl-unterernaehrter-menschen/, Zugriff 18.10.2022
SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (6.10.2021): Indien als ambivalenter Partner in der Digitalpolitik, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2021A62/, Zugriff 18.10.2022
UNDP - United Nations Development Programme / OPHI - Oxford Poverty & Human Development Initiative (10.2022): Global Multidimensional Poverty Index 2022, https://hdr.undp.org/system/files/documents/hdp-document/2022mpireportenpdf.pdf, Zugriff 19.10.2022
Welt (17.10.2022): „Rückschritt bei der Bekämpfung von Armut“ – und ein neues Armenhaus der Welt, https://www.welt.de/wirtschaft/article241635567/UN-Armutsbericht-Indien-ist-nicht-mehr-das-Armenhaus-der-Welt.html, Zugriff 18.10.202
Wiemann, Kristina N. (2019): Qualifizierungspraxis deutscher Produktionsunternehmen in China, Indien und Mexiko: Eine Analyse der Übertragbarkeit dualer Ausbildungsansätze. Springer Verlag. Seite 201
WKO - Wirtschaftskammer Österreich / Außenwirtschaft Austria (4.2022): Wirtschaftsbericht Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 14.10.2022
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 14.11.2022
Indiens Gesundheitssystem steht bedingt durch einen akuten Mangel an Infrastruktur und an qualifiziertem Personal vor einer Reihe von Herausforderungen (DFAT 10.12.2020). Die Verfassung überträgt den Bundesstaaten die Verantwortung für die Anhebung des Ernährungs- und Lebensstandards sowie für die Verbesserung der öffentlichen Gesundheit (DFAT 10.12.2020; vergleiche IOM 2021). Infolgedessen besteht eine große Diskrepanz zwischen den Leistungen des Gesundheitssektors der einzelnen Bundesstaaten, wie auch zwischen städtischen und ländlichen Gebieten (DFAT 10.12.2020; vergleiche GTAI 15.6.2021). Im wirtschaftlich starken Punjab und in New Delhi ist die Gesundheitsversorgung im Verhältnis zu anderen Landesteilen gut (AA 22.9.2021). Im ländlichen Raum ist die Versorgungsdichte geringer als in urbanen Zentren. Ferner wird auf dem Land oft nur eine Grundversorgung angeboten (GTAI 15.6.2021).
Eine gesundheitliche Minimal-Grundversorgung wird vom Staat im Prinzip kostenfrei gewährt (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.9.2021; vergleiche IOM 2021), wird aber als durchwegs unzureichend angesehen (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.9.2021). Neben staatlichen gibt es noch viele weitere Institutionen, die bezahlbare Behandlungen anbieten (IOM 2021). Der Andrang auf Leistungen des staatlichen Gesundheitssektors ist sehr groß (ÖB 8.2021), daher weichen viele Menschen für eine bessere oder schnellere Behandlung auf private Anbieter aus. Private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten einen Standard, welcher dem westlicher Industriestaaten vergleichbar ist (AA 22.9.2021). Eine private Gesundheitsversorgung ist allerdings vergleichbar teuer und die Patienten müssen einen Großteil der Kosten selber zahlen (IOM 2021). Dafür genießen die privaten Gesundheitsträger wegen fortschrittlicher Infrastruktur und qualifizierterem Personal einen besseren Ruf, ein Großteil der Bevölkerung kann sich dies aber nicht leisten (ÖB 8.2021).
Für den (relativ geringen) Teil der Bevölkerung, welche sich in einem formellen Arbeitsverhältnis befindet, besteht das Konzept der sozialen Absicherung (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.9.2021) aus Beitragszahlungen in staatliche Kassen sowie einer Anzahl von - vom Arbeitgeber zu entrichtenden - Pauschalbeträgen. Abgedeckt werden dadurch Zahlungen für Renten, Krankenversicherung, Mutterkarenz sowie Abfindungen für Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit (ÖB 8.2021).
Im Rahmen des staatlichen Versicherungsprogramms Ayushman Bharat wurde 2018 der Zugang zu Gesundheitsleistungen insbesondere für untere Einkommensgruppen verbessert. Das Ziel ist, so insgesamt 500 Millionen Inder zu erreichen. Allerdings gilt hier, dass Leistungen fast ausschließlich in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen in Anspruch genommen werden können (GTAI 15.6.2021). Rund 80 % der Inder haben keine berufliche Krankenversicherung, etwa weil sie Tagelöhner oder Taxifahrer sind. Für diese Menschen ist die staatliche Krankenversicherung gedacht, die rund 500 Millionen Inder in Anspruch nehmen können. Sie stellt kostenfreie Programme z.B. gegen HIV, Dengue-Fieber und Malaria zur Verfügung. Außerdem werden Mütter und Kinder umsonst geimpft (Ottonova o.D.). Die staatliche Krankenversicherung erfasst nur indische Staatsbürger unterhalb der Armutsgrenze. Für den Zugang zu den Leistungen ist grundsätzlich ein gültiger Personalausweis nötig (Adhaar card, Voter ID, PAN) (IOM 2021).
Es gibt allerdings auch private Krankenversicherungen in Indien. Doch sie kommen nur für die städtische, wohlhabende Bevölkerungsschicht infrage (Ottonova o.D.). Krankenversicherungen für die Allgemeinbevölkerung sind über verschiedene private und öffentliche Unternehmen mit unterschiedlichen Beitragszahlungen erhältlich. Bekannte Versicherungen sind z. B. General Insurance, Bharti AAA, HDFC ERGO, Bajaj, Religare, Apollo Munich, New India Assurance, Max Bupa (IOM 2021).
In allen größeren Städten gibt es Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.9.2021). Staatliche Gesundheitszentren (PHCs) bilden die Basis des öffentlichen Gesundheitswesens. Diese Zentren sind grundsätzlich in der Nähe aller Dörfer zu finden. Sie sind Teil des von der Regierung finanzierten öffentlichen Gesundheitssystems des Landes. Insgesamt gibt es mehr als 25.650 solcher Kliniken in Indien. 60 % dieser Zentren werden von nur einem Arzt betrieben. Einige Zentren sind spezialisiert auf z.B. Schutzimpfungen für Kinder, Seuchenbekämpfung, Verhütung, Schwangerschaft und bestimmte Notfälle. Zudem gibt es ca. 5.600 Gemeindegesundheitszentren. Diese sind für alle möglichen generellen Gesundheitsfragen ausgestattet und bilden die Basis des Gesundheitswesens in städtischen Gegenden. Sie werden von der Regierung betrieben und nehmen Patienten auf, die von den staatlichen Gesundheitszentren (PHCs) überwiesen werden. Jede dieser Einrichtungen ist für 120.000 Menschen aus städtischen bzw. 80.000 Patienten aus abgeschiedenen Orten zuständig. Für weitere Behandlungen können Patienten von den Gemeindegesundheitszentren zu Allgemeinkrankenhäusern weiterverwiesen werden. Die Zentren besitzen daher auch die Funktion einer Erstüberweisungseinrichtung (IOM 2021). Die Regierung in Delhi betreibt auch 189 Aam Aadmi Mohalla-Kliniken für die medizinische Grundversorgung (IOM 2021; vergleiche PM 27.12.2021).
Dem öffentlichen Gesundheitssystem mangelt es an Ärzten, Krankenschwestern und technischen Mitarbeitern. Vor allem auf dem Land fehlt es an Personal, denn die gut ausgebildeten Ärzte leben lieber in den modernen Städten (Ottonova o.D.). Die Zahl der Stellen für niedriger qualifiziertes medizinisches Fachpersonal ist zwischen 2014 und 2022 um 75 % gestiegen, und die Zahl der Stellen für höher qualifiziertes Personal hat sich um 93 % erhöht. Es wird einige Zeit dauern, bis die Kliniken über genügend praktizierende Fachkräfte verfügen (TL 13.8.2022). Es stehen 0,7 praktizierende Ärzte (StBA 6.2022) und 0,5 Krankenhausbetten je tausend Einwohnern zur Verfügung (StBA 6.2022; vergleiche GTAI 23.4.2020). Zwölf indische Bundesstaaten (Bihar, Jharkhand, Gujarat, Uttar Pradesh, Andhra Pradesh, Chhattisgarh, Madhya Pradesh, Haryana, Maharashtra, Odisha, Assam und Manipur), in denen etwa 70 % der gesamten Bevölkerung leben, verfügen über weniger als den nationalen Durchschnitt von 55 öffentlichen Krankenhausbetten pro 100.000 Einwohner (DFAT 10.12.2020).
In Indien sind fast alle gängigen Medikamente auf dem Markt erhältlich (AA 22.9.2021; vergleiche ÖB 8.2021), die Kosten für die notwendigsten Medikamente werden staatlich reguliert. Apotheken sind zahlreich und auch in entlegenen Städten vorhanden (IOM 2021). Die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland ist möglich. Indien ist der weltweit größte Hersteller von Generika und Medikamente kosten einen Bruchteil der Preise in Europa (AA 22.9.2021).
Indien weist derzeit geringe COVID-19-Infektionszahlen auf. Das Serum Institute of India ist der größte Lieferant des weltweiten COVAX-Verteilungssystems, und täglich werden in Indien ca. 10 Millionen an Impfdosen produziert (WKO 4.2022). Indien war eines der am schlimmsten von COVID-19 betroffenen Länder der Welt. Das Gesundheitssystem war völlig unvorbereitet und schlecht ausgerüstet, um eine Pandemie dieses Ausmaßes zu bewältigen. Das indische COVID-19-Impfprogramm war jedoch erfolgreich, ebenso wie die starke Zunahme innovativer digitaler Technologien und der Telemedizin, die dazu beitragen haben, dass in mehreren Teilen des Landes hochwertige Gesundheitsdienste angeboten und überwacht werden konnten. Die Regierung konzentriert sich nun auf den Ausbau der Gesundheitsinfrastruktur (TL 13.8.2022). [Anm.: Weitere Informationen zur Lage betreffend Covid-19 sind dem Kapitel "Covid-19" zu entnehmen.]
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 11.10.2022
DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 3.10.2022
GTAI - German Trade and Invest [Deutschland] (15.6.2021): Indien baut den Gesundheitssektor aus, https://www.gtai.de/de/trade/indien/branchen/indien-baut-den-gesundheitssektor-aus-639560, Zugriff 20.10.2022
GTAI - German Trade and Invest [Deutschland] (23.4.2020): Covid-19: Gesundheitswesen in Indien, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/covid-19-gesundheitswesen-in-indien-234420, Zugriff 4.10.2022
IOM - Internationale Organisation für Migration / Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (2021): Länderinformationsblatt Indien 2021, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2021_India_DE.pdf, Zugriff 11.10.2022
StBA - Statistisches Bundesamt [Deutschland] (6.2022): Indien: Statistisches Länderprofil, https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Laenderprofile/indien.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 3.10.2022
TL - The Lancet (13.8.2022): India at 75 years: progress, challenges, and opportunities, https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)01525-2/fulltext, Zugriff 3.10.2022
Ottonova (o.D.): Gesundheitssystem in Indien: 7 überraschende Fakten, https://www.ottonova.de/pkv-erklaert/wissen/gesundheitssystem-indien, Zugriff 20.10.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 19.10.2022
PM - Pune Mirror (27.12.2021): Twin towns go the Delhi way, will replicate mohalla clinics, https://punemirror.com/pune/civic/twin-towns-go-the-delhi-way-will-replicate-mohalla-clinics/cid6110366.htm, Zugriff 20.10.2022
WKO - Wirtschaftskammer Österreich / Außenwirtschaft Austria (4.2022): Wirtschaftsbericht Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 3.10.2022
Rückkehr
Letzte Änderung: 14.11.2022
Abgeschobene erfahren bei der Rückkehr nach Indien von den Behörden grundsätzlich keine nachteiligen Konsequenzen, abgesehen von einer Prüfung der Papiere und einer gelegentlichen Befragung durch die Sicherheitsbehörden. Gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.9.2021). Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung (AA 22.9.2021; vergleiche DFAT 10.12.2020).
Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützt haben, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt, sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Es ist strafbar, zu Terrorgruppen Kontakte zu unterhalten oder an Handlungen beteiligt zu sein, welche die Souveränität, Integrität oder Sicherheit Indiens gefährden. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen der indischen Polizei gegen Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt wurden, selbst wenn diese ihre Strafe bereits verbüßt haben. Auslandsaktivitäten bestimmter Gruppen (Sikhs, Kaschmiris) werden von indischer Seite beobachtet und registriert (ÖB 8.2021).
Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer allgemein oder für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige im Speziellen (AA 22.9.2021). Die indischen Regierungen bieten allerdings eine Vielzahl an Sozialhilfen für Rückkehrende an. Die Berechtigung, diese auch in Anspruch nehmen zu dürfen, hängt von Faktoren wie der wirtschaftlichen Lage, dem Alter, dem Minderheiten- bzw. Kastenstatus, dem Geschlecht etc. ab (IOM 2021). Individuelle Reintegrationshilfen werden auch im Rahmen des JRS-Programms (Joint Reintegration Services), welches von Frontex finanziert und durch Partner durchgeführt wird, angeboten. Hierbei handelt es sich u. a. um folgende Hilfeleistungen: Unterstützung bei der Unterbringung, medizinische Versorgung, Berufsberatung, Bildung, Familienzusammenführung (FRONTEX o.D.).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 21.9.2022
DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 21.9.2022
FRONTEX - European Border and Coast Guard Agency (o.D.): Returns and Reintegration, https://frontex.europa.eu/we-support/returns-and-reintegration/reintegration-assistance/, Zugriff 3.10.2022
IOM - Internationale Organisation für Migration (2021): Indien, Länderinformationsblatt 2021, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2021_India_DE.pdf, Zugriff 21.9.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
Staatsbürgerschaft
Letzte Änderung: 14.11.2022
Nach geltendem Recht wird die Staatsbürgerschaft durch die Eltern auf deren Kinder übertragen. Eine Geburt im Land führt nicht automatisch zur Einbürgerung (USDOS 12.4.2022). Jede Person, die am oder nach dem 26.1.1950, aber vor dem 1.7.1987 im Land geboren wurde, erhielt die indische Staatsbürgerschaft durch Geburt. Einem Kind, das am oder nach dem 1.7.1987 im Land geboren wurde, wurde die Staatsbürgerschaft übertragen, wenn ein Elternteil zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes indischer Staatsbürger war. Die Behörden betrachten Personen, die am oder nach dem 3.12.2004 im Land geboren wurden, nur dann als Staatsbürger, wenn mindestens ein Elternteil indischer Staatsbürger ist und sich der andere zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes nicht illegal im Land aufgehalten hat. Personen, die am oder nach dem 10.12.1992 außerhalb des Landes geboren wurden, werden dann als indische Staatsbürger anerkannt, wenn ein Elternteil zum Zeitpunkt der Geburt indischer Staatsbürger war. Nach dem 3.12.2004 außerhalb Indiens Geborene werden durch die Behörden nicht als indische Staatsbürger anerkannt, wenn die Geburt des Kindes nicht binnen eines Jahres (Frist läuft ab Geburtstermin) bei einem indischen Konsulat registriert worden ist (USDOS 12.4.2022; vergleiche INDI 3.12.2004). Eine Analyse von Regierungsdaten aus den Jahren 2015-16 ergab, dass bei etwa 62 % der Kinder unter fünf Jahren die Geburt registriert wurde und die Eltern eine Geburtsurkunde erhalten haben. Kinder ohne Staatsbürgerschaft oder Registrierung haben möglicherweise keinen Zugang zu öffentlichen Diensten, können sich nicht in der Schule anmelden oder erhalten später keine Ausweisdokumente (USDOS 12.4.2022). Durch die Behörden kann eine Staatsbürgerschaft auch durch spezielle Registrierungskriterien sowie durch Einbürgerung nach zwölf Jahren Aufenthalt im Land verliehen werden (USDOS 12.4.2022; vergleiche DFAT 10.12.2020). Ausländer, die sich illegal im Lande aufhalten, sind von dieser Maßnahme ausgenommen (DFAT 10.12.2020).
Am 11.12.2019 verabschiedete das indische Parlament einen Zusatz zum Staatsbürgerschaftsgesetz (Citizenship Amendement Act - CAA), demzufolge aus Pakistan, Bangladesch oder Afghanistan nach Indien bis einschließlich zum 31.12.2014 (Stichtag) geflohene Hindus, Sikhs, Buddhisten, Jain, Parsis oder Christen bereits nach fünf Jahren die indische Staatsbürgerschaft erlangen können (INDI 12.12.2019; vergleiche AA 22.9.2021, USDOS 12.4.2022). Muslime sind von diesem Gesetz ausgeschlossen (AA 22.9.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022).
Diese Reform des Staatsbürgerschaftsgesetzes hat zunächst keinen Einfluss auf die bereits im Land lebenden Muslime (ÖB 8.2021). Das Gesetz löste im Land aber breite Proteste aus, da es zusammen mit dem Plan der Regierung, eine landesweite Auszählung des Nationalen Bürgerregisters (NRC) durchzuführen, als Versuch angesehen wird, Muslimen die indische Staatsbürgerschaft zu entziehen (IE 8.9.2022). Die durch das CAA ausgelösten Proteste führten zu Verhaftungen, Versammlungsverboten und in einigen Fällen zu Todesfällen (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 22.9.2021, ÖB 8.2021). In Neu Delhi führten die Proteste 2020 zu den schwersten interreligiösen Ausschreitungen seit Jahren ("Delhi riots"). Bei den Übergriffen und Straßenschlachten starben mehr als 50 Personen (AA 22.9.2021).
Die Regierung argumentiert, das Gesetz sei notwendig, um den Schutz religiöser Minderheiten aus diesen Ländern zu gewährleisten (USDOS 2.6.2022; vergleiche SIP 20.4.2022), und sei daher nur für religiös verfolgte Flüchtlinge aus diesen drei Ländern gedacht (AA 22.9.2021; vergleiche ÖB 8.2021). Die Gegner kritisieren das Gesetz als diskriminierend und als eine Gefahr für den säkularen Charakter des indischen Staates (AA 22.9.2021; vergleiche CNBC 8.5.2022). Kritiker befürchten eine glaubensbasierte Interpretation der indischen Staatsbürgerschaft, gemäß der Idee einer hinduistischen Mehrheitsnation, in der Hindus natürliche Staatsbürger sind, während Muslime nach dieser Auffassung eigentlich zu Pakistan oder Bangladesch gehören (SIP 20.4.2022). Im Fall einer landesweiten Auszählung werden nämlich nur jene Personen als indische Staatsbürger registriert, die über gewisse - noch festzulegende - Dokumente verfügen (etwa Geburtsurkunden der Eltern und Großeltern, Wählerausweise der Eltern und Großeltern, etc.). Sofern nicht alle Dokumente bereitgestellt werden können, gilt die betreffende Person nicht als Staatsbürger (ÖB 8.2021). Nach dem Fremdengesetz von 1946 liegt die Beweislast bei der Person, die beschuldigt wird, Ausländer zu sein (SIP 20.4.2022; vergleiche INDI 28.4.2016). Dies ist für Hindus, Sikhs, Jain, Parsis, Buddhisten und Christen jedoch insofern unerheblich, da sie in diesem Fall durch den CAA automatisch eingebürgert würden, sofern sie sich bereits vor dem 1.1.2015 in Indien aufgehalten haben (was üblicherweise der Fall ist). Muslime hingegen, die nicht alle Dokumente vorweisen können, würden damit ihrer Staatsbürgerschaft verlieren, da sie eben nicht automatisch eingebürgert würden. Viele Muslime befürchten, dadurch staatenlos und somit Bürger zweiter Klasse zu werden (u.a. kein Landbesitz, kein Zugang zum Bildungssystem, keine staatlichen Lebensmittelrationen, etc.) (ÖB 8.2021).
Am 27.7.2021 teilte der Staatsminister für Inneres dem Parlament mit, dass die Regierung zusätzliche Zeit benötige, um die Regeln für das CAA weiterzuentwickeln und zu erlassen (USDOS 12.4.2022). Seit der Verabschiedung des Gesetzes durch beide Kammern des Parlaments hat das Innenministerium fünfmal eine Verlängerung der Frist für die Ausarbeitung der Vorschriften beantragt. Das umstrittene Gesetz wurde auch durch die COVID-19-Pandemie unterbrochen. Ohne die Ausarbeitung der Vorschriften kann die Regierung das Gesetz nicht umsetzen (CNBC 8.5.2022). Der Oberste Gerichtshof hat eine Anhörung von 220 Petitionen gegen das CAA auf den 31.10.2022 festgesetzt (TH 12.9.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 5.9.2022.
CNBC - Consumer News and Business Channel (CNBC-TV18) (8.5.2022): Revisiting Citizenship Amendment Act and why its implementation is delayed, https://www.cnbctv18.com/politics/revisiting-citizenship-amendment-act-and-why-its-implementation-is-delayed-13396932.htm, Zugriff 11.10.2022
DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 5.9.2022
IE - Indian Express (8.9.2022): Supreme Court to hear petitions challenging Citizenship Amendment Act on Sept 12, https://indianexpress.com/article/india/sc-to-hear-petitions-challenging-caa-on-monday-8138283/, Zugriff 8.9.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (12.12.2019): The Citizenship (Amendment) Act, 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2023131/5e2579274.pdf, Zugriff 8.9.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (28.4.2016): The Foreigners' Act, 1946, https://www.ilo.org/dyn/natlex/docs/ELECTRONIC/37905/128188/F1951227926/PAK37905%202016.pdf, Zugriff 12.10.2022
INDI - Gesetzgebung [Indien] (3.12.2004): The Citizenship Act, 1955, https://indiancitizenshiponline.nic.in/UserGuide/Citizenship_Act_1955_16042019.pdf, Zugriff 11.10.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 5.9.2022
SIP - Studies in Indian Politics (20.4.2022): Reinventing the Republic: Faith and Citizenship in India, https://ceipfiles.s3.amazonaws.com/pdf/2022-India-Citizenship-Jayal-final.pdf, Zugriff 6.9.2022
TH - The Hindu (12.9.2022): All petitions challenging CAA to be heard on October 31 by three-judge Supreme Court Bench, https://www.thehindu.com/news/national/all-petitions-challenging-caa-to-be-heard-on-october-31-by-three-judge-supreme-court-bench/article65882377.ece, Zugriff 11.10.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Country Report on International Religious Freedom: India, https://www.ecoi.net/en/document/2073984.html, Zugriff 6.9.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071142.html, Zugriff 5.9.2022
Dokumente
Letzte Änderung: 14.11.2022
Der Zugang zu gefälschten Dokumenten ist leicht (AA 22.9.2021; vergleiche DFAT 10.12.2020). In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Betrugsfälle erhöht (LCI 8.4.2022). Gegen entsprechende Zahlungen sind viele Dokumente zu erhalten. Erleichtert wird der Zugang überdies durch die Möglichkeit, Namen ohne größeren Aufwand zu ändern. Hinzu kommt, dass die indischen Gerichte keine einheitlichen Formulare verwenden. Eine Überprüfung wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die indischen Behörden sowie die weiteren Beteiligten nur zögerlich oder überhaupt nicht kooperieren. Hinweise auf Fälschungen sind insbesondere unvollständige Siegelstempel, fehlende Unterschriften sowie bei Rechtsanwälten fehlende Adressenangabe und Aktenzeichen (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.9.2021). In der Vergangenheit waren davon öfter Dokumente (z. B.: Haftbefehle, Bestätigungsschreiben von Rechtsanwälten) im Zusammenhang mit Strafsachen und Fahndung sowie dazugehörige eidesstattliche Versicherungen (affidavits) betroffen (AA 22.9.2021). Auch echte Dokumente unwahren Inhalts sind problemlos erhältlich (AA 22.9.2021; vergleiche DFAT 10.12.2020) (gegen entsprechende Zahlungen oder als Gefälligkeit). Bei Personenstandsurkunden handelt es sich dabei um echte Urkunden falschen Inhalts, bei Gerichtsentscheidungen (z. B. Scheidung, Sorge) um echte Urteile, die jedoch aufgrund erfundener Sachverhalte und ohne Einhaltung grundlegender Verfahrenserfordernisse (rechtliches Gehör, Interessenabwägung, Begründung) ergehen (AA 22.9.2021).
Die Überprüfung der Echtheit von Dokumenten gestaltet sich als schwierig. So besteht etwa zwischen zahlreichen Personen aus dem Punjab, Delhi und Haryana eine Namensidentität, sodass die Zuordnung eines Haftbefehls häufig problematisch ist. Der Namenszusatz männlicher Sikhs ist "Singh" (Löwe), der aller weiblichen Sikhs "Kaur" (Prinzessin); Singh ist zudem ein verbreiteter Hindu-Nachname in Nordindien. Die Mitteilung sämtlicher Vornamen sowie des Geburtsdatums und der Name der Eltern sind daher für die eindeutige Zuordnung unerlässlich (ÖB 8.2021; vergleiche AA 22.9.2021).
In Indien wurden bisher insgesamt 1,32 Milliarden Aadhaar-Karten (LM 21.9.2022), die seit 2010 Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative sind, ausgestellt (DFAT 10.12.2020). Aadhaar ist ein Personalausweis, welcher eine zwölfstellige Identifikationsnummer beinhaltet. Um eine Aadhaar-Karte zu erhalten, müssen folgende Daten bei der Registrierungsstelle eingereicht werden: ausgefülltes Anmeldeformular, demografische und biometrische Daten, ein Identitätsnachweis, ein Adressnachweis und Geburtsurkunde. Mit Aadhaar soll einerseits der Zugang zu Sozialleistungen und Subventionen erleichtert, andererseits die doppelte Vergabe und Erstellung von gefälschten Personalausweisen reduziert bzw. verhindert werden (UIAI 3.7.2022). Während es möglich sein kann, eine Aadhaar-Karte unter falschem Namen zu erhalten, ist es weniger wahrscheinlich, dass eine Person mit denselben biometrischen Daten eine zweite Aadhaar-Karte unter einem anderen Namen erhalten kann (DFAT 10.12.2020).
In manchen Bundesstaaten ist die Verifikation von Strafverfahren anhand der FIR-Nummer (Aktenzeichen der Anzeige bzw. des Strafverfahrens) online möglich. Beschuldigte in Strafverfahren verfügen i. d. R. über die Aktenzeichen der Polizei oder des Strafgerichts, da diese den Betroffenen formell an die Wohnadresse zugestellt werden (AA 22.9.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.9.2021): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2061525/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_Juni_2021%29%2C_22.09.2021.pdf, Zugriff 21.9.2022
DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 21.9.2021
LCI - Lawyers Club India (8.4.2022): Forgery under IPC, https://www.lawyersclubindia.com/articles/forgery-under-ipc-14818.asp, Zugriff 21.9.2022
LM - Live Mint (21.9.2022): Other nations interested in Indian payment systems, says finance minister, https://www.livemint.com/industry/banking/other-nations-interested-in-india-s-payment-channels-says-finance-minister-11663660844191.html, Zugriff 21.9.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070584/INDI_%C3%96B-Bericht_2021_08.pdf, Zugriff 1.9.2022
UIAI - Unique Identification Authority of India [Indien] (3.7.2022): A Unique Identity for the people, https://www.uidai.gov.in/images/Aadhaar_Brochure_July_22.pdf, Zugriff 21.9.2022
1.5. Zur aktuellen COVID-19 Pandemie
COVID-19 (coronavirus disease 2019 "Coronavirus-Krankheit 2019") ist eine durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachte Infektionskrankheit. Sie wurde erstmals 2019 in Metropole Wuhan (Provinz Hubei) beschrieben, entwickelte sich im Januar 2020 in der Volksrepublik China zur Epidemie und breitete sich schließlich zur weltweiten COVID-19-Pandemie aus. Die genaue Ausbruchsquelle ist derzeit noch unbekannt. Es wird angenommen, dass sich das Virus wie andere Erreger von Atemwegserkrankungen hauptsächlich durch Tröpfcheninfektion verbreitet vergleiche https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Uebertragbare-Krankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/Neuartiges-Coronavirus.html; Stand 23.12.2022).
Bei SARS-CoV-2 Infektionen zeichnen sich vorrangig durch folgende Symptome aus: Fieber, Husten, Müdigkeit, Kurzatmigkeit und Atembeschwerden. Es kann auch zu Geruchs- und Geschmacksverlust, Durchfall und Erbrechen kommen. In schwereren Fällen kann die Infektion eine Lungenentzündung, ein schweres akutes Atemwegssyndrom, Nierenversagen und sogar den Tod verursachen. Es gibt auch milde Verlaufsformen (Symptome einer Erkältung) und Infektionen ohne Symptome. Ca. ¼ (bis zu einem Drittel) der Sars-CoV-2 Infektionen verlaufen asymptomatisch. […] Man geht derzeit bei SARS-CoV-2 von einer Sterblichkeit von ca. 0,3 Prozent aller infizierten Personen aus. Allerdings ist die Sterblichkeit von Land zu Land teilweise sehr unterschiedlich und variiert nach Altersgruppen. Bei unter 25-Jährigen liegt die Sterblichkeit bei fast null, bei 25 bis 50-Jährigen unter 0,1 % und bei über 65-Jährigen je nach Risikofaktoren zwischen 1 und 10 %, in Ausnahmefällen sogar noch höher. Weitere Risikofaktoren für einen schweren Verlauf sind Vorerkrankungen wie z.B. Diabetes und Krebs. Die Gefährlichkeit des Virus hängt zudem noch von der Variante und dem Immunschutz ab. In den ersten Monaten dieses Jahres gab es weniger Aufnahmen auf Intensivstationen, was u. a. auf eine geringere Virulenz der Omikron-Variante zurückgeführt werden kann. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist der hohe Anteil geimpfter Personen von über 82% in der Altersgruppe 65+ vergleiche https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/faq-coronavirus/, Stand 23.12.2022).
In Österreich gab es laut Johns Hopkins University mit Stand , 5.837.337 Millionen bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen mit 21.795 Todesfällen, in Indien wurden zu diesem Zeitpunkt 44.685.601 Millionen Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 530.756 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (coronavirus.jhu.edu/map.html, Stand 15.02.2023).
Die Wahrscheinlichkeit von schweren Erkrankungen und Todesfällen steigt bei Personen über 60 Jahren und bei Personen mit definierten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf- Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen, Krebs und Fettleibigkeit deutlich an. Nach der Infektion gibt es aktuell (noch) keine spezifische Behandlung für COVID-19, jedoch kann eine frühzeitige unterstützende Therapie, sofern die Gesundheitsfürsorge dazu in der Lage ist, die Ergebnisse verbessern. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Krankheitsverlauf des COVID-19, sofern es durch das Coronavirus ausgelöst wurde, für rund 80% der Bevölkerung als mild bis moderat, für 20 % der Bevölkerung als gefährlich bis tödlich eingeschätzt wird (s. Coronavirus disease (COVID-19) (who.int), Stand 23.12.2022).
In Hinblick auf die derzeit bestehende Covid-19 – Pandemie ist festzuhalten, dass der BF 22 Jahre alt ist und weder an einer schwerwiegenden noch an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leidet, womit er nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen oder Personen mit (relevanten) Vorerkrankungen fällt. Er leidet insbesondere an keinen (chronischen) Atemwegserkrankungen oder anderen chronischen Krankheiten, wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, geschwächtem Immunstatus, Krebs oder Fettleibigkeit.
Ferner hat auch die WHO am 04.05.2023 den globalen Corona-Gesundheitsnotstand aufgehoben (s. Statement on the fifteenth meeting of the IHR (2005) Emergency Committee on the COVID-19 pandemic (who.int), Stand 15.05.2023).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Gang des Verfahrens
Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt des von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsaktes.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zur Person des BF, also zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zur Herkunft, seiner Schuldbildung und seiner Sprachkenntnisse sowie seinen Familienangehörigen im Herkunftsstaat ergeben sich aus seinen dahingehend konsistenten Angaben im Verfahren. Da der BF im gegenständlichen Verfahren keinen unbedenklichen Identitätsnachweis erbrachte, konnte seine Identität nicht hinreichend festgestellt werden.
Dass der BF im Herkunftsstaat zwölf Jahre die Schule besuchte und anschießend als Klimatechniker arbeitete gab er im Verfahren konsistent an.
Dass der BF ledig ist und keine Kinder hat, ergibt sich aus der Erstbefragung vom römisch 40 bzw. der niederschriftlichen Einvernahme vom römisch 40 und seinem Vorbringen, dass er hier niemanden habe, auch keine Verwandten.
Der BF ist glaubwürdigen Angaben zufolge gesund und arbeitsfähig. Seine Arbeitsfähigkeit ergibt sich auch aus dem Umstand, dass er in Indien bereits als Klimatechniker und an einer Tankstelle arbeitete.
2.3. Zum Fluchtvorbringen und zu den Rückkehrbefürchtungen des Beschwerdeführers
2.3.1. Es ist nicht glaubhaft, dass der BF aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten mit seinem Nachbarn, im Rahmen derer er von diesem geschlagen und mit dem Umbringen bedroht wurde, seinen Herkunftsstaat verlassen hat. In seiner Einvernahme hat er zudem hierzu befragt auch angegeben, dass er nach Österreich gekommen sei um sich eine Arbeit zu suchen und nach Vorhalt seines Fluchtgrundes aus der Erstbefragung diesen sogar ausdrücklich verneint sowie erwidert, dass dies nicht der Grund für seine Ausreise gewesen sei. Im Übrigen hat er auch angegeben, dass sich der Grundstücksstreit bereits im Jahr römisch 40 zugetragen habe und es seitdem keine Vorfälle mehr gegeben habe. Selbst bei Wahrunterstellung seines Vorbringens ist daher nicht davon auszugehen, dass der BF bei einer Rückkehr nach Indien aufgrund des Grundstücksstreites nach wie vor einer Gefährdung ausgesetzt wäre.
Selbst wenn man aber annehmen würde, dass der BF tatsächlich von seinem Nachbarn verfolgt und bedroht worden sei, würde es sich dabei um eine Verfolgung durch Privatpersonen handeln, die keine Asylrelevanz iSd GFK aufweist.
2.3.2. In der Beschwerde hat der BF weiter vorgebracht, dass ihm auch aufgrund seiner politischen Einstellung zu den Bauernprotesten in Verbindung mit seinem Religionsbekenntnis zum Sikhismus Verfolgung drohen würde. Wenn der BF in der Beschwerde moniert, dass er zu seiner politischen Einstellung hätte befragt werden müssen, so übersieht er, dass ihm hierzu in der niederschriftlichen Einvernahme sogar mehrere Fragen gestellt wurden. Demnach verneinte er sowohl in der Vergangenheit oder auch gegenwärtig politisch tätig gewesen zu sein, als auch Mitglied einer politischen Partei oder Organisation gewesen zu sein oder aufgrund eines Naheverhältnisses zu diesen Problemen gehabt zu haben. Diese verneinte er weiter auch in Bezug auf sein Religionsbekenntnis. Außerdem hat er in der Beschwerde nicht substantiiert dargelegt, warum er entgegen seines Vorbringens in der Einvernahme Indien ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen, nämlich um im Bundesgebiet Arbeit zu finden, verlassen habe, dennoch einer konkreten Gefährdung ausgesetzt wäre.
Auch wenn das BVwG nicht verkennt, dass die Erstbefragung grundsätzlich der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich nicht auf die nähren Fluchtgründe zu beziehen hat (siehe zB. VwGH 16.07.2020, Ra 2019/19/0419), so ist es aber nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (siehe VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429).
Da der BF in der Beschwerde erstmals vorgebracht hat aufgrund seiner politischen Einstellung zu den Bauernprotesten und aufgrund seines Religionsbekenntnisses verfolgt zu werden hat er sein Vorbringen in der Beschwerde nicht nur gegenüber der Erstbefragung, sondern vor allem auch gegenüber der Einvernahme gesteigert. Dem Beschwerdeführer wäre es zumutbar gewesen in dieser alle für seine Flucht maßgeblichen Umstände darzulegen. Dass er aufgrund seiner politischen Einstellung und seiner Zugehörigkeit zu den Sikhs verfolgt werden würde, ist daher auch aus diesem Grund als nicht glaubhaft zu qualifizieren.
2.3.3. Wenn er in der Beschwerde anführt, dass die belangte Behörde die vermeintliche Unglaubwürdigkeit des BF auf Widersprüche stützt, welche sich bei näherer Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen leicht auflösen hätten lassen können, so ist nicht nachvollziehbar, auf welche Widersprüche sich der BF hier bezieht, zumal das BFA in der Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid, in Übereinstimmung mit der Einvernahme des BF, keine Widersprüche anführt, sondern darauf verweist, dass der in der Erstbefragung als Fluchtgrund angeführte Grundstücksstreit bereits beigelegt sei, der BF keine anderen Asylgründe vorgebracht habe und sich auch ansonsten keine asylrelevanten Umstände ergeben hätten.
2.3.4. Unabhängig von der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des BF hinsichtlich der Verfolgung durch Privatpersonen konnte nicht festgestellt werden, dass die Behörden seines Herkunftsstaates generell nicht gewillt oder in der Lage gewesen seien, ihn vor einer allfälligen Verfolgung zu beschützen. Der BF verneinte in der Niederschrift vom römisch 40 auch ausdrücklich Probleme mit Behörden, bzw. jemals vor Gericht gestanden, inhaftiert worden zu sein sowie das Bestehen sonstiger Fahndungsmaßnahmen. Abgesehen davon, dass der BF erstmals in der Beschwerde erwähnte aufgrund seines Religionsbekenntnisses und seiner politischen Einstellung verfolgt zu werden, kann der in diesem Zusammenhang aufgestellten Behauptung in der Beschwerde, dass die indischen Behörden ihm gegenüber schutzunwillig bzw. schutzunfähig wären nicht gefolgt werden. Vielmehr hat der BF im Rahmen seiner Befragung ausdrücklich Probleme seit dem Grundstücksstreit römisch 40 verneint und darauf verwiesen, dass er nur hier sei um zu arbeiten. Eine vom indischen Staat selbst ausgehende Verfolgung, lässt sich mit dem Vorbringen des BF nicht in Einklang bringen. Hinzu kommt, dass der BF mit dem Flugzeug von Indien nach Armenien ungehindert ausreisen konnte, andernfalls im Falle einer entsprechenden Verfolgung davon auszugehen ist, dass er von den indischen Behörden an einer Ausreise gehindert worden wäre. Unabhängig davon ist den Länderfeststellungen zu entnehmen, dass der Herkunftsstaat Indien grundsätzlich in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter durch Privatpersonen abzuwenden.
2.3.5. Selbst wenn man den Darstellungen des BF zu seinen individuellen Fluchtgründen vollumfänglich folgen würde, ergibt sich letztlich, dass er außerhalb seines behaupteten Aufenthaltsortes im Distrikt römisch 40 in Indien eine innerstaatliche Flucht-, bzw. Schutzalternative hat. Dass dies in Indien grundsätzlich möglich ist, geht aus den oben wiedergegebenen Länderfeststellungen hervor. In Indien besteht für den BF die Möglichkeit, den von ihm behaupteten Bedrohungen durch Umzug in andere Landesteile zu entgehen, zumal er nach seinem Vorbringen auch keine „high-profile-Person“ ist. Er verfügt über eine 12-jährige Schulbildung und entsprechende Arbeitserfahrung als Klimatechniker, an einer Tankstelle sowie als Zeitungszusteller, um auch an einem anderen Ort in Indien arbeiten zu können. Er könnte sich daher auch durch Gelegenheitsjobs seinen Lebensunterhalt sichern.
2.3.6. Aus den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen wird deutlich, dass in Indien volle Bewegungsfreiheit gewährleistet ist. So haben Sikhs aus dem Punjab die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, da es Sikh-Gemeinden im ganzen Land verstreut gibt. Die Quellen zeichnen diesbezüglich ein eindeutiges Bild, wonach grundsätzlich örtlich begrenzten Konflikten bzw. Verfolgungshandlungen durch Übersiedlung in einen anderen Landesteil ausgewichen werden kann. Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem für indische Bürger. Die Bürger besitzen in der Mehrzahl keine Ausweise. Die indische Gesetzgebung garantiert indischen Staatsangehörigen das Recht auf Bewegungsfreiheit im Staatsgebiet sowie das Recht auf Niederlassung und Aufenthalt in jedem Teil des Landes, was von der indischen Regierung respektiert wird. Auch bei strafrechtlicher Verfolgung ist in der Regel ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken in anderen Teilen Indiens möglich, ohne dass diese Person ihre Identität verbergen muss. Wer sich verfolgt fühlt, kann sich in einem anderen Landesteil niederlassen. Da es in Indien kein zentrales Melde-/Registrierungs- oder Passwesen gibt, ist es einem Polizeibeamten im Punjab nicht möglich, über Register oder Zentraldateien den Aufenthalt einer Person an einem ihm unbekannten Ort zu ermitteln. Im Übrigen ist in der Folge auch aus den Länderfeststellungen keine Verfolgungsgefahr aufgrund seines Glaubensbekenntnisses zum Sikhismus erkennbar.
Wie bereits festgestellt, handelt es sich beim BF um einen gesunden Mann, der nach seinen Angaben über eine 12-jährige Schulbildung, über Arbeitserfahrung als Klimatechniker, an einer Tankstelle und als Zeitungszusteller verfügt und mit seiner Muttersprache Punjabi eine Landessprache Indiens beherrscht. Daher ist davon auszugehen, dass er zumindest mit Gelegenheitsarbeiten in der Lage sein wird, sich überall in Indien eine ausreichende Existenzgrundlage zu schaffen. Auch wenn seine Familie und Angehörigen weiterhin in Indien in ihrem Heimatdorf bzw. in dessen Nähe, leben, so kann dem volljährigen Mann im konkreten Fall dennoch zugemutet werden in einen anderen Landesteil umzuziehen und mittels Telekommunikation Kontakt zu halten.
Der BF konnte weder im Zuge seiner Einvernahme noch in der Beschwerde einen plausiblen Grund dafür nennen, weshalb gerade er in einem anderen Teil Indiens nicht vor Verfolgung sicher sein sollte. Schließlich ergibt sich auch aus den Ausführungen des BF, wonach es weder seinen Angehörigen zumutbar sei ihn zu unterstützen, da auch sie polizeilicher Willkür unterliegen würden und eine Rückkehr trotz kurzzeitiger Unterstützung durch Hilfsorganisationen bzw. Rückkehrhilfe ohne stabiles vorhandenes Netz nicht möglich sei, kein nachvollziehbarer Grund, weshalb sich seine vermeintlichen Gegner bzw. die Polizei sich tatsächlich die Mühe machen sollten, gerade ihn im gesamten indischen Staatsgebiet zu suchen und zu verfolgen, ebenso wenig ist - auch angesichts der Größe und der Bevölkerungsdichte - ersichtlich, wie sie ihn überall in Indien finden könnten, zumal er vorbrachte, dass er ohne Probleme mit der Flughafenpolizei mit dem Flugzeug seinen Heimatstaat verlassen konnte. Wenn er in der Beschwerde daher eine innerstaatliche Fluchtalternative in Abrede stellt, wird dem seitens des BVwGs entgegnet, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat auch auf ein funktionierendes stabiles familiäres Netz zurückgreifen kann.
Jedoch selbst bei Wahrunterstellung seines Vorbringens können indische Staatsangehörige selbst bei laufender strafrechtlicher Verfolgung vielfach ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteiles führen, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss. Im Verfahren ist überdies nicht hervorgekommen, dass es sich beim BF um eine bekannte Persönlichkeit („high profile“ person), die durch einen Umzug nicht so leicht in einen anderen Landesteil einer Verfolgung entgehen könnte, handelt.
2.3.7. Zusammengefasst ist es dem BF jedenfalls nicht gelungen eine Verfolgung im gesamten Staatsgebiet Indiens glaubhaft zu machen, weil er diese sogar selbst verneint hat und auch aus den Länderinformationen keine entsprechende Verfolgungsgefahr ersichtlich war.
2.4. Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers
Im Übrigen wurde der BF in der Erstbefragung explizit dazu befragt ober er Angehörige mit Status in einem EU Mitgliedsstaat habe, wobei er diese Frage verneinte. In seiner Einvernahme, wurde er zwar lediglich zu Verwandten in Österreich befragt, was er ebenfalls verneinte, die bloße Behauptung in der Beschwerde, dass er auch über Angehörige in Europa verfügen würde ist jedoch nicht ausreichend substantiiert um allenfalls weitere Ermittlungsschritte erforderlich machen zu können.
Jene Feststellungen zur Familie und den Angehörigen des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat konnten aus seinen Angaben vom römisch 40 und vom römisch 40 abgeleitet werden.
Mangels entsprechendem Vorbringen konnten keine integrationsverstärkenden Umstände, wie die Mitgliedschaft in einem Verein, eines Clubs oder einer sonstigen Organisation, etwaige Deutschkenntnisse oder enge soziale Bindungen im Bundesgebiet, festgestellt werden. Dass der BF im Bundesgebiet einer unrechtmäßigen Tätigkeit nachgeht, sowie die Höhe des Honorars und der zu zahlenden Miete konnte aufgrund seines eigen glaubhaften Vorbringens sowohl in der Einvernahme, als auch in der Beschwerde, festgestellt werden.
Dass der BF, wie festgestellt, in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, war einem aktuellen Strafregisterauszug zu entnehmen.
2.5. Zur COVID-19-Krankheit
Die Feststellungen zur COVID-19-Krankheit ergeben sich aus den auf der amtlichen Webseite des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz veröffentlichten Informationen, welche mit jenen von anderen in- und ausländischen staatlichen Stellen bzw. wissenschaftlichen Einrichtungen, privaten Einrichtungen und Organisationen im Wesentlichen übereinstimmen. Die betreffende, am 23.12.2022 abgerufene Internetseite lautet https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Uebertragbare-Krankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/Neuartiges-Coronavirus.html.
Die Feststellungen zur Covid-19–Pandemie stützen sich auf die in den Feststellungen genannten Quellen. Dabei handelt es sich um Informationen staatlicher österreichischer Behörden. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
2.6. Zur Lage im Herkunftsstaat
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat, welche dem gegenständlichen Verfahren zugrunde gelegt wurden, stützen sich auf das im gegenständlichen Bescheid herangezogene aktuelle Länderinformationsblatt vom römisch 40 , Version römisch 40 , zu Indien und den dort zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen sowie nichtoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
Vor diesem Hintergrund war dem Antrag in der Beschwerde auf Durchführung von konkreten Recherchen und einer Erhebung vor Ort nicht zu entsprechen. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Ergebnisse des Beweisverfahrens aus Sicht des BVwG ein hinreichend schlüssiges Gesamtbild ergeben, sodass im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu den getroffenen Feststellungen gelangt werden konnte und eine weitere Beweisaufnahme nicht erforderlich war. Im Übrigen ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach ein Erkundungsbeweis - wie der gegenständliche, zumal der BF in seiner Beschwerdeschrift kein konkretes Beweisthema nannte, vorliegt - im verwaltungsbehördlichen Verfahren unzulässig ist (VwGH 11.05.2017, Ro 2016/21/0012).
Dem Antrag einen länderkundigen Sachverständigen zu bestellen um bezüglich der rezenten wirtschaftlichen und sozioökonomischen Situation sowie zur Versorgungslage in Indien unter Berücksichtigung von Covid-19 ein Gutachten zu erstellen, war folglich nicht zu entsprechen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
1. Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
2. Gemäß Paragraph eins, des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 33 aus 2013, in der geltenden Fassung (VwGVG) ist das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes durch das VwGVG geregelt.
Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, Bundesgesetzblatt Nr. 51 aus 1991, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 161 aus 2013, (AVG), mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, Bundesgesetzblatt Nr. 194 aus 1961,, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, Bundesgesetzblatt Nr. 173 aus 1950,, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, Bundesgesetzblatt Nr. 29 aus 1984,, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem den Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
3. Im gegenständlichen Verfahren sind daher gemäß Paragraph eins, des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012, in der geltenden Fassung (BFA-VG), dieses sowie weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und im Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, in der geltenden Fassung (FPG) anzuwenden.
4. Gemäß Paragraph 6, des Bundesgesetzes über die Organisation des BVwG, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 10 aus 2003, (BVwGG), entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.
5. Gemäß Paragraph 28, Absatz eins, VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß Paragraph 28, Absatz 3, VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Absatz 2, nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
6. Die Beschwerde des BF erfolgte rechtzeitig, da er gegen den am römisch 40 rechtswirksam zugestellten Bescheid des BFA vom römisch 40 am römisch 40 Beschwerde erhob.
Zu Spruchteil A)
3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides (Zuerkennung des Status des Asylberechtigten):
3.1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Nach Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974,, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß Paragraph 3, Absatz 2, AsylG 2005 idgF kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 23,) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
Im Hinblick auf die Neufassung des Paragraph 3, AsylG 2005 im Vergleich zu Paragraph 7, AsylG 1997 als der die Asylgewährung regelnden Bestimmung wird festgehalten, dass die bisherige höchstgerichtliche Judikatur zu den Kriterien für die Asylgewährung in Anbetracht der identen Festlegung, dass als Maßstab die Feststellung einer Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK gilt, nunmehr grundsätzlich auch auf Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 anzuwenden ist.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die „begründete Furcht vor Verfolgung“. Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Weiters muss sie sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr dar, wobei hiefür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist. Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß Paragraph 3, Absatz 3, AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn den Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG) offen steht (Ziffer ,) oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6, AsylG) gesetzt hat (Ziffer 2,).
Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht gemäß Paragraph 3, AsylG 1991 setzt positiv getroffene Feststellungen von Seiten der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus vergleiche VwGH 11.06.1997, Zl. 95/01/0627). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber vergleiche VwGH 04.11.1992, Zl. 92/01/0560). So erscheint es im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht unschlüssig, wenn den ersten Angaben, die ein Asylwerber nach seiner Ankunft in Österreich macht, gegenüber späteren Steigerungen erhöhte Bedeutung beigemessen wird vergleiche VwGH 08.07.1993, Zl. 92/01/1000; VwGH 30.11.1992, Zl. 92/01/0832; VwGH 20.05.1992, Zl. 92/01/0407; VwGH 19.09.1990, Zl. 90/01/0133). Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat (hier Schläge, Ziehen an den Haaren, Begießen mit kaltem Wasser) spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, Zl. 92/01/0181). Auch unbestrittenen Divergenzen zwischen den Angaben eines Asylwerbers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung und dem Inhalt seines schriftlichen Asylantrages sind bei schlüssigen Argumenten der Behörde, gegen die in der Beschwerde nichts Entscheidendes vorgebracht wird, geeignet, dem Vorbringen des Asylwerbers die Glaubwürdigkeit zu versagen (Vgl. VwGH 21.06.1994, Zl. 94/20/0140). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema vergleiche VwGH 30.09.2004, Zl. 2001/20/0006, zum Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten vergleiche VwGH vom 23.01.1997, Zl. 95/20/0303 zu Widersprüchen bei einer mehr als vier Jahre nach der Flucht erfolgten Einvernahme hinsichtlich der Aufenthaltsdauer des BF in seinem Heimatdorf nach seiner Haftentlassung) können für sich allein nicht ausreichen, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten vergleiche dazu auch VwGH 26.11.2003, Zl. 2001/20/0457).
3.1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vergleiche VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.07.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat vergleiche VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen vergleiche VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256; VwGH 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).
3.1.3. Wie in der Beweiswürdigung dargestellt, war die angebliche Verfolgung durch den Nachbar nicht glaubhaft, und der BF hat eine diesbezügliche Verfolgungsgefahr selbst verneint. Zudem ist er nach eigenen Angaben nur aus Indien ausgereist um sich hier Arbeit zu suchen. Bei seinem Vorbringen als Sikh oder aufgrund seiner politischen Einstellung zu den Bauernprotesten verfolgt zu werden handelt es sich jedenfalls um eine Steigerung des Vorbringens und war bereits aus diesem Grund nicht glaubhaft. Zudem hätte der BF ein substantiiertes Vorbringen erstatten müssen, warum sein Herkunftsstaat infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht gewillt oder in der Lage sei, solche Bedrohungen generell abzuwenden. Ein solches erbrachte der BF nicht und erstattete auch sonst kein substantiiertes Vorbringen zu allfälligen anderen Fluchtgründen, weshalb seinen Darstellungen keine Asylrelevanz zukommt.
3.1.4. Im Übrigen hätte der BF auch bei Wahrunterstellung der behaupteten Bedrohungssituation, wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, entgegen der Auffassung des den BF vertretenen Vereins in der Beschwerde, nicht im gesamten Staatsgebiet eine Verfolgung zu befürchten, weshalb ihm keine Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK zukommt. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist in der Regel, insbesondere für den jungen und arbeitsfähigen BF, zumutbar vergleiche auch z. B. VwGH 26.06.1997, 95/21/0294; 11.06.1997, 95/21/0908; 06.11.1998, 95/21/1121). Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit im Fall des BF, sich in anderen Landesteilen niederzulassen, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Aus den Länderberichten geht auch hervor, dass die Möglichkeiten, sich außerhalb der engeren Heimat in Indien eine Existenzgrundlage zu schaffen, sehr stark von den individuellen Fähigkeiten, Kenntnissen und der körperlichen Verfassung abhängen und durch Unterstützung seitens Verwandter, Freunde oder Glaubensbrüder deutlich erhöht werden können. Zudem garantieren die Gesetze die Reisefreiheit und die Regierung respektierte dies im Allgemeinen in der Praxis.
Im Lichte dieser Gegebenheiten ist nicht ersichtlich, weshalb es dem BF, der mit Punjabi eine anerkannte Sprache seines Herkunftsstaates spricht, über Schulbildung, Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft sowie soziale Anknüpfungspunkte in Indien verfügt und gesund und arbeitsfähig ist, nicht möglich sein sollte, sich eine Existenzgrundlage in einem anderen Teil Indiens zu schaffen, zumal die Kernfamilie und Verwandte von ihm in seinem Heimatstaat leben.
Da sohin keine Umstände vorliegen, wonach es ausreichend wahrscheinlich wäre, dass der BF in seiner Heimat in asylrelevanter Weise bedroht wäre, ist die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten durch das Bundesamt im Ergebnis nicht zu beanstanden.
3.1.5. Der BF konnte somit keine aktuelle, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der GFK glaubhaft machen. Vor diesem Hintergrund war daher die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides spruchgemäß abzuweisen.
3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides (Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten):
3.2.1. Wird ein Asylantrag "in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" abgewiesen, so ist dem Asylwerber gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde". Nach Paragraph 8, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, AsylG 2005 zu verbinden.
Gemäß Artikel 2, EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Letzteres wurde wiederum durch das Protokoll Nr. 6 beziehungsweise Nr. 13 zur Abschaffung der Todesstrafe hinfällig. Gemäß Artikel 3, EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Gemäß Paragraph 8, Absatz 3 und 6 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005) offensteht oder wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann. Daraus und aus mehreren anderen Vorschriften (Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13,, Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 2,, Paragraph 27, Absatz 2 und 4 AsylG 2005) ergibt sich, dass dann, wenn dem Asylwerber kein subsidiärer Schutz gewährt wird, sein Antrag auf internationalen Schutz auch in dieser Beziehung förmlich abzuweisen ist.
Nach der (zur Auslegung der Bestimmungen zum subsidiären Schutz anwendbaren) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu Paragraph 8, Asylgesetz 1997 (AsylG 1997) in Verbindung mit Paragraph 57, Fremdengesetz 1997 BGBl römisch eins 75 (FrG) ist Voraussetzung einer positiven Entscheidung nach dieser Bestimmung, dass eine konkrete, den Asylwerber betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbare Gefährdung bzw. Bedrohung vorliege. Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und -fähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, eine positive Entscheidung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben vergleiche VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören - der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Artikel 3, EMRK gewährleisteten (oder anderer in Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 erwähnter) Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwSlg. 15.437 A/2000; VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0586; VwGH 21.09.2000, Zl. 99/20/0373; VwGH 21.06.2001, Zl. 99/20/0460; VwGH 16.04.2002, Zl. 2000/20/0131). Diese in der Judikatur zum AsylG 1997 angeführten Fälle sind nun zT durch andere in Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 erwähnte Fallgestaltungen ausdrücklich abgedeckt. Die bloße Möglichkeit einer dem Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat (unter dem Gesichtspunkt des Paragraph 57, FrG, dies ist nun auf Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 zu übertragen) als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Paragraph 57, FrG hat der Fremde glaubhaft zu machen, dass er aktuell bedroht sei, dass die Bedrohung also im Falle, dass er abgeschoben würde, in dem von seinem Antrag erfassten Staat gegeben wäre und durch staatliche Stellen zumindest gebilligt wird oder durch sie nicht abgewandt werden kann. Gesichtspunkte der Zurechnung der Bedrohung im Zielstaat zu einem bestimmten "Verfolgersubjekt" sind nicht von Bedeutung; auf die Quelle der Gefahr im Zielstaat kommt es nicht an (VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; VwGH 26.02.2002, Zl. 99/20/0509). Diese aktuelle Bedrohungssituation ist mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender Angaben darzutun, die durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert werden (VwGH 2.8.2000, Zl. 98/21/0461). Dies ist auch im Rahmen des Paragraph 8, AsylG 1997 (nunmehr: Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005) zu beachten (VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).
Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen vergleiche etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Artikel 3, EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat vergleiche VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; VwGH 31.05.2005, 2005/20/0095).
"Für die zur Prüfung der Notwendigkeit subsidiären Schutzes erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des BF bei einer Rückkehr abzustellen. Kommt die Herkunftsregion des BF als Zielort wegen der dem BF dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes verwiesen werden (VfGH 12.03.2013, U1674/12; 12.06.2013, U2087/2012)." (VfgH vom 13.09.2013, Zl. U370/2012).
3.2.2. Wie bereits unter 3.1. ausgeführt, bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit des BF aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, aufgrund einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund von politischen Ansichten bedroht wäre. Zu prüfen bleibt, ob es begründete Anhaltspunkte dafür gibt, dass durch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat Artikel 2, oder 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 zur EMRK verletzt würde.
Zunächst kann vor dem Hintergrund der Feststellungen nicht gesagt werden, dass jene gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Artikel 3, EMRK erscheinen zu lassen (VwGH vom 21.08.2001, 2000/01/0443). Es liegen keine begründeten Anhaltspunkte dafür vor, dass der BF mit der hier erforderlichen Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, im Herkunftsland Übergriffen von im gegebenen Zusammenhang interessierender Intensität ausgesetzt zu sein.
Des Weiteren kann auch nicht angenommen werden, dass der gesunde und arbeitsfähige BF, der in Indien über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, nach einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (etwa Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre. Da der BF auch vor seiner Flucht bei seiner Familie leben konnte, ist davon auszugehen, dass dies auch nach seiner Rückkehr möglich ist. Insofern kann der in der Beschwerde in den Raum gestellten Behauptung, dass der BF über kein entsprechendes Auffangnetz verfügt nicht gefolgt werden. Dabei ist überdies festzuhalten, dass die Grundversorgung der indischen Bevölkerung - wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt – grundsätzlich gegeben ist. Im Übrigen kann auch im Hinblick dessen, dass der BF erst im Juli römisch 40 seinen Heimatstaat verlassen hat, von keiner „Entwurzelung“ des BF ausgegangen werden. Unabhängig davon ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach sich aus schlechten Lebensbedingungen keine Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des Paragraph 57, FPG ergibt vergleiche etwa VwGH 30.1.2001, 2001/01/0021).
Zwar bestehen in Indien auf Grund der COVID-19-Pandemie schwierige Lebensumstände, damit ist aber die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Artikel 3, EMRK nicht dargetan. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann zwar dann eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden könnten. Eine solche Situation ist aber nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen vergleiche etwa VwGH 23.06.2020, Ra 2020/20/0188).
In Hinblick auf die derzeit bestehende Covid-19 – Pandemie ist zudem – wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt- darauf hinzuweisen, dass der BF aktuell 22 Jahre alt ist und er an keiner Immunschwäche oder einer schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung leidet, womit er nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen oder Personen mit Vorerkrankungen fällt.
Schließlich kann nicht gesagt werden, dass eine Abschiebung des BF für diesen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. Denn in Indien ist eine Zivilperson nicht allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.
3.2.3. Das Vorbringen des BF vermag sohin keine Gefahren im Sinne des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG darzutun. Vor diesem Hintergrund war daher die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides spruchgemäß abzuweisen.
3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkte römisch III. und römisch IV. des angefochtenen Bescheides:
3.3.1. Gemäß Paragraph 58, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch bezüglich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Paragraph 57, Absatz eins, AsylG 2005 lautet:
'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz'
"1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Absatz eins a, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist."
Der BF befindet sich seit September 2022 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG liegen daher nicht vor und ein dementsprechendes Vorbringen wurde auch nicht erstattet.
3.3.2. Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt wird sowie kein Fall der Paragraphen 8, Absatz 3 a, oder 9 Absatz 2, AsylG vorliegt.
Gemäß Paragraph 52, Absatz 2, FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen (Paragraph 10, AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der Paragraphen 8, Absatz 3 a, oder 9 Absatz 2, AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Der BF ist als Staatsangehöriger von Indien kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Im vorliegenden Verfahren liegt auch kein Fall der Paragraphen 8, Absatz 3 a, oder 9 Absatz 2, AsylG 2005 vor.
3.3.2.1. Der mit „Aufenthaltstitel aus Gründen des Artikel 8, EMRK“ betitelte Paragraph 55, AsylG lautet wie folgt:
„§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1. dies gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 9, Integrationsgesetz (IntG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 68 aus 2017,, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (Paragraph 5, Absatz 2, Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 189 aus 1955,) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Absatz eins, Ziffer eins, vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“
Der mit „Schutz des Privat Familienlebens“ betitelte Paragraph 9, BFA-VG lautet wie folgt:
„(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraph 45, oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre.
Anmerkung, Absatz 4, aufgehoben durch Artikel 4, Ziffer 5,, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 56 aus 2018,)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraphen 52, Absatz 4, in Verbindung mit 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 4, FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß Paragraph 53, Absatz 3, FPG vorliegen. Paragraph 73, Strafgesetzbuch (StGB), Bundesgesetzblatt Nr. 60 aus 1974, gilt.“
Artikel 8, EMRK lautet wie folgt:
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Artikel 8, EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Artikel 8, Absatz 2, EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist vergleiche VfGH 29.09.2007, B 1150/07-9; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423).
Hierbei ist neben diesen (beispielhaft angeführten) Kriterien, aber auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal etwa das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt rechtswidrig oder lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist vergleiche VfGH 12.06.2007, B 2126/06; VfGH vom 29.09.2007, Zl. B 1150/07-9; VwGH 24.04.2007, 2007/18/0173; VwGH 15.05.2007, 2006/18/0107, und 2007/18/0226).
Das nach Artikel 8, EMRK geschützte Familienleben ist nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Beziehungen beschränkt, sondern erfasst auch Vorheriger Suchbegrifffaktische Familienbindungen, bei welchen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben. Auch eine aufrechte Lebensgemeinschaft fällt unter das von Artikel 8, EMRK geschützte Familienleben (VwGH 09.09.2013, Zl. 2013/22/0220 mit Hinweis auf E vom 19.03.2013, Zl. 2012/21/0178, E vom 30.08.2011, Zl. 2009/21/0197, und E vom 21.04.2011, Zl. 2011/01/0131).
Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen vergleiche EGMR 16.06.2005, Fall Sisojeva ua., Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nehmen die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren vergleiche VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001). Die bisherige Rechtsprechung legt keine Jahresgrenze fest, sondern nimmt eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vor vergleiche dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Artikel 8, EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff, aber auch VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479, wonach ein dreijähriger Aufenthalt "jedenfalls" nicht ausreichte, um daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abzuleiten, so im Ergebnis auch VfGH 12.06.2013, Zl. U485/2012).
Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kam für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031; 23.06.2015, Ra 2015/22/0026).
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit vergleiche Paragraph 66, Absatz 2, Ziffer 6, FrPolG 2005) vermag die persönlichen Interessen des Fremden nicht entscheidend zu stärken (VwGH 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029). Hingegen besteht aber im Hinblick auf strafgerichtliche Verurteilungen eines Fremden ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität vergleiche etwa VwGH 09.09.2010, Zl. 2006/20/0176, VwGH 28.02.2008, Zl. 2006/18/0467, VwGH 07.02.2008, Zl. 2006/21/0388).
Die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, stellen keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale dar (Hinweis E 26. November 2009, 2008/18/0720). Vom Verwaltungsgerichtshof wurde im Ergebnis auch nicht beanstandet, dass in Sprachkenntnissen und einer Einstellungszusage bzw. einem arbeitsrechtlichen Vorvertrag keine solche maßgebliche Änderung des Sachverhalts gesehen wurde, die eine Neubeurteilung im Hinblick auf Artikel 8, EMRK erfordert hätte vergleiche VwGH 23.11.2017, Zl. Ra 2015/22/0162; VwGH 12.10.2015, Zl. Ra 2015/22/0074; VwGH 27.01.2015, Zl. Ra 2014/22/0108; VwGH 19.11.2014, Zl. 2012/22/0056; VwGH 19.11.2014, Zl. 2013/22/0017).
Gemäß der aktuellen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist die Integration von Asylwerbern stärker zu berücksichtigen, wenn - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte vergleiche dazu insbesondere auch VwGH 30.04.2009, Zl. 2009/21/0086; VwGH 19.02.2009, Zl. 2008/18/0721; VwGH 18.12.2008, Zl. 2007/21/0505) - diese während eines einzigen Asylverfahrens erfolgt ist und von den Asylwerbern nicht schuldhaft verzögert wurde vergleiche VfGH 07.10.2010, Zl. B 950/10; VfGH 12.06.2013, Zl. U485/2012).
In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Artikel 8, Absatz 2, EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon 10 Jahre im Aufnahmestaat lebte.
3.3.2.2. Abwägung im gegenständlichen Fall
Der BF hat wie festgestellt im Bundesgebiet keine Verwandten oder sonstige Familienangehörige. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls in das Privatleben des BF eingreifen.
Zunächst ist auszuführen, dass der BF zum Aufenthalt in Österreich nur auf Grund seines Antrages auf internationalen Schutz, der sich letztlich nicht als begründet erwiesen hat, berechtigt gewesen ist. Anhaltspunkte dafür, dass ihm ein nicht auf asylrechtliche Bestimmungen gestütztes Aufenthaltsrecht zukäme, sind gleichfalls nicht ersichtlich.
Weiters ist auf die Aufenthaltsdauer des BF von beinahe sieben Monaten zu verweisen, welche als relativ kurz zu werten ist. Liegt eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so muss die in dieser Zeit erlangte Integration aber außergewöhnlich sein, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (VwGH vom 18.09.2019). Die Kombination aus Fleiß, Arbeitswille, Unbescholtenheit, dem Bestehen sozialer Kontakte in Österreich, dem verhältnismäßig guten Erlernen der deutschen Sprache sowie dem Ausüben einer Erwerbstätigkeit stellt selbst bei einem Aufenthalt von knapp vier Jahren im Zusammenhang mit der relativ kurzen Aufenthaltsdauer keine außergewöhnliche Integration dar vergleiche VwGH vom 18.09.2019, Ra 2019/18/0212). Es ist im Sinne des Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 8, BFA-VG maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH vom 28.02.2019, Ro 2019/01/003).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist festzuhalten, dass beim BF keine außergewöhnliche Integration vorliegt, die für ein Überwiegen seiner privaten Interessen an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet sprechen würde.
Der BF verfügt über keine engen sozialen Bindungen sowie keinen Freundeskreis, dem auch österreichische Staatsbürger angehören und hat auch sonst keine Integrationsmaßnahmen absolviert. Es ist nicht hervorgekommen, dass sich der BF in einem Verein, einer Kirche oder einer sonstigen Organisation engagiert und er nimmt auch nicht auf andere Weise am sozialen und kulturellen Leben teil. Zu berücksichtigen bleibt außerdem, dass jegliches Privatleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste.
Der Beschwerdeführer geht zwar einer Erwerbstätigkeit nach, welche jedoch dadurch relativiert wird, dass er diese ohne arbeitsrechtliche Bewilligung oder gewerberechtliche Berechtigung durchführt.
Im Übrigen übersteigt die Dauer des Verfahrens nicht jenes Maß, das für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ erscheinen zu lassen vergleiche VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Ziffer 85, f.).
Allein aufgrund der Zeitspanne, seit der sich der BF in Österreich aufhält, kann unter den zuvor angeführten Gesichtspunkten noch keine von Artikel 8, EMRK geschützte "Aufenthaltsverfestigung" angenommen werden.
Der Umstand, dass der BF in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da die Begehung von Straftaten einen eigenen Grund für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellt vergleiche VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).
Hinzu kommt im gegenständlichen Fall, dass der erwachsene BF den überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht hat, dort sozialisiert wurde und über soziale und familiäre Anknüpfungspunkte verfügt. Der BF ist in Indien geboren und spricht mit Punjabi eine anerkannte Landessprache. Seine Kernfamilie (Eltern und Geschwister) leben neben anderen Verwandten nach wie vor in Indien. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, weshalb sich der gesunde und arbeitsfähige BF im Falle der Rückkehr nicht wieder in die Gesellschaft seines Heimatlandes eingliedern könnte, zumal er in Indien zwölf Jahre die Schule besucht hat sowie später als Klimatechniker und an einer Tankstelle gearbeitet hat und bis zu seiner Ausreise durchgehend in Indien gelebt hat.
Den Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen insbesondere an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Zusammengefasst sprechen gegen einen weiteren Verbleib des BF im Bundesgebiet vor allem der vergleichsweise kurze Aufenthalt, seine stärkere Bindung an den Herkunftsstaat, fehlende soziale Bindungen, mangelnde Deutschkenntnisse sowie das Fehlen sonstiger Integrationsschritte entgegen. Den persönlichen Interessen des BF am Verbleib im Bundesgebiet, kommt sohin im Hinblick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls in der anzustellenden Gesamtbetrachtung aller dieser Umstände kein größeres Gewicht zu als dem beeinträchtigten öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen.
Es können somit keine unzumutbaren Härten in einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat erkannt werden. Insbesondere führt der oben angestellte Vergleich zwischen den Lebensverhältnissen des BF in Österreich mit jenen in Indien zu dem Schluss, dass der erwachsene BF in seinem Herkunftsstaat über mehr soziale Anknüpfungspunkte verfügt, als dies in Österreich der Fall ist.
Es liegt daher auch kein Eingriff in das Privatleben des BF vor, welcher zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, Interesse an geordneter Zuwanderung und wirtschaftliches Wohl des Landes) nicht geboten oder zulässig wäre (VwGH 09.09.2010, 2006/20/0176).
Insgesamt betrachtet ist davon auszugehen, dass die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des VwGH ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten.
Nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen ist ein Eingriff in das Privatleben des BF durch eine Rückkehrentscheidung als im Sinne des Artikel 8, Absatz 2, EMRK verhältnismäßig und ihre Erlassung zur Errichtung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele, insbesondere der öffentlichen Ordnung, als geboten zu erachten. Daraus folgt ihre Zulässigkeit iSd Paragraph 9, BFA-VG.
Die Verfügung der Rückkehrentscheidung gem. Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und auch nicht unverhältnismäßig.
3.4. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch fünf. des angefochtenen Bescheids (Zulässigkeit der Abschiebung):
Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
Nach Paragraph 50, Absatz eins, FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach Paragraph 50, Absatz 2, FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Artikel 33, Ziffer eins, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974,), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005).
Nach Paragraph 50, Absatz 3, FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten können keine Gründe erkannt werden, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des Paragraph 50, FPG ergeben würde. Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat Indien ist gegeben.
Vor diesem Hintergrund war daher die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch fünf. des angefochtenen Bescheides spruchgemäß abzuweisen.
3.5. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch VI. und römisch VII. des angefochtenen Bescheides (Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise):
Gemäß Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 4, BFA-VG kann das Bundesamt einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt zu Paragraph 6, Ziffer eins und 2 AsylG 1997, einer mit Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 4, BFA-VG vergleichbaren Vorgängerbestimmung, dargelegt, dass bei der Prüfung, ob ein Anwendungsfall vorliegt, von den Behauptungen des Asylwerbers auszugehen ist und es in diesem Zusammenhang nicht auf die Frage der Glaubwürdigkeit der Angaben ankommt (VwGH 22.10.2003, 2002/20/0151). Bei der Prüfung, ob ein unter Paragraph 6, Ziffer eins, AsylG 1997 zu subsumierender Fall vorliegt, ist von den Angaben des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen mit der erforderlichen Eindeutigkeit keine Behauptungen im Sinne einer im Herkunftsstaat drohenden Verfolgung entnehmen lassen vergleiche das Erkenntnis vom 31.01.2002, 99/20/0531).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung im vorliegenden Fall auf Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 4, BFA-VG gestützt, was demnach voraussetzt, dass „der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat“.
Dass der Beschwerdeführer keine Verfolgungsgründe vorgebracht hat, ist jedoch im gegenständlichen Fall nicht zutreffend. Wie bereits aus der Textierung der Ziffer 4 des Paragraph 18, Absatz eins, BFA-VG sowie nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur insoweit vergleichbaren Vorgängerbestimmung des Paragraph 6, Ziffer eins, AsylG 1997 hervorgeht, kommt es bei Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 4, BFA-VG nicht auf eine eventuell fehlende Glaubwürdigkeit bzw. die Eintrittsgefahr der behaupteten Verfolgung an, sondern auf den Umstand, ob Verfolgungsgründe überhaupt vorgebracht wurden.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte das BFA zudem insbesondere aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht jenen im Bescheid angeführten Anforderungen der Glaubhaftigkeit entspricht und er andere Asylgründe nicht vorgebracht habe. Eine Rückkehr sei ihm möglich.
Vor diesem Hintergrund erweist sich die auf Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 4, BFA-VG gestützte Aberkennung der aufschiebenden Wirkung als verfehlt, weshalb Spruchpunkt römisch VII. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben war.
Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach Paragraph 55, Absatz 2, FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Hingegen besteht gemäß Paragraph 55, Absatz eins a, FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß Paragraph 68, AVG sowie wenn eine Entscheidung aufgrund eines Verfahrens gemäß Paragraph 18, BFA-VG durchführbar wird.
Im gegenständlichen Fall wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch VII. des angefochtenen Bescheides (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 4, BFA-VG) stattgegeben und dieser Spruchpunkt behoben.
Wenn das Verwaltungsgericht den Ausspruch der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl behebt, so hat es im Spruch seines Erkenntnisses eine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen vergleiche Filzwieser et al, Asyl- und Fremdenrecht, 1154, K9).
Besondere Umstände im Sinne des Paragraph 55, Absatz eins, FPG wurden nicht dargetan und es liegen keine Anhaltspunkte vor, die im gegenständlichen Fall für eine längere Frist sprächen, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß Paragraph 55, Absatz 2, FPG 14 Tage beträgt.
3.7. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch VIII. des angefochtenen Bescheids
Gemäß Paragraph 53, Absatz eins, FPG kann mit einer Rückkehrentscheidung vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
Nach Paragraph 53, Absatz 2, FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Absatz eins,, vorbehaltlich des Absatz 3,, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige
1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß Paragraph 20, Absatz 2, der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, in Verbindung mit Paragraph 26, Absatz 3, des Führerscheingesetzes (FSG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 120 aus 1997,, gemäß Paragraph 99, Absatz eins,, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß Paragraph 37, Absatz 3, oder 4 FSG, gemäß Paragraph 366, Absatz eins, Ziffer eins, der Gewerbeordnung 1994 (GewO), Bundesgesetzblatt Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den Paragraphen 81, oder 82 des SPG, gemäß den Paragraphen 9, oder 14 in Verbindung mit Paragraph 19, des Versammlungsgesetzes 1953, Bundesgesetzblatt Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;
2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens EUR 1.000, - oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;
3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Absatz 3, genannte Übertretung handelt;
4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;
5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;
6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;
7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;
8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Artikel 8, EMRK nicht geführt hat oder
9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.
Ein Einreiseverbot kann auch in Umsetzung des Artikel 11, Rückführungsrichtlinie ergehen und ist vor dem Hintergrund des Ziels der Effektivität einer gesamteuropäischen Rückkehrpolitik zu sehen. Dem Wortlaut der Richtlinie zufolge „hat“ eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot zu ergehen, falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt oder falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde, in sonstigen Fällen steht den Mitgliedstaaten die Verbindung der Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot offen vergleiche Filzwieser et al., Asyl- und Fremdenrecht Stand: 15.01.2016, Paragraph 53, FPG, K2).
Der bloße unrechtmäßige Aufenthalt stellt nach dem System der Rückführungs-RL noch keine derartige Störung der öffentlichen Ordnung dar, dass dies immer die Erlassung eines Einreiseverbotes gebieten würde (VwGH 15.12.2001, Zl. 2011/21/0237).
Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot verpflichten Drittstaatsangehörige zur Ausreise in den Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat und enthalten die normative Anordnung, für den festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet derjenigen Mitgliedsstaaten einzureisen, für die die Rückführungs-RL gilt, und sich dort nicht aufzuhalten (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151 mwH). Die Frage nach dem Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen darf daher nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden, vielmehr muss auch die Situation in den anderen Mitgliedstaaten mitberücksichtigt werden vergleiche VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237). Der räumliche Geltungsbereich ist allerdings nicht deckungsgleich mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ausgenommen sind das Vereinigte Königreich und Irland, hinzu kommen Island, Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein vergleiche Filzwieser et al., Asyl- und Fremdenrecht, Paragraph 53, FPG, K3).
Der Verhängung eines Einreiseverbotes sowie in weiterer Folge der Bemessung seiner Dauer immanent ist die zum Entscheidungszeitpunkt durchzuführende individuelle Gefährdungsprognose. Der Beurteilung des durch den Fremden potentiell zu erwartenden Gefährdungspotentials kommt sowohl für die Frage, ob ein Einreiseverbot überhaupt zu verhängen ist, als auch hinsichtlich der Bemessung seiner Dauer zentrale Bedeutung zu. Zwar enthalten die Absätze 2 bis 3 des Paragraph 55, FPG eine demonstrative Auflistung von Tatbeständen, deren Erfüllung eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder anderen in Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Interessen durch den Aufenthalt des Fremden indiziert; dennoch ist das Vorliegen eines der genannten Sachverhalte für sich genommen zur Erlassung eines Einreiseverbotes nicht ausreichend, vielmehr hat – unter Berücksichtigung des gesetzten Verhaltens – eine individuelle Gefährdungsprognose zu erfolgen, welche die Verhängung eines Einreiseverbotes in Abwägung mit den persönlichen Interessen des Drittstaatsangehörigen im Einzelfall gerechtfertigt erscheinen lässt vergleiche Filzwieser et al., Asyl- und Fremdenrecht, Paragraph 53, FPG, K10).
Beim Erstellen der für ein Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in Paragraph 53, Absatz 2, FPG bzw. Artikel 11, Rückführungs-RL umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es nicht auf die bloße Tatsache unter anderem von Bestrafungen nach den Verwaltungsgesetzen, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der Verwaltungsübertretungen und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (VwGH 19.02.2013, 2012/18/0230. Außerdem ist auf die persönlichen und familiären Interessen des BF Bedacht zu nehmen vergleiche VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109).
Im vorliegenden Fall ist festzuhalten, dass sich die belangte Behörde bei der Begründung des angeordneten Einreiseverbots auf den Tatbestand der Ziffer 7 des Paragraph 53, Absatz 2, FPG stützte, da er einer unrechtmäßigen Beschäftigung nachgeht und demnach gegen das AuslBG verstoßen würde. Dabei geht die belangte Behörde jedoch selbst davon aus, dass dieser nie bei dieser Beschäftigung betreten wurde.
Der bloße Vorwurf, ein Drittstaatsangehöriger sei einer Beschäftigung nachgegangen, obwohl ihm der dafür erforderliche Aufenthaltstitel bzw. die erforderliche Beschäftigungsbewilligung nicht erteilt worden sei, erfüllt Paragraph 53, Absatz 2, Ziffer 7, FrPolG 2005 nicht. Der Tatbestand setzt voraus, dass der Drittstaatsangehörige - wenn auch im Gegensatz zur Rechtslage vor dem FrÄG 2011 nicht mehr unbedingt durch bestimmte Organe der Abgabenbehörde, des Arbeitsmarktservice oder des öffentlichen Sicherheitsdienstes - bei einer Beschäftigung "betreten" wird, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) nicht hätte ausüben dürfen vergleiche VwGH 18.3.2014, 2013/22/0332, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung zur Vorgängerbestimmung des Paragraph 60, Absatz 2, Ziffer 8, in Verbindung mit Absatz 5, FrPolG 2005 in der Fassung vor dem FrÄG 2011). Es bedarf daher zumindest der Feststellung der nach dem AuslBG nicht zulässigen Beschäftigung aufgrund einer Nachschau durch die dafür berufenen Behörden (VwGH 24.05.2018, Ra 2017/19/0311; VwGH 18.03.2014, 2013/22/0332).
Zudem ist eine vorsätzliche Vorgehensweise keine Voraussetzung der Erfüllung des Tatbestandes nach Paragraph 53, Absatz 2, Ziffer 7, FrPolG 2005. Auf die subjektive Sicht des Drittstaatsangehörigen kommt es nicht an. Von einem eine Beschäftigung in Österreich aufnehmenden Drittstaatsangehörigen muss verlangt werden, sich mit den dafür einschlägigen Rechtsnormen vertraut zu machen. Dabei genügt es etwa auch nicht, sich auf die Auskunft des Arbeitgebers zu verlassen vergleiche zur inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung des Paragraph 60, Absatz 2, Ziffer 8, in der Fassung vor dem FrÄG 2011 VwGH 21.6.2012, 2011/23/0146, mwN); (VwGH 25.05.2021, Ra 2019/21/0402).
Der Vollständigkeit halber wird an dieser Stelle angemerkt, dass vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung der BF selbst in der Verantwortung steht sich über die für ich geltenden Bestimmungen zur Ausübung einer Beschäftigung zu informieren. Ferner hat der BF in seiner Beschwerde auch nicht substantiiert dargelegt, auf welcher Grundlage die belangte Behörde ihn hätte über diesen Umstand belehren müssen.
Denn die Manuduktionspflicht nach Paragraph 13 a, AVG verlangt im Übrigen keine Beratung der Verfahrensparteien in materiell-rechtlicher Hinsicht. Auch unvertretenen Personen sind nur die zur Vornahme ihrer Verfahrenshandlungen nötigen Anleitungen zu geben, sie sind aber nicht in materieller Hinsicht zu beraten und nicht anzuleiten, welche für ihren Standpunkt günstigen Behauptungen sie aufzustellen bzw. mit welchen Anträgen sie vorzugehen haben vergleiche VwGH 21.3.2017, Ra 2017/22/0013, mwN), (VwGH 01.10.2021, Ra 2018/06/0053).
Wurden vom BVwG die Voraussetzungen der Verhängung eines Einreiseverbotes verneint, weil keiner der Tatbestände des Paragraph 53, Absatz 2, oder 3 FrPolG 2005 verwirklicht sei, greift dies zunächst schon insofern zu kurz, als im Hinblick auf den demonstrativen Charakter dieser Tatbestände vergleiche VwGH 26.6.2014, Ro 2014/21/0026) sich auch aus einer hinsichtlich des Unrechtsgehaltes ähnlich schwerwiegenden Konstellation vergleiche in diesem Sinn VwGH 16.11.2012, 2012/21/0080) durch den Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist und daher - nach Vornahme einer Beurteilung im Einzelfall - ein Einreiseverbot zu verhängen ist.
Der BF arbeitet seit Dezember 2022 im Bundesgebiet als Zeitungszusteller und wäre auch in der Pflicht gestanden sich selbst über die geltenden Bestimmungen zur Ausübung einer Beschäftigung zu informieren. Da der BF dabei jedoch bis dato nicht von den Behörden betreten wurde, ist der Tatbestand des Paragraph 53, Absatz 2, Ziffer 7, FPG gegenständlich nicht erfüllt. Im Übrigen hat das BFA nicht aufgezeigt, ob bzw. inwieweit gegen den BF Sanktionen verhängt wurden. Auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes kann daher auch von keinen Unrechtsgehalt einer ähnlich gelagerten Konstellation, welche dem Tatbestand des Paragraph 53, Abs. oder 3 FPG vergleichbar wäre, ausgegangen werden. Daher ist das vom BFA verhängte Einreiseverbot ersatzlos zu beheben, zumal sich in casu auch sonst keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass ein Einreiseverbot gegen den BF aufgrund einer anderen Ziffer des Paragraph 53, FPG oder aufgrund des Vorliegens sonstiger die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdender Umstände gerechtfertigt wäre.
Der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch VIII. des angefochtenen Bescheides war daher mit der im Spruch ersichtlichen Maßgabe stattzugeben.
3.8. Unterbleiben der mündlichen Verhandlung
Der BF beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Gemäß Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt Paragraph 24, VwGVG.
Gemäß Paragraph 24, Absatz eins, des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Nach Absatz 4, leg.cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Artikel 6, Absatz eins, der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, noch Artikel 47, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 Sitzung 389 entgegenstehen.
Der BF ist in der Beschwerde der Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht substantiiert entgegengetreten, zumal die bloße Behauptung, dass sich Angehörige des BF in einem Mitgliedstaat der EU befinden würden, obwohl er dies in der Erstbefragung bereits verneint hat, nicht ausreicht um den beweiswürdigenden Erwägungen der belangten Behörde entsprechend entgegenzutreten. Der maßgebliche Sachverhalt ist daher aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen.
Auch weist die Entscheidung des BFA vom römisch 40 bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit auf.
Das BVwG musste sich zur Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes im vorliegenden Verfahren keinen persönlichen Eindruck vom BF trotz Vorliegens von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verschaffen, da selbst unter Berücksichtigung aller zugunsten des BF sprechenden Fakten auch dann für den BF kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft, weshalb eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233; 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 bis 0423, Ra 2017/19/0424).
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher im gegenständlichen Fall abgesehen werden. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Artikel 6, Absatz eins, der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, noch Artikel 47, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S 389, entgegen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
ECLI:AT:BVWG:2023:W124.2271094.1.00