Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

01.06.2023

Geschäftszahl

W272 2264184-1

Spruch


W272 2264182-1/10E
W272 2264184-1/6E
W272 2264185-1/5E
W272 2265762-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN Alois als Einzelrichter über die Beschwerde von 1. römisch 40 , geboren am römisch 40 , 2. römisch 40 , geboren am römisch 40 , 3. römisch 40 , geboren am römisch 40 und 4. römisch 40 , geboren am römisch 40 , alle Staatsangehörigkeit BELARUS, die Minderjährigen vertreten durch ihre Eltern römisch 40 und römisch 40 , alle vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, 1. vom 09.11.2022, Zahl: römisch 40 , 2. vom 08.11.2022, Zahl: römisch 40 , 3. vom 09.11.2022, Zahl: römisch 40 und 4. vom 13.12.2022, Zahl: römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.05.2023, zu Recht:

A)

römisch eins. Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 sowie römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Den minderjährigen römisch 40 sowie römisch 40 wird im Rahmen eines Familienverfahrens gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 34, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

römisch II. Gemäß Paragraph 3, Absatz 4, AsylG 2005 wird römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 und römisch 40 eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der Dauer von drei Jahren erteilt.

römisch III. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 und römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

römisch IV. Die Spruchpunkte römisch II. bis römisch VI. der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers und minderjährigen Viertbeschwerdeführers (in Folge: BF1, BF2, BF3, BF4 oder alle gemeinsam: BF). Sie sind Staatsangehörige von Belarus (Weißrussland).

2. Der BF1, die BF2 und der BF3 reisten gemeinsam am 11.10.2021 mit dem Flugzeug aus Moskau kommend nach Wien und stellten die Anträge auf internationalen Schutz. Es wurden ihre Identitätsdokumente und verschiedene Flugtickets sichergestellt.

3. Bei der Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 12.10.2021 gab der BF1 zusammengefasst an, dass am 07.10.2021 bei ihm eine Hausdurchsuchung von der Polizei durchgeführt worden sei und es werde ihm von der Polizei Massenunruhen vorgeworfen. Diese Vorwürfe entsprechen nicht der Wahrheit und in seinem Herkunftsland werden Menschrechte verletzt, politisch engagierte Personen werden verfolgt, Menschen werden grundlos verhaftet. Der BF1 sei aus Angst verhaftet zu werden mit seiner Familie illegal nach Russland ausgereist. Er fürchte verhaftet, gefoltert und ermordet zu werden.

3.1. Am selben Tag wurde auch die BF2 erstbefragt und gab zusammengefasst zu ihrer Fluchtgründe an, dass ihre Wohnung von der Polizei durchsucht worden sei, weil ihrem Mann vorgeworfen worden sei, dass er bei Protesten mitgemacht habe. Die Polizei habe angedroht die BF2 auf die Polizeistation mitzunehmen, wenn sie nicht kooperiere und Informationen über ihren Mann gebe. Personen, die ihre Meinung äußern, werden von der Polizei verfolgt, wie auch ihr Ehemann, welcher früher schon an Protesten gegen den Präsidenten teilgenommen habe. Ihr Mann sei früher schon einmal verhaftet worden und habe danach ins Krankenhaus und operiert werden müssen. Die BF2 habe auch Angst um ihr Leben, weil die Polizei ihr Handy mitgenommen habe und auf ihrem Handy sehe man Nachrichten, die von ihrem Land als extremistisch eingestuft werden können.

3.2. Die BF2 gab als gesetzliche Vertreterin des noch unmündig minderjährigen BF3 zu dessen Fluchtgründen an, dass auch für diesen der von ihr angegebene Fluchtgrund gelte und sie auch für ihren Sohn einen Asylantrag stelle.

4. Am 20.04.2022 wurden der BF1 und die BF2 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt oder belangte Behörde) im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch niederschriftlich einvernommen.

4.1. Befragt zu seinen Lebensumständen in Belarus gab der BF1 zusammengefasst an, dass er ein Familienleben, Frau und Kind in Minsk gehabt habe, er habe gearbeitet und Sport gemacht. In Belarus lebe noch seine Schwester, eine Oma und ein Onkel. Sein Vater sei verstorben und seine Mutter lebe in Polen.

Der BF1 führte in der Einvernahme zu seinen Fluchtgründen ergänzend und zusammengefasst aus, dass die Gefahr bestanden habe, dass der BF1 ins Gefängnis muss. Die Polizei sei zu ihm nach Hause gekommen, habe die Wohnung durchsucht und dann haben sie nach dem BF1 gesucht. Vorher sei er zur Staatsanwaltschaft und zum Finanzamt geladen worden und es sei Druck auf ihm ausgeübt worden. Der BF1 habe an einer Demonstration teilgenommen, bei der diesbezüglichen Festnahme sei er zusammengeschlagen worden. Als seine Wohnung durchsucht worden sei, sei er nicht zu Hause gewesen und danach habe er Kleinbusse sowie uniformierte Personen mit Schutzwesten vor seinem Haus gesehen habe, sei er zu Freunden gelaufen, nicht mehr zurückgekehrt bis er nach Moskau gefahren sei. Der BF1 sei bei allen Demonstrationen gegen die Wahlverfälschung im Jahr 2020 gewesen und sei von der Polizei festgenommen und zusammengeschlagen worden sei sowie drei Tage im Gefängnis gewesen. Er sei ins Anhaltezentrum gebracht worden, weil ihm die Teilnahme an nicht sanktionierten Massendemonstrationen vorgeworfen worden sei. Der BF1 sei politisch aktiv und bei einer Organisation namens römisch 40 gewesen. Im Falle einer Rückkehr befürchte der BF1 festgenommen und gefoltert zu werden und in Belarus könne man sogar wegen der politischen Ansichten getötet werden.

Der BF1 legte ein Konvolut an Unterlagen (Anzeige an UNO vom 22.01.2021, Geburtsurkunde, Heiratsurkunde, Zugtickets, Finanzamtschreiben, Ladung Staatsanwaltschaft, Krankenhausbefunde, Gerichtsbeschluss, etc.) und einige Fotos über die erlittenen Verletzungen des BF1 sowie von der Durchsuchung der Wohnung, vor.

4.2. Die BF2 führte in der Einvernahme zu ihren Fluchtgründen zusammengefasst an, dass sie aus politischen Gründen ihren Herkunftsstaat verlassen habe. Sie und ihr Ehemann seien verfolgt worden, weil sie oft an Demonstrationen und Protesten gegen das Regime teilgenommen haben. Sie habe solange an Demonstrationen teilgenommen, solange es nicht gefährlich gewesen sei, weil es seien Wasserwerfer und Schallgranaten eingesetzt worden. Zudem habe sie ihren Sohn nicht alleine lassen können und nur bei sicheren Demos mitgenommen. Zuletzt habe sie im Jahr 2020 eine Demo besucht, danach habe sie bis zur Ausreise Infoblätter verteilt. Nachdem ihr Mann von Polizisten zusammengeschlagen worden sei, habe er sich an die UNO gewandt und den Polizisten angezeigt. Im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat habe die BF2 Angst um ihre Freiheit und um ihr Leben sowie dass sie ihren Sohn holen könnten.

Die BF2 legte ein Deutschzertifikat und eine Teilnahmebestätigung vor.

5. Am römisch 40 ist der BF4 in Österreich geboren. Am 24.11.2022 brachte die BF2 für ihren Sohn BF4 eine Anzeige auf internationalen Schutz von einem in Österreich nachgeborenen Kind gemäß Paragraph 17 a, AsylG 2005 ein. Für den BF4 wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht und bezieht sich der Antrag auf internationalen Schutz ausschließlich auf die Gründe des Vaters bzw. der Mutter.

6. Das Bundesamt wies die Anträge der BF auf internationalen Schutz mit Bescheiden vom 08.11.2022 (BF2 zugestellt am 17.11.2022), vom 09.11.2022 (BF1 und BF3 zugestellt am 17.11.2022) und vom 13.12.2022 (BF4 zugestellt frühestens am 13.12.2022) sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Belarus ab (Spruchpunkt römisch eins. und römisch II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.) und wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt römisch IV.). In Spruchpunkt römisch fünf. wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Belarus zulässig ist und wurde den BF eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt römisch VI.).

Das Bundesamt führte hinsichtlich des minderjährigen BF3 und BF4 aus, dass diese keine eigenen Fluchtgründe hätten und ihre Eltern jeweils einen vollinhaltlich negativen Asylbescheid erhalten haben. Es habe daher auch keine Verfolgung im Sinne der GFK für die minderjährigen BF erkannt werden können. In der Entscheidung betreffend BF1 wurde begründend zusammengefasst ausgeführt, dass nicht habe festgestellt werden können, dass der BF1 in Belarus einer Verfolgung aus politischen Gründen ausgesetzt gewesen sei, denn die diesbezügliche Geschichte habe aus Sicht der belangten Behörde vollkommen aufgesetzt gewirkt und sei voller Widersprüche. So habe der BF1 vorerst angegeben an einer Demonstration teilgenommen zu haben und später jedoch habe der BF1 angegeben praktisch bei allen Demonstrationen dabei gewesen zu sein. Das der BF1 von der Polizei festgenommen und zusammengeschlagen worden sei, lasse sich für die Behörde nicht überprüfen, weil stehe außer Zweifel, dass es bei Demonstrationen weltweit zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten kommen können, aber halte es in diesen Fällen auch immer von der Gewaltbereitschaft der Demonstrierenden ab, die oft einen Polizeieinsatz erforderlich mache. Die vom BF1 vorgelegten Fotos seien aber keinerlei Beweis, dass die ersichtlichen Verletzungen von Schlägen durch Polizisten nach einer Verhaftung erfolgt seien. Auch die Echtheit der Krankenhausbestätigungen lasse sich nicht feststellen und beweisen die ärztlichen notwendigen Behandlungen nicht, dass die Verletzungen durch Gewaltanwendung der Polizei nach einer Verhaftung erfolgt seien. Auch sei eine Verwaltungsstrafe, aufgrund einer Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration, als durchaus angemessen anzusehen und sei keine Asylrelevanz abzuleiten. Auch die Fotos, welche lediglich ungeordnete Räumlichkeiten zeigen, seien keinerlei Belege dafür, dass diese Durchsuchung der Polizei stattgefunden habe und die Unordnung daher stamme. Darüber hinaus bestehe ein Widerspruch zu den Angaben seiner Ehefrau BF2. Die BF2 habe angegeben, dass sie den BF1 erst wieder in Moskau gesehen habe, demnach seien die Angaben des BF1, dass seine Ehefrau ihm einen Rucksack mit Pass und Handy übergeben habe, unwahr. Zusammengefasst werde nicht grundsätzlich gezweifelt, dass der BF1 an Demonstrationen teilgenommen habe, aber dass er deshalb einer politischen Verfolgung oder Bedrohung mit Asylrelevanz ausgesetzt gewesen sei, sei für das Bundesamt nicht glaubhaft.

In der Entscheidung betreffend die BF2 führte das Bundesamt aus, dass sie gegen sie persönlich gerichtete Verfolgungs- oder Bedrohungshandlungen erst gar nicht vorgebracht habe. Die BF2 habe lediglich gesagt, an Demonstrationen teilgenommen zu haben, mehr habe die BF2 zu ihrer Person im Wesentlichen nicht angegeben. Die BF2 sei nicht in der Lage gewesen, einen einzigen konkreten Vorfall der ausschließlich die BF2 betreffe, zu schildern. Die BF2 habe nur von ihrem Ehemann erzählt und aus welchen Gründen er verfolgt worden sei. Diese Gründe habe der BF1 aber nicht glaubhaft machen können und werde aus diesem Grund auch nicht mehr näher auf die angebliche Hausdurchsuchung der Polizei eingegangen.

7. Gegen diese Bescheide erhoben die BF mit Schriftsatz vom 06.12.2022 (eingebracht am 06.12.2022) fristgerecht Beschwerde. Für den minderjährigen BF4 wurde zu diesem Zeitpunkt noch kein Bescheid erlassen, die Anzeige beim BFA nach Paragraph 17 a, Absatz 3, AsylG sei aber bereits erfolgt. Die Bescheide wurden wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft.

Begründend führten die BF aus, dass die belangte Behörde es verabsäumt habe sich mit dem Vorbringen der BF Verfolgung aufgrund einer (zumindest unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung auseinanderzusetzen. Das herangezogene und der Entscheidung zugrunde gelegte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sei vom Juli 2020 und aufgrund der letzten politischen Ereignisse mit Demonstrationen, Festnahmen politischer Gegner rund um die Präsidentschaftswahl im August 2020 jedenfalls als veraltet anzusehen. Im Land seien tausend Menschen auf die Straße gegangen und haben gegen das Regime protestiert. Lukaschenko habe mit Unterdrückung, Repression und Gewalt gegen die Bevölkerung reagiert. Der belarussische Staat verfolge weiterhin jede Person, die sich gegen Lukaschenko oder für die Aufarbeitung der Wahlfälschung positionierte. Die belangte Behörde komme allerdings entgegen aktuellen Länderberichten zum Schluss, dass die Teilnahme an Demonstrationen in Belarus zu keiner politischen Verfolgung oder Bedrohung mit Asylrelevanz geführt habe, obwohl das Vorbringen des BF1 im Einklang der zitierten Länderberichte sei. Die Verletzungen des BF1 im Rahmen der Teilnahme an einer Demonstration habe er auch dem UN Folterkomitee angezeigt und auch die OSCE Beobachterkommission bestätige das Vorkommen von Folter zu diesem Zeitpunkt in Belarus. Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde sei das Vorbringen des BF1 durch Länderberichte klar belegt, so gehe der OSCE Bericht von willkürlichen Festnahmen im Zuge der Proteste in Belarus aus im Rahmen deren es auch zu Misshandlungen gekommen sei. Der BF1 habe auch in Folge anwaltliche Beratung in Anspruch genommen und auch eine Ladung der Generalprokuratur erhalten. Es könne daher keinesfalls von einer nichtpolitischen Vorgangsweise ausgegangen werden, der keine Asylrelevanz zukomme. Das gesamte Vorbringen der BF stehe im Einklang mit den zitierten Länderberichten und die BF haben auch zahlreiche Beweismittel vorgelegt und könne nicht von einer vollkommen aufgesetzten Geschichte voller Widersprüche ausgegangen werden. Die BF werden, wie ausführlich ausgeführt worden sei, wegen ihrer oppositionellen politischen Gesinnung in Belarus von staatlicher Seite persönlich verfolgt.

8. Die Beschwerden samt bezughabenden Verwaltungsunterlagen langten am 15.12.2022 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurden der zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.05.2023 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch, an welcher der BF1, die BF2, der BF3 und der BF4 sowie deren Rechtsberaterin als gewillkürte Vertreterin teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung entschuldigt nicht teil. Ergänzend brachte das Bundesverwaltungsgericht das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belarus vom Juli 2020, den Bericht des Auswärtigen Amtes Deutschlands über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Belarus vom Oktober 2022 und den ad-hoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Belarus des Auswärtigen Amtes Deutschland vom Februar 2021, zum Parteiengehör. Die BF legten im Zuge der Verhandlung verschiedene Empfehlungsschreiben, ein Schreiben des Kindergartens des BF3, eine Bestätigung über die ehrenamtliche Tätigkeit des BF1, Fotos, ein Deutschzeugnis der BF2 und einen Online-Zeitungsbericht von der Lage in Belarus vor.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes, der im Verfahren vorgelegten Unterlagen, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, der mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister, das Betreuungsinformationssystem und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person der BF

1.1.1. Die Identität der BF steht fest. Sie sind Staatsangehörige von Belarus, Angehörige der Volksgruppe der Belarussen und ohne religiösen Bekenntnis. Die Erstsprache der BF ist Russisch. Der BF1 und die BF2 sprechen außerdem Belarussisch und Englisch.

Der BF1 und die BF2 sind seit römisch 40 standesamtlich verheiratet und die Eltern zweier Kinder, des minderjährigen BF3 und BF4. Die BF2 war zuvor schon einmal von April 2012 bis Juli 2016 verheiratet; aus dieser Ehe entstammen keine Kinder.

1.1.2. Der BF1 wurde am römisch 40 in Minsk, Belarus geboren, wo er 11 Jahre die Schule besuchte und die letzten zwei Jahre davon eine Berufsausbildung als Feuerwehrmann und Rettungssanitäter absolvierte. Danach besuchte der BF1 für ca. drei Jahre bis 2010 die technische Universität für Fachmaschinenbau, wobei er keinen Abschluss machte. Den Lebensunterhalt finanzierte der BF seit 2012 durch den Verkauf von Kryptowährungen an der Börse und arbeitete er von 2012 bis 2015 bei einer Baufirma und machte Fenstermontagen sowie Fassaden. Der BF1 reiste zu touristischen Zwecken 2012 in die Ukraine, danach nach Moskau und mehrmals nach Litauen, um einzukaufen. Außerdem war er auch 2015 in Polen und machte 2016 mit seiner Ehefrau eine Europareise sowie 2019/2020 in Indonesien und Malaysia.

Die BF2 wurde am römisch 40 in Minsk, Belarus geboren, wo sie 11 Jahre die Schule besuchte und im Anschluss 5 Jahre Marketing studierte und das Studium 2011 als Bachelor abschloss. Bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit der BF2 kamen ihre Eltern für ihren Lebensunterhalt auf, danach finanzierte sie ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit in ihrem erlernten Fach Marketing bei verschiedenen Unternehmen, zuletzt bis zu ihrer Ausreise bei einer Telefongesellschaft MTC. Die BF2 reiste ebenfalls zu touristischen Zwecken unter anderem mehrmals nach Indonesien, Malaysia sowie nach Europa oder auch mit ihrer Mutter und ihrem Exmann nach Sri Lanka, Kuba und in die Dominikanische Republik.

Der BF3 wurde am römisch 40 in Minsk geboren und lebte dort bis zur Ausreise im Oktober 2021 gemeinsam mit seinen Eltern.

1.1.3. Die Mutter und Schwester des BF1 leben in Polen. Der Vater des BF1 ist bereits verstorben; der BF1 hat keine weiteren nahen Angehörigen in Belarus. Seine Mutter ist als Asylberechtigte und seine Schwester mit einem Arbeitsvisum seit 2022 in Polen aufhältig.

In Minsk leben weiterhin die Mutter und ein Bruder der BF2. Ihre Mutter bezieht eine Pension und ihr Bruder ist erwerbstätig. Die BF halten den Kontakt mit ihren Familienangehörigen auch von Österreich aus aufrecht, insbesondere mit wöchentlichen Telefonaten der BF2 oder dem BF3 mit ihrer (Groß-)Mutter.

1.1.4. Der BF1 reiste illegal am 08.10.2021 und etwas später die BF2 gemeinsam mit BF3 legal nach Moskau und danach alle gemeinsam mit dem Flugzeug am 11.10.2021 weiter nach Österreich, wo sie einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Das Bundesamt wies die Anträge der BF auf internationalen Schutz mit angefochtenen Bescheiden vom 08.11.2022 (BF2) und 09.11.2022 (BF1 und BF3) sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten, als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Belarus ab. Unter einem erteilte es keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen die BF eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung der BF nach Belarus zulässig ist.

Der BF4 wurde am römisch 40 in Österreich geboren und am 24.11.2022 brachte die BF2 für den BF4 einen Antrag auf internationalen Schutz von einem in Österreich nachgeborenen Kind ein. Dieser Asylantrag wurde ebenfalls vollinhaltlich mit Bescheid des Bundesamtes vom 13.12.2022 negativ entschieden und eine Rückkehrentscheidung gegen den BF4 erlassen sowie festgestellt, dass die Abschiebung des BF4 nach Belarus zulässig ist.

Die BF erhoben gegen die abweisenden Bescheide des Bundesamtes rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde. Ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht besteht nicht.

1.1.5. Die BF sind gesund und leiden an keiner schweren (lebensbedrohlichen) Erkrankung.

Die volljährigen BF sind arbeitsfähig und strafgerichtlich unbescholten. Der minderjährige BF3 und BF4 sind strafunmündig.

1.1.6. Die BF wohnen im Bundesgebiet in einem Quartier der Grundversorgung in Graz. Sie bestreiten ihren Lebensunterhalt durch Leistungen aus der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Der BF1 engagiert sich ehrenamtlich bei der römisch 40 und auch im Rahmen der Ukrainehilfe.

Die BF leben in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt und die minderjährigen BF3 und BF4 wachsen bei ihren Eltern BF1 und BF2 im Familienverband auf. Die BF verfügen über keine familiären oder sonstigen familienähnlichen sozialen Bindungen in Österreich. Die BF sind nicht Mitglied in einem Verein. Die BF haben sich in Österreich einen Freundes- und Bekanntenkreis zu Personen verschiedener Nationalitäten aufgebaut, die sie aus der Nachbarschaft aus dem Grundversorgungsquartier oder von den Deutschkursen, der ehrenamtlichen Tätigkeit des BF1 oder dem Kindergarten kennen. In ihrer Freizeit besuchen sie den Spielplatz, gehen Kaffee trinken, spazieren und nehmen an Sportveranstaltungen, wie einem Radrennen teil.

Der BF1 hat geringe Deutschkenntnisse auf dem Anfängerniveau A1. Er besuchte einen A1 Deutschkurs. Die BF2 hat grundlegende bis gute Deutschkenntnisse und absolvierte zuletzt die Deutschprüfung auf Niveau A2, besucht aktuell einen B1 Kurs und probierte am 31.05.2023 die B1 Prüfung. Die BF2 besucht mit dem BF4 auch einen Baby- und Zeichenkurs. Der BF3 besucht den Kindergarten und spricht seinem Alter entsprechend ebenfalls bereits Deutsch.

1.2. Zu den Fluchtgründen der BF

1.2.1. Der BF1 und die BF2 waren in Belarus politisch aktiv und nahmen regelmäßig insbesondere auch im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2020 an nicht genehmigten Demonstrationen (Sonntagsdemonstrationen) teil, wobei die BF2 seltener aufgrund des 2019 geborenen BF3 teilnahm. Der BF1 und die BF2 waren auch während ihrer Schulzeit Mitglied der oppositionellen politischen Organisation römisch 40 , welche bereits 2004 von der Regierung geschlossen und aufgelöst wurde.

1.2.2. Der BF1 wurde im Jahr 2020 in Belarus während den damals zahlreichen Demonstrationen im Rahmen der Präsidentschaftswahlen zwei Mal willkürlich festgenommen und wurde ihm eine oppositionelle Aktivität unterstellt und war Polizeigewalt, körperlichen Übergriffen ausgesetzt, die Gesichtsverletzungen (Jochbein- und Kieferbruch) zur Folge hatten und operiert werden mussten. Ein anderes Mal war er für drei Tage in U-Haft und erhielt nach einer Onlinegerichtsverhandlung eine Geldstrafe. Anfang 2021 erhielt der BF1 eine Ladung von der Staatsanwaltschaft ohne angeführten Gründe, die er nicht nachgekommen ist.

Außerdem verteilten der BF1 und die BF2 politisch-oppositionelle Informationsblätter oder druckten regimekritische Zeitungen vom Telegram-Account römisch 40 , die sie ebenfalls verteilten.

Im Oktober 2021 durchsuchte die Polizei die Wohnung des BF1 und der BF2, wobei der BF1 zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend war. Die Sicherheitskräfte drohten der BF2 die Abnahme ihres Kindes an und verlangten die Herausgabe von elektronischen Speichermittel, Telefone und PCs und nahmen Bargeld mit. Daraufhin verließen der BF1 ohne in seine Wohnung zurückzukehren sowie die BF2 gemeinsam mit BF3 ein paar Tage später Belarus über die russische Grenze. Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass die belarussischen Behörden von der Ausreise der BF in Kenntnis sind und den BF1 und der BF2 weiterhin beobachten und eine oppositionelle Gesinnung unterstellen.

1.2.3. In Österreich engagieren sich der BF1 und BF2 weiterhin exilpolitisch und nahmen an einer Demonstration gegen den Ukrainekrieg teil sowie an einer Literaturveranstaltung mit einem politischen Gefangenen und zeigt sich die oppositionelle Überzeugung der BF2 auch auf ihren Facebook-Account.

1.2.4. Es ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem BF1 und der BF2 im Falle einer Rückkehr nach Belarus strafgerichtliche Verfolgung durch staatliche Akteure sowie eine mehrjährige Haftstrafe mit Folter oder anderen Misshandlungen droht, weil ihnen in Folge ihrer regelmäßigen Teilnahme an Demonstrationen im Rahmen der Präsidentschaftswahlen 2020 in Belarus, der Verteilung von regimekritische Informationsblätter und Zeitungen und ihr exilpolitisches Auftreten in sozialen Medien und auch aufgrund der anhaltenden Unterdrückung der Versammlungs-und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit sowie Repressalien gegen oppositionelle Aktivisten in Belarus eine regimekritische und oppositionelle Einstellung sowie Propagandaaktivitäten unterstellt und strafgerichtlich verfolgt werden.

1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Weißrussland, Gesamtaktualisierung am 06.07.2020 sowie Berichte aktuelleren Datums:

-             Auswärtiges Amt Deutschland, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Belarus vom 21.12.2022 (Stand Oktober 2022)

-             Auswärtiges Amt Deutschland, Ad-Hoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus vom 10.03.2021 (Stand Februar 2021)

ergibt sich wie folgt:

Politische Lage

Die Republik Belarus ist eine Präsidialrepublik (AA 2.3.2020a) mit 9,4 Millionen Einwohnern; Landessprachen sind Belarussisch und Russisch. Die Republik Belarus erhielt 1991, mit der Auflösung der Sowjetunion, ihre staatliche Unabhängigkeit. Kennzeichnend ist die starke Stellung von Staatspräsident Lukaschenko. Mithilfe mehrerer per Referendum herbeigeführter Verfassungsänderungen ist er seit 1994 im Amt und verfügt über weitreichende legislative Kompetenzen (AA 2.3.2020b). Präsidialdekrete gehen in der Verfassungswirklichkeit Gesetzen vor und betreffen verschiedene Politikfelder (AA 5.7.2019; vergleiche FH 4.3.2020). 1996 errichtete Präsident Lukaschenko auf Grundlage einer Verfassungsänderung die heutigen autoritären Strukturen. Mit der Verfassungsänderung vom 17.11.2004 im Rahmen eines Referendums wurde die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Amtsperioden aufgehoben und es ihm ermöglicht, für weitere Amtszeiten zu kandidieren (AA 5.7.2019). Der Präsident bestimmt 8 von 64 Mitgliedern des Oberhauses der Nationalversammlung. Auch ernennt und entlässt er sämtliche Regierungsmitglieder, Vorsitzende der Staatlichen Komitees und Leiter wichtiger Organe der Exekutive, Judikative sowohl national als auch in den Provinzen. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 5.7.2019).

Insgesamt betrachtet hat Weißrussland seit Anfang der 1990er Jahre keine Wahl abgehalten, die als frei und demokratisch bewertet wurde (RFE/RL 11.9.2016). Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren ohne Begrenzung gewählt. Lukaschenko wurde erstmals 1994 gewählt. Seitdem hat er seine Herrschaft in einer Reihe unfairer Wahlen verlängert. 2015 sicherte er sich in einer nicht kompetitiven Wahl die fünfte Amtszeit in Folge. Beobachter der OSZE nannten seit langem bestehende Mängel bei den Wahlen in Belarus, die nicht behoben wurden, und nach Einschätzung der OSZE blieben die Wahlen erheblich hinter demokratischen Standards zurück (FH 4.3.2020). Die nächsten Präsidentschaftswahlen sind für den 9. August 2020 angesetzt (DW 1.6.2020).

Die Nationalversammlung (Parlament) besteht aus zwei Kammern. Die Parlamentsmitglieder der Abgeordnetenkammer (Unterhaus), welche vollständig dem Präsidenten unterstellt ist, werden für eine vierjährige Amtszeit in 110 Mehrheitsbezirken gewählt. Gewählt ist der Kandidat, der die meisten Stimmen erhält (FH 4.3.2020; vergleiche OSZE/ODIHR 4.3.2020). Das Oberhaus, der Rat der Republik, besteht aus 64 Mitgliedern, die ihre Funktion jeweils vier Jahre lang ausüben; 8 davon werden vom Präsidenten ernannt, 56 werden durch die Regionalräte gewählt (FH 4.3.2020). Die letzte Parlamentswahl fand im November 2019 statt, fast ein Jahr früher als geplant. Lukaschenko treue Kandidaten gewannen alle Sitze im Unterhaus, während unabhängige Kandidaten keinen einzigen erhielten (FH 4.3.2020). Bei den Parlamentswahlen 2016 hatten zwei oppositionelle Abgeordnete je einen Sitz im Parlament gewonnen, es war das erste Mal seit 20 Jahren, dass in Belarus die Opposition im Parlament vertreten war (RFE/RL 11.9.2016). Bei den Wahlen 2019 durften die beiden Oppositionellen jedoch nicht mehr antreten. Wahlbeobachter der OSZE stellten Unregelmäßigkeiten bei den Parlamentswahlen 2019 fest (FH 4.3.2020). Im Abschlussbericht der OSZE-Wahlbeobachtungsmission heißt es, dass die Wahlen zwar ruhig verliefen, aber nicht den wichtigen internationalen Standards für demokratische Wahlen entsprachen. Unter anderem wurde die grundlegende Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit missachtet und ein übermäßig restriktives Registrierungsverfahren für Kandidaten verhinderte die Teilnahme der Opposition an der Wahl (OSZE/ODIHR 4.3.2020; vergleiche FH 4.3.2020). Der Rechtsrahmen für Wahlen entspricht in Weißrussland generell nicht den demokratischen Standards. Unter anderem sind die Mitglieder der Wahlkommissionen auf allen Ebenen politisch mit der Regierung abgestimmt und von ihr abhängig, und unabhängige Beobachter haben keinen Zugang zu den Auszählungen. Mitglieder von Oppositionsparteien wurden z.B. im Vorfeld der Wahlen vom November 2019 effektiv von der Teilnahme an Wahlkommissionen auf Bezirksebene ausgeschlossen (FH 4.3.2020).

Eine Regierungspartei im eigentlichen Sinn gibt es in Weißrussland nicht. Nur sehr wenige Abgeordnete des Parlaments sind Mitglieder einer politischen Partei. Parteien stehen vor gewaltigen Herausforderungen, wenn sie eine offizielle Registrierung anstreben. Seit 2000 wurde trotz wiederholter Versuche keine neue politische Partei registriert. Es gibt mangels demokratischer Machtwechsel praktisch keine Möglichkeit für Oppositionskandidaten, durch Wahlen an die Macht zu gelangen (FH 4.3.2020). Nachdem Präsident Lukaschenko angekündigt hatte, dass er für seine nunmehr sechste Amtszeit kandidieren wolle, kam es im Frühjahr 2020 zu Protesten (DW 1.6.2020; vergleiche RFE/RL 25.5.2020). Ein wichtiger politischer Gegenspieler, der Oppositionelle Mikola Statkevich, wurde auf einer der Demonstrationen festgenommen, genauso wie Dutzende weitere Aktivisten (DW 1.6.2020; vergleiche RFE/RL 15.6.2020). Laut der weißrussischen NGO Viasna wurden allein am 19. Juni 2020 bei Protesten circa 140 Menschen festgenommen (RFE/RL 20.6.2020). Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl hat Präsident Lukaschenko Anfang Juni 2020 die Regierung per Dekret aufgelöst. Im Schnellverfahren hat Lukaschenko eine neue Regierung ernannt, wie das Präsidialamt mitteilte. Regierungschef wird demnach Roman Golowtschenko, der bislang das staatliche Komitee für Militärindustrie leitete (Zeit Online 4.6.2020).

Belarus wird als autoritärer Polizeistaat beschrieben, in dem Wahlen offen manipuliert und die bürgerlichen Freiheiten beschnitten werden (FH 4.3.2020). Obwohl die politische Opposition unter ungünstigen Bedingungen operiert und regelmäßig mit Druck konfrontiert ist, hatte sich das allgemeine politische Klima in den Jahren 2015 und 2016 insgesamt etwas verbessert. Die außenpolitischen Beziehungen zur Europäischen Union und zu den Vereinigten Staaten hatten sich deutlich entspannt (FH 29.3.2017). Lukaschenko griff nach 2014 sogar die weißrussische Nationalkultur auf, die er zuvor verschmäht hatte (BAKS 11.2017). Im Oktober 2015 entschied die EU, die bestehenden Sanktionen gegen Belarus zunächst zu suspendieren; im Februar 2016 wurden die Sanktionen durch Ratsbeschluss weitgehend aufgehoben (AA 5.7.2019). Allerdings hat sich im Zuge massiver Proteste gegen einen Gesetzesvorschlag im März 2017 ("Antiparasitismus"-Steuer) gezeigt, dass die Regierung zumindest zwischenzeitlich zu ihren Praktiken der Massenverhaftungen und gefälschten Anschuldigungen zurückgekehrt ist (UN 22.9.2017). Die Massenproteste gegen die Einführung der Steuer waren 2017 brutal unterdrückt worden. Im Jahr 2018 hat die Regierung diesen Plan zur Besteuerung von Arbeitslosen wiederbelebt, indem sie ab 2019 die volle Zahlung für Wohnungs- und Versorgungsleistungen vorschreibt (FH 4.3.2020).

Im Jahr 2019 agierte die Regierung Weißrusslands wieder deutlich repressiver, drängte liberale Tendenzen wieder zurück und verstärkte ihre Kontrolle über die Gesellschaft wieder (FH 4.3.2020; vergleiche Carnegie 20.8.2019). Im Jänner 2020 wurde ein Abkommen zur erleichterten Erlangung von Visa zwischen der EU und Belarus unterzeichnet. Im Mai 2020 wurde es vom Rat der EU beschlossen, das voraussichtlich am 1.7.2020 in Kraft tritt (Rat der EU 27.5.2020; vergleiche Belta 8.1.2020).

Traditionell ist Belarus politisch und wirtschaftlich eng mit Russland verflochten. Nichtsdestotrotz verfolgt Minsk eine dezidiert multivektorielle Außenpolitik, die den eigenen politischen und wirtschaftlichen Handlungsspielraum vergrößern soll (AA 2.3.2020b; vergleiche BAKS 11.2017). Seit 2014 haben die geopolitischen Spannungen die russisch-weißrussischen Meinungsverschiedenheiten über Gleichberechtigung/Augenhöhe und wirtschaftliche Integration verschärft (ECFR 21.1.2020). Inzwischen gehört Minsk zu Moskaus schwierigsten postsowjetischen Partnern. Seit Jahren ändert Lukaschenko schleichend seinen prorussischen Kurs. Schlüsselmoment dafür war die Annexion der Krim, die Weißrussland bis heute nicht als russisches Territorium anerkennt (WeltN24 18.11.2017 und 11.2.2015, vergleiche CoE 6.6.2017). Weißrussland und Russland befinden sich derzeit in einem komplizierten Dialog über ihre Integration (Carnegie 20.8.2019). Ende 2018 schlug Russland vor, Belarus müsse eine tiefere bilaterale Integration akzeptieren, wenn es von einer stärkeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit profitieren wolle. Die Seiten führten während des gesamten Jahres 2019 intensive Gespräche, es wurde jedoch keine Einigung erzielt. Es wurden keine bedeutenden neuen Abkommen unterzeichnet und die Öl- und Gasverträge für das Jahr 2020 wurden nicht verlängert. Daraufhin stoppte Russland seine regelmäßigen Rohöl- und Gaslieferungen an Belarus, wodurch die Spannungen eskalierten (ECFR 21.1.2020). Im Dezember 2019 war es zu mehreren Demonstrationen gegen eine tiefere Integration zwischen Russland und Belarus gekommen (RFE/RL 21.12.2019).

Quellen:

●             AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020a): Belarus: Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node/steckbrief/201902, Zugriff 15.6.2020

●             AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020b): Belarus: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node/portrait/202924, Zugriff 15.6.2020

●             AA – Auswärtiges Amt (5.7.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus (Stand: April 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014268/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Belarus_%28Stand_April_2019%29%2C_05.07.2019.pdf, Zugriff 12.6.2020

●             März 2017; Außenbeziehungen, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1497354295_the-situation-in-belarus.pdf, Zugriff 15.6.2020

●             DW – Deutsche Welle (1.6.2020): Belarus' Lukashenko outlaws protests, arrests opponents, https://www.dw.com/en/belarus-lukashenko-outlaws-protests-arrests-opponents/a-53651863, Zugriff 15.6.2020

●             ECFR – European Council on Foreign Relations (21.1.2020): Unsettled union: The future of the Belarus-Russia relationship, https://www.ecfr.eu/article/commentary_unsettled_union_the_future_of_the_belarus_russia_relationship, Zugriff 15.6.2020

●             FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030831.html, Zugriff 15.6.2020

●             OSZE/ODIHR – Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Office for Democratic Institutions and Human Rights (4.3.2020): Republic of Belarus, Early Parliamentary Elections, 17 November 2019, ODIHR Election Observation Mission, Final Report, https://www.osce.org/files/f/documents/6/4/447583.pdf, Zugriff 15.6.2020

●             Rat der Europäischen Union (27.5.2020): Belarus: EU concludes agreements on visa facilitation and readmission, https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2020/05/27/belarus-eu-concludes-agreements-on-visa-facilitation-and-readmission/, Zugriff 19.6.2020

●             RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (11.9.2016): Opposition Figures Win Seats In Belarusian Parliament, https://www.rferl.org/a/27980719.html, Zugriff 15.6.2020

●             RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (25.5.2020): Belarusians Protest Against Lukashenka's Run For Sixth Term As President, https://www.rferl.org/a/belarus-protests-politcs/30632716.html, Zugriff 15.6.2020

●             RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (21.12.2019): More Protests In Minsk Against Closer Integration Between Belarus, Russia, https://www.rferl.org/a/more-protests-in-minsk-against-closer-integration-between-belarus-russia/30337472.html, Zugriff 15.6.2020

●             RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (15.6.2020): Belarus Jails Several Opposition Figures In Widening Clampdown Ahead Of Election, https://www.rferl.org/a/belarus-opposition-jail-election-/30672474.html, Zugriff 19.6.2020

●             RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (20.6.2020): More Than 100 Opposition Supporters Detained In Belarus After Lukashenka Says He Stopped 'Revolution', https://www.rferl.org/a/belarus-100-opposition-supporters-detained-lukashenka-stopped-revolution-/30681719.html, Zugriff 22.6.2020

●             UN General Assembly (22.9.2017): Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Belarus, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1508760889_n1729738.pdf, Zugriff 15.6.2020

●             WeltN24 (18.11.2017): Putins widerpenstiger Bruder, https://www.welt.de/politik/ausland/article170709919/Putins-widerspenstiger-Bruder.html, Zugriff 15.6.2020

●             WeltN24 (11.2.2015): Kämpfen, auch wenn der Gegner Putin heißt, https://www.welt.de/politik/ausland/article137355346/Kaempfen-auch-wenn-der-Gegner-Putin-heisst.html, Zugriff 15.6.2020

●             Zeit Online (4.6.2020): Präsident Lukaschenko löst Regierung auf, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-06/alexander-lukaschenko-belarus-praesidentschaftswahl-regierung-aufloesung, Zugriff 15.6.2020

Sicherheitslage

Das Land kann als stabil bezeichnet werden (EDA 12.6.2020). Die innenpolitische Lage in Belarus ist ruhig. Die Kriminalitätsrate ist niedrig (AA 12.6.2020).

Quellen:

●             AA – Auswärtiges Amt (12.6.2020): Belarus: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node/belarussicherheit/201904, Zugriff 12.6.2020

●             EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (12.6.2020): Reisehinweise für Belarus, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/belarus/reisehinweise-fuerbelarus.html, Zugriff 12.6.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in Weißrussland große Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz. Die Verfassung sieht zwar eine unabhängige Justiz vor, aber die Behörden respektieren ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht (USDOS 11.3.2020). Von einer Gewaltenteilung kann nicht gesprochen werden. Dekrete des Präsidenten – sogar seine mündlichen Äußerungen – gehen in der Verfassungswirklichkeit Gesetzen vor und werden mit breitem inhaltlichem Regelungsanspruch verabschiedet. Die Regierung (Ministerrat) hat ihre Entscheidungsmöglichkeiten in wichtigen Fragen weitgehend an das Präsidialamt verloren und fungiert nicht als eigenständiges Machtzentrum. Darüber hinaus werden regelmäßig Minister ersetzt. Das Oberste Gericht und das Verfassungsgericht sind nicht unabhängig. Alle Richterernennungen, darunter die obersten Richter, erfolgen grundsätzlich per Präsidialerlass. Lukaschenko lässt sich über laufende Verfahren informieren und trifft Prozessentscheidungen in Fällen, die für ihn für Bedeutung sind (AA 5.7.2019).

Das weißrussische Justizsystem besteht aus dem Verfassungsgericht und einem System von Gerichten der allgemeinen Gerichtsbarkeit. Das Oberste Gericht ist das höchste Gericht der allgemeinen Gerichtsbarkeit und behandelt zivil-, straf-, verwaltungs- und wirtschaftsrechtliche Fälle (BS 2020). Die Gerichte sind dem Präsidenten untergeordnet (FH 4.3.2020) bzw. nahezu vollständig von ihm abhängig. Das Verfassungsgericht kann nur dann tätig werden, wenn es vom Präsidenten, den Kammern des Parlaments, dem Ministerrat oder dem Obersten Gerichtshof angerufen wird (BS 2020). Das Recht auf einen fairen Prozess wird in Fällen mit politischem Hintergrund nicht respektiert (FH 4.3.2020). Vertreter der Exekutive auf regionaler und nationaler Ebene intervenieren in Verfahren und nehmen sogar Einfluss auf Urteile, wenn die Fälle für die Behörden von wirtschaftlicher, politischer oder sozialer Bedeutung sind (BS 2020).

Abweichend von internationalen Normen liegt die Befugnis, die Untersuchungshaft zu verlängern, bei einem Staatsanwalt und nicht bei einem Richter. Das Fehlen einer unabhängigen Aufsicht ermöglicht es der Polizei, routinemäßig und massiv gegen rechtliche Verfahren zu verstoßen. Die Regierung greift regelmäßig Rechtsanwälte an, die oft die einzige Verbindung zwischen inhaftierten Aktivisten und deren Familien und der Gesellschaft bleiben (FH 4.3.2020). Während des Jahres 2019 wurden keine Repressions- oder Vergeltungsmaßnahmen gegen Rechtsanwälte gemeldet (USDOS 11.3.2020).

Korruption, Ineffizienz und politische Einmischung in Gerichtsentscheidungen sind weit verbreitet. Gerichte verurteilen Personen aufgrund falscher und politisch motivierter Anklagen. Beobachtern zufolge diktieren hohe Regierungsvertreter und Behörden die Urteile. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass Staatsanwälte zu viel Macht haben. Auch ist zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ein Machtgefälle gegeben. Verteidiger können Ermittlungsakten nicht einsehen, bei Verhören nicht anwesend sein oder Beweise gegen Angeklagte nicht prüfen, bis ein Staatsanwalt den Fall förmlich vor Gericht gebracht hat. Das alles gilt besonders für Fälle mit einem politischen Hintergrund. Rechtsanwälte unterstehen dem Justizministerium und müssen ihre Lizenz alle fünf Jahre erneuern lassen. Das Gesetz sieht das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren vor, aber die Behörden missachten dieses Recht gelegentlich. Laut Gesetz gilt die Unschuldsvermutung. Der Mangel an richterlicher Unabhängigkeit, Vorverurteilung durch die staatlichen Medien und weit verbreitete Einschränkungen der Verteidigungsrechte bringen es aber mit sich, dass es tatsächlich häufig dem Angeklagten obliegt, seine Unschuld zu beweisen. Obwohl die Gesetze öffentliche Verfahren garantieren, wird die Öffentlichkeit gelegentlich ausgeschlossen. Die Rechte der Verteidigung werden nicht in vollem Maße respektiert. Auch das Recht des Angeklagten auf Durchführung des Prozesses in weißrussischer Sprache und auf freie Wahl des Verteidigers wird immer wieder eingeschränkt. NGO-Anwälte dürfen etwa nur Mitglieder ihrer NGO vertreten. Anwälte, die politisch heikle Fälle übernehmen, erhalten regelmäßig Berufsverbote. Auch müssen Verteidiger häufig Geheimhaltungsvereinbarungen unterschreiben, die es erschweren, Informationen über das Verfahren nach außen dringen zu lassen. Das Beschwerderecht gegen Gerichtsentscheidungen wird von den meisten Verurteilten genutzt; trotzdem werden Urteile in der Mehrheit der Fälle bestätigt (USDOS 11.3.2020).

Das Strafrecht – und auch die Praxis der Strafzumessung – dient vorwiegend der Abschreckung. Aufgrund rechtsstaatlicher Defizite werden Strafprozesse auch genutzt, um selektiv unliebsame Unternehmer oder Funktionsträger aufgrund von angeblicher Steuerhinterziehung oder Korruption zu belangen. Vertreter der politischen Opposition und Aktivisten erhalten regelmäßig Geldstrafen, teils auch Arrest von fünf, selten bis 15, Tagen. Staatliche Einschüchterungsversuche gegenüber Angehörigen von Oppositionellen oder sonstigen Personen, die ihnen nahestehen, werden selten praktiziert. Es gab 2018 und 2019 wenige Fälle, in denen Angehörige besonders exponierter und wiederholt tätiger Aktivisten und Oppositionspolitiker mittels Hausdurchsuchungen und Vorladungen zu Verhören schikaniert worden sind. Drogendelikte werden unverhältnismäßig hart geahndet (AA 5.7.2019).

Quellen:

●             AA – Auswärtiges Amt (5.7.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus (Stand: April 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014268/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Belarus_%28Stand_April_2019%29%2C_05.07.2019.pdf, Zugriff 12.6.2020

●             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): Country Report, Belarus 2020, https://www.bti-project.org/en/reports/country-report-BLR-2020.html#pos5, Zugriff 16.6.2020

●             FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030831.html, Zugriff 15.6.2020

●             USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026418.html, Zugriff 16.6.2020

Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden wie das Innenministerium, das Komitee für Staatssicherheit (KGB) und das Ermittlungskomitee, unterliegen keiner effektiven unabhängigen (parlamentarischen oder sonstigen) Kontrolle. Sie unterstehen unmittelbar dem Präsidenten. Die Sicherheitsorgane werden für die gezielte Einschüchterung politischer Gegner - vor allem bei nicht genehmigten Demonstrationen oder bei freier Meinungsäußerung im Internet - eingesetzt. Der Sicherheitsdienst KGB hat polizeiliche Befugnisse. Die Justiz trägt nicht zur Mäßigung der Sicherheitsorgane bei, vielmehr wird das Rechtssystem zur staatlich geleiteten Repression und Einschüchterung genutzt. Die Streitkräfte sind grundsätzlich nicht mit polizeilichen Aufgaben betraut (AA 5.7.2019).

Präsident Lukaschenko ist befugt, alle Sicherheitsorgane seinem persönlichen Kommando zu unterstellen, und er übt die effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte aus. Die Polizei untersteht dem Innenministerium. Der KGB, die Abteilung für Finanzuntersuchungen des Staatlichen Kontrollkomitees, das Untersuchungskomitee und die präsidentiellen Sicherheitsdienste üben ebenfalls Polizeifunktionen aus. Die Behörden auf allen Ebenen agieren oft ungestraft und unterlassen es, Schritte zur Verfolgung oder Bestrafung von Regierungsbeamten oder Sicherheitskräften zu unternehmen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

●             AA – Auswärtiges Amt (5.7.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus (Stand: April 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014268/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Belarus_%28Stand_April_2019%29%2C_05.07.2019.pdf, Zugriff 12.6.2020

●             USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026418.html, Zugriff 12.6.2020

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung von 1996 verbietet Folter und andere Arten unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Menschenrechtsaktivisten und Anwälte sowie unabhängige weißrussische Medien berichteten demgegenüber mehrfach, dass Untersuchungsbehörden durch psychischen Druck versuchen, Geständnisse zu erzwingen. Bei Festnahmen und Vernehmungen durch die Miliz kommt es mitunter zu körperlichen Übergriffen. Die dafür Verantwortlichen innerhalb der Sicherheitskräfte müssen kaum mit Strafverfolgung rechnen (AA 5.7.2019). Inhaftierte werden von Mitarbeitern der Staatssicherheit (KGB), der Bereitschaftspolizei und anderer Sicherheitskräfte, die oft in zivil auftreten, gelegentlich geschlagen (USDOS 11.3.2020), Menschenrechtsgruppen dokumentieren weiterhin Fälle von Schlägen, Folter und Unterdrucksetzung während der Haft (FH 4.3.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020). Menschenrechtsverteidiger, Oppositionsführer und Aktivisten, die aus Haftanstalten entlassen wurden, berichteten weiterhin von Misshandlung und anderen Formen körperlichen und psychischen Missbrauchs von Verdächtigen während strafrechtlicher und administrativer Ermittlungen. Es gibt zwar Berichte über Schikanen von Wehrpflichtigen in der Armee, darunter physischer und psychischer Missbrauch; die Zahl der Fälle geht jedoch zurück, da die Regierung die Täter strafrechtlich verfolgt. Es gab Berichten zufolge diesbezüglich keine Todesfälle. Im Jahr 2019 gab es keine Berichte über willkürliche oder ungesetzliche Tötungen (USDOS 11.3.2020).

In einem Bericht des UN-Anti-Folter-Komitees wird Folter in Weißrussland als „weitverbreitet“ beschrieben. Das Komitee kritisiert auch den Einsatz von psychiatrischer Einweisung aufgrund nicht-medizinischer Gründe (BS 2020).

Quellen:

●             AA – Auswärtiges Amt (5.7.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus (Stand: April 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014268/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Belarus_%28Stand_April_2019%29%2C_05.07.2019.pdf, Zugriff 12.6.2020

●             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): Country Report, Belarus 2020, https://www.bti-project.org/en/reports/country-report-BLR-2020.html#pos5, Zugriff 16.6.2020

●             FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030831.html, Zugriff 15.6.2020

●             USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026418.html, Zugriff 12.6.2020

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Die Vereinigungsfreiheit ist stark eingeschränkt (FH 4.3.2020). Alle NGOs, politischen Parteien und Gewerkschaften müssen die Genehmigung des Justizministeriums erhalten, um registriert zu werden. Eine Regierungskommission prüft und genehmigt alle Registrierungsanträge; sie stützt ihre Entscheidungen weitgehend auf die politische und ideologische Vereinbarkeit mit den offiziellen Ansichten und Praktiken (USDOS 11.3.2020). Menschenrechtsorganisationen sind Behinderungen ausgesetzt, z.B. mittels Verweigerung der Registrierung als NGO durch das Justizministerium oder durch Vorladungen zu Verhören. Zu den Behinderungen zählen außerdem staatliche Kontrolle und Überwachung, Nicht-Genehmigung von Aktivitäten, und die Erschwernis der Einholung von Gebermitteln. Dennoch gehen viele NGOs ihrer Arbeit nach, auch nicht genehmigte Organisationen wie Viasna (AA 5.7.2019). Die Registrierung von Organisationen ist nach wie vor selektiv und die Vorschriften verbieten ausländische Hilfe für Einrichtungen und Einzelpersonen, von denen angenommen wird, dass sie die Einmischung von Ausländern in innere Angelegenheiten fördern. Einige wenige Menschenrechtsgruppen sind nach wie vor aktiv, aber Mitarbeiter und Unterstützer riskieren Strafverfolgung und Geldstrafen (FH 4.3.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020). Aktivisten, die ihre Bürgerrechte wahrnehmen, indem sie sich für innen-, außen- oder umweltpolitische Anliegen einsetzen, die nicht mit der Politik des Staates übereinstimmen und Aktionen auch ohne Genehmigung durchführen, unterliegen Repressionen oder zumindest erheblichen Nachteilen. So sind z.B. Fälle von Entlassung aus staatlichen Betrieben, Krankenhäusern und Exmatrikulation aus Universitäten bekannt (AA 5.7.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020).

Der aufgehobene Artikel 193.1 des Strafgesetzbuches, der die Teilnahme an den Aktivitäten einer nicht registrierten Organisation unter Strafe stellte, wurde im Juli 2019 durch Artikel 23.88 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ersetzt, der der Polizei die Befugnis gibt, "Straftäter" ohne gerichtliche Überprüfung mit einer Geldstrafe von bis zu ungefähr 1.275 weißrussischen Rubel (615 US-Dollar) zu belegen (AI 16.4.2020; vergleiche FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020, HRW 14.1.2020).

Die Behörden können eine NGO schließen, nachdem sie nur eine einzige Verwarnung wegen einem Gesetzesverstoß ausgesprochen haben. Die häufigsten Vorwände für eine Verwarnung oder Schließung, sind das Versäumnis, eine offizielle Adresse vorzuweisen und technische Unstimmigkeiten in den Antragsunterlagen. Die Regierung verweigert einigen NGOs und politischen Parteien unter verschiedenen Vorwänden weiterhin die Registrierung (USDOS 11.3.2020) bzw. registriert NGOs aus willkürlichen Gründen nicht (AI 16.4.2020; vergleiche HRW 14.1.2020).

Quellen:

●             AA – Auswärtiges Amt (5.7.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus (Stand: April 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014268/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Belarus_%28Stand_April_2019%29%2C_05.07.2019.pdf, Zugriff 12.6.2020

●             AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Eastern Europe and Central Asia - Review of 2019 - Belarus [EUR 01/1355/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2028165.html, Zugriff 16.6.2020

●             FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030831.html, Zugriff 15.6.2020

●             HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022729.html, Zugriff 16.6.2020

●             USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026418.html, Zugriff 12.6.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Belarus ist ein autoritärer Staat. Seit seiner Wahl zum Präsidenten 1994 verstärkte Lukaschenko seine Macht über alle Institutionen und untergrub die Rechtsstaatlichkeit mit autoritären Mitteln (USDOS 11.3.2020). In Belarus gibt es weder ein Menschenrechtsinstitut, noch eine Menschenrechtskommission oder eine Ombudsperson für Menschenrechte. Die Republik Belarus ist kein Mitglied des UN-Menschenrechtsrats (UN-MRR) und ist kein Mitglied des Europarats. Einer Mitgliedschaft im Europarat steht die Anwendung der Todesstrafe entgegen. Aus diesem Grund hat Belarus auch nicht die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 gezeichnet. Belarus bemüht sich allerdings um einen Beitritt zu einzelnen Konventionen des Europarats. Das Informationsbüro des Europarats in Minsk setzt sich für Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit, für die Einhaltung der Menschenrechte und für Pressefreiheit in Belarus ein. 2012 wurde das Mandat des Sonderberichterstatters des UN-MRR zur Lage der Menschenrechte in Belarus geschaffen. Seither wurde das Mandat jährlich durch eine von der EU eingebrachten Resolution verlängert (AA 5.7.2019). Belarus erkennt das Mandat des Sonderberichterstatters nicht an und lehnt die Kooperation mit der Amtsinhaberin ab (AA 5.7.2019; vergleiche HRW 14.1.2020). In ihrem ersten Bericht an den UN-Menschenrechtsrat im Mai 2019 sprach die Sonderberichterstatterin von der „zyklischen“ und „systemischen“ Natur der Menschenrechtsverletzungen in Belarus (HRW 14.1.2020). In einem Bericht zur Menschenrechtslage im Zeitraum 2013 bis 2018 spricht Amnesty International von der Verletzung grundlegender Menschenrechte durch die Behörden, darunter die Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit sowie das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person. Der gesetzliche Rahmen erlaubt den Behörden außerdem eine weitreichende Überwachung der Bevölkerung ohne oder mit nur geringer Rechtfertigung (BS 2020).

Belarus blieb mit drei Todesurteilen und der Hinrichtung von mindestens drei Gefangenen der einzige Anwender der Todesstrafe in Europa und der ehemaligen Sowjetregion. Gesetzesänderungen, die auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung abzielen, schränken insbesondere Online- und Medienaktivitäten und das Recht auf Protest weiter ein. Es gibt Berichte über Hunderte Kinder und Jugendliche, die lange Gefängnisstrafen für kleinere Drogendelikte verbüßen. Gefährdete Gruppen, darunter Roma und LBGT-Personen, sind weiterhin dem Risiko der Diskriminierung ausgesetzt. Belarus schiebt weiterhin ausländische Staatsbürger in Länder ab, in denen ihnen ernsthafte Menschenrechtsverletzungen, darunter auch Folter und Misshandlungen, drohen. Es wurden in diesem Bereich jedoch einige positive Schritte unternommen (AI 16.4.2020). Meinungsfreiheit, Versammlungs-, Demonstrations- und Streikrecht sowie die Vereinigungsfreiheit werden beschränkt (AA 5.7.2019). Probleme im Bereich Menschenrechte sind unter anderem: willkürliche Verhaftung und Inhaftierung, lebensbedrohliche Haftbedingungen, willkürliche oder unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; Inhaftierung von Journalisten; Einschränkungen der politischen Partizipation, einschließlich des anhaltenden Versäumnisses, Wahlen nach internationalen Standards durchzuführen; sowie Korruption in allen Bereichen der Regierung (USDOS 11.3.2020). Behörden bleiben oft ungestraft und unterlassen es, Schritte zur Verfolgung oder Bestrafung von Regierungsbeamten oder Sicherheitskräften zu unternehmen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben (USDOS 11.3.2020).

In einem Bericht der UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Belarus von 2019 heißt es, dass die Menschenrechtssituation stabil und ruhig scheine, sie jedoch grundlegend sehr schlecht sei, mit keinen signifikanten Verbesserungen. Da Belarus ihr Mandat nicht anerkennt, konnte die UN-Sonderberichterstatterin das Land nicht besuchen (UN 2.7.2019).

Quellen:

●             AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Eastern Europe and Central Asia - Review of 2019 - Belarus [EUR 01/1355/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2028165.html, Zugriff 18.6.2020

●             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): Country Report, Belarus 2020, https://www.bti-project.org/en/reports/country-report-BLR-2020.html#pos5, Zugriff 16.6.2020

●             HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022729.html, Zugriff 18.6.2020

●             UN – UN Office of the High Commissioner of Human Rights (2.7.2019): Belarus: Violations of human rights and fundamental freedoms continue, both in law and practice, says UN exper, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=24771&LangID=E, Zugriff 18.6.2020

●             USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026418.html, Zugriff 12.6.2020

Meinungs- und Pressefreiheit

Die Verfassung sieht Meinungs- und Pressefreiheit vor. Die Regierung respektiert diese Rechte jedoch nicht (USDOS 11.3.2020; vergleiche AA 7.5.2019, AI 16.4.2020) und setzte zahlreiche Gesetze zur Kontrolle und Zensur der Öffentlichkeit und der Medien durch. Darüber hinaus propagiert die staatliche Presse Ansichten zur Unterstützung des Präsidenten und der offiziellen Politik, ohne Raum für kritische Stimmen zu lassen (USDOS 11.3.2020). Regierungskritiker sehen sich Schikanen und anderen Repressalien seitens der Behörden ausgesetzt, u.a. durch Verwaltungs- und Strafverfahren (AI 16.4.2020). Die Regierung übt fast vollständige Kontrolle über die Mainstream-Medien aus. Das Mediengesetz 2008 sichert ein staatliches Monopol auf Informationen über politische, soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten. Verleumdung und üble Nachrede können sowohl zivil- als auch strafrechtlich geahndet werden und das Strafgesetzbuch enthält Bestimmungen zum Schutz der "Ehre und Würde" hochrangiger Beamter (FH 4.3.2020). Einzelpersonen können Präsident Lukaschenko und die Regierung nicht öffentlich kritisieren oder Themen von allgemeinem öffentlichen Interesse ohne Angst vor Repressalien diskutieren. Die Behörden nehmen politische Treffen auf Video auf, führen häufige Identitätskontrollen durch und benutzen andere Formen der Einschüchterung. Weiters untersagen sie das Anbringen von nicht registrierten oder oppositionellen Flaggen und Symbolen sowie das Anbringen von Plakaten mit Botschaften, die als Bedrohung für die Regierung oder die öffentliche Ordnung angesehen werden. Das Gesetz schränkt auch die Redefreiheit ein, indem Handlungen wie z.B. die Weitergabe von Informationen an Ausländer, die von den Behörden als falsch oder abwertend bezüglich der politischen, wirtschaftlichen, sozialen, militärischen oder internationalen Situation des Landes angesehen werden, kriminalisiert werden (USDOS 11.3.2020).

Staatliche Einschränkungen begrenzen den Zugang zu Informationen und führen häufig zu einer Selbstzensur der Medien (USDOS 11.3.2020). Die gelegentliche Diffamierung oppositioneller und zivilgesellschaftlicher Kräfte in staatlichen Medien besteht nach wie vor (AA 5.7.2019). In Fernsehen und Rundfunk wird nahezu ausschließlich die offizielle politische Linie propagiert, Privatradiosender dürfen ausschließlich unpolitische Unterhaltungsprogramme senden (AA 5.7.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020). Nur vor Wahlen wird Oppositionspolitikern begrenzter Raum für Auftritte in Debatten eingeräumt. Unabhängige Fernsehsender gibt es in Belarus nicht. Jedoch ist der Empfang von Satellitensendern über Kabelanbieter oder Direktempfang grundsätzlich möglich, auch „Radio Svaboda“ (Radio Free Europe) kann empfangen werden. Mit dem in Warschau ansässigen Sender BelSat existiert ein regimekritisches Programm in weißrussischer Sprache. Das ebenfalls von Polen mit EU-Unterstützung aus betriebene „European Radio for Belarus“ ist terrestrisch in den westlichen Regionen von Belarus zu empfangen. Es existiert eine auflagenschwache unabhängige bzw. nichtstaatliche Presse, die regelmäßig kritisch über die politische Führung des Landes berichtet. Unabhängige Printmedien stehen allerdings unter Druck, Verwarnungen des Informationsministeriums wegen inhaltlicher oder formaler Fragen zu vermeiden. Nach zwei Verwarnungen binnen Jahresfrist können Medien geschlossen werden, wozu es bisher nicht gekommen ist. Ferner kämpfen alle unabhängigen Zeitungen mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die v.a. mit dem generellen Rückgang an Lesern von Printmedien zusammenhängen, aber auch mit der Subventionierung staatlicher Medien. Zudem werden regelmäßig Journalisten aufgrund von Zusammenarbeit mit in Belarus nicht akkreditierten Medien wie BelSAT zu Geldstrafen verurteilt. Im Internet finden sich unabhängige und dezidiert regimekritische Webportale, auf die man frei zugreifen kann. Im August 2018 wurden die großen unabhängigen Internetportale tut.by und die Nachrichtenagentur BelaPAN, aber auch realty.by, ITV, Belorussy i Rynok, Culture and Art, mit Durchsuchung ihrer Redaktionsräume, Beschlagnahmung von technischer Ausstattung, Verhören von Journalisten und unverhältnismäßigen mehrtägigen Arresten von Journalisten eingeschüchtert (AA 5.7.2019). Es gibt nur wenige unabhängige Medien und viele sind gezwungen, sich im Ausland niederzulassen. Die Behörden schikanieren sie jedoch weiterhin, insbesondere das in Polen ansässige Belsat TV, wenn auch weniger als in der Vergangenheit. Die Zahl der Geldstrafen, denen sie oder ihre Reporter unterworfen wurden, ist 2019 gesunken. Publikationen, die zuvor verschont blieben, wie Tut.by und die Nachrichtenagentur BelaPAN, werden nun von den Behörden ins Visier genommen. Diejenigen, die toleriert werden, kämpfen ums Überleben, weil ihnen sowohl staatliche Subventionen als auch Werbung verweigert werden (RoG 2020). Diejenigen internationalen Medien, die weiterhin im Land tätig sind, sind mit Einmischung und Zensur konfrontiert (USDOS 11.3.2020).

Die Behörden schikanieren und verhaften weiterhin regelmäßig einheimische und ausländische Journalisten (USDOS 11.3.2020). Kritische Journalisten und Blogger werden bedroht und verhaftet (RoG 2020). Die meisten unabhängigen Journalisten arbeiten unter der Annahme, dass sie vom Komitee für Staatssicherheit (KGB) überwacht werden. Journalisten werden für ihre Arbeit auch mit Geldstrafen, Haft und strafrechtlicher Verfolgung belegt. Der Belarussische Journalistenverband zählte 44 Geldstrafen, die im Jahr 2019 gegen freiberufliche Journalisten verhängt wurden (FH 4.3.2020). Das Mediengesetz schreibt vor, dass Journalisten, die für außerhalb von Belarus registrierte Medienunternehmen arbeiten, sich beim Außenministerium akkreditieren lassen und einen offiziellen Arbeitsvertrag mit dem akkreditierten ausländischen Medienunternehmen haben müssen. Für Freiberufler ist eine Akkreditierung praktisch unmöglich. Die Behörden verweigern Journalisten, die für ausländische Medien arbeiten, oft willkürlich die Akkreditierung (HRW 14.1.2020). Die Behörden verhängten im Jahr 2019 weiterhin hohe Geldstrafen gegen freiberufliche Journalisten, die mit internationalen Medien zusammenarbeiten (AI 16.4.2020). Die Behörden blockierten für Medien regelmäßig den Zugang zu offiziellen Veranstaltungen (HRW 14.1.2020). Sicherheitskräfte behinderten z.B. kontinuierlich die Bemühungen unabhängiger Journalisten, über Demonstrationen und Proteste zu berichten (USDOS 11.3.2020).

Der einzige Internet-Provider ist im Besitz der Regierung; die Regierung kontrolliert das Internet mit rechtlichen und technischen Mitteln. Die offizielle Definition der Massenmedien umfasst auch Websites und Blogs und unterstellt sie der Aufsicht des Informationsministeriums (FH 4.3.2020). Seit dem 1.1.2019 gilt ein neues Mediengesetz, das Internetressourcen grundsätzlich den Druckerzeugnissen gleichstellt. Hauptkonsequenz ist, dass nun auch Internetseiten geschlossen und blockiert werden können. Die Voraussetzungen für eine Verwarnung sind im Mediengesetz sehr vage formuliert – verboten ist beispielsweise die „Verbreitung von Informationen, die den nationalen Interessen der Republik Belarus schaden können“ (AA 5.7.2019). Die Behörden überwachen den Internetverkehr, z.B. von Oppositionsaktivisten. Zwar sind Einzelpersonen, Gruppen und Publikationen im Allgemeinen in der Lage, sich über das Internet, einschließlich per E-Mail, an der Meinungsäußerung zu beteiligen; alle, die dies tun, riskieren mögliche rechtliche und persönliche Auswirkungen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

●             AA – Auswärtiges Amt (5.7.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus (Stand: April 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014268/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Belarus_%28Stand_April_2019%29%2C_05.07.2019.pdf, Zugriff 12.6.2020

●             AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Eastern Europe and Central Asia - Review of 2019 - Belarus [EUR 01/1355/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2028165.html, Zugriff 18.6.2020

●             FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030831.html, Zugriff 15.6.2020

●             HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022729.html, Zugriff 18.6.2020

●             RoG – Reporter Ohne Grenzen (2020): Belarus, https://rsf.org/en/belarus, Zugriff 18.6.2020

●             USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026418.html, Zugriff 12.6.2020

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Versammlungsfreiheit

Die Verfassung und das Gesetz über die Durchführung von Großveranstaltungen garantieren das Recht, sich im öffentlichen Raum zu versammeln. De jure und de facto wird dieses Recht aber durch staatliche Behörden und Anordnungen vielfach eingeschränkt (AA 5.7.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020, AI 16.4.2020, FH 4.3.2020).

Alle Versammlungen erfordern eine vorherige Ankündigung und die ausdrückliche Genehmigung der Behörden (AI 16.4.2020). Oft wird diese willkürlich verweigert (FH 4.3.2020). Die Behörden setzten eine Vielzahl von Mitteln ein, um die Organisatoren von Demonstrationen zu entmutigen, deren Wirkung zu minimieren und die Teilnehmer zu bestrafen. Nur registrierte politische Parteien, Gewerkschaften und NGOs können eine Demonstration von mehr als 1.000 Personen beantragen. Die Behörden lehnen in der Regel Anträge von unabhängigen und oppositionellen Gruppen ab. Das Gesetz bestraft die Teilnahme an nicht genehmigten Versammlungen. Die Behörden setzen oft Einschüchterungen ein, um Personen von der Teilnahme an Demonstrationen abzuhalten, und verhängten hohe Geldstrafen oder Gefängnisstrafen gegen Teilnehmer an nicht genehmigten Veranstaltungen (USDOS 11.3.2020; vergleiche AI 16.4.2020).

Im Januar 2019 traten Änderungen des Gesetzes über Massenveranstaltungen in Kraft, mit denen ein Anmeldeverfahren für die Organisation öffentlicher Versammlungen eingeführt wurde (HRW 14.1.2020). Demonstrationen auf zentralen Plätzen in Stadtzentren sind untersagt (AA 5.7.2019). Das Anmeldeverfahren wurde auf bestimmte, zuvor vorab genehmigte Gebiete ausgedehnt (typischerweise an abgelegenen Orten) (AI 16.4.2020), Anträge der Opposition für Demonstrationen außerhalb von Stadtzentren werden zum Teil genehmigt – bei politisch heiklen Anlässen kann es aber zu Verboten kommen (AA 5.7.2019). Hohe Gebühren, welche die Veranstalter von Kundgebungen für den obligatorischen Einsatz von Polizei, Sanitätern und Stadtreinigung seit 26.1.2019 zahlen müssen, sollen nicht-staatliche Kundgebungen generell erschweren (AA 5.7.2019; vergleiche AI 16.4.2020). Genehmigte Demonstrationen werden beobachtet und auch gefilmt (AA 5.7.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020). Anfang 2012 wurde per Gesetzesänderung eigens festgelegt, dass auch Menschenansammlungen ohne Losungen und Redner (im Sommer 2011 hatten Schweigedemonstrationen stattgefunden) genehmigungspflichtig sind (AA 5.7.2019).

Teilnehmer an nicht genehmigten Demonstrationen, Kranzniederlegungen oder Unterschriftenaktionen werden zu Geldstrafen, in wiederholten Fällen zu administrativen Arreststrafen (5 bis 15 Tage) verurteilt. Auch im Falle genehmigter Demonstrationen kann es zu präventiven vorübergehenden Festnahmen von exponierten oppositionellen Aktivisten oder zu willkürlichen Verhaftungen mit anschließenden kurzen Haftstrafen kommen (AA 5.7.2019).

Im Vorfeld der Parlamentswahlen im November 2019 wurden Dutzende Menschen, darunter auch Wahlkandidaten, wegen ihrer friedlichen Teilnahme an nicht genehmigten Protesten während des Parlamentswahlkampfes (AI 16.4.2020), sowie im Dezember 2019 wegen Protesten gegen eine mögliche Vertiefung der Integration mit Russland verurteilt oder mit Verwaltungsvorwürfen nach Artikel 23.34 belegt (AI 16.4.2020; vergleiche FH 4.3.2020). Eine nicht genehmigte Kundgebung der Opposition im März 2019 in Minsk wurde von den Behörden aufgelöst; 15 Personen wurden sofort festgenommen, zwei wurden über Nacht festgehalten. Die Regierung nutzte 2019 auch ihre Kontrolle über das Internet, um Proteste zu verhindern. Im Mai 2019 unterzeichnete Präsident Lukaschenko ein Dekret, das Webseiten, die zu "unautorisierten Protesten" aufrufen, verbietet. Dies geschah im Vorfeld der European Games, die im Juni 2019 in Weißrussland ausgetragen wurden (FH 4.3.2020). Im Juni 2020 wurden im Vorfeld der kommenden Präsidentschaftswahlen Demonstranten, Oppositionelle und Journalisten festgenommen (BBC 20.6.2020).

Quellen:

●             AA – Auswärtiges Amt (5.7.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus (Stand: April 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014268/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Belarus_%28Stand_April_2019%29%2C_05.07.2019.pdf, Zugriff 12.6.2020

●             AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Eastern Europe and Central Asia - Review of 2019 - Belarus [EUR 01/1355/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2028165.html, Zugriff 16.6.2020

●             BBC News (20.6.2020): Belarus opposition protests end in arrests, https://www.bbc.com/news/world-europe-53115921, Zugriff 22.6.2020

●             FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030831.html, Zugriff 15.6.2020

●             HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022729.html, Zugriff 18.6.2020

●             USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026418.html, Zugriff 16.6.2020

Vereinigungsfreiheit

Das Gesetz sieht zwar Vereinigungsfreiheit vor, die Regierung schränkt diese jedoch ein. Die Regierung schränkt durch Gesetze und Bestimmungen selektiv die Tätigkeit unabhängiger Vereinigungen ein, die sie kritisieren könnten. Alle NGOs, politischen Parteien und Gewerkschaften müssen die Genehmigung des Justizministeriums erhalten, um registriert zu werden. Eine Regierungskommission prüft und genehmigt alle Registrierungsanträge; sie stützt ihre Entscheidungen weitgehend auf die politische und ideologische Vereinbarkeit mit den offiziellen Ansichten und Praktiken (USDOS 11.3.2020). Die Behörden verweigern unabhängigen Gruppen und Oppositionsparteien unter willkürlichen Vorwänden weiterhin die Registrierung (HRW 14.1.2020; vergleiche FH 4.3.2020), und die Vorschriften verbieten ausländische Hilfe für Einrichtungen und Einzelpersonen, von denen angenommen wird, dass sie die Einmischung von Ausländern in innere Angelegenheiten fördern (FH 4.3.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020).

Die Beteiligung an nicht registrierten oder aufgelösten Organisationen, die 2005 kriminalisiert worden war, steht seit 2018 nicht mehr unter Strafe. Stattdessen wurden im Strafgesetzbuch hohe Geldstrafen eingeführt (FH 4.3.2020). Der aufgehobene Artikel 193.1 des Strafgesetzbuches wurde durch Artikel 23.88 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ersetzt, der der Polizei die Befugnis gibt, "Straftäter" ohne gerichtliche Überprüfung mit einer Geldstrafe von bis zu ungefähr 1.275 weißrussischen Rubeln (615 US-Dollar) zu belegen (AI 16.4.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020, HRW 14.1.2020). Zuvor konnten hohe Geldstrafen sowie Haftstrafen von bis zu zwei Jahren verhängt werden (USDOS 11.3.2020).

Gesetze und Vorschriften für öffentliche Vereinigungen bleiben restriktiv und hindern Menschenrechtsgruppen oder politische Oppositionsbewegungen daran, frei zu agieren (HRW 14.1.2020). Die Behörden schikanieren zum Beispiel weiterhin die unabhängige und nicht registrierte Union der Polen von Belarus und ihre Mitglieder und unterstützen gleichzeitig eine regierungsnahe Organisation mit ähnlichem Namen (USDOS 11.3.2020). Die Behörden können eine NGO schließen, nachdem sie nur eine einzige Verwarnung wegen Gesetzesverstößen ausgesprochen haben. Die häufigsten Vorwände für eine Verwarnung oder Schließung, sind das Versäumnis, eine offizielle Adresse vorzuweisen und technische Unstimmigkeiten in den Antragsunterlagen. Die Regierung verweigert einigen NGOs und politischen Parteien unter verschiedenen Vorwänden weiterhin die Registrierung (USDOS 11.3.2020) bzw. registriert NGOs aus willkürlichen Gründen nicht (AI 16.4.2020; vergleiche HRW 14.1.2020). Unabhängige Gewerkschaften sind Schikanen ausgesetzt, ihre Vorsitzenden werden wegen der Beteiligung an friedlichen Protesten häufig entlassen und strafrechtlich verfolgt. Seit 1999, als Präsident Lukaschenko per Erlass äußerst restriktive Zulassungsbedingungen festlegte, wurden keine unabhängigen Gewerkschaften mehr registriert (FH 4.3.2020).

Quellen:

●             AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Eastern Europe and Central Asia - Review of 2019 - Belarus [EUR 01/1355/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2028165.html, Zugriff 16.6.2020

●             FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030831.html, Zugriff 15.6.2020

●             HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022729.html, Zugriff 18.6.2020

●             USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026418.html, Zugriff 16.6.2020

Haftbedingungen

Laut des deutschen Auswärtigen Amtes entsprechen die Haftbedingungen teilweise dem auf europäischer Ebene verankerten Mindeststandard, teilweise bestehen erhebliche Defizite. Nach Angaben des weißrussischen Innenministeriums befanden sich zum 1.1.2019 ca. 32.600 Personen in Strafvollzugsanstalten (Rückgang um 5% im Vergleich zum Vorjahr), davon ca. 5.400 Personen in Untersuchungshaft. Maximal dürfen Personen 1,5 Jahre in einem Untersuchungsgefängnis untergebracht sein. Die Zeit in Untersuchungshaft wird auf eine Haftstrafe angerechnet. Bei Freispruch wird auf Antrag eine geringe Entschädigung pro Tag gezahlt. Die Zellenbelegung ist in einzelnen Haftanstalten unterschiedlich. In Untersuchungshaft werden zwei bis ca. 20 Personen pro Raum untergebracht. Im Strafvollzug (v. a. in den Haftanstalten mit verpflichtender Arbeit) gibt es Schlafsäle mit einer Belegung von 60, 80 oder 100 Häftlingen. Es gibt Betten mit Matratze, Kissen und Decke. Es gibt einmal pro Woche eine Möglichkeit zum Duschen (warmes Wasser vorhanden). In Räumen, in denen keine Toilette vorhanden ist, werden Insassen zweimal am Tag zur Toilette geführt; in der Zwischenzeit steht lediglich ein Eimer im Raum zur Verfügung. Einige Räume sind mit Toilette ohne Sichtschutz ausgestattet. Es gibt eine Stunde pro Tag Ausgangsmöglichkeit in einem ummauerten Bereich unter freiem Himmel. Raucher und Nichtraucher werden zusammen untergebracht. Die Ernährung ist einfach. Oft fehlt es an vitaminreicher Kost. Zukäufe durch die Inhaftierten oder eine Versorgung durch Angehörige ist grundsätzlich möglich. Dies hängt jedoch davon ab, in welchem Regime der Haftbedingungen sich der jeweilige Inhaftierte befindet. Einige Gefangene müssen ihre Haft, in der Regel nach Verstößen gegen die Gefängnisordnung, teilweise in Isolation verbringen. Der Kontakt zu Anwälten und Familienangehörigen kann während der Untersuchungshaft und Haft eingeschränkt oder zeitweilig verwehrt werden. Obwohl in den letzten Jahren Anstrengungen zur Verbesserung der Gesundheitsfürsorge unternommen wurden, ist in der Regel nur eine medizinische Grundversorgung gewährleistet. Das Krankenhaus für Strafvollzugsanstalten wurde vor einigen Jahren geschlossen; die einzelnen Abteilungen des Krankenhauses sind seitdem auf Haftanstalten in ganz Belarus verteilt worden. Bei Bedarf wird auf zivile Krankenhäuser ausgewichen bzw. werden zivile Ärzte hinzugeholt. Die Behandlungen sind für weißrussische Staatsangehörige kostenlos; Ausländer dagegen müssen, falls sie nicht im Besitz einer für Belarus gültigen Krankenversicherung sind, die Kosten selbst tragen. Bei der Prävention und Bekämpfung von Tuberkulosefällen konnte in den Haftanstalten eine nachweisliche Verbesserung der vorher teilweise dramatischen Situation erreicht werden. Dabei kamen auch Mittel von UNDP zum Einsatz. Es gibt eine Haftanstalt eigens für offene Tuberkulosefälle (AA 5.7.2019).

Die Bedingungen in den weißrussischen Gefängnissen sind mangelhaft und stellen in vielen Fällen eine Bedrohung für Leben und Gesundheit dar. Laut lokalen Aktivisten und Menschenrechtsanwälten herrscht Mangel an Nahrungsmitteln, Medikamenten, warmer Kleidung und Bettwäsche sowie unzureichender Zugang zu medizinischer Grund- und Notfallversorgung sowie sauberem Trinkwasser. Die allgemeinen Hygienebedingungen sind schlecht. Die Gefangenen klagen häufig über Unterernährung und minderwertige Bekleidung und Bettwäsche. Die Überbelegung der Untersuchungshaftanstalten und der Gefängnisse allgemein ist ein Problem, obwohl das Amnestiegesetz vom 20. Juli 2019 die Haftstrafen von mindestens 2.000 Gefangenen verkürzte und sie frei ließ. Beobachter vermuten, dass Tuberkulose, Lungenentzündung, HIV/AIDS und andere übertragbare Krankheiten in Gefängnissen aufgrund der allgemein schlechten medizinischen Versorgung weit verbreitet sind (USDOS 11.3.2020).

Trotz vereinzelter Berichte, wonach die Polizei minderjährige Verdächtige gemeinsam mit erwachsenen Verdächtigen und Verurteilten unterbringt, halten die Behörden jugendliche Gefangene in der Regel getrennt von Erwachsenen in jugendlichen Strafkolonien, Haftanstalten und Untersuchungshaftanstalten fest. Generell sind die Bedingungen für weibliche und jugendliche Häftlinge etwas besser als für männliche Häftlinge (USDOS 11.3.2020). Im Jahr 2019 tauchten jedoch glaubwürdige Beweise auf, dass Hunderte von Minderjährigen lange Gefängnisstrafen für kleinere, gewaltlose Drogendelikte verbüßen. Außerdem wurde über harte Bedingungen und diskriminierende Behandlung in Gefängnissen für Minderjährige, die wegen Drogendelikten verurteilt wurden, berichtet (AI 16.4.2020).

Häftlingen wird nur begrenzt Besuch gewährt und die Verweigerung von Treffen mit der Familie ist eine übliche Strafe für Disziplinarverstöße. Es gibt Berichte, dass Häftlinge in ihrer Religionsausübung beschränkt werden. Ehemalige Häftlinge berichten, dass Gefängnisbeamte ihre Beschwerden häufig zensieren oder nicht weiterleiten und dass die Gefängnisverwalter Anträge auf Untersuchung angeblicher Missbräuche entweder ignorieren oder selektiv berücksichtigen. Beschwerden können zu Vergeltungsmaßnahmen führen, darunter Erniedrigung, Todesdrohungen oder andere Formen der Bestrafung und Belästigung. Korruption in Gefängnissen ist ein ernstes Problem und Beobachter stellen fest, dass Bewährung oft von Bestechungsgeldern für Gefängnispersonal oder von der politischen Zugehörigkeit eines Häftlings abhängt. Trotz zahlreicher Anfragen an Innen- und Justizministerium weigern sich Regierungsbeamte, sich mit Menschenrechtsvertretern zu treffen oder Anträge von NGOs zu genehmigen, damit diese die Hafteinrichtungen besuchen und mit den Insassen sprechen können (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

●             AA – Auswärtiges Amt (5.7.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus (Stand: April 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014268/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Belarus_%28Stand_April_2019%29%2C_05.07.2019.pdf, Zugriff 12.6.2020

●             AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Eastern Europe and Central Asia - Review of 2019 - Belarus [EUR 01/1355/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2028165.html, Zugriff 16.6.2020

●             USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026418.html, Zugriff 16.6.2020

Todesstrafe

Belarus ist der einzige europäische Staat, in dem die Todesstrafe nicht nur verhängt, sondern auch vollstreckt wird. 2018 wurden zwei Todesurteile verhängt und vier vollstreckt (AA 5.7.2019). 2019 wurden zumindest drei Todesurteile vollstreckt, zwei weitere verhängt (AI 16.4.2020). Belarus verhängt die Todesstrafe für eine lange Liste von Straftaten: zwölf in Friedenszeiten und zwei in Kriegszeiten (AI 29.4.2020), darunter Terrorismus (Artikel 289,), Hochverrat (Artikel 356,), Sabotagehandlungen gegen den Staat (Artikel 360,) und Mord (Artikel 139,) (AA 5.7.2019). In den letzten Jahren wurden Todesurteile nur wegen Mordes ausgesprochen. In allen Fällen ist die Todesstrafe fakultativ, d.h. sie steht im Belieben des Gerichts. In Belarus werden praktisch alle Todesurteile wegen „vorsätzlichen Mordes unter erschwerenden Umständen“ verhängt. Die Todesstrafe ist als Alternative zu lebenslänglicher oder langjähriger (15-25 Jahre) Haft vorgesehen (AI 29.4.2020). Artikel 59, des Strafgesetzbuchs nimmt Minderjährige, die zum Zeitpunkt des Verbrechens das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Frauen jeglichen Alters sowie Männer, die zum Zeitpunkt der Urteilsverhängung das 65. Lebensjahr vollendet haben, von der Todesstrafe aus (AA 5.7.2019).

In Weißrussland gelten Daten über den Einsatz der Todesstrafe als Staatsgeheimnis (AI 2020). Nach Schätzungen von Amnesty International wurden seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion (1991) rund 400 Menschen hingerichtet. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der vollstreckten Urteile allerdings stark zurückgegangen (DW 11.4.2017). Die Todesstrafe wird im Beisein eines Staatsanwaltes und eines Arztes durch einen Schuss in den Nacken vollstreckt. Angehörige und Rechtsanwälte sind nicht zugegen. Der Leichnam wird den Familien nicht übergeben, sondern an einem unbekannten Ort - mit einer Nummer versehen - bestattet. Eine formelle Benachrichtigung der Angehörigen erfolgt im Nachhinein (AA 5.7.2019).

Mit den Änderungen des Strafgesetzbuches vom 31.12.1997 wurde als Alternative zur Todesstrafe die lebenslange Haft eingeführt. Gemäß Artikel 59, StGB kann die Todesstrafe im Rahmen der Begnadigung durch lebenslange Haft ersetzt werden. Der Präsident hat das verfassungsmäßige Recht, zum Tode Verurteilte zu begnadigen (AA 5.7.2019). Solange die Todesstrafe aufrechterhalten wird, kann das Risiko der Hinrichtung eines Unschuldigen nie ausgeschlossen werden. Dieses Risiko ist in Belarus besonders hoch, da das Justizsystem schwere Mängel aufweist. Prozesse finden oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Geständnisse werden teilweise unter Folter und Misshandlung erzwungen. Gegen Todesurteile, die von Bezirksgerichten in erster Instanz gefällt werden, sind Rechtsmittel zulässig. Höchste Berufungsinstanz ist der Oberste Gerichtshof. Allerdings werden Straftäter teilweise direkt vor dem Obersten Gerichtshof, also vor dem höchsten Gericht, angeklagt und verurteilt. In diesen Fällen besteht keine Möglichkeit, Rechtsmittel vor einem höheren Gericht einzulegen (AI 29.4.2020). Seit 1994 hat der Oberste Gerichtshof von Belarus alle Verurteilungen und Todesurteile, die vor ihm gefällt wurden, bestätigt, und Präsident Lukaschenko hat nur einmal einem Gnadengesuch zugestimmt (AI 15.6.2018).

Im weißrussischen Parlament gibt es eine Arbeitsgruppe zur Abschaffung der Todesstrafe. Dessen Vorsitzender rechnet nicht mit einem baldigen Moratorium der Vollstreckung der Todesstrafe. Die Entscheidung darüber liegt de facto beim Präsidenten. Die EU und ihre Mitglieder setzen sich für die Abschaffung der Todesstrafe bzw., als ersten Schritt, für ein Moratorium der Vollstreckung der Todesstrafe ein (AA 5.7.2019). Im August 2019 kündigten die weißrussischen Behörden und der Europarat Pläne zur Entwicklung einer Roadmap für ein Moratorium der Vollstreckung der Todesstrafe an (HRW 14.1.2020).

Quellen:

●             AA – Auswärtiges Amt (5.7.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus (Stand: April 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014268/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Belarus_%28Stand_April_2019%29%2C_05.07.2019.pdf, Zugriff 12.6.2020

●             AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Eastern Europe and Central Asia - Review of 2019 - Belarus [EUR 01/1355/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2028165.html, Zugriff 12.6.2020

●             AI – Amnesty International, Kogruppe Belarus/Ukraine (29.4.2020): Todesstrafe in Belarus, https://amnesty-belarus-ukraine.de/belarus/infos-zu-belarus/todesstrafe-in-belarus/, Zugriff 12.6.2020

●             AI – Amnesty International (2020): Death Sentences and Executions 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028355/ACT5018472020ENGLISH.PDF, Zugriff 12.6.2020

●             AI – Amnesty Interrnational (15.6.2018): Belarus: Unprecedented Supreme Court decision to suspend death sentences, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2018/06/belarus-unprecedented-supreme-court-decision-to-suspend-death-sentences/, Zugriff 12.6.2020

●             DW – Deutsche Welle (11.4.2017): Todesstrafe: Wann gibt Minsk nach?, https://www.dw.com/de/todesstrafe-wann-gibt-minsk-nach/a-38377738, Zugriff 12.6.2020

●             HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022729.html, Zugriff 12.6.2020

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen, Kinder

Verfassung und Gesetze garantieren Gleichbehandlung von Frauen in Bezug auf Besitz und Erbschaft, Familienrecht, Lohn für gleiche Arbeit und im Justizsystem, aber diese Bestimmungen werden in der Praxis nicht immer konsequent umgesetzt (AA 5.7.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020). Weit verbreitete gesellschaftliche Werte schreiben vor, dass Frauen Mütter sein sollten. Frauen erhalten Sozialleistungen einschließlich eines großzügigen Mutterschutzes, dürfen dagegen aber 181 Berufe in Belarus nicht ausüben (FH 4.3.2020). Frauen nehmen weniger häufig führende Positionen in Regierung, Parlament, Verwaltung, Wirtschaft oder Gesellschaft ein (AA 5.7.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020).

Vergewaltigung ist eine Straftat, es gibt aber keine gesonderten Bestimmungen zu Vergewaltigung in der Ehe. Das Innenministerium identifizierte im Zeitraum Jänner bis Oktober 2019 526 Frauen, darunter 259 Mädchen unter 16 Jahren, als Opfer von Vergewaltigung, sexuellem Missbrauch und Kindesmissbrauch. Häusliche Gewalt stellt grundsätzlich ein großes Problem dar und die Regierung ergriff im Laufe des Jahres 2019 begrenzte Maßnahmen, um dies zu verhindern. Die Regierung erließ einstweilige Verfügungen, welche die Trennung von Opfern und Tätern anordneten, und stellt für die Dauer der Anordnungen provisorische Unterkünfte zur Verfügung. Sie betreibt auch Krisenzentren, die den Opfern begrenzt Unterkunft sowie psychologische und medizinische Hilfe bieten (USDOS 11.3.2020). Weißrussische Frauenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass jede dritte bis vierte Frau häusliche Gewalt erfahren hat (AA 5.7.2019), landesweit sterben im Durchschnitt jährlich 100 Frauen durch häusliche Gewalt (USDOS 11.3.2020). Im Jahr 2018 blockierte Präsident Lukaschenko einen Gesetzesentwurf zur Prävention häuslicher Gewalt, der gemeinsam von Strafverfolgungsbehörden und Vertretern der Zivilgesellschaft erarbeitet worden war (FH 4.3.2020). Sexuelle Belästigung ist Berichten zufolge weit verbreitet, aber außer den Gesetzen gegen körperliche Übergriffe gibt es keine spezifischen Gesetze, die sich mit diesem Problem befassen (USDOS 11.3.2020). Belarus engagiert sich in internationalen Foren gegen Menschenhandel (AA 5.7.2019).

Belarus setzt sich aktiv für den Schutz von Kindern ein, auch in internationalen Foren. Spezifisch gegen Kinder gerichtete systematische staatliche Handlungen sind nicht bekannt (AA 5.7.2019). Die Regierung verabschiedete einen umfassenden nationalen Plan 2017-2021 zur Verbesserung der Kinderbetreuung und des Schutzes der Kinderrechte, auch für die Opfer von Kindesmissbrauch, häuslicher Gewalt und kommerzieller sexueller Ausbeutung, räumte jedoch ein, dass es an finanziellen Mitteln mangelt und dass die Durchführung bestimmter Schutzmaßnahmen ineffizient ist (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

●             AA – Auswärtiges Amt (5.7.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus (Stand: April 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014268/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Belarus_%28Stand_April_2019%29%2C_05.07.2019.pdf, Zugriff 12.6.2020

●             FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030831.html, Zugriff 15.6.2020

●             USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Belarus, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026418.html, Zugriff 16.6.2020

Bewegungsfreiheit

Ausweichmöglichkeiten vor politisch motivierten staatlichen Maßnahmen existieren innerhalb des Landes nicht. Mit Ausnahme der weißrussisch-russischen Landgrenze findet an allen Landesgrenzen eine regelmäßige Einreisekontrolle statt. Die Ausreisewege von weißrussischen Staatsangehörigen auf dem Luft- und Landweg in alle Nachbarstaaten mit Ausnahme Russlands werden kontrolliert. Illegale Grenzübertritte an der Grenze zu Polen sind aufgrund der umfassenden weißrussischen Sicherungsmaßnahmen nur sehr schwer möglich. Die Grenze zur Ukraine ist am stärksten von illegaler Migration betroffen, weil sie bisher nur unzureichend überwacht wird. Die weißrussisch-russische Grenzzone wird aufgrund des zwischen beiden Ländern bestehenden Unionsvertrages nur kursorisch patrouilliert. Der Reiseverkehr zwischen Russland und Belarus ist für weißrussische und russische Staatsangehörige weiterhin ungehindert möglich; für Drittstaatsangehörige kommt es seit Herbst 2016 zu Einschränkungen, da die Grenzübergänge nur für die Nutzung von russischen und weißrussischen Staatsangehörigen zugelassen sind (AA 5.7.2019).

Quellen:

●             AA – Auswärtiges Amt (5.7.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus (Stand: April 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014268/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Belarus_%28Stand_April_2019%29%2C_05.07.2019.pdf, Zugriff 12.6.2020

Auswärtiges Amt Deutschland, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Belarus (Stand Oktober 2022)

Zusammenfassung

Die Republik Belarus wird seit 1994 von Alexander Lukaschenko repressiv - autoritär regiert. Seine autokratische Herrschaft sichert er durch gravierende Verstöße gegen bürgerliche und politische Rechte durch manipulierte Wahlen, staatliche Überwachung und Verfolgung sowie die Lenkung der Justiz und des Parlaments.

Mit seiner unterstützenden Rolle im völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Belarus seine internationale Isolation und Abhängigkeit von Russland weiter verstärkt. Es stellt sein Territorium als Aufmarschgebiet für russische Truppen sowie den Raketenbeschuss auf die Ukraine bereit und unterstützt die Aggression logistisch (Transport, Sanitätsdienst). Am 10. Oktober 2022 wurde die Aktivierung der Regionalen Kräftegruppierung des belarussisch-russischen Unionsstaats bekannt gegeben, im Zuge dessen nach offiziellen Angaben bis zu 9.000 russische Soldaten nach Belarus verlegt werden sollen. Eine direkte Beteiligung belarussischer Streitkräfte an Kampfhandlungen in der Ukraine ist bislang nicht erfolgt.

Die tiefgreifende innenpolitische Dauerkrise im Nachgang der gefälschten Präsidentschaftswahlen vom 09. August 2020 hält an. Das Regime reagiert auf Proteste und gesellschaftliche Entwicklungen mit einer verstärkten Autokratisierung des Landes durch Gewalt, Gesetzesverschärfungen und eine sich stetig ausweitende Repressionswelle. Diese umfasst u. a. eine systematische Kampagne aus politischer Verfolgung, drakonischen Haftstrafen und Staatswillkür gegen wirkliche oder als solche dargestellte Regimekritiker*innen. In Ermittlungsverfahren und vor Gericht können diese nicht auf eine faire Behandlung bzw. einen fairen Prozess vertrauen. Menschenrechtsorganisationen (MROs) erkennen über 1300 politisch Gefangene an (Stand: August 2022). Über 1000 unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen wurden liquidiert oder befinden sich im Prozess der Auflösung. Die Arbeit von MROs wird unterbunden und kriminalisiert, weite Teile der Opposition ebenso wie Menschenrechtsverteidiger*innen befinden sich entweder in Haft oder im erzwungenen Exil. Als politisches Repressionsinstrument werden auch verschärfte Extremismus- und Terrorismusgesetze eingesetzt.

Die Sicherheitsbehörden unterliegen keiner unabhängigen (parlamentarischen oder sonstigen) Kontrolle und werden gezielt zur Einschüchterung und Verfolgung politischer Gegner*innen eingesetzt. Die Justiz wird zur Verfolgung politisch Missliebiger instrumentalisiert und führt weiterhin Verfahren zu den Demonstrationen von 2020 und zu politischer Dissidenz aus dem Jahr 2021.

Verfassungsrechtlich garantierte Freiheiten, darunter die Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit, der Schutz der Privatsphäre sowie das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren sind de facto aufgehoben.

Belarus ist der einzige Staat in Europa, in dem die Todesstrafe vollstreckt wird. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden 2021 zwei Todesstrafen vollstreckt (keine offizielle Bestätigung), zwei weitere Personen sollen zum Tode verurteilt sein. Im Mai 2022 wurde der Anwendungsbereich der Todesstrafe bereits auf den Versuch der Durchführung eines Terrorakts gesetzlich erweitert.

Homosexualität ist nicht strafbar, Homophobie jedoch verbreitet.

Die im Sommer/Herbst 2021 vom belarussischen Regime gezielt beförderten Migrationsströme, insbes. aus Syrien und Irak, haben sich deutlich vermindert, halten niedrigschwellig dennoch an. Für ausländische Flüchtlinge ist es de facto schwierig, endgültigen oder zeitlich begrenzten Flüchtlingsschutz zu erlangen, mit Ausnahme ukrainischer Staatsangehöriger.

[…]

Staatliche Repressionen

Politische Opposition

Die politische Opposition ist durch systematische Repressionen, Verfolgung durch das Regime und Verhaftungen sowie durch das historisch bedingte Fehlen von Organisationsstrukturen geschwächt. Schlüsselfiguren und -strukturen befinden sich in Haft oder im erzwungenen Exil (insbesondere in Litauen und Polen). Prominente politische Gegner wurden auf die Terroristenliste des KGB gesetzt, darunter Swetlana Tichanowskaja sowie Maria Kolesnikowa (s. a. römisch II.1.9 zur Exilopposition).

De jure ist die Oppositionsarbeit lediglich innerhalb enger gesetzlicher Grenzen erlaubt. Verschiedene administrative Auflagen und Schikanen stellen jedoch eine Bedrohung für die Existenz der personal- und finanzschwachen Parteien und Vereinigungen dar. Finanzielle Unterstützung aus dem Ausland ist verboten. Kein regierungskritischer Vertreter hat ein Mandat als Abgeordneter der Nationalversammlung inne. Behördliche Genehmigungen für Demonstrationen werden seit 2020 komplett verweigert. Die meisten politischen Gruppierungen sind weder als politische Partei noch als gesellschaftliche Vereinigung registriert. Neugründungen scheitern an der Verweigerung der erforderlichen Registrierung durch das Justizministerium. Seit dem Jahr 2000 wurde keine politische Partei mehr registriert.

De facto ist keine Regimekritik, geschweige denn unabhängige politische Tätigkeit im Land mehr möglich. Die regimeangepasste Alt-Opposition ist z.T. weiterhin im Land vertreten, aber seit 2020 politisch nicht mehr in Erscheinung getreten; die 2020 neuaufgestellte Opposition ist ins Exil geflüchtet. 2021 wurden die meisten der verhafteten Regimegegner der „neuen“ Opposition zu mehrjährigen Haftstrafen (10-18 Jahren) verurteilt. Eine politische Tätigkeit für Parteien und Vereinigungen wird mindestens mit dem Verlust des Arbeits- oder Studienplatzes und i.d.R. mit drakonischen Haftstrafen geahndet.

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit

Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit werden in Belarus unterdrückt. Mit einer Reihe von Gesetzesänderungen/-verschärfungen (mind. 30 Dekrete) wurden seit 2021 politische Rechte massiv eingeschränkt (insbes. im Mai 2021 mit Verschärfungen des Strafgesetzbuches, des Gesetzes zu Massenveranstaltungen, des Gesetzes über die Massenmedien sowie der Anpassung des Extremismusgesetzes).

Die Versammlungsfreiheit ist formell garantiert in der belarussischen Verfassung sowie dem Gesetz über die Durchführung von Großveranstaltungen vom 30.12.1997 (zuletzt geändert am 24.05.2021) als Recht, sich im öffentlichen Raum zu versammeln. Faktisch wird die Ausübung dieses Rechts jedoch durch restriktive administrative Auflagen und einer Reihe von Gesetzverschärfungen fortwährend stark eingeschränkt und damit für regierungskritische Aktivitäten seit 2020 völlig unmöglich gemacht. Bereits 2012 wurde per Gesetzesänderung festgelegt, dass auch Menschenansammlungen ohne Losungen und Redner (im Sommer 2011 hatten „Schweigeproteste“ stattgefunden) genehmigungspflichtig sind. Zudem wurde ein Verbot der Live-Berichterstattung in den (auch sozialen) Medien über Massenveranstaltungen eingeführt, sowie Sanktionen für Aufrufe zur Teilnahme an nicht genehmigten Protesten verschärft. Nach dem geänderten „Gesetz zur Bekämpfung des Extremismus“ kann nun jede spontane oder nicht genehmigte Massenveranstaltung als "extremistisch" eingestuft werden. Im März 2021 trat eine Verschärfung des Ordnungswidrigkeiten-Kodexes in Kraft, der u.a. Verwaltungsstrafen und die Haftdauer (von 15 und 30 Tagen) für die Teilnahme an einer nicht genehmigten Massenveranstaltung erhöht. Die Verwaltungshaft wurde von der Regierung gegen Teilnehmer der Massenproteste gezielt eingesetzt.

Die Behörden haben seit 2020 keine Massenversammlung der Opposition oder unabhängiger Vereinigungen mehr genehmigt. Die Teilnahme an den Protesten 2020 wird strafrechtlich verfolgt als Teilnahme an Massenruhen. Gerichte fällten auch 2022 noch immer Urteile gegen Teilnehmer; nach Angaben des Minsker Ermittlungskomitees wurden zwischen Februar und August 2022 alleine in Minsk mehr als 280 Personen festgenommen. Über die Gesamtzahl an festgenommenen Personen gibt es keine belastbaren Zahlen, Schätzungen belaufen sich auf mehrere Zehntausende. Am 27. Februar 2022 führten die Behörden erneut Massenverhaftungen (mehr als 800 Personen) und Inhaftierungen durch nach Protesten gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine und das belarussische Verfassungsreferendum. Auch gegenwärtig wird die Teilnahme an Antikriegsprotesten minutiös aufgearbeitet und strafrechtlich verfolgt: Jegliche, auch symbolische, Unterstützung der Ukraine wird bestraft - trotz gegenteiliger Aussagen der Staatsführung.

Die Behörden verschärften 2021 die Unterdrückung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit. Unabhängige zivilgesellschaftliche Strukturen (betroffen u.a. NROs, Anwaltsverbände, Gewerkschaften, politische Gruppen, Organisationen ethnischer und religiöser Gemeinschaften) werden von den Behörden seit Frühjahr 2021 gezielt zerstört. Partei- und NRO-Registrierungen werden systematisch unterbunden. Seit 22.01.2022 sind jegliche individuellen Aktivitäten in nicht registrierten oder (zwangsweise aufgelösten) NROs, politischen Parteien, religiösen Organisationen oder Stiftungen strafbar (bis zu zwei Jahre Haft). Vor dem Hintergrund der Massenliquidierung von unabhängigen Organisationen und Vereinen wird so das unabhängige zivilgesellschaftliche und politische Engagement kriminalisiert. Die Venedig-Kommission erklärte, dass eine solche Bestimmung nicht mit internationalen Menschenrechtsstandards vereinbar sei. Die belarussischen Behörden haben ein umfassendes Vorgehen gegen NROs eingeleitet, das ebenfalls gekennzeichnet ist durch Verhaftungen, strafrechtliche Verfolgung von Aktivisten der Zivilgesellschaft und die Liquidierung von über 1000 unabhängigen Organisationen. Dabei werden allen Arten unabhängiger zivilgesellschaftlicher Organisationen die Registrierung entzogen: Menschenrechtsorganisationen, Sportverbänden, Medien, Umweltorganisationen, Gruppen, die sich für Menschen mit Behinderungen einsetzen und Organisationen, die gegen den Menschenhandel kämpfen. Unabhängige Gewerkschaften werden bei der Ausübung ihrer Arbeit behindert und seit 2022 massiv verfolgt. Mehrere Gewerkschaftsführer*innen befinden sich in Haft oder haben sich ins Exil begeben. Die Möglichkeit von politischen Inhaftierten, rechtlich angemessen vertreten zu werden, wird durch Entzug der Zulassung und strafrechtlicher Verfolgung von Rechtsanwält*innen immer weiter einschränkt.

Die Medien- und Meinungsfreiheit hat sich seit 2020 verschlechtert und wird gravierend eingeschränkt. Die Verschlechterung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in Belarus hat laut VN Sonderberichterstatterin Marin ein kritisches Niveau erreicht. Staatliche Repressionen gegen unabhängige Medien und Medienschaffende führen zu einer faktischen Abschaffung der unabhängigen Medienlandschaft. 2021 wurden mehr als 60 Medienvertreter strafrechtlich verfolgt, hinzu kommen Razzien von Medienbüros und Privatwohnungen, Beschlagnahmung von Dokumenten und Ausrüstung sowie Überwachungen, darunter Abhörmaßnahmen. 32 Medienschaffende befinden sich aus politischen Gründen in Haft (Stand: September 2022). Mehrere führende unabhängige Medien in Belarus, darunter „BelaPAN“, „Belsat“ und „Radio Liberty“ wurden als "extremistische Gruppen" bezeichnet, sodass eine Tätigkeit für sie eine Strafe von bis zu 10 Jahren Gefängnis nach sich ziehen kann. Personen, die diese Online Dienste abonnieren, drohen bis zu sechs Jahre Gefängnis. Mehr als 100 Internetseiten unabhängiger nationaler sowie internationaler Medien sind blockiert und können nur mit als illegal deklarierter Technik zur Zensurumgehung (z.B. VPN) besucht werden. Die Verbreitung unabhängiger Medieninhalte (Re-Post, Like, Kommentar, Weiterleitungen) ist eine Ordnungswidrigkeit und kann mit 15 Tagen Haft bestraft werden. Die Voraussetzungen für eine Verwarnung sind im Mediengesetz sehr vage formuliert – verboten ist beispielsweise die „Verbreitung von Informationen, die den nationalen Interessen der Republik Belarus schaden können“. Zudem wird die Meinungsfreiheit durch Änderungen des belarussischen Strafgesetzbuchs vom 19.06.2021 eingeschränkt, da die Definitionen der in diesen neuen Bestimmungen beschriebenen Handlungen entweder weit gefasst oder vage sind. So wurde beispielsweise der Straftatbestand der "Verunglimpfung der Republik Belarus" mit einem erhöhten Strafmaß von vier Jahren Haft belegt. Diese Bestimmung umfasst unter anderem die "Verbreitung vorsätzlich falscher Informationen über die politische, wirtschaftliche, soziale, militärische oder internationale Lage der Republik Belarus". Die regelmäßige Diffamierung oppositioneller und zivilgesellschaftlicher Kräfte in staatlichen Medien besteht nach wie vor. In Fernsehen und Rundfunk wird ausschließlich die offizielle politische Linie vertreten (private Radiosender dürfen ausschließlich unpolitische Unterhaltungsprogramme senden, unabhängige Fernsehsender existieren nicht).

Minderheiten

Es gibt keine diskriminierende Gesetzgebung in Bezug auf Ethnie, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

[…]

Handlungen gegen Kinder

[…]

Im Rahmen der Repressionswelle seit 2020 sind auch Kinderrechte betroffen. 2021 wurden mind. zehn Minderjährige als politische Gefangene gezählt (zum Teil in Haft 18 Jahre alt geworden), sie wurden wegen der Teilnahme an Protesten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Am 1. Juni 2021 forderten elf Mitgliedsstaaten der Europäischen Union die sofortige Freilassung von sieben Minderjährigen, die aufgrund politisch motivierter Anschuldigungen inhaftiert waren und deren Strafen zwischen einem Monat und fünf Jahren lagen. Ein Minderjähriger erhielt trotz einer schweren Krankheit eine fünfjährige Haftstrafe. Die belarussischen Behörden greifen in dem Versuch, abweichende Meinungen zu unterdrücken, auf Drohungen, Schikanen und die Verfolgung von Kindern zurück durch die Androhung von jahrelangen Haftstrafen und staatlicher Inobhutnahme. Behördlicher Kindesentzug bzw. dessen Androhung gegen Dissident*innen gehören zum Repressionsrepertoire.

[…]

Exilpolitische Aktivitäten

Exilpolitische Aktivitäten haben in Folge der massiven Verfolgungen und Repressionen massiv zugenommen und eine neue Bedeutung erhalten. In das Exil haben sich neben der politischen Opposition auch diverse Medien, Menschenrechtsorganisationen und zivilgesellschaftliche Initiativen verlegt. Wichtige Oppositionsführer und -mitglieder sind ins Ausland geflohen bzw. wurden unter behördlichem Druck zu einer Ausreise genötigt (u.a. Sitzung Tichanowskaja, römisch fünf. Tsepkalo und römisch fünf. Tsepkala), z. T. aufgrund strafrechtlicher Ermittlungen und drohender Verhaftungen (u.a. P. Latuschko). Oppositionelle und Regimekritiker, darunter Sitzung Tichanowskaja, M. Kolesnikowa und römisch eins. Losik, wurden auf die KGB-Liste der an terroristischen Aktivitäten beteiligten Personen gesetzt, was u.a. auch die Beschlagnahmung von Eigentums- und Vermögenswerten von Exilant*innen erleichtert und die Strafanklagen ausweiten kann.

Aufgrund historischer Verbindungen (darunter bestehender Exilstrukturen) sowie einer sprachlichen und geographischen Nähe sind Polen, Litauen, (bis Kriegsausbruch 2022) die Ukraine sowie Georgien (beide visumfreie Einreise) die wichtigsten Anlaufpunkte für belarussische Regierungsgegner*innen, Dissident*innen, Aktivist*innen bzw. Personen, die sich vom Lukaschenko-Regime bedroht fühlen.

Verlässliche Zahlen über Auswanderungen sind nicht bekannt. Aufgrund der drakonischen Strafverfolgung umfasst die Gruppe der Geflüchteten fast alle soziale Gruppen: Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Anwält*innen, medizinisches Personal, Lehrer*innen, Sportler*innen, Künstler*innen und Telegram-Chat-Administrator*innen. Praktiken, die Regimekritiker zu ihrer Flucht veranlassten, umfassen u.a. Razzien in Privatwohnungen und Büros, willkürliche Verhaftungen, Strafverfolgung aus politisch motivierten Gründen, schwerwiegende Verletzungen des Rechts auf ein ordnungsgemäßes Verfahren und auf einen fairen Prozess, die Androhung von Gewalt oder Zwang gegen sie oder ihre Familien, ebenso die disziplinarische Entlassung aus dem Beruf und das Verbot der Betätigung in Berufsverbänden.

Die belarussischen Behörden verfolgen und schikanieren weiterhin Personen, die das Land bereits verlassen haben. So forderten sie die Auslieferung von Protestierenden und Oppositionellen, darunter der Gründer des Telegram-Kanals Nexta Stepan Putilo und Roman Protasewitsch (November 2020, Polen; Letztgenannter über die Zwangsumleitung einer Ryanair-Passagiermaschine auf der Route von Griechenland nach Litauen im Mai 2021 nach Belarus verbracht; Vorgehen von der ICAO 2022 als „illegaler Eingriff“ der belarussischen Regierung in die Luftfahrt verurteilt), Swetlana Tichanowskaja (März 2021, Litauen), Waleri Zepkalo (Februar 2021, Lettland), Anshelika Agurbasch (Juni 2021, Russland).

Am 27.07.2022 trat ein Gesetz in Kraft, das „Sonderverfahren“ für Strafanklagen in Abwesenheit von Angeklagten ermöglicht. Der stellvertretende Generalstaatsanwalt Stuk erklärte im September 2022, dass die belarussischen Strafverfolgungsbehörden Ersuchen an europäische Länder richten mit der Forderung nach Auslieferung von Personen, die vor Gericht gestellt werden sollen, jedoch zunehmend Absagen erhielten. Er nannte explizit Lettland, Griechenland, Litauen und Polen. Die Regierung machte deutlich, dass das Gesetz (u.a. einschlägig bei Terror-, Sabotageakte, Staatsverrat, Unruhen, Aufforderung zu Sanktionen, Gründung oder Beteiligung an terroristischen Vereinigungen) insbes. an Exiloppositionelle gerichtet sei. Das erste „Sonderverfahren“ wurde im September 2022 gegen die Administratoren des oppositionellen Telegram-Kanals „Schwarzes Buch von Belarus“ eingeleitet. Kritiker fürchten zudem, dass auch Familienmitglieder ins Visier genommen werden von Ermittlungsbehörden: So wurde Anatoli Latuschko, Cousin des Oppositionspolitikers Pawel Latuschko, zu sechs Jahren Strafkolonie, seine Frau Jelena zu zweieinhalb Jahren Hausarrest mit Freigang verurteilt. Gajane Achtian, Mutter des im Ausland befindlichen Anarchisten Roman Chalilow, wurde zu drei Jahren Haft im offenen Vollzug verurteilt. Gegen Sergej Frantschuk aus Bobrujsk, Cousin des stellvertretenden Kommandeurs des Kalinowski-Regiments (belarussischer Kampfverband in der Ukraine) wurde ein Strafverfahren eingeleitet.

Ende September 2022 wurde ein Gesetzesentwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts vorbereitet, dieser muss noch von beiden Parlamentskammern gebilligt und von Lukaschenko unterzeichnet werden. Es ist vorgesehen, dass einer Person, die sich außerhalb von Belarus befindet, die Staatsangehörigkeit entzogen werden kann, wenn bestätigt wird, dass diese Person an sog. „extremistischen Aktivitäten“ oder „der Verursachung eines schweren Schadens für die Interessen der Republik Belarus“ beteiligt sei. Im Mai 2022 wurden mindestens zwei Fälle der Auslieferung belarussischer Staatsangehöriger aus der Russischen Föderation gemeldet im Zusammenhang mit ihrer Teilnahme an Protesten im Jahr 2020. Die Auslieferungen wurden unter Verstoß gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) angeordnete Aussetzung vollzogen. Am 26. Mai 2022 lehnte ein Bezirksgericht im russischen St. Petersburg die Berufung der belarussischen Staatsbürgerin Yana Pinchuk gegen die Ablehnung ihres politischen Asyls ab, im Juli 2022 wurde ihre Abschiebung nach Belarus angekündigt. Sie ist im Zusammenhang mit ihrer Teilnahme an friedlichen Protesten 2020 in Belarus angeklagt und muss bis zu 20 Jahre Haft fürchten. Die UN-Sonderberichterstatterin über die Lage der Menschenrechte in Belarus, Anaïs Marin, widmete sich 2022 in einem eigenständigen Bericht der Situation belarussischer Bürger, die gezwungen wurden, ihr Land zu verlassen und aufgrund von Menschenrechtsverletzungen nicht sicher zurückkehren können. Dazu gehören die Verweigerung bürgerlicher und politischer Rechte, die sich in Formen wie willkürlicher Inhaftierung oder fehlendem Zugang zu einem fairen Prozess äußern, sowie die Verweigerung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte.

Menschenrechtslage

Schutz der Menschenrechte in der Verfassung

Laut Verfassung werden Meinungsfreiheit (Artikel 33,), das Versammlungs-, Demonstrations- und Streikrecht (Artikel 35,) sowie die Vereinigungsfreiheit (Artikel 36,) geschützt. In der Praxis werden diese Freiheitsrechte jedoch eingeschränkt, im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2020 kam es zu einer deutlichen Verschlechterung.

In Belarus gibt es keine nationale Menschenrechtsinstitution. Die Republik Belarus ist kein Mitglied des (gewählten) VN-Menschenrechtsrats (VN-MRR) und kein Mitglied des Europarats; letzterem steht die Anwendung der Todesstrafe entgegen. Aus diesem Grund hat Belarus auch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 nicht gezeichnet. Belarus ist jedoch mehreren Konventionen des Europarats beigetreten. Das Informationsbüro des Europarats in Minsk wurde 2021 geschlossen.

2012 wurde das Mandat des Sonderberichterstatters des VN-MRR zur Lage der Menschenrechte in Belarus geschaffen. Seither wurde das Mandat jährlich durch eine von der EU eingebrachten Resolution verlängert. Belarus erkennt das Mandat des Sonderberichterstatters nicht an und lehnt die Kooperation mit der Amtsinhaberin ab.

[…]

Für November 2022 hat Belarus seinen Austritt aus dem VN-Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte angekündigt. Das Protokoll regelt die Arbeit des UN-Menschenrechtsausschusses und u.a. die Möglichkeit für Bürger*innen, Individualbeschwerden gegen die Republik Belarus einzureichen. Drei Monate nach der Unterrichtung des UN-Generalsekretärs über die Kündigung für Belarus tritt das Fakultativprotokoll außer Kraft. Zuletzt ignorierte Belarus Empfehlungen des Menschenrechtsrates, war aber verpflichtet, zumindest auf Anfragen des Ausschusses zu reagieren.

Am 18. Juli 2022 wurde ein Präsidialdekret unterzeichnet, mit dem Belarus gemäß Artikel 21, am 24. Oktober 2022 aus dem United Nations Economic Commission for Europe (UNECE)- Übereinkommen aus dem Jahr 1998 austritt, welches den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Konvention) regelt. Seit 2014 hatte der Aarhus-Konformitätsausschuss das Verhalten von Belarus in Bezug auf die Verfolgung, Bestrafung und Schikane von Menschenrechtsverteidiger*innen im Umweltbereich beobachtet und 2021 seine große Besorgnis darüber geäußert, dass sich die Lage von Umweltschützenden in dem Land rapide verschlechtere. Die belarussische Regierung arbeitet - wenn überhaupt - mit UN, EU, EuR und OSZE zusammen vorzugsweise bei der Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, der Bekämpfung von Menschenhandel, der Verwirklichung der Rechte von Kindern und Menschen mit Behinderung.

Belarus durchlief zuletzt im November 2020 das allgemeine Überprüfungsverfahren des VN-Menschenrechtsrats (UPR). Im Mittelpunkt des Verfahrens standen Kritik und Empfehlungen bezüglich der Menschenrechtsverletzungen im Nachgang der Wahlen. Kritisiert wurde insbesondere die Einschränkungen von Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie Gewalt gegen friedliche Demonstranten. Gefordert wurden unabhängige Untersuchungen der Menschenrechts-Verletzungen sowie die Freilassung politischer Gefangener.

Folter

Die Verfassung erkennt zwar formell eine Reihe von bürgerlichen und politischen Rechten an, bietet jedoch keine Schutzmechanismen für deren Einhaltung in der Praxis, insbesondere im Hinblick auf den Schutz der Menschenwürde und der Unversehrtheit vor Folter. Die Verfassung von 1996 verbietet in Artikel 25, Folter und andere Arten unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, doch wird nicht gesetzlich festgelegt, wie solche Handlungen überwacht und geahndet werden sollen.

Im direkten Nachgang der Präsidentschaftswahl 2020 (insbesondere vom 9.-12. August 2020) kam es laut Berichten zu schweren Menschenrechtsverstößen (Misshandlungen und Folter, Schläge bis zur Bewusstlosigkeit, Verabreichung von Stromschlägen, mehrstündiges Ausharren in Stresspositionen im Freien und Verweigerung medizinischer Hilfe). Berichte von MROs wurden dokumentiert (darunter über 1.000 Fälle vom Menschenrechtszentrum „Viasna“) und u. a. in dem OSZE-Bericht („Benedek-Bericht“) nach Auslösung des Moskauer Mechanismus festgehalten. Es gibt hunderte Augenzeugenberichte sowie Video- und Fotonachweise über Opfer der Polizeigewalt. Auch in den Monaten nach der Präsidentschaftswahl hielten Misshandlungen und exzessive Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte an, wie einzelne Todesfälle sowie bekannt gewordene Fälle schwerer Misshandlung belegen. Es wurde bislang kein Strafverfahren gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte angestrengt, obwohl 5.000 Beschwerden, darunter mehr als 100 von Minderjährigen, über Folter und andere Misshandlungen bekannt sind. 2021 wurden von „Viasna“ 102 Fälle von Folter und Misshandlung dokumentiert. In ihrem Bericht an den Menschenrechtsrat vom 17. März 2022 stellte die Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte fest, dass Folter und Misshandlung systematisch als Mittel zur Bestrafung und Einschüchterung von Gefangenen eingesetzt werden.

Todesstrafe

In Belarus kann die Todesstrafe (durch Erschießen) laut Strafgesetzbuch bei folgenden Tatbeständen verhängt werden:

-             Vorbereitung oder Führen eines Angriffskrieges (Artikel 122,);

-             terroristischer Akt gegen Vertreter anderer Staaten (Artikel 124,);

-             Organisation oder Ausübung eines internationalen Terroraktes (Artikel 126,);

-             Völkermord (Artikel 127,);

-             Verbrechen gegen die Sicherheit der Menschheit (Artikel 128,);

-             Anwendung von Massenvernichtungsmitteln (Artikel 134,);

-             Kriegsverbrechen (Artikel 135,);

-             Mord (Artikel 139,);

-             Terrorismus (Artikel 289,);

-             Hochverrat (Artikel 356,);

-             Verschwörung zum Zwecke der Bemächtigung der Staatsgewalt (Artikel 357,);

-             terroristischer Akt (Artikel 359,);

-             Sabotagehandlungen gegen den Staat (Artikel 360,);

-             Mord an Polizisten (Artikel 362,).

Artikel 59, des Strafgesetzbuchs nimmt folgenden Personenkreise grundsätzlich von der Todesstrafe aus: Frauen sowie männliche Täter, die zum Zeitpunkt der Tat das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten oder die zum Zeitpunkt der Urteilsverhängung das 65. Lebensjahr bereits vollendet haben.

Kurzzeitigen staatlichen Medienberichten nach sollte 2021 bzw. bei der Verfassungsreform 2022 die Abschaffung der Todesstrafe thematisiert werden, die Überlegungen wurden verworfen. Stattdessen erfolgte im Mai 2022 die Annahme eines Gesetzentwurfs zur Verschärfung der Anwendungspraxis der Todesstrafe auch auf den Versuch der Durchführung eines Terrorakts. Es erfolgte keine öffentliche Anhörung zu der Gesetzesnovelle. Sie gilt als politisch motiviert, um das bestehende Repressions-Instrumentarium zu erweitern und politischen Aktivismus zu unterbinden. Die Todesstrafe wird bislang ausschließlich bei wiederholtem Mord, Mord an mehreren Personen oder Mord in Verbindung mit besonderer Grausamkeit verhängt. Mit den Änderungen des Strafgesetzbuches vom 31.12.1997 wurde als Alternative zur Todesstrafe die lebenslange Haft eingeführt. Gemäß Artikel 59, StGB kann die Todesstrafe auch im Rahmen einer Begnadigung durch den Präsidenten durch lebenslange Haft ersetzt werden.

Das Todesstrafen-System in Belarus bleibt opak. Daten über die Anwendung der Todesstrafe gelten als Staatsgeheimnis und werden nicht veröffentlicht. Verurteilte und ihren Angehörigen wird nicht mitgeteilt, an welchem Tag die Todesstrafe vollstreckt oder wann/wo der Betroffene beerdigt wird. Es erfolgt lediglich eine Mitteilung im Nachhinein, dass die Todesstrafe vollstreckt wurde, dies mitunter mit mehrmonatiger (z.T. fast einjähriger) Verspätung.

Eine Person wurde 2021 zum Tode verurteilt. Die Vollstreckung eines Todesurteils 2021 wurde von staatlicher Seite bestätigt, eine Bestätigung für eine weitere, von Angehörigen und MROs vermutete Vollstreckung 2021 fehlt. Am 10. März 2022 gab der VN-Menschenrechtsausschuss eine Erklärung ab, in der er Belarus wegen der Hinrichtung von Wiktor Paulau 2021 verurteilte, da dessen Petition vor dem Ausschuss noch in Prüfung war. Die VN-Sonderberichterstatterin äußerte sich besonders besorgt über die Missachtung von internationalen Verpflichtungen, die im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte festgelegten Verfahren einzuhalten. Eine Person verbleibt nach verfügbaren Informationen von MROs zum Tode verurteilt. 2021 sprach Lukaschenko zum zweiten Mal seit der Unabhängigkeit des Landes Begnadigungen für ein Bruderpaar aus.

Sonstige menschenrechtswidrige Handlungen

Nach Angaben des Innenministeriums befanden sich zum 1. Januar 2019 ca. 32.600 Personen in Strafvollzugsanstalten, davon ca. 5.400 Personen in Untersuchungshaft. Diese Zahlen werden seit 2020 nicht mehr veröffentlicht. Die Haftbedingungen in Strafvollzugsanstalten entsprechen teilweise dem auf europäischer Ebene verankerten Mindeststandard, teilweise bestehen erhebliche Defizite, insbesondere bei politischen Häftlingen.

Grundsätzlich gilt, dass Personen maximal 18 Monate in Untersuchungshaft festgehalten werden dürfen, diese Zeit wird auf eine Haftstrafe angerechnet. Bei Freispruch wird auf Antrag eine sehr geringe Entschädigung pro Tag gezahlt. Die Zellenbelegung ist in einzelnen Haftanstalten unterschiedlich: In Untersuchungshaft werden zwei bis ca. 20 Personen pro Raum untergebracht. Im Strafvollzug (v.a. in den Haftanstalten mit verpflichtender Arbeit) gibt es Schlafsäle mit einer Belegung von 60, 80 oder 100 Häftlingen. Es gibt Betten mit Matratzen, Kissen und Decke. Die Bettwäsche wird einmal pro Woche gewechselt. Es gibt einmal pro Woche eine Möglichkeit zum Duschen (warmes Wasser vorhanden). In Räumen, in denen keine Toilette vorhanden ist, werden Insassen zweimal am Tag zur Toilette rausgeführt; in der Zwischenzeit steht lediglich ein Eimer im Raum zur Verfügung. Einige Räume sind mit Toilette ohne Sichtschutz (kein Vorhang, kein abgeschlossener Bereich). Es gibt eine Stunde pro Tag Ausgangsmöglichkeit in einem ummauerten Bereich unter freiem Himmel. Raucher und Nichtraucher werden zusammen untergebracht. Die Ernährung ist einfach. Oft fehlt es an vitaminreicher Kost. Zukäufe durch die Inhaftierten oder eine Versorgung durch Angehörige ist grundsätzlich möglich. Dies hängt jedoch davon ab, in welcher Einrichtung mit welchen Haftbedingungen sich der jeweilige Inhaftierte befindet. Einige Gefangene müssen ihre Haft, in der Regel nach Verstößen gegen die Gefängnisordnung, teilweise in Isolation verbringen. Der Kontakt zu Anwält*innen und Familienangehörigen kann während der Untersuchungshaft und Haft eingeschränkt oder zeitweilig verwehrt werden.

Seit 2020 gelten verschärfte Bedingungen an Orten des Freiheitsentzugs, in Untersuchungsgefängnissen und Gefängnissen für aus politischen Gründen Inhaftierte. Freigelassene und Angehörige berichten von weitverbreiteten, gezielte Schikanen und Schlechterstellung von diesen Gefangenen (Verstärkte Isolationshaft, Verwehren von Treffen, Telefonaten mit Angehörigen und Anwält*innen, Verwehren oder Einschränken von Briefkorrespondenz, Verwehren von Zukäufen, Lebensmittelpaketen). Betroffene berichten über weit verbreitete Gewaltanwendung, anhaltende Misshandlungen und gezielte psychische wie physische Schikane sowie Überbelegung und unhygienische Bedingungen. In den Untersuchungshaftanstalten und in Gefängnissen sind aufgrund der Massenverhaftungen nach 2020 die Mindeststandards hinsichtlich der Haftraumfläche pro Inhaftiertem nicht mehr eingehalten. Augenzeugenberichten zufolge wurden überfüllte Zellen unter prekären sanitären Bedingungen auch gezielt dazu genutzt, COVID-19-Infektionen von Protestierenden und Dissident*innen zu begünstigen. Die Zusammenarbeit der Regierung mit MROs über den Strafvollzug ist seit 2020 vollständig zum Erliegen gekommen.

Botschaftsangehörige können regelmäßig Haftbesuche zu deutschen Staatsangehörigen durchführen. Außerdem stehen sie mit Rechtsanwälten, die durch Mandantengespräche Einblick in den Strafvollzug haben, in Kontakt. Der Zugang zu politischen Gefangenen belarussischer Nationalität wird von den Behörden verwehrt.

Das Justizsystem des Landes war noch nie völlig unabhängig, 2021 festigten die Behörden ihre Kontrolle über die Justiz und das Gerichtssystem noch weiter. Die Lage der Anwaltschaft hat sich angesichts der Einschüchterung und Bestrafung unabhängiger Anwälte signifikant verschlechtert. Neben anderen Disziplinarmaßnahmen wurden seit 2020 wurden mind. 73 Anwält*innen die Zulassung entzogen, über 100 Kanzleien geschlossen und Anwält*innen, die Oppositionelle vertreten, werden auch strafrechtlich verfolgt. Am 30. November 2021 traten Änderungen des Gesetzes über die Anwaltskammer und den Anwaltsberuf in Kraft, die es Strafverteidigern verbietet, individuell oder für Anwaltskanzleien tätig zu werden. Stattdessen werden sie verpflichtet, in vom Justizministerium genehmigten "Rechtberatungsbüros" zu arbeiten, welches die Kontrolle des Justizministeriums über sie ausweitet. Seitdem haben Berichten zufolge mehr als 200 Anwälte die Kammern verlassen. Die Zahl des Ausschlusses von Strafverteidigern durch die „Qualifikationskommission des Justizministeriums“ (lediglich zwei von 13 Mitgliedern sind Rechtsanwälte) sind massiv gestiegen. Seit Februar 2022 wurden gegen Anwält*innen, die eine Petition gegen den Krieg in der Ukraine unterstützt haben, Disziplinarverfahren eingeleitet, die zum Berufsverbot führen könnten.

Mit der neuen Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung des Extremismus vom 16. Juni 2021 wurde der Straftatbestand von sog. „extremistischen Tätigkeiten“ erheblich ausgeweitet. Nach verbreiteter Ansicht von MROs und internationalen Organisationen werden Extremismus-Anklagen gezielt als politisches Instrument genutzt, jegliche Äußerung abweichender Meinungen zu sanktionieren - auch rückwirkend. Das Gesetz umfasst nun ein breites Spektrum an Handlungen, die als Bedrohung der verfassungsmäßigen Ordnung, der Souveränität, der Unabhängigkeit und der territorialen Integrität des Landes angesehen werden können. In diese Kategorie fallen u.a. die Verbreitung bewusst falscher Informationen über die politische, wirtschaftliche, soziale oder militärische Lage von Belarus, die Verunglimpfung von Belarus oder die Beleidigung eines Vertreters der Staatsgewalt im Zusammenhang mit der Ausübung von Amtspflichten, die Verunglimpfung von Behörden und die Behinderung der rechtmäßigen Tätigkeit staatlicher Organe. Das Gesetz enthält auch weit gefasste und unspezifische Definitionen, darunter Begriffe wie "extremistische Aktivitäten", "extremistische Organisationen" und "extremistisches Material", die dazu verwendet werden können, die Verwirklichung der Rechte auf Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit, auf freie Meinungsäußerung sowie Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit zu untergraben und das Recht auf Teilnahme am politischen und öffentlichen Leben zu unterbinden.

Auswärtiges Amt Deutschland, AD-HOC Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Belarus (Stand Februar)

Zusammenfassung

Die Republik Belarus verfügt über ein präsidentielles Regierungssystem. Die Staatsgewalt – die tatsächliche Herrschaft – übt Alexander Lukaschenko aus. Seine mittlerweile 27- jährige Herrschaft sichert er durch erhebliche Einschränkungen bürgerlicher und politischer Rechte, manipulierte Wahlen, Lenkung der Justiz, staatliche Überwachung im Inneren und einen leistungsfähigen Sicherheitsapparat (mit konkurrierenden Behörden). Die Verfassung verleiht dem Staatspräsidenten umfangreiche legislative Rechte.

Belarus befindet sich gegenwärtig in der größten politischen Krise seit Erlangung der Unabhängigkeit 1991. Die Staatsmacht reagiert auf massive Proteste gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen vom 09.08.2020 mit einer präzedenzlosen Welle von Gewalt (massivste Misshandlungen und insbes. im direkten Nachgang der Wahl auch Folter), Repression, systematischer Verfolgung, politisch motivierter Verfahren und Inhaftierungen gegen Regimekritikerinnen und Regimekritiker und die kritische Zivilbevölkerung. Weite Teile der Opposition befinden sich entweder in Haft oder im erzwungenen Exil. Die Menschrechtslage hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Seit Beginn des Wahlkampfes im Mai 2020 bis zum Ende des Jahres wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen mehr als 33.000 Personen (vorübergehend) festgenommen, von denen ein Großteil zu Strafen (Haft, hohe Geldstrafen) nach dem Ordnungswidrigkeitskodex und zuletzt verstärkt nach dem Strafgesetzbuch verurteilt wurden. 251 Personen gelten als politische Gefangene (Stand 25.02.2021).

Vertreterinnen und Vertreter der Opposition wird die Registrierung einer politischen Partei unter Vorwänden verwehrt. Im Jahr 2000 wurde zum letzten Mal eine politische Partei registriert. Menschenrechtsorganisationen sind Behinderungen und systematischer Repression ausgesetzt, z. B. mittels Verweigerung der Registrierung als gesellschaftliche Organisation durch das Justizministerium und/oder durch Überwachung, Vorladungen zu Verhören, Verhaftungen u. a.

Die Sicherheitsbehörden unterliegen keiner unabhängigen (parlamentarischen oder sonstigen) Kontrolle und werden gezielt zur Einschüchterung politischer Gegner – vor allem bei nicht genehmigten Demonstrationen oder Meinungsäußerung im Internet – eingesetzt. Die Justiz wird zur Verfolgung politisch Missliebiger instrumentalisiert.

Die verfassungsrechtlich garantierte Versammlungsfreiheit wird durch das Gesetz über Massenveranstaltungen stark eingeschränkt. Veranstalter sind verpflichtet, hohe Kosten für den Einsatz von Polizei, Sanitätern und Stadtreinigung in Abhängigkeit von der Teilnehmerzahl zu tragen. Selbst genehmigte Kundgebungen werden von unverhältnismäßig großen Polizeieinsatzkommandos begleitet. Aktivisten, die ohne Genehmigung zu Kundgebungen aufrufen oder daran teilnehmen, werden in der Regel zu hohen Geldstrafen oder bis zu fünfzehn Tagen „administrativem“ Arrest verurteilt.

Belarus ist der einzige Staat in Europa, in dem die Todesstrafe vollstreckt wird. 2020 wurden drei Todesurteile verhängt. 2021 wurde bislang ein Todesurteil verhängt. Es befinden sich fünf zu Tode verurteilte Personen in Haft.

Bislang ist dem Auswärtigen Amt kein Fall bekannt geworden, in dem ein zurückgeführter belarussischer Staatsangehöriger aufgrund seines Asylgesuchs in Deutschland Repressionen ausgesetzt, festgenommen oder misshandelt worden wäre.

Staatliche Repressionen

Politische Opposition

Aus den Ereignissen um die Präsidentschaftswahl entstand in Belarus eine neue Oppositionsbewegung. Auch wenn diese kein homogener Block ist, unterscheidet sie sich durch Ablehnung des Regimes von der „alten“ Opposition, die aufgrund gegenseitigen Misstrauens und Konkurrenz stark zersplittert und schwach war. Die Opposition eint drei Kernforderungen (Rücktritt Lukaschenkos und Neuwahlen; Ende der Gewalt und unabhängige Untersuchung der von Gewalt, Folter und Misshandlungen; Freilassung aller politischen Gefangenen).

Die Opposition ist durch Verhaftungen, systematische Repressionen und Verfolgung durch das Regime, sowie das historisch bedingte Fehlen von Organisationsstrukturen geschwächt. Schlüsselfiguren befinden sich im Exil. Hinzu kommt, dass sie sich lediglich innerhalb enger, von Gesetzen gesteckter Grenzen betätigen kann und administrativen Schikanen ausgesetzt ist. Die meisten Gruppierungen sind weder als politische Partei noch als gesellschaftliche Vereinigung registriert. Neugründungen scheitern an der Verweigerung der erforderlichen Registrierung durch das Justizministerium. Seit dem Jahr 2000 wurde keine politische Partei registriert. Die Registrierungsverweigerung ermöglicht ein rechtliches Vorgehen gegen diese Organisationen (s. u.) und soll den repressiven Zugriff der Staatsmacht zusätzlich rechtfertigen. Der KGB beobachtet Vertreter der politischen Opposition.

Zentrale Elemente der Oppositionsbewegung sind Ex-Präsidentschaftskandidatin Svetlana Tichanowskaja und ihr Team mit Sitz in Vilnius. Tichanowskaja wurde am 10./11.08.2020 unter massivem Druck durch belarussische Sicherheitskräfte zur Ausreise nach Litauen genötigt. Der von Tichanowskaja im August 2020 initiierte, dezentral organisierte Koordinierungsrat hat seinen Sitz in Belarus. Er wurde von den belarussischen Behörden als extremistische Vereinigung eingestuft und ist aufgrund der systematischen Verfolgung des Regimes in seinen Aktivitäten geschwächt. Alle Mitglieder des Präsidiums sind oder waren in Haft (darunter Maria Kolesnikowa, die selbst eine erzwungene Ausreise in die Ukraine verhinderte) bzw. im Exil (darunter Pawel Latuschko). Mitgliedern drohen Anklagen wegen Verschwörung mit dem Ziel einer Machtergreifung bzw. Bildung einer extremistischen Vereinigung. Die von Latuschko am 28.10.2020 gegründete „Nationale Anti-Krisenadministration“ (NAM), mit Sitz im Ausland (Warschau/Vilnius) gilt als fachlich-politisches Zentrum mit ehemaligen Beamten, Diplomaten, Juristen und Experten. Nach eigenen Aussagen kooperieren die drei Kräfte eng miteinander, es kommt zu Personalüberschneidungen (Bsp.: Alana Gebremariam, Mitglied des Koordinierungsrats und Vertreterin von Swetlana Tichanowskaja für Angelegenheiten von Studierenden und Jugend, seit 13.11.2020 in Untersuchungshaft, ihr drohen bis zu drei Jahre Haft).

Verschiedene administrative Auflagen stellen eine Bedrohung für die Existenz der personal- und finanzschwachen Parteien und Vereinigungen dar. Finanzielle Unterstützung aus dem Ausland ist verboten. Kein Vertreter der Opposition hat ein Mandat als Abgeordneter der Nationalversammlung inne.

Eine aktive, exponierte Tätigkeit für oppositionelle bzw. regimekritische Parteien und Gruppierungen kann den Verlust des Arbeits- oder Studienplatzes zur Folge haben. Immer mehr Menschen folgen Video-Bloggern der Opposition. Die belarussische Regierung ist in den letzten Monaten verstärkt gegen Blogger, die auf YouTube und in sozialen Medien Hunderttausende Abonnenten haben, sowie Administratoren von Telegramm-Kanälen vorgegangen. Diese wurden wiederholt zu 15-tägigen „administrativen Haftstrafen“ verurteilt. Nach Kenntnis des Auswärtigen Amts gibt es keine Binnenflüchtlinge.

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit

Die belarussische Verfassung vom 15.03.1994 (ergänzt am 24.11.1996 und am 17.11.2004) und das Gesetz über die Durchführung von Großveranstaltungen in der Republik Belarus vom 30.12.1997 (zuletzt geändert am 26.01.2019) garantieren das Recht, sich im öffentlichen Raum zu versammeln. De jure und de facto wird die Ausübung dieses Rechts aber stark eingeschränkt bis unmöglich gemacht. Zwar stellte die Streichung von Artikel 193, Absatz eins, Strafgesetzbuch (illegale Ausrichtung von und/oder Beteiligung an Aktivitäten nicht registrierter öffentlicher Organisationen, religiöser Organisationen oder Stiftungen) am 18.07.2019 eine marginale Verbesserung dar, gleichzeitig wurde aber Artikel 23, Absatz 88, „Administrativkodex“ eingeführt, nach welchem dieselben „Tatbestände“ mit Geldstrafen oder „administrativem Arrest“ von bis zu fünfzehn Tagen geahndet werden können. Dieser kommt mittlerweile in den Gerichtsverfahren rund um die Präsidentschaftswahl zur Anwendung. Das Regime schnürt Räume für freie Meinungsäußerung, der Zivilgesellschaft und der Unterstützung aus dem Ausland über eine Reihe von Maßnahmen gezielt ab.

Das Gesetz über Massenveranstaltungen verpflichtet Organisatoren, die Kosten für den Einsatz von Polizei, Sanitätern und Stadtreinigung in Abhängigkeit von der Teilnehmerzahl zu tragen. Dies schreckt potenzielle Antragsteller ab. Nach der Verordnung des Ministerrats Nr. 196 vom 03.04.2020 müssen nun zuerst Verträge mit Polizei, Sanitätern und Stadtreinigung abgeschlossen sein, bevor eine Kundgebung beantragt werden darf. Teilnehmer an nicht genehmigten Demonstrationen, Kranzniederlegungen oder Unterschriftenaktionen werden zu Geldstrafen, in wiederholten Fällen zu „administrativen Haftstrafen“ verurteilt. Demonstrationen auf zentralen Plätzen in Stadtzentren sind untersagt.

Anträge der Opposition für Demonstrationen auf ausgewiesenen Plätzen außerhalb von Stadtzentren wurden zum Teil genehmigt, zum Teil unter Vorwänden (Instandhaltungsmaßnahmen, staatliche Veranstaltungen) abgelehnt (z.B. bei seit Februar 2018 andauernden Protesten gegen ein Batteriewerk in Brest).

Im Rahmen der Präsidentschaftswahlen 2020 kam es bereits im Vorfeld zu massiven Restriktionen. Neben Tichanowskaja wurden nur drei weitere Politiker und Lukaschenko als Kandidaten registriert. Nach einer Wahlkundgebung der regimekritischen Präsidentschaftskandidatin Tichanowskaja am 30. Juli, die als bis dahin größte Kundgebung in der Geschichte des Landes galt, wurden ihr keine weiteren Genehmigungen unter vorgeschobenen Gründen (u.a. Straßenarbeiten) erteilt. Die seit August 2020 regelmäßigen Protestkundgebungen, insbesondere die großen Sonntagskundgebungen, aber auch unter der Woche regelmäßig stattfindende Proteste und Solidaritätskundgebungen, sind behördlich nicht genehmigt. Teilnehmende werden direkt festgenommen oder über Videobeweise nachträglich belangt. Unbestätigten Angaben zu Folge werden Teilnehmende auch durch die Auswertung von Mobildaten (geolocation) identifiziert. Strafbare Tatbestände sind u.a. bereits das Tragen bzw. Hissen der rot-weiß-roten Nationalfahne. Auch Personen, die nicht an den Demonstrationen teilnehmen, aber ihrer Solidarität Ausdruck verleihen (u.a. Hupen von Autos; Äußerungen in sozialen Netzwerken), werden von den Sicherheitsbehörden juristisch verfolgt. Unternehmen, die an dem von Svetlana Tichanowskaja ausgerufenen Generalstreiktag schlossen (Gründe u.a. „Inventur“) sehen sich staatlicher Schikane ausgesetzt (beispielweise: Inspektionen durch das Gesundheitsamt) und mit hohen Geldstrafen belegt, die z.T. zur Schließung der Geschäfte führten. Die Teilnahme an nichtgenehmigten Massenveranstaltungen wird durch Administrativstrafen (bis zu 15 Tagen Haftstrafe, teils konsekutiv verlängert; Geldbußen; vorwiegend nach Artikel 23 Punkt 34,, Artikel ,) und zuletzt verschärft durch Anklagen und Verurteilungen nach dem Strafgesetzbuch (insbes. Artikel 293,, 1-5 Jahre Haft) verfolgt. Die Zahl der Personen in Haft wird nicht veröffentlicht. Über 1.000 Personen sehen sich deswegen laufenden Strafverfahren ausgesetzt.

Genehmigte Demonstrationen werden beobachtet und auch gefilmt. Anfang 2012 wurde per Gesetzesänderung eigens festgelegt, dass auch Menschenansammlungen ohne Losungen und Redner (im Sommer 2011 hatten „Schweigeproteste“ stattgefunden) genehmigungspflichtig sind.

Politischen Parteien und kritischen zivilgesellschaftlichen Organisationen werden notwendige Registrierungen als politische Partei oder als gesellschaftliche Organisation vom Justizministerium unter Vorwänden verwehrt.

Unabhängige Gewerkschaften (v.a. jene, die im „Belarussischen Kongress demokratischer Gewerkschaften“ zusammengeschlossen sind, z. B. die Gewerkschaft der Arbeiter der Radioelektroindustrie) werden bei der Ausübung ihrer Arbeit behindert. Gewerkschaftsmitglieder werden systematisch unter Druck gesetzt (z. B. durch Nichtverlängerung von auf ein bis drei Jahre befristeter Arbeitsverträge in staatlichen Betrieben). Belarus wurde in der Vergangenheit von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) mehrfach aufgefordert, die Gründung von Gewerkschaften zuzulassen und Gewerkschaftsrechte zu gewährleisten. An der restriktiven Praxis hat sich bis heute nichts geändert. Eine Finanzierung aus dem Ausland ist verboten.

Die Medien- und Meinungsfreiheit hat sich seit 2020 verschlechtert und wird gravierend eingeschränkt. Unabhängige Medien sind einer massiven Repressionswelle ausgesetzt. Zwischen dem 09.08. und dem 25.10.2020 registrierte die unabhängige Belarussische Journalistenvereinigung BAJ mehr als 400 Verstöße gegen die Rechte der Medienvertreter. 2020 wurden 477 Journalisten zumindest vorübergehend festgehalten, 97 zu Administrativhaft verurteilt, 15 nach dem Strafgesetzbuch angeklagt, und Bußgelder in Höhe von ca. 22.000 EUR gegen Medienvertreter verhängt. Mind. 62 Journalistinnen und Journalisten berichteten von Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte. Der Entzug von Akkreditierungen und Probleme mit Neuakkreditierungen, u. a. auf Grundlage der am 05.10.2020 unangekündigt eingeführten neuen Verordnung zur Akkreditierung ausländischer Medien, sind systematischen Ursprungs. Mindestens 50 ausländischen Journalisten wurde die Einreise nach Belarus untersagt, einige des Landes verwiesen und mit einem fünfjährigen Einreiseverbot belegt. Um eine kritische Berichterstattung zu unterbinden werden sie juristisch verfolgt. So wurden bspw. fünf führende Mitglieder Press Club Belarus wegen Steuerhinterziehung festgenommen und gegen sie im Januar 2021 Anklage wegen Steuerhinterziehung in besonders großen Umfang erhoben, der Leiter der Akademie des Presseklubs wurde – als russischer Staatsangehöriger - am 31.12.2020 nach Russland abgeschoben.

Bereits auflagenschwache unabhängige Printmedien, die mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die v. a. mit dem generellen Rückgang an Zeitungslesern, aber auch mit einem Wettbewerbsnachteil gegenüber subventionierten staatlichen Medien, zusammenhängen, können seit 2020 nicht mehr in Belarus gedruckt werden und werden nicht mehr über die staatlichen Vertriebsnetze „Belpotschta“ und „Belsajusdruk“ (Monopolstellung) verkauft. Ab 2021 können diese nicht mehr abonniert werden. Das Gesetz über Massenmedien verlangt von Online-Medien eine Registrierung vom Informationsministerium und verpflichtet Nutzer, die Kommentare verfassen, zur Registrierung. Ergebnis ist eine verschärfte Kontrolle über nichtstaatliche Online-Medien und ein Rückgang an Kommentaren (und freier Meinungsäußerung). Die Voraussetzungen für eine Verwarnung sind im Mediengesetz sehr vage formuliert – verboten ist beispielsweise die „Verbreitung von Informationen, die den nationalen Interessen der Republik Belarus schaden können“.

Im Internet finden sich unabhängige und dezidiert regimekritische Webportale, die z.T. zumindest vorübergehend vom Informationsministerium gesperrt wurden. Zu den großen unabhängigen Internetmedien zählen tut.by, Nasha Niva, naviny.by und die Nachrichtenagentur BelaPAN. Gegen das einflussreiche unabhängige Nachrichtenportal tut.by wurde per Gerichtsurteil am 03.12.2020 einem Antrag des Informationsministeriums auf Aberkennung des Status eines Massenmediums eingereicht, mit gravierenden Beeinträchtigungen für die freie und geschützte Berichterstattung.

Die regelmäßige Diffamierung oppositioneller und zivilgesellschaftlicher Kräfte in staatlichen Medien besteht nach wie vor. In Fernsehen und Rundfunk wird nahezu ausschließlich die offizielle politische Linie propagiert (private Radiosender dürfen ausschließlich unpolitische Unterhaltungsprogramme senden). Unabhängige Fernsehsender gibt es in Belarus nicht. Jedoch ist der Empfang von Satellitensendern über Kabelanbieter oder Direktempfang grundsätzlich möglich, auch „Radio Svaboda“ (Radio Free Europe) kann empfangen werden. Mit dem in Warschau ansässigen Sender BelSat existiert ein regimekritisches Programm in belarussischer Sprache. Das ebenfalls von Polen mit EU-Unterstützung aus betriebene „European Radio for Belarus“ ist terrestrisch in den westlichen Regionen von Belarus zu empfangen. Zwischen dem 09.-12.08.2020 kam es zu einer Sperrung des Internetzugangs (mobile Daten, WLAN), während der traditionellen Sonntagsproteste kam es bis Dezember 2020 zu Sperrungen des mobilen Netzes in Minsk.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Erstbefragung vom 12.10.2021) und durch das Bundesamt (Einvernahme vom 20.04.2022), der Beschwerdeschriftsatz, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Weißrussland, Gesamtaktualisierung am 06.07.2020 und mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, auch der Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Belarus vom Auswärtigen Amt mit Stand vom Oktober 2022 und Februar 2021, die von den BF vorgelegten Beweismittel (Fotos von Demonstrationsteilnahmen und Hausdurchsuchung sowie erlittenen Verletzungen, Krankenhausbericht, Ladung, Beschwere wegen Folter und Menschenrechtsverletzung an UNO, Gerichtsbeschluss etc.), sowie Integrationsunterlagen (diverse Empfehlungsschreiben, Deutschzeugnis, Teilnahmebestätigungen, Bestätigung über gemeinnützige Tätigkeiten, etc.) und die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 10.05.2023.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF:

Die angegebenen Aktenseiten beziehen sich, wenn nichts anderes angegeben wird, auf den Akt des BF1, W272 2264182-1.

2.1.1. Aufgrund der Vorlage von unbedenklichen Identitätsdokumenten der BF (AS 27-35 belarussischer Reisepass des BF1 und Führerschein des BF1 und der BF2 samt Sicherstellungsprotokoll, AS 165: Heiratsurkunde, AS 161: Geburtsurkunde des BF3 und AS 11 des BF4: Geburtsurkunde des BF4) und damit in Einklang stehenden Angaben der BF, steht die Identität der BF fest. Es besteht kein Grund an den durchwegs gleichbleibenden und schlüssigen Angaben der BF zu zweifeln. Die Feststellungen betreffend weiterer Personenmerkmale (Staatsangehörigkeit, Religionszugehörigkeit, Sprachkenntnisse und Familienstand) gründen auf ihren ebenso schlüssigen und übereinstimmenden Angaben in der mündlichen Verhandlung (Seite 3, 4, 6 und 11f des Verhandlungsprotokolls), die mit ihren Angaben im behördlichen Verfahren im Wesentlichen in Einklang stehen soweit die BF hierzu überhaupt befragt wurden. Insbesondere die BF2 wurde zu ihrer Identität und Herkunft sowie zu ihren persönlichen Lebensumständen kaum näher befragt (Seite 2f betreffen BF1 und Seite 3 betreffend BF2 des Einvernahmeprotokolls) und legten die BF auch eine Heiratsurkunde vor (AS 165). Dass die BF ohne religiösen Bekenntnis sind, gaben sowohl der BF1 als auch die BF2 durchgehend an (jeweils Seite 1f des Erstbefragungsprotokolls von BF1 und BF2).

2.1.2. Die Feststellungen zur Herkunft, zum Aufwachsen, zur Schulbildung sowie Erwerbstätigkeit im Herkunftsland sowie ihren Auslandsreisen ergeben sich aus den schlüssigen und detaillierten Angaben des BF1 und der BF2 in der mündlichen Verhandlung (Seite 6-10 und 11-14 des Verhandlungsprotokolls) und stimmen diese auch mit den Angaben im behördlichen Verfahren überein vergleiche Seite 2 des jeweiligen Erstbefragungsprotokolls; Seite 3 des jeweiligen Einvernahmeprotokolls). Es ergaben sich insgesamt an den im Wesentlichen gleichbleibenden und durchwegs schlüssigen Angaben der erwachsenen BF hinsichtlich ihrer Lebensumstände in Belarus keine Anhaltspunkte, die diese in Zweifel ziehen und waren insofern auch glaubhaft.

Das Geburtsdatum des BF3 und der gemeinsame Aufenthalt mit den Eltern bis zur Ausreise ergibt sich aus der vorgelegten Geburtsurkunde (AS 161) und Reisepass sowie der Tatsache, dass der BF3 zu diesem Zeitpunkt noch ein Kleinkind war und die Eltern BF1 und BF2 obsorgeberechtigt sind und nichts Gegenteiliges vorbrachten.

2.1.3. Die Feststellungen zu den Familienmitgliedern der BF sowie deren Aufenthalt im Herkunftsstaat oder außerhalb basieren auch auf den gleichbleibenden sowie übereinstimmenden Angaben der BF vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung, wobei der BF1 nunmehr in der mündlichen Verhandlung glaubhaft vorbrachte, dass auch seine Schwester nunmehr wie auch seine Mutter in Polen lebt und er somit in Belarus keine nahen Angehörigen mehr hat. Da der BF1 dies schlüssig und nachvollziehbar damit begründet hat, dass seine Mutter in Polen nunmehr asylberechtigt sei und seine Schwester ein Arbeitsvisum erhalten habe und erst seit etwa einem halben Jahr in Polen aufhältig sei, sind die Angaben für das erkennende Gericht in zeitlicher Hinsicht nachvollziehbar und auch glaubhaft, auch wenn der BF1 bei der Erstbefragung noch anführte, dass seine Mutter in Belarus lebe, obwohl er später anführte zu diesem Zeitpunkt sei seine Mutter bereits nach Georgien ausgereist und danach nach Polen weitergereist vergleiche Seite 3 des Einvernahmeprotokolls des BF1 und der BF2; Seite 8, 10f, 13 des Verhandlungsprotokolls). Dass die BF mit ihren Angehörigen in telefonischen Kontakt stehen, gaben sie ebenfalls vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung an (Seite 3 des Einvernahmeprotokolls und Seite 19 des Verhandlungsprotokolls).

2.1.4. Die Feststellungen zur Einreise der BF im Oktober 2021 und der Zeitpunkt der Antragstellung der BF auf internationalen Schutz basiert auf dem Erstbefragungsprotokoll vom 12.10.2021, der Anzeige des nachgeborenen BF4 in Österreich und aus den Fremdenregisterauszügen sowie auch der weitere Verfahrensgang im Asylverfahren ergibt sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.

2.1.5. Dass die BF gesund sind und an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohenden psychischen oder physischen Erkrankungen leiden steht aufgrund den aktuellen Angaben der volljährigen BF in der mündlichen Verhandlung, wonach die BF chronische oder akute Krankheiten oder andere Leiden oder Gebrechen verneinten, fest vergleiche Seite 4 des Verhandlungsprotokolls). Der BF1 brachte im Rahmen seiner Fluchtgründe vor in Belarus 2020 Gesichtsverletzungen mit Knochenbrüchen erlitten zu haben und belegte dies glaubhaft auch mit den vorgelegten Krankenhausbefunden aus Belarus samt Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AS 185-187, 222-224). Dass er dadurch an einer Folgeerkrankung leidet oder deshalb noch in medizinischer Behandlung ist, brachte er nicht vor und ist deshalb insgesamt zum Entscheidungszeitpunkt festzustellen, dass alle BF gesund sind.

Dass der BF1 und die BF2 arbeitsfähig sind, steht in Zusammenschau ihres Gesundheitszustandes sowie noch jungen Alters (35 Jahre) und der Tatsache, dass sowohl der BF1 als auch die BF2 in Belarus erwerbstätig waren und der BF1 auch in Österreich gemeinnützig arbeitet, fest.

Die Unbescholtenheit des BF1 und der BF2 basiert auf der Einsichtnahme in den Strafregisterauszug.

2.1.6. Die Feststellungen zur Situation der BF in Österreich, ihre sozialen Kontakte, ihren Wohnsitz, Familienmitglieder im Bundesgebiet, ehrenamtliches Engagement und Freizeitgestaltung basieren auf den ausführlichen und übereinstimmenden Angaben zu der BF zu ihrem Tagesablauf in den mündlichen Verhandlungen (Seite 17-20 des Verhandlungsprotokolls). Zudem ergibt sich aus der Einsicht in das Betreuungsinformationssystem, dass die BF Leistung aus der Grundversorgung beziehen und ihr aktueller Wohnsitz in Österreich in einem Quartier der Grundversorgung aus einem Auszug des Zentralen Melderegisters und die ehrenamtlichen Tätigkeiten des BF1 aus dem vorgelegten Bestätigungsschreiben der römisch 40 vom 05.05.2023. Dass die BF im Bundesgebiet über einen Freundes- und Bekanntenkreis verfügen, gaben der BF1 und die BF2 einerseits selbst übereinstimmend in der mündlichen Verhandlung an und stehen ihre Angaben auch in Einklang mit den zahlreichen vorgelegten Empfehlungsschreiben sowie einer Unterschriftenliste, die insbesondere die BF2 als auch den BF1 als sehr fleißige, engagierte Teilnehmer der Deutschkurse und freundlich sowie höflich beschrieben werden (Beilagen mündliche Verhandlung). Dass die BF über keine Familienangehörigen oder sonstigen familienähnlichen Bindungen im Bundesgebiet verfügen und die Feststellungen zu ihren Freizeitaktivitäten, gründen ebenfalls auf den Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung, außerdem legten die BF im gesamten Verfahren bis auf die gemeinnützige Tätigkeit des BF1, keine sonstige Vereinsmitgliedschaft dar (Seite 17-19 des Verhandlungsprotokolls).

Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen und sonstigen absolvierten Kursen und Prüfungen geht aus den Angaben der BF und den vorgelegten Teilnahmebestätigungen sowie Deutschzeugnisse (AS der BF2: 75-77; Beilage mündliche Verhandlung: Zeugnis der römisch 40 A2 vom 06.02.2023; bezüglich BF3 auch aus dem Kindergartenschreiben vom 03.05.2023; Seite 18 und 19 des Verhandlungsprotokolls) sowie aus dem gewonnenen Eindruck in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hervor, wo dem BF1 als auch der BF2 einige Fragen auf Deutsch gestellt wurden. Der erkennende Richter konnte diesbezüglich feststellen, dass die BF2 die auf Deutsch gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und auf Deutsch beantwortet hat (Seite 18 des Verhandlungsprotokolls) und dass der BF1 die auf Deutsch gestellten und nicht übersetzten Fragen teilweise verstanden und mit gebrochenem Deutsch beantwortet hat. Dass der BF3 den Kindergarten besucht, gaben die BF2 und der BF1 übereinstimmend an und ergibt sich auch aus dem vorgelegten Schreiben des Verein „Creative Kinderwelt“ vom 03.05.2023. Darin wird bestätigt, dass der BF3 seit Anfang März 2022 eine Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtung besucht sowie auch die bereits mögliche Kommunikation mit BF3 auf Deutsch ohne Förderbedarf, die sozialen Kontakte und Freundschaften mit anderen Kindern beschrieben (Beilage mündliche Verhandlung).

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der BF:

2.2.1. Der BF1 und die BF2 brachten im Zuge des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens als Grund für die Stellung ihres Antrages auf internationalen Schutz vor, dass sie in Belarus aufgrund ihrer politischen Aktivitäten und in Folge unterstellten oppositionellen und regimekritischen Haltung bedroht und verfolgt wurden. Für ihre minderjährigen Kinder BF3 und BF4 brachten sie keine eigenen Fluchtgründe vor. Die belangte Behörde kam zu dem Schluss, dass das Fluchtvorbringen der BF nicht glaubwürdig ist (Seite 39 des angefochtenen Bescheides des BF1: „ihre diesbezügliche Geschichte wirkte aus Sicht der Behörde vollkommen aufgesetzt und ist voller Widersprüche“). Diesen Eindruck kann das erkennende Gericht nicht teilen und ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass das Bundesamt – dem Beschwerdeschriftsatz zustimmend – kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren führte, weil es insbesondere verabsäumte aktuelle Herkunftslandinformationen einzuholen und auch in der Einvernahme der BF kaum auf die vorgebrachten Fluchtgründe eingingen und mittels Nachfragen Unklarheiten versuchten zu bereinigen. Das Bundesamt stützt sich auch in der sehr knapp gehaltenen sowie teilweise oberflächlichen Beweiswürdigung in den angefochtenen Bescheiden auf willkürliche und spekulative Begründungselemente, ohne das Vorbringen der BF mit Länderinformationen abzugleichen, führten lediglich zwei „Widersprüchlichkeiten“, die bei näherer Auslegung der Angaben nicht als Widersprüche anzusehen sind, an, gingen auf Vorbringen der BF zum Teil gar nicht ein (Anzeige des BF1 bei der UNO, Androhung der Kindesabnahme, Ladung des BF1) und entstand der Eindruck, dass sämtlich vorgelegten Beweismittel der BF im angefochtenen Bescheid einer erhöhten Beweislast unterstellt wurden, ohne auf die lediglich notwendige „Glaubhaftmachung“ in Asylverfahren Bedacht zu nehmen (Seite 39-40: „[…] Echtheit der Krankenhausbestätigungen lässt sich nicht feststellen. Sollten diese keine Fälschungen sein, beweist sie jedoch nicht, dass die Verletzungen durch Gewaltanwendung der Polizei erfolgt sind; Fotos der Wohnung der BF zeigen ungeordnete Räumlichkeiten, aber sind keinerlei Belege dafür, dass diese von einer Hausdurchsuchung der Polizei stammt. […]“). Dem ist klar zu entgegnen, dass die BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchwegs detailreich, persönlich und nachvollziehbar ihre rege Teilnahme an Demonstrationen, Verteilung von politischen Schriften in Belarus und das Vorgehen der belarussischen Behörden und Polizei gegen Aktivisten allgemein und den BF konkret (Polizeigewalt, Hausdurchsuchung, Drohung) und insbesondere vor dem Hintergrund der Länderberichte eine asylrelevante Verfolgungsgefahr erheblicher Intensität des BF1 und der BF2 sowie auch abgeleitet der BF3 und BF4 wegen (unterstellter) oppositioneller Gesinnung und als Regimekritiker sowie Kritiker von Lukaschenko nicht nur mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, sondern mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer entsprechenden Verfolgung aufgrund der politischen Tätigkeit zu rechnen ist. Dazu näher wie folgt:

Der BF1 als auch die BF2 brachten im gesamten Verfahren gleichbleibend vor, dass sie in Belarus regelmäßig an Demonstrationen, auch an nicht genehmigten, vor den Hintergrund der Präsidentschaftswahlen 2020 teilnahmen. Die Teilnahme an Demonstrationen wurde grundsätzlich auch vom Bundesamt glaubhaft erachtet, wobei der dargelegte Widerspruch in den Angaben des BF1 im angefochtenen Bescheid nicht nachvollziehbar ist. So gab der BF1 in der Einvernahme vor dem Bundesamt an, dass die Gefahr bestehe, dass er ins Gefängnis muss, Druck auf ihm ausgeübt wurde und er an einer Demonstration teilgenommen habe. Im späteren Verlauf erläuterte er näher, dass er praktisch bei allen Demonstrationen gegen die Wahlverfälschungen im Jahr 2020 teilgenommen habe und bei einer dieser Demonstrationen sei er von der Polizei festgenommen und zusammengeschlagen worden. Auf konkrete Nachfrage gab er übereinstimmend an, dass er an jedem Wochenende (Sonntag) bei Demonstrationen gewesen sei vergleiche Seite 4 und 5 des Einvernahmeprotokolls). Ein konkreter Widerspruch ist in diesen Angaben des BF1, wie von der belangten Behörde rein oberflächlich dargelegt, nicht zu erkennen (dass der BF an einer Demonstration teilgenommen hat, schließt nicht aus, dass er auch an anderen Demonstrationen teilgenommen hat und wurde auch erst später konkret nach der Anzahl an Teilnahmen gefragt). Vielmehr erzählte der BF1 auch in der mündlichen Verhandlung ausführlich und gleichbleibend über seine rege Teilnahme an Demonstrationen, welche zumeist am Sonntag stattgefunden haben und berichtete schlüssig von den Forderungen der politischen Aktivisten oder auch das zum Teil brutale Vorgehen der Polizei gegenüber den Demonstranten (Seite 21-22 des Verhandlungsprotokolls: „[…] Nach ca. 2 Stunden kamen die Polizisten und begannen sehr brutal alle Anwesenden wegzuschicken, sie bewarfen sie mit Lichtraketen und auch mit Augenreizgas, sie schossen auf die Anwesenden wahllos mit Gummimunition. Vor meinen Augen wurde ein junger Mann am Hals mit einem Gummigeschoss getroffen, er hatte eine starke Blutung, die wir nicht stillen konnten. Ich kam nach Hause spät am Abend, am nächsten Tag gingen wir auch zu einer Protestaktion, die wurde auch brutal aufgelöst. Am 11. und am 13., das war alles nicht geplant, für 16. August haben die Oppositionskräfte eine große Protestaktion im Stadtzentrum angekündigt, die Forderung war, alle politisch Gefangenen aus der Haft zu entlassen und neue, ehrliche Wahlen, transparente Wahlen, durchzuführen, ich war auch bei dieser Protestaktion dabei, es waren sehr viele Teilnehmer. […]“). Die Teilnahme an Demonstrationen in Belarus schilderte übereinstimmend auch die BF2 (Seite 32 des Verhandlungsprotokolls) und stehen die Schilderungen der BF auch in Einklang mit den Länderberichten, aus denen hervorgeht, dass die seit August 2020 regelmäßigen Protestkundgebungen, insbesondere die großen Sonntagskundgebungen, aber auch unter der Woche regelmäßig stattfindende Proteste und Solidaritätskundgebungen, behördlich nicht genehmigt sind. Teilnehmende werden direkt festgenommen oder über Videobeweise nachträglich belangt. So ist glaubhaft, dass der BF1 regelmäßig an Demonstrationen in Belarus insbesondere 2020 vor dem Hintergrund der Präsidentschaftswahlen teilnahm, ebenso auch die BF2, jedoch seltener, weil wie sie nachvollziehbar angab, sich den Gefahren bei den Protesten mit einem Kleinkind, nicht aussetzen wollte, aber belegte sie ihr wenn auch geringeres politisches Engagement glaubhaft mit Fotos von Demonstrationen gemeinsam auch mit dem BF3 sowie den Auszügen ihres Facebook Accounts (OZ 4). Wenn es auch lange zurückliegt, schilderten der BF1 und die BF2 ihre Mitgliedschaft während ihrer Schulzeit bei einer politischen oppositionellen Organisation. Eine kurze Onlinerecherche bestätigte, dass es sich bei der genannten Organisation „ römisch 40 “ um eine zivilgesellschaftliche Jungendorganisation in Belarus in Opposition zu Präsidenten Lukaschenko handelte (https://en.wikipedia.org/wiki/ römisch 40 _(political_organization).

2.2.2. Ebenso schilderte der BF1 detailreich auch die Vorfälle (Festnahme, Verletzungen, Hausdurchsuchung) im Rahmen seiner politischen Aktivitäten in der mündlichen Verhandlung, die im Wesentlichen mit seinen Angaben im behördlichen Verfahren in Einklang stehen sowie auch vor dem Hintergrund der eingeholten Länderinformationen für das erkennende Gericht schlüssig und plausibel sind. Die ausführlichen Angaben in zeitlicher und örtlicher Hinsicht sowie durch angeführte konkrete Wahrnehmungen untermauerte der BF1 auch mit zahlreichen vorgelegten Unterlagen, die entgegen dem Bundesamt, zwar nicht alleine vollen Beweiswert haben, aber durchaus zweckdienlich sind, um die vorgebrachte Fluchtgeschichte zu untermauern (Seite 5 des Einvernahmeprotokolls; AS 83-238). Der BF1 schilderte die Vorkommnisse zu seinen Verletzungen durch Polizeigewalt so detailreich, sodass der erkennende Richter sogar um kürzere Darstellung des Geschehenen ersuchte (Seite 22 und 23 des Verhandlungsprotokolls:

„[…] Ich wurde dann in einen Kleinbus gesetzt mit einem weiteren Festgenommenen und 5 Polizisten, sie waren schwarz vermummt und ich sah ihre Gesichter nicht.

Der zweite Festgenommene sagte zu den Polizisten, sie sollen eine Rettung für mich rufen und dass ich geschlagen wurde und es mir nicht gut geht, daraufhin sagte ein Polizist, er soll den Mund halten, nahm einen Gummischlagstock raus und schlug ihn mehrmals. Wir fuhren noch 20 Minuten herum, die Polizei versuchte noch jemanden festzunehmen. Danach wurden wir zu einem Parkplatz eines EKZ gebracht und wir mussten in einen anderen Bus umsteigen, dort waren bereits mehrere Festgenommene drinnen. Mit dem Bus wurden wir zu einer Bezirksabteilung für Inneres gebracht des Bezirkes Pervomayskaya (Polizeikommissariat). Wir wurden in einem Sportsaal untergebracht, wo bereits 60 –70 Personen waren. Ich wurde auf eine Bank gesetzt und ersuchte um Hilfe, weil es mir sehr schlecht ging. Ich hatte starke Kopf-und Gesichtsschmerzen.

RI unterbricht und ersucht um kürzere Darstellung des Geschehenen.

BF2: Mein Ersuchen wurde nicht erhört. Meine Personalien wurden aufgenommen. Die Rettung wurde erst gegen 21 Uhr abends angerufen, beim Polizeikommissariat waren wir gegen 14 Uhr und die Rettung wurde gegen 21 Uhr verständigt. Als die Rettung kam, wurden wir in einem Extrazimmer untersucht und für 4 Personen war eine Behandlung notwendig, wir wurden in ein Spitalszimmer gebracht.

R ersucht um kürzere Darstellung.

BF: Ich wurde gemeinsam mit einem anderen Festgenommen ins KH gebracht, ich habe die Bestätigung vom Krankenhaus (AS 223) Ich habe unterschrieben, dass ich mich verpflichte, behördlichen Ladungen Folge zu leisten (AS 225). Von dort wurde ich im KH Nr. 11 für Gesichts-und Kieferchirurgie gebracht. Ich wurde operiert. Ich habe einen Befund, den ich bereits vorgelegt habe (AS 222). Ich bekam bereits im KH eine Ladung aus dem Ermittlungskomitee, wo ich als Oper geladen wurde (AS 226, Kuvert wurde dem R gezeigt). Ich habe noch eine Arbeitsunfähigkeitsbestätigung aus dem KH bekommen, nach der OP wurde ich entlassen, 1 Woche nach der OP. […]“).

Die vorgebrachte Polizeigewalt, welcher der BF1 im Zuge einer Festnahme bei einer Demonstration ausgesetzt war und die daraus resultierenden Verletzungen stimmen mit dem vorgelegten Krankenhausbericht auch zeitlich überein, legte der BF1 auch Fotos von den Verletzungen vor und die ebenso sehr ausführliche Anzeige bei der UNO bzw. Beschwerde wegen Folter und Menschenrechtsverletzung über 19 Seiten vom Jänner 2021, insbesondere auch die lange Verwehrung von medizinischer Hilfe über mehrere Stunden sowie die mündliche Anzeigeerstattung bei den belarussischen Behörden vom Dezember 2020 (AS 123ff, 183,221) wo der BF1 die Körperverletzung durch einen Polizisten anzeigt. Ermittlungen wurden daraufhin laut Angaben des BF1 nicht durchgeführt. Da auch der Bericht vom Jänner 2021 ist, wurde nicht der Eindruck erweckt, dass diese Angaben fingiert sind, um in einem Jahre späteren Asylverfahren verwendet werden zu können. Der BF 1 konnte somit glaubhaft machen, dass er politisch gegen das belarussische Herrschaftssystem auftrat, gefangen genommen wurde, verletzt und den Behörden durch sein Vorgehen – Anzeige und Mitteilung an die UNO – bekannt ist und daher sich von anderen „bloßen“ Teilnehmern von Demonstrationen erheblich unterscheidet, wodurch auch nachvollziehbar ist, dass die belarussischen Behörden auf die Familie des BF 1 besonders Bedacht genommen haben. Diese Darstellungen des BF1 über die Reaktionen der belarussischen Behörden auf Proteste und Demonstrationen deckt sich auch mit aktuellen Länderinformationen. Daraus ergeht, dass die belarussische Staatsmacht auf massive Proteste gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen vom 09.08.2020 mit einer präzedenzlosen Welle von Gewalt (massivste Misshandlungen und insbesondere im direkten Nachgang der Wahl auch Folter), Repression, systematischer Verfolgung, politisch motivierter Verfahren und Inhaftierungen gegen Regimekritikerinnen und Regimekritiker und die kritische Zivilbevölkerung reagierte. Weite Teile der Opposition befinden sich entweder in Haft oder im erzwungenen Exil. Die Menschrechtslage hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Zudem wird berichtet, dass die Behörden seit 2020 keine Massenversammlung der Opposition oder unabhängiger Vereinigungen mehr genehmigt haben. Die Teilnahme an den Protesten 2020 wird strafrechtlich verfolgt als Teilnahme an Massenunruhen. Gerichte fällten auch 2022 noch immer Urteile gegen Teilnehmer; nach Angaben des Minsker Ermittlungskomitees wurden zwischen Februar und August 2022 alleine in Minsk mehr als 280 Personen festgenommen. Über die Gesamtzahl an festgenommenen Personen gibt es keine belastbaren Zahlen, Schätzungen belaufen sich auf mehrere Zehntausende. Am 27. Februar 2022 führten die Behörden erneut Massenverhaftungen (mehr als 800 Personen) und Inhaftierungen durch nach Protesten gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine und das belarussische Verfassungsreferendum. Auch gegenwärtig wird die Teilnahme an Antikriegsprotesten minutiös aufgearbeitet und strafrechtlich verfolgt: Jegliche, auch symbolische, Unterstützung der Ukraine wird bestraft - trotz gegenteiliger Aussagen der Staatsführung. Die Behörden verschärften 2021 die Unterdrückung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit. Unabhängige zivilgesellschaftliche Strukturen (betroffen u.a. NROs, Anwaltsverbände, Gewerkschaften, politische Gruppen, Organisationen ethnischer und religiöser Gemeinschaften) werden von den Behörden seit Frühjahr 2021 gezielt zerstört.

Weiters ist vor diesem Hintergrund auch die ebenso detailliert (zeitlich, örtlich, persönliche Wahrnehmungen) geschilderte Festnahme für drei Tage in U-Haft für das erkennende Gericht glaubhaft, dies gab der BF1 ebenfalls gleichbleibend an und legte diesbezüglich auch das Gerichtsurteil samt Rechnung der Anwaltskosten sowie weitere zahlreiche Unterlagen vor und schilderte die Festnahme des BF1 übereinstimmend auch die BF2 vergleiche Seite 24 und 32 des Verhandlungsprotokolls; AS 179,181,193-211 sowie die Übersetzungen 219f, 225-237).

Darüber hinaus brachten der BF1 und die BF2 übereinstimmend sowie gleichbleibend vor auch politisch-oppositionelle Informationsblätter und Zeitungen ausgedruckt von einem Telegram-Account und verteilt zu haben (Seite 28, 32f des Verhandlungsprotokolls: „BF: Sowohl er als auch ich verteilten politische Zeitungen, die ehrliche Zeitung, die konnte man auf der Homepage herunterladen. Ich hatte einen Link im Telegramkanal.“). Im Zuge der mündlichen Verhandlung konnte der BF1 als auch die BF2 dem erkennenden Richter auf ihren Handys auch den entsprechenden Telegram-Account/Kanal zeigen und ist somit auch die Verbreitung der BF von regimekritischen und politisch-oppositionellen Inhalt glaubhaft (Seite 31 und 32 des Verhandlungsprotokolls: „BF zeigt RI auf seinem Handy römisch 40 (ehrliche Zeitung). BF zeigt die aktuelle Zeitung, sowie die älteren Ausgaben aus 2021, die er ebenfalls verteilt hat. […] RI: Zeigen Sie mir bitte diesen Telegramkanallink. BF zeigt RI auf dem Handy den Telegramkanal.“).

Hinzu kommt, dass der BF1 und die BF2 ebenso übereinstimmend, detailliert, schlüssig und vor dem Hintergrund der Länderberichte eine erfolgte Hausdurchsuchung der Polizei vorbrachte, welche schlussendlich dann der entscheidende Grund für die illegale Ausreise des BF1 und die legale Ausreise der BF2 gemeinsam mit dem minderjährigen BF3 wenige Tage später aus Belarus war. Entgegen der belangten Behörde, ergaben sich aus den Schilderungen der BF vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung keine eklatanten Widersprüche und der lediglich angeführte Widerspruch im angefochtenen Bescheid, wonach die BF2 zum einen Angab ihr Mobiltelefon versteckt zu haben und zum anderen es auf den Tisch legen musste, erklärte die BF2 auf Nachfrage nachvollziehbar über zwei Mobiltelefone verfügt zu haben. Demgegenüber wiegt weitaus schwerer, dass die BF2 als auch der BF1 hinsichtlich den Wahrnehmungen davor und danach, die Hausdurchsuchung sehr detailreich sowie auch nachvollziehbar und übereinstimmend schilderten auch wie sie im Anschluss Kontakt aufnahmen und insgesamt mit zahlreichen Einzelheiten, sodass von einer persönlichen Wahrnehmung ausgegangen wird vergleiche Seite 5f des Einvernahmeprotokolls der BF2; Seite 26 des Verhandlungsprotokolls:

„BF1: Am 7.10.2021, einem gewöhnlichen Tag, wollte ich um 7 Uhr früh laufen gehen, ich lief ca. 50 Minuten, am Rückweg als ich mich meinem Wohnhaus näherte, sah ich 2 Polizeifahrzeuge, bewaffnete Polizisten standen auf der Straße, ich verstand, dass sie mich holen wollten, drehte mich um und lief weg. Unser Wohnbezirk befindet sich am Stadtrand und über die Straße beginnt der Wald, ich flüchtete in den Wald, ich lief ca. 20 Minuten ohne stehen zu bleiben. Dann stürzte ich in die Büsche, ich blieb liegen, um mich zu beruhigen, nach einiger Zeit, einer halben Stunde, wurde mir klar, dass ich etwas unternehmen soll und ich beschloss zu meinen Freunden zu gehen, das ist ein Ehepaar namens Anastasia und Dmitry. Sie haben 3 Kinder. Ich läutete an die Türe, die Frau machte auf, der Mann war in der Arbeit, zu Hause war nur die ältere Tochter. Ich erzählte der Frau was passiert ist, sie rief ihren Mann an und er sagte zu, er käme bald nach Hause, ich machte mir große Sorgen um meine Familie und ich bat um 11 Uhr Anastasia meine Frau anzurufen. Ich telefonierte mit meiner Frau, sie sagte, die Polizei kam und suchte nach mir, es wurde mitgeteilt, dass 2 Strafverfahren nach Artikel 342 und 293 des StGB eingeleitet wurde. Sie sagte, es wurde eine Hausdurchsuchung durchgeführt, alle PC, Handys und die ganze Technik, USB-Stick beschlagnahmt wurden […].“;

Seite 34 des Verhandlungsprotokolls:

„BF2: In der Früh kamen bewaffnete Polizisten und auch in zivil, sie klopften stark an der Tür uns sagten, aufmachen Polizei, ich öffnete, nahm das Kind in die Hand und öffnete, sie stürmten einfach in die Wohnung. Sie waren vermummt, mit Helmen, Schutzwesten, 2 gingen in 1 Zimmer, 2 blieben stehen, andere standen vor der Tür, sie konnten nicht in die Wohnung, weil wir einen engen Gang haben, die bewaffneten Polizisten sahen alles nach, sie sagten es sei sauber und gingen aus der Wohnung, dann kamen die anderen in zivil, hielten einen Zettel hoch, ich konnte nur Anordnung lesen. Einer zeigte seinen Dienstausweis, es war ein Büchlein, er machte es auf und zu und steckte es weg, sie fragten, wo mein Mann ist, ich sagte, ich weiß es nicht, sie sagten, wenn ich es nicht weiß, werden sie mein Kind dem Jugendamt übergeben und ich würde mitfahren zur Behörde. Ich bekam große Angst und zitterte ohnehin schon, ich sagte, mein Mann sei laufen gegangen, sie sagten er würde bald kommen, ich sagte ja. Sie gingen durch die Wohnung, nahmen Sachen heraus, nahmen techn. Anlagen und elektronische Geräte mit und den Stand-PC und unsere Computer. Das dauerte ca. 1,5 Stunden, mir wurde nichts erklärt, nichts gezeigt. Sie sagten nur, du wirst die nächste sein, sie sprachen mich per du an. Ich hatte große Angst und versuchte dem Kind zu sagen, es ist nur ein Spiel. Mein Kind begann zu weinen, die Leute brachten die ganze Wohnung durcheinander. […]“).

In diesem Zusammenhang ist auch hervorzuheben, dass die BF2 gleichbleibend vorbrachte, dass die Polizei mit der Abnahme ihres Kindes drohte und ist dies laut Länderinformationen auch eine gängige Praxis um Druck auf politische Gegner auszuüben und somit ein glaubhaftes und wichtiges Detail auf welches das Bundesamt in ihrer Beweiswürdigung gar nicht einging vergleiche Pkt. 1.3.: „Die belarussischen Behörden greifen in dem Versuch, abweichende Meinungen zu unterdrücken, auf Drohungen, Schikanen und die Verfolgung von Kindern zurück durch die Androhung von jahrelangen Haftstrafen und staatlicher Inobhutnahme. Behördlicher Kindesentzug bzw. dessen Androhung gegen Dissident*innen gehören zum Repressionsrepertoire.“). Es stimmt die vorgelegten Fotos der BF von der durchwühlten Wohnung beweisen zwar nicht, dass das abgebildete Chaos von einer polizeilichen Hausdurchsuchung stammt, aber ist es auch nicht auszuschließen sowie nicht als Argument für die Unglaubwürdigkeit der Erzählungen so wie das Bundesamt zu werten, aber ist es durchaus ein Beweismittel, den vorgebrachten Vorfall zu untermauern und glaubhaft zu machen.

In Angebracht der zahlreichen bereits glaubhaft geschilderten Verfolgungs- und Bedrohungsvorfälle durch belarussische Behörden kann somit nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit insbesondere auch vor dem Hintergrund der Länderinformationen, die weiterhin ein willkürliches und menschenrechtsverletzendes Vorgehen auch gegenüber Teilnehmer an den zahlreichen Demonstrationen 2020 beschreiben, nicht ausgeschlossen werden, dass die belarussischen Behörden zwar von der Ausreise der BF in Kenntnis sind, aber den BF1 und die BF2 weiterhin beobachten und eine oppositionelle Gesinnung unterstellen.

2.2.3. Dass die BF sich auch in Österreich weiterhin exilpolitisch engagieren, gründet auf dem glaubhaften Vorbringen des BF1 in der mündlichen Verhandlung, wonach er einerseits angab, dass er freiwillig für die Ukrainehilfe arbeitet und an Protesten in Graz gegen den Ukrainekrieg teilnahm sowie die Teilnahme an einer weiteren politischen Literaturveranstaltung mit einem politischen Gefangenen, der in Österreich lebt und die Bücher von Belarus als extremistisch erklärt wurden, basiert auf die Vorlage von Fotos dieser Veranstaltung vergleiche Seite 19, 31 des Verhandlungsprotokolls, Beilagen mündliche Verhandlung). Die Feststellung von der weiterhin oppositionellen Überzeugung der BF2 ergibt sich auch aus den übermittelten Fotos des Facebook-Accounts der BF2 (OZ4, Beilage Beschwerdeschriftsatz). Auch vor dem Hintergrund der Länderberichte kann sich mit der Teilnahme des BF1 an Antikriegsprotesten und der Unterstützung von Hilfemaßnahmen für die Ukraine eine asylrelevante Verfolgung aufgrund einer auch dadurch unterstellten Regimegegnerschaft nachsichziehen. So ergeht aus den Länderberichten, dass auch gegenwärtig die Teilnahme an Antikriegsprotesten minutiös aufgearbeitet und strafrechtlich verfolgt wird: Jegliche, auch symbolische, Unterstützung der Ukraine wird bestraft - trotz gegenteiliger Aussagen der Staatsführung.

2.2.4. Es ist sohin in Zusammenschau der dargelegten Erwägungen und vor dem Hintergrund der aktuellen Länderberichte mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen, dass der BF1 und die BF2 im Falle einer Rückkehr nach Belarus strafgerichtliche Verfolgung durch staatliche Akteure sowie eine mehrjährige Haftstrafe mit Folter oder anderen Misshandlungen droht, weil den BF in Folge ihren regen Teilnahme an Demonstrationen im Jahr 2020, die Verteilung von regimekritischen Zeitungen und Posts in sozialen Medien, eine regimekritische Einstellung und Propagandaaktivitäten weiterhin unterstellt werden wird und seitens belarussischen Sicherheitsbehörden als Regimegegner identifiziert wurden und an ihnen weiterhin ein Verfolgungsinteresse besteht. Laut den Länderberichten wird die Justiz zur Verfolgung politisch Missliebiger instrumentalisiert und führt weiterhin Verfahren zu den Demonstrationen von 2020 und zu politischer Dissidenz aus dem Jahr 2021. Verfassungsrechtlich garantierte Freiheiten, darunter die Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit, der Schutz der Privatsphäre sowie das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren sind de facto aufgehoben. Somit

lassen sich die Auswirkungen auf mögliche Rückkehrende im Augenblick nicht abschließend einschätzen, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass Rückkehrende, die bereits von den belarussischen Behörden aufgrund einer oppositionspolitischen Überzeugung und regen Teilnahme an den Demonstrationen 2020 ins Blickfeld geraten und Verfolgungshandlungen ausgesetzt waren, von den Sicherheitsdiensten überprüft, befragt oder angehalten oder sogar festgenommen werden, insbesondere auch aufgrund der illegalen Ausreise des BF1 und der nicht nachgekommenen Ladung und den eingeleiteten Strafverfahren im Zuge dessen es zu einer Hausdurchsuchung kam.

Zusammengefasst spielen für das erkennende Gericht im Fall des BF1 und der BF2 mehrere Faktoren zusammen, die eine konkrete Verfolgungsgefahr des BF1 und der BF2 wegen ihrer politischen Überzeugung im Falle ihrer Rückkehr plausibel und glaubhaft erachten lassen: sie sind politische Aktivisten, nahmen regelmäßig an Demonstrationen Teil, der BF1 wurde bereits zwei Mal willkürlich verhaftet und erlitt schwere Körperverletzungen durch Polizeigewalt sowie mit einer Ladung, Hausdurchsuchung und der Abnahme ihres Kindes bedroht und sind weiterhin exilpolitisch tätig, indem sie bei Antikriegsproteste für die Ukraine teilnehmen, wogegen in Belarus ebenfalls mit Härte vorgegangen wird.

Nicht übersehen wird, dass zuletzt Mai 2023 ein Oppositioneller – Roman Protatessewitsch – durch Belarus begnadigt wurde (https://www.derstandard.de/story/2000146609954/belarus-begnadigt-oppositionellen-protassewitsch abgefragt am 01.06.2023). Dies zeigt jedoch nicht, dass die belarussischen Behörden eine allgemeine Begnadigung bzw. Nichtverfolgung von Oppositionellen durchgeführt haben. Hier ist aber auch zu sehen, dass die belarussischen Behörden nicht einmal davor zurückschreckten Flugmaschinen zur Landung zu zwingen, welche Oppositionelle sind und in den Medien als Blogger bekannt. Dass die BF keine „high Profile“ wie der Genannte sind, ist auch dem Gericht klar, jedoch sind die BF amtsbekannt und ist daher auch hier bei Rückkehr keine so hohe Medienpräsenz wie beim genannten Blogger gegeben, sodass die belarussischen Behörden umso einfache die Inhaftierung durchführen können.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation in Belarus:

2.3.1. Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat (Pkt. römisch II.1.3.) stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass diese hauptsächlich bloß allgemeinen Ausführungen zu Belarus mit weiteren aktuelleren Berichten insbesondere zu den vorgebrachten Fluchtgründe – politische Opposition, Teilnahme an Demonstrationen und staatliche Repressionen in Belarus– ergänzt wurden.

2.3.2. Das Bundesverwaltungsgericht teilte den Verfahrensparteien im Rahmen der mündlichen Verhandlung mit, welche Berichte es beabsichtigt, der Entscheidung zugrunde zu legen, und bot die Möglichkeit zur Einsicht- und Stellungnahme an. Den Länderberichten wurde nicht substantiiert entgegengetreten, weshalb für das Bundesverwaltungsgericht auch aus diesem Grund keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zulässigkeit und Verfahren:

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.

Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, des BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß Paragraph 6, BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (Paragraph eins, leg.cit.). Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Paragraph eins, BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß Paragraphen 16, Absatz 6 und 18 Absatz 7, BFA-VG sind die Paragraphen 13, Absatz 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (Paragraph 28, Absatz eins, VwGVG).

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde

3.2. Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.):

3.2.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, Asylgesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, (in Folge: AsylG 2005), ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Gemäß Absatz 2, leg.cit. kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Gemäß Absatz 3, leg.cit. ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005) offen steht oder, wenn er einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6, AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen;“

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (VwGH 24.11.1999, 99/01/0280).

Bei der begründeten Furcht vor Verfolgung muss es sich um eine solche handeln, die aus objektiver Sicht begründet ist und einen weiteren Verbleib des Asylwerbers in seinem Heimatland unerträglich erscheinen lässt (VwGH 25.04.1994, 94/20/0034).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.11.2003, 2003/20/0389, ausführte, ist das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ganzheitlich zu würdigen und zwar unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten.

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an vergleiche etwa VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274).

3.2.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall findet die oben festgestellte, die den BF1 und BF2 treffende und plausibel gemachte Verfolgungsgefahr ihre Deckung in einem der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründe, weil nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass dem BF1 und der BF2 in Belarus eine aktuelle, aus politischen Gründen resultierende Verfolgung maßgeblicher Intensität durch staatliche Akteure droht. Aus den Länderberichten ist ein besonders brutales Vorgehen der Polizei, gegen Demonstranten, politischen Aktivisten in Belarus ableitbar, welche auch Folter, Gewalt, willkürliche Festnahmen zur Folge haben kann und Demonstranten sowie politische Aktivisten als Oppositionelle und Regimekritiker wahrgenommen werden und zu langjährige Haftstrafen unter menschenunwürdige Bedingungen verurteilt werden. Die Sicherheitsbehörden in Belarus unterliegen keiner unabhängigen (parlamentarischen oder sonstigen) Kontrolle und werden gezielt zur Einschüchterung und Verfolgung politischer Gegner eingesetzt und die Justiz führt weiterhin Verfahren zu den Demonstrationen von 2020 und zu politischer Dissidenz aus dem Jahr 2021. So wurden laut den Länderfeststellungen auch 2020 noch immer Urteile gegen Teilnehmer an „Massenruhen“, alleine in Minsk wurde mehr als 280 Personen zwischen Februar und August 2022 festgenommen. Gegenwärtig werden auch die Teilnahme an Antikriegsprotesten strafrechtlich verfolgt und wird jegliche, auch symbolische Unterstützung der Ukraine bestraft. Insgesamt werden die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit in Belarus unterdrückt sowie mit einer Reihe von Gesetzesänderungen/-verschärfungen (mind. 30 Dekrete) seit 2021 politische Rechte massiv eingeschränkt.

Somit ist insgesamt im Wesentlich die konkrete vorgebrachte Verfolgungsgefährdung des BF1 und der BF2 aufgrund der illegalen Ausreise des BF1 aus Belarus, ihre oppositions-politische Aktivitäten regelmäßigen Teilnahme an Demonstrationen und Verteilung regimekritischer Informationsblätter sowie Zeitungen in Belarus in Verbindung mit einem weiterhin exilpolitischen Engagement und Aktivitäten in sozialen Netzwerken und Solidarisierung mit den Antikriegsprotesten für Ukraine sowie versenden oder „teilen“ von regimekritischen Posts auf Facebook oder vom Telegram-Account in Zusammenschau sowie auch vor den Länderberichten objektivierbar und stellen drohende Befragungen, willkürliche Festnahmen, Folter, Polizeigewalt und mehrjährige Haftstrafen unter menschenunwürdigen Bedingung eine Verfolgungs- und Bedrohungsgefährdung der BF mit erheblicher Eingriffsintensität dar. Es kann folglich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der BF1 und die BF2 aufgrund ihrer vergangenen politischen Aktivitäten in Belarus weiterhin von den belarussischen Behörden gesucht und belangt werden und sie wegen ihrer oppositionellen politischen Einstellung im Falle einer Rückkehr nach Belarus von den Behörden weiterhin verfolgt und bedroht werden, indem ihnen neben einer willkürlichen Festnahme, Misshandlung, Polizeigewalt und mehrjährigen Haftstrafen bedroht sind, sowie derzeit auch in Belarus selten aber doch Todesstrafen ausgesprochen werden und den BF daher eine asylrechtlich relevante Verfolgung droht.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem BF1 und der BF2 nicht offen, weil sich – wie sich aus den Länderberichten ergibt, die Repression gegen politisch Oppositionelle und das willkürliche und gewaltbereite Vorgehen der belarussischen Sicherheitskräfte – die drohende Verfolgung auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt und die Personen insbesondere bei Einreise überprüft werden, aber auch in Belarus eine rigorose Überwachung der Bevölkerung stattfindet, welches ihnen nicht ermöglicht ungehindert in Belarus zu leben sowie ihre freie Meinung zu äußern und ihr Versammlungs- und Vereinigungsrecht ohne willkürliche Strafverfolgung wahrzunehmen.

3.2.3. Da im Verfahren auch keine Asylausschlussgründe iSd Paragraph 6, Absatz eins, AsylG 2005 hervorkamen und der BF1 und die BF2 nicht straffällig wurden war BF1 und BF2 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen und gem. Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 auszusprechen, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2.4. Stellt ein Familienangehöriger von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, einen Antrag auf internationalen Schutz, so gilt dieser gemäß Paragraph 34, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

Die Behörde hat gemäß Absatz 2, leg.cit. auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (Ziffer eins,) und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 7,) (Ziffer 3,).

Diese Bestimmungen gelten gemäß Absatz 5, leg.cit. sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist jeder Antrag eines Familienangehörigen, unabhängig von der konkreten Formulierung, überdies in erster Linie auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gerichtet. Es sind daher für jeden Antragsteller allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln. Nur wenn solche – nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren – nicht hervorkommen, ist dem Antragsteller jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde vergleiche VwGH 24.03.2015, Ra 2014/19/0063).

Im gegenständlichen Fall sind der BF3 und BF4 die minderjährigen ledigen Kinder von Fremden – nämlich ihren Eltern BF1 und BF2 – denen der Status der Asylberechtigten mit gegenständlichen Erkenntnis zuerkannt wird. Für die minderjährigen BF wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

Für den BF3 und BF4 liegen mangels eigener Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen keine Gründe für eine originäre Asylzuerkennung vor. Da zwischen den minderjährigen BF3 sowie den minderjährigen BF4 und den Eltern BF1 und BF2 zweifellos ein aufrechtes Familienleben im Sinne des Artikel 8, EMRK besteht, ist den minderjährigen BF3 und BF4 somit in Stattgabe der Beschwerden im Familienverfahren gemäß Paragraph 34, in Verbindung mit Paragraph 3, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 auszusprechen, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.3. Zur Behebung der Spruchpunkte römisch II. bis römisch VI. der angefochtenen Bescheide:

3.3.1. Da die Spruchpunkte römisch II. bis römisch VI. der im Spruch bezeichneten Bescheide voraussetzen, dass die Anträge der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen werden, sind diese ohne weitere Prüfung ersatzlos zu beheben und ist insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung vergleiche die unter Punkt 3. angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen und waren Fragen der Beweiswürdigung und aktuelle Länderinformationen entscheidend.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2023:W272.2264184.1.00