Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

30.05.2023

Geschäftszahl

W272 2259783-1

Spruch


W272 2259785-1/15E
W272 2259782-1/13E
W272 2259784-1/13E
W272 2259783-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von 1. römisch 40 , geb. römisch 40 alias römisch 40 , 2. römisch 40 , geb. römisch 40 , 3. römisch 40 , geb. römisch 40 und 4. römisch 40 , geb. römisch 40 , alle Staatsangehörigkeit IRAN, die Minderjährige vertreten durch ihre Eltern römisch 40 und römisch 40 , alle vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich vom 18.08.2022, Zahlen: 1. römisch 40 , 2. römisch 40 , 3. römisch 40 , 4. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.04.2023 und am 12.05.2023, zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und die Eltern des Drittbeschwerdeführers und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin (in Folge: BF1, BF2, BF3, BF4 oder alle gemeinsam: BF). Sie sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Iran, Angehörige der Volksgruppe der Azeri und des schiitisch-muslimischen Glauben.

2. Die BF reisten am 19.03.2022 im Besitz gültiger Visa C in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 29.03.2023 die Anträge auf internationalen Schutz.

3. Bei der Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der BF1 zusammengefasst an, dass er Mitglied der Revolutionsgarde gewesen sei und er sich geweigert habe, einige Anweisungen zu befolgen, so wolle er zB keine Menschen töten. Nunmehr habe er Angst vor der Regierung und fürchte um sein Leben. Er habe die Ausreise unter Mithilfe eines Schleppers organisiert und habe dieser auch die Visa besorgt, der Reisepass sei ihm in Wien abgenommen worden.

3.1. Am selben Tag wurde auch die BF2 erstbefragt und gab zusammengefasst an, dass ihr Ehemann im Herkunftsstaat Probleme mit der Regierung gehabt habe, er sei bei der Revolutionsgarde gewesen und hätten sie deshalb das Land verlassen müssen. Die Flucht habe ihr Mann organisiert und könne sie dazu nichts sagen. Sie habe alle Verfolgungs- und Fluchtgründe genannt und nichts mehr hinzuzufügen.

3.2. Die BF2 gab als gesetzliche Vertreterin der noch unmündig minderjährigen BF4 zu deren Fluchtgründen an, dass auch für diese der von ihr angegebene Fluchtgrund gelte und sie auch für die Tochter einen Asylantrag stelle. Ihre Tochter habe keine eigenen Fluchtgründe.

3.3. Auch der zu diesem Zeitpunkt noch minderjährige BF3 wurde durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab zusammengefasst an, dass sein Vater im Herkunftsstaat Probleme mit der Regierung gehabt habe, da er Teil der Revolutionsgarde sei. Im Falle einer Rückkehr fürchte er, dass ihnen die Regierung etwas antun würde. Er wisse, dass sein Vater die Reise organisiert habe und sie einen Schlepper gehabt hätten, mehr könne er dazu nicht sagen.

3.4. Die BF zeigten im Rahmen der Erstbefragung Fotos ihrer Reisepässe und Visa auf dem Smartphone, welche abfotografiert und als Lichtbilder zum Akt genommen wurden. Der BF1 und die BF2 legten zudem iranische Personalausweise, eine iranische Geburtsurkunde und der BF1 seinen iranischen Führerschein im Original vor.

4. Am 19.05.2022 wurden der BF1 und die BF2 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt oder belangte Behörde) im Beisein eines Dolmetschers niederschriftlich einvernommen.

4.1. Befragt zu seiner Ausreise aus dem Iran und weshalb er das Visum nicht erneut selbst besorgt habe, gab der BF1 zusammengefasst an, dass er bei den früheren Ausreisen das Visum selbst beantragt habe, jedoch über ein Büro namens römisch 40 und nicht bei der österreichischen Botschaft in Teheran. Nach der zweiten Auslandsreise hätten die Probleme begonnen, da er nicht gewusst habe, dass er als Regierungsmitarbeiter nicht privat ins Ausland reisen dürfe. Bei der Ausreise habe er damals keine Probleme gehabt, weil es kein Ausreiseverbot gegen ihn gegeben habe. Nun sei er sich aber nicht sicher gewesen, ob er selbst ein Visum bei der Botschaft beantragen hätte können und habe er deshalb den Schlepper beauftragt.

Der BF1 führte in der Einvernahme zu seinen Fluchtgründen ergänzend und zusammengefasst aus, dass er seit seiner Rückkehr in den Iran 2017 laufend von der Revolutionsgarde vorgeladen worden wäre. Im Zuge von Unruhen habe er sich entgegen des Befehls geweigert, Demonstranten zu schlagen. Es sei ihm gesagt worden, dass er seinen Bruder, der sich als Märtyrer für das Land geopfert habe, als Vorbild sehen solle. Am 03.06.2019 habe eine Hausdurchsuchung bei ihm stattgefunden und seien Laptop und Geld weggenommen worden. Bei der Gerichtsverhandlung eine Woche darauf sei ihm gesagt worden, dass es sich um einen Einbruch gehandelt habe. Zwei Monate danach sei er vom Sicherheitsdienst der Revolutionsgarde angerufen und darüber informiert worden, dass ein Freund einen Selbstmordversuch begangen hätte und im Krankenhaus liege. Er habe diesen besucht und sei er dort von einem Mitarbeiter des Nachrichtendienstes mit dem Tod bedroht worden, wenn er nicht mit der Revolutionsgarde zusammenarbeite. Außerdem habe es auch einen Vorfall mit seiner Ehefrau gegeben, diese sei von einem Unbekannten auf die Straße geschubst worden. Der BF1 gab an, insgesamt 19 Jahre bei der Basij-Miliz gewesen zu sein, davon zwölf Jahre als aktives Mitglied, weil er Angehöriger eines Märtyrers sei. Dort habe er Selbstverteidigung und den Umgang mit (Schuss-)Waffen gelernt und auch ideologische Schulungen erhalten, er sei auch geschulter Ermittler. Er habe als bewaffnete Sicherheitsperson und Wahlbeobachter gearbeitet. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, wegen Spionage inhaftiert zu werden, zumal der Nachrichtendienst bei seiner Familie im Iran nach ihm gefragt und verlangt habe, dass er zurückkehre und seine Tätigkeit fortsetze.

Der BF1 legte zwei Ausweise der Basij und einen „Familien-Märtyrerausweis“ sowie seinen Architektenausweis vor. Des Weiteren legte er eine Deutschkursbestätigung für sich und die BF2 vor.

4.2. Die BF2 führte in der Einvernahme zu ihren Fluchtgründen zusammengefasst an, dass sie keine eigenen habe. Ihr Mann sei als Basij bei der Revolutionsgarde und habe er deswegen Probleme gehabt. Er habe bei der Wahl als Beobachter gearbeitet und sei er mehrmals vom Basij angerufen worden, dass er an ihren Operationen teilnehmen solle. Er sei oft beim Basij gewesen und wenig bei der Familie. Indirekt sei auch sie von den Problemen betroffen gewesen, einerseits wegen der Hausdurchsuchung und andererseits sei sie wenige Tage später auf die Straße geschubst worden, wobei der Fahrer des herankommenden Autos rechtzeitig bremsen habe können, sodass ihr nichts passiert sei. Der BF1 sei danach mit unterdrückter Rufnummer angerufen worden und sei ihm gesagt worden, dass dieser Vorfall eine Warnung gewesen sei und dass man auch wisse, wo die Kinder zu Schule gingen. Der Sohn könnte getötet, die Tochter entführt und vergewaltigt werden. Deshalb hätten sie die Kinder nie alleine auf die Straße gelassen. Im Falle einer Rückkehr befürchte sie, am Flughafen inhaftiert, gefoltert und als Geisel genommen zu werden, um ihren Mann zur Rückkehr zu bewegen. Die Sicherheitsbehörden hätten auch bereits nach ihnen gesucht. Auch die Kinder BF3 und BF4 würden als Geisel genommen werden.

5. Am 27.05.2022 wurden der BF3 und die BF4 vom Bundesamt im Beisein ihrer Eltern und eines Dolmetschers niederschriftlich einvernommen.

5.1. Der BF3 führte zu seinem Fluchtgrund zusammengefasst aus, dass sein Vater wegen seiner Probleme die Entscheidung getroffen habe, aus dem Iran nach Österreich zu fliehen. Er wisse nur, dass sein Vater von der Revolutionsgarde unterdrückt worden sei, die Eltern hätten mit den Kindern aber nicht viel darüber gesprochen. Es habe immer die Befürchtung gegeben, dass sie wegen dieser Probleme bedroht oder verfolgt werden würden. Bei einer Rückkehr würde er zum Militärdienst gezwungen werden, weil er dann 18 Jahre alt sei. Es könne auch sein, dass er als Geisel genommen werde, damit sein Vater zurückkehre.

Für den BF3 wurde die Anmeldung beim Fußballverein römisch 40 vorgelegt, ebenso Fotokopien zur Schulbildung im Herkunftsstaat.

5.2. Die BF4 gab zu ihrem Fluchtgrund zusammengefasst an, dass ihre Eltern entschieden hätten, nach Österreich zu gehen. Die Gründe dafür kenne sie nicht. Sie möge aber den Iran nicht und wolle dort nicht ohne ihre Eltern leben. Frauen dürften dort nicht in das Fußballstadion gehen und müssten den Hijab tragen.

6. Am 04.08.2022 übermittelte das Landeskriminalamt ein Schreiben betreffend die Dokumentenuntersuchung vom 02.08.2022.

7. Das Bundesamt wies die Anträge der BF auf internationalen Schutz mit Bescheiden vom 18.08.2022 (zugestellt am 24.08.2022) sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Islamische Republik Iran ab (Spruchpunkt römisch eins. und römisch II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.) und wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt römisch IV.). In Spruchpunkt römisch fünf. wurde festgestellt, dass die Abschiebung in die Islamische Republik Iran zulässig ist und wurde den BF eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt römisch VI.).

Das Bundesamt führte hinsichtlich der BF2 bis BF4 aus, dass diese keine eigenen Fluchtgründe hätten und sich lediglich auf jene des BF1 beziehen würden, es werde daher auf die Begründung zu BF1 verwiesen. In der Entscheidung betreffend BF1 wurde begründend zusammengefasst ausgeführt, dass der BF1 in seinem Herkunftsstaat nicht aufgrund der von ihm angegebenen Gründe verfolgt oder bedroht werde, da er angegeben habe, dass die Probleme bereits im Jahr 2017 begonnen hätten und bis zur Ausreise noch fünf Jahre vergangen seien. Die Beschreibung des Vorfalls der angeblichen Hausdurchsuchung liefere nicht genügend Anhaltspunkte, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Einbruch gehandelt habe. Es sei auch nicht plausibel, dass etwaige Ermittlungen gegen den BF1 in einer derart umständlichen Art und Weise erfolgt wären. Zudem habe sich auch dieser Vorfall fast drei Jahre vor der Ausreise ereignet und sei daher selbst bei Wahrheitsunterstellung kein Eingriff in der erforderlichen Intensität erkennbar, der einen Verbleib im Iran unerträglich erscheinen lasse. Das Bundesamt gehe daher von einem gewöhnlichen Einbruchdiebstahl aus, der weder eine Verfolgungshandlung darstelle, noch furchteinflößend sei. Zum vorgebrachten Vorfall betreffend das Attentat auf den Freund und die Bedrohung durch den Nachrichtendienst im Krankenhaus wurde ausgeführt, dass es nicht nachvollziehbar sei, dass jemand, der das Ziel des Geheimdienstes gewesen sei und das Attentat überlebt habe, dann nicht im Krankenhaus von anwesenden Personen dieses Dienstes getötet werde. Das Vorbringen, dass die Tatsache, dass der BF1 beim Betreten des Krankenhauses nicht kontrolliert worden sei, auf die Anwesenheit des Nachrichtendienstes hinweise und der Vorfall zu dem Zweck, sie dorthin zu locken, inszeniert worden wäre, wirke auf das Bundesamt realitätsfremd. Zumal habe sich auch dieser Vorfall bereits im August 2019 ereignet und sei daher nicht geeignet, eine begründete Furcht in der maßgeblichen Intensität auszulösen. Auch hinsichtlich des Vorfalls betreffend die BF2 sei keine Verfolgungshandlung erkennbar. Aus all diesen Gründen und insbesondere aufgrund der zwischen den Vorfällen und der Ausreise vergangenen Zeit sei das Fluchtvorbringen insgesamt nicht glaubhaft. Ebenso wenig glaubhaft sei die Angabe, dass für die Ausreise ein Schlepper erforderlich war, zumal der BF1 in der Vergangenheit bereits zwei Mal Visa für Österreich beantragt habe. Dieser Vorwand habe lediglich dazu gedient, die Reisepässe der Behörde vorzuenthalten. Auch dass die legale Ausreise mit dem Flugzeug ohne Probleme möglich gewesen sei, weise darauf hin, dass eine Verfolgung gegen den BF1 nie vorgelegen habe. Es sei ihm daher möglich, gefahrlos in den Herkunftsstaat zurückzukehren und den Dienst in der Basij-Miliz wieder aufzunehmen.

Da sowohl der BF1 als auch die BF2 über eine Berufsausbildung verfügen würden und in diesen Berufen im Herkunftsstaat bereits tätig gewesen seien, sie zudem über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen würden, sei auszuschließen, dass sie im Falle einer Rückkehr in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würden. Die Rückkehrentscheidung sei daher zulässig und würde durch die Rückkehr als Familie auch das Recht auf Privat- und Familienleben nicht maßgeblich beeinträchtigt, zumal die Anknüpfungspunkte an den Aufenthaltsstaat deutlich geringer wären, als jene zum Herkunftsstaat.

8. Gegen diese Bescheide erhoben die BF mit Schriftsatz vom 05.09.2022 (eingebracht am 14.09.2022) fristgerecht Beschwerde. Die Bescheide wurden wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft.

Begründend führten die BF aus, dass die belangte Behörde lediglich ein oberflächliches Ermittlungsverfahren geführt habe, ohne vollinhaltliche Würdigung des Fluchtvorbringens. In den angefochtenen Bescheiden fehlen Feststellungen in Bezug auf das Kindeswohl der minderjährigen BF, es seien hierzu keine näheren Ermittlungen durchgeführt noch relevante Länderberichte dazu eingebracht worden. Weiters seien die in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Länderfeststellungen unvollständig, befassen sich kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen und wurde auf einen Bericht zum Geheimdienst im Iran verwiesen. Zusammengefasst habe das Bundesamt sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen des BF1 und seiner Ausbildung und Tätigkeit bei der Revolutionsgarde und dem Basij befasst, die Befragung sei zu wenig konkret gewesen. Der Aspekt des Kindeswohls sei völlig unbeachtet geblieben und sei aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens, der mangelhaften Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung die ausgeführte Begründung zur Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz unzureichend. Vielmehr stelle die Weigerung des BF1 weiter für die Basij zu arbeiten und die Flucht ins Ausland ein eindeutiges Verhalten dar, welches auf eine zumindest unterstellte oppositionelle Gesinnung hindeute, was den BF1 als ehemaliger Mitarbeiter der Basij, aus einer angesehenen Familie, noch viel mehr zum Verräter mache und ihm daher Spionage vorgeworfen werden würde.

9. Die Beschwerden samt bezughabenden Verwaltungsunterlagen langten am 19.09.2022 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurden der zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.

10. Mit Eingabe vom 20.03.2023 übermittelten die BF in Vorbereitung auf die Beschwerdeverhandlung eine Stellungnahme und legten weitere Integrationsunterlagen (ÖSD Zertifikat A1 der BF1, BF2 und BF3, Empfehlungsschreiben und Arbeitsbestätigung des BF1 und Schulbesuchsbestätigung der BF4) vor. Ergänzend brachten die BF vor, dass sich die aktuelle Lage in Iran insbesondere für Frauen und Mädchen dramatisch sei und drohe Frauen, die ihre regimekritische, westliche Haltung, nach außen tragen, Inhaftierungen, Folterungen oder gar die Todesstrafe. Es werde geschlechtsspezifische Gewalt systematisch gegen Frauen angewandt und wurden Länderberichte zur Situation der Frauen und deren Diskriminierungen in Iran sowie zu der aktuellen Lage angeführt. Die Berichte zeigen die intolerante Haltung des Regimes gegenüber Personen, die nicht der konservativ-islamischen Ideologie des iranischen Regimes entsprechen. Vor allem junge Personen sind von den gewaltsamen Unterdrückungsmaßnahmen betroffen. Die BF2 und die BF4 nahmen in Österreich bereits an einer Demonstration gegen das iranische Regime teil und vor allem Personen, die mit dem Ausland in Verbindung gebracht werden, seien gefährdet. Für die BF bestehe jedenfalls das reale Risiko, dass auch sie aufgrund des langen Aufenthaltes in Österreich und der Asylantragstellung, besonders bei der Einreise gefährdet seien, festgenommen, inhaftiert oder gar zu einer langen Haftstrafe verurteilt werden. Bei den BF2 und BF4 handle es sich um westlich orientierte Frauen, welche einen Asylantrag im Ausland gestellt haben, sich bereits seit über einem Jahr in Österreich aufhalten und das iranische Regime gänzlich ablehnen. Hinzu komme, dass die BF nicht die vom Regime vorgesehene politische und streng religiöse Einstellung haben und in Österreich ein selbstbestimmtes Leben führen und westliche Werte ohne Angst ausleben. So drohen der BF2 und BF4 auch Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung zu werden. Den BF drohe zusammengefasst aufgrund der kumulativen Gefährdungsfaktoren: westliche Orientierung, religiöse Überzeugung, langer Aufenthalt im Ausland und Asylantragstellung, äußeres Erscheinungsbild, Geschlecht – im Falle einer Rückkehr jedenfalls Verfolgung aufgrund der durch das iranische Regime zumindest unterstellten, oppositionellen Gesinnung.

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.04.2023 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi durch, an welcher der BF1, die BF2, der BF3 und die BF4 sowie deren Rechtsberaterin als gewillkürte Vertreterin teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung entschuldigt nicht teil. Ergänzend brachte das Bundesverwaltungsgericht die aktuellen Länderinformationen der Staatendokumentation zur Islamischen Republik Iran, Version 6 vom 13.04.2023, die Kurzinformation Iran, Proteste, exilpolitische Tätigkeiten und Vorgehen der iranischen Behörden vom 23.02.2023, den Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran des Deutschen Auswärtigen Amtes (Stand 18.11.2022) und die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Iran: Rückkehr in den Iran, insbesondere Basij-Mitglied und Nationalsportler vom 10.04.2018, zum Parteiengehör. Die BF legten im Zuge der Verhandlung die Bestätigung eines Volleyballtrainings der BF4 vor. Die Verhandlung wurde auf den 12.05.2023 vertagt.

12. Mit Eingabe vom 11.05.2023 übermittelten die BF in Vorbereitung auf die zweite mündliche Verhandlung eine weitere Stellungnahme und legten Saldenliste des BF1, A2 Zertifikat von BF2 und BF3 und Screenshots von öffentlich einsehbaren Retweets vom BF3 vor. Die BF brachten in Ergänzung vor, dass aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen der BF2 und BF4 und den zahlreichen regimekritischen Postings in den sozialen Medien, drohe den BF jedenfalls eine Verfolgung iSd GFK aufgrund der politischen Einstellung. So ergebe sich aus den aktuellen Länderberichten, dass das iranische Regime über Spitzel im Ausland verfüge. Personen, die sich öffentlich gegen das Regime äußern – sei es in den sozialen Medien oder durch die Beteiligung an Demonstrationen – stehen unter Beobachtung des Regimes. Im Falle einer Rückkehr, würden die BF einvernommen werden, das Regime würde überprüfen, wer sie sind, wo sie waren und es würde schnell herausfinden, dass die BF aktivistisch in den sozialen Medien und auf Demonstrationen tätig seien. Seitens des iranischen Regimes bestehe jedenfalls ein Verfolgungsinteresse und würde den BF aufgrund kumulativer Faktoren wie ihrem Aufenthalt im Ausland, ihrem westlichen Erscheinungsbild (vor allem hinsichtlich der BF2 und BF4), Auftreten in den sozialen Medien etc. – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle Gesinnung durch das iranische Regime unterstellt werden.

13. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 12.05.2023 eine weitere öffentliche mündliche Verhandlung in Fortsetzung der Verhandlung vom 28.04.2023 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi durch, an welcher die BF sowie deren Rechtsberaterin als gewillkürte Vertreterin teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung entschuldigt nicht teil.

14. Am 17.05.2023 übermittelte das Bundesamt den Abschluss-Bericht der Polizei, GZ: römisch 40 , indem der BF1 im Verdacht auf Diebstahl in zwei Fällen steht.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes, der im Verfahren vorgelegten Unterlagen, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakte, der mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister, das Betreuungsinformationssystem und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person der BF:

1.1.1. Die Identität der BF steht fest. Sie sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Iran, Angehörige der Volksgruppe der Azeri (türkische Sprachgruppe) und bekennen sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Die Erstsprache der BF ist Türkisch (Azeri) als auch Farsi. Die BF2, der BF3 und die BF4 sprechen außerdem ein bisschen Englisch.

Der BF1 und die BF2 sind standesamtlich seit ca. 21 Jahren verheiratet und die Eltern zweier Kinder, des volljährigen BF3 und der minderjährigen BF4.

1.1.2. Der BF1 wurde am römisch 40 in römisch 40 , in der Nähe von römisch 40 , Iran geboren, wo er 12 Jahre die Grundschule besuchte, mit Matura abschloss und bei seinen Eltern bis 1997/98 lebte. Danach verzog er nach Teheran schloss eine Ausbildung zum Architekten ab und studierte 4 Jahre an der Universität Architektur. Er war insgesamt ca. 16 Jahre lang als Architekt erwerbstätig, zunächst im Architektenbüro seines Bruders, später in einer größeren Firma namens römisch 40 für ca. 7-8 Jahre und bestritt den Lebensunterhalt der Familie. Der BF stammt aus einer Märtyrer-Familie und war deshalb vom Militärdienst befreit, den er auch nicht geleistet hat. In der Freizeit hat er als Basiji gearbeitet. Der BF1 war von 1997 bis 2006 (1376-1385 nach iranischen Kalender) ein normales oder auch einfaches Mitglied der Revolutionsgarde in der Basiji-Miliz sowie ab 2006 bis 2016 (1385-1395) ein aktives Mitglied mit höherer Funktion.

Die BF2 wurde am römisch 40 , in der Nähe von römisch 40 , Iran geboren, wo sie 12 Jahre die Schule bis zur Matura besuchte. Bis zur Hochzeit kamen ihre Eltern für ihren Lebensunterhalt auf, danach zog sie mit ihrem Ehemann BF1 nach Teheran und kam für ihren Lebensunterhalt auf. Die BF2 bekam Kinder und sorgte sich um die Kinder. Später als ihre jüngere Tochter in den Kindergarten ging machte die BF2 in Teheran eine 3-jährige Ausbildung als Frisörin und Kosmetikerin, welche sie im Jahr 2017 beendete. In diesem Beruf war sie in Teheran zuletzt drei Jahre selbständig in einem angemieteten Beauty Salon erwerbstätig.

Der BF3 wurde am römisch 40 und die BF4 am römisch 40 in Teheran in Iran geboren. Aufgewachsen und bis zur Ausreise im März 2022 wohnten der BF3 und die BF4 zusammen mit ihren Eltern BF1 und BF2 in Teheran im Bezirk römisch 40 . Der BF3 besuchte elf Jahre lang die Schule in Teheran, die BF4 acht Jahre lang. Der BF3 besuchte Computer-und Englischkurse und spielte in Iran seit seinem 5-6. Lebensjahr Fußball auch außerhalb der Schule. Seit seinem 12. Lebensjahr bis zur Ausreise spielte und trainierte er bis zu täglich im iranischen Fußballverein römisch 40 . Die BF4 erhielt in Iran privaten Tanzunterricht, besuchte einen Englischkurs und ging regelmäßig (drei Mal die Woche) am Abend/Nachmittag Volleyball spielen.

1.1.3. In Iran leben die Eltern, ein Bruder und drei Schwestern des BF1 sowie die Mutter und fünf Brüder der BF2. Der Vater der BF2 ist bereits verstorben. Die Eltern des BF1 beziehen eine Märtyrerpension, der Vater betreibt zudem eine Landwirtschaft. Sein Bruder lebt in Teheran und ist Architekt und eine Schwester lebt in römisch 40 und ist dort bei der Sepah, alle anderen leben in römisch 40 . Eine andere Schwester des BF1 ist auch bei der Sepah und die mittlere Schwester ist Krankenschwester. Die Mutter der BF2 bezieht eine Pension, die Brüder sind alle erwerbstätig und sind auch in römisch 40 aufhältig. Die BF haben zu ihren Familienangehörigen regelmäßig telefonischen Kontakt.

1.1.4. Die BF sind gesund und leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten.

1.1.5. Die volljährigen BF sind arbeitsfähig, alle BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten, wobei gegen den BF1 in Österreich wegen Verdacht auf Diebstahl in zwei Fällen ein Ermittlungsverfahren besteht. Diesem liegt zugrunde, dass der BF1 beschuldigt wird und geständig bzw. teilweise geständig ist am 17.04.2023 und am 06.02.2023 im Einkaufszentrum römisch 40 , beim dortigen Elektronikgeschäft römisch 40 , Kopfhörer und ein Handycover gestohlen zu haben, indem er diese aus der Verpackung nahm und in seine Hosentasche steckte bzw. auf sein Handy gab. In beiden Fällen wurde der BF1 von einem Ladendetektiv beobachtet und in einem Fall auch nach dem Verlassen des Geschäfts angehalten und im zweiten Fall über die Videoaufzeichnung beobachtet worden. Es erfolgte eine Schadensgutmachung, indem die Ware im Geschäft verblieb und indem die Ware vom BF1 bezahlt wurde.

1.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

1.2.1. Den BF drohten und droht keine konkrete und individuelle gegen sie gerichtete Verfolgung oder Bedrohung wegen der Mitgliedschaft des BF1 zu der Basij-Miliz und seiner früheren Tätigkeiten als Basiji. Der BF1 genießt als Mitglied einer Märtyrer-Familie eine privilegierte Stellung vor den iranischen Behörden und zwei seiner Schwestern sind weiterhin Mitglieder der Sepah. Der BF ließ sich seinen Basiji-Ausweis zuletzt bis 2016 verlängern und war bis dahin aktiv tätig, danach setzte er keine Tätigkeiten mehr. BF droht nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung oder Bedrohung aufgrund der Beendigung der Tätigkeiten als Basiji des BF1.

Der BF1 ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und war dort nie inhaftiert. Er war kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung, er hat sich nicht politisch oder journalistisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Herkunftsstaat. Ebenso war die BF2 weder inhaftiert, noch ist sie vorbestraft und sie engagierte sich auch nicht politisch oder journalistisch. Der BF1 und die BF2 haben den Iran gemeinsam mit ihren damals minderjährigen Kindern weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität, noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Bei einer Rückkehr in die Islamische Republik Iran droht den BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch iranische Behörden oder durch andere Personen.

1.2.2. Den BF droht im Falle der Rückkehr in den Iran auch keine Verfolgung wegen ihrer Volksgruppen- und/oder Religionszugehörigkeit. Die BF sind geborene Muslime, aber sind nicht streng gläubig und übten den Islam weder in Iran noch in Österreich kaum aus. Die BF sind nicht verinnerlicht vom Islam abgefallen.

1.2.3. Ebenso wird festgestellt, dass die BF2 und BF4 im Herkunftsstaat nicht allein aufgrund ihres Geschlechts einer Verfolgung ausgesetzt sind. Es wird festgestellt, dass die BF2 und die BF4 während ihres Aufenthalts in Österreich keine Lebensweise verinnerlicht angenommen haben, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Iran darstellen würde. Eine grundlegende und verfestigte Änderung der Lebensführung der BF, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei einer Rückkehr nach Iran nicht gelebt werden könnte, liegt nicht vor. Die BF2 besuchte in Iran die Grundschule, machte eine Berufsausbildung und war erwerbstätig. Auch die BF4 ging in Iran zur Schule und spielte Volleyball. Das bloße Ablegen des Kopftuches und die freie Wahl der Kleidung auf die hier üblichen Freiheiten zu begründen, stellt keine innere Zuwendung zu den Werten der Freiheit dar. So haben die BF2 und die BF4 keine spezifische „westliche Lebenseinstellung“ als Teil ihrer Identität angenommen, die über eine übliche und zumutbare Anpassung an die Gesellschaft hinausgeht.

Die BF2 und die BF4 haben sich im Zuge ihres Aufenthalts im Bundesgebiet an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als „westlich“ bezeichneten Frauen und Gesellschaftsbild orientiert und die Annehmlichkeiten dieses Gesellschaftsbildes zu schätzen gelernt. Sie konnten jedoch nicht darlegen, warum sie diesbezüglich in Iran einer asylrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt sind.

Ebenso droht ihnen auch keine Zwangsheirat oder droht ihnen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung aufgrund ihres Geschlechts.

1.2.4. Den BF3 droht auch keine asylrelevante Zwangsrekrutierung. Es besteht zwar eine allgemeine Wehrpflicht, aber kann diese durch ein Studium auch ausgesetzt werden oder als einziger Sohn in der Familie oder als Sportler auch davon befreit oder der Dienst verkürzt werden.

1.2.5. Ferner droht den BF im Falle der Rückkehr in den Iran wegen ihrer Anträge auf internationalen Schutz in Österreich und/oder wegen ihres Aufenthalts außerhalb Iran weder Verfolgung noch sonst psychische oder physische Gewalt.

1.2.6. Die BF2 besuchte eine iranische Demonstration in Linz und kam zu einer zweiten zufällig hinzu. Sie ist darüber hinaus nicht exilpolitisch tätig, postete ein Video über einen Mullah auf einem privaten nicht öffentlich zugänglichen Instramaccount, jedoch sonst keine regimekritischen Inhalte oder tritt auch nicht in einer anderen Weise politisch und regimekritisch öffentlich auf. Die BF4 war einmal gemeinsam mit ihrer Mutter bei einer Demonstration, aber hat darüber hinaus kein politisches Interesse und engagiert sich ebenso wenig exilpolitisch. Weder die BF2, noch die BF4 oder der BF3 nahmen aktiv bei mehreren Demonstrationen teil und hatten dabei auch keine tragende oder organisatorische Rolle. Auch der BF3 hat kein politisches Interesse und engagiert sich, bis auf einen Tweet in den sozialen Medien, nicht exilpolitisch in einer regelmäßigen Weise, sodass anzunehmen ist, dass die iranischen Behörden davon in Kenntnis sind und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein Interesse an der BF2-BF4 besteht. Der BF2-BF4 droht nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung oder Bedrohung aufgrund der Teilnahme an einer Demonstration und aufgrund eines geposteten Fotos und das - unkommentierte - Weiterleiten von Informationen über den Iran auf Twitter.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat:

1.3.1. Den BF ist eine Rückkehr in den Iran nach Teheran oder auch an einen anderen Ort in Iran möglich. Die BF können wieder zusammen in einer Wohnung oder einem Haus in Teheran leben, wie sie es vor ihrer Ausreise taten. Zur Erleichterung der Wiedereingliederung können sie auf ein familiäres und soziales Netz vertrauen, weil alle Verwandten in Iran leben und erwerbstätig sind, sodass sie die BF im Falle einer Rückkehr unterstützen können.

1.3.2. Sowohl der BF1, die BF2 als auch der BF3 sind arbeitsfähig, gesund und nicht pflegebedürftig. Auch die minderjährige BF4 ist gesund und kann weiterhin im Familienverband betreut werden.

Die BF sind im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Iran weder in ihren Recht auf Leben gefährdet, noch der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Die BF laufen dort nicht Gefahr, ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die BF haben ihr gesamtes Leben vor der Einreise nach Österreich in Iran verbracht. Die BF sprechen fließend die Landessprache Farsi. Der BF1 und die BF2 besuchten zwölf Jahre die Schule, verfügen über eine Berufsausbildung sowie beide über mehrjährige Arbeitserfahrung. Der BF3 und BF4 besuchten mehrere Jahre die Schule in Teheran und gingen sportlichen Freizeitaktivitäten nach. Der BF3 spielte Fußball in verschiedenen iranischen Fußballvereinen und die BF4 spielte Volleyball. Die minderjährige BF4 kann in Iran wieder die Schule besuchen, Sport betreiben und ihr Lebensunterhalt – auch der des BF3 – kann durch die Eltern gesichert werden. Der BF3 kann eine weiterführende Berufsausbildung machen oder auch studieren oder eine Erwerbsarbeit aufnehmen.

Die BF sind mit den iranischen Gepflogenheiten vertraut und wurden mit diesen sozialisiert.

1.3.3. Die BF leiden an keinen schweren physischen oder psychisch akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen. Auch vor dem Hintergrund der weltweiten Corona-Pandemie sind die BF nicht außergewöhnlich gefährdet und gehören keiner Covid-19-Risikogruppe an. Die BF können sich zudem mit der Corona-Schutzimpfung im Bundesgebiet oder auch in ihrem Heimatstaat impfen lassen.

1.4. Zur Situation der BF in Österreich:

1.4.1. Die BF reisten gemeinsam am 19.03.2022 im Besitz von einem Visa C legal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 29.03.2022 die Anträge auf internationalen Schutz.

Das Bundesamt wies mit Bescheiden vom 18.08.2022 die Anträge der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Islamische Republik Iran ab (Spruchpunkt römisch eins. und römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Das Bundesamt erließ eine Rückkehrentscheidung gegen die BF und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Islamische Republik Iran zulässig ist (Spruchpunkt römisch IV. und römisch fünf.). Für die freiwillige Ausreise wurde ihnen eine 14-tägige Frist eingeräumt (Spruchpunkt römisch VI.). Gegen diese Bescheide erhoben die BF fristgerecht Beschwerde. Die BF verfügten nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens.

1.4.2. Die BF bezogen nach ihrer Einreise vor einem Jahr bis Jänner 2023 Leistungen (Unterbringung) aus der Grundversorgung. Seit Oktober 2022 ist der BF1 selbständig als Essenslieferant gemeldet und kommt für den Familienunterhalt auf, sohin wurden Leistungen aus der Grundversorgung für Verpflegung mit Mitte November 2022 und die Krankenversicherung mit Ende September 2022 ausgesetzt. Der BF1 ist bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen seit 26.09.2022 gemeldet und die BF2-BF4 sind mit ihrem Vater mitversichert. Der BF1 ist im Bundesgebiet selbsterhaltungsfähig und wies als selbständig Erwerbstätiger von September 2022 bis Dezember 2022 ca. einen Gewinn von EUR 8.500,- aus. Die BF2 und der mittlerweile volljährige BF3 gingen bis zum Entscheidungszeitpunkt keiner Erwerbsarbeit nach und sind nicht selbsterhaltungsfähig.

Die BF lebten in einem Quartier der römisch 40 im Rahmen der Grundversorgung und sind Anfang Februar 2023 privat in eine Wohnung in Linz verzogen, wo alle BF auch ihren Hauptwohnsitz gemeldet haben. Alle BF lebten und leben im gemeinsamen Haushalt.

1.4.3. Der BF1 hat grundlegende Deutschkenntnisse und hat in Österreich einen Deutschkurs besucht und bereits die Deutschprüfung auf A1-Niveau absolviert, das Ergebnis der A2 Prüfung ist noch ausständig. Er ist nicht Mitglied in einem Verein und geht kaum kulturellen oder sportlichen Aktivitäten nach, weil er sieben Tage die Woche arbeitet.

Die BF2 hat sich ebenso bereits grundlegende Deutschkenntnisse angeeignet und besucht in Österreich Deutschkurse. Sie absolvierte die Integrationsprüfung auf Sprachniveau A2 und kümmert sich um den Haushalt und die Tochter. Sie ist weder Mitglied in einem Verein noch ehrenamtlich oder gemeinnützig tätig. Sie geht mit Bekannten aus der Grundversorgungsunterkunft ins Café, zu Leserunden oder betreibt Fitness. Außerdem besuchte die BF2 einen Fahrradkurs und kleidet sich ohne Kopftuch.

Der mittlerweile volljährige Sohn BF3 hat ebenfalls grundlegende Deutschkenntnisse auf Niveau A2, hat in Österreich Deutschkurse besucht und die Integrationsprüfung A2 absolviert. Er ist nicht ehrenamtlich oder gemeinnützig tätig, jedoch Mitglied im Fußballverein römisch 40 . Zudem macht er im Bundesgebiet den Führerschein. In seiner Freizeit unternimmt er auch etwas mit dem Fußballteam; sie gehen in ein Café. Der BF3 hat seit einigen Wochen eine Freundin, dabei handelt es sich um die Tochter der langjährigen iranischen Freundin seiner Eltern. Er besuchte gemeinsam mit seiner Schwester BF4 und einem anderen Geschwisterpaar ein Konzert in Wien. Darüber hinaus hat er mit Freunden Kontakt per WhatsApp.

Die minderjährige BF4 hat bereits gute Deutschkenntnisse und besucht die 4. Klasse der Mittelschule in Linz. In ihrer Freizeit besucht sie regelmäßig ein Volleyball-Training für Mädchen vom Verein römisch 40 und geht mit Freundinnen ins Einkaufszentrum, ins Kino oder in den Prater zum Plaudern und Spazieren. Sie trift sich auch mit Schulkollegen und kleidet sich ohne Kopftuch.

1.4.4. Die BF haben bis auf eine langjährige Freundin keine Verwandten oder Bekannten im Bundesgebiet.

1.4.5. Die BF sind keine begünstigten Drittstaatsangehörige und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Ihr Aufenthalt im Bundesgebiet war nie geduldet. Sie waren weder Zeugen oder Opfer von strafbaren Handlungen noch sonst Opfer von Gewalt.

1.5. Die allgemeine Lage in der Islamischen Republik Iran stellt sich im Übrigen wie folgt dar:

Aus dem ins Verfahren eingeführten allgemeinen Länderinformationen der Staatendokumentation zu Iran aus dem COI-CMS (Country of Origin Information-Content Management System) vom 13.04.2023 (Version 6) sowie weitere konkrete Berichte zu den Protesten und Basij-Mitglieder:

-             Kurzinformation der Staatendokumentation Iran: Proteste, exilpolitische Tätigkeiten und Vorgehen der iranischen Behörden vom 23.02.2023

-             Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Iran vom Deutschen Auswärtigen Amt vom 18.11.2022

-             Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Iran: Rückkehr in den Iran; insbesondere Basij-Mitglied und Nationalsportler vom 10.04.2018

ergibt sich wie folgt:

Politische Lage

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (FAZ 24.3.2023). Sie kombiniert republikanisch-demokratische Elemente mit einem theokratischen System (BS 23.2.2022; vergleiche BPB 10.1.2020). Das Kernkonzept der Verfassung ist die "Rechtsgelehrtenherrschaft" (velayat-e faqih). Nach schiitischem Glauben gibt es einen verborgenen Zwölften Imam, den als Erlöser am Jüngsten Gericht von Gott gesandten Muhammad al-Mahdi (BPB 10.1.2020). Gemäß diesem Prinzip soll ein schiitischer Theologe praktisch in Stellvertretung des seit dem Jahr 874 in Verborgenheit weilenden Mahdi agieren und die Geschicke des Gemeinwesens lenken (BAMF 5.2022). Darauf aufbauend schuf Ajatollah Ruhollah Khomeini 1979 ein auf ihn zugeschnittenes Amt, das über allen gewählten Organen steht, und somit die republikanischen Verfassungselemente des Präsidenten und des Parlaments neutralisiert: das Amt des "Herrschenden Rechtsgelehrten" (vali-ye faqih), dessen Inhaber auch "Revolutionsführer" (rahbar) genannt wird. Der Revolutionsführer übt quasi stellvertretend für den Zwölften Imam bis zu dessen Rückkehr die Macht aus (BPB 10.1.2020).

Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 20.3.2023). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.9.2021), ist höchste Autorität des Landes, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und ernennt den Leiter des Justizwesens sowie des staatlichen Rundfunks und die Mitglieder des Schlichtungsrats (FH 10.3.2023). Ihm unterstehen auch die Islamischen Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inkl. der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen. In der Hand religiöser Stiftungen und der "Garden" liegen mächtige Wirtschaftsunternehmen, die von der infolge der US-Sanktionen wachsenden Schattenwirtschaft profitieren (ÖB Teheran 11.2021). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Die Revolutionsgarden, die direkt Revolutionsführer Khamenei unterstehen, bleiben ein militärischer, politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor (AA 30.11.2022).

Entscheidende Gremien sind der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern, davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen (ÖB Teheran 11.2021). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der "Gesamtinteressen des Systems" zu achten (AA 14.9.2021). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 20.3.2023), er sollte die Arbeit des Revolutionsführers kontrollieren. In der Praxis scheint er die Entscheidungen des Revolutionsführers jedoch nicht herauszufordern (FH 10.3.2023). Auch wenn der Expertenrat nominell direkt von der Bevölkerung gewählt wird, hat der Revolutionsführer indirekt Einfluss auf dessen Zusammensetzung, da der Wächterrat, der zur Hälfte vom Revolutionsführer und zur Hälfte vom (durch den Revolutionsführer eingesetzten) Leiter des Justizwesens besetzt wird, die Kandidatenauswahl dafür vornimmt und den Wahlvorgang kontrolliert (USDOS 20.3.2023). Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt unter anderem auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 11.2021). Da der Wächterrat die Kandidaten für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen (majles oder Islamische Beratende Versammlung) überprüft und regelmäßig eine bedeutsame Anzahl an Kandidaten von der Wahl ausschließt und den Wahlvorgang kontrolliert, übt der Revolutionsführer somit indirekt Einfluss auf die legislativen und exekutiven Institutionen des Landes aus (USDOS 20.3.2023). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2020).

Der Präsident ist nach dem Revolutionsführer der zweithöchste Amtsträger im Staat. Er bildet ein Regierungskabinett, das vom Parlament bestätigt werden muss (FH 10.3.2023). Das iranische Regierungssystem ist damit ein semipräsidiales und an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021). Der Präsident ist für das tagespolitische Geschäft zuständig und hat einen bedeutsamen Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik des Landes (BBC 8.10.2022). Seine Macht ist allerdings vergleichsweise beschränkt (BBC 8.10.2022; vergleiche BPB 10.1.2020). Der religiöse Führer hat das letzte Wort in allen staatlichen Angelegenheiten (DW 16.6.2021). Die Macht des Präsidenten wird auch durch das Parlament eingeschränkt und der Wächterrat muss neuen Gesetzen zustimmen oder kann ein Veto einlegen (BBC 8.10.2022).

https://stp-intern-p.justiz.cal.local/at.gv.bfa.coicms-p/services/file/eec3c19c33920f4553e6affaedeb19feb7866084

Am 18.6.2021 fanden in Iran Präsidentschaftswahlen statt (AA 14.9.2021). Gewonnen hat die Wahl der konservative Hardliner und vormalige Justizchef Ebrahim Raisi mit mehr als 62 % der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 50 % und war somit niedriger als jemals zuvor in der Geschichte der Islamischen Republik. In der Hauptstadt Teheran lag die Wahlbeteiligung bei nur 26 %. Zudem wurden mehr als 3,7 Millionen Stimmzettel für ungültig erklärt (Standard 19.6.2021). Der Wettbewerb um die Wählerstimmen war stark manipuliert. Der Wächterrat hatte im Vorfeld die meisten der 600 Präsidentschaftskandidaten - darunter auch 40 Frauen - abgelehnt. Drei der genehmigten Kandidaten zogen ihre Kandidatur wenige Tage vor der Wahl zurück. Die Behörden übten auf die Medien Druck aus, um kritische Berichterstattung über Raisi oder den Wahlvorgang zu verhindern (FH 10.3.2023). In Folge der Präsidentschaftswahlen vom Juni 2021 befindet sich die gesamte Befehlskette in konservativer bzw. erzkonservativer Hand (Oberster Führer, Präsident/Regierungschef, Leiter der religiösen Judikative, Regierung, Parlament, Wächterrat, Expertenrat) (ÖB Teheran 11.2021).

Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Die Bewerber um einen Parlamentssitz erhalten ihre Unterstützung nicht von Parteien, sondern von klerikalen und wirtschaftlichen Interessengruppen. Das Parlament ist die gesetzgebende Institution Irans. Allerdings muss bei Gesetzesvorhaben ihre Vereinbarkeit mit der islamischen Rechtstradition beachtet werden. Gesetzesvorschläge kommen von den Ministern oder den Abgeordneten. Ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz kann vom Wächterrat so lange an das Parlament zurückverwiesen werden, bis es seinen Vorstellungen entspricht (DW 16.6.2021). Bei den Parlamentswahlen vom 21.2.2020 haben (ultra-)konservative Kandidaten knapp 80 % der Sitze im Parlament gewonnen (AA 30.11.2022). Vor der Abstimmung disqualifizierte der Wächterrat mehr als 9.000 der 16.000 Personen, die sich für eine Kandidatur angemeldet hatten, darunter eine große Anzahl reformistischer und gemäßigter Kandidaten (FH 10.3.2023). Die Wahlbeteiligung lag bei 42,6 %, was als die niedrigste Wahlbeteiligung in die Geschichte der Islamischen Republik einging (FH 10.3.2023; vergleiche AA 30.11.2022).

Präsident, Parlament und Expertenrat werden also in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den vom Revolutionsführer und Justizchef ernannten Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023, BPB 31.1.2020a). Dennoch kommt es in kaum einem anderen Land des Nahen Ostens zu derart umkämpften Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Die bestehenden programmatischen Differenzen zwischen prinzipientreuem Klerus und neokonservativen Technokraten, wirtschaftsliberalen Pragmatikern und klerikalen oder gar säkularen Reformern spiegeln einen Pluralismus in Iran wider, der allerdings phasenweise aufs Schärfste bedroht ist (BPB 31.1.2020a).

Das Regime reagierte auch unter der moderaten Regierung von Ex-Präsident Rohani in den letzten Jahren auf die wirtschaftliche Krise und immer wieder hochkommenden Unmut und Demonstrationen mit einem harten Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivisten, religiöse und ethnische Minderheiten und Umweltaktivisten. Die Regierung Raisi ist noch dabei, ihre Machtstruktur auf allen Ebenen zu festigen. Sie hat jedoch bereits stärkere Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Sinne der "islamischen Gesellschaftsordnung" (Rolle der Frauen fokussiert auf Gebärfunktion), der Ablehnung "westlicher" Kultur, der Unterdrückung von Kritik (Internetzensur) und eine stärkere Ausrichtung auf Russland und China und deren politische Modelle angekündigt (ÖB Teheran 11.2021).

Frauen haben das aktive Wahlrecht, werden bei der politischen Teilhabe allerdings mit bedeutsamen rechtlichen, religiösen und kulturellen Hindernissen konfrontiert. Nach Interpretation des Wächterrats verwehrt die iranische Verfassung es Frauen, die Ämter des Revolutionsführers oder Präsidenten, Funktionen im Experten-, Wächter- und Schlichtungsrat sowie mancher Richterposten anzutreten (USDOS 20.3.2023). Unter 40-Jährige, die etwa drei Viertel der iranischen Bevölkerung ausmachen, waren bislang größtenteils von jeglicher politischen Partizipation ausgeschlossen. Politische Ämter werden überwiegend von Männern der ersten Generation der Elite der Islamischen Republik - den heute über 70-jährigen Gründungsvätern - und der zweiten Generation - den heute über 60-jährigen Veteranen des Iran-Irak-Kriegs sowie Vertretern der Revolutionsgarden - regiert (BPB 31.1.2020a).

Nach dem Tod der 22-Jährigen Mahsa Jîna (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023) in Gewahrsam der sogenannten Sittenpolizei (Gasht-e Ershâd) in Teheran (BPB 16.2.2023) aufgrund eines angeblich unkorrekt getragenen Hidschabs kam es in Iran zu den größten Protesten seit Jahren (EN 1.2.2023). Der Protest erreichte schnell alle Teile des Landes und hat eine politische Dimension angenommen, die weit über die "Kopftuch-Frage" und die Überlappung von geschlechtsspezifischer und ethnischer Diskriminierung hinausgeht. Die von den Demonstrantinnen und Demonstranten verwendete Parole lautet "Zan, Zendegi, Âzâdi" [Anm.: Persisch für "Frau, Leben, Freiheit"; ursprüngl. Kurdisch: Jin, Jîyan, Azadî] und ist gepaart mit der Forderung nach einem Regimewechsel. Die Proteste werden insbesondere von den folgenden Gruppen getragen: Frauen, Jugendliche, Studentinnen und Studenten sowie von marginalisierten Ethnien - insbesondere Kurden und Belutschen. Das iranische Regime reagierte mit massiver Repression auf die Proteste, zeitweise wurden rund 20.000 Personen inhaftiert und rund 500 Protestteilnehmer wurden von den Sicherheitskräften getötet. Die Proteste zeichnen sich bislang durch ihre Dezentralität, die Bedeutung von zivilem Ungehorsam und Flashmobs als Protestform - insbesondere durch Frauen, die ihr Kopftuch ablegen - und, wie vor allem in europäischen Debatten oft bemängelt wird, durch fehlende Organisations- und Führungsstrukturen aus (BPB 16.2.2023). Die fehlenden Führungsstrukturen sind sowohl Stärke als auch Schwäche der derzeitigen Proteste, bei denen das Internet und soziale Medien eine große Rolle zur Mobilisierung und Verbreitung der Protestbotschaften spielen: Einerseits machen die fehlenden Führungsstrukturen staatliche Repression schwieriger, andererseits erschweren sie auch die Herausbildung einer politischen Bewegung, welche eine politische Alternative zum derzeitigen System darstellen könnte (FR24 16.12.2022).

Anmerkung, Informationen zur Protestwelle seit September 2022 können insb. auch den Kapiteln "Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition" und "Ethnische Minderheiten" sowie den dazugehörigen Unterkapiteln entnommen werden.

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021): Iran: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/iran-node/politisches-portrait/202450, Zugriff 24.3.2023;

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

●             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2022): Länderreport 52 Iran: Konversion und Evangelikalismus aus der Sicht der staatlichen Verfolger, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079128/Deutschland._Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Iran_-_Konversion_und_Evangelikalismus_aus_der_Sicht_der_staatlichen_Verfolger%2C_01.05.2022._%28L%C3%A4nderreport___52%29.pdf, Zugriff 16.3.2023;

●             BBC - British Broadcasting Corporation (8.10.2022): Who is in charge of Iran?, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-57260831, Zugriff 24.3.2023;

●             BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (10.1.2020): Machtkonstante Theokratie: Iran nach 1979, https://www.bpb.de/themen/naher-mittlerer-osten/iran/40110/machtkonstante-theokratie-iran-nach-1979/, Zugriff 24.3.2023;

●             BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (16.2.2023): Der revolutionäre Prozess in Iran, https://www.bpb.de/themen/naher-mittlerer-osten/iran/518072/der-revolutionaere-prozess-in-iran/, Zugriff 24.3.2023;

●             BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (31.1.2020): Machtgefüge Iran: Kleriker, Garden – und eine Generation ohne Einfluss, https://www.bpb.de/themen/naher-mittlerer-osten/iran/40113/machtgefuege-iran-kleriker-garden-und-eine-generation-ohne-einfluss/, Zugriff 24.3.2023;

●             BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069656/country_report_2022_IRN.pdf, Zugriff 14.2.2023;

●             DW - Deutsche Welle (16.6.2021): Irans Regierungssystem kurz erklärt, https://www.dw.com/de/irans-regierungssystem-kurz-erkl%C3%A4rt/a-57888174, Zugriff 24.3.2023;

●             EN – Euronews (1.2.2023): Iran protests: What caused them? Are they different this time? Will the regime fall?, https://www.euronews.com/2022/12/20/iran-protests-what-caused-them-who-is-generation-z-will-the-unrest-lead-to-revolution, Zugriff 14.3.2023;

●             FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (24.3.2023): Schlaglicht auf einen Schattenkrieg, https://www.faz.net/aktuell/politik/thema/iran, Zugriff 24.3.2023;

●             FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Iran, https://freedomhouse.org/country/iran/freedom-world/2023, Zugriff 14.3.2023;

●             FR24 - France 24 (16.12.2022): Lack of leadership is both a strength and weakness of Iran's protest movement, https://www.france24.com/en/middle-east/20221216-ni, Zugriff 27.3.2023;

●             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (2020): Iran: Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 24.3.2023;

●             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

●             Standard - Standard, Der (19.6.2021): Hardliner Raisi gewann Präsidentenwahl im Iran, https://www.derstandard.at/story/2000127545908/kleriker-raisi-fuehrt-laut-medienberichten-bei-praesidentenwahl-im-iran, Zugriff 24.3.2023;

●             USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089063.html, Zugriff 22.3.2023;

Sicherheitslage

Verglichen mit Nachbarstaaten wie dem Irak, Libanon, Syrien und Afghanistan hat Iran eine sehr starke Zentralregierung mit mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsbehörden. Mit Ausnahme von einigen peripheren Grenzregionen ist die Regierung im Besitz der Kontrolle über das gesamte Staatsterritorium. In den Provinzen West-Aserbaidschan und Kermanshah, an der westlichen Staatsgrenze zu Irakisch-Kurdistan, kommt es regelmäßig zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Islamischen Revolutionsgarden (IRGC, Pasdaran) und separatistischen Gruppierungen, wie der Kurdistan Democratic Party of Iran (KDPI) und der Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (PJAK) (BS 23.2.2022).

Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeier- und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Seit Mitte September 2022 kommt es in zahlreichen Städten des Landes zu Protesten gegen die Regierung. Bei Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstrierenden sind zahlreiche Personen getötet oder verletzt worden. Teilweise wird scharfe Munition eingesetzt (EDA 10.2.2023). Die Sicherheitskräfte gingen insbesondere in Randgebieten wie den Provinzen Kurdistan sowie in Sistan und Belutschistan hart gegen Protestierende vor (Newsweek 1.12.2022; vergleiche UNHRC 7.2.2023). Während Mitglieder der Basij-Miliz in Teheran Demonstranten verprügelten, haben die Sicherheitsbehörden in Kurdistan, Belutschistan und Ahwaz beispielsweise schwere Maschinengewehre, gepanzerte Fahrzeuge, schwere Artillerie und sogar Kampfhubschrauber zur Bekämpfung der Proteste in Stellung gebracht (TWI 14.10.2022).

Im ganzen Land besteht ein Risiko für Anschläge. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 10.2.2023). Vor allem in Regionen mit einem hohen Anteil an Minderheiten in der Bevölkerung kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 8.2.2023).

In der Provinz Sistan und Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt, und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 8.2.2023). Die Grenzzone zu Afghanistan, das östliches Kerman und Sistan und Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändler- sowie von extremistischen Organisationen. Diese verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 10.2.2023). An der Grenze zu Afghanistan kommt es auch immer wieder zu Schusswechseln zwischen iranischen Sicherheitsbehörden und Grenzschützern der Taliban (IRINTL 3.9.2022).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, Personal der Justiz und Angehörige des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt (AA 8.2.2023). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen, kriminellen Banden und den Sicherheitskräften (EDA 10.2.2023). Im Herbst 2022 schoss Iran zur Bekämpfung iranisch-kurdischer Gruppen mehr als 70 Raketen über die Grenze auf Gebiete des benachbarten Irak - der größte grenzüberschreitende Angriff des Landes seit den 1990er-Jahren (DW 13.11.2022; vergleiche K24 28.11.2022, Rudaw 28.9.2022).

Gelegentlich kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Auch für unbeteiligte Personen besteht das Risiko, unversehens in einen Schusswechsel zu geraten (EDA 10.2.2023).

Seit 2015 wurden nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt Personen verhaftet, die mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 8.2.2023; vergleiche TWI 31.10.2022). Im Oktober 2022 fand laut der iranischen Nachrichtenagentur IRNA ein Anschlag auf einen schiitischen Schrein in der südiranischen Stadt Shiraz [Provinz Fars] statt, bei dem mindestens 15 Menschen getötet wurden und zu dem sich der IS bekannt hat (AJ 26.10.2022; vergleiche MAITIC 3.11.2022). Dies war der erste Anschlag des IS auf iranischem Boden seit 2018. Zuvor hatte der afghanische Zweig des IS - Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) mehrere Drohungen gegen den iranischen Staat ausgesprochen (TWI 31.10.2022).

Der neue de facto-Anführer von al-Qaida - sein Amtsantritt wurde bislang nicht offiziell bekannt gegeben - Sayf al-Adl befindet sich nach Einschätzungen von Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats in Iran (UNSC 13.2.2023).

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken (EDA 10.2.2023).

Im Jänner und April 2023 wurde von israelischen Drohnenangriffen auf militärische Ziele in Iran berichtet (IRINTL 5.4.2023, RFE/RL 31.1.2023). Im vergangenen Jahr kam es in Iran zu einer Reihe von Zwischenfällen, darunter Sabotage- und Cyberangriffe, Attentate und die mysteriöse Ermordung von Mitgliedern der IRGC sowie von Wissenschaftlern und Ingenieuren. Teheran hat einige der Vorfälle Israel, seinem regionalen Feind, angelastet (RFE/RL 31.1.2023).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.2.2023): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise (Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/iran-node/iransicherheit/202396#content_5, Zugriff 15.3.2023 [Login erforderlich];

●             AJ - Al Jazeera (26.10.2022): Attack on Shiraz shrine kills 15: Iranian state media, https://www.aljazeera.com/news/2022/10/26/attack-on-shiraz-shrine-kills-15-iranian-state-media, Zugriff 7.4.2023;

●             BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069656/country_report_2022_IRN.pdf, Zugriff 14.2.2023;

●             DW - Deutsche Welle (13.11.2022): Northern Iraq: A new base for Iran's protest movement?, https://www.dw.com/en/northern-iraq-a-new-base-for-irans-protest-movement/a-63731091, Zugriff 6.4.2023;

●             EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (10.2.2023): Reisehinweise für den Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 7.4.2023;

●             IRINTL - Iran International (3.9.2022): Four Iranian Forces Killed In Clashes With Taliban Border Guards, https://www.iranintl.com/en/202203098998, Zugriff 7.4.2023;

●             IRINTL - Iran International (5.4.2023): IRGC Say Drone Downed Near Military Site Amidst Governorate Denials, https://www.iranintl.com/en/202304055252, Zugriff 7.4.2023;

●             K24 - Kurdistan 24 (28.11.2022): Who are the Iranian-Kurdish rebels in northern Iraq?, https://www.kurdistan24.net/en/story/30066-Who-are-the-Iranian-Kurdish-rebels-in-northern-Iraq, Zugriff 6.4.2023;

●             MAITIC - Meir Amit Intelligence and Terrorism Infomation Center (3.11.2022): ISIS’s attack on a Shiite shrine in Shiraz, Iran: analysis and possible implications, https://www.terrorism-info.org.il/en/isiss-attack-on-a-shiite-shrine-in-shiraz-iran-analysis-and-possible-implications/, Zugriff 7.4.2023;

●             Newsweek - Newsweek (1.12.2022): As Iran Unrest Turns to Armed Clashes, Government Prepares Fight to Survive, https://www.newsweek.com/iran-unrest-turns-armed-clashes-government-prepares-fight-survive-1763724, Zugriff 7.4.2023;

●             RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (31.1.2023): Suspected Israeli Drone Strike In Iran Part Of New 'Containment Strategy', https://www.rferl.org/a/iran-suspected-israeli-drone-strikes-containment/32247689.html, Zugriff 7.4.2023;

●             Rudaw - Rudaw Media Network (28.9.2022): IRGC rains down missiles, drones on Kurdistan Region killing nine, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/28092022, Zugriff 6.4.2023;

●             TWI - Washington Institute for Near East Policy, The (14.10.2022): As Anti-Regime Protests Swell Across Iran, Ethnic Minorities Demand Freedom and Equality, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/anti-regime-protests-swell-across-iran-ethnic-minorities-demand-freedom-and, Zugriff 14.3.2023;

●             TWI - Washington Institute for Near East Policy, The (31.10.2022): The Islamic State Attacks the Islamic Republic, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/islamic-state-attacks-islamic-republic, Zugriff 7.4.2023;

●             UNHRC - United Nations Human Rights Council (7.2.2023): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2088389/G2301095.pdf, Zugriff 14.3.2023;

●             UNSC - United Nations Security Council (13.2.2023): Thirty-first report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team submitted pursuant to resolution 2610 (2021) concerning ISIL (Da’esh), Al-Qaida and associated individuals and entities, https://www.ecoi.net/en/file/local/2087006/N2303891.pdf, Zugriff 27.3.2023;

Rechtsschutz / Justizwesen

Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltenteilung ist in der Praxis stark eingeschränkt (AA 30.11.2022; vergleiche BS 23.2.2022). Artikel 57, der Verfassung verleiht dem Revolutionsführer weitreichende Aufsichtsbefugnisse über das Justizwesen (BS 23.2.2022). Er ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023), der wiederum für die Ernennung und Entlassung von Richtern zuständig ist (BS 23.2.2022). Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben (AA 30.11.2022). Während die Gerichte innerhalb des herrschenden Establishments ein gewisses Maß an Autonomie genießen, wird das Justizsystem jedoch regelmäßig als Instrument eingesetzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 10.3.2023). Der Sicherheitsapparat (AA 30.11.2022) - insbesondere die Revolutionsgarden (BS 23.2.2022) - nehmen v.a. in politischen Fällen jedoch massiven Einfluss auf Urteilsfindung und Strafzumessung (AA 30.11.2022; vergleiche BS 23.2.2022). Das Justizwesen ist geprägt von Korruption (AA 30.11.2022; vergleiche USIP 1.8.2015). Es wird von Fällen berichtet, in denen Richter bestochen wurden, um Gerichtsprozesse zu beeinflussen (IrWire 28.4.2021).

Iranische Gerichte, insbesondere Revolutionsgerichte, sind regelmäßig weit davon entfernt, faire Gerichtsverfahren zu gewährleisten (HRW 12.1.2023). So verweigerten die Behörden z.B. Untersuchungshäftlingen den Zugang zu einem Rechtsbeistand, ließen Inhaftierte "verschwinden" oder hielten sie ohne Kontakt zur Außenwelt fest (AI 27.3.2023), ließen in Prozessen "Geständnisse" als Beweise zu, die unter Folter erpresst worden waren (AI 27.3.2023; vergleiche HRW 12.1.2023), und führten summarische und geheime Scheinprozesse durch, die keinerlei Ähnlichkeit mit fairen Verfahren aufwiesen, in denen jedoch Haftstrafen, Körperstrafen und Todesurteile verhängt wurden (AI 27.3.2023). Im Zusammenhang mit den weitverbreiteten Protesten haben die Justizbehörden im September und November 2022 über 1.000 Anklagen erhoben (HRW 12.1.2023), wobei in den ersten Wochen der Proteste über 15.000 Personen inhaftiert worden sind. Im Laufe des Jahres 2022 wurden Tausende Menschen willkürlich inhaftiert und/oder zu Unrecht strafrechtlich verfolgt, nur weil sie friedlich ihre Menschenrechte wahrgenommen haben. Unzählige weitere bleiben zu Unrecht in Haft (AI 27.3.2023).

Gerichtswesen

Die iranische Justiz verwaltet ein vielschichtiges Gerichtssystem. Eine Strafverfolgung geht von niedrigeren Gerichten aus und kann bei höheren Gerichten angefochten werden. Der Oberste Gerichtshof überprüft Fälle von Kapitalverbrechen und entscheidet über Todesurteile. Er hat auch die Aufgabe, für die ordnungsgemäße Anwendung der Gesetze und die Einheitlichkeit der Gerichtsverfahren zu sorgen (USIP 1.8.2015). Die allgemeinen Gerichte des Iran sind offiziell damit beauftragt, alle Arten von Fällen und Streitigkeiten zu schlichten. Diese verteilen sich auf die kleineren Landkreise, Bezirke und Distrikte des Landes. In den Strafgerichten werden Fälle gemäß der iranischen Strafprozessordnung behandelt, in den Zivilgerichten [Anm.: im Originaltext "legal courts"] gilt die Zivilprozessordnung (IrWire 9.9.2020).

Die Strafgerichte unterteilen sich in verschiedene Untereinheiten (IrWire 9.9.2020): Neben den Strafgerichten 1 und 2 existieren die Revolutionsgerichte, Jugendgerichte und Militärgerichte (Landinfo/et al. 12.2021). Darüber hinaus gibt es mehrere Sondergerichte (IrWire 9.9.2020), darunter beispielsweise ein Sondergericht für die Geistlichkeit (dadgah-e vīzheh-ye rouhaniyat), das als einziges Gericht nicht dem Justizchef, sondern direkt dem Revolutionsführer untersteht (Landinfo/et al. 12.2021). Es wird u.a. dazu genutzt, um prominente Kleriker, welche Kritik am Regime äußern, strafrechtlich zu verfolgen (IrWire 9.9.2020; vergleiche USIP 1.8.2015). Das Gesetz ermöglicht die Einsetzung eines zuständigen Gerichts zur Behandlung von Verstößen gegen das Pressegesetz von 1986 - sogenannte Pressegerichte - die unter Einbeziehung von Schöffen tagen sollen. Derzeit werden Journalisten allerdings eher vor Revolutionsgerichten wegen Vergehen gegen die nationale Sicherheit, "Propaganda gegen den Staat" und/oder das "Schüren von Angst in der öffentlichen Meinung" angeklagt - nach Ansicht eines Experten, um Prozesse unter Anwesenheit von Schöffen zu vermeiden. Pressegerichte sind derzeit nicht im Einsatz (Landinfo/et al. 12.2021).

Die Verfassung sieht weder die Einrichtung noch das Mandat der Revolutionsgerichte vor, die gemäß dem Dekret des ehemaligen obersten Führers, Ayatollah Khomeini, unmittelbar nach der Revolution von 1979 geschaffen wurden, wobei ein Scharia-Richter zum Leiter der Gerichte ernannt worden ist. Die Gerichte waren ursprünglich als vorübergehende Maßnahme gedacht, um hochrangige Beamte der abgesetzten Monarchie vor Gericht zu stellen, aber sie wurden später institutionalisiert und arbeiten weiterhin parallel zum restlichen Strafjustizsystem (USDOS 20.3.2023). Die Revolutionsgerichte sollten eigentlich von der Justiz beaufsichtigt werden. In der Praxis werden sie allerdings von und für Sicherheitsbehörden betrieben, die außerhalb des Gesetzes stehen (IrWire 9.9.2020). Manche Quellen gehen davon aus, dass die Revolutionsgerichte in Zusammenarbeit mit den Revolutionsgarden und dem Geheimdienstministerium (MOIS) operieren (Landinfo/et al. 12.2021).

Die Revolutionsgerichte haben verschiedene Zweige in der Hauptstadt, in den Provinzen und in manchen Justizdistrikten (Landinfo/et al. 12.2021). Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf die folgenden Delikte:

-             Beleidigung des Revolutionsgründers Ayatollah Khomeini und aller Revolutionsführer, die ihm nachfolgen (JIS 8.9.2018; vergleiche IrWire 9.9.2020);

-             Verschwörung gegen das Regime; Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen (JIS 8.9.2018); "baghei": bewaffneter Aufstand gegen die Regierung (IrWire 9.9.2020);

-             Spionage gegen das Regime (JIS 8.9.2018);

-             alle Schmuggel- und Drogendelikte (JIS 8.9.2018);

-             Straftaten betreffend die nationale Sicherheit des Landes; Anstiftung zur Verhetzung (JIS 8.9.2018); "mohārebeh": Waffenaufnahme gegen Gott und Staat (IrWire 9.9.2020);

-             in Artikel 49, der Verfassung erwähnte Delikte wie Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (JIS 8.9.2018).

Strafrecht und Sharia

Die Verfassung Irans ist ein hybrides System aus republikanisch-demokratischen und theokratisch-autoritären Elementen unter dem Vorrang des islamischen Rechts der Ja'afari-Rechtsschule (BAMF 5.2021). Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen (ÖB Teheran 11.2021). Von den drei Staatsgewalten haben die Geistlichen in der Judikative die stärkste Präsenz, wobei sie eine Ausbildung in islamischer Rechtswissenschaft oder Abschlüsse von religiösen Rechtsschulen haben müssen, um Richter zu werden. Der Chef der Justiz, der Generalstaatsanwalt des Landes und alle Richter des Obersten Gerichtshofs müssen hochrangige Geistliche oder Mujtahids sein (USIP 1.8.2015), also Rechtsgelehrte, die nach schiitischer Auslegung dazu qualifiziert sind, Ijtihad zu betreiben (EB o.D.a), d.h. islamische Texte in ungeklärten Rechtsfragen unabhängig auszulegen (EB o.D.b). Die iranische Justiz ist insofern ein einzigartiges System, als sie islamische Prinzipien und eine vom französischen System inspirierte Gesamtstruktur kombiniert. Nach der islamischen Revolution wurde das Justizsystem stark verändert, um die Scharia einzubeziehen. Das neue System wurde jedoch auf einer bereits bestehenden säkularen Struktur aufgebaut, wodurch ein sehr komplexes Justizwesen entstanden ist (Landinfo/et al. 12.2021).

Mit der islamischen Revolution von 1979 kam es zur Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, das die bisherige, vom "code pénal napoléon" von 1810 beeinflusste Gesetzgebung, ablöste und sich aus drei eigenständigen Teilbereichen zusammensetzt (BAMF 5.2021). Die Schwere und Art einer Straftat sowie die vorgeschriebene Strafe bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung des Falles zuständig ist. Artikel 14, des Islamischen Strafgesetzbuches (IStGB) unterteilt Verbrechen in vier Strafkategorien gemäß der Scharia: Hadd, Qisas, Diyah und Ta’zir (Landinfo/et al. 12.2021).

Hadd-Delikte umfassen Unzucht/Ehebruch (zina), Sodomie (levat), lesbische Beziehung (mosaheqeh), Beschaffung von Prostitution (qavadī), falsche Anschuldigung der Unzucht/Sodomie (qazf), Verleumdung des Propheten (sabb-e nabī), Alkoholkonsum (shorb-e-khamr), Raub/Diebstahl, Waffennahme gegen Gott (mohārebeh ba khoda), Korruption auf Erden (efsad fe-l-arz) und Rebellion (baghei). Zu den Hadd-Strafen gehören die Todesstrafe, Steinigung, Kreuzigung, Auspeitschung, Amputation (von Hand und Fuß), lebenslange Haft und Verbannung. Art und Umfang dieser Strafen werden vom islamischen Recht bestimmt und gelten als von Gott festgelegt, sie können daher von einem Richter nicht abgeändert oder begnadigt werden. Aufgrund der Schwere der Strafen und der Tatsache, dass sie unveränderlich sind, gelten strenge Beweis- und andere Anforderungen. Iranische Aktivisten und Dissidenten, darunter Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten, werden normalerweise mit vage formulierten und weit gefassten Anklagen konfrontiert, die aus dem IStGB stammen. Die Hadd-Verbrechen "Waffennahme gegen Gott" (mohārebeh) und "Korruption auf Erden" (efsād fe-l-arz) sind dabei die berüchtigtsten (Landinfo/et al. 12.2021). Hadd-Strafen werden im zweiten Buch des IStGB (Artikel 217 –, 288,) behandelt (BAMF 5.2021).

Qisas-Vebrechen sind sogenannte Talions- oder Vergeltungsstrafen (Landinfo/et al. 12.2021; vergleiche BAMF 5.2021). Sie basieren auf einem Prinzip des islamischen Rechts, den Opfern eine analoge Vergeltung für Gewaltverbrechen wie Totschlag oder Körperverletzung zu erlauben – unter der Voraussetzung, dass die Taten vorsätzlich waren. Angehörige eines Tötungsopfers (nächste Familienangehörige) und Opfer von Körperverletzung können alternativ ihre Forderung nach Vergeltung gegen Geldentschädigung (Diyah), also Blutgeld, zurücknehmen und den Täter freilassen. Sie können dem Täter auch ganz vergeben und auf Diyah verzichten. Das iranische Rechtssystem betrachtet diese Verbrechen als Angelegenheit zwischen Privatpersonen. Die Rolle des Staates besteht darin, die Ermittlungen und Gerichtsverfahren in diesen Fällen zu erleichtern und sicherzustellen, dass nachfolgende Bestrafungen in organisierter Form erfolgen. Doch selbst wenn die Bluträcher auf ihren Anspruch auf Vergeltung verzichten, kann der Staat eine zusätzliche Strafe verhängen, wenn er der Ansicht ist, dass das Verbrechen die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Gesellschaft stört. In Fällen von Körperverletzung ist Vergeltung selten. Auch bei Mord ist es für die Angehörigen oftmals attraktiver, Diyah anzunehmen. Bei nicht vorsätzlicher Körperverletzung oder Totschlag ist Diyah dagegen grundsätzlich vorgesehen (und nicht nur als Alternative zu Vergeltung, so die Opfer oder ihre Angehörigen zustimmen). Diyah wird weiters auch in manchen Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung angewendet, in denen Vergeltung verboten oder undurchführbar ist (Landinfo/et al. 12.2021). Qisas-Strafen werden im dritten Buch (Artikel 289 –, 447,) und im vierten Buch das Blutgeld bzw. Diyah (Artikel 448 –, 728,) behandelt (BAMF 5.2021).

Für alle sonstigen aus Sicht der Rechtsordnung strafwürdigen Taten sind Ta'zir-Strafen (BAMF 5.2021; vergleiche Landinfo/et al. 12.2021) - Ermessensstrafen - und sogenannte "Abschreckungsstrafen" (mojāzāt-e bāzdārandeh) vorgesehen. Letztere dienen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Während Hadd, Qisas und Diyah durch islamisches Recht definiert werden, leiten sich Ta'zir und Abschreckungsstrafen aus dem staatlichen Recht ab. In diese Kategorien fallen zum Beispiel Straftaten gegen die interne und externe Sicherheit des Staates (Artikel 498 -, 512 und 610-611 IStGB); Fälschung (Artikel 523 -, 542, IStGB); Vergehen gegen öffentliche Moral und Anstand (Artikel 637 -, 641, IStGB) - beispielsweise ungehörige Beziehungen zwischen Männern und Frauen, wie z. B. Berührungen und Küsse (Artikel 637,), oder unislamische Kleidung (Artikel 638,); Diebstahl (Artikel 651 -, 667, IStGB); sowie öffentliche Konsumation von Alkohol, Glücksspiel und Vagabundieren (Artikel 701 -, 713, IStGB). Ta’zīr-Strafen werden nach Art und Umfang nach Ermessen des Richters (auf der Grundlage des kodifizierten Rechts) verhängt (Landinfo/et al. 12.2021).

Wenn sich Gesetze, die seit der Gründung der Islamischen Republik erlassen wurden, mit einer spezifischen Rechtssituation nicht befassen, rät die Regierung den Richtern, ihrer Kenntnis und Auslegung der Scharia (islamisches Gesetz) Vorrang einzuräumen. Bei dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen "göttlichen Wissens" [divine knowledge] für schuldig erklären (USDOS 20.3.2023).

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis, Rechtsschutz

Bei Delikten, die im starken Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden (ÖB Teheran 11.2021). Im iranischen Strafrecht sind also körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 30.11.2022). Auf die Anwendung der Vergeltungsstrafen (Qisas) der Amputation (z.B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung kann der Geschädigte gegen Erhalt eines Abstandsgeldes (Diyah) verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom Geschädigten gegen Diyah verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021).

Verlässliche Aussagen zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch Willkür auszeichnet. Mitunter bewusst unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine unzureichende Kontrolle innerhalb der Justiz ermöglichen ein willkürliches Handeln von Richtern. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass Gerichte in politischen Verfahren nicht unabhängig agieren. Auch willkürliche Verhaftungen kommen häufig vor und führen dazu, dass Häftlinge ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht eigentlich garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht einer Straftat unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht bewusst verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zumindest im Anfangsstadium des Verfahrens nur aus einer Liste mit vom Staat zugelassenen und damit mutmaßlich systemfreundlichen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erfolgt die Anklage oft aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat oft unverhältnismäßig hoch, besonders bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (Kopftuchzwang) (AA 30.11.2022).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 30.11.2022).

Rechtsschutz ist nur eingeschränkt gegeben (AA 30.11.2022). Es gibt Fälle von Rechtsanwälten, welche Dissidenten vertraten und daraufhin inhaftiert und mit einem Berufsverbot belegt worden sind (FH 10.3.2023). Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert, zum Teil auch selbst inhaftiert und verurteilt. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen. Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen. Üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (AA 30.11.2022).

Strafverfahren vor den Revolutionsgerichten finden oft hinter verschlossenen Türen unter dem Vorsitz von Geistlichen statt, ohne dass Standardgarantien eines Strafverfahrens, wie etwa die Gewährung von Zeit und Zugang zu Anwälten zur Vorbereitung einer Verteidigung, gewährleistet sind (Conversation 13.1.2023). Anwälte benötigen in der Regel schon alleine dafür die Erlaubnis der Richter, um den Gerichtssaal betreten zu können. Anwälten von Personen, die in der Vergangenheit wegen mohārebeh angeklagt waren, wurde manchmal die Teilnahme am Prozess verweigert. In anderen sicherheitsrelevanten Fällen durften sie teilnehmen, aber ihr Recht auf eine angemessene Verteidigung wurde eingeschränkt (Landinfo/et al. 12.2021). Laut Menschenrechtsgruppen und internationalen Beobachtern werden vor Revolutionsgerichten, die im Allgemeinen die Fälle politischer Gefangener anhören, routinemäßig grob unfaire Gerichtsverfahren ohne ordnungsgemäße Verfahren abgehalten; es werden vorab festgelegte Urteile verkündet und Hinrichtungen für politische Zwecke befürwortet. Diese unlauteren Praktiken treten Berichten zufolge in allen Phasen der Strafverfahren vor den Revolutionsgerichten auf (USDOS 20.3.2023). Die Revolutionsgerichte haben sich bei der Verurteilung von Personen im Zusammenhang mit den Protesten seit September 2022 auf unter Folter oder durch andere Zwangsmittel erzwungene Geständnisse als Beweismittel gestützt, unter anderem auch bei Todesurteilen (UNHRC 7.2.2023). Die Revolutionsgerichte sehen meist davon ab, das Urteil an die Angeklagten zu übermitteln. In der Regel laden sie den Anwalt des Angeklagten vor Gericht und verlesen das Urteil. Solche Urteile sind folglich auf der elektronischen Datenbank Adliran nicht zugänglich. Rechtsanwälte dürfen Urteile lediglich direkt bei Gericht lesen und sich dort Notizen machen (Landinfo/et al. 12.2021).

In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA), deren Unabhängigkeit die Judikative einzuschränken versucht. Anwälte der IBA sind staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen ausgesetzt (AA 30.11.2022).

Doppelbestrafung

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem IStGB werden Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 30.11.2022).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

●             AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Iran 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089407.html, Zugriff 30.3.2023;

●             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35 Iran Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?__blob=publicationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%22name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D, Zugriff 30.3.2023;

●             BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069656/country_report_2022_IRN.pdf, Zugriff 14.2.2023;

●             Conversation - The Conversation (13.1.2023): Iran executions: the role of the ‘revolutionary courts’ in breaching human rights, https://theconversation.com/iran-executions-the-role-of-the-revolutionary-courts-in-breaching-human-rights-197534, Zugriff 30.3.2023;

●             EB - Encyclopaedia Britannica (o.D.): mujtahid, https://www.britannica.com/topic/mujtahid, Zugriff 31.3.2023;

●             EB - Encyclopaedia Britannica (o.D.): ijtihād, https://www.britannica.com/topic/ijtihad#ref4662, Zugriff 31.3.2023;

●             FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Iran, https://freedomhouse.org/country/iran/freedom-world/2023, Zugriff 14.3.2023;

●             HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085460.html, Zugriff 14.3.2023;

●             IrWire - Iran Wire (28.4.2021): "Tea Money" for Contracts: New Study Lifts Lid on Iran's Bribery Culture, https://iranwire.com/en/features/69432/, Zugriff 28.3.2023;

●             IrWire - Iran Wire (9.9.2020): Injustice Behind Closed Doors: Iran's Special and Revolutionary Courts, https://iranwire.com/en/features/67558/, Zugriff 30.3.2023;

●             JIS - Journal for Iranian Studies (8.9.2018): THE REVOLUTIONARY COURTS IN IRAN: LEGALITY AND POLITICAL MANIPULATION, https://rasanah-iiis.org/english/wp-content/uploads/sites/2/2020/02/THE-REVOLUTIONARY-COURTS-IN-IRAN.pdf, Zugriff 30.3.2023;

●             et al./Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen], et al. (12.2021): IRAN Criminal procedures and documents, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064888/joint_coi_report._criminal_procedures_and_documents_20211206.pdf, Zugriff 17.3.2023;

●             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

●             UNHRC - United Nations Human Rights Council (7.2.2023): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2088389/G2301095.pdf, Zugriff 14.3.2023;

●             USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089063.html, Zugriff 22.3.2023;

●             USIP - United States Institute of Peace [USA] (1.8.2015): The Islamic Judiciary, https://iranprimer.usip.org/resource/islamic-judiciary, Zugriff 30.3.2023;

Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit. Das Informations- oder Geheimdienstministerium [vezarat -e etela’at - VAJA, wobei auch das englischsprachige Akronym MOIS weit verbreitet ist] und die Strafverfolgungsbehörden unterstehen dem Innenministerium, das dem Präsidenten verantwortlich ist. Die Islamischen Revolutionsgarden [sepah-e pasdaran -e enqhelab -e Islami - IRGC] unterstehen direkt dem Obersten Führer Khamenei. Die Basij, eine aus Freiwilligen bestehende paramilitärische Gruppierung, agieren zum Teil unter den Revolutionsgarden als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug. Die Revolutionsgarden und die nationale Armee (Artesh) sorgen für die externe Verteidigung (USDOS 20.3.2023). Die zivilen Behörden bzw. die Regierung behalten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 20.3.2023; vergleiche BS 23.2.2022) und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete (BS 23.2.2022). Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen (USDOS 20.3.2023).

Polizei - Strafverfolgungsbehörde NAJA

Die iranische Polizei wird offiziell "Strafverfolgungsbehörde" (nīrū-ye entezāmī-ye jomhūrī-ye eslāmī-ye īrān) genannt und ist auch unter ihrem Akronym in Farsi bekannt, nämlich NAJA. Sie unterteilt sich in verschiedene Zweige (Landinfo/et al. 12.2021): Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internet-, Drogen-, Militär-, Luftfahrt- sowie Grenzschutzpolizei, Küstenwache, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorismusbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 30.11.2022). Ungefähr die Hälfte der Polizeikräfte sind Wehrpflichtige, die in der Polizei ihren verpflichtenden Wehrdienst ableisten. Seit dem Jahr 2000 werden bestimmte Verwaltungsaufgaben in teilprivate, der NAJA angegliederte Firmen ausgelagert. Zu den Aufgaben dieser Firmen zählen beispielsweise die Ausstellung von Führerscheinen und Schutz- bzw. Wachdienste (Landinfo/et al. 12.2021).

Zu den Zweigen der NAJA gehört die Polizei für Geheimdienst und öffentliche Sicherheit (polīs-e ettelā’āt va amnīyat-e‘ omūmī - PAVA). Eine der Untereinheiten der PAVA ist die Sittenpolizei (polīs-e amnīyat-e akhlāqī). Ihr Auftrag ist die Überwachung von Bekleidungsvorschriften für Frauen (u. a. richtig getragene Hijabs) und Männer (Vermeidung eines "unislamischen" Erscheinungsbilds) in der Öffentlichkeit sowie die Überwachung (und Verhinderung) von Verhalten gegen die "islamische Moral" im Allgemeinen. Die Sittenstreife (gasht-e ershād [auch: "Belehrungsstreife"]) ist eine Untereinheit der Sittenpolizei. Sie besteht aus männlichen wie weiblichen Sicherheitskräften und ist üblicherweise in Polizeiautos auf öffentlichen Plätzen stationiert. Dort überwachen sie die Lage und verhaften Personen, insbesondere Frauen, die vorgeblich "unzüchtig" gekleidet sind, oder versuchen, eine Vermischung der Geschlechter zu unterbinden [Anm.: So die betroffenen Männer und Frauen nicht nah miteinander verwandt sind] (Landinfo/et al. 12.2021). Die Sittenpolizei wird beschuldigt, Frauen willkürlich wegen Übertretungen zu verhaften. Der Tod einer jungen Frau, die zuvor von der Sittenpolizei wegen eines angeblich unkorrekt getragenen Hijabs festgenommen worden war, hat zuletzt monatelange Proteste ausgelöst (DW 4.12.2022). Anfang Dezember 2022 berichteten Medien, dass die Sittenpolizei aufgelöst werden soll (DW 4.12.2022; vergleiche Tagesschau 11.3.2023), was als Zugeständnis an die Protestbewegung gewertet wurde. Mit Stand März 2023 besteht die Sittenpolizei allerdings weiterhin (Tagesschau 11.3.2023).

Revolutionsgarden

Die Revolutionsgarden (auch bekannt als Pasdaran oder Sepah) sind sowohl militärische Kampftruppe, Sicherheitsbehörde und Geheimdienstorganisation als auch eine soziale und kulturelle Macht und ein industrielles wie wirtschaftliches Konglomerat. Ihr Einfluss hat in allen genannten Bereichen im vergangenen Jahrzehnt zugenommen (Landinfo/et al. 12.2021). Die Revolutionsgarden nehmen eine Sonderrolle ein. Ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchdrungen und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eine fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie über engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 30.11.2022). Die Revolutionsgarden unterhalten auch eine eigene Bodenkampftruppe, Luftwaffe und Marine sowie mehrere Einheiten für nicht-konventionelle Kriegsführung und verdeckte Operationen. Den Revolutionsgarden unterstehen auch die Basij. Die Quds-Einheiten (sepāh-e qods) sind für alle verdeckten und militärischen Auslandseinsätze der Revolutionsgarden zuständig (Landinfo/et al. 12.2021). Heute sollen die Revolutionsgarden über ca. 190.000 Soldatinnen und Soldaten verfügen, während die regulären Streitkräfte 420.000 Mann unter Waffen haben. Hinzu kommen noch einmal 450.000 Reservisten als Teil der Basij-Milizen, die ebenfalls den Revolutionsgarden unterstellt sind (IRJ 1.2.2021), wobei Schätzungen über die Zahl der Basij weit auseinandergehen und bis zu mehreren Millionen reichen (ÖB Teheran 11.2021).

Die Revolutionsgarden spielen eine dominante Rolle in der iranischen Wirtschaft (FH 10.3.2023). In den vergangenen Jahrzehnten haben sie ihren ökonomischen Einfluss massiv ausgebaut. Sie besitzen ein Baukonglomerat, das bei vielen strategischen Infrastrukturprojekten und milliardenschweren Investitionen federführend ist: Khatam-al-Anbia. Die Revolutionsgarden betreiben gigantische Wirtschaftsunternehmen, bauen Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und U-Bahnen. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv. Wie groß der Anteil der iranischen Volkswirtschaft insgesamt ist, den die Revolutionsgarden inzwischen kontrollieren, lässt sich nicht sagen. Genaue Statistiken und Daten dazu fehlen (DW 7.3.2023). Die Unternehmen der Revolutionsgarden sind jedenfalls breit aufgestellt. Unter anderem betreiben sie auch Hotelketten, Versicherungen, private Banken und entwickeln Kriegsgerät (LMD 2020a). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern (DW 18.2.2016). Mittlerweile sind die wirtschaftlichen Aktivitäten der Revolutionsgarden außerhalb des normalen Marktgeschehens so umfangreich, dass der Privatsektor in vielen Bereichen nicht mehr existiert. Er wurde verdrängt und ist gegenüber der Marktbeherrschung der Garden nicht mehr wettbewerbsfähig (IRJ 1.2.2021).

Die Revolutionsgarden sind nicht nur in Iran, sondern auch in der Region aktiv. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland ausgebildet (Tagesschau 8.6.2017).

Basij

Die Basij haben unter anderem in Schulen und Universitäten Stützpunkte, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist (ÖB Teheran 11.2021). Sie sind auch in Moscheen stationiert (DW 7.3.2023). Das Regime setzt eine ausgewählte Gruppe an Basij in Zivil für Sicherheitsagenden und zur "Kontrolle bei Massenansammlungen" ein (Kayhan 14.10.2022). Diese Einheiten sind bewaffnet und werden in Zivil zur gewaltsamen Unterdrückung von Demonstrationen eingesetzt. So spielen sie bei der Unterdrückung der Protestaktionen [seit September 2022] eine Schlüsselrolle (DW 7.3.2023). Die meist jungen Freiwilligen absolvieren normalerweise eine begrenzte Ausbildung, um als Hilfskräfte für die lokale Sicherheit zu dienen und die staatliche Kontrolle über die Gesellschaft durchzusetzen, indem sie Demonstrationen unterdrücken und Informationen sammeln (IRINTL 1.7.2022). Alle Basij-Mitglieder, die über 15 Jahre alt sind, müssen als Teil ihres Dienstes ein zweimonatiges Militärtraining bei den Revolutionsgarden absolvieren (FP 30.1.2023). Die Basij-Organisation ist in verschiedene Zweige mit unterschiedlichen Spezialisierungen unterteilt (USIP 6.10.2010; vergleiche ABC News 13.10.2022). Der Sicherheitsapparat der Basij umfasst bewaffnete Brigaden, Aufstandsbekämpfungseinheiten und ein umfangreiches Netzwerk an Informanten (ABC News 13.10.2022). Darüber hinaus gibt es auch Zweige wie zum Beispiel die Schüler-Basij [basij-e danesh-amouzi], Studenten-Basij [basij-e daneshjouyi] oder die Arbeiter-Basij [basij-e karegaran], die ein Gegengewicht zu zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Gewerkschaften oder Studentenvereinigungen bilden sollen (USIP 6.10.2010).

Wichtigste Nachrichten- und Geheimdienste

Die beiden wichtigsten Geheimdienste Irans sind das MOIS und der Geheimdienst der Revolutionsgarden (USIP 17.2.2023). Das MOIS ist mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst und den technischen Aufklärungsdienst. Der Inlandsgeheimdienst beobachtet die politische Opposition und übt Druck auf diese aus (AA 30.11.2022). Die Missionen des MOIS und des Geheimdienstes der Revolutionsgarden überlappen sich deutlich, da beide Institutionen umfangreiche Aufgabenbereiche haben. Die Hauptaufgabe des MOIS wie des Geheimdienstes der Revolutionsgarden ist es, die Islamische Republik an der Macht zu halten. Die Überwachung von Dissidenten im In- und Ausland und die Unterdrückung organisierter Opposition sind wichtige Aufgabenfelder der Dienste (USIP 17.2.2023). Das MOIS ist laut dem Verfassungsschutz der Bundesrepublik Deutschland der Hauptakteur iranischer Nachrichtendienstaktivitäten in Deutschland. In seinem Fokus stehen insbesondere iranische Oppositionsgruppen. Darüber hinaus sind auch die geheimdienstlich agierenden Quds-Kräfte in Deutschland aktiv (BMIH 7.6.2022). Das Netzwerk iranischer Nachrichtendienste ist auch in Österreich präsent (BMI 2022). Der Leiter des MOIS hat einen Kabinettsposten inne und ist dem Präsidenten verantwortlich. Der Geheimdienst der Revolutionsgarden fällt dagegen unter die militärische Befehlskette und untersteht direkt dem Obersten Führer (USIP 17.2.2023).

Behörden zur Überwachung von Internetaktivitäten

Zur Überwachung des Internets wurde der "Hohe Rat für den Cyberspace" gegründet. Er setzt sich aus hochrangigen Militärs und Politikern zusammen (DlF 26.9.2022; vergleiche RSF o.D.a). Dem Innenministerium unterstellt ist darüber hinaus die Cyberpolizei (polīs-e fazā-ye toulīd va tabādol-e ettelā’āt - FATA), wortwörtlich die "Polizei für virtuellen Raum und Informationsaustausch" (Landinfo/et al. 12.2021). Sie beschäftigt sich mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen, Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 30.11.2022). Die Ausforschung von Verkäufern von Virtual Private Network (VPN)-Zugängen zählt ebenfalls zum Aufgabenfeld der FATA. Das Aufgabenfeld der FATA überlappt sich mit jenem des Zentrums zur Überwachung Organisierter Kriminalität (markaz-e barrasī-ye jarā’em-e sāzmān-yāfteh - CIOC) und dem Cyberverteidigungskommando der Revolutionsgarden (qarārgāh-e defā’-e sāiberī). Diese beschäftigen sich jedoch in stärkerem Ausmaß mit Fragen der nationalen Sicherheit, wie zum Beispiel der Verbreitung von Onlinematerial kurdischer Parteien und politischer Bewegungen, oder der Verbreitung des christlichen Glaubens in den sozialen Medien. Die FATA beschäftigt sich demgegenüber eher mit "einfachen" Verbrechen, darunter auch Sittenverbrechen (Landinfo/et al. 12.2021).

Reguläre Armee - Artesh

Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung (AA 30.11.2022).

Behandlung der Zivilbevölkerung

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS 23.2.2018). Die kurdische Region ist das am stärksten militarisierte Gebiet Irans. Die Regierung überwacht die Bevölkerung dort durch ein Netzwerk von Kontrollpunkten (DIS 7.2.2020).

Angehörige der Sicherheitskräfte können Misshandlungen begehen, ohne befürchten zu müssen, bestraft zu werden. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, darunter Folter, Verschwindenlassen und Gewaltakte gegen Demonstranten und Umstehende bei öffentlichen Demonstrationen. Die Regierung unternimmt nur wenige Schritte, um Beamte, die Menschenrechtsverletzungen begehen, zu identifizieren, zu untersuchen, strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Die Straflosigkeit bleibt auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte allgegenwärtig (USDOS 20.3.2023).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie Basij de facto willkürlich handeln können. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung, Parties oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen können den Unwillen zufällig anwesender Basij bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basij können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 11.2021). Bei der brutalen Durchsetzung von Regeln wie der Kopftuchpflicht für Frauen, die im September 2022 Auslöser der Proteste war, stehen nicht unbedingt die regulären Polizeieinheiten im Fokus, sondern "überambitionierte Freiwillige", die sich normalerweise aus den Basij-Milizen rekrutieren. Sie nennen sich die "Hezbollahis", also "Parteigänger Gottes" und vertreten dabei das islamische Prinzip des "Gebieten des Guten, Verbieten des Schlechten" (al-amr bi-l-maʿrūf wa-n-nahy ʿani-l-munkar) [Anm.: nicht gleichzusetzen mit der libanesischen Hisbollah]. Die Polizei hat wenig Anreiz, Frauen vor Willkür zu schützen und sich mit den übereifrigen, politisch bestens vernetzten Hezbollahis anzulegen, die sich als Schutzherren der öffentlichen Moral aufspielen. Sie lassen die Miliz gewähren und vertrauen darauf, dass sich die Gewalt im Rahmen hält (Zenith 21.9.2022).

Es wird sowohl von "großer" Korruption durch hochrangige Vertreter der Sicherheits- und Strafvollzugsbehörden berichtet (FP 28.2.2023; vergleiche IrWire 4.6.2021) als auch von der Zahlung von Bestechungsgeldern ("Teegeld") an Polizeibeamte, beispielsweise zur Vermeidung von Strafen wegen Geschwindigkeitsübertretungen oder Drogenbesitzes. Manchmal werden auch Mitglieder der Revolutionsgarden und Basij oder Richter bestochen, um Strafen wegen schwerwiegenderer Taten zu verhindern, oder um Gerichtsprozesse zu beeinflussen. Umgekehrt zahlen auch Einbruchsopfer manchmal Bestechungsgelder an Polizisten, um die "Chancen auf die Fassung des Diebes zu erhöhen" (IrWire 28.4.2021). Die Bestechung von Militärangehörigen, Polizeibeamten und anderen Mitgliedern der Strafvollzugsbehörden in Iran wurde als "systemisch" bezeichnet. Begünstigende Faktoren sind unter anderem die Anwerbung von Personen mit Vorstrafen als Polizeibeamte. Auch Ungleichheiten und Lohndiskriminierung spielen eine Rolle, ebenso wie das Fehlen einer angemessenen Aufsicht durch verantwortliche Beamte. Die Polizei leidet zudem an "ineffizienter Organisation" (IrWire 6.9.2021).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

●             ABC News - Australian Broadcasting Corporation News (13.10.2022): What we know about the Basij, the paramilitary volunteer group cracking down on protesters in Iran, https://www.abc.net.au/news/2022-10-13/what-we-know-about-the-basij-in-iran/101534184, Zugriff 29.3.2023;

●             BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (2022): Verfassungsschutzbericht 2021, https://www.dsn.gv.at/501/files/VSB/VSB_2021_bf_012023.pdf, Zugriff 28.3.2023;

●             BMIH - Bundesministerium des Inneren und für Heimat (7.6.2022): Verfassungsschutzbericht 2021, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/vsb-2021-gesamt.pdf?__blob=publicationFile&v=6, Zugriff 28.3.2023;

●             BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069656/country_report_2022_IRN.pdf, Zugriff 14.2.2023;

●             DIS - Danish Immigration Service [Denmark] (23.2.2018): IRAN House Churches and Converts, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 16.3.2023;

●             DIS - Danish Immigration Service [Denmark] (7.2.2020): Iranian Kurds, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf, Zugriff 13.3.2023;

●             DlF - Deutschlandfunk (26.9.2022): Wie wir die Internetzensur umgehen, https://www.deutschlandfunk.de/iran-internetsperre-umgehen-faq-100.html, Zugriff 28.3.2023;

●             DW - Deutsche Welle (18.2.2016): Die Strippenzieher der iranischen Wirtschaft, https://www.dw.com/de/die-strippenzieher-der-iranischen-wirtschaft/a-19054802, Zugriff 28.3.2023;

●             DW - Deutsche Welle (4.12.2022): Iran to disband 'morality police,' says attorney general, https://www.dw.com/en/iran-to-disband-morality-police-says-attorney-general/a-63979224, Zugriff 28.3.2023;

●             DW - Deutsche Welle (7.3.2023): Was ist Irans Revolutionsgarde?, https://www.dw.com/de/was-ist-irans-revolutionsgarde/a-64453930, Zugriff 28.3.2023;

●             FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Iran, https://freedomhouse.org/country/iran/freedom-world/2023, Zugriff 14.3.2023;

●             FP - Foreign Policy (28.2.2023): Corruption römisch eins s the Iranian Regime’s Achilles’ Heel, https://foreignpolicy.com/2023/02/28/iran-protests-corruption-khamenei-wealth-ghalibaf-soleimani/, Zugriff 28.3.2023;

●             FP - Foreign Policy (30.1.2023): Conscription römisch eins s Not an Excuse for Iran’s Revolutionary Guard, https://foreignpolicy.com/2023/01/30/iran-revolutionary-guard-terrorism-military-conscription/, Zugriff 28.3.2023;

●             IRINTL - Iran International (1.7.2022): Iran Aims To Set Up Basij Paramilitary Bases In 11,000 Neighborhood, https://www.iranintl.com/en/202201071284, Zugriff 29.3.2023;

●             IRJ - Iran Journal (1.2.2021): Aus der Schwäche wuchs ihre Macht, https://iranjournal.org/wirtschaft/geschichte-der-revoltuionsgarde/2, Zugriff 28.3.2023;

●             IrWire - Iran Wire (28.4.2021): "Tea Money" for Contracts: New Study Lifts Lid on Iran's Bribery Culture, https://iranwire.com/en/features/69432/, Zugriff 28.3.2023;

●             IrWire - Iran Wire (4.6.2021): Official Report: Iran’s Military is Riddled with Corruption, https://iranwire.com/en/features/69671/, Zugriff 28.3.2023;

●             IrWire - Iran Wire (6.9.2021): Iranian Police Study: Shame Officers Who Take Bribes on TV, https://iranwire.com/en/features/70288/, Zugriff 28.3.2023;

●             Kayhan - Kayhan Life (14.10.2022): ANALYSIS: Who Are the Men Serving in Iran’s IRGC, Basij, and Police Forces?, https://kayhanlife.com/news/kayhan/analysis-who-are-the-men-serving-in-irans-irgc-basij-and-police-forces/, Zugriff 28.3.2023;

●             et al./Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen], et al. (12.2021): IRAN Criminal procedures and documents, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064888/joint_coi_report._criminal_procedures_and_documents_20211206.pdf, Zugriff 17.3.2023;

●             LMD - Le Monde diplomatique (2020): Eine Armee für den Ayatollah, Zugriff 28.3.2023;

●             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

●             RSF - Reporter ohne Grenzen (o.D.): Hoher Rat für den Cyberspace, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/aktivitaeten/feinde-des-internets/hoher-rat-fuer-den-cyberspace, Zugriff 28.3.2023;

●             Tagesschau - Tagesschau (11.3.2023): "Im Iran glaubt kaum jemand den Staatsmedien", https://www.tagesschau.de/faktenfinder/iran-desinformation-101.html, Zugriff 28.3.2023;

●             Tagesschau - Tagesschau (8.6.2017): Krise am Golf: Staat im Staat: Warum Irans Revolutionsgarden so viel Macht haben, https://www.tagesspiegel.de/politik/staat-im-staat-warum-irans-revolutionsgarden-so-viel-macht-haben-5497978.html, Zugriff 28.3.2023;

●             USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089063.html, Zugriff 22.3.2023;

●             USIP - United States Institute of Peace [USA] (17.2.2023): Explainer: How Iran's Intelligence Agencies Work, https://iranprimer.usip.org/blog/2023/feb/17/explainer-how-iran%E2%80%99s-intelligence-agencies-work, Zugriff 27.3.2023;

●             USIP - United States Institute of Peace [USA] (6.10.2010): The Basij Resistance Force, https://iranprimer.usip.org/resource/basij-resistance-force, Zugriff 29.3.2023;

●             Zenith - Zenith (21.9.2022): Die unverhüllte Wahrheit über Irans Regime, https://magazin.zenith.me/de/politik/die-islamische-republik-und-der-tod-von-mahsa-amini-iran, Zugriff 27.3.2023;

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist nach Artikel 38, der iranischen Verfassung (AA 30.11.2022) und dem Strafgesetzbuch verboten, ebenso wie die Verwendung von unter Zwang erlangten Geständnissen in Gerichtsprozessen (UNHRC 13.1.2022). Dennoch sind psychische und physische Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 30.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023) bzw. weit verbreitet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022a). Folter wird in politischen Fällen nicht nur geduldet, sondern mitunter angeordnet (AA 30.11.2022). Ziel der Folter sind einerseits Geständnisse, auf die das iranische Justizsystem stark angewiesen ist (IrWire 17.2.2023; vergleiche AA 30.11.2022). Ehemalige Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 10.3.2023). Andererseits dient die systematische und weitverbreitete Anwendung von Folter der Abschreckung. Das dritte Motiv für die Folter, das mit zuvor genanntem verbunden ist und ausschließlich für politische Gefangene gilt, ist die öffentliche Zurschaustellung von gebrochenen Persönlichkeiten. Die Folterung von politischen Gegnern mit dem Ziel, falsche Geständnisse zu erlangen und diese öffentlich zu verbreiten, ist eine Botschaft an die Gesellschaft, dass die Regierung jeden Widerstand niederschlagen kann (IrWire 17.2.2023; vergleiche AA 30.11.2022). Durch Folter erzwungene "Geständnisse" wurden im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt und regelmäßig für Schuldsprüche herangezogen (AI 29.3.2022a).

Der Tod einer jungen Frau im September 2022, nachdem sie von der Moralpolizei in Teheran wegen eines "unangemessen" getragenen Hijabs verhaftet worden war, führte zu weitverbreiteten Protesten, wobei in jüngster Zeit mehrere Vorfälle bekannt wurden, bei denen die Polizei unrechtmäßig Gewalt gegen Frauen anwandte, die sich nicht an die auferlegten Bekleidungsvorschriften für Frauen hielten (HRW 16.9.2022). Im Zuge der Niederschlagung der Proteste festgenommene Personen waren Berichten zufolge mitunter der Folter ausgesetzt, teilweise mit Todesfolge, (BBC 19.12.2022; vergleiche RFE/RL 3.2.2023, NDR 1.2.2023, IrWire 17.2.2023) ebenso wie sexuellem Missbrauch und Vergewaltigungen (USDOS 20.3.2023). Laut einer Untersuchung von IranWire [Anm.: regimekritische Nachrichtenorganisation] lassen sich die Todesursachen von Gefangenen oder vor Kurzem aus der Haft Entlassenen, darunter auch Protestteilnehmern, in folgende Hauptkategorien unterteilen: 1. verweigerte medizinische Behandlung; 2. unmittelbare Zufügung extremer und qualvoller körperlicher Verletzungen; 3. unmittelbare Zufügung extremer und qualvoller mentaler und emotionaler Schäden. Die Ursache für den Tod von Gefangenen kurz nach der Entlassung ist in den meisten Fällen Selbstmord, der auf die Haftbedingungen oder die Angst vor einer Rückkehr in diese Bedingungen zurückzuführen ist (IrWire 17.2.2023).

Folter wird sowohl seitens der Polizei, im parallelen System der Basij/Pasdaran als auch in Gefängnissen angewandt (ÖB Teheran 11.2021). Fälle von Folter wie auch Todesfälle aufgrund von Gewaltanwendung wurden überdies in verschiedenen Prozessstadien verzeichnet, beispielsweise während Voruntersuchungen und in Haftzentren von ermittelnden Polizeieinheiten (Agahi), dem Geheimdienstministerium, der regulären Stadtpolizei sowie von Grenz- und Einwanderungspolizei, Cyber-Polizei, den Revolutionsgarden (UNHRC 13.1.2022) wie auch der Moralpolizei (HRW 16.9.2022). Menschenrechtsorganisationen verwiesen häufig auf Haftanstalten, in denen politische Gegner grausam und über längere Zeit gefoltert wurden, insbesondere in den Abteilungen Nr. 209 und Nr. 2 des Evin-Gefängnisses, die Berichten zufolge von den Revolutionsgarden kontrolliert werden (USDOS 20.3.2023) bzw. dem Geheimdienstministerium unterstehen und in dem politische Gefangene inhaftiert sind (AA 30.11.2022). Die Behörden unterhalten angeblich auch inoffizielle Geheimgefängnisse und Haftanstalten außerhalb des staatlichen Gefängnissystems, in denen es zu Misshandlungen kommt (USDOS 20.3.2023). Straflosigkeit ist nach wie vor ein weitverbreitetes Problem bei allen Sicherheitskräften (USDOS 20.3.2023).

Gerichte verhängen weiterhin körperliche Strafen, wie zum Beispiel Auspeitschungen, Blendung, Steinigung und Amputation. Diese werden von der iranischen Regierung als "Strafe" und nicht als Folter betrachtet (USDOS 20.3.2023). Bei Delikten, die im Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischt-geschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

●             AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Iran 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 10.2.2023;

●             BBC - British Broadcasting Corporation (19.12.2022): Iran protests: Family finds signs of torture on man's exhumed body, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-64025754, Zugriff 10.2.2023;

●             FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Iran, https://freedomhouse.org/country/iran/freedom-world/2023, Zugriff 14.3.2023;

●             HRW - Human Rights Watch (16.9.2022): Woman Dies in Custody of Iran’s ‘Morality Police’, https://www.hrw.org/news/2022/09/16/woman-dies-custody-irans-morality-police, Zugriff 10.2.2023;

●             IrWire - Iran Wire (17.2.2023): Death is My Business: A Look at the Death of Citizens in the Custody of the Islamic Republic , https://iranwire.com/en/politics/113911-death-is-my-business-a-look-at-the-death-of-citizens-in-the-custody-of-the-islamic-republic/, Zugriff 22.3.2023;

●             NDR - Norddeutscher Rundfunk (1.2.2023): Knochenbrüche, Peitschenhiebe, psychische Gewalt: Recherche gibt umfassend Einblick in Irans Folterpraxis gegen Demonstranten, https://www.ndr.de/der_ndr/presse/mitteilungen/Knochenbrueche-Peitschenhiebe-psychische-Gewalt-Recherche-gibt-umfassend-Einblick-in-Irans-Folterpraxis-gegen-Demonstranten,pressemeldungndr23706.html, Zugriff 17.2.2023;

●             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

●             RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (3.2.2023): 'They Deserve To Die': Iranian Doctors Who Treated Wounded Protesters 'Arrested, Tortured', https://www.ecoi.net/de/dokument/2086333.html, Zugriff 10.2.2023;

●             UNHRC - United Nations Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 10.2.2023;

●             USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089063.html, Zugriff 22.3.2023;

Allgemeine Menschenrechtslage

Die iranische Verfassung (IRV) vom 15.11.1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Artikel 4, IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene "Hohe Rat für Menschenrechte" untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten "Pariser Prinzipien" (AA 30.11.2022).

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:

-             Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR)

-             Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) (ICCPR)

-             Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD)

-             Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht) (CRC)

-             Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie (CRC-OP-SC)

-             Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD)

-             Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

-             UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen

-             UN-Apartheid-Konvention

-             Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 28.1.2022)

Bislang hat Iran auch 15 Konventionen und ein Protokoll der International Labor Organization (ILO) unterzeichnet (FITR 8.2.2023).

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:

-             Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT)

-             Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention (OP-CAT)

-             Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR)

-             Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)

-             Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (CED)

-             Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (CRC-OP-AC) (unterzeichnet aber nicht ratifiziert) (AA 28.1.2022).

Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Menschenrechtslage, insbesondere der politischen und bürgerlichen Rechte, wobei sich der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Menschenrechtsbereich in den letzten Jahren erheblich verengt hat (ÖB Teheran 11.2021). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 2020). Zu den wichtigsten Menschenrechtsproblemen gehören: rechtswidrige oder willkürliche Tötungen durch die Regierung und ihre Vertreter, vor allem Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard für "schwerste Verbrechen" entsprechen, oder für Verbrechen, die von jugendlichen Straftätern begangen wurden, sowie Hinrichtungen nach Gerichtsverfahren ohne ordnungsgemäßen Prozess; Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; systematische Inhaftierungen, einschließlich politischer Gefangener. Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte; Bestrafung von Familienmitgliedern, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets - einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigte Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und strafrechtliche Verfolgung sogar von Verleumdung und übler Nachrede; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung; weitverbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen; rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien; Menschenhandel; Gewalt gegen ethnische Minderheiten; strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten; Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten sowie Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten; und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften. Die Regierung unternimmt kaum Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (USDOS 20.3.2023).

Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamische Grundsätze infrage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, welche die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände vergleiche Artikel 279 bis 288 iStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Artikel eins bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr, der Spionage beschuldigt zu werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niedrigschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv (AA 30.11.2022).

Die Behörden haben im Jahr 2022 weitverbreitete Proteste, bei denen Grundrechte gefordert wurden, brutal unterdrückt, wobei die Sicherheitskräfte unrechtmäßig mit übermäßiger und tödlicher Gewalt gegen die Demonstranten vorgingen. Sie verhafteten und verurteilten im Jahr 2022 zahlreiche friedliche Menschenrechtsaktivisten aufgrund vager Anschuldigungen im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit und unterließen es, Berichten über Misshandlungen oder Folter durch Polizei und Sicherheitskräfte nachzugehen. Die Sicherheitskräfte nehmen ethnische und religiöse Minderheiten ins Visier und setzen diskriminierende Kleidervorschriften für Frauen gewaltsam durch (HRW 12.1.2023). Auch Umweltaktivisten sind von Geldbußen, Haftstrafen und Folter betroffen (BS 23.2.2022).

Quellen

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Iran (Stand: 23.12.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 24.3.2023 [Login erforderlich];

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

•             BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069656/country_report_2022_IRN.pdf, Zugriff 14.2.2023;

•             FITR - Financial Tribune (8.2.2023): Iran Ratifies ILO Convention on Occupational Safety, Health, https://financialtribune.com/articles/domestic-economy/117037/iran-ratifies-ilo-convention-on-occupational-safety-health, Zugriff 24.3.2023;

•             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (2020): Iran: Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 24.3.2023;

•             HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085460.html, Zugriff 14.3.2023;

•             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

•             USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089063.html, Zugriff 22.3.2023;

Wehrdienst

Der Wehrdienst ist obligatorisch, und gemäß der Verfassung müssen alle iranischen Männer, die das 19. Lebensjahr erreicht haben, einen Militärdienst absolvieren (AA 30.11.2022; vergleiche FP 30.1.2023). Die Länge ist von den individuellen Verhältnissen abhängig und beträgt 18 bis 24 Monate. Aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen können Wehrpflichtige ausgemustert werden. Die Wehrdienstzeit wird z. B. bei verheirateten Iranern pro Kind um drei Monate verkürzt. Wehrdienst kann u. a. bei den folgenden Organisationen abgeleistet werden: reguläre Streitkräfte (Artesh), Revolutionsgarden (IRGC), Polizei, Verteidigungsministerium, Sicherheitsgarde der Justizbehörden, aber auch bei Naturschutzbehörden und Stadtverwaltungen (AA 30.11.2022).

Wehrdienstpflichtige können sich im Allgemeinen nicht aussuchen, bei welcher Militäreinheit sie ihren Dienst ableisten (WP 27.2.2021) und ob sie den Wehrdienst bei der regulären Armee oder bei den Revolutionsgarden ableisten - es sei denn, sie haben zuvor schon für eine bestimmte Organisation gearbeitet (ACCORD 7.2015). Von den rund 400.000 jährlichen Rekruten leisten ca. 50.000 ihren Wehrdienst bei den Revolutionsgarden ab. Seit 2010 gibt es Bestrebungen, vornehmlich aktive Mitglieder der Basij-Freiwilligenmiliz als Wehrpflichtige in die Revolutionsgarden aufzunehmen. Eine Mehrheit der Wehrpflichtigen in den Revolutionsgarden rekrutiert sich seitdem aus Basij-Freiwilligen, die mit den Revolutionsgarden ideologisch verbunden sind (FP 30.1.2023), wobei es beispielsweise auch Basij-Angehörige gibt, die sich zu dieser Miliz gemeldet haben, um die Dauer ihres Wehrdienstes zu verkürzen oder diesen nach Möglichkeit in einem Behördenbüro statt auf einem Militärstützpunkt zu absolvieren, und die keine glühenden Verfechter des Regimes sind (Kayhan 14.10.2022). Der restliche Anteil an Wehrpflichtigen in den Revolutionsgarden setzt sich einerseits aus Universitätsabsolventen zusammen, die sich aufgrund ihrer fachlichen Spezialisierungen mittels Direktiven (Amriyeh) für Schreibtischjobs in verschiedenen Ministerien und Behörden oder in mit den Revolutionsgarden verbundenen Organisationen (kulturellen, politischen, wirtschaftlichen) bewerben können. Jeder dieser Wehrpflichtigen muss persönlich und proaktiv eine Entscheidung treffen, wo er seinen Amriyeh beantragen möchte. Andererseits teilt die Organisation für öffentliche Wehrpflicht (NAJA) den Revolutionsgarden in jenen Gebieten, in denen es zu wenige Basij-Mitglieder für den Wehrdienst gibt, auch Wehrpflichtige zu (FP 30.1.2023).

Ein Freikauf vom Wehrdienst war durch temporäre Regelungen in unregelmäßigen Abständen immer wieder möglich. 2020 wurde diese Regelung jedoch zunächst ausgesetzt (AA 30.11.2022). In besonderen Fällen, etwa bei psychischen oder physischen Leiden oder wenn sonst kein Mann für die Familie sorgen kann, wird der Wehrdienst erlassen (ÖB Teheran 11.2021). Weitere Gründe vom Wehrdienst befreit zu werden sind beispielsweise, wenn man der einzige Sohn einer Familie ist, wenn man alte Eltern hat oder wenn man einen Bruder hat, der momentan im Militär dient. Homo- und Transsexualität werden als medizinische bzw. psychische Verfasstheiten angesehen, die einer Ausnahmegenehmigung vom Wehrdienst bedürfen (DFAT 14.4.2020). Als Sportler oder bei guten Beziehungen zu relevanten Stellen kann nach einer 60-tägigen Grundausbildung eine Art "Ersatzdienst" für weitere 22 Monate u.a. in Ministerien oder bei Sportverbänden absolviert werden. Iraner, deren Väter im Irak-Iran-Krieg gekämpft haben, müssen nur einen verkürzten Wehrdienst leisten. Wehrdienstpflichtige, d.h. männliche Staatsangehörige über 18 Jahren, die nicht etwa aufgrund eines Studiums vorübergehend von der Wehrdienstpflicht befreit sind, dürfen mit wenigen Ausnahmen vor Ableistung ihres Wehrdienstes das Land nicht verlassen (d.h. sie erhalten erst danach einen Reisepass) bzw. müssen eine größere Kaution hinterlegen. Angehörige der Streitkräfte und der Polizei dürfen das Land nur mit Zustimmung ihres Dienstgebers verlassen (ÖB Teheran 11.2021).

Wehrpflichtige erhalten nach Ableistung ihres Militärdienstes eine Bescheinigungskarte "über das Ende des Wehrdienstes" (kart-e payan-e khetmat) (FP 30.1.2023; vergleiche USDOS o.D.), die alle Männer in Iran besitzen müssen (FP 30.1.2023). Dieser Ausweis ist im täglichen Leben bedeutsam, er wird beispielsweise bei der Arbeitssuche, zur Beantragung eines Reisepasses oder sogar beim Kauf eines Motorrads benötigt (WP 27.2.2021). Männer, die von der Wehrpflicht ausgenommen sind, erhalten einen "Befreiungsausweis" (kart-e mo’afiyat az khedmate doreye zaroorat). Bei Massenbefreiungen von der Wehrpflicht kann anstelle dieses Ausweises auch eine Kopie des Befreiungsbescheides und der Geburtsurkunde (Nachweis des Zustandes) vorgelegt werden. Vorübergehende Studentenbefreiungen können auch durch ein Schreiben der Wehrpflichtbehörde und einen Nachweis über die Kautionszahlung des Studenten für eine Ausreise aus dem Iran belegt werden (USDOS o.D.).

Die Zustände beim iranischen Militär sind in der Regel wesentlich härter als in europäischen Streitkräften. Berichtet wird regelmäßig über unzureichende Verpflegung, unzureichende Ausrüstung, drakonische Strafen etc. (ÖB Teheran 11.2021).

Es gibt keinen Wehrersatzdienst (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

●             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (7.2015): Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, https://www.ecoi.net/en/file/local/1138103/4543_1436510544_accord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf, Zugriff 29.3.2023;

●             DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (14.4.2020): DFAT Country Information Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029778/country-information-report-iran.pdf, Zugriff 28.3.2023;

●             FP - Foreign Policy (30.1.2023): Conscription römisch eins s Not an Excuse for Iran’s Revolutionary Guard, https://foreignpolicy.com/2023/01/30/iran-revolutionary-guard-terrorism-military-conscription/, Zugriff 28.3.2023;

●             Kayhan - Kayhan Life (14.10.2022): ANALYSIS: Who Are the Men Serving in Iran’s IRGC, Basij, and Police Forces?, https://kayhanlife.com/news/kayhan/analysis-who-are-the-men-serving-in-irans-irgc-basij-and-police-forces/, Zugriff 28.3.2023;

●             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

●             USDOS - United States Department of State [USA] (o.D.): Iran Islamic Republic of Iran Reciprocity Schedule, https://travel.state.gov/content/travel/en/us-visas/Visa-Reciprocity-and-Civil-Documents-by-Country/IranIslamicRepublicof.html, Zugriff 29.3.2023;

●             WP - Washington Post, The (27.2.2021): They dream of reaching America. Their forced service in Iran’s Revolutionary Guard locks them out., https://www.washingtonpost.com/world/middle_east/iran-sanctions-irgc-immigration/2021/02/27/b1540fde-7617-11eb-9489-8f7dacd51e75_story.html, Zugriff 29.3.2023;

Wehrdienstverweigerung, Desertion

Die Strafen bei Nichtmeldung variieren abhängig von der Frage, ob sich das Land im Kriegszustand befindet oder nicht. Religionsführer Khamenei hat die Jahrgänge bis einschließlich 1975/1976, die bislang keinen Wehrdienst geleistet haben, freigestellt. Seit Dezember 2014 können sich Wehrpflichtige, die mehr als zehn Jahre ihren Dienst nicht angetreten haben, durch das Zahlen einer Geldstrafe von der Wehrpflicht befreien. 2016 wurde diese Frist auf acht Jahre verkürzt. Je nach Ausbildungs- und Familienstand wird hierfür eine Geldstrafe zwischen 100 und 500 Millionen Rial [ca. 220-1.100 Euro] erhoben (AA 30.11.2022). Junge Männer, die zum Wehrdienst einberufen wurden und sich nicht bei den Behörden melden, werden als Wehrdienstverweigerer betrachtet (ACCORD 7.2015). Eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen wird nicht anerkannt (CPTI 8.2022; vergleiche ACCORD 7.2015). Die Verweigerung des Militärdienstes bis zu einem Jahr in Friedenszeiten oder zwei Monaten in Kriegszeiten kann dazu führen, dass die Gesamtlänge des Militärdienstes um drei bis sechs Monate verlängert wird. Eine mehr als einjährige Wehrdienstverweigerung in Friedenszeiten oder mehr als zwei Monate in Kriegszeiten kann zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen. Die Wehrdienstverweigerer können soziale Vorteile und Bürgerrechte verlieren, einschließlich des Zugangs zu Posten im öffentlichen Dienst oder höherer Bildung oder des Rechts auf Unternehmensgründung. Die Regierung kann auch die Erteilung von Führerscheinen für Wehrdienstverweigerer verweigern, ihren Pass einziehen oder ihnen verbieten, das Land ohne besondere Genehmigung zu verlassen (DFAT 14.4.2020).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

●             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (7.2015): Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, https://www.ecoi.net/en/file/local/1138103/4543_1436510544_accord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf, Zugriff 29.3.2023;

●             CPTI - Conscience and Peace Tax International (8.2022): Submission to the 136th Session of the Human Rights Committee for the attention of the Country Report Task Force on: IRAN, https://www.ecoi.net/en/document/2082928.html, Zugriff 29.3.2023;

●             DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (14.4.2020): DFAT Country Information Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029778/country-information-report-iran.pdf, Zugriff 28.3.2023;

Meinungs- und Pressefreiheit, Internet

Die Verfassung sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung vor, auch für Mitglieder der Presse und anderer Medien, es sei denn, etwas wird als "schädlich für die Grundprinzipien des Islam oder die Rechte der Öffentlichkeit" angesehen (USDOS 20.3.2023; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 30.11.2022; vergleiche HRW 12.1.2023), sowohl online als auch offline (FH 10.3.2023). Die Gesetzgebung sieht die strafrechtliche Verfolgung von Personen vor, die der Anstiftung zu Straftaten gegen den Staat oder die nationale Sicherheit oder der "Beleidigung" des Islam beschuldigt werden. Die Regierung nutzt Gesetze, um Personen, welche die Regierung direkt kritisieren oder Menschenrechtsprobleme ansprechen, einzuschüchtern oder strafrechtlich zu verfolgen, sowie um normale Bürger zur Einhaltung des Moralkodex der Regierung zu zwingen (USDOS 20.3.2023).

Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet (AA 30.11.2022). Satellitenschüsseln sind verboten, und Übertragungen in persischer Sprache aus dem Ausland werden regelmäßig gestört (sogenanntes Jamming). Die Polizei führt regelmäßig Razzien in Privathäusern durch und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 10.3.2023). Mit Stand Jänner 2022 nutzten über 80 % der Bevölkerung das Internet (FH 18.10.2022), wobei mehr als 60 % des Internetverkehrs über mobiles Internet läuft (RSF 5.10.2022). Seit 2009 haben die Behörden erhebliche Mittel in den Ausbau der Infrastruktur, aber auch in die Kontrolle ihrer Nutzung investiert (Landinfo 9.11.2022). Die Investitionen der Regierung in die IKT-Infrastruktur haben die Internetanbindung ländlicher Gebiete verbessert und die Kluft zwischen Stadt und Land etwas verringert, auch wenn die Preise weiterhin hoch sind (FH 18.10.2022). Zensur und Überwachung sind umfassend. Es wurde eine Cyberpolizei eingerichtet, und auch mehrere andere Regierungsbehörden haben Aufgaben im Zusammenhang mit der Überwachung des Internets und der sozialen Medien (Landinfo 9.11.2022). Mit dem National Information Network (NIN) haben die iranischen Behörden eine lokalisierte Internetarchitektur aufgebaut. Damit sind die Behörden in der Lage, die Verbindungen zum globalen Internet zu kappen und gleichzeitig die inländischen Dienste online zu halten (FH 18.10.2022).

Der staatliche Rundfunk wird von Hardlinern streng kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert, wobei das staatliche Fernsehen für die iranische Bevölkerung eine wichtige Informationsquelle ist (FH 10.3.2023). Auch wenn die iranische Presselandschaft bislang eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums widergespiegelt hat, ist mit der Amtsübernahme der ultrakonservativen Regierung eine deutlich strengere Berichterstattung auf Regimelinie feststellbar. Geprägt wird die Presse ohnehin von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter "roter Linien" des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen drohen Sanktionen bis hin zum Verbot von Zeitungen (AA 30.11.2022). Nach dem Gesetz wird jeder, der in irgendeiner Form "Propaganda" gegen die Islamische Republik Iran oder zur Unterstützung oppositioneller Gruppen und Vereinigungen betreibt, mit drei Monaten bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft (USDOS 20.3.2023), wobei "Propaganda" nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden. Dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 11.2021). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung (ÖB Teheran 11.2021) sowie Einschüchterung ihrer Angehörigen konfrontiert (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 30.11.2022). Infolge der Mitte September 2022 ausgebrochenen landesweiten Proteste hat der Druck auf Journalistinnen und Journalisten weiter zugenommen (AA 30.11.2022). Es kam zu einer Welle an Festnahmen und Verhaftungen iranischer Medienschaffender, die über den Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini und die darauffolgenden Proteste berichtet hatten (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023).

Inhaftierte Journalisten sind – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt, die sich aufgrund der COVID-19-Pandemie noch verschärft haben. Unter politischen Gefangenen kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, auch gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung (AA 30.11.2022). Reporter ohne Grenzen bezeichnet Iran als eines der repressivsten Länder weltweit für Journalistinnen und Journalisten (RSF o.D.b). 2022 belegte das Land Rang 178 von 180 in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen [Anm.: je höher der Rang, desto geringer die Pressefreiheit] (RSF 2022).

Ebenso unter Druck stehen Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als "unislamisch" oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dies unterliegt einer Genehmigungspflicht). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist "regimefeindlicher Propaganda" und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 11.2021).

Die regimekritische Debatte findet weitgehend in den sozialen Medien statt. Für illegale Oppositionsparteien ist das Internet der bevorzugte Kanal für den Informationsaustausch (Landinfo 9.11.2022). Die sozialen Medien sind ein wichtiger Bestandteil der Protestbewegung seit Mitte September 2022 und werden zur Mobilisierung wie auch zur Verbreitung der Protestbotschaften verwendet (DW 15.11.2022). Irans vage definierte Redebeschränkungen, harte strafrechtliche Sanktionen und die staatliche Überwachung der Online-Kommunikation gehören zu den Faktoren, welche die Bürgerinnen und Bürger davon abhalten, sich an offenen und freien privaten Diskussionen zu beteiligen. Trotz der Risiken und Einschränkungen äußern viele ihre abweichende Meinung in den sozialen Medien und umgehen in einigen Fällen die offiziellen Sperren auf bestimmten Plattformen (FH 10.3.2023).

Millionen Internetseiten sind gesperrt bzw. nur via Virtual Private Network (VPN) erreichbar (ÖB Teheran 11.2021). Soziale Medienplattformen und Messaging-Tools wie Telegram, Twitter, Facebook, YouTube und Signal werden blockiert, aber verschiedene "Umgehungswerkzeuge" wie VPNs sind weit verbreitet (Landinfo 9.11.2022), wenn auch illegal (USDOS 20.3.2023). Im Zuge der Repressionen gegen die Proteste seit September 2022 nahm die Regierung auch VPNs ins Visier (RSF 5.10.2022).

Im November 2019 verhängten die Behörden zum ersten und bislang einzigen Mal eine landesweite, fast vollständige Abschaltung des Internets für mindestens sieben Tage. Die Entscheidung, das Land vom weltweiten Internet zu trennen, wurde vom Nationalen Sicherheitsrat nach einer Protestwelle getroffen, die durch die plötzliche Ankündigung einer erheblichen Erhöhung der Treibstoffpreise ausgelöst worden war. Örtlich begrenzte Internetabschaltungen werden häufig eingesetzt, um Proteste zu unterbinden und eine genaue Berichterstattung über Demonstrationen zu verhindern (FH 18.10.2022), so auch bei den Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini im September 2022 (taz 22.9.2022). Auch kommt es zu Drosselungen der Internetgeschwindigkeit (NatGeo 17.10.2022; vergleiche Intercept 28.10.2022).

Der Internetverlauf kann "gefiltert" bzw. mitgelesen werden. Jede Person, die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen "Cyberkrieg" gegen das Land führen zu wollen und Proteste anzustacheln (AA 30.11.2022). Der Staat überwacht soziale Medien auf Aktivitäten, die er für illegal hält. Im Mai 2020 kündigte die Cyberpolizei FATA an, dass das Nichttragen des Hijabs im Internet als Straftat betrachtet wird und dass diejenigen, die diese Regel nicht befolgen, strafrechtlich verfolgt werden. Die Regierungsbehörden verhaften Nutzer sozialer Medien wegen ihrer Beteiligung an Online-Mobilisierungsinitiativen. Im Juli 2022 protestierten Frauen in den sozialen Medien gegen die strengen Hijab-Gesetze des Landes, indem sie Videos posteten, in denen sie ihren Hijab ablegten. Während dieser Zeit wurde eine Aktivistin verhaftet, nachdem sie an der Social-Media-Kampagne "Nein zur Hijab-Pflicht" teilgenommen hatte (FH 18.10.2022). Seit Beginn der Massenproteste Ende September 2022 verhafteten die Behörden Tausende von Menschen, darunter Prominente, Menschenrechtsaktivisten und andere, die ihre Unterstützung für die Bewegung durch Beiträge in den sozialen Medien oder durch die öffentliche Missachtung der Hijab-Vorschriften, die zu Mahsa Aminis Verhaftung und Tod geführt hatten, zum Ausdruck gebracht haben. Die Revolutionsgarden (IRGC) forderten die Justiz auf, jeden strafrechtlich zu verfolgen, der "falsche Nachrichten und Gerüchte" verbreitet (FH 10.3.2023).

Abseits von Maßnahmen, wie der Überwachung von Inhalten im Internet (AA 30.11.2022) und der Drosselung der Internetgeschwindigkeit (NatGeo 17.10.2022), ist wenig über die konkrete Vorgehensweise der Behörden bei der Unterdrückung der Proteste bekannt. Es wird jedoch vermutet, dass die Behörden ein Computersystem verwenden, das hinter den Kulissen der iranischen Mobilfunknetze arbeitet und den Betreibern eine breite Palette von Fernbefehlen zur Verfügung stellt, mit denen sie die Nutzung der Telefone ihrer Kunden verändern, stören und überwachen können, wie zum Beispiel die Datenverbindungen verlangsamen, die Verschlüsselung von Telefongesprächen knacken, die Bewegungen von Einzelpersonen oder großen Gruppen verfolgen und detaillierte Zusammenfassungen von Metadaten darüber erstellen, wer mit wem, wann und wo gesprochen hat (Intercept 28.10.2022). Beobachterinnen der derzeitigen Proteste berichteten, dass viele Demonstranten nicht auf den Straßen verhaftet wurden, sondern ein oder zwei Tage später zu Hause (Wired 10.1.2023). Iranische Mobiltelefonnutzer berichteten von SMS, die sie von lokalen Polizeistationen mit dem Hinweis erhalten haben, dass sie sich in einem "Unruhegebiet" aufgehalten hätten und dieses Gebiet nicht noch einmal aufsuchen oder mit "anti-revolutionären" Regierungsgegnern online in Verbindung treten sollten (Intercept 28.10.2022).

Quellen

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

•             DW - Deutsche Welle (15.11.2022): Iranians use social media to keep protest movement alive, https://www.dw.com/en/iranians-use-social-media-to-keep-protest-movement-alive/a-63767075, Zugriff 23.3.2023;

•             FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Iran, https://freedomhouse.org/country/iran/freedom-world/2023, Zugriff 14.3.2023;

•             FH - Freedom House (18.10.2022): Freedom on the Net 2022 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2081758.html, Zugriff 23.3.2023;

•             HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085460.html, Zugriff 14.3.2023;

•             Intercept - Intercept, The (28.10.2022): HACKED DOCUMENTS: HOW IRAN CAN TRACK AND CONTROL PROTESTERS’ PHONES, https://theintercept.com/2022/10/28/iran-protests-phone-surveillance/?mc_cid=1909e734fc&mc_eid=3e61af82a4, Zugriff 23.3.2023;

•             Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (9.11.2022): Iran: Internett og sosiale medier, https://www.ecoi.net/en/file/local/2083376/Temanotat-Iran-Internett-og-sosiale-medier-09112022.pdf, Zugriff 23.3.2023;

•             NatGeo - National Geographic (17.10.2022): „Frau, Leben, Freiheit”: Die Proteste in Iran und ihre Geschichte, https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2022/10/frau-leben-freiheit-proteste-iran-geschichte-frauenrechte, Zugriff 14.3.2023;

•             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

•             RSF - Reporter ohne Grenzen (2022): Rangliste der Pressefreiheit 2022, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2022/RSF_Rangliste_der_Pressefreiheit_2022.pdf, Zugriff 23.3.2023;

•             RSF - Reporter ohne Grenzen (5.10.2022): How the Islamic Republic has enslaved Iran’s Internet, https://www.ecoi.net/de/dokument/2080602.html, Zugriff 23.3.2023;

•             RSF - Reporter ohne Grenzen (o.D.): Iran, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/iran, Zugriff 23.3.2023;

•             taz - Tageszeitung, Die (22.9.2022): Kampf um die Informationen, https://taz.de/Proteste-im-Iran/!5879784/, Zugriff 24.3.2023;

•             USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089063.html, Zugriff 22.3.2023;

•             Wired - Wired (10.1.2023): Iran Says Face Recognition Will ID Women Breaking Hijab Laws, https://www.wired.com/story/iran-says-face-recognition-will-id-women-breaking-hijab-laws/?mc_cid=476a7f16e9&mc_eid=3e61af82a4, Zugriff 23.3.2023;

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

In der Verfassung heißt es, dass öffentliche Demonstrationen zulässig sind, wenn sie "den Grundprinzipien des Islam nicht abträglich sind". In der Praxis sind in der Regel nur staatlich genehmigte Demonstrationen erlaubt (FH 10.3.2023). Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen somit unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen der Opposition sind seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch in kleinem Umfang statt (AA 30.11.2022). Die Sicherheitskräfte lösten in den letzten Jahren nicht genehmigte Versammlungen gewaltsam auf, nahmen Teilnehmer fest und wendeten tödliche Gewalt gegen sie an (FH 10.3.2023). Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studierende teilweise verpflichtet werden (AA 30.11.2022).

Proteste gegen das Regime fanden in der Islamischen Republik Iran in der Vergangenheit immer wieder statt. Die [bis zu den Protesten ab Mitte September 2022] größte Protestwelle wurde durch den massiven Betrug bei den Präsidentschaftswahlen 2009 ausgelöst und brachte Millionen von Menschen auf die Straße, bis die Behörden gegen die Führer der sogenannten Grünen Bewegung, Mir Hossein Mousavi und Mehdi Karroubi, vorgingen (TWI 28.9.2022). Zuletzt fanden 2019 weitreichende Proteste statt, nachdem die Regierung beschlossen hatte, die Benzinpreise zu erhöhen (TWI 28.9.2022). Die iranischen Sicherheitsbehörden setzten zur Unterdrückung der Proteste auch tödliche Gewalt ein, darunter scharfe Munition, die wahllos auf Demonstranten abgefeuert wurde. Die Anzahl der Todesopfer ist schwierig zu verifizieren. Schätzungen reichen von 304 verifizierten Todesopfern bis zu 1.500 in unbestätigten Berichten (DIS 1.7.2020). 2021 gab es Proteste von Arbeitnehmern, Rentnern und Landwirten in Bezug auf Löhne, Arbeitsplatzsicherheit und das Recht auf kollektive Organisierung (UNHRC 13.1.2022) sowie in der Provinz Khuzestan Proteste aufgrund mangelnden Zugangs zu Wasser (HRW 22.7.2021). Letztere wurden gewaltsam niedergeschlagen (HRW 22.7.2021; vergleiche UNHRC 13.1.2022).

Jüngste Proteste

Nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Jina (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023) kam es in Iran zu den größten Protesten seit Jahren (EN 1.2.2023; vergleiche GD 17.2.2023). Mit Stand Mitte Februar 2023 dauerten die Proteste noch weiter an (GD 17.2.2023). Amini war kurz vor ihrem Tod von der Sittenpolizei des Landes wegen angeblicher Verstöße gegen die Bekleidungsvorschriften für Frauen verhaftet und laut Augenzeugenberichten geschlagen worden (BBC 16.9.2022). Angehörige von Amini wie auch Protestteilnehmer und -teilnehmerinnen wiesen die Behauptung der Behörden zurück, Amini sei aufgrund einer unentdeckten Vorerkrankung gestorben (EN 1.2.2023). Den Protesten unter der Parole „Frau, Leben, Freiheit“ (in kurdischer Sprache: „Jin, Jîyan, Azadî“) (NatGeo 17.10.2022), die im Wesentlichen von Frauen gestartet wurden (EN 1.2.2023), schlossen sich Iraner und Iranerinnen aller Altersgruppen und Ethnien an, wobei sie vor allem von den jüngeren Generationen auf die Straße getragen wurden (NatGeo 17.10.2022). Die Proteste fanden in allen größeren sowie vielen kleineren Städten Irans statt. Die iranischen Behörden reagierten gewaltsam darauf, mitunter kam es auch zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Demonstrantinnen und Demonstranten mit den Sicherheitsbehörden (EN 1.2.2023).

Laut Menschenrechtsaktivisten wurden im Zeitraum September 2022 bis Februar 2023 über 500 Demonstrantinnen und Demonstranten getötet, darunter 71 Minderjährige (REU 17.2.2023). Human Rights Watch (HRW) dokumentierte, dass Sicherheitskräfte Schrotflinten, Sturmgewehre und Handfeuerwaffen gegen Demonstranten eingesetzt haben, und zwar in weitgehend friedlichem Umfeld und oft in überlaufenen Gegenden (HRW 12.1.2023). Ethnische Minderheiten waren überproportional stark von den Repressionen gegen die Proteste betroffen (UNHRC 7.2.2023; VOA 16.11.2022). Am 30.9.2022 eröffneten beispielsweise Sicherheitskräfte das Feuer auf Demonstrantinnen und Demonstranten in der Stadt Zahedan (Provinz Sistan und Belutschistan), wobei Dutzende von Menschen getötet und verletzt worden sind. In den kurdischen Gebieten wurden Truppen, schwere Waffen und Militärfahrzeuge in Stellung gebracht, um die Demonstranten niederzuschlagen (EN 1.2.2023).

Rund 20.000 Protestteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden zeitweise inhaftiert (REU 17.2.2023; vergleiche DW 13.3.2023). Laut staatsnahen iranischen Medien ist ein bedeutender Anteil der Festgenommenen minderjährig (AI 16.3.2023; vergleiche UNHRC 7.2.2023). Festgenommene berichteten von Folter während der Inhaftierung (NDR 1.2.2023; AI 16.3.2023), darunter auch von Minderjährigen (AI 16.3.2023), sowie von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung (FH 10.3.2023; vergleiche AI 16.3.2023). Nach Angaben der Justizbehörden wurden mit Stand Februar 2023 vier Personen im Zusammenhang mit den Protesten gehängt (REU 17.2.2023). Bis Mitte Jänner wurden 18 weitere Personen im Zusammenhang mit den Protesten zum Tod verurteilt (BBC 18.1.2023), und laut der NGO Iran Human Rights (IHRNGO) laufen rund 100 weitere Protestteilnehmer und -teilnehmerinnen Gefahr, zum Tod verurteilt zu werden (IHRNGO 27.12.2022). Vor den Nowruz-Feierlichkeiten im März 2023 kündigten die iranischen Justizbehörden an, dass rund 22.000 Menschen, die im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen worden waren, begnadigt würden. Menschenrechtsgruppen hatten die Zahl der inhaftierten Protestteilnehmer zuvor auf rund 19.700 geschätzt (DW 13.3.2023). Die meisten Minderjährigen sind nach Einschätzung von Amnesty International (AI) mit Stand März 2023 wieder freigelassen worden, manche auf Kaution und mit laufenden Verfahren. Viele wurden erst freigelassen, nachdem sie gezwungen wurden, "Reue"-Schreiben zu unterzeichnen und sich zu verpflichten, von "politischen Aktivitäten" abzusehen und an regierungsfreundlichen Kundgebungen teilzunehmen (AI 16.3.2023). Laut dem Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats zu Iran hat das iranische Regime im Zusammenhang mit der Protestniederschlagung Verstöße begangen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten (BBC 20.3.2023).

Viele Gegnerinnen und Gegner der Regierung drücken ihren Protest derzeit durch zivilen Ungehorsam aus, etwa indem sie den Kopftuchzwang ignorieren (Spiegel 19.1.2023). Im November 2022 ging ein Video eines tanzenden Paares vor dem Teheraner Wahrzeichen Azadi-Turm [Azadi: Freiheit in Farsi] viral, wobei die weibliche Tanzpartnerin keinen Hijab trug, und Tanzen in der Öffentlichkeit für Frauen verboten ist. Das Paar wurde nach Veröffentlichung des Videos von einem Teheraner Revolutionsgericht aufgrund der "Förderung von Korruption und öffentlicher Prostitution" sowie "Versammlungen mit der Absicht, die nationale Sicherheit zu stören" zu jeweils über zehn Jahren Gefängnis verurteilt und mit Ausreiseverboten sowie Zugangsbeschränkungen zum Internet belegt (GD 31.1.2023).

Gewerkschaftliche Aktivitäten, politische Parteien und Opposition

Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 10.3.2023). Unabhängige gewerkschaftliche Betätigung wird als "Propaganda gegen das System" und "Handlungen gegen die nationale Sicherheit" verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 30.11.2022), jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein. Im Juni 2022 berichtete der Koordinierungsrat der iranischen Lehrergewerkschaft beispielsweise, dass mehr als 100 Lehrer verhaftet worden waren, weil sie an einer landesweiten Protestaktion teilgenommen hatten, bei der bessere Arbeitsbedingungen und die Freilassung zuvor inhaftierter Lehrer gefordert wurden. Trotz solcher Repressalien haben die Arbeiterproteste in den letzten Jahren aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Not zugenommen (FH 10.3.2023). Im Februar 2023 fanden beispielsweise Streiks von Pensionistengruppen und Beschäftigten der Bäckergewerkschaft, der Stahlindustrie und der Zuckerfabriken statt, nachdem der iranische Rial weiter an Wert verloren hatte, und die Lebenserhaltungskosten gestiegen waren (IRINTL 26.2.2023). Im Dezember 2022 streikten Ölarbeiter im Süden Irans wegen mangelnder Arbeitsplatzsicherheit in diesem Sektor (RFE/RL 17.12.2022).

Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisationen so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems infrage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte, drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände ("regimefeindliche Propaganda", "Beleidigung des Obersten Führers" etc.) (ÖB Teheran 11.2021). Zwar gab es in der Vergangenheit einen gewissen Spielraum für Machtverschiebungen zwischen anerkannten Fraktionen innerhalb des Establishments, doch stellen Elemente der Realverfassung ein dauerhaftes Hindernis für Wahlsiege der Opposition und echte Machtwechsel dar (FH 10.3.2023). In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung. Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Sowohl bei Präsidentschafts- als auch bei Parlamentswahlen nimmt der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vor. Kandidaten werden unter fadenscheinigen Gründen aussortiert – dabei wurden auch schon ehemalige Präsidenten als "nicht geeignet" ausgeschlossen. Nach langen Debatten bewertete der Wächterrat – dem nur Männer angehören – die Kandidatur von Frauen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2021 als prinzipiell zulässig, dennoch wurde auch diesmal keine einzige der Kandidatinnen zugelassen (ÖB Teheran 11.2021). Reformistische Gruppen sind insbesondere seit 2009 verstärkt staatlichen Repressionen ausgesetzt, und Politiker, die ihnen angehören, werden willkürlich festgenommen und aufgrund vager strafrechtlicher Anschuldigungen inhaftiert (FH 10.3.2023).

Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u. a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.). Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen (ÖB Teheran 11.2021). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv (AA 30.11.2022). Führende Oppositionspolitiker werden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Mir Hossein Mousavi, Zahra Rahnavard und Mehdi Karroubi, die Führer der reformorientierten Grünen Bewegung, deren Proteste nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009 gewaltsam niedergeschlagen worden war, stehen seit 2011 ohne offizielle Anklage unter Hausarrest. Die Beschränkungen für Mousavi und Karroubi wurden in den letzten Jahren gelegentlich gelockert. Der reformorientierte ehemalige Präsident Mohammad Khatami unterliegt einem Medienverbot, das es der Presse untersagt, ihn zu erwähnen und seine Fotos zu veröffentlichen. Der ehemalige Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der in Ungnade gefallen ist, weil er Chamenei herausgefordert hat, durfte bei den Präsidentschaftswahlen 2017 und 2021 nicht mehr antreten (FH 10.3.2023).

An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, welche die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten (ÖB Teheran 11.2021). Das Fehlen oppositioneller Führung zeigte sich bei den Unruhen zum Jahreswechsel 2017/2018 sowie bei den Protesten im November 2019. Auch bei den im September 2022 begonnen Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini ist mit Stand 18.11.2022 keine Führungsfigur erkennbar, der Sicherheitsapparat verhaftet umgehend alle Personen, die einen erkennbaren Grad an Sichtbarkeit oder Vernetzung mitbringen. Der Protest zeichnet sich durch einen hohen Grad an dezentralen Aktivitäten aus, die weniger Sichtbarkeit als Großdemonstrationen mit sich bringen, aber dadurch auch weniger leicht kontrollierbar sind (AA 30.11.2022).

Quellen

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

•             AI - Amnesty International (16.3.2023): Iran: Child detainees subjected to flogging, electric shocks and sexual violence in brutal protest crackdown, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2023/03/iran-child-detainees-subjected-to-flogging-electric-shocks-and-sexual-violence-in-brutal-protest-crackdown/, Zugriff 23.3.2023;

•             BBC - British Broadcasting Corporation (16.9.2022): Fury in Iran as young woman dies following morality police arrest, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-62930425, Zugriff 23.3.2023;

•             BBC - British Broadcasting Corporation (18.1.2023): Iran protests: 15 minutes to defend yourself against the death penalty, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-64302726, Zugriff 21.3.2023;

•             BBC - British Broadcasting Corporation (20.3.2023): Iran violations may amount to crimes against humanity - UN expert, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-65015282, Zugriff 23.3.2023;

•             DIS - Danish Immigration Service [Denmark] (1.7.2020): Iran: November 2019 Protests, https://www.ecoi.net/en/file/local/2033026/COI_brief_report_iran_nov_2019_protest_july_2020.pdf, Zugriff 23.3.2023;

•             DW - Deutsche Welle (13.3.2023): Iran: Khamenei's regime pardons 22,000 protesters, https://www.dw.com/en/iran-khameneis-regime-pardons-22000-protesters/a-64967754, Zugriff 23.3.2023;

•             EN - Euronews (1.2.2023): Iran protests: What caused them? Are they different this time? Will the regime fall?, https://www.euronews.com/2022/12/20/iran-protests-what-caused-them-who-is-generation-z-will-the-unrest-lead-to-revolution, Zugriff 14.3.2023;

•             FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Iran, https://freedomhouse.org/country/iran/freedom-world/2023, Zugriff 14.3.2023;

•             GD - Guardian, The (17.2.2023): Iran protests flare in several cities amid continuing unrest, https://www.theguardian.com/world/2023/feb/17/iran-protests-flare-in-several-cities-amid-continuing-unrest, Zugriff 23.3.2023;

•             GD - Guardian, The (31.1.2023): Iranian couple filmed dancing in Tehran are jailed for 10 years, https://www.theguardian.com/world/2023/jan/31/iranian-couple-filmed-dancing-in-tehran-are-jailed-for-10-years, Zugriff 23.3.2023;

•             HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085460.html, Zugriff 14.3.2023;

•             HRW - Human Rights Watch (22.7.2021): Iran: Deadly Response to Water Protests, https://www.hrw.org/news/2021/07/22/iran-deadly-response-water-protests, Zugriff 23.3.2023;

•             IHRNGO - Iran Human Rights (27.12.2022): At Least 100 Protesters Facing Execution, Death Penalty Charges or Sentences; At Least 476 Protesters Killed, https://iranhr.net/en/articles/5669/, Zugriff 22.3.2023;

•             IRINTL - Iran International (26.2.2023): Iran Experiencing New Strikes, Protests As Rial Keeps Falling, https://www.iranintl.com/en/202302262641, Zugriff 22.3.2023;

•             NatGeo - National Geographic (17.10.2022): „Frau, Leben, Freiheit”: Die Proteste in Iran und ihre Geschichte, https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2022/10/frau-leben-freiheit-proteste-iran-geschichte-frauenrechte, Zugriff 14.3.2023;

•             NDR - Norddeutscher Rundfunk (1.2.2023): Knochenbrüche, Peitschenhiebe, psychische Gewalt: Recherche gibt umfassend Einblick in Irans Folterpraxis gegen Demonstranten, https://www.ndr.de/der_ndr/presse/mitteilungen/Knochenbrueche-Peitschenhiebe-psychische-Gewalt-Recherche-gibt-umfassend-Einblick-in-Irans-Folterpraxis-gegen-Demonstranten,pressemeldungndr23706.html, Zugriff 17.2.2023;

•             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

•             REU - Reuters (17.2.2023): Overnight protests rock Tehran, other Iranian cities, videos show, https://www.reuters.com/world/middle-east/overnight-protests-rock-tehran-other-iranian-cities-online-videos-show-2023-02-17/?UTM_CAMPAIGN=Big_Moments&UTM_SOURCE=Google&UTM_MEDIUM=Sponsored, Zugriff 23.3.2023;

•             RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (17.12.2022): Iranian Oil Workers Launch Strike As National Unrest Continues, https://www.rferl.org/a/iran-oil-sector-workers-strike-protests-national-unrest/32181095.html, Zugriff 22.3.2023;

•             Spiegel - Spiegel, Der (19.1.2023): Iran schränkt Internetzugang für zwei Tage ein, https://www.spiegel.de/ausland/iran-schraenkt-internetzugang-fuer-zwei-tage-ein-a-bcd408c3-8285-45b1-9687-a167dcf6e38a, Zugriff 23.3.2023;

•             TWI - Washington Institute for Near East Policy, The (28.9.2022): How Iran’s Protests Differ from Past Movements, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/how-irans-protests-differ-past-movements, Zugriff 23.3.2023;

•             UNHRC - United Nations Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 10.2.2023;

•             UNHRC - United Nations Human Rights Council (7.2.2023): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2088389/G2301095.pdf, Zugriff 14.3.2023;

•             USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089063.html, Zugriff 22.3.2023;

•             VOA - Voice of America (16.11.2022): Minorities Bear Brunt of Iran's Violent Crackdown, https://www.voanews.com/a/minorities-bear-brunt-of-iran-s-violent-crackdown-/6837539.html, Zugriff 14.3.2023;

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt. Gefangene beschweren sich häufig über schlechte Haftbedingungen, einschließlich der Verweigerung von medizinischer Versorgung (FH 10.3.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023). Auch wurde über unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln, die langfristig zu entsprechenden Folgeschäden führen kann (ÖB Teheran 11.2021), körperlichen Misshandlungen und unzureichenden sanitären Bedingungen berichtet. Es kam häufig zu Hungerstreiks der Gefangenen, um gegen ihre Behandlung zu protestieren. Mit der Zunahme der Verhaftungen während der Proteste [seit Mitte September 2022] verschlechterten sich die Bedingungen nach Berichten von NGOs und Medien durch den Zustrom von Häftlingen weiter (USDOS 20.3.2023), wobei Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass rund 20.000 Personen im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen worden sind (BBC 5.2.2023). Die Zellen sind auch schlecht belüftet und teils von Ungeziefer befallen. Da vielen Inhaftierten eine angemessene medizinische Versorgung verweigert wurde, waren diese einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus zu infizieren (AI 29.3.2022b). Der allgemeine Zustand der Gesundheitsversorgung, der sich während der COVID-19-Pandemie erheblich verschlechtert hat, ist nach wie vor prekär. Es gibt zahlreiche Berichte über Suizidversuche von Häftlingen, welche mit den Haftbedingungen in Verbindung gebracht werden (USDOS 20.3.2023).

Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet - vor allem während Verhören (AI 29.3.2022b) und während der Untersuchungshaft (USDOS 20.3.2023). Regelmäßig versterben Menschen in Haft (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 20.3.2023). Die Behörden verabsäumen es manchmal, Gewalt unter Häftlingen zu unterbinden (USDOS 20.3.2023). Gelegentlich halten die Behörden Untersuchungshäftlinge zusammen mit verurteilten Gefangenen fest (USDOS 20.3.2023).

Die Haftbedingungen variieren im Einzelfall nach Gefängnis-Trakt und Status der Gefangenen, wobei generelle Aussagen nicht möglich sind. So ist im Evin-Gefängnis in Teheran ein Trakt für Ausländer reserviert, ein Trakt wird vom Geheimdienst der Revolutionsgarden verwaltet, manche Trakte sind unterirdisch. Das Quarchak-Frauengefängnis in Teheran dürfte als ehemaliger Hühnerstall sanitär unzureichend sein (ÖB Teheran 11.2021). Menschenrechtsorganisationen nennen häufig mehrere Haftanstalten, in denen politische Gegner grausam und über längere Zeit gefoltert werden, darunter folgende Gefängnisse: Evin in Teheran, Rajai-Shahr in Karaj, Qarcha, Adel-Abad, Vakilabad, Zahedan, Orumiyeh, das Zentralgefängnis in Isfahan (Dastgerd) und das Großgefängnis in Teheran. Insbesondere erwähnen sie auch die Abteilungen Nr. 209 und Nr. 2 des Evin-Gefängnisses, die Berichten zufolge von den Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) kontrolliert werden. Die Behörden unterhalten angeblich auch inoffizielle Geheimgefängnisse und Haftanstalten außerhalb des staatlichen Gefängnissystems, in denen es zu Misshandlungen kommt (USDOS 20.3.2023).

Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark voneinander ab (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse (AA 30.11.2022; vergleiche HRW 12.1.2023). Politische Gefangene werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 11.2021). Menschenrechtsorganisationen berichten, dass die Behörden die Verweigerung der medizinischen Versorgung als eine Form der Bestrafung politischer Gefangener und zur Einschüchterung von Gefangenen einsetzen, die Beschwerden einreichen oder die Behörden herausfordern. Berichte über Folter, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen gegen Protestteilnehmerinnen und -teilnehmer im Zuge der Protestwelle nach dem Tod von Mahsa Amini sind weit verbreitet (USDOS 20.3.2023).

Die Regierung lässt keine unabhängige Überwachung der Haftbedingungen zu. Gefangene und ihre Familien schreiben häufig Briefe an die Behörden und in einigen Fällen an UN-Gremien, um auf ihre Behandlung hinzuweisen und dagegen zu protestieren (USDOS 20.3.2023).

Sogenannte Hacktivisten veröffentlichten 2021 und 2022 Videos von Überwachungskameras aus dem Evin-Gefängnis (USDOS 20.3.2023). Die dort aufgenommenen und 2021 verbreiteten Videoaufnahmen zeigen Übergriffe und Misshandlungen von Gefangenen sowie Beweise für Überbelegung. Infolge dieser Videos wurden Strafverfahren gegen sechs Gefängniswärter eingeleitet (FH 10.3.2023). Im Oktober 2022 wurden Teile des Evin-Gefängnisses unter ungeklärten Umständen durch eine Reihe von Bränden zerstört, bei denen mindestens acht Menschen ums Leben kamen. Berichten zufolge griffen Sicherheitskräfte Gefangene an, die versuchten, aus den Bränden zu fliehen (FH 10.3.2023; vergleiche AA 30.11.2022). Es gibt zahlreiche Berichte über mangelhafte Versorgung der bei dem Brand Verletzten (AA 30.11.2022).

Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in "sichere Häuser" gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen. Dort werden sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten (ÖB Teheran 11.2021), wie zum Beispiel die beiden Anführer der "Grünen Bewegung" und Präsidentschaftskandidaten im Jahr 2009, Mir Hossein Mousavi und Mehdi Karroubi, die gemeinsam mit Mousavis Frau Zahra Rahnavard seit 2011 unter Hausarrest stehen (IrWire 15.8.2022; vergleiche AAA 28.2.2023).

Behandlung von Minderjährigen

Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 20.3.2023). Laut Gesetz dürfen weibliche Gefängnisinsassen ihre Kinder bis zum Alter von zwei Jahren bei sich behalten, aber [die regimekritische Nachrichtenorganisation] IranWire berichtet im März 2022, dass die Kinder oft hinter Gittern bleiben, bis sie viel älter sind. Die NGO Children of Imprisoned Parents International berichtet, dass ältere Kinder, die mit ihren inhaftierten Müttern in mehreren Gefängnissen leben, keinen Zugang zu medizinischer Versorgung oder Bildungs- und Freizeiteinrichtungen haben. Die Kinder sind häufig mit Drogenkonsum konfrontiert, erleben Gewalt und werden in einigen Fällen von Insassen körperlich und sexuell misshandelt (USDOS 20.3.2023).

Die iranischen Behörden haben die weitverbreitete Teilnahme von Kindern und Jugendlichen an den Protesten seit Mitte September 2022 und ihre Überrepräsentation unter den Verhafteten eingeräumt. Nach Angaben eines Vertreters der IRGC vom 5.10.2022 liegt "das Durchschnittsalter der meisten Personen, die während der Proteste verhaftet wurden, bei 15 Jahren". Am 11.10.2022 bestätigte der Bildungsminister, dass eine nicht näher definierte Anzahl von Kindern in "psychologische Zentren" eingewiesen worden war, nachdem sie wegen ihrer Teilnahme an staatsfeindlichen Protesten festgenommen worden sind. Berichten zufolge wurden Kinder zusammen mit Erwachsenen in Haft gehalten (UNHRC 7.2.2023).

Quellen

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

•             AAA - Asharq Al-Awsat (28.2.2023): Iranian Regime Tightens House Arrest for Mir-Hossein Mousavi, https://english.aawsat.com/home/article/4184426/iranian-regime-tightens-house-arrest-mir-hossein-mousavi, Zugriff 22.3.2023;

•             AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Iran 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 14.3.2023;

•             BBC - British Broadcasting Corporation (5.2.2023): Iran protests: Protesters among prisoners pardoned by leader, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-64529927, Zugriff 22.3.2023;

•             FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Iran, https://freedomhouse.org/country/iran/freedom-world/2023, Zugriff 14.3.2023;

•             HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085460.html, Zugriff 14.3.2023;

•             IrWire - Iran Wire (15.8.2022): Could Iran's Leadership Really Become Hereditary?, https://iranwire.com/en/politics/106617-could-irans-leadership-really-become-hereditary/, Zugriff 22.3.2023;

•             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

•             UNHRC - United Nations Human Rights Council (7.2.2023): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2088389/G2301095.pdf, Zugriff 14.3.2023;

•             USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089063.html, Zugriff 22.3.2023;

Todesstrafe

Die Todesstrafe wird nach unfairen Gerichtsverfahren verhängt, u.a. für Straftaten, die gemäß Völkerrecht nicht zu den "schwersten Verbrechen" zählen, wie Drogenhandel und Finanzkriminalität, sowie für Handlungen, die international nicht als Straftaten anerkannt sind. Todesurteile werden als Mittel der Unterdrückung gegen Demonstranten und Demonstrantinnen, Andersdenkende und ethnische Minderheiten eingesetzt (AI 29.3.2022b). Iran ist im weltweiten Vergleich nach China jenes Land, in welchem die Todesstrafe am häufigsten vollzogen wird (FH 10.3.2023). Laut der NGO Iran Human Rights (IHRNGO) wurden dort im Jahr 2022 über 500 Menschen hingerichtet. Dies ist die höchste Zahl seit fünf Jahren (IHRNGO 4.12.2022), wobei die genaue Anzahl aufgrund der intransparenten Vorgehensweise der iranischen Behörden nicht bekannt ist. Unter den Hingerichteten befanden sich auch drei Personen, die zum Zeitpunkt der Verurteilung [nach europäischen Standards] Kinder waren. Der UN-Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage in Iran zeigte sich alarmiert über die starke Zunahme der Hinrichtungen in Iran, insbesondere über den exponentiellen Anstieg der Hinrichtung von Drogendelinquenten, die kontinuierliche Hinrichtung von Personen, die als Kinder zum Tode verurteilt wurden, die Wiederaufnahme öffentlicher Hinrichtungen und die unverhältnismäßige Anwendung der Todesstrafe gegen Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten im Jahr 2022 (UNHRC 7.2.2023). Ethnische Minderheiten sind überproportional häufig von Todesurteilen betroffen (USDOS 20.3.2023). Rund 30 % aller Hinrichtungen betrafen Belutschen, obwohl diese nur rund 2-6 % der Gesamtbevölkerung ausmachen (UNHRC 7.2.2023).

Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, "Moharebeh" (Waffenaufnahme gegen Gott) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 11.2021); des weiteren auf terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslims mit einer Muslimin. Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden. Nach Kenntnis des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland ist es jedoch in den letzten 20 Jahren zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 30.11.2022). Vergewaltigungsopfer können neben den Tatbeständen der "Unsittlichkeit" und des "unmoralischen Verhaltens" auch wegen Ehebruchs belangt werden, für welchen die Todesstrafe verhängt werden kann (USDOS 20.3.2023). Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom "Geschädigten" gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021).

2017 trat eine Änderung des Strafgesetzes für Drogendelikte in Kraft, welche die Todesstrafen im Bereich der Drogenkriminalität auf bestimmte Fallkonstellationen beschränkte. Bagatelldelikte sind damit von der Todesstrafe ausgenommen. Entsprechend sank die Zahl der Hinrichtungen für Drogenkriminalität nach dieser Gesetzesänderung zunächst stark (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Seit Oktober 2021 ist, vermutlich wegen vermehrter Drogenkriminalität auch durch Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und damit einhergehender fehlender Grenzkontrollen auf afghanischer Seite, ein erneuter Anstieg bei der Zahl an Hinrichtungen für Drogenkriminalität zu verzeichnen (AA 30.11.2022). Freedom House bringt die Zunahme an Hinrichtungen dagegen mit dem Amtsantritt von Präsident Ebrahim Raisi [Anm.: August 2021] in Verbindung (FH 10.3.2023). 2022 wurden schätzungsweise 222 von insgesamt rund 500 Personen wegen Drogenvergehen hingerichtet (UNHRC 7.2.2023). Es ist außerdem davon auszugehen, dass es beim Kampf gegen Drogenhandel und Schmuggel vor allem in den Grenzregionen Sistan-Belutschistan und Kurdistan regelmäßig zu außergerichtlichen Hinrichtungen kommt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRANA 8.2.2023).

Iran ist eines der wenigen Länder der Welt, die noch die Todesstrafe für jugendliche Straftäter anwenden, auch wenn dies internationalen Verträgen widerspricht, welche von Iran unterzeichnet worden sind (IHRNGO 2.1.2023; vergleiche UNHRC 7.2.2023). Das 2013 verabschiedete islamische Strafgesetzbuch Irans definiert das "Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit" für Kinder ausdrücklich als das Alter der Reife nach der Scharia, was bedeutet, dass Mädchen über neun Mondjahre und Buben über 15 Mondjahre für eine Hinrichtung infrage kommen, wenn sie wegen "Verbrechen gegen Gott" [moharebeh] (wie Apostasie) oder "Vergeltungsverbrechen" [qisas] (wie Mord) verurteilt werden (IHRNGO 2.1.2023). Die Todesstrafe kann bei Erreichen der Volljährigkeit vollstreckt werden (AA 30.11.2022).

Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt auf Verurteilungen wegen Mordes (AA 30.11.2022). Das iranische Regime antwortete auf die Protestwelle nach dem Tod von Mahsa Amini unter anderem mit der Verhängung und Vollstreckung von Todesurteilen. Während den Hingerichteten Morde an Sicherheitsbeamten vorgeworfen wurden, dienten die Urteile laut Experten vor allem der Abschreckung (CNN 11.1.2023; vergleiche NBC 19.12.2022). Mit Stand Dezember 2022 geht die IHRNGO davon aus, dass mindestens 100 Protestteilnehmerinnen und Protestteilnehmer zum Tod verurteilt wurden oder ein derartiges Urteil befürchten müssen (IHRNGO 27.12.2022). Ein Protestteilnehmer, der ursprünglich wegen Mordes an einem Basij-Milizangehörigen festgenommen worden war, wurde im Dezember 2022 wegen "Korruption auf Erden" [Mofsed-e filarz/efsad-e filarz] zum Tod verurteilt (BBC 18.1.2023). Andere Protestteilnehmer wurden wegen Moharebeh zum Tod verurteilt und teils hingerichtet (UNHRC 7.2.2023). Menschenrechtsorganisationen bezeichneten Prozesse, welche mit Todesurteilen für Protestteilnehmer endeten, im Jänner 2023 als "grob unfaire Scheinprozesse" (BBC 18.1.2023). Während die iranischen Behörden Hinrichtungen zuletzt nicht mehr öffentlich durchgeführt hatten (ÖB Teheran 11.2021), fanden im Dezember 2022 wieder öffentliche Hinrichtungen von Protestteilnehmern statt (NBC 19.12.2022).

Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen. Die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 30.11.2022). Selbst nach der Hinrichtung durch das Regime werden repressive Maßnahmen gegen Angehörige fortgesetzt. Hingerichtete werden weit entfernt von ihrem früheren Wohnort begraben, manchmal ohne Benachrichtigung der Angehörigen. Totenfeiern sowie Grabbesuche für Regimegegner werden aufgelöst (ÖB Teheran 11.2021).

Regierung und NGOs sind bemüht, Hinrichtungen durch Förderung des Blutgeld-Prozesses zu verhindern, und es werden z. B. mit Spendenaufrufen Blutgelder gesammelt (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

•             AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Iran 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 14.3.2023;

•             BBC - British Broadcasting Corporation (18.1.2023): Iran protests: 15 minutes to defend yourself against the death penalty, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-64302726, Zugriff 21.3.2023;

•             CNN - Cable News Network (11.1.2023): Executions aren’t new in Iran, but this time they’re different, https://edition.cnn.com/2023/01/11/middleeast/iran-executions-weapon-mime-intl/index.html, Zugriff 21.3.2023;

•             FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Iran, https://freedomhouse.org/country/iran/freedom-world/2023, Zugriff 14.3.2023;

•             HRANA - Human Rights Activists News Agency (8.2.2023): On February 7, IRGC forces killed at least five cross-border fuel carriers (Sookhtbar) by shooting in Iranshahr, Sistan and Baluchestan Province., https://www.en-hrana.org/five-cross-border-fuel-carrier-sookhtbar-killed-by-irgc-forces/?hilite=sookhtbar, Zugriff 22.3.2023;

•             IHRNGO - Iran Human Rights (2.1.2023): Juvenile Offender Yousef Mirzavand Executed for Murder in Dezful, https://iranhr.net/en/articles/5677/, Zugriff 21.3.2023;

•             IHRNGO - Iran Human Rights (27.12.2022): At Least 100 Protesters Facing Execution, Death Penalty Charges or Sentences; At Least 476 Protesters Killed, https://iranhr.net/en/articles/5669/, Zugriff 22.3.2023;

•             IHRNGO - Iran Human Rights (4.12.2022): 500+ Executions in 2022 in Iran; 4 Men Executed for “Collaborating with Israel”, https://iranhr.net/en/articles/5617/, Zugriff 21.3.2023;

•             NBC - NBC News (19.12.2022): 'They want to create fear': Struggling to crush unrest, Iran turns to public executions, https://www.nbcnews.com/news/world/iran-executions-crush-anti-government-protests-rcna61411, Zugriff 21.3.2023;

•             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

•             UNHRC - United Nations Human Rights Council (7.2.2023): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2088389/G2301095.pdf, Zugriff 14.3.2023;

•             USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089063.html, Zugriff 22.3.2023;

Religionsfreiheit

In Iran leben schätzungsweise rund 87,6 Millionen Menschen (CIA 7.3.2023), von denen ungefähr 99 % dem Islam angehören. Etwa 90 % der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9 % sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq (Yaresan) und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (STDOK 3.5.2018; vergleiche USDOS 2.6.2022). Nachstehender Karte können die Hauptsiedlungsgebiete der größten Glaubensgruppen in Iran entnommen werden. Demnach leben Sunniten mehrheitlich in den Grenzregionen im äußersten Nordwesten Irans, im Norden in einem Gebiet an der Grenze zu Turkmenistan [Provinz Golistan] sowie im Süden bei Bandar-e Abbas [Provinz Hormuzgan] und an der Grenze zu Pakistan und dem Südwesten Afghanistans [in Iran: Provinz Sistan und Belutschistan]. Der größte Teil des Landes wird mehrheitlich von Schiiten bewohnt. Minderheitengruppen wie Zoriastrier, Bahai, Juden und Sikhs werden auf der Karte nicht dargestellt; insbesondere in urbanen Zentren ist die Bevölkerung sehr heterogen und kann auf dieser Karte nicht dargestellt werden (BMI/BMLVS 2017).

https://stp-intern-p.justiz.cal.local/at.gv.bfa.coicms-p/services/file/67b5762d5db77228305b63f964219171133d725bhttps://stp-intern-p.justiz.cal.local/at.gv.bfa.coicms-p/services/file/034742df53986f8ea09638814c9f79062fe3aa73

Laut Verfassung ist Iran eine islamische Republik und der schiitische Zwölfer- oder Ja'afari-Islam ist die offizielle Staatsreligion. Die Verfassung schreibt vor, dass alle Gesetze und Vorschriften auf "islamischen Kriterien" und einer offiziellen Auslegung der Scharia beruhen müssen. In der Verfassung heißt es, dass die Bürger alle menschlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte "in Übereinstimmung mit islamischen Kriterien" genießen sollen (USDOS 2.6.2022). Für Frauen bedeutet dies beispielsweise unter anderem eine allgemeine Kopftuchpflicht in der Öffentlichkeit, die zuletzt im Zuge der Proteste anlässlich des Todes von Mahsa Amini von vielen Protestierenden abgelehnt wurde und in den Fokus der Auseinandersetzung zwischen dem Regime und seinen Gegnern geriet (Tagesschau 6.10.2022). Gleichwohl dürfen die in Artikel 13, der iranischen Verfassung anerkannten 'Buchreligionen' (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben in ihren Gemeinden relativ frei ausüben (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie (AA 30.11.2022).

Die Lehrpläne aller öffentlichen und privaten Schulen müssen einen Kurs über die schiitischen Lehren enthalten. Sunnitische Schüler und Schülerinnen, sowie jene, die einer anerkannten religiösen Minderheit angehören, müssen die Kurse über den schiitischen Islam belegen und bestehen, obwohl sie auch separate Kurse über ihre eigenen religiösen Überzeugungen belegen können. Anerkannte religiöse Minderheitengruppen, mit Ausnahme der sunnitischen Muslime, dürfen Privatschulen betreiben (USDOS 2.6.2022).

Nach dem Gesetz dürfen Nicht-Muslime nicht missionieren oder versuchen, einen Muslim zu einem anderen Glauben zu bekehren. Das Gesetz betrachtet diese Aktivitäten als Bekehrungsversuche, die mit dem Tod bestraft werden können (USDOS 2.6.2022). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS 23.2.2018). Das Parlament höhlte das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit im Jänner 2021 weiter aus, indem es zwei neue Paragrafen in das Strafgesetzbuch aufnahm, wonach die "Diffamierung staatlich anerkannter Religionen, iranischer Bevölkerungsgruppen und islamischer Glaubensrichtungen" sowie "abweichende erzieherische oder missionarische Aktivitäten, die dem Islam widersprechen" mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und/oder einer Geldstrafe geahndet werden können. Im Juli 2021 wurden drei Männer, die zum Christentum konvertiert waren, auf dieser Grundlage zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (AI 29.3.2022b).

Anhänger religiöser Minderheiten unterliegen Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Lediglich schiitische Muslime dürfen in vollem Umfang am politischen Leben teilnehmen (AA 30.11.2022; vergleiche MRG 24.11.2022). Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 30.11.2022). Auch anerkannte religiöse Minderheiten (Zoroastrier, Juden, Christen) werden diskriminiert. Sie sind in ihrer Religionsausübung jedoch nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Sie haben gewisse rechtlich garantierte Minderheitenrechte (ÖB Teheran 11.2021). Im Parlament sind beispielsweise fünf der insgesamt 290 Sitze für ihre Vertreterinnen und Vertreter reserviert: zwei für armenische Christen, einer für Juden, einer für Zoroastrier und einer für assyrische Christen (Zeit online 19.1.2023; vergleiche FH 10.3.2023). Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (USDOS 2.6.2022) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 10.3.2023). Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche OpD 18.1.2023). Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert (ÖB Teheran 11.2021). Für nicht anerkannte religiöse Gruppen gibt es keine rechtlichen Schutzgarantien. Diese Gruppierungen - z.B. Baha'i, Sabäer-Mandäer, Yaresani [Anm.: auch Ahl-e Haqq] (MRG 24.11.2022; vergleiche BAMF 5.2022), konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten - werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche OpD 18.1.2023).

Das Ministerium für Kultur und islamische Führung und das Ministerium für Nachrichtenwesen und Sicherheit (MOIS) überwachen religiöse Aktivitäten. Die Revolutionsgarden überwachen auch Kirchen (USDOS 2.6.2022; vergleiche OpD 18.1.2023). Die iranische Regierung verfolgt Angehörige religiöser Minderheiten bisweilen unter dem Vorwand, diese seien eine Gefahr für die nationale Sicherheit, und nicht, weil sie beispielsweise Christen sind (CNEN 4.2.2023). Führende Vertreter von Minderheitengruppen und Aktivisten werden oftmals unter dem allgemeinen Vorwurf der Bedrohung der "öffentlichen Moral" oder der nationalen Sicherheit zu langen Haftstrafen oder zum Tod verurteilt (MRG 24.11.2022; vergleiche OpD 18.1.2023). Auch oppositionelle schiitische Geistliche und muslimische Sekten sind der Verfolgung ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021). Die Regierung überwacht die Aussagen und Ansichten hochrangiger schiitischer religiöser Führer, die die Regierungspolitik oder die Ansichten des Obersten Führers Ali Khamenei nicht unterstützten. Diese werden durch Behörden weiterhin mit Festnahmen, Inhaftierungen, Mittelkürzungen, Verlust von geistlichen Berechtigungsnachweisen und Beschlagnahmungen von Eigentum unter Druck gesetzt (USDOS 2.6.2022). Beispielsweise im Jänner 2023 wurde ein sunnitischer Geistlicher verhaftet, dem die Behörden eine "Manipulation der öffentlichen Meinung" sowie "Kommunikation mit ausländischen Personen und Medien" vorwarfen (USIP 9.3.2023).

Ethnische und religiöse Minderheiten, die jahrzehntelang unter systemischer und systematischer Diskriminierung und Verfolgung gelitten haben, sind von der Welle der Repression seit Beginn der Proteste im September 2022 unverhältnismäßig stark betroffen. Unter anderem verwehrten die iranischen Behörden Angehörigen von getöteten Protestteilnehmerinnen und Protestteilnehmern, Begräbnisse nach ihren religiösen Riten zu vollziehen (UNHRC 7.2.2023).

Religiöse Minderheiten und Nichtgläubige berichteten auch von eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten, der Verweigerung oder Schwierigkeiten, Genehmigungen für die Gründung eigener Unternehmen zu erhalten, sowie eingeschränkten Bildungsmöglichkeiten und verhetzenden Äußerungen (IrWire 27.2.2023). Muslimische Geistliche rufen manchmal zu Gewalt gegen religiöse Minderheiten auf (OpD 18.1.2023). Dabei ist die iranische Gesellschaft weniger fanatisch als ihre Führung (OpD 18.1.2023; vergleiche NLM 23.2.2023). Dies ist zum Teil auf den weitverbreiteten Einfluss des gemäßigteren Sufi-Islams zurückzuführen sowie auf den Stolz des iranischen Volkes auf seine vorislamische persische Kultur (OpD 18.1.2023). Dennoch wird mitunter von bedrohlicher Diskriminierung von Nicht-Schiiten seitens des familiären oder gesellschaftlichen Umfelds berichtet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche OpD 18.1.2023).

Menschen, deren Eltern von den Behörden als Muslime eingestuft wurden, laufen Gefahr, willkürlich inhaftiert, gefoltert oder wegen "Apostasie" mit der Todesstrafe belegt zu werden, wenn sie andere Religionen oder atheistische Überzeugungen annehmen (AI 29.3.2022b; vergleiche ÖB Teheran 11.2021), auch wenn Fälle von Hinrichtungen aus diesem Grund in den letzten Jahren nicht bekannt wurden. In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund gewesen ist (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

•             AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Iran 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 14.3.2023;

•             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2022): Länderreport 52 Iran: Konversion und Evangelikalismus aus der Sicht der staatlichen Verfolger, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079128/Deutschland._Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Iran_-_Konversion_und_Evangelikalismus_aus_der_Sicht_der_staatlichen_Verfolger%2C_01.05.2022._%28L%C3%A4nderreport___52%29.pdf, Zugriff 16.3.2023;

•             BMI/BMLVS - Bundesministerium für Inneres [Österreich], Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport [Österreich] (2017): Atlas: Middle East & North Africa, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1487770786_2017-02-bfa-mena-atlas.pdf, Zugriff 15.5.2021;

•             CIA - Central Intelligence Agency [USA] (7.3.2023): Iran - The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/iran/, Zugriff 16.3.2023;

•             CNEN - Christian Network Europe News (4.2.2023): Iran sees Christian as threat to national security, https://cne.news/article/2509-iran-sees-christian-as-threat-to-national-security, Zugriff 16.3.2023;

•             DIS - Danish Immigration Service [Denmark] (23.2.2018): IRAN House Churches and Converts, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 16.3.2023;

•             FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Iran, https://freedomhouse.org/country/iran/freedom-world/2023, Zugriff 14.3.2023;

•             IrWire - Iran Wire (27.2.2023): Iran's Religious Freedom Worsened Last Year: An IranWire Special Report, https://iranwire.com/en/religious-minorities/114246-irans-religious-freedom-worsened-last-year-an-iranwire-special-report/, Zugriff 16.3.2023;

•             MRG - Minority Rights Group (24.11.2022): Protests, discrimination and the future of minorities in Iran, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2023/02/MRG_Brief_Baloch_ENG_Nov22_CORRECT.pdf, Zugriff 16.3.2023;

•             NLM - New Lines Magazine (23.2.2023): How Two Months at an Iranian Seminary Changed My Life, https://newlinesmag.com/first-person/how-two-months-at-an-iranian-seminary-changed-my-life/, Zugriff 16.3.2023;

•             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

•             OpD - Open Doors (18.1.2023): Weltverfolgungsindex 2023, https://www.opendoors.de/sites/default/files/copyright_open_doors_2023_wvi_bericht.pdf, Zugriff 16.3.2023;

•             STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (3.5.2018): Iran: Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/de/dokument/1431384.html, Zugriff 16.3.2023 [Login erforderlich];

•             Tagesschau - Tagesschau (6.10.2022): Das verhasste Stück Stoff, https://www.tagesschau.de/ausland/iran-kopftuch-105.html, Zugriff 16.3.2023;

•             UNHRC - United Nations Human Rights Council (7.2.2023): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2088389/G2301095.pdf, Zugriff 14.3.2023;

•             USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073955.html, Zugriff 16.3.2023;

•             USIP - United States Institute of Peace [USA] (9.3.2023): Iran’s Dissident Sunni Leader, https://iranprimer.usip.org/blog/2023/mar/09/iran%E2%80%99s-dissident-sunni-leader, Zugriff 15.3.2023;

•             Zeit online - Zeit online (19.1.2023): Wie Staat und Religion im Iran miteinander verwoben sind, https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-01/iran-regime-islam-politik-ali-chamenei-faq, Zugriff 16.3.2023;

Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen

Abfall vom Islam, Apostasie (Farsi: ertedad) fällt in den Bereich der sog. Hadd-Strafen der Sharia, die allgemein mit der Todesstrafe geahndet werden, obwohl die islamischen autoritativen Rechtsquellen wie der Koran und Hadithe (Aussagen des Propheten) nicht immer eindeutig und zuweilen auch widersprüchlich sind. Das Strafgesetzbuch der Islamischen Republik Iran (IStGB) ist nicht mit der Sharia identisch und Apostasie wird nicht als Straftatbestand im IStGB aufgeführt. In Fällen wie diesen erlaubt Artikel 167, der Verfassung Richtern den Rückgriff auf traditionelle islamische Rechtsquellen (Koran, Hadith und Fatwas, sog. Rechtsgutachten). Damit besteht rechtlich zumindest in der Theorie die Möglichkeit, bei Apostasie eine Bestrafung gemäß den islamischen Rechtsquellen und Fatwas vorzunehmen. Obwohl die iranischen Behörden zuweilen mit Apostasie-Anklagen drohen, sind solche jedoch sehr selten (BAMF 5.2022; vergleiche ARTICLE 19 6.7.2022). Zum Christentum Konvertierte können jedoch auf Grundlage anderer Straftatbestände angeklagt werden, wobei diese Anklagepunkte zu den sogenannten Taʿzir-Strafen (Ermessensstrafen) zählen, bei denen die Urteilsfindung und das Strafmaß im Ermessen des vorsitzenden Richters liegen. Mögliche Anklagepunkte, die lt. IStGB mit unterschiedlich langen Haftstrafen geahndet werden, sind z.B.: Aktionen gegen die nationale Sicherheit (IStGB 5. Buch/Art. 498-99), Propaganda gegen das System (IStGB 5. Buch/Art. 500), Beleidigung heiliger islamischer Werte und Prinzipien (IStGB 5. Buch/Art. 513), Versammlung und Verschwörung zur Unterminierung der Landessicherheit (IStGB/Art. 610) oder Alkoholgenuss [im Zuge der Heiligen Kommunion] (IStGB/Art. 701) (BAMF 5.2022), obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021). Andere politisch motivierte Anklagen wie Feindschaft gegen Gott (moharebeh) und Verderbtheit auf Erden (efsad-e fi’l-arz) wurden ebenfalls verschiedentlich dokumentiert, sind im Zusammenhang mit Bekenntnissen zu religiösen Alternativen allerdings eher selten (BAMF 5.2022). Zwar können die Gerichte immer noch Todesurteile wegen Apostasie verhängen, indem sie sich in Artikel 167, des Strafgesetzbuches auf die Scharia berufen. In den letzten 33 Jahren haben sie das jedoch - vermutlich auf internationalen Druck - nur dreimal getan. Die einzige Hinrichtung aufgrund von Apostasie fand 1990 statt (OpD 20.2.2023; vergleiche IRB 9.3.2021).

Trotz des Verbots des "Abfalls vom Islam" ist in Iran ein anhaltender Trend von Konversion zum Christentum festzustellen. Unter den Christinnen und Christen des Landes stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen. Viele vor allem jüngere Iranerinnen und Iraner haben sich von der Religion auch gänzlich abgewendet, weil sie mit den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen seit der islamischen Revolution nicht einverstanden sind (AA 30.11.2022).

Das Regime ist bestrebt, die Werte der Islamischen Revolution von 1979 zu schützen, von denen es seine Legitimität ableitet. Der christliche Glaube gilt als gefährlicher westlicher Einfluss und als Bedrohung der islamischen Identität der Republik (OpD 20.2.2023). Konversion und Bekenntnis zum Christentum sind damit Akte des Protests, der Fundamentalopposition und des Bruches mit der Islamischen Republik (BAMF 5.2022). Dies erklärt, warum insbesondere Konvertiten, die sich vom Islam ab- und dem christlichen Glauben zugewandt haben, wegen "Verbrechen gegen die nationale Sicherheit" verurteilt werden (OpD 20.2.2023). Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft auch Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z. B. Zionisten) (ÖB Teheran 11.2021). Freikirchliche Protestanten werden des "evangelikalen und zionistischen" Christen- bzw. Sektentums bezichtigt (BAMF 5.2022).

Bezüglich dieser Thematik entschied der Oberste Gerichtshof im November 2021, dass neun christliche Konvertiten, die wegen ihrer Beteiligung an Hauskirchen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden waren, nicht wegen "Handelns gegen die nationale Sicherheit" angeklagt werden sollten. In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs heißt es: "Die bloße Verkündigung des Christentums und die Förderung der 'evangelikalen zionistischen Sekte', wobei beides offensichtlich die Propagierung das Christentum durch Familientreffen [Hauskirchen] bedeutet, ist kein Ausdruck der Zusammenkunft und der geheimen Absprache, um die Sicherheit des Landes zu stören, weder im Inneren noch nach außen" (ARTICLE18 25.11.2021; vergleiche RFE/RL 5.5.2022). Anders als die Berufungsgerichte kann der Oberste Gerichtshof keine neuen Urteile erlassen, sondern entscheidet lediglich über die Wiederaufnahme von Gerichtsverfahren. Der Fall wurde nun an eine Zweigstelle des Berufungsgerichtshofes innerhalb des Revolutionsgerichts überstellt, das nun unabhängig von den bislang ergangenen Gerichtsurteilen - aber auch unabhängig vom Obersten Gerichtshof - zu einem Urteil in der Sache gelangen konnte. Die Konvertiten wurden daraufhin im Februar 2022 freigesprochen und bis auf eine Person, die wegen ihrer christlichen Aktivitäten noch eine andere Haftstrafe verbüßt, freigelassen. Gegen zwei der Freigelassenen wurden umgehend neue Anklagen erhoben (BAMF 5.2022). Während die Interessensgruppe Article 18 ursprünglich davon ausging, dass das Urteil des Obersten Gerichtshofs ein potenziell wegweisendes Urteil sein könnte (ARTICLE18 25.11.2021), wurde im September 2022 bekannt, dass mehrere Christinnen und Christen aufgrund ihrer Beteiligung an Hauskirchen unter dem Anklagepunkt "Bildung und Betrieb illegaler Organisationen, mit dem Ziel die Sicherheit des Landes zu stören", teilweise zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren (ET 24.9.2022; vergleiche OpD 22.9.2022).

In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind. Die Probleme, die durch Konversion auftreten können, sind breit gefächert. Sie beginnen in der Schule, wo Kinder aus konvertierten Familien einen Verweis oder die Verwehrung des Hochschuleintritts riskieren, sollten sie den Fächern Religionsunterricht, Islamische Lehre und Koranstunde fernbleiben (ÖB Teheran 11.2021).

Missionarische Tätigkeit – d. h. jegliches nicht-islamisches religiöses Agieren in der Öffentlichkeit - ist verboten und wird geahndet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 2.6.2022). Das Strafgesetz sieht für Proselytismus formell die Todesstrafe vor, wobei es laut der österreichischen Botschaft in Teheran in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil gekommen ist (ÖB Teheran 11.2021). Im September 2022 wurde jedoch bekannt, dass zwei Aktivistinnen für die Rechte von Angehörigen sexueller Minderheiten, denen die Behörden neben anderen Anklagepunkten auch "Missionierung für das Christentum" vorwarfen, zum Tod verurteilt worden waren (BAMF 1.1.2023; vergleiche OMCT 22.9.2022).

Die iranischen Behörden gestatten Konvertiten nicht, die Kirchen der armenischen und assyrischen Gemeinschaften zu besuchen, deren Rechte in der Verfassung des Landes anerkannt werden. Darüber hinaus ist es diesen Gemeinschaften selbst verboten, Gottesdienste in persischer Sprache abzuhalten, um Konvertiten vom Besuch abzuhalten (ARTICLE18 o.D.). Einige Konvertiten haben sich den "Assemblies of God"-Kirchen angeschlossen, andere gehören verschiedenen evangelikalen Hauskirchen-Netzwerken an (RFE/RL 5.5.2022). Die Schließungen von "Assembly of God"-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen. Einer vom Danish Immigration Service (DIS) befragten Quelle zufolge zeigt die steigende Zahl von Hauskirchen, dass sie Spielraum für ihre Tätigkeit haben, obwohl sie illegal sind (DIS 23.2.2018). Die hauskirchlichen Vereinigungen stehen unter besonderer Beobachtung, ihre Versammlungen werden regelmäßig aufgelöst und ihre Angehörigen gelegentlich festgenommen (AA 30.11.2022). Die Behörden fürchten die Ausbreitung der Hauskirchen und beobachten sie. Allerdings ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die ungewöhnliche Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Weiters setzen die Behörden Informanten ein. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit, eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind. Erfolgreiche Hauskirchen sind einem größeren Risiko ausgesetzt: Ob Behörden eingreifen, hängt auch von der Größe der Gemeinde ab. Eine andere Quelle gab dagegen an, dass Hauskirchen systematisch durchsucht werden. Eine Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet, wenn ein Christ das Interesse der Behörden geweckt hat. So können zum Beispiel Stichwörter wie "Kirche", "Christ", "Jesus" oder "Taufe" als Grundlage für eine elektronische Überwachung dienen (DIS 23.2.2018).

Christen aus nicht anerkannten Gemeinschaften, insbesondere Evangelikale und andere Konvertiten aus dem Islam, sind nach Angaben christlicher NGOs weiterhin unverhältnismäßig vielen Verhaftungen und Inhaftierungen sowie einem hohen Maß an Schikanen und Überwachung ausgesetzt. Menschenrechtsorganisationen und christliche NGOs berichten weiterhin, dass die Behörden Christen, einschließlich Mitgliedern nicht anerkannter Kirchen, aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit oder ihrer Aktivitäten verhaften und sie beschuldigen, illegal in Privathäusern aktiv zu sein oder "feindliche" Länder zu unterstützen und Hilfe von ihnen anzunehmen. Viele Verhaftungen finden Berichten zufolge im Rahmen von Polizeirazzien bei religiösen Versammlungen statt und umfassen auch die Beschlagnahmung von religiösem Eigentum. Nachrichtenberichten zufolge setzen die Behörden verhaftete Christen schweren physischen und psychischen Misshandlungen aus, die zuweilen Schläge und Isolationshaft beinhalten (USDOS 2.6.2022). Inhaftierten Christen, besonders christlichen Konvertiten, wird oft eine Entlassung gegen Kaution angeboten. Dabei geht es meist um hohe Geldbeträge, die Berichten zufolge zwischen 2.000 und 150.000 US-Dollar liegen. Die betroffenen Christen oder deren Familien werden dadurch gezwungen, ihre Häuser oder Geschäfte mit Hypotheken zu belasten. Personen, die gegen Kaution freigelassen werden, schweigen oft, da sie den Verlust ihres Familienbesitzes fürchten müssen. Das iranische Regime drängt sie, das Land zu verlassen und damit ihre Kaution zu verlieren. Es wird angenommen, dass Regierungsbeamte das Kautionssystem nutzen, um sich zu bereichern und Christen finanziell in den Ruin zu treiben (OpD 20.2.2023).

Einige derjenigen Christen, die die schwersten Strafen erhalten haben (2-10 Jahre Gefängnis), wurden wegen der Leitung/Organisation von Hauskirchen verurteilt (Landinfo 20.6.2022). Typischerweise werden die Leiter von Hauskirchen verhaftet und wieder freigelassen, da die Behörden die Hauskirche schwächen wollen (DIS 23.2.2018). Gewöhnliche Mitglieder von Hauskirchen riskieren ebenfalls, in einer Hauskirche verhaftet zu werden (DIS 23.2.2018; vergleiche OpD 20.2.2023, BAMF 5.2022). Manche der Festgenommenen werden später nicht verurteilt und inhaftiert (Landinfo 20.6.2022). Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden steht, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen meist nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten folgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden in der Regel nicht über ihn Bescheid wissen (DIS 23.2.2018). Die Aussage, dass Pastoren, Missionare oder Organisatoren von Hauskirchen besonders im Fokus der Sicherheitsdienste befinden, bedeutet allerdings nicht, dass sich das Risiko für normale, nicht in entsprechende Aktivitäten involvierte Gemeindemitglieder automatisch auf null reduzieren würde. So berichtete Landinfo über die Verhaftung eines Mannes im Jahr 2016, der kein auffälliges Profil aufwies, das Rückschluss auf eine wie auch immer geartete Exponiertheit erlauben würde (BAMF 5.2022).

Die von der Regierung ausgeübte Kontrolle ist in städtischen Gegenden am höchsten. Ländliche Gebiete werden weniger stark überwacht. In der Anonymität der Städte haben Christen jedoch mehr Freiheiten, Treffen und Aktivitäten zu organisieren als in ländlichen Gebieten, in denen die soziale Kontrolle stärker ist (OpD 20.2.2023).

Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein 'high-profile'-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber dies kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber zu Problemen führen (DIS 23.2.2018). Die iranischen Behörden fokussieren bei der Überwachung von Konvertiten zuletzt zunehmend auf Online-Aktivitäten (Landinfo 20.6.2022). Dies fällt unter den Kompetenzbereich des Cyber Defense Commands der Revolutionsgarden sowie des Centre to Investigate Organized Crimes (CIOC), da dies als Angelegenheit der nationalen Sicherheit wahrgenommen wird (Landinfo/et al. 12.2021).

Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 11.2021). Informanten in westlichen Ländern berichten dem iranischen Geheimdienst über Aktivitäten iranischer Christen im Ausland (OpD 20.2.2023).

Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS 23.2.2018). Open Doors gibt im Weltverfolgungsindex 2023 an, dass die Taufe als öffentliches Zeichen der Abwendung vom Islam gesehen wird und deshalb verboten ist (OpD 20.2.2023).

Christlichen NGOs zufolge werden die staatlichen Beschränkungen für die Veröffentlichung von religiösem Material fortgesetzt, einschließlich der Beschlagnahmung von zuvor erhältlichen Büchern über das Christentum, obwohl staatlich genehmigte Bibelübersetzungen Berichten zufolge weiterhin erhältlich sind. Regierungsbeamte beschlagnahmen häufig Bibeln und ähnliche nicht schiitische religiöse Literatur und üben Druck auf Verlage aus, die nicht genehmigte nicht-muslimische religiöse Materialien drucken, um ihre Tätigkeit einzustellen (USDOS 2.6.2022). Der Besitz christlicher Literatur in Farsi, besonders in größeren Stückzahlen, legt den Verdacht nahe, dass sie zur Weitergabe an muslimische Iraner gedacht ist (OpD 20.2.2023). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der 'Katholischen Jerusalem Bibel' ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den 'Katechismus der Katholischen Kirche' ins Farsi. Beide Produkte waren mit Stand 2019 ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).

Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit Konversion vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese Konversion ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich 'konvertierte' Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

•             ARTICLE18 - ARTICLE18 (25.11.2021): Iran’s Supreme Court rules converts did not act against national security, https://articleeighteen.com/news/9836/, Zugriff 17.3.2023;

•             ARTICLE18 - ARTICLE18 (o.D.): Persian-speaking Iranian Christians have no place where they can worship collectively, https://articleeighteen.com/place2worship/#, Zugriff 17.3.2023;

•             ARTICLE19 - ARTICLE19 (6.7.2022): Iran: New Penal Code provisions as tools for further attacks on the rights to freedom of expression, religion, and belief, https://www.ecoi.net/en/file/local/2075355/Iran-Legal-analysis-Iran-New-Penal-Code-provisions-as-tools-for-further-attacks-on-the-rights-to-freedom-of-expression-religion-and-belief-06.07.22-1.pdf, Zugriff 17.3.2023;

•             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.1.2023): Briefing Notes Zusammenfassung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2087097/Deutschland._Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes_Zusammenfassung_-_Iran%2C_Juli_bis_Dezember_2022._01.01.2023.pdf, Zugriff 14.3.2023;

•             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport 10 Iran: Situation der Christen, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2019/laenderreport-10-iran.pdf?__blob=publicationFile&v=5, Zugriff 16.3.2023;

•             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2022): Länderreport 52 Iran: Konversion und Evangelikalismus aus der Sicht der staatlichen Verfolger, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079128/Deutschland._Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Iran_-_Konversion_und_Evangelikalismus_aus_der_Sicht_der_staatlichen_Verfolger%2C_01.05.2022._%28L%C3%A4nderreport___52%29.pdf, Zugriff 16.3.2023;

•             DIS - Danish Immigration Service [Denmark] (23.2.2018): IRAN House Churches and Converts, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 16.3.2023;

•             ET - Evangelical Times (24.9.2022): Iran: Christians jailed after losing ‘house church’ appeal, https://www.evangelical-times.org/iran-christians-jailed-after-losing-house-church-appeal/, Zugriff 17.3.2023;

•             IRB - Immigration and Refugee Board of Canada (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/20489, Zugriff 17.3.2023;

•             Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (20.6.2022): Iran Arrestasjon og straffeforfølgelse av kristne konvertitter – en oppdatering, https://www.ecoi.net/en/file/local/2075761/Temantoat-Iran-Arrestasjon-og-straffeforfolgelse-av-kristne-konvertitter-en-oppdatering-20062022-utenENDNOTE.pdf, Zugriff 17.3.2023;

•             et al./Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen], et al. (12.2021): IRAN Criminal procedures and documents, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064888/joint_coi_report._criminal_procedures_and_documents_20211206.pdf, Zugriff 17.3.2023;

•             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

•             OMCT - World Organisation Against Torture (22.9.2022): Iran: Death sentence against two women for speaking out in support of LGBTQI+ rights, https://www.omct.org/en/resources/statements/iran-death-sentence-against-two-women-for-speaking-out-in-support-of-lgbtqi-rights, Zugriff 16.3.2023;

•             OpD - Open Doors (20.2.2023): Religionsfreiheit: Iran unter internationalem Druck, https://www.opendoors.at/news/religionsfreiheit-iran-unter-internationalem-druck/, Zugriff 17.3.2023;

•             OpD - Open Doors (22.9.2022): 6 Iranian Christians sentenced for ‘crime’ of attending house church, https://www.opendoors.ph/en-US/news/latest/2022-09-23-6-iranian-christians-sentenced-for-crime-of-attend/, Zugriff 17.3.2023;

•             RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (5.5.2022): No Place For Converts: Iran's Persecuted Christians Struggle To Keep The Faith, https://www.rferl.org/a/iran-christian-converts-persecuted/31836143.html, Zugriff 17.3.2023;

•             USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073955.html, Zugriff 16.3.2023;

Ethnische Minderheiten

Nur etwa jeder zweite Iraner hat Persisch als Muttersprache; die Bezeichnungen Iraner und Perser sind keineswegs identisch und Iran ist seit drei Jahrtausenden ein Vielvölkerstaat (BPB 13.1.2020). Angehörige ethnischer Minderheiten machen insgesamt ca. die Hälfte der iranischen Bevölkerung aus, darunter Azeris, Kurden, Gilaki und Mazandarani, Araber, Turkmenen, Luren, Belutschen, Zaza, Armenier, Assyrer und Georgier (AA 30.11.2022). Nach anderen Angaben gehören schätzungsweise 30 bis 35 von insgesamt rund 80 Millionen Iranern und Iranerinnen einer ethnischen Minderheit an. Der Staat veröffentlicht dazu keine Zahlen – aus Furcht vor Missbrauch durch außenpolitische Gegner, aber auch um bei den Minoritäten selbst keine Forderungen zu ermutigen (BPB 13.1.2020).

Berechnungen zufolge stellen Azeris etwa 20 % der Bevölkerung, Kurden 10 %, Luren 6 %, Araber und Belutschen je 2 %, Turkmenen 1 %. Ferner wohnen mehrere Millionen Afghanen dauerhaft in Iran, viele bereits in der zweiten Generation (BPB 13.1.2020). Die Minderheiten leben keineswegs nur in jenen Regionen, die ihren jeweiligen Namen tragen, wie etwa Kurdistan oder Aserbaidschan. Irans Ethnien- und Sprachenkarte ähnelt einem bunt gemusterten Teppich [Anm.: vergleiche Karte unten] (BPB 13.1.2020; vergleiche Izady/Gulf 2000 o.D.), wobei die meisten dieser Minderheiten in den Grenzprovinzen leben und Verbindungen zu Ethnien in Nachbarstaaten wie Irak, Aserbaidschan, Pakistan (FP 19.10.2022) und Afghanistan haben (MRG 6.2018).

Die ethnischen Minderheiten leben somit überwiegend in ökonomisch benachteiligten Randgebieten (DW 6.2.2021), die seit Jahrzehnten bei staatlichen Investitionen, der Entwicklung der Infrastruktur und Beschäftigungsmöglichkeiten vernachlässigt werden (AGSIW 14.10.2022; vergleiche AA 30.11.2022). Im Vergleich zum persisch dominierten Zentrum sind sie mit großen Schwierigkeiten konfrontiert, darunter Armut, schlechter Zugang zu staatlichen Dienstleistungen, Umweltzerstörung und Wasserknappheit (FP 19.10.2022).

Die Verfassung gewährt allen ethnischen Minderheiten gleiche Rechte und erlaubt die Verwendung von Minderheitensprachen in den Medien. Das Gesetz gewährt den Bürgern das Recht, ihre eigenen Sprachen und Dialekte zu lernen, zu verwenden und zu unterrichten. Trotzdem diskriminiert die Regierung Minderheiten (USDOS 20.3.2023). Angehörigen der Minderheiten wird der Zugang zur höheren Bildung, zum Arbeitsmarkt, zu angemessenem Wohnraum und zu politischen Ämtern erschwert (AA 30.11.2022). Vertreter nicht-persischer ethnischer Minderheiten und insbesondere nicht-schiitischer religiöser Minderheiten erhalten nur selten höhere Regierungsposten, und ihre politische Vertretung ist nach wie vor schwach (FH 10.3.2023). Persisch ist die vorherrschende Sprache im Land, und das Sprechen anderer Sprachen ist in Schulen, Medien und im öffentlichen Leben verboten oder stark eingeschränkt, auch wenn es Bemühungen gab, um die sprachliche und kulturelle Diversität in Iran beispielsweise durch die Einführung einiger Kurse für Minderheitensprachen an Schulen und Universitäten zu fördern (TGP 21.2.2023). Auch ist der Anteil der Inhaftierungen (FP 19.10.2022) und Hinrichtungen in Regionen mit hohem Bevölkerungsanteil an ethnischen Minderheiten deutlich höher (AA 30.11.2022; vergleiche UNHRC 7.2.2023). Die Behörden richten Angehörige ethnischer Minderheiten dabei mitunter heimlich hin, und weigern sich, deren Hinterbliebenen die Leichname zu übergeben (AI 29.3.2022b). Grenzüberschreitende Schmuggler, die in Kurdistan als Kolbars und in Belutschistan als Sookhtbars bekannt sind, werden seit Jahrzehnten außergerichtlich hingerichtet, während sie einige der wenigen Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ausüben (NLM 8.11.2022).

Diese Ungleichheiten haben zu einer tiefgreifenden Unzufriedenheit und Verbitterung beigetragen, die sich in der Verhaftung Tausender friedlicher Demonstranten in diesen Regionen widerspiegelt. Laut Datenerhebungen zu Gefangenen in Iran sind mindestens drei Viertel aller politischen Gefangenen im Land Angehörige einer ethnischen Minderheit (MRG 24.11.2022).

Sowohl vor als auch nach der Revolution rechtfertigten iranische Regierungen die "Politik der eisernen Faust" in den Randgebieten des Landes als Mittel zur Wahrung der territorialen Integrität des Iran (Stimson 27.2.2023; vergleiche BPB 13.1.2020). Das Regime verfolgt (vermeintlich und tatsächlich) militante, separatistische Gruppierungen. Jedoch werden auch Personen, die sich für den Erhalt der sprachlichen oder kulturellen Identität einsetzen, oft als Separatisten verfolgt und teils zu langen Haftstrafen verurteilt (AA 30.11.2022). Einer Minderheit angehörende Aktivisten werden regelmäßig verhaftet und aufgrund willkürlicher Anschuldigungen zur Wahrung der nationalen Sicherheit in Prozessen verfolgt, die in keiner Weise internationalen Standards entsprechen (HRW 12.1.2023).

Jüngste Proteste

Nach dem Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini in Polizeigewahrsam (GD 31.10.2022) kam es ab Mitte September 2022 in Iran zu den größten Protesten seit Jahren (EN 1.2.2023). Sie brachen im ganzen Land aus, von der westlichen Provinz Kurdistan über Zentraliran bis in die Provinzen Sistan und Belutschistan im Süden (AN 18.10.2022). Ein wichtiger Aspekt des Aufstands ist die zentrale Rolle, welche die ethnischen Minderheiten dabei einnehmen (FP 19.10.2022) und eine weitverbreitete feministische Parole der Proteste lautet „Frau, Leben, Freiheit“ (in kurdischer Sprache: "Jin, Jîyan, Azadî") (NatGeo 17.10.2022), ein Ausdruck, der seine Wurzeln im kurdischen Befreiungskampf hat (EN 1.2.2023).

Während regimetreue Medienkanäle auf die Proteste reagierten, indem sie alle Forderungen nicht-persischer ethnischer Gruppen als Separatismus darstellten, und als Beweis unter anderem die Teilnahme von Minderheitengruppen an einer Kundgebung in Berlin anführten, urteilte ein Experte für den Nahen Osten (NLM 8.11.2022), dass die jüngsten Proteste zu einer noch nie dagewesenen Solidarität zwischen den verschiedenen persischen und nicht-persischen Gemeinschaften des Landes geführt haben (NLM 8.11.2022; vergleiche Stimson 27.2.2023).

Angehörige von ethnischen Minderheiten waren überproportional stark von den staatlichen Repressionen gegen die Proteste betroffen (UNHRC 7.2.2023; vergleiche VOA 16.11.2022), auch wenn alle Protestteilnehmer unabhängig von ihrem Hintergrund eine Verhaftung, Folter und Gefängnisstrafen riskierten. Während Mitglieder der Basij-Miliz in Teheran Demonstranten verprügelten, haben die iranischen Sicherheitsbehörden in Kurdistan, Belutschistan und Ahwaz beispielsweise schwere Maschinengewehre, gepanzerte Fahrzeuge, schwere Artillerie und sogar Kampfhubschrauber zur Bekämpfung der Proteste in Stellung gebracht (TWI 14.10.2022). Mehr als die Hälfte der im Zuge der Proteste getöteten Personen stammten mit Stand 31.12.2022 aus den von Belutschen und Kurden bewohnten Gebieten (UNHRC 7.2.2023).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

●             AGSIW - Arab Gulf States Institute bin Washington, The (14.10.2022): Iran Protests: Reform, Revolution, or Status Quo?, https://agsiw.org/iran-protests-reform-revolution-or-status-quo/, Zugriff 14.3.2023;

●             AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Iran 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 14.3.2023;

●             AN - Arab News (18.10.2022): Why Iran’s ethnic minorities are bearing the brunt of regime’s violent crackdown on protests, https://www.arabnews.com/node/2182831/middle-east, Zugriff 14.3.2023;

●             BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (13.1.2020): Vielvölkerstaat Iran: Das Misstrauen der Regierung, https://www.bpb.de/themen/naher-mittlerer-osten/iran/303146/vielvoelkerstaat-iran-das-misstrauen-der-regierung/, Zugriff 14.3.2023;

●             DW - Deutsche Welle (6.2.2021): Kurden verstärkt im Visier Teherans, https://www.dw.com/de/kurden-verst%C3%A4rkt-im-visier-teherans/a-56473340, Zugriff 14.3.2023;

●             EN - Euronews (1.2.2023): Iran protests: What caused them? Are they different this time? Will the regime fall?, https://www.euronews.com/2022/12/20/iran-protests-what-caused-them-who-is-generation-z-will-the-unrest-lead-to-revolution, Zugriff 14.3.2023;

●             FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Iran, https://freedomhouse.org/country/iran/freedom-world/2023, Zugriff 14.3.2023;

●             FP - Foreign Policy (19.10.2022): How Iran’s Ethnic Divisions Are Fueling the Revolt, https://foreignpolicy.com/2022/10/19/iran-protests-persians-minorities-ethnic-language-discrimination-regime-separatism/, Zugriff 14.3.2023;

●             GD - Guardian, The (31.10.2022): Mapping Iran’s unrest: how Mahsa Amini’s death led to nationwide protests, https://www.theguardian.com/world/ng-interactive/2022/oct/31/mapping-irans-unrest-how-mahsa-aminis-death-led-to-nationwide-protests, Zugriff 14.3.2023;

●             HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085460.html, Zugriff 14.3.2023;

●             Izady/Gulf 2000 - Izady, Michael (Autor), Gulf/2000 Project (Herausgeber) (o.D.): Iran: Ethnic composition (summary), https://gulf2000.columbia.edu/images/maps/Iran_Ethnic_lg.png, Zugriff 14.3.2023;

●             MRG - Minority Rights Group (24.11.2022): Protests, discrimination and the future of minorities in Iran, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2023/02/MRG_Brief_Baloch_ENG_Nov22_CORRECT.pdf, Zugriff 16.3.2023;

●             MRG - Minority Rights Group (6.2018): Pakistan: Baluchis, https://minorityrights.org/minorities/baluchis-2/, Zugriff 15.3.2023;

●             NatGeo - National Geographic (17.10.2022): „Frau, Leben, Freiheit”: Die Proteste in Iran und ihre Geschichte, https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2022/10/frau-leben-freiheit-proteste-iran-geschichte-frauenrechte, Zugriff 14.3.2023;

●             NLM - New Lines Magazine (8.11.2022): In Iran, Pluralism Begins to Take Root, https://newlinesmag.com/argument/in-iran-pluralism-begins-to-take-root/, Zugriff 14.3.2023;

●             Stimson - Stimson Center (27.2.2023): Protests have brought Iran’s ethnic minorities & Persian majority closer, https://www.stimson.org/2023/protests-have-brought-irans-ethnic-minorities-persian-majority-closer/, Zugriff 14.3.2023;

●             TGP - Geopolitics, The (21.2.2023): Iran is World’s Top Suppressor of Ethnic Minorities’ Languages, https://thegeopolitics.com/iran-is-worlds-top-suppressor-of-ethnic-minorities-languages/, Zugriff 14.3.2023;

●             TWI - Washington Institute for Near East Policy, The (14.10.2022): As Anti-Regime Protests Swell Across Iran, Ethnic Minorities Demand Freedom and Equality, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/anti-regime-protests-swell-across-iran-ethnic-minorities-demand-freedom-and, Zugriff 14.3.2023;

●             UNHRC - United Nations Human Rights Council (7.2.2023): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2088389/G2301095.pdf, Zugriff 14.3.2023;

●             USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089063.html, Zugriff 22.3.2023;

●             VOA - Voice of America (16.11.2022): Minorities Bear Brunt of Iran's Violent Crackdown, https://www.voanews.com/a/minorities-bear-brunt-of-iran-s-violent-crackdown-/6837539.html, Zugriff 14.3.2023;

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Generell genießt die Familie in Iran, ebenso wie in den meisten anderen islamischen Gesellschaften, einen hohen Stellenwert. Der Unterschied zwischen Stadt und Land macht sich aber auch hier bemerkbar in Bezug auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau sowie hinsichtlich der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Auf dem Land hat das traditionelle islamische Rollenmodell weitgehende Gültigkeit, der Tschador, der Ganzkörperschleier, dominiert hier das Straßenbild. In den großen Städten hat sich dieses Rollenverständnis inzwischen verschoben, wenn auch nicht in allen Stadtteilen. Während des Iran-Irak-Krieges war, allen eventuellen ideologischen Bedenken zum Trotz, die Arbeitskraft der Frauen unabdingbar. Nach dem Krieg waren Frauen aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken oder gar zu entfernen. Die unterschiedliche und sich verändernde Stellung der Frau zeigt sich auch an den Kinderzahlen: Während in vielen ländlichen - v. a. in den abgelegeneren - Gebieten fünf Kinder der Normalfall sind, sind es in Teheran und Isfahan im Durchschnitt unter zwei. Insbesondere junge Frauen begehren heute gegen die nominell sehr strikten Regeln auf, besonders anhand der Kleidungsvorschriften für Frauen wird heute der Kampf zwischen einer eher säkular orientierten Jugend der Städte und dem System in der Öffentlichkeit ausgefochten (GIZ 12.2020b).

Frauen und Mädchen spielen eine zentrale Rolle bei den landesweiten Protesten (AI 27.3.2023) seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Jina (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023). Amini war kurz vor ihrem Tod von der Sittenpolizei wegen angeblicher Verstöße gegen die Bekleidungsvorschriften für Frauen verhaftet und laut Augenzeugenberichten geschlagen worden (BBC 16.9.2022). Den Protesten unter der weitverbreiteten Parole: "Frau, Leben, Freiheit" (in kurdischer Sprache: "Jin, Jîyan, Azadî") (NatGeo 17.10.2022), die im Wesentlichen von Frauen gestartet wurden (EN 1.2.2023), schlossen sich Iraner und Iranerinnen aller Altersgruppen und Ethnien an, wobei sie vor allem von den jüngeren Generationen auf die Straße getragen wurden (NatGeo 17.10.2022). Viele Gegnerinnen der Regierung drücken ihren Protest derzeit auch durch zivilen Ungehorsam aus, etwa indem sie den Kopftuchzwang ignorieren (Spiegel 19.1.2023; vergleiche HRW 7.3.2023). Nach dem Beginn der Massenproteste Ende September 2022 verhafteten die Behörden Tausende von Menschen, darunter Prominente, Menschenrechtsaktivisten und andere, die ihre Unterstützung für die Bewegung durch Beiträge in den sozialen Medien oder durch die öffentliche Missachtung der Hijab-Pflicht, die zu Mahsa Aminis Verhaftung und Tod geführt hatte, zum Ausdruck gebracht hatten (FH 10.3.2023).

Verschiedene gesetzliche Verbote machen es Frauen unmöglich, im gleichen Maße wie Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (strenge Kleiderordnung, Verbot des Zugangs zu Sportveranstaltungen, Genehmigungsvorbehalt des Ehemannes oder Vaters bezüglich Arbeitsaufnahme oder Reisen). In rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind iranische Frauen also vielfältigen Diskriminierungen unterworfen, die jedoch zum Teil relativ offen diskutiert werden (AA 30.11.2022). Iran hat die "Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" (CEDAW) als einer von wenigen Staaten weltweit nicht unterzeichnet (FNS 8.12.2022; vergleiche UNHRC o.D.). Im Global Gender Gap Report 2022 des World Economic Forum liegt Iran auf Platz 143 von 146 (WEF 13.7.2022; vergleiche AA 30.11.2022).

Frauen haben das aktive Wahlrecht (USDOS 20.3.2023), sind jedoch von einigen staatlichen Funktionen (u.a. Richteramt, Staatspräsident) gesetzlich oder aufgrund entsprechender Ernennungspraxis ausgeschlossen (AA 30.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). Während es Frauen seit 1979 gesetzlich verboten ist, als Richterinnen zu arbeiten, können entsprechend qualifizierte Frauen das Amt der "beratenden Richterin" an Zivil- oder Familiengerichten bekleiden (IrWire 20.1.2023). Urteile werden dort jedoch von männlichen Richtern gesprochen, welche die Ratschläge der "beratenden Richterinnen" annehmen oder ablehnen können (IrWire 20.1.2023; vergleiche BAMF 7.2020). Nur eine Frau gehört dem Kabinett von Staatspräsident Raisi an, die Vizepräsidentin für Frauen- und Familienangelegenheiten Ensieh Khazali. Die ultrakonservative Politikerin gilt als Befürworterin der frühen Heirat von Mädchen (AA 30.11.2022).

Kleidungsvorschriften und kulturelle Teilhabe

Dem Gesetz nach müssen alle Frauen in Iran ab einem Alter von neun Jahren die islamischen Bekleidungsvorschriften in der Öffentlichkeit einhalten (BAMF 7.2020). Frauen, die in der Öffentlichkeit ohne "angemessene Kleidung", wie z. B. einen Stoffschal über dem Kopf (Hijab) und einem Mantel, oder einen Tschador [bodenlanger Umhang, der nur das Gesicht freilässt] auftreten, können zu Auspeitschung oder einem Bußgeld verurteilt werden. In Ermangelung einer klaren gesetzlichen Definition von "angemessener Kleidung", oder der damit verbundenen Bestrafung, sind Frauen dem Ermessen der Disziplinar- und Sicherheitskräfte ausgesetzt (USDOS 20.3.2023). Bei Verstößen gegen gesetzliche Verbote müssen Frauen mit Strafen rechnen. So kann etwa eine Frau, die ihre Haare oder die Konturen ihres Körpers nicht verhüllt, mit einer Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) und/oder einer Geldbuße bestraft werden. Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich. Dazu kommt es in der Regel nicht, da die Familien von der Möglichkeit des Freikaufs überwiegend Gebrauch machen. Auch wenn es in der Regel nur zu Verwarnungen kommt, ist die sogenannte Sittenpolizei "Gasht-e Ershad" in Iran gefürchtet. Bei Kontrollen soll sie regelmäßig Gewalt anwenden (AA 30.11.2022). Laut offiziellen Statistiken sind aktuell 70 % der iranischen Bevölkerung gegen den verpflichtenden Hijab (BAMF 1.2023).

Nach dem Amtsantritt von Präsident Raisi hat die Zahl der Patrouilleneinheiten zur Einhaltung der Kleidervorschriften zugenommen, sodass es bereits am 12.7.2022, dem iranischen nationalen "Hijab- und Keuschheitstag", zu weitverbreiteten Protesten von Frauen im Land gekommen ist. Viele Frauen gingen ohne Kopfbedeckung auf die Straße, was zu einer Reihe von Festnahmen und Inhaftierungen führte. Insgesamt will die Regierung mit den neuen Regeln vor allem öffentliche und private Angestellte dazu bringen, Frauen, die gegen die Kleidungsvorschriften verstoßen, zu melden. Erfüllen Angestellte ihre Meldepflichten nicht, so haben sie selbst mit Strafen oder Bußgeldern zu rechnen. Diese Regelungen sollen ab August 2022 nach und nach in allen Regierungsbehörden, Banken, Gewerbe- und Dienstleistungseinrichtungen, Bildungseinrichtungen, auf öffentlichen Straßen und Plätzen, in öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln, in virtuellen Räumen wie dem Internet, in Nachbarschaften und dem eigenen Haus und in der eigenen Familie umgesetzt werden (BAMF 1.2023). Auch nach den landesweiten Protesten seit September 2022 bekräftigten iranische Regierungsvertreter ihre Entschlossenheit, die Hijabpflicht für Frauen weiter durchzusetzen (BBC 1.4.2023). Ein im März 2023 vorgestellter Gesetzesvorschlag sieht eine "intelligente" Überwachung der Hijabpflicht anstelle physischer Konfrontationen vor (NCRI 27.3.2023). Die Behörden werden die Hijabpflicht somit laut Ankündigungen zukünftig auch mittels automatischer Gesichtserkennung kontrollieren (Wired 10.1.2023; vergleiche FH 10.3.2023). Die mit der Durchsetzung der Kleidungsvorschriften beauftragten Sicherheitsbehörden sollen dabei Fahrzeuginsassinnen und Verkehrswege, öffentliche Plätze und Restaurants, Behörden- und Regierungsgebäude, Ausbildungsstätten, Flughäfen, den virtuellen Raum und berühmte Persönlichkeiten überwachen. Frauen, die gegen die Hijabpflicht verstoßen, sollen mit hohen Geldstrafen sowie einer Annullierung ihres Reisepasses und Führerscheins bestraft werden. Inhaberinnen von Websites oder reichweitenstarker Auftritte in den sozialen Medien sollen außerdem mit einem Internetverbot belegt werden können (NCRI 27.3.2023).

Zahlreiche Beschränkungen zielen auf Frauen in Sport und Kultur ab (Verbot des Singens außer im Chor, Verbot des Tanzens, Verbot des Zugangs zu Fußballstadien, etc.). Die Regierung Raisi hat bereits angekündigt, das Verbot für Frauen, Rad und Motorrad zu fahren, streng durchzusetzen (ÖB Teheran 11.2021). Seit 1979 wird Frauen der Zutritt zu großen Fußballstadien verwehrt. Auf Druck der FIFA und anderer Organisationen durften Frauen in den letzten Jahren bei einer Handvoll nationaler Spiele anwesend sein. Im August 2022 durften sie zum ersten Mal ein Ligaspiel besuchen (AJ 25.8.2022). Im März 2022 verweigerten Polizeikräfte den rund 2.000 weiblichen Fußballfans mit Eintrittstickets dagegen den Zugang zu einem WM-Qualifikationsspiel, anschließende Proteste der Fans beantworteten sie mit Pfefferspray (RFE/RL 9.9.2022).

Wirtschaftliche Teilhabe

Mehr als die Hälfte der Universitätsabsolventen sind Frauen, die Arbeitslosenrate von Frauen ist jedoch doppelt so hoch, wie jene der Männer (FA 2.2.2023). Nur etwa 15 % aller Frauen über 15 Jahren sind in Iran laut den aktuellsten Daten (2021) berufstätig (WB 21.2.2023a), während es unter den Männern rund 68 % sind (Daten von 2020) (WB 21.2.2023b). Laut offiziellen Angaben liegt die Arbeitslosenrate bei Frauen bei knapp 18 %, unter Frauen mit höherer Bildung liegt sie noch deutlich höher (AA 30.11.2022). Die verstärkte Rezession, die auf den Ausbruch der COVID-19-Pandemie folgte, vergrößerte die Kluft zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt noch weiter (BS 23.2.2022). Gründe für die stärkere Betroffenheit von Frauen von Arbeitslosigkeit sind neben der COVID-19-Pandemie auch die US-Sanktionen und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage. Die Stärkung der Schattenwirtschaft, und damit von religiösen Stiftungen und Unternehmen im Besitz der Revolutionsgarden, in denen konservative Männer dominieren, hat die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen besonders eingeschränkt (ÖB Teheran 11.2021). Die ultrakonservative Regierung wird die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt nicht vorantreiben, weil sie die traditionelle Rolle der Frau in der islamischen Familie stärken und die Geburtenrate erhöhen will (AA 30.11.2022). Der Zugang zum Arbeitsmarkt und die beruflichen Möglichkeiten für Frauen sind durch soziale und rechtliche Regelungen eingeschränkt, mit dem Ziel der Beschränkung von Frauen auf deren Rolle als Mutter und Ehefrau. Oftmals wird von Frauen das Einverständnis des Ehemannes oder Vaters verlangt, um eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können. Gesetzlich kann ein Ehemann seiner Ehefrau jederzeit verbieten, arbeiten zu gehen. Stellenausschreibungen werden oft geschlechtsspezifisch nur für Männer ausgeschrieben. Regelmäßig werden Frauen nach Rückkehr aus der neunmonatigen Karenz gekündigt. Die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit verhindern den gewerkschaftlichen Zusammenschluss erwerbstätiger Frauen. Konservative Politiker haben in der Vergangenheit mehrmals versucht, die Erwerbstätigkeit von Frauen weiter einzuschränken oder in manchen Sektoren zu verbieten (ÖB Teheran 11.2021).

Rechtliche Rahmenbedingungen

Die iranische Verfassung schreibt eine "Gleichberechtigung aller vor dem Gesetz" vor, allerdings steht diese zugleich unter dem Vorbehalt der Ziele der Islamischen Republik, die nur unter "Beachtung der islamischen Normen" erreicht werden können (BAMF 1.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023). Da alle einfachgesetzlichen Normen mit der Scharia vereinbar sein müssen und in Iran einer traditionellen Rechtsauslegung der Scharia gefolgt wird, kommt es vor allem in den Bereichen zum Ehe- und Scheidungsrecht, dem Sorgerecht und bei Erbschaftsangelegenheiten zu erheblichen Benachteiligungen für Frauen (BAMF 1.2023). Prägend ist dabei die Rolle der (Ehe-)Frau als dem (Ehe-)Mann untergeordnet, wie sich sowohl in Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechtes, der Ehescheidung als auch des Erbrechts erkennen lässt (AA 30.11.2022; vergleiche AI 27.3.2023, HRW 12.1.2023, BAMF 1.2023).

Beispielsweise darf eine verheiratete Frau ohne die schriftliche Genehmigung ihres Mannes (oder Vaters) keinen Reisepass erhalten oder ins Ausland reisen (HRW 12.1.2023; vergleiche BAMF 1.2023). Ehefrauen können allerdings Ehevertragsklauseln mit ihrem Ehemann vereinbaren, um eine generelle Ausreisegenehmigung zu erhalten (BAMF 1.2023; vergleiche IrWire 2.11.2019). Kinder unter 18 Jahren benötigen für die Ausstellung des Reisepasses die schriftliche Erlaubnis ihres Vaters. Wenn der Ehemann oder Vater nicht anwesend ist, hat die Frau sich bei einem Wunsch zur Ausreise an die zuständige Behörde des Außenministeriums zu wenden, sofern keine schriftliche Erlaubnis vorliegt (BAMF 7.2020). Unverheiratete und geschiedene Frauen sowie Witwen benötigen keine Erlaubnis ihres Vaters oder eines männlichen Vormunds, um zu reisen (CGRS-CEDOCA 30.3.2020; vergleiche TehVak 22.2.2023, Ettelaat 1.2.2017). Unverheiratete Frauen benötigen jedoch zur Beantragung ihres Reisepasses die Zustimmung ihrer Eltern (BAMF 7.2020; vergleiche Ettelaat 1.2.2017). Nach dem Gesetzbuch für Zivilrecht hat ein Ehemann das Recht, den Wohnort zu wählen, und kann seine Frau daran hindern, bestimmte Berufe auszuüben (HRW 12.1.2023). Im Straf- bzw. Strafprozessrecht sind Mädchen bereits mit neun Jahren vollumfänglich strafmündig (Buben mit 15 Jahren) (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Zeugenaussagen von Frauen werden nur zur Hälfte gewichtet (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023), und die finanzielle Entschädigung, die der Familie eines weiblichen Opfers nach ihrem Tod gewährt wird, ist nur halb so hoch wie die Entschädigung für ein männliches Opfer (FH 10.3.2023; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Selbst KFZ-Versicherungen zahlen bei Personenschäden von Frauen nur die Hälfte. Auch erben Frauen nur die Hälfte von Männern (ÖB Teheran 11.2021).

Heirat, Scheidung, Obsorge und Vormundschaft für Kinder

Anmerkung, Die drei in der iranischen Verfassung anerkannten Buchreligionen (Judentum, Christentum, Zoroastrismus) genießen in Fragen des Ehe- und Familienrechts verfassungsrechtlich Autonomie (AA 30.11.2022) und dürfen somit ihr eigenes Personenstandsrecht anwenden, das allerdings der iranischen Gesetzgebung zur öffentlichen Ordnung entsprechen muss (McGlinn 2001). Bezüglich dieser Rechtsbereiche wird nachstehend vor allem auf die Situation von Frauen der schiitischen Mehrheitsgesellschaft - rd. 90 % der Bevölkerung (STDOK 3.5.2018) - sowie der nicht anerkannten Religionsgruppen (denen das Recht auf ein eigenes Ehe- und Familienrecht nicht zugesprochen wird) eingegangen. Für Informationen zur Heirat von unter-18-Jährigen, für weitergehende Informationen zur Behandlung von unehelichen Kindern, sowie zur Weitergabe der Staatsbürgerschaft durch Mütter, s. Kap. Kinder.

Das Gesetz erkennt Ehen zwischen muslimischen Frauen und nicht-muslimischen Männern nicht an (USDOS 20.3.2023; vergleiche IrWire 13.2.2014). Muslimische Männer dürfen nicht-muslimische Frauen aus den drei anerkannten Buchreligionen dagegen auf jeden Fall in Zeitehen [auch: Sigheh, Mut'a-Ehe] heiraten, während die Meinungen bezüglich permanenter Ehen auseinandergehen. Manche Rechtsgelehrte gehen von ihrer Zulässigkeit aus, andere nicht (IrWire 13.2.2014). Es ist Männern gesetzlich erlaubt, bis zu vier Ehefrauen und eine unbegrenzte Anzahl von "Ehefrauen auf Zeit" zu haben, basierend auf einem schiitischen Brauch, der zivile und religiöse Verträge mit begrenzter Dauer zulässt. Das Gesetz gewährt Frauen kein Recht auf mehrere Ehemänner (USDOS 20.3.2023).

Eine Frau kann sich nur unter bestimmten Voraussetzungen scheiden lassen (USDOS 20.3.2023: vergleiche BAMF 7.2020), wie z. B. wenn ihr Ehemann einen Vertrag unterzeichnet, der ihr dieses Recht einräumt, wenn er seine Familie nicht versorgen kann, wenn er gegen die Bestimmungen des Ehevertrags verstößt, oder wenn er drogenabhängig, geisteskrank oder impotent ist. Ein Mann kann sich ohne Angabe von Gründen von seiner Frau scheiden lassen (USDOS 20.3.2023). Das Gesetz erkennt das Recht einer geschiedenen Frau auf einen Teil des gemeinsamen Vermögens und auf Unterhalt an (USDOS 20.3.2023; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Dies wird nicht immer durchgesetzt (USDOS 20.3.2023). Fehlt alleinstehenden Frauen der Rückhalt ihres Partners bzw. ihrer eigenen Familie, so befinden sie sich schnell am Rande der Gesellschaft und sind gezwungen, sich zum Wohle ihres Kindes mit der Gesellschaft zu arrangieren. Zwar sind die leiblichen Eltern unehelicher Kinder verpflichtet, ihren elterlichen Pflichten in Hinblick auf die Personensorge nachzukommen, und der leibliche Vater bzw. auch der biologische Großvater väterlicherseits sind auch einem unehelichen Kind gegenüber unterhaltspflichtig. Im Fall, dass beide unbekannt sind bzw. sich beide ihrer Verantwortung entziehen, muss die Mutter ihr Kind allerdings finanziell allein versorgen (BAMF 1.2023). Angaben über mögliche (finanzielle) Unterstützung vom Staat für alleinerziehende bzw. alleinstehende Frauen sind nicht eruierbar ÖB Teheran 11.2021).

Die Vormundschaft für Minderjährige liegt laut den gesetzlichen Bestimmungen beim Vater oder Großvater väterlicherseits. Wenn diese nicht in der Lage sind, die Verantwortung zu übernehmen, kann vom Gericht ein Ersatz bestellt werden. In Abwesenheit eines Vaters bzw. Großvaters gibt es eine Möglichkeit für die Mutter, die Vormundschaft für ihr Kind zu übernehmen, so ein Gericht zustimmt. Laut einem von Landinfo befragten Experten ist es unter islamischen Rechtsgelehrten jedoch sehr umstritten, ob Mütter tatsächlich die Vormundschaft übernehmen können (Landinfo 5.8.2022). Das Gesetz sieht dagegen vor, dass geschiedenen Frauen vorzugsweise das Obsorgerecht für ihre Kinder bis zu deren siebentem Lebensjahr gegeben werden soll. Danach soll das Obsorgerecht dem Vater übertragen werden, außer dieser ist dazu nicht imstande. Heiraten geschiedene Frauen erneut, verlieren sie das Obsorgerecht für Kinder aus einer früheren Ehe (ÖB Teheran 11.2021).

Aufgrund der Schwierigkeit für Frauen, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist der familiäre Rückhalt für alleinstehende Frauen umso bedeutender. Jedoch erhalten manche Frauen, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm leben (wie zum Beispiel lesbische Frauen oder Prostituierte), keine Unterstützung durch die Familie und können Opfer von häuslicher Gewalt und Zwangsheirat werden. Alleinstehende Frauen haben oft Schwierigkeiten, eine Wohnung oder Arbeit zu finden, da sie für Prostituierte gehalten werden (ÖB Teheran 11.2021).

Schutz vor Gewalt

Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen. Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Gesetze zur Verhinderung und Bestrafung geschlechtsspezifischer Gewalt existieren nicht. Ein geplantes Gesetz "gegen Gewalt gegen Frauen" ist noch immer nicht verabschiedet worden (AA 30.11.2022). Vergewaltigung ist illegal und unterliegt strengen Strafen, einschließlich der Todesstrafe. Das Gesetz betrachtet Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe per Definition als einvernehmlich und behandelt daher keine Vergewaltigung in der Ehe, auch nicht in Fällen von Zwangsheirat. Die meisten Vergewaltigungsopfer melden Verbrechen nicht, weil sie staatliche Vergeltungsmaßnahmen oder Strafen für Vergewaltigungen befürchten, wie zum Beispiel Anklagen wegen Unanständigkeit, unmoralischem Verhalten oder Ehebruch. Ehebruch wiederum ist ebenfalls mit der Todesstrafe bedroht. Auch gesellschaftliche Repressalien oder Ausgrenzung werden von Vergewaltigungsopfern befürchtet (USDOS 20.3.2023). Sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz und in der Familie sind weit verbreitet, für die Männer herrscht gänzliche Straflosigkeit. Ein iranischer 'Me-Too'-Moment im Sommer 2020, als eine junge Frau Interviews mit Überlebenden sexueller Gewalt veröffentlichte, zeigte das Ausmaß des ansonsten totgeschwiegenen Problems auf. Krisenzentren und Frauenhäuser nach europäischem Modell existieren in Iran nicht. Die schwierige Beweislast für sexuellen Missbrauch und das Verbot außerehelicher Beziehungen hat zur Folge, dass Frauen Missbrauch nicht anzeigen, da sie ansonsten regelmäßig selbst Beschuldigte wären. Ein Gesetzesentwurf der Regierung Rohani zu Gewaltschutz wurde vom erzkonservativen Parlament solange boykottiert, bis der jetzige Präsident Raisi an die Macht kam, unter dem das Gesetz keine Aussicht auf Umsetzung hat (ÖB Teheran 11.2021).

Ehrenmorde

Unter Ehrenmord (qatl-e namusi) wird ein Mord verstanden, der innerhalb einer Familie, von einem Vater, einem Ehemann oder einem sonstigen männlichen Verwandten begangen wird, um ein Familienmitglied (in der Regel Frauen und Mädchen) zu bestrafen, das den Ruf und die Ehre der Familie beschädigt hat. Typische Ursachen für die Beschädigung der Familienehre sind vor- oder außerehelicher Geschlechtsverkehr, Vergewaltigung, Widerstand gegen eine Zwangsverheiratung und die Weigerung, eine arrangierte Ehe einzugehen. Ehrenmorde, die von einem Vater, Großvater oder einem männlichen Verwandten begangen werden, gehören nach Artikel 301, des Iranischen Strafgesetzbuchs (IStGB) 2013 nicht zu den Qisas-Strafen (Vergeltungsstrafrecht) [Anm.: s. Kap. Rechtsschutz/Justizwesen für Begriffserklärungen zu Hadd, Qisas, Ta'zir und Diyah]. Stattdessen sind hier die Zahlung eines Blutgelds [Diyah] sowie Ta'zir- bzw. Ermessensstrafen vorgesehen. Nur wenn nach Artikel 612, IStGB 1996 der Ehrenmord eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Gesellschaft darstellt, wird der Täter zu einer Freiheitsstrafe von drei bis zu zehn Jahren verurteilt. Nach Artikel 630, IStGB 1996 wird ein Ehemann nicht nach dem Vergeltungsstrafrecht (Qisas) bestraft, wenn er seine Ehefrau beim Ehebruch mit einem anderen Mann erwischt und tötet bzw. sich sicher ist, dass es sich um keine Vergewaltigung handelt. Auch entfällt in diesem Fall die Zahlung eines Blutgeldes (Diyah). Wird die Ehefrau von einem anderen Mann vergewaltigt (Ehebruch gegen den Willen der Ehefrau), kann der Ehemann nur den Täter straffrei töten (BAMF 1.2023).

Ehrenmorde sind vor allem in den ländlichen Gebieten verbreitet und richten sich meistens gegen Frauen und Mädchen. Größtenteils werden sie in den folgenden Provinzen verzeichnet: West-Aserbaidschan, Kurdistan, Kermanshah, Ilam, Lurestan und Khuzestan. Hier leben vor allem arabische, kurdische und lurische Bevölkerungsgruppen (BAMF 1.2023). Da viele Suizide auch als Ehrenmorde einzustufen sind und Ehrenmorde häufig nicht als solche öffentlich werden, liegen keine offiziellen Statistiken hierzu vor. Es wird vermutet, dass Jahr für Jahr mutmaßlich 400 bis 500 Frauen in Iran bei sogenannten Ehrenmorden getötet werden (BAMF 1.2023; vergleiche MEI 26.8.2021).

Familienplanung und Abtreibung

Nach dem Ende des iranisch-irakischen Krieges (1980-1988), in dem die Familien ermutigt wurden, mehr Kinder zu bekommen, befürchtete die iranische Führung, dass das Bevölkerungswachstum des Landes die Ressourcen übersteigen könnte. Daher begann sie mit der Umsetzung landesweiter Familienplanungsprogramme. Unter der Leitung des damaligen Obersten Führers Ruhollah Khomeini ermutigte die Regierung Familien, nur ein oder zwei Kinder zu haben, riet von Schwangerschaften bei Minderjährigen ab, stellte kostenlos Kondome zur Verfügung und subventionierte Vasektomien, neben anderen Initiativen. Selbst in ländlichen Gebieten hatten Frauen und Schwangere im Allgemeinen verlässlichen Zugang zu Gesundheitsuntersuchungen in Kliniken und anderen Diensten zur Familienplanung. In einer Zeit des Bevölkerungsrückgangs scheint sich das Kalkül verschoben zu haben (WP 1.12.2021).

Am 1.11.2021 wurde ein neues Gesetz zur "Verjüngung der Gesellschaft und zum Schutz der Familie" verabschiedet, das von neun UN-Sonderberichterstattern und Menschenrechtsmechanismen als menschenrechtswidrig bezeichnet worden ist (ÖB Teheran 11.2021). Das Gesetz schränkt den Zugang von Frauen zu reproduktiven Rechten stark ein (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 30.11.2022) und enthält eine vage formulierte Bestimmung, die besagt, dass Abtreibung, wenn sie in großem Umfang durchgeführt wird, unter den Straftatbestand der "Korruption auf Erden" fällt und mit der Todesstrafe geahndet wird. Das neue Gesetz schränkt die bereits begrenzten Ausnahmen vom Abtreibungsverbot des Strafgesetzbuches weiter ein. Die endgültige Entscheidung über einen medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch - bei Gefahr für das Leben der Schwangeren oder bei Anomalien des Fötus - liegt nun in den Händen eines Gremiums, das sich aus einem Richter, einem Arzt und einem Gerichtsmediziner zusammensetzt, und nicht bei der Schwangeren. Das Gesetz verbietet auch die [bislang] kostenlose Verteilung von Verhütungsmitteln sowie freiwillige Sterilisationen für Männer und Frauen, abgesehen von Ausnahmefällen (UNHRC 16.11.2021). Auch wird eine Datenbank von Frauen, die gynäkologische Hilfe suchen, erstellt (ÖB Teheran 11.2021). Laut Aussagen eines iranischen Behördenvertreters werden rund 95 % aller Abtreibungen in Iran illegal durchgeführt (IRINTL 8.9.2022). Offiziellen Angaben zufolge werden im Iran jährlich schätzungsweise 300.000 bis 600.000 illegale Abtreibungen vorgenommen. Unsichere Abtreibungen sind nach internationalem Recht als eine Form der geschlechtsspezifischen Gewalt anerkannt worden (UNHRC 16.11.2021).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

●             AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Iran 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089407.html, Zugriff 30.3.2023;

●             AJ - Al Jazeera (25.8.2022): Iranian women allowed to watch football match after FIFA pressure, https://www.aljazeera.com/news/2022/8/25/iranian-women-allowed-to-watch-football-match-after-fifa-pressure, Zugriff 5.4.2023;

●             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.2023): Länderreport 56 Iran: Rechtliche Situation der Frauen, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683484/6029645/24047468/-/Deutschland._Bundesamt_f%FCr_Migration_und_Fl%FCchtlinge%2C_Iran_-_Rechtliche_Situation_der_Frauen%2C_01.01.2023._%28L%E4nderreport___56%29.pdf, Zugriff 3.4.2023;

●             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.2020): Länderreport 28 Iran: Frauen Rechtliche Stellung und gesellschaftliche Teilhabe, https://coi.euaa.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_28_Iran_July-2020.pdf, Zugriff 3.4.2023;

●             BBC - British Broadcasting Corporation (1.4.2023): Iran signals determination to enforce hijab rules, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-65147339, Zugriff 5.4.2023;

●             BBC - British Broadcasting Corporation (16.9.2022): Fury in Iran as young woman dies following morality police arrest, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-62930425, Zugriff 23.3.2023;

●             BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069656/country_report_2022_IRN.pdf, Zugriff 14.2.2023;

●             CGRS-CEDOCA - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (30.3.2020): IRAN Treatment of returnees by their national authorities, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040853/COI_Focus_Iran_Treatment+of_returnees_by_their_national_authorities_30032020_update_ENG.pdf, Zugriff 3.4.2023;

●             EN - Euronews (1.2.2023): Iran protests: What caused them? Are they different this time? Will the regime fall?, https://www.euronews.com/2022/12/20/iran-protests-what-caused-them-who-is-generation-z-will-the-unrest-lead-to-revolution, Zugriff 14.3.2023;

●             Ettelaat - Ettelaat (1.2.2017): شرایط صدور گذرنامه برای دختران مجرد و زنان متاهل [Bedingungen zur Passausstellung für Frauen und Mädchen], https://www.ettelaat.com/mobile/archives/19692?device=phone%2C, Zugriff 3.4.2023;

●             FA - Foreign Affairs (2.2.2023): The Long Twilight of the Islamic Republic, https://www.foreignaffairs.com/iran/long-twilight-islamic-republic, Zugriff 3.4.2023;

●             FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Iran, https://freedomhouse.org/country/iran/freedom-world/2023, Zugriff 14.3.2023;

●             FNS - Friedrich Naumann Stiftung (8.12.2022): Gewalt und Verbrechen gegen Frauen im Iran, https://www.freiheit.org/de/deutschland/gewalt-und-verbrechen-gegen-frauen-im-iran, Zugriff 3.4.2023;

●             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2020): Iran: Gesellschaft, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/, Zugriff 14.3.2023;

●             HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085460.html, Zugriff 14.3.2023;

●             HRW - Human Rights Watch (7.3.2023): Interview: Taking Walks Without Wearing Hijab in Iran, https://www.hrw.org/news/2023/03/07/interview-taking-walks-without-wearing-hijab-iran, Zugriff 5.4.2023;

●             IRINTL - Iran International (8.9.2022): 95% Of Abortions Are Done Illegally In Iran – Official, https://www.iranintl.com/en/202209088084, Zugriff 5.4.2023;

●             IrWire - Iran Wire (13.2.2014): Marrying a non-Muslim Man? Good Luck!, https://iranwire.com/en/society/60250/, Zugriff 6.4.2023;

●             IrWire - Iran Wire (20.1.2023): Fact Check: The Islamic Republic Really Empowered Iranian Women?, https://iranwire.com/en/fact-checking/112859-fact-check-the-islamic-republic-really-empowered-iranian-women/, Zugriff 3.4.2023;

●             IrWire - Iran Wire (2.11.2019): Permission to Travel — A Nightmare for Many Iranian Women, https://iranwire.com/en/features/66384/, Zugriff 3.4.2023;

●             Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (5.8.2022): Iran Familie og ekteskap, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079366/Temanotat-Iran-Familie-og-ekteskap-05082022-ny-1.pdf, Zugriff 3.4.2023;

●             McGlinn - McGlinn, Senn (2001): Family Law in Iran, https://bahai-library.com/pdf/m/mcglinn_family_law_iran.pdf, Zugriff 5.4.2023;

●             MEI - Middle East Institute (26.8.2021): Iranian women campaign to stop the rise in “honor killings”, https://www.mei.edu/publications/iranian-women-campaign-stop-rise-honor-killings, Zugriff 5.4.2023;

●             NatGeo - National Geographic (17.10.2022): „Frau, Leben, Freiheit”: Die Proteste in Iran und ihre Geschichte, https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2022/10/frau-leben-freiheit-proteste-iran-geschichte-frauenrechte, Zugriff 14.3.2023;

●             NCRI - National Council of Resistance of Iran (27.3.2023): New Hijab Plan to be enforced soon, intelligent punishments for defiant women, https://women.ncr-iran.org/2023/03/27/new-hijab-plan-enforced/, Zugriff 5.4.2023;

●             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

●             RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (9.9.2022): FIFA Demands Explanation From Iran Over Barring Of Women From Soccer Match, https://www.rferl.org/a/iran-soccer-fifFIFA%20Demands%20Explanation%20From%20Iran%20Over%20Barring%20Of%20Women%20From%20Soccer%20Match, Zugriff 5.4.2023;

●             Spiegel - Spiegel, Der (19.1.2023): Iran schränkt Internetzugang für zwei Tage ein, https://www.spiegel.de/ausland/iran-schraenkt-internetzugang-fuer-zwei-tage-ein-a-bcd408c3-8285-45b1-9687-a167dcf6e38a, Zugriff 23.3.2023;

●             STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (3.5.2018): Iran: Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/de/dokument/1431384.html, Zugriff 16.3.2023 [Login erforderlich];

●             TehVak - Tehran Vakil (22.2.2023): اجازه خروج از کشور+دختر مجرد+پدر [Ausreiseerlaubnis + lediges Mädchen + Vater], https://www.tehran-atorney.com/%D8%A7%D8%AC%D8%A7%D8%B2%D9%87-%D8%AE%D8%B1%D9%88%D8%AC-%DA%A9%D8%B4%D9%88%D8%B1-%D8%AF%D8%AE%D8%AA%D8%B1-%D9%85%D8%AC%D8%B1%D8%AF-%D9%BE%D8%AF%D8%B1/, Zugriff 3.4.2023;

●             UNHRC - United Nations Human Rights Council (16.11.2021): Iran: Repeal “crippling” new anti-abortion law – UN experts, https://www.ohchr.org/en/press-releases/2022/01/iran-repeal-crippling-new-anti-abortion-law-un-experts, Zugriff 5.4.2023;

●             UNHRC - United Nations Human Rights Council (o.D.): View the ratification status by country or by treaty, https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/TreatyBodyExternal/Treaty.aspx?CountryID=81&Lang=EN, Zugriff 3.4.2023;

●             USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089063.html, Zugriff 22.3.2023;

●             WB - World Bank, The (21.2.2023): Labor force participation rate, female (% of female population ages 15+) (modeled ILO estimate) - Iran, Islamic Rep., https://data.worldbank.org/indicator/SL.TLF.CACT.FE.ZS?locations=IR, Zugriff 3.4.2023;

●             WB - World Bank, The (21.2.2023): Labor force participation rate, male (% of male population ages 15+) (national estimate) - Iran, Islamic Rep., https://data.worldbank.org/indicator/SL.TLF.CACT.MA.NE.ZS?locations=IR, Zugriff 3.4.2023;

●             WEF - World Economic Forum (13.7.2022): Global Gender Gap Report 2022, https://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2022.pdf, Zugriff 3.4.2023;

●             Wired - Wired (10.1.2023): Iran Says Face Recognition Will ID Women Breaking Hijab Laws, https://www.wired.com/story/iran-says-face-recognition-will-id-women-breaking-hijab-laws/?mc_cid=476a7f16e9&mc_eid=3e61af82a4, Zugriff 23.3.2023;

●             WP - Washington Post, The (1.12.2021): Iran doubles down on abortion and contraception restrictions, https://www.washingtonpost.com/world/2021/12/01/iran-doubles-down-abortion-contraception-restrictions/, Zugriff 5.4.2023 [kostenpflichtig, Login erforderlich];

Kinder

Iran hat das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit dem islamischen Recht) (CRC) und das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (CRC-OP-SC) ratifziert (AA 28.1.2022; vergleiche UNHRC o.D.). Nach einer Häufung von sogenannten Ehrenmorden hat das Parlament 2020 ein Gesetz verabschiedet, das den Schutz von Kindern vor Gewalttaten auch durch Verwandte stärken soll (AA 30.11.2022). Die Köpfung eines 14-jährigen Mädchens - mutmaßlich durch den eigenen Vater - löste landesweit Entrüstung aus und führte zur Annahme des Gesetzes "zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen". Es enthält neue Strafen für bestimmte Handlungen, welche die Sicherheit und das Wohlergehen eines Kindes beeinträchtigen, einschließlich körperlicher Schäden und der Verhinderung des Zugangs zu Bildung. Das Gesetz ermöglicht es den Behörden auch, Kinder in Situationen, die ihre Sicherheit ernsthaft gefährden, umzusiedeln. Das Gesetz geht jedoch nicht auf einige der schwerwiegendsten Bedrohungen für Kinder in Iran ein, wie Kinderehen oder die Verhängung der Todesstrafe (HRW 13.1.2021).

Rechtliche Bestimmungen und Behandlung im Strafwesen

Nach Anmerkung 1 zu Paragraph 1210, Zivilgesetzbuch (IZGB) beträgt das Volljährigkeitsalter für Knaben 15 Jahre, während die Volljährigkeit für Mädchen mit Vollendung des neunten Lebensjahres eintritt. Neben der Volljährigkeit gehört zur Geschäftsfähigkeit grundsätzlich auch die davon unabhängig zu beurteilende Reife. Gem. Paragraph 1208, IZGB ist diejenige Person unreif, deren Verfügungen über das eigene Vermögen oder die finanziellen Rechte unvernünftig sind. Nach dem zwischenzeitlich aufgehobenen Paragraph 1209, IZGB wurde bei Mädchen und Buben bis zum Ablauf des 18. Lebensjahrs die fehlende Reife vermutet. Obgleich die nötige Reife seit Aufhebung des Paragraph 1209, IZGB gesondert bestimmt werden muss, erfolgt in der Praxis keine gesonderte Feststellung. Vielmehr wird der aufgehobene Paragraph 1209, IZGB faktisch weiterhin angewendet. Die Unterscheidung in Anknüpfung an das Geschlecht in Bezug auf das Eintreten von Volljährigkeit findet sich ebenfalls im Strafgesetzbuch (IStGB) wieder. Demnach erreichen Mädchen mit neun und Knaben mit 15 Mondjahren die Strafmündigkeit (Artikel 147, IStGB) (BAMF 7.2020).

Im "Kapitel über die Strafen" des iranischen Strafgesetzbuches finden sich detaillierte Vorschriften, wie mit Jugendlichen umzugehen ist. Bei Straftaten, die mit Ta'zir-Strafen bedroht sind [Anm.: s. Kap. Rechtsschutz/Justizwesen für Begriffserklärungen zu Hadd, Qisas und Ta'zir], wird gegen Kinder und Jugendliche unter 15 Mondjahren eine Reihe von Erziehungsmaßnahmen verhängt, zwischen zwölf und 15 Jahren sind auch leichte Strafen möglich, wie die Ermahnung durch den Richter oder eine Selbstverpflichtung, keine Straftaten mehr zu begehen. Bei schweren und mittelschweren Straftaten ist die Unterbringung in einem Erziehungszentrum für drei Monate bis zu einem Jahr, unabhängig von den ebenso vorgesehenen milderen Strafen, möglich (Artikel 88, IStGB). Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren werden mit Unterbringung in einer Erziehungsanstalt bestraft, die bei schweren Straftaten bis zu fünf Jahren dauern kann. Bei mittelschweren und leichten Straftaten kann stattdessen eine Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit verhängt werden (Artikel 89, IStGB). Bei den Hadd- und Qisas-Delikten wird eine Person, welche die Strafmündigkeit erreicht hat, aber noch nicht 18 Jahre alt ist, und das Wesen der Straftat und ihres Verbots nicht erfasst hat, oder an deren geistiger und seelischer Reife Zweifel bestehen, je nach den Umständen mit denselben Strafen wie bei Ta'zir-Delikten bestraft (Artikel 91, IStGB). Zur Feststellung derartiger Zweifel kann das Gericht das Gutachten eines Gerichtsmediziners einholen; es kann sich aber auch jedes anderen Mittels bedienen (gesetzliche Erläuterung zu Artikel 91, IStGB). Das bedeutet, dass es beispielsweise Verwandte, Nachbarn, Lehrer oder andere Personen aus dem nahen Umfeld befragen kann. Damit hat das Gericht aber einen so großen Spielraum, dass es die schweren Hadd- und Qisas-Strafen bei Personen unter 18 Jahren fast immer vermeiden kann. Strafverfahren gegen Unter-18-Jährige: Nach iranischem Recht handelt es sich dabei nicht um Minderjährige. - Sie werden grundsätzlich gemäß Artikel 304, der iranischen Strafprozessordnung vor einem Gericht für Kinder und Heranwachsende behandelt (BAMF 7.2020). Verurteilte können für Verbrechen, die sie im Alter von unter 18 Jahren begangen haben, jedoch hingerichtet werden (FH 10.3.2023). Die Verhängung der Todesstrafe ist gegen männliche Jugendliche ab dem 15. Lebensjahr, für Mädchen ab dem neunten Lebensjahr möglich und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2020 wurden mindestens vier zur Tatzeit Minderjährige hingerichtet, 2021 zwei (AA 30.11.2022) und 2022 mindestens drei. Mindestens 85 weiteren Personen, die zum Tatzeitpunkt minderjährig waren, droht die Hinrichtung. Diese Vorgehensweise widerspricht dem von Iran unterzeichneten Übereinkommen über die Rechte des Kindes (CRC) (UNHRC 7.2.2023).

In Gefängnissen sind Erwachsene und Minderjährige oftmals nicht getrennt untergebracht (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021).

Behandlung von Jugendlichen im Zusammenhang mit den Protesten seit September 2022

Junge Menschen haben bei den Protesten seit September 2022 eine herausragende Rolle gespielt und waren von der anschließenden Niederschlagung betroffen (WP 1.12.2022). Die Regierung hat auf die Proteste von Jugendlichen mit der gleichen Taktik reagiert, die sie gegen Erwachsene anwendet. Laut Menschenrechtsgruppen, Anwälten und Eltern wurden einige erschossen und zu Tode geprügelt, andere wurden festgenommen und gemeinsam mit Erwachsenen inhaftiert, Minderjährige wurden verhört und bedroht (NYT 14.11.2022). Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHRNGO) wurden in den ersten beiden Monaten der Proteste über 60 Minderjährige von Sicherheitskräften getötet (IHRNGO 27.12.2022). Die iranischen Behörden bestätigten die umfassende Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an den Protesten, sowie ihre Überrepräsentation unter den Festgenommenen (UNHRC 7.2.2023; vergleiche AI 16.3.2023). Amnesty International (AI) dokumentierte Fälle von Minderjährigen, die im Zuge der Proteste festgenommen und in Haft gefoltert, vergewaltigt und sexuell missbraucht worden sind (AI 16.3.2023).

Geburtenregistrierung und Staatsbürgerschaft, rechtliche Behandlung unehelicher Kinder

Anmerkung, Die drei in der iranischen Verfassung anerkannten Buchreligionen (Judentum, Christentum, Zoroastrismus) genießen in Fragen des Ehe- und Familienrechts verfassungsrechtlich Autonomie (AA 30.11.2022) und dürfen somit ihr eigenes Personenstandsrecht anwenden, das allerdings der iranischen Gesetzgebung zur öffentlichen Ordnung entsprechen muss (McGlinn 2001). Bezüglich dieser Rechtsbereiche wird nachstehend vor allem auf die Situation von Frauen der schiitischen Mehrheitsgesellschaft - rd. 90 % der Bevölkerung (STDOK 3.5.2018) - sowie der nicht anerkannten Religionsgruppen (denen das Recht auf ein eigenes Ehe- und Familienrecht nicht zugesprochen wird) eingegangen.

Eine Geburt innerhalb der Landesgrenzen führt nicht zum Erwerb der Staatsbürgerschaft, es sei denn, ein Kind wird von unbekannten Eltern geboren. Während iranische Männer ihre Staatsbürgerschaft automatisch an ihre Kinder weitergeben, auch wenn die Mütter und Ehefrauen ausländische Staatsbürgerinnen sind, können Iranerinnen, die mit ausländischen Staatsbürgern verheiratet sind, ihre Staatsbürgerschaft erst seit 2020 an ihre Kinder weitergeben, und zwar auf Antrag. Da das Geheimdienstministerium und der Geheimdienst der Revolutionsgarden die Antragsteller einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen und die Sicherheitskriterien vage formuliert sind, befürchten Menschenrechtsaktivisten, dass Anträge willkürlich abgelehnt werden könnten, wenn die Eltern als regimekritisch wahrgenommen werden (USDOS 20.3.2023). Die ersten Personalausweise für solche Kinder wurden im Juli 2021 ausgestellt (FH 10.3.2023).

Das Gesetz schreibt vor, dass alle Geburten innerhalb von 15 Tagen registriert werden müssen (USDOS 20.3.2023). Zuständig für die Registrierung und Ausstellung einer Geburtsurkunde (Shenasnameh) ist die Nationale Organisation für Bürgerregistrierungen (Standesamt). Antragsberechtigte sind der Vater, Großvater väterlicherseits oder die Mutter des Kindes (BAMF 1.2023).

Ein Recht auf Ausstellung einer Geburtsurkunde für uneheliche Kinder, welches auch mit der Scharia konform ist und Gesetzeskraft besitzt, besteht seit einem Urteil des Obersten Gerichtshofes ab 1997. Ein Antrag auf Ausstellung einer Geburtsurkunde für "uneheliche" Kinder ist jedoch nicht ohne Risiko. Sobald festgestellt wird, dass ein Kind von unverheirateten Eltern geboren wurde, gelten die Eltern per Gesetz als Straftäter, die unerlaubten Geschlechtsverkehr gehabt haben, und sie können nach Artikel 221, IStGB 2013 mit 100 Peitschenhieben bestraft werden. Auch in Fällen, in denen der Vater des Kindes unbekannt ist, kann die Mutter einen Antrag bei Gericht stellen, und nach Zustimmung des Generalstaatsanwalts eine Geburtsurkunde für ihr Kind erhalten. Diese Geburtsurkunde enthält dann den Nachnamen der Mutter. Dies ist die einzige Situation, in der das Gesetz erlaubt, den Nachnamen der Mutter ihrem Kind zuzuordnen. Ansonsten erhält das Kind automatisch den Nachnamen des Vaters. Die Geburtsurkunde darf in diesem Ausnahmefall jedoch nicht nur mit dem Vor- und Nachnamen der Mutter ausgestellt werden, sondern enthält auch einen "hypothetischen" Namen des unbekannten Vaters, um zu vermeiden, dass der Abschnitt mit dem Namen des Vaters leer bleibt (BAMF 1.2023).

Da bei Kindern von unverheirateten Eltern keine familiäre Abstammung angenommen wird, sind Erbansprüche grundsätzlich ausgeschlossen. Neben diesen Einschränkungen sind für Personen, die von unverheirateten Eltern geboren wurden, hohe Schlüsselpositionen in der iranischen Gesellschaft nicht möglich. In den Bereichen von Steuerangelegenheiten, von Heirat und Scheidung, beim Sorgerecht, bei Fragen der Vormundschaft und des Unterhaltes sind uneheliche Kinder jedoch ehelichen Kindern rechtlich grundsätzlich gleichgestellt, sofern den unehelichen Kindern eine Geburtsurkunde ausgestellt wird (BAMF 1.2023).

Es besteht die Möglichkeit, die Familie nachträglich nach der Geburt eines Kindes legalisieren zu lassen. Indem die Eltern eines unehelichen Kindes später heiraten, bekommt das Kind den Status eines ehelichen Kindes. Fehlt alleinstehenden Frauen allerdings der Rückhalt ihres Partners bzw. ihrer eigenen Familie, so befinden sie sich schnell am Rande der Gesellschaft und sind gezwungen, sich zum Wohle ihres Kindes mit der Gesellschaft zu arrangieren. Zwar sind nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofes die leiblichen Eltern unehelicher Kinder verpflichtet, ihren elterlichen Pflichten in Hinblick auf die Personensorge nachzukommen, und der leibliche Vater bzw. auch der biologische Großvater väterlicherseits sind dem unehelichen Kind gegenüber unterhaltspflichtig. Im Fall, dass beide unbekannt sind bzw. sich beide ihrer Verantwortung entziehen, muss die Mutter ihr Kind allerdings finanziell allein versorgen (BAMF 1.2023).

Heirat von Minderjährigen

Zwangsverheiratungen von Minderjährigen kommen vor allem in ländlichen Gebieten vor. Dies betrifft meistens Mädchen und dient der finanziellen Entlastung der Familie (AA 30.11.2022). Nach dem iranischen Zivilgesetzbuch können Mädchen ab einem Alter von 13 und Buben ab einem Alter von 15 Jahren heiraten. Mit Zustimmung des Vaters – unter Umständen auch des Großvaters – und eines Richters kann eine Ehe auch vorher geschlossen werden (AA 30.11.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). Aus Sicht der vier sunnitischen Rechtsschulen, die gem. Artikel 12, der Verfassung hierzu eigene Personalstatuten haben, beträgt das Mindestheiratsalter bei Mädchen neun Jahre und bei Buben neun bis zwölf Jahre. Dies ist einer der Gründe, weshalb gerade in den von Sunniten besiedelten Gebieten, die als religiöse Minderheit in Iran gelten, Ehen von Mädchen im Kindesalter besonders häufig vorkommen. Obwohl es in den letzten Jahren vielfältige Reformvorhaben gegeben hat, die Gesetze zur Kinderehe in Iran zu ändern, scheiterten diese Vorhaben am Widerstand der konservativen Regierungsmitglieder (BAMF 1.2023).

Laut dem iranischen Statistikzentrum lag die Zahl der im Alter zwischen zehn und 14 Jahren verheirateten Mädchen von März bis November 2021 bei fast 10.000, eine Steigerung um 32 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (AA 30.11.2022), wobei die Ehefrauen bei rund einem Fünftel aller im Jahr 2020 registrierten Hochzeiten unter 18 Jahre alt waren, rund 5 % unter 15 (IrWire 1.4.2022). Kinderehen sind vor allem in den von ethnischen und religiösen Minderheiten bewohnten Randprovinzen stark verbreitet. So kommen diese besonders häufig in den sechs Provinzen Sistan und Belutschistan, Khuzestan, Khorasan Razavi, Golestan, Kerman und Ost-Asarbaidschan vor (BAMF 1.2023; vergleiche USDOS 20.3.2023). Ursache von Kinderehen sind konservative religiöse und kulturelle Hintergründe; die Angst um eine Verletzung der Familienehre durch vorehelichen Geschlechtsverkehr; Drogensucht; Armut der Eltern; Landflucht; und ein niedriger Bildungsstand (BAMF 1.2023). Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen ist die Zunahme der Kinderehen zum Teil auf ein staatliches "Heiratsdarlehen"-Programm zurückzuführen, das armen Familien, die ihre Mädchen verheiraten wollen, finanzielle Erleichterungen verschafft (USDOS 20.3.2023). Eltern dürfen ihre adoptierten Kinder heiraten, sofern ein Gericht zustimmt (AA 30.11.2022).

Das gesetzliche Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr ist das Gleiche wie für die Ehe, da Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe illegal ist. Es gibt keine speziellen Gesetze zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern, da solche Straftaten entweder unter die Kategorie Kindesmissbrauch oder Sexualdelikte des Ehebruchs fallen. Das Gesetz geht nicht direkt auf sexuelle Belästigung ein und sieht auch keine Strafe dafür vor. Die Unklarheit zwischen den gesetzlichen Definitionen von Kindesmissbrauch und sexueller Belästigung kann dazu führen, dass Fälle von sexueller Belästigung von Kindern nach dem Gesetz über Ehebruch verfolgt werden. Zwar gibt es keine gesonderte Bestimmung für die Vergewaltigung eines Kindes, doch kann das Verbrechen der Vergewaltigung unabhängig vom Alter des Opfers mit dem Tod bestraft werden (USDOS 20.3.2023).

Bildungswesen

Iran ist ein Land, in dem die Bildung einen hohen Stellenwert genießt (BAMF 7.2020). Iranische Schulen bieten sowohl Männern als auch Frauen eine qualitativ hochwertige Ausbildung in Natur- und Geisteswissenschaften, die mit anderen Ländern in der Region vergleichbar ist. Das iranische Schulsystem kann in zwei Grundstufen unterteilt werden: Grund- und Sekundarschulbildung. Viele Familien entscheiden sich jedoch dafür, ihr Kind auch in der Vorschule anzumelden, wobei etwa 64 % der Kinder im Alter von 5 Jahren die Vorschule besuchen. Im Iran umfasst die Grundschule eine sechsjährige Schulzeit, die bei den meisten Kindern im Alter von sechs Jahren beginnt. Die Grundschulbildung ist verpflichtend und kostenlos, weshalb 99,8 % der iranischen Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren in Grundschulen eingeschrieben sind. Nach Abschluss der Grundschule treten iranische Schüler in die Sekundarstufe ein, die in zwei Phasen unterteilt ist: Sekundarstufe römisch eins und Sekundarstufe römisch II. Die Sekundarstufe römisch II ist in drei Zweige unterteilt: einen akademischen, einen technischen und einen beruflichen. Ob Schüler den akademischen Zweig antreten können, wird durch ihre Prüfungsergebnisse am Ende des Sekundarstufe römisch eins bestimmt. Alle drei Zweige umfassen einen Zeitraum von drei Jahren mit Absolvierung eines der Bildungsgänge, die zum Erwerb der Hochschulreife führen. Darüber hinaus erhalten diejenigen Schüler und Schülerinnen, die entweder den technischen oder den beruflichen Weg absolvieren, ein "Technikerzertifikat". Um den tertiären, akademischen Bildungsweg fortzusetzen, muss eine nationale standardisierte Aufnahmeprüfung absolviert werden, der "Konkur". Nur Rund 10 % der Prüfungsabsolventinnen und -absolventen bekommen einen Platz an einer öffentlichen Universität. Der tertiäre Bildungsweg bleibt in Iran jedoch sehr beliebt: Fast 60 % der Iranerinnen und Iraner im Alter von 18 bis 22 Jahren sind an einer postsekundären Bildungseinrichtung eingeschrieben. Im Iran findet die Hochschulbildung in einer Kombination aus öffentlichen und privaten Einrichtungen statt. Öffentliche tertiäre Einrichtungen sind meist kostenfrei, während private Einrichtungen üblicherweise Studiengebühren verlangen (AIC 12.7.2022). Die Grund- und Sekundarschulbildung ist kostenlos. Kindern, die keinen staatlichen Identitätsnachweis besitzen, wird das Recht auf Bildung verweigert. Der Gebrauch von Minderheitensprachen als Unterrichtssprache an Schulen ist nicht erlaubt (USDOS 20.3.2023).

Obwohl der Grundschulbesuch bis zum Alter von elf Jahren für alle kostenlos und verpflichtend ist, berichten Medien und andere Quellen über eine geringere Einschulung in ländlichen Gebieten, insbesondere bei Mädchen. Sie können von der Schulpflicht ausgenommen werden, wenn sie verheiratet sind. Das oben erwähnte Kinderschutzgesetz aus dem Jahr 2020 sieht finanzielle Strafen für Eltern oder Erziehungsberechtigte vor, die nicht für den Zugang ihrer Kinder zur Sekundarschulbildung sorgen (USDOS 20.3.2023). Auf der einen Seite gibt es an den Schulen eine institutionalisierte Ungleichheit der Geschlechter, welche die Qualität der Bildung, die Frauen erhalten, aktiv beeinträchtigt. Alle Schulen sind nach Geschlechtern getrennt, sowohl in Bezug auf Schüler als auch auf Lehrer. Es ist bekannt, dass iranische Schulbücher Bilder und Schriften enthalten, die Frauen zugunsten von Männern diskriminieren. Ferner wird berichtet, dass dreimal so viele Mädchen im schulpflichtigen Alter keine Bildung erhalten wie Buben. Andererseits hat der Iran immense Fortschritte in den Bereichen Alphabetisierung von Frauen, Grundschulbildung und Hochschulbildung gemacht. Am bemerkenswertesten ist die weibliche Dominanz in der tertiären Bildung (AIC 12.7.2022). Frauen sind an den Universitäten des Landes stark vertreten (BAMF 7.2020; vergleiche AIC 12.7.2022). Mittlerweile ist die Mehrheit der Studierenden weiblich (BAMF 7.2020), wobei es für Frauen Zugangsbeschränkungen zu bestimmten Studienfächern gibt (Zeit online 10.3.2023). Universitäten bieten mehrheitlich den gemeinsamen Zugang für Männer sowie Frauen an. Andererseits gibt es jedoch einige Universitäten in Iran, die lediglich für Männer oder Frauen zugänglich sind (BAMF 7.2020).

Laut Menschenrechtsgruppen und Regierungsbeamten wurden zwischen November 2022 und März 2023 bis zu 7.000 Schulmädchen an Dutzenden von Schulen in mindestens 28 der 31 iranischen Provinzen vergiftet. Hunderte wurden mit Symptomen wie Atemnot, Taubheitsgefühl in den Gliedern, Herzklopfen, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen ins Krankenhaus eingeliefert. Der Ausbruch an Mädchenschulen, der erstmals in der heiligen Stadt Ghom gemeldet wurde, löste erneute Proteste gegen die Regierung aus (USIP 16.3.2023). Auch aufgrund der Proteste von Eltern haben die Behörden inzwischen eingeräumt, dass es sich um vorsätzliche Vergiftungen handeln könnte. Über die Täter und Motive gibt es derzeit allerdings nur Spekulationen (Zeit online 10.3.2023; vergleiche USIP 16.3.2023). Hochrangige Regierungsvertreter beschuldigten die Täter der Angriffe, Mädchen am Schulbesuch hindern zu wollen, wobei viele der Proteste seit September 2022 an Schulen ihren Ursprung hatten (USIP 16.3.2023). In Hinblick auf die Proteste nach dem Tod von Mahsa (Jina) Amini wurden 23 staatliche Übergriffe auf höhere Schulen in Städten in ganz Iran dokumentiert, bei denen Milizangehörige in Zivil und Geheimdienstagenten Schüler verhörten, schlugen und durchsuchten oder Schulbehörden Schüler bedrohten oder angriffen (NYT 14.11.2022). Im Zuge der Niederschlagung der Proteste wurden bei Razzien an Universitäten mehrere Hundert Studenten verhaftet (FH 10.3.2023).

Kinderarbeit

Das iranische Recht verbietet Kinderarbeit bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres; bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gibt es diverse Einschränkungen (z.B. keine Schwer-/Nachtarbeit). In Familienbetrieben lässt das Gesetz allerdings die Beschäftigung von Kindern unter 15 Jahren zu. Der iranische Staat schätzt, dass zwei (AA 30.11.2022) bis drei Millionen Kinder arbeiten (USDOS 29.7.2022), nach inoffiziellen Schätzungen sind bis zu sieben Millionen Kinder betroffen (v.a. afghanische Geflüchtete) (AA 30.11.2022; vergleiche USDOS 29.7.2022). Afghanische Kinder, hauptsächlich Buben, werden gezwungen, als billige Arbeits- und Haushaltskräfte tätig zu sein, was oft mit schuldenbasiertem Zwang, Bewegungseinschränkungen, Nichtzahlung von Löhnen und körperlicher oder sexueller Misshandlung verbunden ist. Nach Angaben eines iranischen Regierungsvertreters dürfte die Anzahl der arbeitenden Kinder durch die COVID-19-Pandemie und den damit verbundenen wirtschaftlichen Abschwung zugenommen haben (USDOS 29.7.2022). Nach offiziellen Statistiken leben über zwei Millionen Kinder in Iran auf der Straße. Viele von ihnen sind als Straßenverkäufer tätig. Politische Initiativen, Straßenkinder in ihre Familien zurückzubringen, verliefen nicht erfolgreich (AA 30.11.2022). Die Revolutionsgarden sollen Tausende von in Iran lebenden afghanischen Migranten mithilfe von Zwangstaktiken für den Kampf in Syrien rekrutiert haben. Unter den Rekrutierten sollen sich Kinder im Alter von 14 Jahren befinden (FH 10.3.2023; vergleiche USDOS 29.7.2022).

Menschenhandel

Aufgrund der mangelnden Transparenz der Regierung bezüglich des Menschenhandels in Iran, insbesondere im Hinblick auf Frauen und Mädchen, werden keine Statistiken vorgelegt (NCRI 21.4.2021). Die Regierung meldete keine Strafverfolgungsmaßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels, und Beamte verüben weiterhin ungestraft Delikte in Bezug auf Menschenhandel, darunter den Sexhandel von Erwachsenen und Kindern (USDOS 29.7.2022).

Weitere geschlechtsspezifische Gewalt

Weibliche Genitalverstümmelung (FGM) ist gesetzlich verboten. Es gibt kaum aktuelle Daten zur Durchführung von FGM in Iran, ältere Informationen legen jedoch nahe, dass diese Praxis vor allem in sunnitischen Shafi'i-Gemeinschaften in den Provinzen Hormuzgan, Kurdistan, Kermanshah und West-Aserbaidschan an fünf- bis achtjährigen Mädchen durchgeführt wurde (USDOS 20.3.2023). UNFPA berichtet vereinzelt von Fällen FGM innerhalb der sunnitischen Minderheit. Die iranische Mehrheitsgesellschaft lehnt FGM jedoch ab (AA 30.11.2022).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Iran (Stand: 23.12.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 24.3.2023 [Login erforderlich];

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

●             AI - Amnesty International (16.3.2023): Iran: Child detainees subjected to flogging, electric shocks and sexual violence in brutal protest crackdown, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2023/03/iran-child-detainees-subjected-to-flogging-electric-shocks-and-sexual-violence-in-brutal-protest-crackdown/, Zugriff 23.3.2023;

●             AIC - American Iranian Council (12.7.2022): MYTH vs. FACT: Education in Iran, http://www.us-iran.org/resources/2016/10/10/education, Zugriff 4.4.2023;

●             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.2023): Länderreport 56 Iran: Rechtliche Situation der Frauen, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683484/6029645/24047468/-/Deutschland._Bundesamt_f%FCr_Migration_und_Fl%FCchtlinge%2C_Iran_-_Rechtliche_Situation_der_Frauen%2C_01.01.2023._%28L%E4nderreport___56%29.pdf, Zugriff 3.4.2023;

●             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.2020): Länderreport 28 Iran: Frauen Rechtliche Stellung und gesellschaftliche Teilhabe, https://coi.euaa.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_28_Iran_July-2020.pdf, Zugriff 3.4.2023;

●             FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Iran, https://freedomhouse.org/country/iran/freedom-world/2023, Zugriff 14.3.2023;

●             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html, Zugriff 4.4.2023;

●             IHRNGO - Iran Human Rights (27.12.2022): At Least 100 Protesters Facing Execution, Death Penalty Charges or Sentences; At Least 476 Protesters Killed, https://iranhr.net/en/articles/5669/, Zugriff 22.3.2023;

●             IrWire - Iran Wire (1.4.2022): Official Statistics: One Fifth of All Marriages in Iran are Child Marriages, https://iranwire.com/en/society/102678-official-statistics-one-fifth-of-all-marriages-in-iran-are-child-marriages/, Zugriff 4.4.2023;

●             McGlinn - McGlinn, Senn (2001): Family Law in Iran, https://bahai-library.com/pdf/m/mcglinn_family_law_iran.pdf, Zugriff 5.4.2023;

●             NCRI - National Council of Resistance of Iran (21.4.2021): Trafficking of Iranian Women Often Takes Place Through Three Provinces, https://women.ncr-iran.org/2021/04/21/trafficking-of-iranian-women/, Zugriff 4.4.2023;

●             NYT - New York Times, The (14.11.2022): Stymied by Protests, Iran Unleashes Its Wrath on Its Youth, https://www.nytimes.com/2022/11/14/world/middleeast/iran-protests-children.html, Zugriff 4.4.2023;

●             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

●             STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (3.5.2018): Iran: Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/de/dokument/1431384.html, Zugriff 16.3.2023 [Login erforderlich];

●             UNHRC - United Nations Human Rights Council (7.2.2023): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2088389/G2301095.pdf, Zugriff 14.3.2023;

●             UNHRC - United Nations Human Rights Council (o.D.): View the ratification status by country or by treaty, https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/TreatyBodyExternal/Treaty.aspx?CountryID=81&Lang=EN, Zugriff 3.4.2023;

●             USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089063.html, Zugriff 22.3.2023;

●             USDOS - United States Department of State [USA] (29.7.2022): Trafficking in Persons Report July 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2077588.html, Zugriff 4.4.2023;

●             USIP - United States Institute of Peace [USA] (16.3.2023): Mass Poisoning of Schoolgirls in Iran, https://iranprimer.usip.org/blog/2023/mar/08/mass-poisoning-schoolgirls-iran, Zugriff 4.4.2023;

●             WP - Washington Post, The (1.12.2022): Minors in Iran could face death penalty on protest-related charges, https://www.washingtonpost.com/world/2022/12/01/iran-minors-death-penalty-protests/, Zugriff 4.4.2023 [kostenpflichtig, Login erforderlich];

●             Zeit online - Zeit online (10.3.2023): Wird es gefährlich, sich zu bilden?, https://www.zeit.de/kultur/2023-03/iran-schuelerinnen-vergiftung-bildung-frauen/komplettansicht, Zugriff 4.4.2023;

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Im Prinzip respektiert die Regierung diese Rechte, es gibt jedoch einige Einschränkungen, besonders für Frauen und Flüchtlinge. Die Regierung verlangt von allen Bürgern für Auslandsreisen eine Ausreisebewilligung. Bürger, die auf Staatskosten ausgebildet wurden oder Stipendien erhalten haben, müssen diese entweder zurückzahlen, oder erhalten befristete Ausreisebewilligungen. Die Regierung schränkt auch die Reisefreiheit von einigen religiösen Führern, Mitgliedern von religiösen Minderheiten und Wissenschaftern in sensiblen Bereichen ein. Journalisten, Akademiker, oppositionelle Politiker, Künstler sowie Menschen- und Frauenrechtsaktivisten sind von Reiseverboten und Konfiszierung der Reisepässe betroffen (USDOS 20.3.2023).

Zur rechtmäßigen Ausreise aus der Islamischen Republik Iran benötigen iranische Staatsangehörige einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (gestaffelte Gebühr: derzeit 4 bis 8 Millionen Rial [Stand 31.3.2023: 8,7 bis 17 Euro - Wechselkurse schwanken stark]). Die illegale Ausreise erfolgt zumeist auf dem Landweg unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Türkei (AA 30.11.2022). Verheiratete Frauen dürfen nicht ohne die Zustimmung ihrer Männer ins Ausland reisen (USDOS 20.3.2023; vergleiche FH 10.3.2023).

Zu den Gerichtsurteilen gehört manchmal die interne Verbannung nach der Haftentlassung. So werden Personen daran gehindert, in bestimmte Provinzen zu reisen. Frauen benötigten oft die Aufsicht eines männlichen Vormunds oder einer Aufsichtsperson, um reisen zu können. Sie werden mitunter behördlichen und gesellschaftlichen Schikanen ausgesetzt, wenn sie alleine reisen (USDOS 20.3.2023).

Ausweichmöglichkeiten

Soweit Repressionen praktiziert werden, geschieht dies landesweit unterschiedslos. Zivile und militärische Verwaltungsstrukturen arbeiten effektiv. Ausweichmöglichkeiten bestehen somit nicht (AA 30.11.2022).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

●             FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Iran, https://freedomhouse.org/country/iran/freedom-world/2023, Zugriff 14.3.2023;

●             USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089063.html, Zugriff 22.3.2023;

Grundversorgung und Wirtschaft

Die Grundversorgung ist gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch ein enger Familienzusammenhalt sowie das islamische Spendensystem beitragen (AA 30.11.2022). Die iranische Regierung hat angekündigt, den monatlichen Mindestlohn ab März 2023 auf ca. 56 Millionen Rial festzulegen [mit Stand 12.4.2023 umgerechnet 100 Euro - aufgrund von Inflation und Wechselkursveränderung stark schwankend] (IRINTL 1.2.2023). Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines städtischen Haushalts lag 2019 (letzte offiziell verfügbare Zahlen) bei rund 747 Millionen Rial (AA 30.11.2022). Nach Angaben des iranischen Ministeriums für Kooperativen, Arbeit und Wohlfahrt benötigt eine Familie mit vier Personen in Teheran schätzungsweise mindestens 147 Millionen Rial [am 12.4.2023 ca. 260 Euro] monatlich, um nicht unter die Armutsgrenze zu rutschen, im Landesdurchschnitt sind es ca. 77 Millionen Rial [am 12.4.2023 ca. 140 Euro] (IRINTL 1.2.2023).

Angesichts der immer schärferen US-Sanktionen und des dramatischen Währungsverfalls hat sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche BS 23.2.2022). Iran befindet sich weiterhin in einer ökonomisch hochproblematischen Lage. Die Trends der vergangenen Jahre setzen sich weiter fort (BAMF 13.2.2023). Im Februar 2023 erreichte der Rial mit ca. 1:580.000 zum US-Dollar seinen bisherigen Tiefststand, wobei die Währung in den vergangenen zehn Jahren 94 % ihres Werts verloren hat (IRINTL 30.3.2023). Dies verteuert vor allem Importe auf breiter Front (BAMF 13.2.2023) und brachte im Februar 2023 viele Unternehmen fast zum Stillstand (IRINTL 26.2.2023). Gründe sind die US-Sanktionen und deren extraterritoriale Anwendung und damit Zurückhaltung europäischer Unternehmen vor Geschäften mit Iran, aber auch die Folgen der COVID-19-Pandemie. Viele Privatunternehmen mussten aufgrund fehlender Devisen und Importmöglichkeiten von Rohstoffen, Bestandteilen oder Ausrüstung die Produktion drosseln oder schließen (ÖB Teheran 11.2021).

Neben der Abwertung des Rial sieht sich das Land auch mit einer ungezähmten Inflation konfrontiert, die laut einem Bericht des Statistischen Zentrums Irans am 19.2.2023 bei mehr als 53 % lag (AJ 2.3.2023) und in den vergangenen vier Jahren durchgehend über 40 % betrug, was sich negativ auf die Kaufkraft der Haushalte auswirkt (WB 20.10.2022). Lebensmittel waren davon zuletzt besonders stark betroffen (AJ 2.3.2023; vergleiche BAMF 13.2.2023).

Gleichzeitig reichte die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht aus, um die große Zahl junger und gebildeter Berufsanfänger zu absorbieren (WB 20.10.2022). Neben Arbeitslosigkeit spielt auch Unterbeschäftigung eine Rolle. Ausgebildete Arbeitskräfte (Facharbeiter, Uni-Absolventen) finden oft keine ihrer Ausbildung entsprechenden Jobs. Daraus folgen soziale Spannungen, aber auch ein beträchtlicher "Braindrain", der die Gesellschaft und Wirtschaft beeinträchtigt. Angesichts der Kaufkrafteinbußen können viele Menschen ihre Lebenshaltungskosten nur sehr knapp abdecken, jede Verschlechterung führt zu Verzweiflung. So kam es zu lokal begrenzten kurzzeitigen Protesten und Streiks, etwa wegen Gehaltsrückständen und schlechter Arbeitsbedingungen oder aufgrund des Preisdrucks in der Produktion (ÖB Teheran 11.2021) oder aufgrund der gestiegenen Lebenshaltungskosten (IRINTL 26.2.2023).

Inoffizielle Schätzungen zur Armutsrate gehen von mindestens 15-20 Millionen Iranerinnen und Iranern aus (bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 83 Millionen), die in absoluter Armut leben, wobei die COVID-19-Pandemie und ihre Folgen das Armutsrisiko weiter erhöht haben (BS 23.2.2022). Laut einem Bericht des iranischen Ministeriums für Kooperativen, Arbeit und Wohlfahrt lebt rund ein Drittel der iranischen Bevölkerung in extremer Armut. Ihre Anzahl hat sich von 2020 auf 2021 verdoppelt. Rund zwei Drittel der Bevölkerung leben laut offiziellen Zahlen des Innenministeriums in relativer Armut (IRINTL 1.2.2023). Laut dem Human Development Index (HDI) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) befindet sich Iran mit einem Indexwert von 0,774 für das Jahr 2021 (letztverfügbare Daten) unter den Ländern mit einem hohen Entwicklungsstand. Der HDI misst den Entwicklungsstand von Staaten anhand der Faktoren "langes und gesundes Leben", "Zugang zu Bildung" und "menschenwürdige Lebensstandards für die Bevölkerung". Während die errechneten Indexwerte für Iran im Zeitraum 1990-2017 gestiegen sind, nehmen sie seit 2018 wieder ab (UNDP 8.9.2022).

Die Wirtschaft zeichnet sich durch ihren Kohlenwasserstoff-, Landwirtschafts- und Dienstleistungssektor sowie eine bemerkenswerte staatliche Präsenz in der verarbeitenden Industrie und den Finanzdienstleistungen aus. Iran steht weltweit an zweiter Stelle, was die Größe der Erdgasreserven betrifft, und bei den nachgewiesenen Rohölreserven an vierter Stelle (WB 20.10.2022). Obwohl die iranische Wirtschaft für ein erdölexportierendes Land relativ diversifiziert ist (WB 20.10.2022; vergleiche BPB 15.5.2020) und über ein Reservoir gut ausgebildeter Arbeitskräfte verfügt (BPB 15.5.2020), hängen die Wirtschaftstätigkeit und die Staatseinnahmen von den Öleinnahmen ab und sind daher volatil (WB 20.10.2022; vergleiche BPB 15.5.2020). Die unter US-Präsident Trump verhängten Sanktionen schränken die Fähigkeit Irans, Absatzmärkte für Öl zu finden, empfindlich ein. Außerdem bekam Iran nur unzureichend Zugang zu Hochtechnologien, was dazu beiträgt, dass die Erdölanlagen nur mangelhaft instandgehalten und das Potenzial der enormen Vorkommen an Naturgas nicht annähernd ausgeschöpft wird. Dies verschärft die Depression, in die das Land bereits 2018 geschlittert ist, noch weiter (BPB 31.1.2020b).

Der staatliche Sektor (staatliche und halbstaatliche Unternehmen) macht etwa 80 % der iranischen Wirtschaftstätigkeit aus, während der private und kooperative Sektor nur einen Anteil von rund 20 % hat. Viele Staatsbetriebe gehören nicht der Regierung, sondern wirtschaftlich starken religiösen, revolutionären und militärischen Stiftungen ("Bonyads"). Diese werden direkt oder indirekt vom Obersten Führer kontrolliert und genießen viele Privilegien, wie Steuerbefreiungen und exklusiven Zugang zu lukrativen Regierungsaufträgen (BS 23.2.2022). Das exakte Ausmaß der Vermögenswerte und Aktivitäten der Bonyads ist nicht bekannt, sie spielen in der iranischen Wirtschaft jedoch eine bedeutsame Rolle (MEI 7.6.2022). Die Bonyads beanspruchen für sich, eine Vielzahl von Aktivitäten im Zusammenhang mit Sozialarbeit, Beratungs-, Sozial- und Rehabilitationsdiensten durchzuführen (MEI 29.1.2009). Sie sind eine wichtige Säule im Machtapparat des Regimes (LMD 2020b). Die größten Organisationen sind die Imam-Reza-Stiftung (LMD 2020b) oder Astân Quds Razavi, eine Stiftung, die den Schrein von Imam Reza in Mashhad verwaltet und mit sechs großen Holdinggesellschaften und insgesamt 351 Firmen als größter Landbesitzer im Nahen Osten gilt; die Märtyrer-Stiftung (Bonyâd Shahid), die mehr als 250 Unternehmen kontrolliert (MEI 7.6.2022); die Stiftung für die Unterdrückten (Bonyâd Mostazâfan) (MEI 7.6.2022; vergleiche LMD 2020b), die mehr als 400 Unternehmen und Tochtergesellschaften in fast allen Sektoren der Industrie beaufsichtigt; die Imam Khomeini Relief Foundation (Comité Emdâd Emâm Khomeini), ein weiterer führender Akteur mit ihren vier Beteiligungen (MEI 7.6.2022); und das Stabszentrum zur Ausführung des Imam-Dekrets (Setâd Ejrâ-ye Farmân Emâm) (LMD 2020b; vergleiche MEI 7.6.2022), das in den meisten Industrie- und Unternehmenssektoren tätig ist (MEI 7.6.2022). Die Revolutionsgarden sind mit einigen der Bonyads eng verbunden (MEI 3.5.2022). Sie sind wirtschaftlich ebenso aktiv und haben ihre eigenen finanziellen, wirtschaftlichen, industriellen und landwirtschaftlichen Zweige. Das Wirtschaftskonglomerat Khatam al-Anbiyam, das sich im Besitz der Revolutionsgarden befindet, hat es geschafft, ein Monopol auf große Infrastrukturprojekte in Iran aufzubauen (MEI 7.6.2022). Die Vermengung der politischen mit der wirtschaftlichen Sphäre hat eine staatliche Verteilungs- und Klientelpolitik gefördert, die mit hoher Korruption einhergeht (BPB 31.1.2020b; vergleiche MEI 7.6.2022).

Die iranische Wirtschaft ist in vielen Bereichen zentralisiert und steht zu großen Teilen unter staatlicher Kontrolle. So haben viele iranische Unternehmen neben wirtschaftlichen auch politische Ziele zu erfüllen. Durch regelmäßige staatliche Eingriffe über Preisregulierungen und Subventionen, die in aller Regel politische Ursachen haben, konnte sich bisher eine eigenständige Wirtschaft nur bedingt entwickeln. Eine etablierte Privatwirtschaft gibt es vor allem auf dem Basar, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsgewerbe (GIZ 12.2020a). Der Staat hat einen erheblichen Einfluss auf die Preisgestaltung, die Festsetzung des [offiziellen] Wechselkurses und des Zollsatzes, die Kontrolle von Handel und Investitionen und die Verwaltung der Kernindustrien, insbesondere des Öl- und Petrochemiesektors. Das Ministerium für Arbeit und Soziales regelt die Lohnhöhe, berechnet die Inflation und analysiert die Wirtschaftslage (BS 23.2.2022).

Als die Behörden im November 2019 den Treibstoffpreis um 300 % erhöhten, kam es zu den bis zu diesem Zeitpunkt größten Protesten der Islamischen Republik (IrFocus 6.2.2023). Im Februar 2023 kündigte die Regierung einen Privatisierungsplan an, der in den nächsten zwei Jahren umgesetzt werden und das staatliche Budget aufbessern soll (IRINTL 4.2.2023). Ökonomen befürchten allerdings, dass von den Privatisierungen vor allem einflussreiche, gut vernetzte Unternehmer profitieren werden (Fanack 6.3.2023; vergleiche IRINTL 4.2.2023). Von 2001 bis 2013 fanden mehrere Privatisierungsrunden statt, bei denen größtenteils staatsnahe Akteure, wie die Basij, die Revolutionsgarden, Stiftungen, Geistliche und andere mit dem Regime verbundene Geschäftsleute Staatsbesitz erwarben. Als die Behörden in Reaktion auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie 2020 weitreichende Privatisierungen durchführten, von denen auch wieder v. a. Angehörige und Verbündete von hohen Regierungsvertretern profitierten, hat dies Proteste ausgelöst. Darüber hinaus führten die Privatisierungen in den meisten iranischen Städten zu groß angelegten Streiks, da neue Investoren die Kosten senkten, indem sie einen großen Anteil an Bergleuten während der Pandemie entlassen haben (Fanack 6.3.2023).

Iranische Banken sind seit der Wiedereinführung der Sanktionen im Jahr 2018 vom SWIFT-System ausgeschlossen (MEE 30.1.2023).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

●             AJ - Al Jazeera (2.3.2023): Free-falling rial leaves Iranians worried about financial future, https://www.aljazeera.com/economy/2023/3/2/iran-rial-depriciation, Zugriff 31.3.2023;

●             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (13.2.2023): Briefing Notes KW 7, https://www.ecoi.net/de/dokument/2087060.html, Zugriff 31.3.2023;

●             BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (15.5.2020): Irans Wirtschaft im Zeichen von US-Sanktionen und Corona-Krise, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/309950/irans-wirtschaft-im-zeichen-von-us-sanktionen-und-corona-krise/, Zugriff 31.3.2023;

●             BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (31.1.2020): Erdöl, Klientelpolitik, Sanktionen: Irans sozioökonomische Entwicklung, https://www.bpb.de/themen/naher-mittlerer-osten/iran/40128/erdoel-klientelpolitik-sanktionen-irans-soziooekonomische-entwicklung/, Zugriff 31.3.2023;

●             BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069656/country_report_2022_IRN.pdf, Zugriff 14.2.2023;

●             Fanack - Fanack Foundation (6.3.2023): Iran Privatization Wave Raises Concern, https://fanack.com/economy-en/iran-privatization-wave-raises-concern~252421/, Zugriff 31.3.2023;

●             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2020): Iran: Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 31.3.2023;

●             IrFocus - Iran Focus (6.2.2023): To Stay in Power, Iran’s Regime Liquidates National Assets, https://iranfocus.com/economy/49326-to-stay-in-power-irans-regime-liquidates-national-assets/, Zugriff 31.3.2023;

●             IRINTL - Iran International (1.2.2023): Poverty Doubled In Iran In One Year - Welfare Ministry, https://www.iranintl.com/en/202301025682, Zugriff 31.3.2023;

●             IRINTL - Iran International (26.2.2023): Iran Experiencing New Strikes, Protests As Rial Keeps Falling, https://www.iranintl.com/en/202302262641, Zugriff 22.3.2023;

●             IRINTL - Iran International (30.3.2023): Iran Economy In 'Miserable State': Economist, https://www.iranintl.com/en/202303302224, Zugriff 31.3.2023;

●             IRINTL - Iran International (4.2.2023): pposition Growing To Iran's Liquidation Of Public Assets, https://www.iranintl.com/en/202302036079, Zugriff 31.3.2023;

●             LMD - Le Monde diplomatique (2020): Undurchschaubar und korrupt, Zugriff 31.3.2023;

●             MEE - Middle East Eye (30.1.2023): Russia and Iran launch payment system as an alternative to Swift, https://www.middleeasteye.net/news/russia-and-iran-launch-payment-system-alternative-swift, Zugriff 31.3.2023;

●             MEI - Middle East Institute (29.1.2009): Iranian Para-governmental Organizations (bonyads), https://www.mei.edu/publications/iranian-para-governmental-organizations-bonyads, Zugriff 31.3.2023;

●             MEI - Middle East Institute (3.5.2022): Iran’s Revolutionary Guard and the Rising Cult of Mahdism: Missiles and Militias for the Apocalypse, https://www.mei.edu/publications/irans-revolutionary-guard-and-rising-cult-mahdism-missiles-and-militias-apocalypse, Zugriff 31.3.2023;

●             MEI - Middle East Institute (7.6.2022): A country in free fall, a corruptocracy in full swing: Why a building collapse in Iran matters, https://www.mei.edu/publications/country-free-fall-corruptocracy-full-swing-why-building-collapse-iran-matters, Zugriff 31.3.2023;

●             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

●             UNDP - United Nations Development Programme (8.9.2022): Iran (Islamic Republic of): Human development summary capturing achievements in the HDI and complementary metrics that estimate gender gaps, inequality, planetary pressures and poverty., https://hdr.undp.org/data-center/specific-country-data#/countries/IRN, Zugriff 31.3.2023;

●             WB - World Bank, The (20.10.2022): Islamic Republic of Iran: Overview, https://www.worldbank.org/en/country/iran/overview, Zugriff 31.3.2023;

Sozialbeihilfen

Dem Arbeitsministerium ist die Verantwortung für Sozialhilfe und Versicherungswesen übertragen. Es gibt verschiedene Versicherungsträger, welche alle dem im Sozialministerium angesiedelten "Hohen Versicherungsrat" (HIC) unterstehen, der die Versicherungspolitik plant, koordiniert, durchführt und überwacht. Der Hauptversicherer ist die "Organisation für Sozialversicherung" (SSIO). Alle Arbeitgeber und -nehmer zahlen in das System ein und erhalten dafür gewisse Unterstützungsleistungen. Viele Kliniken und Spitäler dieser Organisation befinden sich in städtischen Gegenden (ÖB Teheran 11.2021). Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die die Bereiche Rente, Unfall und Krankheit umfasst. Der Rentenanspruch entsteht in voller Höhe nach 30 Beitragsjahren (AA 30.11.2022).

Iranischen Bürgern stehen unterschiedliche Arten von Versicherungsschutz zur Verfügung. Bei der obligatorischen Versicherung werden Arbeitnehmer von den Arbeitgebern versichert. 7 % der Prämie werden von den Arbeitnehmern und 23 % von den Arbeitgebern bezahlt. Weiters steht den Eigentümern der Unternehmen eine freiwillige Abdeckung zur Verfügung. Es gibt drei Prämiensätze von 12 %, 14 % und 18 %, die zulasten der Versicherten gehen. Das System deckt alle Angestellten und Freiberuflichen ab, wobei Letztere zwischen verschiedenen Stufen wählen können. Ein freiwilliger Versicherungsschutz ist für zuvor versicherte Personen zwischen 18 und 50 Jahren verfügbar. Dieser ist vollständig von der versicherten Person zu bezahlen. Spezielle Systeme gibt es darüber hinaus für Staatsangestellte und Militärangehörige. Generell ist für Angestellte die Mitgliedschaft im Sozialversicherungssystem verpflichtend. Die Sozialversicherung schützt im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Berufsunfällen und auch bei altersbedingtem Ausscheiden. Seit 2003 wurden die zuständigen Institutionen zusammengelegt, um Ineffektivität und Redundanzen zu vermeiden. Zuschüsse und Leistungen werden auf Basis des Gehalts (insbesondere der letzten zwei Jahre) der zu versichernden Person berechnet, sowie auf Basis der monatlichen Zahlungen bei privat versicherten Personen. Solange Rückkehrer für eine iranische Organisation/Firma arbeiten, übernehmen die Arbeitgeber den Großteil der Beiträge. Ansonsten muss (je nach gewähltem Angebot) selbst eingezahlt werden. Angestellte müssen 7 % des monatlichen Gehalts abgeben, während Selbstständige und Private einen individuell abgestimmten Beitrag bezahlen (IOM 2021).

Die Mittel für die Altersrente werden durch gemeinsame Beiträge der versicherten Person, des Arbeitgebers und der Regierung gedeckt und variieren je nach Beitragsjahren. Die Altersrente wird über die Pensionskasse für Beamte, über die Organisation für soziale Sicherheit sowie über 16 weitere Pensionsfonds in Iran bereitgestellt. Die Hinterbliebenenrente wird an Angehörige einer versicherten verstorbenen Person gezahlt. Zu den Angehörigen zählen Witwe oder Witwer, Kinder (das heißt Söhne bis zum Alter von 20 Jahren und Töchter bis zur Heirat) und Eltern. Die Rente des Ehepartners beträgt 50 % der Alters- oder Invalidenrente der versicherten Person, während sie für Waisen 25 % und für Eltern 20 % beträgt. Die kombinierte Hinterbliebenenrente darf nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn oder über der Rente des Verstorbenen liegen. Rund 25 % der Beschäftigten, vor allem im informellen Sektor und unter Saisonarbeitern, haben keine Pensionsversicherung (Landinfo 12.8.2020).

In Iran gibt es einen gesetzlichen monatlichen Mindestlohn für ungelernte Arbeitnehmer, der unter Berücksichtigung der Inflation jährlich neu berechnet wird. Darüber hinaus zahlt der Staat (praktisch) jeder Familie eine Wohnungs- und Lebensmittelzulage in Form von monatlichen Geldtransfers (yaraneh-ye naqdi) (Landinfo 12.8.2020). Diese Subventionszahlung zur Sicherung der Grundversorgung beträgt monatlich rund 500.000 Rial [Stand Februar 2023: ca. 80 Cent] (AA 30.11.2022).

Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch in der Höhe von ca. 4,2 Millionen Rial pro Kind [Stand Februar 2023: ca. 7 Euro] (AA 30.11.2022). Die Familienbeihilfe wird gezahlt, bis das Kind 18 Jahre alt ist, oder - wenn es studiert - bis das Studium abgeschlossen ist. Die Familienbeihilfe wird monatlich gezahlt und als das Dreifache des gesetzlichen täglichen Mindestlohns eines ungelernten Arbeitnehmers für jedes Kind berechnet. Die Leistungen werden jährlich angepasst (Landinfo 12.8.2020). Ebenfalls besteht ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Höhe von 70-80 % des Gehaltes, das für mindestens ein Jahr gezahlt wird (AA 30.11.2022). Selbstständige und Beamte sind nicht Teil der Arbeitslosenversicherung, da angenommen wird, dass ihre Arbeitsverträge nicht gekündigt werden können (Landinfo 12.8.2020).

Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen, wie z. B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z. B. Frauengruppen) (AA 30.11.2022). Als Teil des Sozialwesens haben alle Bürger das Recht auf kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung. Alle Bürger können über die Wohlfahrtsorganisation TAMIN EJTEMAEI eine Sozialversicherung beantragen. Darüber hinaus können Leistungen von Arbeitgebern oder privaten Anbietern und Organisationen angeboten werden (IOM 2021).

Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt, um die 'sadeqe', die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße (GIZ 12.2020a). Die staatliche Wohlfahrtsorganisation betreibt Selbsthilfegruppen für Familien in schwierigen Situationen, die in Familienzentren organisiert sind. Einige erhalten Unterstützung bei der Arbeitssuche. Ein Projekt mit einem Mikrofinanzierungsansatz umfasst 50.000 Menschen - nicht nur Frauen, sondern auch Landbevölkerung und andere. Ziel ist es, die Armut zu verringern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf weiblichen Ernährern. Es gibt ca. drei Millionen Familien, die von Frauen geführt werden. 180.000 von ihnen werden von der staatlichen Wohlfahrtsorganisation betreut. Das Budget ist begrenzt und nicht alle Bedürftigen erhalten Hilfe. Die Leistungen gehen nicht unbedingt an die Frauen, sondern können beispielsweise Bildungskosten für die Kinder abdecken (Landinfo 12.8.2020).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

●             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2020): Iran: Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 31.3.2023;

●             IOM - International Organization for Migration (2021): Islamische Republik Iran: Länderinformationsblatt 2021, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/%2D/Iran_%2D_Country_Fact_Sheet_2021%2C_deutsch%2Epdf, Zugriff 15.3.2023 [Login erforderlich];

●             Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (12.8.2020): Iran: The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf, Zugriff 15.3.2023;

●             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

Medizinische Versorgung

Grundsätzlich entspricht die medizinische Versorgung, insbesondere in ländlichen Gebieten, nicht (west-)europäischen Standards. Das Land hat in den Jahrzehnten seit der Revolution 1979 allerdings viel in das nationale Gesundheitssystem investiert (AA 30.11.2022). Seit damals hat sich das Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert allen Bürgern das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen. Die Verwirklichung dieses Zieles obliegt dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung (ÖB Teheran 11.2021).

Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität, deren Rektor die Verantwortung für das Gesundheitswesen in der betroffenen Provinz trägt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche IOM 2021). Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche Landinfo 12.8.2020). Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z. B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird (ÖB Teheran 11.2021). Neben den medizinischen Universitäten wird ein Teil der Dienstleistungen von Versicherungsunternehmen und den Provinz- und Bezirkseinheiten erbracht. Die dezentralen Einrichtungen (Gesundheitshäuser, ländliche Gesundheitszentren) bieten in den Räumlichkeiten der medizinischen Universitäten kostenlose Dienstleistungen an. An anderer Stelle bezahlt die erkrankte Person einen kleinen Betrag, um eine medizinische Behandlung zu erhalten (IOM 2021). Weitere staatliche Institutionen wie die Iranian National Oil Corporation, die Justiz und Revolutionsgarden betreiben ihre eigenen Krankenhäuser (Landinfo 12.8.2020).

Es gibt im ganzen Land viele NGOs und Wohltätigkeitsorganisationen, die Gesundheitseinrichtungen betreiben, deren Zugang auf einer Bedarfsanalyse basiert, ohne dass auf einen vorherigen Versicherungsschutz Bezug genommen wird. Die Mahak-Gesellschaft zur Unterstützung krebskranker Kinder ist beispielsweise ein bekanntes gemeinnütziges Forschungs-, Krankenhaus- und Rehabilitationszentrum für Kinder mit Krebs. Die Patienten werden von Ärzten im ganzen Land an Mahak überwiesen. Laut einem Vertreter von Mahak wird jedes Kind, bei dem Krebs diagnostiziert wird, entweder im Mahak-Krankenhaus oder in anderen Krankenhäusern behandelt. Mahak deckt auch die Behandlung von Patienten in anderen Krankenhäusern in Iran ab. Die Behandlung ist kostenlos und die Patienten müssen nicht versichert sein, um eine Behandlung zu erhalten. Verwandte können bei der Begleitung ihrer kranken Kinder eine Finanzierung für die Unterkunft erhalten. Mahak empfängt Krebspatienten auch aus mehreren Nachbarländern (Landinfo 12.8.2020).

Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 11.2021). In jedem Bezirk gibt es Ärzte, die dazu verpflichtet sind, Notfälle zu jeder Zeit aufzunehmen. In weniger dringenden Fällen sollte der Patient zunächst sein Gesundheitszentrum kontaktieren und einen Termin vereinbaren (IOM 2021). Ein zuverlässig funktionierendes Rettungswesen besteht auch in den Städten nicht überall (AA 8.2.2023).

Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Es ist zwar fast flächendeckend - laut WHO haben 98 % aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung - die Qualität schwankt jedoch (GIZ 12.2020b). Selbst in ländlichen Gebieten haben 85 % der Bevölkerung Zugang zur primären Gesundheitsversorgung, 90 % werden mit sauberem Trinkwasser versorgt, 80 % sind an entsprechende Sanitäranlagen angeschlossen. Dennoch haben bei weitem nicht alle Zugang zu komplexen, spezialisierten und damit auch teureren Diensten (AA 30.11.2022). Die spezialisierte, medizinische Versorgung, gerade bei Notfällen oder Unfällen, ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischem Standard. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich (AA 8.2.2023). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede zwischen den Regionen. Folgende Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als Teheran auf: Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Khorasan sowie Sistan und Belutschistan. Es ist davon auszugehen, dass sich eine Vielzahl an Haushalten keine ausreichende Gesundheitsversorgung leisten kann. Gesundheitsdienste sind geografisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 11.2021).

Die medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, die von jeweils einem männlichen und einer weiblichen "Behvarz" (Gesundheitspersonal, das nach der regulären elfjährigen Schulbildung zwei Jahre praktisch und theoretisch ausgebildet wird) geleitet werden. Jedes dieser Gesundheitshäuser ist für Gesundheitsvorsorge (u. a. Impfungen, Betreuung von Schwangerschaften) zuständig, wobei die Qualität der Versorgung als zufriedenstellend beurteilt wird. In Städten übernehmen sogenannte "Gesundheitsposten" in den Bezirken die Aufgabe der ländlichen Gesundheitshäuser. Auf der nächsten Ebene sind die ländlichen Gesundheitszentren zu finden, die jeweils von einem Allgemeinmediziner geleitet werden. Sie überwachen und beraten die Gesundheitshäuser, übernehmen ambulante Behandlungen und übergeben schwierigere Fälle an städtische, öffentliche Krankenhäuser, die in jeder größeren Stadt zu finden sind (ÖB Teheran 11.2021). Die medizinische Belegschaft in Iran umfasst insgesamt mehr als 51.000 Allgemeinärzte, 32.000 Fachärzte, 115.000 Krankenschwestern, 33.000 Hebammen und 35.000 örtliche Gesundheitshelfer (Behvarz) (Landinfo 12.8.2020). Das Überweisungssystem bei Hausärzten dazu beigetragen, dass Servicepakete für Prävention, Pflege und Behandlung auch in ländlichen Gebieten angeboten werden (IOM 2021).

Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen noch immer Selbstbehalte von den versicherten Personen geleistet werden (ÖB Teheran 11.2021). Allerdings ist der Anteil derartiger Zahlungen durch die Patienten in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen. Vor dem Health Transformation Plan im Jahr 2014 waren Selbstbehalte die Hauptfinanzierungsquelle und betrugen über 50 % der Kosten. Bis 2016 gingen sie auf 35,5 % zurück. Dies ist jedoch noch von dem erklärten Ziel entfernt, die Selbstbehalte auf unter 30 % zu senken. Dies bedeutet, dass das Zahlungssystem nach wie vor weitgehend auf Servicegebühren sowohl im öffentlichen als auch im privaten Gesundheitswesen basiert (Landinfo 12.8.2020). Die Kosten für Krankenhäuser werden unter anderem dadurch gesenkt, dass die Versorgung des Kranken mit Gütern des täglichen Bedarfs, etwa Essen, immer noch weitestgehend seiner Familie zufällt (GIZ 12.2020b). Iran verwendet interne Referenzpreise für Arzneimittel, was bedeutet, dass Arzneimittel zum Preis des Referenz-Arzneimittels erstattet werden und die Patienten die Möglichkeit haben, teurere Arzneimittel zu kaufen und die zusätzlichen Kosten zu bezahlen. Der Erstattungspreis wird von der Regierung festgelegt, während Hersteller, Händler oder Einzelhändler ihren eigenen Arzneimittelpreis festlegen können (Landinfo 12.8.2020).

Alle iranischen Staatsbürger, inklusive Rückkehrende haben Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen (PHC) sowie weitere Angebote. Es gibt zwei verschiedene Arten von Krankenversicherungen, jene über den Arbeitsplatz oder eine private Versicherung. Beide gehören zur staatlichen iranischen Krankenversicherung TAMIN EJTEMAEI www.tamin.ir/. Kinder sind zumeist durch die Krankenversicherung der Eltern abgedeckt. Um eine Versicherung zu erhalten, sind eine Kopie der iranischen Geburtsurkunde, ein Passfoto und eine komplette medizinische Untersuchung notwendig. Zusätzliche Dokumente können später gegebenenfalls angefordert werden (IOM 2021).

Allen iranischen Bürgern stehen mehrere Arten eines primären Krankenversicherungsschutzes zur Verfügung, darunter Tamin-Ejtemaei, Salamat, Khadamat-Darmani und Nirouhaye - Mosalah. Der Krankenversicherungsschutz umfasst medizinische Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten und Impfstoffen. Im Allgemeinen ist der primäre Krankenversicherungsschutz begrenzt. Für weitere medizinische Dienstleistungen kann zusätzlich eine private Krankenversicherung abgeschlossen werden (IOM 2021). Die "Organisation für die Versicherung medizinischer Dienste" (MSIO) wurde 1994 gegründet, um Beamte und alle Personen, die nicht von anderen Versicherungsorganisationen berücksichtigt wurden, zu versichern. Daneben kümmern sich Wohltätigkeitsorganisationen, u. a. die "Imam Khomeini Stiftung", um nicht versicherte Personen - etwa mittellose Personen oder nicht anerkannte Flüchtlinge. Registrierte afghanische Flüchtlinge können sich in der staatlichen Krankenversicherung registrieren (ÖB Teheran 11.2021).

Da es keine allgemein akzeptierte Definition für schutzbedürftige Personen gibt, ist es schwierig, diese Gruppe zu spezifizieren. Dennoch gibt es einige NGOs, die sich auf einen bestimmten Kreis Betroffener spezialisieren. Allgemein gibt es zwei Arten von Zentren, die Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen in Iran leisten, nämlich öffentliche und private. Die öffentlichen Einrichtungen sind in der Regel überlaufen und es gibt lange Wartezeiten, weshalb Personen, die über die nötigen Mittel verfügen, sich oft an kleinere, spezialisierte private Zentren wenden. Die populärste Organisation ist BEHZISTI, die Projekte zu Gender, alten Menschen, Menschen mit Behinderung (inklusive psychischer Probleme), ethnische und religiöse Minderheiten, etc. anbietet. Außerdem werden Drogensüchtige, alleinerziehende Mütter, Personen mit Einschränkungen etc. unterstützt. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem sozio-psychologische Betreuung, Beratungsgespräche, Unterkünfte, Rehabilitationsleistungen, Suchtbehandlung etc. Die Imam Khomeini Relief Foundation bietet Dienstleistungen für Frauenhaushalte, Waisen, Familien von Häftlingen usw. an, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Der Zugang zu öffentlichen Angeboten ist für alle Bürger gleich. Dennoch gibt es zusätzliche Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen, die von den Gemeinden/Organisationen abgedeckt werden (IOM 2021).

Im Zuge der aktuellen Sanktionen gegen Iran ist es zu gelegentlichen Engpässen beim Import von speziellen Medikamentengruppen gekommen (IOM 2021; vergleiche OHCHR 14.2.2023) und auch die Verfügbarkeit von medizinischen Geräten ist von den Sanktionen negativ betroffen (Akbarialiabad/et al. 2021). Obwohl auf dem Papier Medikamente und Lebensmittel von den Sanktionen nicht betroffen sind, ist es seit 2020 u. a. wegen fehlender Zahlungskanäle zu mehr Engpässen bei bestimmten Medikamenten wie z. B. Insulin gekommen. Das Gesundheitsministerium ist sehr bemüht, den Bedarf an Medikamenten zu decken. Aufgrund der mangelnden Devisen steigen aber die Preise der Medikamente, die aus dem Ausland eingeführt werden, sodass schwache Gesellschaftsschichten sich diese nicht mehr leisten können. Viele Medikamente werden in Iran selbst produziert, jedoch oftmals nicht in entsprechender Qualität (ÖB Teheran 11.2021). In den sozialen Netzwerken klagen Nutzer immer wieder über fehlende Spezialmedikamente, hohe Preise und eine "geringere Wirkung" iranischer Arzneimittel im Vergleich zu ausländischen Produkten (IRJ 15.6.2022). Der Rote Halbmond ist die zentrale Stelle für den Import von speziellen Medikamenten, die für Patienten in speziellen Apotheken erhältlich sind. Im Generellen gibt es keine ernsten Mängel an Medizin, Fachärzten oder Equipment im öffentlichen Gesundheitssystem. Pharmazeutika werden zumeist unter Führung des Gesundheitsministeriums aus dem Ausland importiert. Zusätzlich gibt es für Bürger Privatkrankenhäuser mit Spezialleistungen in größeren Ballungsräumen. Die öffentlichen Einrichtungen bieten zwar grundsätzlich fast alle Leistungen zu sehr niedrigen Preisen an, aber aufgrund langer Wartezeiten und überfüllter Zentren, entscheiden sich einige für die kostenintensivere Behandlung bei privaten Gesundheitsträgern (IOM 2021).

Der Iran wurde von sechs COVID-19-Infektionswellen heimgesucht, seit der Ausbruch von COVID-19 im März 2020 von den Behörden bekannt gegeben worden ist. Die beispiellose und unbekannte Art der Krankheit führte allmählich zu einer starken Belastung des Gesundheitspersonals, insbesondere bei denjenigen, die direkt an der Behandlung von Patienten mit COVID-19 beteiligt waren. Der Iran erlebte einen bemerkenswerten Anstieg der Auswanderungsrate von Krankenpflegern und Ärztinnen in Länder mit hohem Einkommen wie Deutschland, Italien und Kanada (Doshmangir/et al. 7.9.2022).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.2.2023): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise (Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/iran-node/iransicherheit/202396#content_5, Zugriff 15.3.2023 [Login erforderlich];

●             et al./Akbarialiabad - Akbarialiabad, Hossein, et al. (2021): How Sanctions Have Impacted Iranian Healthcare Sector: A Brief Review, http://journalaim.com/Article/aim-18956, Zugriff 15.3.2023;

●             Doshmangir/et al. - Doshmangir, Leila (Autor), et al. (Herausgeber) (7.9.2022): The future of Iran's health workforce, https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)01608-7/fulltext, Zugriff 15.3.2023;

●             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2020): Iran: Gesellschaft, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/, Zugriff 14.3.2023;

●             IOM - International Organization for Migration (2021): Islamische Republik Iran: Länderinformationsblatt 2021, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/%2D/Iran_%2D_Country_Fact_Sheet_2021%2C_deutsch%2Epdf, Zugriff 15.3.2023 [Login erforderlich];

●             IRJ - Iran Journal (15.6.2022): ‌Warnung vor Medikamentenknappheit, https://iranjournal.org/news/%E2%80%8Cwarnung-vor-medikamentenknappheit, Zugriff 3.4.2023;

●             Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (12.8.2020): Iran: The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf, Zugriff 15.3.2023;

●             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

●             OHCHR - Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (14.2.2023): Iran: Over-compliance with unilateral sanctions affects thalassemia patients say UN experts, https://www.ohchr.org/en/press-releases/2023/02/iran-over-compliance-unilateral-sanctions-affects-thalassemia-patients-say, Zugriff 15.3.2023;

Rückkehr

Das Ansuchen um Asyl im Ausland ist an sich nicht strafbar und auch kein Grund, die iranische Staatsbürgerschaft zu verlieren (MBZ 31.5.2022). Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. Ausgenommen davon sind Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht (AA 30.11.2022).

Es gibt leicht unterschiedliche Ansichten darüber, was das Interesse der Behörden an einem abgelehnten Asylwerber wecken könnte. Allgemein herrscht der Eindruck vor, dass diejenigen, die vor ihrer Ausreise aus Iran Gegenstand negativer behördlicher Aufmerksamkeit waren, bei ihrer Rückkehr mit Reaktionen rechnen müssen. Als weiterer Faktor wird die Art der Informationen genannt, welche Behörden über die Aktivitäten einer Person im Ausland erhalten haben, und ob diese Aktivitäten dem Regime schaden - oder ihm möglicherweise nützen - könnten (Landinfo 21.1.2021). Einer Quelle zufolge spielt der ethnische oder religiöse Hintergrund oder die sexuelle Orientierung eines Rückkehrers für sich genommen keine Rolle. Einer anderen Quelle zufolge können diese Faktoren eine kumulierende Wirkung haben (MBZ 31.5.2022). Gemäß Berichten vom Jänner 2022 wurde eine Frau beispielsweise nach ihrer Rückkehr aus der Autonomen Region Kurdistan im Irak (KRI) nach Iran verhaftet und später zum Tode verurteilt. Sie war nach einem Interview für den persischsprachigen Sender der BBC über die Lage sexueller Minderheiten in Iran in den Fokus der Behörden geraten (BAMF 1.1.2023).

Insbesondere in Fällen, in denen Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Im Rahmen der Befragung wird der Reisepass regelmäßig einbehalten und eine Ausreisesperre ausgesprochen (AA 30.11.2022). Es kann einen Unterschied machen, ob jemand mit seinem eigenen Reisepass oder mit einem Ersatzreisedokument zurückkehrt. Wenn jemand mit einem Ersatzreisedokument zurückkehrt, kann dies zu weiteren Ermittlungen führen, da es auf eine illegale Ausreise hindeuten könnte (MBZ 31.5.2022).

Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob jemand nach der Rückkehr befragt wird. Oft wird erst im Laufe der Zeit klar, ob eine echte Bedrohung vorliegt. Politische Aktivisten und andere, die als Bedrohung angesehen werden, werden beobachtet und haben das Gefühl, sich nicht frei bewegen zu können (MBZ 31.5.2022). Eine Befragung von aus dem Ausland zurückkehrenden Iranerinnen und Iranern kann bei der Ankunft am Flughafen durch Geheimdienstmitarbeiter erfolgen (IRINTL 7.1.2022; vgl.MBZ 31.5.2022), oder zu einem späteren Zeitpunkt, in der Wohnung des Befragten und durch die lokalen Behörden (MBZ 31.5.2022).

Die Auswirkungen der aktuellen Proteste und deren blutiger Niederschlagung auf mögliche Rückkehrer und Rückkehrerinnen lässt sich im Augenblick nicht abschließend einschätzen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrer verstärkt von den Sicherheitsdiensten überprüft werden. Bereits vor den aktuellen Protesten ist es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen, deren Ausgang sich zum Beispiel der Kenntnis des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland entzieht. Bisher ist kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert worden sind (AA 30.11.2022). Eine andere Quelle geht dagegen davon aus, dass aus Europa zurückkehrende Asylwerber gefährdet sind, von den iranischen Behörden befragt, verhaftet und in manchen Fällen auch gefoltert und getötet zu werden, wenn die Behörden sie mit politischem Aktivismus in Verbindung bringen (DIS 7.2.2020).

Zum Thema Rückkehrer gibt es nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und beim Abstandnehmen von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglich vorgebrachten Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr (ÖB Teheran 11.2021).

Das iranische Außenministerium hat im Dezember 2021 ein Webportal eingerichtet, auf dem Iraner, die sich im Ausland aufhalten und eine Rückkehr nach Iran erwägen, ihre Daten hochladen können, woraufhin ihnen mitgeteilt wird, ob sie sicher und ungehindert ein- und ausreisen können oder ob es offene Fälle gegen sie gibt. Allerdings ist nicht jeder in der iranischen Diaspora davon überzeugt, dass dieses System funktioniert und dass er oder sie ohne Bedenken nach Iran reisen kann. Ein Grund dafür ist, dass nicht alle iranischen Nachrichtendienste koordiniert zusammenarbeiten und daher immer die Möglichkeit besteht, dass Rückkehrer dennoch aufgegriffen werden (IRINTL 7.1.2022; vgl.MBZ 31.5.2022).

Nach derzeitigem Kenntnisstand können Asylantragsteller bzw. anerkannte Flüchtlinge Kontakt mit iranischen Auslandsvertretungen aufnehmen, um beispielsweise einen neuen iranischen Pass zu beantragen. Fälle von daraus folgenden Repressalien gegen die Antragsteller oder ggf. gegen deren Familien in Iran sind bislang nicht bekannt (AA 30.11.2022). Im April 2022 kündigte das Amt für Personenstandswesen an, hinkünftig "smarte" Identitätsnachweise an im Ausland lebende Iraner auszustellen. Antragsteller können sich unter anderem im iranischen Konsulat in Wien registrieren lassen, um den Identitätsnachweis zu erhalten (TEHT 10.4.2022).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, werden nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind jedoch keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 30.11.2022).

Iran erkennt Doppelstaatsbürgerschaften nicht an (RFE/RL 2.3.2023; vergleiche BBC 7.6.2022) und ist dafür bekannt, Doppelstaatsbürger als Geiseln zu nehmen und sie in seinen Verhandlungen mit anderen Ländern als Verhandlungsmasse einzusetzen (IRINTL 7.1.2022). Eine Reihe von Doppelstaatsbürgern, die nach Iran zurückkehrten, werden so im Land festgehalten (CHRI 22.1.2022; vergleiche BBC 7.6.2022). Auch sind Fälle bekannt, in denen iranische Staatsangehörige, insbesondere, wenn diese als Journalisten oder Blogger eine große Reichweite haben und sich kritisch zu politischen Themen in Iran äußern (Menschrechtsverletzungen, Korruption und Bereicherung von Amtsträgern, Frauenrechte, interne Machtkämpfe) in Drittländern entführt wurden, um sie nach Iran zu verbringen, wo sie in (Schau-)Prozessen verurteilt wurden (AA 30.11.2022).

Zwar gibt es keine klaren Kriterien dafür, gegen wen ermittelt wird und wer bestraft wird, doch laufen enge Familienmitglieder von politischen Aktivistinnen und Aktivisten gemäß einer Quelle Gefahr, von den Behörden ins Visier genommen zu werden, nicht jedoch die Großfamilie. Eine andere Quelle widerspricht dem und geht - allerdings ohne Beispiele zu nennen - davon aus, dass die Behörden die Familienangehörigen politischer Aktivisten gut behandeln, um der Welt zu zeigen, dass es in Iran Freiheit gibt und dass den Rückkehrern kein Leid zugefügt wird (DIS 7.2.2020).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_18.11.2022%29%2C_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich];

●             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.1.2023): Briefing Notes Zusammenfassung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2087097/Deutschland._Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes_Zusammenfassung_-_Iran%2C_Juli_bis_Dezember_2022._01.01.2023.pdf, Zugriff 14.3.2023;

●             BBC - British Broadcasting Corporation (7.6.2022): Who are the dual nationals jailed in Iran?, https://www.bbc.com/news/uk-41974185, Zugriff 13.3.2023;

●             CHRI - Center for Human Rights in Iran (22.1.2022): New Interrogations at Iran’s Airports, Jailing of Dual Citizens Challenge Officials’ Calls for Expatriates to Return, https://iranhumanrights.org/2022/01/new-interrogations-at-irans-airports-jailing-of-dual-citizens-challenge-officials-calls-for-expatriates-to-return/, Zugriff 13.3.2023;

●             DIS - Danish Immigration Service [Denmark] (7.2.2020): Iranian Kurds, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf, Zugriff 13.3.2023;

●             EPC - Emirates Policy Center (21.10.2022): Iran and the Conundrum of the Kurdish Opposition Groups in Northern Iraq, https://epc.ae/en/details/featured/iran-and-the-conundrum-of-the-kurdish-opposition-groups-in-northern-iraq, Zugriff 13.3.2023;

●             IRINTL - Iran International (7.1.2022): Intelligence Officers Interrogate Iranian Expats Arriving In Tehran, https://www.iranintl.com/en/202201077358, Zugriff 13.3.2023;

●             Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (21.1.2021): Iran Mottagelse og behandling av returnerte asylsøkere, https://www.ecoi.net/en/file/local/2044498/Iran-temanotat-Mottagelse-og-behandling-av-returnerte-asylsokere-.pdf, Zugriff 13.3.2023;

●             MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (31.5.2022): Algemeen ambtsbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2073802/Algemeen+ambtsbericht+Iran+2022-05.pdf, Zugriff 13.3.2023;

●             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

●             RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (2.3.2023): Family Says Iranian-German Held In Tehran Not Covered By Amnesty, https://www.rferl.org/a/iranian-german-prisoner-tehran-amnesty/32296274.html, Zugriff 13.3.2023;

●             TEHT - Tehran Times, The (10.4.2022): Home Society Economy Politics Sports Culture International Multimedia Tourism Identity cards to be issued for Iranian expats, https://www.tehrantimes.com/news/471524/Identity-cards-to-be-issued-for-Iranian-expats, Zugriff 13.3.2023;

Kurzinformation der Staatendokumentation Iran: Proteste, exilpolitische Tätigkeiten und Vorgehen der iranischen Behörden vom 23.02.2023:

Nach dem Tod der 22-Jährigen Mahsa Amini am 16.9.2022 kam es in Iran zu den größten Protesten seit Jahren (EN 1.2.2023; vergleiche GD 17.2.2023). Mit Stand Mitte Februar 2023 dauern diese Proteste noch weiter an (GD 17.2.2023). Amini war kurz vor ihrem Tod von der Sittenpolizei des Landes wegen angeblicher Verstöße gegen die Bekleidungsvorschriften für Frauen verhaftet und laut Augenzeugenberichten geschlagen worden (BBC 16.9.2022). Angehörige von Amini wie auch Protestierende wiesen die Behauptung der Behörden zurück, Amini sei aufgrund einer unentdeckten Vorerkrankung gestorben (EN 1.2.2023).

Den Protesten unter der Parole „Frau, Leben, Freiheit“ (in kurdischer Sprache: „Jin, Jîyan, Azadî“), die im Wesentlichen von Frauen gestartet wurden, schlossen sich Iraner und Iranerinnen aller Altersgruppen und Ethnien an, wobei sie vor allem von den jüngeren Generationen auf die Straße getragen wurden (NatGeo 17.10.20222; vergleiche EN 1.2.2023). Die Proteste fanden in allen größeren sowie vielen kleineren Städten Irans statt. Die iranischen Behörden reagierten gewaltsam darauf, mitunter kam es auch zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und Sicherheitsbehörden (EN 1.2.2023).

Laut Menschenrechtsaktivisten wurden im Zeitraum September 2022 bis Februar 2023 über 500 Demonstranten und Demonstrantinnen getötet und fast 20.000 inhaftiert (Reuters 17.02.2023; vergleiche EN 1.2.2023). Festgenommene Protestteilnehmer berichteten von Folter während ihrer Inhaftierung (NDR 1.2.2023). Bis zum 18.01.2023 wurden 18 Personen im Zusammenhang mit den Protesten zum Tod verurteilt und vier Todesurteile vollstreckt (BBC 18.1.2023). Nach dem Verstreichen der traditionellen 40 Tage Trauer nach der Hinrichtung zweier Demonstranten flammten die Proteste Mitte Februar wieder in mehreren Städten Irans auf (Zeit 17.2.2023; vergleiche GD 17.2.2023). Darüber hinaus drücken viele Gegnerinnen der Regierung ihren Protest durch zivilen Ungehorsam aus, etwa indem sie den Kopftuchzwang ignorieren (Spiegel 19.1.2023).

Proteste und soziale Medien

Die sozialen Medien sind ein wichtiger Bestandteil der aktuellen Protestbewegung und werden zur Mobilisierung wie auch als Protestform verwendet (DW 15.11.2022; vergleiche NatGeo 17.10.2022, BBC 2.11.2022). Die iranische Regierung überwacht seit Jahren soziale Medien, um Regimegegner zu identifizieren, und geht auch anlässlich der Proteste nach dem Tod von Mahsa Amini gegen in den sozialen Medien aktive Aktivisten und Aktivistinnen vor (Wired 10.1.2023).

Im November 2022 ging beispielsweise ein Video eines tanzenden Paares vor dem Teheraner Wahrzeichen Azadi-Turm [Azadi: Freiheit, Anm.] viral, wobei die weibliche Tanzpartnerin keinen Hijab trug und Tanzen in der Öffentlichkeit für Frauen in Iran verboten ist. Das Paar, das schon zuvor auf Instagram aktiv war und dort über eine breite Gefolgschaft verfügte, wurde nach Veröffentlichung des Videos von einem Teheraner Revolutionsgericht aufgrund der „Förderung von Korruption und öffentlicher Prostitution“ sowie „Versammlungen mit der Absicht, die nationale Sicherheit zu stören“ zu jeweils über zehn Jahren Gefängnis verurteilt und mit Ausreiseverboten sowie Zugangsbeschränkungen zum Internet belegt (GD 31.1.2023). Ein Sänger, der zu Beginn der Proteste ein Lied in den sozialen Medien veröffentlichte, das sich zu einer Hymne der Proteste entwickelte, wurde vorübergehend inhaftiert und muss sich nun wegen „Propagandaaktivitäten gegen das Regime“ sowie „Aufwiegelung und Anstiftung zu Gewalttaten“ vor Gericht verantworten, außerdem wurde er mit einem Ausreiseverbot belegt (IW 6.2.2023). Eine auf Instagram aktive Iranerin, die inzwischen zu einem „Symbol des Widerstands“ der Protestbewegung geworden ist, wurde im Oktober aufgrund ihrer Teilnahme an den Protesten inhaftiert und Berichten zufolge in Haft gefoltert und misshandelt (IW 31.1.2023).

Abseits der Überwachung von Inhalten in den sozialen Medien reagierten die iranischen Behörden auf die Proteste unter anderem mit einer Drosselung der Internetgeschwindigkeit (NatGeo 17.10.2022; vergleiche taz 22.9.2022, Spiegel 19.1.2023). Darüber hinaus ist wenig über die konkrete Vorgehensweise der Behörden bei der Unterdrückung der Proteste bekannt. Es wird jedoch vermutet, dass die Behörden ein Computersystem verwenden, das hinter den Kulissen der iranischen Mobilfunknetze arbeitet und den Betreibern eine breite Palette von Fernbefehlen zur Verfügung stellt, mit denen sie die Nutzung der Telefone ihrer Kunden verändern, stören und überwachen können, wie zum Beispiel die Datenverbindungen verlangsamen, die Verschlüsselung von Telefongesprächen knacken, die Bewegungen von Einzelpersonen oder großen Gruppen verfolgen und detaillierte Zusammenfassungen von Metadaten darüber erstellen, wer mit wem, wann und wo gesprochen hat (Intercept 28.10.2022). Beobachterinnen der derzeitigen Proteste berichteten, dass viele Demonstranten nicht auf den Straßen verhaftet wurden, sondern ein oder zwei Tage später zu Hause (Wired 10.1.2023). Iranische Mobiltelefonnutzer berichteten von SMS, die sie von lokalen Polizeistationen mit dem Hinweis erhielten, dass sie sich in einem „Unruhegebiet“ aufgehalten hätten und dieses Gebiet nicht noch einmal aufsuchen oder mit „antirevolutionären“ Regierungsgegnern online in Verbindung treten sollten (Intercept 28.10.2022).

Proteste und exilpolitische Tätigkeiten von Iranerinnen und Iranern in Europa

Regimekritische Social Media-Inhalte zu den Protesten sind auch innerhalb der iranischen Diaspora weit verbreitet (GD 17.11.2022) und in verschiedenen europäischen Städten wurden Solidaritätskundgebungen abgehalten (EN 1.2.2023; vergleiche DW 6.10.2022). Prominente, im Exil lebende Oppositionelle verschiedener politischer Strömungen äußerten sich öffentlich positiv zu den Protesten (taz 21.1.2023; vergleiche Stern 2.1.2023).

Iranerinnen und Iraner, die im Ausland leben und sich dort öffentlich regimekritisch äußern, sind von Repressionen bedroht, nicht nur, wenn sie in den Iran zurückkehren (AA 30.11.2022; vergleiche MENA 4.2.2023). Iranische Nachrichtendienste verfolgen in Europa Dissidenten im Exil. Dies trifft auf ein breites Spektrum von Exil-Oppositionellen aus unterschiedlichen politischen Strömungen zu, ebenso wie auf einzelne Aktivisten und Journalisten (USIP 17.2.2023). Es ist schwierig, bestimmte Aktivitäten einwandfrei iranischen Sicherheitsbehörden zuzuschreiben, jedoch ist bekannt, dass Vertreter des iranischen Geheimdienstministeriums und der al-Quds-Brigaden in Europa präsent sind und die iranische Diaspora unter genauer Beobachtung halten (MENA 4.2.2023). Westliche Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass iranische Agenten, die gegen Oppositionelle im Ausland eingesetzt werden, aus den jeweiligen Botschaften heraus agieren (Welt 9.1.2023).

Im Zusammenhang mit den aktuellen Protesten berichtete ein Aktivist beispielsweise über einen Einbruch in seine Wohnung in Berlin, nachdem er auf einer Kundgebung der iranischen Diaspora als Redner aufgetreten war. Während nichts gestohlen wurde, trug der Einbruch gemäß einer Journalistin mit Nahost-Schwerpunkt „die typische Handschrift der iranischen Geheimdienste“. Iranische Aktivisten berichteten auch von fremden Männern, welche in Protestcamps auftauchen und Fotos machen, von Autos, die sie bis nach Hause verfolgen, und von Taxifahrern, die „merkwürdige“ Fragen stellen würden (Welt 9.1.2023). Im November wurde von zwei Angriffen auf Kundgebungen von Exiliranerinnen und -iranern in Berlin berichtet, wobei das Motiv der Angriffe vorerst nicht bekannt war (Zeit 13.11.2022; vergleiche MENA 4.2.2023). Besonders prominenten Exiloppositionellen, Bloggern, Journalisten etc. droht Verschleppung aus dem Ausland nach Iran: teils werden sie unter Vorwänden in Nachbarstaaten des Iran gelockt, wo der Zugriff für die iranischen Dienste leicht möglich ist.

In Iran drohen ihnen Schauprozesse und Hinrichtung (AA 30.11.2022; vergleiche USIP 17.2.2023). In Iran lebende Verwandte von politisch aktiven Exiliranern sollen Berichten zufolge einbestellt, bedroht (Welt 9.1.2023; vergleiche AA 30.11.2022) und krebskranken Angehörigen im Iran die Chemotherapie verweigert worden sein (BM 14.12.2022), um deren politisch aktive Familienmitglieder im Ausland mundtot zu machen (Welt 9.1.2023). Weiters haben Kritiker und Kritikerinnen des iranischen Regimes auch über die sozialen Netzwerke Drohbotschaften erhalten, deren Urheber nicht eindeutig identifizierbar waren (MENA 4.2.2023).

Der von saudischen Geldgebern finanzierte iranische Oppositionssender Iran International (ST 19.2.2023) sah sich Mitte Februar gezwungen, seine Londoner Studios nach einer „deutlichen Verschärfung“ der staatlichen Drohungen aus dem Iran und auf Anraten der Londoner Metropolitan Police (Iran Intl 18.2.2023), bzw. nach Beratungen mit der Antiterror-Abteilung von Scotland Yard (ST 19.2.2023), zu schließen und den Sendebetrieb nach Washington DC zu verlegen (Iran Intl 18.2.2023; vergleiche ST 19.2.2023). Rund eine Woche zuvor hatten Londoner Beamte einen Österreicher festgenommen, der Fotos und Filme vom Londoner Sitz des Senders gemacht hatte (ST 19.2.2023). Iran International selbst sowie zehn Journalisten, von denen nicht alle bei Iran International arbeiteten, standen laut Informationen aus iranischen Exilantenkreisen unter Polizeischutz (ST 19.2.2023).

Quellen:

●             AA – Auswärtiges Amt (30.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/de/dokument/2083021.html, Zugriff 22.2.2023

●             BBC – British Broadcasting Corporation (18.1.2023): Iran protests: 15 minutes to defend yourself against the death penalty, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-64302726?at_medium=RSS&at_campaign=KARANGA, Zugriff 17.2.2023

●             BBC – British Broadcasting Corporation (2.11.2022): Hashtags, a viral song and memes empower Iran's protesters, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-63456599, Zugriff 21.2.2023

●             BBC – British Broadcasting Corporation (16.9.2022): Fury in Iran as young woman dies following morality police arrest, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-62930425, Zugriff 17.2.2023

●             BM – Berliner Morgenpost (14.12.2022): Proteste im Iran: Was denken die Exil-Iraner in Deutschland?, https://www.morgenpost.de/politik/article237155127/iran-exil-iraner-deutschland-proteste-meinungen.html, Zugriff 22.2.2023

●             DW – Deutsche Welle (15.11.2022): Iranians use social media to keep protest movement alive, https://www.dw.com/en/iranians-use-social-media-to-keep-protest-movement-alive/a-63767075, Zugriff 20.2.2023

●             DW – Deutsche Welle (6.10.2022): Exil-Iraner in Deutschland unterstützen Protestbewegung, https://www.dw.com/de/exil-iraner-in-deutschland-unterst%C3%Bctzen-protestbewegung/a-63357929, Zugriff 21.2.2023

●             EN – Euronews (1.2.2023): Iran protests: What caused them? Are they different this time? Will the regime fall?, https://www.euronews.com/2022/12/20/iran-protests-what-caused-them-who-is-generation-z-will-the-unrest-lead-to-revolution, Zugriff 17.2.2023

●             GD – Guardian, The (17.2.2023): Iran protests flare in several cities amid continuing unrest, https://www.theguardian.com/world/2023/feb/17/iran-protests-flare-in-several-cities-amid-continuing-unrest, Zugriff 17.2.2023

●             GD – Guardian, The (31.1.2023): Iranian couple filmed dancing in Tehran are jailed for 10 years, https://www.theguardian.com/world/2023/jan/31/iranian-couple-filmed-dancing-in-tehran-are-jailed-for-10-years, Zugriff 21.2.2023

●             GD – Guardian, The (17.11.2022): A false post on Iran’s protests went viral. Social media can’t get it wrong again, https://www.theguardian.com/world/2022/nov/16/iran-protests-social-media-death-penalty, Zugriff 21.2.2023

●             Intercept, The (28.10.2022): Hacked Documents: How Iran Can Track and Control Protester’s Phones, https://theintercept.com/2022/10/28/iran-protests-phone-surveillance/?mc_cid=1909e734fc&mc_eid=3e61af82a4, Zugriff 20.2.2023

●             Iran Intl – Iran International (18.2.2023): Terror Threats Force Persian TV Channel To Close London Studios, https://www.iranintl.com/en/202302187629, Zugriff 23.2.2023

●             IW – Iran Wire (6.2.2023): Iranian Singer Wins Grammy For “Women, Life, Freedom” Protest Anthem, https://iranwire.com/en/society/113467-iranian-singer-wins-grammy-for-women-life-freedom-protest-anthem/, Zugriff 21.2.2023

●             IW – Iran Wire (31.1.2023): “She Suffered Beyond Belief:” 20-Year-Old Armita, A Symbol Of Iranian Resistance, https://iranwire.com/en/women/113282-she-suffered-beyond-belief-20-year-old-armita-a-symbol-of-iranian-resistance/, Zugriff 21.2.2023

●             MENA – MENA Studies (4.2.2023): Iranians in Europe: Intimidation and threats from spies and agents of the mullahs’ regime in Tehran, https://mena-studies.org/iranians-in-europe-intimidation-and-threats-from-spies-and-agents-of-the-mullahs-regime-in-tehran/, Zugriff 22.2.2023

●             NatGeo – National Geographic (17.10.2022): „Frau, Leben, Freiheit”: Die Proteste in Iran und ihre Geschichte, https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2022/10/frau-leben-freiheit-proteste-iran-geschichte-frauenrechte, Zugriff 17.2.2023

●             NDR – Norddeutscher Rundfunk (1.2.2023): Knochenbrüche, Peitschenhiebe, psychische Gewalt: Recherche gibt umfassend Einblick in Irans Folterpraxis gegen Demonstranten, https://www.ndr.de/der_ndr/presse/mitteilungen/Knochenbrueche-Peitschenhiebe-psychische-Gewalt-Recherche-gibt-umfassend-Einblick-in-Irans-Folterpraxis-gegen-Demonstranten,pressemeldungndr23706.html, Zugriff 17.2.2023

●             Reuters (17.2.2023): Overnight protests rock Tehran, other Iranian cities, online videos show, https://www.reuters.com/world/middle-east/overnight-protests-rock-tehran-other-iranian-cities-online-videos-show-2023-02-17/?UTM_CAMPAIGN=Big_Moments&UTM_SOURCE=Google&UTM_MEDIUM=Sponsored, Zugriff 17.2.2023

●             Spiegel, Der (19.1.2023): Iran schränkt Internetzugang für zwei Tage ein, https://www.spiegel.de/ausland/iran-schraenkt-internetzugang-fuer-zwei-tage-ein-a-bcd408c3-8285-45b1-9687-a167dcf6e38a, Zugriff 21.2.2023

●             Stern (2.1.2023): Iranische Exil-Oppositionelle zeigen sich in gemeinsamer Erklärung siegesgewiss, https://www.stern.de/news/iranische-exil-oppositionelle-zeigen-sich-in-gemeinsamer-erklaerung-siegesgewiss-33061186.html, Zugriff 22.2.2023

●             ST – Standard, der (19.2.2023): TV-Sender Iran International übersiedelt wegen Terrorgefahr in die USA, https://www.derstandard.at/story/2000143717830/tv-sender-iran-international-uebersiedelt-wegen-terrorgefahr-in-die-usa, Zugriff 23.2.2023

●             taz (21.1.2023): Das Ringen um Einheit, https://taz.de/Iranerinnen-im-Exil/!5907408/, Zugriff 22.2.2023

●             taz (22.9.2022): Kampf um die Informationen, https://taz.de/Proteste-im-Iran/!5879784/, Zugriff 20.2.2023

●             USIP – United States Institute for Peace (17.2.2023): Explainer: How Iran's Intelligence Agencies Work, https://iranprimer.usip.org/blog/2023/feb/17/explainer-how-iran%E2%80%99s-intelligence-agencies-work, Zugriff 22.2.2023

●             Welt, Die (9.1.2023): Deutschland muss iranische Aktivisten ernst nehmen und besser schützen, https://www.welt.de/debatte/kommentare/article243108239/Deutschland-muss-iranische-Aktivisten-ernst-nehmen-und-besser-schuetzen.html, Zugriff 21.2.2023

●             Wired (10.1.2023): Iran Says Face Recognition Will ID Women Breaking Hijab Laws, https://www.wired.com/story/iran-says-face-recognition-will-id-women-breaking-hijab-laws/?mc_cid=476a7f16e9&mc_eid=3e61af82a4, Zugriff 21.2.2023

●             Zeit – Zeit Online (17.2.2023): Augenzeugen berichten von neuen Protesten in mehreren Städten, https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-02/iran-neue-proteste-staedte-teheran-augenzeugen, Zugriff 17.2.2023

●             Zeit – Zeit Online (13.11.2022): Staatsschutz ermittelt nach Angriff auf Zeltlager von Exil-Iranern, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-11/angriff-exil-iraner-berlin-staatsschutz-ermittlungen, Zugriff 21.2.2023

Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, deutsches Auswärtiges Amt vom 30.11.2022 (auszugsweise)

[…]

römisch II. Asylrelevante Tatsachen

1. Staatliche Repressionen

Es erfolgt eine strenge Überwachung der Bevölkerung, u. a. über ein zentrales Register der ID-Nummern und biometrischer Fotos aller Iraner*innen. Die Angabe der ID-Nummer ist bei sämtlichen behördlichen Dienstleistungen sowie für den Abschluss von Handyverträgen notwendig. Da die iranischen Sicherheitsbehörden eine Gesichtserkennungssoftware einsetzen, können angebliche Vergehen in der Öffentlichkeit schnell zugeordnet werden.

Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze in Frage stellt. Dabei sind Gruppierungen, die die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten, besonders stark im Fokus und sind stärkerer Repression ausgesetzt, was sich u.a. in längeren Haftstrafen und einer höheren Zahl von Todesurteilen und Hinrichtungen als im Rest der Bevölkerung ausdrückt. Als rechtliche Grundlage dienen weitgefasste Straftatbestände vergleiche Artikel 279 bis 288 IStGB) sowie Staatsschutzdelikte insbesondere Artikel eins bis 18 des 5. Buches des IStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden.

Strafverfolgung erfolgt selbst bei niedrigschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv. Inhaftierten droht insb. bei politischer Strafverfolgung eine Verletzung der körperlichen und mentalen Unversehrtheit (psychische und physische Folter, Isolationshaft als Form der Bestrafung, Misshandlung, sexuelle Übergriffe).

1.1 Politische Opposition

Eine organisierte politische Opposition gibt es in Iran nicht. Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen hat oftmals staatliche Zwangsmaßnahmen und Sanktionen zur Folge. Anführer der Oppositionsbewegung, die sich 2009 gebildet hatte, befinden sich weiterhin unter Hausarrest. Viele Anhänger*innen der Oppositionsbewegungen wurden verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv. Auch innerhalb des Systems agierende, reformorientierte Politiker*innen stehen zunehmend unter Druck. Das Fehlen oppositioneller Führung zeigte sich bei den Unruhen zum Jahreswechsel 2017/2018 sowie bei den Protesten im November 2019. Auch bei den im September 2022 begonnen Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini ist zum Zeitpunkt der Berichtsverfassung keine Führungsfigur erkennbar, der Sicherheitsapparat verhaftet umgehend alle Personen, die einen erkennbaren Grad an Sichtbarkeit oder Vernetzung mitbringen. Der Protest zeichnet sich durch einen hohen Grad an dezentralen Aktivitäten aus, die weniger Sichtbarkeit als Großdemonstrationen mit sich bringen aber dadurch auch weniger leicht kontrollierbar sind.

1.2 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit

Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen systemnaher Organisationen finden anlassbezogen und in der Regel staatlich orchestriert statt; Mitarbeiter*innen der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler*innen und Studierende werden zur Teilnahme verpflichtet, u. a. bei Kundgebungen vor westlichen Botschaften. Demonstrationen der Opposition sind hingegen seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch ebenfalls statt. Auf die Forderungen in Zusammenhang mit den landesweiten Protesten seit September 2022, Anmeldungen von Versammlungen und Demonstrationen zuzulassen, stellte die Regierung ein Gesetzesvorhaben in Aussicht, das die verfassungsrechtlich verankerte Versammlungsfreiheit ermöglichen soll. Ob ein solches Gesetz tatsächlich verabschiedet wird vor allem ob es dann im Sinne echter Versammlungs- und Meinungsfreiheit angewendet wird, ist angesichts der starken Repression gegen die Proteste äußerst zweifelhaft.

Unabhängige gewerkschaftliche Betätigung wird als „Propaganda gegen das System“ und „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“ verfolgt. Das Streikrecht ist in der Arbeitsgesetzgebung zwar prinzipiell verankert, faktisch jedoch werden Streikbewegungen streng geahndet, führende Personen zu langen Haftstrafen verurteilt.

Obgleich ebenfalls verfassungsrechtlich verankert, sind Meinungs- und Pressefreiheit in der Praxis stark eingeschränkt; Zeitungen müssen vor Veröffentlichung lt. Artikel 21 des Mediengesetzes durch das Ministerium für Kultur und islamische Führung freigegeben werden. Auch wenn die iranische Presselandschaft bislang eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums widergespiegelt hat, ist mit der Amtsübernahme der ultrakonservativen Regierung eine deutlich strengere Berichterstattung auf Regimelinie feststellbar. Geprägt wird die Presse ohnehin von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter „roter Linien“ des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen drohen Sanktionen bis hin zum Verbot von Zeitungen. Die NRO „Reporter ohne Grenzen“ sieht Iran für 2022 in der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 178 von 180.

In Folge der Mitte September 2022 ausgebrochenen, landesweiten Proteste hat der Druck auf Journalist*innen in Iran weiter zugenommen. Es kam zu einer Welle an Festnahmen und Verhaftungen iranischer Journalist*innen und Medienschaffender, die über den Tod der 22-jährigen Kurdin und die darauffolgenden Proteste berichtet hatten; mindestens 62 Personen sollen lt. Angaben des „Komitees zum Schutz von Journalisten“ allein in den Monaten September bis November 2022 festgenommen worden sein (aus den Vorjahren sollen sich bereits elf Journalist*innen in Haft befinden). Insbesondere denjenigen Journalist:innen, die zu den ersten gehörten, die über den gewaltsamen Tod von Mahsa Amini berichteten, hat das Regime mit langjährigen Haftstrafen gedroht. Nationale sowie internationale Journalistenverbände kritisierten das harte Vorgehen und stellten Presse- und Meinungsfreiheit in Iran gänzlich in Frage. Die 1997 unter Staatspräsident Khatami gegründete „Association of Iranian Journalists“ wurde 2009 unter Staatspräsident Ahmadinedschad geschlossen und hat seitdem ihre Tätigkeit nicht wiederaufnehmen dürfen.

Im Ausland lebende Journalist*innen von BBC Persian, insb. weibliche, berichten von gezielter Verfolgung und Einschüchterungsversuchen. Maßnahmen wie Überwachung, wiederholte Befragungen und das Einfrieren von Konten sowie Haftstrafen erstrecken sich dabei auch auf Familien der Betroffenen. Iran hat Ende Oktober 2022 angekündigt, BBC Persian - in Antwort auf britische Sanktionen gegen Verantwortliche für Menschrechtsverbrechen in Bezug auf die Proteste im Herbst 2022 - mit Sanktionen zu belegen. Ob und welche Auswirkungen dies praktisch für die Betroffenen und deren Familien haben könnte, ist noch unklar. Ausländische Journalist*innen in Iran leiden unter erschwerten Arbeitsbedingungen; bereits für die Einreise nach Iran müssen sie Monate auf ihr Visum und ihre Pressekarte warten, was aktuelle Reportagen quasi unmöglich macht. Ihre Arbeit in Iran wird durch das Regime genau beobachtet; sie sind zudem gezwungen, sich vor Ort gegen hohe Gebühren von einem staatlichen Medienagenten begleiten und Termine vorab genehmigen zu lassen. Auf lokale Mitarbeiter*innen und ihr Umfeld wird großer Druck ausgeübt und das Arbeiten z.T. unmöglich gemacht, z.B. Film- und Drehverbote, Einschüchterungsversuche und Befragungen, auch von Angehörigen und Bekannten. Wie bei vorherigen Protesten wurden im Herbst 2022 von Seiten des iranischen Regimes v.a. „ausländische Medien“ beschuldigt, die Proteste initiiert zu haben und zu lenken; regimekritische Berichterstattung setzt jede*n Journalist*in der Gefahr aus, als „Spion*in“ oder „Terrorist*in“ verhaftet zu werden. Als Reaktion auf die gegen iranische Personen und Entitäten erlassenen Sanktionen listete Iran neben den beiden in London sitzenden Medien BBC Persian und Iran International auch Deutsche Welle Farsi sowie zwei Chefredakteure der BILD.

Inhaftierte Journalist*innen sind in Iran – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftumständen ausgesetzt, die sich aufgrund der COVID-19-Pandemie noch verschärft haben. Unter politischen Gefangenen kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, u. a. wegen hygienischer Bedingungen und mangelhafter medizinischer Versorgung. Auch die Verlegungen in Haftanstalten für Schwerverbrecher mit hohem Gewaltpotential wird als Mittel zur Einschüchterung und Druckaufbau unter Inkaufnahme von Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen gezielt angewandt.

Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der staatliche Nachrichtensender IRIB liegt fest in der Hand der Hardliner. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weitverbreitet. Bei Protesten und sozialen Unruhen, zuletzt ab September 2022, wird das Internet eingeschränkt und je nach Ausmaß des Protestgeschehens abgeschaltet. Ebenso werden oppositionelle Webseiten, eine Vielzahl ausländischer Nachrichtenseiten sowie soziale Netzwerke durch iranische Behörden „geblockt“. Derzeit sind die Internetdienste Twitter, Instagram und WhatsApp vollständig gesperrt. Ihre Nutzung ist nur teilweise mit VPN (Virtual Private Network) möglich, da auch dies z. T. blockiert wird. Es ist derzeit nicht absehbar, ob es mittelfristig (nach Beruhigung der aktuellen Lage) zu einem kompletten Entsperren der internationalen Kommunikations- und Nachrichtenapps kommen wird. Von Seiten der iranischen Regierung gibt es Forderungen, die Verwendung iranischer Apps verpflichtend zu machen, die deutlich einfacher kontrollierbar wären.

Darüber hinaus wird der Internetverlauf „gefiltert“ bzw. mitgelesen. Jede Person die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen „Cyber-Krieg“ gegen das Land führen zu wollen und Proteste anzustacheln. Seit vielen Jahren ist geplant, mit einer Gesetzesinitiative zur Einschränkung der Internetfreiheit die Nutzung des Internets weiter einzuschränken: Ausländische Internetdienste sollen durch heimische ersetzt, Eingriffsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden ggü. User*innen gestärkt und die Nutzung von VPNs unter Strafe gestellt werden. Nachdem der Gesetzgebungsprozess im Frühjahr 2022 ins Stocken geraten war, hatte der „Hohe Rat für Cyberspace“ einen Teil des Vorhabens umgesetzt, wobei die genauen Maßnahmen und Inhalte nicht bekannt wurden. Es bleibt abzuwarten, ob das Regime nicht ohnehin Teile des Cyberschutzplans durch die Hintertür durchsetzen und ohne formalrechtliche Grundlage nach der im September 2022 ausgebrochenen Protestwelle aufrechterhalten wird.

[…]

1.6 Religionsfreiheit

Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Artikel 13, der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christentum, Judentum, Zoroastrismus) ihren Glauben innerhalb ihrer jeweiligen Gemeinden relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionierungstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit der Todesstrafe bestraft werden.

Auch unterliegen Anhänger*innen religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Lediglich schiitische Muslime dürfen in vollem Umfang am politischen Leben teilnehmen. Nichtmuslim*innen sehen sich im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald eine Person muslimischen Glaubens betroffen ist.

Eine weitere Quelle der Diskriminierung religiöser Minderheiten ist das seit Januar 2020 zu verwendende Antragsformular für Personalausweise, mit dem eine Antragstellung nur noch für Angehörige der in der iranischen Verfassung anerkannte Religionen - d. h. Islam, Christentum, Judentum oder Zoroastrismus - möglich ist. Die Anhänger*innen anderer Glaubensrichtungen sind dadurch gezwungen, entweder ihren Glauben zu verleugnen oder auf grundlegende öffentliche Dienstleistungen, wie z. B. die Beantragung eines Darlehens, die Einlösung eines Schecks oder den Kauf eines Grundstücks zu verzichten.

Muslim*innen ist es ebenso verboten zu konvertieren („Abfall vom Glauben“), wie auch an Gottesdiensten anderer Religionen teilzunehmen. Die Konversion schiitischer Iraner*innen zum sunnitischen Islam oder einer anderen Religion sowie Missionstätigkeit unter Muslim*innen wird strafrechtlich verfolgt. Es droht eine Anklage wegen Apostasie mit schwersten Sanktionen bis hin zur Todesstrafe. Bislang lautet die Anklage in den dem Auswärtigen Amt bekannten Fällen jedoch auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“, „Organisation von Hauskirchen“ und „Beleidigung des Heiligen“, wahrscheinlich um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden.

Trotz des Verbots ist ein anhaltender Trend von Konversion zum Christentum festzustellen. Unter den Christ*innen in Iran stellen Konvertit*innen aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen. Viele vor allem jüngere Iraner*innen haben sich von der Religion auch gänzlich abgewendet, weil sie mit den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen seit der islamischen Revolution nicht einverstanden sind.

[…]

Soweit ethnische Christ*innen die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie kaum behindert oder verfolgt. Dies trifft insbesondere auf armenische und assyrische Christ*innen zu. Muslimische Konvertit*innen und Mitglieder protestantischer Freikirchen sind demgegenüber willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt. Anerkannten ethnischen Gemeinden ist es untersagt, Christ*innen mit muslimischem Hintergrund zu unterstützen. Gottesdienste in Persisch sind verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden.

Ausländische christliche Gemeinden können ihre Religion weitgehend ungehindert ausüben, werden jedoch von staatlicher Seite dabei genau beobachtet. Eine nachhaltige Gemeindearbeit wird durch staatliche Schikanen verhindert (z. B. Verweigerung der Visaverlängerung für in Iran praktizierende, ausländische Priester oder Visaverweigerung). Dadurch dürften die Gemeinden langfristig „aussterben“. Insbesondere Iraner*innen, die sich aktiv für nicht-muslimische Glaubens- und Gemeindearbeit einsetzen, laufen Gefahr, ins Visier der Sicherheitsbehörden zu geraten.

[…]

1.10 Exilpolitische Aktivitäten

Die in Frankreich und Albanien ansässige exilpolitische Gruppe Mujahedin-e Khalq (MEK/MKO), entstand 1965 als Opposition gegen Shah Mohammad Reza Pahlavi, in den 70er Jahren verübte die Gruppe Attentate und Selbstmordanschläge auf die damalige iranische Regierung, aber auch westliche, insbesondere US-Interessen in Iran wie Hotels, Firmen oder Fluggesellschaften. Nach der Revolution im Iran 1979 richteten sich die Aktivitäten der Gruppe gegen das System der Islamischen Republik und den Machtapparat der Kleriker. Die Gruppe wird von der iranischen Regierung als Terrororganisation eingestuft und gilt als Staatsfeind, Mitglieder werden mit allen Mitteln bekämpft (u. a. Verschleppung, mutmaßliche Planung eines Attentats in Paris). Die Volksmujaheddin waren in den USA von 1997 bis 2012 als Terrororganisation eingestuft, in der EU von 2002 bis 2009.

Auch Aktivitäten kurdischer exilpolitische Gruppen werden genau beobachtet und sanktioniert, insbesondere in der Region Kurdistan-Irak in Nordirak gab es immer wieder Anschläge auf diesen Personenkreis und Beschuss von Zentren kurdischer Exiloppositioneller mit Raketen und Drohnen durch Kräfte der iranischen Revolutionsgarden.

Iraner*innen, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regimekritisch äußern, sind von Repressionen bedroht, nicht nur, wenn sie in den Iran zurückkehren. Ihre in Iran lebenden Familien werden regelmäßig unter Druck gesetzt. Besonders prominente Exiloppositionelle, Blogger, Journalisten etc. droht Verschleppung aus dem Ausland nach Iran, teils werden sie unter Vorwänden in Nachbarstaaten des Iran gelockt, wo der Zugriff für die iranischen Dienste leicht möglich ist. In Iran drohen ihnen Schauprozesse und Hinrichtung.

[…]

römisch IV. Rückkehrfragen

[…]

2. Behandlung von Rückkehrenden

Allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. Ausgenommen davon sind Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als Regimegegner identifiziert wurden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht.

Die Auswirkungen der aktuellen Proteste und deren blutiger Niederschlagung auf mögliche Rückkehrende lässt sich im Augenblick nicht abschließend einschätzen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrende verstärkt von den Sicherheitsdiensten überprüft werden.

Bereits vor den aktuellen Protesten ist es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen, deren Ausgang sich der Kenntnis des Auswärtigen Amts entzieht. Insbesondere in Fällen, in denen Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Im Rahmen der Befragung wird der Reisepass regelmäßig einbehalten und eine Ausreisesperre ausgesprochen.

Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Der Chef der Judikative hat explizit Exiliraner*innen ermutigt, nach Iran zurückzukehren und ihnen eine Rückkehr ohne Inhaftierung in Aussicht gestellt, sofern diese mit der iranischen Justiz koordiniert wird.

Zurückgeführte unbegleitete Minderjährige werden vom "Amt für soziale Angelegenheiten beim iranischen Außenministerium" betreut und in Waisenheime überführt, wenn eine vorherige Unterrichtung erfolgt.

Nach derzeitigem Kenntnisstand können Asylbewerber*innen bzw. anerkannte Flüchtlinge Kontakt mit iranischen Auslandsvertretungen in Deutschland aufnehmen, um beispielsweise einen neuen iranischen Pass zu beantragen. Fälle von daraus folgende Repressalien gegen die Antragsteller*innen oder ggf. gegen deren Familien in Iran sind bislang nicht bekannt.

[…]

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Iran: Rückkehr in den Iran; insbesondere Basij-Mitglied und Nationalsportler vom 10.04.2018:

Haben Mitglieder einer Nationalmannschaft bzw. Nationalsportler des Irans bei einer Rückkehr in den Iran mit besonderen staatlichen Repressionen zu rechnen?

Haben Mitglieder der Basij bei einer Rückkehr in den Iran mit besonderen Repressionen zu rechnen?

Zusammenfassung:

Anmerkung der Staatendokumentation: in der Hintergrundinformation der Anfrage wird klar dargelegt, dass die betreffende Person legal aus dem Iran ausgereist ist. Es stellt sich hier die Frage, warum iranische Behörden von einer Flucht ausgehen sollten (weiterführende Hintergrundinformationen hierzu liegen der Staatendokumentation nicht vor). Solange es kein Reiseverbot gegen die betreffende Person gibt, ist es allen iranischen Staatsbürgern möglich, den Iran legal zu verlassen.

Aufgrund der fehlenden Information zur konkreten Fragestellung, werden etwas allgemeinere Informationen zu den Basij, insbesondere auch zu Ausstieg, Desertion, Befehlsverweigerungen und deren Konsequenzen gegeben. Weiters werden Informationen zu (Wieder)Einreise in den Iran zur Verfügung gestellt. Details entnehmen Sie bitte den Einzelquellen.

Einzelquellen:

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe berichtet in einer Auskunft aus dem Jahr 2013 folgendes:

Basij -Miliz

Die Basij (wörtlich «Mobilisierung») ist eng mit der islamischen Revolutionsgarde verbunden und wird von ihr kontrolliert. Sie wurde im November 1979 auf Befehl Ayatollah Ruhollah Khomeinis als «Sazman-e basij-e mostazafan» oder «Organisation zur Mobilisierung der Unterdrückten» gegründet. Ihr Zweck war, den Gefahren der neugegründeten islamischen Republik im In- und Ausland entgegenzuwirken. Während des Kriegs zwischen Iran und Irak wurde die Basij 1981 zu einer Einheit der islamischen Revolutionsgarde («vahed-e basij-e, ostafazafan-e sepah-e pasdaran») und war die wichtigste Organisation für die Rekrutierung und Organisation der Freiwilligen für die Kriegsfront. Zwischen 1990 und 1991 änderte die Basij auf Befehl des neuen Revolutionsführers Ayatollah Ali Khamenei ihren Namen zur «Mobilisierten Widerstandstruppe» («Niruy-e muqa vemat-e basij») und wurde zu einer der fünf Hauptdivisionen der Revolutionsgarde. 2007 wurde das Kommando der islamischen Revolutionsgarde und der Basij offiziell zusammengelegt. Zudem wurde die Basij 2008 stärker in die nach Provinzen aufgeteilte Struktur der Revolutionsgarde integriert. 2009 wurde der Name der Basij wieder zu «Organisation zur Mobilisierung der Unterdrückten» geändert und General Mohammed Reza Naqdi wurde ihr Befehlshaber.

Aktivitäten der Basij

Die Basij sind für viele Aktivitäten zuständig. Primäre Aufgaben sind, die innere Sicherheit im Iran aufrechtzuerhalten, Dissidenten zu unterdrücken und die konservative Deutung der islamischen Gesetze bezüglich Kleidung und Verhalten durchzusetzen. Zu dem sind verschiedene Einheiten für Überwachung und geheimdienstliche Aufgaben, die Bewachung von Gebäuden, aber auch für Hilfseinsätze bei Katastrophen zuständig. Die Basij wurden vermehrt auch bewaffnet zur gewalttätigen Unterdrückung von Demonstrationen eingesetzt. Mitglieder der Basij sind zusammen mit denjenigen anderer Sicherheitsakteure Irans für verschiedene Menschenrechtsverletzungen wie die Anwendung von Folter verantwortlich.

Formen der Mitgliedschaft bei der Basij

Die niedrigste Form der Mitgliedschaft bei den Basij ist diejenige des regulären Mitglieds. Gemäß den Regeln der Basij kann jede Person ein reguläres Mitglied werden, wobei Geschlecht, Alter, Religion, Ethnie und Bildungshintergrund keine Rolle spielen. Sie arbeiten als Freiwillige und erhalten einfache Privilegien wie Coupons oder Rabatte für Freizeitzentren oder finanziellen Zuschüssen für Pilgerreisen. Die Beförderung zu einem aktiven Mitglied erfordert das Mindestalter von 15 Jahren und eine vorherige reguläre Mitgliedschaft für mindestens sechs aufeinander folgende Monate. Viele der aktiven Mitglieder arbeiten für die Basij ebenfalls als Freiwillige ohne ein Gehalt. Allerdings erhalten die aktiven Mitglieder privilegierten Zugang zu limitierten Studienplätzen in Universitäten, zu Anstellungen beim Staat, Rabatten bei Reisen, rechtlicher Beratung sowie eine reduzierte Militärdienstzeit. Die höchste Stufe der Mitgliedschaft ist diejenige des «Spezialmitglieds». Diese ist nicht für alle aktiven Mitglieder erreichbar. Nur eine kleine Gruppe der Basij Mitglieder werden ausgewählt, nachdem sie ideologische und religiöse Prüfungen und Befragungen erfolgreich bestanden haben. Spezialmitglieder werden dadurch technisch Mitglieder der Revolutionsgarde und formell Teil des iranischen Militärs. Sie bilden die Kerngruppe der Basij und werden für Sicherheitsmissionen eingesetzt.

Mitgliederzahl

Die genaue Zahl der Mitglieder der Basij bleibt unklar. Die offizielle iranische Propaganda spricht von rund 15 Millionen Mitgliedern. Schätzungen von Experten gehen weit auseinander: Von rund vier Millionen (drei Millionen reguläre, 800‘000 aktive und 200‘000 Spezialmitglieder) bis zu anderthalb Millionen (davon rund eine Million reguläre, 300‘000 aktive und 90‘000 Spezialmitglieder).

Struktur der Basij

Die Basij ist der islamischen Revolutionsgarde unterstellt. Sie ist in verschiedenen Basij-Widerstands-Regionen («Nahieh-e Basij») in Städten organisiert. Je nach Größe der Stadt gibt es mehrere Basij-Widerstandsregionen pro Stadt. Alle Basij-Widerstands-Regionen einer Provinz sind dem Kommando der Revolutionsgarde der Provinz («Sepah-e ostani») unterstellt. Insgesamt gibt es 32 solche Kommandos der islamischen Revolutionsgarde. Jede Basij-Widerstands-Region ist verantwortlich für die Führung mehrerer Basij-Widerstandszonen («Hozehahe moghavam at-e Basij»), welche wiederum sogenannte Basij-Widerstandsbasen führen. Diese bilden die unterste Ebene. Es gibt rund 40‘000 bis 70‘000 solcher Basij-Basen in Iran. Die Basen existieren zum Beispiel in Wohnvierteln, Schulen, Universitäten, Büros oder Fabriken. In jeder Basis hat es wiederum verschiedene Einheiten und Widerstandsgruppen. Die Einheiten bestehen aus Moralpolizei, Aufklärungs- und Operationseinheiten. Die Widerstandsgruppen decken die Bereiche Sicherheit und Verteidigung, Rettung und Hilfe, Kultur, Propaganda und die Kontrolle moralischer Verstöße ab. Die Basij durchdringt praktisch alle Bereiche der iranischen Gesellschaft. So gibt es für verschiedene Berufsgruppen und Bereiche der Gesellschaft jeweils eine eigene Basij-Abteilung, die eine Gegenorganisation zu fachspezifischen nichtstaatlichen Organisationen bilden und neue Mitglieder in diesen Bereichen rekrutieren. Das weitreichende Netzwerk der Basij gibt dem iranischen Staat die Möglichkeit, die Bevölkerung auf kleinstem Raum und auch in entlegensten Gebieten zu kontrollieren. Die Basij verfügt zudem über mehrere bewaffnete Flügel mit engen Verbindungen zur Revolutionsgarde. Sogenannte Anti-Demonstrationsbatallione («Ashoura» für Männer und «Alzahra» für Frauen) wurden bereits 1991 nach dem Iran-Irak-Krieg gegründet und haben immer mehr an Bedeutung gewonnen. Die «Imam Ali»-Brigaden sind ebenfalls für Sicherheitsaufgaben zuständig. Nach 2003 wurde ein Teil der aktiven Basij-Mitglieder in sogenannte «Karbala»-Einheiten eingeteilt. Diese wurden später in «Imam Hossein»-Brigaden umbenannt und sind Teil der Bodentruppen der Revolutionsgarde. Sie werden von der Revolutionsgarde ausgebildet. Sie sollen die Truppen der Revolutionsgarde mit Selbstmordoperationen und mittels asymmetrischer Kriegsführung unterstützen.

Konsequenzen eines Ausstiegs aus der Basij

Das Regime Irans betrachtet Personen, die von der Staatsdoktrin abweichende Meinungen vertreten oder Menschenrechtsverletzungen des Regimes aufdecken, als Bedrohung. Es ist gut dokumentiert, dass solche Personen im Iran willkürlicher Haft und Folter ausgesetzt sein können.

Reaktionen von Führungsmitgliedern der Revolutionsgarde auf Desertionen und Befehlsverweigerungen

Angesichts zunehmender Desertationen und Befehlsverweigerungen von Mitgliedern verschiedener Sicherheitsbehörden betonte Ali Saeedi, der Repräsentant des Revolutionsführers Khameinis bei den Klerikern der Revolutionsgarde, im Jahre 2011, dass die Basij den Befehlen des Revolutionsführers ohne Ausnahme absoluten Gehorsam zu leisten hätten. Das iranische Regime reagiert offensichtlich mit großer Härte auf Befehlsverweigerungen, da Nachahmer befürchtet werden. Gemäss Rooz Online will die Führung der Revolutionsgarde die Integrität der Revolutionsgarde, ihrer Familien und der Basij mit Hilfe von verschiedenen Maßnahmen sicherstellen. Dazu würden auch «politische Kliniken», gehören, welche die «psychischen und politischen Krankheiten» der fehlbaren Mitglieder der Revolutionsgarde und der Basij behandeln würden.

Dokumentierte Konsequenzen im Falle von Befehlsverweigerungen der Basij- Mitglieder

In einem Interview in Channel 4 News dokumentierte 2010 ein ehemaliges Mitglied der Basij, wie es wegen Befehlsverweigerung inhaftiert und misshandelt wurde. Gemäss eines Artikels der BBC Monitoring International Reports wurden sieben Mitglieder der Basij, welche im April 2011 den Befehl verweigert hatten, auf Demonstranten zu schießen, im Teheraner Evin-Gefängnis inhaftiert und im Beisein von Offizieren der Revolutionsgarde gefoltert. Der Führer der Revolutionsgarde soll des Weiteren eine Spezialeinheit der «Qods» beauftragt haben, Abtrünnige innerhalb der Basij und der Revolutionsgarde zu identifizieren, damit diese verhaftet und vor Gericht gebracht werden könnten.

Konsequenzen eines Austritts für reguläre, aktive oder Spezialmitglieder der Basij

Nach Auskunft eines Experten soll es zwar keine offizielle Bestrafung geben, wenn man als reguläres oder aktives Mitglied aus der Basij austritt. Allerdings werden Befehlsverweigerungen der Basij wie oben erwähnt hart bestraft. Einem desertierten Spezialmitglied der Basij würde bei einer Rückkehr ins Land mit Sicherheit ein Prozess drohen. Gemäss Artikel 105 des «Employment Law» der Revolutionsgarde hat eine Absenz eines Spezialmitglieds von mehr als 15 Tagen in Friedenszeiten eine Anklage wegen Desertion zur Folge.

●             SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.1.2013): Ausstieg aus der Basij, https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/iran/iran-ausstieg-aus-der-basij.pdf, Zugriff 5.4.2018

Gemäß der folgenden Anfragebeantwortung der kanadischen Einwanderungsbehörde aus dem Jahr 2015 ist es jedem erlaubt, in den Iran zurückzukehren. Hat aber jemand eine Straftat verübt und das Land verlassen, oder im Ausland eine Straftat verübt, so wird er bei seiner Rückkehr verhaftet werden. Weiters wird berichtet, dass Iraner, die mit ihrem Reisepass wieder einreisen keine Probleme haben werden. Auch ein längerer Auslandsaufenthalt wird keine Probleme machen, solange die Person legal ausgereist ist. Personen, die mit Reisepass ausgereist sind und mit einem Laissez-passez wieder einreisen, würden am Flughafen befragt werden. Weiters wird berichtet, dass die iranische Verfassung ihren Bürgern erlaubt, zu leben wo sie wollen. Ein Asylgesuch in einem anderen Land ist keine Straftat. Andererseits wird angeführt, dass iranische Behörden angedeutet haben sollen, dass Personen, die im Ausland um Asyl angesucht haben wegen „Verbreitung falscher Propaganda gegen die Islamische Republik Iran“ angeklagt und verurteilt werden sollen. Weiters wird berichtet, dass abgelehnte Asylwerber befragt werden, egal ob sie in Iran oder im Ausland politisch aktiv waren und dass sie einige Tage in Haft genommen werden können, bis die Polizei verifiziert hat, dass sie nicht in politische Aktivitäten involviert waren. Danach werden sie freigelassen. Wenn Personen politisch aktiv waren, egal ob im Iran oder im Ausland, werden diese angeklagt und verurteilt. Im konkreten Fall eines Journalisten, der den Iran nach der Präsidentschaftswahl 2009 verließ und im August 2013 (nachdem Rohani zum Präsidenten gewählt wurde) wieder in den Iran zurückkehrte, sieht sich weiterhin wegen Kritik an iranischen Beamten und Interviews mit der Auslandspresse Anschuldigungen gegenüber. Seit seiner Rückkehr hat er ein Arbeitsverbot, keine Ausreiseerlaubnis und wurde zweimal zu einem Verhör vorgeladen. Eine andere Reporterin, die den Iran vor den Wahlen 2009 verließ, um im Ausland zu studieren, kontaktierte einen Justizbeamten und Parlamentsmitglied und beide sagten ihr, dass sie strafrechtlich verfolgt werden könnte, wenn sie zurückkehrt. Die iranische Justiz fällt unter die Autorität vom Obersten Rechtsgelehrten Ajatollah Ali Khamenei. Die Regierung von Rohani versprach, die Restriktionen in Iran zu lockern, aber die Justiz ist Khamenei stärker verantwortlich, als Rohani, somit gibt es keine Garantie, dass Regierungskritiker, die zurückkehren, sicher seien, da die Justiz diese Personen befragen und anklagen kann.

●             IRB - Immigration and Refugee Board of Canada (10.3.2015): Iran: Treatment by Iranian authorities of failed refugee claimants and family members of persons who have left Iran and claimed refugee status (2011-February 2015), http://www.refworld.org/docid/551e5d1e4.html, Zugriff 9.4.2018

COVID-19

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Die derzeitige tägliche Infektionszahl mit einer 7-Tage-Inzidenz von 0,4 zeigt verhältnismäßig keine höhere Fallzahl als in Österreich an (7-Tage-Inzidenz von 24,5). Das Gesundheitssystem in Iran ist intakt und eine Impfung möglich; in Iran sind 77,58% der Bevölkerung mindestens einmal geimpft und in Österreich sind 56% grundimmunisiert (Grundimmunisierung besteht aus 3 Impfungen) und 76,60% mindestens einmal geimpft.

Nach aktuellem Kenntnisstand müssen Einreisende nach Iran entweder den Nachweis einer vollständigen Impfung oder ein negatives, bei Einreise maximal 72 Stunden altes PCR-Testergebnis auf Englisch vorweisen können. Minderjährige unter zwölf Jahren sind von dem Impf- und Testnachweiserfordernis ausgenommen. Reisende können bei Einreise zusätzlich zu ihrem gesundheitlichen Befinden und ihrer Reiseroute nach ihren geplanten Aufenthaltsorten in Iran befragt werden. Bei COVID-19-Symptomen können ärztliche Untersuchungen und ein COVID-19-Test vorgenommen werden. Ein erneuter COVID-19-Test kann von den iranischen Behörden angeordnet und durchgeführt werden. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses wird für ausländische Staatsangehörige Selbstisolation in einer staatlichen Unterkunft angeordnet. Bei positivem Testergebnis erfolgt eine rigorose Kontrolle der Kontaktpersonen und ggfs. ergehen weitere verpflichtende (Quarantäne-) Anweisungen. Alle entstehenden Kosten sind von den Reisenden zu tragen. Sollten Reisende innerhalb von zwei Wochen nach Einreise Symptome entwickeln, die auf eine Erkrankung an COVID-19 hinweisen, kann ebenfalls ein erneuter Test durchgeführt werden. Abweichende Handhabungen sind jederzeit und kurzfristig möglich (AA 8.2.2023).

Beschränkungen im öffentlichen Leben können sich kurzfristig ändern und werden nicht immer einheitlich umgesetzt. Kurzfristige inner-iranische Reisebeschränkungen können eingeführt werden, zum Beispiel in Bezug auf Mobilität zwischen den Provinzen. Die Beschränkungen werden in der Regel einige Tage vorher über die lokalen Medien bekanntgegeben (AA 8.2.2023). Das Tragen eines Mundschutzes ist in geschlossenen öffentlichen Räumen und in öffentlichen Verkehrsmitteln vorgeschrieben. Personen, die gegen die Vorschriften verstoßen, müssen mit Geldbußen rechnen (Crisis 24 28.2.2023).

Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den Gesundheitssektor sind schwer abzuschätzen. Berichte über Kranke, die mangels Betten aus Spitälern nach Hause geschickt wurden, häuften sich. Kosten für Medikamente - auch in Spitalsbehandlung - konnten sich nicht alle leisten. Wegen voller Auslastung der Krankenhäuser (am meisten in den großen Städten und Ballungsräumen) wurden Feldspitäler aufgebaut. Seitens der Behörden wurden zwar Maßnahmen erlassen, um das Gesundheitssystem zu entlasten, insbesondere Hygienemaßnahmen und Bewegungseinschränkungen, die jedoch regelmäßig missachtet werden. Ein besonderes Problem stellen religiöse Prediger bzw. Veranstaltungen dar, bei denen viele Männer zusammenkommen, ohne Abstand zu halten (ÖB Teheran 11.2021).

Die COVID-19-Krise verstärkt die aufgrund der US-Sanktionen ohnehin ökonomisch schwierige Lage. Eine Reihe von UN-Sonderberichterstattern kritisierten die Auswirkungen der Sanktionen auf die Anschaffung von Impfstoffen. Nachdem der Oberste Führer Khamenei den Import von Impfstoffen aus Großbritannien und den USA zunächst verboten hatte, und im Lichte der Probleme mit der Bezahlung von Importen aufgrund der US-Sanktionen (als "middle income country" muss Iran COVAX-Impfstoffe bezahlen) setzte man im Sinne der Doktrin der nationalen Resilienz auf eigene Impfstoff-Entwicklung. Die Massenproduktion stockte jedoch, und auch Offizielle kritisieren den Umgang mit der Pandemie. Organisierte zivilgesellschaftliche Kritik wird unterdrückt (Verhaftung von Rechtsanwälten, die Klage gegen Behörden anstrebten). Mittlerweile hat die Lieferung ausländischer Impfstoffe seit September 2021 deutlich zugenommen (ÖB Teheran 11.2021). Bis zum 19.2.2023 wurden fast 160 Millionen COVID-19-Impfdosen verabreicht (WHO o.D.).

Quellen

●             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.2.2023): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise (Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/iran-node/iransicherheit/202396#content_5, Zugriff 15.3.2023 [Login erforderlich];

●             Crisis 24 - Crisis24 (28.2.2023): Iran: Authorities maintain COVID-19-related domestic measures and international travel restrictions as of March 1 /update 58, https://crisis24.garda.com/alerts/2023/02/iran-authorities-maintain-covid-19-related-domestic-measures-and-international-travel-restrictions-as-of-march-1-update-58, Zugriff 11.4.2023;

●             ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich];

●             WHO - World Health Organization (o.D.): WHO Coronavirus (COVID-19) Dashboard: Iran (Islamic Republic of), https://covid19.who.int/region/emro/country/ir, Zugriff 11.4.2023;

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Erstbefragung jeweils vom 29.03.2022) und durch das Bundesamt (Einvernahme vom 19.05.2022 und 27.05.2022), der Beschwerdeschriftsatz, die Länderinformationen der Staatendokumentation – Iran vom 13.04.2023 (Version 6) mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Iran: Rückkehr in den Iran, insbesondere Basij-Mitglied und Nationalsportler vom 10.04.2018, Kurzinformation Iran, Proteste, exilpolitische Tätigkeiten und Vorgehen der iranischen Behörden vom 23.02.2023, Deutsche Auswärtigen Amt „Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 18.11.2022, die von den BF vorgelegten Personendokumente (iranischer Personalausweis, Geburtsurkunde, iranischer Reisepass, iranischer Führerschein, diverse Zeugnisse, Mitgliederausweis, etc.) sowie die vorgelegten Integrationsunterlagen und die mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht am 28.04.2023 und am 12.05.2023.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person der BF:

2.1.1. Die Identität der BF steht auf Grund der Vorlage von Personendokumenten, insbesondere Foto ihrer iranischen Reisepässe inklusive Visa sowie in Original iranische Geburtsurkunde/Familienbuch der BF, iranischer Personalausweis des BF1 und der BF2 sowie iranischer Führerschein des BF1 und den gleichbleibenden Angaben der BF im gesamten Verfahren fest (BF1: AS 10-17; BF2: AS 9-19; BF3: AS 9-17; BF4: AS 17-19). Laut polizeilicher Dokumentenuntersuchungsbericht vom 02.08.2022 wurden auch keine Hinweise auf eine Fälschung der vorgelegten Originale (Personalausweis, Familienbuch oder Geburtsurkunde) festgestellt (BF1: AS 85 ff; BF2: AS 53 ff; BF3: 65 f; BF4: 53 f). Dass die BF Staatsangehörige der Islamischen Republik Iran sind, der Volksgruppe der Azeri angehören und sich zum schiitisch-muslimischem Glauben bekennen, steht ebenso auf Grund ihrer diesbezüglich gleichbleibenden Angaben fest vergleiche Seite 1 der Erstbefragungsprotokolle des BF1, der BF2 und des BF3; für BF4 vergleiche Seite 8 des Erstbefragungsprotokolls der BF2; Seite 3-4 der Einvernahmeprotokolle der BF vom 19. bzw. 27.05.2022; Seite 6 und 37 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023; Seite 6 und 22 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023). Bezüglich der BF 4 wird nicht verkannt, dass sie minderjährig ist und daher gerade ihre Aussagen eine besondere Berücksichtigung und Vorsicht bedürfen. Zu ihrer Religionszugehörigkeit wird nicht verkannt, dass sie bereits im Iran, wie angegeben nicht streng gläubig war und Muslima war (Seite 22 des Verhandlungsprotokolls), sie gab jedoch auch an, dass sie mit ihrer geringen Religionsausübung im Iran keine Probleme hatte. Auch eine Hinwendung zu einer anderen Religion ist nicht gegeben, zumal sie darüber keine Ahnung hat (Seite 24 des Verhandlungsprotokolls), sodass sie angibt sich selbst zu entscheiden, aber nicht, dass sie vollends dem Iran abgekommen ist und sich nicht für diesen entscheiden werde. Sie gab an, dass ihre Eltern die Entscheidung ihr und ihrem Bruder offen lässt und dieser angab dem Islam anzugehören (Seite 37 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023). Auch wenn die BF 4 das Tragen des Kopftuches als nicht gewollt angibt und dieses auch in Österreich nicht trägt, so verband sie dies nicht als Zwang durch die Religion, andere religiöse Bereich wie Beten, Moscheebesuch usw. gab sie ebenfalls nicht als Probleme im Iran oder Österreich an. Dass sie Atheistin ist gab sie ebenfalls nicht an. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass die BF 4 ihren Glauben im Islam weiterhin hat, wenngleich die Ausübung der Religion nicht streng, sowie sie es im Iran erlebte, erfolgt und keine Hinwendung zu einer anderen Religion erfolgte und daher auch zu keiner verinnerlichten Änderung ihrer Religion oder gar zu einem Atheismus. Ihre Eltern erzogen sie, nach dem Islam und sprachen ihr diese Religion zu.

Die Feststellungen zu den Sprachkenntnissen der BF basieren ebenfalls auf den gleichbleibenden und glaubhaften Angaben der BF im behördlichen und gerichtlichen Verfahren sowie auf dem Umstand, dass die BF der Volksgruppe der Azeri (türkische Sprachgruppe) angehören und bis zur Ausreise im März 2022 in Iran aufwuchsen und dort lebten, zur Schule gingen und arbeiteten vergleiche Seite 1 der Erstbefragungsprotokolle des BF1, der BF2 und des BF3; Seite 1 der Einvernahmeprotokolle der BF; Seite 4 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023 und vom 12.05.2023).

Die Feststellung, dass der BF1 und die BF2 verheiratet und die Eltern des BF3 und der BF4 sind gründet auf den glaubhaften und übereinstimmenden Aussagen der BF im gesamten Verfahren sowie der Vorlage der Geburtsurkunden (BF1: AS 86; BF2: AS 57; BF3: AS 66, BF4: AS 54; Seite 8 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023; Seite 6 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023).

2.1.2. Die Feststellungen zum Lebenslauf der BF (Geburt, ihr Aufwachsen in Iran, ihre Schulbildung, Freizeitaktivitäten sowie die Bestreitung ihres Lebensunterhalts) gründen auf den diesbezüglich schlüssigen sowie gleichbleibenden Angaben der BF im Verwaltungsverfahren und in der hg. mündlichen Verhandlung vergleiche Einvernahmeprotokolle Seite 7des BF1; Seite 4 der BF2; Seite 5 des BF3; Seite 4 der BF4; Seite 8-13 und 38-39 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023; Seite 6-7 und 22-23 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023). Der BF3 legte auch seine iranischen Schulzeugnisse im verwaltungsbehördlichen Verfahren vor (BF3: AS 55-61).

Dass der BF1 einer Märtyrer-Familie angehört steht aufgrund der Vorlage eines Märtyrer-Familienausweises und den diesbezüglich gleichbleibenden Angaben des BF1 fest, der immer wieder im gesamten Verfahren vorbrachte, dass er aus einer Märtyrer-Familie stammt, weil sein Bruder im Irak-Iran Krieg starb (BF1: AS 55 ff; Seite 7, 9, 11, 13,33, 34 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023). Dass der BF1 Mitglied in der Basij-Miliz in Iran war, steht einerseits aufgrund der Vorlage von Mitgliederausweise fest und brachte der BF1 auch im gesamten Verfahren grundsätzlich allgemein eine Mitgliedschaft der Basij vor unter anderem auch, weil er aus einer Märtyrer-Familie stammt, aber machte er widersprüchliche und nur vage Angaben bezüglich der Dauer und genauen Tätigkeiten für die Basij-Miliz. Somit steht laut Mitgliederausweise lediglich fest, dass er zumindest von 1997 bis 2016 ein Mitglied der Basij-Miliz war, zu Beginn als „einfaches“ Mitglied und später als „aktives“ Mitglied, wie der BF1 vor dem Hintergrund der Anfragebeantwortung schlüssig darstellt (BF1: AS 55 ff). So stimmt vor dem Hintergrund der Länderinformationen überein, dass die Basij eng mit der islamischen Revolutionsgarde (auch Sepah) verbunden und von ihr kontrolliert wird. Zudem werden auch Formen der Mitgliedschaft bei den Basiji unterschieden, die niedrigste Form des regulären Mitglieds (bezeichnet der BF1 als „normaler“ Basiji), welche als Freiwillige arbeiten und einfache Privilegien wie Coupons oder Rabatte oder finanzielle Zuschüsse für Pilgerreisen erhalten und danach ist eine Beförderung zu einem „aktiven“ Mitglied möglich, welche für die Basij ebenfalls als Freiwillige ohne ein Gehalt (so wie der BF1 auch angab, in der Freizeit als Basiji gearbeitet zu haben) möglich. In den Länderinformationen wird auch noch eine weitere höhere Stufe der Mitgliedschaft – „Spezialmitglied“ – angeführt, aber dies trifft nur auf eine kleine Gruppe der Basij Mitglieder zu und werden dadurch technisch Mitglieder der Revolutionsgarde und formell Teil des iranischen Militärs. Dass der BF1 ein „Spezialmitglied“ in der Basij-Miliz war, ist vor dem Hintergrund, dass er selbst immer wieder anführte nicht ein oberster Anführer gewesen zu sein, sondern in der Mitte gewesen zu sein und von „oben“ Befehle bekommen zu haben nicht anzunehmen und wäre auch aufgrund der Tatsache, dass der BF in Teheran lebte und nur unregelmäßig ca. einmal im Monat für die Tätigkeit als Basiji 6,5-7,5 Std. nach römisch 40 fuhr (Pkt 1.5.; Seite 10-11 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023). Darüber hinaus machte der BF1 zu seiner Tätigkeit als Mitglied der Revolutionsgarde in der Basiji-Miliz lediglich nur vage Angaben und wollte auch trotz mehrmalige Nachfrage in der mündlichen Verhandlung seine bis dahin vagen und widersprüchlichen Aussagen nicht konkretisieren (Seite 9-12 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023; nähere Ausführungen folgen unter 2.2.).

2.1.3. Die Feststellungen zu den Familienmitgliedern der BF und ihren aktuellen Aufenthaltsorten ergeben sich aus den diesbezüglich ebenso übereinstimmenden, gleichbleibenden und insofern glaubhaften Angaben der BF im Verwaltungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung vergleiche Einvernahmeprotokolle, Seite 7f des BF1; Seite 6 der BF2; Seite 5 des BF3; Seite 4 der BF4; Seite 13f, 21, 26 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023 und Seite 7f, 25 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023).

2.1.4. Die Feststellungen zum aktuellen Gesundheitszustand der BF gründen auf den Angaben der BF in den mündlichen Verhandlungen, wonach von den BF chronische oder akute Krankheiten oder andere Leiden oder Gebrechen verneint wurden (Seite 5 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023 und 12.05.2023). Die BF leiden somit an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen und wurden auch keinerlei medizinische Unterlagen oder Befunde zu keinem Zeitpunkt im Verfahren vorgelegt.

2.1.5. Die Arbeitsfähigkeit der volljährigen BF ergibt sich einerseits aus ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung, wonach sowohl der BF1 als auch die BF2 über eine Berufsausbildung und über Arbeitserfahrung im Herkunftsstaat verfügen, und andererseits aufgrund ihres Alters und ihres Gesundheitszustandes. Hinzu kommt die Tatsache, dass der BF1 im Bundesgebiet auch selbständig erwerbstätig ist. Der BF3 ist mittlerweile auch volljährig und aufgrund seines Gesundheitszustandes und Alters ebenso arbeitsfähig, auch wenn er bislang noch über keine Arbeitserfahrung verfügt.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der BF gründet auf den eingeholten Strafregisterauszügen. Dass gegen den BF1 in zwei Fällen wegen Verdacht auf Diebstahl ermittelt wird basiert auf den vorliegenden Abschluss-Bericht der Polizei römisch 40 , daraus ergeben sich auch die weiteren Feststellungen zu den Vorfällen zu denen der BF1 laut Abschluss-Bericht geständig zu OZ1 und teilweise geständig zu OZ2 ist. Dies zeigt, dass der BF 1 Ansätze einer Nichteinhaltung von gesetzlichen Regeln ist und sich an die Rechtsordnung des österreichischen Staates nicht hält. Die Gegenstände, die der BF geständig gestohlen hat, sind auch keine Güter des lebensnotwendigen Bedarfes und zeigen dem Gericht, dass er nicht davon zurückschreckt, trotz derzeitiger Arbeitsätigkeit und Verdienst „Luxusgegenstände“ zu entwenden und dadurch andere zu schädigen.

2.2. Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen des BF:

2.2.1. Anschließend an die obigen Ausführungen zu der Mitgliedschaft des BF1 zu der Basij-Miliz wird aufgrund folgenden Erwägungen festgestellt, dass den BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung oder Bedrohung aufgrund der früheren Mitgliedschaft und Tätigkeiten des BF1 als Basiji:

Einerseits brachte der BF1 seine Mitgliedschaft der Revolutionsgarde in der Basiji-Miliz vor und belegte dies auch mit der Vorlage zwei Basiji-Ausweise, welche zuletzt bis 2016 verlängert wurden. Darüber hinaus machte der BF1 zu seiner Tätigkeit als Basiji nur vage und widersprüchliche Angaben und trotz mehrmaligen Nachfragen in der mündlichen Verhandlung nur sehr zurückhaltend nähere Ausführungen. Dies lässt zum einen die Annahme zu, dass der BF1 getätigte Menschenrechtsverletzungen und Folter an Menschen als Basiji, deren primäre Aufgabe unter anderem laut Länderinformationen die innere Sicherheit im Iran aufrechtzuerhalten, Dissidenten zu unterdrücken und die konservative Deutung der islamischen Gesetze bezüglich Kleidung und Verhalten durchzusetzen ist, zu dem sind verschiedene Einheiten für Überwachung und geheimdienstliche Aufgaben, die Bewachung von Gebäuden, aber auch für Hilfseinsätze bei Katastrophen zuständig und wurden die Basij vermehrt auch bewaffnet zur gewalttätigen Unterdrückung von Demonstrationen eingesetzt und sind Mitglieder der Basij zusammen mit denjenigen anderer Sicherheitsakteure Irans für verschiedene Menschenrechtsverletzungen wie die Anwendung von Folter verantwortlich, nicht darlegen oder verdrängen wollte. Zum anderen können die nur vagen und spärlichen Aussagen des BF1 hierzu auch den Schluss zulassen, dass der BF nur ein einfaches Mitglied war bzw. kaum aktiv war, keine Leitungs-oder Führungsfunktion inne hatte und in Folge auch von keiner Befehlsverweigerung zu sprechen ist, sondern der BF1 seine Mitgliedschaft bereits 2016 „auslaufen“ lies und nicht mehr verlängerte, aber er dadurch keine Probleme bekam und ihm auch keine oppositionelle Gesinnung von Seiten der iranischen Behörden unterstellt wird.

Gemeinsam ist, dass aufgrund seiner widersprüchlichen und vagen Angaben im Verfahren, eine Verfolgung aufgrund seiner wie auch immer sich ausgestalteten Mitgliedschaft in der Basij-Miliz nicht glaubhaft ist. So gab er bei der Erstbefragung an, Mitglied der Revolutionsgarde in Iran zu sein und den Befehl bei Demonstrationen gegen das Regime die Teilnehmer zu erschießen abgelehnt zu haben (Seite 7 des Erstbefragungsprotokolls BF1). Im Unterschied hierzu gab der BF vor dem Bundesamt wie auch in der mündlichen Verhandlung an bis 2016 aktives Mitglied als Basiji gewesen zu sein und dass er nachdem er 2017 aus Österreich zurückgekehrt sei immer wieder von der Revolutionsgarde vorgeladen worden sei und nach den Unruhen wegen der Benzinpreiserhöhung sollte er bei der Niederschlagung der Demonstrationen teilnehmen und hatte einen Schlagstock und Pfefferspray. Sein Kommandant habe bemerkt, dass er die Demonstranten nicht schlug, obwohl er den Befehl dazu erhalten hatte (BF1: Seite 9 des Einvernahmeprotokolls). Widersprüchlich ist in diesem Zusammenhang, dass er vom „Schlagen“ und nicht „Erschießen“ spricht und insbesondere, dass er nur bis 1395 (2016) aktives Basiji-Mitglied gewesen sei, aber die Unruhen im Rahmen der Benzinpreiserhöhung, wo er als Basiji eingesetzt worden sei, wie er im späteren Einvernahmeverlauf schilderte 1398 (Oktober/November 2019) stattfanden (BF1: Seite 29 des Einvernahmeprotokolls). So gab er auf die Frage, was er mit Benzinpreisgeschichte meine an: „Als das Benzin teuerer wurde und die Leute, deswegen auf die Straße gegangen sind….komm nach Shabesta es war im Jahr 1398“. Diese Jahreszahl ist auch amtsbekannt und in den öffentlichen Berichten ersichtlich, indem über die Demonstrationen im Oktober/November 2019 berichtet wird (https://www.dw.com/de/massive-proteste-nach-benzinpreiserh%C3%B6hung-im-iran/a-51297376) und das Einschreiten der Regierung auch zur Abschaltung des Internets im November 2019 führte (LIB Meinungs- und Pressefreiheit, Internet). Sodass diese Welle der Gewalt gegen Demonstranten im Oktober/November 2019 erfolgte und im Iran mit dem Monat 8.1398 gleichzsetzen ist (http://www.nabkal.de/kalrechiran.html).

Es zeigt sich jedoch immer wieder, dass der BF 1 in diesen Angaben widersprüchlich ist und so vor dem Gericht den Eindruck erweckte, dass er die Fluchtgeschichte zu konstruieren versuchte und aufgrund der verschiedenen Angaben zu keinen konkludenten Ergebnis kam.

Die Angabe im Jahr 2019 an den Kampf gegen die Demonstrationen teilgenommen zu haben ist widersprüchlich mit seinem Ausweis, welcher als Ende der Tätigkeit das Jahr 2016 angibt.

Es wird nicht übersehen, dass der BF angab auch nach 07/1395, 09 bwz. 10/2016 aufgefordert worden ist diesen zu verlängern aber es zu keiner Verlängerung kam (Seite 9 bzw. 12. des Verhandlungsprotokolls). So ist es auch nicht nachvollziehbar und lebensfremd, dass wenn der BF bis ins Jahr 2019 also drei Jahre noch länger für die Basiji tätigk gewesen sein soll, warum er dann keine Verlängerung erhalten haben soll.

Schließlich gab er konkret auf die Frage, ob er ab 07/1395 noch als Basiji gearbeitet habe an, „Nein, in der Zeit wo Corona war, haben sie imme wieder gesagt, komm aber ich bin nicht hingegangen“ (Seite 12 des Verhandlungsprotokolls). Sodass er hier selbst bestätigte, ab 1395 nicht mehr tätig gewesen zu sein, auch zur Zeit von Corona nicht und es daher gar nicht möglich ist, dass er im Jahr 1398 an den Maßnahmen gegen die Demonstranten gegen die Benzinpreiserhöhung dabei gewesen ist.

In der mündlichen Verhandlung bekräftigte der BF1 wiederholt, dass er bis 1395 (2016) aktives Basiji-Mitglied gewesen sei, aber gab bei der Schilderung der Fluchtgründe im zeitlichen Widerspruch hierzu an, dass nach der „Benzingeschichte“ man ihm vorgeworfen habe, dass er nicht so richtig mitarbeite und es jeden Tag immer schlimmer geworden sei und nach einer Woche haben sie seine Wohnung durchsucht und dies war aber im Jahr 1398 (2019) (Seite 28f des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023:

„RI: Sie waren sehr grob in den Aussagen, so haben Sie keine Daten angegeben bzw. nicht gesagt, wer die Leute sind, die Sie z.B geladen haben und so weiter?

BF: Am 13.03.1398 wurde meine Wohnung durchsucht. Ich habe dem BFA die Nummer von der Akte geschickt, wo sie behauptet hätten, ein Dieb wäre in die Wohnung gekommen. Wenn sie mir sagen, ich meine die, dann meine ich die Sepah.

RI: Was meinen Sie mit der Benzingeschichte?

BF: Als das Benzin teurer wurde und die Leute, deswegen auf die Straße gegangen sind. Das war überall im Iran, da wurden die Tankstellen angezündet, die Straßen wurden dabei zugesperrt. Ich war in Teheran zu dieser Zeit, dann hat man mich gerufen und gesagt, komm nach römisch 40 es war im Jahr 1398.

[…]

RI: Vorher haben Sie gesagt, dass Sie im Jahr 1395 Ihre Tätigkeit beendet haben?

BF: Ich glaube, dass ich die Daten jetzt durcheinander bringe. Meine letzte Karte war bis 1398. RI: Ich habe Ihnen vorgetragen die Gültigkeit Ihrer Karte, die letzte war bis 1395, das haben Sie auch bestätigt! Sie selbst haben ja von sich aus gesagt, dass Sie von 1385 – 1395 nur aktiv tätig waren?

BF: Ja, das ist richtig.

RI: Also, was sagen Sie jetzt zu den angegebenen Daten?

BF: Ich habe einen Fehler mit den Daten gemacht. Ich glaube, dass ich den Diebstahl meiner Wohnung mit der Geschichte mit den Basijis verwechselt habe. Weil die Wohnung hatten wir 1398.

RI: Meinen Sie der Diebstahl in der Wohnung war 1398?

BF: Der vorgetäuschte Diebstahl war 1398 (= vor 4 Jahren).

RI: Wie lange würden Sie jetzt sagen, dass Sie bei den Basiji tätig waren?

BF: 1376 -1395.

RI: Warum waren Sie 1398 bei den Demonstrationen gegen die Benzinpreise der Basiji dabei?

BF: Das mit dem Benzin war 1395. Die Aufstände waren 1395.

RI: Was ist bei den Vorfällen 1395 vorgefallen?

BF: Seit der Zeit haben die angefangen mich zu bedrohen und zu kritisieren, warum ich nicht mitarbeite. Dann habe ich immer wieder gesagt, ich komme bis die Coronageschichte war. Dann habe ich den Mann gefunden und bin davon rausgekommen.“).

Um seine Angaben zu verbessern bzw. abzugleichen, versuchte der BF jedoch anzugeben, dass die Aufstände bereits im Jahr 1395 gewesen seien.

Dies deckt sich jedoch wiederum nicht mit den Angaben bezüglich der Durchsuchung seiner Wohnung. Er gab wieder, dass am 13.03.1398 seine Wohnung durchsucht worden sei, „Erst nach der Benzingeschichte hat man mir vorgeworfen, dass ich nicht so richtig mitarbeite. Dann habe ich ein Brief bekommen, dass ich dort erscheinen soll, Dann wurde das jeden Tag immer schlimmer mit den Vorwürfen und nach einer Woche haben sie meine Wohnung durchsucht“ (Seite 28 des Verhandlungsprotokolls). Wennn nunmehr die Demonstration gegen die Benzinpreiserhöhung im Jahr 1395 war, dann ist ein Zusammenhang von einer Woche bis zur Durchsuchung am 13.03.1398 ebenfalls nicht gegeben. Aber auch wenn die Demonstrationen von 09.1398 gemeint sind, dann ist ebenfalls eine Durchsuchung nach den Demonstrationen nicht mit 13.03.1398 möglich.

Ergänzend gab er nochmals an, dass er im Jahr 2017 als er nach Österreich reiste zwar noch auf der Liste der Basiji stand, aber nicht mehr mitgearbeitet habe (Seite 31 des Verhandlungsprotokolls).

Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt gab der BF1 noch an, dass er Kommandant des Basij für ein Stadtviertel gewesen sei und vier Basijstützpunkte unter ihm gehabt hatte (BF1: Seite 11 des Einvernahmeprotokolls). Im Unterschied hierzu, gab er dies in der mündlichen Verhandlung nicht an, ebenso auch nicht, dass er andere Basiji befragt habe, die in Verdacht einer oppositionellen Gesinnung standen, weil er ein geschulter Ermittler gewesen sei, wie er zuvor in der Einvernahme noch vorbrachte (BF1: Seite 13 des Einvernahmeprotokolls). In der mündlichen Verhandlung gab der BF1 erst lediglich auf mehrmalige Nachfragen und widersprüchlich an, ob er eine Führungsfunktion inne hatte, dass er ein „Offizier“, aber kein „General“ gewesen sei, eine Führungsfunktion hatte, aber von oben Befehle bekommen hatte und 2-3 Leute immer unter sich hatte. Diese Angaben sind nicht mit einem Kommandanten von einem Stadtviertel mit vier Basijstützpunkte unter seiner Führung in Einklang zu bringen (Seite 11-12 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023).

Dass die BF 2 nunmehr schilderte, dass der BF bis ins Jahr 1395 als Basiji arbeitete aber die Gültigkeit der Karte abgelaufen ist, zeigt dem Gericht, dass sie nunmehr versuchte die widersprüchlichen Angaben des BF 1 zu erkären. Das Gericht befragte jedoch nicht nach der Gültigkeit der Karte sondern nur wielange Ihr Mann als Basiji gearbeitet hat und sie gab die genannten Daten an. Auf nochmaliger Nachfrage, sagte sie dann bis ins Jahr 1398. So ist es auch hier lebensfremd, nicht bei erstmaliger Befragung gleich das Jahr 1398 anzugeben und auf Nachfrage, warum die Karte dann 1395 abgelaufen ist, eine Erklärung bekanntzugeben. Dadurch vermochte die BF 2 ebenfalls nicht die häufigen widersprüchlichen und vagen Angaben des BF 1 zu erkären bzw. aufzulösen.

Weiters ist keinesfalls nachvollziehbar, dass der BF1 zum einen vage, aber doch vorbringt als aktiver Basiji mit höherer Position mit gewissen Führungsfunktionen und insgesamt während 19 Jahre als Basiji niemanden geschlagen hat, wie der BF1 in der mündlichen Verhandlung angab, weil er könne nicht mal Tiere schlagen (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023). Auf Nachfrage konkretisierte der BF1 am Anfang als „normaler“ Basiji noch Menschen geschlagen zu haben 1375-1385 und danach bis 1395 als aktiver Basiji nicht mehr, wobei dies ebenso vor dem Hintergrund zu den Länderinformationen und Aufgaben der Basiji nicht plausibel ist und auch nicht nachvollziehbar, dass der BF1 ca. 10 Jahre als aktiver Basiji keine Menschen geschlagen hat und seine Vorgesetzten dann erst im Jahr 1395 draufgekommen seien (Seite 11 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023:

„RI unterbricht, wir sind aber im Jahr 1385, Sie meinten damals haben Sie sich schon nicht mehr gegen die Menschen gestellt.

BF: Ja, 1385 war alles das was ich Ihnen geklärt.

RI: Den Pfefferspray, den Sie bekamen haben Sie nur mitgeführt und nie eingesetzt und auch sonst sich nicht mehr gegen die Menschen gestellt und so konnten Sie trotzdem von 1385 – 1395 bei den Basiji bleiben?

BF: Da mein Bruder ja Märtyrer war, haben die mich damals nicht unter Beobachtung gehabt. Ich habe die Leute gewarnt und nicht mehr geschlagen, nur ganz am Anfang tat ich das. Wir haben uns im Auto aufgehalten und waren nicht vorne an der Front.

RI: Hatten Sie eine Führungsfunktion?

BF: Nein, Ich war wie ein Offizier, aber kein General. Ich hatte eine Führungsfunktion. Wir haben von oben Befehle bekommen z.B, dass wir zu einem Ort hingehen sollen und beobachten sollen. Wir haben dort gestanden.

RI: Ich habe Sie gefragt, ob Sie eine Führungsfunktion hatten, das ist jemand, der anderen Befehle oder Aufträge erteilt.

BF: Ja, das ist richtig.

RI: Wie viele Leute hatten Sie unter sich und seit wann hatten Sie diese Führungsfunktion?

BF: Es war eine kleine Stadt, es waren 2-3 Leute immer unter mir.

RI: Warum können Sie nicht konkret, das sagen was sie beim BFA gesagt haben, ich war Kommandant vom Stadtviertel und hatte 4 Basijstützpunkte unter mir.

BF: Ich sag das jetzt genauso. Es waren 3 – 4 Leute unter mir.

RI: Seit wann hatten Sie diesen Stützpunkt?

BF: Seitdem ich die Karte habe, seit 1385 – 1395.

RI: Haben diese Leute auch die Menschen nicht geschlagen?

BF: Doch.

RI: Warum haben Sie das nicht verhindert?

BF: Ich hatte damals nicht diese Gedanken, der Mohammad, der heute hier sitzt, hat andere Gedanken.“).

Aufgrund dessen geht das erkennende Gericht davon aus, dass der BF1 aufgrund seiner privilegierten Stellung der Märtyrer-Familie nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgt wird, weil er seit 2016, somit seit mehreren Jahren nicht mehr als Basiji tätig wurde. Dies steht auch damit in Einklang, dass der BF bereits 2016 und 2017 ohne Probleme nach Österreich reiste und wieder in den Iran zurückkehrte. Ebenso ist in diesem Zusammenhang stimmig, dass der Bruder des BF1, wie er selbst ausführte, auch nicht als Basiji tätig ist sowie auch kein Interesse am Islam hat und nach wie vor bis auf Probleme mit dem Vater des BF1, dennoch weiterhin in Iran lebt und als Architekt erwerbstätig ist (Seite 13f des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023). Dass der BF1 aufgrund seiner früheren aktiven Tätigkeit als Basiji auch nicht konkret bedroht oder verfolgt wird, ebenso ihm auch keine oppositionelle Gesinnung oder Spionagetätigkeiten im Falle einer Rückkehr unterstellt wird gründet auch auf die Tatsache, dass zwei seiner Schwestern weiterhin in Iran leben und Mitglieder der Revolutionsgarde Sepah sind und der BF1 auch in Kontakt mit seinen Familienmitgliedern ist und in diesem Zusammenhang auch keine Vorfälle oder Probleme berichtete ((Seite 13f des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023:

„RI: Wer arbeitet bei der Sepah?

BF: Meine älteste Schwester namens römisch 40 und die jüngste römisch 40 . Die mittlere Schwester ist Krankenschwester und ihre beiden Söhne sind Ärzte. Wir waren alle aktiv in dem System. Da sie einen Märtyrer Bruder hatte, hatte die Schwester auch einen Vorteil und konnte dort arbeiten. Die mittlere Schwester war kein Sepah, sie war Krankenschwester und bei Wahlen war sie auch dabei, sie hat irgendwelche Sachen geschrieben. Mein Bruder hat sich zurückgezogen, er war eigentlich nicht so ganz dabei. Er hatte kein Interesse an dem Islam. Er war nie bei den Basiji dabei. Er hatte immer das Problem mit meinem Vater, weil er den Islam überhaupt nicht akzeptiert. Er ist noch immer Architekt.“).

Es ist auch lebensfremd, dass der BF 1, welcher selbst angibt im Jahr 2016, das letzte Mal für die Basiji tätig gewesen zu sein und sich jahrelang weigerte seinen Ausweis zu verlängern, trotzdem weiterhin Aufgaben als Basiji wahrgenommen zu haben, denn er hätte dann auch seinen Ausweis verlängern lassen können. Wenn er aber tatsächlich, wie auch vom Gericht angenommen 2016 seine Tätigkeit beendete, konnte er nicht schlüssig darlegen, warum er gerade im Jahr 2019, also drei Jahre ohne Tätigkeit bei den Demonstrationen zu den Benzinpreisen anwesend gewesen sein soll. Eine Bedrohung oder Zwang zur Ausübung seiner Tätigkeit wurde von ihm nicht vorgebracht, also ist es nicht nachvollziehbar, warum er nun freiwillig diese Aufgabe übernahm, wenn er sich bis dahin dagegen wehrte.

Aber der BF 1 war auch als Architekt tätig, so wäre es den Behörden auch möglich gewesen, dem BF in diesem Bereich zu behindern, da gerade in der islamischen Republik Iran die staatlichen Behörden vor keiner Zwangsmaßnahme zurückschrecken. Gerade in diesem Bereich hätten die staatlichen Behörden die Möglichkeit gehabt, die Lebensgrundlage für die Familie des BF einzuschränken und so Druck ausüben zu können. Dasselbe gilt für die Tätigkeit der BF 2.

Da der Vater einen Märtyrersohn hatte, Angehörige bei den Sepah bzw. Basiji ist es nicht verwunderlich und daher nicht lebensfremd, dass er von Angehörigen einer Behörde besucht wird und befragt wie es ihm geht bzw. wo sein Sohn sei. Daraus kann das Gericht keine Bedrohung erkennen.

Ebenso ist auch die Vorgangsweise der BF bei der Ausreise nicht nachvollziehbar, wie auch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausführlich dargelegt hat, und konnte der BF1 dies auch in der mündlichen Verhandlung nicht schlüssig entkräften. Wie auch der BF1 angab, wurde nie ein Ausreiseverbot gegen ihn verhängt, vor diesem Hintergrund ist das Vorbringen, dass er unter Beobachtung der Sepah und iranischen Behörden, wegen Verdacht der Befehlsverweigerung unter unterstellter oppositioneller Gesinnung oder Spionagetätigkeiten, ebenfalls nicht glaubhaft (Seite 14 des Verhandlungsprotokolls: „RI: Wie sind Sie da ausgereist? BF: Wir sind in einem Flugzeug eingestiegen und hier hergekommen mit dem Visum. RI: Hat es irgendwelche Probleme bei der Ausreise gegeben? BF: Nein, ich hatte ja kein Ausreiseverbot.“). In Folge ist auch nicht nachvollziehbar, dass die BF für ihre Ausreise im März 2022 einen Schlepper benötigten, obwohl der BF1 bereits zuvor eine Ausreise nach Österreich mit einem Touristenvisum ohne Probleme organisieren konnte, ihm der Behördengang aufgrund der vorangegangenen Reisen nach Österreich, bekannt sein musste und gegen die BF kein Ausreiseverbot verhängt wurde, obwohl wie ihnen bekannt war, der BF schon zweimal in Österreich gewesen ist und daher den Iran verließ (Seite 66 f des angefochtenen Bescheides des BF1; Seite 15 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023).

Weiters schilderte der BF1 vor dem Bundesamt und auch in der mündlichen Verhandlung die volljährigen BF im allgemein übereinstimmend, weitere Vorfälle (Einbruch in der Wohnung, Krankenhausbesuch, BF2 auf die Straße geschubst), wobei hier das erkennende Gericht von strafrechtlichen Vergehen/Verbrechen ausgeht, welche auch von den iranischen Behörden jeweils aufgenommen wurde und keine konkrete und individuell gegen die BF gerichtete Verfolgungshandlung oder Bedrohung erkannt werden können (Seite 12 des Einvernahmeprotokolls). So führte der BF1 aus, dass die BF zu Besuch bei einem Freund gewesen seien und bei der Rückkehr sei ihre Wohnungstür blockiert gewesen und Laptop sowie Bargeld und Dokumente seien entwendet worden, aber das Gold nicht. Im Anschluss seien von der ganzen Familie die Fingerabdrücke abgenommen worden. Diesen Vorfall brachte der BF1 auch in der mündlichen Verhandlung vor und gab an, dass es sich nicht um einen Einbruch, sondern um eine Hausdurchsuchung gehandelt habe, weil der Schmuck seiner Frau in der Wohnung verblieben ist. Wobei das Vorbringen mit dem Schmuck oder Gold, nicht nachvollziehbar ist, wenn der BF1 hinsichtlich seiner Ausreise und Bezahlung des Schleppers im Widerspruch angab, dass die BF für die Organisation der Ausreise 2022 ihre Wohnung und das Auto verkauft haben, aber auch auf konkrete Nachfrage den Besitz weiterer Wertgegenstände wie Gold und Schmuck vom BF1 in der mündlichen Verhandlung verneint wurden (Seite 15f des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023:

„RI: Was hat Sie das gekostet?

BF: 30.000€ haben wir ihm gegeben.

RI: Woher hatten Sie das Geld?

BF: Wir haben unser Haus und Auto verkauft. Wir hatten eine Wohnung in Teheran.

RI: Hatten Sie sonst noch Wertgegenstände, die Sie verkaufen konnten?

BF: Nein, wir waren noch jung und das war alles, was wir besaßen.

RI: Haben Sie kein Bargeld gehabt, Aktien, Gold, Schmuck, die Sie verkaufen konnten?

BF: Wir hatten Ländereien, diese Ländereien besitzt mein Vater.

RI: Hatten Sie nicht mehr Schmuck oder Gold?

BF: Nein, wir hatten nichts.“).

Vielmehr geht deshalb das erkennende Gericht davon aus, dass es sich um einen Einbruch gehandelt hat und dieser, wie auch von den BF erzählt von der Polizei aufgenommen wurde und Ermittlungen hierzu getätigt wurden, so ist auch das Abnehmen von Fingerabdrücken der ganzen Familie, um diese von Personen, die in die Wohnung einbrachen, womöglich unterscheiden zu können, durchaus nicht lebensfremd (BF3: Seite 42f des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023: „RI: Wissen Sie etwas Genaueres über den Diebstahl in der Wohnung? BF: Ja, das war im Monat Ramadan wir sind da grad weggegangen und als wir zurückgekommen sind. Meine Mutter hatte das obere Schloss nicht zugesperrt, aber als wir zurückgekommen sind war es zugesperrt. Alles war durcheinander und alles wurde durchsucht. Die Schränke und unter den Betten. Dann kam die Polizei und hat ein Protokoll aufgenommen. Ich habe gedacht, wenn ein Dieb kommt, hätte er auch die Euros und Dollars gestohlen, aber es war nur die Tasche mit dem Laptop und ein paar Dokumente weg. Dann kam noch ein anderes Team, die haben nach Fingerabdrücke gesucht und, diese genommen, die im Raum befindlich waren. Dann haben wir bemerkt, dass die Diebe über den Balkon gekommen sind. Dann kam eine SMS mit einer Ladung zum Gericht. Dann haben wir alle unsere Fingerabdrücke abgegeben. Mein Vater hat noch protestiert, dass seine Tochter noch zu jung ist. Sonst nichts.“).

Zudem brachte der BF1 vor, dass er sechs Jahre hindurch telefonisch (wöchentlich) bedroht worden sei und einmal in einem Krankenhaus, als er einen Bekannten besucht habe. Dies ist ebenfalls nicht nachvollziehbar und stützte sich der BF1 hierbei bloß auf spekulative und äußerst vagen Angaben und Befürchtungen, ohne konkrete Hinweise, dass es sich um Drohungen von der Sepah gehandelt hat. Die Personen nannten nie Namen und auch die Situation im Krankenhaus konnte der BF1 nicht nachvollziehbar erklären, sondern stützte sich immer stets auf die Annahme er werden von Sepah-Mitgliedern bedroht, ohne konkrete Hinweise hierfür (Seite 28 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023). Anzumerken ist in diesem Zusammenhang auch, dass der BF1 bei der Schilderung seiner Fluchtgründe immer nur von „sie“ spricht und seine Verfolger nicht benennt und ebenso die Vorfälle auch zeitlich unterschiedlich vorbrachte und mit seiner Einstellung der Tätigkeiten als Basiji bereits drei Jahre zuvor 2016 auch zeitlich nicht nachvollziehbar in Einklang zu bringen sind vergleiche Seite 28 und 33 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023: „RI: Wie oft wurden Sie persönlich, direkt im Angesicht von diesen Leuten bedroht? BF: Nur einmal im Krankenhaus als dieser Freund eingeliefert wurde. Pass auf, dass kann dir auch passieren. Das war glaube ich vor dem Diebstahl.“).

Auch bei dem dritten vorgebrachten „Angriff“ auf die BF2 ist vielmehr davon auszugehen, dass es sich hierbei um einen versuchten Diebstahl von Schmuck handelte, wie es sowohl von der BF2 als auch den BF3, der damals ebenso dabei war, geschildert wurde und in Iran häufig vorkommt vergleiche Seite 42 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023; Seite 18f des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023: „[…] Danach war ich einmal mit meinem Sohn auf der Straße. Wir wollten die Straße überqueren dann kam ein Motorradfahrer und hat nach einer Adresse gefragt. Ich habe ihm geantwortet und er fuhr dann weg. Wir standen dann noch hinter der Ampel und wollten die Straße überqueren als mich wer von hinten gestoßen hat. Ich dachte, dass er meine Kette wollte, weil das so üblich war. […]“). Dass es sich hierbei um einen gezielten Angriff gegen die BF2 handelte, um den BF1 einzuschüchtern, ist vielmehr rein spekulativ und gibt es hierfür keine ausreichenden Anhaltspunkte. Insbesondere, da auch in diesem Fall die Polizei tätig wurde und die Aussagen der BF protokollierte und Straßenkameras kontrollierten, wie der BF3 durchaus ausführlich und schlüssig in der mündlichen Verhandlung schilderte (Seite 42 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023: „RI: Die Situation ist nicht ganz klar für mich, die Straße geht runter und die andere kommt rauf. Wo seid Ihr gestanden als Ihr gefragt wurdet? BF: Wir waren bei einer Ampel. Meine Mutter wurde von hinten geschubst. Wir dachten, er will die Kette von meiner Mutter, das machen viele Motorradfahrer so. Die Polizei war in 10/15 Minuten da, als wir sie anriefen. Unterhalb von unserer Wohnung ist eine Apotheke, da gibt es die Kameras. Wir haben auf dem Gehsteig gewartet. Die Polizei hat gefragt, so wie Sie gefragt haben und haben die Kameras kontrolliert. Dann haben sie ein Protokoll aufgenommen und haben gesagt, wir werden sehen, ob wir ihn finden, wir melden uns dann bei euch. Dann haben sie uns nicht mehr angerufen. Wegen dem Diebstahl in der Wohnung mussten wir dorthin unsere Fingerabdrücke abgeben. Meine Mutter ist nach vorne gefallen und das Auto, was kommen wollte, hat angehalten. Meine Mutter hat sich mit den Händen abgestützt. Sie hatte Abschürfungen an den Händen, aber sie ist nicht ins Krankenhaus gefahren.“).

Weiters ist auch eine entsprechende Bedrohung der BF 2 in einem einzigen Fall nicht nachvollziehbar. So ging die BF 2 bis zur Ausreise eine selbständige Tätigkeit nach, ging alleine zur Arbeit, vollbrachte ihrer Arbeit und kehrte zurück. Es wären so in den vielen Jahren genügend Möglichkeiten gewesen, die BF 2 unter Druck zu setzen oder tatsächliche Bedrohungen auszusprechen. Dies brachte sie jedoch nicht vor und ist daher lebensfremd, dass versucht wird sie zu töten oder zu verletzen in einem öffentlichen Raum, welcher überwacht wird, aber ansonsten keine weiteren Maßnahmen gesetzt werden.

Hinzu kommt, dass es auch keinesfalls plausibel ist, dass der BF1 seit Beginn der angeblichen „anonymen“ telefonischen Drohungen durch die iranischen Behörden im Jahr 2016/2017, obwohl er nach seinen widersprüchlichen Angaben und die seiner Frau auch 2019 noch als Basiji tätig war, seine Kinder immer zur Schule und zum Sport begleitete, weil er Angst um sie hatte (Seite 28 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023: „[…] Ab diesem Zeitpunkt fingen sie an mich zu bedrohen, ich erhielt unbekannte Anrufe und seitdem hatte ich kein Ruhe mehr. Ich hatte immer mein Sohn oder meine Tochter immer zur Schule gebracht, oder zu dem Ort wohin sie wollten. […]“). Dies ist vor dem Hintergrund, dass wie die BF in der mündlichen Verhandlung angaben, sowohl der BF1 und die BF2 berufstätig waren, der BF3 und die BF4 in verschiedene Schulen gingen und der BF3 täglich zum Fußballtraining auch am Rande von Teheran musste sowie die BF4 zum Volleyball, schlichtweg nicht alles miteinander vereinbar. Der BF3 und die BF2 relativierten dies insbesondere in der mündlichen Verhandlung auch damit, dass der BF3 auch alleine oder mit Freunden zum Training fuhr, mit der U-Bahn oder auch mit dem Taxi sowie dass ihn der Vater mit dem Auto hinbrachte, weil es schneller war (Seite 39f des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023).

Zusammengefasst steht fest, dass es sich um strafrechtlich relevante Vorfälle gehandelt hat, die von der iranischen Polizei auch aufgenommen und verfolgt wurden und diese von den BF benutzt wurden, um ihre Fluchtgründe zu untermauern, aber ist in diesen Fällen für das erkennende Gericht keine Verfolgungshandlung von Seiten der iranischen Behörden glaubhaft. Schließlich gab der BF1 immer wieder auch an, dass er aus einer Familie eines Märtyrers stamme und er deshalb privilegiert behandelt werde und die iranischen Behörden ihn und seiner Familie nichts antun würde (Seite 34 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023), andererseits habe man versucht die BF 2 zu verletzen oder gar zu töten. Darüber hinaus waren weder der BF1 noch die BF2 nach ihren eigenen Angaben in Iran nicht politisch oder journalistisch oder menschenrechtsaktivistisch tätig und hatten keine Probleme mit den iranischen Behörden und waren auch nie inhaftiert oder wurden in einer anderen Weise willkürlich angehalten oder festgehalten. Insgesamt haben die BF weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität, noch wegen Lebensgefahr den Iran verlassen und droht den BF auch im Falle ihrer Rückkehr in den Iran individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in die körperliche Integrität durch iranische Behörden oder durch andere Personen.

2.2.2. Eine aktuelle Verfolgung aus religiösen Gründen brachten die BF nicht vor. Sie sind Angehörige des schiitischen Islam, wie sie durchgehend und gleichbleibend im gesamten Verfahren angaben, der in der Islamischen Republik Iran die größte Glaubensgemeinschaft ist (Seite 7, 33 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023; Seite 6 und 22 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023). Die BF führten zwar in der mündlichen Verhandlung aus, den Islam nicht mehr zu praktizieren, aber taten sie dies auch in Iran nicht und hatten aus diesem Grund keine Probleme, wie auch die BF4 glaubhaft in der mündlichen Verhandlung angab. (Seite 6 f des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023; Seite 22 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023). Die BF sind sohin gebürtige Muslime, die bereits auch in Iran ihren Glauben kaum mehr praktizierten. Eine generelle und verinnerlichte Ablehnung gegenüber dem Islam wurde von den BF auch nicht dargetan und konnte auch in den Aussagen der BF in der mündlichen Verhandlung nicht amtswegig festgestellt werden. Wie vom BF1 auch angegeben, hat auch sein Bruder in Iran kein Interesse am Islam und lebt auch weiterhin ohne Probleme in Iran und arbeitet als Architekt. Somit ist eine aktuelle Verfolgung aus religiösen Gründen vor dem Hintergrund der Länderberichte mit Blick auf die BF nicht zu entnehmen und wurde dies von den BF auch explizit in der Einvernahme verneint (BF1: Seite 8, BF2: Seite 6, BF3: Seite 5 und BF4: Seite 9 des Einvernahmeprotokolls).

Eine Verfolgung der BF aus ethnischen Gründen kann ebenfalls nicht erkannt werden, weil Angehörige der Volksgruppe der Azeri in der Islamischen Republik Iran die zweitgrößte Ethnie und nicht grundsätzlicher Benachteiligung oder Übergriffen ausgesetzt sind. Eine solche brachten die BF ebenfalls nicht vor und verneinten auch explizit in der Einvernahme vor dem Bundesamt (BF1: Seite 8, BF2: Seite 6, BF3: Seite 5 und BF4: Seite 9 des Einvernahmeprotokolls).

2.2.3. Ebenso ist auch eine Verfolgung der weiblichen BF, entgegen den Ausführungen in den Stellungnahmen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, allein aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer vorgebrachten „westlichen Lebens- und Werteeinstellung“ nicht glaubhaft und vor den Hintergrund der Länderinformationen nicht objektivierbar. Zunächst ist darauf zu verweisen, dass die BF vorgebracht haben, dass kein Eingriff in eine sexuelle Selbstbestimmung erfolgte (Seite 3 des Verhandlungsprotokolls). Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass sich die Lage in Iran seit der Protestbewegung nach dem Tod der 22-Jährigne Mahsa Amini unter der Parole „Frau, Leben, Freiheit“ für Frauen womöglich verschärft hat bzw. die Diskriminierungen und Einschränkungen für Frauen unterschiedlichen Grades in den Blickpunkt der Gesellschaft kam und weltweit Medienaufmerksamkeit erhielt. Aufgrund der Erfahrung der Gerichtsabteilung ist gerade die Protestbewegung bezüglich des Tragens eines Kopftuches im Iran keine neue und erfolgte hier imme wieder einzelne Proteste und Demonstrationen in den letzten Jahren, die niedergeschlagen wurden. Dass die BF an einer solchen Demonstration oder Auflehnung im Iran teilgenommen haben wurde nicht vorgebracht und konnte daher auch nicht festgestellt werden, dass die BF, egal ob die Frauen oder die Männer, sich hier gegen die Regierung und deren Kleidungszwang gestellt haben. Es erscheint auch lebensfremd, dass die BF sich dagegen auflehnten, zumal gerade die Familie des BF 1 durch die staatlichen Organe unterstützt wurde, sei es durch die Pension für den Vater, aber auch die Tätigkeit durch den BF als Basiji oder seinen Schwestern für die Sepah. Dass es hier Auseinandersetzungen mit den Familienmitgliedern gab, wurde ebenfalls nicht vorgebracht, mit Ausnahme zwischen dem Bruder und dem Vater bezüglich der Religionsausübung. Aber wurde bloß durch das Ablegen des Kopftuches der BF2 und BF4 im Bundesgebiet, noch keine innere Zuwendung zu den Werten der Freiheit und ein deutlicher und nachhaltiger Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Iran glaubhaft vorgebracht. Die BF2 brachte zwar in der mündlichen Verhandlung allgemein eine für Frauen in Iran in ihren Freiheiten und in einem selbstbestimmten Leben eingeschränkte sowie diskriminierende Situation dar, die auch mit den Länderinformationen übereinstimmt, aber traf dies im Konkreten Fall der BF2 und BF4 nicht zu und ist allein das Kopftuch, welches die weiblichen BF in Iran trugen, weil es Vorschrift ist und nunmehr in Österreich ablegten, nicht ausreichend, um eine Verfolgung in entsprechender Intensität zu begründen. So führte die BF2 in der mündlichen Verhandlung aus, dass sie nicht in den Iran zurück wolle, weil das Leben dort sehr schwierig sei, insbesondere als Frau. Hierbei ist auch anzumerken, dass eine geschlechtsspezifische Verfolgung erstmals von den weiblichen BF in der mündlichen Verhandlung, im Beschwerdeverfahren vorgebracht wurde und zuvor im behördlichen Verfahren nicht zur Sprache kam. Abgesehen davon, war die BF2 auch bereits im Jahr 2016 in Österreich und ist die Begründung, dass sie erst seitdem sie hier sei, weiß wie schwer es sei in Iran als Frau zu leben, aus diesem Grund nicht nachvollziehbar (Seite 12 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023).

Weiters brachte die BF2 sehr allgemein und kaum sie betreffende persönliche Einschränkungen oder Diskriminierungen vor, dass Frauen keine Religionsfreiheit haben, keine Meinungsfreiheit, keine Freiheit die Kleidung auszuwählen, im Falle eines Unfalltodes bei Frauen die Hälfte gezahlt werde, im Falle einer Heirat Frauen nicht selbst entscheiden können oder auch keine Reisefreiheit bestehe. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass die BF2 in Iran eine Schul- und Berufsausbildung abschloss und zuletzt auch mehrere Jahre als selbständige Frisörin und Kosmetikerin arbeitete. Die BF2 berichtete auch davon Picknicks gemacht zu haben und auch selbstständig gereist zu sein und sich auch nicht von ihrem Mann trennen lassen möchte oder erwähnte auch nicht, dass sie ihre Religion wechseln möchte und sei ihr Mann ein sehr liberal denkender Mensch, mit dem sie sehr zufrieden ist und der sie sehr frei behandelt und sie konnte alleine gehen und kommen (Seite 12-13 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023). Insofern stellt sich das Bild in Österreich nicht anders dar, sondern fast eingeschränkter, die BF2 trägt zwar kein Kopftuch und ist „europäisch“ gekleidet, aber kümmert sich im Bundesgebiet ebenfalls um den Haushalt und die Tochter und berichtet darüber hinaus nicht von drastischen Änderungen in der Lebensführung, die sie nunmehr in Anspruch nimmt, was sie in Iran nicht tat. So ist die BF2 im Unterschied zu Iran im Bundesgebiet nicht erwerbstätig und auf die finanzielle Unterstützung des BF1 angewiesen, der aktuell für den Familienhaushalt aufkommt und kann keine spezifische „westliche Lebenseinstellung“ als Teil der Identität der BF2 erkannt werden, die über eine übliche und zumutbare Anpassung an die Gesellschaft hinausgeht. Zwar wird nicht übersehen, dass die BF 2 selbständig an Sprachcafes teilnimmt und Deutschkurse besucht und diese Wege alleine erledigt, sowie den Einkauf, doch auch im Iran war ihr dies möglich und ging sie mit ihrer Freundin ohne männliche Begleitung für die Arbeit einkaufen. Selbst wenn es zu einzelnen Unmutsäußerungen der Umgebung im Iran kam, so war sie keiner Bedrohung oder konkreten Gewalt ausgesetzt. Sie kann daher weiterhin ihr Leben entsprechend wie in Österreich weiterführen, mit Ausnahme des Tragens des Kopftuches. Auch ist keine Verinnerlichung der westlich orientierten Frau zu erkennen, zumal sie selbst angab, „Ich versuche mich in der Gesellschaft aufzuhalten um die Regeln und die Gesetze kennenzulernen.“ (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls). Dies zeigt auch ihre Unwissenheit über ein westlich orientiertes Leben. Auch brachte die BF 2 gerade bei der selbständigen Erzählung über ihre Fluchtgründe bzw. Gefahren bei der Rückkehr vorwiegend allgemeine mögliche Problematiken vor und musste immer wieder aufgefordert werden, weiteres darzulegen vergleiche Seite 11 f des Verhandlungsprotokolls). Warum konkret sie Angst um ihre Tochter hatte, diese alleine wohingehen zu lassen, konnte sie nicht darlegen, aber auch die Tochter hielt sich zwar an die Angaben der Mutter bezüglich der Angst, konnte aber auch hier nicht darlegen warum, sie Angst hatte. Ihre Tätigkeit auf sozialen Medien beschränkt sich in weiterleiten von Sprüchen und diese können nicht öffentlich eingesehen werden (Seite 16 des Verhandlungsprotokolls) und auch bei Einblick durch das Gericht, konnte nur ein Video angesehen werden wo ein Mullah spricht. Auf Tiktok konnten ebenfalls keine politischen Themen gefunden werden, hier hat sie ausschließlich Fotos bezüglich einer Arbeitstätigkeit im Bereich der Frisörtätigkeit. So konnte seitens des Gerichtes auch keine Tätigkeit in den sozialen Medien entdeckt werden, welche öffentlich sich gegen das iranische Regime stellt. Auch die Kleidung mag zwar westlich sein, indem Sinne, dass die BF kein Kopftuch trägt. Sie hatte jedoch eine Bluse und Hose an, die ihre Beine bedeckten und war geschminkt, wenngleich sie angab weniger geschminkt als im Iran zu sein. Aber gerade ihre Tätigkeit im Iran in einem Beauty Salon, zeigt, dass sie auch dort Schminke verwendete. Die Begründung für den Verzicht auf das Kopftuch konnte das Gericht ebenfalls nicht von einer innerlichen Überzeugung der vollenden Ablehnung überzeugen, zumal sie zwar von freier und keinem Zwang sprach aber auch hier keine näheren, inhaltlichen Erläuterungen außer, „… ich mich wohler fühle, ua. mehr Sonne auf meine Kopf kommt dann trage ich keines.“ (Seite 16 des Verhandlungsprotokolls).

Auch die BF4 hat sich im Zuge ihres Aufenthalts im Bundesgebiet an die mehrheitlich gelebten, allgemein als „westlich“ bezeichneten Frauen und Gesellschaftsbild orientiert, trägt auch kein Kopftuch und ist wie auch mehrheitlich die anderen Jugendlichen in Europa gekleidet (Jeans, T-Shirt, Sneakers), wobei auch hier ihr Körper, Beine, Hände bedeckt waren. Dem ist zu entgegnen, dass die BF4 auch in Iran Zugang zu Bildung und Freizeitangeboten hatte und hat, die Schule besuchte und Volleyball spielte und konnte die vorgebrachte Angst vor geschlechtsspezifischer Gewalt durch das erkennende Gericht nicht nachvollzogen werden. Da die Mutter der BF4, die BF2 als Frau selbständig in der Stadt zB zur Arbeit ging etc., die BF4 zuvor noch nie Gewalterfahrungen als Mädchen durch andere Personen erfahren musste (Seite 23 des Verhandlungsprotokolls). So zeigte sich, dass sie die Angaben der Mutter lediglich wiederholte ohne Gründe ihrer Angst darzulegen. Zunächst wollte sie auch darlegen, dass ihr andere Schulkollegen dies berichtete (Seite 23 des Verhandlungsprotokolls), vermeinte aber dann, dass diese nicht alleine wohin gegangen sind, sondern mit Mutter oder Bruder. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wie diese Schulkollegen von einer Gewalt berichten konnten, wenn sie nicht alleine unterwegs war. Andererseits die BF 4 sofort versuchte darzulegen, dass niemand alleine wohingeht. Schließlich wusste die BF 4 nichts Konkretes zu berichten, wo sie im Iran eine Bedrohung erfahren hat und gab nunmehr an warum ihr nichts passiert sei, “Ich habe keine Tasche getragen. Mehr weiß ich nicht.“ (Seite 23 des Verhandlungsprotokolls). Das Gericht übersieht nicht, dass die BF 4 minderjährig ist und daher auch im Asylverfahren als Frau durch ihre Situation und eventuell Druck ihrer Eltern in einem Ausnahmezustand ist und daher auch hier unplausible Antworten gibt. Das Gericht gab der BF 4 jedoch die Möglichkeit selbst vor Gericht auszusagen, in Beisein der Mutter und mit höchster Sensibilität durch den Richter. Doch konnte die BF 4 nicht dahingehend überzeugen, dass sie eine westliche Orientierung dermaßen verinnerlicht hat, die ihr eine Rückkehr in den Iran nicht möglich und zumutbar machen. Auch ihrer Tätigkeit für die Frauen im Iran, waren sehr vage. Sie gab zwar an bei einer Demonstration in Österreich in Verbindung mit dem Mord von der Frau im Iran gewesen zu sein. Dies ist jedoch einerseits widersprüchlich, da die Mutter der BF 4 angab im Sommer 2022 bei der Demonstration mit der Tochter gewesen zu sein und hier gab es nicht den Tod von Mahsa Amini, andererseits ist ein Mord nicht bestätigt und zeigt dem Gericht, dass sich die BF 4 nicht vollends mit der Situation auseinandergesetzt hat, andererseits konnte sie auch diesen Namen der Frau nicht angeben. Auch die Angaben der Kontrolle durch Kontrolleure, wenn eine Frau mit einem Mann rausgeht, ist nicht nachvollziehbar, da sie dies nicht erlebt hat und auch ihre Eltern von so einer Kontrolle nicht berichteten. Es zeigt sich, dass die BF 4 Worthülsen verwendet, für ihre Situation jedoch konkret noch nicht damit umgehen konnte. Dass sie kurze Röcke hier trägt, zeigte sie vor Gericht nicht, bzw. ist nicht davon auszugehen, dass ihr das ein entsprechendes Anliegen wäre. Auch in sozialen Medien ist sie nicht tätig.
Aber die BF 2 lebte allein vor dem Hintergrund ihres fürsorglichen Familienlebens und privilegierter Situation, Leben in einer Großstadt und fern vom weitaus konservativeren Landleben ohne Gewalterfahrung oder Bedrohung auch vor dem Hintergrund der Länderinformationen wäre ein solche nicht objektivierbar und eine Zwangsverheiratung durch ihre Eltern (BF1 und BF2), welche dies entschlossen in der mündlichen Verhandlung abgelehnten, ist nicht wahrscheinlich. Die BF2 gab zudem an, dass sie sich stets bemüht habe, ihre Kinder gleich zu behandeln und bei der Erziehung ihres Sohnes und ihrer Tochter gleich viel investiert habe und sie nicht unterschiedlich behandelt werden, auch über ihren Bildungsweg oder ihren Ausbildungswunsch kann die BF4, laut den Angaben der BF2 völlig frei entscheiden (Seite 13-15 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023).

So zeigte sich dass die von der BF 2 und BF 4 vorgebrachten Worte der Gleichberechtigung und Freiheit für Frauen im konkreten Fall vorwiegend Worthülsen waren, die allgemeine Situation darstellen, welche im Iran vorhanden sein kann, die sie jedoch selbst mit Ausnahme des Tragens eines Kopftuches nicht betraf. Die BF 2 und 4 konnten ihre gewünschten und auch in Österreich praktizierten Freiheiten ausüben. Sie wurden durch den iranischen Staat in keiner Weise konkret eingeschränkt, mit Ausnahme ein Kopftuch zu tragen. So brachte die BF 2 vor, dass nunmehr die Frauen überwacht werden und wenn sie kein Kopftuch tragen eine Strafzahlung zu erwarten haben, dies deckt sich auch mit den Länderberichten, aber sie brachte auch vor, dass dies auch schon in früheren Jahren der Fall war und sie selbst einmal eine Strafe zahlen musste. Dass sie sich dagegen auflehnte brachte sie nicht vor. Es wird hier nochmals angemerkt, dass die Familie zwar liberal dahingehend lebte, dass den Frauen alle möglichen Freiheiten gewährt wurde, die religiöse Ausübung des Islam nicht streng erfolgte, aber der Hintergrund doch eine enge Verbindung mit den staatlichen Behörden – Basiji bzw. Sepah- Zugehörigkeit – gegeben war und daher nicht davon auszugehen ist, dass sie sich gegen die staatlichen Maßnahmen wehrten oder innerlich verfestigt ablehnten. Der BF 2 und BF 4 war bewusst, dass im Bereich des Tragens eines Kopftuches ein Zwang besteht, aber sie sich nicht auflehnten, daher kann nicht gefolgt werden, wenn die BF 2 nunmehr angibt, dass Leben einer freien Frau hätte sie erst in Österreich nunmehr erlebt. Das Erlebnis wird nicht abgesprochen, jedoch nicht die verinnerlichte Übernahme der westlichen Orientierung.

Die BF2 und die BF4 engagieren sich auch nicht aktiv und öffentlich für Frauen- und Menschenrechte, weder in Iran noch glaubhaft und nachhaltig in Österreich. Sie zeigen kein besonderes politisches Interesse. Die BF2 gab zwar an in Linz gemeinsam mit der BF4 bei einer Demonstration gewesen zu sein, aber war das nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung bereits im Juli 2022 (im Sommer), also noch vor dem Ausbruch der Mahsa Amini Protestbewegungen im September 2022, sie hatten keine Organisationsrolle oder eine aktive öffentlichkeitswirksame Rolle, nahmen vielmehr bloß zufällig teil und die BF4 fühlte sich auch nicht wohl und wollte deshalb auch keine Fotos machen. Wenn die BF 2 vermeint, diese Demonstration sei im Zusammenhang mit den Demonstrationen im Iran, so ist dies nicht möglich, das diese erst zu einem späteren Zeitpunkt stattfanden. Es zeigt auch, dass sich die BF 2 nicht vollends mit der Lage und Situation der Frau – Mahsa Amini- beschäftigt hat. Das zweite Mal beobachtete die BF2 eine weitere Demonstration, weil sie zufällig nach dem Einkauf vorbei kam, hörte den Redner zu, aber nahm ebenso nicht aktiv daran teil (Seite 15-16 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023).

Wenngleich die Beschwerde und das Vorbringen aber auch die eingebrachten Berichte von der Verfolgung von Teilnehmern an den Demonstrationen im Iran im Zuge des Todes von Mahsa Amini berichten, wobei die iranische Regierung nicht davor zurückschreckte Todesurteile aufgrund von Strafhandlungen von Demonstranten und langjährige Haftstrafen auszusprechen, zeigt das Verhalten der BF – z.B. keine Teilnahme bis auf eine in Österreich, nur einzelne Berichte in den sozialen Medien - in Österreich, dass diese an solchen Demonstrationen nicht teilnehmen werden. Aber auch im Iran haben die BF an solchen Demonstrationen nicht teilgenommen, wodurch sie auch nicht ins Visier der Behörden gelangte sind und daher entsprechende Strafen nicht verhängt werden. Die BF werden weiterhin wie bisher im Iran ihr Leben ohne Kritik führen und sind nicht verinnerlicht vom iranischen Gesellschaftsleben abgekommen, sodass sie dieses weiterhin führen werden.

Somit droht weder der BF2 noch der minderjährigen BF4 im Falle einer Rückkehr in den Iran eine Zwangsverheiratung noch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine geschlechtsspezifische Gewalt oder eine Verfolgung oder auch eine wie auch immer geartete existentielle Bedrohung aufgrund einer etwaigen Änderung der gesellschaftlichen Orientierung, wie eine „westliche Orientierung“, da sie diese nicht verinnerlicht wahrnehmen.

2.2.4. Der BF3 brachte äußerst vage als weiteren Fluchtgrund allgemein noch die Einberufung zum Militär vor ohne konkrete Befürchtungen zu äußern, um eine asylrelevante Drohung einer Verfolgung zu begründen. Diese konnte auch amtswegig nicht erkannt werden. Der BF3 hat nach eigenen Angaben noch keinen Einberufungsbefehl zum Militär bekommen, weil er noch als 17-Jähriger ausgereist ist. Dass die legale Ausreise mit einem gültigen Visum im Falle einer Rückkehr als Wehrdienstverweigerung angesehen wird, deckt sich nicht mit den Länderinformationen, denn es fand noch keine Einberufung statt und war der BF3 noch nicht wehrpflichtig, d.h. über 18 Jahre, sodass er vor Ableistung seines Wehrdienstes das Land nicht hätte verlassen dürfen und dann hätte er auch kein Visum erhalten und auch keinen Reisepass vergleiche Seite 43 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023; Pkt. 1.5.: Wehrdienstpflichtige, d.h. männliche Staatsangehörige über 18 Jahren, die nicht etwa aufgrund eines Studiums vorübergehend von der Wehrdienstpflicht befreit sind, dürfen mit wenigen Ausnahmen vor Ableistung ihres Wehrdienstes das Land nicht verlassen (d.h. sie erhalten erst danach einen Reisepass) bzw. müssen eine größere Kaution hinterlegen). Auch war der BF bereits im Ausland und hatte auch hier bei Rückkehr keine Probleme oder wurde mit einem Ausreiseverbot belegt. Zudem gibt es ebenso auch in Österreich eine allgemeine obligatorische Wehrpflicht für männliche Staatsangehöriger bestimmten Alters, wobei natürlich nicht zu verkennen ist, dass die Zustände laut Länderinformationen beim iranischen Militär in der Regel wesentlich härter als in europäischen Streitkräften sind. So wird regelmäßig über unzureichende Verpflegung, unzureichende Ausrüstung, drakonische Strafen etc. berichtet. Dem ist zu entgegnen, dass der BF3 sich als einziger Sohn in der Familie vom Wehrdienst befreit ist oder auch als Sportler oder bei guten Beziehungen, die die Familie mit privilegierter Stellung womöglich auch hat, kann der BF3 nach einer 60-tägigen Grundausbildung eine Art „Ersatzdienst“ für weitere 22 Monate u.a. in Ministerien oder bei Sportverbänden absolvieren oder der BF3 wäre vom Wehrdienst auch im Falle eines Studiums vorübergehend befreit. Somit droht dem BF3 keine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund einer Zwangsrekrutierung.

2.2.5. Dass die BF im Falle der Rückkehr wegen ihres Aufenthalts in Österreich oder der Antragstellung auf internationalen Schutz keiner Gefährdung ausgesetzt sind, ergibt sich ebenfalls aus den Länderberichten, denen zufolge Rückkehrer gewöhnlich mit keinerlei Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert sind. Insbesondere weil die BF legal mit ihrem Reisepass und einem Visum ausgereist sind, wie es der BF 1 einmal mit der BF 2 und einmal mit dem BF 3, zuvor auch schon 2016 und 2017 taten und auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit unter Beobachtung der iranischen Behörden sind, weil sie sich weder aktiv und öffentlich wirksam regimekritisch exilpolitisch betätigen, weiterhin sich allgemein zum Islam bekennen und auch sonst keine Handlungen setzten, die als oppositionell gewertet werden könnte sowie auch aufgrund der Tatsache, dass der BF1 aus einer Märtyrer-Familie stammt und sohin die Familie eine privilegierte Stellung hat und alle Geschwister des BF1 in der Regierung tätig sind, zwei seiner Schwestern auch bei der Sepah sind.

2.2.5. Wie bereits ausgeführt besuchte die BF2 und die BF4 eine iranische Demonstration, aber treten nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht öffentlichkeitswirksam regimekritisch auf, engagieren sich auch nicht aktiv exilpolitisch, sondern nahmen im Hintergrund und die BF2 beim zweiten Mal bloß zufällig an einer Demonstration teil. Der BF3 ist zwar in den sozialen Medien aktiv, aber benutzt nach eigenen Aussagen meistens Instagram, sein Instagram Account ist gemäß der Nachschau des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung privat und nicht öffentlich und postet der BF3 über Fußball und private Angelegenheiten. Der BF3 zeigte in der mündlichen Verhandlung auch seinen Twitter-Account den er seit September 2022 auch benutzt, aber weniger und schreibt selbst keine regimekritischen Inhalte, hat ein Foto unter #MahsaAmini gepostet, aber darüber hinaus nur Informationen weitergeleitet und ist alleine deshalb noch keine aktive öffentlichkeitswirksame regimekritische und exilpolitische Tätigkeit bzw. Engagement des BF3 zu erkennen, der auch selbst im Rahmen der Verhandlung befragt zu seinem Tagesablauf und Tätigkeiten in Österreich von sich aus dies auch nicht vorbrachte. Da er aus einer privilegierten Familie stammt, zwei seiner Tanten bei Sepah sind und zu denen auch Kontakt besteht sowie auch vor seiner Ausreise nie Probleme mit iranischen Behörden hatte, nie politisch aktiv war noch einer politischen Partei oder anderen Gruppierung angehörte ist trotz der Länderinformationen, wonach Exil-Iraner zum Teil unter Beobachtung der iranischen Behörden stehen, nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der BF3 durch das Weiterleiten von Informationen auf Twitter und einem Tweet unter #MahsaAmini bereits im Blickfeld der iranischen Behörden geraten ist (Seite 26f des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023). Es wird auch auf die Angaben des BF 1 hinwiesen, indem er selbst zur Teilnahem oder Mitgliedschaft einer politischen Bewegung angab: „Nein, ich habe mir geschworen so etwas nicht zu mache, aber im Iran war ich Basiji. Hier möchte ich nichts mehr mit Politik zu tun haben.“ (Seite 14 des Verhandlungsprotokolls). Dies zeigte dem Richter auch, dass er sich nicht gegen das Regime auflehnen wird, zumal er auch kein Interesse daran hat. Wenn seine Frau oder Tochter, teilweise er selbst oder der Sohn versuchen hier eine kritische Einstellung vorzubringen, so war dies ebenfalls ein unglaubwürdiger Versucht, zumal sich ihr Verhalten diesbezüglich nicht intensiv entsprechend darstellte und das Gericht den Eindruck hatte, dass es sich nur um vereinzelte Alibihandlungen handelte, mit dem Versuch einen Nachfluchtgrund zu schaffen. Weiters gab der BF 1, auf die Frage, von wem sein Freund verletzt wurde an, „Er hat Politologie studiert. Ich bin diese politischen Geschichten satt.“ (Seite 33 des Verhandlungsprotokolls). Auch der BF 3 gab an, nicht politisch aktiv zu bzw. einer Bewegung oder Gruppierung anzugehören (Seite 40 des Verhandlungsprotokolls), wenngleich er angab sich über die politische Situation zu informieren, aber auch hier nur einzelne Stehsätze von ihm vorgebracht wurden (Seite 44 des Verhandlungsprotokolls), eine nähere Erläuterung erfolgte nicht. Wodurch wiederum der Gesamteindruck von Gelernten erweckt wurde, aber keine innerliche Auseinandersetzung oder gar negativ erlebten. Somit droht den BF2-BF4 nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung oder Bedrohung aufgrund der Beobachtung/Teilnahme einer iranischen Demonstration im Sommer 2022 und das hauptsächliche Weiterleiten von Tweets des BF3.

Die BF reisten nach Österreich, um sich hier ein besseres Leben aufzubauen. Die BF waren und sind keiner konkreten und individuell gegen sie gerichteten Verfolgung oder Bedrohung in ihrem Herkunftsstaat ausgesetzt. Bei einer Rückkehr in den Iran droht den BF weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch iranische Behörden oder durch andere Personen.

2.3. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat:

2.3.1. Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat ergeben sich aus den o.a. Länderberichten zu Iran und aus den Feststellungen zu ihren persönlichen Umständen. Die Sicherheitslage in Iran ist insbesondere für gewöhnliche Bürger stabil.

Es ergibt sich auch aus den Feststellungen zu den Lebensumständen der BF vor ihrer Ausreise in Iran und ihren Familienangehörigen in Iran, dass es ihnen möglich sein wird, wieder im Falle ihrer Rückkehr zusammen in Teheran zu leben oder an einem anderen Ort in Iran es besteht laut Länderinformationen Bewegungsfreiheit, wie sie es über viele Jahre auch zuvor gemacht haben und verfügen die BF mit (Geschwister, Eltern) um ein soziales Netzwerk, die Pensionen beziehen oder alle erwerbstätig sind und somit ebenso die BF bei anfänglichen Schwierigkeiten bei der Arbeits-und Wohnungssuche unterstützen können.

2.3.2. Die BF sind wie bereits ausgeführt alle gesund, bedürfen keiner medizinischen Behandlung und sind auch nicht pflegebedürftig und sind die volljährigen BF aufgrund ihres Alters und Gesundheitszustandes auch arbeitsfähig und die minderjährige BF4 kann wie auch vor der Ausreise und auch im Bundesgebiet weiterhin im Familienverband betreut werden und auch weiterhin die Schule in Iran besuchen, wie sie es auch vor ihrer Ausreise vor einem guten Jahr getan hat.

Dass die BF im Falle einer Rückkehr auch nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet sind oder gefährdet sind, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder zu einer Todesstrafe verurteilt zu werden, geht ebenso aus den Länderinformationen hervor und wie bereits ausführlich dargelegt gelang es den BF ihre Fluchtgründe nicht glaubhaft darzulegen. Dass alle iranischen Staatsbürger im Falle ihrer Rückkehr in den Iran gefährdet sind, ist vor dem Hintergrund der an sich stabilen Sicherheitslage nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gegeben.

Aufgrund der Länderfeststellungen zur Grundversorgung und der Feststellungen zur Person der BF steht auch fest, dass diese nicht Gefahr laufen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft im Falle einer Rückkehr nicht befriedigen zu können. Sowohl der BF1 als auch die BF2 verfügen über eine schulische berufliche Ausbildung, welche sie in ihrem Herkunftsstaat abgeschlossen haben und waren sie in diesem erlernten Berufen, der BF1 als Architekt und die BF2 als Kosmetikerin, über mehrere Jahre auch erwerbstätig. Es gibt keinen Grund, an der Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit der volljährigen BF zu zweifeln. Der BF3 kann eine weiterführende Ausbildung anstreben oder auch eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Es ist den BF daher auch möglich, sich an einem anderen Ort in Iran ein neues Leben aufzubauen und können sie unterstützend die verfügbaren Sozialbeihilfen, zB betreffend die Krankenversicherung oder der Arbeitslosenunterstützung, in Anspruch nehmen und auch Unterstützung von ihren erwerbstätigen Geschwistern in Iran oder auch ihren Eltern, die eine Pension erhalten, erhalten. Der BF1 war auch in der Vergangenheit bereits bei seinem Bruder in Iran als Architekt tätig, dieser könnte dem BF1 auch wieder helfen Fuß in der Architektenbranche zu fassen, weil sein Bruder nach wie vor als Architekt in Iran erwerbstätig ist. Auch vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen zur Grundversorgung und Wirtschaft in Iran ergaben sich keine Hinweise, dass die BF nicht wieder, wie auch vor ihrer Ausreise, in Iran ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit bestreiten können und der BF3 und die BF4 wieder ihre Schulbildung oder andere Ausbildung aufnehmen können sowie auch ihren sportlichen Freizeitaktivitäten (Fußball, Volleyball) nachgehen können. Auch als Frau ist es der BF 4 möglich die Schulbildung abzuschließen und ihren gewünschten Beruf auszuüben, eine Einschränkung in diesem Bereich liegt im Iran nicht vor. Sie hat die Möglichkeit zu heiraten, wen sie will oder alleine zu bleiben. Sie kann wie ihre Mutter ein Leben als unabhängig Frau führen, zumal sie auch von ihren Eltern nicht unter Druck gesetzt wird.

Dass die BF mit der Lebensart und Kultur in ihrem Herkunftsstaat vertraut sind, steht auf Grund des persönlichen Eindrucks, den sie in der hg. mündlichen Verhandlung vermittelten, fest und mit den Feststellungen, dass sie ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise im März 2022 im Iran und viele Jahre in Teheran lebten, dort sozialisiert wurden und im Familienverband aufgewachsen sind, in Einklang. Die BF verfügen zudem über familiäre Anknüpfungspunkte (Geschwister, etc.) im Herkunftsstaat, und zu denen sie auch weiterhin regelmäßig Kontakt halten.

2.3.3. Auch auf Grund des jeweiligen Gesundheitszustandes der BF haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Rückkehr in die Islamische Republik Iran iSd Artikel 3, EMRK unzulässig machen würden. Die BF leiden an keinen Erkrankungen, sind gesund und benötigen zum Entscheidungspunkt weder eine medizinische Behandlung noch die Einnahme von Medikamenten. Laut den Länderinformationen ist die medizinische Versorgung für physische als auch psychische Erkrankungen in Iran grundsätzlich gewährleistet und insbesondere in der Herkunftsstadt der BF Teheran ist die medizinische Versorgung meist auf einem recht hohen Niveau in allen Fachdisziplinen.

Laut den medizinischen Indikationen für die Zuordnung zur COVID-19 Risikogruppe gemäß COVID-19 Risikogruppen-Verordnung gehören die gesunden BF keiner COVID-19 Risikogruppe an. Das Risiko sich zu infizieren besteht in Österreich ebenso und können die BF auch in Iran in den Gesundheitseinrichtungen versorgt werden oder vorsorglich, um das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufes zu minimieren, die vorhandenen Impfungen in Anspruch nehmen.

2.4. Zu den Feststellungen zur Situation der BF in Österreich:

2.4.1. Die Feststellungen zur Einreise, zur Antragstellung auf internationalen Schutz sowie dem weiteren Verfahrensgang ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.

2.4.2. Die Feststellungen zu den Lebensumständen der BF in Österreich (Lebensunterhalt und Wohnsitz) gründen auf den eingeholten Auszügen aus dem Betreuungsinformationssystem (GVS-Auszug) betreffend Erhalt von Sozialleistungen und Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit des BF1 sowie Auszüge aus dem ZMR betreffend ihre Wohnsitze in Österreich, die mit den übereinstimmenden Angaben der BF in den mündlichen Verhandlungen in Einklang stehen (Seite 17 und 19 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023: „RI: Was haben Sie für eine Firma? BF: Ich habe eine Zustellungs/Lieferfirma. Das Essen wird transportiert. Wir transportieren das Essen mit einem Auto. Sie haben mir eine Bestätigung gegeben. Ich habe die Firma gegründet, weil ich nicht von Sozialhilfe leben wollte.“; Seite 10 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023). Betreffend die Erwerbstätigkeit legte der BF1 auch Empfehlungsschreiben sowie eine Saldenliste vor und geht aus einem Sozialversicherungsdatenauszug ebenfalls die Meldung seiner Selbständigkeit, wie auch aus dem GVS-Auszug hervor (BF1: OZ 5 und OZ 12). Dass die BF2 und der BF3 in Österreich keiner Beschäftigung nachgehen gründet auf ihren diesbezüglichen Angaben in der mündlichen Verhandlung (Seite 23 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023; Seite 10 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023).

2.4.3. Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen der BF basieren auf dem gewonnenen Eindruck in den jeweiligen mündlichen Verhandlungen und den vorgelegten Deutschzertifikaten sowie der Schulbesuchsbestätigung der BF4 (OZ 5, OZ 12, BF1: Seite 18 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023: „RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und mit mangelhaften Deutsch beantwortet hat.“; BF3: Seite 23 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023: „RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und mit mangelhaften Deutsch beantwortet hat.“; BF2: Seite 10 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023: „RI stellt fest, dass die BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und mit gebrochenen Deutsch beantwortet hat.“; BF4: Seite 24 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023: „RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können? BF: Ja. Ich gehe in die 4. Klasse Mittelschule und muss in der Schule Deutsch können. RI stellt fest, dass die BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und auf Deutsch beantwortet hat.“).

Die weiteren Feststellungen zur Freizeitbeschäftigung bzw. zu ihren Tagesabläufen, Vereinsmitgliedschaft, Ehrenamt, Freunden und Freundinnen der BF in Österreich gründen insbesondere auf ihren diesbezüglichen aktuellen Angaben in den mündlichen Verhandlungen. Bis auf die Vereinsmitgliedschaft des BF3 und der BF4 wurde hinsichtlich des BF1 und der BF2 keine Mitgliedschaft in einem Verein dargetan und ebenso wurde von keinen BF eine ehrenamtliche Tätigkeit im Verfahren vorgebracht

(BF1: Seite 16-20 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023:

„RI: Was unternimmt Ihre Familie in ihrer Freizeit?

BF: Ich habe keine Freizeit, weil ich die ganze Zeit arbeite. Meine Tochter und mein Sohn machen Sport, sie gehen gemeinsam spazieren.

RI: Sonst noch etwas?

BF: Nein, sie haben auch nicht mehr Zeit.

RI: Warum nicht, was machen Sie am Wochenende?

BF: Es gibt auch niemanden, wo wir hingehen könnten. Ich habe mir auch noch nicht freigenommen, sie gehen in den Park oder sind Zuhause.

RI: Sind sonst keine Freunde, die Ihre Kinder oder Frau oder Sie besuchen könnten?

BF: Wir sind keine Familie, die viele Freundschaften haben. Wir sind nicht so der Typ als Familie. Wir haben nicht die Art so mit Freundschaften.

[…]

RI: Besucht Ihre Frau niemanden anderen?

BF: Mit einer Freundin, die vom Heim war, mit der geht meine Frau spazieren. Sie heißt römisch 40 sie ist eine afghanische Staatsbürgerin. Sonst hat sie keine Kontakte.

RI: Besuchen Ihre Kinder noch jemanden anderen?

BF: Nein, sie geht zur Schule, aber zu irgendwelchen Leuten nein. Mein Sohn geht manchmal mit seinem Fußballteam irgendwo hin, sonst nirgends.

RI: Geht Ihre Tochter mit dem Volleyballteam irgendwohin, oder unternimmt sie dann noch etwas mit den anderen?

BF: Tochter, Nein. Sohn, schon. Mit der Schule wird sie wohl eine Woche wegfahren.

[…]

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF: Nein, wenn ich die Zeit hätte, würde ich es natürlich gerne machen. Ich bin zum AMS gegangen, ich habe ihnen gesagt, dass es eigentlich nicht mein Job ist als Fahrer. Ich bin Architekt, sie sagten mir, ich brauche einen positiven Bescheid, damit ich arbeiten kann.“

BF3: Seite 21-25 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023:

„RI: Haben Sie Kontakt zu Österreichern? Haben Sie in Österreich wichtige Kontaktpersonen, und wie heißen diese?

BF: Freunde von meinem Fußballverein, sowie von der Fahrschule, von Nachbarn und meine Freundin.

RI: Wie heißt Ihre Freundin?

BF römisch 40 , sie ist hier geboren, aber ihre Eltern sind Iraner.

RI: Woher kennen Sie die Freundin?

BF: Ihre Freundin ist dort zu unserer Fahrschule gekommen, dann ist sie einmal mitgekommen und so hab ich sie kennengelernt. Ihre Eltern sind mit meinen Eltern befreundet. Sie sind Iraner aus Teheran.“

BF2: Seite 9-11 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023:

„RI: Haben Sie Kontakt zu Österreichern? Haben Sie in Österreich wichtige Kontaktpersonen, und wie heißen diese? BF: Mit Österreichern haben wir kaum Kontakt, weil wir nicht so lange da sind. Aber es gibt 2 Frauen die ehrenamtlich bei uns waren die uns Deutsch lernten, es waren römisch 40 . Dann gibt es noch eine Frau sie ist halb Afghanin und Ukrainerin, wir treffen uns auch mit ihnen. Ansonsten gehe in einem Sprachcafe um besser Deutsch zu lernen. Dann kenne ich noch die Leute aus dem Deutschkurs mit denen haben wir eine WhatsApp Gruppe. Die sind aus Rumänien und der Türkei das wars.“

BF4: Seite 24 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023:

„RI: Welche Freunde haben Sie in Österreich und was machen Sie den ganzen Tag?

BF: Wir gehen mit den Freunden aus, in den Prater, in den Markt, ins Kino. Manchmal gehen wir gemeinsam mit den Volleyball Kollegen oder wieder zurück. Wenn meine Freundin einkaufen will, gehe ich mit und sage meine Meinung und umgekehrt. Um 6 stehe ich auf. Manchmal bin ich bis 13:20 Uhr in der Schule. Dann komm ich nachhause essen. Dann mache ich meine Hausaufgaben und lerne. Montags und freitags habe ich Volleyball. An anderen Tagen gehe ich mit meinen Freundinnen weg und dann ist der Tag schon vorbei.

RI: Wohin gehst du mit deinen Freundinnen?

BF: Ins Kino, in den Prater. Ins Einkaufszentrum, setzen uns hin und plaudern und spazieren.“).

Die Mitgliedschaft des BF3 im Fußballverein römisch 40 ist durch die vorgelegte Anmeldebestätigung und Bestätigung über die Vereinsmitgliedschaft vom 20.03.2023 belegt (BF3: AS 53; Beilage mündliche Verhandlung). Der Besuch der Mittelschule der BF4 ist außerdem durch die vorgelegte Schulbesuchsbestätigung für das Schuljahr 2022/23 und der Besuch des Volleyball-Trainings durch ein Bestätigungsschreiben der Übungsleiterin vom 22.03.2023 belegt (OZ 5, Beilage A mündliche Verhandlung).

2.4.4. Familiäre oder verwandtschaftliche Bindungen im Bundesgebiet wurden von den BF übereinstimmend nicht dargetan und konnten auch sonst nicht festgestellt werden (Seite 16 und 21 des Verhandlungsprotokolls vom 28.04.2023:

„RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein, keine Verwandten. Nur ein Freund haben wir, den ich vorher schon erwähnt habe, der in Wien lebt. Sie heißt römisch 40 . Ich habe die Dame schon erwähnt. Ich habe die Dame heute zum ersten Mal genannt.

RI: Woher kennen Sie die Frau?

BF: Sie war unsere Nachbarin in Teheran. Sie ist seit 22 Jahren in Österreich. Wir haben noch Kontakt, weil ich ihr dort bei sehr vielen Dingen geholfen habe. Wir haben immer noch guten Kontakt. Ich kenne sie seit 15 Jahren in Teheran, sie ist seit 22 Jahren hier. Sie lebt mit ihrer Familie hier.“; Seite 9 und 24 des Verhandlungsprotokolls vom 12.05.2023: „RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte? BF: Wir haben nur eine Freundin die in der Familie lebt.“).

2.4.5. Dass der Aufenthalt der BF nie geduldet war, steht auf Grund des IZR-Auszuges fest und wurde von diesen auch nicht Gegenteiliges behauptet. Auch wurde von den BF nie vorgebracht, dass sie Zeugen oder Opfer von strafbaren Handlungen oder Opfer von sonstiger Gewalt waren.

2.5. Zu den Feststellungen zur Situation in der Islamischen Republik Iran und zur Corona Pandemie:

2.5.1. Die Parteien traten den Länderfeststellungen zu Grunde liegenden Berichten bzw. ihren Quellen, zu denen das Bundesverwaltungsgericht Parteiengehör in den mündlichen Verhandlungen einräumte, nicht entgegen.

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, insbesondere die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Basiji ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Berichten aktuelleren Datums, wie auch die Ausführungen zu Basiji in den allgemeinen Länderinformationen für die Beurteilung in Einklang sind und diesbezüglich auch keine Bedenken zu der Aktualität von den Parteien geäußert wurden.

2.5.2. Die allgemeinen Feststellungen zur Pandemie auf Grund des Corona-Virus gründen auf unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen und stützen sich jeweils mit einer Vielzahl weiterer Hinweise auf die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl. römisch II Nr. 203/2020; https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html; https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/.

Die Feststellungen zur aktuellen Lage auf Grund der Covid-19-Pandemie in Österreich gründen auf den von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES) veröffentlichten Daten (https://covid19-dashboard.ages.at/) sowie auf den von der WHO zu der Islamischen Republik Iran veröffentlichten Zahlen (https://covid19.who.int/region/emro/country/ir) sowie Zahlen der John-Hopkins-Universität (https://coronavirus.jhu.edu/region/iran; https://www.corona-in-zahlen.de/weltweit/iran/). Auf diese gründen sich auch die Angaben zur Impfkampagne in der Islamischen Republik Iran, die Angaben zu der in Österreich gründen auf dem Dashboard des Sozialministeriums zur Corona-Schutzimpfung (https://info.gesundheitsministerium.gv.at/).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zulässigkeit und Verfahren:

Gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Paragraph 6, BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (Paragraph eins, leg.cit.). Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß Paragraph 28, Absatz eins, VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)

3.2. Entscheidung über die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.):

3.2.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht.

Nach Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen gefürchtet hätte (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung muss zudem in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185; VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd Zivilprozessordnung (ZPO) zu verstehen. Es genüge daher, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG Paragraph 45,, Rz 3). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setztet positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (VwGH 19.03.1997, 95/01/0466).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt ist die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben ist (Paragraph 11, Absatz eins, AsylG 2005).

3.2.2. Aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen machten die BF keine asylrelevante Verfolgung aufgrund der Tätigkeit des BF1 als Basiji und durch deren Beendigung ihrer dadurch unterstellten politischen Gesinnung glaubhaft. Der BF 1 konnte nicht glaubhaft darlegen, dass er oder seine Familie durch Beendigung seiner Tätigkeit als Basiji von den iranischen Behörden verfolgt oder bedroht wird. Er brachte seine Tätigkeit vage, teilweise grob und widersprüchlich vor. Es ist jedoch zu erwarten, dass ein Vorbringen, welches selbst erlebt wurde in Grundzügen widersprüchsfrei erzählt werden kann. So brachte er vor seit 2016 nicht mehr Basiji gewesen zu sein oder auch in so einer Funktion tätig gewesen zu sein. Andererseits legte er dar im Jahr 2019 noch eine Funktion ausgeübt zu haben. Es ist lebensfremd solche unterschiedlichen Darstellungen anzugeben, wenn sie tatsächlich erlebt wurden. Auch ist nicht nachvollziehbar warum der BF 1 nach über 2 Jahren Beendigung der Tätigkeit nochmals im Jahr 2019 tätig gewesen sein soll. Er konnte hier keine glaubwürdige Begründung darlegen oder von sich aus selbst vorbringen. Aber auch in den Schilderungen seiner Handlungen war er lebensfremd und widersprüchlich, so gab er teilweise an bereits Jahr vor seiner Beendigung nicht mehr „richtig“ als Basiji tätig gewesen zu sein, da er Leute nicht mehr schlug. Andererseits wurde er zum Kommandanten von 4 Stützpunkten erklärt, aber auch kritisiert warum er nicht mehr „richtig“ arbeite. Es ist auch hier nicht nachvollziehbar, eine höhere Position zu erhalten, wenngleich er seine Arbeit nicht zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten ausgeübt hat. Er konnte auch weiter noch über Jahre hinweg im Iran leben, ohne, dass es zu konkreten Gefährdungssituationen für ihn gekommen ist. Der BF1 und die BF2 waren auch nie Mitglied in einer politischen Partei oder sonstigen politischen Gruppierung, waren weder journalistisch oder sonst öffentlich und auf ihre Person rückverfolgbar regimekritisch tätig, und konnten daher auch nicht nachvollziehbar darlegen, weshalb ein Interesse der iranischen Behörden an den BF bestehen sollte, zumal die BF vor ihrer Ausreise nie glaubhaft mit den staatlichen Behörden in Konflikt geraten waren. Die geschilderten Vorfälle einer angeblichen Hausdurchsuchung und vorsätzlicher Schubs der BF2 auf die Straße konnten auf allgemeine strafrechtlich relevante Vorfälle zurückgeführt werden, die von der iranischen Polizei auch aufgenommen und Ermittlungen unternommen wurden, sodass auch hier erkennbar ist, dass die iranischen Behörden ihre Schutzaufgaben wahrnehmen, aber stellen keine konkrete individuelle asylrelevante Verfolgung der BF glaubhaft dar. Ebenso das „Nachfragen“ beim Vater des BF1 wie es ihm und seinen Kindern gehe ist im Falle einer Märtyrer-Familie nicht asylrelevant und auch die anonymen Drohanrufe waren nicht glaubhaft.

Auch aus dem Vorbringen des BF3 hinsichtlich einer möglichen Einberufung zum Wehrdienst bzw. einer Zwangsrekrutierung konnte aus den in der Beweiswürdigung ausführlich angeführten Gründen keine konkrete und individuelle Verfolgung bezüglich des BF3 glaubhaft gemacht werden.

Es besteht auch keine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit der BF.

3.2.3. Im Laufe des Verfahrens behaupteten die BF2 und BF4 sodann eine Verfolgung ihrer Person aufgrund ihrer „westlichen“ Orientierung und war auch hinsichtlich der noch minderjährigen BF4 etwaige Verfolgungs-oder Gefährdungsgründe zu prüfen.

Hierzu ist Folgendes auszuführen:

Zunächst ist festzuhalten, dass die BF2 und minderjährige BF4 im gesamten Verfahren vor dem Bundesamt keine eigenen Fluchtgründe vorbrachten und erstmals eine als „westlich“ zu bezeichnende Wertehaltung in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorbrachten. Das Gericht konnte sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung zudem ein eigenes Bild von der Persönlichkeit der BF2 und BF4 machen und kam zu dem Ergebnis, dass die behauptete „Verwestlichung“ der BF2 und BF4 im Entscheidungszeitpunkt nicht in der erforderlichen Intensität vorliegt. Es sind bis auf das Ablegen des Kopftuches und einem teilweisen „europäischen“ Kleidungsstil keine weiteren Umstände hervorgekommen, die darauf schließen lassen, dass die BF2 und BF4 in Österreich eine „westliche“ Lebensweise in einem Ausmaß angenommen haben, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemeinverbreiteten gesellschaftlichen Werten in Iran darstellen und zu einem unverzichtbaren Kernelement ihrer Identität geworden wäre. Auch vor dem Hintergrund, dass die BF2 und BF4 bereits in Iran sich nicht gegen die dortigen gesellschaftlichen Zwänge auflehnten, diese lebten und als Frau in die Schule gehen konnten, einen Beruf erlernen, einen Beruf selbständig ausüben, sich selbständig bewegen konnten. Es zeigte sich nicht, dass die BF 4 als Frau, kontrolliert wurde, ob sie verheiratet sei, wenn sie alleine oder mit ihrer Freundin unterwegs gewesen ist. Wenngleich es zu negativen Blicken oder Sprechen hinter dem Rücken gekommen sein soll, so stellt dies kein Eingriff dar, welcher eine asylrelevante Verfolgung oder Bedrohung erfüllt.

Die bloße Tatsache, dass die BF2 und BF4 iranische Frauen sind und im Bundesgebiet kein Kopftuch tragen, ist für sich alleine genommen ohne Berücksichtigung ihrer konkreten und individuellen Lebensumstände im Herkunftsstaat, ihrer persönlichen Einstellung und Wertehaltung sowie ihrem bisherigen Verhalten nicht ausreichend, um mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer asylrelevanten Verfolgung ausschließlich aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgehen zu können.

Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Iran haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle iranischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe ausgesetzt zu sein.

Bezogen auf die Eigenschaft des Frau-Seins an sich, führt dieses gemäß der ständigen Judikatur der Höchstgerichte nicht zur Gewährung von Asyl. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet; bzw. ist zu prüfen, ob westliches Verhalten oder westliche Lebensführung derart angenommen und wesentlicher Bestandteil der Identität einer Frauen geworden ist, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015-9).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden vergleiche etwa VwGH vom 28.05.2014, 2014/20/0017-0018). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer bedrohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen (VwGH 22.03.2017, 2016/17/0388, mwN).

Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste vergleiche etwa VwGH 6.7.2011, 2008/19/0994-1000).

Dabei führt aber nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss. Entscheidend ist eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301-0306, mwN).

Weiter sprach der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang aus, dass es entscheidend sei, ob die Revisionswerberinnen die von ihnen vorgebrachte selbstbestimmte Lebensweise, welche bei Fortführung in ihrer Herkunftsregion Verfolgung nach sich ziehen würde, als unverzichtbares Kernelement ihrer Identität empfinden (VwGH 22.02.2018, Ra 2017/18/0357 bis 0362-11).

Die BF2 und auch die BF4 hatten in Iran Zugang zu Bildung, so besuchte die BF2 zwölf Jahre die Grundschule, machte später eine Berufsausbildung und war mehrere Jahre als selbständige Frisörin und Kosmetikerin erwerbstätig, auch die BF4 besuchte bis zur Ausreise acht Jahre die Schule und ist daher auch ein Beispiel, dass Frauen in Iran, so wie es aus den Länderinformationen hervorgeht, keinem generellen grundsätzlichen Verbot unterliegen, jegliche grundlegende Bildung – etwa das Lesen und Schreiben – zu erwerben. Den Länderberichten ist darüber hinaus zu entnehmen, dass Bildung in Iran einen hohen Stellenwert genießt und iranische Schulen bieten sowohl Männern als auch Frauen eine qualitativ hochwertige Ausbildung in Natur- und Geisteswissenschaften, die mit anderen Ländern in der Region vergleichbar ist. Ein entsprechender Wunsch der weiblichen BF nach Bildung oder Arbeit für sich kann damit keine asylrelevante Verfolgung auslösen, zumal ersichtlich ist, dass es für die BF2 und BF4 in Iran ausreichend Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten geben würde. Daher stellen die von der BF2 und BF4 geäußerten Wünsche hinsichtlich eines freien und selbstbestimmten Lebens ebenfalls nicht als substanzieller Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Iran dar, da zumindest grundlegende Bildung für Mädchen/Frauen keineswegs verboten, sondern seitens des iranischen Staates auch ausdrücklich unterstützt wird, und auch faktisch die Möglichkeiten dazu gegeben sind. Ebenso bestand auch faktisch die Möglichkeit der BF2 sich frei in der Stadt zu ihrer Arbeit oder in den Park zu bewegen und besuchte auch die BF4 regelmäßig ein Volleyballtraining oder erhielt auch Tanz- oder Englischunterricht.

Der grundsätzliche Wunsch nach allgemeiner Bewegungsfreiheit, Meinungsfreiheit oder Religionsfreiheit oder ohne Kleidungsvorschriften zu leben, der von der BF2 im Rahmen ihrer Befragung vor dem erkennenden Gericht nicht näher ausgeführt wurde, kann zudem keineswegs als ausschlaggebendes Motiv für eine "westliche Orientierung" angesehen werden, aus der eine Verfolgung im Heimatland abzuleiten wäre. Derart stereotype Aussagen müssten ansonsten automatisch dazu führen, dass Beschwerdeführerinnen in jedem Fall Asyl aufgrund der sozialen Gruppe "Frauen" zu gewähren wäre vergleiche VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015-9; VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994; VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182; BVwG 09.12.2014, W123 2007531-1).

In einer aktuellen Entscheidung des VwGH, 9.1.2020, Ra 2019/18/0195 bis 0197-12, führte dieser zu einer erwachsenen BF bezüglich einer möglichen westlichen Orientierung Folgendes aus: „Nach der einschlägigen Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts führt nicht die Eigenschaft des Frau-Seins an sich in der Judikatur zur Gewährung von Asyl. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als ‚westlich‘ bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet.“ Eine solche vermochte die BF2 aber gerade nicht glaubhaft darzutun, vielmehr hat das Ermittlungsverfahren ergeben, dass sie die westliche Orientierung zwar in Teilen zu leben versucht, diese aber noch nicht verinnerlicht hat.

Zusammenfassend kann im Falle der weiblichen BF ausgeführt werden, dass diese einen selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensstil, der zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität einer Frau geworden ist, weder verinnerlicht hat noch in ihrer alltäglichen Lebensführung als unverzichtbares Kernelement ihrer Identität verankert ist. Die BF2 ist im Entscheidungszeitpunkt in Österreich eine unselbständige Frau, mit grundlegenden Deutschkenntnissen, deren Einstellung zur Lebensführung in Österreich sich nur unwesentlich von jener unterscheidet, welche sie über Jahre in Iran pflegte. Sie vermittelte in ihren Aussagen den Eindruck, dass sie sich mit dem europäischen Kleidungsstil an die hier gelebten Werte angepasst hat. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den Begriffen wie Freiheit oder westlichen Werte hat bei der BF2 jedoch nicht stattgefunden. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und aus dem im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen Gesamteindruck, lässt sich ein Bestreben bzw. eine Verinnerlichung eines selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensstils in Österreich, der zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität einer Frau geworden ist, (noch) nicht ableiten.

Hinsichtlich der Behauptung in der mündlichen Verhandlung, wonach die BF2 und BF4 in Österreich regelmäßig sich mit anderen Frauen bzw. Freunden und Freundinnen trifft und Freizeitaktivtäten durchführt, ist der Vollständigkeit halber erneut auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 23.01.2018, Ra 2017/18/0301-0306, zu verweisen, welcher darin betreffend die (Nicht-)Ausübung einer Freizeitaktivität (Anm., hier: Sportart) im Herkunftsstaat klargestellt hat, dass etwa das Revisionsvorbringen, die Revisionswerberin könne im Falle einer Rückkehr nach Kabul – ohne männliche Begleitung – nicht mehr den Freizeitsport Nordic Walking ausüben, für sich betrachtet jedenfalls kein Grund sei, ihr asylrechtlichen Schutz zu gewähren.

Es konnte im Fall der weiblichen BF somit nicht festgestellt werden, dass diese seit ihrer Einreise nach Österreich im März 2022 eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Iran darstellen würde, somit eine "westliche" Lebensführung angenommen hat, die ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität wurde, und mit dem sie mit den sozialen Gepflogenheiten des Heimatlandes brechen würde. Insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass sich die BF2 auch in Iran frei bewegte, erwerbstätig war (im Unterschied ist sie dies in Österreich nicht), weiterhin freiwillig mit ihrem Ehegatten verheiratet ist und in Iran auch kaum den Islam ohne Probleme praktizierte; ebenso hatte BF4 Zugang zu Bildung und Freizeitaktivitäten und kann über ihre Ausbildung oder auch Heirat in Zukunft frei bestimmen.

Für die minderjährige BF4 wurden darüber hinaus keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht, konnte auch sonst keine begründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention aufgrund deren Minderjährigkeit festgestellt werden. Der minderjährigen BF4 ist ein Aufwachsen im iranischen Normensystem und innerhalb ihrer geschützten gewaltfreien Familienverband zumindest unter dem Aspekt des Fehlens einer drohenden asylrelevanten Verfolgung zumutbar. Für eine asylrelevante Verfolgung der minderjährigen BF4 bei einer Rückkehr nach Iran auf Grund ihrer spezifischen Situation als Kind gab es keine Anhaltspunkte im Verfahren. Auch unter Berücksichtigung der strengen Anforderungen an die Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen (VfGH 11.10.2017, E 1803/2017 ua., mwN) ist somit weder aufgrund des Vorbringens des BF1 und der BF2 noch sonst eine individuelle Bedrohung oder Verfolgung der minderjährigen BF4 im Verfahren hervorgekommen.

Da das auf eine Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat gerichtete Fluchtvorbringen ihrer Eltern als nicht asylrelevant bzw. nicht glaubwürdig abgewiesen wurde und ein weiteres Vorbringen betreffend eine asylrelevante Verfolgung der minderjährigen BF4 in ihrem Herkunftsstaat nicht erstattet wurde, waren keine Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegeben. Es ist in Iran möglich, dass auch für Mädchen der Zugang zu Bildung gewährt wird ist und die minderjährigen BF4 würde außerdem im Familienverband nach Iran zurückkehren. Weitere Anhaltspunkte, die eine mögliche, individuelle, Verfolgung der minderjährigen BF4 im Herkunftsstaat für wahrscheinlich erscheinen lassen, sind im gesamten Verfahren ebenfalls nicht hervorgekommen.

Auch die geringe Ausübung der religiösen Tätigkeiten in Österreich, brachte keine asylrelevante Verfolgung dar. Die Familie hat bereits im Iran nur gering die islamischen Regeln verfolgt und ging nicht in die Moschee oder hatte eine Koranausbildung z.b: Koranschule. Die BF 3 und 4 wurden mit der islamischen Religion erzogen. Der BF 3 bekennt sich weiterhin, wie der BF 1 und 2 dazu. Die BF 4 sieht diesem kritischer entgegen, hat sich jedoch nicht verinnerlicht vom Islam abgewendet, wenngleich sie auch andere Religionen kennen lernen will. Dies zeigt auch, dass sie sich keiner anderen Religion zugewendet hat. Ihre Religionsausübung ist in Österreich nicht anders als sie im Iran war und hatte sie deswegen keine Probleme.

Eine Verfolgung aufgrund der Teilnahmen an Demonstrationen oder kritischen Äußerungen zur iranischen Politik konnte ebenfalls nicht festgestellt werden und daher ist hier auch keine asylrelevante Verfolgung gegeben. Eine Teilnahme an Demonstrationen im Iran erfolgten bisher nicht und ist daher auch hier nicht davon auszugehen, dass die iranischen Behörden deswegen eine fingierte Inhaftierung erlassen werden. In Österreich waren die BF äußerst gering politisch aktiv, die einmalige Teilnahme an einer Demonstration oder das zufällige Dazukommen zu einer zweiten durch die BF 2 reicht nicht aus, um hier eine Gefährdung zu erkennen. Die Tätigkeiten in den sozialen Medien sind gering bis gar nicht im politischen Bereich öffentlich erkennbar. Sodass auch hier keine Gefährdung gegeben ist.

3.2.4. Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten somit für die BF aus.

Die BF waren und sind keiner konkreten und individuell gegen sie gerichteten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt.

3.2.5. Da keiner der BF Familienangehöriger eines Asylberechtigten ist, kommt auch eine Asylgewährung im Familienverfahren gemäß Paragraph 34, Absatz 3, AsylG 2005 nicht in Frage.

3.2.6. Aufgrund der getroffenen Feststellungen und der durchgeführten Beweiswürdigung ist die Entscheidung der belangten Behörde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten zu bestätigen und waren die Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch eins. abzuweisen.

3.3. Entscheidung über die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt römisch II.):

3.3.1. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß Artikel 2, EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Artikel 3, EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend echte, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen vergleiche VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. Weiters müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus.

Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen, die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikel 3, EMRK zu gelangen.

Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Artikel 3, EMRK auch sonst gültigen Maßstab des „real risk“, wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat vergleiche VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).

Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Asylwerber nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu berufen (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Artikel 2, oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016).

3.3.2. Es sind keine Umstände amtsbekannt, dass in Iran aktuell eine solche extreme Gefährdungslage besteht, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Artikel 2 und 3 EMRK ausgesetzt ist. Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, ist die Situation in Iran auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr der BF für sie als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde; in Iran ist eine Zivilperson aktuell nicht alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.

3.3.3. Das Vorbringen der BF zu den Fluchtgründen ist nicht glaubhaft (siehe Beweiswürdigung); es bestehen daher keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit der BF im Falle ihrer Rückkehr aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten bedroht ist.

3.3.4. Vor dem Hintergrund der genannten Erkenntnisquellen und den darauf basierenden Feststellungen finden sich weder Anhaltspunkte dafür, dass die BF bei einer Rückkehr bzw. Einreise in ihren Herkunftsstaat mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdungssituation im Sinne des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ausgesetzt sind, noch das „außergewöhnliche Umstände“ der Rückkehr bzw. Einreise der BF in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen. Es steht fest, dass den BF in Iran die notdürftigste Lebensgrundlage nicht fehlt, zumal ihnen als iranische Staatsangehörige der Zugang zum staatlichen Sozial- und Krankenversicherungssystem offensteht und sie in ihrem Herkunftsstaat auch über familiäre Anknüpfungspunkte (Eltern, Geschwister) verfügen, welche die BF bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche und zu Beginn auch finanziell unterstützen können. Entstammt der BF1 auch aus einer privilegierten Familie, sein Vater erhält eine Märtyrerpension, besitzt Ländereien und seine Schwestern sind erwerbstätig, ebenso bezieht auch die Mutter der BF2 eine Pension und sind ihre fünf Brüder erwerbstätig. Entsprechend ihrer bisherigen Ausbildung und Arbeitserfahrung können der BF1 und die BF2 eine Beschäftigung ausüben und somit den Lebensunterhalt bestreiten. Die minderjährige BF4 kann in Iran wieder die Schule besuchen, Sport betreiben und ihre Lebensunterhalt – auch der des BF3 – kann durch die Eltern gesichert werden. Der BF3 kann eine weiterführende Berufsausbildung machen oder auch studieren oder eine Erwerbsarbeit aufnehmen. Den BF ist es somit möglich, ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse zu befriedigen.

3.3.5. Die BF sind gesund und steht aufgrund der Länderberichte fest, dass eine allgemeine medizinische Versorgung allgemein in Iran und insbesondere in den Großstädten, wie auch in Teheran gewährleistet ist. Exzeptionelle Umstände wurden nicht behauptet und kann nicht festgestellt werden, dass die BF an akuten und lebensbedrohlichen Erkrankungen leiden, welche in Iran nicht behandelbar sind und im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat allenfalls zu einer Überschreitung der hohen Eingriffsschwelle des Artikel 3, EMRK führen würden, sodass auch ihre gesundheitliche Verfassung einer Abschiebung nicht entgegensteht (zur Judikatur hinsichtlich der Abschiebung kranker Fremder vergleiche VfSlg. 18.407/2008).

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation der BF steht in einer Gesamtbetrachtung fest, dass sie im Falle ihrer Rückkehr in den Iran nicht in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen werden, eine Verletzung ihrer durch Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Es liegen keine exzeptionellen Gründe vor, die einer Rückkehr in den Iran entgegenstehen. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass den BF eine Rückkehr möglich und auch zumutbar ist. Auf Grund der Länderberichte steht auch fest, dass sich die BF nicht nur in Teheran, sondern auch an jedem anderen Ort in Iran (zB in römisch 40 wo auch viele Familienangehörigen der BF aufhältig sind) niederlassen und eine Lebensgrundlage aufbauen können.

3.3.6. Auch unter Berücksichtigung der Covid-19 Pandemie ergibt sich keine andere Beurteilung: Die BF brachten nicht vor, dass sie wegen der derzeitigen Covid-19-Pandemie besonders gefährdet oder einer Risikogruppe zugehörig wären. Die BF sind gesund und benötigen aktuell keine medizinische Behandlung. Es liegen daher keine Erkrankungen, insbesondere keine Schwächung des Immunsystems vor, die im Sinne der Covid-19-Risikogruppenverordung das Risiko für einen besonders schweren oder lebensbedrohlichen Verlauf einer erneuten Covid-19 Erkrankung maßgeblich steigern. Die BF leiden auch an keinen behandlungsintensiven Erkrankungen, sodass auch kurzfristige Engpässe im Gesundheitssystem zu keiner Gefährdung der BF führen würden. Ein Impfstoff gegen schwere Verläufe von Covid-19 ist in Iran vorhanden, die BF ließen sich auch bereits impfen. Es liegen daher auch mit Blick auf die Covid-19-Pandemie im Fall der BF keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Artikel 3, EMRK vor. Eine Ansteckung der BF in Iran mit Covid-19 und ein diesbezüglicher außergewöhnlicher Krankheitsverlauf wären allenfalls spekulativ. Eine reale und nicht auf Spekulationen gegründete Gefahr ist nicht zu erkennen.

3.3.7. Ebenso unter Berücksichtigung der seit September 2022 herrschenden länderweiten Protestbewegungen in Iran ergeben sich keine Umstände, sodass in Iran aktuell eine solche extreme Gefährdungslage besteht, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Artikel 2 und 3 EMRK ausgesetzt ist.

3.3.8. Da kein „real risk“ besteht, dass die Rückführung der BF in ihren Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK führen wird und keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die gegen eine Abschiebung in den Iran sprechen, vorliegen, ist den BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen.

Auch kommt eine Gewährung subsidiären Schutzes im Familienverfahren gemäß Paragraph 34, Absatz 3, AsylG 2005 nicht in Betracht, da keiner der BF Familienangehöriger eines subsidiär Schutzberechtigten ist.

Das Bundesamt hat daher den BF den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu Recht nicht zuerkannt und waren die Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch II. der angefochtenen Bescheide daher abzuweisen.

3.4. Entscheidung über eine Rückkehrentscheidung und damit in Zusammenhang stehende Absprüche (Spruchpunkt römisch III.-V.):

3.4.1. Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht zu erteilen ist.

3.4.2. Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß Paragraph 57, Absatz eins, AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt (Ziffer eins,), wenn dies zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel notwendig ist (Ziffer 2,) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Ziffer 3,).

Die BF befinden sich seit März 2022 im Bundesgebiet. Der Aufenthalt der BF ist im Bundesgebiet nicht im Sinne der soeben dargelegten Bestimmung geduldet bzw. zur Gewährleistung einer Strafverfolgung erforderlich. Sie sind aktuell weder Zeugen oder Opfer von strafbaren Handlungen noch Opfer von Gewalt in einem laufenden Verfahren. Gegen den BF1 liegt aktuell ein Abschluss-Bericht von der Polizei wegen Verdacht auf Diebstahl in zwei Fällen, er ist somit Beschuldigter in strafrechtlich relevanten Ermittlungen, aber selbst nicht Zeuge oder Opfer in einem laufenden Verfahren. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im verwaltungsbehördlichen, noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren behauptet wurde.

3.4.3. Gemäß Paragraph 52, Absatz 2, FPG in Verbindung mit Paragraph 10, AsylG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Die BF sind als iranische Staatsangehörige keine begünstigten Drittstaatsangehörigen und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, weil mit der erfolgten Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach Paragraph 13, AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

Daher liegen die Voraussetzungen für die Prüfung einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, FPG vor.

3.4.4. Das Bundesamt hat gemäß Paragraph 58, Absatz 2, AsylG 2005 einen Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 55, von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde.

Ob eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, ergibt sich aus Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG: Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist nach Paragraph 9, Absatz eins, BFA-VG die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen: die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Ziffer eins,), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Ziffer 2,), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Ziffer 3,), der Grad der Integration (Ziffer 4,), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Ziffer 5,), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Ziffer 6,), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Ziffer 7,), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Ziffer 8,) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet war (Ziffer 9,).

Gemäß Paragraph 9, Absatz 3, BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruhen, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraphen 45 und 48 oder Paragraphen 51, ff. NAG) verfügten, unzulässig wäre.

3.4.5. Nach Artikel 8, Absatz 2, EMRK ist der Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Artikel 8, EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn darf eine Ausweisung nicht erlassen werden, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes, gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wurde – die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen vergleiche VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

3.4.5.1. Vom Begriff des „Familienlebens“ in Artikel 8, EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z. B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Artikel 8, EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Artikel 8, EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammenleben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind vergleiche etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellt, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Der BF1 und die BF2 sind verheiratet und der volljährige BF3 sowie die mj. BF4 sind ihre Kinder. Die BF leben zusammen in einem Haushalt, der BF1 und die BF2 sind obsorgeberechtigt. Die Beziehung der BF zueinander fällt sohin als schützenswertes Familienleben in den Schutzbereich des Artikel 8, EMRK. Die Rückkehrentscheidung betrifft allerdings alle Familienmitglieder im gleichen Ausmaß. Durch die gemeinsame Ausweisung der BF wird nicht in das Familienleben der Fremden eingegriffen (VwGH 18.03.2012, 2010/22/0013; 19.09.2012, 2012/22/0143; 19.12.2012, 2012/22/0221; vergleiche EGMR 09.10.2012, Fall Slivenko, NL 2003, 263).

Sonstige Familienangehörige oder Verwandte haben die BF im Bundesgebiet nicht. Die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen könnten daher allenfalls lediglich in das Privatleben der BF oder in das Kindeswohl der minderjährigen BF4 eingreifen.

3.4.5.2. Gemäß Paragraph 9, Absatz eins und 2 BFA-VG sind bei einer Rückkehrentscheidung, von welcher Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, die bestehenden Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt hinsichtlich der Beurteilung des Kriteriums der Bindungen zum Heimatstaat nach Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 5, BFA-VG dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden vergleiche VwGH 10.09.2021, Ra 2021/18/0158 bis 0163; mwN).

Das „Kindeswohl“ ist ein Rechtsbegriff, der letztlich von den Behörden und Gerichten zu beurteilen ist. Paragraph 138, ABGB enthält eine nicht abschließende Aufzählung von für das Wohl des Kindes bedeutenden Aspekten, um in allen das minderjährige Kind betreffenden Angelegenheiten unter anderem den Behörden und Gerichten Anhaltspunkte für die Beurteilung dieses Rechtsbegriffs zu bieten vergleiche VwGH 15.05.2019, Ra 2018/01/0076).

Paragraph 138, ABGB dient auch im Bereich verwaltungsrechtlicher Entscheidungen, in denen auf das Kindeswohl Rücksicht zu nehmen ist, als Orientierungsmaßstab vergleiche VwGH 29.09.2021, Ra 2021/01/0294 bis 0295; 14.12.2020, Ra 2020/20/0408; 23.09.2020, Ra 2020/14/0175; 30.04.2020, Ra 2019/21/0362 bis 0365; 24.09.2019, Ra 2019/20/0274). Insbesondere ist der Frage der angemessenen Versorgung und sorgfältigen Erziehung der Kinder (Ziffer eins,), der Förderung ihrer Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten (Ziffer 4,) sowie allgemein um die Frage ihrer Lebensverhältnisse (Ziffer 12,) nachzugehen. Aus der genannten Bestimmung ergibt sich überdies, dass auch die Meinung der Kinder zu berücksichtigen ist (Ziffer 5,) und dass Beeinträchtigungen zu vermeiden sind, die Kinder durch die Um- und Durchsetzung einer Maßnahme gegen ihren Willen erleiden könnten (Ziffer 6,). Ein weiteres Kriterium ist die Aufrechterhaltung von verlässlichen Kontakten zu wichtigen Bezugspersonen und von sicheren Bindungen zu diesen Personen (Ziffer 9,) vergleiche VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0362 bis 0365). Die Berücksichtigung des Kindeswohls stellt im Kontext aufenthaltsbeendender Maßnahmen lediglich einen Aspekt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung dar; das Kindeswohl ist daher bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen von Fremden nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium. Die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach Paragraph 9, BFA-VG vorzunehmenden Gesamtbetrachtung bzw. Interessenabwägung hängt vielmehr von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab vergleiche VwGH 29.09.2021, Ra 2021/01/0294 bis 0295; 08.09.2021, Ra 2021/20/0166 bis 0170).

Die mj. BF4 ist 2008 in Iran geboren und wuchs dort zusammen mit ihren Eltern BF1 und BF2 sowie ihrem älteren Bruder BF3 bis zur Ausreise 2022 auf und verbrachte dort auch ihre Kindheit und Teenagerzeit bis zum 14. Lebensjahr. Die BF4 besuchte acht Jahre lang die Schule, erhielt Tanzunterricht, besuchte einen Englischkurs und ging regelmäßig zum Volleyballtraining. Im Vergleich hierzu lebt sie nun auch im gemeinsamen Familienband mittlerweile über ein Jahr in Österreich, wo sie ihre Schulbildung fortsetzte, bereits Deutsch lernte und ebenfalls Volleyball spielt. Eine Rückkehr in den Herkunftsstaat nach dem einjährigen Auslandsaufenthalt, gemeinsam mit ihren Eltern und mit ihrem Bruder ist unter Berücksichtigung ihres Kindeswohles möglich, so spricht die BF4 mit Farsi die Landessprache, kann ihre Schulbildung in Iran auch wieder fortsetzen und verfügt auch mit Großeltern, Onkel und Tanten über weitere Familienangehörige in Iran. Sie würde weiterhin im gewohnten Familienverband aufwachsen und ist nach einem Jahr in Österreich auch keine derart bestehende Verwurzelung gegeben, die im Falle einer Rückkehr zu einer Entwurzelung führen würde, die dem Kindeswohl der BF4 entgegensteht.

3.4.5.3. Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen vergleiche EGMR 16.06.2005, Fall Sisojeva ua., Appl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554).

Bei der Beurteilung der Frage, ob der BF in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da – abseits familiärer Umstände – eine von Artikel 8, EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen sind vergleiche Thym, EuGRZ 2006, 541). Ausgehend davon, dass der Verwaltungsgerichtshof bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer ausgeht vergleiche Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378), und im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, argumentiert, "dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren […] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte", und auch der Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die Interessensabwägung zukommt (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289), ist im Fall des BF, der sich seit September 2021 – sohin seit ca. einem Jahr – in Österreich aufhält, anzunehmen, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet zu kurz ist, um ein schützenswertes Privatleben zu begründen vergleiche auch VwGH 15.03.2016, Ra 2016/21/0040, VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0192, VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0235 und VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0188).

Die BF reisten gemeinsam am 19.03.2022 legal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 29.03.2022 die Anträge auf internationalen Schutz und halten sich seitdem aufgrund ihres Antrages auf internationalen Schutz, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt war, im Bundesgebiet auf vergleiche zB VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 8.4.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen).

Die BF setzten zwar in dem erst als sehr kurz zu betrachteten Aufenthalt in Österreich bereits sprachliche, soziale und berufliche Integrationsbemühungen, aber konnten darüber hinaus keine derart außergewöhnliche berufliche, sprachliche oder soziale Integration geltend machen, um trotz des erst gut einjährigen Inlandsaufenthaltes von einem überwiegen der privaten Interessen der BF am Verbleib im Bundesgebiet auszugehen. Der BF1 geht zwar sehr engagiert seit mehreren Monaten einer selbstständigen Erwerbsarbeit nach und sorgt für den Lebensunterhalt der Familie, sodass die BF keine Leistungen mehr aus der Grundversorgung beziehen und eigenständig in einer Wohnung leben und haben sich alle BF bereits grundlegende Deutschkenntnisse angeeignet, die mj. BF4 besucht die Mittelschule, der BF3 ist Mitglied in einem Fußballverein, aber sonstige intensive Bindungen im Bundesgebiet konnten die BF nicht dartun und verfügt die Familie lediglich über vereinzelte freundschaftliche Bekanntschaften in Österreich und besteht insbesondere reger Kontakt zu einer bereits vor ihrer Einreise bekannten iranischen Familie. Der BF3 hat eine Freundin, sie leben aber nicht in einem gemeinsamen Haushalt, sind auch nicht finanziell abhängig und kann der Kontakt über die sozialen Medien aufrecht gehalten werden. Die Schutzwürdigkeit des Privatlebens in Österreich ist insbesondere aufgrund des Umstandes, dass die BF ihren kurzen Aufenthalt von ca. 14 Monate lediglich auf den im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt haben, nur in geringem Maße gegeben. Gesamt betrachtet liegt somit aufgrund des sehr kurzen Aufenthaltes keine maßgebliche Verdichtung privater Interessen der BF vor, die auf eine außerordentliche Integration hinweisen würden.

Demgegenüber haben die BF ihr gesamtes bisheriges Leben bis zum Verlassen des Herkunftsstaates in Iran, wo sie aufgewachsen sind, sozialisiert und ausgebildet wurden, die BF2 und der BF1 erwerbstätig waren, der BF3 und die BF4 zur Schule gingen, verbracht und dort finanziell abgesichert im Familienverband gelebt. Es bestehen anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat, zumal sie jedenfalls mit ihren (Groß)eltern und Geschwister oder Tanten/Onkel über zahlreiche familiäre und verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in Iran verfügen, zu denen sie auch von Österreich aus regelmäßig Kontakt haben. Als gebildete, gesunde und arbeitsfähige Menschen ist davon auszugehen, dass sich die volljährigen BF als auch die gesunde, gebildete mj. BF4 in die Gesellschaft des Herkunftsstaates nach nur 14-monatiger Abwesenheit wieder eingliedern können wird. Zumal sie auch zu Beginn auf die Unterstützung ihrer Familienangehörigen zählen können, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der BF1 aus einer Märtyrer-Familie mit privilegierter Stellung stammt und er auch wieder als ausgebildeter Architekt Arbeit bei seinem Bruder, der ebenfalls Architekt ist, finden könnte und wo er auch in der Vergangenheit tätig war. Schließlich beherrschen die BF aber auch die Sprachen ihres Herkunftsstaates und kennen die Gepflogenheiten, weshalb nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie bei ihrer Wiedereingliederung, insbesondere auch nach der erst kurzen Abwesenheit, mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen hätten. Es kann in Gesamtschau ihrer Situation nicht davon die Rede sein, dass die BF aus ihrem Herkunftsstaat entwurzelt wären und im Bundesgebiet bereits so tief verwurzelt wären, sodass ihnen eine Rückkehr unzumutbar wäre und die erlassene Rückkehrentscheidung eine Verletzung ihres Privatliebens im Sinne des Artikel 8, EMRK darstellen würde.

Im Hinblick auf die bisherigen Ausführungen sind zum Entscheidungszeitpunkt die Beziehungen der BF zu Österreich im Gegensatz zu den weiterhin vorhandenen und ausgeprägten Bindungen zum Herkunftsstaat sowie unter Berücksichtigung des Kindeswohls und der vorhandenen Integrationsbemühungen insgesamt betrachtet vor dem Hintergrund des sehr kurzen Aufenthalts dennoch schwächer ausgeprägt.

Dass die BF in Österreich strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Aufenthalt in Österreich zu stärken, noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253). In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der BF1 in Verdacht steht in zwei Fällen einen Diebstahl begangen zu haben, zu denen er auch teilweise geständig ist und den Schaden wieder gut gemacht hat. Eine strafgerichtliche Verurteilung liegt noch nicht vor, ebenso auch noch kein Strafantrag oder Anklageschrift seitens der Staatsanwaltschaft. Da der BF geständig war, ist der zweifache Diebstahl bei der Interessensauswägung mit einzubeziehen und stärkt das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme, aber auch nicht entscheidend.

Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Interessen der BF an einem Verbleib im Bundesgebiet auch insbesondere in Anbetracht des erst einjährigen Aufenthaltes kaum Gewicht haben, und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten (VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

Den BF kommt auch kein Aufenthaltsrecht nach einem anderen Bundesgesetz zu.

Folglich ist der belangten Behörde letztlich beizupflichten, dass kein Sachverhalt hervorkam, welcher bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen den Schluss zulässt, dass die angefochtenen Bescheide einen unverhältnismäßigen Eingriff in das durch Artikel 8, EMRK geschützte Privat- und Familienleben darstellen.

Die Verhältnismäßigkeit der Verhängung der seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet ist. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist daher im vorliegenden Fall zulässig, im Hinblick auf die Ziele des Artikel 8, EMRK geboten und auch nicht unverhältnismäßig.

Daher ist die Beschwerde abzuweisen, soweit sie sich gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung wendet.

3.4.6. Mit der Rückkehrentscheidung ist gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Eine (positive) Feststellung über die Zulässigkeit der Abschiebung ist in der vorliegenden Konstellation die Konsequenz der Nichtgewährung von Asyl und von subsidiärem Schutz und es kommt ihr nur die Funktion zu, den Zielstaat der Abschiebung festzulegen (siehe zuletzt VwGH 7.3.2019, Ra 2019/21/0044 bis 0046, Rn. 20, mit dem Hinweis auf VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119, Punkt 2.3. der Entscheidungsgründe).

Im gegenständlichen Fall ist die Zulässigkeit der Abschiebung der BF nach Iran gegeben, weil nach den die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des Paragraph 50, Absatz eins und 2 FPG ergeben würde, und auch keine entsprechende Empfehlung des EGMR für Iran besteht.

3.4.7. Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach Paragraph 55, Absatz 2, FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides. Dies, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, jene Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Derartige Gründe wurden im Verfahren nicht vorgebracht und es liegen keine Anhaltspunkte vor, die eine längere Frist erforderlich machen würden.

Die Beschwerden erweisen sich somit auch in Bezug auf die Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. als unbegründet und waren folglich zur Gänze abzuweisen.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen – im Rahmen der rechtlichen Beurteilung bereits wiedergegebenen – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Im gegenständlichen Fall war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen und waren Fragen der Beweiswürdigung und aktueller Länderberichte entscheidend. Auch verfahrensrechtlich wurden keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen, auch der Abwägung des Privat- und Familienlebens, auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung zu Fragen des Artikel 8, EMRK wurde bei den Erwägungen römisch II.3.4. wiedergegeben. Insoweit die dort angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2023:W272.2259783.1.00