Bundesverwaltungsgericht
25.04.2023
W177 2164996-4
W177 2164996-4/51E
Schriftliche Ausfertigung des am 20.01.2023 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Volker NOWAK als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 auch römisch 40 , StA. Pakistan, vertreten durch RA Mag. Carolin SEIFRIEDSBERGER, Spiegelgasse 19, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, vom 21.10.2019, Zahl: römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.01.2023, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz „BF“), ein pakistanischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 23.10.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er gehöre der Volksgruppe Punjabi an und sei der sunnitischen Religionsgemeinschaft zugehörig. Als Fluchtgrund wurden Übergriffe auf seine Person wegen der behaupteten Unterstützung einer Christenfamilie geltend gemacht.
2. Mit Bescheid des BFA vom 31.05.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen. Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Pakistan gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei. Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Dem Fluchtvorbringen wurde die Glaubwürdigkeit versagt.
In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des Paragraph 3, AsylG biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd Paragraph 8, Absatz eins, AsylG ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt worden sei, weshalb gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt wurde, dass dessen Abschiebung nach Pakistan gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei. Letztlich wurde erläutert, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
3. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.09.2017, römisch 40 gemäß den Paragraph 3, Absatz eins,, Paragraph 8, Absatz eins,, Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3,, Paragraph 57, AsylG 2005 idgF in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG, Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2 und Absatz 9,, Paragraph 46 und Paragraph 55, FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen. Ferner wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 55, AsylG 2005 gemäß Paragraph 6, AVG 1991 mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zurückgewiesen.
In diesem Erkenntnis wurde - unter näher dargelegten Gründen - ausgeführt, warum das Vorbringen nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen könne. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass das Vorbringen, unter näher dar gelegten Gründe, nicht glaubhaft sei. Im Rahmen einer Eventualbegründung wurde ausgeführt, dass selbst wenn man das Vorbringen der rechtlichen Beurteilung zugrunde legen würde, diesem keine Asylrelevanz zukommen könne, da es sich um eine Verfolgung durch Drittpersonen handeln würde und der pakistanische Staat grundsätzlich schutzfähig und schutzwillig sei. Darüberhinaus stünde dem Beschwerdeführer auch noch die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative offen.
4. Gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.09.2017, römisch 40 wurde fristgerecht das Rechtsmittel der außerordentlichen Revision eingebracht. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15.03.2018, römisch 40 hat dieser die angefochtene Entscheidung des BVwG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Begründend wird insbesondere ausgeführt, dass das BVwG die beweiswürdigenden Überlegungen der Verwaltungsbehörde nicht bloß unwesentlich ergänzt habe, weswegen es nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte Abstand nehmen dürfen. Eine umfangreiche eigene Beweiswürdigung habe regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung zu erfolgen, in der auch ein persönlicher Eindruck vom Asylwerber gewonnen werden könne. Soweit das BVwG im Rahmen seiner Alternativbegründung davon ausgehe, dass dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe, sei darauf hinzuweisen, dass entgegen der Ansicht des BVwG von einer Wahrunterstellung keine Rede sein könne, weil es auch bei der Beurteilung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben sei, dem dies bestreitenden sachverhaltsbezogenen Vorbringen ausdrücklich die Glaubwürdigkeit abspreche. Somit hätte aus diesem Blickwinkel nicht von der Verhandlung Abstand genommen werden dürfen. Ein Absehen von der beantragten Verhandlung sei daher nicht gerechtfertigt gewesen.
5. Mit Erkenntnis vom 04.02.2019, römisch 40 , wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2017, römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.01.2019, gemäß den Paragraph 3, Absatz eins,, Paragraph 8, Absatz eins,, Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3,, Paragraph 57, AsylG 2005 idgF in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG, Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2 und Absatz 9,, Paragraph 46 und Paragraph 55, FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 55, AsylG 2005 wird gemäß Paragraph 6, AVG 1991 mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zurückgewiesen (Spruchpunkt römisch II.).
Das Bundesverwaltungsgericht teilte die Auffassung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, dass der BF im Rahmen der Erstbefragung in erheblicher Weise andere Angaben als im Rahmen der folgenden Einvernahmen vor der belangten Behörde getätigt habe. Im gegenständlichen Fall sei es dem BF im Zuge der Erstbefragung und den Einvernahmen vor der belangten Behörde jedoch nicht möglich gewesen, gleichbleibende Angaben zu tätigen. So habe die dem BAA bzw. BFA präsentierte neue Fluchtgeschichte, wonach er eine dem christlichen Glauben angehörende Nachbarsfamilie aufgenommen hätte und ihn deshalb ein Teil der Bewohner seiner Heimatstadt umbringen hätten wollen, einen anderen Sachverhalt dargestellt als die im Zuge der Erstbefragung erfolgten Schilderungen, sodass man nach allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgegangen werden könne, dass der BF diese Bedrohung aufgrund der Unterstützung einer sich zum christlichen Glauben bekennenden Nachbarsfamilie nicht tatsächlich selbst erlebt habe, andernfalls er dies bei der ersten sich bietenden Gelegenheit erwähnt hätte. Bereits dieser Umstand reiche aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft anzusehen. Vor allem habe der BF auch keine substantiierte Erklärung für die Nichterwähnung dieser Schilderungen zu erbringen vermocht. Insbesondere aufgrund dieser klar erkennbaren gesteigerten Varianten seines Vorbringens sei es dem BF daher nicht gelungen, eine Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.
Diese Ansicht werde richtigerweise auch dadurch gestützt, dass die anderen Familienmitglieder, konkret seine Eltern und Geschwister, immer noch in Pakistan - teilweise an der Adresse der Familie - leben würden. Der BF auch in der Beschwerde ebenso wenig in der Lage gewesen sei, eine plausible Erklärung für sein Zuwarten bis zur Ausreise erbringen zu können. Ebenso sei der belangten Behörde zuzustimmen gewesen, dass der Beschwerdeführer sein Vorbringen im Zuge des Asylverfahrens bezüglich der Dauer seines Aufenthalts in römisch 40 völlig widersprüchlich darlegte, ohne hierfür eine plausible Erklärung erbringen zu können.
6. Mit Erkenntnis des BVwG vom 28.01.2019, römisch 40 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen und der Antrag auf Wiedereröffnung des Verfahrens als unzulässig zurückgewiesen.
Aufgrund sämtlicher Ausführungen sei im vorliegenden Fall glaubhaft kein Element erkennbar gewesen, welches einen durchschnittlich sorgsamen Menschen tatsächlich an der Teilnahme der mündlichen Verhandlung hindern würde. Ein Wiedereinsetzungswerber dürfe nicht auffallend sorglos gehandelt haben. Der BF habe aber die im Verkehr mit Behörden und Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen. Im Rahmen der ihn als "ordentliche Prozesspartei" treffenden Sorgfaltspflicht treffe den Antragsteller etwa die Obliegenheit, mit seinem Rechtsvertreter Kontakt zu halten und diesen auch über relevante Änderungen hinsichtlich der Erreichbarkeit zu informieren.
7. Der BF brachte am 30.09.2019 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz ein. Das BFA hob mit dem im Zuge einer Einvernahme am 08.10.2019 nach einer Befragung des Beschwerdeführers mündlich verkündeten Bescheid gemäß Paragraph 12 a, Absatz 2, AsylG den faktischen Abschiebeschutz auf und begründete dies damit, dass kein neuer objektiver asylrelevanter Sachverhalt vorliege, weil der BF den gegenständlichen Antrag auf Basis seiner Angaben aus dem Erstverfahren gestellt habe. Daher sei bereits einmal rechtskräftig über diese Angaben entschieden worden.
Mit Beschluss vom 14.10.2019, römisch 40 , hielt das BVwG fest, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß Paragraph 12 a, Absatz 2, AsylG nicht rechtmäßig gewesen sei und der am 08.10.2019 erlassene Bescheid daher aufgehoben werde.
Der BF habe zur Begründung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz ausgeführt, dass er diesen aus denselben Gründen wie im Vorverfahren stellen würde sowie auch deshalb, weil er homosexuell sei. Er habe bereits in Pakistan einmal Sex mit einem Mann gehabt und ihm drohe aufgrund seiner Homosexualität in Pakistan die Todesstrafe. Seine Homosexualität habe er bisher wegen seiner starken Schamgefühle und aus Furcht vor den Pakistanis hier nicht gesagt.
Das BFA habe keine Sachverhaltsfeststellungen und auch keine beweiswürdigenden Ausführungen dazu getroffen, ob es die vom BF vorgebrachte Homosexualität für glaubhaft erachtet oder nicht.
8. Mit schriftlicher Eingabe des bevollmächtigten rechtsfreundlichen Vertreters des Beschwerdeführers vom 21.10.2019 wurde vorgebracht, der Antragsteller sei homosexuell. Er habe seine homosexuelle Veranlagung insbesondere nach Zustellung des Erkenntnisses vom Bundesverwaltungsgericht vom 04.02.2019 intensiv ausgelebt im Zeitraum Mitte Juli bis Ende September 2019 intensive homosexuelle Kontakte. Es werde der Beweisantrag gestellt, dem Beschwerdeführer ergänzend asylbehördlich einzuvernehmen, zum Beweis dessen, dass der Antragsteller tatsächlich homosexuell veranlagt sei.
9. Das BFA hat den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 30.09.2019 mit Bescheid vom 21.10.2019 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.), gleichzeitig wurde der Antrag hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt römisch II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, Asylgesetz nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.) sowie gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, Asylgesetz eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.), festgestellt, dass die Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG nach Pakistan zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.), keine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt (Spruchpunkt römisch VI.) und gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII:). Schließlich wurde dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 15 b, Absatz eins, Asylgesetz 2005 aufgetragen, ab 07.10.2019 durchgehend in einem bestimmten bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt römisch VIII.).
10. Mit Schriftsatz vom 31.10.2019 wurde vom Rechtsvertreter des BF Beschwerde gegen den den Folgeantrag zurückweisenden Bescheid des BFA eingebracht. Es wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde verpflichtet gewesen wäre, eine weitere Beweisaufnahme durchzuführen, um definitiv zu klären, ob der BF nun homosexuell sei. Die Beweiswürdigung im angefochtenen Erkenntnis würde zu kurz greifen. Eine homosexuelle Neigung sei, bis hin zur Entwicklung einer homosexuellen Identität, ein Entwicklungsprozess, der sich nicht mit einem Tag festmachen lasse. Ein Ausleben seiner nicht heterosexuellen Orientierung sei für den Beschwerdeführer im Herkunftsstaat gänzlich unmöglich. In Österreich habe der Beschwerdeführer allmählich vermehrt homosexuelle Kontakte gepflegt. Er habe auch geschildert, dass er schon in Pakistan wegen seiner Homosexualität Probleme gehabt habe, bedroht worden sei und dass über ihn schlecht gesprochen wurde. Aufgrund dieser schlechten Erfahrungen in Pakistan habe er befürchtet, dass ihm dies auch in Österreich widerfahren würde. Er hätte sich geschämt. Aus diesen Gründen habe er seine Homosexualität im ersten Verfahren nicht offengelegt.
10. Mit Erkenntnis des BVwG vom 13.11.2019, römisch 40 wurde die Beschwerde gegen den den am 30.09.2019 eingebrachten Folgeantrag auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurückweisenden Bescheid abgewiesen und gegenüber dem BF eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Schließlich wurde dem BF gemäß Paragraph 15 b, Absatz eins, Asylgesetz 2005 aufgetragen, ab 07.10.2019 durchgehend in einem bestimmten bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen.
Das BVwG hielt fest, dass sich aus der Darstellung des BF eindeutig ergeben habe, dass er sich auf bereits in Pakistan bestehende homosexuelle Neigungen berufe, die er dort auch ausgelebt habe, wobei es sogar zu Schwierigkeiten mit der Polizei und den Mullahs gekommen sei. Diese Aussage des BF sei von ihm anlässlich seiner asylbehördlichen Einvernahme am 08.10.2019 unbestritten getätigt worden. Auch in der Beschwerde würden seine (beginnenden) ersten homosexuellen Erfahrungen in Pakistan erwähnt bzw. wiederholt werden.
Demnach wäre ein Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde zu legen, der schon während des ersten Asylverfahrens bestanden hätte, jedoch mangels Geltendmachung durch den BF selbst nicht Eingang in das erste Asylverfahren gefunden habe. Dem trete auch die Beschwerde nicht entgegen. Wenn nun aber die Beschwerde ausgeführt habe, bei homosexueller Orientierung handle es sich nicht um einen statischen Zustand, sondern um eine Entwicklung, die nicht von vornherein feststehen würde – der BF habe seine sexuelle Identität als Schwuler in Pakistan nicht entwickeln können, sondern habe dies „denkmöglich“ erst beginnend in Pakistan, mit Intensivierung in Österreich bis hin zu verstärkten und intensivierten homosexuellen Beziehung in Deutschland allmählich geschehen können – werde dem zwar nicht entgegengetreten, dennoch sei – bei Wahrunterstellung – davon auszugehen, dass die homosexuelle Neigung bereits in Pakistan und Österreich bestanden habe und damit werde der nunmehr im Folgeantragsverfahren zu beurteilende Sachverhalt nicht geändert.
Bei Wahrunterstellung wäre davon auszugehen, dass der zur Begründung des Folgeantrages vorgebrachte Sachverhalt bereits bei der Erstentscheidung vorhanden gewesen sei und dieser allenfalls einen Grund für die Wiederaufnahme des ersten Asylverfahrens gem. Paragraph 32, VwGVG darstellen könne.
11. Mit Erkenntnis des VfGH, römisch 40 , vom 27.02.2020 wurde festgehalten, soweit damit die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels, gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Pakistan ohne Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise, gegen die Verhängung eines auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbots und gegen die Anordnung der Unterkunftnahme abgewiesen worden sei, der BF im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (Art römisch eins Abs1 des BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, Bundesgesetzblatt 390 aus 1973,) verletzt worden sei. Das Erkenntnis werde insoweit aufgehoben. Im Übrigen werde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und insoweit an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
Das Bundesverwaltungsgericht treffe in der angefochtenen Entscheidung jedoch keinerlei eigene Länderfeststellungen zur Lage Homosexueller in Pakistan, sondern habe bloß beweiswürdigend ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer umfangreiche Länderberichte, insbesondere hinsichtlich Personen mit homosexueller Orientierung, zur Kenntnis gebracht worden seien. Diesen im Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wiedergegebenen Berichten sei zu entnehmen, dass in Pakistan Strafen bis hin zu lebenslanger Haft für homosexuellen Geschlechtsverkehr vorgesehen wären und es zu Erpressung seitens der Sicherheitsbehörden sowie massiver gesellschaftlicher Diskriminierung komme.
Vor dem Hintergrund dieser Berichte und des in der Beschwerde erstatteten Vorbringens, dass es für den Beschwerdeführer sehr gefährlich wäre, seine sexuelle Orientierung in Pakistan zu leben, wäre eine Überprüfung, ob dem Beschwerdeführer in seiner konkreten Situation im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat eine Verletzung seiner gemäß Artikel 2 und 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte drohe, jedenfalls geboten gewesen.
Es liege demnach hinsichtlich der bei jedem Antrag auf internationalen Schutz (erneut) vorzunehmenden Refoulementprüfung kein unveränderter Sachverhalt vor, der die Zurückweisung des Antrags wegen entschiedener Sache rechtfertigen könnte. Insoweit habe das Bundesverwaltungsgericht den konkreten Sachverhalt außer Acht gelassen und dadurch sein Erkenntnis mit Willkür belastet.
12. Mit Beschluss des BVwG vom 27.04.2020, römisch 40 , wurde der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte römisch II. bis römisch VIII. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 21, Absatz 3, zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid insoweit behoben.
Im vorliegenden Fall sei nach der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes zu ermitteln, inwieweit dem Vorbringen des BF, schon in seinem Heimatland homosexuell gewesen zu sein und sich aus Scham nicht getraut zu haben, dies im ersten Asylverfahren anzugeben, ein glaubhafter Kern zukomme. Es werde u.U. auch zu klären sein, inwieweit den BF ein Verschulden daran treffe, dass er einen neuen Fluchtgrund, der möglicherweise schon zur Zeit der Ausreise bestanden habe, im Rahmen der Prüfung seines Erstantrages auf internationalen Schutz nicht erwähnt habe. Dazu wird es erforderlich sein, den BF neuerlich einzuvernehmen sowie allenfalls Zeugen auszuforschen und zu vernehmen. Schließlich werde die belangte Behörde zu ermitteln haben, inwieweit dem BF dadurch im Fall der Rückkehr eine Beeinträchtigung seiner durch Artikel 2, oder Artikel 3, EMRK gewährleisteten Rechte drohen würde und sohin subsidiärer Schutz zu gewähren sei.
13. Mit Beschluss vom 16.10.2020 hat der Verwaltungsgerichtshof das gegenständliche Revisionsverfahren bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) über die mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.12.2019, römisch 40 vorgelegten Fragen ausgesetzt, weil der Beantwortung dieser Fragen auch für die Behandlung der vorliegenden Revision Bedeutung zukomme.
Mit Urteil vom 09.09.2021, römisch 40 , hat der EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.12.2019 entschieden. Das BFA brachte am 14.10.2021 eine Stellungnahme zum Urteil des EuGH ein.
14. Mit Erkenntnis des VwGH vom 21.06.2022, römisch 40 , wurde das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Zurückweisung seines Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Die Revision bringe zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, es sei „unionsrechtlich geboten“ einen Folgeantrag darauf zu prüfen, ob neue Elemente oder Erkenntnisse betreffend die Frage, ob dem Antragsteller internationaler Schutz zuzuerkennen sei, vorgebracht worden seien. Es liege zudem ein Begründungsmangel vor, weil das BVwG nicht festgestellt habe, ob das Vorbringen zur Homosexualität glaubhaft sei. Die Beweiswürdigung des BVwG sei in diesem Punkt widersprüchlich und nicht nachvollziehbar.
Das Verwaltungsgericht habe neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht dürfe sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen vergleiche etwa VwGH 2.11.2021, Ra 2019/19/0062, mwN).
Diesen Anforderungen sei die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht gerecht geworden. Zum einen habe das BVwG festgehalten, der Beurteilung des BFA, den Angaben des Revisionswerbers zu seiner Homosexualität komme kein glaubhafter Kern zu. Zum anderen habe das BVwG ausgeführt, der Revisionswerber habe die Aussagen zu seinen nach seinem Vorbringen schon in Pakistan bestehenden homosexuellen Neigungen „anlässlich seiner asylbehördlichen Einvernahme [...] unbestritten getätigt“.
Dem angefochtenen Erkenntnis sei aufgrund der in sich widersprüchlichen Ausführungen zum Vorbringen der Homosexualität des Revisionswerbers nicht zu entnehmen, ob das BVwG dieses Vorbringen für glaubhaft gehalten habe, oder nicht. Mangels konkreter und widerspruchsfreier Feststellungen betreffend die vom BVwG angenommene sexuelle Orientierung des Revisionswerbers sei die angefochtene Entscheidung einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich.
Dem Begründungsmangel komme im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zur Zurückweisung von Folgeanträgen wegen entschiedener Sache auch Relevanz zu. Der Verwaltungsgerichtshof habe sich - nach Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union vergleiche das schon erwähnte Urteil EuGH 9.9.2021, römisch 40 ) - in seinem Erkenntnis vom 19.10.2021, römisch 40 , des Näheren mit der Vereinbarkeit der asylrechtliche Folgeanträge betreffenden Rechtslage mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) befasst. Ein Folgeantrag auf internationalen Schutz dürfe nicht allein deswegen wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden, weil der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt von der Rechtskraft einer früheren Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz erfasst sei, ohne dass die Prüfung im Sinn des Artikel 40, Absatz 2 und Absatz 3, Verfahrensrichtlinie vorgenommen worden wäre, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“.
Im vorliegenden Fall habe sich der Revisionswerber zur Begründung seines zweiten Antrages auf internationalen Schutz auf Umstände berufen, die dem BFA und dem BVwG im Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz noch nicht bekannt waren und daher in diesem Verfahren auch nicht im Hinblick auf die Zuerkennung eines Schutzstatus geprüft worden wären. Der Revisionswerber habe damit neue Elemente vorgebracht, die seinem Vorbringen nach auf Grund der Situation im Herkunftsstaat infolge des dort gepflogenen Umgangs mit homosexuellen Personen zu einer asylrelevanten Verfolgung des Revisionswerbers führen und damit die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten rechtfertigen würden.
Daher dürfte der Folgeantrag des Revisionswerbers nach der zuvor dargestellten Rechtsprechung vom BVwG nicht schon deshalb wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden, weil das Vorbringen betreffend die vorgebrachte Homosexualität des Revisionswerbers von der Rechtskraft der Entscheidung im ersten Asylverfahren erfasst sei, ohne dass eine Prüfung im Sinn des Artikel 40, Absatz 2 und 3 Verfahrensrichtlinie in der zuvor dargestellten Weise vorgenommen wurde vergleiche erneut VwGH Ra 2020/19/0412). Deshalb erweise sich die Begründung des BVwG, selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens des Revisionswerbers handle es sich dabei um Umstände, die bereits im Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz bestanden hätten und die aus diesem Grund einen neuen Antrag auf internationalen Schutz nicht begründen könnten, somit ebenfalls nicht als tragfähig.
Das angefochtene Erkenntnis sei daher, soweit damit der vom Revisionswerber gestellte Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zurückgewiesen wurde, wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß Paragraph 42, Absatz 2, Ziffer eins, VwGG aufzuheben.
15. Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19.10.2022 wurde die gegenständliche Rechtssache der bisher zuständigen Gerichtsabteilung L527 abgenommen und der Gerichtsabteilung W177 neu zugewiesen.
16. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 20.01.2023, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF und seine Rechtsvertretung persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde verzichtete, mit Schreiben vom 02.01.2023 entschuldigt, auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.
Der BF gab zu Beginn der Verhandlung an, dass er in der Lage sei, der Verhandlung folgen zu können und er den Dolmetscher gut verstehe. Danach erfolgte die vorläufige Beurteilung über die politische und menschenrechtliche Situation in seinem Herkunftsstaat, auch unter der Berücksichtigung von COVID-19, die der BF bestreitet, und es wurde auf die Verlesung der für das Ermittlungsverfahren wesentlichen Aktenteile verzichtet sowie die Aktenteile seitens des erkennenden Richters zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und zum Inhalt der heutigen Niederschrift erklärt.
Der BF gab an, in Pakistan acht Jahre die Schule besucht zu haben. Im neunten Jahr sei er auch in die Schule gegangen, aber in diesem Jahr sei er viel mit seinem Vater unterwegs gewesen. In Österreich habe er Volkshochschulkurse besucht. Auf Urdu könne er sowohl lesen als auch schreiben und auf Deutsch könne er schreiben, aber das Lesen sei schwierig.
An die Befragung/en bei der Polizei und die Einvernahme/n beim Bundesamt könne er sich erinnern. Er habe damals die Wahrheit gesagt. Er habe vorgebracht, dass er in Deutschland gewesen sei und dort mit einem Typ Sex und gehabt hätte. Er erhebe seine bisherigen Angaben zu seiner heutigen Aussage.
Auf die Frage, ob der BF homosexuell sei, gab dieser an, dass er mit Männern verkehre, wenn ihm danach sei. Er habe ein Verlangen danach. Er treffe Männer in römisch 40 auch in einer Gay Bar. Er wolle schon irgendwann eine feste Beziehung mit einem Mann haben, aber er halte sich wegen seiner Zähne nicht schön genug, weswegen er wenig Möglichkeiten für eine dauerhafte Beziehung sehe.
Ob er in Pakistan seine Homosexualität ablegen können und er dort nur noch mit Frauen zusammen zu werden, vermeinte der BF, dass dies schwierig für ihn wäre. Es könnte nur verschwiegen, jedoch nicht abgelegt werden.
In seinem Heimatland würden noch seine Eltern und seine Geschwister, zwei Brüder und drei Schwestern leben. Er habe seiner Mutter gesagt, dass er homosexuell sei und diese habe dann begonnen, mit ihm zu streiten.
Es wurde festgehalten, dass der BF ist offen homosexuell sei und er diese Neigung auch nicht im Heimatland ablegen wollen würde.
Es wurde ein Konvolut an Umsatzlisten als Kolporteur von August, Oktober und November 2022, wird verlesen und zum Akt genommen.
Es folgte der Schluss der Verhandlung und der Richter verkündet gemäß Paragraph 29, Absatz 2, VwGVG das nachfolgende Erkenntnis samt wesentlichen Entscheidungsgründen und erteilt die Rechtsmittelbelehrung. Es wurde festgehalten, dass der BF offen homosexuell sei und er diese Neigung auch im Heimatland nicht ablegen wollen würde.
Somit würden sich aus dem Vorbringen und den internationalen Länderberichten hinreichende Anhaltspunkte für eine besondere individuelle Verfolgung der beschwerdeführenden Partei ergeben. Es sei daher ein unter Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumierender Sachverhalt ableitbar. Die glaubhaft vorgebrachte landesweite Bedrohung beruhe auf staatlich zumindest geduldeter Verfolgung.
17. Am 31.01.2023 begehrte die belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung des am 20.01.2023 verkündeten mündlichen Erkenntnisses.
18. Der BF legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:
● Lohnzettel für den Zeitraum August 2022, Oktober 2022 und November 2022
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.
1.1. Zum sozialen Hintergrund und den Fluchtgründen des BF:
Der BF führt den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 auch römisch 40 , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Pakistan, Angehöriger der Volksgruppe Punjabi und gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Die Muttersprache des BF ist Punjabi, wobei er auch Urdu und Deutsch spricht. Er ist im erwerbsfähigen Alter und gesund. Er benötigt keine ständige medizinische Betreuung.
Der BF wurde nach seinen Angaben in Pakistan geboren. Er ist ledig und hat keine Kinder. In seinem Heimatland hat er sich zuletzt in römisch 40 aufgehalten. In Pakistan hat er, neun Jahre die Schule besucht. In Österreich besuchte der BF Kurse der Volkshochschule und sammelte Berufserfahrung als Zeitungskolporteur. In seinem Heimatland sind noch seine Eltern und zwei Brüder und drei Schwestern aufhältig. Zu diesen Verwandten hat der BF auch sporadischen Kontakt.
Der BF ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, hatte dort keine Probleme mit Behörden und war politisch nicht aktiv. Der BF ist in Österreich viermal strafgerichtlich verurteilt:
1) Mit Urteil eines Landesgerichts vom 21.06.2018 wurde der BF gemäß Paragraph 107, Absatz eins, StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt, verurteilt.
2) Mit Urteil eines Landesgerichts vom 10.12.2018 wurde der BF gemäß Paragraphen 27, Absatz eins, Ziffer eins und 2.Fall, 27 Absatz 2, SMG zu einer Geldstrafe von 40 Tagsätzen zu je € 7,-, im Nichteinbringungsfall 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.
3) Mit Urteil eines Landesgerichts vom 01.02.2021 wurde der BF gemäß Paragraph 15, StGB, Paragraph 269, Absatz eins, Ziffer eins, 1.Fall StGB, Paragraphen 83, Absatz eins,, 84 Absatz 2, StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt, verurteilt.
4) Mit Urteil eines Landesgerichts vom 01.07.2022 wurde der BF gemäß Paragraph 295, StGB zu einer Geldstrafe von 140 Tagsätzen zu je € 7,-, im Nichteinbringungsfall 70 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.
Bei all diesen Verurteilungen handelt es sich bloß um Vergehen, nach denen der BF bloß zu bedingten Freiheitsstrafen bzw. Geldstrafen verurteilt wurde. Einen Asylausschlussgrund nach Paragraph 6, AsylG hat der BF dadurch jedenfalls nicht gesetzt.
Der BF ist bereits vor über zehn Jahren nach Europa gekommen. Er stellte am 23.10.2012 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Nach rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens, in dem das Erkenntnis des BVwG ebenfalls einmal vom VwGH behoben wurde, stellte der BF am 30.09.2019 gegenständlichen Folgeantrag. Nachdem dieses auch Verfahren den VfGH, den VwGH und den EuGH durchlief, ergibt sich die doch überdurchschnittlich lange Verfahrensdauer, bis zu seinem Abschluss.
Der Beschwerdeführer ist homosexuell und lebt seine sexuelle Orientierung auch aus. Er hat bereits in Pakistan erste homosexuelle Erfahrungen gemacht. In Österreich lebt der BF seine Homosexualität auch offen aus. Auch wenn der BF in keiner aufrechten homosexuellen Beziehung lebt, machte er deutlich, dass er in homosexuellen Kreisen verkehrt und er immer wieder gleichgeschlechtliche Sexualpartner hat.
Einige Familienangehörige des BF wissen von seiner sexuellen Orientierung. Es konnte aber nicht festgestellt werden, dass die Homosexualität des BF in Pakistan bekannt gewesen bzw. inzwischen bekannt ist.
Der BF unterliegt bei einer Rückkehr nach Pakistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr, aufgrund seiner Homosexualität bedroht oder verfolgt zu werden.
Es ist nicht davon auszugehen, dass der BF weitergehende Unterstützung seitens der Behörden erhalten wird und diese nicht schutzfähig und schutzwillig gegen die von BF angeführten Bedrohungen sind, zumal in Pakistan Homosexualität unter Strafe gestellt ist. Diese Untätigkeit der Behörden gegen Übergriffe von Privatpersonen, aber auch die mögliche Strafverfolgung seitens der pakistanischen Behörden verhindert es, dass sich der BF an einem anderen Ort seines Heimatlandes ansiedeln kann. Selbst wenn der BF vor seiner Ausreise nicht politisch aktiv gewesen ist und es auch keinen Haftbefehl oder kein Strafverfahren gegen ihn gegeben hat. Probleme mit den Behörden hat es nicht gegeben hat, jedoch sind seine Befürchtungen um seine Sicherheit im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan aufgrund seiner Homosexualität als wohlbegründet anzusehen.
Es ist vor diesem Hintergrund davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner ausgelebten Homosexualität bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat aktuell die Gefahr physischer und/oder psychischer Gewalt aufgrund dieser sexuellen Orientierung drohen würde.
Es liegen – wie bereits erwähnt – keine Gründe vor, nach denen der Beschwerdeführer von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen ist.
Ergänzend ist noch festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer in Österreich auch integriert hat und er die westliche Lebensweise samt der in Österreich gelebten Bräuche und Sitten übernommen und verinnerlicht hat. Der Beschwerdeführer hat bereits die deutsche Sprache erlernt und die wirtschaftliche Integration geschafft. Dem Beschwerdeführer ist daher auch eine positive Zukunftsprognose auszustellen.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Pakistan:
Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 26.04.2022 (Version 4, bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):
Länderspezifische Anmerkungen
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. In der vorliegenden Länderinformation erfolgt lediglich ein Überblick und keine erschöpfende Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-PANDEMIE, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten oder noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen sind. Besonders betroffen von kurzfristigen Änderungen sind Lockdown-Maßnahmen, welche die Bewegungsfreiheit einschränken und damit Auswirkungen auf die Möglichkeiten zur Ein- bzw. Ausreise aus / in bestimmten Ländern und auch Einfluss auf die Reisemöglichkeiten innerhalb eines Landes haben kann.
Insbesondere können zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöse Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf die Versorgungslage sowie generell zu den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.
Die hier gesammelten Informationen sollen daher die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung (3.2021) wiedergeben. Es sei zu beachten, dass sich bestimmte Sachverhalte (zum Beispiel Flugverbindungen bzw. die Öffnung und Schließung von Flughäfen oder etwaige Lockdown-Maßnahmen) kurzfristig ändern können.
Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Zusätzliche Informationen zu den einzelnen Themengebieten sind den jeweiligen Kapiteln zu entnehmen.
Covid-19
Letzte Änderung: 22.03.2022
COVID-19 wurde in Pakistan erstmals im Feber 2020 festgestellt. Mit 23.3.2020 wurden Eindämmungsmaßnahmen beschlossen, die selektive Quarantänen, Grenzschließungen, Reisebeschränkungen, Verbot öffentlicher Veranstaltungen, soziale Distanzierungsmaßnahmen und die Schließung von Bildungseinrichtungen beinhalteten. Nach einem Höhepunkt Mitte Juni 2020 sanken die Zahlen wieder. Nachdem in der ersten Welle strenge Lockdown-Maßnahmen eingesetzt und diese ab April 2020 schrittweise gelockert wurden, wurden in der zweiten Welle Ende des Jahres 2020 zeitlich begrenzte, "smarte" Lockdown-Maßnahmen eingesetzt (IMF 2.7.2021). Dabei wurden lokale Lockdowns in Gegenden eingesetzt, wo Ausbrüche festgestellt worden waren (BS 25.2.2022). Auch in der dritten Welle im März und April 2021 wurde so verfahren. Im Mai 2021 wurden die Maßnahmen aufgrund der Eid-Feiern verstärkt, Ende dieses Monats wurden die Restriktionen zu einem großen Teil wieder gelockert (IMF 2.7.2021). Mit 16.3.2022 wurden alle Maßnahmen aufgehoben (WSTO 16.3.2022).
Insgesamt wurden in Pakistan mit Stand 21.3.2022 1.522.191 Fälle COVID-19-Infektionen und 30.331 damit verbundene Todesfälle festgestellt (JHU 21.3.2022).
Im Allgemeinen kam Pakistan besser durch die COVID-19-Pandemie als seine Nachbarländer. Im März 2021 hatte die Regierung allerdings noch kein Budget für den Kauf von Impfstoffen veranschlagt und sich anscheinend in erster Linie auf die Spenden von Impfstoffen durch China und andere Länder verlassen (BS 25.2.2022).
Die Impfkampagne wird von der COVAX, der Weltbank und der Asian Development Bank unterstützt (IMF 2.7.2021). Mit Stand 21.3.2022 sind laut offiziellen Angaben des zuständigen National Command and Operation Center (NCOC) 101.881.176 Menschen vollständig immunisiert worden und 4.869.245 Menschen haben zusätzlich eine Booster-Impfung erhalten. Insgesamt wurden 219.368.557 Dosen verimpft (NCOC 21.3.2022).
Am 24.3.2020 wurde von der Bundesregierung ein Hilfspaket im Wert von 1,2 Billionen PKR (ca. 6,2 Milliarden Euro) angekündigt, das inzwischen fast vollständig umgesetzt wurde. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören u.a. die Abschaffung der Importzölle auf medizinische Notfallausrüstung; Bargeldtransfers an 6,2 Millionen Tagelöhner (75 Mrd. PKR); Bargeldtransfers an mehr als 12 Millionen einkommensschwache Familien (150 Mrd. PKR); Unterstützung für KMUs und den Agrarsektor (100 Mrd. PKR) in Form eines Aufschubs der Stromrechnung, Bankkrediten sowie Subventionen und Steueranreizen. Das Konjunkturpaket sah außerdem Mittel für eine beschleunigte Beschaffung von Weizen (280 Mrd. PKR), finanzielle Unterstützung für Versorgungsunternehmen (50 Mrd. PKR), eine Senkung der regulierten Kraftstoffpreise (mit einem geschätzten Nutzen für die Endverbraucher in Höhe von 70 Mrd. PKR), Unterstützung für die Gesundheits- und Lebensmittelversorgung (15 Mrd. PKR), Unterstützungsleistungen bei der Bezahlung von Stromrechnungen (110 Mrd. PKR), einen Notfallfonds (100 Mrd. PKR) und eine Überweisung an die National Disaster Management Authority (NDMA) für den Kauf von COVID-19-bezogener Ausrüstung (25 Mrd. PKR) vor. Der nicht ausgeführte Teil des Hilfspakets wurde auf das Jahr 2021 übertragen. Darüber hinaus enthält das Budget für das Jahr 2021 weitere Erhöhungen der Gesundheits- und Sozialausgaben, Zollsenkungen auf Lebensmittel, eine Zuweisung für das "COVID-19 Responsive and Other Natural Calamities Control Program" (70 Mrd. PKR), ein Wohnungsbaupaket zur Subventionierung von Hypotheken (30 Mrd. PKR) sowie die Bereitstellung von Steueranreizen für den Bausektor (Einzelhandels- und Zementunternehmen), die im Rahmen der zweiten Welle bis Ende Dezember 2021 verlängert wurden. Maßnahmen der pakistansichen Staatsbank inkludierten u.a. Refinanzierungen zur Unterstützung von Krankenhäusern, stimulierende Investitionen und Lockerung der Zinsen und Vorgaben für Privatkredite (IMF 2.7.2021) [Zu Wirtschaftsdaten, sozialen Folgen und Maßnahmen siehe Kapitel Versorgungslage].
Politische Lage
Letzte Änderung: 26.04.2022
Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 20.4.2022). Die Stammesgebiete im Nordwesten des Landes, die ehemaligen Federally Administered Tribal Areas bzw. Stammesgebiete unter Bundesverwaltung und Provincially Administered Tribal Areas bzw. Stammesgebiete unter Provinzverwaltung, wurden nach einer Verfassungsänderung 2018 in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert und damit die nationalen und verfassungsmäßigen Rechte auf dieses Gebiet ausgedehnt (ICG 14.2.2022). Pakistan kontrolliert außerdem die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu und Kaschmir auf der pakistanisch verwalteten Seite des Kaschmir (AA 20.4.2022).
Pakistan ist eine föderale parlamentarische Republik (USDOS 12.4.2022). Es werden regelmäßig Wahlen im Wettbewerb eines Mehrparteiensystems abgehalten (FH 3.3.2021). Die Nationalversammlung besteht aus 342 Abgeordneten, die für fünf Jahre gewählt werden. Zehn der Sitze sind für Nicht-Muslime reserviert, 60 für Frauen. Der Senat hat 100 Mitglieder. Der Premierminister wird für fünf Jahre durch die Nationalversammlung gewählt (EB 22.4.2022). Der Präsident hat eher symbolische Funktionen und wird ebenfalls für fünf Jahre durch ein Wahlkollegium aus den beiden Häuser des Parlaments und den Provinzversammlungen gewählt (FH 4.2022; vergleiche EB 22.4.2022).
Trotz der Existenz formaler demokratischer Institutionen übt das mächtige militärische Establishment de facto einen starken Einfluss aus. Dies hemmt die Entwicklung der demokratischen Institutionen. Eine lange Reihe an politischen Domänen wird dem Militär überlassen - von der Außenpolitik bis zum Management von Infrastrukturprojekten. Dem Militär wird auch immer wieder vorgeworfen, sich in den Wahlprozess einzumischen (BS 25.2.2022; vergleiche FH 3.3.2021). Auch Gruppen, die ökonomische Eliten vertreten, haben oft enge Verbindungen zum Staat. Ebenso profitieren religiöse Gruppen vom Zurückgreifen des Staates auf den Islam als ideologische Legitimation. Zwar gab es Fortschritte in einigen Bereichen, doch vieles in der Politik des Landes ist weiterhin an klientelistischen Diensten orientiert und durch traditionelle Eliten aus den vermögenden Klassen dominiert (BS 25.2.2022).
Die Verstrickung des zu diesem Zeitpunkt amtierenden Premierministers Nawaz Sharif der Pakistan Muslim League-Nawaz (PML-N) und seiner Familie in ein System an Steuerhinterziehung und Geldwäsche wurde durch internationale Ermittlungen von Journalisten, den "Panama Papers", aufgedeckt. Dies führte zur Amtsenthebung durch den Supreme Court und zu einer Verurteilung (ICIJ 3.4.2021). Bei den folgenden Parlamentswahlen 2018 gewann die Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) die meisten Sitze in der Nationalversammlung, und der Parteivorsitzende, Imran Khan, wurde Premierminister. Während Beobachter der EU einerseits einen gut durchgeführten und transparenten Wahlprozess, doch eine manchmal problematische Auszählung feststellten, äußerten zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien andererseits Bedenken hinsichtlich Einflussnahmen sowie Einschränkungen der Redefreiheit im Vorfeld der Wahlen, was demnach zu ungleichen Wahlbedingungen geführt hat (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 4.2022). So dokumentierten Beobachter konzertierte Anstrengungen von Teilen des militärischen und richterlichen Establishments, die PML-N zu behindern. Dies inkludierte Strafverfahren u.a. in Bezug auf Korruption und Terrorismus gegen Mitglieder der PML-N und die Ablehnung von Entlassungen gegen Kaution bis nach den Wahlen. Außerdem berichteten Beobachter von Druck und Einflussnahme auf die Medien durch den Sicherheitsapparat, der zu einer gedämpften Berichterstattung über den Wahlkampf der PML-N führte (FH 4.2022). Zudem wurde die Wahl von einer Reihe gewalttätiger Zwischenfälle in verschiedenen Provinzen überschattet (EASO 10.2021).
Mit dem Wahlkampfthema der Korruptionsbekämpfung gelang Imran Kahn mit der PTI der Wahlsieg. Doch anstatt rechtliche Grundlagen für eine Rechenschaftspflicht der Regierenden zu stellen, konzentrierte sich die Korruptionsbekämpfung rein auf die vorangegangenen Regierungsparteien Pakistan People’s Party (PPP) und PML-N bzw. die sie dominierenden Familiendynastien (Diplomat 9.10.2021; vergleiche ICIJ 3.10.2021). Die Korruptionsermittlungen gegen führende Mitglieder und Parlamentarier der großen Oppositionsparteien und der Unwillen, mit ihnen zu kooperieren, und sie in die Gesetzgebung miteinzubeziehen, führten zu einer Hemmung der Arbeit des Parlaments (Dawn 17.3.2022). Die dadurch entstandene starke politische Polarisierung wirkte als Hindernis für die Umsetzung von politischen Programmen. Sie war einer der Gründe, warum die PTI-Regierung hauptsächlich auf den Erlass von Präsidialdekreten zurückgriff, um ihre Politik umzusetzen. Außerdem haben die föderale und die Provinzregierungen in unterschiedlichen Politikdomänen Kompetenzen; und die Provinzregierung des Sindh wird von der Oppositionspartei PPP gestellt. Die starke politische Polarisierung erhöhte den Einfluss des militärischen Establishments weiter, das bereits durch die zentrale Rolle, die es in der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie einnahm, seinen Einfluss vergrößern konnte (BS 25.2.2022).
Gleichzeitig war die PTI-Regierung in der Umsetzung ihrer Politik durch dieselben Hindernisse gehemmt wie frühere Regierungen. Der Großteil der Abgeordneten der PTI setzt sich aus den traditionellen politischen und ökonomischen Eliten zusammen, die als Hemmschuh für jede Politik agieren, die ihre Interessen gefährden könnte. Querelen innerhalb der Partei führten zu einigen Wechseln im Kabinett und zu einem Mangel an Umsetzung auch an finalisierten Programmen (BS 25.2.2022). Im Oktober 2021 wurden zudem Verstrickungen von Mitgliedern bzw. Geldgebern des PTI-Kabinetts sowie hoher Militärs in illegale Geldgeschäfte durch die internationalen Ermittlungen der "Pandora Papers" aufgedeckt (Diplomat 9.10.2021; vergleiche ICIJ 3.10.2021).
Bereits im Oktober 2020 hatte sich eine Allianz aus elf Oppositionsparteien unter dem Namen Pakistan Democratic Movement formiert (BS 25.2.2022; vergleiche FH 4.2022). Im März 2022 kam es zu gewalttätigen Protesten von Anhängern und Abgeordneten der Regierungspartei PTI gegen abtrünnige Abgeordnete derselben Partei, die in Interviews angedeutet hatten, einen geplanten Misstrauensantrag der vereinten Opposition gegen Premierminister Khan unterstützen zu wollen. Die Protestierenden versuchten, das "Sindh House", die Vertretung des Sindh in Islamabad, wo sich die Abgeordneten aufhielten, zu stürmen (Geo News 18.3.2022). Zuvor hatten zwei Minister Gewalt andeutende Drohungen gegen Abgeordnete ausgesprochen (HRW 16.3.2022).
Das für 3. April 2022 angesetzte Misstrauensvotum wurde durch den stellvertretenden Parlamentssprecher mit Verweis auf Artikel 5 der Verfassung, wonach alle Bürger dem Staat gegenüber zur Loyalität verpflichtet sind, untersagt. Im Vorfeld hatte der Premierminister die Behauptung aufgestellt, das Misstrauensvotum sei von den USA zu seinem Sturz initiiert und damit die Einflussnahme eines fremden Staates (TNT 3.4.2022a). Mit diesem Argument bat er auch den Präsidenten um Auflösung der Nationalversammlung. Dieser kam der Forderung nach und kündigte gleichzeitig Neuwahlen an (TNT 3.4.2022b; vergleiche Zeit-Online 3.4.2022). Der von der Opposition angerufene Supreme Court erklärte vier Tage später dieses Vorgehen allerdings für verfassungswidrig und ordnete die Wiedereinsetzung der Nationalversammlung sowie der Abstimmung an (TNT 7.4.2022).
Premierminister Imran Kahn wurde im Misstrauensvotum abgesetzt, Oppositionsführer Shabaz Sharif, Vorsitzender der PML-N, schließlich von der Nationalversammlung zum neuen Premierminister gewählt (Zeit-Online 11.4.2022). Aus Protest zog der abgesetzte Premierminister Khan sich sowie seine Partei aus der Nationalversammlung zurück. 123 der PTI-Abgeordneten folgten seinem Aufruf zum Rücktritt aus der Nationalversammlung, den 31 verbliebenen sprach er das Recht ab, als Opposition in der Nationalversammlung unter dem Namen der PTI aufzutreten (TNT 14.4.2022). Nach der Absetzung initiierte die PTI eine andauernde, landesweite Kampagne von Protesten und Demonstrationen (Dawn 20.4.2022). Die Situation ist angespannt. Der ehemalige Premierminister mobilisiert seine Anhänger gegen die neue Regierung und drängt auf vorgezogene Wahlen. Er wirft der neuen Regierung vor, vom Ausland eingesetzt worden zu sein (VB 21.4.2022).
Im Jahr 2021 war Pakistan außerdem durch religiös motivierte, gewalttätige politische Proteste der fundamentalistischen Partei Tehreek-e-Labbaik Pakistan (TLP) und ihrer Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften gezeichnet, bei denen mindestens 24 Menschen - darunter 10 Polizisten - getötet wurden (PIPS 4.1.2022). Hintergrund waren vorangegangene Proteste Tausender TLP-Unterstützer im Zuge der Aussagen des französischen Präsidenten in Reaktion auf die Enthauptung eines Lehrers in Frankreich aus dem Jahr 2020. Nach der Verhaftung des Anführers der TLP im April 2021 brachen schließlich nochmals mehrtägige, landesweite Proteste aus. Dabei kam es u.a. am 18. April 2021 zu Ausschreitungen in Lahore, Punjab, bei denen TLP-Anhänger auch ein Polizeirevier stürmten und ein halbes Dutzend Sicherheitskräfte als Geiseln nahmen (BAMF 19.4.2021; vergleiche OF 15.9.2021). Die Regierung verbot die TLP und verhaftete Hunderte Anhänger, doch die Proteste und gewalttätigen Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften setzten sich fort. Sie wurden nach mehreren Verhandlungen und der Einstellung von Anzeigen beendet (OF 15.9.2021). Die Regierung gab dem Druck der Gruppe nach, ließ den Anführer frei und hob das Verbot auf. Dies verdeutlicht auch die Gefahr, die von extremistischen Gruppen für den Staat ausgeht (PIPS 4.1.2022). Die TLP, eine Bewegung der sunnitischen Barlevi, hat sich in der Vergangenheit u.a. über die Verfolgung von Blasphemiefällen zu einer Massenbewegung entwickelt (OF 15.9.2021).
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 23.03.2022
Allgemeine Entwicklung
Es zeigte sich in Pakistan mit Ausnahme des Jahres 2013 ein kontinuierlicher Rückgang der Anschläge von Jahr zu Jahr von 2009 bis ins Jahr 2020. Für das Jahr 2020 konnte nochmals ein deutlicher Rückgang der Terroranschläge im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet werden. Die kontinuierlichen Einsatz- und Überwachungskampagnen der Sicherheitskräfte und polizeilichen Anti-Terrorabteilungen, darunter die groß angelegten Militäroperationen Zarb-e-Azb, Khyber I-IV und Raddul Fasaad, sowie einige Anti-Extremismusmaßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans (NAP) haben dazu beigetragen (PIPS 15.6.2021).
Die Operation Zarb-e-Azb 2014 war in erster Linie auf die Provinz Khyber Pakhtunkhwa und die damaligen FATA ausgerichtet, um Terrorgruppen in Nord-Waziristan zu bekämpfen. Aus den meisten Gebieten konnten die Militanten vertrieben werden, mit Ausnahme einiger weniger Rückzugsorte und Schläferzellen. Unter den Militäroperationen litt allerdings auch die Zivilbevölkerung vor Ort, eine hohe Anzahl an Personen wurde zu intern Vertriebenen. Die darauf folgende Operation Raddul Fasaad 2017 involviert auch zivile Einsatzkräfte, wie die Polizei, und konzentrierte sich auf geheimdienstliche Operationen im gesamten Land, um Schläferzellen und Verstecke Militanter zu finden. Sie zielte darauf ab, die Errungenschaften der Operation Zarb-e-Azb zu konsolidieren (EASO 10.2021).
Der NAP wurde nach dem Anschlag auf die Army Public School im Dezember 2014 mit dem Ziel eingeführt, einen sinnvollen Konsens zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus zu erreichen. Die 20 Aktionspunkte des NAP erzielten seither unterschiedliche Erfolge. Taktische Operationen in ganz Pakistan haben zu einem verbesserten allgemeinen Sicherheitsumfeld beigetragen. Durch die Militäroperationen wurde die Fähigkeit der Militanten zur Ausführung größerer Angriffe reduziert. Auch wurden signifikante Maßnahmen zur Bekämpfung der Terrorfinanzierung unternommen, wie Verbote von Organisationen, Sanktionen von Einzelpersonen und Einfrieren von Bankkonten (FES 12.2020).
Bei der Bekämpfung des Extremismus hat der NAP allerdings den Anzeichen nach nur geringe Erfolge erzielt. Extremistische Literatur ist online und offline in Fülle vorhanden, sektiererische Extremisten hielten in mehreren Städten Kundgebungen ab, und die Verherrlichung von Terroristen und ihrer Taten hält an. Auch zur Unterstützung des politischen Versöhnungsprozesses in Belutschistan, wie im NAP festgehalten, wurde nichts Wesentliches unternommen (FES 12.2020). Es gibt wenig Fortschritte bei der Regulierung von Madrassen oder des Internets, um dem Extremismus entgegenzutreten. Bei der Umsetzung des NAP wurde auf die nicht den Sicherheitsapparat betreffenden Maßnahmen nur sehr wenig Aufmerksamkeit gelegt (PIPS 15.6.2021b). Die Einsätze gegen die Terroristen haben diese zwar geschwächt. Doch die Dynamiken des religiösen Extremismus bleiben bestehen und bieten einen Nährboden für die Netzwerke der terroristischen Gruppen, die in den Militäroperationen nicht vollständig eliminiert werden konnten (PIPS 4.1.2022). Ab Mitte 2020 kam es zu einem Wiederaufleben jihadistischer militanter Gruppen und sektiererischer Extremisten in Gebieten wie Nord-Waziristan und Bajaur in Khyber Pakhtunkhwa (FES 12.2020). So begannen einige Gruppen eine Neuformierung in Teilen des Landes (PIPS 15.6.2021b). Der Regimewechsel in Afghanistan hat diese Gruppen weiter ermutigt. Dies zeigt sich in Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan und sporadisch auch in Karatschi und Punjab (PIPS 4.1.2022).
Trendumkehr in den Anschlagszahlen 2021 und Reaktion der Sicherheitskräfte
Das Jahr 2021 war von einem 42-prozentigen Anstieg der Anschläge im Vergleich zum Jahr 2020 auf 207 Terrorakte gezeichnet. Diese forderten zusammen 335 Menschenleben, ein Anstieg von 52 Prozent, wobei 32 der Todesopfer Terroristen waren. Verletzt wurden 555 Menschen (PIPS 4.1.2022).
Hauptsächlich resultiert der Anstieg zum einen aus einer Steigerung der Anschläge der pakistanischen Taliban (Tehrik-e Taliban Pakistan / TTP) in Khyber Pakhtunkhwa und der belutschischen Terrorgruppen in Belutschistan sowie zum anderen aus der Entwicklung des sogenannten Islamischen Staates Khorasan Province (ISKP) hin zu einem Hauptakteur terroristischer Gewalt in Pakistan. Die Auseinandersetzung zwischen dem ISKP und den Taliban hat damit auch pakistanischen Boden erreicht, wo der ISKP einige Anschläge in Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan gegen angebliche afghanische Taliban oder mit diesen verbundenen Klerikern durchgeführt hat (PIPS 4.1.2022).
Von der Gesamtzahl der Terroranschläge wurden so auch 128 - im Vergleich zu 95 des Vorjahres - von islamistisch motivierten Terrorgruppen, also den TTP, dem ISKP oder lokalen Taliban-Gruppen, verübt. Verschiedene belutschische und Sindhi-nationalistische Gruppierungen verübten 44 Anschläge mit 97 Toten (PIPS 4.1.2022).
Begründet liegt der Anstieg der Terroranschläge nach Ansicht von PIPS auch in den Entwicklungen in Afghanistan. Trotz gegenteiliger Versprechungen ziehen die afghanischen Taliban nicht ernsthaft in Erwägung, gegen die pakistanischen Taliban auf afghanischem Gebiet vorzugehen. Sie haben Gespräche zwischen der pakistanischen Regierung und den TTP vermittelt, doch diese haben mit Stand Anfang des Jahres 2022 keine dauerhaften Ergebnisse erzielt (PIPS 4.1.2022).
Auf den Anstieg der terroristischen Gewalt reagierten die Streitkräfte mit geheimdienstlichen Operationen, der Fortführung der Operation Raddul Fasaad und der Stationierung regulärer Armeetruppen in den Grenzregionen anstatt des paramilitärischen Frontier Corps (EASO 10.2021). Die Sicherheitskräfte führten 2021 63 operative Schläge gegen Terrorgruppen durch, bei denen 197 Personen getötet wurden. In sechs Fällen gab es direkte bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Militanten, bei denen 15 Personen getötet wurden, 156 Verdächtige wurden bei Suchoperationen festgenommen (PIPS 4.1.2022).
Die NGO Center for Research and Security Studies (CRSS) zählt für das Jahr 2021 403 Terrorakte mit 555 Toten, davon 330 Zivilisten, sowie 146 Sicherheitsoperationen, bei denen 298 mutmaßliche Terroristen getötet wurden (CRSS 3.1.2022).
Regionale Konzentration der Anschlagszahlen
Regional aufgeschlüsselt fanden 2021 die meisten Anschläge, konkret 111, in Khyber Pakhtunkhwa statt. Hier konzentrierte sich wiederum, wie seit Jahren, die terroristische Gewalt in den beiden Agencies Nord- und Süd-Waziristan. Belutschistan war mit 81 Anschlägen am zweitstärksten betroffen. Acht Anschläge wurden im Sindh verübt, fünf im Punjab. Zwei terroristische Anschläge wurden in Islamabad verzeichnet, dabei töteten die TTP insgesamt drei Polizisten (PIPS 4.1.2022). CRSS zählte beinahe 75 Prozent aller Todesopfer der von ihm erfassten sicherheitsrelevanten Gewalt in Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan [Anm.: dies ist nicht auf die Terroranschläge aufgeschlüsselt] (CRSS 3.1.2022).
Im Jahr 2020 betrafen 83 Prozent aller Anschläge die beiden Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa zusammengenommen (PIPS 15.6.2021).
Seit vielen Jahren ist sichtbar, dass die terroristische Gewalt hauptsächlich auf Belutschistan und KP konzentriert bleibt. Auch der Anstieg der terroristischen Gewalt 2021 geht auf einen Anstieg in diesen beiden Provinzen zurück. 93 Prozent der gesamten Anschläge dieses Jahres in Pakistan trafen zusammengenommen diese beiden Provinzen. Punjab und Sindh verzeichneten hingegen auch 2021 einen Rückgang der Anschlagszahlen. Während aber der Sindh auch einen Rückgang der Todesopfer vermelden konnte, stieg die Zahl der Todesopfer im Punjab an (PIPS 4.1.2022).
Hauptsächliche Zielsetzungen und Mittel der Anschläge
66 Prozent der Anschläge zielten 2021 gegen die Sicherheitskräfte. Dementsprechend waren 177 der 335 Todesopfer Mitglieder der Sicherheits- oder Strafverfolgungsbehörden. 16 Anschläge richteten sich direkt gegen zivile Ziele, neun Anschläge gegen regierungsfreundliche Stammesführer oder Mitglieder von Friedenskomitees, sieben gegen politische Führer bzw. politisch Tätige und sieben gegen Einrichtungen oder Personal der Regierung. Zwei konfessionell motivierte Anschläge wurden durchgeführt - im Vergleich zu sieben 2020, sie forderten zwei Menschenleben (PIPS 4.1.2022).
PIPS berichtet, dass sich auch im Jahr 2020 der Großteil der Anschläge gegen Sicherheitskräfte gerichtet hatte, gefolgt von allgemeinen zivilen Zielen, regierungsfreundlichen Stammesältesten, politischen Führern sowie Mitarbeitern und Schiiten (PIPS 15.6.2021).
80 der Anschläge verübten Terroristen 2021 mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs), 102 mit Schusswaffen (PIPS 4.1.2022). Diese Wahl der Mittel entspricht jener im Jahr 2020 vergleiche PIPS 15.6.2021).
Entwicklung 2022
Im Jänner 2022 zählte PIPS 24 Terroranschläge mit 35 Toten, davon 24 Sicherheitskräfte und acht Zivilisten. Sechs operative Schläge wurden durch die Sicherheitskräfte durchgeführt. Jeweils ein Terroranschlag wurde in den Städten Lahore, Rawalpindi (beide Punjab) und Islamabad verübt. In Lahore und Islamabad wurden dabei jeweils drei Personen getötet, in Rawalpindi eine. Im Sindh wurde ein Terroranschlag verübt, konkret in der Provinzhauptstadt Karachi, es gab keine Todesopfer. In KP wurden 15 Anschläge in sieben Distrikten durchgeführt, alle durch die TTP oder ähnliche Gruppierungen. Fünf der Anschläge betrafen Nord-Waziristan. Zwei Drittel aller Anschläge richtete sich gegen Sicherheitskräfte. In Belutschistan wurden 15 Tote bei 5 Anschlägen dokumentiert. Alle wurden durch belutschische nationalistische Gruppen durchgeführt, drei der Anschläge richteten sich gegen Sicherheitskräfte (PIPS 10.2.2022).
Im Feber 2022 starben laut den Aufzeichnungen von PIPS 38 Menschen bei 13 Anschlägen, die allesamt in Belutschistan und KP durchgeführt wurden. Drei der Toten waren Zivilisten, 12 Sicherheitskräfte und 23 Terroristen. In Belutschistan starben 31 Menschen bei acht Anschlägen. 17 der Toten waren Terroristen, die großteils durch Abwehrfeuer starben, drei Zivilisten und zwei Sicherheitskräfte. In KP starben sieben Personen, davon 6 Terroristen, in fünf Anschlägen. Die Anschläge gingen damit in KP um 67 Prozent zum Vormonat zurück (PIPS 4.3.2022).
Weitere Aspekte sicherheitsrelevanter Gewalt
Es zeigt sich, dass der religiöse Extremismus, auch abseits der Terrorgruppen, eine große Herausforderung darstellt. Zum einen ist dies in den Gewalttaten von aufgestachelten Menschenmengen, sogenannten Mobs, erkennbar - 2021 wurden sieben religiös motivierte Vorfälle von Mob-Gewalt verzeichnet, bei denen zwei Menschen getötet wurden [siehe Kap. Religionsfreiheit]. Zum anderen manifestiert sich dies in den gewalttätigen Protesten der politisch-religiösen Bewegung Tehreek-i-Labbaik Pakistan (TLP), bei denen hauptsächlich in den Städten des Punjab 24 Menschen ums Leben kamen, 10 davon Polizisten (PIPS 4.1.2022).
Insgesamt zeichnete PIPS für das Jahr 2021 326 gewalttätige, sicherheitsrelevante Vorfälle auf, neben den Terroranschlägen, Sicherheitsoperationen, Mob-Gewalt und Zusammenstößen zwischen Polizei und TLP-Demonstranten, waren darunter fünf Vorfälle ethnopolitischer Gewalt, eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Stämmen und eine zwischen militanten Gruppen sowie 23 Auseinandersetzungen an den Grenzen zu Afghanistan, Indien und Iran. Insgesamt wurden bei all diesen von PIPS erfassten Vorfällen 609 Personen getötet (PIPS 4.1.2022).
Im Feber 2021 verständigten sich Indien und Pakistan darauf, das Waffenstillstandsübereinkommen von 2003 an der zwischen dem indischen und dem pakistanischen verwalteten Teil Kaschmirs liegenden Grenze, der Line of Control, verstärkt einzuhalten. Die Zahl der Übergriffe an dieser Grenze ging 2021 stark zurück (PIPS 4.1.2022).
Im Nordwesten Pakistan wurde 2017 mit dem Bau eines Grenzzaunes entlang der 2.611 km langen "Durand-Linie" genannten Grenze zu Afghanistan begonnen. Dies soll den Bewegungen von Militanten und Schmugglern sowie illegalen Grenzübertritten Einhalt gebieten. Anfang Juli 2021 war laut pakistanischen Angaben der Bau des Zauns auf über 90 Prozent der Strecke abgeschlossen (AP 13.7.2021). Der Bau des Grenzzauns wird allerdings vom nunmehrigen Taliban-Regime in Afghanistan zurückgewiesen, insbesondere aufgrund des Verlaufs an der Durand-Linie, auf deren definitive Grenzsetzung Pakistan aus Sicht der Taliban keinen rechtlichen Anspruch hat (PIPS 4.1.2022; vergleiche Dawn 14.1.2022). Im Jänner 2022 sicherte Pakistan zu, die verbliebenen 21 Kilometer Grenzzaun in diplomatischer Übereinkunft mit Afghanistan errichten zu wollen (Dawn 14.1.2022).
Punjab und Islamabad
Letzte Änderung: 23.03.2022
Punjab
Die Provinz Punjab ist in 36 Distrikte unterteilt und beherbergt laut dem letzten Zensus von 2017 eine Einwohnerzahl von beinahe 110 Millionen. Punjab ist damit die am stärksten besiedelte Provinz, flächenmäßig ist sie die zweitgrößte (EASO 10.2021; vergleiche PBS o.D.).
Seit vielen Jahren ist sichtbar, dass die terroristische Gewalt hauptsächlich auf Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa konzentriert bleibt, doch auch Sindh und Punjab sporadisch trifft. Auch wenn der Punjab im Jahr 2021 wiederum einen Rückgang der Anschlagszahlen verzeichnete, stieg die Zahl der Todesopfer an (PIPS 4.1.2022).
So fanden im Jahr 2020 im Punjab sieben Terroranschläge statt, die fünf Todesopfer und 59 Verletzte forderten. Mit Ausnahme eines Anschlags, der von einer belutschischen Gruppe, der BLA, im Süden des Punjab verübt wurde, betrafen alle Anschläge im Punjab Rawalpindi und wurden von den pakistanischen Taliban, einschließlich ihrer wieder mit ihr vereinten Abspaltungen Jamaat-ul Ahrar und Hizb-ul Ahrar verübt. Während fünf dieser Anschläge im Punjab offenbar Zivilisten zum Ziel hatten, richtete sich ein Anschlag gegen die Polizei und ein weiterer gegen eine Gaspipeline. Ein Anschlag war konfessionell motiviert und forderte zwei Menschenleben. Im Punjab wurden 2020 zwei operative Gegenschläge der Sicherheitskräfte durchgeführt und es kam zweimal zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Militanten (PIPS 15.6.2021).
Im Jahr 2021 war der Punjab von 5 Terroranschlägen betroffen, die insgesamt 14 Menschenleben forderten. Davon wurden zwei Anschläge wieder durch die TTP in Rawalpindi, bei dem zwei Personen ums Leben kamen, durchgeführt. Ein Anschlag war konfessionell motiviert und richtete sich gegen Schiiten während einer Ashura Prozession. Er forderte 2 Menschenleben. Ein Anschlag mit sechs Toten dürfte der Amoklauf eines religiösen Einzeltäters gewesen sein, bei einem weiteren Anschlag ist die Motivation unbekannt. 2021 wurde ein operativer Einsatz der Sicherheitskräfte durchgeführt (PIPS 4.1.2022).
Außerdem kam es 2020 im Punjab zu zwei Vorfällen von gesellschaftlicher religiöser Gewalt, in Form von Übergriffen gewalttätiger Menschenmengen (PIPS 15.6.2021). 2021 wurden fünf solcher Vorfälle von Mob-Gewalt aus religiösen Motiven im Punjab gezählt. Diese kosteten zwei Menschenleben [vgl. Kap. Religionsfreiheit] (PIPS 4.1.2022).
Die politisch-religiöse Bewegung Tehreek-i-Labbaik Pakistan (TLP) zeigt in Protesten auch immer wieder ihre gewalttätige Seite. Diese fanden hauptsächlich in den Städten des Punjab statt. 24 Menschen kamen dabei ums Leben, 10 davon Polizisten. Dass die Regierung dem Druck dieser Gruppe auf der Straße nachgab und ihren Anführer aus der Haft freiließ und das zuvor verhängte Verbot der Gruppe aufhob, zeigt auch welche Bedrohung solche extremistischen Bewegungen für das Land darstellen (PIPS 4.1.2022).
Das CRSS registrierte für das Jahr 2021 für den Punjab 66 Tote in sicherheitsrelevanten Vorfällen, wobei hierbei nicht nach Terroranschlägen, Sicherheitsoperationen oder Mob-Gewalt unterschieden wurde (CRSS 3.1.2022).
Im Jänner 2022 fand jeweils ein Terroranschlag in den Städten Lahore und Rawalpindi im Punjab statt. In Lahore wurden drei Personen getötet, in Rawalpindi eine (PIPS 10.2.2022).
Islamabad
Die pakistanische Hauptstadt ist ethnisch divers und hat auch einen vergleichsweise hohen Anteil an religiösen Minderheiten, indem geschätzt 10 Prozent der Bevölkerung der Stadt nicht Muslime sind. Laut dem letzten Zensus 2017 weist das Hauptstadtterritorium eine Einwohnerzahl von knapp über 2 Millionen auf (EASO 10.2021).
Im Jahr 2020 fand kein Anschlag im Islamabad statt (PIPS 15.6.2021). Im Jahr 2021 war Islamabad von zwei Terroranschlägen betroffen, beide durchgeführt von der TTP, drei Menschenleben fielen diesen zum Opfer (PIPS 4.1.2022). Im Jänner 2022 fand ein Terroranschlag in Islamabad statt, drei Personen wurden getötet (PIPS 10.2.2022).
Rechtsschutz, Justizwesen
Letzte Änderung: 23.03.2022
Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Artikel 227, der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgangs "Council of Islamic Ideology" jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 12.2020).
Der Aufbau des Justizsystems ist in der Verfassung geregelt, die folgende Organe aufzählt: Supreme Court of Pakistan - das pakistanische Höchstgericht, ein Oberstes Gericht in jeder Provinz sowie im Islamabad Capital Territory und anderweitige Gerichte, die durch das Gesetz eingerichtet werden. Die fünf Obersten Gerichte fungieren zum einen als originäres Rechtsprechungsorgan für die Durchsetzung der Grundrechte zum anderen als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von untergeordneten Gerichten und der Spezialgerichte in allen zivilen und strafrechtlichen Angelegenheiten sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court (FSC), das zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen oder diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Es fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood-Verordnungen von 1979, die eine vor allem Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir sowie in Gilgit-Baltistan gibt es derzeit noch eigene Justizsysteme (ÖB 12.2020; vergleiche USDOS 30.3.2021).
Es gilt das Recht auf öffentliche Verhandlungen, die Unschuldsvermutung und das Recht auf Berufung. Auch gegen Entscheidungen des FSC können Einzelpersonen Berufung bei der "Shariat Appellate Bench" des Supreme Court einlegen, wobei noch eine weitere Berufung durch den Supreme Court zugelassen werden kann. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Regierung stellt einen staatlich finanzierten Rechtsbeistand für Gefangene zur Verfügung, die wegen Verbrechen angeklagt werden, für deren Verurteilung die Todesstrafe droht. Für andere Fälle wird nicht regelmäßig eine rechtliche Vertretung zur Verfügung gestellt. Die Verfassung erkennt das Recht auf Habeas Corpus an und erlaubt es den hohen Gerichten, die Anwesenheit einer Person, die eines Verbrechens beschuldigt wird, vor Gericht zu verlangen. In vielen Fällen, in denen es um das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen ging, versäumten es die Behörden, die Inhaftierten gemäß den Anordnungen der Richter vorzuführen. Das Gesetz erlaubt es Bürgern, Habeas-Corpus-Ansuchen bei den Gerichten einzureichen (USDOS 30.3.2021).
Die Justiz - vor allem die oberen Gerichte - versucht ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit zu verteidigen und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter starkem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee sowie Beeinflussungen durch die pakistanische Regierung (AA 28.9.2021). So unterliegt die Justiz laut NGOs und Rechtsexperten - obwohl das Gesetz ihre Unabhängigkeit vorsieht - oft externen Einflüssen, wie zum Beispiel der Angst vor Repressalien durch extremistische Elemente in Terrorismus- oder Blasphemie-Fällen und der öffentlichen Politisierung bei hochkarätigen Fällen. Zivilgesellschaftliche Organisationen berichten, dass Richter zögern, der Blasphemie beschuldigte Personen freizusprechen, da sie Selbstjustiz befürchten. Untere Gerichte unterliegen Berichten zufolge nicht nur dem Druck höherrangiger Richter, sondern auch prominenter, wohlhabender, politischer und religiöser Persönlichkeiten (USDOS 30.3.2021). Anhänger konservativer und extremer Denkschulen des Islams sind bestrebt, mit Druck auf allen Ebenen die Rechtspflege zu beeinflussen (AA 28.9.2021). Gleichzeitig lassen sich in der Strafverfolgung von Korruptionsfällen Anzeichen erkennen, wonach sich die Justiz von der nationalen Politik instrumentalisieren lässt - etwa wenn Verfahren gegen mehrere wichtige Oppositionsführer verfolgt werden, während bei Mitgliedern der Regierungspartei ein Mangel an ähnlicher Strafverfolgung herrscht (FH 3.3.2021).
Hinzu kommen Berichte über Korruption im Justizsystem. Untere Gerichte werden als korrupt angesehen, während die oberen Gerichte und der Supreme Court bei der Bevölkerung und den Medien höhere Glaubwürdigkeit genießen. Doch auch hier wird Einflussnahme thematisiert (USDOS 30.3.2021). Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind zudem hochgradig ineffizient. Mangelhafte Ausbildung, Befähigung und Ausstattung großer Teile der Polizei, der Staatsanwaltschaft und des Justizwesens zeigen nachteilige Auswirkungen (AA 28.9.2021). Ein exzessiver Rückstau an Fällen in den unteren und oberen Gerichten führt zu einer Schwächung des Rechts auf wirksame Rechtsmittel und ein faires Verfahren. Antiquierte Prozessregeln, unbesetzte Richterstellen, unzureichende rechtliche Ausbildung und mangelhaftes Fallmanagement führen zu Verzögerungen und damit auch zu langer Untersuchungshaft. Nach offiziellen Angaben waren mit Stand November 2020 mehr als 2 Millionen Verfahren an den Gerichten offen (USDOS 30.3.2021).
Nach Einschätzung des UK Home Office hat der Staat somit zwar ein funktionierendes Strafjustizsystem aufgebaut, doch ist dessen Funktionsfähigkeit auch durch die genannten Probleme begrenzt (UKHO 9.2021). Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Pakistan bekennt sich in seiner Verfassung und auf der Ebene einfacher Gesetze grundsätzlich zur Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern. Gleichwohl fällt es Pakistan insgesamt angesichts der schwach ausgebildeten rechtsstaatlichen Strukturen und der geringen Verankerung des Rechtsstaatsgedankens in der Gesellschaft schwer, rechtsstaatlichen Entscheidungen und damit auch der Schutzpflicht Geltung zu verschaffen (AA 28.9.2021). Neben dem staatlichen Justizwesen bestehen in der Folge vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen (ÖB 12.2020; vergleiche USDOS 30.3.2021). De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst (AA 28.9.2021). Das World Justice Project reiht Pakistan 2021 auf Platz 130 von 139 teilnehmenden Staaten (WJP 14.10.2021).
Informelle Rechtsprechung und islamisch geprägte Rechtsnormen
Letzte Änderung: 23.03.2022
In ländlichen Gebieten Pakistans bestehen auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. So spielt in von Paschtunen bewohnten Teilen des Landes, vor allem in den ehemals semi-autonomen Federally Administered Tribal Areas (FATA), der für diese Volksgruppe maßgebliche Rechts- und Ehrenkodex Paschtunwali eine bedeutende Rolle. Dieser wird bei Unrechtsfällen vom Vergeltungsgedanken sowie vom zentralen Wert der Ehre bestimmt. Streitigkeiten werden dort auf Basis des Paschtunwali von Stammesräten bzw. -gerichten (Jirgas) entschieden (ÖB 12.2020; vergleiche USDOS 30.3.2021). Erklärtes Ziel der pakistanischen Bundesregierung ist es, die ehemaligen Stammesgebiete vollständig in das staatliche Rechtssystem einzugliedern. Der Aufbau funktionierender staatlicher Strukturen steht jedoch noch ganz am Anfang (AA 28.9.2021).
Jirgas sind in Pakistan allerdings auch außerhalb paschtunischer Gebiete nach wie vor weit verbreitet, neben den ehemaligen FATA und den ländlichen Gebieten von Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan auch im inneren Sindh und im südlichen Punjab. Sie wenden neben Stammes- auch Schariarecht an. Diese neben dem formellen Rechtssystem bestehenden ad-hoc-Gerichte führen unter anderem zu einem Rechtspluralismus, der Opfer von Verfolgung - insbesondere Frauen - stark benachteiligt. Dies resultiert in oft menschenverachtenden Strafen für Frauen durch Jirgas, wie z.B. angeordnete Vergewaltigungen, Zwangsheiraten etc. Besonders in Punjab und Khyber Pakhtunkhwa ist es trotz gesetzlichen Verbots verbreitet, zur Beendigung von Blutfehden eine junge Frau (oft Mädchen unter 18 Jahren) als Blutzoll an eine verfeindete Familie zu übergeben. Neben Stammesgerichten üben in Sindh und Punjab vereinzelt Grundbesitzer zum Teil richterliche Funktionen aus. Ähnliche Systeme existieren auch unter Hindus (ÖB 12.2020; vergleiche USDOS 30.3.2021).
Der Supreme Court sprach sich bisher mehrmals gegen von Jirgas verhängte Strafen wie die Hergabe von Töchtern als Kompensation für begangenes Unrecht sowie gegen andere verfassungswidrige Praktiken der Stammesräte aus, was deren Fortbestehen allerdings bisher nicht verhindern konnte (ÖB 12.2020). Im Oktober 2021 urteilte der Federal Shariat Court ebenso, dass die Übergabe von minderjährigen Mädchen zur Streitbeilegung gegen die Prinzipien des Islams verstößt und mindestens vier islamische Rechtsprinzipien bricht (Dawn 26.10.2021).
Gegen die Interessen der Frauen wirken oft aber auch die Gesetzesnormen zur Entschädigung für körperlichen Schmerz oder Sachbeschädigung, die auf den Traditionen des Qisas und Diyat beruhen. Sie erlauben Vereinbarungen zwischen Konfliktparteien, die auf Vergebung, Entschädigung oder anderen Formen der Beilegung beruhen (DFAT 20.2.2019; vergleiche ÖB 12.2020). Das Strafgesetzbuch sieht eine Anwendung dieser islamischen Rechtsprinzipien vor. Damit ermöglicht es zum Beispiel Erben bzw. Nachkommen von Getöteten dem Täter verzeihen (Qisas) und/oder ein Blutgeld als Entschädigung akzeptieren (Diyat) und in der Folge den Täter der Strafverfolgung zu entziehen. Da dieser z.B. bei Ehrenmorden in der Regel aus dem familiären Umfeld stammt, kann in der Mehrzahl der Fälle davon ausgegangen werden, dass die berechtigen Erben der gütlichen Einigung zustimmen (BAMF 5.2020). Mit dem erklärten Ziel der Reduzierung der Ehrenmorde verabschiedete das pakistanische Parlament 2016 ein Änderungsgesetz zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozessordnung. Damit ist jedoch keine grundlegende Verbesserung der Anwendung des 2004 verabschiedeten "Honour Killing Act" eingetreten [siehe Kapitel Betroffene von Blutfehden, Ehrverbrechen und anderen schädlichen traditionellen Praktiken] (AA 28.9.2021). Trotz der verschiedenen Versuche, diese traditionelle Praxis abzuschaffen, bleibt sie somit verbreitet (FH 3.3.2021).
Die 1979 unter der Militärdiktatur proklamierten Hudood-Verordnungen waren Teil einer Islamisierungspolitik Pakistans (France24 20.8.2021). Sie sehen die Anwendung von Strafen des islamischen Rechts für eine Reihe von Vergehen vor. Jedoch war die Strafverfolgung für Ehebruch - "Zina" - überproportional hoch (ILS 17.6.2021). 2006 wurden mit dem Frauenschutzgesetz Ehebruch und Vergewaltigung aus den Hudood-Verordnungen entfernt. Die Hudood-Verordnungen werden weiterhin parallel zum auf britischem Recht basierenden Strafgesetz angewandt, kommen tatsächlich allerdings selten zum Einsatz (France24). Ehebruch wurde als "Unzucht" in das Strafgesetzbuch aufgenommen und wird mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe und Geldstrafe geahndet (AA 29.9.2020). Seit der Reform sind die diesbezüglichen Anzeigen zurückgegangen [siehe Kapitel Frauen] (ILS 17.6.2021).
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 23.03.2022
Die polizeilichen Zuständigkeiten sind zwischen nationalen und regionalen Behörden aufgeteilt. Die Bundespolizei (Federal Investigation Agency / FIA) ist dem Innenministerium unterstellt. Ihre Zuständigkeit liegt im Bereich der Einwanderung, der Organisierten Kriminalität sowie der Terrorismusbekämpfung. Bei letzterer sind auch die pakistanischen Nachrichtendienste ISI (Inter-Services Intelligence) und IB (Intelligence Bureau) aktiv. Die einzelnen Provinzen verfügen über ihre eigenen Strafverfolgungsbehörden. Gegenüber diesen Provinzbehörden ist die FIA nicht weisungsbefugt (AA 28.9.2021). Die lokalen Polizeieinheiten fallen in die Zuständigkeit der Provinzregierungen (USDOS 30.3.2021).
Daneben gibt es paramilitärische Organisationen, die dem Innenministerium unterstehen und für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit zuständig sind. Dazu zählen das Frontier Corps, das in Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (inklusive den ehemaligen Federally Administered Tribal Areas / FATA) operiert und die Rangers im Punjab und Sindh. Die Hauptaufgabe des Frontier Corps ist die Sicherheit an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Seine Berichtspflicht besteht in Friedenszeiten gegenüber dem Innenministerium, in Kriegszeiten gegenüber der Armee (USDOS 30.3.2021).
In den ehemaligen FATA ist weiterhin das Militär das führend für Sicherheitsaufgaben zuständige staatliche Organ (USDOS 30.3.2021). Im Zuge der Eingliederung der ehemaligen FATA in das staatliche Rechtssystem wurden auch die lokalen Sicherheitskräfte - die circa 30.000 Mann starken Levies- und Khasadar-Einheiten - in die Polizei von Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert (TET 15.9.2021). Die ersten Ausbildungsstätten wurden errichtet, doch der Prozess geht langsam voran (PIPS 17.1.2022).
Die militärischen und zivilen Geheimdienste unterstehen offiziell der Berichtspflicht gegenüber zivilen Behörden, doch operieren sie unabhängig und ohne effektive zivile Aufsicht. In Fällen unter dem Anti-Terrorismus Gesetz haben die Strafverfolgungsbehörden zusätzliche Befugnisse, wie Durchsuchungen und Beschlagnahmungen ohne Gerichtsbeschluss (USDOS 30.3.2021).
Die Effizienz der Polizei variiert je nach Provinz. Der Staat hat ein funktionierendes Strafjustizsystem aufgebaut, doch ist dessen Funktionsfähigkeit begrenzt, was im polizeilichen Bereich auf fehlende Ressourcen, schlechte Ausbildung sowie unzureichende und veraltete Ausrüstung zurückzuführen ist und zu mangelhaften Ermittlungen führen kann (UKHO 9.2021). Zusätzlich binden religiöse Gewalt und Terrorismus die Ressourcen der Polizei zuungunsten allgemeiner polizeilicher Arbeit (UKHO 6.2020). Die Sicherheitskräfte stellen auch selbst ein Hauptziel von Anschlägen verschiedener Terrorgruppen dar (HRW 13.1.2022; vergleiche PIPS 17.1.2022).
Darüber hinaus wird die Effektivität der Polizei durch Einflussnahme durch Vorgesetzte, politische Akteure und die Justiz beeinträchtigt (UKHO 9.2021). Der Polizei wird seit Langem ein vorurteilsbehafteter und willkürlicher Umgang bei der Aufnahme von Anzeigen vorgeworfen (FH 3.3.2021). Die Polizeikräfte sind oft in lokale Machtstrukturen eingebunden und dann nicht in der Lage, unparteiliche Untersuchungen durchzuführen. Die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung sind gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen (AA 28.9.2021).
Die Annahme von Bestechungsgeldern, um wahre oder falsche Anzeigen aufzunehmen oder um Strafen zu vermeiden, ist weit verbreitet (UKHO 9.2021). Illegaler Polizeigewahrsam und Misshandlungen gehen oft Hand in Hand, um den Druck auf die festgehaltene Person bzw. deren Angehörige zu erhöhen, durch Zahlung von Bestechungsgeldern eine zügige Freilassung zu erreichen, oder um ein Geständnis zu erpressen. Zum geringen Ansehen der Polizei tragen die extrem hohe Korruptionsanfälligkeit ebenso bei, wie unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam Genommenen (AA 28.9.2021).
Dabei stellt Straflosigkeit für Vergehen der Sicherheitskräfte ein erhebliches Problem dar. Es mangelt an effektiven Mechanismen, um Menschenrechtsverletzungen nachzugehen. Die Regierung bietet begrenzt Schulungen an, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu erhöhen (USDOS 30.3.2021).
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 23.03.2022
Folter
Folter im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und in den Gefängnissen ist weit verbreitet (AA 28.9.2021; vergleiche OMCT 3.2021, HRW 13.1.2022). Folter wird als unvermeidlicher Teil der Strafverfolgung in Pakistan akzeptiert. Es herrscht Straflosigkeit durch eine Kombination aus soziokultureller Akzeptanz, fehlenden unabhängigen Aufsichts- und Ermittlungsmechanismen, weitreichenden Befugnissen zur Festnahme und Inhaftierung, Verfahrenslücken und unwirksamen Schutzmaßnahmen, einschließlich des Versäumnisses Pakistans, Folter unter Strafe zu stellen (OMCT 3.2021).
Folter ist gemäß pakistanischer Verfassung zwar grundsätzlich verboten und wird seitens der Regierung offiziell verurteilt (AA 28.9.2021). Allerdings enthält das Strafgesetzbuch keinen speziellen Abschnitt gegen Folter, wiewohl es kriminelle Gewaltanwendung und Übergriffe verbietet (USDOS 30.3.2021). Auch einige Artikel der Strafprozessordnung verbieten Teilaspekte der Folter. Die Polizeiverordnung 2002 sieht Strafen gegen jeden Polizeibeamten vor, der einer Person in seinem Gewahrsam "Gewalt oder Folter" zufügt. Die Vorschrift enthält aber keine Definition von Folter und erstreckt sich nicht auf andere Beamte. Vom System der unabhängigen Überwachung der Arbeit der Polizei, das in der Verordnung vorgesehen ist, wurden nur einige Beschwerdekommissionen eingerichtet. In Ermangelung funktionierender Überwachungsstellen, die Beschwerden über Folter entgegennehmen können, müssen sich die Opfer an die Polizei selbst wenden, um einen First Information Report (FIR) zu registrieren. Die Zuständigkeit für deren Untersuchung liegt ebenfalls bei der Polizei (OMCT 3.2021).
Die Straflosigkeit unter den Sicherheitskräften stellt damit ein erhebliches Problem dar (USDOS 30.3.2021). Die Strafverfolgung ist landesweit generell so unzureichend, dass bisher selbst in Fällen von Folter mit Todesfolge Täter so gut wie nie verurteilt wurden. In einer Reihe von Fällen registrierte die Polizei eine Strafanzeige erst nach gerichtlicher Intervention durch die Angehörigen der Opfer. In einigen wenigen Fällen wurden Verantwortliche vom Dienst suspendiert und Untersuchungen angeordnet, an deren Ende aber in der Regel lediglich die Versetzung der Beschuldigten an eine andere Dienststelle stand (AA 28.9.2021).
Die Regierung bietet begrenzt Schulungen an, um die Achtung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu erhöhen (USDOS 30.3.2021). Im Juli 2021 nahm der Senat ein wichtiges Gesetz zum Verbot von Folter an. Mit Stand Anfang Jänner 2022 war dieses Gesetz noch nicht durch die Nationalversammlung verabschiedet worden. Seine umfassende Definition entspricht der internationalen Konvention gegen Folter und sieht auch eine strafrechtliche Verantwortung für Todesfälle in Polizeigewahrsam vor (HRW 13.1.2022). Es würde Folter erstmalig zum Straftatbestand machen (AA 28.9.2021).
Haft ohne Anklage, nachgewiesene Fälle von staatlichem Verschwindenlassen
Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung begehen Armee und Sicherheitskräfte v.a. in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa regelmäßig Menschenrechtsverletzungen. Enforced Disappearances - das Verschwindenlassen von unliebsamen, v.a. armeekritischen Personen - zählen dabei zu den eklatantesten Menschenrechtsverletzungen in Pakistan - auch weil der Staat (v.a. Militär / Nachrichtendienste, insb. ISI) oftmals als Täter auftritt und seiner Schutzverantwortung nicht gerecht wird (AA 28.9.2021). Die meisten Opfer waren aus Khyber Pakhtunkhwa, der ehemaligen FATA oder Belutschistan und wurden für gewöhnlich durch die Sicherheitskräfte oder Geheimdienste incommunicado in Haft gehalten - unter dem Vorwurf des Terrorismus, staatsfeindlicher Aktivitäten, Rebellion oder Spionage (FH 3.3.2021).
Seit ihrer Errichtung im Jahr 2011 wurden der staatlichen Kommission zur Untersuchung von Verschwindenlassen aus den vier Provinzen und dem Hauptstadtterritorium Islamabad zusammen 6.854 Fälle von verschwundenen Personen gemeldet. Mit Stand Ende 2020 konnte die Kommission 3.770 Personen aufspüren, davon fanden sich 1.277 in verschiedenen Arten der Haft, 218 Personen wurden tot gefunden. Menschenrechtsaktivisten hingegen zweifeln an den offiziellen Zahlen. Eine belutschische Partei sprach von insgesamt 5.128 erzwungen verschwundenen Personen bis zum Jahr 2018 für Belutschistan. Im Jahr 2020 konnte die Spur einiger prominenter politischer Aktivisten, die im Sindh Opfer des Verschwindenlassens wurden, durch breite öffentliche Kampagnen in Gefängnissen ausfindig gemacht werden. Bei einigen von diesen konnte eine Freilassung erwirkt werden (HRCP 2021).
Die Internationale Kommission von Juristen (ICJ) kritisierte die Untersuchungskommission und meinte, dass ihr Zugang Straflosigkeit fördert. Es gab keine Anzeichen, dass die Erkenntnisse der Untersuchungskommission zu effektiven Sanktionen gegen die involvierten Behörden führen würden (FH 3.3.2021). Bei Verdacht auf Terrorismus ist es den Sicherheitskräften auch rechtlich möglich, Personen ein Jahr ohne Anklage in Haft zu nehmen. Darüber hinaus verfügt das Militär in Khyber Pakhtunkhwa per Verordnung über die Befugnis, Zivilisten ohne Anklage und Benachrichtigung der Angehörigen festzuhalten (USDOS 30.3.2021).
Staatlicherseits wurden Täter bislang in keinem einzigen Fall angeklagt. Eine Strafverfolgung findet nach wie vor nicht statt. Am 5.5.2021 erfolgte die überraschende Ankündigung der pakistanischen Regierung, dass die seit Langem verschleppte Enforced Disappearances Bill, die Verschwindenlassen erstmalig strafrechtlich sanktionieren soll, die erste Hürde im Kabinett genommen hat. Wenngleich es sich um einen positiven ersten Schritt handelt, bleibt der weitere gesetzgeberische Weg lang, kann jederzeit von Regierung und Sicherheitsestablishment torpediert werden und – falls verabschiedet – muss die tatsächliche Implementierung des Gesetzes unter Beweis gestellt werden (AA 28.9.2021).
Korruption
Letzte Änderung: 25.04.2022
Korruption ist in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, der Justiz und bei den Sicherheitsorganen weit verbreitet (AA 28.9.2021). Von der international tätigen Compliance-Plattform GAN Integrity wird das Risiko, mit Korruption konfrontiert zu werden, unter anderem in den Bereichen Justizsystem, Polizei und öffentlicher Dienst als hoch eingeschätzt (GAN 10.2020). Verschiedene Politiker und Inhaber öffentlicher Ämter sind mit Vorwürfen unterschiedlichster Korruptionsvergehen konfrontiert. Die unteren Instanzen des Justizsystems sind Berichten zufolge korrupt und dem Druck von höherrangigen Richtern sowie einflussreichen Persönlichkeiten ausgesetzt (USDOS 12.4.2022). Auch die Polizei ist anfällig für Korruption und Bestechung. Die Annahme von Bestechungsgeldern, um wahre oder falsche Anzeigen aufzunehmen oder um Strafen zu vermeiden, ist weit verbreitet (UKHO 9.2021). Pakistan nimmt auf dem Corruption Perceptions Index von Transparency International 2021 Platz 140 von 180 Ländern ein (TI 25.1.2022). Im Vergleich dazu nahm es im Jahr 2020 Platz 124 von 180 Ländern ein (TI 28.1.2021).
Es gibt relativ progressive Gesetze zu öffentlichen Finanzen und Vergabeprozessen und eine eigene Behörde zur Regulierung von öffentlichen Aufträgen, die viele standardmäßige Maßnahmen zur Transparenz einsetzt. Internationale Einrichtungen hinterfragen jedoch den öffentlichen Vergabeprozess. Mitglieder des Parlaments und ausgewählte Amtsträger müssen ihre Einkommen deklarieren. Es sind zahlreiche formale Schutzmaßnahmen in Kraft, doch die Anwendung der Mechanismen zur Rechenschaft ist selektiv und politisch motiviert. Militär und Justiz haben ihre eigenen Systeme zur Bekämpfung von Korruption, doch das Militär, das weite Bereiche an Regierungsfunktionen unter dem Banner der nationalen Sicherheit innehält, agiert weitgehend undurchsichtig in seinen Belangen (FH 4.2022).
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption von Amtsträgern vor, die Regierung setzt das Gesetz im Allgemeinen aber nicht effektiv um. Das National Accountability Bureau (NAB) dient als höchste Antikorruptionsbehörde mit dem Auftrag, Korruption durch Sensibilisierung, Prävention und Rechtsdurchsetzung zu beseitigen. Das NAB und andere Ermittlungsbehörden, wie das Federal Board of Revenue, die Nationalbank von Pakistan oder die Federal Investigation Agency führen Untersuchungen zu Korruption, Steuerhinterziehung und Geldwäsche durch (USDOS 12.4.2022). Nach Angaben des NAB hatte es mit Stand September 2020 3.371 Verfahren eröffnet, 1.124 Schuldsprüche erwirkt und 1.257 Verfahren offen (FH 3.3.2021).
2017 wurde der damalige Premierminister Nawaz Sharif vom Supreme Court des Amtes enthoben, nachdem die "Panama Papers", eine internationale Ermittlung von Journalisten in 200 Ländern, die Verstrickung seiner Familie in das aufgedeckte System an Steuerhinterziehung und Geldwäsche öffentlich machten. Ein Jahr später wurde er aufgrund von Korruption verurteilt (ICIJ 4.2021). Der darauf folgende Premierminister hatte diese Korruptionsermittlungen zu seinem Wahlkampfthema gemacht. Doch statt im Allgemeinen die Veruntreuung durch Eliten anzugehen und die rechtlichen Weichen zu stellen um eine Verantwortlichkeitspflicht einzuführen, blieb das Vorgehen gegen die Familien Sharif und Bhutto gerichtet. Noch stärker als zuvor beschränkte sich die Arbeit des NAB großteils auf die Opposition (The Diplomat 9.10.2021). Der Supreme Court Pakistans, die Anwaltskammer des Supreme Courts und der pakistanische Anwaltsrat verurteilten in verschiedenen Fällen das Vorgehen des NAB gegenüber Oppositionspolitikern (HRW 13.1.2021). Gegen mehrere Führungspersonen unterschiedlicher Oppositionsparteien gab es Strafanzeigen aufgrund von Korruptionsermittlungen, so auch gegen den Oppositionsführer in der Nationalversammlung, Shabaz Sharif [Anmerkung: dieser wurde im April 2022 nach einem Misstrauensvotum selbst Premierminister; siehe Kap. Politische Lage] (USDOS 12.4.2022). Hingegen herrschte bei Mitgliedern der Regierungspartei ein Mangel an ähnlicher Strafverfolgung. Dies lässt Anzeichen erkennen, wonach sich die Justiz von der nationalen Politik instrumentalisieren hat lassen (FH 3.3.2021; vergleiche FH 4.2022).
Gleichzeitig gibt es Vorwürfe, wonach Journalisten, die über Belange wie Korruption berichteten, Online-Diskreditierungskampagnen ausgesetzt waren, sodass politische Parteien oder Staatsinstitutionen im Hintergrund vermutet werden (USDOS 30.3.2021). Außerdem wurden im Jahr 2020 auch Vergehen nach den neu eingeführten Cybercrime-Gesetzen gegen Journalisten und Aktivisten registriert, die Korruption öffentlich machten (HRCP 2021).
Im Oktober 2021 wurden die "Pandora Papers", neue internationale journalistische Ermittlungen, veröffentlicht. Sie deckten die Verwicklung mehrerer Minister und Geldgeber der damaligen pakistanischen Regierung sowie Militärgeneräle und deren Familien in mutmaßliche Steuerhinziehung und Geldwäsche auf (ICIJ 3.10.2021).
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 23.03.2022
Zivilgesellschaftliche Menschenrechtsorganisationen können sich in Pakistan betätigen. Die angesehene NGO Human Rights Commission of Pakistan (HRCP) befasst sich z.B. mit der Aufklärung und Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen aller Art. In allen Landesteilen gibt es Provinzbüros und freiwillige Helfer, die Menschenrechtsverletzungen aufnehmen, Fakten sammeln und Fälle der Justiz zuführen. Eine Vielzahl weiterer Organisationen und Einzelpersonen beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten des Schutzes der Menschenrechte (AA 28.9.2021). Ebenso nehmen zivilgesellschaftliche Organisationen oft lautstark Anteil an politischen Debatten. Debatten jedoch, welche die nationale Sicherheit berühren, werden schnell unterbunden (FH 3.3.2021).
Während einige Menschenrechtsorganisationen ohne nennenswerte Restriktionen agieren, recherchieren und publizieren können, schränkt die Regierung im Allgemeinen allerdings zunehmend die Arbeitsmöglichkeiten von NGOs ein (USDOS 30.3.2021, vergleiche AA 28.9.2021). Die jetzige Regierung setzt damit das strikte Vorgehen gegenüber NGOs, das bereits unter der Vorgängerregierung 2015 begonnen hat, fort. NGOs unterliegen exzessiven Registrierungsanforderungen (FH 3.3.2021). Diese erschweren es ihnen, ihren Tätigkeiten nachzugehen und Zugang zu ihren Zielgruppen zu erhalten. Während des Registrierungsprozesses, aber auch danach, unterliegen die Organisationen konstanten Kontrollen und Belästigungen durch die Behörden (USDOS 30.3.2021).
Insbesondere betrifft dies jene, deren Arbeit Verfehlungen der Regierung, des Militärs oder der Geheimdienste aufdeckt oder die zu Themen im Zusammenhang mit Konfliktgebieten arbeiten. Diese Gruppen sehen sich mit zahlreichen Vorschriften in Bezug auf Reisen, Visa und Registrierung konfrontiert, die ihre Bemühungen um Programme und die Beschaffung von Mitteln behindern (USDOS 30.3.2021).
Die Geheimdienste überwachen und kontrollieren Menschenrechtsorganisationen. Bedrohungen und Einschränkungen erfolgen, wenn ihre Arbeit die staatlichen Sicherheitsorgane berührt. Institutionen und Menschen, die Kritik am Militär und an dessen Geheimdienst üben, müssen mit Sanktionen rechnen (AA 28.9.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021). So berichten verschiedene Menschenrechtsorganisationen von Belästigungen, Einschüchterung und Überwachung durch Behörden (HRW 13.1.2022).
Menschenrechtsorganisationen berichten, dass paschtunische, Sindhi und belutschische Menschenrechtsaktivisten sowie Nationalisten Opfer von Verschwindenlassen durch die Behörden werden. Verschwindenlassen kommt allerdings im ganzen Land vor. Die unabhängige NGO HRCP schätzt, dass mindestens 2.100 politische Dissidenten und Rechtsaktivisten vermisst werden, obwohl die tatsächliche Zahl höher sein könnte (USDOS 30.3.2021). Im Jahr 2020 konnte zum Beispiel die Spur einiger prominenter politischer Aktivisten, die im Sindh Opfer von Verschwindenlassen wurden, durch breite öffentliche Kampagnen in Gefängnissen ausfindig gemacht werden. Bei einigen von diesen konnte eine Freilassung erwirkt werden (HRCP 2021).
In den ehemaligen Stammesgebieten (FATA) und in Belutschistan ist sowohl für Menschenrechts- als auch für Hilfsorganisationen die Arbeit nur sehr eingeschränkt möglich (AA 28.9.2021). Zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistans erhalten nur wenige NGOs Zugang (USDOS 30.3.2021).
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Bekämpfung wurden die Registrierungsmodalitäten für humanitäre NGOs temporär gelockert (AA 28.9.2021).
Ombudsmann
Letzte Änderung: 22.03.2022
Der föderale Ombudsmann Pakistans (Wafaqi Mohtasib) ist für unabhängige Ermittlungen zu Beschwerden über Fehlleistungen der Bundesverwaltung ["maladministration"] zuständig. Die Einschaltung des Ombudsmannes ist kostenlos und steht jedem offen. Sein Mandat erstreckt sich jedoch nicht auf Beschwerden, die laufende Gerichtsverfahren, ausländische Angelegenheiten oder Verteidigungsangelegenheiten betreffen. Zusätzlich gibt es jeweils unabhängige Ombudsmänner (Mohtasibs) für Angelegenheiten in Bezug auf Steuern, private Versicherungen und private Banken sowie gegen Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz (FOP o.D.). In das Mandat der eigenständigen Föderalen Ombudsperson gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz fallen zusätzlich seit 2020 auch Beschwerden in Bezug auf die Verletzung der Erbschaftsrechte von Frauen (FOSPAH o.D.). Ombudspersonen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sind für jede Provinz gesetzlich vorgeschrieben und alle Provinzen sowie Gilgit Baltistan haben eine solche Institution eingerichtet. Außerdem wurde die Position eines Ombudsmannes für Gefängnisinsassen mit einem zentralen Büro in Islamabad sowie mit Büros in jeder Provinz eingerichtet (USDOS 30.3.2021).
Weiters gibt es unabhängige Ombudsmänner für jede Provinz, die für Beschwerden in Bezug auf Fehlverhalten der Provinzregierungen zuständig sind vergleiche FOP o.D., OM KP o.D., OM SD o.D., OM PJ o.D.).
Meinungs- und Pressefreiheit
Letzte Änderung: 23.03.2022
Pressefreiheit
Die Verfassung garantiert die Pressefreiheit. Diese kann jedoch zum Schutz der Integrität, Sicherheit oder Verteidigung von Pakistan oder zum Schutz des Islam eingeschränkt werden (AA 28.9.2021). Neben diesen verfassungsmäßigen Einschränkungen führen auch Drohungen, Schikanen, Entführungen, Gewalt und Tötungen dazu, dass Journalisten und Redakteure Selbstzensur üben (USDOS 30.3.2021, vergleiche AA 28.9.2021, AI 7.4.2021, RSF 2021). Angriffe auf Journalisten gehen primär von Extremisten, aber auch regelmäßig von staatlichen Akteuren aus (ÖB 12.2020, vergleiche USDOS 30.3.2021). Auch im Jahr 2021 wurden mehrere Journalisten Opfer gewalttätiger Attacken. Ein Klima der Angst erschwert folglich die Medienberichterstattung über Übergriffe sowohl der staatlichen Sicherheitskräfte als auch militanter Gruppen (HRW 13.1.2022, vergleiche RSF 2021).
Medien werden auch behördlich unter Druck gesetzt, Regierungsinstitutionen oder die Justiz nicht zu kritisieren (HRW 13.1.2022). Es gab viele Fälle von Zensur, in denen das Militär unterschiedliche Methoden Druck auszuüben einsetzte. Der Vertrieb von Zeitungen wurde gestoppt, Medienhäusern mit der Einstellung von Werbeeinschaltungen gedroht, Übertragungen blockiert (RSF 2021). Auch im Jahr 2021 blockierten staatliche Aufsichtsbehörden in mehreren Fällen Kabelbetreiber und Fernsehsender, die kritische Programme ausgestrahlt hatten (HRW 13.1.2022). Zwar leisten Zivilgesellschaft und teils Justiz partiell Widerstand, doch gibt es zahlreiche Berichte über eine Vielzahl von Einzelinterventionen im Medienbereich und gegen einzelne unliebsame Journalisten - seitens Regierungsagenturen, etwa der Medienregulierungsbehörde PEMRA, des Militärs oder nominell unabhängigen Institutionen, wie der Anti-Korruptionsbehörde (AA 28.9.2021).
Die pakistanischen Medien haben eine lange Tradition einer lebendigen Berichterstattung, doch sind sie ein Hauptziel des militärischen und nachrichtendienstlichen Establishments geworden, das seinen Einfluss auf sie stark erweitern konnte. Journalisten, die Themen aufgreifen, die vom Militär als tabu erachtet werden, werden vom Nachrichtendienst (ISI) organisierten Schikanierungskampagnen ausgesetzt (RSF 2021; vergleiche AI 7.4.2021). In mehreren Fällen wurden Journalisten entführt oder durch die Sicherheitsbehörden verhaftet und später wieder freigelassen (HRCP 2021; vergleiche AI 7.4.2021, USDOS 30.3.2021).
Journalisten sind außerdem, besonders in Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa, dem Risiko ausgesetzt, ins Schussfeld zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Rebellen zu geraten. Vier Journalisten wurden im Jahr 2020 in Pakistan getötet (RSF 2021, vergleiche AA 28.9.2021). Während in letzter Zeit Fälle von physischer Gewalt, z.B. Morde oder Mordversuche, abgenommen haben, steigt die Zahl von Fällen virtueller Gewalt (Online-Hetzkampagnen, Identitätsdiebstahl, Hacking-Versuche etc.). Mehrere hochrangige Journalistinnen prangerten in einem offenen Brief an den Premierminister Probleme wie sexualisierte Online-Belästigung und -Diffamierung aufgrund ihres Berufs an (AA 28.9.2021).
Unabhängige Berichterstattung aus Gebieten, in denen sich die pakistanische Armee oder Geheimdienste im Einsatz befinden, wird grundsätzlich stark reglementiert oder unterbunden. Dies gilt besonders für die früheren Stammesgebiete FATA, heute als Newly Merged Districts Teil der Provinz Khyber Pakhtunkhwa bekannt (AA 28.9.2021). Um im pakistanisch verwalteten Kaschmir zu publizieren, müssen Medieninhaber die Erlaubnis des Kaschmir-Rates und des Ministeriums für Kaschmir-Angelegenheiten einholen. Die Journalisten müssen sich weitgehend auf Informationen verlassen, die von der Regierung und vom Militär bereitgestellt werden. Es gibt Beschränkungen für die Übertragung von Inhalten indischer Medien (USDOS 30.3.2021).
Im World Press Freedom Index 2021 von Reporter ohne Grenzen findet sich Pakistan gleichbleibend auf Rang 145 von 180 untersuchten Ländern (RSF 2021, vergleiche AA 28.9.2021). Die Lage wird als schwierig eingeschätzt (AA 28.9.2021).
Meinungsfreiheit und soziale Medien
Die Verfassung garantiert den Bürgern, öffentlich Kritik an der Regierung üben zu können, mit den Einschränkungen des Schutzes der Integrität, Sicherheit oder Verteidigung Pakistans oder zum Schutz des Islam. Gerichtsentscheidungen haben die Verfassung allerdings dahingehend ausgelegt, dass Kritik am Militär und an der Justiz verboten sind (USDOS 30.3.2021). In der Praxis verfügen Pakistanis über die Freiheit, viele Themen diskutieren zu können - auch online (FH 3.3.2021). Internet und soziale Medien haben in den vergangenen Jahren weiteren Raum für eine kritische journalistische Debatte geschaffen. Diese wird jedoch zunehmend eingeschränkt (AA 28.9.2021).
Die Pakistan Telecommunication Authority (PTA) kann über die Entfernung von Inhalten aus sozialen Medien, die gegen die Interessen des Islams, die Integrität und Sicherheit Pakistans oder gegen die öffentliche Ordnung und Moral verstoßen, ohne Hinzuziehung von Gerichten entscheiden (AA 28.9.2021). Der Prevention of Electronic Crimes Act gibt der PTA eine unkontrollierte Macht, Internetinhalte zu zensurieren. Das Blockieren von Inhalten wird für gewöhnlich mit dem Verhindern von blasphemischen und pornografischen Inhalten gerechtfertigt. In der Praxis geschieht die Zensierung willkürlich (FH 3.3.2021). Dies führt zur Unterdrückung und Kriminalisierung von freier Meinungsäußerung, kreiert zunehmend auch im Netz ein Klima der Unsicherheit und stärkt Tendenzen zur Selbstzensur. Ähnliches gilt für die "Citizens Protection (Against Online Harm) Rules" von Feber 2020. Diese wurden nach massiver öffentlicher Kritik leicht abgemildert (AA 28.9.2021; vergleiche FH 3.3.2021).
Blasphemiegesetze schränken das Recht des Einzelnen auf freie Meinungsäußerung in Bezug auf Angelegenheiten der Religion und der religiösen Lehre ein. Die Regierung schränkt einige sprachliche und symbolische Äußerungen auf der Grundlage der Bestimmungen über Hassreden und Terrorismus ein (USDOS 30.3.2021).
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung: 25.04.2022
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind durch die Verfassung gewährleistet, können aber aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eingeschränkt werden (AA 28.9.2021). Die Regierung schränkt diese Rechte auch ein (USDOS 12.4.2022). Dies äußert sich teilweise in der Anordnung von Sicherheitsverwahrung oder durch Gewalteinsatz der Polizei gegenüber Demonstranten (AA 28.9.2021). Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten bei Protesten kommen häufig vor (HRCP 2021).
Auch führt das Versäumnis der Regierung, Angriffe auf friedliche Demonstranten und Menschenrechtsverteidiger zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, faktisch zu Einschränkungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (USDOS 12.4.2022). Die Gefahr terroristischer Anschläge schränkt diese Rechte ebenfalls ein, da der Staat nicht immer in der Lage oder willens ist, angemessenen Schutz zu gewähren. So wurde beispielsweise Anfang März 2020 der Aurat-Frauenmarsch in Islamabad von Hunderten radikalen Islamisten angegriffen, es gab mehrere Verletzte. 2021 fand er zwar weitgehend ohne physische Übergriffe statt, Teilnehmerinnen wurden danach allerdings durch Online-Hasskampagnen und Blasphemieanzeigen eingeschüchtert (AA 28.9.2021).
Während einerseits die Vereinigungsfreiheit oft eingeschränkt wird, kommt es andererseits auch zu deren Missbrauch. Illegale militante und extremistische Gruppierungen und gewaltbereite Führungsfiguren, z. B. Hassprediger, setzen ihre Aktivitäten oftmals trotz offiziellen Verbots und aufgrund fehlenden politischen Willens zur Durchsetzung der Verbote fort (AA 28.9.2021).
Das Recht der Arbeitnehmer, Gewerkschaften zu gründen, ist gesetzlich festgelegt und die Verfassung garantiert das Recht auf Kollektivverhandlungen und Streik. Diese Schutzrechte werden allerdings nicht stark durchgesetzt. Ungefähr 70 Prozent der Arbeitskräfte sind im informellen Sektor tätig, wo Gewerkschaften und rechtlicher Schutz minimal sind. Dessen ungeachtet werden regelmäßig Streiks und Arbeiterproteste abhalten. Oft führen diese zu Zusammenstößen mit der Polizei sowie Entlassungen durch die Arbeitgeber (FH 4.2022). Berufsverbände wie die Anwalts- und Ärzteverbände organisieren sich häufig zu Protesten, um Forderungen durchzusetzen. Oft ist der Erfolg allerdings begrenzt (BS 25.2.2022).
Die Regierung wendet in Khyber Pakhtunkhwa weiterhin die West-Pakistanische Verordnung zur Aufrechterhaltung des Friedens sowie Abschnitt 144 des Strafgesetzbuches aus der Ära der britischen Kolonialherrschaft an. Diese Regeln ermöglichen es den Behörden, die langjährige Praxis der Aussetzung des Versammlungs- und Rederechts in den neu zusammengelegten Gebieten [ehemalige Federally Administered Tribal Areas (FATA)] fortzusetzen. Den Ahmadi-Muslimen wird es im Allgemeinen untersagt, Konferenzen und Versammlungen abzuhalten (USDOS 12.4.2022).
Insgesamt hat der Staat den Raum zur öffentlichen kritischen Debatte und für die Zivilgesellschaft weiter eingeschränkt ("shrinking space"). Aktuelles Beispiel ist der Umgang mit der PTM ("Bewegung zum Schutz der Paschtunen"). Der Sicherheitsapparat geht teils mit harter Hand gegen diese Bewegung vor (AA 28.9.2021; vergleiche HRCP 2021). Die Behörden stören weiterhin die Aktivitäten der PTM, die gegen die Gewalt in den paschtunischen Gebieten mobilisiert. In der Vergangenheit lösten die Sicherheitsbehörden Demonstrationen auf, verhafteten Teilnehmer und Aktivisten, unterbanden Medienberichterstattung und klagten Demonstrationsteilnehmer der Staatsgefährdung an. So wurde eine Fürhungsperson und 10 weitere Teilnehmer einer Demonstration vor einem Anti-Terrorismus-Gericht angeklagt. Das Militär verdächtigt Berichten zufolge die Führung der PTM, gegen den Staat zu agieren und Verbindungen zum indischen Geheimdienst zu unterhalten, was die PTM bestreitet [siehe auch Kapitel Paschtunen] (FH 4.2022).
Opposition
Politische Parteien können weitgehend frei operieren. Jedoch üben Militär und Geheimdienste Druck auf unliebsame Parteien aus, in der Regel auf die Opposition (AA 28.9.2021). Mehrere große Parteien, zahlreiche kleinere Parteien und Unabhängige nehmen an den Wahlen teil und sind im Parlament und in den Provinzparlamenten vertreten. Die letzten drei nationalen Wahlen haben jeweils zu einem Wechsel von einer Oppositionspartei an die Regierung geführt. Auch stellen Parteien, die auf nationaler Ebene in der Opposition sind, Regierungen auf Provinzebene oder haben dort einen signifikanten Anteil an den Sitzen. Allerdings wird derzeit das Militär als mächtiger angesehen als die gewählten Politiker und als fähig die Wahlen zu beeinflussen (FH 4.2022). Politische Auseinandersetzungen werden mitunter auch mit Gewalt ausgetragen. Die damalige Regierung setzte im Laufe des Jahres 2020 die Tendenz zur selektiven Strafverfolgung von prominenten Oppositionspolitikern fort. Die Opposition blieb damit unter dem Druck politischer Korruptionsermittlungen - meist geführt über die nominell unabhängige Bundesbehörde National Accountability Bureau, NAB (AA 28.9.2021; vergleiche HRCP 2021, HRW 13.1.2022).
In einem Misstrauensvotum gelang es einer Allianz der Opposition den Premierminister am 9. April 2022 abzusetzen. Oppositionsführer Shabaz Sharif, Vorsitzender der Pakistan Muslim League-Nawaz, wurde in der Nationalversammlung zum neuen Premierminister gewählt (Zeit-Online 11.4.2022). Der abgesetzte Premierminister rief die Abgeordneten seiner Partei, der Pakistan Therek-Insaf, PTI, aus Protest zum Rücktritt aus der Nationalversammlung auf. 123 der PTI-Abgeordneten folgten seinem Aufruf, den 31 verbliebenen sprach er das Recht ab, als Opposition in der Nationalversammlung unter dem Namen der PTI aufzutreten (TNT 14.4.2022).
Haftbedingungen
Letzte Änderung: 22.03.2022
Die Verhältnisse in Pakistans Gefängnissen sind schlecht. Nach Einschätzung von UNODC und der NGO HRCP werden die Grundrechte der Strafgefangenen, insbesondere auf körperliche Unversehrtheit und Menschenwürde, nicht gewahrt. Dies gilt besonders für zum Tode verurteilte Strafgefangene. Pakistans Gefängnisse leiden an Überbelegung. Die Belegungsquote liegt laut Amnesty International (Dezember 2020) bei 134 Prozent - mit teils signifikant höheren Quoten bei einzelnen Gefängnissen. Andere NGOs kommen teils zu höheren Zahlen. Gründe für die Überbelegung liegen in den extrem langen Untersuchungshaftzeiten, die sich aus langen Gerichtsverfahren ergeben. NGOs schätzen, dass ungefähr 70 Prozent der Häftlinge Untersuchungshäftlinge sind. Außerdem stehen oft auch auf kleinere Vergehen Gefängnisstrafen (AA 28.9.2021). Auch nach offiziellen Angaben des staatlichen Ombudsmannes für Gefängnisinsassen beträgt die Belegungsrate 124 Prozent. Demnach befinden sich 79.603 Insassen in landesweit 116 Gefängnissen, die Gesamtkapazität liegt eigentlich bei 64.099 (HRCP 2021).
Die meisten Gefangenen werden in Blöcken mit ca. 50 Menschen pro Schlafsaal in Haft genommen, soweit sie nicht durch Bestechung des extrem korruptionsanfälligen Wachpersonals ihre Haftbedingungen verbessern können. Die medizinische Versorgung der Strafgefangenen ist unzureichend. Dies gilt auch für die Behandlung psychisch kranker Häftlinge (AA 28.9.2021). Die hygienischen Bedingungen sind in den meisten Gefängnissen mangelhaft (HRCP 2021). In vielen Einrichtungen sind die sanitären Anlagen, die Belüftung, die Beleuchtung und der Zugang zu Trinkwasser unzureichend. Unterernährung bleibt ein Problem, insbesondere für Insassen, die nicht in der Lage sind, ihre Ernährung durch Hilfe von Familie oder Freunden zu ergänzen. Die unzureichende medizinische Versorgung und Ernährung in den Gefängnissen führt zu chronischen Gesundheitsproblemen, in einigen Gefängnissen ist sie zusammen mit den unhygienischen Bedingungen und der Überbelegung lebensbedrohlich (USDOS 30.3.2021).
Trotz der COVID-19-Lockdowns nahm die Polizei Personen auch aufgrund vergleichsweise geringer Vergehen in Haft und erhöhte damit die Infektionsgefahr in den Gefängnissen. Es wurden Prozeduren zur Absonderung Neuankommender und zum Testen sowie Quarantäneabteilungen eingerichtet. Allerdings berichtete das Ministerium für Menschenrechte nach Kontrollen in Gefängnissen über eine zu lose Einhaltung. Dennoch gab es keine Berichte zu größeren Infektionsausbrüchen in den Gefängnissen. Einige Hundert Gefangene, die z. B. wegen kleinerer Vergehen einsaßen oder nur noch wenig Reststrafe hatten, wurden in den verschiedenen Provinzen zur Reduzierung der Infektionsgefahr entlassen (HRCP 2021).
Vertreter der christlichen Minderheit und der Ahmadis berichten, Mitglieder ihres Glaubens seien Gewalt durch Mithäftlinge ausgesetzt. Außerdem gibt es Berichte, wonach der Blasphemie Verdächtigte über lange Zeiträume in Einzelhaft gehalten werden. Gefängnisverantwortliche argumentieren, dass dies zu deren eigenem Schutz geschehe (USDOS 30.3.2021).
Es gibt eigene Jugendgefängnisse (USDOS 30.3.2021). Insgesamt sollen sich ca. 1.300 Jugendliche in den Gefängnissen befinden. Nach internationalen Standards hat Pakistan immer noch eine der niedrigsten Altersschwellen für strafrechtliche Verantwortlichkeit. Dies führt dazu, dass vergleichsweise viele Minderjährige Gefängnisstrafen ableisten. Im Hinblick auf die Haftbedingungen und die oft nicht ausreichende Trennung zwischen erwachsenen und minderjährigen Strafgefangenen in Vollzugsanstalten ist dies besonders problematisch. Der Jugendstrafvollzug erfüllt nicht die sowohl nach pakistanischem Recht (Juvenile Justice System Ordinance 2000) als auch vom Übereinkommen über die Rechte des Kindes vorgegebenen Mindestanforderungen (AA 28.9.2021). Es gibt Berichte über Vergewaltigungen von Minderjährigen in Gefängnissen (USDOS 30.3.2021).
Es gibt gesonderte Frauengefängnisse. Bei gemischten Gefängnissen sind Frauen- und Männerabteilungen voneinander getrennt. Die Zahl der weiblichen Strafgefangenen in den Gefängnissen Pakistans dürfte ca. 1.500 betragen. Weibliche Gefangene sind mitunter Belästigungen ausgesetzt (AA 28.9.2021).
Es gibt Ombudspersonen für Gefangene mit einer Zentralstelle in Islamabad und Büros in jeder Provinz. Generalinspektoren für Gefängnisse besuchen in unregelmäßigen Abständen die Haftanstalten, um die Bedingungen zu überwachen und Beschwerden zu bearbeiten. Laut Gesetz müssen die Gefängnisbehörden den Inhaftierten erlauben, sich ohne Zensur bei den Justizbehörden zu beschweren und eine Untersuchung glaubwürdiger Vorwürfe über unmenschliche Bedingungen zu verlangen. Es gibt jedoch Berichte, wonach Gefangene davon absehen, Beschwerden einzureichen, um Vergeltungsmaßnahmen der Gefängnisbehörden zu vermeiden. Internationale Organisationen führen Kontrollbesuche in den Gefängnissen durch, berichten aber auch über Schwierigkeiten beim Zugang zu einigen Gefängnissen, insbesondere solchen mit Häftlingen, die aufgrund sicherheitsrelevanter Vergehen angeklagt sind. Der Zugang zu Gefängnissen in den stark von Gewalt betroffenen Gebieten von Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan ist den Organisationen untersagt. Einigen Menschenrechtsorganisationen ist es erlaubt, die Bedingungen in Jugend- und Frauengefängnissen zu überprüfen (USDOS 30.3.2021).
Im Laufe des Jahres 2020 setzten die Gefängnisverwaltungen von Punjab, Sindh und Khyber Pakhtunkhwa den Bau ihrer eigenen Gefängnisakademien fort und konzentrierten sich dabei auf moderne Techniken des Gefängnismanagements, die die Menschenrechte fördern und gewalttätigem Extremismus entgegenwirken sollen (USDOS 30.3.2021).
Todesstrafe
Letzte Änderung: 23.03.2022
Die Todesstrafe wird in Pakistan im Prinzip vollstreckt. Ein 2008 eingesetztes Moratorium auf die Vollstreckung der Todesstrafe wurde als Folge des Terrorangriffs auf die Army Public School in Peshawar, bei dem ca. 150 Schüler ums Leben gekommen sind, im Jahr 2015 aufgehoben. Nach Schätzungen von pakistanischen Menschenrechtsorganisationen - der Staat veröffentlicht keine offizielle Statistik - wurden seit Aufhebung des Moratoriums über 500 Menschen hingerichtet, mindestens 14 von ihnen 2019. Die Zahl der Hinrichtungen war allerdings bereits von 2015 bis 2019 stark rückläufig (AA 28.9.2021). Im Jahr 2020 wurden schließlich zum ersten Mal seit der Wiederaufnahme der Vollstreckung der Todesstrafe keine Hinrichtungen gemeldet (AI 4.2021; vergleiche HRCP 2021, AA 28.9.2021). Auch im Jahr 2021 fand laut Informationen des australischen Außenministeriums und des Cornell Centers on the Death Penalty Worldwide keine Hinrichtung statt (DFAT 25.1.2022; CCDPW o.D.).
Nichtsdestotrotz werden weiterhin Todesurteile ausgesprochen (AA 28.9.2021). Für das Jahr 2020 geht die NGO Human Rights Commission of Pakistan (HRCP) aufgrund von Presseberichten von mindestens 177 Todesurteilen aus. Dies stellt einen deutlichen Rückgang gegenüber den mindestens 578 Todesurteilen des Jahres 2019 dar (HRCP 2021). Amnesty International geht im selben Zeitraum von mindestens 49 Todesurteilen aus. Dies ist ebenfalls ein Rückgang zu den Daten der Vorjahre. Nach Einschätzung von Amnesty International könnte der Rückgang teilweise mit der Unterbrechung der Gerichtsverfahren aufgrund der COVID-19-Pandemie zusammenhängen (AI 4.2021). Die Gesamtzahl der zum Tode Verurteilten in pakistanischen Gefängnissen lag Ende April 2021 bei ca. 3.800-4.200 (AA 28.9.2021).
Die Regierung stellt einen staatlich finanzierten Rechtsbeistand für Gefangene zur Verfügung, die wegen Verbrechen angeklagt sind, welche mit der Todesstrafe sanktioniert werden können (USDOS 30.3.2021). Bei 27 verschiedenen Straftatbeständen kann die Todesstrafe verhängt werden, darunter Blasphemie, Mord, Hochverrat, Spionage, Vergewaltigung und terroristischer Anschlag mit Todesfolge. Der unter Todesstrafe gestellte Tatbestandskatalog geht weit über den nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte gesetzten Rahmen der "most serious crimes" hinaus. Diesen hat auch Pakistan ratifiziert. In vielen Fällen beruhen die Todesurteile außerdem auf rechtsstaatlich zweifelhaften Verfahren. So passieren auch in Verfahren, in denen die Todesstrafe verhängt wird, immer wieder schwere Justizirrtümer, und grundlegende Verfahrensrechte der Angeklagten werden schwer missachtet. Urteile werden mitunter ausschließlich aufgrund von Geständnissen verhängt, wobei davon auszugehen ist, dass diese immer wieder auch durch Folter oder Misshandlung in Polizeigewahrsam erzwungen werden. Zum Tode Verurteilten stehen als Rechtsmittel der normale gerichtliche Instanzenweg bis zum Supreme Court und anschließend die Möglichkeit eines Gnadengesuchs an den Staatspräsidenten offen. Seit Aufhebung des Moratoriums hat der Staatspräsident nach Kenntnis des Deutschen Auswärtigen Amts jedoch in keinem Fall einem Gnadengesuch stattgegeben (AA 28.9.2021). Zahlreiche Todesstrafen werden allerdings in Berufungsverfahren aufgehoben (DFAT 25.1.2022).
Es besteht die Gefahr, dass Personen, die gemäß völkerrechtlich für Pakistan bindender Verträge zwingend von der Verhängung der Todesstrafe ausgenommen sind, dennoch zum Tode verurteilt und auch hingerichtet werden. Dies gilt etwa für Minderjährige oder Menschen mit geistigen Behinderungen (AA 28.9.2021). Das staatliche Recht verbietet ebenfalls die Anwendung der Todesstrafe für Minderjährige, dennoch verurteilen Gerichte Minderjährige nach dem Anti-Terrorismus-Gesetz zum Tode. Dabei erschwert der Mangel an zuverlässigen Unterlagen die Bestimmung des Alters möglicher Minderjähriger (USDOS 30.3.2021). Im Feber 2021 hat der Supreme Court mit einem wegweisenden Urteil die Todesstrafe für zwei psychisch Kranke aufgehoben. Inwieweit das Urteil Präzedenzcharakter hat, bleibt abzuwarten (AA 28.9.2021). Bereits kurz danach wurden einige Todesurteile psychisch kranker Häftlinge in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt (DFAT 25.1.2022).
Das pakistanische Strafgesetzbuch verbietet in §295c die Beleidigung des Propheten Mohammed und sieht selbst bei unbeabsichtigter Prophetenbeleidigung die Todesstrafe vor. Oftmals wird auf Druck von Extremisten erstinstanzlich die Todesstrafe verhängt, diese wurde bislang jedoch noch nie für Blasphemie vollstreckt, sondern häufig durch ein höherrangiges Gericht aufgehoben. Nach divergierenden Angaben von Menschenrechtsaktivisten sollen mit Stand Mai 2021 zwischen 30 und 80 wegen Blasphemie zum Tode Verurteilte auf die Vollstreckung ihres Urteils warten (AA 28.9.2021). In den letzten Jahren wurden auch einige Todesurteile aufgrund blasphemischer Inhalte in Nachrichten in den sozialen Medien, wie Facebook und WhatsApp verhängt (The Guardian 19.1.2022).
Eine Abschaffung der Todesstrafe ist aufgrund der überwältigenden Unterstützung für die Todesstrafe in der Bevölkerung auch längerfristig unrealistisch (AA 28.9.2021).
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 23.03.2022
Laut der Volkszählung von 2017 sind 96 Prozent der ca. 210 Millionen Einwohner Pakistans sunnitische oder schiitische Muslime. Schätzungen zufolge sind circa 80-85 Prozent der muslimischen Einwohner Pakistans Sunniten und 15-20 Prozent Schiiten, zu welchen auch die Ismaelitischen Schiiten, die Bohra sowie die ethnische Minderheit der Hazara gehören (USDOS 12.5.2021). Laut dem Zensus sind Hindus mit 1,73 Prozent der Bevölkerung die größte Minderheit, gefolgt von Christen mit 1,27 Prozent. Ahmadis stellen einen Anteil von 0,09 Prozent (PBS o.D.). Schließlich entfallen 0,3 Prozent auf die weiteren religiösen Gruppen, wie Zoroastrier, Bahai, Sikhs, Buddhisten, Kalasha, Kihal und Jainisten (USDOS 12.5.2021). Allerdings sind laut Verfassung Angehörige der Religionsgemeinschaft der Ahmadis keine Muslime, obwohl sie sich selbst als solche sehen. Viele Ahmadis boykottierten die Volkszählung deshalb, sodass ihre Anzahl größer sein dürfte. Auch Vertreter der anderen Minderheitenreligionen meinen, ihre jeweilige Anzahl wäre größer (USDOS 12.5.2021; vergleiche ACCORD 3.2021).
Die pakistanische Verfassung erklärt den Islam zur Staatsreligion und hält fest, dass alle Gesetze in Einklang mit den Prinzipien des Islams zu bringen sind und keine Gesetze verabschiedet werden dürfen, die diesen zuwiderlaufen. Die Verfassung hält allerdings fest, dass diese Vorgaben nicht das Personenstandsrecht sowie die Staatsbürgerschaft von Nicht-Muslimen beeinträchtigen dürfen. Zur Prüfung von Gesetzen und Urteilen ist in der Verfassung das Federal Shariat Court und für Empfehlungen an den Gesetzgeber der Council of Islamic Ideology vorgesehen. Per Verfassung sind in der Nationalversammlung, im Senat und den Provinzversammlungen Sitze für nicht-muslimische Abgeordnete reserviert. (USDOS 12.5.2021). Das zuständige Ministerium für religiöse Angelegenheiten und interreligiöse Harmonie konzentriert sich hauptsächlich auf muslimische Angelegenheiten und bietet keinen effektiven Schutz für die Minderheitenrechte, unterstützt aber auch religiöse Minderheiten und deren Einrichtungen finanziell (UKHO 2.2021). Mit der 18. Verfassungsänderung 2010 wurden außerdem in allen Provinzen Ministerien zur Wahrung der Rechte der Minderheiten eingerichtet (AA 28.9.2021).
Grundsätzlich garantiert die Verfassung jedem Bürger das Recht, sich zu seiner Religion zu bekennen, sie auszuüben und diese zu propagieren (USDOS 12.5.2021). Die gesellschaftliche Realität sieht anders aus (AA 28.9.2021). Mitglieder von religiösen Minderheiten werden regelmäßig Opfer religiös motivierter Übergriffe, die vor allem von sunnitisch-extremistischen Gruppierungen verübt oder veranlasst werden (BAMF 5.2020; vergleiche USDOS 12.5.2021). So sind religiöse Minderheiten eines der erklärten Hauptziele von Anschlägen islamistischer militanter Gruppen (HRW 13.1.2022). Sektiererische Anschläge und Opferzahlen sind allerdings in den letzten Jahren zurückgegangen (USDOS 12.5.2021). Für das Jahr 2021 verzeichnete das Sicherheitsanalyseinstitut PIPS zwei terroristische Anschläge auf die schiitische Religionsgemeinde mit insgesamt 13 Toten und einen Anschlag auf die Sikh-Gemeinde mit einem Toten (PIPS 17.1.2022). Am 4.3.2022 gelang es allerdings dem IS, einen Großanschlag auf eine schiitische Moschee in Peshawar durchzuführen, dem mindestens 56 Menschen zum Opfer fielen (AP 5.3.2022).
Mehrere Organisationen der Zivilgesellschaft und Vertreter der Religionsgemeinden berichten, dass die Regierung die Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit an religiösen Orten der Minderheiten, die in den letzten Jahren häufig Ziele von Übergriffen waren, verstärkt hat. Während religiöser Feiertage erhöht die Polizei außerdem die Sicherheitsmaßnahmen in Abstimmung mit den Religionsführern. Die Regierung setzt ihren Nationalen Aktionsplan (NAP) gegen Terrorismus, der auch konfessionell motivierten Extremismus und Hassreden berücksichtigt, fort. Es werden Militär- und Strafverfolgungsoperationen zur Bekämpfung des Terrorismus durchgeführt (USDOS 12.5.2021).
Radikal-islamistische Gruppierungen stellen allerdings nicht die einzige Gefahr für religiöse Minderheiten dar. Diese sehen sich zusätzlich einer existenziellen Bedrohung durch Anschuldigungen wegen Verstoßes gegen Religionsstraftaten, wie "Prophetenbeleidigung" oder Gotteslästerung bzw. Blasphemie ausgesetzt, die auffallend häufig gegen Angehörige religiöser Minderheiten vorgebracht werden (BAMF 5.2020; vergleiche USDOS 12.5.2021). Besonders Mitglieder der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft sind ein Hauptziel der Strafverfolgungen nach den Blasphemiegesetzen sowie nach speziellen Anti-Ahmadi-Gesetzen. Militante Gruppen und die islamistische politische Partei Tehreek-e-Labbaik (TLP) beschuldigen Ahmadis, sich "als Muslime auszugeben" - ein Straftatbestand nach dem pakistanischen Strafgesetzbuch (HRW 13.1.2022).
Das Strafgesetzbuch sieht bei Prophetenbeleidigung die Todesstrafe vor. Diese wurde für Blasphemie bislang jedoch noch nie vollstreckt und häufig durch ein höherrangiges Gericht aufgehoben (AA 28.9.2021). Die zumeist haltlosen Anschuldigungen haben allerdings nicht nur strafrechtliche Verfolgung und teilweise jahrelange schuldlose Inhaftierung zur Konsequenz, sondern werden auch zum Anlass genommen, Menschenmengen gegen die Beschuldigten oder deren religiöse Gemeinschaft zu mobilisieren (BAMF 5.2020; vergleiche USDOS 12.5.2021). Ein gewöhnlicher Disput kann für Mitglieder der Minderheitenreligionen das Risiko einer Anschuldigung der Blasphemie bergen, die zu Strafverfolgung und Mobgewalt führen kann. Die Blasphemiegesetze und ihr Missbrauch durch religiöse Fanatiker beschränken allerdings auch die Meinungsfreiheit von Muslimen (FH 3.3.2021). Fälle von Mob-Gewalt nach Blasphemievorwürfen betreffen so auch Muslime (Al Jazeera 13.2.2022; vergleiche PIPS 17.1.2022).
Gesellschaftliche Gewalt aufgrund religiöser Intoleranz bleibt damit ein ernstes Problem (USDOS 30.3.2021; vergleiche HRCP 2021, AI 7.4.2021). Es kommt zu gelegentlichen Ausbrüchen von Mobgewalt gegen Minderheiten, wie Christen, Hindus und Ahmadis sowie zu gezielte Tötungen an Personen schiitischen Glaubens und an Ahmadis (USDOS 30.3.2021). Für das Jahr 2021 verzeichnete PIPS sieben Vorfälle religiös-motivierter "Mob"-Gewalt in Pakistan. Diese forderten zwei Tote, darunter ein Ahmadi. Vier Vorfälle betrafen Mobgewalt nach Blasphemievorwürfen, ein Hindu wurde dabei getötet. Bei zwei Gewaltakten wurden Hindu-Tempel beschädigt (PIPS 17.1.2022).
In Hinblick auf die gesellschaftliche Gewalt gegen religiöse Minderheiten berichten NGOs, dass Behörden oft darin versagen, bei derartigen Vorfällen einzugreifen - aus Angst vor Vergeltung oder aufgrund eines mangelnden Personalstandes. Für Täter gibt es häufig aufgrund eines mangelhaften Durchgreifens der Strafverfolgung, Bestechung oder Druck auf die Opfer keine rechtlichen Konsequenzen. Die Regierung setzt einige Schritte, um religiöse Minderheiten zu schützen (USDOS 12.5.2021).
Außerdem gibt es Fälle von Entführungen und Zwangsheiraten sowie Zwangskonversionen von christlichen und hinduistischen Mädchen und Frauen durch muslimische Männer (HRCP 2021; vergleiche USDOS 12.5.2021, USCIRF 4.2021, FH 3.3.2021). Die Zahl an Entführungen soll in die Hunderte gehen und besonders Minderheiten betreffen, da sie aufgrund ihrer marginalen ökonomischen Lage ungeschützter sind und ihre Konversion zum Islam als religiös wünschenswert gesehen wird (DFAT 25.1.2022). Christen treffen aufgrund mangelhafter rechtlicher Vorgaben außerdem auf Schwierigkeiten, ihre Ehen registrieren zu lassen, Ahmadis zusätzlich aufgrund dessen, dass sie ihre Ehe nicht als Muslime registrieren lassen dürfen (USDOS 12.5.2021).
Laut Vertretern der religiösen Minderheiten erlaubt die Regierung den meisten organisierten religiösen Gruppen, Gebetsstätten zu errichten und ihre Geistlichen auszubilden. Einige Hindu- und Sikh-Tempel wurden nach einer Renovierung im Jahr 2020 wieder eröffnet. Ahmadis jedoch verweigern die lokalen Behörden regelmäßig die notwendigen Baubewilligungen für ihre Gebetshäuser. Offizielle Restriktionen diesbezüglich gibt es nicht, abgesehen davon, dass sie ihre Gebetshäuser nicht Moscheen nennen dürfen (USDOS 12.5.2021).
Während das Ministerium für Recht und Justiz offiziell für die Gewährleistung der gesetzlichen Rechte aller Bürger verantwortlich ist, übernimmt das Ministerium für Menschenrechte in der Praxis weiterhin die Hauptverantwortung für den Schutz der Rechte religiöser Minderheiten. Die Ständigen Ausschüsse des Senats und der Nationalversammlung für Minderheiten und für Menschenrechte halten Anhörungen ab. Die National Commission on Human Rights (NCHR) ist ebenfalls mit der Untersuchung von Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen beauftragt und kann diese auch vor Gericht bringen. Sie hat aber wenig Macht zur Durchsetzung ihrer Forderungen. Zudem blieb sie auch im Jahr 2020 wie die Jahre davor ohne Mandat und disfunktional (USDOS 12.5.2021).
Die Regierung hat im Mai 2020 die Schaffung einer National Commission for Minorities, verortet innerhalb des Ministeriums für Religiöse Angelegenheiten, beschlossen. Die Einrichtung folgt einer Entscheidung des Supreme Courts zur staatlichen Sicherstellung der Rechte der religiösen Minderheiten. Vorsitzender ist ein Hindu, Mitglieder sind u.a. Christen, Sikh, Parsi und Kalasha. Aktivisten für religiöse Freiheit meinen, dass diese Kommission wirkungslos ist. Sie zeigen sich besorgt über den Mangel an Einbeziehung der Öffentlichkeit, die eingeschränkten Machtbefugnisse und den Ausschluss der Ahmadis aus der Kommission (USDOS 12.5.2021; vergleiche AA 28.9.2021).
Vertreter der Minderheiten berichten, dass die Regierung bei der Anwendung der Gesetze zur Sicherstellung der Minderheitenrechte sowie der Durchsetzung der Schutzregelungen für Minderheiten auf Bundes- und Provinzebene inkonsequent ist. Folglich ist auch der Schutz vor gesellschaftlicher Diskriminierung inkonsequent. Die Minderheiten sehen sich auch im staatlichen Bereich Diskriminierungen in unterschiedlichen Ausmaßen konfrontiert, wobei Ahmadis am stärksten betroffen sind (USDOS 12.5.2021). Die Benachteiligung religiöser Minderheiten im Bildungswesen, in der Wirtschaft und im Berufsleben bleibt weit verbreitet. Geschätzte 80 Prozent der pakistanischen Minderheitenbevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze (AA 28.9.2021).
Gemäß Verfassung dürfen Personen bei der Anstellung im öffentlichen Dienst nicht aufgrund ihrer Religion diskriminiert werden. Im öffentlichen Dienst gilt außerdem eine Minimumquote von 5 Prozent für Minderheiten. Diese Quote wird oft nicht erreicht (USDOS 12.5.2021). Nach Regierungsangaben sind es 2,8 Prozent (UKHO 2.2021). Die meisten religiösen Minderheiten berichten von Diskriminierungen bei Anstellungen und Beförderungen im öffentlichen Dienst sowie bei der Aufnahme an Hochschulen. Auch im Militärdienst gibt es zwar keine offiziellen Hürden für einen Aufstieg, allerdings steigen Angehörige von religiösen Minderheiten nur selten in einen höheren Dienstgrad als Oberst auf (USDOS 12.5.2021). Minderheiten sind besonders in den Streitkräften, der Polizei und der Judikative stark unterrepräsentiert (AA 28.9.2021).
Nach Angaben der Nationalen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden (NCJP) haben sich während der COVID-19-Pandemie Vorfälle gehäuft, wonach Christen und andere religiöse Minderheiten bei der Verteilung von Schutzausrüstungen und humanitären Hilfen benachteiligt worden sind. Demnach haben z.B. islamische Organisationen und Moscheegemeinden Christen bei der Verteilung von Lebensmitteln und anderen Nothilfen in ländlichen Gebieten der Provinz Punjab zurückgewiesen (BAMF 5.2020).
Die Rechtsordnung schränkt nicht die Freiheit ein, die Religion zu wechseln. Die Gesellschaft akzeptiert Apostasie aber in keiner Weise. Personen, die sich vom Islam abwenden, vertreten dies in aller Regel nicht öffentlich. Eine eventuelle Gefahr für Leib und Leben besteht vor allem dann, wenn sich der Betroffene besonders exponiert (AA 28.9.2021). Ein Abschwören des Islams wird gemeinhin unter islamischen Klerikern als Blasphemie ausgelegt, auf welche die Todesstrafe steht (USDOS 12.5.2021). Eine Konversion vom Islam, obwohl sie nicht verboten ist, wird somit oft als Blasphemie angesehen und kann in einer Strafverfolgung unter den Blasphemiegesetzen oder in familiärer oder gesellschaftlicher Gewalt münden (DFAT 25.1.2022).
Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung: 22.03.2022
Pakistan ist eine pluralistische Gesellschaft mit einer Vielzahl an religiösen und ethno-linguistischen Identitäten. Die pakistanischen Minderheiten lassen sich im Wesentlichen in die Kategorien "ethnisch und sprachlich" sowie "religiös" einteilen. Der Begriff "Minderheit" wird in der Verfassung der Islamischen Republik Pakistan von 1973 an mehreren Stellen verwendet, es gibt jedoch keine Definition dieses Begriffs. Aufeinanderfolgende Bundesregierungen haben die Position vertreten, dass Minderheiten innerhalb Pakistans notwendigerweise religiös sind, und dass es keine ethnischen oder sprachlichen Minderheiten oder indigene Völker gibt (MRGI 6.2019).
Laut dem letzten Zensus von 2017 sprechen 38,8 Prozent der Bevölkerung Punjabi, 18,2 Prozent Paschtu, 14,6 Prozent Sindhi, 12,2 Prozent Saraiki, 7,1 Prozent Urdu, 3 Prozent Belutschisch, 2,44 Prozent Hindko, 1,2 Prozent Brahvi, 0,2 Prozent Kashmiri und auf weitere, kleinere Sprachen entfallen 2,26 Prozent (PBS o.D.).
Sexuelle Minderheiten
Letzte Änderung: 23.03.2022
Homosexualität ist gemäß Paragraph 377, PPC des pakistanischen Strafgesetzbuchs ("gewollter unnatürlicher Geschlechtsverkehr") verboten. Für eine Verurteilung ist der Beweis des Geschlechtsaktes zwingend erforderlich. Das Strafmaß beträgt im Regelfall zwei bis zehn Jahre Haft, in besonders schweren Fällen bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Laut deutschem Auswärtigem Amt sind keine Strafverfahren gegen männliche oder weibliche Homosexuelle, die Beziehungen auf einvernehmlicher Basis unterhalten, bekannt. Diese können aber leicht Opfer von Erpressungen seitens der Polizeibehörden werden, sofern ihre Beziehungen bekannt werden (AA 28.9.2021). Die Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen setzt somit Männer, die Sex mit Männern haben und Transgender-Personen dem Risiko polizeilicher Übergriffe und anderer Gewalt und Diskriminierung aus (HRW 13.1.2022; vergleiche ILGA 1.7.2021).
Der Islam erklärt im Koran Homosexualität zur Sünde und viele Hadithen richten sich dagegen. Jegliche gesetzliche Änderung in Bezug auf die Rechtslage in Pakistan müsste durch die Begutachtung durch den Council of Islamic Ideology gehen (ILGA 1.7.2021). Homosexualität wird auch in der Gesellschaft als Sünde und abweichendes Verhalten gesehen (OFPRA 19.8.2021). Grundsätzlich akzeptieren Familien homo- und bisexuelle Individuen nicht, wenn diese sich "outen". Sie müssen ihre Orientierung verstecken, um Stigmatisierung und Diskriminierung zu vermeiden (ILGA 1.7.2021). Viele denken, dass es eine unmoralische Abweichung ist, über die man hinweg und zurück auf den "geraden" Weg kommen muss. Das führt dazu, dass viele homosexuelle Männer früh mit Frauen verheiratet werden, entweder freiwillig oder unter Zwang. So werden sie gezwungen, ein Leben zu führen, wie es ihnen von der Gesellschaft zugeschrieben wird (The Diplomat 19.4.2021; vergleiche ILGA 1.7.2021).
In Pakistan gibt es keine durchgängige, pulsierende Gemeinde von Angehörigen sexueller Minderheiten. Doch Letztere haben gelernt, in Cliquen in einem selbst geschaffenen und vom Rest der Bevölkerung abgeschirmten Raum zu bestehen. Die sozialen Medien bieten dabei eine massive Unterstützung. Durch die wachsende Vernetztheit ist es einfacher geworden, miteinander zu kommunizieren (The Diplomat 19.4.2021). Homo- und bisexuelle Personen können nicht offen als solche auftreten, sie organisieren sich aber virtuell über soziale Medien wie Facebook oder Chat Applikationen wie WhatsApp in Gruppen, bevor sie sich physisch treffen. Die Gruppen sind geheim und nur Angehörige sexueller Minderheiten werden hinzugefügt. Dies dient zum Austausch, aber auch zur gegenseitigen Unterstützung. Im Vergleich zu früher ist die Gemeinschaft gestärkt (ILGA 1.7.2021).
Ein kleiner Teil der Gesellschaft akzeptiert Homo- und Bisexuelle. Die meisten dieser Menschen gehören zur privilegierten Schicht, doch auch sie können nicht offen für die Rechte der von Homo- und Bisexuellen eintreten. Mehrere Organisationen und Bewegungen arbeiten für die Rechte von Homo- und Bisexuellen, doch veröffentlichen sie ihre Arbeit nicht, da sie Stigmatisierung fürchten. Die Mitglieder dieser Organisationen kommen hauptsächlich aus der Gemeinschaft sexueller Minderheiten. Es gibt auch Allianzen mit der feministischen Bewegung. Sie arbeiten unter dem Deckmantel der Transgender-Rechtsbewegung (ILGA 1.7.2021).
Der Islam akzeptiert das Phänomen der Intersexualität. In der Bevölkerung werden Intersexuelle und Transgender als dieselbe Kategorie wahrgenommen, wodurch Transgender unter dem Deckblatt des Phänomens der Intersexualität wahrgenommen werden, das als "khawaja sira" bekannt ist. Grob gesprochen ist die Lage für Transgender besser als für Homo- und Bisexuelle. Transgender und Intersexuelle verfügen über einen rechtlichen Schutz und Unterstützung durch den Staat. Im Transgender Persons (Protection of Rights) Act (TGPA) aus dem Jahr 2018 wurden die Rechte von Transgendern und deren Schutz festgehalten (ILGA 1.7.2021). Das Gesetz gewährt ihnen das Recht, entsprechend ihrer selbst wahrgenommenen geschlechtlichen Identität anerkannt zu werden. Es sieht Grundrechte vor und verbietet Belästigung und Diskriminierung von Transgendern in den Bereichen Beschäftigung, Wohnung, Bildung, Gesundheitsversorgung und bei anderen Diensten (USDOS 30.3.2021). Im Gesetz verpflichtet den Staat zum Schutz der Rechte von Transgendern, darunter das Versammlungsrecht, das Recht auf soziale Leistungen und auf Teilnahme am kulturellen Leben. Sie dürfen ihre selbst gewählte Geschlechtsidentität in ihrem Personalausweis (CNIC) eintragen lassen, der ein drittes Geschlecht vorsieht. Ein Recht auf eine Ehe wird nicht erwähnt. Für die Umsetzung des TGPA werden in Konsultationen mit Mitgliedern der Gemeinschaft Politiken auf Provinzebene entwickelt. Jedoch setzen weder die föderale Regierung noch die Provinzregierungen Schritte für eine effektive Implementierung des TGPA (ILGA 1.7.2021). Es gibt kein entsprechendes Gesetz zum Schutz der Rechte von lesbischen, schwulen oder bisexuellen Personen (USDOS 30.3.2021).
Die Regierung hat bei Stellenanzeigen das Konzept der drei Geschlechter übernommen und spricht sowohl Männer und Frauen als auch Transgender an. Anstellungsmöglichkeiten für Transgender sind in beschränktem Ausmaß vorhanden. Auch wenn es verschiedene Grade der Diskriminierung gibt, herrscht gegenüber Transgendern und Intersexuellen in Gesellschaft und Kultur eine gewisse Akzeptanz. In der Gesellschaft ist es möglich, über das Thema zu sprechen - im Gegensatz zum Thema der Homosexualität. Beim Aurat-Frauenmarsch wurden Transgender inkludiert. Einige Organisationen halten im Zuge der Implementierung des TGPA für die Polizei, Gesundheitsdienstleister, Medien und andere gesellschaftliche Bereiche Schulungen ab, um Diskriminierung entgegenzuwirken (ILGA 1.7.2021).
Gewalt und Diskriminierung gegen Angehörige sexueller Minderheiten halten allerdings an. Die Verbrechen werden oft nicht gemeldet, und die Polizei unternimmt im Allgemeinen wenig, wenn sie Meldungen erhält. Die Gesellschaft grenzt Transgender, Eunuchen und Intersexuelle generell aus. Die Behörden verweigern Transgendern oft ihren Anteil am Erbe sowie den Zugang zu Schulen und Krankenhäusern. Außerdem haben sie Schwierigkeiten dabei, Unterkünfte anzumieten. Es gibt zwar Gemeinschaften von bekennenden Transgenderfrauen, diese werden aber marginalisiert und häufig Ziel von Gewalt und Belästigung (USDOS 30.3.2021). Nach Angaben lokaler Menschenrechtsgruppen wurden zwischen den Jahren 2015 und 2020 in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa mindestens 65 Transgenderfrauen getötet (HRW 13.1.2021).
Im Mai 2020 startete die Polizei in Rawalpindi ein Pilotprojekt zum Schutz von Transgendern. Im Rahmen des Projekts wurde am 12. Mai 2020 das Tahafuz-Center eröffnet und der erste Opferschutzbeauftragte für Transgender eingesetzt. Dieser ist selbst Mitglied der Transgendergemeinschaft (USDOS 30.3.2021).
UK Home Office, Country Policy and Information Note Pakistan: Sexual orientation and gender identity or expression, Juli 2019
Personen, die offen ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechteridentität zum Ausdruck bringen, sind wahrscheinlich dem Risiko einer Behandlung ausgesetzt, die in ihrer Natur oder Wiederholung einer Verfolgung und/oder einer Schädigung gleichkommt. (UK Home Office, Pkt 2.4.18)
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation von Homosexuellen, 11.06.2015
Es gibt kein solches Gesetz, das die Rechte von lesbischen, schwulen oder bisexuellen Personen schützt. Verschiedene religiöse und politische Parteien, wie die Jafria Alliance Pakistan und das Shia Ulema Council, bezeichneten in der Folge Homosexualität als die krasseste Form menschlicher Degeneration. Der Führer der Jamaat-e-Islami, der grössten islamischen Partei Pakistans meinte, dass LGBT-Personen der Fluch der Gesellschaft und sozialer Abfall seien. Vor allem Polizisten erpressen Homosexuelle um Geld und Sex, damit sie diese nicht anzeigen. Auch andere sexuellen Minderheiten werden von der Polizei oft unterdrückt, willkürlich verhaftet, erpresst und sexuell missbraucht (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation von Homosexuellen, 11.06.2015)
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 22.03.2022
Per Gesetz sind die Bewegungsfreiheit im Land sowie ungehinderte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung gewährleistet. Diese Rechte werden allerdings eingeschränkt (USDOS 30.3.2021). Die Behörden beschränken aus Sicherheitsbedenken regelmäßig Reisen in einige Teilen des Landes bzw. auch interne Bewegungen innerhalb dieser Gebiete (FH 3.3.2021). So ist der Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistans - meist aufgrund von Sicherheitsbedenken - eingeschränkt. Für Reisen in Gebiete, die als sensibel eingestuft werden, ist ein beglaubigtes "No-Objection-Certificate" notwendig (USDOS 30.3.2021; vergleiche HRCP 2021). Innerhalb sensibler Gebiete wird die Bewegungsfreiheit durch Straßensperren und Checkpoints eingeschränkt (HRCP 2021). In den Wochen vor und während der schiitischen Feierlichkeiten zu Muharram werden außerdem die Bewegungs- und Reisefreiheit sowie die Aktivitäten von Klerikern, die für die Aufwiegelung von konfessionell motivierten Spannungen bekannt sind, eingeschränkt (USDOS 12.5.2021).
Das Hauptinstrument zur Einschränkung von Auslandsreisen ist die Exit Control List (ECL), die namentlich genannte Personen von der Nutzung der offiziellen Ausreisepunkte des Landes ausschließt (FH 3.3.2021). Personen auf der ECL ist es verboten, ins Ausland zu reisen. Diese Liste soll Personen, welche in staatsfeindliche Aktivitäten und Terrorismus involviert sind oder in Verbindung zu einer verbotenen Organisation stehen bzw. jene, gegen die ein Strafverfahren vor höheren Gerichten anhängig ist, von Auslandsreisen abhalten (USDOS 30.3.2021; vergleiche DFAT 25.1.2022). Regelmäßig wird die ECL allerdings als Mittel zur Kontrolle Andersdenkender eingesetzt (FH 3.3.2021), und laut Zivilgesellschaft befinden sich auch Menschenrechtsverteidiger und Kritiker der Regierung und des Militärs auf der Liste. Es ist möglich, vor Gericht Einspruch zu erheben und seinen Namen streichen zu lassen (USDOS 30.3.2021). Für Personen, die auf der Liste stehen, ist es schwierig, aber nicht unmöglich, über illegale Wege das Land zu verlassen (DFAT 25.1.2022).
Regierungsangestellte und Studenten müssen vor Reisen ins Ausland ein sogenanntes No-Objection-Certificate einholen, doch von Studenten wird dies selten verlangt (USDOS 30.3.2021).
Ausweichmöglichkeiten
Interne Migration ist weit verbreitet und üblich. Große Städte, wie Karatschi, Islamabad und Lahore haben eine ethnisch und religiös diverse Bevölkerung und bieten für jene Menschen eine gewisse Anonymität, die vor Gewalt durch nicht-staatliche Akteure fliehen (DFAT 25.1.2022; vergleiche AA 28.9.2021). Es gibt zahlreiche große Städte mit einer Bevölkerungsgröße von 1 bis 16 Millionen. Karatschi ist die zwölftgrößte Stadt der Welt und ethnisch besonders divers (UKHO 6.2020).
Schiiten sind über das ganze Land verteilt, und es gibt große schiitische Gemeinschaften in den großen Städten (UKHO 7.2021). Angehörige der schiitischen Minderheit leben in Pakistan beinahe ausschließlich in der Provinz Belutschistan, die meisten in Quetta. Im Ergebnis sind inländische Ausweich- oder Fluchtmöglichkeiten zwar nicht grundsätzlich auszuschließen, scheinen aber im Falle der Hazara aus Belutschistan deutlich beschränkt (AA 28.9.2021).
Ahmadis bietet ein Umzug nach Rabwah, ihrem religiösen und administrativen Zentrum, einen erheblichen Schutz vor Repressionen, weil sie dort weitgehend unter sich sind, auch wenn sie für ihre Gegner sichtbar sind (AA 28.9.2021). Rabwah erlaubt damit einen größeren Grad an Freiheit, doch durch die große Anzahl an Ahmadis ist sie auch ein Ziel für ihre Gegner. Die staatlichen Gesetze betreffend der Ahmadiyya-Glaubensauslegung gelten in ganz Pakistan und damit auch in Rabwah (UKHO 9.2021). Für Ahmadis besteht ebenso die Möglichkeit, in den Schutz größerer Städte zu fliehen, falls es sich nicht um Menschen handelt, die überregional bekannt geworden sind. Dies sehen auch Vertreter unabhängiger pakistanischer Menschenrechtsorganisationen als grundsätzliche Ausweichmöglichkeit. Verfolgte Angehörige der christlichen Minderheit haben generell Ausweichmöglichkeiten in andere Landesteile - abgesehen von Fällen, die überregional bekannt geworden sind (AA 28.9.2021).
Für Angehörige aller Gruppen gilt, dass ein Ausweichen oft das Aufgeben der bisherigen wirtschaftlichen Basis mit sich bringt (AA 28.9.2021). Die Möglichkeit, in einer neuen Umgebung Fuß zu fassen, hängt von finanziellen Mitteln sowie familiären, tribalen und/oder ethnischen Netzwerken ab. Für alleinstehende Frauen ist es schwierig, umzusiedeln (DFAT 25.1.2022).
Alle größeren Städte sind mit Autobahnen verbunden. Die Hauptbahnroute verläuft mehr als 1.600 km quer durchs Land von Karatschi nach Peschawar, via Lahore und Rawalpindi. Eine weitere Hauptbahnlinie verläuft nordwestlich von Sukkur nach Quetta. Die Hauptflughäfen sind Karatschi, Lahore, Rawalpindi, Quetta und Peschawar (EB 4.3.2022; vergleiche UKHO 6.2020).
Registrierungswesen
Letzte Änderung: 22.03.2022
Ein dem deutschen vergleichbares Meldewesen existiert nicht, und es ist kein zentrales Personenstandsregister vorhanden. Es gibt keine zentralen Informations- oder Fahndungsregister, nur regionale in den jeweiligen Provinzen sowie Bundesbehörden - und auch diese werden unvollständig bestückt. Haftbefehle werden nur eingetragen, wenn ausdrücklich erbeten, was oftmals nicht geschieht. Es gibt ein Datensystem der Bundespolizei FIA, worin ebenfalls Personen aufgenommen werden können, die bei der Ausreise überprüft oder festgenommen werden sollen (AA 29.8.2021).
Identitätskarten (NIC) sind verpflichtend vorzuweisen, um Dokumente (z.B. Führerschein, Reisepass) zu erhalten, ein Bankkonto zu eröffnen, sich als Wähler registrieren zu lassen, Wohnungen zu kaufen oder einer legalen Anstellung nachzugehen. Identitätskarten werden allen Bürgern ab dem 18. Lebensjahr auf Antrag ausgestellt. Die für die Ausstellung zuständige Behörde ist die National Database and Registration Authority (NADRA). Beim Registrierungsprozess werden auch Daten wie die Religionszugehörigkeit sowie die permanente und temporäre Adresse erhoben. Die Computerised National Identity Cards (CNIC) sollen allmählich durch die Smart National Identity Card (SNIC) ersetzt werden. Derzeit sind beide gültig (DFAT 25.1.2022). 95 Prozent aller erwachsenen Pakistani sind laut Angaben der NADRA mit den Identitätskarten registriert (BRG 11.2.2022). Für im Ausland lebende pakistanische Staatsbürger ist es möglich, bei der NADRA online eine "National Identity Card for Overseas Pakistanis" zu beantragen (DFAT 25.1.2022).
Unter-18-Jährige können eine Juvenile Card beantragen (NADRA o.D.). Geburten können bei der NADRA oder den dafür zuständigen lokalen Behörden der Provinzregierungen, meist sind dies Union Councils in Kooperation mit der NADRA, registriert und dementsprechend Geburtsurkunden ausgestellt werden (CSC 1.2021). Spitäler stellen automatisch Geburtsurkunden für die bei ihnen geborenen Kinder aus. Außerhalb der Spitäler gibt es keinen automatischen Geburtenregistrierungsprozess, und es gibt keine zentrale Datenbank. UNICEF schätzte 2019, dass 60 Millionen Kinder in Pakistan nicht registriert sind (DFAT 25.1.2022). Der Demographic and Health Survey 2017-18 ergab, dass 57,8 Prozent aller Unter-5-Jährigen nicht registriert sind (UniB 16.7.2021).
Die Proof of Registration Card (PoR), der Identitätsnachweis der circa 1,4 Millionen durch Pakistan registrierten afghanischen Flüchtlinge, wird ebenfalls durch die NADRA ausgestellt. Über-5-Jährige erhalten eine eigene Karte, Unter-5-Jährige werden bei den Eltern vermerkt. Im Rahmen des DRIVE Programms führt die NADRA mit Unterstützung des UNHCR eine aktualisierte Registrierung durch und stellt dabei allen PoR-Karten Besitzern neue, biometrische Smartcards aus (TRAFIG 31.8.2021; vergleiche UNHCR 14.1.2022a).
Die Provinzen Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa, Punjab und Sindh sowie das Hauptstadtterritorium Islamabad haben ein System für die Registrierung von Mietern, Hotelgästen bzw. temporären Bewohnern. Die Mieterregistrierung ist verpflichtend und findet auf der lokalen Polizeistation statt (IRB 23.1.2018; vergleiche UKHO 6.2020). Zweck dieser "Information of Temporary Residents Acts" ist es, die Möglichkeiten für Terroristen, Wohnungen, Hotelzimmer und Unterkünfte zu mieten, zu vermindern. Bei Mietverträgen ist es die Pflicht des Mieters oder Vermieters, der Polizei zusammen mit dem Mietvertrag vollständige Angaben über den Mieter zu machen. Hotels und Hostels sind verpflichtet, Informationen über ihre Gäste für die Polizei jederzeit einsehbar zu halten. Nach Razzien wurden wegen einer Nicht-Einhaltung dieser Vorschriften mitunter Strafen verhängt. Insgesamt wird das Mietermeldesystem allerdings nicht breit umgesetzt, und nur wenige Personen registrieren ihre Mietübereinkünfte bei den Behörden (IRB 23.1.2018). Die Einführung der verpflichtenden Meldung bei der Polizei und die Androhung hoher Strafen hat allerdings z.B. dazu geführt, dass Immobilienbesitzer im Punjab und in Islamabad zögerlich wurden, an Afghanen zu vermieten. Verstärkt wurde dies, nachdem durch den Nationalen Aktionsplan gegen Terrorismus Untersuchungen gegen die pakistanischen Hausbesitzer durchgeführt wurden (TRAFIG 31.8.2021).
IDPs und Flüchtlinge
IDPs
Letzte Änderung: 22.03.2022
Sowohl Umweltkatastrophen als auch Gewalt sind Gründe für interne Vertreibungen in Pakistan. Der Großteil der konflikt- und gewaltbedingt Binnenvertriebenen (IDPs) geht auf militärische Operationen gegen nicht-staatliche bewaffnete Gruppen in den früheren Federally Administered Tribal Areas (FATA) zwischen 2008 bis 2014 zurück. Das International Displacement Monitoring Centre (IDMC) gibt die Zahl dieser IDPs mit Stand Ende 2020 mit 104.000 an (IDMC 3.11.2021). EASO benennt mit Stand August 2021 die Größenordnung dieser Gruppe von Vertriebenen mit 16.483 registrierten Familien, wobei laut dieser Aufstellung nur aus Nord Waziristan und Khyber die Rückkehr noch nicht abgeschlossen war (EASO 10.2021).
Die Rückkehr wird unter verbesserten Sicherheitsbedingungen fortgesetzt. Es gibt keine Berichte über unfreiwillige Rückkehrer. Berichten zufolge wollen viele IDPs in ihre Heimat zurückkehren, trotz des Mangels an lokaler Infrastruktur, Unterkünften und verfügbaren Dienstleistungen, sowie der strengen Kontrolle, die die Sicherheitskräfte durch umfangreiche Kontrollpunkte über die Bewegungen der Rückkehrer ausüben. Andere IDP-Familien zögern hinsichtlich einer Rückkehr oder entscheiden sich dafür, dass einige Familienmitglieder in den sogenannten "settled areas" von Khyber Pakhtunkhwa bleiben, wo ein regulärer Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und anderen sozialen Diensten möglich ist. Für ehemals binnenvertriebene Kinder ist es schwierig, nach der Rückkehr in die ehemaligen Konfliktzonen Bildungseinrichtungen zu besuchen. Die Provinzregierung von Khyber Pakhtunkhwa hat einige der 1.800 Schulen in den ehemaligen FATA, wo eine große Anzahl an Menschen zurückgekehrt ist, wiederaufgebaut. Die Zahl der Kinder, die nicht zur Schule gehen, hat sich verringert (USDOS 30.3.2021).
Für IDPs, die nicht zurückkehren wollen oder können, koordiniert die Regierung die Unterstützung mit den UN und anderen internationalen Organisationen. Die Regierung und UN-Organisationen wie der UNHCR, UNICEF und das Welternährungsprogramm arbeiten zusammen, um IDPs zu unterstützen und zu schützen. Diese leben im Allgemeinen bei Gastfamilien, in gemieteten Unterkünften oder - in geringerem Umfang - in Lagern. Viele IDPs leben auch in informellen Siedlungen außerhalb der größeren Städte (USDOS 30.3.2021). IDPs gehören zu jenen Bevölkerungsgruppen, die besonders von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen sind. Viele haben Schwierigkeiten beim Zugang zu grundlegenden staatlichen Dienstleistungen. 64 Prozent der IDPs in Khyber Pakhtunkhwa haben einer Erhebung des IDMC zufolge keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, 47 Prozent benutzen verunreinigtes Wasser. Der Zugang zu Registrierung und Dokumentation ist im Punjab und in Sindh kompliziert, da viele Menschen ohne ihre ID-Karten geflohen waren. Es existieren Familienzusammenführungsprogramme (IDMC 3.11.2021).
Medien behandelten im Jahr 2021 häufig Proteste von Menschen aus den ehemaligen Stammesgebieten, die noch keine Kompensation für ihre zerstörten Häuser oder Geschäfte erhalten haben (EASO 10.2021).
Grundversorgung
Wirtschaft und Arbeitsmarkt
Letzte Änderung: 22.03.2022
Allgemeine Wirtschaftsleistung
Pakistan weist eine gemischte Wirtschaft auf, in der Firmen in staatlichem Eigentum für einen großen Anteil des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich sind. Früher überwiegend landwirtschaftlich geprägt, hat sich die Wirtschaft deutlich diversifiziert. Der Handels- und Dienstleistungssektor ist stark gewachsen und trägt heute den größten Anteil an der Wirtschaftsleistung. Die Landwirtschaft trägt noch zu einem Fünftel zum BIP bei (EB 11.3.2022). Sie bleibt aber die größte Deviseneinnahmequelle (PBS o.D.a). Handwerk und Produktion sind ebenfalls ein bedeutendes Segment. Der Anteil der Finanzdienstleistungen am BIP ist gering, doch stark steigend. Eine wichtige Einnahmequelle sind die Rücküberweisungen von Auslandspakistanis. Die Wirtschaftsleistung schneidet im Vergleich mit vielen anderen Entwicklungsländern gut ab, und Pakistan konnte die letzten Jahrzehnte eine solide Wachstumsrate vorweisen. Gleichzeitig ist die Bevölkerung stark angewachsen, was das Wirtschaftswachstum pro Kopf verringert (EB 11.3.2022). Außerdem weist Pakistan einen sehr großen informellen Wirtschaftssektor auf, dessen Wirtschaftsgröße geschätzt nochmals halb so groß ist, wie das offizielle Bruttoinlandsprodukt. Diese Größe stellt eine Herausforderung für die Planbarkeit von Maßnahmen und für Steuereinnahmen dar (BS 25.2.2022).
Konfrontiert mit der Pandemie fokussierte sich die Regierung auf die COVID-19-Infektionswellen, hat eine Massenimpfkampagne eingesetzt, finanzielle Zuschüsse erhöht und Maßnahmen der Geldpolitik zur Stärkung der Wirtschaft gesetzt. Die Regierung hat auf Mikro-Lockdowns gesetzt, um die Ausbreitung des Virus' zu begrenzen und gleichzeitig die Fortführung ökonomischer Aktivitäten zu gewährleisten und dadurch den wirtschaftlichen Ausfall abzuschwächen (WB 6.10.2021). Der Regierung gelang es damit, eine relativ effektive Antwort auf die COVID-19-Pandemie zu setzen, mit Schul- und Geschäftsschließungen bei gleichzeitiger Ankurbelung von Technologien um "smarte" [Anm.: partielle, lokal begrenzte] Lockdowns zur Viruseindämmung zu ermöglichen (BS 25.2.2022). Die Rücküberweisungen von Auslandspakistanis über offizielle Kanäle erreichten ein Rekordhoch. Die Produktion hat sich 2021 nach zwei Jahren des Rückgangs etwas erholt, ebenso der Dienstleistungssektor, der 60 Prozent des BIP ausmacht. Durch den sich erholenden heimischen Bedarf wird geschätzt, dass das BIP 2021 um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen ist. Die Inflation bleibt mit 8,9 Prozent erhöht, wenngleich sie sich auch verlangsamt hat. Besonders die hohe Inflation bei Nahrungsmitteln hat überproportional starke Auswirkungen auf ärmere Haushalte (WB 6.10.2021).
Arbeitsmarkt
Pakistan verfügt laut Schätzung von IOM über 63 Millionen Arbeitskräfte (IOM 30.3.2021). Geschätzt 64 Prozent der Bevölkerung sind unter 30 (BS 25.2.2022). Das Durchschnittsalter beträgt 22 Jahre, die Bevölkerung wächst jedes Jahr um etwa zwei Prozent. Jährlich streben etwa sechs Millionen Jugendliche auf den Arbeitsmarkt (BMZ o.D.). Das Land steht damit vor der Herausforderung, seiner Bevölkerung berufliche Möglichkeiten zu bieten (BS 25.2.2022).
Landwirtschaft und Fischerei stellen den größten Anteil am Arbeitsmarkt und tragen zum Einkommen für ein breites Segment der Bevölkerung bei (EB 11.3.2022). So stellt die Landwirtschaft laut Angaben des Pakistan Bureau of Statistics die Hälfte aller Beschäftigten (PBS o.D.a). IOM rechnet diesbezüglich mit ca. 37 Prozent der Beschäftigten, tendenziell abnehmend. Der Dienstleistungssektor macht demnach etwa 39 Prozent der Gesamtzahl der Arbeitsplätze aus, die Industrie ca. 24 Prozent - Tendenz steigend (IOM 2021). Handwerk und Produktion sind insbesondere durch die Textilindustrie ein bedeutendes Segment des Arbeitsmarktes. Das Staatswesen ist traditionell ein Hauptarbeitgeber in Pakistan, dort findet sich ungefähr ein Fünftel der Arbeitskräfte (EB 11.3.2022). 60 Prozent der Arbeitskräfte des Landes sind in der Provinz Punjab konzentriert (IOM 30.3.2021).
Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten, die internationalen Sozialstandards entsprechen, sind allerdings kaum vorhanden: 30 Prozent der arbeitenden Bevölkerung gelten trotz der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns als "Working Poor", über 70 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse liegen im informellen Sektor (BMZ o.D.). Das durchschnittliche Monatseinkommen liegt zwischen 15.000 PKR und 30.000 PKR. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei fast 6 Prozent (IOM 2021).
Der pakistanische Arbeitsmarkt wurde außerdem durch die COVID-19-Krise hart getroffen. Das Center for Labor Research schätzt die strukturelle Arbeitslosigkeit in Pakistan auf drei bis fünf Millionen, die temporäre Arbeitslosigkeit als Folge der Pandemie auf 10,5 Millionen (IOM 30.3.2021). Eine staatliche Erhebung zu den sozio-ökonomischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beziffert die Zahl der arbeitenden Pakistanis vor Ausbruch der Pandemie mit ungefähr 55,74 Millionen. Durch den groß angelegten Lockdown 2020 reduzierte sich die Zahl auf 35,04 Millionen. Nach dem Lockdown erholte sie sich demnach wieder auf 52,56 Millionen. Damit verloren 37 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ihre Arbeit zumindest vorübergehend (PBS o.D.b).
Arbeitslosenunterstützung, Berufsförderung
Pakistan verfügt über einige Programme zur Unterstützung Arbeitsloser. Diese beinhalten z.B. eine bezahlte Weiterbildung, die Förderung von Geschäftsgründungen oder auch Programme zur Anstellung im staatlichen Sektor (ILO 1.9.2021). Staatliche Projekte zur Förderung der Berufstätigkeit von Arbeitslosen sind z.B. das PM Youth Business Program oder PM Youth Loan Programs. Über jährliche, von der Regierung sowie durch staatliche und private Banken durchgeführte Projekte werden Darlehen von 500.000 bis 1.000.000 PKR (2.683 bis 5.366 Euro) ermöglicht, um ein Unternehmen zu gründen. Weiters gibt es auch Programme für Absolventen & MA-Pass-Studenten im Punjab und ein spezielles Programm für wissenschaftliche Talente für Absolventen (IOM 30.3.2021). Initiativen der pakistanischen Regierung zur Berufsausbildung sind z.B. die National Vocational & Technical Education Commission und die Technical Education and Vocational Training Authority. Provinzprogramme des Punjab bieten eine Vielzahl von Kursen zur technischen Weiterbildung an. Staatliche Stellen zur Vermittlung von Arbeitsplätzen sind z.B. Career Pakistan oder Small and Medium Enterprises Development Authority (IOM 2021). Weiters zu nennen ist das staatliche Vermittlungsprogramm NEXT, das National Employment Exchange Tool (NEXT o.D.).
Weiters gibt es für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit das Tameer-e-Pakistan-Programm als Maßnahme zur Armutsbekämpfung, um mehr Einkommensquellen für die Armen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen; ein weiteres Programm unterstützt kleine und mittlere Betriebe vor allem durch Gewährung von Steuerbefreiungen (IOM 30.3.2021). Unter dem Mantel der Pakistan Bait-ul-Maal wurden Women Empowerment Centers im ganzen Land eingerichtet, inklusive Azad Jammu Kaschmir und Gilgit-Baltistan. Diese Zentren bieten kostenfreie Ausbildung für Witwen, Waisen und bedürftige Frauen und Mädchen in Bereichen wie Schneiderei, Sticken und Weben (PASSD 7.2.2021).
Versorgungssicherheit bei Nahrungsmitteln und Wohnraum
Letzte Änderung: 22.03.2022
Nahrungsmittelsicherheit, Armut
Das solide Wirtschaftswachstums trägt dazu bei, dass das hohe Bevölkerungswachstum nicht wie in anderen südasiatischen Ländern zu einem hohen Anteil an absoluter Armut führte. Nichtsdestotrotz lebt ein bedeutender Anteil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze (EB 11.3.2022). Pakistan ist es in den vergangenen zwei Jahrzehnten gelungen, die Einkommensarmut stark zu senken. Der Anteil der Armen an der Bevölkerung hat sich laut Weltbank von 57,9 Prozent im Jahr 1998 auf 21,9 Prozent 2018 reduziert (BMZ o.D.). Laut dem Bertelsmann Transformations Index lebten 2020 geschätzt 24,3 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze und 38,4 Prozent waren von multidimensionaler Armut nach den Kriterien des UNDP betroffen (BS 25.2.2022). Im letzten Human Development Index 2020 von UNDP, der 189 Staaten umfasst und Fortschritte in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Einkommen im internationalen Vergleich misst, liegt Pakistan auf Rang 154 (UNDP 15.12.2020).
Verschärft wird die Situation durch einen scharfen Kontrast zwischen der relativen Prosperität der industrialisierten Regionen um Karatschi und Lahore und der Armut in den semi-ariden Gebieten in Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (EB 11.3.2022). So gibt UNDP die Armutsrate für Belutschistan und in den Newly Merged Districts von Khyber Pakhtunkhwa (ehemalige FATA) mit 70 Prozent an. Im Vergleich dazu weisen die reichsten Bezirke Pakistans im Norden und in der Mitte des Punjabs eine Armutsrate von unter 10 Prozent auf (UNDP 6.4.2021).
Die Landwirtschaft konnte bedeutend modernisiert werden (EB 11.3.2022). Pakistan hat sich zu einem Land mit einer Überschussproduktion an Nahrungsmittel entwickelt und ist ein wichtiger Produzent von Weizen. Dieser wird zwar über verschiedene Mechanismen, unter anderem das World Food Programme, auch an eigene bedürftige Bevölkerungsgruppen verteilt, doch zeigte die nationale Ernährungssicherheitserhebung von 2018, dass 36,9 Prozent der Bevölkerung mit Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung konfrontiert sind. Im Wesentlichen ist dies auf einen eingeschränkten Zugang der ärmsten und vulnerablen Bevölkerungsgruppen, besonders Frauen, zu ausreichender Ernährung zurückzuführen. Die Studie zeigte auch die zweithöchste Rate an Unterernährung bei Kindern unter fünf Jahren in der Region. 18 Prozent der Kinder unter 5 Jahren leiden an akuter Mangelernährung, 40 Prozent sind unterentwickelt und 29 Prozent untergewichtig. Es gibt eine starke Korrelation zwischen dem Bildungsniveau von Mädchen und allen Formen der Unterernährung. Doch gerade der Zugang der Mädchen zu Bildung, insbesondere in Gebieten, die an Afghanistan grenzen, und in Belutschistan bleibt eine Herausforderung. Außerdem sind aufgrund sozialer und kultureller Normen und Praktiken Frauen und Mädchen mit Schwierigkeiten beim Zugang zu humanitärer Unterstützung konfrontiert (WFP o.D.).
Ein durchschnittlicher pakistanischer Haushalt wendet 50,8 Prozent seines monatlichen Einkommens für Nahrungsmittel auf (WFP o.D.). Aufgrund der COVID-19-Pandemie bzw. des Lockdowns 2020 hatten 53 Prozent aller pakistanischen Haushalte Einkommensverluste zu verzeichnen. Am stärksten betraf dies Khyber Pakhtunkhwa, wo 64 Prozent von Einkommensverlusten betroffen waren, hier wiederum besonders stark in den städtischen Regionen. Den Punjab betraf es mit 49 Prozent (PBS o.D.b).
Der Verlust des Einkommens und der Anstieg der Nahrungsmittelpreise während der Pandemie bedeuteten für viele Menschen, die vorher nicht als armutsanfällig gesehen wurden, dass eine ausreichende Ernährung unleistbar wurde. Besonders betroffen waren Personen, die auf Tagelohnbasis und im informellen Sektor arbeiten, aber es betraf auch Angestellte im Privatsektor, wo in einigen Bereichen über Monate keine Löhne ausbezahlt wurden (WFP 1.2.2022). Von starker Unsicherheit bei der Lebensmittelversorgung betroffen waren laut einer staatlichen Studie während des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie 2020 10 Prozent der Haushalte gegenüber 3 Prozent bei der letzten Erhebung von 2018/2019; von einer moderaten Versorgungsunsicherheit betroffen waren 30 Prozent im Vergleich zu 13 Prozent davor. 60 Prozent der Haushalte konnten ihre Versorgungssicherheit beibehalten (PBS o.D.b). Die Regierung reagierte auf die Krise mit der Einführung des Ehsaas Emergency Cash Programme im April 2020 (WFP 1.2.2022).
Wohnraum
Es besteht allgemeiner Konsens darüber, dass ein Wohnraummangel herrscht, besonders in den Städten. Außerdem wird Wohnraum oft als kaum erschwinglich bezeichnet, zum einen aufgrund der Armut, zum anderen aufgrund des Mangels an formaler Wohnraumfinanzierung. Die Mehrheit des Wohnraums findet sich somit in Slums, meist in informellen Siedlungen. 30 bis 50 Prozent der Stadtbewohner leben nach Schätzungen in Slums. Laut UNHABITAT sind andererseits 74 Prozent der Stadtbewohner auch Eigentümer ihrer Unterkunft und Städte mit einem großen Anteil an Staatsdienern, wie Islamabad, verfügen über einen großen Anteil an mietfreiem oder stark subventioniertem Wohnraum (UKHO 6.2020).
Konkret wird der Mangel an Wohneinheiten auf 12 Millionen Einheiten geschätzt, wobei der Bedarf im Vergleich zum Angebot weiterhin hoch bleibt. Die Regierung hat Maßnahmen eingeführt, um die Möglichkeit der Finanzierung zu erhöhen, speziell für niedrig- bis mittelpreisige Wohneinheiten. Die Förderungen wurden erhöht, Regelungen für die Vergabe von Finanzierungen gelockert und die Dauer für die Rückzahlung verlängert (TET 27.2.2022).
IOM berichtet, dass in Großstädten Wohnungen und Einzelhäuser zwar leicht verfügbar sind, aber die Miet- und Nebenkosten, insbesondere für Strom und Gas, sehr hoch sind. In ländlichen Gebieten und am Stadtrand kleinerer Städte sind allerdings Wohnungsmöglichkeiten nicht nur kostengünstig, sondern auch zahlreich vorhanden (IOM 2021).
Sozialwesen
Letzte Änderung: 22.03.2022
Soziale Wohlfahrt
Pakistan unterhält einige Programme für soziale Wohlfahrt, die auf das Bereitstellen eines rudimentären sozialen Sicherheitsnetzes für die Bürger ausgerichtet sind. Staatliche Schulen und Krankenhäuser bieten eine hoch subventionierte Bildung und Gesundheitsversorgung und Einrichtungen wie Pakistan Bait-ul-Mal verteilen wohltätige Beiträge, die über Steuern eingenommen werden. Doch die Versorgung mit effektiven öffentlichen Dienstleistungen ist aufgrund ernster Kapazitätsengpässe schwach (BS 25.2.2022). Die staatlichen Systeme sozialer Sicherung sind schwach entwickelt und völlig unterfinanziert. Die Notwendigkeit von Investitionen u. a. in Bildung, berufliche Entfaltung und soziale Absicherung wird den pakistanischen Eliten allerdings immer mehr bewusst (BMZ o.D.).
Während ernste Herausforderungen weiterhin bestehen, gibt es auch Fortschritte im Bereich der öffentlichen sozialen Wohlfahrt. Das 2008 eingeführte Benazir Income Support Program (BISP) ist ein auflagenfreies Geldtransferprogramm zur Armutsreduktion, das auf Frauen fokussiert ist. Die Regierung hat als Erweiterung des BISP das Ehsaas Programm eingeführt, das während der ersten Welle der Covid-19-Pandemie zum Einsatz kam. Es agiert ebenfalls als Geldtransferprogramm und beinhaltete für das Jahr 2020 monatliche Geldzahlungen an 15 Millionen vulnerable Haushalte (BS 25.2.2022). Es verstärkte das BISP, indem es die Kriterien zur Anspruchsberechtigung erweitert und somit mehr Menschen miteingeschlossen hat (WFP 1.2.2022). Laut einer Evaluierung der Weltbank erreichten die Notfallzahlungen des Ehsaas-Programmes knapp über 100 Millionen Menschen und waren damit von der Reichweite das viertgrößte Programm weltweit (WB 14.5.2021).
Ehsaas wurde dauerhaft als Schirmorganisation eingerichtet, bei der das BISP nur noch eine von 34 Verwaltungseinheiten darstellt (TET 11.7.2021). Als zentrale, für soziale Wohlfahrt zuständige Stelle, wurde die "Poverty Alleviation and Social Safety Division" eingerichtet, die im allgemeinen Gebrauch auch Ehsaas-Ministerium genannt wird. Zuvor waren für einzelne soziale Programme unterschiedliche Einrichtungen bei verschiedenen Ministerien zuständig, diese wurde nun gebündelt. So wurden die bestehenden Schemen der staatlichen sozialen Wohlfahrt Zakat und Ushr, das BISP und Pakistan Bait-ul-Mal in die Struktur eingegliedert. Die Leistungen umfassen damit Stipendien, Katastrophenhilfe, verschiedene Geldtransferprogramme, Waisenheime, Suppenküchen, zinsfreie Kredite, Unterstützungsleistungen für Behinderte und bedürftige Frauen, Nahrungsmittelhilfen für Mütter und Kinder, Förderungen für bedürftige religiöse Minderheiten und mit der "Sehat Karte" eine Gesundheitsversicherung für Bedürftige. Insgesamt verfügt Ehsaas über mehr als 260 Einzelprogramme (PASSD 7.2.2021).
Ein Programm enthält eine monatliche Zahlung von 2.000 Rupien [ca. 10 Euro] an ärmere Familien mit einem behinderten Familienmitglied. Es umfasst 2 Millionen Familien. In einem weiteren werden 80.000 zinsfreie Kleinkredite für ärmere Haushalte zur Eröffnung von Geschäften vergeben, die Hälfte davon ist für Frauen reserviert (TET 11.7.2021). Das Ehsaas Waseela-e-Taleem Programm ist darauf ausgerichtet, den Grundschulzugang für Kinder ärmerer Familien zu fördern, indem es eine quartalsmäßige Beihilfe für jedes Kind von Ehsaas-Empfängern, das die Schule besucht, leistet. Buben erhalten in der Primarstufe 1.500 Rupien, in den Sekundarstufen 2.500 Rupien, Mädchen jeweils 500 Rupien mehr. Für die höheren Stufen erhöhen sich die Beihilfen. So erhielten 2021 nach offiziellen Angaben eine Million Schüler der Grundschule, 500.000 der Sekundarstufe und 225.000 Schüler der höheren Stufen diese Beihilfe (TET 19.7.2021).
Mit Abschluss der Entwicklung der nationalen sozio-ökonomischen Registrierung können nun Daten zu den sozialen Bedingungen erhoben und auf deren Grundlage die Förderungswürdigkeit bestimmt werden. Man kann auch selbstständig eine Registrierung beantragen, falls man nicht erfasst wurde (PASSD 1.2022). Die Erhebung der Bedürftigkeit und Anspruchsberechtigung geschieht über die Bürgerkarte der NADRA (PPI o.D.; vergleiche WFP 1.2.2022).
Die Geldtransferprogramme sind ein wichtiges Mittel zur Armutsreduktion, auch wenn ihre Nachhaltigkeit Fragen offen lässt. Das Ehsaas-Programm stellt eine bedeutende Ausdehnung des Benazir Bhutto Income Program dar, das auf ganz Pakistan angewendet wird. Es ist damit eine signifikante Erweiterung des Systems der sozialen Wohlfahrt, doch Verbesserungen in anderen Formen der Wohlfahrt blieben begrenzt (BS 25.2.2022).
Leistungen der Sozialversicherung, staatliche Altersversorgung
Mitarbeiter der Bundes- und Provinzregierungen, der Regierung von Azad Jammu & Kaschmir, der Streitkräfte und der halbstaatlichen / autonomen Einrichtungen sind rentenberechtigt (IOM 2021). Alle Staatsbediensteten erhalten damit bei Eintritt in den Ruhestand eine Pension, ebenso Mitarbeiter von Unternehmen, die bei der Employees' Old Age Benefits Institution registriert sind (ILO 2019). Im Pensionssystem sind Angestellte von Unternehmen mit mehr als fünf Personen erfasst. Pensionsberechtigt sind Männer ab 60 und Frauen ab 55 Jahren mit mindestens 15 Beitragsjahren (USSSA 3.2019). Das Rentensystem bietet den Versicherten oder ihren Hinterbliebenen folgende vier Arten von Leistungen: Altersrente oder gekürzte Rente, Hinterbliebenenrente, Invaliditätsrente und Altersbeihilfe, wenn ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Rente hat. Da nur Arbeitskräfte des formellen Sektors Anspruch auf Renten haben, kann nur ein kleiner Teil der Bevölkerung im fortgeschrittenen Alter die Vorteile des Rentensystems in Anspruch nehmen. Die ältere Bevölkerung, die im informellen Sektor arbeitet, bekommt diese Sozialversicherungsleistungen nicht (IOM 2021).
Einige Altersheime werden in den größeren Städten über das staatliche Pakistan Bait-ul-Maal bzw. die Departments für Soziale Wohlfahrt der Provinzen betrieben. Bedürftige ältere Personen gehören auch zu den Gruppen, die Anspruch auf Leistungen aus dem Zakat-System haben, doch im Allgemeinen ist das Sozialsystem für Ältere begrenzt (ILO 2019).
Pakistan hat auf Ebene der Provinzen Schemen einer Arbeitsunfallversicherung eingeführt. Die Abdeckung ist allerdings ebenfalls begrenzt, zum einen aufgrund der Struktur des Arbeitsmarktes mit einem hohen Anteil an Arbeitskräften in der informellen Wirtschaft, sowie zum anderen durch Anstellungspraktiken, die häufig eine Minderregistrierung oder keine Registrierung der Arbeiter aufweisen (ILO 1.9.2021).
In den Provinzen sind Employees’ Social Security Institutions (ESSIs) eingerichtet. Sie bieten Renten für die Familien von Arbeitnehmern, die bei Arbeitsunfällen ums Leben gekommen sind. Finanziert durch eine zusätzliche Abgabe von 6-7 Prozent der Lohnsumme, die vom Arbeitgeber gezahlt wird, bieten die ESSIs Mutterschafts- und Krankheitsleistungen, Leistungen bei Invalidität und Verletzungen. Einige Dienstleistungen für gering bezahlte Arbeitnehmer in Wirtschaftsunternehmen werden ebenfalls durch die ESSI angeboten. Der Workers’ Welfare Fund stellt Wohnkolonien für Arbeiter in Industriegebieten bereit und betreibt Fair-Price-Shops in Industriegebieten mit ermäßigten Preisen (ILO 2019).
Die bestehenden Sozialversicherungssysteme schließen die Beschäftigten in der informellen Wirtschaft aus, indem sie nur die Beschäftigten in der formellen Wirtschaft abdecken. Das DWCP (Decent Work Country Programme) (2016-22) soll die Herausforderung angehen, die bestehenden Sozialschutzsysteme zu erweitern und nachhaltiger zu gestalten. In Zusammenarbeit mit der ILO wurde eine Einheit innerhalb des Ehsaas-Programmes eingesetzt (Labour Social Protection Expert Group, Mazdoor ka Ehsaas), die an der Einbeziehung der Arbeitskräfte in der informellen Wirtschaft in das Sozialversicherungssystem arbeitet (ILO o.D.; vergleiche PASSD 7.2.2021). Pilotprojekte zur Gesundheitsversicherung der ärmeren Bevölkerung wurden in Khyber Pakhtunkhwa und Gilgit Baltistan mithilfe der German Development Bank (KfW) umgesetzt und auf ganz Pakistan ausgedehnt. Es ist damit eines der weltweit größten Gesundheitsversicherungsschemen für die ärmere Bevölkerung (OPM o.D.). Die Provinzregierung von Khyber Pakthunkhwa hat mit einem Projekt begonnen, das auf eine Gesundheitsversicherung für alle Einwohner der Provinz zielt (BS 25.2.2022).
Private Wohlfahrtsleistungen
Die Edhi Foundation ist die größte private Wohlfahrtstiftung Pakistans und eine der größten weltweit. Das Leistungsspektrum umfasst u.a. Fortbildungen für Arbeitslose, Hilfe für Obdachlose, Heime für Waisen, Behinderte, misshandelte Frauen und Senioren, Rettungswägen, kostenlose Versorgung in Krankenhäusern und Apotheken, Rehabilitation von Drogenabhängigen, kostenlose Heilbehelfe oder Hilfsmaßnahmen bei Naturkatastrophen (Edhi o.D.).
Die pakistanische Entwicklungshilfeorganisation National Rural Support Programme (NRSP) bietet Mikrofinanzierungen und andere soziale Leistungen zur Entwicklung der ländlichen Gebiete an. Sie ist in 70 Bezirken der vier Provinzen – inklusive Azad Jammu und Kaschmir – aktiv. NRSP arbeitet mit mehr als 3,4 Millionen armen Haushalten zusammen, welche ein Netzwerk von ca. 217.000 kommunalen Gemeinschaften bilden. Sie ist damit die größte Entwicklungshilfeorganisation für die ländliche Region in Pakistan (NRSP o.D.b).
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 22.03.2022
Der Gesundheitssektor des Landes ist gleichermaßen durch ein Stadt-Land-Gefälle in der Gesundheitsversorgung und ein Ungleichgewicht bei den Arbeitskräften im Gesundheitswesen gekennzeichnet. Es mangelt an medizinischen Fachkräften, Krankenschwestern, Sanitätern und qualifiziertem Gesundheitspersonal, insbesondere in den Randgebieten (TSOP 2020). Trotz einer ausgefeilten und umfangreichen Gesundheitsinfrastruktur leidet die Gesundheitsversorgung unter einigen zentralen Problemen wie dem hohen Bevölkerungswachstum, der ungleichen Verteilung der medizinischen Fachkräfte, dem Mangel an Arbeitskräften, der unzureichenden Finanzierung und dem begrenzten Zugang zu qualitativ hochwertigen Gesundheitsdiensten (WHO o.D.).
Insgesamt basiert das System der Gesundheitsversorgung in Pakistan auf zwei Hauptsäulen, zu denen öffentliche und private Gesundheitseinrichtungen gehören (IOM 30.3.2021; vergleiche WHO o.D.) - wobei in den privaten, anders als in den öffentlichen, entsprechende Kosten für die Behandlung anfallen (IOM 30.3.2021). Nach der Verfassung fällt das Gesundheitswesen in erster Linie in die Zuständigkeit der Provinzregierung, außer in den auf Bundesebene verwalteten Gebieten. Die Gesundheitsversorgung wird traditionell von der Bundes- und der Provinzregierung gemeinsam verwaltet, wobei die Distrikte hauptsächlich für die Umsetzung verantwortlich sind. Der Staat stellt die Gesundheitsversorgung über ein dreistufiges Gesundheitssystem und eine Reihe von Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit sicher. Die erste Ebene zur primären medizinischen Versorgung umfasst Stellen zur medizinischen Grundversorgung ("basic health units") und ländliche Gesundheitszentren ("rural health centers"). Notfall-, ambulante und stationäre Versorgung wird auf der sekundären Versorgungsebene durch Tehsil Headquarter Hospitals (THQs) und District Headquarter Hospitals (DHQs) angeboten, auf tertiärer Versorgungsebene auch durch Lehrkrankenhäuser (WHO o.D.).
Die Aktivitäten des öffentlichen Gesundheitswesens haben in Bezug auf die materielle Infrastruktur und das Personal stetig zugenommen. Die nationale Gesundheitsinfrastruktur umfasst 1.201 Krankenhäuser, 5.518 Stellen zur medizinischen Grundversorgung ("basic health units"), 683 Gesundheitszentren für den ländlichen Raum, 5.802 Apotheken ("dispensaries"), 731 Zentren für Mutterschaft und Kindergesundheit sowie 347 Tuberkulosezentren. Darüber hinaus bieten mehr als 95.000 Gesundheitshelferinnen in sogenannten "health houses" eine medizinische Grundversorgung an. Angesichts der wachsenden Bevölkerung versucht der private Sektor, die Lücke zwischen der steigenden Nachfrage und den begrenzten öffentlichen Gesundheitseinrichtungen zu schließen. Die Zahl der privaten Krankenhäuser, Kliniken und Diagnoselabors hat erheblich zugenommen. Sogenannte stand-alone clinics - meist von Einzelnen betrieben - sind die wichtigsten Anbieter ambulanter Gesundheitsversorgung (WHO o.D.).
In öffentlichen Krankenhäusern kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z. B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen (AA 28.9.2021). Das Ministerium für nationale Gesundheitsdienste, Regulierung und Koordination hat in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation und der Marie Stopes Gesellschaft Pakistan das "Sehat Sahulat Programm" ins Leben gerufen (WHO 31.8.2021; vergleiche Dawn 18.1.2022) - ein Pilotprojekt zur Krankenversicherung für ambulante Patienten im Hauptstadtgebiet von Islamabad (WHO 31.8.2021), wobei bis Ende 2021 das Programm ausgeweitet wird, sodass auch alle ständigen Einwohner des Hauptstadtgebiets von Islamabad (ICT), Punjab und Gilgit-Baltistan in den Genuss der Initiative kommen (TNI 12.11.2021). Im Rahmen des Pilotprojekts werden ambulante Leistungen der primären Gesundheitsversorgung durch Allgemeinmediziner unter Verwendung des Essential Package of Health Services erbracht, einschließlich Leistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der Familienplanung (WHO 31.8.2021). Die Initiative bietet der allgemeinen Bevölkerung aus unteren sozio-ökonomischen Schichten die Möglichkeit, ihre privaten Krankenhauskosten von der Regierung übernehmen zu lassen. Die "Sehat Insaaf Card" (auch Qaumi Sehat Card), ist für jeden erhältlich, der unterhalb der Armutsgrenze lebt (d. h., mit einem Einkommen von weniger als 2 US-Dollar (1,68 Euro) pro Tag. Die Karte ist ein Jahr gültig (IOM 30.3.2021; vergleiche Dawn 18.1.2022). Sie deckt die kostenlose Behandlung von fast allen wichtigen Krankheiten ab und bietet auch eine individuelle Finanzhilfe für Personen mit schweren Krankheiten/Behinderungen, Witwen und Invaliden mit unterhaltsberechtigten Kindern, Waisen, Studenten mit nachgewiesenen und beständigen akademischen Leistungen und mittellose Personen. COVID-19-Tests in ausgewiesenen Testeinrichtungen des öffentlichen Sektors werden kostenlos angeboten, in privaten Testeinrichtungen sind sie jedoch kostenpflichtig (IOM 30.3.2021). Im Rahmen des Programms erhalten die angemeldeten Familien kostenlosen Zugang zu Gesundheitsdiensten in zugelassenen Krankenhäusern - die Leistungen werden über Qaumi Sehat Cards erbracht und unterstützt Krankenhausaufenthalte und die Behandlung chronischer Krankheiten. Es handelt sich um ein bargeldloses Programm, bei dem die Begünstigten nur die Karte benötigen, um Leistungen in Anspruch zu nehmen. Bis Ende 2021 waren insgesamt 13,26 Millionen Familien eingeschrieben und mehr als 800.000 Begünstigte haben Leistungen von über 600 zugelassenen Krankenhäusern, einschließlich Privatkliniken, in ganz Pakistan in Anspruch genommen (Dawn 18.1.2022). Das Ministerium für Gesundheitsdienste meldete im Januar 2022, dass die Zahl der Krankenhäuser, die Teil des "Sehat Sahulat-Programms" sind, bis März 2022 auf 1.000 erhöht werden soll (DT 11.1.2022). Da Sindh und Belutschistan das Programm jedoch [Anm.: mit Stand Jänner 2022 noch] nicht übernommen haben, gilt eine große Zahl von Menschen, deren Eltern, in einigen Fällen auch Großeltern, in den 1960er Jahren nach Islamabad kamen, immer noch nicht als Einwohner in der Stadt, da ihre ständigen Adressen in Sindh und Belutschistan auf ihren CNICs (Computerised National Identity Card) eingetragen sind. Der Sprecher des Ministeriums für nationale Gesundheitsdienste (NHS), sagte, dass die Gesundheitskarten unter Berücksichtigung der auf den CNICs vermerkten ständigen Adressen ausgestellt würden, es jedoch für jene Personen die über Eigentum in Islamabad verfügen möglich sei, ihre ständige Adresse ändern zu lassen (Dawn 18.1.2022).
Die nicht-staatliche Entwicklungshilfeorganisation Aga Khan Development Network (AKDN) betreibt landesweit über 450 Kliniken, fünf weiterführende Krankenhäuser in Karatschi, Hyderabad und Gilgit sowie das Aga Khan University Hospital in Karatschi. Darüber hinaus arbeitet die Aga Khan Foundation mit lokalen Regierungen zusammen, um eine Reihe von gesundheitsbezogenen Initiativen zu unterstützen, die den Zugang zur medizinischen Grundversorgung verbessern sollen (AKDN o.D.). Einige staatliche/halbstaatliche Organisationen wie die Streitkräfte, halbstaatliche Unternehmen wie Sui Gas, WAPDA, die Eisenbahn, die Fauji Foundation und die Employees Social Security Institution, bieten ihren Mitarbeitern und deren Angehörigen Gesundheitsdienste über ihr eigenes System an, die jedoch insgesamt nur etwa 10 % der Bevölkerung abdecken (WHO o.D.).
In der Stadt Quetta in der Provinz Belutschistan hat die Polizei im November 2021 19 Ärzte festgenommen, weil sie eine Verbesserung der Bedingungen in den öffentlichen Krankenhäusern, Medikamente für die Patienten und moderne medizinische Ausrüstung und die Sicherheit von Ärzten und paramedizinischem Personal gefordert hatten (Dawn 29.11.2021).
Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt. Hierfür muss in Pakistan nur ein Bruchteil der in Deutschland anfallenden Kosten aufgewendet werden, sodass sie für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich ist (AA 28.9.2021).
Psychische Gesundheitsprobleme sind in Pakistan ein Tabuthema, über das man nicht spricht. Dies wirkt sich ungünstig auf die Qualität der Versorgung von Menschen aus, die an psychischen Krankheiten leiden. Scham aufgrund von psychischen Problemen sowie Vorurteile gegenüber Patienten und Familien halten Menschen davon ab, psychologische Hilfe und psychiatrische Versorgung in Anspruch zu nehmen. Zudem genießt die psychische Gesundheit keine hohe Priorität. Außerdem ist es durchaus üblich, sich bei körperlichen oder psychischen Erkrankungen an spirituelle oder traditionelle Heiler zu wenden, da die Menschen psychische Erkrankungen in der Regel als Folge übernatürlicher Einflüsse wahrnehmen. So genannte Glaubensheiler sind in Pakistan eine wichtige Quelle für die Versorgung von Menschen mit psychischen Problemen, insbesondere für Frauen und Menschen mit geringer Bildung (TSOP 2020).
In Pakistan sind etwa 400 qualifizierte Psychiater tätig. Die meisten Psychiater gibt es in Städten, obwohl im ganzen Land auch Stellen für Bezirkspsychiater geschaffen wurden. Der Mental Health Atlas 2017 der WHO berichtet, dass es nur vier große psychiatrische Krankenhäuser im Land gibt, mit 344 stationären Einrichtungen und 654 psychiatrischen Einheiten in allgemeinen Krankenhäusern (TSOP 2020). Der Mangel an Psychiatern in peripheren Regionen sowie die Kosten der Behandlung sind für durchschnittliche Menschen unleistbar (Dawn 13.5.2019; vergleiche Dawn 31.12.2020). Abseits davon ist beispielsweise die Telefonseelsorge Talk2Me kostenlos und rund um die Uhr erreichbar und führt 75-90 psychologische Beratungen pro Woche durch (Dawn 13.5.2019).
Anmerkung, Weitere Informationen zur Lage betreffend Covid-19 sind dem Kapitel "Covid-19" zu entnehmen.
Rückkehr
Letzte Änderung: 22.03.2022
Die Rückführung von pakistanischen Staatsangehörigen ist nur mit gültigem pakistanischen Reisepass oder mit einem von einer pakistanischen Auslandsvertretung ausgestellten nationalen Ersatzdokument möglich, nicht aber mit europäischen Passersatzdokumenten (AA 28.9.2021). Für pakistanische Staatsangehörige gibt es keine Einreisebeschränkungen, wenn sie freiwillig zurückkehren wollen (IOM 30.3.2021). In den meisten Fällen geschieht die Ausreise mit gültigen Reisepapieren. Freiwillige Rückkehrer mit gültigen Reisedokumenten werden von den Grenzbehörden wie alle anderen Pakistani, die aus dem Ausland einreisen, behandelt. Zwangsweise Rückgeführte erregen mehr Aufmerksamkeit und wenn vermutet wird, dass die Ausreise illegal war, werden sie von den Grenzbehörden befragt. Wenn keine Vorwürfe vorliegen, wird die Person normalerweise nach einigen Stunden entlassen (DFAT 25.1.2022).
Zurückgeführte haben bei ihrer Rückkehr nach Pakistan allein wegen der Stellung eines Asylantrags weder mit staatlichen Repressalien noch mit gesellschaftlicher Stigmatisierung zu rechnen. Eine über eine Befragung hinausgehende besondere Behandlung Zurückgeführter ist nicht festzustellen. Die pakistanischen Behörden erfragen lediglich, ob die Rückkehrer Pakistan auf legalem Weg verlassen haben. Im Falle einer illegalen Ausreise ist grundsätzlich eine Geld- oder Haftstrafe, bis zu sechs Monate, möglich (AA 28.9.2021). Unter gewissen Voraussetzungen verstoßen Pakistani nämlich mit ihrer Ausreise gegen die Emigration Ordinance (1979) oder gegen den Passport Act, 1974. Laut Auskunft der International Organization for Migration IOM werden Rückkehrende aber selbst bei Verstößen gegen die genannten Rechtsvorschriften im Regelfall nicht strafrechtlich verfolgt. Es sind vereinzelte Fälle an den Flughäfen Islamabad, Karatschi und Lahore bekannt, bei denen von den Betroffenen bei der Wiedereinreise Schmiergelder in geringer Höhe verlangt wurden. Rückkehrende, die nicht über genügend finanzielle Mittel verfügen, um Schmiergelder zu zahlen, wurden in einigen Fällen inhaftiert (ÖB 12.2020). Nach einem anderen Bericht werden Personen, die illegal ausgereist sind, in Haft genommen und normalerweise nach einigen Tagen bei Bezahlung einer Strafe entlassen. Personen, die aufgrund eines Verbrechens in Pakistan gesucht werden oder im Ausland eine schwere Straftat begangen haben, werden verhaftet oder müssen sich regelmäßig bei der Polizei melden (DFAT 25.1.2022). Dem deutschen Auswärtigen Amt ist kein Fall bekannt, in dem aus Deutschland abgeschobene pakistanische Staatsangehörige inhaftiert wurden. Aus Ländern wie der Türkei und aus den Staaten der Europäischen Union finden regelmäßig Abschiebungen nach Pakistan statt (AA 29.8.2021).
Personen, die nach Pakistan zurückkehren, erhalten keinerlei staatliche Wiedereingliederungshilfen oder sonstige Sozialleistungen. EU-Projekte, wie z.B. das European Return and Reintegration Network (ERRIN), sollen hier Unterstützung leisten (AA 28.9.2021). Derzeit gibt es keine von IOM Österreich durchgeführten Reintegrationsprojekte in Pakistan. Allerdings können freiwillige Rückkehrer aus Österreich nach Pakistan durch das ERRIN-Projekt unterstützt werden. Dieses wird von einer NGO in Pakistan durchgeführt und bietet freiwillig und zwangsweise rückgeführten Personen Wiedereingliederungshilfe an, abhängig von ihrer Berechtigung, die von dem jeweiligen europäischen Land festgelegt wird. Einige Organisationen helfen bei der Gründung von Kleinunternehmen, indem sie finanzielle Unterstützung für Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, in Form von Krediten oder Mikrokrediten unterstützen, z. B. die KASHF-Stiftung oder die Jinnah Welfare Society (IOM 30.3.2021).
Dokumente
Letzte Änderung: 22.03.2022
Für eine Beschreibung der wichtigsten Arten der Identitätsnachweise sowie der Registrierungsprozesse siehe Kapitel Registrierungswesen
Dokumentenfälschungen sind in Pakistan ein weitverbreitetes Phänomen, v. a. von manuell angefertigten Dokumenten. Um gefälschte Dokumente zu erlangen, werden meist Bestechungsgelder bezahlt und/oder politischer Einfluss bzw. Kontakte von Familie und Freunden genutzt. Manche Dokumente sind sogar online oder in Märkten erhältlich. Folgende Dokumente werden regelmäßig gefälscht: Zeugnisse, akademische Titel, Empfehlungsschreiben, Geburts-, Todes-, Heirats- und Scheidungsurkunden, finanzielle Belege/Bestätigungen bzw. Kontoauszüge, Besitzurkunden, polizeiliche Dokumente (u. a. First Information Reports / FIRs), Einreise- und Ausreisestempel in Reisepässen sowie ausländische Visa. Überprüfungen treffen auf Herausforderungen. Vielfach sind Dokumente zwar nicht komplett gefälscht, aber wurden nicht ganz richtig ausgestellt; von verspäteten Eintragungen oder Änderungen sollte z.B. von den Behörden eine Kopie gemacht werden, was nicht immer der Fall ist. In manchen Städten (insbesondere in Gujranwala, Gujrat und Sialkot) kennen die zuständigen Beamten die zu überprüfenden Personen und nehmen Bestechungsgelder an. Darüber hinaus werden mitunter auch vermeintlich echte und in die Register eingetragene Urkunden ausgestellt, die jedoch inhaltlich nicht oder nur zum Teil richtig sind (z. B. Heiratsurkunden) (ÖB 12.2020).
Die Zahl der vorgelegten inhaltlich ge- oder verfälschten antragsbegründenden Unterlagen ist sehr hoch. Angesichts weitverbreiteter Korruption und des unzureichenden Zustands des Zivilstandswesens ist es einfach, einen fiktiven Standesfall (Geburt, Tod, Eheschließung) in ein echtes Personenstandsregister eintragen zu lassen und auf Basis dieser Eintragung eine formal echte Urkunde ausgestellt zu bekommen. Ebenso leicht lassen sich Verfälschungen einzelner Fakten tatsächlicher Personenstandsfälle (z. B. Geburtsdatum) in den Personenstandsregistern erreichen, um damit echte standesamtliche Urkunden zu erhalten, deren Inhalt der tatsächlichen Faktenlage nur teils entspricht. Merkmale auf einigen modernen Personenstandsurkunden zur Erhöhung der Fälschungssicherheit können so mühelos unterlaufen werden. Die Passbehörden haben mit dem Aufbau eines zentralen Passregisters unter Erfassung einzelner Biometrie-Merkmale und der Einführung fälschungssicherer Reisepässe die Fälschung von Pässen theoretisch deutlich erschwert. Die eingebauten Sicherheitssysteme versagen allerdings, da sie bereits bei der Dateneingabe durch korruptionsanfällige Verwaltungsbeamte unterlaufen werden können. Im Übrigen zirkulieren aufgrund der Urkundenproblematik zahlreiche echte Identitätsdokumente falschen Inhalts (AA 28.9.2021).
Es ist in Pakistan problemlos möglich, ein (Schein-)Strafverfahren gegen sich selbst in Gang zu bringen, in dem die vorgelegten Unterlagen (z. B. FIR) dann formal echt sind. Ebenso ist es ohne große Anstrengungen möglich, Zeitungsartikel, in denen eine Verfolgungssituation geschildert wird, gegen Bezahlung oder dank Beziehungen veröffentlichen zu lassen. Auch ist es möglich, religiöse Fatwen gegen sich selbst fälschen oder erstellen zu lassen (AA 28.9.2021).
Die Kurzinformation der Staatendokumentation „PAKISTAN, Bilanz der Monsun Flut, 11.10.2022“ besagt, dass diese weitgehend abgeklungen ist und sich weitgehend wieder der Normalzustand von vor der Flut eingestellt hat.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG. Auf Grundlage des gegenständlich erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (insofern eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat), der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt.
Die Protokolle im Rahmen der Erstbefragung, dem Verfahren vor dem BFA (in der Folge kurz „Niederschrift“ bezeichnet) sowie der Verhandlung vor dem BVwG (in der Folge kurz „Verhandlungsprotokoll“ bezeichnet) wurden vom BF durch seine Unterschrift hinsichtlich ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit bestätigt.
Die Feststellungen zum Auftreten des BF in der Beschwerdeverhandlung ergeben sich aus der persönlichen Wahrnehmung des erkennenden Richters.
2.1. Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
● Einsicht in die den Beschwerdeführer betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakte des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle und die im Administrativverfahren vorgelegten Unterlagen
● Einsicht in die dem Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat
● Einsicht in die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens bzw. in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen
● Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem
2.2. Zu den Feststellungen zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
2.2.1. Die Feststellungen zum Namen und Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des BF getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person des BF im Asylverfahren, da seine Identität – mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente oder anderer relevanter Bescheinigungsmittel – nicht abschließend geklärt werden konnte.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit vergleiche Erstbefragung, Seite 1), stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG sowie auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Punjabi vergleiche Verhandlungsprotokoll, Seite 1f bzw. Erstbefragung, Seite 1 und Niederschrift, Seite 1).
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus seinen Angaben im gesamten Verfahren vergleiche Verhandlungsprotokoll, Seite 2). Es bestehen daher auch keine Zweifel an der Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit des BF. Darüber hinaus waren gesundheitliche Beeinträchtigungen des BF im Zuge der mündlichen Verhandlung nicht erkennbar. Aktuell benötigt der BF auch keine medizinische Behandlung. Auch sonstige Gesundheitsbehandlungen sind nicht erforderlich und wurden in letzter Zeit auch nicht in Anspruch genommen.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zur Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen bzw. richtiggestellten und sich mit den Länderberichten zu Pakistan deckenden - Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburtsort, seinem Lebenslauf und seinen Familienangehörigen waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei und vor dem Hintergrund der bestehenden sozioökonomischen Strukturen in Pakistan plausibel.
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des BFA sowie den Verfahrensakten des Bundesverwaltungsgerichts.
Der BF lässt bei der Schilderung seines Nachfluchtgrundes eine lineare Handlung und ein nachvollziehbares Bild der von ihm erlebten Geschehnisse erkennen. Weiters sind auch die Angaben des BF vor dem Hintergrund der Verhältnisse in Pakistan plausibel und nachvollziehbar. Es wird nicht verkannt, dass der BF im ersten Asylverfahren unterschiedliche Angaben zu seinem Fluchtgrund gemacht hat, jedoch sind diese insbesondere aufgrund der höchstgerichtlichen Judikatur und des vermittelten Eindrucks des BF unbeachtlich, zumal in der mündlichen Verhandlung seitens des BF glaubhaft dargelegt werden konnte, dass dieser homosexuell ist.
Wesentlich bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des BF war zudem auch der Umstand, dass er sein Fluchtvorbringen umfangreich, schlüssig und detailliert schildern konnte. Das Fluchtvorbringen war in sich stimmig und wies - abgesehen von kleinen Details - keine Widersprüche auf, sodass das Bundesverwaltungsgericht dieses - vor allem auch aufgrund des vom Beschwerdeführer in der öffentlichen mündlichen Verhandlung gewonnen persönlichen Eindrucks - als glaubwürdig erachtet.
2.2.2. Indem das BVwG im angefochtenen Erkenntnis im Folgeverfahren im Rahmen der Beweiswürdigung festhielt, dass die Homosexualität schon vor der Rechtskraft des Erstverfahrens vorgelegen sei und dieses Vorbringen bestenfalls einem Wiederaufnahmeverfahren nach Paragraph 32, VwGVG zugänglich sei, hielt der VwGH fest, dass diesem Begründungsmangel in diesem Erkenntnis im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zur Zurückweisung von Folgeanträgen wegen entschiedener Sache auch Relevanz zukomme. Der Verwaltungsgerichtshof habe sich - nach Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union vergleiche das schon erwähnte Urteil EuGH 9.9.2021, römisch 40 ) - in seinem Erkenntnis vom 19.10.2021, römisch 40 , des Näheren mit der Vereinbarkeit der asylrechtliche Folgeanträge betreffenden Rechtslage mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) befasst. Ein Folgeantrag auf internationalen Schutz dürfe nicht allein deswegen wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden, weil der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt von der Rechtskraft einer früheren Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz erfasst sei, ohne dass die Prüfung im Sinn des Artikel 40, Absatz 2 und Absatz 3, Verfahrensrichtlinie vorgenommen worden wäre, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden wären, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen würden, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen wäre“.
Im vorliegenden Fall habe sich der Revisionswerber zur Begründung seines zweiten Antrages auf internationalen Schutz auf Umstände berufen, die dem BFA und dem BVwG im Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz noch nicht bekannt waren und daher in diesem Verfahren auch nicht im Hinblick auf die Zuerkennung eines Schutzstatus geprüft worden wären. Der Revisionswerber habe damit neue Elemente vorgebracht, die seinem Vorbringen nach auf Grund der Situation im Herkunftsstaat infolge des dort gepflogenen Umgangs mit homosexuellen Personen zu einer asylrelevanten Verfolgung des Revisionswerbers führen und damit die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten rechtfertigen würden.
Daher dürfte der Folgeantrag des Revisionswerbers nach der zuvor dargestellten Rechtsprechung vom BVwG nicht schon deshalb wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden, weil das Vorbringen betreffend die vorgebrachte Homosexualität des Revisionswerbers von der Rechtskraft der Entscheidung im ersten Asylverfahren erfasst sei, ohne dass eine Prüfung im Sinn des Artikel 40, Absatz 2 und 3 Verfahrensrichtlinie in der zuvor dargestellten Weise vorgenommen wurde vergleiche erneut VwGH Ra 2020/19/0412). Deshalb erweise sich die Begründung des BVwG, selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens des Revisionswerbers handle es sich dabei um Umstände, die bereits im Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz bestanden hätten und die aus diesem Grund einen neuen Antrag auf internationalen Schutz nicht begründen könnten, somit ebenfalls nicht als tragfähig.
In der mündlichen Verhandlung schilderte der BF glaubwürdig, dass er seine Homosexualität auslebt. Er gab ebenso glaubhaft an, dass er in der homosexuellen Szene an seinem Wohnort aktiv ist und er mit zahlreichen Männern gleichgeschlechtlichen sexuellen Kontakt hatte. Auch meinte er, dass es schwer für ihn sei, eine langfristige Beziehung eingehen können, weil seine Zähne als nicht schön erachtet werden würden. Er würde sich aber dennoch nach einer langfristigen Beziehung sehnen. Diese sehr lebensnahen Angaben des BF sprechen in diesem Zusammenhang für die Glaubwürdigkeit der Angaben in Bezug auf seine Homosexualität.
Dadurch ist festzuhalten gewesen, dass der BF offen homosexuell ist und er diese auch offen auslebt, selbst wenn er in keiner aufrechten Beziehung lebt. Darauf aufbauend gab der BF auch glaubwürdig an, dass er nicht gewillt sei, seine Homosexualität in Pakistan im Falle einer Rückkehr nach Pakistan nicht mehr auszuleben bzw. könne und wolle er dies nicht mehr verbergen.
Aus den Länderberichten ergibt sich, was auch schon das BFA in seiner Entscheidung erwähnt hat, dass Homosexualität im Heimatland des BF verpönt ist und sich offen bekennende Homosexuelle im Sinne der Flüchtlingskonvention verfolgt und bedroht werden. Diese Situation ist landesweit, eine inländische Fluchtalternative stehe daher nicht zur Verfügung. Dem BF sei daher internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Asylgesetz zu gewähren.
Nach Durchführung der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.01.2023 waren die Feststellungen zur glaubhaft bestehenden Homosexualität des Beschwerdeführers als gegeben anzunehmen.
Der Beschwerdeführer erstattete in der mündlichen Verhandlung insgesamt ein widerspruchsfreies und konsistentes Vorbringen, dass auch im Einklang mit seinen bisherigen Angaben im Folgeverfahren vor dem BFA und dem Verwaltungsgericht steht.
Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher vor diesem Hintergrund der hier getroffenen höchstgerichtlichen Ausführungen, aber auch aufgrund des persönlich erlangten Eindrucks in der mündlichen Verhandlung, der die Angaben des BF zu seiner Homosexualität eindeutig bestätigt, zu der Überzeugung, dass jedenfalls das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner homosexuellen Orientierung glaubhaft ist, weshalb den darüber hinausgehenden Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA keine entscheidungswesentliche Bedeutung mehr zukommt, da nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof ein asylerhebliches glaubhaftes Vorbringen auch trotz eines – möglicherweise – zum Teil oder neben einem zum Teil unglaubhaften Vorbringen bestehen kann vergleiche bspw. VwGH, 02.09.2015, Ra 2015/19/0091: hier zu einer glaubhaften Konversion in Österreich trotz unglaubhaftem Vorbringen zum ursprünglichen Ausreisegrund).
Sein Fluchtvorbringen war in einer Gesamtschau seiner Angaben im Folgeverfahren vor dem BFA und im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung als durchwegs linear zu erkennen; es wies keine Lücken auf und waren auch die geschilderten Nebenumstände im Kontext der Vorfälle gleichbleibend und nachvollziehbar.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Daher konnten diese Feststellungen zur Situation in Pakistan zugrunde gelegt werden.
Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung wurde dem Beschwerdeführer die Bedeutung dieser Berichte und deren Zustandekommen zur Kenntnis gebracht und erklärt sowie insbesondere darauf hingewiesen, dass auf Basis dieser Berichte die Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen werden. Weder seitens des Beschwerdeführers noch seitens seiner Rechtsvertretung wurden im Verfahren substantiierte Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Zweifel haben aufkommen lassen, womit die vorliegenden Berichte den Feststellungen zur Situation in Pakistan zugrunde gelegt werden konnten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß Paragraph 6, BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, 33 aus 2013, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 122 aus 2013,, (VwGVG) geregelt (Paragraph eins, leg.cit.).
Paragraph eins, BFA-VG, BGBl römisch eins 2012/87 in der Fassung BGBL römisch eins 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Gemäß Paragraph 3, BFA-G, Bundesgesetzblatt Teil eins, 87 aus 2012, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 70 aus 2015,, obliegt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vollziehung des BFA-VG (Ziffer eins,), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), Bundesgesetzblatt römisch eins Nr. 100 (Ziffer 2,), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), Bundesgesetzblatt römisch eins Nr. 100 (Ziffer 3,) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, Bundesgesetzblatt römisch eins Nr. 100 (Ziffer 4,).
Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß Paragraph 28, Absatz eins, VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Absatz 2, leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zur Zurückweisung von Folgeanträgen wegen entschiedener Sache, hat sich der Verwaltungsgerichtshof - nach Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union vergleiche das schon erwähnte Urteil EuGH 9.9.2021, römisch 40 ) - in seinem Erkenntnis vom 19.10.2021, römisch 40 , des Näheren mit der Vereinbarkeit der asylrechtliche Folgeanträge betreffenden Rechtslage mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) befasst. Ein Folgeantrag auf internationalen Schutz dürfe nicht allein deswegen wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden, weil der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt von der Rechtskraft einer früheren Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz erfasst sei, ohne dass die Prüfung im Sinn des Artikel 40, Absatz 2 und Absatz 3, Verfahrensrichtlinie vorgenommen worden wäre, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden wären, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen würden, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen wäre“.
Aufgrund dessen war nach der Behebung des Erkenntnisses der BVwG vom 13.11.2019, Zl. römisch 40 , in dieser Rechtsache auch inhaltlich zu entscheiden.
Zu A)
3.1 Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde vergleiche VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr vergleiche VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vergleiche VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann vergleiche VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind vergleiche VwGH vom 26.02.1997, Zl. 95/01/0454; vom 09.04.1997, Zl. 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse vergleiche VwGH vom 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0097), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können jedoch im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein vergleiche VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn ein/e Beschwerdeführer/in die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diese/n trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er/sie hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine/ihre Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG Paragraph 45, Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus vergleiche VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vergleiche VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 m.w.N.).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat vergleiche VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law, 2. Auflage [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 20.9.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert wird. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen vergleiche VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird vergleiche VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).
Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0370; VwGH 22.10.2002, 2000/01/0322).
Zur Frage der Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe hat der VwGH ausgesprochen:
„Bei der [...] Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe‘ handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen ‚Rasse, Religion und Nationalität‘ überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese (Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law römisch eins, 1966, Seite 219; Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999) RZ 406). Kälin (Grundriss des Asylverfahrens, 1990, Seite 96 f) versteht unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe eine – nicht sachlich gerechtfertigte – Repression, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten.“ (VwGH 20.10.1999, 99/01/0197).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503 und 98/01/0648).
Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße – möglicherweise vorübergehende – Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände im Sinne des Artikel eins, Abschnitt C Ziffer 5, GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, 98/20/0399; VwGH 03.05.2000, 99/01/0359).
3.2 Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist:
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Zwar kommt nach der ständigen Judikatur des VwGH einer von Privatpersonen oder privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz nur dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten vergleiche etwa VwGH 21.04.2011, 2011/01/0100, mwN). Eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat hingegen nur dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren vergleiche etwa VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059, mwN).
Laut dem festgestellten Sachverhalt ist der Beschwerdeführer homosexuell und er lebt seine sexuelle Orientierung auch offen aus. In Pakistan werden laut den Länderfeststellungen neben dem strafrechtlichen Verbot von Homosexualität nach Artikel 377, PPC homosexuelle Handlungen nach dem 1990 eingeführten Scharia-Gesetz mit bis zu 100 Peitschenhieben oder mit Tod durch Steinigung bestraft. Die Tatsache, dass Artikel 377, PPC homosexuelle Handlungen in Pakistan mit einer Freiheitsstrafe von zwei bis zehn Jahren bzw. gar lebenslanger Haft bedroht, führt zwar nach der zuvor zitierten Judikatur des EuGHs für sich genommen noch nicht zum Vorliegen einer relevanten Verfolgungshandlung. Allerdings ist festzustellen, dass laut den Länderfeststellungen die gesetzlich in Artikel 377, PPC angedrohte Freiheitsstrafe für homosexuelle Handlungen in Pakistan – wenngleich selten – so doch auch tatsächlich verhängt wird, wobei sich der Umstand, dass allgemein in Pakistan selten Strafverfahren und Verurteilungen gegen Homosexuelle wegen einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs bekannt werden, damit erklärt wird, dass Homosexuelle in Pakistan aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen und der weit verbreiteten Vorbehalte in der Bevölkerung ihre sexuelle Orientierung verbergen. Nach übereinstimmender Auskunftslage wird Homosexualität in Pakistan nur so lange toleriert, wie die sexuelle Orientierung geheim bzw. unsichtbar bleibt. Ein offenes Bekenntnis zur Homosexualität ist gesellschaftlich inakzeptabel und führt einerseits zur Ausgrenzung durch die pakistanische Gesellschaft und oft auch durch die Familie sowie andererseits auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu entsprechender Strafverfolgung. Die betroffene Person ist dann dabei häufig Einschüchterungen, Bedrohungen oder gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt.
Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 25.02.2020, E 4490/2019, ausgesprochen, dass wenn der EuGH und ihm folgend der VfGH davon ausgehen, dass "von Personen mit homosexueller Orientierung nicht erwartet werden [dürfe], dass sie ihre Homosexualität in ihrem Herkunftsland geheim halten oder Zurückhaltung beim Leben ihrer sexuellen Ausrichtung ('l'expression de son orientation sexuelle') üben, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden" (VfSlg 20170/2017 unter Verweis auf EuGH 07.11.2013, verbRs C-199-201/12, römisch zehn ua, und, im vorliegenden Verfahren, VfGH 11.06.2019, E291/2019), wird unmittelbar einsichtig und offenkundig darauf abgestellt, dass es Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung ohne daraus resultierender Gefahr einer Verfolgung iSd §3 Abs1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art1 Abschnitt A Z2 GFK möglich sein muss, auch in der Öffentlichkeit zu ihrer geschlechtlichen Orientierung zu stehen und sich zu entsprechenden Beziehungen zu bekennen. Damit soll das einschlägige Diskriminierungsverbot sicherstellen, dass Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung insbesondere in Gesellschaften, in denen heterosexuelle Beziehungen als gesellschaftliche Norm gesehen werden, homosexuell orientierte Menschen im Hinblick auf dieses für die Anerkennung ihrer Identität so bedeutsamen Merkmals heterosexuell orientierten in der öffentlichen Anerkennung gleichgestellt und in diesem Sinn nicht gezwungen werden, ihre sexuelle Orientierung geheim halten zu müssen (es genügt, dafür auf die genannten Entscheidungen des EuGH und des VfGH zu verweisen, VfGH 25.02.2020, E 4470/2019).
Nach der Judikatur des EuGHs und des VfGH kann auch nicht erwartet werden, dass der Beschwerdeführer seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.
Es ist daher unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles objektiv nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer aus Furcht vor ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen, und zwar aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgten sozialen Gruppe, nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes seines Herkunftsstaates zu bedienen, zumal auch eine inländische Ausweichmöglichkeit – die pakistanische Regierung übt ihre Macht über alle Landesteile aus und Homosexualität wird in ganz Pakistan nicht toleriert – nicht vorhanden ist.
3.3 Im vorliegenden Fall sind somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gegeben. Da auch keiner der in Artikel eins, Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe (Paragraph 6, AsylG 2005) vorliegt, war dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.
Der BF ist zwar strafgerichtlich viermal verurteilt worden. Jedoch konnte an diesen Verurteilungen zu bedingten Freiheitsstrafen bzw. Geldstrafen keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch den BF, aufgrund der Begehung schweigender krimineller Handlungen, gesehen werden.
Gemäß Paragraph 6, Absatz eins, AsylG 2005 ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn und solange er Schutz gemäß Artikel eins, Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt (Ziffer eins,), einer der in Artikel eins, Abschnitt F GFK genannten Ausschlussgründe vorliegt (Ziffer 2,), aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt (Ziffer 3,), oder er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht (Ziffer 4,).
Ein besonderes öffentliches Interesse an einer aufenthaltsbeenden Maßnahme gegen die BF im Sinne der Rechtsordnung kann daher im vorliegenden Fall nicht erblickt werden. Auch liegen schwerwiegende Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts gegenständlich nicht vor.
3.4 Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.5 Da der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, kommt dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 3, Absatz 4, AsylG damit eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu (Paragraph 75, Absatz 24, AsylG 2005).
3.6. Der Beschwerde war daher stattzugeben, dem BF gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß Paragraph 3, Absatz 5, leg. cit. festzustellen, dass dem BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Aufgrund der Zuerkennung von Asyl (Spruchpunkt römisch eins.) sind etwaige sonstige noch offene Spruchpunkte gegenstandslos geworden. Der Vollständigkeit halber ist diesbezüglich festzuhalten, dass diese seitens des BVwG mit Beschluss vom 27.04.2020, römisch 40 , der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte römisch II. bis römisch VIII. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 21, Absatz 3, zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid insoweit behoben wurde.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
ECLI:AT:BVWG:2023:W177.2164996.4.00