Bundesverwaltungsgericht
20.10.2022
W272 2215542-1
W272 2215542-1/27E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde der römisch 40 , geboren am römisch 40 , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Iran, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2018, Zahl: römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.07.2022, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (in Folge BF), eine iranische Staatsangehörige, reiste im Jänner 2016 mit dem Flugzeug, schlepperunterstützt mit einem iranischen Reisepass von Iran-Teheran nach Österreich und stellte am 03.02.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Am nächsten Tag wurde die BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu ihren Fluchtgründen gab sie im Wesentlichen an, dass ihr Verlobter bereits vor ca. 12-13 Jahren nach Österreich gereist sei und vor ca. zwei Jahren sei mit einer Vollmacht ihres damaligen Verlobten ihre Ehe geschlossen worden. Daraufhin habe sie ihrem Mann nach Österreich folgen wollen, aber dies sei von ihrer Familie verhindert worden, weil ihr Ehemann in Österreich zum Christentum konvertiert sei. Die BF habe bei ihrer Schwiegerfamilie um Hilfe gebeten und diese habe ihre illegale Einreise nach Österreich organisiert. Im Falle ihrer Rückkehr befürchte sie von ihrer Familie schlecht behandelt zu werden, sie sei gefährdet, weil sie ohne die Erlaubnis ihrer Familie ausgereist sei und Christin werden will.
2. Am römisch 40 wurde die gemeinsame Tochter römisch 40 der BF und ihres Ehemannes in Österreich geboren. Der Ehemann der BF stellte am 16.02.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz für die gemeinsame in Österreich nachgeborene Tochter. Eigene Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen für die Tochter wurden nicht vorgebracht.
3. Am 17.05.2018 wurde die BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie zusammengefasst an, dass ihre Eltern sie unter Druck gesetzt haben, als sie erfahren haben, dass ihr Ehemann Christ sei. Ihre Eltern haben gewollt, dass sie sich scheiden lassen soll und sei in Folge von ihren Eltern von zuhause rausgeschmissen worden. Ihre Schwiegereltern haben der BF dann geholfen nach Österreich zu ihrem Mann zu kommen. Sie habe zwar keine Probleme mit dem iranischen Staat, aber habe Probleme mit ihrer Familie, diese sei streng religiös und akzeptiere ihren Mann nicht. In Österreich möchte sie die Uni beenden und danach arbeiten sowie die Sprache lernen.
Im Zuge der Einvernahme legte die BF ihren iranischen Personalausweis, ihre Heiratsurkunde und Strafregister Iran in Kopie, samt Übersetzung und ein Konvolut an iranischen Schul- und Universitätszeugnisse sowie Integrationsunterlagen vor.
4. Mit Bescheid vom 29.06.2018 (zugestellt am 04.07.2018) wies das Bundesamt den Antrag der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) ab und erkannte der BF den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.). Es erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 29.06.2019 (Spruchpunkte römisch III.). Begründend führte das Bundesamt aus, dass es nicht festgestellt werden konnte, dass die BF in Iran einer begründeten Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei oder gegenwärtig sei. Die BF habe ausschließlich Probleme mit ihren Eltern vorgebracht, weil ihr Mann, welcher in Österreich lebe zum Christentum konvertiert sei. Diese Probleme finden jedoch keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention. Sie habe den Iran verlassen, um gemeinsam mit ihrem Mann in Österreich zu leben, lebe nunmehr mit ihm und einer gemeinsamen Tochter in einem Haushalt und sei die BF hier in Österreich ohne Religion. Sie sei niemals in Iran von staatlicher Seite verfolgt oder bedroht worden. Jedoch sei die BF mit einem anerkannten Flüchtling in Österreich verheiratet und haben eine gemeinsame Tochter, welche im Februar 2018 geboren worden sei. Es überwiege daher das Familienlebgen gemäß Artikel 8, EMRK, bezüglich Aufrechterhaltung des Familienlebens und erkannte das Bundesamt der BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu.
Der Tochter der BF wurde mit Bescheid vom 29.06.2018 im Rahmen eines Familienverfahrens abgeleitet vom asylberechtigten Vater der Status der Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
5. Mit Schriftsatz vom 19.09.2018 (eingebracht am 20.09.2018) stellte die BF einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß Paragraph 71, AVG und erhob gleichzeitig Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 29.06.2018, falls der Wiedereinsetzung stattgegeben wird. Begründend führte die BF zusammengefasst aus, dass sie verabsäumt habe fristgerecht Beschwerde zu erheben, weil ihr Ehemann plötzlich an Herzstillstand verstorben sei und sie danach über Wochen im Schockzustand gewesen sei. Die BF sei plötzlich mit einem 5 Monate alten Kind auf sich allein gestellt gewesen und habe dringende persönliche mit dem Todesfall zusammenhängende Schriftsachen zu erledigen. Ihr habe unter Berücksichtigung der mit einem solchen Todesfall verbundenen seelischen Belastung, nicht zugemutet werden können, die nötigsten Anordnungen zu treffen, um rechtzeitig Beschwerde zu erheben. Dieses unvorhergesehene Ereignis sei kausal für die Versäumung der Beschwerdefrist gewesen. Die Beschwerde begründete sie in Folge damit, dass die BF nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren könne ohne diskriminiert zu werden, was sie zu einem Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention mache. Die BF habe sich im Jahr 2003 verlobt, ihr zukünftiger Ehemann sei nach Österreich geflohen und habe im Bundesgebiet den Asylstatus erhalten. Die Ehe sei 2013 geschlossen worden, aber als die Eltern der BF erfahren haben, dass der Ehemann ihrer Tochter zum Christentum konvertiert sei, haben sie die BF unter Druck gesetzt die Ehe wieder aufzulösen Die BF habe sich jedoch geweigert und die Eltern haben ihre Dokumente weggenommen, damit sie nicht ausreisen habe können. Schließlich haben ihre Schwiegereltern ihr zur Ausreise verholfen und sie haben in Österreich einen Asylantrag gestellt, weil sie bei ihrem Ehemann in Österreich verbleiben habe wollen. Im Jahr 2018 sei die gemeinsame Tochter auf die Welt gekommen und habe abgeleitet vom Vater Asyl zugesprochen bekommen. Kurze Zeit später sei der Vater des gemeinsamen Kindes und der Ehemann der BF tot aufgefunden worden. Die BF habe subsidiären Schutz, weil die belangte Behörde meine, dass sie keine eigenen Asylgründe habe. Die BF erhalte nun keine Familienbeihilfe mehr, weil diese subsidiär Schutzberechtigten nur zustehe, wenn sie einer Arbeit nachgehen. Die BF habe seit ihrer Einreise in Österreich Deutschkurse besucht und habe Niveau B1 abgeschlossen, sie möchte gerne arbeiten gehen, könne aber im Moment nicht, weil ihrer Tochter erst 6 Monate sei und sie nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemannes nicht im Stande gewesen sei, sich auf die Suche nach einer Arbeit zu machen. Die BF würde bei einer Rückkehr in den Iran ihre Tochter nicht ohne Konsequenzen mitnehmen können, weil das Kind vom Vater abgeleitet Asylstatus habe und keinen iranischen Reisepass beantragen könne. Außerdem müsse die BF als Frau den strengen muslimischen Regeln folgen, so ein Leben, geprägt von notorischen Diskriminierungen, könne sie sich nicht mehr vorstellen. Außerdem habe die BF nun als alleinstehende Frau mit einem minderjährigen Kind eigene Asylgründe. Die BF sei als Frau in Iran Teil einer „sozialen Gruppe“ im Sinne der GFK und aus dem Länderbericht gehe die Situation der Frauen und die Diskriminierungen, die sie erleiden müssen deutlich hervor.
6. Das Bundesamt gab mit Bescheid vom 27.09.2018 dem Antrag auf Wiedereinsetzung der BF statt.
7. Mit Schriftsatz vom 04.03.2019 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor. Der Akt sei versehentlich noch nicht früher übermittelt worden.
8. Das Bundesamt verlängerte mit Bescheid vom 29.05.2019 die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte der BF bis zum 29.06.2021. Mit Bescheid vom 17.06.2021 verlängerte das Bundesamt die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für weitere 2 Jahre.
9. Mit Eingabe vom 22.10.2022 übermittelte der BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen betreffend Deutschkenntnisse der BF und dem Kindergartenbesuch ihrer Tochter.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 23.02.2022 wurde die gegenständliche Rechtssache der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.
10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 21.07.2022 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die BF sowie ihre Rechtsberaterin als gewillkürte Vertreterin teilnahmen. Ergänzend brachte das Bundesverwaltungsgericht die aktuelle Länderinformation der Staatendokumentation – Iran aus dem COI-CMS (Country of Origin Information – Content Management System), vom 22.12.2021, Version 4 sowie die Covid-19-Risikogruppen-Verordnung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 203 aus 2020,) zum Parteiengehör. Im Zuge der Verhandlung legte die BF eine Bestätigung der Teilnahme einer Taufvorbereitungskurs vom 29.11.2016 vor.
11. Mit Eingabe vom 04.08.2022 brachte die BF in einer Stellungnahme vor, dass sie in der mündlichen Verhandlung durch ihr eigenes Vorbringen und durch ihre reflektierten Gedankengänge glaubhaft dargelegt habe, dass sie keiner Religionsgemeinschaft zugehörig sei, vom Islam abgefallen sei und diesem kritisch gegenüberstehe. Überdies legte die BF weitere Unterlagen zum Beweis ihrer Integration sowie ihres Willens nach einer Ausbildung sowie einem erfolgreichen zukünftigen Leben im Bundesgebiet vor-
12. Mit Schreiben vom 29.08.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der BF sowie dem Bundesamt die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Iran: Rechte und Pflichten von Witwen vom 17.08.2022 und forderte zur Abgabe einer auf.
13. Mit Stellungnahme vom 30.08.2022 zur eingeholten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Rechte und Pflichten von Witwen brachte die BF unter anderem vor, dass sich daraus ergebe, dass die Witwe in Iran Anspruch auf Hinterbliebenenrente habe, sofern die Ehe zum Zeitpunkt des Todes des Mannes noch nicht aufgelöst gewesen sei und der Mann sozialversichert gewesen sei. Wie die BF bereits in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, habe ihr verstorbener Mann in Iran nicht gearbeitet, weshalb dieser daher auch nicht sozialversichert gewesen sei und die BF daher auch keinen Anspruch auf eine Witwenpension hätte.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes, der im Verfahren vorgelegten Unterlagen, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person der BF:
Die BF ist eine volljährige iranische Staatsangehörige. Sie heißt römisch 40 und ist am römisch 40 geboren. Ihre Identität steht fest.
Sie gehört der Volksgruppe der Perser an und ist gebürtige Muslima. Die BF ist nicht verinnerlicht vom Islam abgefallen. Ihre Erstsprache ist Farsi. Die BF ist verwitwet und hat eine Tochter.
Die BF ist in Iran in der Stadt römisch 40 geboren, wo sie im familiären Haushalt aufwuchs und bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2016 bei ihren Eltern im Familienhaus lebte. Sie besuchte zwölf Jahre die Grundschule, welche sie im Jahr 2002 mit Abitur abschloss und anschließend noch ein Jahr einen Vorstudienlehrgang besuchte. Danach hat die BF in einem Kindergarten gearbeitet, bevor sie dann ca. 2010 begann auf der Universität Jus zu studieren. Sie schloss das Studium 2014 erfolgreich ab. Für ihren Lebensunterhalt in Iran und insbesondere auch für ihr Studium sind ihre Eltern aufgekommen, auch noch nach ihrer Heirat.
Die BF verlobte sich ca. 2002/2003 mit ihrem späteren Ehemann, der kurz darauf 2003/2004 den Iran verließ und nach Österreich reiste, wo er einen Asylantrag stellte. Sie heiratete am 24.06.2013 in Iran in Form einer „offiziellen Dauerehe“ ihren Verlobten, der seinen Vater für die Durchführung der Heirat bevollmächtigte in Anwesenheit drei weiterer Zeugen und des eheschließenden Geistlichen.
In Iran leben weiterhin die Eltern der BF sowie ihre zwei Schwestern und drei Brüder. Bis auf eine Schwester, welche in der Stadt römisch 40 lebt und verheiratet ist, leben die restlichen Familienangehörigen alle weiterhin in ihrer Heimatstadt römisch 40 . Ebenso leben die Eltern und Geschwister des verstorbenen Ehemannes der BF in Iran. Die BF hält den Kontakt insbesondere zu ihrer Schwester von Österreich aufrecht. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF den Kontakt zu ihrer restlichen Familie und Schwiegerfamilie gänzlich abgebrochen hat.
Die BF reiste im Jänner 2016 mit dem Flugzeug, schlepperunterstützt mit einem iranischen Reisepass von Iran-Teheran nach Österreich und stellte am 03.02.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Das Bundesamt wie mit Bescheid vom 29.06.2018 den Antrag der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt römisch eins.), aber erkannte der BF den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 29.06.2019 (Spruchpunkt römisch II. und römisch III.). Sie stellte nach verstreichen lassen der Beschwerdefrist am 20.09.2018 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß Paragraph 71, AVG und erhob gleichzeitig Beschwerde gegen den Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes vom 29.06.2018, falls der Wiedereinsetzung stattgegeben wird. Das Bundesamt gab mit Bescheid vom 27.09.2018 dem Antrag auf Wiedereinsetzung der BF statt und legte die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vor. Zuletzt verlängerte das Bundesamt mit Bescheid vom 17.06.2021 die befristete Aufenthaltsberechtigung der BF für subsidiär Schutzberechtigte für weitere 2 Jahre.
Die Tochter der BF namens römisch 40 kam am römisch 40 in Österreich zur Welt und ihr wurde mit Bescheid vom 29.06.2018 im Rahmen eines Familienverfahrens abgeleitet vom asylberechtigten Vater der Status der Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Der Ehemann der BF und Vater der gemeinsamen Tochter verstarb plötzlich in Österreich am römisch 40 an einem römisch 40 .
Die BF kümmert sich um den Haushalt und die Obsorge der Tochter. Die Tochter besucht seit 04/2019 den Kindergarten römisch 40 . Die BF und ihre Tochter beziehen im Bundesgebiet eine Witwen- bzw. Waisenpension und finanzieren ihren Lebensunterhalt durch Sozialleistungen. Die BF ging bis zum Entscheidungszeitpunkt keiner legalen Beschäftigung nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Sie ist arbeitsfähig und bewarb sich im Rahmen der Betreuung durch das AMS im Februar sowie Dezember 2021 und Jänner 2022 bei mehreren Unternehmen erfolglos als Bürokauffrau, Betriebslogistikkauffrau oder Speditionskauffrau. Am 31.05.2022 absolvierte die BF die Eignungsprüfung für die Aufnahme in die Bildungsanstalt für Elementarpädagogik der Stadt Wien, Kolleg römisch 40 , welche die sie nicht bestand und für das Schuljahr 2023/24 nicht in das Kolleg römisch 40 aufgenommen wurde. Die BF möchte als Kindergarten Pädagogin arbeiten.
Die BF hat gute Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1-B2 und absolvierte mehrere Deutschkurse (A2, B1, B2), einen Werte- und Orientierungskurs sowie zuletzt die Integrationsprüfung für das Sprachniveau B1 vom 10.02.2021. Derzeit besuchte die BF bis Mitte Oktober einen Deutschkurs auf Niveau B2. Sie absolvierte auch bereits noch in Iran/Teheran eine Deutschprüfung auf Niveau A1. Außerdem nahm die BF am Kurs „ römisch 40 “ von 19.08.2020 bis 02.10.2020, an einer Schwerpunktberatung am 29.12.2020, am römisch 40 am 02.03.02022, am römisch 40 am 31.03.2022 sowie an dem Informationsmodul Bildung am 24.05.2017 und am römisch 40 am 08.06.2017 teil. Das absolvierte Studium der BF in Iran in römisch 40 entspricht im Bundesgebiet einem Bachelorstudium Rechtswissenschaften.
Die BF verfügt bis auf ihre Tochter über keine weiteren familiären oder sonstigen familienähnlichen sozialen Bindungen in Österreich. Die BF lebt hier in keiner Lebensgemeinschaft. Außerhalb des Familienlebens beschränken sich die sozialen Kontakte der BF als alleinerziehende Mutter auf Bekannte aus der Nachbarschaft ( römisch 40 ), vom Deutschkurs ( römisch 40 ) oder andere Mütter vom Spielplatz, die sie im Hof trifft oder gemeinsam einkaufen geht oder manchmal zum gemeinsamen Essen zuhause einlädt. Die BF ist nicht Mitglied in einem Verein und nicht ehrenamtlich tätig.
Sie ist gesund und leidet an keiner schweren psychischen oder physischen Erkrankung.
Die BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen der BF:
Die BF ist als geborene Muslima in Iran aufgewachsen und hielt in Iran die religiösen Gebräuche soweit ein, dass es nie zu Konflikten in der Familie oder mit iranischen Behörden gekommen ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF ohne Wissen ihrer Eltern über den Religionswechsel ihres Ehemannes heiratete. Es wird festgestellt, dass die BF in Folge aufgrund der Heirat von ihren Eltern nicht bedroht wurde oder physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt war. Der Religionswechsel ihres verstorbenen Gattens wurde im Iran nicht öffentlich bekannt gemacht und erfolgt auch nach ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung der BF. Ebenso wird festgestellt, dass der BF eine Verfolgung oder Bedrohung der Schwiegerfamilie nach dem Tod ihres Ehegatten aufgrund von iranischen Obsorgeregelungen nicht droht. Die BF reiste nach Österreich, weil hier ihr Ehemann lebte.
In Österreich kam die BF durch ihren Gatten in Kontakt mit dem Christentum und besuchte kurzzeitig im Jahr 2016/2017 einen Taufvorbereitungskurs im Institut römisch 40 . Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF aus diesem Kurs ohne weiteren Grund ausgeschlossen wurde. Die BF zeigte in weiterer Folge kein Interesse mehr für das Christentum und übte auch den christlichen Glauben nicht weiter aus. Sie konvertierte nicht zum Christentum. Auch nach dem plötzlichen Tod ihres Gatten suchte sie keine Hilfe oder Unterstützung in der Kirche. Sie tritt auch nicht spezifisch gegen den Islam oder Religion generell auf und sie hat keine Verhaltensweisen verinnerlicht, die bei einer Rückkehr nach Iran als Glaubensabfall gewertet werden würden. Die BF hat in Iran die muslimischen Riten praktiziert und trat nicht gegen den Islam oder Religion auf und hatte sie auch aus diesem Grund bisher keine Probleme in Iran. Es wird festgestellt, dass die BF auch im Iran nicht gegen die islamischen oder staatlichen Regeln aufbegehren wird oder an etwaigen Demonstrationen teilnehmen wird.
Eine grundlegende und verfestigte Änderung der Lebensführung der BF, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei einer Rückkehr nach Iran nicht gelebt werden könnte, liegt nicht vor.
Es wird festgestellt, dass die BF in Iran keiner aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder sie im Falle ihrer Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre.
Die BF brachte keine weiteren Gründe, warum sie eine Rückkehr in den Heimatstaat fürchtet, vor.
Die BF wird auch nicht aufgrund der Zugehörigkeit zur Familie ihres verstorbenen Mannes oder aufgrund ihres verstorbenen Mannes und der lebenden Tochter und deren Status als Asylberechtigter, bei Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner Bedrohung ausgesetzt werden.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat IRAN:
Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationen der Staatendokumentation zu Iran aus dem COI-CMS (Country of Origin Information-Content Management System) vom 22.12.2021, Version 4, ergibt sich wie folgt: Die Version zum Zeitpunkt der Entscheidung vom 23.05.2022 (Version 5) brachte keine wesentliche Änderung, und ist eingefügt sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Iran: Rechte und Pflichten von Witwen vom 17.08.2022:
Politische Lage
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 14.9.2021b; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der ’velayat-e faqih’, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage ist, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten wird. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel ’Revolutionsführer’ (GIZ 12.2020a; vergleiche BS 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 12.4.2022, FH 28.2.2022, AA 14.9.2021b). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.9.2021a; vergleiche FH 28.2.2022), ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und die höchste Autorität des Landes (FH 28.2.2022). Er steht somit höher als der Präsident. Des Weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran bzw. IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 28.2.2022, US DOS 12.4.2022). Doch obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen und unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 28.1.2022).
Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: An der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021). Am 18.6.2021 fanden in Iran Präsidentschaftswahlen statt (Tagesschau.de 18.6.2021; vergleiche AA 14.9.2021a). Gewonnen hat die Wahl der konservative Hardliner und vormalige Justizchef Ibrahim Raisi mit mehr als 62% der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 50% und war somit niedriger als jemals zuvor in der Geschichte der Islamischen Republik. In der Hauptstadt Teheran lag die Wahlbeteiligung bei nur 26%. Zudem wurden mehr als 3,7 Millionen Stimmzettel für ungültig erklärt (Standard.at 19.6.2021; vergleiche DW 19.6.2021). Wie bei jeder Wahl hat der Wächterrat die Kandidaten im Vorhinein ausgesiebt (Tagesschau.de 18.6.2021; vergleiche AA 28.1.2022). Raisi wurde mehr oder weniger von Revolutionsführer Khamenei ins Amt gehievt (ZO 23.6.2021). Raisi ist seit 5.8.2021 Staatspräsident. Am 25.8.2021 hat das Parlament seinen Vorschlag für das Kabinett gebilligt, und damit hat die neue Regierung ihr Amt angetreten (AA 14.9.2021a.). In Folge der Präsidentschaftswahlen vom Juni 2021 befindet sich die gesamte Befehlskette in konservativer bzw. erzkonservativer Hand (Oberster Führer, Präsident/Regierungschef, Leiter der religiösen Judikative, Regierung, Parlament, Wächterrat, Expertenrat) (ÖB Teheran 11.2021).
Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Amtsträger im Staat (FH 28.2.2022). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive, zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt (GIZ 12.2020a), da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 12.2020a; vergleiche OD 19.1.2022).
Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren (GIZ 12.2020a). Bei den Parlamentswahlen vom 21.2.2020 haben (ultra-)konservative Kandidaten knapp 80% der Sitze im Parlament gewonnen (AA 28.1.2022). Vor der Abstimmung disqualifizierte der Wächterrat mehr als 9.000 der 16.000 Personen, die sich für eine Kandidatur angemeldet hatten, darunter eine große Anzahl reformistischer und gemäßigter Kandidaten (FH 28.2.2022). Die Wahlbeteiligung lag bei 42,6%, was als die niedrigste Wahlbeteiligung in die Geschichte der Islamischen Republik einging (FH 28.2.2022; vergleiche AA 28.1.2022) mit einem Rekord an ungültigen Stimmen. Es herrscht breite Politikverdrossenheit aufgrund nicht eingelöster Versprechen der vorigen Regierung Rohani zu wirtschaftlichen Reformen, Westöffnung und Korruptionsbekämpfung (ÖB Teheran 11.2021).
Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern, davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen. Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt unter anderem auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche GIZ 12.2020a, FH 28.2.2022, BS 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 12.2020a). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der ’Gesamtinteressen des Systems’ zu achten (AA 14.9.2021a; vergleiche GIZ 12.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden.
Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 12.2020a).
Präsident, Parlament und Expertenrat werden also in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den von Revolutionsführer und Justizchef ernannten Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 28.1.2022; vergleiche FH 28.2.2022).
Das Regime reagierte auch unter der moderaten Regierung von Ex-Präsident Rohani in den letzten Jahren auf die wirtschaftliche Krise und immer wieder hochkommenden Unmut und Demonstrationen mit hartem Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivisten, religiöse und ethnische Minderheiten und Umweltaktivisten. Die Regierung Raisi ist noch dabei, ihre Machtstruktur auf allen Ebenen zu festigen. Sie hat jedoch bereits stärkere Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Sinne der ’islamischen Gesellschaftsordnung’ (Rolle der Frauen fokussiert auf Gebärfunktion), der Ablehnung ’westlicher’ Kultur, der Unterdrückung von Kritik (Internetzensur) und eine stärkere Ausrichtung auf Russland und China und deren politische Modelle angekündigt (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
● AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 4.3.2022
● AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021a): Politisches Portrait - Iran, https://www.auswae rtiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/politisches-portrait/202450, Zugriff 4.3.2022
● AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021b): Steckbrief - Iran, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/steckbrief/202394, Zugriff 4.3.2022
● BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 4.3.2022
● DW – Deutsche Welle (19.6.2021): Raeissi wird neuer Präsident im Iran, https://www.dw.com/de/ raeissi-wird-neuer-pr%C3%A4sident-im-iran/a-57961660, Zugriff 4.3.2022
● FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 4.3.2022
● GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 4.3.2022 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
● ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 4.3.2022
● OD – Open Doors (19.1.2022): Weltverfolgungsindex 2022 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2020 – 30. September 2021), https://www.opendoors.de/sites/default/files/copyright_open_doors_2022_wvi_bericht_signiert.pdf, Zugriff 4.3.2022
● Standard.at (19.6.2021): Hardliner Raisi gewann Präsidentenwahl im Iran, https://www.derstandar d.at/story/2000127545908/kleriker-raisi-fuehrt-laut-medienberichten-bei-praesidentenwahl-im-iran, Zugriff 4.3.2022
● Tagesschau.de (18.6.2021): Keine Macht dem Volk? https://www.tagesschau.de/ausland/asien/iran-wahlen-kandidaten-stimmung-101.html, Zugriff 4.3.2022
● US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 4.3.2022
● ZO – Zeit Online (23.6.2021): Wofür steht Ebrahim Raissi? https://www.zeit.de/2021/26/iran-praesidentenwahl-ebrahim-raissi-ali-chamenei, Zugriff 4.3.2022
Sicherheitslage
Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben im Juli 2021 Proteste gegen die Wasserknappheit in der Provinz Khuzestan und im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 19.5.2022).
Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 19.5.2022). In Iran kommt es, vor allem in Regionen mit einem hohen Anteil an Minderheiten in der Bevölkerung, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 19.5.2022b).
In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 19.5.2022b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 19.5.2022).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, Personal der Justiz und Angehörige des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 19.5.2022b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte im Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet.
Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen, kriminellen Banden und den Sicherheitskräften (EDA 19.5.2022). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 11.2021). Gelegentlich kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Auch für unbeteiligte Personen besteht das Risiko, unversehens in einen Schusswechsel zu geraten (EDA 19.5.2022).
Obwohl die iranische Führung den Taliban in Afghanistan misstrauisch gegenübersteht, begrüßte sie im August 2021 nicht nur das Ende des Bürgerkriegs in Afghanistan, sondern auch den Abzug der US-geführten Koalition aus dem Land, insbesondere von den Ostgrenzen Irans. Iranische Beamte haben Taliban-Vertretern im April 2022 erlaubt, in die afghanische Botschaft in Teheran zurückzukehren. Dennoch sind die Taliban-Mitarbeiter nur befugt, konsularische Aufgaben wahrzunehmen, da Iran, wie alle anderen Regierungen auch, die Taliban nicht offiziell als Regierungsbehörde Afghanistans anerkannt hat. Das Misstrauen Irans gegenüber den Taliban besteht weiterhin, was zum Teil durch mehrere Bombenanschläge auf afghanische schiitische Moscheen, die von den Sicherheitskräften der Taliban nicht verhindert werden konnten, sowie durch angebliche Misshandlungen von Schiiten durch die Taliban genährt wurde. Ende April 2022 kam es im Bezirk Islam Qala westlich von Herat zu Zusammenstößen zwischen iranischen Grenzschützern und afghanischen Streitkräften, weil die Afghanen in der Nähe der Grenze Straßen gebaut hatten. Die afghanischen Behörden reagierten darauf mit der Beschlagnahmung eines iranischen Militärfahrzeugs, woraufhin Iran zusätzliche reguläre Boden- und Hubschrauber-Militäreinheiten (keine Kräfte der Islamischen Revolutionsgarden) an die Grenze entsandte. Iran schloss den Grenzübergang vorübergehend und spielte die militärische Aufstockung als Teil der routinemäßigen Grenzsicherheitsmaßnahmen herunter. Beamte des iranischen Außenministeriums kritisierten gleichzeitig die Afghanen wegen ’möglicher mangelnder Fähigkeiten’ und der Unfähigkeit, die Grenzpunkte zwischen den beiden Ländern zu unterscheiden. Beide Seiten versuchten daraufhin, die Spannungen zu entschärfen, indem sie ankündigten, dass der amtierende Taliban-Minister für Flüchtlinge und Rückführungen Anfang Mai eine Delegation nach Iran führt, um die Grenzzusammenstöße und die angebliche iranische Misshandlung afghanischer Flüchtlinge zu besprechen (SC 4.5.2022)
Quellen:
● AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2022b, unverändert gültig seit 12.5.2022): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 19.5.2022
● EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (19.5.2022, unverändert gültig seit 7.4.2022): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 19.5.2022
● ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 19.5.2022
● SC – Soufan Center (4.5.2022): IntelBrief: Border Clashes Mar the Taliban’s Regional Relationships, https://thesoufancenter.org/intelbrief-2022-may-4/, Zugriff 19.5.2022
Allgemeine Menschenrechtslage
Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Artikel 4, IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene ’Hohe Rat für Menschenrechte’ untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten ’Pariser Prinzipien’ (AA 28.1.2022).
Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:
- Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR)
- Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) (ICCPR)
- Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD)
- Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht) (CRC)
- Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (CRC-OP-SC)
- Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD)
- Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes
- UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen
- UN-Apartheid-Konvention
- Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 28.1.2022) Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:
- Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT)
- Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention (OP-CAT)
- Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR)
- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)
- Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (CED)
- Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (CRC-OP-AC) (unterzeichnet aber nicht ratifiziert) (AA 28.1.2022).
Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Menschenrechtslage, insbesondere der politischen und bürgerlichen Rechte, wobei sich der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Menschenrechtsbereich in den letzten Jahren erheblich verengt hat (ÖB Teheran 11.2021). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 12.2020a). Die tiefe wirtschaftliche und politisch Krise Irans hat Auswirkungen auf die Einhaltung der Menschenrechte (BAMF 5.2021). Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören: rechtswidrige oder willkürliche Tötungen durch die Regierung und ihre Vertreter, vor allem Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard für ’schwerste Verbrechen’ entsprechen, oder für Verbrechen, die von jugendlichen Straftätern begangen wurden, sowie Hinrichtungen nach Gerichtsverfahren ohne ordnungsgemäßen Prozess; Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; systematische Inhaftierungen, einschließlich politischer Gefangener (US DOS 12.4.2022; vergleiche AI 29.3.2022, HRW 13.1.2022). Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte; Bestrafung von Familienmitgliedern, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets - einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigte Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und strafrechtliche
Verfolgung sogar von Verleumdung und übler Nachrede; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung; weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen; rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien; Menschenhandel; Gewalt gegen ethnische Minderheiten; strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten; Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten sowie Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten; und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften (US DOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022, HRW 13.1.2022). Die Regierung unternimmt kaum Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (US DOS 12.4.2022).
Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden werden oder die islamischen Grundsätze infrage stellen. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, die die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände vergleiche Artikel 279 bis 288 iStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Artikel eins bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr, der Spionage beschuldigt zu werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niedrigschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv (AA 28.1.2022). Das Regime geht in den letzten Jahren immer wieder hart gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivistinnen und gegen religiöse und ethnische Minderheiten vor (ÖB Teheran 11.2021). Auch Umweltaktivisten müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen (BS 2020; vergleiche ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
● AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 27.4.2022
● BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran: Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf? blob=publicationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%22name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D, Zugriff 27.4.2022
● AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 27.4.2022
● BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 27.4.2022
● FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 27.4.2022
● GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/#c4398, Zugriff 27.4.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
● HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 27.4.2022
● ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 27.4.2022
● US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 27.4.2022
Rechtsschutz / Justizwesen
Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 11.2021). Die heutige Verfassung Irans ist ein hybrides System aus republikanisch-demokratischen und theokratisch-autoritären Elementen unter dem Vorrang des islamischen Rechts der dschafaritischen Rechtsschule. Die Verfassung enthält republikanisch-demokratische Organe wie z.B. das Parlament sowie das Amt des Präsidenten, da diese Organe direkt vom Volk gewählt werden. Als wesentliche theokratische Organe gelten das Amt des religiösen Führers sowie der Wächterrat (BAMF 5.2021). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben. Exekutivorgane, besonders der Sicherheitsapparat, nehmen v.a. in politischen Fällen jedoch massiven Einfluss auf Urteilsfindung und Strafzumessung. Das Justizwesen ist zudem geprägt von Korruption (AA 28.1.2022; vergleiche BS 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA), deren Unabhängigkeit die Judikative einzuschränken versucht. Anwälte der IBA sind staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen ausgesetzt (AA 28.1.2022). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 28.2.2022).
Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 12.4.2022). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 13.1.2022; vergleiche HRC 13.1.2022, AI 29.3.2022). Die Behörden setzen sich ständig über Bestimmungen hinweg, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 7.4.2021; vergleiche HRW 13.1.2022). In einigen Fällen wird in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt, weil man sie nicht über ihre Verhandlungstermine informiert oder sie nicht vom Gefängnis zum Gericht transportiert (AI 7.4.2021).
Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) werden Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 28.1.2022).
Wenn sich Gesetze nicht mit einer spezifischen Rechtssituation befassen, dann dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen ’göttlichen Wissens’ [divine knowledge] für schuldig befinden (US DOS 12.4.2022).
In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die ’Sondergerichte für die Geistlichkeit’ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vergleiche BS 2018).
Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:
- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere ’Feindschaft zu Gott’ und ’Korruption auf Erden’;
- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;
- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;
- Spionage für fremde Mächte;
- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;
- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).
Viele Gerichtsverfahren finden hinter verschlossenen Türen statt. Bei Verfahren vor Revolutionsgerichten herrscht offene Feindseligkeit gegenüber den Angeklagten, und Anschuldigungen von Sicherheits- und Geheimdiensten werden als Tatsachen behandelt, die bereits feststehen (AI 7.4.2021). Erzwungene ’Geständnisse’, die unter Folter und anderen Misshandlungen zustande kommen, werden vor Beginn der Prozesse im Staatsfernsehen ausgestrahlt (AI 7.4.2021; vergleiche AA 28.1.2022). Gerichte nutzen sie durchweg als Beweismittel und begründen damit Schuldsprüche, selbst wenn die Angeklagten ihre Aussagen widerrufen. In vielen Fällen bestätigen Berufungsgerichte Schuldsprüche und Strafen, ohne eine Anhörung abzuhalten. Häufig weigern sich Gerichte, Angeklagten, die wegen Straftaten in Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit verurteilt wurden, das Urteil in schriftlicher Form zukommen zu lassen (AI 7.4.2021).
Bei Delikten, die im starkem Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden (ÖB Teheran 11.2021). Mit der islamischen Revolution von 1979 kam es zur Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, welches die bisherige Gesetzgebung, die vom ’code pénal napoléon’ von 1810 beeinflusst war, ablöste und sich aus drei eigenständigen Teilbereichen zusammensetzt. Neben den im Koran und der Sunna festgelegten hadd-Delikten gibt es die qisas-Delikte, die aus vorislamischer Zeit stammen, und die ta’zir-Delikte, die alle sonstigen strafwürdigen Taten umfassen. Während für hadd-Delikte - wie u.a. unerlaubter Geschlechtsverkehr, Alkoholgenuss, Diebstahl oder Feindschaft gegen Gott und aus Sicht von Traditionalisten auch Rebellion und Apostasie - sogenannte hadd-Strafen wie Kreuzigung, Steinigung, sonstige Todesstrafen, Amputationsstrafen, Auspeitschung oder Verbannung verhängt werden, sind für qisas-Delikte grundsätzlich Talions- bzw. Vergeltungsstrafen (qisas) oder zu zahlendes Blutgeld (diya) als Strafausgleich vorgesehen. Talionsstrafen werden vom Grundsatz her bei vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten und zu zahlendem Blutgeld bei nicht vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten verhängt. Für alle sonstigen aus Sicht der Rechtsordnung strafwürdigen Taten sind ta’zir-Strafen vorgesehen, die aus unterschiedlichen Züchtigungsstrafen bestehen, die mit dem Islam vereinbar sein müssen. Das neue iranische Strafgesetzbuch ab 2013 gliedert sich in vier Bücher: Im ersten Buch werden die Allgemeinen Vorschriften (Artikel eins –, 216,), im zweiten Buch die hadd-Strafen (Artikel 217 –, 288,), im dritten Buch die qisas-Strafen (Artikel 289 –, 447,) und im vierten Buch das Blutgeld bzw. diya (Artikel 448 –, 728,) behandelt (BAMF 5.2021). Im iranischen Strafrecht sind also körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 28.1.2022). Auf die Anwendung der Vergeltungsstrafen (qisas) der Amputation (z.B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung kann der Geschädigte gegen Erhalt eines Abstandsgeldes (diya) verzichten (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 28.1.2022). Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom Geschädigten gegen diya verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 28.1.2022).
Verlässliche Aussagen zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Häftlinge ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht einer Straftat unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste mit vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (Kopftuchzwang) (AA 28.1.2022).
Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019). Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 28.1.2022).
Rechtsschutz ist nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert, zum Teil auch selber inhaftiert und verurteilt. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen. Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen. Üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (AA 28.1.2022).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 22.4.2022
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 22.4.2022
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 22.4.2022
• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020) – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html, Zugriff 22.4.2022
• AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021)– Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 22.4.2022
• BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran: Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?blob=publicationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%22name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D, Zugriff 22.4.2022
• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 22.4.2022
• BS – Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report – Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 22.4.2022
• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 22.4.2022
• HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 22.4.2022
• HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 22.4.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 22.4.2022
• US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 22.4.2022
Sicherheitsbehörden
Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enqhelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Die Revolutionsgarden und die nationale Armee (Artesh) sorgen für die externe Verteidigung (US DOS 12.4.2022). Die zivilen Behörden bzw. die Regierung behalten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (US DOS 12.4.2022; vergleiche BS 2020) und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete (BS 2020). Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen (US DOS 12.4.2022).
Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorismusbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 28.1.2022). Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden und den Basij unterstützt. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BS 2020). Neben dem ’Hohen Rat für den Cyberspace’ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfälle, Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie die Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 28.1.2022).
Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den Revolutionsgarden (BS 2020). Diese nehmen eine Sonderrolle ein, ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eine fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 28.1.2022). Heute sollen die Revolutionsgar- den über ca. 190.000 Soldatinnen und Soldaten verfügen, während die regulären Streitkräfte 420.000 Mann unter Waffen haben. Hinzu kommen noch einmal 450.000 Reservisten als Teil der Basij-Milizen (Iran Journal 1.2.2021), die ebenfalls den Revolutionsgarden unterstellt sind (Iran Journal 1.2.2021; vergleiche AA 28.1.2022). Basij haben Stützpunkte unter anderem in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basij gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 11.2021).
Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 28.2.2022). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte und kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016; vergleiche SRF 9.4.2019). Längst ist also aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Ex-Präsident Hassan Rohani versuchte zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen, dies gelang ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vergleiche BS 2020, Iran Journal 1.2.2021). Mittlerweile sind die wirtschaftlichen Aktivitäten der Revolutionsgarden außerhalb des normalen Marktgeschehens so umfangreich, dass der Privatsektor in vielen Bereichen nicht mehr existiert. Er wurde verdrängt und ist gegenüber der Marktbeherrschung der Garden nicht mehr wettbewerbsfähig (Iran Journal 1.2.2021). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern auch in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland ausgebildet (Tagesspiegel 8.6.2017; vergleiche Iran Journal 1.2.2021). Die 1990 gegründete Quds-Brigade ist mit
Mann relativ klein. Doch für Irans Regionalpolitik spielt sie bei Auslandseinsätzen eine zentrale Rolle. Um ihre Unterlegenheit bei konventionellen Waffensystemen auszugleichen, setzt die Quds-Armee vor allem auf Guerillataktiken (Iran Journal 1.2.2021).
Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst und den technischen Aufklärungsdienst. Der Inlandsgeheimdienst beobachtet die politische Opposition und übt Druck auf diese aus (AA 28.1.1.2022).
Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung (AA 28.1.1.2022). Angehörige der Sicherheitskräfte können Misshandlungen begehen, ohne befürchten zu müssen, bestraft zu werden. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, darunter Folter, Verschwindenlassen und Gewaltakte gegen Demonstranten und Umstehende bei öffentlichen Demonstrationen. Die Regierung unternimmt nur wenige Schritte, um Beamte, die Menschenrechtsverletzungen begehen, zu identifizieren, zu untersuchen, strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Die Straflosigkeit bleibt auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte allgegenwärtig (US DOS 12.4.2022). In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).
Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie Basij de facto willkürlich handeln können. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen können den Unwillen zufällig anwesender Basij bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basij können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 22.4.2022
• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/co ntent/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 22.4.2022
• activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds
• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political+Feb+2020.pdf, Zugriff 22.4.2022
• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN -
• House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 22.4.2022
• DW – Deutsche Welle (18.2.2016): Die Strippenzieher der iranischen Wirtschaft, http://www.dw.com/de/die-strippenzieher-der-iranischen-wirtschaft/a-19054802, Zugriff 22.4.2022
• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 22.4.2022
• Iran Journal (1.2.2021): Aus der Schwäche wuchs ihre Macht, https://iranjournal.org/wirtschaft/geschichte-der-revoltuionsgarde, Zugriff 22.4.2022
• Menawatch (10.1.2018): Die Wirtschaft des Iran ist in den Händen der Revolutionsgarden, https://www.mena-watch.com/die-wirtschaft-des-iran-ist-in-den-haenden-der-revolutionsgarden/, Zugriff 22.4.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 22.4.2022
• Tagesspiegel (8.6.2017): Staat im Staat: Warum Irans Revolutionsgarden so viel Macht haben, https://www.tagesspiegel.de/politik/krise-am-golf-staat-im-staat-warum-irans-revolutionsgarden-so-viel-macht-haben/19907934.html, Zugriff 22.4.2022
• SRF – Schweizer Rundfunk und Fernsehen (9.4.2019): Was ist die Revolutionsgarde?, https://www.srf.ch/news/international/dominante-militaermacht-im-iran-was-ist-die-revolutionsgarde, Zugriff 22.4.2022
• US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 22.4.2022
Folter und unmenschliche Behandlung
Folter ist nach Artikel 38, der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind psychische und physische Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 28.1.2022; vergleiche US DOS 12.4.2022, DIS 7.2.2020) bzw. weit verbreitet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022). Gerade bei politischen Fällen ist Folter nicht nur geduldet, sondern wird mitunter angeordnet (AA 28.1.2022). Folter wird Berichten zufolge von einer Reihe von Akteuren wie dem polizeilichen Nachrichtendienst, dem Geheimdienstministerium (HRC 14.5.2021), den Islamischen Revolutionsgarden, der Polizei (HRC 14.5.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021) als auch in Gefängnissen ausgeführt (ÖB Teheran 11.2021). Berichten zufolge unterhalten Behörden abseits des nationalen Gefängnissystems auch noch inoffizielle, geheime Gefängnisse und Haftanstalten, in denen Missbrauch stattfindet (US DOS 12.4.2022). Folter betrifft vorrangig nicht-registrierte Gefängnisse, aber auch offizielle Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht und in welchem politische Gefangene inhaftiert sind (AA 28.1.2022). Folter und Misshandlungen werden systematisch angewendet, vor allem während Verhören. Im August 2021 gelangten Videoaufnahmen an die Öffentlichkeit, die von Überwachungskameras im Evin-Gefängnis in Teheran stammten und zeigten, wie Gefangene vom Wachpersonal geschlagen, sexuell belästigt und auf andere Weise gefoltert und misshandelt wurden (AI 29.3.2022).
Bei Delikten, die im Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischt-geschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 11.2021). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen - teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser sowie die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 12.4.2022).
Die Tatsache, dass die Justiz bei ihren Ermittlungen in hohem Maße auf Geständnisse angewiesen ist, scheint ein wichtiger Anreiz für Folter zu sein. Obwohl das iranische Recht die Verwendung erzwungener Geständnisse vor Gericht verbietet (HRC 14.5.2021) zeigen Zeugenaussagen, dass Richter sich einerseits häufig weigern, Foltervorwürfen nachzugehen (HRC 14.5.2021; vergleiche HRC 13.1.2022) und sich andererseits auf erzwungene Geständnisse als Beweismittel für eine Verurteilung verlassen (HRC 14.5.2021; vergleiche HRW 13.1.2022). Dies gilt auch insbesondere bei der Verhängung der Todesstrafe (HRC 13.1.2022). Ehemalige Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 28.2.2022).
Quellen:
● AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 22.4.2022
● AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 22.4.2022
● FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 22.4.2022
● activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political+Feb+2020.pdf, Zugriff 22.4.2022
● HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 22.4.2022
● HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf, Zugriff 22.4.2022
● HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 22.4.2022
● ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 22.4.2022
● US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 22.4.2022
Haftbedingungen
Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 12.4.2022, FH 28.2.2022, AI 29.3.2022, HRC 13.1.2022). Im Juni 2020 waren 211.000 Personen inhaftiert, womit die Gefängnisse mehr als zweieinhalbmal überbelegt waren (ÖB Teheran 11.2021). Der Mangel an Betten ist weiterhin ein Problem (US DOS 12.4.2022). Die Haftbedingungen sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Berichtet wird über unzureichende Ernährung, die langfristig zu entsprechenden Folgeschäden führen kann, und vor allem von der Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 12.4.2022, FH 28.2.2022, AI 29.3.2022). Die Zellen sind auch schlecht belüftet und teils von Ungeziefer befallen (AI 29.3.2022). Im Allgemeinen verschlechterten sich die Haftbedingungen während der Covid-19-Pandemie erheblich (US DOS 12.4.2022; vergleiche HRC 13.1.2022, AA 28.1.2022).
Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet - vor allem während Verhören (AI 29.3.2022). Regelmäßig versterben Menschen in Haft. Laut Berichten sind folgende Foltermethoden verbreitet: Elektroschocks, Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2021). Im August 2021 wurden Aufnahmen von Überwachungskameras des Evin-Gefängnisses in Teheran vom März 2021 veröffentlicht, auf denen schockierende Folter und Misshandlungen von Gefangenen durch Aufseher und andere Gefangene zu sehen sind. Der Justiz-Leiter besuchte das Gefängnis daraufhin und rief zu ordnungsgemäßer Behandlung von Gefangenen auf (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022, US DOS 12.4.2022). Daraufhin wurden Strafverfahren gegen sechs Gefängniswärter eingeleitet (FH 28.2.2022; vergleiche US DOS 12.4.2022). Politische Gefangene oder Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 12.4.2022). Menschenrechtsorganisationen verweisen häufig auf einige Haftanstalten, in denen politische Gegner grausam und über längere Zeit gefoltert werden, insbesondere in den Abteilungen 209 und zwei des Evin-Gefängnisses, die Berichten zufolge von den Revolutionsgarden kontrolliert werden (US DOS 12.4.2022). Politische Gefangene haben in den letzten Jahren wiederholt Hungerstreiks durchgeführt, um gegen Misshandlungen in Gewahrsam zu protestieren (FH 28.2.2022; vergleiche US DOS 12.4.2022, AA 28.1.2022, HRC 13.1.2022).
Die Haftbedingungen variieren im Einzelfall nach Gefängnis-Trakt und Status der Gefangenen, wobei generelle Aussagen nicht möglich sind. So ist im Evin-Gefängnis in Teheran ein Trakt für Ausländer reserviert, ein Trakt wird vom Geheimdienst der Revolutionsgarden verwaltet, manche Trakte sind unterirdisch. Das Quarchak-Frauengefängnis in Teheran dürfte als ehemaliger Hühnerstall sanitär unzureichend sein (ÖB Teheran 11.2021). Die Behörden unterhalten angeblich auch inoffizielle Geheimgefängnisse und Haftanstalten außerhalb des staatlichen Gefängnissystems, in denen es zu Misshandlungen kommt (US DOS 12.4.2022; vergleiche HRC 13.1.2022). Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark voneinander ab. Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse (AA 28.1.2022).
Mindestens 24 Gefangene starben unter Umständen, die den Verdacht nahelegen, dass ihr Tod in Verbindung mit Folter und anderen Misshandlungen stand, wie z. B. der Verweigerung einer angemessenen medizinischen Versorgung (AI 29.3.2022). Gefangene können Beschwerden bei den Justizbehörden einreichen, werden jedoch häufig mit Zensur oder Vergeltung in Form von Verleumdung, Schlägen, Folter und Verweigerung von medizinischer Versorgung und Medikamenten oder Urlaubsanträgen sowie Anklage wegen zusätzlicher Straftaten konfrontiert (US DOS 12.4.2022).
Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in ’sichere Häuser’ gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen. Dort werden sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten (ÖB Teheran 11.2021). Ein besonders prominentes Beispiel ist Oppositionsführer Mehdi Karroubi, der zusammen mit seiner Frau und zwei anderen Oppositionsführern seit 2011 unter Hausarrest steht (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022).
Quellen:
● AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 28.4.2022
● AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 28.4.2022
● FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do, Zugriff 28.4.2022
● HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 13.5.2022
● HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 28.4.2022
● ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 28.4.2022
● US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 28.4.2022
Todesstrafe
Die Todesstrafe wird nach unfairen Gerichtsverfahren verhängt, u a. für Straftaten, die gemäß Völkerrecht nicht zu den ’schwersten Verbrechen’ zählen, wie Drogenhandel und Finanzkriminalität, sowie für Handlungen, die international nicht als Straftaten anerkannt sind. Todesurteile werden als Mittel der Unterdrückung gegen Demonstrierende, Andersdenkende und ethnische Minderheiten eingesetzt (AI 29.3.2022). Iran ist auch weiterhin eines der Länder, wo die Todesstrafe am häufigsten vollstreckt wird (HRW 13.1.2022). In Bezug auf die Anzahl der jährlichen Hinrichtungen befindet sich Iran nach China weltweit an zweiter Stelle (FH 28.2.2022). Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen richtete der Iran im Jahr 2021 mindestens 333 Menschen hin, darunter zumindest 17 Frauen (BBC News 28.4.2022), sieben Personen wegen angeblicher terroristischer Anschuldigungen (HRW 13.1.2022) und zumindest zwei zum Tatzeitpunkt Minderjährige (HRC 13.1.2022). Iran ist nach wie vor eines der wenigen Länder, die Minderjährige, Homosexuelle und Frauen hinrichten, die sich auf Notwehr gegen Vergewaltiger berufen (CSW 22.3.2022). In diesen Fällen liegen der Todesstrafe für Frauen und Mädchen oft Tötungen von ihren Ehemännern zugrunde, die sie in Selbstverteidigung nach langjährigem Missbrauch begehen (ÖB Teheran 11.2021). Ein großer Teil der Hingerichteten sind Angehörige religiöser oder ethnischer Minderheiten, insbesondere sunnitische Muslime und Kurden (CSW 22.3.2022). Regelmäßig gehen der Todesstrafe ein unfaires Verfahren und Misshandlung (erzwungene Geständnisse) voraus (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022, US DOS 12.4.2022).
Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwer- wiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, ’Moharebeh’ (Waffenaufnahme gegen Gott) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRW 13.1.2022, AA 28.1.2022); des Weiteren auf terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslims mit einer Muslimin (AA 28.1.2022). Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 28.1.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). In den letzten 20 Jahren ist es jedoch zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 28.1.2022).
Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt auf Verurteilungen wegen Mordes (AA 28.1.2022). Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießung durchgeführt, allerdings in letzter Zeit nicht mehr öffentlich (ÖB Teheran 11.2021). Betroffen hiervon sind auch zum Tatzeitpunkt Minderjährige (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 28.1.2022, HRW 13.1.2022, FH 28.2.2022, HRC 13.1.2022, CSW 22.3.2022). In den Todeszellen befinden sich noch immer mehr als 80 Personen, die zum Tatzeitpunkt minderjährig waren (AI 29.3.2022; vergleiche FH 28.2.2022). Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei neun Jahren (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 28.1.2022) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2020 wurden mindestens vier zur Tatzeit minderjährige Täter hingerichtet, 2021 mindestens zwei. Mehreren weiteren zur Tatzeit Minderjährigen droht die Hinrichtung. Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen. Die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 28.1.2022). Selbst nach der Hinrichtung durch das Regime werden repressive Maßnahmen gegen Angehörige fortgesetzt. Hingerichtete werden weit entfernt von ihrem früheren Wohnort begraben, manchmal ohne Benachrichtigung der Angehörigen. Totenfeiern sowie Grabbesuche für Regimegegner werden aufgelöst (ÖB Teheran 11.2021).
2017 trat eine Änderung des Strafgesetzes für Drogendelikte in Kraft, die die Todesstrafen im Bereich der Drogenkriminalität auf bestimmte Fallkonstellationen beschränkt. Bagatelldelikte sind damit von der Todesstrafe ausgenommen (AA 28.1.2022). Diese Gesetzesänderungen führten zu einer Überprüfung der Todesstrafe für Tausende von Häftlingen (FH 28.2.2022). Durch die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte Ende 2017 konnte Iran seit 2018 die Zahl der Hinrichtungen etwa halbieren. Über gewalttätige Drogenstraftäter und diejenigen, die mehr als 100 Kilo Opium oder zwei Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, wird weiterhin die Todesstrafe verhängt (ÖB Teheran 11.2021). Ca. 9% aller Exekutionen stehen in Verbindung mit Drogenvergehen (AI 4.2021). Seit 2021 ist ein erneuter Anstieg bei der Zahl der Hinrichtungen für Drogenkriminalität zu verzeichnen (AA 28.1.2022). Die Zahl der Hinrichtungen wegen Drogendelikten war mit 126 von 333 fünfmal so hoch wie 2020 (BBC News 28.4.2022).
Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom ’Geschädigten’ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen. Seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021).
Regierung und NGOs sind bemüht, Hinrichtungen durch Förderung des Blutgeld-Prozesses zu verhindern, und es werden z.B. mit Spendenaufrufen Blutgelder gesammelt (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
● AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 28.4.2022
● AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 28.4.2022
● AI – Amnesty International (4.2021): Todesurteile und Hinrichtungen 2020, https://www.amnesty.at/media/8345/amnesty_bericht-zur-todesstrafe-2020_web.pdf, Zugriff 28.4.2022
● BBC News (28.4.2022): Iran executions: Alarming rise in use of death penalty in 2021 - report, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-61256213, Zugriff 29.4.2022
● CSW – Christian Solidarity Worldwide (22.3.2022): Iran: General Briefing, https://www.csw.org.uk/2022/03/22/report/5648/article.htm, Zugriff 28.4.2022
● FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 28.4.2022
● HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 28.4.2022
● HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 28.4.2022
● ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 28.4.2022
● US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 28.4.2022
Relevante Bevölkerungsgruppen Frauen
Generell genießt die Familie in Iran, ebenso wie in den meisten anderen islamischen Gesellschaften, einen hohen Stellenwert. Der Unterschied zwischen Stadt und Land macht sich aber auch hier bemerkbar, in Bezug auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau sowie hinsichtlich der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Auf dem Land hat das traditionelle islamische Rollenmodell weitgehende Gültigkeit, der Tschador, der Ganzkörperschleier, dominiert hier das Straßenbild. In den großen Städten hat sich dieses Rollenverständnis inzwischen verschoben, wenn auch nicht in allen Stadtteilen. Während des Iran-Irak-Krieges war, allen eventuellen ideologischen Bedenken zum Trotz, die Arbeitskraft der Frauen unabdingbar. Nach dem Krieg waren Frauen aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken oder gar zu entfernen. Die unterschiedliche und sich verändernde Stellung der Frau zeigt sich auch an den Kinderzahlen: Während in vielen ländlichen, gerade den abgelegeneren Gebieten fünf Kinder der Normalfall sind, sind es in Teheran und Isfahan im Durchschnitt unter zwei. Insbesondere junge Frauen begehren heute gegen die nominell sehr strikten Regeln auf, besonders anhand der Kleidungsvorschriften für Frauen wird heute der Kampf zwischen einer eher säkular orientierten Jugend der Städte und dem System in der Öffentlichkeit ausgefochten. Eine Bewegung, die sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit erfreut, ist der islamische Feminismus. Dieser will die Rechte der Frau mittels einer islamischen Argumentation durchsetzen (GIZ 12.2020c).
Auch wenn die Stellung der Frau in Iran, entgegen aller Vorurteile gegenüber der Islamischen Republik, in der Praxis sehr viel besser ist als in vielen anderen Ländern der Region, sind Frauen auch hier nicht gleichberechtigt (GIZ 12.2020c). Verschiedene gesetzliche Verbote machen es Frauen unmöglich, im gleichen Maße wie Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (strenge Kleiderordnung, Verbot des Zugangs zu Sportveranstaltungen, Genehmigungsvorbehalt des Ehemannes oder Vaters bezüglich Arbeitsaufnahme oder Reisen). In rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind iranische Frauen also vielfältigen Diskriminierungen unterworfen, die jedoch zum Teil relativ offen diskutiert werden (AA 28.1.2022).
Iran hat die ’Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau’ als einer von wenigen Staaten weltweit nicht unterzeichnet. Im Global Gender Gap Report 2021 des World Economic Forum liegt Iran auf Platz 150 von 156 (WEF 3.2021; vergleiche AA 28.1.2022). Von einigen staatlichen Funktionen (u.a. Richteramt, Staatspräsident) sind Frauen gesetzlich oder aufgrund entsprechender Ernennungspraxis ausgeschlossen (AA 28.1.2022; vergleiche BAMF 7.2020). Es ist hier anzumerken, dass es sehr wohl einige Richterinnen - insbesondere an Familiengerichten gibt. Ihnen steht es aber nicht zu, ein Urteil auszusprechen oder den Prozess zu leiten. Sie dürfen unter der Aufsicht eines männlichen Richters lediglich beratend tätig werden (BAMF 7.2020). Nur eine Frau gehört dem Kabinett von Staatspräsident Raisi an, die Vizepräsidentin für Frauen- und Familienangelegenheiten Ensieh Khazali. Die ultrakonservative Politikerin gilt als Befürworterin der frühen Heirat von Mädchen (AA 28.1.2022).
Die Erwerbsquote von Frauen liegt nur bei etwa 12%. Viele Frauen sind im informellen Sektor tätig (BS 2020). Zusätzlich sind Frauen seit dem Beginn der Covid-19-Krise stärker als Männer vom Verlust ihres Arbeitsplatzes betroffen. Da Arbeitgeber durch die Pandemie wirtschaftlich unter Druck geraten sind, versuchen diese, den ausbleibenden Umsatz durch eine Reduzierung der Lohnzahlungen auszugleichen. Am stärksten davon, aber auch vom Verlust des Arbeitsplatzes, betroffen sind die Lohnzahlungen von Frauen (BAMF 7.2020). Laut offiziellen Daten wurden aufgrund der Covid-19-Krise binnen eines Jahres eine Million Frauen zusätzlich arbeitslos. Die Stärkung der Schattenwirtschaft, und damit von religiösen Stiftungen und Unternehmen im Besitz der Revolutionsgarden, in denen konservative Männer dominieren, hat die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen besonders eingeschränkt (ÖB Teheran 11.2021). Laut offiziellen Angaben liegt die Arbeitslosenrate bei Frauen bei knapp 18%. Unter Frauen mit höherer Bildung liegt sie noch deutlich höher. Die ultrakonservative Regierung wird die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt nicht vorantreiben, weil sie die traditionelle Rolle der Frau in der islamischen Familie stärken und die Geburtenrate erhöhen will (AA 28.1.2022). Gründe für die stärkere Betroffenheit von Frauen von Arbeitslosigkeit sind neben der Covid-Pandemie auch die US- Sanktionen und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und die beruflichen Möglichkeiten für Frauen sind durch soziale und rechtliche Regelungen eingeschränkt, mit dem Ziel der Beschränkung der Rolle von Frauen als Mutter und Ehefrau. Oftmals wird von Frauen das Einverständnis des Ehemannes oder Vaters verlangt, um eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können. Gesetzlich kann ein Ehemann seiner Ehefrau jederzeit verbieten, arbeiten zu gehen. Stellenausschreibungen werden oft geschlechtsspezifisch nur für Männer ausgeschrieben. Regelmäßig werden Frauen nach Rückkehr aus der neunmonatigen Karenz gekündigt. Die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit verhindern den gewerkschaftlichen Zusammenschluss erwerbstätiger Frauen. Konservative Politiker haben in der Vergangenheit mehrmals versucht, die Erwerbstätigkeit von Frauen weiter einzuschränken oder in manchen Sektoren zu verbieten (ÖB Teheran 11.2021).
In rechtlicher Hinsicht unterliegen Frauen einer Vielzahl diskriminierender Einschränkungen. Prägend ist dabei die Rolle der (Ehe-)frau als dem (Ehe-)mann untergeordnet, wie sich sowohl in Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechtes, der Ehescheidung als auch des Erbrechts erkennen lässt (AA 28.1.2022; vergleiche HRW 13.1.2022, ÖB Teheran 11.2021, AI 29.3.2022, BAMF 7.2020). Beispielsweise darf eine verheiratete Frau ohne die schriftliche Genehmigung ihres Mannes (oder Vaters) keinen Reisepass erhalten oder ins Ausland reisen (HRW 13.1.2022; vergleiche FH 28.2.2022, BAMF 7.2020). Kinder unter 18 Jahren benötigen für die Ausstellung des Reisepasses die schriftliche Erlaubnis ihres Vaters. Wenn der Ehemann oder der Vater nicht anwesend ist, hat die Frau sich bei einem Wunsch zur Ausreise an die zuständige Behörde des Außenministeriums zu wenden, sofern die schriftliche Erlaubnis nicht vorliegt. Während dieses Verfahrens werden auch Unterschrift sowie personenbezogene Angaben überprüft (BAMF 7.2020). Unverheiratete und geschiedene Frauen sowie Witwen benötigen keine Erlaubnis ihres Vaters oder eines männlichen Vormunds, um zu reisen (Cedoca 30.3.2020). Nach dem Zivilgesetzbuch hat ein Ehemann das Recht, den Wohnort zu wählen, und kann seine Frau daran hindern, bestimmte Berufe auszuüben (HRW 13.1.2022; vergleiche BAMF 7.2020). Im Straf- bzw. Strafprozessrecht sind Mädchen bereits mit neun Jahren vollumfänglich strafmündig (Buben mit 15 Jahren) (AA 28.1.2022; vergleiche BAMF 7.2020, ÖB Teheran 11.2021). Zeugenaussagen von Frauen werden hingegen nur zur Hälfte gewichtet (AA 28.1.2022; vergleiche FH 28.2.2022, ÖB Teheran 11.2021) und die finanzielle Entschädigung, die der Familie eines weiblichen Opfers nach ihrem Tod gewährt wird, ist nur halb so hoch wie die Entschädigung für ein männliches Opfer (FH 28.2.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Selbst KFZ-Versicherungen zahlen nur die Hälfte bei Personenschäden von Frauen. Auch erben Frauen nur die Hälfte von Männern (ÖB Teheran 11.2021).
Bei Verstößen gegen gesetzliche Verbote müssen Frauen mit Strafen rechnen. So kann etwa eine Frau, die ihre Haare oder die Konturen ihres Körpers nicht verhüllt, mit Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) und/oder Geldstrafe bestraft werden. Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich; dazu kommt es in der Regel nicht, da die Familien von der Möglichkeit des Freikaufs überwiegend Gebrauch machen (AA 28.1.2022).
Laut Gesetz darf eine Jungfrau nicht ohne Einverständnis ihres Vaters, Großvaters oder eines Richters heiraten (US DOS 12.4.2022). Das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen liegt bei 13 Jahren. Väter und Großväter können bei Gericht eine Erlaubnis einholen, wenn sie das Mädchen früher verheiraten wollen (US DOS 12.4.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021, AI 29.3.2022, BAMF 7.2020). Das gesetzliche Alter für Buben liegt bei 15 Jahren. Mit der schlechten Wirtschaftslage geht ein Anstieg des Verkaufs von Mädchen zum Kindesmissbrauch in Kinderehen einher (ÖB Teheran 11.2021). 2020 stieg die Rate nach offiziellen Zahlen um 10,5% auf 31.379 Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren. Jüngere Mädchen werden nicht gezählt, auch wenn die Verheiratung von Mädchen ab neun Jahren mit Zustimmung der Eltern und eines religiösen Richters erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022).
Im Juni 2020 erließ der Präsident ein Dekret, mit dem eine Änderung des Zivilgesetzbuches in Kraft gesetzt wurde. Dadurch wird es iranischen Frauen, die mit ausländischen Männern verheiratet sind, ermöglicht, ihren Kindern die Staatsbürgerschaft zu übertragen (US DOS 12.4.2022; vergleiche BAMF 7.2020, ÖB Teheran 11.2021, FH 28.2.2022). Frauen müssen diese Übertragung jedoch eigens beantragen, und ihre Kinder müssen sich einer Sicherheitsüberprüfung durch das Geheimdienstministerium unterziehen, während die Staatsbürgerschaft iranischer Männer automatisch an deren Kinder übertragen wird (USDOS 12.4.2022; vergleiche BAMF 7.2020). Die ersten Personalausweise für solche Kinder wurden im Juli 2021 ausgestellt (FH 28.2.2022).
Gesetzliche Regelungen räumen geschiedenen Frauen das Recht auf Alimente ein. Angaben über mögliche (finanzielle) Unterstützung vom Staat für alleinerziehende bzw. alleinstehende Frauen sind nicht eruierbar. Das Gesetz sieht vor, dass geschiedenen Frauen vorzugsweise das Sorgerecht für ihre Kinder bis zu deren siebentem Lebensjahr gegeben werden soll. Danach soll das Sorgerecht dem Vater übertragen werden, außer dieser ist dazu nicht imstande. Heiraten geschiedene Frauen erneut, verlieren sie das Sorgerecht für Kinder aus einer früheren Ehe (ÖB Teheran 11.2021). Ein Mann kann sich zu jedem Zeitpunkt von seiner Frau scheiden lassen. Die Möglichkeiten der Frau, sich von ihrem Ehemann scheiden zu lassen, sind dagegen eingeschränkt und nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Bei Schließung einer dauerhaften Ehe besteht die Möglichkeit, Regelungen vor dem Heiratsnotariat zu vereinbaren, unter denen sich die Ehefrau an ein Gericht wenden kann, um eine schriftliche Erlaubnis zur Scheidung zu erhalten (BAMF 7.2020).
Aufgrund der Schwierigkeit für Frauen am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist der familiäre Rückhalt für alleinstehende Frauen umso bedeutender. Jedoch erhalten manche Frauen, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm leben (wie zum Beispiel lesbische Frauen oder Prostituierte), keine Unterstützung durch die Familie und können Opfer von häuslicher Gewalt und Zwangsheirat werden. Alleinstehende Frauen haben oft Schwierigkeiten, eine Wohnung oder Arbeit zu finden, da sie für Prostituierte gehalten werden (ÖB Teheran 11.2021).
Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen. Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Gesetze zur Verhinderung und Bestrafung geschlechtsspezifischer Gewalt existieren nicht. Ein geplantes Gesetz ’gegen Gewalt gegen Frauen’ ist noch immer nicht verabschiedet worden. Fälle von Genitalverstümmelung sind nicht bekannt (AA 28.1.2022). Vergewaltigung ist illegal und unterliegt strengen Strafen, einschließlich der Todesstrafe. Das Gesetz betrachtet Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe per Definition als einvernehmlich und behandelt daher keine Vergewaltigung in der Ehe, auch nicht in Fällen von Zwangsheirat. Die meisten Vergewaltigungsopfer melden Verbrechen nicht, weil sie staatliche Vergeltungsmaßnahmen oder Strafen für Vergewaltigungen befürchten, wie zum Beispiel Anklagen wegen Unanständigkeit, unmoralischem Verhalten oder Ehebruch. Ehebruch wiederum ist ebenfalls mit der Todesstrafe bedroht. Auch gesellschaftliche Repressalien oder Ausgrenzung werden von Vergewaltigungsopfern befürchtet (US DOS 12.4.2022). Sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz und in der Familie ist weit verbreitet, für die Männer herrscht gänzliche Straflosigkeit. Ein iranischer ’Me-Too’-Moment im Sommer 2020, als eine junge Frau Interviews mit Überlebenden sexueller Gewalt veröffentlichte, zeigte das Ausmaß des ansonsten totgeschwiegenen Problems auf. Krisenzentren und Frauenhäuser nach europäischem Modell existieren in Iran nicht. Die schwierige Beweislast für sexuellen Missbrauch und das Verbot außerehelicher Beziehungen hat zur Folge, dass Frauen Missbrauch nicht anzeigen, da sie ansonsten regelmäßig selbst Beschuldigte wären. Ein Gesetzesentwurf der Regierung Rohani zu Gewaltschutz wurde vom erzkonservativen Parlament solange boykottiert, bis der jetzige Präsident Raisi an die Macht kam, unter dem das Gesetz keine Aussicht auf Umsetzung hat (ÖB Teheran 11.2021).
Am 1.11.2021 wurde ein neues Gesetz zur ’Verjüngung der Gesellschaft und zum Schutz der Familie’ verabschiedet, das von neun UN-Sonderberichterstattern und Menschenrechtsmechanismen als menschenrechtswidrig bezeichnet wurde (ÖB Teheran 11.2021). Das Gesetz schränkt den Zugang von Frauen zu reproduktiven Rechten stark ein. So soll der Zugang zu Abtreibungen v.a. mithilfe strafrechtlicher Drohungen weiter stark eingeschränkt werden (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022, AA 28.1.2022), insbesondere dürfte bei Abtreibungen als ’mohareb’ (Waffenaufnahme gegen Gott) die Todesstrafe drohen (ÖB Teheran 11.2021). Darüber hinaus werden der Verkauf von Verhütungsmitteln und Sterilisationen verboten (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022, AA 28.1.2022), eine Datenbank von Frauen, die gynäkologische Hilfe suchen wird erstellt, und religiöse Richter sollen mitentscheiden, ob einer Frau medizinische indizierte Abtreibung gewährt wird (ÖB Teheran 11.2021).
Dem Gesetz nach müssen alle Frauen in Iran ab einem Alter von neun Jahren die islamischen Bekleidungsvorschriften in der Öffentlichkeit einhalten. Das Kopftuch ist zwingend vorgeschrieben, jedoch nicht das Tragen des Tschadors. Nach einer Studie des wissenschaftlichen Dienstes des iranischen Parlamentes heißen nur 13% der befragten Frauen das Tragen des Tschadors gut (BAMF 7.2020). Seit Ende Dezember 2017 fordern immer mehr iranische Frauen eine Abschaffung der Kopftuchpflicht. Als Protest nehmen sie in der Öffentlichkeit ihre Kopftücher ab und hängen sie als Fahne auf. Auch gläubige Musliminnen, die das Kopftuch freiwillig tragen, ältere Frauen, Männer und angeblich auch einige Kleriker haben sich den landesweiten Protestaktionen angeschlossen (Kleine Zeitung 3.2.2018). Zahlreiche Frauen, die öffentlich ihren Schleier abnahmen und davon Fotos und Videos verbreiteten, befinden sich weiterhin in Haft und sind zu Peitschenhieben verurteilt, wie auch ihre Rechtsanwälte (ÖB Teheran 11.2021). In einigen Fällen wurden auch besonders harte Haftstrafen verhängt (u.a. 24 Jahre Haft für eine Frauenrechtsaktivistin im August 2019) (AA 28.1.2022). Der Kopftuchzwang führt zu täglichen Schikanen, willkürlichen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen sowie dazu, dass Frauen der Zugang zu Bildung, Beschäftigung und öffentlichen Räumen verweigert wird. Mindestens sechs Frauenrechtlerinnen, die sich gegen den Kopftuchzwang eingesetzt hatten, sitzen noch immer im Gefängnis (AI 29.3.2022). Obwohl Frauen im Oktober 2019 einmalig auf Druck der FIFA erstmals ein Fußball-Länderspiel im Stadion verfolgen konnten, hat sich am grundsätzlichen Stadionverbot für Frauen nichts geändert (AA 28.1.2022). Neben den Beschränkungen in Bezug auf Sportveranstaltungen gibt es solche auch bezüglich Kultur, beispielsweise ein Sing- verbot außer im Chor, Verbot des Tanzens, etc. Die Regierung Raisi hat bereits angekündigt, das Rad- und Motorradfahrverbot für Frauen streng durchzusetzen (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
● AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 12.5.2022
● AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 12.5.2022
● BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.2020): Länderreport Nr. 28. Iran. Frauen - Rechtliche Stellung und gesellschaftliche Teilhabe, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_28_Iran_July-2020.pdf, Zugriff 12.5.2022
● BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 12.5.2022
● Cedoca – Documentation and Research Department of the Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien] (30.3.2020): COI Focus IRAN Treatment of returnees by their national authorities, https://coi.easo.europa.eu/administration/belgium/PLib/COI_Focus_Iran_Treatment%20of_returnees_by_their_national_authorities_30032020_update_ENG.pdf, Zugriff 12.5.2022
● FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 12.5.2022
● GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/, Zugriff 12.5.2022 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
● HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 12.5.2022
● Kleine Zeitung (3.2.2018): Bericht: ’Besorgniserregender Widerstand gegen Kopftuch’, https://www.kleinezeitung.at/politik/aussenpolitik/5365790/Strafen-helfen-im-Iran-nicht-mehr_Besorgniserregender-Widerstand, Zugriff 23.4.2020
● ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 12.5.2022
● US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 12.5.2022
● WEF – World Economic Forum (3.2021): Global Gender Gap Report 2021, https://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2021.pdf, Zugriff 12.5.2022
Kinder
Iran hat das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit dem islamischen Recht) (CRC) und das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (CRC-OP-SC) ratifiziert (AA 28.1.2022). Nach einer Häufung von sogenannten Ehrenmorden hat das Parlament 2020 ein Gesetz verabschiedet, das den Schutz von Kindern vor Gewalttaten auch von Verwandten stärken soll (AA 28.1.2022). Eine seit über zehn Jahren diskutierte Ergänzung zum Kinderschutzrecht wurde im Juni 2020 verabschiedet, nachdem der Ehrenmord eines 14-jährigen Mädchens durch den eigenen Vater für viel Aufregung gesorgt hatte (AA 5.2.2021). Es enthält neue Strafen für bestimmte Handlungen, die die Sicherheit und das Wohlergehen eines Kindes beeinträchtigen, einschließlich körperlicher Schäden und der Verhinderung des Zugangs zu Bildung. Das Gesetz ermöglicht es den Behörden auch, Kinder in Situationen, die ihre Sicherheit ernsthaft gefährden, umzusiedeln (HRW 13.1.2021). Das Gesetz geht jedoch nicht auf einige der schwerwiegendsten Bedrohungen für Kinder in Iran ein, wie Kinderehen, die Verhängung der Todesstrafe (HRW 13.1.2021; vergleiche AI 29.3.2022) und Vergewaltigung in der Ehe (AI 29.3.2022). Zwangsverheiratungen von Minderjährigen kommen vor allem in ländlichen Gebieten vor. Dies betrifft meistens Mädchen und dient der finanziellen Entlastung der Familie (AA 28.1.2022). Nach dem iranischen Zivilgesetzbuch können Mädchen ab einem Alter von 13 und Buben ab einem Alter von 15 Jahren heiraten. Mit Zustimmung des Vaters – unter Umständen auch des Großvaters – und eines Richters kann eine Ehe auch vorher geschlossen werden (AA 28.1.2022; vergleiche US DOS 12.4.2022, HRW 13.1.2022, ÖB Teheran 11.2021, HRC
13.1.2022). Im Jahr 2020 wurden nach offiziellen Angaben 31.379 Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren verheiratet. Noch jüngere Mädchen werden nicht gezählt, da die Verheiratung von Mädchen ab neun Jahren mit Zustimmung der Eltern und eines religiösen Richters erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022, HRC 13.1.2022). Eltern dürfen ihre adoptierten Kinder heiraten, sofern ein Gericht zustimmt (AA 28.1.2022).
Seit 2020 können iranische Frauen, die mit ausländischen Männern verheiratet sind, ihren Kindern die Staatsbürgerschaft übertragen (US DOS 12.4.2022; vergleiche BAMF 7.2020, ÖB Teheran 11.2021). Eine Geburt innerhalb der Landesgrenzen verleiht nicht die Staatsbürgerschaft, es sei denn, ein Kind wird von unbekannten Eltern geboren. Das Gesetz schreibt vor, dass alle Geburten innerhalb von 15 Tagen registriert werden müssen (US DOS 12.4.2022).
Iran ist ein Land, in dem die Bildung einen hohen Stellenwert genießt. In sporadischen Fällen gibt es bereits in Kindergärten eine Trennung nach Geschlechtern, die große Mehrzahl der Kindergärten ist jedoch nicht nach den Geschlechtern getrennt. Schulklassen werden hingegen nach Geschlechtern getrennt mit Schülern und Schülerinnen besetzt. Dies beginnt in der Grundschule und endet beim Besuch der Oberschulen (bis zur 12. Klasse) (AA 5.2.2021). Universitäten bieten mehrheitlich den gemeinsamen Zugang für Männer sowie Frauen an. Es gibt jedoch einige Universitäten in Iran, die lediglich für Männer oder Frauen zugänglich sind (BAMF 7.2020).
Obwohl der Grundschulbesuch bis zum Alter von elf Jahren für alle kostenlos und verpflichtend ist, berichten Medien und andere Quellen über eine geringere Einschulung in ländlichen Gebieten, insbesondere bei Mädchen. Das oben erwähnte Kinderschutzgesetz sieht finanzielle Strafen für Eltern oder Erziehungsberechtigte vor, die nicht für den Zugang ihrer Kinder zur Sekundarschulbildung sorgen. Die Sekundarschulbildung ist kostenlos. Kindern, die keinen staatlichen Ausweis besitzen, wird das Recht auf Bildung verweigert. Der Zugang von Minderheitenkindern zur Bildung sowie die hohen Grundschulabbrecherquoten bei Mädchen aus ethnischen Minderheiten, die in Grenzprovinzen leben, bleiben besorgniserregend (US DOS 12.4.2022).
Das iranische Recht verbietet Kinderarbeit bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres; bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gibt es diverse Einschränkungen (z.B. keine Schwer-/Nachtarbeit). In Familienbetrieben lässt das Gesetz allerdings die Beschäftigung von Kindern unter 15 Jahren zu. Der iranische Staat schätzt, dass zwei Millionen Kinder arbeiten, nach inoffiziellen Schätzungen sind bis zu sieben Millionen Kinder betroffen (v.a. Buben). Nach offiziellen Statistiken leben über zwei Millionen Kinder in Iran auf der Straße. Viele von ihnen sind als Straßenverkäufer tätig. Politische Initiativen, Straßenkinder in ihre Familien zurückzubringen, verliefen nicht erfolgreich (AA 28.1.2022). Die Revolutionsgarden sollen Tausende von in Iran lebenden afghanischen Migranten mithilfe von Zwangstaktiken für den Kampf in Syrien rekrutiert haben. Unter den Rekrutierten sollen sich Kinder im Alter von 14 Jahren befinden (FH 28.2.2022; vergleiche US DOS 1.7.2021).
Verurteilte können für Verbrechen, die sie im Alter von unter 18 Jahren begangen haben, hingerichtet werden (FH 28.2.2022). Die Verhängung der Todesstrafe ist gegen männliche Jugendliche ab dem 15. Lebensjahr, für Mädchen ab dem neunten Lebensjahr möglich (AA 28.1.2022; vergleiche HRC 14.5.2021, ÖB Teheran 11.2021, BAMF 7.2020) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2020 wurden mindestens vier, 2021 mindestens zwei zur Tatzeit minderjährige Täter hingerichtet. Mehreren weiteren zur Tatzeit Minderjährigen droht die Hinrichtung. 2019 wurden erstmals auch zwei zum Zeitpunkt der Hinrichtung Minderjährige verzeichnet (AA 28.1.2022). Nach dem geltenden iranischen Strafgesetzbuch liegt es im Ermessen der Richter, Personen, die ihr mutmaßliches Verbrechen als Kinder begangen haben, nicht zum Tode zu verurteilen (HRW 13.1.2021; vergleiche HRC 14.5.2021). Mehrere Personen, die nach dem Strafgesetzbuch für Verbrechen, die sie als Kinder begangen haben sollen, verurteilt worden sind, wurden erneut vor Gericht gestellt und erneut zum Tode verurteilt (HRW 13.1.2022). In Gefängnissen sind Erwachsene und Minderjährige oftmals nicht getrennt untergebracht (AA 28.1.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Im ’Kapitel über die Strafen’ des iranischen Strafgesetzbuches finden sich detaillierte Vorschriften, wie mit Jugendlichen umzugehen ist. Bei Straftaten, die mit ta‘zir-Strafen bedroht sind, wird gegen Kinder und Jugendliche unter 15 Mondjahren eine Reihe von Erziehungsmaßnahmen verhängt, zwischen zwölf und 15 Jahren sind auch leichte Strafen möglich, wie die Ermahnung des Richters, oder eine Selbstverpflichtung keine Straftaten mehr zu begehen. Bei schweren und mittelschweren Straftaten ist die Unterbringung in einem Erziehungszentrum für drei Monate bis zu einem Jahr, unabhängig von den ebenso vorgesehenen milderen Strafen, möglich (Artikel 88 iStGB). Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren werden mit Unterbringung in einer Erziehungsanstalt bestraft, die bei schweren Straftaten bis zu fünf Jahren dauern kann. Bei mittelschweren und leichten Straftaten kann stattdessen eine Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit verhängt werden (Artikel 89 iStGB). Bei den hadd- und qisas-Delikten wird eine Person, welche die Strafmündigkeit erreicht hat, aber noch nicht 18 Jahre alt ist, und das Wesen der Straftat und ihres Verbots nicht erfasst hat, oder an deren geistiger und seelischer Reife Zweifel bestehen, je nach den Umständen mit denselben Strafen wie bei ta‘zir-Delikten bestraft (Artikel 91 iStGB). Zur Feststellung derartiger Zweifel kann das Gericht das Gutachten eines Gerichtsmediziners einholen; es kann sich aber auch jedes anderen Mittels bedienen (gesetzliche Erläuterung zu Artikel 91 iStGB). Das bedeutet, dass es beispielsweise Verwandte, Nachbarn, Lehrer oder andere Personen aus dem nahen Umfeld befragen kann. Damit hat das Gericht aber einen so großen Spielraum, dass es die schweren hadd- und qisas-Strafen bei Personen unter 18 Jahren fast immer vermeiden kann. Strafverfahren unter 18-Jähriger, nach iranischem Recht handelt es sich dabei nicht um Minderjährige, werden grundsätzlich gemäß Artikel 304 der iranischen Strafprozessordnung vor einem Gericht für Kinder und Heranwachsende behandelt (BAMF 7.2020).
Das gesetzliche Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr ist das gleiche wie für die Ehe, da Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe illegal ist. Es gibt keine speziellen Gesetze zur sexuellen Ausbeutung von Kindern, da solche Straftaten entweder unter die Kategorie Kindesmissbrauch oder Sexualdelikte des Ehebruchs fallen. Das Gesetz geht nicht direkt auf sexuelle Belästigung ein und sieht auch keine Strafe dafür vor. Die Unklarheit zwischen den gesetzlichen Definitionen von Kindesmissbrauch und sexueller Belästigung kann dazu führen, dass Fälle von sexueller Belästigung von Kindern nach dem Gesetz über Ehebruch verfolgt werden. Zwar gibt es keine gesonderte Bestimmung für die Vergewaltigung eines Kindes, doch kann das Verbrechen der Vergewaltigung unabhängig vom Alter des Opfers mit dem Tod bestraft werden (US DOS 12.4.2022).
Aufgrund der mangelnden Transparenz der Regierung bezüglich des Menschenhandels in Iran, insbesondere im Hinblick auf Frauen und Mädchen, werden keine Statistiken vorgelegt (NCRI 21.4.2021). Die Regierung meldete keine Strafverfolgungsmaßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels, und Beamte verübten weiterhin ungestraft Delikte in Bezug auf Menschenhandel, darunter den Sexhandel mit Erwachsenen und Kindern (US DOS 1.7.2021).
Quellen:
● AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 12.5.2022
● AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/DeutschlandAusw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2, Zugriff 12.5.2022
● AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 12.5.2022
● AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html, Zugriff 12.5.2022
● BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.2020): Länderreport Nr. 28. Iran. Frauen - Rechtliche Stellung und gesellschaftliche Teilhabe, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_28_Iran_July-2020.pdf, Zugriff 12.5.2022
● FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 12.5.2022
● HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 12.5.2022
● HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf, Zugriff 12.5.2022
● HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 12.5.2022
● HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html, Zugriff 12.5.2022
● NCRI - National Council of Resistance Iran (21.4.2021): Trafficking of Iranian Women Often Takes Place Through Three Provinces, https://women.ncr-iran.org/2021/04/21/trafficking-of-iranian-women/, Zugriff 12.5.2022
● ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 12.5.2022
● US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 12.5.2022
● US DOS – US Department of State [USA] (1.7.2021): 2021 Trafficking in Persons Report: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2055123.html, Zugriff 12.5.2022
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAN: Rechte und Pflichten von Witwen vom 17.08.2022
Welche Rechte und Pflichten haben Witwen im Iran (z.B. unterstehen sie der väterlichen oder schwiegerväterlichen Obsorge; dürfen sie selbst Wohnungen beziehen, bzw. arbeiten oder Rechtsgeschäfte abschließen; erhalten sie Witwenpension)?
Zusammenfassung:
Was die finanziellen Rechte betrifft, so hat die Witwe, sofern die Ehe zum Zeitpunkt des Todes ihres Mannes noch nicht aufgelöst war und ihr Mann sozialversichert war, Anspruch auf Hinterbliebenenrente. Falls der Ehemann nicht sozialversichert war oder als Selbständiger oder Freiberuflicher über eine Altersversorgung verfügte hat die Ehefrau immer noch das Recht, am Nachlass, zuzüglich der Rückforderung ihrer "mahr" (Eheanteils) aus dem Nachlass. Sie darf selbst eine Wohnung beziehen, arbeiten oder Rechtsgeschäfte selbst abschließen. Sie steht nicht unter dem Sorgerecht ihres Vaters oder (ehemaligen) Schwiegervaters.
Das UN Human Rights Committee berichtet, dass eine zeitlich begrenzte Heirat für Witwen nach dem Gesetz möglich ist (siehe dazu auch die Originalantwort der Vertrauensperson zur Frage).
Die Rechercheabteilung des belgischen Generalkommissariats für Flüchtlinge und Staatenlose berichtet, dass Witwen keine Erlaubnis ihres Vaters oder eines männlichen Vormunds benötigen, um zu reisen.
Was die Verpflichtungen betrifft, müssen sie eine Frist von 4 Monaten und 10 Tagen einhalten, bevor sie wieder heiraten dürfen.
Einzelquellen:
Die ÖB Teheran gibt zu dieser Fragestellung an, dass, was die Verpflichtungen betrifft, sie eine Frist einhalten müssen, die als "eddah" bezeichnet wird ("Wartezeit", die eine Frau nach dem Tod ihres Mannes oder nach einer Scheidung einhalten muss und in der sie keinen anderen Mann heiraten darf) von 4 Monaten und 10 Tagen, bevor sie wieder heiraten darf (unabhängig davon, ob die Ehe vollzogen wurde oder nicht oder ob die Frau das Alter der Menopause erreicht hat oder nicht; Wenn die Witwe zum Zeitpunkt des Todes ihres Mannes schwanger war, muss sie bis zur Entbindung warten, wenn der Zeitraum zwischen dem Tod ihres Mannes und der Entbindung länger ist; andernfalls, d. h. wenn der Zeitraum zwischen dem Tod und der Entbindung kürzer ist, muss die Witwe immer noch vier Monate und zehn Tage warten, was die Mindestwartezeit ist), bevor sie wieder heiraten kann. Was die finanziellen Rechte betrifft, so hat die Witwe, sofern die Ehe zum Zeitpunkt des Todes ihres Mannes noch nicht aufgelöst war (durch Scheidung oder Ungültigkeitserklärung) und ihr Mann sozialversichert war, ebenfalls Anspruch auf Hinterbliebenenrente (oder ist Mitempfängerin, wenn der Ehemann noch andere Familienangehörige zu versorgen hatte). Andernfalls (falls der Ehemann nicht sozialversichert war oder als Selbständiger oder Freiberuflicher über eine Altersversorgung verfügte) hat die Ehefrau immer noch das Recht, ihren Anteil am Nachlass, der ein Achtel (wenn der Ehemann ein Kind oder mehrere Kinder hatte) oder ein Viertel (wenn es keine Kinder gibt) beträgt, zuzüglich der Rückforderung ihrer "mahr" (Eheanteils) aus dem Nachlass und vor dessen Verteilung oder Rückzahlung von Schulden (die den Nachlass belasten könnten), da sie in Bezug auf ihre "mahr" als privilegierte Gläubigerin betrachtet wird, die Vorrang vor allen anderen nicht gesicherten Gläubigern hat. Es ist anzumerken, dass die Witwe, wenn sie eine zivile Wiederverheiratung eingeht (ich spreche nicht von der höchst umstrittenen und viel diskutierten so genannten "Ehe auf Zeit"), die Zahlung der monatlichen Rente eingestellt wird, obwohl sie alles behält, was sie von ihrem Ehemann geerbt hat. Ihr Sorgerecht für minderjährige Kinder kann ebenfalls überprüft und beeinträchtigt werden, da sie verpflichtet ist, die Staatsanwaltschaft über ihre Wiederverheiratung zu informieren, falls die von ihrem verstorbenen Ehemann hinterlassenen Waisen minderjährig sind.
Stehen sie unter dem Sorgerecht ihres Vaters oder (ehemaligen) Schwiegervaters?
Nein, absolut nicht: Sie sind handlungsfähig, wenn sie das zivilrechtliche Mindestalter (18 Jahre) erreicht haben.
Dürfen sie selbst eine Wohnung beziehen, arbeiten oder Rechtsgeschäfte selbst abschließen?
Ja, laut Gesetz haben sie Anspruch auf alle oben genannten Rechte. In der Praxis und bei der Wohnungssuche kann es jedoch vorkommen, dass sie aufgrund bestimmter Erwägungen (steigende Mieten, Gefahr der Belästigung von allein lebenden Frauen, mangelnde finanzielle Unabhängigkeit und andere relevante Faktoren…) lieber bei ihren eigenen Eltern wohnen oder gebeten und ermutigt werden, zu ihren Schwiegereltern zu ziehen und dort zu leben. Sie können jedoch arbeiten, d. h. eine Beschäftigung außerhalb des Hauses annehmen und über ihr Vermögen verfügen, indem sie Rechtsgeschäfte abschließen. Für Transaktionen, die vor einem Notar registriert werden müssen, wie z. B. solche, die Immobilien oder Autos betreffen (und nicht z. B. den Kauf von Gold oder Haushaltsgeräten und anderen Einrichtungsgegenständen, die nicht notariell beglaubigt werden), müssen sie das zivilrechtliche Alter erreicht haben (nicht zu verwechseln mit dem Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, das im Islam viel niedriger ist), andernfalls müssen sie sich an ein Gericht wenden, um eine Bescheinigung der geistigen Reife zu beantragen, bevor sie notarielle Geschäfte abschließen.
Bekommen sie eine Witwenrente?
Ja, wenn die Ehe zum Zeitpunkt des Todes ihres Mannes noch nicht aufgelöst war (durch Scheidung oder Ungültigkeitserklärung) und ihr Mann sozialversichert war. Andernfalls (wenn der Ehemann nicht sozialversichert war oder alternativ als Selbständiger oder Freiberuflicher eine Altersversorgung hatte), haben sie weiterhin Anspruch auf ihren Anteil am Nachlass, der ein Achtel (wenn sie ein Kind oder Kinder haben) oder ein Viertel (wenn es keine Kinder gibt) beträgt.
● ÖB – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (16.8.2022): Auskunft der Vertrauensperson per email
Das UN Human Rights Committee gibt im Staatenbericht über die Umsetzung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte im Iran an, dass eine zeitlich begrenzte Heirat für Mädchen nicht üblich ist, aber für Witwen ist sie nach dem Gesetz möglich, das auf dem Einverständnis der Parteien und der gesetzlichen Registrierung beruht, was Promiskuität und deren unangemessene Folgen verhindert.
● UN Human Rights Committee (23.8.2021): Government of Iran: Fourth periodic report submitted by Iran under article 40 of the Covenant, due in year 2014 [22 June 2021] [CCPR/C/KEN/4], https://www.ecoi.net/en/file/local/2056425/G2122934.pdf, Zugriff 29.7.2022
CGRS-CEDOCA, die Rechercheabteilung des belgischen Generalkommissariats für Flüchtlinge und Staatenlose berichtet, dass verheiratete Frauen immer die Erlaubnis ihres Ehemannes benötigen, um den Iran zu verlassen, auch wenn sie im Besitz eines gültigen Reisepasses sind. Unverheiratete und geschiedene Frauen sowie Witwen benötigen keine Erlaubnis ihres Vaters oder eines männlichen Vormunds, um zu reisen.
● CGRS-CEDOCA – Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons, COI unit [Belgien] (30.3.2020): IRAN - Treatment of returnees by their national authorities, https://coi.easo.europa.eu/administration/belgium/PLib/COI_Focus_Iran_Treatment%20of_returnees_by_their_national_authorities_30032020_update_ENG.pdf, Zugriff 29.7.2022
Welche Rechte haben Witwen gegenüber ihren minderjährigen Kindern? Erhalten sie Waisenpension?
Die ÖB in Teheran gibt zu dieser Fragestellung an, dass, wenn der Vater des Ehemannes den Tod seines Sohnes überlebt, wird er als natürlicher Vormund betrachtet und hat die gleichen Rechte und Pflichten wie sein verstorbener Sohn, dh der Vater der minderjährigen Waisen. Das bedeutet, dass beispielsweise eine Enkelin, die heiraten möchte und deren Großvater väterlicherseits (Vater des verstorbenen Ehemannes) noch lebt, für ihre erste Heirat seine Zustimmung benötigt, auch wenn sie bereits volljährig ist (für spätere Eheschließungen ist eine solche Zustimmung nicht erforderlich).
Bitte beachten Sie, dass der Großvater mütterlicherseits (Vater der Witwe) kein Recht, sondern nur eine Verpflichtung zur Unterstützung und zum Unterhalt hat, wenn es keine Schwiegereltern gibt, so dass er (der Großvater väterlicherseits) die Verantwortung übernimmt, wenn der Vater des Ehemanns noch lebt. Ist der Großvater väterlicherseits, dh der Vater des verstorbenen Ehemanns, jedoch tot oder geschäftsunfähig (aufgrund von Demenz, Unzurechnungsfähigkeit usw.), hat die Mutter die größten Chancen, von der iranischen Justizverwaltung zum Vormund für die Waise(n) ernannt zu werden, und sie behält diese Position, bis das Kind/die Kinder das Alter der Volljährigkeit erreicht/erreichen und solange sie nicht durch Wiederverheiratung, moralische Untauglichkeit oder Geschäftsunfähigkeit disqualifiziert wird. In diesem Fall muss sie der Behörde für Vormundschaft und Pflegschaft der iranischen Justizverwaltung regelmäßig über das Mündel (dh das Kind, das rechtlich unter dem Schutz eines Gerichts oder eines Vormunds steht) Bericht erstatten und eine Sondergenehmigung der Staatsanwaltschaft für wichtige Transaktionen (z. B. in Bezug auf Immobilien, die dem Mündel gehören, oder große Geldsummen) beantragen, nicht aber für alltägliche Routinegeschäfte wie das Abheben von Geldern von dem Bankkonto, auf das die Rente gezahlt wird.
Bekommen sie eine Waisenrente?
Sie müssen keine Waisen von ihrem verstorbenen Ehemann hinterlassen haben, um Anspruch auf den Witwenanteil zu haben, wenn ihr verstorbener Ehemann eine Altersversorgung oder eine Rentenversicherung hatte. Selbst wenn der Ehemann zum Zeitpunkt seines Todes das Rentenalter noch nicht erreicht hatte (grundsätzlich 65 Jahre für Männer und 60 Jahre für Frauen oder andernfalls nach 30 Dienstjahren), erhält die Witwe ihre Rente von der Sozialversicherung oder einer anderen Vorsorgeeinrichtung im Verhältnis zur Dienstzeit des Ehemannes, wenn ihr Name als nächster Angehöriger zusammen mit anderen rechtmäßigen Erben im Nachlasszeugnis aufgeführt ist. Die Witwe muss diese Rente jedoch mit allen männlichen Kindern unter 18 Jahren und mit unverheirateten oder geschiedenen weiblichen Kindern teilen, auch wenn diese über 18 Jahre alt sind. Für männliche Kinder endet die Rente im Alter von 18 Jahren, es sei denn, sie studieren weiter. In diesem Fall kann die Rente bis zum Alter von 22, 24 oder 26 Jahren gezahlt werden (je nach Studiengang, in dem sie eingeschrieben sind, d. h. Bachelor, Master oder Promotion), wenn sie an einer Universität eingeschrieben sind.
● ÖB – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (16.8.2022): Auskunft der Vertrauensperson per email
Ist die Heirat nichtig oder muss eine Scheidung beantragt werden, falls einer der beiden Ehepartner, bei der Hochzeit oder nachträglich der Religionsgemeinschaft der Christen angehört? Mit welchen Folgen hat der andere Ehepartner bei Kenntnis des Sachverhaltes zu rechnen?
Die ÖB Teheran gibt zu dieser Fragestellung an, dass, was den Tod betrifft, so wird eine Zivilehe automatisch mit dem Tod eines der Ehegatten aufgelöst, und während der Ehemann (Witwer) sofort wieder heiraten kann, muss die Ehefrau (Witwe) 4 Monate und 10 Tage warten (und noch länger, wenn sie ein Kind erwartet und die Entbindung erst nach einem längeren Zeitraum erwartet wird). In Bezug auf die Konversion muss die Antwort in die Phasen vor und nach der Ehe unterteilt werden: In der Phase vor der Ehe, d. h. zum Zeitpunkt der Registrierung einer zivilen Eheschließung, muss der nicht-muslimische Ehepartner zum Islam konvertieren oder zumindest eine notariell beglaubigte Pro-forma-Erklärung unterzeichnen, in der er/sie erklärt, dass er/sie zum Islam konvertiert ist. Für ausländische Männer, ob Muslime oder Nicht-Muslime, die iranische Frauen heiraten wollen, ist sogar eine Sondergenehmigung oder Lizenz des iranischen Innenministeriums für die Registrierung der Ehe erforderlich (unter bestimmten Umständen und vorbehaltlich einer Ad-hoc-Fatwa einer religiösen Autorität kann eine nicht-muslimische Frau, die einen muslimischen Mann heiraten will, von der Pflicht zur Konversion befreit werden, während dieses Privileg oder Vorrecht nicht umgekehrt gilt, dh. es gilt nicht für einen nicht-muslimischen Mann, der eine iranische Muslimin heiraten will, da er unbedingt das formale Konversionsverfahren durchlaufen muss, weil die zugrunde liegende Überlegung lautet, dass der Ehemann, von dem angenommen wird, dass er das Familienleben dominiert, seinen Willen und seine Überzeugungen, einschließlich der religiösen, durchsetzen kann, die Ehefrau jedoch nicht).
Welche Konsequenzen hat der andere Ehegatte (der Ehegatte, der Muslim bleibt) zu erwarten, wenn herauskommt, dass sein/ihr Ehegatte Christ geworden ist (die Antwort hängt davon ab, ob der muslimische Ehepartner von der Apostasie wusste oder nicht)?
In der Phase nach der Heirat, wenn der Ehemann öffentlich aus dem Islam austritt (in der Praxis gibt es kein Problem, wenn er sich zurückhält oder die Ehefrau eine Haltung der Toleranz und Duldung einnimmt), dann, zumindest theoretisch gilt die Ehefrau nicht mehr als rechtmäßig mit ihm verheiratet und sollte sich enthalten, mit ihm ins Bett zu gehen oder auch nur irgendeinen nicht-penetrativen Sex (wie Küsse und Liebkosungen) mit ihm zu haben, weil die Ehe als nicht mehr gültig angesehen wird und als null und nichtig gilt (aber null und nichtig ab initio oder von Anfang an, dh die Nichtigkeit wird nicht auf das Datum des Austritts datiert). dh die Nichtigkeit wirkt sich nicht auf die Legitimität eines Kindes aus, das vor dem Abfall des Vaters gezeugt wurde), mit allen rechtlichen Folgen, die eine solche Beendigung mit sich bringt (wie zB die Beendigung der Regeln für die Vererbung zwischen Eheleuten, die Verwirkung des Sorgerechts für die Kinder usw.). Wenn es die Ehefrau ist, die den Islam verlässt, dann könnte sich dieser Religions- oder Glaubenswechsel auch auf ihren Anspruch auf den Heiratsanteil auswirken (auf Persisch "mahr" oder "sidaq", das ist die Verpflichtung in Form von Geld oder Besitztümern, die der Bräutigam der Braut bei der islamischen Eheschließung zahlt. Während die „mahr“ oft Geld ist, kann es auch alles sein, was die Braut vereinbart hat, wie Schmuck, Hausrat, Möbel, eine Wohnung oder etwas Land), je nachdem, ob der angebliche "Glaubensabfall" nach dem Vollzug der Ehe oder davor stattfand. Es gibt jedoch keinen Konsens unter den „Ulema“ (Quellen religiöser Inspiration oder Nachahmung) darüber, inwieweit dieser Zustand (das Auftreten von Abtrünnigkeit) sich auf den Eheanteil (mahr) auswirkt, der der abtrünnigen Ehefrau zusteht, obwohl die Konversion dem Ehemann einen sehr guten Vorwand bietet, ungestraft und unbehelligt nicht zu zahlen.
Es sei darauf hingewiesen, dass die Frage eher akademisch zu sein scheint, da in der überwiegenden Mehrheit der Fälle die Konversion nicht öffentlich bekannt gemacht wird, da sie entweder beide Ehegatten betrifft oder mit der (ausdrücklichen oder stillschweigenden) Zustimmung des anderen Ehegatten erfolgt.
● ÖB – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (16.8.2022): Auskunft der Vertrauensperson per email
Religionsfreiheit
In Iran leben ca. 86 Millionen Menschen (CIA 10.5.2022), von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA 3.5.2018, vergleiche USCIRF 4.2022). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Artikel 13, der iranischen Verfassung anerkannten ’Buchreligionen’ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben in ihren Gemeinden relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als ’mohareb’ (Waffenaufnahme gegen Gott) verfolgt und mit der Todesstrafe bestraft werden (AA 28.1.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018). Religiöse Minderheiten werden mit Argwohn betrachtet und als Bedrohung für das theokratische System gesehen (CSW 22.3.2022). Auch unterliegen Anhänger religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 28.1.2022). Somit werden auch anerkannte religiöse Minderheiten (Zoroastrier, Juden, Christen) diskriminiert, sie sind in ihrer Religionsausübung jedoch nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Sie haben gewisse rechtlich garantierte Minderheitenrechte, etwa eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 11.2021). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA 3.5.2018; vergleiche FH 3.3.2021, IRB 9.3.2021, USCIRF 4.2022). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nicht- muslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA 23.5.2018; vergleiche FH 28.2.2022, BAMF 3.2019), und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 28.2.2022). Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022; OD 19.1.2022).
Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha’i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch- Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche OD 19.1.2022). Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Mitunter wird von bedrohlicher Diskriminierung von Nicht-Schiiten seitens des familiären oder gesellschaftlichen Umfelds berichtet. Auch oppositionelle schiitische Geistliche und muslimische Sekten sind der Verfolgung ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021). Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt.
Das Parlament höhlte das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit im Jänner 2021 weiter aus, indem es zwei neue Paragrafen in das Strafgesetzbuch aufnahm, wonach die ’Diffamierung staatlich anerkannter Religionen, iranischer Bevölkerungsgruppen und islamischer Glaubensrichtungen’ sowie ’abweichende erzieherische oder missionarische Aktivitäten, die dem Islam widersprechen’ mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und/oder einer Geldstrafe geahndet werden können. Im Juli 2021 wurden drei Männer, die zum Christentum konvertiert waren, auf dieser Grundlage zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (AI 29.3.2022; vergleiche OD 19.1.2022).
Die Regierung überwacht weiterhin die Aussagen und Ansichten hochrangiger schiitischer religiöser Führer, die die Regierungspolitik oder die Ansichten des Obersten Führers Ali Khamenei nicht unterstützten. Diese werden durch Behörden weiterhin mit Festnahmen, Inhaftierungen, Mittelkürzungen, Verlust von geistlichen Berechtigungsnachweisen und Beschlagnahmungen von Eigentum unter Druck gesetzt (US DOS 12.5.2021). Die Inhaftierung von Angehörigen religiöser Minderheiten, welche ihre Kultur, ihre Sprache oder ihren Glauben praktizieren, ist weiterhin ein ernstes Problem (HRC 11.1.2021; vergleiche AI 29.3.2022).
Atheisten laufen prinzipiell ebenfalls Gefahr – im Extremfall wegen der ’Beleidigung des Propheten’ auch zum Tode – verurteilt zu werden, auch wenn derartige Fälle in den letzten Jahren nicht bekannt wurden. In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
● AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 28.4.2022
● AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 28.4.2022
● BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf, Zugriff 16.5.2022
● BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (3.5.2018): Analyse Iran – Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf, Zugriff 16.5.2022
● CIA – Integlligence Office [USA] (10.5.2022): The World Factbook - Iran, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/iran/#people-and-society, Zugriff 16.5.2022
● CSW – Christian Solidarity Worldwide (22.3.2022): Iran: General Briefing, https://www.csw.org.uk/2022/03/22/report/5648/article.htm, Zugriff 28.4.20222
● DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 28.4.2022
● FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 28.4.2022
● HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (11.1.2021): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/46/50], https://undocs.org/en/A/hrc/46/50, Zugriff 30.4.2021IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html, Zugriff 28.4.2022
● ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 28.4.2022
● ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 28.4.2022
● USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2022): United States Commission on International Religious Freedom 2022 Annual Report; USCIRF – Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071906/2022+Iran.pdf, Zugriff 19.5.2022
● OD – Open Doors (19.1.2022): Weltverfolgungsindex 2022 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2020 – 30. September 2021), https://www.opendoors.de/sites/default/files/copyright_open_doors_2022_wvi_bericht_signiert.pdf, Zugriff 28.4.2022
● US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html, Zugriff 16.5.2022
Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen
Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist in Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 11.2021). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel ’mohareb’ (’Waffenaufnahme gegen Gott’), ’mofsid-fil-arz/fisad-al-arz’ (’Verdorbenheit auf Erden’), ’Handlungen gegen die nationale Sicherheit’ (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche DIS/DRC 23.2.2018), ’Organisation von Hauskirchen’ und ’Beleidigung des Heiligen’, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 28.1.2022). In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (OD 2021). Quellen zufolge fand 1990 die einzige ’offizielle’ Hinrichtung eines Christen wegen Apostasie in Iran statt (IRB 9.3.2021). Der christliche Glaube gilt als gefährlicher westlicher Einfluss und als Bedrohung der islamischen Identität der Republik. Dies erklärt, warum insbesondere Konvertiten, die sich dem Islam ab- und dem christlichen Glauben zugewandt haben, wegen ’Verbrechen gegen die nationale Sicherheit’ verurteilt werden (OD 19.1.2022). Hierzu ist zu erwähnen, dass der Oberste Gerichtshof in Iran im November 2021 entschieden hat, dass neun christliche Konvertiten, die wegen ihrer Beteiligung an Hauskirchen zu fünf Jahren Haft verurteilt wurden, nicht wegen ’Handelns gegen die nationale Sicherheit’ angeklagt werden sollten. In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs heißt es, dass: ’Die bloße Verkündigung des Christentums und die Förderung der ’evangelikalen zionistischen Sekte’, was beides offensichtlich bedeutet, dass das Christentum durch Familientreffen [Hauskirchen] propagiert wird, ist kein Ausdruck der Zusammenkunft und der geheimen Absprache, um die Sicherheit des Landes zu stören, weder im Inneren noch nach außen’ (Artikel18 25.11.2021). Die neun Konvertiten sind 2022 offiziell freigesprochen worden. Die Abteilung 34 des Teheraner Berufungsgerichts schloss sich der Argumentation des Richters des Obersten Gerichtshofs an, der im November letzten Jahres entschieden hatte, dass die Verkündigung des Christentums nicht als Verstoß gegen die nationale Sicherheit Irans zu werten ist. Der Präzedenzfall ist überzeugend, so Mansour Borji, Leiter der Interessenvertretung von Artikel 18, da die Richter im Freispruch neun Gründe ausführlich dargelegt haben, die mit der iranischen Verfassung und der islamischen Tradition im Einklang stehen. Es könnte jedoch einige Zeit dauern, bis das Urteil rechtskräftig wird. Einer der neun Angeklagten sitzt bereits wieder im Gefängnis, wegen einer sechs Jahre alten separaten Anklage wegen Verbreitung des Christentums, für die er zuvor freigesprochen wurde. Zwei andere Angeklagte, die per Video zur Freiheit der Religionsausübung aufgerufen hatten, wurden wegen Propaganda gegen den Staat angeklagt. Die iranischen Christen begrüßten das Urteil, bleiben aber vorsichtig. Laut Borji ist dieses Urteil anders als alle anderen seiner Art, die er bisher gesehen hat (CT 1.3.2022). Die iranische Regierung ist jedoch dafür bekannt, dass sie ihre eigenen Regeln nicht befolgt (CT 21.12.2021).
Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar - noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 28.1.2022; vergleiche OD 19.1.2022). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind. Die Probleme, die durch Konversion auftreten können, sind breit gefächert. Sie beginnen in der Schule, wo Kinder aus konvertierten Familien einen Verweis, oder die Verwehrung des Hochschuleintritts riskieren, sollten sie den Fächern Religionsunterricht, Islamische Lehre und Koranstunde fernbleiben (ÖB Teheran 11.2021).
Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit Konversion vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese Konversion ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich ’konvertierte’ Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 11.2021).
Die Versammlung in – meist evangelikalen – Hauskirchen oder Hausgemeinden wird laut Behörden ’kontrolliert’, de facto aber untersagt, weshalb die einzelnen Gemeinden meist klein bleiben und ständig den Standort wechseln, um Razzien auszuweichen. Dennoch sind Hauskirchen inzwischen relativ weit verbreitet (ÖB Teheran 10.2020). Die Schließungen der ’Assembly of God’-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen (DIS/DRC 23.2.2018; vergleiche IRB 9.3.2021). Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit, eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018). Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren. Deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da diese zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen wollen, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es ist jedoch unklar, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen. Allerdings wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Razzien gegen Hauskirchen werden weiterhin durchgeführt (AI 29.3.2022).
Von Repressionen und willkürlichen Verhaftungen von konvertierten Christen, Mitgliedern der protestantischen und evangelischen Kirche wird immer wieder berichtet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 28.2.2022, CSW 22.3.2022). Im August 2020 wurden 35 neu Konvertierte verhaftet und im selben Monat sind vier weitere Konvertierte wegen Anschuldigungen wie ’Teilnahme an Versammlungen der häuslichen Kirchen’, ’Verbreitung vom zionistischen Christentum’ und ’Gefährdung der inneren Sicherheit’ zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt worden (ÖB Teheran 11.2021). Derzeit befinden sich in Iran ca. 20 Christen wegen des Vorwurfs einer Bedrohung der nationalen Sicherheit in Haft, und seit 2012 wurden mehr als hundert Personen wegen dieser Straftat verurteilt (Vatikan News 7.12.2021; vergleiche OD 3.12.2021, CT 1.3.2022). Die Aussichten für iranische Christen, insbesondere für christliche Konvertiten, trüben sich weiter ein. Inhaftierten Christen, besonders christlichen Konvertiten, wird oft eine Entlassung gegen Kaution angeboten. Dabei geht es meist um hohe Geldbeträge, die Berichten zufolge zwischen 2.000 und 150.000 US-Dollar liegen. Die betroffenen Christen oder deren Familien werden dadurch gezwungen, ihre Häuser oder Geschäfte mit Hypotheken zu belasten. Personen, die gegen Kaution freigelassen werden, schweigen oft, da sie den Verlust ihres Familienbesitzes fürchten müssen. Das iranische Regime drängt sie, das Land zu verlassen und damit ihre Kaution aufzugeben (OD 19.1.2022). Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche Landinfo 16.10.2019). Darüber hinaus wird Christen mitunter der Konsum von Alkohol (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens vorgeworfen (ÖB Teheran 11.2021).
Organisatoren von Hauskirchen laufen Gefahr, wegen ’Verbrechen gegen Gott’ angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte (DIS/DRC 23.2.2018). Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen (ÖB Teheran 10.2020; vergleiche Landinfo 16.10.2019, UK HO 2.2020, DIS/DRC 23.2.2018), es kommt aber auch vor, dass einfache Mitglieder inhaftiert werden (OD 19.1.2022; vergleiche DIS/DRC 23.2.2018). Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen. Wenn es sich um einen prominenten Fall handelt, werden die Betroffenen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden unter der Bedingung wieder freigelassen, sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen ist, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018). Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden steht, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden in der Regel nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018; vergleiche Landinfo 16.10.2019).
Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein ’high-profile’-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber durchaus zu Problemen führen (DIS/DRC 23.2.2018). Die iranischen Behörden sind in erster Linie daran interessiert, die Ausbreitung des Christentums zu stoppen, und verfügen allem Anschein nach nicht über die notwendigen Ressourcen, um alle christlichen Konvertiten zu überwachen (UK HO 2.2020). Die von der Regierung ausgeübte Kontrolle ist in städtischen Gegenden am höchsten. Ländliche Gebiete werden weniger stark überwacht. In der Anonymität der Städte haben Christen jedoch mehr Freiheiten, Treffen und Aktivitäten zu organisieren als in ländlichen Gebieten, in denen die soziale Kontrolle stärker ist (OD 19.1.2022).
Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 11.2021).
Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS/DRC 23.2.2018). Open Doors gibt im Weltverfolgungsindex 2022 an, dass die Taufe als öffentliches Zeichen der Abwendung vom Islam gesehen wird und deshalb verboten ist (OD 19.1.2022).
Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (USDOS 12.5.2021). Der Besitz christlicher Literatur in Farsi, besonders in größeren Stückzahlen, legt den Verdacht nahe, dass sie zur Weitergabe an muslimische Iraner gedacht ist (OD 19.1.2022). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der ’Katholischen Jerusalem Bibel’ ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den ’Katechismus der Katholischen Kirche’ ins Farsi. Beide Produkte sind heute noch ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).
Quellen:
● AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 3.5.2022
● AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 3.5.2022
● Artikel18 (25.11.2021): Iran’s Supreme Court rules Christians did not act against national security, https://articleeighteen.com/news/9836/, Zugriff 4.5.2022
● BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf, Zugriff 4.5.2022
● CSW – Christian Solidarity Worldwide (22.3.2022): Iran: General Briefing, https://www.csw.org.uk/2022/03/22/report/5648/article.htm, Zugriff 3.5.2022
● CT – Christianity Today (1.3.2022): Iran’s House Churches Are Not Illegal, Says Supreme Court Justice, Update 1.3.2022, https://www.christianitytoday.com/news/2021/december/iran-christian-house-churches-supreme-court-national-securi.html, Zugriff 4.5.2022
● CT – Christianity Today (21.12.2021): Iran’s House Churches Are Not Illegal, Says Supreme Court Justice, Update 21.12.2021, https://www.christianitytoday.com/news/2021/december/iran-christian-house-churches-supreme-court-national-securi.html, Zugriff 4.5.2022
● DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Councile (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 4.5.2022
● FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 3.5.2022
● IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html, Zugriff 4.5.2022
● Landinfo [Norwegen] (16.10.2019): Iran: Kristne konvertitter – en oppdatering om arrestasjoner og straffeforfølgelse, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019853/Respons-Iran-Kristne-konvertitter-en-oppdatering-om-arrestasjoner-og-straffeforf%C3%B8lgelse-AVA-16102019.pdf, Zugriff 4.5.2022
● ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 4.5.2022
● ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 4.5.2022
● OD – Open Doors (19.1.2022): Weltverfolgungsindex 2022 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2020 – 30. September 2021), https://www.opendoors.de/sites/default/files/copyright_ope n_doors_2022_wvi_bericht_signiert.pdf, Zugriff 3.5.2022
● OD – Open Doors (3.12.2021): Iranian Supreme Court rules belonging to a house church is not a criminal offence, https://www.opendoorsuk.org/news/latest-news/iran-house-church-ruling/, Zugriff 4.5.2022
● OD – Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum: 1. Oktober 2019 –30. September 2020), https://www.opendoors.de/sites/default/files/country_dossier/8_laenderprofil_iran.pdf, Zugriff 4.5.2022
● UK HO – UK Home Office [Großbritannien] (2.2020): Country Policy and Information Note Iran: Christians and Christian converts, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/sy stem/uploads/attachment_data/file/868800/Iran_-_Christians-Converts_-_CPIN_-_v6.0_-_Feb_2020_-_EXT_PDF.pdf, Zugriff 4.5.2022
● US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html, Zugriff 4.5.2022
● Vatikan News (7.12.2021): Iran: Christen sind keine Staatsfeinde, https://www.vaticannews.va/de/welt/news/2021-12/iran-hauskirchen-sind-keine-staatsfeinde-urteil-konvertiten.html, Zugriff 4.5.2022
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Im Prinzip respektiert die Regierung diese Rechte, es gibt jedoch einige Einschränkungen, besonders für Frauen und Flüchtlinge. Die Regierung verlangt von allen Bürgern für Auslandsreisen eine Ausreisebewilligung. Bürger, die auf Staatskosten ausgebildet wurden oder Stipendien erhalten haben, müssen diese entweder zurückzahlen, oder erhalten befristete Ausreisebewilligungen (US DOS 12.4.2022). Die Regierung schränkt auch die Reisefreiheit von einigen religiösen Führern, Mitgliedern von religiösen Minderheiten und Wissenschaftern in sensiblen Bereichen ein. Journalisten, Akademiker, oppositionelle Politiker, Künstler sowie Menschen- und Frauenrechtsaktivisten sind von Reiseverboten und Konfiszierung der Reisepässe betroffen. Verheiratete Frauen dürfen nicht ohne die Zustimmung ihrer Männer ins Ausland reisen (US DOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022).
Zur rechtmäßigen Ausreise aus der Islamischen Republik Iran benötigen iranische Staatsangehörige einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (gestaffelte Gebühr: derzeit 4 bis 8 Millionen Real, das sind 11 bis 23 Euro). Die illegale Ausreise erfolgt zumeist auf dem Landweg unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Türkei (AA 28.1.2022).
Soweit Repressionen praktiziert werden, geschieht dies landesweit unterschiedslos. Zivile und militärische Verwaltungsstrukturen arbeiten effektiv. Ausweichmöglichkeiten bestehen somit nicht (AA 28.1.2022).
Quellen:
● AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 29.4.2022
● FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 29.4.2022
● US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 29.4.2022
Rückkehr
Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. Ausgenommen davon sind Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht (AA 28.1.2022). In der iranischen Gesetzgebung gibt es kein Gesetz, das die Beantragung von Asyl im Ausland strafbar macht (Cedoca 30.3.2020). In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden (AA 28.1.2022). Allerdings gibt es zum Thema Rückkehrer nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglichen Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr. Australien zahlt Rückkehrhilfe an eine bislang überschaubare Gruppe an freiwilligen Rückkehrern in Teheran in Euro aus (ÖB Teheran 11.2021).
Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und nach Iran zurückkehren. Eine Einreise ist lediglich mit einem gültigen iranischen Reisepass möglich. Die iranischen Auslandsvertretungen sind angewiesen, diesen jedem iranischen Staatsangehörigen auf Antrag auszustellen (AA 28.1.2022).
Iranische Flüchtlinge im Nordirak können offiziell nach Iran zurückkehren. Dafür werden iranische Identitätsdokumente benötigt. Wenn Personen diese Dokumente nicht besitzen, können sie diese beantragen. Für die Rückkehr nach Iran braucht man eine offizielle Erlaubnis des iranischen Staates. Die Rückkehr wird mit den Behörden von Fall zu Fall verhandelt. Iranische Rückkehrer, die nicht aktiv kurdische Oppositionsparteien, wie beispielsweise die KDPI oder Komala, unterstützen, werden nicht direkt von den Behörden ins Visier genommen werden. Sie können aber zu ihrem Leben im Nordirak befragt werden. Der Fall kann aber anders aussehen, wenn Rückkehrer Waffen transportiert haben, oder politisch aktiv sind und deshalb Strafverfolgung in Iran riskieren. Die Rückkehr aus einem der Camps in Nordirak kann als Zugehörigkeit zu einer der kurdischen Oppositionsparteien gedeutet werden und deshalb problematisch sein (DIS/DRC 23.2.2018).
In Bezug auf Nachkommen von politisch aktiven Personen wird berichtet, dass es solche Rückkehrer gibt, aber keine Statistiken dazu vorhanden sind. Es ist auch üblich, dass Personen die Grenze zwischen dem Irak und Iran überqueren. Auch illegale Grenzübertritte sind weit verbreitet. Nachkommen von politisch aktiven Personen riskieren nicht notwendigerweise Strafverfolgung, wenn sie nach Iran zurückkehren. Ob solch ein Rückkehrer Strafverfolgung befürchten muss, würde von den Profilen der Eltern und wie bekannt diese waren, abhängen. Befragungen durch Behörden sind möglich, aber wenn sie beweisen können, dass sie nicht politisch aktiv sind und nicht in bewaffneten Aktivitäten involviert waren, wird das Risiko für Repressionen eher gering ausfallen (DIS/DRC 23.2.2018).
Wenn Kurden im Ausland politisch aktiv sind, beispielsweise durch Kritik an der politischen Freiheit in Iran in einem Blog oder anderen Online-Medien, oder wenn eine Person Informationen an die ausländische Presse weitergibt, kann das bei einer Rückreise eine gewisse Bedeutung haben. Die Schwere des Problems für solche Personen hängt aber vom Inhalt und Ausmaß der Aktivitäten im Ausland und auch vom persönlichen Aktivismus in Iran ab (DIS/DRC 23.2.2018).
Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, werden nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind jedoch keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 28.1.2022).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 10.5.2022
• Cedoca – Documentation and Research Department of the Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien] (30.3.2020): COI Focus IRAN Treatment of returnees by their national authorities, https://coi.easo.europa.eu/administration/belgium/PLib/COI_Focus_Iran_Treatment%20of_returnees_by_their_national_authorities_30032020_update_ENG.pdf, Zugriff 10.5.2022
• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-in cluding-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf, Zugriff 10.5.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 10.5.2022
Bericht der Tagesschau: (https://www.tagesschau.de/ausland/asien/iran-ein-monat-proteste-101.html, abgefragt am 19.10.2022)
Ein Monat Proteste im IranKluft zwischen den Jungen und den "greisen Männern"
Stand: 18.10.2022 04:07 Uhr
Seit einem Monat ebben im Iran die Proteste nicht ab: Aus Wut über den Tod einer jungen Frau wurden Forderungen nach einem Regime-Ende laut. Ob die Demonstrierenden das erreichen, hängt laut Experten von mehreren Faktoren ab.
Von Uwe Lueb, ARD-Studio Istanbul
"Tod Khamenei" - Tod dem geistlichen und obersten Führer, rufen Demonstrierende im Iran bei einem größeren Protest. Zuletzt gab es häufiger mehrere kleine Aktionen, zum Teil sollen sie nur wenige Minuten gedauert haben, wie Nadelstiche gegen ein übermächtiges Regime.
Seit dem Tod der 22 Jahre alten Mahsa Jina Amini Mitte September zieht es Menschen in vielen Städten auf die Straße. Ihnen geht es längst nicht mehr nur um den Tod Aminis in Polizeigewahrsam oder um die Lockerung von Bekleidungsvorschriften.
Den Demonstrierenden geht es um Grundsätzliches, sagt der Politikwissenschaftler Ali Fatollah Nejad kürzlich in den tagesthemen: "Wir haben es zweifelsohne mit einem revolutionärem Prozess in Iran zu tun." Revolution, Umsturz, letztlich ein Ende der Islamischen Republik Iran in ihrer heutigen Form.
Wichtige Rolle Studierender
Die meisten Menschen beteiligen sich nicht direkt an den Protesten. Aber Autofahrer hupen aus Solidarität. Passanten mischen sich ein, wenn etwa eine Frau ohne Kopftuch gejagt wird. Bei den Demonstrationen sind vor allem junge Menschen auf der Straße, Frauen und Männer. Viele sind Studierende. Von denen gingen die großen Proteste 1999 aus.
Doch zuletzt haben sie sich zurückgehalten, sagte die Kölner Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur Anfang Oktober: Zu groß sei das Druckmittel gewesen, sie einfach von der Universität zu werfen. Dass die Studierenden jetzt wieder dabei seien, spreche für eine neue Qualität der Proteste - denn ihre große Zahl sei ein wichtiger Faktor: "Wenn die auf die Straße gingen, dann könnte es tatsächlich zu der immer mal wieder beschworenen kritischen Masse kommen, die es bräuchte, um das Regime zu stürzen."
Ob das erreicht werde, sei jedoch zweifelhaft. Denn das Regime begegnet Protesten mit aller Härte.
Viele Tote bei Protesten
Hinter den Demonstrationen steckten ausländische Mächte, behauptet der oberste Führer des Landes, Khamenei: "Das ist keine inländische, spontane Angelegenheit. Die Aktionen des Feindes, seine Propaganda, seine Bemühungen, die Gedanken der Menschen zu beeinflussen und aufzuwühlen, die Art und Weise, wie er den Menschen sogar beibringt, wie man etwa Molotowcocktails baut - das ist völlig klar und offensichtlich."
Weit mehr als 100 Menschen sind bei den Protesten bisher ums Leben gekommen; Menschenrechtsorganisationen sprechen teils von mehr als 200, darunter auch Polizisten. Nach Angaben von Amnesty International sind bei den Protesten bisher 23 Kinder getötet worden.
Der Polizeichef sagt, das Volk sei vor Umstürzlern zu schützen. So sieht es auch der oberste Richter im Land, Mohseni Ejei, bietet aber an, mit Kritikern zu reden und "Schwachstellen" zu beheben: "Wenn es wirklich Kritik und Protest gibt, werden wir das natürlich akzeptieren und gegebenenfalls unsere Fehler korrigieren." Zuletzt befiehlt er jedoch, gegen Anführer der Proteste harte Strafen zu verhängen.
"Eklatante Kluft" im Land
Für Dialog im Land scheint es zu spät zu sein. Zu entschlossen sind offenbar auch die Protestierenden. Natürlich stehen längst nicht alle der mehr als 80 Millionen Menschen im Land auf ihrer Seite. Doch Bilder von gejagten und gepeitschten Studierenden schaffen Solidarität - auch in Teilen der Bevölkerung, die bisher nichts mit den Protesten zu tun haben, so Islamwissenschaftlerin Amirpur.
Das könne dem Regime gefährlich werden. Aber Amirpur glaubt auch, dass die sogenannten Revolutionsgardisten bis zum Letzten kämpfen würden, um das Regime zu erhalten. Zu groß seien ihre Pfründe und zu groß das Leid, das sie den Menschen zugefügt hätten: "Sie wissen, sie können quasi nichts anderes tun außer kämpfen, weil man ihnen einfach nicht vergeben wird, was sie dieser Bevölkerung angetan haben."
Auch wenn es nicht zu einer neuen Revolution im Iran kommen sollte: Die Gesellschaft ist gespalten - und zwar jenseits von politischen Meinungen, sagt Politikwissenschaftler Fatollah Nejad: "Wir sehen eine eklatante Kluft zwischen einer überwiegend jungen Bevölkerung und einer Herrscherkaste von alten greisen Männern."
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Erstbefragung vom 04.02.2016) und durch das Bundesamt (Einvernahme vom 16.05.2018), der Beschwerdeschriftsatz, die Länderinformationen der Staatendokumentation – Iran vom 23.05.2022 (Version 5) mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Iran: Rechte und Pflichten von Witwen vom 17.08.2022, die von der BF vorgelegten Personendokumente (iranischer Personalausweis, Heiratsurkunde, diverse Zeugnisse, etc.) sowie die vorgelegten Integrationsunterlagen und die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 21.07.2022.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person der BF:
Aufgrund der bei der Erstbefragung vorgelegten Kopie ihres iranischen Personalausweises samt Übersetzung, die von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes sichergestellt wurde, die im weiteren Verfahren vorgelegte Heiratsurkunde samt Übersetzung sowie ihres iranischen Führungszeugnisses und der gleichbleibenden Angaben der BF zu ihrer Identität im gesamten Verfahren steht die Identität der BF fest. Die Feststellungen betreffend weiterer Personenmerkmale (Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Religionszugehörigkeit, Sprachkenntnisse und Familienstand) gründen auf ihren schlüssigen Angaben in der mündlichen Verhandlung (Seite 3-4 und 8 des Verhandlungsprotokolls), die mit ihren Angaben im behördlichen Verfahren im Wesentlichen in Einklang stehen (Seite 1 und 3 des Einvernahmeprotokolls-Datenblatt) und der vorgelegten Geburtsurkunde ihrer Tochter sowie Sterbeurkunde ihres Gatten.
Die Feststellungen zu den weiteren Lebensumständen der BF in Iran (Herkunft, Aufwachsen, Bildung, Wohnort, Lebensunterhalt) basieren auf den schlüssigen und glaubhaften Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung und vor dem Bundesamt sowie der damit in Einklang stehenden diversen vorgelegten Zeugnissen ihrer gesamten Schul- und Universitätslaufbahn vergleiche Seite 1 und 3 des Einvernahmeprotokolls-Datenblatt; Seite 14-15, 17 des Verhandlungsprotokolls; AS 57 des Duplikataktes).
Die Feststellungen zur Verlobung der BF basiert auf den Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung (Seite 9 und 11 des Verhandlungsprotokolls). Dass ihr Verlobter ausreiste und im Bundesgebiet einen Asylantrag stellte, steht aufgrund des angeforderten Asylaktes ihres Gatten fest (OZ 18). Dass die BF in Iran in Abwesenheit ihres Mannes standesamtlich heiratete, steht aufgrund der vorgelegten Heiratsurkunde fest (OZ 21).
Ebenso ergeben sich auch die Feststellungen zu seinen Familienmitgliedern sowie deren Aufenthalt im Herkunftsstaat auch auf den gleichbleibenden Angaben der BF vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung, wo sie durchgehend vorbrachte, dass alle ihre Familienangehörigen (Eltern, drei Brüder und zwei Schwestern) bis auf eine Schwester, welche in römisch 40 aufhältig ist, in ihrer Heimatstadt römisch 40 leben. Ebenso leben auch laut den schlüssigen Angaben der BF auch die Familienangehörigen ihres verstorbenen Gattens weiterhin in Iran. Die BF schilderte sehr emotional und glaubhaft, dass ihr Ehemann entgegen ihren Wünschen in Iran beerdigt wurde. Jedoch ist nicht nachvollziehbar, dass sie den Kontakt bis auf eine Schwester zu ihrer gesamten Familie abgebrochen hat, dies konnte sie nicht glaubhaft begründen und ist auch vor dem Hintergrund, dass sie bis zu ihrer Ausreise bei ihren Eltern lebte und diese auch ihren Lebensunterhalt finanzierten, sowie über deren Aufenthalt informiert ist, widersprüchlich. Ebenso schildert die BF einerseits ein sehr liberales Bild von ihren Schwiegereltern, die die BF bei der Heirat unterstützte und danach die BF auch teilweise bei ihren Schwiegereltern in Iran gelebt sowie auch die Ausreise nach Österreich organisiert haben soll und begründet andererseits den Kontaktabbruch mit einem gänzlich konträren Bild ihrer Schwiegereltern, die die Tochter der BF als Eigentum beachten sollen und nicht wollen, dass ihr Enkelkind bei einem anderen Mann aufwachst. Aktuell besteht für diese „Befürchtung“ der Schwiegereltern aber kein Grund, weil die BF in keiner Lebensgemeinschaft lebt, dies auch nicht wünscht und sich alleine um die Obsorge ihrer Tochter kümmert, welche im Bundesgebiet als Asylberechtigte lebt und somit eine Rückkehr nach Iran nicht möglich ist vergleiche Seite 16 des Verhandlungsprotokolls). Somit kann aufgrund der widersprüchlichen und nicht nachvollziehbaren Angaben der BF nicht festgestellt werden, dass sie jeglichen Kontakt zu ihren Familienmitgliedern auch zu ihren Schwiegereltern abgebrochen hat.
Die Feststellungen zur Aus- und Einreise sowie Antragstellung ergeben sich aus den Angaben der BF bei der Erstbefragung vor der Sicherheitsbehörde insbesondere zu der Reiserorganisation und Einreisemodalitäten (Seite 3-5 des Erstbefragungsprotokolls). Der weitere Verfahrenslauf ergibt sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.
Die Feststellungen zur Tochter der BF und ihres verstorbenen Ehemannes basieren auf den angeforderten Akten der Tochter und ihres Gatten, insbesondere auf der vorgelegten Geburtsurkunde und Sterbeurkunde und den Angaben der BF im Schriftsatz der Beschwerde in Verbindung mit dem eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie in der mündlichen Verhandlung (AS 3 und AS 43 ff Asylakt der Tochter; AS 273 und 285).
Die Feststellungen zur Situation der BF in Österreich, ihr Familienleben mit ihrer Tochter als alleinerziehende Mutter, Bestreitung des Lebensunterhaltes sowie ihr berufliches Bestreben gründen auf den Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung (Seite 22-24 des Verhandlungsprotokolls) sowie auf den vorgelegten Integrationsunterlagen (OZ 21: AMS Bewerbungsbogen vom 01.08.2022, Entscheidung der Stadt Wien vom 28.06.2022; OZ 10: Besuchsbestätigung Kindergarten römisch 40 vom 06.06.2019; OZ 4: Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt vom 05.09.2019). Dass die BF arbeitsfähig ist, ergibt sich aus ihrem noch jungen Alter und ihrem Gesundheitszustand sowie der Tatsache, dass die BF über einen Aufenthaltstitel als subsidiär Schutzberechtigte und einem abgeschlossenen Bachelorstudium für Rechtswissenschaften in Iran verfügt. Da die BF nach eigenen Angaben den Familienunterhalt über Sozialleistungen sowie einer Witwenpension finanziert und seit ihrer Einreise keiner legalen Beschäftigung in Österreich nachging, steht fest, dass sie zum Entscheidungszeitpunkt nicht selbsterhaltungsfähig ist. Die BF zeigte zwar erste Initiativen für die Eingliederung im Arbeitsmarkt und bewarb sich laut vorgelegter Schreiben „AMS Bewerbung“ vom 01.08.2022 bei mehreren Unternehmen, aber gelangt ihr es nicht sich im Arbeitsmarkt zu integrieren. Hier ist es für das Gericht auch nicht nachvollziehbar, dass die BF sich einerseits als eine selbständige, westlich orientierte Frau widergibt, andererseits aber nicht nachhaltig versuchte sich am Arbeitsmarkt zu etablieren, um so auch die berufliche und soziale Selbständigkeit zu erlangen. Es zeigt sich zwar, dass die BF beim AMS um die Eingliederung am Arbeitsmarkt bemüht war, dass sie jedoch selbst initiativ an verschiedene Unternehmen oder Arbeitgeber herangetreten wäre, um selbst eine Arbeit zu finden, konnte von ihr nicht dargelegt werden. Auch ihre Angabe, dass sei aufgrund der Deutschkenntnisse keine Arbeit gefunden habe, ist nicht nachvollziehbar, zumal die BF bereits im Jahr 2017 einen B1-Deutschkurs absolvierte und sei trotzdem keiner Arbeit nachging. Auch wenn die BF im österreichischen bzw. deutschen Kulturkreis in Umgang gewesen wäre, hätte sie auch dadurch schon verbesserte Deutschkenntnisse haben müssen. Die BF ist eine hoch ausgebildete Frau und ist daher in der Lage sich entsprechende Deutschkenntnisse anzueignen, um am Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden. Die auch von der BFV vorgebrachte Initiative als Kindergartenpädagogin arbeiten zu wollen, überzeugt das Gericht ebenfalls nicht zumal die BF bereits vor der mündlichen Verhandlung von der Absage für das Schuljahr 2023/24 (Bestätigung im Akt) erfahren hat. Sodass die BF nunmehr weiter bis in das Jahr 2023/24 keine weiteren Ambitionen einer anderen Tätigkeit darlegte. Auch sonstige Aktivitäten, welche eine westliche Orientierung oder Selbstständigkeit als Frau darlegen, wurden von der BF nicht vorgelegt. Wenn die BF auf einzelne Kinder Acht gibt oder im Park mit anderen Frauen spricht, so zeigt sich hier kein Ausdruck einer verinnerlichten Abkehr vom Islam oder einer verinnerlichten Abkehr den islamischen bzw. iranischen Regeln zu trotzen, zu bekämpfen oder dagegen zu protestieren. So hat sie auch bisher, selbst in Österreich, wo sie nicht in Gefahr läuft seitens der iranischen Regierung verfolgt oder bedroht zu werden, für die Rechte der iranischen Frauen eingesetzt. Die BF verfügt über den Status als subsidiär Schutzberechtigte und wusste daher, dass sie über eine Aufenthaltsberechtigung verfügt. Daher geht das Gericht auch davon aus, dass sie bei Rückkehr nicht an den Demonstrationen teilnehmen wird und daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Gefahr läuft von den iranischen Behörden bedroht, inhaftiert, gefoltert oder gar getötet zu werden.
Dass die BF über gute Deutschkenntnisse verfügt, einige Deutschkurse sowie auch Deutschprüfungen absolvierte und andere Bildungsmaßnahmen oder Kurse innerhalb ihres mittlerweile sechsjährigen Aufenthalt besuchte, gründet auf den vorgelegten Teilnahme- und Prüfungsbestätigungen (insbesondere OZ 21: ÖIF Terminkarte, Goethe Deutschzertifikat A1 vom 20.05.2014, Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs vom 11.02.2021, Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachniveau B1 vom 10.02.2021, Kursbestätigung B2 vom 26.07.2022, Teilnahmebestätigung „Kompetenzcheck für Frauen“; AS 143, 145) sowie auf dem gewonnenen Eindruck in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, wo dem BF einige Fragen auf Deutsch gestellt wurden. Der erkennende Richter konnte diesbezüglich feststellen, dass die BF die auf Deutsch gestellten Fragen verstanden und auf Deutsch beantwortet hat (Seite 21 des Verhandlungsprotokolls). Dass das absolvierte Studium der BF in Iran einem Bachelorstudium der Rechtswissenschaft im Bundesgebiet entspricht, steht aufgrund des vorgelegten Schreibens des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung vom 01.12.2020, fest.
Die Feststellungen zu den sozialen Kontakten der BF in Österreich beruhen auf den Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung. Ebenso verneinte die BF Mitglied in einem Verein zu sein und eine ehrenamtliche Tätigkeit auszuüben (Seite 19-22 des Verhandlungsprotokolls).
Dass die BF gesund ist und an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohenden psychischen oder physischen Erkrankungen leidet steht aufgrund ihrer gleichbleibenden Angaben – gesund zu sein, fest.
Die Unbescholtenheit der BF basiert auf der Einsichtnahme in den Strafregisterauszug.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der BF:
Die BF brachte im Zuge des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens als Grund für die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz vor, dass sie in Iran Probleme mit ihrer Familie gehabt habe, weil ihr Ehemann im Bundesgebiet zum Christentum konvertiert sei. Nunmehr sei die BF auch vom Islam abgefallen und drohe ihr deshalb Verfolgung im Herkunftsstaat. Hinzu komme, dass seit dem plötzlichen Tod ihres Gatten auch Probleme mit ihrer Schwiegerfamilie entstanden seien, die die Tochter der BF als ihr Eigentum ansehen. Die BF habe als Frau und Witwe in Iran keine Rechte und wäre es ihr alleine als Frau nicht möglich in Iran zu leben (Seite 26 des Verhandlungsprotokolls, freie Erzählung der BF ihrer Fluchtgründe: „Wegen meinem Mann konnte ich damals nicht in den Iran, weil ich mit ihm leben wollte. Jetzt wenn ich in den Iran zurückkehren muss, verliere ich meine Tochter als erstes, zweitens kann ich alleine als Frau nicht leben, keine Wohnung mieten und Arbeit habe ich auch keins im Iran. Wenn man als Frau nicht verheiratet ist, bekommt man nicht einfach einen Job und wenn ja, wenn die Leute wissen, dass du nicht verheiratet bist, dann werden sie dich ausnutzen. RI: Gibt es sonst noch Gründe, warum Sie nicht zurückkehren können nach Iran? BF: Auch, dass ich nicht mehr als Muslime leben möchte, dafür wird man gesteinigt oder hingerichtet. RI: Sonst noch Gründe? BF: Meine größte Angst ist, dass ich meine Tochter verliere, sonst keine Gründe.“).
Die belangte Behörde führte ein ordentliches Ermittlungsverfahren durch und begründete zwar nicht sehr ausführlich aber im Ergebnis richtigerweise die Abweisung des Antrages der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status der Asylberechtigten, weil die BF eine individuelle und aktuelle Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft darlegen konnte und erkannte der BF den Schutz als subsidiär Schutzberechtigte zu.
Probleme mit den Familienangehörigen in Iran
Die BF bringt insbesondere im behördlichen Verfahren als Fluchtgründe Probleme mit ihrer Familie in Iran vor, weil diese nach ihrer Heirat erfahren habe, dass der in Österreich aufhältige Ehegatte zum Christentum konvertiert sei. Die BF konkretisiert in diesem Zusammenhang auch auf Nachfrage keinesfalls ihr Vorbringen und schildert keine asylrelevanten Vorfälle, sondern lediglich allgemein, dass sie ein schweres Leben in Iran und familiäre Probleme gehabt habe. Sie sei von ihrer Familie unter Druck gesetzt worden und es sei immer wieder zu Diskussionen gekommen. Konkrete Übergriffe körperlicher Natur (Gewalt) oder Drohungen von Gewalt schilderte die BF auf explizite Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht, vielmehr brachte die BF widersprüchlich zum Fluchtvorbringen vor, dass sie bis zur Ausreise im elterlichen Haushalt lebte und der Vater der BF ihren Lebensunterhalt finanzierte, auch nach der Heirat im Jahr 2013 und die BF auch bis 2014 Jus studierte (Seite 15 f des Verhandlungsprotokolls). Eine Bedrohung und Verfolgung ihrer Familie ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. Auch nach dem Studium und nach der Heirat verblieb die BF, wenngleich sie auch Zeit bei ihrer Schwiegerfamilie in der Nachbarschaft verbrachte, bei ihrer Familie bis zur Ausreise Anfang 2016. Die BF gab auch selbst an, dass sich die Lage in ihrer Familie auch beruhigt hat (Seite 18f, 28 des Verhandlungsprotokolls). Abgesehen davon, ist auch das Vorbringen der BF, dass sie von ihrem Vater unter Druck gesetzt worden sei, sich von ihrem Gatten scheiden zu lassen, nicht nachvollziehbar. Einerseits, ist nicht glaubhaft und auch nicht plausibel, dass die Familie der Ehe nach 10-jähriger Verlobung und ähnlich langen Auslandsaufenthaltes des damaligen Verlobten der BF zustimmte, ohne, dass ihnen die Gründe für dessen Ausreise nicht bekannt waren. Wann und warum die Familie der BF nach der Heirat erfahren haben, dass ihr Mann seine Religion gewechselt haben soll, konnte die BF auch nicht nachvollziehbar vorbringen (Seite 19 des Verhandlungsprotokolls). Auch die BF machte vor dem Hintergrund der Angaben ihres Gatten in seinem Asylverfahren, widersprüchliche Angaben zu den Gründen der Ausreise ihres Verlobten und ist nicht nachvollziehbar, dass sie über 10 Jahre nicht in Kenntnis war, warum ihr Verlobter nach Österreich flüchtete und sie nie darüber genauer mit ihrem Verlobten gesprochen hat. So gab die BF an, dass ihr Ehemann ausreiste, weil er mit dem Islam Probleme gehabt habe und die Religion gewechselt habe (Seite 11 des Verhandlungsprotokolls). Auffallend ist in diesem Zusammenhang jedoch auch, dass der Ehemann der BF laut vorgelegter Sterbeurkunde dem Islam als Religionsbekenntnis zugehörig war. Darüber hinaus geht aus dem Asylakt des Ehemannes der BF hervor, dass der Gatte laut Einvernahme des damaligen Bundesasylamtes am 12.08.2004 sein Heimatland verlassen habe, weil er bei Demonstrationen teilgenommen habe und von iranischen Sicherheitsbehörden auch fotografiert worden sei und sich daraufhin nur mehr bis zur Flucht versteckt in Iran aufgehalten habe. Viele Demonstranten aus seinem Umfeld seien festgenommen und verschleppt worden (OZ 18). Andererseits ist ebenso wenig nachvollziehbar, dass sich die BF scheiden haben lassen sollen, wenn die Ehe nach ihrem Vorbringen und laut Heiratsurkunde/Ehevertrag ohnehin automatisch ungültig gewesen wäre, im Falle, dass ihr Ehemann zum Christentum konvertierte und die Behörden davon Kenntnis erlangt hätten. Dies steht auch mit den Länderinformationen im Einklang, wobei überwiegend die Konversion nicht öffentlich bekannt gemacht wird, da sie entweder beide Ehegatten betrifft oder mit der Zustimmung des anderen Ehegatten erfolgt (Pkt. 1.3. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: „In der Phase nach der Heirat, wenn der Ehemann öffentlich aus dem Islam austritt (in der Praxis gibt es kein Problem, wenn er sich zurückhält oder die Ehefrau eine Haltung der Toleranz und Duldung einnimmt), dann, zumindest theoretisch gilt die Ehefrau nicht mehr als rechtmäßig mit ihm verheiratet und […] als nicht mehr gültig angesehen wird und als null und nichtig gilt (aber null und nichtig ab initio oder von Anfang an, dh die Nichtigkeit wird nicht auf das Datum des Austritts datiert)“). Dass der Religionswechsel ihres verstorbenen Gattens in Iran öffentlich bekannt wurde oder auch den iranischen Behörden bekannt sei, brachte die BF nicht vor und ist auch nicht anzunehmen, als die BF in Iran ihren bereits asylberechtigten und in Österreich aufhältigen Ehemann ohne Probleme heiraten konnte. Weiters wurde der Ehemann der BF im Iran begraben (Seite 16 des Verhandlungsprotokolls) und ist daher nicht davon auszugehen, dass diese Überstellung und das Begräbnis durch die iranischen Behörden genehmigt worden wäre, wenn diese gewusst hätten, dass der Ehemann ein konvertierter Christ ist. Damit ist aber auch nicht davon auszugehen, dass die BF als Ex-Frau des Mannes bedroht oder verfolgt wird. Da auch sonst von der BF von keinen Schwierigkeiten bei der Rückführung ihres Mannes in den Iran erwähnte, ist auch nicht davon auszugehen, dass sie aufgrund einer etwaigen Teilnahme an Demonstrationen durch ihren Mann, wie er bei Einreise in Österreich berichtete, bedroht oder verfolgt wird. Auch konnte sie im Iran, obwohl sie auch nach der Heirat dort lebte und dies auch bei der Schwiegerfamilie, ohne Problem leben und war auch zum damaligen Zeitpunkt keine Gefährdung für die BF aufgrund der Zugehörigkeit zur Familie des Mannes bzw. aufgrund seiner Tätigkeiten im Iran oder in Österreich gegeben und wird dies auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei Rückkehr der BF in den Iran nicht gegeben sein. Da die Tochter noch minderjährig ist und selbst keine Taten vollbrachte, die gegen das iranische Regime gerichtet ist, sowie den Status der Asylberechtigten aufgrund der Ableitung ihres Vaters erhalten hat, ist nicht davon auszugehen, dass die BF im Iran bedroht oder verfolgt wird. Auch im Iran leben noch die Schwiegereltern und die BF berichtete, jedoch nicht davon, dass es zu Verfolgung, Bedrohung oder Inhaftierung dieser gekommen sei, sodass es nicht nachvollziehbar und damit lebensfremd ist, dass die BF einer solche Gefahr bei Rückkehr ausgesetzt sein wird.
Auch die erstmals im verwaltungsgerichtliche Verfahren vorgebrachte Angst der BF, dass sie ihre Tochter verliere, ist vor dem Hintergrund, dass sowohl sie über einen Aufenthaltstitel als subsidiär Schutzberechtigte und ihre Tochter abgeleitet von ihrem Vater als Asylberechtigte im Bundesgebiet verfügt, nicht nachvollziehbar und ebenso auch nicht asylrelevant (Seite 26 des Verhandlungsprotokolls). Laut der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation wird, wie auch die BF angab, der Vater des verstorbenen Ehemannes als natürlicher Vormund betrachtet und hat die gleichen Rechte und Pflichten wie sein verstorbener Sohn, dh der Vater der minderjährigen Waisen. Das bedeutet, dass beispielsweise eine Enkelin, die heiraten möchte und deren Großvater väterlicherseits (Vater des verstorbenen Ehemannes) noch lebt, für ihre erste Heirat seine Zustimmung benötigt, auch wenn sie bereits volljährig ist (für spätere Eheschließungen ist eine solche Zustimmung nicht erforderlich). Daraus ergibt sich aber nicht die gänzliche Abnahme des Kindes der verwitweten Mutter. Auch unter Wahrunterstellung dieses Vorbringen (OZ 25, Seite 2: „BF möchte nicht, dass die Familie ihres verstorbenen Ehemanns bzw. der Großvater väterlicherseits Sachwalter ihres Kindes sein würde und dass für alle Tätigkeiten die Unterschrift des Großvaters verlangt werden würde, weil der Vater gestorben ist“), lässt sich durch diese allgemeine iranische, wenn auch sehr bedenkliche Obsorgeregelung, keine individuelle und persönliche Verfolgungsgefährdung oder Bedrohung erheblicher Intensität der BF ableiten. Eine ausgehende Gefahr von den Schwiegereltern deckt sich nicht mit den Berichten, weil es besteht keine rechtliche Gewalt über die BF als Witwe und kann sie sich den Schutz des Staates oder ihrer Eltern suchen.
Insgesamt ist eine individuelle Verfolgungsgefährdung oder Bedrohung der BF durch ihre (Schwieger)Familie aufgrund widersprüchlicher und nicht nachvollziehbarer Angaben und fehlender Asylrelevanz nicht glaubhaft und insofern nicht festzustellen. Vielmehr reiste die BF wie sie es auch schlüssig vor der belangten Behörde angab (Seite 5 des Einvernahmeprotokolls), weil hier ihr Ehemann lebte.
Abfalls vom Islam/ Apostasie/ Interesse zum Christentum
Weiters brachte die BF neu im Beschwerdeschriftsatz und in der mündlichen Verhandlung vor, dass sie nicht mehr als Muslima leben möchte und legte eine Bestätigung der Aufnahme in die Römische Katholische Kirche vom November 2016 vor. Ein tiefergehendes Interesse für das Christentum oder auch einen ernsthaften nach außen gewerteten Glaubensabfall vom Islam konnte die BF mit ihren allgemeinen Ausführungen in diesem Zusammenhang nicht glaubhaft darlegen:
Laut dem Bestätigungsschreiben des Instituts St. Justinus vom 29.11.2016 wurde die BF in einem Taufvorbereitungskurs aufgenommen. Dass die BF durch ihren Ehemann, dem damals aufgrund seiner Konversion zum Christentum im Bundesgebiet Asyl gewährt wurde, nach ihrer Einreise auch in Kontakt mit dem Christentum kam ist nachvollziehbar. Darüber hinaus dürfte die BF spätestens im Jahr 2018 das Interesse am Christentum verloren haben und die Kirche nicht mehr besucht haben. Sie gab widersprüchlich an, eine Kirche in Wien beim römisch 40 besucht zu haben, wobei sie lediglich das Bestätigungsschreiben aus dem Jahr 2016 und von einer Kirche in römisch 40 vorlegte. Ebenso ist nicht nachvollziehbar, dass die BF von Glaubenskurse, wie sie in der mündlichen Verhandlung angab, ausgeschlossen wurde ist nicht glaubhaft. Vielmehr ging von der BF keine Initiative mehr aus und gab sie lediglich sehr ausweichend an, dass sie von der Kirche nicht mehr zu den Kursterminen informiert worden sei (Seite 24 f des Verhandlungsprotokolls). Auch zeigt sich hier wiederum, dass die BF selbst keine Initiative ergriff, um nachzufragen, wann die nächsten Termine sind bzw. umgehend eine andere Kirche besuchte, welche sie bis zum heutigen Tag besucht. Gerade in Österreich ist es kein Problem eine katholische Kirche zu finden und sind auch farsi-sprechende christliche Kirchen verfügbar. Es zeigt sich aber auch der Lebensumstand der BF, dass sie selbst ein zurückgezogenes Leben führt und keine nach außen hin gerichtetes als selbständige Frau, die selbst Initiative zeigt. Dass die BF zum Christentum konvertiert ist, ist vor dem Hintergrund, dass sie aktuell keine Kirche mehr besucht oder an anderen christliche Veranstaltungen teilnimmt keinesfalls anzunehmen und wird in diesem Ausmaß auch von der BF nicht vorgebracht. Die BF stützte vielmehr ihr Vorbringen einer bestehenden Verfolgungsgefährdung allgemein auf einen Glaubensabfall vom Islam. Die BF bediente sich in diesem Zusammenhang aber nur auf allgemeine Ausführungen zu fehlender Gleichberechtigung zwischen Männer und Frauen in Iran insbesondere im Familien- und Erbrecht oder auch bei der Bildung sowie „dass Islam eine Religion ist, die mit Zwang ausgeübt wird“. Konkrete Probleme oder konkrete geänderte Verhaltensweisen gab die BF nicht an, sondern sagte sie vielmehr bisher keine Probleme mit den iranischen Behörden gehabt zu haben (Seite 29-30 des Verhandlungsprotokolls; Seite 6 des Einvernahmeprotokolls: „Ich habe keine Probleme mit dem Staat, ich habe nur Probleme mit meiner Familie, meine Familie ist streng religiös, sie akzeptieren meinen Mann nicht“). Dass sie in Österreich kein Kopftuch trägt, ist zwar ein Indiz, aber genügt alleine nicht von einem nachhaltigen Glaubensabfall auszugehen. Insbesondere trat die BF weder in Iran noch im Bundesgebiet spezifisch gegen den Islam oder Religion generell auf, äußert sich lediglich allgemein kritisch mit auch aus anderen Verfahren gleichlautenden Kritiken zum Islam („großer Unterschied zwischen Mann und Frau“, „Ohne Zwang existiert kein Islam“) und sind auch nach dem persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung, nachhaltig verinnerlichte Verhaltensweisen der BF, die bei einer Rückkehr nach Iran als Glaubensabfall gewertet werden würden nicht glaubhaft. So konnte die BF keine konkreten persönlichen Beweggründe darlegen, warum sie vom Islam „weg“ ist, sondern gab wiederrum nur allgemein und oberflächlich an, dass es eine Religion sei, die sie sich nicht ausgesucht habe und die Vorschriften und Regelungen im Islam ihr nicht gefallen würden. Weiters machte die BF auch keine Angaben dazu, dass sie abgesehen durch ihren Ehemann selbst Probleme mit ihrer Familie hatte, weil sie den Islam nicht mehr praktizieren wollte, diesbezüglich schilderte die BF keine Vorfälle. Auch auf Nachfrage, warum die BF konkret nach sechsjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet die islamische Religion aufgeben wolle, spricht die BF von vielen Vorschriften im Islam, die sie nicht einhalten würde, warum sie vom Islam abfällt, obwohl sie in Österreich den Islam liberal ausleben könnte, konnte die BF nicht nachvollziehbar darlegen. Vielmehr gab die BF im Widerspruch dazu an, dass wenn man einer Religion angehöre, man die Vorschriften und Gesetze schon einhalten sollte und gleichzeitig meinte die BF befragt zur Bedeutung von Religion im Unterschied schon, dass jeder Mensch eine Religion haben soll und Religion im Leben wie eine Führung ist. Somit kann auch nicht festgestellt werden, dass die BF keiner Religion angehörig sein will, wenn sie angibt an Gott zu glauben und im Leben von Religion geführt zu werden (Seite 5-6 des Verhandlungsprotokolls). Dass sie zum Christentum konvertiert ist, brachte die BF ebenso nicht glaubhaft vor und will sich dahingehend insgesamt nicht festlegen und gibt allgemein nur sehr vage an, sich in Österreich zu überlegen, welche Religion sie hier haben möchte (Seite 4 des Verhandlungsprotokolls). Auffallend in diesem Zusammenhang ist auch, dass in der Sterbeurkunde ihres Ehemannes bei der BF als Religionsbekenntnis „islamisch“ eingetragen ist (AS 285). Somit akzeptiert die BF auch Zwänge der Religion, wie sie auch am Beispiel der Fastenzeit angab. Der BF ist es somit möglich im Iran zu leben und wird bei Befragung durch die iranischen Behörden nicht angeben, Christin zu oder vom Islam abgefallen zu sein, zumal sie selbst angab, dass jeder Mensch eine Religion benötigt, sie jedoch bisher nur den Islam als Religion kannte und ein Wechsel zum Christentum nicht stattfand. Die Beziehung zu Gott wird sie daher weiterhin im Rahmen des islamischen Glaubens weiterführen.
„Westliche Orientierung“
Daran anknüpfend brachte die BF mit ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung zur Lebensführung in Österreich keine grundlegende und verfestigte Änderung der Lebensführung der BF, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei einer Rückkehr nach Iran nicht gelebt werden könnte, nicht glaubhaft vor:
So sind die engagierten Integrationsmaßnahmen der BF, insbesondere durch Erlernen der deutschen Sprache und Besuch anderer Integrationskurse auch vor dem Hintergrund des plötzlichen und tragischen Tods ihres Ehegatten nicht „klein zu reden“ und wird auch von dem erkennenden Gericht anerkannt. Darüber hinaus ist aber vor dem Hintergrund, dass die BF im Bundesgebiet den Lebensunterhalt durch Sozialleistungen finanziert und keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgeht, obwohl sie in Iran die Hochschule besuchte und Jus studierte, nicht von einer nachhaltigen Änderung der Lebensführung der BF im Sinne einer „westlichen Orientierung“ auszugehen. Die BF bringt zwar vor, eine pädagogische Ausbildung machen zu wollen, aber fehlt eine konkrete Umsetzung und verflüchtigt sich die BF im Zusammenhang mit konkreten Fortbildungs- und Erwerbsvorhaben in Ausreden oder fehlender Qualifikation (Deutschkenntnisse). In der Einvernahme durch das Bundesamt gab die BF befragt zu ihren Zukunftsplänen an, dass sie die Uni hier in Österreich beenden und danach arbeiten möchte. Der plötzliche Tod ihres Gatten und nunmehr als alleinerziehende Mutter mit einem vierjährigen Kind brachte die BF durchaus in eine persönlich schwierige Situation, aber gleichzeitig besucht ihre Tochter seit 2019 den Kindergarten und gelang es der BF sich nicht in den Arbeitsmarkt zu integrieren (Deutschkenntnisse B1-B2) oder engagierte sich weder in einem Verein, noch politisch oder mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit und sind ihre vorgebrachten Ambitionen hinsichtlich eines selbstbestimmten und freien Lebens und die Ausübung ihrer Grundrecht noch nicht derart ausgeprägt, dass eine grundlegende und verfestigte Änderung ihrer Lebensführung anzunehmen und glaubhaft ist. So nimmt die BF im Bundesgebiet wie auch in Iran Bildung in Anspruch und passte ihre Kleidung an. Darüber hinaus setzte sie keine ausreichend konkreten und realistischen Schritte für ihre Selbsterhaltungsfähigkeit oder nimmt ein Vereins- und Versammlungsrecht in Anspruch. Auch vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen, woraus sich ergibt, dass die BF in Iran grundsätzlich als Witwe voll handlungsfähig wäre, selbst auch eine Wohnung beziehen, arbeiten oder Rechtsgeschäfte abschließen könnte, legt die BF im Vergleich zu ihrer Lebenssituation im Bundesgebiet (Teilnahme an Deutschkursen und weiteren Integrationskursen, gemeinsamer Haushalt mit Tochter, Bestreitung des Lebensunterhalts durch Sozialleistungen), wenn auch durch an europäischen Raum angepasste Kleidung und damit auch einer Änderung und Anpassung ihrer Lebensführung während ihres Aufenthalts in Österreich, aber alleine damit keine grundlegend und verfestigte Änderung ihrer Lebensführung dar, die sie in Iran nicht mehr ausüben könnte. Dass der BF als Witwe in Iran eine Lebenseinstellung als Teil ihrer politischen und religiösen Überzeugung unterstellt werden kann, die von den iranischen Behörden abgelehnt wird und ihr aufgrund der Tatsache, dass sie Witwe ist, Verfolgung droht ist vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen ebenso nicht plausibel. In der Praxis kann es laut den Länderfeststellungen vorkommen, dass Witwen aufgrund bestimmter Erwägungen (steigende Mieten, Gefahr der Belästigung von alleinlebenden Frauen, mangelnde finanzielle Unabhängigkeit und andere Faktoren), lieber bei ihren eigenen Eltern wohnen oder gebeten und ermutigt werden, zu ihren Schwiegereltern zu ziehen und dort zu leben. Dennoch besteht grundsätzlich die Möglichkeit zu arbeiten und eine Beschäftigung außerhalb des Hauses anzunehmen und über ihr Vermögen zu verfügen, indem sie Rechtsgeschäfte abschließen, auch notariell beglaubigte, wie Immobilien oder Autos betreffen, wenn sie das zivilrechtliche Alter (18 Jahre) erreicht haben, wie es bei der BF der Fall ist. Die BF könnte im Falle einer Rückkehr ihre grundlegende Lebenseinstellung weiterhin leben. Aber auch beim Umgang mit Männern zeigt sich nicht, dass die BF hier mehrere oder einzelne männliche Bekanntschaften hat, sodass diese Lebensweise im Iran verpönt oder gar mit Strafe bedroht wäre.
Aber auch unter Berücksichtigung der zum Entscheidungszeitpunkt vorhandenen Proteste im Iran gegen die Unterdrückung von Frauen, ist bei der BF nicht damit zu rechnen, dass sie an solchen Protesten teilnehmen wird oder an solchen bisher in Österreich aktiv teilgenommen hat, sodass sie ins Visier der iranischen Behörden geraten ist oder bei Rückkehr geraten wird. Wie bereits festgestellt, ist die BF in ihrer privaten Haushaltsführung nicht nach außergewöhnlich nach außen getreten und tritt auch nicht für Rechte anderer Frauen ein. So hat sie auch ihr Kleidungsstil nicht verfestigt und ist auch im Iran nicht jede Frau, welche das Kopftuch nicht ordnungsgemäß bindet einer Bedrohung ausgesetzt.
Insgesamt steht für das erkennende Gericht fest, dass die BF nach Österreich reiste, weil hier ihr Ehemann lebte und sie in Folge ein gemeinsames Familien leben gründeten. In diesem Zusammenhang ist die BF im Bundesgebiet als subsidiär Schutzberechtigte aufenthaltsberechtigt und sei nur nebenbei angemerkt, dass insofern auch dessen Aberkennung oder eine Rückkehrentscheidung gegen die BF als alleinstehende Frau und dem allgemeinen Vorbringen zur Situation von Frauen in Iran beipflichtend und auch angesichts ihrer im Bundesgebiet asylberechtigten Tochter in Verbindung mit dem Kindeswohl iSv Artikel 8, EMRK sowie ihrer Integrationsbemühungen und bereits sechsjährigen Aufenthalts nicht möglich wäre. Über allgemeine Diskriminierungen und Benachteiligungen von Frauen in Iran und ihrem Familienleben und ihre Integration im Bundesgebiet hinaus droht der BF insgesamt nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante individuelle Verfolgung oder Bedrohung durch den Staat oder seitens Privater.
Die Feststellung, wonach die BF keine weiteren Fluchtgründe vorbrachte, ergibt sich aus ihrer Einvernahme im gesamten Verfahren, wo sie von sich aus keine weiteren Gründe nannte, welche asylrelevant wären.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation in Iran:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat (Pkt. römisch II.1.3.) stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichten aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
Das Bundesverwaltungsgericht teilte den Verfahrensparteien im Rahmen der mündlichen Verhandlung mit, welche Berichte es beabsichtigt, der Entscheidung zugrunde zu legen, und bot die Möglichkeit zur Einsicht- und Stellungnahme an. Den Länderberichten wurde nicht substantiiert entgegengetreten, weshalb für das Bundesverwaltungsgericht auch aus diesem Grund keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen. Der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Rechte von Witwen, trat die BF insoweit ebenfalls nicht substantiiert entgegen, als sie in der Stellungnahme vom 30.08.2022 die Ausführungen in der Anfragebeantwortung als mit dem Vorbringen in Einklang ansieht.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zulässigkeit und Verfahren:
Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.
Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, des BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes das Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß Paragraph 6, BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (Paragraph eins, leg.cit.). Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Paragraph eins, BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß Paragraphen 16, Absatz 6 und 18 Absatz 7, BFA-VG sind die Paragraphen 13, Absatz 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (Paragraph 28, Absatz eins, VwGVG).
Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
Zu A)
3.2. Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.):
3.2.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, Asylgesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, (in Folge: AsylG 2005), ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Gemäß Absatz 2, leg. cit. kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).
Gemäß Absatz 3, leg. cit. ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6, AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen;“
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (VwGH 24.11.1999, 99/01/0280).
Bei der begründeten Furcht vor Verfolgung muss es sich um eine solche handeln, die aus objektiver Sicht begründet ist und einen weiteren Verbleib des Asylwerbers in seinem Heimatland unerträglich erscheinen lässt (VwGH 25.04.1994, 94/20/0034).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.11.2003, 2003/20/0389, ausführte, ist das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ganzheitlich zu würdigen und zwar unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten.
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an vergleiche etwa VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274).
Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist vergleiche VwGH 29.05.2019, Ra 2019/20/0230; 23.01.2019, Ra 2018/19/0453 und Ra 2018/19/0260). Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob der Fremde schon im Iran mit dem Christentum in Berührung gekommen ist vergleiche VwGH 17.09.2008, 2008/23/0675); ebenso wenig, ob der Religionswechsel durch die Taufe erfolgte oder bloß beabsichtigt ist (VwGH 29.05.2019, Ra 2019/20/0230). Die Behauptung eines „Interesses am Christentum“ reicht zur Darlegung einer inneren Glaubensüberzeugung nicht aus (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0453). Entscheidend ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit der Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden vergleiche VwGH 29.05.2019, Ra 2019/20/0230; 07.05.2018, Ra 2018/20/0186). Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergehende Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (VwGH 14.03.2019, Ra 2018/18/0455).
In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Apostasie kann laut Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Verfolgung aus Gründen der Religion, wozu auch atheistische Glaubensüberzeugungen zählen, zur Gewährung von Asyl führen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Asylwerber aufgrund seiner atheistischen Lebensweise im Herkunftsstaat tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt zu werden. Dies setzt allerdings voraus, dass der Asylwerber seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht, die er auch im Herkunftsstaat leben wird. Die Tatsache, dass einem Asylwerber im Herkunftsstaat etwa aufgrund eines Gesetzes über Apostasie eine Todes- oder Freiheitsstrafe droht, kann für sich genommen eine asylrelevante Verfolgung darstellen, sofern eine solche Strafe in dem Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird vergleiche etwa VwGH vom 03.09.2021, Ra 2020/14/0290; VwGH vom 13.12.2018, Ra 2018/18/0395, mwN).
Aus Artikel 10, Absatz eins, Litera b, RL 2011/95/EU (Statusrichtlinie) folgt, dass die Ausübung einer Glaubensüberzeugung nicht auf das sog. „forum internum“ beschränkt werden darf, sondern vielmehr auch der öffentliche Bereich umfasst ist.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten „westlich“ orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren. Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (VwGH vom 07.05.2020, Ra 2019/18/0395).
3.2.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall wurde festgestellt, dass die BF als Muslima aufwuchs und im Rahmen ihrer Familie die islamischen Riten praktizierte. Wie bereits in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt wurde, droht der BF keine Verfolgungsgefahr in Iran aufgrund ihrer Familie, Schwiegerfamilie, Apostasie oder „westlicher Orientierung“. Die BF war in Bezug auf ihre vorgebrachten Fluchtgründen unglaubwürdig: Die BF schilderte ihr Fluchtvorbringen sehr oberflächlich, vage, allgemein und konkretisierte es kaum. Hinzu kommt, dass die vorgebrachte Verfolgungsgefahr aktuell auch vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen insbesondere der Anfragebeantwortung zu Rechte und Pflichten von Witwen nicht objektivierbar ist, weil die schwierige allgemeine Lage von Frauen, konfrontiert mit Diskriminierungen und Benachteiligungen im Heimatland der BF – für sich allein – nicht geeignet ist, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten drohenden Verfolgungshandlung darzutun (VwGH vom 31.01.2002, 2000/20/0358). Die BF wäre als Witwe voll handlungsfähig in Iran. Da nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, dazu führt, dass der Asylwerberin internationaler Schutz gewährt werden müsste (VwGH vom 13.11.2019, Ra 2019/18/0303) und die BF keine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte, nicht glaubhaft dartat und die festgestellte Lebensführung der BF im Bundesgebiet (gemeinsamer Haushalt mit mj. Tochter, Obsorge ihrer Tochter, Inanspruchnahme von Bildungsmaßnahmen, arbeitssuchend) als Witwe im Falle einer Rückkehr im Großen und Ganzen weiterführen könnte, droht der BF keine Verfolgung wegen eines gelebten „westlich“ orientierten Lebensstils. Weiters zeigte sich, dass die BF auch in Österreich nicht für die Rechte der iranischen Frauen eintrat und aufgrund ihres unpolitischen Verhaltens ist nicht davon auszugehen, dass die BF nun im Iran an Demonstrationen beteiligen wird oder wegen ihrem Leben in Österreich von den Behörden bedroht oder verfolgt wird.
Ebenso wurde von der BF eine Konversion zum Christentum nicht vorgebracht, besucht die BF auch seit mehreren Jahren keine christlichen Veranstaltungen mehr und ist weder getauft noch aktiv in einer Kirchengemeinschaft. Auch tritt die BF nicht spezifisch gegen den Islam oder Religion allgemein auf, die als Glaubensabfall gewertet werden würden. Vielmehr erachtet die BF Religion auch als Lebensführung und ist bei der BF keine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal zu verstehen, die sie auch im Herkunftsstaat leben würde. Somit droht der BF auch aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung.
Aber auch eine individuelle konkrete Verfolgung oder Bedrohung aufgrund der Zugehörigkeit zur Familie des Mannes bzw. aufgrund ihres Mannes und seiner Tätigkeiten im Iran oder in Österreich oder seiner Zuerkennung des Status des Asylberechtigten konnte nicht festgestellt werden und ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht gegeben. Das Gleiche gilt in Bezug zu ihrer Tochter.
Insgesamt ist die BF in Iran keiner aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt noch droht ihr im Falle ihrer Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine solche.
Auch eine Gruppenverfolgung aller Frauen oder Witwen gleichfalls, alleine aufgrund ihres Geschlechts oder weil sie alleinstehend sind kann mangels Intensität anhand der angeführten Länderinformationen nicht festgestellt werden. Das erkennende Gericht verkennt nicht die allgemein schlechte Lage für Frauen in Iran, welche Diskriminierungen und soziale sowie rechtliche Benachteiligungen ausgesetzt sind, aber stellen diese mangels asylrechtlich relevanter Eingriffsintensität keine Verfolgungshandlungen iSd GFK dar und konnte auch amtswegig keine Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Witwen festgestellt werden.
Abschließend wird festgehalten, dass aus den amtswegigen Ermittlungen des Bundesverwaltungsgerichts in Form von Einsichtnahmen in die relevanten Länderberichte und dem am Bundesverwaltungsgericht vorhandenen Fachwissen eine asylrelevante Verfolgung auch aus anderen, nicht von der BF vorgebrachten Gründen nicht maßgeblich wahrscheinlich ist.
Da die Glaubhaftmachung ein wesentliches Tatbestandsmerkmal für die Gewährung von Asyl ist, und es der BF nicht gelungen ist, eine aus einem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Grund aktuell drohende Verfolgung maßgeblicher Intensität glaubhaft zu machen, liegt somit im Falle der BF weder ein Flucht- noch ein Nachfluchtgrund vor und hat die belangte Behörde zu Recht den Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung vergleiche die unter Punkt 3. angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen und waren Fragen der Beweiswürdigung entscheidend.
Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
ECLI:AT:BVWG:2022:W272.2215542.1.00