Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

11.10.2022

Geschäftszahl

L524 2202028-1

Spruch


L524 2202028-1/40E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA Irak, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, Lerchenfelder Gürtel 45/11, 1160 Wien, gegen den Bescheid des Bundeamtes für Fremdenwesen Asyl vom 27.06.2018, Zl. 1098835409-151992799/BMI-BFA_BGLD_RD, betreffend Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.09.2022, zu Recht:

A) Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte römisch eins., römisch II. und römisch III. wird gemäß Paragraph 3,, Paragraph 8 und Paragraph 57, AsylG als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte römisch IV., römisch fünf. und römisch VI. wird stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 9, BFA-VG auf Dauer unzulässig ist. Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, AsylG wird römisch 40 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste mit seiner damaligen Ehegattin römisch 40 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte – wie seine damalige Ehegattin – am 14.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am Tag der Antragstellung erfolgte eine Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdiensts. Am 13.01.2017 und 08.06.2018 waren die Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA).

Mit Bescheid des BFA vom 27.06.2018, Zl. 1098835409-151992799/BMI-BFA_BGLD_RD, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkte römisch IV. und römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch VI.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

Mit Schriftsatz vom 15.07.2022 stellte der Beschwerdeführer einen Fristsetzungsantrag an den Verwaltungsgerichtshof. Mit verfahrensleitender Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes vom 20.07.2022, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am 21.07.2022, wurde dem Bundesverwaltungsgericht aufgetragen, binnen drei Monaten eine Entscheidung zu erlassen.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde am 21.09.2022 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an der nur der Beschwerdeführer als Partei teilnahm. Das BFA entsandte keinen Vertreter.

römisch II. Feststellungen:

Der 33-jährige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger, Araber, sunnitischer Moslem, seit Juni 2022 geschieden und kinderlos. Der Beschwerdeführer wurde in Bagdad geboren. Er lebte dort zunächst gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern im Haus der Familie. Etwa im Jahr 2013 zog der Beschwerdeführer in den Stadtteil römisch 40 , wo er bis zu seiner Ausreise verblieb.

Der Beschwerdeführer besuchte in Bagdad die Schule (Grundschule, Hauptschule und Gymnasium) und erlangte einen Maturaabschluss. Seine vierjährige universitäre Ausbildung am römisch 40 absolvierte der Beschwerdeführer ebenfalls in Bagdad. Er schloss ein Bachelorstudium „ römisch 40 “ im Juli 2014 erfolgreich ab. Der Beschwerdeführer arbeitete – bereits neben seiner Ausbildung – in seinem eigenen Textilgeschäft als Verkäufer. Ab 2012/13 war der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise in einem Unternehmen im Kunstbereich namens römisch 40 als Produktionsleiter und in der Verrechnungsabteilung beruflich tätig. Außerdem war der Beschwerdeführer auch regelmäßig selbst als Schauspieler bei Theateraufführungen bzw. im Fernsehbereich aktiv. Seine finanzielle Situation vor der Ausreise war gut. Er beherrscht Arabisch auf muttersprachlichem Niveau und Englisch in geringem Ausmaß.

Der Bruder des Beschwerdeführers ist in der Türkei aufhältig. Im Irak leben unter anderem der Vater, die Schwester und Tanten sowie Onkel. Der Vater und die Schwester sind weiterhin in Bagdad wohnhaft. Die verheiratete Schwester lebt bei ihrem Ehegatten. Sein Vater befindet sich bereits im Ruhestand und bezieht eine Pension. Die Schwester des Beschwerdeführers arbeitet in einem Büro in der Verrechnungsabteilung. Der Beschwerdeführer hat aktuell lediglich mit seinem in der Türkei aufhältigen Bruder Kontakt. Sollte der Kontakt zu den im Irak lebenden Personen tatsächlich abgebrochen sein, läge dem kein nachhaltiges Zerwürfnis zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Familie zugrunde, das eine neuerliche Kontaktaufnahme in jedem Fall ausschließen würde.

Der Beschwerdeführer verließ gemeinsam mit seiner damaligen Ehegattin im November 2015 legal den Irak und reiste Mitte Dezember 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 14.12.2015 stellte er den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich somit als Asylwerber rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer ist gesund. Er gehört keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung an.

Der Beschwerdeführer besuchte in Österreich mehrere Deutschkurse und hat die Prüfung ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A1 am 26.03.2018 sehr gut und die Prüfung ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A2 am 25.06.2018 sowie die Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz (Niveau: B1) und zu Werte- und Orientierungswissen des Österreichischen Integrationsfonds am 28.10.2020 bestanden. Die Verständigung mit dem Beschwerdeführer in deutscher Sprache ist problemlos möglich.

Der Beschwerdeführer war zunächst von 29.09.2019 bis 30.09.2019 und am 31.10.2019 als Arbeiter geringfügig beschäftigt und bezog im Zeitraum von Juni 2021 bis Oktober 2021 für die Produktion „ römisch 40 “ für eine Tätigkeit als Bühnenbildner von Juni bis September eine Pauschale in Höhe von Euro 110,00 und im Oktober in Höhe von Euro 60,00. Im Anschluss besaß der Beschwerdeführer eine Gewerbeberechtigung für das freie Gewerbe Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten, und war im Umfang dieser Gewerbeberechtigung vom 03.11.2021 bis 12.08.2022 selbständig tätig. Aktuell geht der Beschwerdeführer seit 09.08.2022 einer unselbständigen Tätigkeit im Ausmaß von 40 Wochenstunden bei der römisch 40 GmbH als Kassenkraft und Tankwart nach. Der Beschwerdeführer erzielt damit ein die monatliche Geringfügigkeitsgrenze überschreitendes Einkommen und ist zur Sicherstellung seines Auskommens seit November 2021 nicht mehr auf Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber angewiesen. Er verfügt jedenfalls mittlerweile seit Mitte August 2022 über eine geeignete eigene Unterkunft in Form einer Mietwohnung, wobei er für deren Kosten selbst aufkommt.

Der Beschwerdeführer fand Aufnahme in das römisch 40 -Programm von römisch 40 , welches ein von der Kulturabteilung der Stadt Wien initiiertes Theater- und Performancelabor darstellt. Am 15.06.2018 zeigte der Beschwerdeführer gegenüber der zuständigen Vereinsbehörde die Errichtung des Vereins römisch 40 an. Der Beschwerdeführer ist aktuell weder in Vereinen noch Organisationen aktiv oder Mitglied von Vereinen oder Organisationen in Österreich. Der Beschwerdeführer engagierte sich von November 2015 bis Mai 2016 ehrenamtlich im Projekt „ römisch 40 “. Aktuell ist er ebenso wenig ehrenamtlich oder gemeinnützig tätig.

Der Beschwerdeführer hat keine Verwandte in Österreich. Der Beschwerdeführer verfügt hier über einen Freundes- und Bekanntenkreis, dem auch österreichische Staatsangehörige bzw. in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigte Personen angehören. Er pflegt, insbesondere im Rahmen seiner Freizeitaktivitäten, zahlreiche soziale Kontakte. Der Beschwerdeführer legte im gegenständlichen Verfahren auch mehrere Unterstützungserklärungen seiner Freunde und Bekannten und ein Konvolut (privater) Fotografien, die ihn bei seinen künstlerischen Aktivitäten zeigen, vor.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Ein beim Bezirksgericht römisch 40 wider den Beschwerdeführer anhängiges Strafverfahren wegen Urkundenfälschung nach Paragraph 223, Absatz 2, StGB wurde zwecks weiterer Ermittlungen auf unbestimmte Zeit vertagt.

Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund, dass ihm auf Grund einer vorehelichen sexuellen Beziehung mit seiner späteren Ehegattin und der im Anschluss ohne Einverständnis und gegen den Willen der Eltern und Schwiegereltern eingegangenen Ehe Bedrohung und/oder Verfolgung durch seine Familie und seine Schwiegerfamilie drohe sowie die vom Beschwerdeführer geäußerten Rückkehrbefürchtungen bezüglich einer Bedrohung und/oder Verfolgung in Zusammenhang mit der Transidentität seiner ehemaligen Ehegattin durch seine Familie und seine Schwiegerfamilie, werden der Entscheidung mangels Glaubhaftigkeit nicht zugrunde gelegt.

Zur Lage im Irak werden folgende Feststellungen getroffen:

COVID-19

Im März und April 2020 verhängte die Regierung in Bagdad Sperren aufgrund von COVID-19, welche die Bewegungsfreiheit zwischen den Provinzen stark einschränkten und zur Schließung der Grenzübergänge führten (FH 3.3.2021). Die im föderalen Irak am 9.6.2021 verhängte Ausgangssperre ist noch aktiv. Ausgangssperren gelten zwischen 22:00 Uhr und 5:00 Uhr und sind von Freitag bis Sonntag zusätzlich verschärft (IOM 18.6.2021).

Im April und Mai 2020 nutzten die Behörden im Irak die COVID-19-Maßnahmen, um Proteste niederzuschlagen und die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht und die Aktivitäten der Opposition stark einzuschränken (FH 3.3.2021). Alle größeren Versammlungen bleiben verboten. Die Behörden halten auch an den vorgeschriebenen sozialen Distanzierungsprotokollen und der Verwendung von Gesichtsmasken in der Öffentlichkeit fest (Garda 4.1.2022).

Nutzer sozialer Medien und Blogger wurden mit Verleumdungsklagen konfrontiert, weil sie die schlechte Reaktion der lokalen Behörden auf die COVID-19-Pandemie kritisierten (FH 3.3.2021).

Die Hadsch- und Umrah-Behörde registriert keinen Bürger, der die Umrah- und Hadsch-Pilgerreise antreten möchte, wenn dieser keinen Impfnachweis vorweisen kann (GoI 13.4.2021).

Die von den irakischen Behörden und der kurdischen Regionalregierung (KRG) verhängten Abriegelungen verschlimmerten die finanziellen Nöte von Niedriglohnarbeitern und Kleinunternehmern (FH 3.3.2021). Die Erwerbsbeteiligung im Irak war mit 48,7% im Jahr 2019 bereits vor der Ausbreitung des COVID-19-Virus eine der niedrigsten in der Welt. Der wirtschaftliche Abschwung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat die Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich verringert und die Löhne gesenkt. Bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) wurde aufgrund der Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen ab April 2020 ein durchschnittlicher Beschäftigungsrückgang von 40% verzeichnet. Am stärksten betroffen waren KMUs im Baugewerbe und in der verarbeitenden Industrie, mit einem Verlust von 52% der Arbeitsplätze, gefolgt vom Lebensmittel- und Agrarsektor, mit einem Verlust von 45% der Arbeitsplätze (IOM 18.6.2021).

Seit dem Ausbruch der Corona-Krise haben staatliche Angestellte im gesamten Land keine regelmäßige und volle Gehaltsauszahlung erhalten (GIZ 1.2021b). Die irakische Regierung hat Schwierigkeiten, die Löhne und Gehälter der sechs Millionen im öffentlichen Sektor Angestellten zu zahlen. Millionen Menschen, die im privaten und informellen Sektor gearbeitet haben, haben ihren Arbeitsplatz und ihre Lebensgrundlage verloren. Nach Schätzungen von UNICEF und der Weltbankgruppe leben im Jahr 2020 schätzungsweise 4,5 Millionen Iraker unter die Armutsgrenze von 1,90 USD pro Tag (IOM 18.6.2021).

Die COVID-19-Pandemie hat das ohnehin schon marode irakische Gesundheitswesen stark in Mitleidenschaft gezogen, das mit der großen Zahl von Menschen, die sich mit dem Virus infiziert haben, nur schwer zurechtkommt (FH 3.3.2021).

Anfang 2020, zu Beginn der COVID-19-Krise, pausierten die Gesundheitseinrichtungen die meisten Dienstleistungen und konzentrierten sich auf die Erforschung des Virus und seine Auswirkungen. Im September 2020 nahm der öffentliche Gesundheitssektor seine Arbeit und seine Dienste wieder auf, mit zusätzlichen Vorschriften wie z. B., dass Krankenhäuser nur nach Terminvereinbarung aufgesucht werden dürfen, strengere Hygienemaßnahmen, und dass medizinisches Personal im Rotationsverfahren eingesetzt wird, was längere Wartezeiten zur Folge hat (IOM 18.6.2021).

Im Jahr 2021 arbeiteten sowohl der öffentliche als auch der private Gesundheitssektor fast wieder auf normalem Niveau, jedoch mit hohen Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19 auf Anweisung des irakischen Gesundheitsministeriums (MoH) (IOM 18.6.2021).

Als Sofortmaßnahme gegen die COVID-19-Pandemie hat das Bundesbildungsministerium Ende Februar 2020 alle Schulen im Irak schließen lassen (UNICEF 20.1.2021). Die Schulen waren von März bis November 2020 geschlossen. Kinder ohne Zugang zu digitalen Lernmöglichkeiten, insbesondere Kinder von Vertriebenen und in Armut lebenden Familien, sind besonders vom Bildungsverlust betroffen. Besonders hart betroffen sind jene Kinder, die bereits vor der Pandemie durch das Leben unter IS-Herrschaft mehrere Jahre an Bildungszugang verloren haben (HRW 13.1.2021). Ende November 2020 wurden die Schulen wieder geöffnet, mit einem Tag Präsenzunterricht pro Woche für jede Klasse (UNICEF 20.2.2021).

Im April und Mai nutzten die Behörden die COVID-19-Maßnahmen, um Proteste niederzuschlagen und die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht und die Aktivitäten der Opposition stark einzuschränken (FH 3.3.2021).

Politische Lage

Mit dem gewaltsamen Sturz Saddam Husseins und der Ba'ath-Partei im März 2003 (DFAT 17.8.2020, S.9) wurde die politische Landschaft des Irak enorm verändert (KAS 2.5.2018, S.2; vergleiche Fanack 8.7.2020). 2005 hielt der Irak erstmals demokratische Wahlen ab und führte eine Verfassung ein, die zahlreiche Menschenrechtsbestimmungen enthält. Das Machtvakuum infolge des Regimesturzes und die Misswirtschaft der Besatzungstruppen führten hingegen zu einem langwierigen Aufstand gegen die US-geführten Koalitionstruppen (DFAT 17.8.2020, S.9). Dieses gemischte Bild ist das Ergebnis der intensiven politischen Dynamik, die durch den Aufstieg des Islamischen Staates (IS) auf eine harte Probe gestellt wurde (KAS 2.5.2018, S.2). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2021a).

Gemäß der Verfassung von 2005 ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch republikanischer Staat. Der Islam ist Staatsreligion und eine der Hauptquellen der Gesetzgebung (AA 25.10.2021, S.8; vergleiche Fanack 8.7.2020). Das Land ist in 18 Gouvernements (muhafazāt) unterteilt (Fanack 8.7.2020), jedes mit einem gewählten Rat, der einen Gouverneur ernennt (DFAT 17.8.2020; S.17). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (BS 29.4.2020, S.11; vergleiche GIZ 1.2021a, RoI 15.10.2005). An der Spitze der Exekutive steht der Präsident, welcher mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (arab.: majlis al-nuwwāb, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 8.7.2020). Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und repräsentiert die Souveränität und Einheit des Staates (DFAT 17.8.2020, S.17). Das zweite Organ der Exekutive ist der Premierminister, welcher vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt wird (Fanack 8.7.2020; vergleiche RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist zudem Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 8.7.2020; vergleiche DFAT 17.8.2020, S.17). Die Legislative wird durch den Repräsentantenrat, d.h. das Parlament, ausgeübt (Fanack 8.7.2020; vergleiche KAS 2.5.2018, S.2). Er besteht aus 329 Abgeordneten, die für eine Periode von vier Jahren gewählt werden (FH 28.2.2022; vergleiche GIZ 1.2021a). Neun Sitze sind per Gesetz für ethnische und religiöse Minderheiten reserviert (AA 22.1.2021, S.11; vergleiche FH 28.2.2022, USDOS 12.4.2022) - fünf für Christen und je einer für Jesiden, Mandäer-Sabäer, Schabak und für Faili-Kurden aus dem Gouvernement Wassit (AA 22.1.2021, S.11; vergleiche FH 28.2.2022, USDOS 12.4.2022). Die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022). Die Judikative wird vor allem durch den Bundesgerichtshof repräsentiert (KAS 2.5.2018, S.2).

Die Grenzen zwischen Exekutive, Legislative und Judikative sind jedoch häufig fließend (FH 28.2.2022). Die Gewaltenteilung wird durch parallele Rollen vieler Entscheidungsträger beeinträchtigt (BS 23.2.2022, S.12). Unabhängige Institutionen, die stark genug wären, die Einhaltung der Verfassung zu kontrollieren und zu gewährleisten, existieren nicht (GIZ 1.2021a). In Artikel 19 der Verfassung heißt es beispielsweise, dass die Justiz unabhängig ist, und keine Macht über der Justiz steht, außer dem Gesetz selbst (BS 23.2.2022, Sitzung 13). Die Justiz ist jedoch eine der schwächsten Institutionen des Staates, und ihre Unabhängigkeit wird häufig durch die Einmischung politischer Parteien über Patronage-Netzwerke und Klientelismus untergraben (BS 29.4.2020, S.11).

Das politische System des Iraks wird durch das sogenannte Muhasasa-System geprägt. Muhasasa im irakischen Kontext bedeutet die Vergabe von staatlichen Ämtern entlang ethnisch-konfessioneller (Muhasasa Ta’ifiyya) oder parteipolitischer (Muhasasa Hizbiyya) Linien. Der Aufteilung wird ein geschätzter Zensus zu Grunde gelegt, sodass die drei größten Bevölkerungsgruppen (Kurden, Sunniten, Schiiten) ihren Bevölkerungsanteilen gemäß proportional repräsentiert werden. Einige Minderheiten wie Christen und Jesiden sind durch für sie reservierte Sitze repräsentiert. Mit der Vergabe staatlicher Ämter ergibt sich auch ein Zugang zu staatlichen Ressourcen, z.B. durch Zugang zu Budgets von Ministerien oder lokalen Behörden (BAMF 5.2020, S.2f.). Das Muhasasa-System gilt auch für die Staatsführung. So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018; vergleiche FH 28.2.2022). Das konfessionelle Proporzsystem im Parlament festigt den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindert die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 2.3.2020, S.8). Das seit 2003 etablierte politische Muhasasa-System steht in weiten Teilen der Bevölkerung in der Kritik (BAMF 5.2020, S.30), insbesondere bei säkularen und nationalen Kräften (GIZ 1.2021a). Seit 2015 richten sich die Demonstrationen im Irak zunehmend auch gegen das etablierte Muhasasa-System als solches. Das Muhasasa-System wird für das Scheitern des Staates verantwortlich gemacht (BAMF 5.2020, S.1). Vom Muhasasa-System abgesehen, stehen viele sunnitische Iraker der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber (AA 2.3.2020, S.8).

Für die Durchführung der Wahlen im Irak ist die Unabhängige Hohe Wahlkommission (IHEC) verantwortlich. Sie genießt generell das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft und der irakischen Bevölkerung (FH 28.2.2022). Der Irak hält regelmäßig, kompetitive Wahlen ab. Die verschiedenen parteipolitischen, ethnischen und konfessionellen Gruppen des Landes sind im Allgemeinen im politischen System vertreten. Allerdings wird die demokratische Regierungsführung in der Praxis durch Korruption und Sicherheitsbedrohungen behindert (FH 28.2.2022).

Seit dem 1.10.2019 anhaltende Massenproteste, die sich gegen Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten von Amerika richteten, führten zum Rücktritt des damaligen Premierministers Adel Abdul Mahdi Ende November 2019 (RFE/RL 24.12.2019; vergleiche RFE/RL 6.2.2020; GIZ 1.2021a). Erst im April 2020 einigten sich die großen Blöcke im Parlament und ihre ausländischen Unterstützer auf einen neuen Kandidaten (FH 3.3.2021). Präsident Salih beauftragte am 9.4.2020 den von den schiitischen Blöcken favorisierten Kandidaten Mustafa al-Kadhimi mit der Regierungsbildung (GIZ 1.2021a).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vergleiche NYT 24.12.2019, Al Monitor 2.11.2020, FH 28.2.2022). Das neue Wahlgesetz soll unabhängigen Kandidaten, die nicht von großen Parteien unterstützt werden, den Einzug ins Parlament erleichtern (FH 28.2.2022). Kandidaten können überschüssige Stimmen nicht mehr auf andere Kandidaten ihrer Partei übertragen (ICG 16.11.2021). Die achtzehn irakischen Gouvernements wurden in 83 Wahlbezirke unterteilt, auf die die 329 Parlamentssitze verteilt wurden (ICG 16.11.2021; vergleiche FH 28.2.2022). Die Gouvernements werden hierzu in eine Reihe neuer Wahlbezirke unterteilt, in denen für jeweils etwa 100.000 Einwohner ein Abgeordneter gewählt wird (FH 3.3.2021). Unklar ist für diese Einteilung jedoch, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (FH 3.3.2021; vergleiche NYT 24.12.2019). Die Distrikte haben je nach Größe zwischen drei und sechs Sitze (ICG 16.11.2021). Einige politische Parteien befürchteten Wahlbetrug und lehnten die Einteilung der Wahlbezirke ab. Besonders die traditionellen Parteienblöcke befürchteten einen Verlust an Einfluss durch die Aufteilung ihrer Wählerschaft in die neuen, kleineren Wahlbezirke (Al Monitor 2.11.2020).

Im Juli 2020 hat Premierminister al-Kadhimi ein Versprechen an die Protestbewegung erfüllt und die Vorverlegung der Parlamentswahlen auf den 6.6.2021 beschlossen (Reuters 31.7.2020; vergleiche GIZ 1.2021a, Al Monitor 9.12.2020). Auf Vorschlag der IHEC, die um mehr Zeit für die Umsetzung der rechtlichen und logistischen Maßnahmen bat, hat das Kabinett einstimmig entschieden, die Parlamentswahlen auf den 10.10.2021 zu verschieben (Al Jazeera 19.1.2021). Am Vorabend der Parlamentswahlen im Oktober 2021 sahen sich reformorientierte Kandidaten, bei Vorbereitung gegen die etablierten Parteien des Landes anzutreten, zu denen auch bewaffnete Milizen gehören, die das irakische Parlament seit 2018 dominieren, mit beunruhigenden Hindernissen konfrontiert (MEI 22.3.2021).

Am 10.10.2021 fanden Parlamentswahlen statt (HRW 13.1.2022; vergleiche KAS 1.2022), die ersten nach dem neuen Wahlsystem (FH 28.2.2022). Die Wahlbeteiligung war die niedrigste in der Geschichte des Iraks nach 2003 und lag nach der großzügigsten Schätzung bei 43,54 % (KAS 1.2022). Die Bewegung des schiitischen Populistenführers Muqtada as-Sadr, eines Gegners des iranischen und US-amerikanischen Einflusses im Irak, ging als Wahlsieger hervor und erhielt 73 der 329 Parlamentssitze (DW 27.12.2021; vergleiche Al Arabiya 27.12.2021, Al Jazeera 27.12.2021, ICG 16.11.2021, Rudaw 30.11.2021, HRW 13.1.2022, KAS 1.2022). Die Fatah- (Eroberungs-) Allianz, der politische Arm der pro-iranischen Volksmobilisierungskräfte (Popular Mobilization Forces) - PMF, ist von vormals 48 Sitzen auf 17 abgestürzt (DW 27.12.2021; vergleiche Al Arabiya 27.12.2021, ICG 16.11.2021, KAS 1.2022). Die Koalition des ehemaligen Premierministers Nouri al-Maliki zählt ebenso zu den Gewinnern der Wahl. Sie hat 33 Parlamentssitze gewonnen (KAS 1.2022).

Von den sunnitischen Parteien errang die Taqqadum Koalition unter der Führung des scheidenden irakischen Parlamentspräsidenten Mohammed al-Halbousi 37 Sitze (Rudaw 30.11.2021; vergleiche ICG 16.11.2021, KAS 1.2022). Die ebenfalls sunnitische Partei Azm unter Khamis al-Khanjar erreichte 14 Sitze (ICG 16.11.2021; vergleiche KAS 1.2022).

Von den kurdischen Parteien erhielt die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) 31 Sitze, die Patriotische Union Kurdistans (PUK) 17 und die Bewegung "Neue Generation" neun Sitze (Rudaw 30.11.2021; vergleiche ICG 16.11.2021, KAS 1.2022). Die Gorran Bewegung, die bei dieser Wahl auf einer gemeinsamen Liste mit der PUK antrat, hat alle ihre Sitze verloren (ICG 16.11.2021).

Der Anführer der Emtidad-(Fortführungs-) Bewegung, Alaa Al-Rikabi, war einer der wenigen Aktivisten, die aus der Oktoberprotestbewegung als Anführer hervorgingen (KAS 1.2022). Nach dem Endergebnis haben 16 politische Parteien jeweils nur einen Sitz gewonnen (Rudaw 30.11.2021; vergleiche KAS 1.2022). 43 Sitze gingen an unabhängige Kandidaten (KAS 1.2022).

Vom Iran unterstützte Gruppierungen, darunter mächtige bewaffnete Gruppen, haben Unregelmäßigkeiten beanstandet (Al Jazeera 27.12.2021). Bei der IHEC gingen mehr als 1.300 Einsprüche ein, die vom "schiitischen Kooperationsrahmen" (CF) eingereicht wurden - einer Gruppierung, die sich hauptsächlich aus schiitischen Gruppen zusammensetzt, die bei den Wahlen schlecht abgeschnitten haben. Die meisten dieser Beschwerden wurden wegen fehlender Beweise abgewiesen (Al-Jazeera 5.11.2021). Am 27.12.2021 hat der oberste Gerichtshof das Wahlergebnis ratifiziert (DW 27.12.2021; vergleiche Al Arabiya 27.12.2021). Der CF fordert eine Beteiligung in einer Regierung der nationalen Einheit (Al Monitor 1.2.2022).

Bei der Eröffnungssitzung des neugewählten Parlaments am 9.1.2022 hat as-Sadrs ethnokonfessionelle Allianz mit kurdischen und sunnitischen Parteien ihren sunnitischen Kandidaten für das Amt des Parlamentspräsidenten, Mohammed al-Halbousi, mühelos gewählt. Des Weiteren konnten die Sadristen 17 weitere Abgeordnete für ihren Block gewinnen und umfassen nun 90 Sitze (Al Monitor 1.2.2022)

Die Wahl des Präsidenten, die für den 7.2.2022 geplant war, kam nicht zustande, da das Parlament nicht beschlussfähig war. Wegen vielfacher Sitzungsboykotte waren nur 58 von 329 Abgeordneten anwesend und damit weniger als die erforderliche Zweidrittelmehrheit, die für die Wahl eines neuen Präsidenten erforderlich ist. Zu dem Boykott kam es, da der Oberste Gerichtshof die Präsidentschaftskandidatur des Wunschkandidaten Hoshyar Zebari von der KDP wegen Bestechungsvorwürfen aus seiner Zeit als Finanzminister im Jahr 2016 ausgesetzt hatte. Es steht im Raum, dass das Parlament erst dann zusammentreten wird, wenn eine Einigung erzielt wurde (Reuters 7.2.2022).

Proteste gegen das Wahlergebnis sind in Bagdad in Gewalt umgeschlagen. Demonstranten, die Betrug anprangerten, stießen außerhalb der "Grünen Zone" in Bagdad mit Sicherheitskräften zusammen (Al-Jazeera 5.11.2021). Dabei wurde am 5.11.2021 während des Protests von Anhängern der Asaib Ahl- al-Haq und Kataib Hezbollah ein Anhänger der Asaib Ahl- al-Haq getötet, mehrere Hundert Sicherheitskräfte wurden verletzt. Der Anführer der Gruppe, Qais al-Khazali, machte Premierminister al-Kadhimi für den Toten verantwortlich und versprach, ihn vor Gericht zu stellen (ICG 16.11.2021).

Am 31.10.2021 schlugen drei Raketen in der Nähe des Hauptquartiers des Geheimdienstes in Bagdad ein, einer Einrichtung, die al-Kadhimi leitete und immer noch kontrolliert (ICG 16.11.2021). Bei einem Anschlag am 7.11.2021 versuchten ungenannte bewaffnete Akteure mit drei bewaffneten Drohnen, den Premierminister in seiner Residenz zu ermorden, scheiterten jedoch (HRW 12.1.2022; vergleiche ICG 16.11.2021). Wegen des Einsatzes von Drohnen wird dieser Anschlag häufig pro-iranischen Gruppen zugeschrieben (ICG 16.11.2021). Am 25.1.2022 wurde auch die Residenz des irakischen Parlamentssprechers Mohammed al-Halbousi mit mindestens drei Raketen beschossen. Der Angriff ereignete sich wenige Stunden, nachdem das Bundesgericht die Wiederwahl al-Halbousis als Parlamentssprecher bestätigt hatte. Al-Halbousi wurde wiederholt von mit dem Iran verbundenen Gruppierungen und solchen, die ihnen nahe stehen, bedroht (Al Monitor 26.1.2022).

Nach fast acht Monaten vergeblicher Bemühungen um die Bildung einer Regierung räumte Moqtada as-Sadr am 12.6.2022 ein, dass es ihm nicht möglich ist, die von ihm angestrebte Regierung zu bilden (Soufan Center 23.6.2022; vergleiche Al-Jazeera 15.6.2022). Sein Ziel war die Bildung einer Zwei- Drittel-Mehrheitsregierung (220 Sitze) unter Einbindung von sunnitisch-arabischen und kurdischen Fraktionen (Soufan Center 23.6.2022). Nach irakischem Recht ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Wahl des Präsidenten erforderlich (Al-Jazeera 15.6.2022). As-Sadrs Ziel war auch die Beendigung der Post-Saddam-Regierungsstruktur, in der schiitische Fraktionen unter weitgehender Ausgrenzung nicht-schiitischer Gruppen regierten. Diese Regierungsstruktur habe laut as-Sadr die Voraussetzungen für die Tishreen-Massenproteste vom Oktober 2019 gegen Korruption und Ineffizienz der Regierung geschaffen und den vom Iran unterstützten PMF zu viel Einfluss verliehen (Soufan Center 23.6.2022).

Der Prozess der Regierungsbildung ist zum Teil deshalb ins Stocken geraten, weil die beiden wichtigsten kurdischen Parteien, KDP und PUK, zu gegensätzlichen nationalen Koalitionen übergegangen sind, und ihr früheres Muster, gemeinsame Positionen im Umgang mit den arabischen Führern des Irak zu schmieden, aufgegeben haben. Die PUK die jetzt mit den pro-iranischen Schiiten verbündet ist, hat Barham Salih, den Amtsinhaber, für eine weitere Amtszeit als Präsident nominiert. Die KDP hat mit Rebar Ahmed einen eigenen Kandidaten vorgeschlagen. Er ist derzeit Innenminister der kurdischen Regionalregierung (KRG) (Soufan Center 14.4.2022).

As-Sadr hat die 73 Abgeordneten seines Blocks der Sadristischen Bewegung (Sairoon) im irakischen Parlament aufgefordert geschlossen zurückzutreten (Al-Jazeera 15.6.2022; vergleiche Soufan Center 23.6.2022), was diese auch befolgten (Al-Jazeera 15.6.2022). Laut irakischem Recht rückt bei Freiwerden eines Parlamentssitzes der Kandidat mit den nächst meisten Stimmen nach (Al-Jazeera 15.6.2022; vergleiche Soufan Center 23.6.2022). Auf der Grundlage der von der Hohen Wahlkommission des Irak vorgelegten Ergebnisse dürften schätzungsweise 50 der 73 frei gewordenen Sitze der Sadristen an Mitglieder der CF gehen. Damit sind as-Sadrs Gegner in den PMF und die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Nouri al-Maliki, mit etwa 120 der 329 Parlamentssitze in einer günstigen Position, eine Regierung zu bilden (Soufan Center 23.6.2022).

Nach wiederholten Verzögerungen wurden die ursprünglich für 2017 geplanten Wahlen zu den Provinzräten im November 2019 auf unbestimmte Zeit verschoben (FH 3.3.2021). Das irakische Parlament hatte Ende Oktober 2019 beschlossen, die Provinzräte aufzulösen, mit Ausnahme jener in der Kurdistan Region Irak (KRI). Es beschloss jedoch, die Gouverneure im Amt zu belassen, welche die Aufgaben der Räte übernehmen, aber unter der Kontrolle der Zentralregierung stehen. Das irakische Bundesgericht bestätigte Anfang Juni 2021 nach einer vorausgegangenen Klage die Entscheidung des Parlaments von 2019 (Rudaw 2.6.2021).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage im Irak hat sich seit dem Ende der groß angelegten Kämpfe gegen den Islamischen Staat (IS) erheblich verbessert (FH 3.3.2021). Derzeit ist es jedoch staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Dies gilt insbesondere für den Zentralirak außerhalb der Hauptstadt (AA 25.10.2021, S.9). Der IS ist zwar offiziell besiegt, stellt aber weiterhin eine Bedrohung dar, und es besteht die ernsthafte Sorge, dass die Gruppe wieder an Stärke gewinnt (DIIS 23.6.2021). Zusätzlich agieren insbesondere schiitische Milizen (Volksmobilisierungskräfte, PMF), aber auch sunnitische Stammesmilizen eigenmächtig (AA 25.10.2021, S.9). Die ursprünglich für den Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar (AA 25.10.2021, S.15). Die PMF haben erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Lage im Irak und nutzen ihre Stellung zum Teil, um unter anderem ungestraft gegen Kritiker vorzugehen. Immer wieder werden Aktivisten ermordet, welche die vom Iran unterstützten PMF öffentlich kritisiert haben (DIIS 23.6.2021). Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 25.10.2021, S.15).

Die Überreste des IS zählen zu den primären terroristischen Bedrohungen im Irak. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), eine Terrorgruppe mit Sitz in den Bergen des Nordiraks, verübte ebenfalls mehrere Anschläge in der Kurdistan Region Irak (KRI), bei denen auch mehrere Angehörige der kurdischen Sicherheitskräfte getötet wurden. Auch gewisse mit dem Iran verbündete Milizen stellen eine terroristische Bedrohung dar (USDOS 16.12.2021).

Im Jahr 2020 blieb die Sicherheitslage in vielen Gebieten des Irak instabil (USDOS 30.3.2021). Die Gründe dafür liegen in sporadischen Angriffen durch den IS (UNSC 30.3.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021), in Kämpfen zwischen den irakischen Sicherheitskräften (ISF) und dem IS in dessen Hochburgen in abgelegenen Gebieten des Irak, in der Präsenz von Milizen, die nicht vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen, einschließlich bestimmter PMF sowie in ethno-konfessioneller und finanziell motivierter Gewalt (USDOS 30.3.2021).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force, und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kataib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte, bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021). Schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA sind im Irak an der Tagesordnung. Es wird häufig über Anschläge in der südlichen Region des Landes berichtet, darunter in den Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Qadisiyyah und Muthanna. Aber auch aus den zentralen Gouvernements Bagdad, Anbar und Salah ad-Din wurden Anschläge gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Die Zahl der Angriffe pro-iranischer Milizen hat ihren bisherigen monatlichen Höhepunkt mit 26 im April 2021 erreicht und ist seitdem zurückgegangen. Diese Gruppen versuchen, die US-Präsenz im Irak einzuschränken, was ihr auch gelungen ist, da sich die Amerikaner nun auf den Schutz ihrer Truppen konzentrieren, anstatt mit den irakischen Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten (Wing 2.8.2021).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 25.10.2021, S.16).

Im Nordirak führt die Türkei zum Teil massive militärische Interventionen durch, die laut Ankara gegen die PKK gerichtet sind. Außerdem unterhält die Türkei dort temporäre Militärstützpunkte (GIZ 1.2021a), über 40 davon in der KRI sowie eine Militärbabsis in Bashiqa bei Mossul (BS 23.2.2022). Die Errichtung weiterer Militärstützpunkte ist geplant (Reuters 18.6.2020). Die Türkei hat im Rahmen ihrer gemeinsamen Operationen Claw-Eagle und Claw-Tiger gegen die PKK im Qandil-Gebirge, in Sinjar und Makhmur (beide in Ninewa) irakischen Boden bombardiert. Auch der Iran hat das Qandil-Gebirge bombardiert, ein Angriff, der vermutlich mit der Türkei koordiniert wurde (BS 23.2.2022).

Die Regierungen in Bagdad und Erbil haben im Mai 2021 eine Vereinbarung über den gemeinsamen Einsatz ihrer Sicherheitskräfte (ISF und der Peshmerga) in den Sicherheitslücken zwischen den von ihnen kontrollierten Gebieten getroffen (Rudaw 14.5.2021; vergleiche Rudaw 21.6.2021). Seitdem wurden mehrere "Gemeinsame Koordinationszentren" eingerichtet (Rudaw 21.6.2021). In vier neuen Gemeinsamen Koordinationszentren, in Makhmour, in Diyala, in Kirkuks K1 Militärbasis und in Ninewa, werden kurdische und irakische Kräfte zusammenarbeiten und Informationen austauschen, um den IS in diesen Gebieten zu bekämpfen (Rudaw 25.5.2021). Jene Sicherheitslücken werden vom IS erfolgreich ausgenutzt. In einigen Gebieten ist die Sicherheitslücke bis zu 40 Kilometer breit. Der IS gewinnt dort an Stärke und führt tödliche Angriffe auf kurdische und irakische Kräfte und Zivilisten durch (Rudaw 14.5.2021).

Islamischer Staat (IS)

Im Dezember 2017 erklärte der Irak offiziell den Sieg über den Islamischen Staat (IS), nachdem im Monat zuvor mit Rawa im westlichen Anbar, das letzte urbane Zentrum des IS im Irak zurückerobert worden war (Al Monitor 11.7.2021). Der IS stellt nach wie vor eine Bedrohung dar (DIIS 23.6.2021; vergleiche MEE 4.2.2021, Garda 15.4.2021, USDOS 16.12.2021). Er ist als klandestine Terrorgruppe aktiv, deren Fähigkeit zu operieren dadurch verringert ist, dass er weder Territorium noch Zivilbevölkerung beherrscht (FH 3.3.2021). Der IS versucht jedoch vor allem in jenen Gebieten Fuß zu fassen, deren Kontrolle zwischen der kurdischen Regionalregierung und der föderalen Regierung umstritten ist (USDOS 16.12.2021). Laut irakischen Kommandanten ist der IS nicht mehr in der Lage Territorien zu halten (MEE 4.2.2021).

Nur eine Minderheit der IS-Kräfte ist aktiv in Kämpfe verwickelt, besonders in einigen Gebieten im Nord- und Zentralirak. In Gebieten mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit konzentriert sich der IS auf die Doppelstrategie der Einschüchterung und Versöhnung mit den lokalen Gemeinschaften, während er auf ein erneutes Chaos oder den Abzug der internationalen Anti-Terrortruppen wartet (NI 19.5.2020). Der IS unterhält im gesamten West- und Nordirak Zellen, die gut ausgerüstet und äußerst mobil sind. Es wird angenommen, dass sie die Unterstützung aus den marginalisierten sunnitischen Gemeinschaften in der Region erhalten (Garda 15.4.2021). Schätzungen über die Stärke des IS gehen von 2.000 bis zu 10.000 IS-Kämpfer im Irak, dürften aber zu hoch gegriffen sein und sich zur Hälfte aus Unterstützern und Schläfern zusammensetzen (NI 18.5.2021). Auch die Vereinten Nationen schätzen die Stärke des IS im Irak und in Syrien auf etwa 10.000 Kämpfer, wobei es sich dabei um eine Schätzung handelt und die Zahl tatsächlich geringer ausfällt (Wilson Center 10.12.2021).

Eine grundlegende geografische Verteilung der IS-Kämpfer lässt sich aus deren Operationen ableiten, die sie gegen die Sicherheitskräfte und die PMF durchführen. Diese betreffen hauptsächlich Anbar, Bagdad, Babil, Kirkuk, Salah ad-Din, Ninewa und Diyala (NI 18.5.2021). Nach der territorialen Niederlage im Jahr 2017 haben sich Zellen des IS weitgehend im Gebietsdreieck zwischen den Gouvernements Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk, einschließlich des Hamrin-Gebirges, im Nordirak neu gruppiert. Das Gebiet liegt zwischen den Zuständigkeiten der irakischen Sicherheitskräfte und denen der Kurdischen Regionalregierung (KRG), den Peshmerga (MEE 4.2.2021). Um die 2.000 der Kämpfer sollen sich in diversen Dreiecksgebieten konzentrieren: Das Gebiet zwischen Nord, West und Süd Bagdad, das Gebiet zwischen den nördlichen Hamreenbergen, Südkirkuk und dem Osten von Salah-ad-Din, das Gebiet zwischen Makhmour, Shirqat und den Khanoukenbergen im nördlichen Salah ad-Din, das Gebiet zwischen Baaj in Ninewa, Rawa im nördlichen Anbar und dem Tharthar See, das Gebiet zwischen Wadi Hauran, Wadi al-Qathf und Wadi al-Abyad in Anbar (NI 19.5.2020). Auch Informationen irakischer Sicherheitsbeamter deuten darauf hin, dass der IS auf abgelegene Stützpunkte tief in der Wüste in Anbar, Ninewa, in Gebirgszügen, Tälern und Obstplantagen in Bagdad, Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala zurückgreift, um seine Kämpfer unterzubringen und Überwachungs- und Kontrollpunkte zur Sicherung der Nachschubwege einzurichten. Er nutzt diese Stützpunkte auch, um Kommandozentren und kleine Ausbildungslager einzurichten. In urbanen Gebieten hat der IS seine Kämpfer in kleinen mobilen Untergruppen reorganisiert und seine Aktivitäten in Gebieten in denen er noch Einfluss hat verstärkt, indem er die internen Probleme des Iraks ausnutzt und sich vertrautes geografisches Gebiet zunutze macht (NI 18.5.2021). Im Jänner 2022 erklärte der Leiter der irakischen Sicherheitsmedienzelle, Generalmajor Sa'ad Ma'an, dass der IS weiterhin in den Qarachokh-Bergen, in der Gegend südlich von Makhmur und in Teilen der Gouvernements Kirkuk, Diyala und Salah ad-Din präsent sei (NRT 4.2.2022).

Der verstärkte Einsatz von mobilen IS-Gruppen, die in verschiedenen Gebieten operieren, oft weit entfernt von ihren Stützpunkten oder von Unterkünften wie den Madafat Anmerkung, Grundausbildungslager), die sich in unwegsamem Gelände, Felsenhöhlen oder unterirdischen Tunneln befinden, bedeutet, dass die tatsächliche Präsenz der Gruppe nicht anhand ihrer territorialen Ansprüche oder von Ankündigungen irakischer Behörden beurteilt werden kann (NI 18.5.2021). Der IS verlässt sich bei der Planung und Ausführung seiner Aktivitäten auf geografisches Terrain. Obwohl die Gruppe nicht mehr als Staat agiert, wie es in den Jahren des Kalifats von 2014 bis 2018 der Fall war, beziehen sich ihre Kommuniqués, in denen sie sich zu Anschlägen bekennt, immer noch auf das Wilayat als Teil ihrer PR-Strategie (NI 18.5.2021).

Der IS wählt seine Einsatzgebiete nach strategischen Faktoren aus: Ein Faktor ist die Generierung von Finanzmitteln, an den Handelsrouten zum Iran, zu Syrien und zwischen den irakischen Gouvernements, durch Steuern bzw. Schutzgelder, die Transportunternehmen auferlegt werden, sowie aus dem Schmuggel von Medikamenten, Waffen, Zigaretten, Öl, illegalen Substanzen und Lebensmitteln. Ein anderer Faktor ist die Schaffung strategischer Tiefe und sicherer Häfen. So konzentriert sich der IS auf die Ansiedlung in verlassenen Dörfern im Nord- und Zentralirak, wo natürliche geographische Barrieren und Gelände, wie Täler, Berge, Wüsten und ländliche Gebiete, konventionelle Militäroperationen zu einer Herausforderung machen. Hier nutzt der IS Höhlen, Tunnel und Lager zu Ausbildungszwecken, auch um sich Überwachung, Spionage und feindlichen Operationen zu entziehen. Ein weiterer Faktor ist die direkte Nähe zum Ziel. Der IS konzentriert sich beispielsweise auf Randgebiete um Städte und große Dörfer, die eine große Präsenz von einerseits Stammesmilizen oder lokalen Streitkräften und andererseits von nicht-lokalen loyalistischen PMF-Milizen aufweisen, sowie auf niederrangige Beamte, die mit der Regierung für die Vertreibung des IS zusammengearbeitet haben. Solche Gebiete sind häufig instabil aufgrund von Friktionen zwischen den verschiedenen Kräften. Einheimische, vor allem solche, die durch die anwesenden Kräfte geschädigt wurden, können dem IS gegenüber aufgeschlossener sein (CPG 5.5.2020).

Der IS hat die jüngsten Entwicklungen im Irak, wie die weitreichenden öffentlichen Proteste, den Rücktritt der Regierung und die daraus resultierende politische Stagnation, die Machtkämpfe um die Ermordung des Führers der PMF, Abu Mahdi al-Muhandis, durch die USA und den Abzug von US-Streitkräften aus dem Irak, operativ genutzt und in eher kleinen Gruppen von neun bis elf Männern Anschläge in Diyala, Salah ad-Din, Ninewa, Kirkuk und im Norden Bagdads verübt (CPG 5.5.2020).

Der IS begeht zumeist Angriffe mit Kleinwaffen, Hinterhalte und Bombenanschläge am Straßenrand (IEDs) (Wilson Center 10.12.2021; vergleiche USDOS 16.12.2021). Er greift jedoch auch auf Selbstmordattentate, Attentate, Entführungen und Sabotageakte zurück. Dabei sind Angriffe im kleinen Ausmaß heute am weitesten verbreitet. Die Ziele sind je nach Gebiet unterschiedlich, aber im Allgemeinen handelt es sich um die Sicherheitskräfte der verschiedenen Gebiete, ihre vermeintlichen Unterstützer/Kollaborateure und die breitere Bevölkerung schiitischer und anderer nicht-sunnitischer Muslime, die alle als Ungläubige und Abtrünnige gelten (Wilson Center 10.12.2021).

Seit Sommer 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021). Der IS hat sich zu Dutzenden solcher Anschläge bekannt und bedroht auch andere lebenswichtige Infrastruktur. Es wird angenommen, dass der IS versucht, Panik zu verbreiten, indem er das Elektrizitätsnetz angreift (Rudaw 8.8.2021).

Nach der Tötung des "Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi wurde Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi 2019 der neue Anführer des IS. Dieser wurde als Ameer Muhammed Sa'id al-Salbi al-Mawla identifiziert, ein langjähriger Anführer des IS aus Tal'afar im Nordirak (NI 19.5.2020; vergleiche CISAC 2021). Am 4.2.2022 kam al-Qurashi bei einer Militäroperation der USA in Nordsyrien ums Leben (Al Jazeera 4.2.2022; vergleiche Reuters 9.2.2022, GS 11.3.2022). Im März 2022 wurde verkündet, dass Abu al-Hassan al-Hashimi al-Qurayshi die Nachfolge angetreten hat. Hinter diesem nom de guerre verbirgt sich laut irakischen und westlichen Geheimdienstquellen Juma Awad al-Badri, ein Bruder des ersten "Kalifen" (GS 11.3.2022).

Dem "Kalifen" sind zwei fünfköpfige Ausschüsse unterstellt: ein Shura (Beratungs-) Rat und ein Delegiertenausschuss. Jedes Mitglied des Letzteren ist für ein Ressort zuständig (Sicherheit, sichere Unterkünfte, religiöse Angelegenheiten, Medien und Finanzierung). Die verschiedenen Sektoren des IS arbeiten auf lokaler Ebene dezentralisiert, halbautonom und sind finanziell autark (NI 19.5.2020).

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den gesamten Irak im Lauf des Monats Jänner 2021 77 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 92 Toten (46 Zivilisten) und 176 Verwundeten (125 Zivilisten) verzeichnet. 64 dieser Vorfälle werden dem Islamischen Staat (IS) zugeschrieben und 13 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 145, gefolgt von 36 in Diyala, 28 in Ninewa und 26 in Salah ad-Din (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 waren es 63 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (elf Zivilisten) und 77 Verwundeten (elf Zivilisten). 47 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 16 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Diyala mit 38, gefolgt von 26 in Kirkuk und 21 in Anbar (Wing 8.3.2021). Im März 2021 waren es 79 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (16 Zivilisten) und 44 Verwundeten (14 Zivilisten). 59 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 20 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 22, gefolgt von 19 in Diyala und 18 in Kirkuk (Wing 5.4.2021). Im April 2021 waren es 107 Vorfälle mit 54 Toten (19 Zivilisten) und 132 Verwundeten (52 Zivilisten). 80 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 27 pro-iranischen Milizen. Diyala hatte mit 62 die meisten Opfer zu beklagen, gefolgt von 39 in Kirkuk, 30 in Bagdad, 24 in Salah ad-Din und 22 in Ninewa (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 waren es 113 Vorfälle mit 59 Toten (elf Zivilisten) und 100 Verwundeten (24 Zivilisten). 89 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 24 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Kirkuk mit 53, gefolgt von 31 in Salah ad-Din, 26 in Diyala und 19 in Anbar (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden 83 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Dabei wurden 36 Menschen (16 Zivilisten) getötet und 87 verwundet (50 Zivilisten). 62 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Vier weitere Vorfälle konnten nicht zugewiesen werden. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 47, gefolgt von 31 in Diyala und 23 in Kirkuk (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 waren es 107 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 106 Toten (76 Zivilisten) und 164 (114 Zivilisten) Verwundeten. 90 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad, wo ein Bombenanschlag 101 Opfer forderte, gefolgt von 65 in Salah ad-Din, 33 in Anbar, 25 in Diyala, 21 in Kirkuk und 20 in Ninewa (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden schließlich 103 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 54 Toten (15 Zivilisten) und 82 Verwundeten (34 Zivilisten) verzeichnet. 73 der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 30 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 48, gefolgt von 23 in Kirkuk, 19 in Bagdad und 18 in Diyala (Wing 6.9.2021).

Im Januar 2022 wurden im Irak insgesamt 84 sicherheitsrelevante Vorfälle gemeldet. Dies ist ein Anstieg gegenüber 78 im Dezember 2021 und 67 im November 2021. Dieser Anstieg ist auf Aktivitäten von mit dem Iran verbundenen Volksmobilisierungskräfte (PMF) zurückzuführen. So gab es im Jänner 2022 31 erfolgreiche Angriffe pro-iranischer Gruppen und neun weitere Vorfälle. Dies ist ein Anstieg gegenüber 21 im Dezember 2021 und die höchste PMF zugeschriebene Vorfallszahl seit Beginn ihrer jüngsten Operationen. Wie üblich konzentrieren sie sich auf IED-Angriffe gegen Versorgungskonvois, die für die USA tätig sind (Wing 7.2.2022).

Es kam auch zu politischer Gewalt durch diese Gruppierungen, um Moqtada as-Sadr und dessen Verbündete unter Druck zu setzen, damit diese den sog. "Koordinationsrahmen" - ein Bündnis aller wichtigen pro-iranischen schiitischen Parteien - in die neue Regierung aufnehmen. Es kam z.B. auch zu Bombenanschlägen auf die Büros der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) in Bagdad und auf das Büro des stellvertretenden Sprechers in Kirkuk, zu Raketenangriffen auf das Haus des Sprechers Mohammed al-Halbousi in Anbar, zu einem Anschlag mit einem Molotow-Cocktail, der auf ein Sadr-Gebäude in Bagdad geworfen wurde, zu einem Mordanschlag auf einen KDP-Funktionär in der Hauptstadt sowie zu Granaten-Anschlägen auf Gebäude der sunnitischen Bündnisse Taqadum und Azm in Bagdad. Auch zwei kurdische Banken in Bagdad wurden bombardiert (Wing 7.2.2022).

Die Zahl der vom IS verübten Anschläge ist in den letzten fünf Monaten zurückgegangen. Im Januar 2022 waren es 46 gegenüber je 55 im Dezember und November 2021, 65 im Oktober 2021 und 70 im September 2021. Es war die niedrigste Zahl von Anschlägen im Irak seit 2003 (Wing 7.2.2022).

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 bis Juli 2022 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 8.2022).

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Jahr 2021 669 zivile Todesopfer. Im Jahr 2022 wurden bis Juli bisher 371 zivile Todesopfer verzeichnet (IBC 8.2022).

Auch laut den vom IS in seinem wöchentlichen Newsletter al Naba veröffentlichten Zahlen ist die Zahl der Anschläge im Irak gesunken. Im Jahr 2020 beanspruchte der IS im Irak durchschnittlich 110 Anschläge und 207 Tote pro Monat. Im Jahr 2021 waren es (Mit Stand Dezember 2021) durchschnittlich 87 Anschläge und 149 Tote pro Monat (Wilson Center 10.12.2021).

Laut ACLED wurden im Jahr 2021 im gesamten Irak 1.187 Vorfälle mit mindestens einem Opfer (tot oder verletzt) verzeichnet. Im Jahr 2022 waren es bis Juni 712 derartige Vorfälle (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Opfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt. Des weiteren weist ACLED auch einige Unschärfen auf, da auch Morde ohne terroristischen Hintergrund inkludiert sind) (ACLED 2022).

Sicherheitslage Bagdad

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, das seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Gebiete (Latifiyah, Taji, al-Mushahada, at-Tarmiyah, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten "Bagdader Gürtel" (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 Kilometern um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, al-Tarmiyah, Ba'qubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Im Ort al-Tarmiyah im nördlichen Teil des Gouvernement Bagdad hat der Islamische Staat (IS) eine Zelle reaktiviert (Wing 2.8.2021). Im August 2021 haben Sicherheitskräfte eine Operation gegen diese IS-Zelle gestartet, nachdem der IS seine Angriffe in den vorangegangenen Monaten verstärkt hatte (Anadolu 23.8.2021). Seit Beginn des Sommers 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz, das ohnehin bereits mit schweren Stromengpässen zu kämpfen hat. Mitte August 2021 wurde beispielsweise bei al-Tarmiyah ein Strommast gesprengt, der die dortige Pumpstation mit Strom versorgt. Deren Stillstand hatte den Ausfall der Wasserversorgung für mehrere Millionen Menschen im Westen Bagdads zur Folge. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kata'ib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021).

Pro-iranische schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Unter anderem werden auch aus dem Gouvernement Bagdad Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Pro-iranische Milizen werden auch für Raketen- und Drohnenangriffe auf den Internationalen Flughafen Bagdad und auf die sogenannte Grüne Zone Anmerkung, ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandsvertretungen beherbergt) verantwortlich gemacht. Siehe dazu die folgenden Auflistungen der monatlichen sicherheitsrelevanten Vorfälle:

Im Jänner 2021 wurden im Gouvernement Bagdad zehn sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 111 Verletzten verzeichnet. 32 der Toten und 110 der Verletzten waren Zivilisten. Sechs dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, vier pro-iranischen Milizen (Wing 4.2.2021). Der IS hat im Jänner 2021 einen doppelten Selbstmordanschlag auf einem Markt am Tayaran-Platz im Zentrum Bagdads ausgeführt, bei dem 32 Menschen getötet und 110 verletzt wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vergleiche BBC 21.1.2021, Wing 4.2.2021). Pro-iranische Milizen zeichneten sich verantwortlich für drei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA und für den Raketenbeschuss des Internationalen Flughafens Bagdad (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 wurden zehn Vorfälle mit vier Toten und drei Verletzten verzeichnet. Je fünf Vorfälle werden dem IS und pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Bei den IS-Vorfällen handelte es sich, bis auf ein Feuergefecht in al-Tarmiyah im Norden Bagdads, um Angriffe von geringem Ausmaß. Bei vier der pro-iranischen Vorfälle handelte es sich um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, beim fünften um einen Raketenbeschuss der Grünen Zone in Bagdad (Wing 8.3.2021). Im März 2021 gab es zehn sicherheitsrelevante Vorfälle mit drei Toten und sieben Verletzten, davon waren zwei der getöteten und sechs der verwundeten Personen Zivilisten. Acht dieser Vorfälle werden dem IS, zwei weitere pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Die IS-Angriffe umfassten unter anderem ein Feuergefecht, den Einsatz einer Motorradbombe und den Angriff auf das Haus eines Sheikhs mit einem Sprengsatz. Al-Tarmiyah, von dem aus eine IS-Zelle operiert, war hauptsächlich von den IS-Übergriffen betroffen. Bei den pro-iranischen Vorfällen handelte es sich um zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit sieben Toten und 23 Verletzten verzeichnet. Vier dieser Vorfälle werden dem IS, drei pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 3.5.2021). Bei einem der IS-Angriffe handelte es sich um einen Anschlag unter Verwendung einer Autobombe auf einem Markt in Sadr City, bei dem vier Menschen getötet und 20 verwundet wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vergleiche Garda 15.4.2021, Wing 3.5.2021). Bei den pro-iranischen Vorfällen handelte es sich wiederum um zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA sowie um Raketenbeschuss einer Militärbasis (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit 16 Toten verzeichnet, von denen zwei Zivilisten waren. Sieben Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, wobei sich sechs im nördlichen al-Tarmiyah Distrikt ereigneten. Zwei Vorfälle, ein Raketenbeschuss des Internationalen Flughafens Bagdad und ein vereitelter Angriff, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.6.2021). Im Mai wurde bei vier Protesten scharfe Munition verwendet, um die Demonstrationen aufzulösen. Bei zwei dieser Vorfälle starben ein, bzw. zwei Demonstranten. Dutzende weitere wurden verletzt. Neun Demonstrationen in dem Monat verliefen friedlich (ACLED 2022). Im Juni 2021 wurden 16 sicherheitsrelevante Vorfälle mit acht Toten und 39 Verletzten verzeichnet. Sieben der Toten und 36 der Verletzten waren zivile Opfer. Zehn der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben. Sechs der sicherheitsrelevanten Vorfälle, unter anderem ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA sowie zwei Drohnenangriffe auf den Internationalen Flughafen Bagdad, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Weitere Angriffe konnten verhindert werden (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 wurden 18 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten, davon 38 Zivilisten, und 59 zivile Verletzte verzeichnet. 14 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben (Wing 2.8.2021). Am 19.7.2021 führte der IS ein Selbstmordattentat in einem Markt in Sadr City aus, bei dem 35 Menschen getötet und 59 verletzt wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vergleiche Wing 2.8.2021). Vier Vorfälle, ein IED-Angriff gegen einen Versorgungskonvoi der USA, zwei Raketenbeschüsse der Grünen Zone sowie die Entschärfung einer Rakete, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (WIng 2.8.2021). Im August 2021 wurden zehn Vorfälle, mit acht Toten und elf Verwundeten verzeichnet, wobei zwei der Verwundeten Zivilisten waren. Sechs Angriffe werden dem IS zugeordnet, vier pro-iranischen Milizen. Der IS war im Gouvernement Bagdad neuerlich in al-Tarmiyah am aktivsten, wo unter anderem ein Brigade-Hauptquartier der Volksmobilisierungskräfte (PMF) angegriffen wurde. Bei den vier Vorfällen unter Beteiligung pro-iranischen Milizen handelt es sich um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der US-Streitkräfte (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurde lediglich ein IED-Angriff von PMF auf einen Versorgungskonvoi der US-Streitkräfte verzeichnet (Wing 4.10.2021). Im Oktober 2021 wurden neun Vorfälle mit zwei Toten und vier Verletzten verzeichnet, wobei alle Opfer Zivilisten waren. Sieben Angriffe werden dem IS zugeschrieben, zwei pro-iranischen Milizen. Bei einem dieser Angriffe handelte es sich wiederum um einen IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA (Wing 4.11.2021). Am 31.10.2021 schlugen drei Raketen in der Nähe des Hauptquartiers des Geheimdienstes im Distrikt Mansour ein (ICG 16.11.2021; vergleiche Wing 4.11.2021). Des weiteren wurden im Oktober 2021 15 Proteste verzeichnet, von denen zwölf friedlich verliefen und drei als gewalttätige Demonstrationen deklariert wurden, ohne jedoch Opfer zu fordern (ACLED 2022). Im November 2021 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Verletzten verzeichnet. Ein Vorfall wird mit dem IS in Verbindung gebracht, während der zweite pro-iranischen Milizen zugeschrieben wird (Wing 6.12.2021). Am 7.11.2021 wurde die Residenz von Premierminister al-Kadhimi in Bagdad mit drei bewaffneten Drohnen angriffen, wobei der Premierminister und fünf seiner Leibwachen verletzt wurden (ICG 16.11.2021; vergleiche HRW 13.1.2022, Wing 6.12.2021). Dies geschah, nachdem unter anderem ein Kommandeur der Asa'ib Ahl Al-Haqq-Brigade am 5.11.2021 als Teil eines Mobs getötet wurde, der versuchte, die Grüne Zone zu stürmen (Wing 6.12.2021; vergleiche Garda World 5.11.2021). Mindestens drei Demonstranten wurden getötet und Dutzende weitere verletzt (Garda World 5.11.2021; vergleiche ACLED 2022). Weitere zehn Proteste, die im November in Bagdad stattfanden, verliefen friedlich (ACLED 2022). Im Dezember 2021 wurden drei Vorfälle ohne Opfer verzeichnet, die pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden. Bei zweien handelte es sich um IED-Angriffe auf US-Versorgungskonvois, bei einem um Raketenbeschuss auf die Grüne Zone (Wing 4.1.2022). Im Dezember wurden acht Proteste verzeichnet, von denen sechs friedlich blieben, während zwei gewalttätig verliefen, ohne jedoch Opfer zu fordern (ACLED 2022).

Im Jänner 2022 wurden 22 sicherheitsrelevante Vorfälle mit drei Toten und 13 Verletzten verzeichnet. Sechs dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben. Es kam zu Zwischenfällen in al-Tarmiyah und Taji, sowie zu einem Bombenanschlag im südlichen Madain. Für 16 Vorfälle werden pro-iranische Milizen verantwortlich gemacht. Dazu zählten sechs IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, eine weitere IED konnte entschärft werden (Wing 7.2.2022). Mehrere Raketen und Drohnenangriffe im Lauf des Monats werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben: Am 3.1.2022 wurden bewaffnete Drohnen nahe dem Internationalen Flughafen Bagdad abgeschossen (AAA 3.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022). Am 5.1.2022 wurde die US-Basis Camp Victory nahe dem Internationalen Flughafen Bagdad von Raketen getroffen (AAA 5.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022). Am 28.1.2022 schlugen Raketen am Internationalen Flughafen Bagdad ein (Al Monitor 28.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022). Des Weiteren wurden bei Raketenbeschuss der Green Zone, neben dem Gelände der US-Botschaft auch eine Schule getroffen, wobei eine Frau und zwei Kinder verletzt wurden (AN 15.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022). Es kam auch zu mehreren Vorfällen politischer Gewalt durch pro-iranische Gruppen. Es wird angenommen, dass diese Druck auf Muqtada as-Sadr und seine Verbündeten ausüben, damit der sogenannte Koordinationsrahmen (CF), dem alle wichtigen [pro-iranischen] schiitischen Parteien außer der as-Sadrs angehören, in die neue Regierung aufgenommen werden (Wing 7.2.2022). Es kam zu einem Bombenanschlag auf das Büro der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) in Bagdad (Bas News 13.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022), zu einem Angriff mit einem Molotow-Cocktail auf ein Gebäude von as-Sadrs Partei (Wing 7.2.2022), zu einem Mordanschlag auf einen KDP-Funktionär (Bas News 14.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022), sowie zu Granatenangriffen auf Gebäude der sunnitischen Parteien Taqqadum und Azm in Bagdad (AN 15.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022). Schließlich wurden auch zwei kurdische Banken in der Hauptstadt bombardiert (Wing 7.2.2022). Proteste, von denen im Jänner 2021 in Bagdad sieben verzeichnet wurden, blieben friedlich (ACLED 2022). Im April 2022 wurden sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und vier Verletzten registriert. Vier werden dem IS zugeschrieben, drei pro-iranischen Milizen, darunter ein IED Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA (Wing 11.5.2022). Im Mai 2022 wurden fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Verletzten verzeichnet, von denen vier dem IS und einer pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden (Wing 6.6.2022). Im Juni 2022 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle ohne Opfer verzeichnet, wobei je einer dem IS und pro-iranischen Milizen zugeschrieben wird (Wing 6.7.2022).

Der Datenbank von ACLED zufolge gab es im Gouvernement Bagdad im Jahr 2021 596 Vorfälle, in der ersten Hälfte des Jahres 2022 waren es 227.

Im Distrikt Rusafah wurden im Jahr 2021 52 Vorfälle verzeichnet, 22 davon waren Demonstrationen, von denen 18 friedlich verliefen und vier durch Interventionen verhindert oder beendet wurden. Hervorzuheben ist der Selbmordanschlag vom 21.1.2021 mit Dutzenden Toten und ca. hundert Verletzten. Zivilisten wurden darüber hinaus bei 15 weiteren Vorfällen zu Opfern von Gewalt durch Angriffe, IEDs und Anschläge mit Handgranaten. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 15 Vorfälle verzeichnet, darunter ein Angriff gegen Zivilisten (ACLED 2022).

Im Distrikt Adhamiyah wurden im Jahr 2021 39 Vorfälle verzeichnet, darunter acht Fälle von Gewalt gegen Zivilisten. In sieben weiteren Fällen waren Zivilisten von Gewalt betroffen, insbesondere durch IED-Angriffe. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 18 Vorfälle verzeichnet. Darunter sechs Fälle von gezielter Gewalt gegen Zivilisten sowie zwei Fälle bei denen Zivilpersonen ebenfalls von Gewalt betroffen waren (ACLED 2022).

Im Distrikt Sadr City (früher Thawra) wurden im Jahr 2021 35 Vorfälle verzeichnet. Den größten Anteil hatten bewaffnete Auseinandersetzungen, von denen 15 verzeichnet wurden, gefolgt von gezielter Gewalt gegen Zivilisten mit acht, sowie weiteren sechs bei denen Zivilisten ebenfalls betroffen waren, z.B. durch IEDs oder Angriffen mit Handgranaten. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 29 Vorfälle verzeichnet. Bei zehn handelte es sich um Fälle von gezielter Gewalt gegen Zivilisten, darunter eine Entführung. Bei zwei weiteren waren Zivilisten ebenfalls betroffen. Es wurde wiederum eine größere Anzahl von bewaffnete Auseinandersetzungen (11) registriert (ACLED 2022).

Im Distrikt 9 Nissan (Neu Bagdad) wurden im Jahr 2021 2021 43 Vorfälle verzeichnet. Hervorzuheben sind hierbei 14 Fälle von gezielter Gewalt gegen Zivilisten, sowie neun weitere Vorfälle, bei denen Zivilisten ebenfalls betroffen waren. Des weiteren wurden neun friedliche Demonstrationen verzeichnet, ein Protest mit Intervention, sowie jeweils eine gewalttätige Demonstration und eine mit exzessiver Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte gegen Demonstranten. Darüber hinaus sind vier bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Stammesmilizen zu erwähnen. Im Jahr 2022 wurden bis Juni elf Vorfälle verzeichnet, vier davon Fälle von Gewalt gegen Zivilisten (ACLED 2022).

Im Distrikt Karadah wurden im Jahr 2021 33 Vorfälle verzeichnet, darunter sieben Fälle von gezielter Gewalt gegen Zivilisten und neun weitere Vorkommnisse, bei denen Zivilisten ebenfalls betroffen waren. Darunter mehrere IED-Angriffe auf Geschäfte, die Alkohol verkaufen. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 21 Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren bei vier dieser Fälle betroffen, darunter ein Mord und drei Angriffe mit Granaten, bzw. IEDs (ACLED 2022).

Im Distrikt Karkh wurden im Jahr 2021 61 Vorfälle verzeichnet. Beim überwiegenden Teil der Vorfälle handelte es sich um friedliche Demonstrationen. Fünf Demonstrationen wurden jedoch als gewalttätig kategorisiert. Es handelte sich dabei um Proteste gegen das Wahlergebnis von Oktober 2021 von PMF-Anhängern vor der Green Zone. Darüber hinaus wurde die Green Zone auch mehrfach mit Raketen beschossen. Zivilisten waren nur bei vier Vorfällen gezielt oder indirekt von Gewalt betroffen. Im Jahr 2022 waren es bis Juni 21 Vorfälle, darunter je vier friedliche und gewalttätige Demonstrationen. Bei drei Vorfällen waren Zivilisten ebenfalls von Gewalt betroffen (ACLED 2022).

Im Distrikt Kadhimiya wurden im Jahr 2021 19 Vorfälle verzeichnet. Vier davon waren Angriffe auf Zivilisten, bei vier weiteren waren Zivilisten von Sprengsätzen betroffen. Im Jahr 2022 waren es bisher neun Vorfälle, darunter ein Fall von gezielter Gewalt gegen Zivilisten und zwei weitere Vorfälle, bei denen Zivilpersonen ebenfalls betroffen waren (ACLED 2022).

Im Distrikt Mansour wurden im Jahr 2021 21 Vorfälle verzeichnet. Bei zwei dieser Vorfälle handelte es sich um gezielte Gewalt gegen Zivilisten, bei drei weiteren waren Zivilisten ebenfalls betroffen. Des weiteren wurden sechs friedliche Demonstrationen verzeichnet und sechs Vorfälle von bewaffneten Auseinandersetzungen und IED- und Raketenangriffen. Im Jahr 2022 wurden bis Juni sechs Vorfälle verzeichnet, wovon bei zwei Zivilisten angegriffen wurden (ACLED 2022).

Im Distrikt ar-Rashid wurden im Jahr 2021 29 Vorfälle verzeichnet. In neun Fällen waren Zivilisten betroffen. Im Jahr 2022 waren es bis Juni elf Vorfälle, wobei es sich bei fünf um Fälle von gezielter Gewalt gegen Zivilisten handelte (ACLED 2022).

Im Distrikt Abu Ghraib wurden im Jahr 2021 22 Vorfälle verzeichnet. Elf dieser Vorfälle, zumeist Drohnenangriffe und Raketenbeschuss, betrafen den Internationalen Flughafen Bagdad. Weitere Vorfälle umfassten bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen ISF- und PMF-Kräften mit dem IS, sowie IED-Angriffe, die insbesondere gegen Versorgungskonvois der USA gerichtet waren. Des weiteren wurden zwei Fälle von gezielter Gewalt gegen Zivilisten verzeichnet. 2022 wurden bis Juni 14 Vorfälle verzeichnet. Erneut richtete sich die Mehrzahl der Übergriffe, insbesondere Raketenbeschuss, gegen den Internationalen Flughafen Bagdad. Mehrere Angriffe konnten durch Abschüsse von Drohnen vereitelt werden. Zivilisten waren bei zwei Vorfällen ebenfalls betroffen (ACLED 2022).

Im Distrikt al-Mada'in wurden im Jahr 2021 19 Vorfälle verzeichnet. Bei fünf dieser Vorfälle handelte es sich um gezielte Gewalt gegen Zivilisten, darunter eine Entführung, sowie weitere fünf Fälle bei denen Zivilisten ebenfalls betroffen waren. Im Jahr 2022 wurden bis Juni fünf Vorfälle verzeichnet. Bei einem IED-Angriff waren Zivilisten ebenfalls betroffen (ACLED 2022).

Im Distrikt Mahmudiyah wurden im Jahr 2021 21 Vorfälle verzeichnet. Bei 13 dieser Vorfälle handelte es sich um IED-Angriffe gegen Versorgungskonvois der USA. In zwei weiteren Fällen wurden Zivilisten Ziele von Angriffen. Im Jahr 2022 wurden bis Juni zwei Vorfälle verzeichnet, wobei bei einem Zivilisten ebenfalls betroffen waren (ACLED 2022).

Im Distrikt Taji wurden im Jahr 2021 acht Vorfälle verzeichnet, drei davon Angriffe mit IEDs. Im Jahr 2022 waren es bis Juni acht Vorfälle. Bei einem waren Zivilisten ebenfalls betroffen (ACLED 2022).

Im Distrikt al-Tarmiyah wurden im Jahr 2021 82 Vorfälle verzeichnet, von denen 47 auf den Aufstand des IS und den Kampf gegen diese Gruppe zurückzuführen sind, darunter u.a. bewaffnete Auseinandersetzungen und Luft-/Drohnenangriffe zwischen IS-Kämpfern sowie ISF und PMF-Kräften. Es wurden auch fünf Angriffe des IS auf Zivilisten verzeichnet, bei denen jeweils mindestens eine Person ums Leben kam. Acht weitere Angriffe auf Zivilisten werden unbekannten bewaffneten Gruppen zugeschrieben. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 14 Vorfälle verzeichnet. Zehn dieser Vorfälle gehen auf den Aufstand des IS, bzw. den Kampf gegen ihn zurück. Bei drei Vorfällen wurden Zivilisten entweder direkt angegriffen oder waren von Sprengstoffanschlägen ebenfalls betroffen (ACLED 2022).

2021 waren 113 Fälle nicht verortbar. Es handelt sich dabei zum größten Teil um "strategische Entwicklungen", aber auch bewaffnete Auseinandersetzungen, Sprengstoffanschläge, Landminen, IEDs, Granaten etc.. Zehn der Fälle betreffen gezielte "Gewalt gegen Zivilisten", zwei davon Entführungen. Im Jahr 2022 waren es bis Juni 41 Vorfälle, von denen acht als gezielte Gewalt gegen Zivilisten klassifiziert sind, darunter drei Entführungen (ACLED 2022).

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

Gewalt gegen Zivilisten (davon Entführungen)

8

39

25 (3)

15 (1)

16 (3)

24 (1)

bewaffnete Auseinandersetzungen

17

30

35

22

32

23

Sprengstoffanschläge, Landminen, IEDs, Granaten

42

23

27

10

30

11

Selbstmordanschläge

1

 

 

 

 

 

Artillerie- und Raketenbeschuss

3

7

3

4

4

2

Luft-/Drohnenangriff

1

1

1

1

1

1

Proteste/ friedliche Demonstrationen

27

32

10

31

12

20

Protest mit Intervention

5

1

 

3

1

2

Proteste/ exzessive Gewalt gegen Demonstranten

 

4

 

 

 

 

gewalttätige Demonstrationen/ Aufstände/ Mobgewalt

1

5

3

7

1

6

strategische Entwicklungen

31

28

60

33

17

23

Vorfälle gesamt

136

170

164

126

114

113

Anmerkung, Die Kategorie "strategische Entwicklungen" umfasst z.B. Truppenbewegungen, die Etablierung von Checkpoints, Korridoren und Brücken, die Zerstörung von Unterschlupfen von Aufständischen (IS) und Waffenlagern, Entminung und Entschärfungen von Sprengsätzen und Vorfälle von Beschädigung von Eigentum ohne Opfer).

Im Gouvernement Bagdad, unterteilt in die Stadtdistrikte Rusafah, Adhamiyah, Sha'ab, Sadr City (früher Thawra), 9 Nissan (Neu Bagdad), Karrada, az-Za' franiyah, Karkh, Kadhimiyah, Mansour und ar-Rashid, sowie die Vorstadtdistrikte Abu Ghraib, al-Istiqlal, al-Mada'in, Mahmudiyah, Taji und at-Tarmiyah wurden 2021 87 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten angegriffen wurden (Kategorie "violence against civilians"), sowie 88 Vorfälle, bei denen Zivilisten ebenfalls zu den Betroffenen gehörten, z.B. durch IEDs, Luft-/Drohnenangriffe, etc., verzeichnet. 2022 waren es bis Juni 40 Vorfälle, sowie 27 bei denen Zivilisten ebenfalls betroffen waren (Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Opfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt. Des Weiteren weist ACLED auch einige Unschärfen auf, da auch Morde ohne terroristischen Hintergrund inkludiert sind).

Zivilisten als Ziele oder Opfer von Gewalt (davon Entführungen):

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

Stadtdistrikte:

Rusafah

7

4

4

1

1

1

Adhamiyah

7

7

2

0

4

4

Sadr City (früher Thawra)

2

9

2

1

4 (1)

6

9 Nissan (Neu Bagdad)

5

14

1

3

3

1

Karadah

6

3

4

3

3

1

Karkh

 

3

 

1

3

 

Kadhimiyah

2

3

2

1

 

3

Mansour

3

1

1

 

 

2

ar-Rashid

3

2

2 (1)

2

2

3

Vorstadtdistrikte:

Abu Ghraib

 

2

1

 

1

1

al-Istiqlal

 

 

 

 

 

 

al-Mada'in

3

5

2 (1)

 

1

 

Mahmudiyah

5

3

2

3

1

 

Taji

 

 

 

 

1

 

at-Tarmiyah

4

6

4

6

2

1

nicht verortbar

4

4

7 (1)

5 (1)

3 (2)

5 (1)

Vorfälle gesamt

51

66

34 (3)

26 (1)

29 (3)

28 (1)

Sicherheitskräfte und Milizen

Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, demontierte die Koalitions-Übergangsverwaltung das irakische Militär und schickte dessen Personal nach Hause. Statt des Bisherigen war ein politisch neutrales Militär vorgesehen. Das aufgelöste Militär bildete einen großen Pool für Aufständische (Fanack 8.7.2020).

Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS).

Militäreinheiten verschiedener Zweige der irakischen Sicherheitskräfte und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), einschließlich Stammeseinheiten, aus mehreren Provinzen, nehmen gemeinsam an Sicherheitsoperationen gegen den sog IS teil, unterstützt durch Luftstreitkräfte der irakischen Armee und der internationalen Koalition (NI 18.5.2021). Seit Anfang 2021 gibt es ein Koordinationsabkommen zwischen den ISF und den Peschmerga der Kurdischen Regionalregierung (KRG). Die Zusammenarbeit soll sich auf die Koordinierung und das Sammeln von Informationen zur Bekämpfung des IS in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" beschränken und die Lücken zwischen den Sicherheitskräften schließen, die bisher vom IS ausgenutzt werden konnten. Es gibt auch Stimmen, die für die Bildung einer gemeinsamen Truppe einstehen (Rudaw 23.5.2021).

Neben den staatlichen Sicherheitskräften gibt es das Volksmobilisierungskomitee, eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, der etwa 60 Milizen angehören, die als Volksmobilisierungskräfte (PMF) bekannt sind. PMF operieren im ganzen Land. Obwohl sie Teil der irakischen Sicherheitskräfte sind und Mittel aus dem Verteidigungshaushalt der Regierung erhalten, operieren sie oft außerhalb der Kontrolle der Regierung und in Opposition zur Regierungspolitik (USDOS 12.4.2022).

Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle (USDOS 12.4.2022; vergleiche BS 23.2.2022), insbesondere über bestimmte, mit dem Iran verbündete Einheiten der Volksmobilisierungskräfte (PMF) und das Popular Mobilization Committee (USDOS 12.4.2022). Außerdem wird die staatliche Kontrolle über das gesamte irakische Territorium durch die Dominanz der PMF, durch verbliebene IS-Kämpfer, durch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), eine Reihe von Stämmen, Clans und andere Milizen und schließlich durch die militärischen Interventionen regionaler Mächte, insbesondere des Iran, Israels und der Türkei, beeinträchtigt (BS 23.2.2022).

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter und unmenschliche Behandlung sind laut der irakischen Verfassung ausdrücklich verboten (AA 25.10.2021, S.21; vergleiche USDOS 12.4.2022). Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren angewandt, etwa bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte (AA 25.10.2021, S.21), oder auch um Geständnisse zu erzwingen (HRW 13.2.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022, FH 28.2.2022). Gerichte akzeptieren solche Geständnisse als Beweismittel (USDOS 12.4.2022) auch für die Vollstreckung von Todesurteilen. Häftlinge berichten auch über Todesfälle aufgrund von Folter während Verhören (HRW 13.1.2021).

Weiterhin misshandeln und foltern Angehörige der Sicherheitskräfte, darunter Polizeibeamte, Angehörige des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS), der Volksmobilisierungskräfte (PMF) und der kurdischen Asayish, Personen, insbesondere sunnitische Araber, während Verhaftung, Untersuchungshaft und nach einer Verurteilung. Internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fälle von Folter und Misshandlung in Einrichtungen des Innenministeriums und in geringerem Umfang in Haftanstalten des Verteidigungsministeriums. Ehemalige Gefangene, Häftlinge und Menschenrechtsgruppen berichteten von einer Vielzahl von Folterungen und Misshandlungen. Straffreiheit für Angehörige der Sicherheitskräfte ist ein Problem und erzwungene Geständnisse werden von Gerichten in zahlreichen Fällen als primäre Beweisquelle anerkannt (USDOS 12.4.2022).

Seit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 werden irakische Sicherheitsbehörden und Milizen beschuldigt an Entführungen und Folter gegen die Demonstranten involviert zu sein (GIZ 1.2021a; vergleiche UNAMI 23.5.2020). In Basra gingen die Sicherheitskräfte gewaltsam gegen Demonstranten vor, wobei auch einige Kinder bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen wurden. Andere Demonstranten waren Misshandlungen ausgesetzt, die Folter gleichkommen könnten (AI 7.4.2021).

Protestbewegung

Versorgungsengpässe bei Strom und Wasser sowie die mangelnde Arbeitsbeschaffung und Korruption sind die Gründe für die andauernden Proteste in Iraks großen Städten (GIZ 1.2021a; vergleiche DFAT 17.8.2020, ICG 26.7.2021, AI 7.4.2021). Eine weitere Forderung der Demonstranten ist die Abschaffung des Muhasasa-Systems, d. h. der ethnisch-konfessionellen Postenbesetzung in der Regierung und Verwaltung (ICG 26.7.2021). Sie waren außerdem gegen die Einmischung ausländischer Mächte, insbesondere des Iran gerichtet. Bereits von Juli bis September 2018 kam es im Südirak zu Protesten (DFAT 17.8.2020).

Im Oktober 2019 begannen landesweite Massenproteste (ICG 26.7.021; vergleiche AI 7.4.2021). Diese betrafen vor allem die schiitischen Gebiete des Südirak und Bagdad (DFAT 17.8.2020; vergleiche ICG 26.7.2021, AI 7.4.2021). Diese Proteste wurden auch in den ersten Monaten des Jahres 2020 fortgesetzt, bis sie durch den Ausbruch von COVID-19 vorübergehend unterbrochen wurden. Seit Mai 2020 kommt es wieder zu kleineren Demonstrationen, vor allem in den Städten Bagdad, Basra und Nasriyah(AI 7.4.2021).

Es wurden Ausgangssperren und Versammlungsverbote verhängt (GIZ 1.2021a). Fernsehsender, die über die Proteste berichteten, wurden von bewaffneten Männern überfallen (ICG 27.7.2021). Staatliche Sicherheitskräfte (ISF) und mit dem Iran verbündete Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) waren an gewaltsamer Unterdrückung der Proteste beteiligt (DFAT 17.8.2020; vergleiche ICG 26.7.2021). Im Zuge der Proteste kam es seit Ende 2019 bis ins Jahr 2020 hinein zu willkürlichen Verhaftungen, gewaltsamem Verschwindenlassen und außergerichtlichen Tötungen von Demonstranten durch ISF und PMF (HRW 13.1.2021). Dutzende Aktivisten wurden im Zuge der Protestbewegung Ziel von Entführungen, Mordversuchen und Morden (MEE 25.7.2021). Mindestens 560 Demonstranten wurden während der Proteste getötet (HRW 13.1.2022). Andere Quellen sprechen von etwa 600 getöteten Demonstranten und über 20.000 Verletzten in den ersten sechs Monaten der Proteste (ICG 26.7.2021). Diese Vorfälle führten zum Rücktritt der Regierung unter Premierminister Adil Abdul al-Mahdi und zur Ernennung eines neuen Premierministers, Mustafa al-Kadhimi, im Mai 2020 (HRW 13.1.2021; vergleiche ICG 26.7.2021).

Die Demonstranten fordern, dass die Sicherheitskräfte für ihre Übergriffe zur Rechenschaft gezogen werden, einschließlich der Tötung und des gewaltsamen Verschwindenlassens von Demonstranten (AI 7.4.2021). Trotz der anfänglichen, scheinbaren Bereitschaft, einige der gravierendsten Menschenrechtsprobleme des Irak anzugehen, gelang es der Regierung al-Kadhimi nicht, die Übergriffe auf Demonstranten zu beenden (HRW 13.1.2021).

Im Oktober 2019 wurden mehrere hochrangige Militärkommandanten wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen Demonstranten von ihren Posten entfernt (FH 3.3.2021). Es wurden jedoch bislang keine hochrangigen Kommandanten strafrechtlich verfolgt. Nach einer Reihe von Tötungen und versuchten Tötungen von Demonstranten in Basra wurden im August 2020 der Polizeichef von Basra und der Direktor für nationale Sicherheit des Gouvernements entlassen. Es wurde jedoch keine Strafverfolgung eingeleitet (HRW 13.1.2021).

Diese Maßnahmen wurden von vielen Irakern als unzureichend abgelehnt und hatten wenig abschreckende Wirkung auf Mitglieder der Sicherheitskräfte, die im Laufe des Jahres zahlreiche Demonstranten tödlich verletzten. Trotz eines öffentlichen Versprechens von Premierminister al-Kadhimi im August 2020, die Verantwortlichen für das Verschwindenlassen und die Ermordungen zu untersuchen und zu bestrafen, befinden sich die Täter weiterhin auf freiem Fuß (FH 3.3.2021). Auch Verhaftungen von Mitgliedern einer „Todesschwadron“ im Februar 2021 und von Sicherheitsbeamten im Juli 2021 sind bis Ende 2021 nicht über die Ermittlungsphase hinausgegangen. Keine der Verhaftungen hat zu einer Anklageerhebung geführt (HRW 13.1.2022).

Ein im Mai 2020 eingerichteter Ausschuss zur Untersuchung der Tötung von Demonstranten hat bis Ende 2021 noch keine Ergebnisse öffentlich bekannt gegeben. Im Juli 2020 kündigte die Regierung al-Kadhimi an, die Familien der bei den Protesten Getöteten zu entschädigen. Bis September 2021 hatten die sechs Familien von getöteten Aktivisten, die von HRW kontaktiert wurden, noch keine Entschädigung erhalten (HRW 13.1.2022)

Todesstrafe

Die Todesstrafe ist in Artikel 15 der Verfassung auf Grundlage einer von einer zuständigen Justizbehörde erlassenen Entscheidung erlaubt (DFAT 17.8.2020). Sie ist auch im irakischen Strafrecht vorgesehen, wird verhängt und vollstreckt (AA 25.10.2021, S.22). Der Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen (HRW 13.1.2021). Die Todesstrafe kann bei 48 verschiedenen Delikten, darunter Mord, terroristische und staatsfeindliche Aktivitäten, Hochverrat, Einsatz von chemischen Waffen und Vergewaltigung verhängt werden (AA 25.10.2021, S.22).

Nach dem Antiterrorismusgesetz (2005) kann die Todesstrafe gegen jeden verhängt werden, der terroristische Handlungen begeht, dazu anstiftet, sie plant, finanziert oder unterstützt (DFAT 17.8.2020). Der Großteil der Hinrichtungen erfolgt wegen Terrorismusvorwürfen (AA 25.10.2021, Sitzung 22; vergleiche DFAT 17.8.2020). Viele Personen werden im Rahmen der Anti-Terror-Gesetzgebung wegen ihrer IS-Angehörigkeit verurteilt (HRW 13.1.2021). Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz (AA 22.1.2021).

Aktuelle Zahlen zu den vollstreckten Hinrichtungen liegen nicht vor (HRW 13.1.2021; vergleiche AA 25.10.2021, S.22). Die Behörden berichten diese nicht mehr regelmäßig an die Vereinten Nationen und machen auch auf Nachfrage keine verlässlichen Angaben (AA 25.10.2021, Sitzung 22). Amnesty International zufolge wurden 2020 mindestens 27 Todesurteile ausgesprochen (AI 4.2021). Mindestens 50 Hinrichtungen wurden vollzogen (AI 7.4.2021). 21 dieser Hinrichtungen fanden während einer Massenexekution am 17.11.2020 statt (AI 4.2021; vergleiche DW 16.11.2020, HRW 13.1.2021). Unter den Verurteilen waren elf Franzosen und ein Belgier. Bis dahin wurde im Irak noch nie ein ausländisches IS-Mitglied hingerichtet (DW 16.11.2020). Im Jahr 2021 wurden bis September 2021 mindestens 19 Hinrichtungen ausgeführt (HRW 13.1.2022).

Bisherige Berichte gingen davon aus, dass Ende 2020/Anfang 2021 um die 8.000 Personen zum Tode verurteilt waren und auf ihre Hinrichtungen warteten (AI 4.2021; vergleiche AA 25.10.2021, Sitzung 22). Vor allem gegen mutmaßliche IS-Kämpfer werden in fragwürdigen Prozessen zunehmend Todesurteile verhängt und vollstreckt (AA 25.10.2021, Sitzung 22). Laut einer Erklärung des Justizministeriums vom September 2021 halten die Behörden fast 50.000 Personen wegen mutmaßlicher Verbindungen zum Terrorismus fest, von denen über die Hälfte zum Tode verurteilt wurde (HRW 13.1.2022; vergleiche BasNews 6.9.2021).

Das irakische Strafgesetzbuch verbietet das Verhängen der Todesstrafe gegen jugendliche Straftäter, d.h. Minderjährige und Personen im Alter von 18 bis 21 Jahren zum Zeitpunkt der Begehung der mutmaßlichen Straftat sowie gegen schwangere Frauen und Frauen bis zu vier Monaten nach einer Geburt. In diesem Fall wird die Todesstrafe in eine lebenslange Haft umgewandelt (HRC 5.6.2018).

Religionsfreiheit

Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche FH 28.2.2022). Gemäß Artikel 2 Absatz 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche GIZ 1.2021a). Es darf kein Gesetz erlassen werden, das den "erwiesenen Bestimmungen des Islams" widerspricht (RoI 15.10.2005; vergleiche USDOS 2.6.2022). In Absatz 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert (AA 25.10.2021, S.11). Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen oder Atheisten (RoI 15.10.2005; vergleiche USDOS 2.6.2022).

Artikel 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche ROI 15.10.2005). Artikel 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche ROI 15.10.2005). Die meisten politischen Führer haben sich nach der Niederlage des Islamischen Staats (IS) für religiösen Pluralismus ausgesprochen, und Minderheiten, die in befreiten Gebieten leben, können ihre Religion seitdem weitgehend frei ausüben (FH 28.2.2022).

Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Mandäer-Sabäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der Regierung gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 2.6.2022).

Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 2.6.2022; vergleiche USCIRF 4.2021).

Mit Einführung eines neuen Personalausweises im Jahr 2015 wurde ein Eintrag, der die Religionszugehörigkeit des Passinhabers deklarierte, dauerhaft abgeschafft (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche USDOS 2.6.2022). Es wurde allerdings ein Passus in die Bestimmungen aufgenommen, der religiöse Minderheiten diskriminiert. Artikel 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 25.10.2021, S.11). Der Online-Antrag auf einen Personalausweis verlangt nach wie vor die Deklaration der Religionszugehörigkeit, wobei nur Muslim, Christ, Mandäer-Sabäer, Jeside und Jude zur Auswahl stehen. Dabei wird zwischen den verschiedenen Konfessionen des Islams (Shi‘a-Sunni) bzw. den unterschiedlichen Denominationen des Christentums nicht unterschieden. Personen, die anderen Glaubensrichtungen angehören, können nur dann einen Ausweis erhalten, wenn sie sich selbst als Muslim, Jeside, Mandäer-Sabäer, Jude oder Christ deklarieren. Ohne einen amtlichen Personalausweis kann man keine Eheschließung eintragen lassen, seine Kinder nicht in einer öffentlichen Schule anmelden, keinen Reisepass beantragen und auch einige staatliche Dienstleistungen nicht in Anspruch nehmen (USDOS 2.6.2022).

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage dazu bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze. Fünf Sitze sind für die christliche Minderheit sowie jeweils ein Sitz für Jesiden, Mandäer-Sabäer, Shabak und Faili Kurden reserviert. Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 22.1.2021).

Einschränkungen der Religionsfreiheit sowie Gewalt gegen und Belästigung von Minderheitengruppen durch staatliche Sicherheitskräfte (ISF) sind nach Angaben von Religionsführern und NGOs außerhalb der Kurdistan Region Irak (KRI) nach wie vor weit verbreitet. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 2.6.2022).

Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass Regierungstruppen, einschließlich der ISF, der Peshmerga und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), die Freizügigkeit innerhalb des Landes unter anderem aus ethnisch-konfessionellen Gründen selektiv einschränken, um z.B. die Einreise von Personengruppen in von ihnen kontrollierte Gebiete zu begrenzen (USDOS 12.4.2022).

Die Behörden der Kurdischen Regionalregierung (KRG) diskriminierten weiterhin Minderheiten, darunter Türken, Araber, Yeziden, Shabak und Christen, in Gebieten, die sowohl von der KRG als auch von der Zentralregierung im Norden des Landes beansprucht werden. Diskriminierung von Minderheiten durch Regierungstruppen, insbesondere durch manche PMF-Gruppen, und andere Milizen, sowie das Vorgehen verbliebener aktiver IS-Kämpfer, hat ethnisch-konfessionelle Spannungen in den umstrittenen Gebieten weiter verschärft. Es kommt weiterhin zu Vertreibungen wegen vermeintlicher IS- Zugehörigkeit. Kurden und Turkmenen, sowie Christen und andere Minderheiten im Westen Ninewas und in der Ninewa-Ebene berichten über willkürliche und unrechtmäßige Verhaftungen durch PMF (USDOS 12.4.2022).

Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig festzustellen, wie viele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren sind (USDOS 12.4.2022).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in die religiösen Bräuche der Mitglieder von Minderheitengruppen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt. Manche Minderheitenvertreter berichten jedoch über Schikanen und Restriktionen durch lokale Behörden. Sie berichten weiterhin über Druck auf ihre Gemeinschaften Landrechte abzugeben, wenn sie sich nicht stärker an islamische Gebote halten (USDOS 2.6.2022).

In der KRI erhalten Religionsgemeinschaften ihre Anerkennung durch die Registrierung beim Ministerium für Stiftungen und religiöse Angelegenheiten (MERA) der KRG. Um sich registrieren zu können, muss eine Gemeinschaft mindestens 150 Anhänger haben, Unterlagen über die Quellen ihrer finanziellen Unterstützung vorlegen und nachweisen, dass sie nicht "anti-islamisch" ist. Acht Glaubensrichtungen sind anerkannt und bei der KRG-MERA registriert: Islam, Christentum, Jesidentum, Judentum, Mandäer-Sabäismus, Zoroastrismus, Yarsanismus und der Bahai-Glaube (USDOS 2.6.2022).
Es gibt keine Gesetze, die eine Heirat zwischen Schiiten und Sunniten verbieten (DFAT 17.8.2020).

Ethnische und religiöse Minderheiten

Die genaue ethno-konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung des Iraks ist unklar, da die letzten Volkszählungen manipulativ waren und beispielsweise nur die Angaben "Araber" und "Kurde" zuließen. Andere Bevölkerungsgruppen wurden so statistisch marginalisiert. Laut Schätzungen teilen sich die Einwohner Iraks folgendermaßen auf: in etwa 75-80 % Araber, 15-20 % Kurden und etwa 5 %, Tendenz fallend, Minderheiten, zu denen unter anderem Assyrer, Armenier, Mandäer/Sabäer und Turkmenen zählen (GIZ 1.2021c).

Die wichtigsten ethno-konfessionellen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65 % der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22 %) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20 %) (AA 25.10.2021).

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Religiöse Minderheiten können im Alltag jedoch gesellschaftliche Diskriminierung erfahren. Übergriffe werden selten strafrechtlich geahndet. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdistan Region Irak (KRI), oft benachteiligt. Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten im Zentralirak faktisch unter weitreichender Diskriminierung. Der irakische Staat, unter der Verwaltung von Bagdad, kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 25.10.2021). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 28.2.2022). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch Volksmobilisierungskräfte (PMF), in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 12.4.2022).

Die Hauptsiedlungsgebiete der meisten religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des Islamischen Staates (IS) standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer/Sabäern, Kaka‘i, Shabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit unterschiedlicher Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 25.10.2021).

In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 25.10.2021). Es gibt jedoch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Shabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" (USDOS 2.6.2022). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte, der Peschmerga und vor allem der schiitischen Milizen und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) (AA 25.10.2021).

Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden besonders in den zwischen der Zentralregierung und der KRI "umstrittenen Gebieten" (Gouvernement Kirkuk, sowie Teile von Ninewa, Salah Ad-Din und Diyala) Tendenzen zur gewaltsamen ethnisch-konfessionellen Homogenisierung festgestellt. Die Mission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI) und Amnesty International haben dokumentiert, wie angestammte Bevölkerungsgruppen vertrieben bzw. Binnenvertriebene an der Rückkehr gehindert wurden. Dabei handelte es sich oft um die sunnitische Bevölkerung, die häufig unter dem Generalverdacht einer Zusammenarbeit mit dem IS steht, aber auch um Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen. Beschuldigt werden sowohl kurdische Peshmerga als auch PMF-Milizen und in geringerem Ausmaß auch Armee und Polizei (AA 25.10.2021).

Die religiös-konfessionelle sowie ethnisch-linguistische Zusammensetzung der irakischen Bevölkerung ist höchst heterogen. Die hier dargebotenen Karten zeigen nur die ungefähre Verteilung der Hauptsiedlungsgebiete religiös-konfessioneller bzw. ethnisch-linguistischer Gruppen und Minderheiten. Insbesondere in Städten kann die Verteilung deutlich von der ländlichen Umgebung abweichen (BMI 2016). Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend die Minderheit, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017).

Die territoriale Niederlage des sog. IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Dennoch können rund eine Million Iraker, die vom IS vertrieben wurden, nicht in ihre Häuser zurückkehren, sowohl aus Sicherheits- als auch aus wirtschaftlichen Gründen (FH 28.2.2022). Angehörige der PMF verlangen an Kontrollpunkten von IDPs, insbesondere von Angehörigen von religiösen Minderheiten überhöhte Geldbeträge für die Überquerung der Grenze. Alternativ riskieren die Betroffenen in die Lager zurückgeschickt zu werden (USCIRF 4.2021).

Sunnitische Araber

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt (AA 25.10.2021).

Oft werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Auch unbeteiligte Familienangehörige tatsächlicher oder vermeintlicher IS-Anhänger sind davon betroffen (AA 25.10.2021). Berichten zufolge halten die Behörden Ehepartner und andere Familienangehörige von flüchtigen Personen, zumeist sunnitische Araber, die wegen Terrorismusvorwürfen gesucht werden, fest, damit diese sich stellen (USDOS 12.4.2022). Unter Anwendung des Anti-Terror-Gesetzes können Personen ohne ordnungsgemäßes Verfahren inhaftiert werden. Die Behörden berufen sich auf dieses Gesetz, wenn sie junge sunnitische Männer festnehmen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zum IS zu haben (USDOS 2.6.2022). Wie in den Vorjahren gibt es auch weiterhin glaubwürdige Berichte darüber, dass Regierungskräfte, einschließlich der Bundespolizei, des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), Personen, insbesondere sunnitische Araber, während der Festnahme, in der Untersuchungshaft und nach der Verurteilung misshandeln und foltern (USDOS 12.4.2022). Einige schiitische Milizen, darunter auch solche, die unter dem Dach der PMF operieren, sind für Angriffe auf sunnitische Zivilisten verantwortlich, mutmaßlich als Vergeltung für IS-Verbrechen an Schiiten (USDOS 2.6.2022).

Im Zuge von Anti-Terror-Operationen, aber auch an Kontrollpunkten, wurden seit 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer festgenommen. Den Sicherheitskräften werden dabei zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen zur Last gelegt (AA 25.10.2021). Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, den NSS, PMF, Peshmerga und Asayish (USDOS 12.4.2022).

Über eine Million sunnitische Araber sind vertrieben. Viele von ihnen werden verdächtigt den IS zu unterstützen und fürchten Vergeltungsmaßnahmen, wenn sie in ihre Häuser in den früher vom IS-kontrollierten Gebieten zurückkehren (USCIRF 4.2021). Die kurdischen Behörden haben Tausende von Arabern daran gehindert, in ihre Dörfer im Unterbezirk Rabia und im Bezirk Hamdaniya im Gouvernement Ninewa zurückzukehren, Gebiete, aus denen kurdische Einheiten 2014 den IS vertrieben und dort die territoriale Kontrolle übernommen hatten. Gleichzeitig jedoch erlaubte die KRG kurdischen Dorfbewohnern, in diese Gebiete zurückzukehren (HRW 13.1.2021).

Die PMF setzen ihre Unterdrückungspraktiken in sunnitischen Gebieten fort (BS 23.2.2022). Im August 2020 berichtet ein sunnitischer ehemalige Parlamentsabgeordneter aus Bagdad, dass regierungsnahe PMF sunnitische Bewohner des Bezirks al-Madain am Stadtrand von Bagdad gewaltsam vertreiben und versuchen würden, die Demografie des Bezirks zu verändern. Im September 2020 erklärte ein sunnitischer Parlamentarier aus dem Gouvernement Diyala, dass regierungsnahe schiitische Milizen weiterhin Sunniten in seinem Gouvernement gewaltsam vertreiben würden, was zu einem weitreichenden demografischen Wandel entlang der irakisch-iranischen Grenze führt (USDOS 12.5.2021). Auch 2021 gab es Warnungen über demografische Veränderungen durch die Vertreibung von Sunniten und Christen durch PMF-Kräfte aus den Gouvernements Salah ad-Din, Ninewa und Diyala (USDOS 2.6.2022). In Mossul, Ninewa werden sunnitische Zivilisten von Milizionären der "PMF Babylon" und "Shabak Hashd" wahllos schikaniert, eingeschüchtert und verhaftet. Einige PMF-Fraktionen werden auch für die Massaker von Farhatiyah und Khailaniyah im Jahr 2020 in Salah al-Din bzw. Diyala verantwortlich gemacht (BS 23.2.2022).

Verwestlichung, westlicher bzw. nicht-konservativer Lebensstil

Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten, was das persönliche Erscheinungsbild betrifft (FH 3.3.2021). Personen, die als nicht konform mit den lokalen sozialen und kulturellen Normen angesehen werden, weil sie ein "westliches" Verhalten an den Tag legen, sind Drohungen und Angriffen von Einzelpersonen aus der Gesellschaft sowie von Milizen ausgesetzt. Volksmobilisierungskräfte (PMF) haben es auf Personen abgesehen, die Anzeichen für eine Abweichung von ihrer Auslegung der schiitischen Normen zeigen, manchmal mit Unterstützung der schiitischen Gemeinschaft (EASO 1.2021). Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 25.10.2021). Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen, bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten (USDOS 2.6.2022; vergleiche DFAT 17.8.2020). Nicht-schiitische Muslime und nicht-muslimische Frauen berichten, dass sie sich gesellschaftlich unter Druck gesetzt fühlen, bspw. während des heiligen Monats Muharram, insbesondere während Ashura, den Hijab und schwarze Kleidung zu tragen, um Belästigungen zu vermeiden (DFAT 17.8.2020). Im Jahr 2018 gab es einige Morde an Frauen aus der Schönheits- und Modebranche, die in der Öffentlichkeit standen. Die Angreifer blieben unbekannt, aber die Regierung machte extremistische Gruppen für die Morde verantwortlich (FH 3.3.2021).

Für Frauen außerhalb des Hauses zu arbeiten, wird in weiten Teilen der Gesellschaft als inakzeptabel angesehen. Berufe, wie die Arbeit in Geschäften, Restaurants oder in den Medien, wurden als etwas Schändliches angesehen. Gleiches gilt für die Teilnahme an lokaler und nationaler Politik (IWPR 8.3.2021). So wurden weibliche Aktivisten, die an den Protesten teilnahmen, in politischen Kampagnen als promiskuitiv verunglimpft (ICG 26.7.2021). Entsprechend sprach sich as-Sadr im Februar 2020 für eine Geschlechtertrennung auf den öffentlichen Plätzen aus (ICG 26.7.2021; vergleiche AIIA 1.4.2020). Im Zuge des darauffolgenden Frauenmarsches am 13.2.2020 wurden weibliche Demonstranten mit Tränengas angegriffen, bedroht, attackiert, entführt und in einigen Fällen getötet (AIIA 1.4.2020). Im August 2020 verübten Unbekannte eine Reihe von Attentaten auf regierungskritische Demonstranten. Die gewalttätigsten Angriffe ereigneten sich im Gouvernement Basra und führten zur Tötung von drei Aktivisten und zwei Zivilisten (MEMO 17.9.2020).

Grundversorgung und Wirtschaft

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Einige Städte und Siedlungen sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 25.10.2021). Wiederaufbauprogramme liefen vor der Corona-Krise vorsichtig an (GIZ 1.2021b).

Nach Angaben der Weltbank (2018) leben 70 % der Iraker in Städten. Die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung ist prekär, ohne ausreichenden Zugang zu grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen. Die über Jahrzehnte durch internationale Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 25.10.2021).

Versorgungsengpässe bei Strom und Wasser sowie die mangelnde Arbeitsbeschaffung sind die Gründe für die andauernden Proteste in Iraks großen Städten (GIZ 1.2021b). Die Versorgungslage für die irakische Wohnbevölkerung stellt sich, je nach Region, sehr unterschiedlich dar. Die Knappheit an Strom und sauberem Trinkwasser hat 2018 zu mehreren, zum Teil gewalttätigen Protesten im Süden geführt (GIZ 1.2021d).

Wirtschaftslage

Der Irak ist eines der am stärksten vom Öl abhängigen Länder der Welt. In den letzten zehn Jahren machten die Öleinnahmen mehr als 99 % der Ausfuhren, 85 % des Staatshaushalts und 42 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Diese übermäßige Abhängigkeit vom Öl setzt das Land makroökonomischer Volatilität aus (WB 1.6.2022). Die größtenteils staatlich geführte Wirtschaft Iraks wird vom Ölsektor dominiert (Fanack 5.6.2020). Dieser erwirtschaftet rund 90 % der Staatseinnahmen (AA 25.10.2021; vergleiche GIZ 1.2021b). Abseits des Ölsektors besitzt der Irak kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 25.10.2021).

Die seit 2020 sinkenden Ölpreise und die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie haben sich negativ auf die Wirtschaftsentwicklung niedergeschlagen, die wirtschaftlichen Probleme des Iraks verstärkt und zwei Jahre der stetigen Erholung zunichte gemacht (WB 5.4.2021; vergleiche GIZ 1.2021b). Der Ölpreis fiel im April 2020 auf einen Tiefststand von 13,8 US-Dollar (Wing 2.6.2021). Im Zuge dessen haben sich auch die bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Schwachstellen vertieft und den öffentlichen Unmut, der bereits vor COVID-19 bestand, noch verstärkt. Die Fähigkeit der irakischen Regierung ein Konjunkturpaket für eine Wirtschaft zu schnüren, die in hohem Maße von Ölexporten abhängig ist, um Wachstum und Einnahmen zu erzielen, wird durch den fehlenden fiskalischen Spielraum eingeschränkt. Infolgedessen hat das Land die größte Schrumpfung seiner Wirtschaft seit 2003 erlebt (WB 5.4.2021). Die Prognosen der ökonomischen Entwicklung im Irak sind schlechter denn je (GIZ 1.2021b). Die wirtschaftlichen Aussichten des Irak hängen von der weiteren Entwicklung der COVID-19-Pandemie, den globalen Aussichten am Ölmarkt und von der Umsetzung von Reformen ab (WB 5.4.2021). Die Wirtschaft erholt sich allmählich von den Öl- und COVID-19-Schocks im Jahr 2020. Das reale BIP dürfte 2021 um 1,3 % gestiegen sein, nachdem es 2020 um 11,3 % geschrumpft war. Die Trendwende auf den Ölmärkten hat die mittelfristigen Wirtschaftsaussichten des Irak deutlich verbessert. Für das Jahr 2022 wird nun ein Gesamtwachstum von 8,9 % prognostiziert. Die jüngsten geopolitischen Spannungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine machen die Risiken für die irakische Wirtschaft deutlich. Während weitere Ölpreissteigerungen die Haushaltsbilanz des Irak verbessern würden, werden steigende Lebensmittelpreise und Störungen bei den Agrarimporten die bereits bestehenden Armutstrends verschärfen und die Risiken für die Ernährungssicherheit erhöhen. Der Konflikt birgt auch Risiken für die irakische Rohölproduktion, wenn die Tätigkeit russischer Ölgesellschaften im Irak durch die internationalen Sanktionen gegen Russland beeinträchtigt wird (WB 1.6.2022).

Ein wichtiger Faktor für die Landwirtschaft, vor allem im Süden des Irak, sind die Umweltzerstörung und der Klimawandel. Abnehmende Niederschläge, höhere Temperaturen und flussaufwärts gelegene Staudämme in der Türkei und im Iran haben den Wasserfluss im Euphrat und Tigris Becken verringert, in dem die Gouvernements Basra, Dhi Qar und Missan liegen. Die Verringerung des Wasserflusses hat Auswirkungen auf den Zugang zu Wasser, der für den Anbau von Pflanzen entscheidend ist (Altai 14.6.2021).

Die Arbeitslosenquote im Irak stieg von 12,76 % im Jahr 2019 auf 13,74 % im Jahr 2020 (TE 2021). Im Januar 2021 lag die Arbeitslosenquote im Irak um mehr als 10 % über dem Niveau von 12,7 % vor der COVID-19-Pandemie (WB 1.6.2022). Laut Schätzung der Vereinten Nationen beträgt die Arbeitslosenquote 11 %, bei Jugendlichen unter 24 Jahren ist sie doppelt so hoch und liegt bei 22,8 %. Unter den IDPs sind fast 24 % arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 18 % im Landesdurchschnitt) (GIZ 1.2021b). Verschiedene Quellen geben, mit Verweis auf Regierungsquellen, Arbeitslosenquoten im Land zwischen 13,8 % und 40% an (ACCORD 28.9.2021). Darüber hinaus ist fast ein Viertel der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter nicht ausgelastet, also entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt. Bei Frauen, die am Arbeitsmarkt teilnehmen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie arbeitslos, unter- oder teilzeitbeschäftigt sind (ILO 2021). Besonders hoch ist die Arbeitslosigkeit bei IDPs, die in Lagern leben, wo 29 % der Haushalte angaben, dass mindestens ein Mitglied arbeitslos ist und aktiv nach Arbeit sucht. Bei IDPs, die außerhalb von Lagern leben, sind es 22 % und 18 % bei Rückkehrern (OCHA 2.2021). Die Arbeitslosigkeit unter Vertriebenen, Rückkehrern, arbeitssuchenden Frauen, Selbstständigen aus der Zeit vor der Pandemie und informell Beschäftigten ist weiterhin hoch (WB 1.6.2022).

Die Arbeitsmarktbeteiligung im Irak war mit 48,7 % im Jahr 2019 bereits vor der Ausbreitung des COVID-19-Virus eine der niedrigsten der Welt (IOM 18.6.2021; vergleiche ILO 2021). Der wirtschaftliche Abschwung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat die Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich reduziert und die Löhne gesenkt (IOM 18.6.2021). Die Weltbank schätzt den Anteil der Arbeitssuchenden unter 24-Jährigen auf ca. 32 %. Die Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen liegt wesentlich unter dem Durchschnitt der MENA-Region (GIZ 1.2021b). Je nach Quelle liegt sie bei rund 12 % (DFAT 17.8.2020), bzw. wird sie auf rund 20 % geschätzt (ILO 2021). Die Frauenarbeitslosigkeit liegt bei etwa 29,7 % (DFAT 17.8.2020).

Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge sind etwa 34 % der Stadtbewohner ständig erwerbstätig, 38 % nur gelegentlich und 25 % sind arbeitslos. 12 % der Männer und 40 % der Frauen geben an, arbeitslos zu sein. Die Arbeitslosigkeit betrifft vor allem die 16- bis 18-Jährigen (48 %). 27 % der Einwohner im Alter von 19 bis 25 Jahren und 17 % im Alter von 26 bis 35 Jahren haben keine Arbeit. Während 30 % der Araber arbeitslos sind, sind es nur 10 % der Kurden. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so sind 19 % der Christen, 25 % der schiitischen und 30 % der sunnitischen Muslime arbeitslos. Während 75 % der kontinuierlich Beschäftigten mehr als 700.000 IQD verdienen, verdienen 62 % der Befragten, die nur gelegentlich arbeiten, weniger als 700.000 IQD (BFA, IRFAD 2021).

26 % der Befragten arbeiten Vollzeit, 30 % Teilzeit, 10 % haben mehrere Teilzeitstellen, 15 % sind Tagelöhner und 12 % Saisonarbeiter. Interessanterweise ist das Geschlechtergefälle bei der Vollzeitbeschäftigung (24 % der Frauen und 28 % der Männer) viel geringer als bei der Teilzeitbeschäftigung (35 % der Männer und 23 % der Frauen). Von den Kurden geben 29 % an, eine Vollzeitbeschäftigung zu haben, 43 % gehen einer Saison- oder Tagelohnarbeit nach. 22 % der Araber haben eine Vollzeitstelle und 45 % eine oder mehrere Teilzeitstellen. Was die Religionsgemeinschaften betrifft, so haben 20 % der sunnitischen Muslime eine Vollzeitstelle, während 50 % eine oder mehrere Teilzeitstellen haben. Von den schiitischen Muslimen geben 29 % an, eine Vollzeitbeschäftigung zu haben, und 20 % sind als Tagelöhner tätig. 33 % der Christen haben eine Vollzeitbeschäftigung, aber auch 20 % gehen einer Tagelöhnertätigkeit nach. 51 % derjenigen, die eine Teilzeitbeschäftigung oder Tagelohnarbeit ausüben, verdienen weniger als 700.000 IQD, während 57 % derjenigen, die Vollzeit arbeiten, mehr als 700.000 IQD verdienen (BFA, IRFAD 2021).

Einer Befragung vom Februar 2021 zufolge liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte im Irak bei 384 USD (~561.180 IQD), das für ungelernte Arbeiter bei 215 USD (~314.200 IQD). Es zeigt sich dabei ein deutlicher Unterschied im Lohnniveau zwischen den vom Islamischen Staat (IS) zurückeroberten Gebieten und jenen, die nicht durch den IS besetzt waren. Für Fachkräfte liegt das Durchschnittsgehalt in den zurückeroberten Gebieten bei 289 USD (~422.350 IQD) und in Gebieten, die nicht vom Konflikt betroffen waren, bei 460 USD (~672.250 IQD). Für ungelernten Arbeitskräften betragen die Durchschnittslöhne in den zurückeroberten Gebieten 158 USD (~230.900 IQD) und in Gebieten die nicht vom Konflikt betroffen waren 263 USD (~384.350 IQD) (BFA, IRFAD 2021).

Die Armutsrate ist infolge der Wirtschaftskrise bis Juli 2020 auf ca. 30 % angestiegen (AA 25.10.2021; vergleiche ILO 2021), Laut Weltbank lag sie Anfang 2021 bei 22,5 % (WB 5.4.2021). Dabei ist die Armutsrate in ländlichen Gebieten deutlich höher als in städtischen (ILO 2021). Aufgrund der COVID-19-Pandemie hatte die irakische Regierung Schwierigkeiten, die Gehälter der sechs Millionen Staatsbediensteten zu zahlen, und Millionen von Menschen, die im privaten und informellen Sektor arbeiten, haben ihre Beschäftigung und ihre Lebensgrundlage verloren. Nach Schätzungen von UNICEF und der Weltbankgruppe fielen im Jahr 2020 schätzungsweise 4,5 Millionen Iraker unter die Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag (IOM 18.6.2021). Einhergehend mit dem neuerlichen Ansteigen der Ölpreise wird auch eine Reduktion der Armutsrate um 7 bis 14 % erwartet (WB 5.4.2021).

Die Löhne liegen zwischen 200 und 2.500 USD (163,8 und 2.047,45 EUR), je nach Qualifikation und Ausbildung. Für ungelernte Arbeitskräfte liegt das Lohnniveau etwa zwischen 200 und 400 USD (163,8 und327,59 EUR) pro Monat (IOM 18.6.2021). Dem oben zitierten Befragung zufolge verdienen 56 % der Befragten weniger als 600.000 IQD (360 EUR) und nur 5 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD (600 bis 1800 EUR). In der Einkommensgruppe unter IQD 600.000 sind 58 % Frauen und 55 % Männer, in der Gruppe mit einem Einkommen zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD sind 7 % Männer und nur 2 % Frauen. Die regionalen Daten zeigen, dass in Bagdad 54 % weniger als 600.000 IQD verdienen und nur 1,5 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD. In Basra haben 61 % ein Einkommen unter 600.000 IQD und 9 % verdienen zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD. In Mossul verdienen 56 % weniger als 600.000 IQD, während 10 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD liegen. 55 % der arabischen Befragten verdienen weniger als 600.000 IQD, während 5 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD verdienen. Von den kurdischen Befragten verdienen 54 % unter 600.000 IQD und 3 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD. Nach Religionszugehörigkeit verdienen 61 % der Christen, 50 % der schiitischen Muslime und 59 % der sunnitischen Muslime weniger als 600.000 IQD (BFA, IRFAD 2021).

Nahrungsmittelversorgung

Der Irak ist in hohem Maße von Nahrungsmittelimporten (schätzungsweise 50 % des Nahrungsmittelbedarfs) abhängig (FAO 30.6.2020). Grundnahrungsmittel sind in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021).

Aufgrund von Panikkäufen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie kam es in den letzten beiden Märzwochen 2020 zu einem vorübergehenden Preisanstieg für Lebensmittel. Strenge Preiskontrollmaßnahmen der Regierung führten ab April 2020 zuerst zu einer Stabilisierung der Preise und ab Mai 2020 wieder zu einer Normalisierung (FAO 30.6.2020). Die lokalen Märkte haben sich in allen Gouvernements als widerstandsfähig angesichts der Pandemie bewährt (OCHA 2.2021).

Vor der Covid-19-Krise war eines von fünf Kindern unter fünf Jahren unterernährt. 3,3 Millionen Kinder sind laut UNICEF immer noch auf humanitäre Unterstützung angewiesen (AA 25.10.2021). Etwa 4,1 Millionen Iraker benötigen humanitäre Hilfe (FAO 11.6.2021).

Alle Iraker, die als Familie registriert sind und über ein monatliches Einkommen von höchstens 1.000.000 IQD (558,14 EUR) verfügen, haben Anspruch auf Zugang zum Public Distribution System (PDS) (IOM 18.6.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022). Das PDS ist ein universelles Lebensmittelsubventionsprogramm der Regierung, das als Sozialschutzprogramm kostenlose Lebensmittel subventioniert oder verteilt (WB 2.2020). Formal erfordert die Registrierung für das PDS die irakische Staatsbürgerschaft sowie die Anerkennung als "Familie", die durch einen rechtsgültigen Ehevertrag oder eine Verwandtschaft ersten Grades (Eltern, Kinder) erreicht wird. Alleinstehende Rückkehrer können sich bei ihren Verwandten ersten Grades registrieren lassen, z.B. bei ihrer Mutter oder ihrem Vater. Sollten alleinstehende Rückkehrer keine Familienangehörigen haben, bei denen sie sich anmelden können, erhalten sie keine PDS-Unterstützung (IOM 18.6.2021). Die angeschlagene finanzielle Lage des Irak wirkt sich auch auf das PDS aus (WB 5.4.2021), insbesondere der niedrige Ölpreis schränkt die Mittel ein (USDOS 30.3.2021). In den vorangegangenen zwei Jahren hat die Regierung nur Mehl verteilt, aber keine anderen Waren wie Speiseöl oder Zucker. Ein Vorschlag der Regierung, die PDS-Nahrungsmittelverteilung durch Bargeldzahlungen (IQD 17.000, ca. 12 $ pro Person) zu ersetzen, wurde angesichts der anhaltenden Sicherheits- und wirtschaftlichen Instabilitäten noch nicht umgesetzt (BS 23.2.2022, S.26). Der Anteil der Haushalte, der im Rahmen des PDS Überweisungen erhalten hat, ist um etwa 8 % gesunken. Der Verlust von Haushaltseinkommen und Sozialhilfe hat die Anfälligkeit für Ernährungsunsicherheit erhöht (WB 5.4.2021).

Das Programm wird von den Behörden jedoch nur sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Die Behörden verteilen nicht jeden Monat alle Waren, und nicht in jedem Gouvernement haben alle Binnenvertriebenen (IDPs) Zugang zum PDS. Es wird berichtet, dass IDPs den Zugang zum PDS verloren haben, aufgrund der Voraussetzung, dass Bürger nur an ihrem registrierten Wohnort PDS-Rationen und andere Dienstleistungen beantragen können (USDOS 12.4.2022).

62 % der Befragten einer Umfrage von 2021 sind in der Lage oder schaffen es gerade noch, sich und ihre Familie ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. 34 % schaffen dies kaum oder gar nicht. 55 % der Frauen geben an, dass sie in der Lage, oder gerade noch in der Lage sind, sich mit Lebensmitteln zu versorgen, im Gegensatz zu 70 % der Männer. Die regionalen Antwortmuster zeigen, dass in Bagdad 59 % in der Lage oder gerade noch in der Lage sind, für Nahrungsmittel zu sorgen, ebenso wie 63 % in Basra und 69 % in Mossul. Insbesondere die 16- bis 18-Jährigen (56 %) geben an, nicht oder kaum in der Lage zu sein, sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen. Die ethnische Zugehörigkeit zeigt, dass 62 % der Araber und 58 % der Kurden nicht oder kaum in der Lage sind, sich selbst oder ihre Familien zu versorgen. Die Religionszugehörigkeit zeigt, dass 63 % der Christen, 62 % der schiitischen Muslime und 66 % der sunnitischen Muslime in der Lage, oder gerade noch in der Lage sind, sich ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. Sogar 73 % derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, sind in der Lage, sich selbst zu versorgen, oder schaffen es gerade noch (BFA, IRFAD 2021).

54 % der Befragten sind in der Lage oder schaffen es gerade noch, sich mit grundlegenden Konsumgütern zu versorgen, während 42 % dies nicht tun. Während 61 % der Männer angeben, dass sie in der Lage sind, sich und ihre Familie zu versorgen, gelingt dies 49 % der Frauen kaum oder gar nicht. Regional ergibt sich ein unterschiedliches Bild: In Bagdad sind 53 % in der Lage, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, ebenso wie 60 % in Mossul, während 49 % in Basra kaum oder gar nicht dazu in der Lage sind (in Basra schaffen es 32 % überhaupt nicht). Vor allem Jugendliche (71 %) im Alter von 16 bis 18 Jahren geben an, dass sie nicht in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, während die 19- bis 25-Jährigen (56 %) und die Gruppe der 26- bis 35-Jährigen (63 %) es schaffen bzw. gerade noch dazu in der Lage sind. 51 % der Araber geben an, dass sie in der Lage sind, sich mit grundlegenden Konsumgütern zu versorgen, oder es gerade so schaffen, ebenso wie 53 % der Kurden. Was die religiösen Gruppen betrifft, so geben 58 % der Christen, 53 % der schiitischen Muslime und 57 % der sunnitischen Muslime an, dass sie in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, oder es gerade noch schaffen. Von denjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, sind 57 % in der Lage, sich mit grundlegenden Konsumgütern zu versorgen, bzw. gerade noch (BFA, IRFAD 2021).

Aufgrund der Dürre kam es 2021 zu Ernteausfällen im Gouvernement Ninewa, sodass das Landwirtschaftsministerium (MoA) im April 2021 den Transport von Weizen und Gerste zwischen der KRI und dem Rest des Landes einschränkte, mit Ausnahme des Transfers in die Lagerhäuser des MoA, um Spekulanten und Schmuggler einzudämmen (FAO 11.6.2021).

Wasserversorgung

Die Hauptwasserquellen des Irak sind der Euphrat und der Tigris, die 98 % des Oberflächenwassers des Landes liefern (AGSIW 27.8.2021). Etwa 70 % des irakischen Wassers haben ihren Ursprung in Gebieten außerhalb des Landes (GRI 24.11.2019). Beide Flüsse entspringen in der Türkei, während der Euphrat durch Syrien fließt und einige Nebenflüsse durch den Iran fließen (AGSIW 27.8.2021). Der Wasserfluss aus diesen Ländern wurde durch Staudammprojekte stark, um etwa 80 % reduziert (GRI 24.11.2019; vergleiche AGSIW 27.8.2021). Das verbleibende Wasser wird zu einem großen Teil für die Landwirtschaft genutzt, die rund 13 der 38 Millionen Einwohner des Landes ernährt (GRI 24.11.2019). 2019 berichtete die Internationale Organisation für Migration der Vereinten Nationen (IOM), dass 21.314 Iraker in den südlichen und zentralen Gouvernements des Irak aufgrund von Trinkwassermangel vertrieben wurden. Spannungen zwischen den Stämmen um Wasser nehmen zu. Der Wassermangel in den südlichen Gouvernements wie Missan und Dhi-Qar und die immer wiederkehrenden Dürreperioden sind bereits die Hauptursache für lokale Konflikte (AGSIW 27.8.2021). Da die Niederschlagsperiode 2020/2021 die zweit niedrigste seit 40 Jahren war, kam es zu einer Verringerung der Wassermenge im Tigris und Euphrat um 29 % bzw. 73 % (UNICEF 29.8.2021).

Trinkwasser ist in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021). Fast drei von fünf Kindern im Irak haben jedoch keinen Zugang zu einer sicheren Wasserversorgung, und weniger als die Hälfte aller Schulen im Land haben Zugang zu einer grundlegenden Wasserversorgung (UNICEF 29.8.2021). Die Wasserversorgung im Irak wird durch marode und teilweise im Krieg zerstörte Leitungen in Mitleidenschaft gezogen. Dies führt zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser. (Industrie)abfälle führen zusätzlich zu Verschmutzung (AA 25.10.2021).

Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge geben insgesamt 60 % der Befragten an, immer Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben, 27 % manchmal, 12 % selten oder nie. Frauen scheinen weniger Zugang zu haben als Männer: 16 % haben selten oder nie Zugang, im Gegensatz zu 9 % der Männer. Regional gesehen ist der Zugang am niedrigsten in Mossul, wo 23 % selten oder nie Zugang haben, während 12 % in Basra und 7 % in Bagdad Zugang haben. 70 % der Kurden geben an, manchmal oder immer Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben, ebenso wie 57 % der Araber. Was die Religionsgemeinschaften betrifft, so haben 54 % der Christen, 65 % der schiitischen Muslime und 62 % der sunnitischen Muslime immer Zugang zu sauberem Trinkwasser. Auch bei den Einkommensverhältnissen gibt es Unterschiede: 91 % derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben immer Zugang zu sauberem Trinkwasser, aber nur 59 % derjenigen, die weniger verdienen (BFA, IRFAD 2021).

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 25.10.2021). Die meisten irakischen Städte haben keine 24-Stunden-Stromversorgung (DW 8.7.2021). Die Stromversorgung deckt nur etwa 60 % der Nachfrage ab, wobei etwa 20 % der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Die verfügbare Kapazität variiert je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 2020). Besonders in den Sommermonaten wird die Versorgungslage strapaziert (DW 8.7.2021). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten häufig unterbrochen (AA 25.10.2021).

Das irakische Stromnetz verliert bei der Stromübertragung zwischen 40 und 50 %. Dieser Verlust hat sowohl technische Gründe, z.B. beschädigte, unzureichend funktionierende oder veraltete Stromübertragungsanlagen, als auch nichttechnische Gründe wie Diebstahl oder Manipulation. So wird zum Beispiel dem IS vorgeworfen Strommasten sabotiert zu haben (DW 8.7.2021). Der IS hat im Jahr 2021 vermehrt das irakische Stromnetz angegriffen, indem er wiederholt Strommasten gesprengt hat (Wing 6.9.2021; vergleiche Anadolu 2.7.2021). Allein im August 2021 wurden Masten in Bagdad, Babil, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din sabotiert (Wing 6.9.2021). Sabotageakte werden in jüngster Zeit zunehmend an Umspannwerken in Städten verübt und zielen auch auf die Trinkwasserversorgung, die Wasseraufbereitung und auf den Krankenhausbetrieb ab (VOA 14.8.2021). Am 2.7.2021 kam es zu einem stundenlangen, landesweiten Stromausfall (Anadolu 2.7.2021; vergleiche BBC 2.7.2021). Nur die KRI war davon nicht betroffen (BBC 2.7.2021). Häufige Stromausfälle führen zu Protesten. Mitte 2021 haben wütende Iraker Kraftwerke in Bagdad und Diyala gestürmt. Ende Juni 2021 ist der irakische Elektrizitätsminister, Majed Mahdi Hantoush, zurückgetreten (DW 8.7.2021)

Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge haben 30 % der Befragten immer Strom zur Verfügung, 31 % manchmal, 34 % meistens und 5 % nie. Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben 63 % immer Strom zur Verfügung, während dies nur für 22 % der Wenigerverdienergilt (BFA, IRFAD 2021).

Unterkunft

Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge leben 52 % aller Befragten bei ihren Eltern oder Schwiegereltern, während 43 % in einer eigenen Wohnung leben. In Bagdad leben 51 % in einer eigenen Wohnung, während in Basra 55 % und in Mosul 64 % bei ihren Eltern oder Schwiegereltern wohnen. Von den Kurden leben 50 % in einer eigenen Wohnung, während 53 % der Araber bei ihren Eltern oder Schwiegereltern leben. 58 % der Christen leben in einer eigenen Wohnung, während 55 % der schiitischen Muslime und 53 % der sunnitischen Muslime bei ihren Eltern oder Schwiegereltern leben. Interessanterweise hat das Einkommensniveau keinen Einfluss auf die Wohnsituation: Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, leben 52 % in einer eigenen Wohnung, von denen, die weniger verdienen, 51 % (BFA, IRFAD 2021).

Von den Befragten leben 66 % in einem Haus und 29 % in einer Wohnung. In Bagdad leben 67 % in einem Haus, in Basra 61 % und in Mosul 68 %. 65 % der Araber und 60 % der Kurden geben an, in einem Haus zu leben. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so leben 63 % der Christen, 67 % der schiitischen Muslime und 71 % der sunnitischen Muslime in einem Haus. Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, leben 77 % in einem Haus, während 59 % derjenigen, die weniger verdienen, in einem Haus leben (BFA, IRFAD 2021).

Von allen Befragten haben über 70 % ein Dach, Fenster, Türen und einen Fernseher in ihrer Wohnung; über 60 % geben an, fließendes Wasser, eine Toilette mit Wasserspülung und ein Bad/eine Dusche zu haben, und über 50 % verfügen über einen Herd und einen Internetanschluss. Nur 46 % haben einen Kühlschrank und 28 % eine Heizung. Das Einkommen (derjenigen, die mehr als und weniger als 700.000 IQD verdienen) ist ausschlaggebend für den Besitz eines Fernsehers (89 % vs. 71 %), eines Bades/einer Dusche (71 % vs. 61 %), eines Internetanschlusses (79 % vs. 47 %) und einer Heizung (43 % vs. 27 %). 52 % der Befragten gaben an, dass ihre Wohnung/ihr Haus ihnen gehört, während 38 % angaben, dass sie gemietet sind. Der Anteil der Hausbesitzer ist in Mosul mit 67 % am höchsten, gefolgt von 59 % in Basra und 42 % in Bagdad. 53 % der Kurden geben an, eine Wohnung oder ein Haus zu besitzen, ebenso wie 45 % der Araber. Was die Religionszugehörigkeit angeht, so besitzen 60 % der Christen, 54 % der schiitischen Muslime und 48 % der sunnitischen Muslime eine Wohnung oder ein Haus. Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, besitzen 75 % eine Wohnung, während es bei denjenigen, die weniger verdienen, nur 43 % sind. Von allen Befragten zahlen 24 % weniger als 250.000 IQD pro Monat für ihre Wohnung, 25 % zwischen 250.001 und 500.000 IQD, 3 % zwischen 500.001 und 999.999 IQD und 1 % mehr als 1.000.000 IQD. 48 % der Befragten haben auf diese Frage nicht geantwortet. 50 % der Befragten leben in einer Wohnung mit mehr als 100 m², 43 % haben 60-100 m² zur Verfügung und 7 % 20-60 m². In der Einkommensgruppe über 700.000 IQD leben 66 % in einer Wohnung, die größer als 100 m² ist, während 47 % der Befragten, die weniger als diesen Betrag verdienen, in einer Wohnung leben. 56 % teilen ihre Wohnung mit 4-5 Mitbewohnern, während 16 % mit 1-3 Personen und 28 % mit 6-8 Personen zusammenleben (BFA, IRFAD 2021).

Grundversorgung und Wirtschaft in Bagdad und im Südirak

Bagdad ist das Zentrum des irakischen Wirtschafts-, Handels-, Banken- und Finanzsektors. Bagdad ist ebenso ein wichtiges Zentrum für die Erdölindustrie (NCCI 12.2015; vergleiche EASO 9.2020). Bis auf die Schwerindustrie ist ein großer Teil der irakischen Produktion in Bagdad angesiedelt. Die Regierung ist dabei der wichtigste Arbeitgeber in der Stadt (EASO 9.2020). Einige Sektoren waren besonders betroffen von Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, darunter das Transportwesen, das Baugewerbe, die Lebensmittelindustrie, das Bildungswesen, der Tourismus, die Geflügel- und Fischzucht, sowie der Einzelhandel, insbesondere für Bekleidung. Die meisten Frauen sind in den Bereichen Nähen, Friseurhandwerk, Unterricht und Einzelhandel tätig, die alle von Auswirkungen der COVID-19- Pandemie negativ beeinflusst wurden (IOM 9.2021a).

Laut einer Befragung im Distrikt Mahmoudiya vom Februar 2021 liegen die derzeitigen Durchschnittsgehälter für Fachkräfte bei 264 USD (~385.813 IQD) und reichen von 170 bis 540 USD (~248.440 bis 789.160 IQD). Etwa die Hälfte der befragten Arbeitgeber gab jedoch an, keine Fachkräfte zu beschäftigen, obwohl dies in der Vergangenheit der Fall war, und zahlten ihnen ein Durchschnittsgehalt von 291 USD (~425.270 IQD) (IOM 9.2021a).

Im Jahr 2016 lag die Arbeitslosenquote in Bagdad zwischen 6 % und 10 %. Für 2017 betrug sie 9,3 %. Unter jungen Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren wird die Arbeitslosigkeit im Jahr 2016 mit 18,6 % und für 2017 mit 5-7 % beziffert (EASO 9.2020). Im Jahr 2018 war über 1 % der Bevölkerung von akuter Armut betroffen und 4 % waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020; vergleiche EASO 9.2020). Einer Umfrage von 2021 zufolge gehen 28 % der Befragten einer Vollbeschäftigung nach, während 17 % angeben arbeitslos zu sein (BFA, IRFAD 2021).

Etwa 6,39 % der Bevölkerung Bagdads (rund 456.500 Personen) sind unzureichend ernährt. Für rund 0,46 % (rund 32.600 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Bagdad im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten [Anm.: Verfügbarkeit ist hier nicht gleichzusetzen mit Leistbarkeit] (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Bagdad bei 86,9 % (CSO 2018a). 2019 war für etwa 70 % der Einwohner Bagdads ständige Verfügbarkeit von Trinkwasser gegeben, während 30 % nur unregelmäßigen Zugang zu Trinkwasser hatten (WFP 2019). Mitte Juli 2021 wurde die Wasserversorgung in Karkh, im Westen Bagdads durch einen Sabotageakt an Strommasten in Tarmiya, die die Pumpstation versorgen, unterbrochen (Swissinfo 17.7.2021). Auch Mitte August 2021 wurde durch einen Anschlag auf einen Strommasten in Tarmiya, der die dortige Pumpstation mit Energie versorgte, die Trinkwasserversorgung für mehrere Millionen Bewohner im Westen der Stadt Bagdad unterbrochen (AN 14.8.2021).

Die öffentliche Stromversorgung ist in Bagdad vor allem in den Sommermonaten häufig unterbrochen (AA 25.10.2021). Stromausfälle führen häufig zu Protesten. Mitte 2021 haben wütende Iraker Kraftwerke in Bagdad gestürmt (DW 8.7.2021). Seit Beginn des Sommers 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz, das ohnehin bereits mit schweren Stromengpässen zu kämpfen hat. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021).

Einer Umfrage von 2021 zufolge gaben 21 % der Befragten Personen in Bagdad an, immer Strom zur Verfügung zu haben, 41 % manchmal, 34 % meistens und 4 % nie (BFA, IRFAD 2021).

Medizinische Versorgung

Der Gesundheitssektor im Irak hat unter den Kriegen, den Sanktionen, der Korruption und den mangelnden Investitionen gelitten. Mithilfe der Vereinten Nationen und ausländischer Hilfsorganisationen kann meist nur das Nötigste gesichert werden (GIZ 1.2021b).

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor (IOM 1.4.2019). Öffentliche Krankenhäuser berechnen niedrigere Kosten für Untersuchungen und Medikamente als der private Sektor. Allerdings sind nicht alle medizinischen Leistungen in öffentlichen Einrichtungen verfügbar und von geringerer Qualität als jene im privaten Sektor. Vor allem in größeren Städten und für spezialisierte Behandlungen kann es zu langen Wartezeiten kommen. Die Qualität der Gesundheitsversorgung hängt stark davon ab, ob die Gesundheitsinfrastruktur seit dem jüngsten bewaffneten Konflikt wiederhergestellt wurde, und ob Ärzte und Krankenschwestern zurückgekehrt sind (IOM 18.6.2021).

Eine Umfrage deutet darauf hin, dass im Jahr 2020, infolge der COVID-Krise, die Zahl der Rückkehrerhaushalte, die mehr als 20 % ihrer monatlichen Gesamtausgaben für Gesundheit oder Medikamente ausgeben, stark auf 38 % gestiegen ist (gegenüber 7 % im Jahr 2019) (IOM 18.6.2021).

Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD Anmerkung, ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 1.2021d). Medizinische Kosten und Gesundheitsleistungen werden im Irak nicht von einer Krankenversicherung übernommen (IOM 18.6.2021).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 25.10.2021). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustregel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 1.2021d). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 25.10.2021). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Es gibt im Irak 1.146 primäre Gesundheitszentren, die von Mitarbeitern der mittleren Ebene geleitet werden und 1.185, die von Ärzten geleitet werden. Des Weiteren gibt es im Irak 229 allgemeine und spezialisierte Krankenhäuser, darunter 61 Lehrkrankenhäuser (WHO o.D.). Im Zuge der COVID-19 Krise hat die Regierung einen spürbaren Bedarf an medizinischer Ausrüstung festgestellt. Die Regierung hat Initiativen ergriffen, um die Verfügbarkeit von Gesichtsmasken und Handdesinfektionsmitteln zu erhöhen sowie Krankenhäuser mit mehr Sauerstofftanks und Notaufnahmen auszustatten. Im April 2021 hat die Regierung eine COVID-19-Unterstützung für abgelegene Gebiete initiiert, die Arztbesuche in abgelegenen Orten, die Verteilung von Medikamenten und die Bereitstellung kostenloser medizinischer Beratung umfasst. Daten über konkrete Initiativen und die Wirksamkeit der Maßnahmen sind jedoch nicht verfügbar (IOM 18.6.2021).

In einer Umfrage im Jahr 2021, in den Städten Bagdad, Basra und Mossul, geben 33 % der Befragten an, immer Zugang zu einem Arzt (Allgemeinmediziner) zu haben, während 58 % einen begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang haben. 53 % der Befragten in Mossul haben nur eingeschränkten oder stark eingeschränkten Zugang zu einem Allgemeinmediziner, ebenso wie 60 % in Basra und 59 % in Bagdad. 50 % der Kurden gegenüber 30 % der Araber geben an, immer Zugang zu einem Arzt zu haben. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so haben 46 % der schiitischen Muslime immer Zugang zu einem Arzt, während dies nur 28 % der sunnitischen Muslime und 25 % der Christen tun. Bei den Einkommensverhältnissen ist ein erheblicher Unterschied festzustellen: 91 % derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben immer Zugang zu einem Allgemeinmediziner, während nur 20 % derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, Zugang haben (BFA, IRFAD 2021).

Von allen Befragten haben 32 % immer Zugang zu einem Zahnarzt, 52 % haben begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang und 14 % keinen Zugang. Auf regionaler Ebene haben 55 % in Mossul, 63 % in Basra und 43 % in Bagdad begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang zu einem Zahnarzt; 21 % in Bagdad haben keinen Zugang. 45 % der Kurden gegenüber 28 % der Araber geben an, immer Zugang zu einem Zahnarzt zu haben (25 % der Kurden haben keinen Zugang). 39 % der schiitischen Muslime, 27 % der sunnitischen Muslime und 39 % der Christen haben immer Zugang zu einem Zahnarzt (keinen Zugang haben 12 % der schiitischen Muslime, 15 % der sunnitischen Muslime und 19 % der Christen). Auch bei den Einkommensverhältnissen ist der Zugang unterschiedlich: 77 % derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben immer Zugang zu einem Zahnarzt, während nur 22 % derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, dies tun (BFA, IRFAD 2021).

Insgesamt haben 29 % immer und 57 % eingeschränkt oder stark eingeschränkt Zugang zu einem Facharzt (z.B. Gynäkologe, Kinderarzt usw.), wenn dieser benötigt wird. 59 % der Frauen und 57 % der Männer haben einen begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang zu einem Facharzt. In Mossul geben 40 % an, immer Zugang zu einem Facharzt zu haben, während dies nur 20 % in Basra und 28 % in Bagdad tun. Von den Kurden haben 43 % immer Zugang zu einem Facharzt, gegenüber 26 % der Araber. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so geben 38 % der schiitischen Muslime an, immer Zugang zu einem Facharzt zu haben, während dies 27 % der sunnitischen Muslime und 25 % der Christen tun. 70 % derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben immer Zugang zu einem Facharzt. Bei Wenigerverdiener sind es nur 20 % (BFA, IRFAD 2021).

In allen untersuchten Städten haben 30 % der Befragten immer Zugang zu Krankenhäusern, um sich bei Bedarf behandeln oder operieren zu lassen, 54 % haben einen eingeschränkten oder stark eingeschränkten Zugang und 13 % keinen Zugang. Von den männlichen Befragten haben 32 % immer Zugang, während 17 % überhaupt keinen Zugang haben; von den weiblichen Befragten haben 27 % immer Zugang, während 10 % überhaupt keinen Zugang haben. 53 % der Einwohner von Mossul, 63 % von Basra und 49 % von Bagdad haben nur begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang zu Krankenhäusern. 45 % der Kurden haben immer Zugang zu Krankenhäusern, während 20 % überhaupt keinen Zugang haben. Von den Arabern haben 26 % immer Zugang, während 14 % keinen Zugang haben. Von den sunnitischen Muslimen geben 30 % an, immer Zugang zu Krankenhäusern zu haben (16 % haben keinen Zugang), ebenso wie 38 % der schiitischen Muslime (13 % haben keinen Zugang) und 21 % der Christen (16 % haben keinen Zugang). In der Einkommensgruppe über 700.000 IQD haben 68 % immer Zugang zu Krankenhäusern, während von denjenigen, die weniger verdienen, nur 20 % Zugang haben (und 16 % haben keinen Zugang) (BFA, IRFAD 2021).

36 % aller Befragten haben alle, 36 % kaum die notwendigen Hygieneartikel, während 28 % kaum oder gar nicht über diese Artikel verfügen. Vor allem Frauen mangelt es an den notwendigen Hygieneartikeln, 34 % haben sie kaum oder gar nicht, gegenüber 23 % der Männer. Die Verfügbarkeit scheint in Bagdad am höchsten zu sein, wo 80 % angeben, kaum oder alle notwendigen Hygieneartikel zu besitzen, ebenso wie 67 % in Mossul und 60 % in Basra. 75 % der 26- bis 36-Jährigen geben an, kaum oder alle notwendigen Hygieneartikel zu besitzen, während 73 % der 19- bis 25-Jährigen und 58 % der 16- bis 18-Jährigen dies tun. 31 % der Araber, aber nur 15 % der Kurden geben an, dass sie kaum oder gar nicht über die notwendigen Hygieneartikel verfügen. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so verfügen 30 % der Christen, 31 % der schiitischen Muslime und 27 % der sunnitischen Muslime kaum oder gar nicht über die erforderlichen Hygieneartikel. 66 % derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben alle notwendigen Hygieneartikel, während 32 % derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, diese besitzen (BFA, IRFAD 2021).

44 % der Befragten geben an, dass sie immer Zugang zu Impfungen haben, während 51 % nur begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang zu Impfungen im Allgemeinen haben. Zu den COVID-19-Impfungen haben 55 % der Befragten immer Zugang, während 40 % nur begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang haben. Auf regionaler Ebene haben 35 % der Befragten in Bagdad, 55 % in Basra und 52 % in Mossul immer Zugang zu Impfungen, während 59 % in Mossul, 61 % in Basra und 51 % in Bagdad angeben, vollen Zugang zu COVID-19-Impfungen zu haben. 50 % der Kurden und 43 % der Araber haben immer Zugang zu Impfungen, während 80 % der Kurden und 51 % der Araber immer Zugang zu COVID-19-Impfungen haben. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so haben 55 % der schiitischen Muslime, 37 % der sunnitischen Muslime und 39 % der Christen uneingeschränkten Zugang zu Impfungen; uneingeschränkter Zugang zu COVID-19-Impfungen wird von 70 % der schiitischen Muslime, 46 % der sunnitischen Muslime und 55 % der Christen angegeben. Das Einkommensniveau ist ausschlaggebend für den kontinuierlichen Zugang zu Impfungen: Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben 86 % immer Zugang zu Impfungen und 91 % zu COVID-19-Impfungen, während von denjenigen, die weniger verdienen, nur 34 % immer Zugang zu Impfungen und 52 % zu COVID-19-Impfungen haben (BFA, IRFAD 2021).

Anfang des Jahres 2020, mit Beginn der COVID-19-Pandemie stellten die medizinischen Fakultäten und Gesundheitseinrichtungen die meisten ihrer zur Verfügung gestellten Dienste ein und verlagerten sich auf die Untersuchung des Virus und seiner Auswirkungen auf die Gesellschaft. Im September 2020 nahm der öffentliche Gesundheitssektor seine Arbeit und Dienstleistungen wieder auf, mit neuen Regelungen, wie dem Zugang zu Krankenhäusern nur nach Terminvereinbarung, Rotationsschichten des medizinischen Personals, längeren erforderlichen Wartezeiten und strengeren Hygienemaßnahmen. Im Jahr 2021 bieten sowohl der öffentliche als auch der private Gesundheitssektor ihre Arbeit beinahe wieder normal an, jedoch mit hohen Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19, wie vom irakischen Gesundheitsministerium (MoH) angewiesen (IOM 18.6.2021). Das Gesundheitsministerium wandte sich angesichts der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den öffentlichen Gesundheitssektor an private Einrichtungen, um die Regierung bei der Krisenbewältigung zu unterstützen. So nutzte die Regierung beispielsweise das Andalus Hospital and Specialized Cancer Treatment Center in Bagdad, das einem irakischen Pathologen gehört (BS 23.2.2022, S.25).

Aufgrund der COVID-19-Pandemie steht die Bereitstellung grundlegender Gesundheitsdienste unter Druck. Familien haben nicht im gleichen Maße wie 2019 Zugang zu grundlegenden Diensten, einschließlich Impfungen und Gesundheitsfürsorge für Mutter und Kind. Schätzungsweise 300.000 Kinder laufen Gefahr, nicht geimpft zu werden, was zu Masernausbrüchen oder der Rückkehr von Polio führen könnte (UN OCHA 2021).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich (AA 25.10.2021).

römisch III. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht in Zusammenschau mit dem (der belangten Behörde, nicht aber dem Bundesverwaltungsgericht im Original) vorgelegten irakischen Personalausweis (Farbkopie, AS 85ff, 93, 125ff) und mit dem (der belangten Behörde, nicht aber dem Bundesverwaltungsgericht im Original) vorgelegten irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis (Farbkopie, AS 77ff, 93, 129ff). Hierbei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass es die belangte Behörde offenbar nicht für erforderlich erachtete, diese Identitätsdokumente des Beschwerdeführers einer Überprüfung zuzuführen oder hierzu eine Stellungnahme abzugeben, weshalb die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers im gegenständlichen Fall festgestellt werden kann.

Die Feststellungen zum Personenstand des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (Seite 3 des Verhandlungsprotokolls) und dem im Akt einliegenden österreichischen Scheidungsbeschluss vom 08.06.2022 (OZ 24f).

Die weiteren Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seiner Herkunft, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Schul- und Universitätsausbildung, seiner Berufserfahrung sowie dessen persönlichen und familiären Lebensumständen im Herkunftsstaat und seinen Sprachkenntnissen waren auf der Grundlage von gleichbleibenden und insoweit glaubhaften Angaben im behördlichen und gerichtlichen Verfahren und dem Verwaltungsakt, insbesondere in Zusammenschau mit den unbedenklichen im Akt enthaltenen Urkunden, zu treffen.

Die Feststellungen zu den im Irak lebenden Familienangehörigen des Beschwerdeführers, deren dortigen Wohnorten sowie deren Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts ergeben sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung (Seite 5f des Verhandlungsprotokolls). Dass der Bruder des Beschwerdeführers in der Türkei aufhältig ist und der Beschwerdeführer mit diesem in Kontakt steht, brachte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung selbst vor (Seite 5f des Verhandlungsprotokolls). Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese Angaben nicht stimmen sollten. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sie daher ohne Weiteres den Feststellungen zugrunde legen.

Nicht durchgängig schlüssig sind die Angaben des Beschwerdeführers zum Kontakt zu den im Irak befindlichen Familienangehörigen. So gab der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA am 13.01.2017 zunächst zu Protokoll, dass er lediglich mit seiner Mutter gelegentlich in Kontakt stünde (AS 98, 103). Wenig später erklärte der Beschwerdeführer hingegen in der Einvernahme vor dem BFA am 08.06.2018 abweichend, dass er und seine ehemalige Gattin keinen Kontakt mit ihren jeweiligen Familien hätten (AS 171) bzw. mit seiner Familie seit seinem 16. Lebensjahr auf Grund des von ihm betriebenen Kunststudiums keinen Kontakt gehabt zu haben, nur um unmittelbar darauf – wiederum divergierend – auszuführen, dass er seiner Mutter von der gemeinsamen Ausreise mit seiner ehemaligen Gattin erzählt habe (AS 173). Auf Vorhalt dieses Widerspruchs wiederholte der Beschwerdeführer einzig, dass er nur mit seiner Mutter in Kontakt stünde, während seine ehemalige Gattin keinen Kontakt zu ihren Eltern habe (AS 173). Insofern der Beschwerdeführer – seine Mutter verstarb im Jahr 2021 – nunmehr in der mündlichen Verhandlung abermals darlegte, mit seinen im Irak lebenden Familienangehörigen nicht in Kontakt zu stehen (Seite 6 des Verhandlungsprotokolls), so kann der Grund hierfür jedenfalls nicht in den vom Beschwerdeführer geäußerten Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen in Zusammenhang mit der Beziehung zu seiner ehemaligen Gattin zu finden sein, zumal diese, wie das Bundesverwaltungsgericht nachfolgend ausführlich und unter umfassender Bedachtnahme auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers begründet, nicht festgestellt werden konnten. Insoweit erweisen sich die Angaben des Beschwerdeführers zum völligen Fehlen eines Kontakts zur Familie als unschlüssig. Wenn man allerdings dennoch davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer tatsächlich keinen Kontakt zu seinen Angehörigen im Irak mehr habe sollte – was aber wenig wahrscheinlich ist –, so kann den Angaben des Beschwerdeführers jedenfalls nicht entnommen werden, dass dem Kontaktabbruch – abgesehen von den als nicht glaubhaft qualifizierten Ereignissen in Zusammenhang mit der Beziehung/Hochzeit zu/mit seiner ehemaligen Gattin – eine schwerwiegende Auseinandersetzung zugrunde lag. Eine neuerliche Kontaktaufnahme erscheint daher möglich.

Zur gemeinsam mit seiner damaligen Ehegattin erfolgten legalen Ausreise aus dem Irak im November 2015 hat der Beschwerdeführer im Verfahren gleichbleibende Angaben gemacht, die dementsprechend den Feststellungen ebenfalls zugrunde gelegt werden konnten.

Wann der Beschwerdeführer den Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist in unbedenklichen Urkunden/Unterlagen dokumentiert (AS 1ff) und wurde nicht in Zweifel gezogen. Es ist auch naheliegend, dass der Beschwerdeführer, kurz bevor er den Antrag auf internationalen Schutz stellte, in das Bundesgebiet eingereist ist. Dass er illegal in das Bundesgebiet eingereist ist, steht außer Frage, zumal er bei seiner Einreise kein (gültiges) Einreisedokument vorlegen konnte vergleiche auch AS 5f). Gestützt auf die Angaben des Beschwerdeführers und die Eintragungen im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister konnte das Bundesverwaltungsgericht die Feststellungen zum Aufenthaltsstatus treffen.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund ist und keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung angehört, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung (AS 5), vor der belangten Behörde (AS 97, 163) und in der mündlichen Verhandlung (Seite 2 des Verhandlungsprotokolls). Dass der Beschwerdeführer Gründe haben könnte, insofern wahrheitswidrige Aussagen zu tätigen, ist nicht im Geringsten ersichtlich.

Dass der Beschwerdeführer die deutsche Sprache in alltagstauglicher Weise beherrscht, Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache besuchte und Deutschprüfungen auf dem Niveau A1 und A2 sowie die Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz (Niveau: B1) und zu Werte- und Orientierungswissen erfolgreich absolvierte, wurde auf Grund der diesbezüglichen Ausführungen des Beschwerdeführers in den Einvernahmen vor der belangten Behörde (AS 107, 169) und in der mündlichen Verhandlung (Seite 4 des Verhandlungsprotokolls) in Zusammenschau mit den unbedenklichen im Akt enthaltenen Urkunden festgestellt (AS 151ff, 311ff; OZ 10, 37f).

Die Feststellung zur geringfügigen Beschäftigung des Beschwerdeführers im Jahr 2019 basiert auf dem amtswegig eingeholten AJ-Web-Auszug. Dass der Beschwerdeführer im Zeitraum von Juni 2021 bis Oktober 2021 für eine Tätigkeit als Bühnenbildner – abgesehen vom Monat Oktober – eine Pauschale in Höhe von Euro 110,00 (im Oktober in Höhe von Euro 60,00) erhielt, ist mit den im Akt einliegenden „Honorarnoten“ urkundlich hinreichend nachgewiesen (OZ 37f).

Dass der Beschwerdeführer eine Gewerbeberechtigung für das freie Gewerbe Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten, besaß, im Umfang dieser Gewerbeberechtigung vom 03.11.2021 bis 12.08.2022 selbständig tätig war, seit 09.08.2022 einer unselbständigen Tätigkeit im Ausmaß von 40 Wochenstunden bei der römisch 40 GmbH als Kassenkraft und Tankwart nachgeht und ein die monatliche Geringfügigkeitsgrenze überschreitendes Einkommen erzielt, ist – in Zusammenschau mit dem amtswegig eingeholten AJ-Web-Auszug – urkundlich hinreichend nachgewiesen (OZ 37f).

Die Feststellungen zum Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung ergeben sich aus einem GVS-Auszug. Was die Unterkunft des Beschwerdeführers betrifft, so basieren die Feststellungen auf den Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren in Zusammenschau mit dem im Akt einliegenden Mietvertrag vom 01.08.2022 (OZ 37f) und dem amtswegig eingeholten GVS-Auszug.

Die Feststellungen zur Aufnahme in das römisch 40 -Programm von römisch 40 und zur Anzeige der Errichtung des Vereins römisch 40 gegenüber der zuständigen Vereinsbehörde sind urkundlich hinreichend nachgewiesen (AS 305, 336f). Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer – abgesehen von seinem Engagement im Rahmen des Projekts „ römisch 40 “ in den Jahren 2015/16 (AS 21) – aktuell weder ehrenamtlicher/gemeinnütziger Arbeit nachgeht, noch Mitglied eines Vereins oder einer sonstigen Organisation ist, ist im Lichte der Aussagen des Beschwerdeführers (bisweilen im Umkehrschluss) ebenso wenig zweifelhaft (Seite 4 des Verhandlungsprotokolls).

Die Feststellungen zur Abwesenheit von Verwandten im Bundesgebiet ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers.

Die Unterstützungserklärungen (AS 71; OZ 9, 38) und das Konvolut (privater) Fotografien, die den Beschwerdeführer bei seinen künstlerischen Aktivitäten zeigen (AS 25ff, 35ff; OZ 9f, 37f), sind urkundlich hinreichend nachgewiesen. Die Feststellungen zum Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich waren auf Grundlage seiner insofern glaubhaften Aussagen vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, etwa zu den genannten – gemeinsamen – Freizeitaktivitäten, und von Bescheinigungsmitteln, insbesondere mehrerer Empfehlungsschreiben seiner Bekannten/Unterstützer, die einen persönlichen Bezug der Verfasser zum Beschwerdeführer erkennen lassen, zu treffen.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten ist, ergibt sich aus einem Strafregisterauszug. Die Feststellungen zum beim Bezirksgericht römisch 40 wider den Beschwerdeführer anhängigen Strafverfahren basieren auf den Schilderungen der rechtsfreundlichen Vertretung in der mündlichen Verhandlung (Seite 4 des Verhandlungsprotokolls).

Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund und die geäußerten Rückkehrbefürchtungen sind aus folgenden Erwägungen nicht glaubhaft:

So ist zunächst von entscheidungswesentlicher Bedeutung, dass die ehemalige Gattin des Beschwerdeführers und deren gewillkürte Vertretung im Zuge der mündlichen Verhandlung im August 2022 letztlich eingestanden bzw. richtigstellten, dass die ursprünglich vom Beschwerdeführer und seiner ehemaligen Gattin gemeinsam genannten Fluchtgründe übertrieben dargestellt worden seien. Die Eltern der ehemaligen Gattin seien zwar mit der Eheschließung nicht einverstanden gewesen, der Fluchtgrund und die maßgebliche Rückkehrgefährdung seien jedoch – abgesehen vom künstlerischen und politischen Aktivismus der ehemaligen Gattin – in deren Genderidentität zu erblicken (gewesen), weshalb diese auch geheiratet habe, da einer alleinstehenden Frau eine Flucht nicht möglich gewesen wäre (Seite 6f des Verhandlungsprotokolls der ehemaligen Gattin). Insofern stützte die ehemalige Gattin ihr Begehren im Zuge der mündlichen Verhandlung auf gänzlich andersgelagerte Motive als sie und der Beschwerdeführer im Verfahren vor der belangten Behörde. Im Lichte dessen liegt daher die Annahme nahe, dass auch das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem Antrag auf internationalen Schutz im Wesentlichen unrichtig gewesen ist.

Bestätigt werden diesen Überlegungen auch dadurch, dass der Beschwerdeführer sein Vorbringen zu dem ihn verfolgenden Personenkreis im Zuge der gestellten Fragen und Vorhalte in der Erstbefragung, vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht mäandrierend abänderte. So erweckte der Beschwerdeführer ursprünglich in der Erstbefragung den Eindruck, dass lediglich seine Eltern mit der Beziehung zu seiner damaligen Freundin und späteren Ehegattin nicht einverstanden gewesen seien (AS 9). In der Einvernahme vor der belangten Behörde am 13.01.2017 schilderte der Beschwerdeführer hingegen, dass beide Familien gegen die Eheschließung aufgetreten seien (AS 100f). Ähnlich äußerte sich der Beschwerdeführer dann in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 08.06.2018, wonach eben beide Familien mit der Trauung nicht einverstanden gewesen seien (AS 167). Kurze Zeit später führte der Beschwerdeführer jedoch wiederum einzig aus, dass seine Schwiegerfamilie auf Grund der Tätigkeit seines Vaters in der irakischen Verwaltung eine Eheschließung abgelehnt habe (AS 171). Auch in der Beschwerde beschränkte sich der Beschwerdeführer wieder auf die Darstellung einer Ablehnung durch die Schwiegerfamilie. So hielt der Beschwerdeführer in der Beschwerde fest, dass er und seine ehemalige Gattin die beiden Familien von ihrem Vorhaben einer Eheschließung informiert hätten, was die Schwiegerfamilie auf Grund der unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten abgelehnt habe (AS 283).

Hinzu tritt, dass das vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer und seiner ehemaligen Ehegattin erstattete Ausreisevorbringen in mehrfacher Hinsicht widersprüchlich ist. So war es im Lichte der niederschriftlichen Aussagen vor der belangten Behörde bezüglich der angeblichen sexuellen Beziehung vor der Eheschließung evident, dass es laut dem Beschwerdeführer – wie im Übrigen auch laut der ehemaligen Gattin (AS 90 in deren Akt) – vor der der Eheschließung und der anschließenden Ausreise aus dem Irak etwa vier bis fünf Mal zum Geschlechtsverkehr mit seiner ehemaligen Gattin gekommen sei (AS 102). In der mündlichen Verhandlung brachte die ehemalige Gattin des Beschwerdeführers hingegen zweifelsfrei zum Ausdruck, dass der erste Körperkontakt bzw. Geschlechtsverkehr zwischen ihr und dem Beschwerdeführer erst in der Türkei erfolgt sei (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls im Akt der Gattin). Dass die ehemalige Ehegattin des Beschwerdeführers hier den ersten Geschlechtsverkehr erst in der Türkei verortet, belastet sein Vorbringen daher mit weiteren Zweifeln. Darüber hinaus behauptete der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA am 08.06.2018, dass seine ehemalige Gattin keinen Kontakt zu ihren Eltern habe (AS 173). Die ebenso dazu in der mündlichen Verhandlung befragte ehemalige Ehegattin des Beschwerdeführers legte wiederum dar, dass sie mit ihren Eltern sehr wohl Kontakt gehabt habe. Sie stünde über Telegram und WhatsApp mit ihren Eltern und Geschwistern in Kontakt (Seite 6 des Verhandlungsprotokolls im Akt der Gattin). Die Ausführungen des Beschwerdeführers und seiner ehemaligen Gattin variieren somit in diesen Punkten nicht nur leicht, sondern es traten gravierende Divergenzen zutage. Die erheblichen Ungereimtheiten in den Angaben des Beschwerdeführers und seiner ehemaligen Gattin wecken nicht nur gravierende Zweifel an seiner persönlichen Glaubwürdigkeit, sondern sie sprechen – wegen des engen inhaltlichen Zusammenhangs – auch gegen die Glaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens.

Des Weiteren darf nicht gänzlich außer Acht gelassen werden, dass aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts ein weiteres Indiz für die mangelnde Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers darin zu erblicken ist, dass es dem Beschwerdeführer vor seiner Ausreise noch möglich war, die finanziellen Angelegenheiten, wie beispielsweise den Verkauf seines Fahrzeugs, zu regeln (AS 100). Aus diesem geschilderten Verhalten lässt sich nun der Schluss ziehen, dass der Beschwerdeführer seine Ausreise aus dem Herkunftsstaat bereits längere Zeit geplant haben muss. Hätte es eine tatsächliche Bedrohungssituation gegeben, hätte der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat unverzüglich verlassen und vor seine Ausreise nicht umfangreiche Vorbereitungen vorgenommen.

Ebenso wenig konnte der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung plausibel darstellen, weshalb es für ihn nicht möglich gewesen wäre, durch einen Wohnsitzwechsel dieser Zwangslage mit seiner Schwiegerfamilie bzw. seiner eigenen Familie zu entgehen. Befragt, was dagegen spreche, dass er in einem anderen Teil des Irak lebe, erwiderte der Beschwerdeführer vor dem BFA am 13.01.2017 zunächst lediglich allgemein ausweichend, dass der gesamte Irak von Stämmen kontrolliert werde, die sicherlich an ihn rankommen würden (AS 104, 106). In der Einvernahme am 08.06.2018 erläuterte der Beschwerdeführer auf die Frage, in welcher Stadt er sich im Falle einer Rückkehr ansiedeln würde, wiederum ähnlich, dass er sich nirgendwo im Irak aufhalten könne, da er dort getötet werde würde (AS 171), wobei er auf Nachfrage zu Protokoll gab, dass er zwar nicht wisse, wer ihn töten würde, aber bei den Verwandten seiner ehemaligen Gattin handle es sich um einen sehr großen Stamm, weshalb er innerhalb kürzester Zeit getötet werden würde, zumal er Schauspieler und „sein Foto“ bekannt sei (AS 171, 175; ähnlich auch OZ 9). Abgesehen vom Umstand, dass der Beschwerdeführer seine Bekanntheit als Schauspieler in diesem Zusammenhang zweifellos völlig übertrieben darstellt, da sich der vom Beschwerdeführer übermittelten Auflistung seiner Berufserfahrungen lediglich entnehmen lässt, dass er ein einziges Mal als Schauspieler im Jahr 2010 im Bereich TV und Film in einer Serie mit dem Titel „ römisch 40 “ mitwirkte (OZ 38), war es dem Beschwerdeführer ebenso wenig möglich, näher auszuführen, wie es den Verwandten seiner ehemaligen Gattin tatsächlich möglich sein sollte, ihn in einer der anderen Großstädte des Irak ausfindig zu machen. Auffällig erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung eine innerstaatliche Relokationsalternative nunmehr wiederum aus völlig anderen Gründen ablehnte. Demnach habe – abgesehen vom Umstand, wonach es sich um einen riesigen Clan handle – sein ehemaliger Schwiegervater viele Kontakte bei den irakischen Milizen und habe er zudem bezüglich der kurdischen Gebiete eine Phobie, da er dort entführt und gefoltert worden sei (Seite 7f des Verhandlungsprotokolls). Ein nachvollziehbarer Grund, weshalb er einer allfälligen Gefährdung in seiner Heimatstadt nicht innerhalb des Herkunftsstaates entgehen konnte, wird damit nicht aufgezeigt.

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer im Zuge der Einvernahmen vor der belangten Behörde zwar zwei Mal ausführte, dass sich eine – ihm unbekannte – Person etwa zwei Monate nach seiner Ankunft in Österreich bei einem Nachbar nach ihm erkundigt habe (AS 103f, 175), der Beschwerdeführer konnte hierbei jedoch keine Details im Hinblick auf die Nachfrage nennen und es erschöpfte sich die Darstellung in den Einvernahmen vor der belangten Behörde im Wesentlichen im Vorbringen, dass ein Nachbar, der einen Supermarkt betreibe, seiner Mutter mitgeteilt habe, dass ein Mann mit einem Fahrzeug gekommen und sich nach ihm erkundigt habe. Der Beschwerdeführer machte nur vage Andeutungen zu dieser Nachfrage und stellte bloß Vermutungen über die Hintergründe dieser vermeintlichen Nachforschungen auf. Eine gegen den Beschwerdeführer und seine ehemalige Gattin gerichtete Gefährdung kann daraus nicht abgeleitet werden. Selbst wenn im Übrigen davon ausgegangen würde, dass die Familie des Beschwerdeführers einmal von einem Unbekannten aufgesucht und nach seinem Aufenthaltsort gefragt worden wäre, würde der behauptete Eingriff in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers in Form von Nachforschungen nicht die für die Annahme einer Verfolgung erforderliche erhebliche Intensität aufweisen. Der Beschwerdeführer hat gegenständlich lediglich eine Nachfrage bei einem Nachbar behauptet, die nach seinen Angaben folgenlos blieb. Geschehnisse dieser Art sind noch nicht als asylrelevant zu qualifizieren und war dem Vorbringen auch kein stichhaltiger Hinweis dahingehend zu entnehmen, dass allfällige gravierendere Bedrohungen des Beschwerdeführers oder sonstige Eingriffe mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten waren.

Ferner brachte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nunmehr in neuerlicher Steigerung des Vorbringens vor, dass er in Kurdistan entführt und gefoltert worden sei (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls). Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ist diese Steigerung des Vorbringens ein weiteres Indiz für die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und der Unglaubhaftigkeit der geltend gemachten Ausreisegründe, hatte doch der Beschwerdeführer bereits in seinen Einvernahmen vor dem BFA die umfassende Möglichkeit, sämtliche Ausreisegründe vorzubringen. Bei diesen erstmals in der mündlichen Verhandlung geschilderten Angaben handelt es sich um eine klare Steigerung des Vorbringens des Beschwerdeführers, vermutlich zu dem Zweck, um seinem Antrag auf internationalen Schutz – nach Kenntnisnahme der Beweiswürdigung des BFA – mehr Substanz zu verleihen. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang im Übrigen auch, dass der Beschwerdeführer nicht einmal in der Lage war, konkret zu benennen, wann sich dieser Vorfall – bei dem ihm sogar die Schulter gebrochen worden sein soll – ereignet habe.

Ein weiteres Indiz für die persönliche Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ist außerdem der Umstand, dass er offensichtlich versucht hat, den Besitz seines Reisepasses im Laufe des Verfahrens gegenüber den österreichischen Behörden zu verbergen. So schilderte er in der Erstbefragung zweifelsfrei, dass er seinen Reisepass in Slowenien im Zug verloren habe (AS 5). Insofern nunmehr in einer anlässlich der Scheidung getroffenen Vereinbarung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner ehemaligen Gattin festgehalten wurde, dass Letztere dem Beschwerdeführer seinen irakischen Reisepass aushändigen müsse (sofern sie diesen finde) (OZ 24f), erkundigte sich das Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung am 26.08.2022 jedoch bei der ehemaligen Gattin, wie sich dies mit den Ausführungen bezüglich des in Slowenien verlorenen Reisepasses in Einklang bringen lasse. Daraufhin führte die ehemalige Gattin des Beschwerdeführers aus, dass ihr der Richter im Scheidungsverfahren gesagt habe, dass sich der Reisepass mit den privaten Dokumenten des Beschwerdeführers unter einer Treppe in ihrem Atelier befinde. In der Folge habe sie dort Nachschau gehalten und die Dokumente, insbesondere den irakischen Reisepass, im Anschluss an den Beschwerdeführer ausgehändigt (Seite 4f des Verhandlungsprotokolls im Akt der Gattin). Trotzdem beharrte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung am 21.09.2022 darauf, seinen Reisepass in Slowenien verloren zu haben. Selbst auf Vorhalt der vorangehenden Ausführungen zu der anlässlich der Scheidung getroffenen Vereinbarung gestand der Beschwerdeführer nicht ein, im Besitz seines Reisepasses zu sein. Stattdessen bezichtigte er seine ehemalige Gattin, dass sie ihm den Reisepass gestohlen habe (Seite 4 des Verhandlungsprotokolls). Hinsichtlich dieser Ungereimtheiten ist zwar festzuhalten, dass es sich dabei um einen bloßen – nicht die Ausreisegründe betreffenden – Nebenaspekt handelt, dennoch zeigt dies die Einstellung des Beschwerdeführers, gegenüber den österreichischen Behörden falsche Angaben im Verfahren zu tätigen, und hegt daher das Bundesverwaltungsgericht auch aus diesem Grunde Zweifel am Vorbringen des Beschwerdeführers.

Schließlich mag es zwar Bedenken geben, sollte die Behörde oder das Bundesverwaltungsgericht die Unglaubhaftigkeit eines (Flucht-)Vorbringens unreflektiert und ausschließlich damit begründen, dass ein Asylwerber nicht im – sozusagen – erstbesten sicheren Staat, den er nach dem Verlassen seines Herkunftsstaats betreten hat, einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Auf eine derartige Argumentation zieht sich das Bundesverwaltungsgericht gegenständlich jedoch nicht zurück und werden dessen Feststellungen auch keineswegs ausschließlich darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer in keinem der von ihm durchreisten Staaten einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, weshalb das Bundesverwaltungsgericht ergänzend – unter Bedachtnahme auf die Angaben des Beschwerdeführers – darauf hinweist, dass dieser nicht nachvollziehbar darlegen konnte, weshalb er nicht in einem der durchreisten Staaten einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Der Beschwerdeführer spricht zwar – ohne dies näher zu präzisieren – davon, auf der Reise nach Österreich teilweise schlecht behandelt und auch geschlagen worden zu sein. Dass dies in allen durchreisten Ländern der Fall gewesen wäre, brachte er allerdings nicht zum Ausdruck vergleiche AS 100). Dass sich der Beschwerdeführer beispielsweise in Griechenland, mag sein Zielland auch allenfalls Österreich oder ein anderes mitteleuropäisches Land gewesen sein, von einer Asylantragstellung hätte abhalten lassen, wäre im Falle einer tatsächlichen Verfolgung(sgefahr) im Herkunftsstaat daher nicht naheliegend, weshalb auch dieses Verhalten des Beschwerdeführers nicht dafür spricht, dass er seinen Herkunftsstaat im November 2015 wegen einer tatsächlichen Gefahr verlassen hat. Im Falle einer tatsächlichen Verfolgung oder Gefährdung im Herkunftsstaat wäre der Beschwerdeführer wohl kaum einige Tage in Griechenland als erstem Land der Europäischen Union verblieben (AS 7, 119), ohne dort einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Die genannten Umstände sprechen insgesamt in der Tat nicht dafür, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat tatsächlich Verfolgung(sgefahr) ausgesetzt war oder (im Falle der Rückkehr) wäre und internationalen Schutzes bedarf.

Darüber hinaus ist im Hinblick auf die Rückkehrbefürchtungen in Zusammenhang mit der Transidentität seiner ehemaligen Gattin festzuhalten, dass – anknüpfend an die vorigen Erwägungen zum Fluchtgrund – der Beschwerdeführer selbst innerhalb der mündlichen Verhandlung diesbezüglich nicht in der Lage war, gleichbleibende und insoweit glaubhafte Angaben zur angeblich ihm drohenden Rückkehrgefährdung zu tätigen. In diesem Zusammenhang gilt es zu bedenken, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nochmals ausdrücklich aufgefordert wurde, nur wahrheitsgemäße Angaben zu machen (Seite 3 des Verhandlungsprotokolls). Dennoch behauptete der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung, dass seine ehemalige Gattin auf Instagram groß gepostet habe, dass sie das Geschlecht gewechselt habe bzw. ein „Er“ geworden sei (Seite 6f des Verhandlungsprotokolls). In der Folge war der Beschwerdeführer jedoch nicht in der Lage entsprechende Bescheinigungsmittel, beispielsweise einen diesbezüglichen Ausdruck vom Instagram-Account oder sonstige Berichte seiner Ehegattin, in Vorlage zu bringen (Seite 7f des Verhandlungsprotokolls). Weder auf der vom Beschwerdeführer angesprochenen Internetseite römisch 40 noch auf Instagram ist ersichtlich, dass die ehemalige Gattin des Beschwerdeführers ihr Geschlecht geändert hat.

Außerdem ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass das vom Beschwerdeführer und seiner ehemaligen Ehegattin erstattete Vorbringen in folgendem Punkt widersprüchlich ist. So behauptete der Beschwerdeführer, dass es logisch sei, dass die Familie der ehemaligen Gattin von der Scheidung wisse, da seine ehemalige Gattin es ganz groß gepostet habe, dass sie ein „Er“ geworden sei. Deren Schwester, Freundinnen und Verwandten hätten es erfahren (Seite 7 des Verhandlungsprotokolls). Die ebenso dazu befragte ehemalige Ehegattin des Beschwerdeführers legte wiederum in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dar, dass ihre Familie nichts von ihrem Outing bzw. ihrer Transidentität wisse (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls im Akt der Gattin). Dass der Beschwerdeführer hier dieses vermeintliche Outing ins Treffen führt, belastet sein Vorbringen daher mit weiteren Zweifeln.

Besonders zu berücksichtigen ist auch, dass der Beschwerdeführer – wie bereits vorangehend ausgeführt – in der mündlichen Verhandlung darlegte, dass seine ehemalige Gattin auf Instagram veröffentlicht habe, dass sie das Geschlecht geändert habe, weshalb ihre Familie hiervon Kenntnis erlangt habe (Seite 6 des Verhandlungsprotokolls). Seine ehemalige Gattin führte hingegen in der mündlichen Verhandlung aus, dass der Beschwerdeführer ihren Eltern das Polizeiprotokoll gesandt, diese kontaktiert und ihnen mitgeteilt habe, dass sie ein Mann geworden sei. Von ihren Eltern darauf angesprochen, habe sie – um ihre Familie nicht zu verlieren – einen Wechsel des Geschlechts verneint und bestätigt, eine Frau zu sein (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls im Akt der Gattin). Diesbezüglich erinnert das Bundesverwaltungsgericht daran, dass die ehemalige Gattin in deren Verfahren nachvollziehbar darlegen konnte, weshalb es zur Heirat mit dem Beschwerdeführer im Irak kam und diese auch von sich aus – im Gegensatz zum Beschwerdeführer – richtigstellte, welche Angaben vor dem BFA nicht der Wahrheit entsprachen. Die vom Beschwerdeführer im Verfahren vorgebrachten Probleme vor seiner Ausreise waren hingegen im Wesentlichen – wie vorangehend ausgeführt – auf Grund seiner persönlichen Unglaubwürdigkeit und der zahlreichen Widersprüche im Vorbringen als gedankliches Konstrukt zu qualifizieren. Insofern erscheint es auch in diesem Punkt naheliegend, den Schilderungen der ehemaligen Gattin zu folgen und erschüttert dies die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nochmals massiv. Dass seine ehemalige Gattin Gründe haben könnte, insofern wahrheitswidrige Aussagen zu tätigen, ist nicht im Geringsten ersichtlich.

Ferner darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung behauptete, dass seine ehemalige Schwiegerfamilie bei seinem Vater gewesen sei, weil man ihm (als Ehemann) die Schuld an der Geschlechtsänderung gegeben habe. Sein Vater sei in der Folge gezwungen worden, zu unterschreiben, dass sein Sohn – der Beschwerdeführer – aus der Familie verstoßen werde (Seite 6 des Verhandlungsprotokolls). Davon, dass es zu einer solchen Vorgehensweise einschließlich Zwang gegenüber dem Vater des Beschwerdeführers gekommen sei, war jedoch bei der ehemaligen Gattin des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung nicht die Rede. Stattdessen schilderte die ehemalige Gattin des Beschwerdeführers – wie vorangehend ausgeführt – glaubhaft, dass ihre Familie nichts von ihrem Outing bzw. der Transidentität wisse (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls im Akt der Gattin), weshalb auch diese – im Widerspruch zum Vorbringen der ehemaligen Gattin stehenden – Schilderungen des Beschwerdeführers seine Glaubwürdigkeit bzw. die Glaubhaftigkeit seines diesbezüglichen Vorbringens erschüttern.

In diesem Zusammenhang erlaubt sich das Bundesverwaltungsgericht darüber hinaus auf die wider den Beschwerdeführer erlassene Einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts römisch 40 vom 27.10.2021 zu verweisen (OZ 16 im Akt der Gattin). Demnach wollte der Beschwerdeführer seine damalige Gattin unter anderem am 27.08.2021 nicht aus der Wohnung lassen, bis diese die Eltern von der Trennung verständigte. Ferner trafen sich der Beschwerdeführer und seine damalige Ehegattin am 06.09.2021 mit zwei Freunden in einem Park, um über Themen, wie das Asylverfahren, die Wohnung, finanzielle Themen und eine allfällige Scheidung, zu sprechen. Dabei war der Beschwerdeführer ebenfalls aufgebracht und beschimpfte seine damalige Gattin als „Hure“ und sagte, er werde ihr Leben zerstören, so wie sie sein Leben zerstört habe. Am 23.09.2021 drohte der Beschwerdeführer zudem seiner ehemaligen Gattin mit sexueller Gewalt und rief sie 29 Mal an. Am 24.09.2021 erfolgten nochmals 25 Anrufe über WhatsApp und mobil. Außerdem drohte der Beschwerdeführer, die Eltern seiner ehemaligen Gattin über die Transsexualität in Kenntnis zu setzen. Im September erzählte der Beschwerdeführer den Eltern seiner ehemaligen Gattin, dass diese lesbisch sei und ihn mit einer Frau betrüge. Da er die Eltern seit Ende August fortdauernd anrief, vermuteten diese, dass mit ihm etwas nicht stimme, und glaubten seinen Angaben nicht. Als die Eltern der damaligen Gattin diese verteidigten, drohte ihnen der Beschwerdeführer mit „Stammesgewalt“, wenn sich die damalige Gattin nicht seinen Vorstellungen entsprechend verhalte. Insofern die ehemalige Gattin diese Feststellungen zum Verhalten des Beschwerdeführers in ihrem Antrag auf Einstweilige Verfügung umfassend und glaubhaft vorbrachte, diese im Wesentlichen im Einklang mit den Zeugeneinvernehmungen der ehemaligen Gattin standen und die unzähligen – vom Beschwerdeführer auch getätigten – Anrufe zudem in den vorgelegten Anrufprotokollen dokumentiert waren, stützt dies ebenfalls einerseits die vorangehenden Ausführungen der ehemaligen Gattin zum Verhalten des Beschwerdeführers und erschüttert andererseits dessen Glaubwürdigkeit. Dieses Verhalten bzw. die Äußerungen – insbesondere gegenüber den Eltern der ehemaligen Gattin – zeugen zudem davon, dass er in keiner Weise eine Bedrohung und/oder Verfolgung wegen der Transidentität seiner ehemaligen Gattin fürchtet. Tatsächlich trat der Beschwerdeführer gegenüber seinen ehemaligen Schwiegereltern sogar vielmehr selbst drohend in Erscheinung.

Auch folgende Erwägungen sprechen maßgeblich gegen die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers und somit dagegen, dass er wegen der Transidentität seiner Gattin bei einer Rückkehr bedroht und/oder verfolgt werden würde: Demnach mutet es kurios an, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zunächst bezüglich der Frage, woher die Familie seiner ehemaligen Gattin von der Scheidung erfahren habe, einerseits erläuterte, dass er es nicht genau wisse, es jedoch logisch sei, dass diese von der Scheidung wisse, da seine ehemalige Gattin es ganz groß gepostet habe, dass sie ein „Er“ geworden sei. Deren Schwester, Freundinnen und Verwandten hätten es erfahren. Andererseits erklärte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung wenig später, dass seine ehemalige Gattin Gerüchte über ihn verbreitet bzw. gelogen habe, wonach er Drogen und Alkohol konsumieren würde, um auf diese Weise die Scheidung gegenüber ihren Freundinnen zu begründen (Seite 7 des Verhandlungsprotokolls). Es erscheint kaum nachvollziehbar, dass die ehemalige Gattin, nachdem sie den Wechsel ihres Geschlechts öffentlichkeitswirksam gepostet haben soll, womit der Grund, weshalb die Beziehung zum Beschwerdeführer keinen Bestand mehr hatte, bereits offensichtlich war, in der Folge zur Begründung der Scheidung die zuvor angesprochenen Gerüchte über den Beschwerdeführer gestreut haben soll. Dass Menschen im Umfeld der ehemaligen Gattin bei Kenntnis des Wechsels ihrer Geschlechtsidentität noch davon ausgehen würden, dass ein angeblicher Alkohol- und oder Drogenkonsum die Ursache für die Scheidung gewesen sein soll, erscheint äußerst lebensfremd.

Abschließend darf noch zur Vollständigkeit angemerkt werden, dass der Beschwerdeführer darüber hinaus konsularische Dienstleistungen der irakischen Botschaft in Wien in Anspruch nahm, um in seinem Strafverfahren wegen Urkundenfälschung belegen zu können, dass es sich bei den von ihm in Österreich vorgelegten irakischen Führerschein um keine Totalfälschung handle (OZ 22). Der Beschwerdeführer verhielt sich wie ein Staatsbürger, der sich auf Grund eines Aufenthalts(titels) ohne Flüchtlingsstatus in einem Drittstaat aufhält und eben fallweise die Leistungen der Behörden des Herkunftsstaats in Anspruch nimmt, wenn es erforderlich ist. Im gegenständlichen Fall ist der Kontakt zur Botschaft jedenfalls auch als Indiz einer fehlenden Bedrohung und/oder Verfolgung durch den Herkunftsstaat anzusehen.

Die getroffenen Feststellungen zum Irak beruhen auf den dem Beschwerdeführer bereits mit Note vom 23.08.2022 (OZ 35) übermittelten Länderberichten. Es handelt sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation im Irak ergeben. Angesichts der Seriosität der darin angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer hatte die Möglichkeit, zu den Länderinformationen Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer und dessen rechtsfreundliche Vertretung traten diesen Feststellungen schriftlich nicht entgegen. Wenn seitens des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung beiläufig die Aktualität der herangezogenen Länderinformationsquellen thematisiert wird (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls), so ist festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht auf Grund der Lageentwicklung im Herkunftsstaat eine Gesamtaktualisierung der Quellen vorgenommen hat und auf Grundlage rezenter Berichte die in Anbetracht des Profils des Beschwerdeführers erforderlichen Feststellungen getroffen wurden. Was zudem die in diesem Zusammenhang angesprochenen Demonstrationen/Unruhen, insbesondere im Sommer 2022 in der grünen Zone im Zentrum von Bagdad, und deren Folgen betrifft (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls), so erlaubt sich das Bundesverwaltungsgericht bezüglich der im Irak immer wieder stattfindenden und abschnittsweise mit gewalttätigen Ausschreitungen verbundenen Proteste (gegen die Regierung) allgemein darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer dazu kein Vorbringen erstattete und insbesondere nicht ankündigte, sich an diesen Protesten beteiligen zu wollen oder darauf bezogene Rückkehrbefürchtungen zu hegen. Ausgehend davon ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts auszuschließen, dass sich der Beschwerdeführer etwa an der Besetzung, Verwüstung und Inbrandsetzung von Gebäuden beteiligen oder aktiv den Konflikt mit Sicherheitskräften oder Dritten bei solchen Protesten suchen wird. Das Bundesverwaltungsgericht geht deshalb nicht davon aus, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat dort als regierungskritisch eingestellte Person bekannt und deshalb einer erhöhten Gefährdung bei einer Teilnahme an (friedlichen) regierungskritischen Protesten ausgesetzt wäre, weshalb es sich erübrigt noch näher auf dieses Vorbringen einzugehen.

Insoweit in der Beschwerde vom 17.07.2018 und in der Stellungnahme vom 01.04.2019 auf aus dem Februar 2019 und älter stammende Länderberichte zur Sicherheitssituation im Irak und in Bagdad im Speziellen (AS 289ff; OZ 9) zur Untermauerung des Vorbringens verwiesen wird, bleibt festzuhalten, dass diese Berichte jedenfalls als veraltet zu qualifizieren sind. Diese sind durch die dem Beschwerdeführer mit Note vom 23.08.2022 vorab zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelten aktuellen Erkenntnisquellen als überholt zu qualifizieren.

Bezüglich der in der Stellungnahme vom 01.04.2019 zitierten Berichte zur Lage von (als „unislamisch“ bzw. „westlich“ zu bezeichnenden) Frauen und Atheisten (OZ 9) ist wiederum anzumerken, dass diese Berichte – insoweit sie sich auf die Lage von Frauen und Atheisten beziehen – keine Relevanz für den vorliegenden Fall haben, da es sich beim Beschwerdeführer weder um eine Frau handelt, noch ist der Beschwerdeführer Atheist.

Was die in der Stellungnahme vom 01.04.2019 im Übrigen auszugsweise zitierten Berichte zur Situation der Sunniten im Irak (OZ 9) betrifft, zeigt der Beschwerdeführer hiermit weder eine Unrichtigkeit, noch eine Unvollständigkeit der dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebrachten Länderinformationsquellen zur gegenwärtigen Lage auf und kann hinsichtlich seiner Stellungnahme auf die nachstehenden Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verwiesen werden.

Eine besondere Auseinandersetzung mit der Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit des Staates einschließlich diesbezüglicher Feststellungen ist nur dann erforderlich, wenn eine Verfolgung durch Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen festgestellt wird vergleiche VwGH 02.10.2014, Ra 2014/18/0088). Da der Beschwerdeführer jedoch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keine von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehende Verfolgung zu gewärtigen hatte, sind spezifische Feststellungen zum staatlichen Sicherheitssystem sowie zur Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit im Herkunftsstaat nicht geboten.

Darüber hinaus wird in der gegenständlichen Entscheidung seitens des Bundesverwaltungsgerichts keine innerstaatliche Fluchtalternative herangezogen, sodass diesbezügliche nähere Feststellungen ebenso wenig geboten sind, wie eine nähere Auseinandersetzung mit dem diesbezüglichen Vorbringen in der Stellungnahme vom 01.04.2019 (OZ 9).

römisch IV. Rechtliche Beurteilung:

A) Teilweise Stattgabe der Beschwerde:

1. Abweisung der Beschwerde betreffend die Nichterteilung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß Paragraph 3, Absatz 3, AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6, AsylG) gesetzt hat.

Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK, also aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche VwGH 22.3.2017, Ra 2016/19/0350; 12.3.2020, Ra 2019/01/0472, jeweils mwN; vergleiche zum hinsichtlich der Glaubhaftmachung einer Verfolgungsgefahr anzulegenden Prüfungsmaßstab näher jüngst VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0472). Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an vergleiche VwGH 25.05.2020, Ra 2019/19/0192 unter Hinweis auf VwGH 27.6.2019, Ra 2018/14/0274, mwN).

Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen vergleiche etwa VwGH 11.12.2019, Ra 2019/20/0295, Rn. 27, unter Bezugnahme auf Artikel 9, Absatz eins, der Statusrichtlinie 2011/95/EU).

Fehlt ein kausaler Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen, kommt die Asylgewährung nicht in Betracht vergleiche VwGH 16.4.2020, Ra 2019/14/0505, Rn. 17, mwN).

Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG in Verbindung mit Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe vergleiche VwGH 23.02.2017, Ra 2016/20/0089 unter Hinweis auf VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151, mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er aufgrund staatlicher Verfolgung mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil aufgrund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohl begründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen vergleiche VwGH 24.03.2011, 2008/23/1101 unter Hinweis auf VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist vergleiche VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119 unter Hinweis auf VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793, mwN).

Da der Beschwerdeführer den behaupteten Fluchtgrund, dass ihm auf Grund einer vorehelichen sexuellen Beziehung mit seiner späteren Ehegattin und der im Anschluss ohne Einverständnis und gegen den Willen der Eltern und Schwiegereltern eingegangenen Ehe Bedrohung und/oder Verfolgung durch seine Familie und seine Schwiegerfamilie drohe sowie die vom Beschwerdeführer geäußerten Rückkehrbefürchtungen bezüglich einer Bedrohung und/oder Verfolgung in Zusammenhang mit der Transidentität seiner ehemaligen Ehegattin durch seine Familie und seine Schwiegerfamilie, nicht hat glaubhaft machen können, liegt die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl, die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, diesbezüglich nicht vor.

Der Beschwerdeführer gehört außerdem der arabischen Volksgruppe und damit der in Bagdad mehrheitlich vertretenen Ethnie an und ist in dieser Hinsicht nicht exponiert. Schwierigkeiten aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit vor der Ausreise oder im Fall einer Rückkehr kamen im Verfahren nicht hervor.

Hinsichtlich des bloßen Umstands der formalen Zugehörigkeit zum Islam sunnitischer Prägung ist darauf hinzuweisen, dass sich entsprechend der herangezogenen Länderberichte die Situation für sunnitische Araber nicht derart gestaltet, dass von Amts wegen aufzugreifende Anhaltspunkte dafür existieren, dass gegenwärtig Personen sunnitischer Religionszugehörigkeit im Irak generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit einer eine maßgebliche Intensität erreichenden Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden.

Aus den Feststellungen zur Lage im Irak geht im Hinblick auf die Lage der sunnitischen Minderheit hervor, dass in Bagdad (wie überhaupt im Irak) zahlreiche Sunniten leben und sunnitische Araber ca. 17 bis 22 % der Gesamtbevölkerung von ca. 36 Millionen Einwohnern ausmachen. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt im gegebenen Zusammenhang nicht, dass die irakische Gesellschaft bereits seit dem Sturz des (sunnitisch geprägten) Regimes von Saddam Hussein in zunehmendem Maße religiös gespalten ist und sich in den Jahren 2006 bis 2008 massive konfessionelle Konflikte ereigneten. Während des Bürgerkriegs der (ebenfalls sunnitischen) Milizen des Islamischen Staates wurde die sunnitische Minderheit im Irak darüber hinaus oftmals einerseits für das Erstarken des Islamischen Staates und die damit verbundenen zahlreichen vornehmlich schiitischen Opfer unter den Sicherheitskräften und Zivilisten verantwortlich gemacht und andererseits selbst fallweise mit einer unterstellten Sympathie gegenüber dem Islamischen Staat konfrontiert. Bagdad und die umgebenden Gebiete sind in zunehmendem Maße religiös gespalten und in schiitische und sunnitische Viertel geteilt, wobei die schiitisch dominierten Viertel auf Grund von Vertreibungen durch Regierungstruppen und schiitische Milizen zunehmen.

Eine systematische Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Minderheit durch die schiitische Mehrheitsbevölkerung in der Stadt Bagdad kann dessen ungeachtet angesichts der Quellenlage nicht nachvollzogen werden. Ein genereller Ausschluss von Sunniten vom Arbeitsmarkt und von Bildungseinrichtungen liegt in Anbetracht der Quellenlage sowie den vom Bundesverwaltungsgericht bei der Bearbeitung ähnlich gelagerter, den Irak betreffender Verfahren gewonnenen Wahrnehmungen ebenfalls nicht vor. So ist auch eine Schwester des Beschwerdeführers in Bagdad berufstätig.

Dazu tritt, dass ausweislich der Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak hohe Staatsämter, etwa jenes des Parlamentspräsidenten, auch von Sunniten bekleidet werden und diese auch im irakischen Parlament repräsentiert sind, war auch gegen eine Verfolgung sämtlicher Angehöriger des sunnitischen Religionsbekenntnisses im Irak spricht. Würde eine Gruppenverfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung im Irak tatsächlich stattfinden, wäre ferner mit Sicherheit davon auszugehen, dass entsprechende eindeutige und aktuelle Quellen vorhanden wären.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass von schiitischen Milizen Menschenrechtsverletzungen ausgingen und auch eine quantitativ nicht näher feststellbare Zahl von Übergriffen auf sunnitische Iraker stattfindet, welche über Diskriminierungen und Schikanen hinausgehen und als Verfolgungshandlungen anzusehen sind. Ausweislich der vorliegenden Berichte sind auch in Bagdad von Milizen (wie etwa Asa'ib Ahl al-Haqq) ausgehende Gewaltakte gegen sunnitische Araber dokumentiert und kommen Entführungen und außergerichtliche Hinrichtungen ebenso vor wie die bereits zuvor angesprochenen Vertreibungen mit dem Ziel einer religiösen Homogenisierung.

Bei einer Abwägung der Feststellungen zu rezenten Übergriffen auf sunnitische Araber in Bagdad einerseits und den aus den Feststellungen zur Sicherheitslage ersichtlichen Angaben zu zivilen Opfern und der Bevölkerungszahl von etwa acht Millionen Menschen in der Provinz Bagdad andererseits ist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts allerdings schon in Anbetracht der Opferzahlen nicht davon auszugehen, dass sämtliche sunnitischen Araber in Bagdad mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ungerechtfertigte Eingriffe von erheblicher Intensität in ihre schützende persönliche Sphäre auf Grund ihres religiösen Bekenntnisses oder einer ihnen unterstellten Anhängerschaft zum Islamischen Staat zu gewärtigen hätten. Es gibt auch keine Zahlen, die zeigen würden, wie viele Sunniten etwa aus politischen oder religiösen Gründen getötet wurden. In Anbetracht der in den Feststellungen zur Lage in der Provinz Bagdad dargelegten jüngsten sicherheitsrelevanten Vorfälle ist die Wahrscheinlichkeit, einem zielgerichteten Übergriff schiitischer Milizen aus den eingangs erörterten Motiven zum Opfer zu fallen, derzeit jedenfalls nicht als erheblich anzusehen. Diese nur entfernte Möglichkeit, Opfer eines religiös oder politisch motivierten Übergriffes (von (schiitischen) PMF-Milizen) zu werden, genügt nicht zur Annahme einer Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Darüber hinausgehende Übergriffe auf sunnitische Araber betreffen ausweislich der Quellenlage jene Gebiete, die vom Islamischen Staat zurückerobert wurden und richten sich gegen die dort ansässige Bevölkerung auf Grund ihrer mutmaßlichen Unterstützung des Islamischen Staates. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers ist jedoch in die Stadt Bagdad zu erwarten, wo er geboren wurde und sich bis zu seiner Ausreise aufgehalten hat, sodass nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass der Beschwerdeführer Vergeltungsmaßnahmen als mutmaßlicher Unterstützer des Islamischen Staates zu gewärtigen hätte. Der Beschwerdeführer ist außerdem kein Binnenvertriebener und gehört auch nicht staatlichen Sicherheitskräften an, sodass in Ansehung seiner Person keine risikoerhöhenden Umstände zu erkennen sind.

In der Provinz Bagdad mit einem erheblichen sunnitischen Bevölkerungsanteil beträgt die Einwohnerzahl etwa acht Millionen Personen. Insbesondere vor diesem Hintergrund wäre zu erwarten, dass eine tatsächlich vorhandene zielgerichtete Verfolgung aller Sunniten entsprechenden deutlichen Niederschlag in den Berichten finden würde, was aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts jedoch nicht zutrifft. Darüber hinaus wäre zu erwarten, dass die in Bagdad verbliebenen Verwandten des Beschwerdeführers im Fall einer tatsächlichen zielgerichteten Verfolgung sunnitischer Araber ebenfalls von Verfolgung betroffen gewesen wären, was jedoch nicht zutrifft. Dem Bundesverwaltungsgericht ist ferner aus zahlreichen ähnlichen Verfahren bekannt, dass in Bagdad nach wie vor zahlreiche sunnitische Familien unbehelligt leben. Der Verwaltungsgerichtshof ist im Übrigen einer behaupteten Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak in mehreren Entscheidungen nicht nähergetreten vergleiche VwGH 25.04.2017, Ra 2017/18/0014; 29.06.2018, Ra 2018/18/0138; 19.06.2019, Ra 2018/01/0379; 25.06.2019, Ra 2019/19/0193; 10.07.2019, Ra 2019/14/0225, und 18.07.2019, Ra 2019/19/0191).

Dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise als Schauspieler/Künstler tätig war und dass er sich als liberalen und westlich orientierten Menschen ansieht, begründet ausweislich der getroffenen Feststellungen ebenso wenig eine maßgebliche Gefährdung im Rückkehrfall. So hat zwar die jahrelange Gewalt und der offenkundige Zusammenbruch von Recht und Ordnung im Irak ein Klima geschaffen, das einen Anstieg des religiösen Extremismus und der Anwendung von Stammesbräuchen ermöglicht hat, so dass Personen von sunnitischen und schiitischen bewaffneten Gruppen sowie ihren eigenen Familien wegen ihrer "säkularen Orientierung" oder wegen Nichtbefolgung konservativer islamischer oder sozialer Normen ins Visier genommen worden sind. Künstler wurden in der Vergangenheit wegen ihres Verhaltens, ihrer Kleidung oder ihres Berufs, die als "unislamisch" oder "westlich" wahrgenommen worden seien, gebrandmarkt. Es wird auch nicht in Abrede gestellt, dass – wie in den in der Stellungnahme vom 01.04.2019 auszugsweise zitierten Berichten ausgeführt (OZ 9, Seite 5f) – hinsichtlich eines nicht-konservativen Lebensstils die religiösen Zwänge insbesondere im Südirak wieder zugenommen haben, jedoch die Durchsetzung nicht gesetzlich vorgeschriebener islamischer Regeln wie das Tragen eines Kopftuchs an Schulen und Universitäten eben insbesondere den schiitisch geprägten Südirak betrifft. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass Menschenrechtsverletzungen schiitischer Milizen dokumentiert sind und solche auch in Bagdad auftreten, ferner dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass schiitische Milizen bestimmte künstlerische Aktivitäten als unislamisch wahrnehmen und sich deshalb Übergriffe ereignen können. Aktuelle Übergriffe gegen Künstler, etwa gar in maßgeblicher Intensität und Anzahl, können aus den getroffenen Feststellungen jedoch nicht abgeleitet werden, weshalb sich eine maßgeblich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers auf Grund seines Lebensstils und/oder seines künstlerischen Engagements nicht erwarten lässt.

Auch dem EUAA Leitfaden zum Irak vom Juni 2022 lässt sich kein Risikoprofil in Bezug auf Künstler entnehmen, welches auf eine maßgeblich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr schließen lässt.

Weiters muss das Vorbringen des Asylwerbers, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen vergleiche VwGH 15.3.2016, Ra 2015/01/0069).

Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer keine Verfolgung aus in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht. Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen ebenso wie allfällige persönliche und wirtschaftliche Gründe keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Es besteht im Übrigen keine Verpflichtung, Asylgründe zu ermitteln, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat (VwGH 21.11.1995, 95/20/0329 mwN).

Es gibt bei Zugrundelegung des Gesamtvorbringens des Beschwerdeführers keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Irak maßgeblich wahrscheinlich Gefahr laufen würde, einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten vergleiche VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

2. Abweisung der Beschwerde betreffend die Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Ziffer eins,) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Ziffer 2,), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 2, AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 3, AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des Paragraph 11, offen steht.

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Artikel 3, EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Artikel 3, EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Artikel 3, EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen vergleiche VwGH 08.11.2021, Ra 2021/19/0226 unter Hinweis auf VwGH 16.03.2021, Ra 2020/19/0324, mwN).

Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Artikel 3, EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen vergleiche VwGH 08.09.2021, Ra 2021/20/1251).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Artikel 2, oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Artikel 2, oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen vergleiche VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016, mwN).

Im gegenständlichen Fall konnte der Beschwerdeführer eine individuelle Bedrohung bzw. Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft machen und er gehört auch keiner Personengruppe mit speziellem Risikoprofil an, weshalb sich daraus auch kein zu berücksichtigender Sachverhalt ergibt, der gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG zur Unzulässigkeit der Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung in den Herkunftsstaat führen könnte.

Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat (in die Stadt Bagdad) Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Artikel 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substantiell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte.

Es kann auch nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak (in der Stadt Bagdad) die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Artikel 3, EMRK überschritten wäre vergleiche VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059), hat doch der Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre. Wie der Beschwerdeführer vorbrachte, sind sein Vater und seine Schwester in seiner Herkunftsregion Bagdad aufhältig und finden sich in den Schilderungen des Beschwerdeführers keine glaubhaften Hinweise auf eine nicht intakte Beziehung zu diesen Personen. Sein Vater befindet sich bereits im Ruhestand und bezieht eine Pension. Ferner arbeitet die Schwester des Beschwerdeführers in einem Büro in der Verrechnungsabteilung. Der Beschwerdeführer wird daher bei in Bagdad lebenden und unterstützungsfähigen wie unterstützungswilligen Mitgliedern der Kernfamilie sozialen Anschluss und eine konkrete Unterstützung durch die unentgeltliche Zurverfügungstellung von Wohnraum und Nahrung vorfinden. Des Weiteren leben auch Tanten und Onkel des Beschwerdeführers im Irak. Insoweit ist von der Möglichkeit der Unterstützung des Beschwerdeführers durch sein grundsätzlich ausreichend leistungsfähiges familiäres Netz auszugehen. Auch wenn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der einzelnen Verwandten beschränkt sein sollte, konstituiert deren Anzahl aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts ein hinreichend leistungsfähiges familiäres Netzwerk, welches den Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in die Herkunftsregion unterstützen kann. Zu beachten ist darüber hinaus, dass von Seiten des in der Türkei aufhältigen Bruders des Beschwerdeführers auch finanzielle Transaktionen oder die Übermittlung von Warensendungen (z.B. Lebensmittel) von der Türkei aus in den Irak möglich sind.

Soweit in den Feststellungen zur Lage im Irak abschnittsweise auf eine prekäre Versorgungssituation hingewiesen wird, ergibt sich aus den diesbezüglichen Feststellungen klar, dass diese Unzulänglichkeiten die zuletzt umkämpften und vormals unter der Kontrolle des Islamischen Staates stehenden Gebiete vorwiegend betreffen und nicht die Provinz Bagdad, welche nie vom Islamischen Staat erobert und auch nicht bei Kampfhandlungen zerstört wurde. Dass die Versorgungssituation in der Provinz Bagdad an sich unzureichend sei, wurde im Übrigen nicht substantiiert vorgebracht.

Nach dem festgestellten Sachverhalt besteht auch kein Hinweis auf „außergewöhnliche Umstände“, welche eine Rückkehr des Beschwerdeführers in den Irak unzulässig machen könnten.

Betreffend die Sicherheitslage im Irak, insbesondere in der Provinz Bagdad, ist zunächst auf die Länderfeststellungen zu verweisen, wonach die Lage stabil ist und infolge der militärischen Niederlage des Islamischen Staates in den vergangenen Jahren ein gravierender Rückgang der sicherheitsrelevanten Vorfälle und der damit einhergehenden zivilen Opfer eingetreten ist. Es ereignen sich nur wenige sicherheitsrelevante Vorfälle mit einer in Anbetracht der Einwohnerzahl geringen Anzahl von Todesopfern. Im Juli 2021 wurden 18 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten, davon 38 Zivilisten, und 59 zivile Verletzte verzeichnet. 14 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben. Am 19.07.2021 führte der IS ein Selbstmordattentat in einem Markt in Sadr City aus, bei dem 35 Menschen getötet und 59 verletzt wurden. Vier Vorfälle, ein IED-Angriff gegen einen Versorgungskonvoi der USA, zwei Raketenbeschüsse der Grünen Zone sowie die Entschärfung einer Rakete, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Im August 2021 wurden zehn Vorfälle, mit acht Toten und elf Verwundeten verzeichnet, wobei zwei der Verwundeten Zivilisten waren. Sechs Angriffe werden dem IS zugeordnet, vier pro-iranischen Milizen. Der IS war im Gouvernement Bagdad neuerlich in al-Tarmiyah am aktivsten, wo unter anderem ein Brigade-Hauptquartier der Volksmobilisierungskräfte (PMF) angegriffen wurde. Bei den vier Vorfällen unter Beteiligung pro-iranischen Milizen handelt es sich um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der US-Streitkräfte. Im September 2021 wurde lediglich ein IED-Angriff von PMF auf einen Versorgungskonvoi der US-Streitkräfte verzeichnet. Im Oktober 2021 wurden neun Vorfälle mit zwei Toten und vier Verletzten verzeichnet, wobei alle Opfer Zivilisten waren. Sieben Angriffe werden dem IS zugeschrieben, zwei pro-iranischen Milizen. Im November 2021 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Verletzten verzeichnet. Ein Vorfall wird mit dem IS in Verbindung gebracht, während der zweite pro-iranischen Milizen zugeschrieben wird. Im Dezember 2021 wurden drei Vorfälle ohne Opfer verzeichnet, die pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden. Bei zweien handelte es sich um IED-Angriffe auf US-Versorgungskonvois, bei einem um Raketenbeschuss auf die Grüne Zone. Im Jänner 2022 wurden 22 sicherheitsrelevante Vorfälle mit drei Toten und 13 Verletzten verzeichnet. Sechs dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben. Es kam zu Zwischenfällen in al-Tarmiyah und Taji, sowie zu einem Bombenanschlag im südlichen Madain. Für 16 Vorfälle werden pro-iranische Milizen verantwortlich gemacht. Dazu zählten sechs IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, eine weitere IED konnte entschärft werden. Mehrere Raketen und Drohnenangriffe im Lauf des Monats werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben: Am 03.01.2022 wurden bewaffnete Drohnen nahe dem Internationalen Flughafen Bagdad abgeschossen. Am 05.01.2022 wurde die US-Basis Camp Victory nahe dem Internationalen Flughafen Bagdad von Raketen getroffen. Am 28.01.2022 schlugen Raketen am Internationalen Flughafen Bagdad ein. Des Weiteren wurden bei Raketenbeschuss der Green Zone, neben dem Gelände der US-Botschaft auch eine Schule getroffen, wobei eine Frau und zwei Kinder verletzt wurden. Es kam auch zu mehreren Vorfällen politischer Gewalt durch pro-iranische Gruppen. Es wird angenommen, dass diese Druck auf Muqtada al-Sadr und seine Verbündeten ausüben, damit der sogenannte Koordinationsrahmen (CF), dem alle wichtigen [pro-iranischen] schiitischen Parteien außer der al-Sadrs angehören, in die neue Regierung aufgenommen werden. Es kam zu einem Bombenanschlag auf das Büro der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) in Bagdad, zu einem Angriff mit einem Molotow-Cocktail auf ein Gebäude von al-Sadrs Partei, zu einem Mordanschlag auf einen KDP-Funktionär, sowie zu Granatenangriffen auf Gebäude der sunnitischen Parteien Taqqadum und Azm in Bagdad. Schließlich wurden auch zwei kurdische Banken in der Hauptstadt bombardiert. Im April 2022 wurden sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und vier Verletzten registriert. Vier werden dem IS zugeschrieben, drei pro-iranischen Milizen, darunter ein IED Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA. Im Mai 2022 wurden fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Verletzten verzeichnet, von denen vier dem IS und einer pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden. Im Juni 2022 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle ohne Opfer verzeichnet, wobei je einer dem IS und pro-iranischen Milizen zugeschrieben wird. Im Beobachtungszeitraum Juli 2021 bis Juni 2022 bewegten sich die monatlichen sicherheitsrelevanten Vorfälle zwischen einem und 22.

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann daher in Anbetracht der dargestellten Gefahrendichte in der Provinz Bagdad nicht erkannt werden, dass schon auf Grund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers in der Stadt Bagdad davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines terroristischen Anschlags, krimineller Aktivtäten oder von Polizeigewalt bei Demonstrationen und Ausschreitungen werden würde vergleiche VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 zur Lage in Bagdad). Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf den Beschwerdeführer, welche auf eine im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten oder im Hinblick auf willkürliche Gewalt im Zuge von Ausschreitungen bei Protesten oder kriminelle Aktivitäten hindeuten würden, wurden im Verfahren nicht vorgebracht.

Die allgemeine Sicherheitslage ist somit nicht dergestalt, dass jeder dorthin Zurückkehrende der realen Gefahr unterläge, mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einer Verletzung seiner durch Artikel 2, oder 3 EMRK garantierten Rechte ausgesetzt zu sein oder für ihn die ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt anzunehmen wäre.

Es erscheint daher eine Rückkehr des Beschwerdeführers in die Stadt Bagdad nicht grundsätzlich ausgeschlossen und auf Grund der individuellen Situation des Beschwerdeführers insgesamt auch zumutbar.

Bei dem 33jährigen Beschwerdeführer handelt es sich um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, bei welchem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der Beschwerdeführer verfügt darüber hinaus über eine mehrjährige Schul- und Universitätsausbildung mit einem Bachelorabschluss in „ römisch 40 “ und hat Berufserfahrung als Verkäufer im Textilhandel, Produktionsleiter, in einer Verrechnungsabteilung und Schauspieler. Sein Vater und seine Schwester leben in Bagdad. Aus welchen Gründen der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Irak nicht in der Lage sein sollte, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, ist nicht ersichtlich bzw. wurde auch nicht vorgebracht, zumal der Beschwerdeführer auch über den kulturellen Hintergrund und die erforderlichen Sprachkenntnisse für den Irak verfügt. Es kann sohin nicht erkannt werden, dass dem erwerbsfähigen Beschwerdeführer, der in der Stadt Bagdad über ein familiäres bzw. soziales Netz verfügt, im Falle einer Rückkehr in den Irak dort die notwendigste Lebensgrundlage entzogen und dadurch die Schwelle des Artikel 3, EMRK überschritten wäre. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat grundsätzlich in der Lage sein wird, ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Der Beschwerdeführer ist als irakischer Staatsbürger außerdem berechtigt, am Public Distribution System (PDS) teilzunehmen, einem sachleistungsorientierten Programm, bei dem die Regierung Lebensmittel kauft und an die Bevölkerung verteilt. Auch wenn das Programm von schlechter Organisation gekennzeichnet ist und Verzögerungen bei der Ausgabe der Rationen dokumentiert sind, ist zumindest von einer Unterstützung im Hinblick auf den Bedarf an Grundnahrungsmitteln auszugehen. Da der Beschwerdeführer an seinen Herkunftsort zurückkehren kann, sind keine Schwierigkeiten bei der neuerlichen Ausstellung von Lebensmittelbezugskarten zu erwarten. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Artikel 3, EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde vergleiche VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nicht vor.

Bei der Frage, ob im Fall der Rückführung eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 3, EMRK besteht, kommt es somit nicht darauf an, ob infolge von zur Verhinderung der Verbreitung von SARS-CoV-2 gesetzten Maßnahmen sich die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellt, solange die Sicherung der existentiellen Grundbedürfnisse weiterhin als gegeben anzunehmen ist vergleiche – zum Irak – VwGH 14.04.2021, Ra 2021/19/0099, mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat auch wiederholt ausgesprochen, dass ein Fremder im Allgemeinen zwar kein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und der Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Artikel 3, EMRK. Solche liegen jedoch jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt vergleiche VwGH 08.11.2021, Ra 2021/19/0226 unter Hinweis auf VwGH 21.5.2019, Ro 2019/19/0006, mwN und unter Hinweis auf EGMR 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41.738/10).

Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Artikel 3, EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben vergleiche VfSlg. 18.407/2008 und 19.086/2010).

Der Beschwerdeführer ist gesund. Vor diesem Hintergrund ergeben sich somit keine Hinweise auf das Vorliegen von akut existenzbedrohenden Krankheitszuständen oder Hinweise auf eine unzumutbare Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Rückverbringung des Beschwerdeführers in den Irak.

Was die Folgen der COVID-19-Pandemie im Irak betrifft ist festzuhalten, dass es sich bei COVID-19 um eine überregional auftretende Viruserkrankung handelt und kein Staat der Welt absolute Sicherheit vor dieser Erkrankung bieten kann, was die aktuellen Entwicklungen der Infektionszahlen in der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika belegen. Der Beschwerdeführer leidet an keiner zu beachtenden Vorerkrankung und gehört keiner Risikogruppe an vergleiche dazu die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, Bundesgesetzblatt römisch II. Nr. 203 aus 2020,). Nach der derzeitigen Sachlage und der festgestellten Anzahl an Infizierten – laut der World Health Organization beläuft sich im Irak, der ca. 36 Millionen Einwohner hat, die Zahl der bestätigten COVID-19-Erkrankungen auf 2.460.318 und die Zahl der Todesfälle auf 25.356 vergleiche das im Internet abrufbare World Health Organization (WHO) Dashboard zu COVID-19, Einsichtnahme am 05.10.2022) – wäre daher eine mögliche Ansteckung des Beschwerdeführers im Irak mit COVID-19 und ein diesbezüglicher außergewöhnlicher Krankheitsverlauf rein spekulativ. Eine reale und nicht auf Spekulationen gegründete Gefahr ist somit nicht zu erkennen. Die bloße Möglichkeit eines dem Artikel 3, EMRK allenfalls in der Zukunft widersprechenden Nachteils führt nicht zur Zuerkennung subsidiären Schutzes (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174 (siehe dazu VwGH 06.07.2020, Ra 2020/01/0176, wonach im Hinblick auf die bloße Möglichkeit einer Covid-19-Erkrankung einer nicht der Risikogruppe zugehörigen Person keine solch exzeptionellen Umstände vorliegen, die die reale Gefahr einer Verletzung von nach Artikel 3, EMRK garantierten Rechte darstellen)).

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Artikel 2 und 3 EMRK oder den relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 und Nr. 13 verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substantiell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

3. Abweisung der Beschwerde betreffend die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG (Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheides):

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder seit mindestens einem Jahr gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG geduldet, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt wurde. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Stattgabe der Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkte römisch IV.bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß Paragraph 52, Absatz 2, FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (Paragraph 10, AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der Beschwerdeführer ist als irakischer Staatsangehöriger kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und ihm kommt kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Daher ist gemäß Paragraph 52, Absatz 2, FPG eine Rückkehrentscheidung vorgesehen.

Gemäß Paragraph 52, FPG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG darf eine Rückkehrentscheidung jedoch nicht verfügt werden, wenn es dadurch zu einer Verletzung des Privat- und Familienlebens käme.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Artikel 8, EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen:

1.           die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.           das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.           die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.           der Grad der Integration,

5.           die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.           die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.           Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.           die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.           die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vergleiche VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005) stellen folgende Umstände – zumeist in Verbindung mit anderen Aspekten – Anhaltspunkte dafür dar, dass der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit zumindest in gewissem Ausmaß genützt hat, um sich zu integrieren: Erwerbstätigkeit des Fremden vergleiche E 26. Februar 2015, Ra 2014/22/0025; E 18. Oktober 2012, 2010/22/0136; E 20. Jänner 2011, 2010/22/0158), das Vorhandensein einer Beschäftigungsbewilligung vergleiche E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253), eine Einstellungszusage vergleiche E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082), das Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse vergleiche E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 14. April 2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032), familiäre Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen vergleiche E 23. Mai 2012, 2010/22/0128; (betreffend nicht zur Kernfamilie zählende Angehörige) E 9. September 2014, 2013/22/0247), ein Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich bzw. die Vorlage von Empfehlungsschreiben vergleiche E 18. März 2014, 2013/22/0129; E 31. Jänner 2013, 2011/23/0365), eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben vergleiche E 10. Dezember 2013, 2012/22/0151), freiwillige Hilfstätigkeiten vergleiche E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253), ein Schulabschluss vergleiche E 16. Oktober 2012, 2012/18/0062) bzw. eine gute schulische Integration in Österreich vergleiche E, 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082) oder der Erwerb des Führerscheins vergleiche E 31. Jänner 2013, 2011/23/0365).

Gegen den weiteren Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich und für die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung sprechen die Umstände, dass der Beschwerdeführer im Dezember 2015 unrechtmäßig in Österreich eingereist ist, sein Aufenthaltsstatus grundsätzlich ein unsicherer war und ihm dieser Umstand bewusst sein musste. Im Übrigen ist der Beschwerdeführer aktuell weder ehrenamtlich noch gemeinnützig tätig oder in Vereinen oder Organisationen aktiv.

Für den Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich spricht, dass sich der Beschwerdeführer bereits seit mehr als sechseinhalb Jahren in Österreich befindet. Es handelte sich im Fall des Beschwerdeführers auch um den ersten Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer hat im Wesentlichen stets an seinem Verfahren mitgewirkt, weshalb ihm die bisherige Verfahrensdauer nicht anzulasten ist. Der Beschwerdeführer ist auch strafrechtlich unbescholten, wobei nicht gänzlich außer Acht gelassen werden darf, dass beim Bezirksgericht römisch 40 wider den Beschwerdeführer ein Strafverfahren wegen Urkundenfälschung nach Paragraph 223, Absatz 2, StGB anhängig ist, welches zwecks weiterer Ermittlungen auf unbestimmte Zeit vertagt wurde.

Die bestehenden Bindungen zum Herkunftsstaat gestalten sich demgegenüber als abnehmend. Der Beschwerdeführer hat mehrere Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache besucht, die Prüfung ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A1 sehr gut und die Prüfung ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A2 sowie die Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz (Niveau: B1) und zu Werte- und Orientierungswissen des Österreichischen Integrationsfonds bestanden. Er beherrscht die deutsche Sprache. Er hat die Zeit seines bisherigen Aufenthalts zum Erwerb von fortgeschrittenen Kenntnissen der deutschen Sprache genutzt, so dass eine Kommunikation in deutscher Sprache ohne Schwierigkeiten jedenfalls möglich ist. Dem Beschwerdeführer ist des Weiteren zuzugestehen, dass er Anstrengungen gesetzt hat, sich wirtschaftlich zu integrieren. So besaß der Beschwerdeführer eine Gewerbeberechtigung für das freie Gewerbe Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten, und war im Umfang dieser Gewerbeberechtigung vom 03.11.2021 bis 12.08.2022 selbständig tätig. Aktuell geht der Beschwerdeführer seit 09.08.2022 einer unselbständigen Tätigkeit im Ausmaß von 40 Wochenstunden bei der römisch 40 GmbH als Kassenkraft und Tankwart nach. Der Beschwerdeführer erzielt damit ein die monatliche Geringfügigkeitsgrenze überschreitendes Einkommen und ist zur Sicherstellung seines Auskommens nicht mehr auf Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber angewiesen. Der Beschwerdeführer verfügt auch über eine geeignete eigene Unterkunft in Form einer Mietwohnung. In Anbetracht dessen ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer als selbsterhaltungsfähig angesehen werden kann. Der Beschwerdeführer hat in den vergangenen Jahren mannigfache soziale Kontakte – belegt durch mehrere Unterstützungserklärungen und ein Konvolut an privaten Fotografien – gewonnen und ist ferner – insbesondere angesichts der Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet – von einem hohen Grad der Integration und der Bindung an Freunde und damit einhergehend die Teilnahme am sozialen Leben auszugehen. Freilich entstand dieses zu einem Zeitpunkt, zu dem sich der Beschwerdeführer noch seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste, dessen ungeachtet fallen die vom Beschwerdeführer durch aktive Teilnahme am Gemeinschaftsleben und die von ihm ergriffenen Integrationsbestrebungen geschaffenen Anknüpfungspunkte stark ins Gewicht.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich in der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen und gelangt daher zu dem Ergebnis, dass im Fall des Beschwerdeführers das private Interesse des Beschwerdeführers an der Fortführung seines Privatlebens in Österreich das öffentliche Interesse an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme überwiegt.

Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, AsylG ist dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, da er mit erfolgreichen Absolvierung einer Integrationsprüfung des Österreichischen Integrationsfonds auf dem Sprachniveau B1 und mit der Ausübung einer erlaubten Erwerbstätigkeit, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze überschritten wird, das Vorliegen beider der lediglich alternativ erforderlichen Voraussetzungen der Ziffer 2, nachweisen konnte. Gemäß Paragraph 54, Absatz eins, Ziffer eins, in Verbindung mit Absatz 2, AsylG ist der Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen.

B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung mit der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes übereinstimmt.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2022:L524.2202028.1.00