Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

06.10.2022

Geschäftszahl

W114 2255154-2

Spruch


W114 2255154-2/11E

schriftliche Ausfertigung des am 13.09.2022 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

Im Namen der Republik!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark vom 01.07.2022, Zl. 1280027207/ 210953288, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.09.2022 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

1.            römisch 40 , im Weiteren Beschwerdeführer oder BF, ein afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte bereits am 05.02.2020 in Griechenland einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 04.12.2020 wurde ihm in Griechenland – befristet bis Jänner 2022 – der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gewährt.

2.           Der Beschwerdeführer reiste mit einem Flugzeug aus Griechenland kommend in Österreich ein und stellte am 14.07.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der am 14.07.2021 erfolgten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, am römisch 40 in Waramin in Iran geboren zu sein. Er sei noch nie in Afghanistan gewesen. Er sei ledig. Seine Muttersprache sei Dari. Er sei konfessionslos. Er habe 12 Jahre lang eine Grundschule besucht, habe jedoch noch nie gearbeitet. Im Iran seien die Lebensumstände schlecht gewesen. „Asylwerberber“ würden dort schlecht behandelt werden; es gebe dort weder Arbeit und auch keine Möglichkeiten, sich ausbilden zu lassen; er habe dort keine Zukunft gehabt. Da er noch nie in Afghanistan gewesen sei, wisse er nicht, was ihn dort erwarten würde.

3.           Bei der ersten Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 26.07.2021 führte der BF aus, dass er den Iran verlassen habe, weil er einfach nur nach Europa wollte, um hier ein ruhiges Leben zu führen.

4.           In einem ersten Bescheid des BFA vom 04.08.2021, Zl. 1280027207/210953288, wurde unter Spruchpunkt römisch eins. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß
§ 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich der Beschwerdeführer nach Griechenland zurückzubegeben habe.

5.           Einer dagegen erhobenen Beschwerde mit Schriftsatz vom 19.08.2021 wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 08.09.2021, GZ W212 2245681-1/4E, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid gemäß Paragraph 21, Absatz 3, 2. Satz BFA-VG behoben.

6.            Am 13.01.2022 fand eine zweite Einvernahme vor dem BFA statt. Dabei führte der BF aus, dass er mit Familienmitgliedern im Iran wegen seiner Religionslosigkeit Probleme gehabt habe. Daher habe er mit seinen Familienmitgliedern den Kontakt abgebrochen. Er sei bis zu ihrem Tod von seiner Mutter, die im Iran verstorben sei, unterstützt worden. Er habe sich im Iran nicht weiterbilden können, daher habe er den Iran verlassen. Es sei der Wunsch seiner Mutter gewesen, dass er nach Europa gehe. Er sei niemals bedroht geworden; nur das Verhältnis zu seiner Familie sei schlecht gewesen. Bis zu seinem 16. Lebensjahr sei er Schiit gewesen. Religion sei für ihn nicht wichtig.

Über Afghanistan wisse er nur, dass dort Hazara von den Taliban verfolgt werden würden. Sein Leben könnte dort in Gefahr sein. Andere wüssten nichts über sein Desinteresse an Religion; er spreche mit niemandem darüber.

7.           In einer Stellungnahme vom 26.01.2022 führte die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, die den BF damals vertreten hat, aus, dass der BF im Falle „einer Rückkehr“ nach Afghanistan asylrelevant wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara sowie seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der vom islamischen Glauben Abgekehrten und der Gruppe der westlich Orientierten asylrelevant verfolgt werde. Es sei nämlich zu erwarten, dass durch die Taliban, die überall in Afghanistan die Macht übernommen haben, sich die Gefahr der Verfolgung für den BF verschärfe. Personen, die ein Profil wie der BF aufweisen würden, könnten einem erhöhten Risiko ausgesetzt sein, asylrelevant verfolgt zu werden. Es sei daher davon auszugehen, dass der BF in Afghanistan asylrelevant verfolgt werden würde.

8.           Mit Bescheid des BFA vom 26.04.2022, Zl. 1280027207/210953288, wurde der Antrag des BF auf Gewährung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, ihm jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Heimatstaat Afghanistan zuerkannt. Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichsten damit, dass eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung aufgrund eines Konventionsgrundes der GFK nicht habe festgestellt werden können. Dieser Bescheid wurde der Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH zugestellt, die jedoch über keine Vertretungsvollmacht für den BF verfügte.

9.           Daher wurde die Beschwerde des BF, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4 / 4. Stock, 1020 Wien (BBU) vom 18.05.2022 gegen diese Entscheidung des BFA als unzulässig zurückgewiesen und ausgeführt, dass der Bescheid des BFA vom 26.04.2022, Zl. 1280027207/210953288, nicht rechtskonform zugestellt worden sei und damit als nicht existent zu betrachten sei.

10.         Mit Bescheid des BFA vom 01.07.2022, Zl. 1280027207/210953288, wurde der Antrag des BF auf Gewährung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, ihm jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Heimatstaat Afghanistan zuerkannt. Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichsten zusammengefasst damit, dass der BF eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung aufgrund eines Konventionsgrundes der GFK nicht habe glaubhaft machen können.

11.         Der BF, vertreten durch die BBU, erhob mit Schriftsatz vom 01.08.2022 rechtzeitig Beschwerde. Begründend wies er neuerlich auf seine Volksgruppenzugehörigkeit, seine Konfessionslosigkeit sowie auf eine „pro-westliche Lebenseinstellung“ hin.

12.         Am 03.08.2022 wurde die Beschwerde und Unterlagen des erstinstanzlichen Verfahrens dem BVwG vorgelegt.

13.         In einer Stellungnahme vom 02.09.2022 führte die BBU aus, dass der Beschwerdeführer als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, wegen seiner Konfessionslosigkeit und wegen seiner „Verwestlichung“ bei einer „Rückkehr nach Afghanistan“ verfolgt werden würde. Zudem werde er als „Iraner“ identifiziert werden. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die Taliban überall in Afghanistan die Macht übernommen hätten und daher davon auszugehen sei, dass sich „die Lage“ von Atheisten in Afghanistan noch erheblich verschlechtert habe.

14.         Am 13.09.2022 fand im BVwG eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt. Dabei wurde der BF insbesondere dazu befragt, woran erkannt werden könnte, dass er ohne religiöses Bekenntnis und als westlich orientiert zu betrachten sei, und ob er damit verbundene Handlungen bzw. Unterlassungen auch in Afghanistan in einer nach außen erkennbaren Art ausleben würde, sodass diese Handlungen von potentiellen Verfolgern als provozierend bzw. ablehnend wahrgenommen werden könnten. Dazu machte der Beschwerdeführer jedoch nur sehr verallgemeinernde bzw. nichtssagende Angaben, aufgrund derer das erkennende Gericht nicht zur Auffassung gelangen konnte, dass der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan aus konventionsrelevanten Gründen von einer Verfolgung bedroht sein könnte. Der BF vermochte damit eine ihm in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung aufgrund eines in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Konventionsgrundes nicht glaubhaft zu machen.

Im Anschluss an die durchgeführte mündliche Beschwerdeverhandlung wurde die Abweisung seiner Beschwerde mündlich verkündet, begründet und eine Rechtsmittelbelehrung bzw. eine Belehrung gemäß Paragraph 29, Absatz 2 a, VwGVG erteilt sowie eine Ablichtung der Verhandlungsschrift überreicht.

15.         Mit Schreiben vom 20.09.2022 beantragte der Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des am 13.09.2022 mündlich verkündeten Erkenntnisses.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.           Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des verfahrensgegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz des BF vom 14.07.2021, der diesbezüglichen Erstbefragung am 14.07.2021, der Einvernahme des BF vor dem BFA am 26.07.2021, der Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA vom 19.08.2021, des Beschlusses des BVwG vom 08.09.2021, W212 2245681-1/4E, der Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA am 13.01.2022, des Bescheides des BFA vom 26.04.2022, Verfahrenszahl 1280027207/210953288, der gegen diesen Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde vom 18.05.2022, des Beschlusses des BVwG vom 03.06.2022, GZ W260 2255154-1/3E, des nunmehr angefochtenen Bescheides des BFA vom 01.07.2022, Verfahrenszahl 1280027207/210953288, der dagegen erhobenen Beschwerde vom 01.08.2022, eines Schriftsatzes des Beschwerdeführers vom 02.09.2022, den Ergenissen der vor dem BVwG am 13.09.2022 durchgeführten Beschwerdeverhandlung, einer Einsichtnahme in die die UNHCR-Leitlinien zum Internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen vom Februar 2022, die EUAA Country Guidance Afghanistan – Common analysis and guidance note vom April 2022, den EASO Afghanistan Country focus - Country of Origin Information Report vom Jänner 2022 und in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 10.08.2022 (aus dem COI-CMS – Version 8), werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF führt den Namen römisch 40 . Er ist volljährig. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Er ist gesund und arbeitsfähig. Seine Muttersprache ist Dari; er spricht auch bereits etwas Deutsch. Der Beschwerdeführer erreichte Ende des Jahres 2019 über die Türkei Griechenland, wo er sich bis zum 01.07.2021 aufhielt. Dem Beschwerdeführer wurde am 04.12.2020 in Griechenland - befristet bis Jänner 2022 - der Status eines subsidiären Schutzberechtigten gewährt. Ihm wurde rechtskräftig mit Bescheid des BFA vom 01.07.2022, Zl. 1280027207/210953288, in Österreich eine Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt. Er lebt von der Grundversorgung und ist strafrechtlich unbescholten.

Die Angaben des Beschwerdeführers, wonach

●             er am römisch 40 geboren wurde;

●             er in Teheran – im Stadtteil Waramin im Iran geboren wurde;

●             er noch nie in Afghanistan war;

●             er konfessionslos ist;

●             seine beiden Eltern bereits verstorben sind;

●             er keine lebenden Geschwister hat;

●             er über eine zwölfjährige Schulbildung verfügt;

●             er im Iran – bis auf eine Tätigkeit als Sporttrainer für Kinder - nicht berufstätig war;

●             sich keine Familienangehörigen in Afghanistan befinden;

●             sich keine Familienangehörigen in Österreich befinden;

können vom erkennenden Gericht nicht zweifelsfrei bestätigt werden. Entsprechende Feststellungen werden damit auch nicht getroffen.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Die Mutter des Beschwerdeführers wollte, dass ihr Sohn ein möglichst angenehmes, sicheres und wirtschaftlich erfolgreiches Leben führt und legte dem Beschwerdeführer nahe, sich nach Europa zu begeben, damit sich seine Chancen, diese Ziele zu realisieren, erhöhen. Daher ermöglichte und finanzierte seine Mutter zumindest teilweise dem Beschwerdeführer eine schlepperunterstützte Reise nach Europa. Es kann nicht festgestellt werden, dass diese Ausreise aus dem Iran nur durch seine Mutter finanziert wurde, zumal nur kurze Zeit zuvor im Jahr 2019 – nach Angaben des Beschwerdeführers – zumindestens ein Onkel finanziell duzu beigetragen hat, dass der Beschwerdeführer aus einer iranischen Gefangenschaft freigekauft wurde. Das erkennende Gericht vermutet daher, dass auch andere Familienmitglieder des BF sich an der Finanzierung der schlepperunterstützten Ausreise, die den BF bis nach Europa geführt hat, beteiligt haben und dass daher – entgegen den Angaben des Beschwerdeführers – er auch Kontakt und Unterstützung durch andere Familienmitglieder (außer seiner Mutter) erfahren hat.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer konfessionslos ist. Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG selbst ausgeführt, dass er an einen Gott glaubt. Der Beschwerdeführer will jedoch keinem religiösem Zwang ausgesetzt sein. Der Beschwerdeführer selbst hat - obwohl er behauptet hat, sich dafür zu interessieren – kaum Kenntnisse über Inhalte des Islam oder von anderen Religionen.

Der Beschwerdeführer ist sehr von sich selbst überzeugt, selbstbewusst und lehnt generell Vorschriften und Zwänge ab. Der Beschwerdeführer hat weder Interesse an der Verteidigung einer Religion noch an der Verteidigung eines konfessionsfreien Lebens oder einer Verteidigung einer „westlichen Gesinnung“. Er ist nicht bereit für eine religiöse oder für eine anti-religiöse Gesinnung bzw. auch für eine von ihm behauptete westliche Gesinnung Nachteile in Kauf zu nehmen. Er konnte insbesondere in der mündlichen Verhandlung im BVwG nicht darlegen, was er in Afghanistan in einer nach außen erkennbaren Weise machen oder unterlassen würde, was von einem allfälligen Verfolger als so ablehnend oder provozierend betrachtet werden würde, dass der BF deswegen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus religiösen und/oder politischen Gründen zumindestens eine Verfolgung zu befürchten hätte. Damit vermochte der Beschwerdeführer auch nicht glaubhaft machen, dass er wegen seiner „Konfessionslosigkeit“, eines allenfalls behaupteten oder unterstellten Glaubensabfalls oder infolge einer tatsächlich verinnerlichten westlichen Gesinnung aus religiösen und/oder politischen Gründen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung zu gewärtigen hätte.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 10.08.2022:

„Covid-19

Letzte Änderung: 09.08.2022

Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https:// covi d19.who.int/ region/emro/ country/ af oder der Johns-Hopkins-Universität: https:// gisanddata.m aps.arcgis.com/apps/ opsdashboard/index.html#/ bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Mit Stand 29.07.2022 wurden 185.272 COVID-19 Fälle offiziell bestätigt (WHO o.D.). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 13.01.2022; vergleiche UNOCHA 18.02.2021, RFE/RL 23.02.2021).

Das vormalige afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hatte verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchten Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ waren in Krankenhäusern stationiert, untersuchen Patienten mit Verdacht auf COVID-19 vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 18.03.2021). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.03.2021; vergleiche WB 28.06.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.03.2021; vergleiche DW 17.06.2021).

Die Taliban erlaubten den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 03.06.2020; vergleiche TG 02.05.2020) und gaben im Januar 2021 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird (REU 26.01.2021; vergleiche ABC News 27.01.2021).

Mit Stand 04.04.2022 wurden insgesamt 5.872.684 Impfdosen verabreicht (WHO o.D.). Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 03.06.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, Sauerstoff, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 11.06.2021; vergleiche UNOCHA 03.06.2021, HRW 13.01.2022). Von den 40 COVID-19-Krankenhäusern in ganz Afghanistan bieten mit Stand März 2022 21 Krankenhäuser eine COVID-19-Behandlung an, 19 weitere wurden nach der Machtübernahme der Taliban wegen fehlender Finanzierung geschlossen (WHO 21.03.2022). Die Mitarbeiter des Afghan-Japan- Hospital gingen mit 17.11.2021 in einen Streik, da diese seit Monaten nicht bezahlt wurden (TN 17.11.2021). Im Februar 2022 setzte das Krankenhaus seine Arbeit fort (IOM 12.04.2022).

Die WHO übernimmt derzeit die vollen Betriebskosten / unterstützt die vollen Betriebskosten der folgenden COVID-19-Krankenhäuser/Gesundheitseinrichtungen ab Februar 2022 für 5-12 Monate (IOM 12.04.2022):

Übernahme der vollen Betriebskosten:

• Nangahar COVID-19 mit 50 Betten - Healthnet TPO

• Ghazni COVID-19 Krankenhaus mit 25 Betten - AADA

• Uruzgan COVID-19-Krankenhaus mit 20 Betten - MOVE

• Afghanisches Japan COVID-19 Krankenhaus mit 100 Betten - Healthnet TPO

• Paktia COVID-19 Krankenhaus mit 50 Betten - AADA

Unterstützung der vollen Betriebskosten:

• Kunar COVID-19 Krankenhaus mit 10 Betten - mit Healthnet TPO

• Zabul COVID-19 Krankenhaus mit 20 Betten - mit AADA

• Nimroz COVID-19-Krankenhaus mit 20 Betten - mit CHA

• Indonesien COVID-19-Krankenhaus in Kabul mit 70 Betten - mit JACK, ab 1. März

Mit Stand April 2022 gibt es in Afghanistan keine Restriktionen im Hinblick auf COVID-19 (IOM 12.04.2022).

Politische Lage:

Letzte Änderung: 09.08.2022

2020 fanden die ersten ernsthaften Verhandlungen zwischen allen Parteien des Afghanistan-Konflikts zur Beendigung des Krieges statt (HRW 13.01.2021). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 07.05.2020; vergleiche NPR 06.05.2020, EASO 8.2020a) - die damalige afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses (EASO 8.2020).

Im April 2021 kündigte US-Präsident Joe Biden den Abzug der verbleibenden Truppen (WH 14.04.2021; vergleiche RFE/RL 19.05.2021) - etwa 2.500-3.500 US-Soldaten und etwa 7.000 NATO- Truppen - bis zum 11.09.2021 an, nach zwei Jahrzehnten US-Militärpräsenz in Afghanistan (RFE/RL 19.05.2021). Er erklärte weiter, die USA würden weiterhin „terroristische Bedrohungen“ überwachen und bekämpfen sowie „die Regierung Afghanistans“ und „die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte weiterhin unterstützen“ (WH 14.04.2021), allerdings ist nicht klar, wie die USA auf wahrgenommene Bedrohungen zu reagieren gedenken, sobald ihre Truppen abziehen (AAN 01.05.2021). Am 31.08.2021 zog schließlich der letzte US-amerikanische Soldat aus Afghanistan ab (DP 31.08.2021).

Nachdem der vormalige Präsident Ashraf Ghani am 15.08.2021 aus Afghanistan geflohen war, nahmen die Taliban die Hauptstadt Kabul als die letzte aller großen afghanischen Städte ein (TAG 15.08.2021; vergleiche JS 07.09.2021). Als letzte Provinz steht seit dem 05.09.2021 auch die Provinz Panjshir und damit, trotz vereinzelten bewaffneten Widerstands, ganz Afghanistan weitgehend unter der Kontrolle der Taliban (AA 21.10.2021).

Die Taliban lehnen die Demokratie und ihren wichtigsten Bestandteil, die Wahlen, generell ab (AJ 24.08.2021; vergleiche AJ 23.08.2021). Sie tun dies oftmals mit Verweis auf die Mängel des demokratischen Systems und der Wahlen in Afghanistan in den letzten 20 Jahren, wie auch unter dem Aspekt, dass Wahlen und Demokratie in der vormodernen Periode des islamischen Denkens, der Periode, die sie als am authentischsten „islamisch“ ansehen, keine Vorläufer haben. Sie halten einige Methoden zur Auswahl von Herrschern in der vormodernen muslimischen Welt für authentisch islamisch - zum Beispiel die Shura Ahl al-Hall wa’l-Aqd, den Rat derjenigen, die qualifiziert sind, einen Kalifen im Namen der muslimischen Gemeinschaft zu wählen oder abzusetzen (AJ 24.08.2021).

Ende Oktober 2021, nach drei Ernennungsrunden auf höchster Ebene - am 07.09., 21.09. und 04.10. - scheinen die meisten Schlüsselpositionen besetzt worden zu sein, zumindest in Kabul. Das Kabinett selbst umfasst über 30 Ministerien, ein Erbe der Vorgängerregierung (AAN 07.10.2021). Entgegen früheren Erklärungen handelt es sich nicht um eine „inklusive“ Regierung mit Beteiligung verschiedener Akteure, sondern um eine reine TalibanRegierung. Ihr gehören Mitglieder der alten Taliban-Elite an, die bereits in den 1990er Jahren zentrale Rollen innehatten, ergänzt durch Taliban-Führer, die zu jung waren, um im ersten Emirat zu regieren. Die große Mehrheit sind Paschtunen. Die neue Regierung wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der so genannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 07.09.2021; vergleiche BBC 08.09.2021a, AA 21.10.2021).

[…]

Ein Frauenministerium findet sich nicht unter den bislang angekündigten Ministerien, auch wurden keine Frauen zu Ministerinnen ernannt. Dafür wurde ein Ministerium für „Einladung, Führung, Laster und Tugend“ eingeführt, das die Afghanen vom Namen her an das Ministerium „für die Förderung der Tugend und die Verhütung des Lasters“ erinnern dürfte. Diese Behörde hatte während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 Menschen zum Gebet gezwungen oder Männer dafür bestraft, wenn sie keinen Bart trugen (ORF 07.09.2021; vergleiche BBC 08.09.2021a). Die höchste Instanz der Taliban in religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten (RFE/RL 06.08.2021) der „Amir al Muminin“ oder „Emir der Gläubigen“ Mullah Haibatullah Akhundzada (FR 18.08.2021) wird sich als „Oberster Führer“ Afghanistans auf religiöse Angelegenheiten und die Regierungsführung im Rahmen des Islam konzentrieren (NZZ 08.09.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 07.09.2021).

Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (AZ 17.08.2021; vergleiche ICG 24.08.2021). Es gibt Anzeichen dafür, dass einige Anführer der Gruppe die Grenzen ihrer Fähigkeit erkennen, den Regierungsapparat in technisch anspruchsvolleren Bereichen zu bedienen. Zwar haben die Taliban seit ihrem Erstarken in den vergangenen zwei Jahrzehnten in einigen ländlichen Gebieten Afghanistans eine so genannte Schattenregierung ausgeübt, doch war diese rudimentär und von begrenztem Umfang, und in Bereichen wie Gesundheit und Bildung haben sie im Wesentlichen die Dienstleistungen des afghanischen Staates und von Nichtregierungsorganisationen übernommen (ICG 24.08.2021). Die Übernahme der faktischen Regierungsverantwortung inklusive der Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung stellt die Taliban vor Herausforderungen, auf die sie kaum vorbereitet sind. Leere öffentliche Kassen und die Sperrung des afghanischen Staatsguthabens im Ausland, sowie internationale und US-Sanktionen gegen Mitglieder der Übergangsregierung, haben zu Schwierigkeiten bei der Geldversorgung, steigenden Preisen und Verknappung essenzieller Güter geführt (AA 21.10.2021).

Bis zum Sturz der alten Regierung wurden ca. 75% (ICG 24.08.2021) bis 80% des afghanischen Staatsbudgets von Hilfsorganisationen bereitgestellt (BBC 08.09.2021a), Finanzierungsquellen, die zumindest für einen längeren Zeitraum ausgesetzt sein werden, während die Geber die Entwicklung beobachten (ICG 24.08.2021). So haben die EU und mehrere ihrer Mitgliedsstaaten in der Vergangenheit mit der Einstellung von Hilfszahlungen gedroht, falls die Taliban die Macht übernehmen und ein islamisches Emirat ausrufen sollten, oder Menschen- und Frauenrechte verletzen sollten. Die USA haben rund 9,5 Mrd. USD an Reserven der afghanischen Zentralbank sofort [nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul] eingefroren, Zahlungen des IWF und der EU wurden ausgesetzt (CH 24.08.2021). Die Taliban verfügen weiterhin über die Einnahmequellen, die ihren Aufstand finanzierten, sowie über den Zugang zu den Zolleinnahmen, auf die sich die frühere Regierung für den Teil ihres Haushalts, den sie im Inland aufbrachte, stark verließ. Ob neue Geber einspringen werden, um einen Teil des Defizits auszugleichen, ist noch nicht klar (ICG 24.08.2021).

Die USA zeigten sich angesichts der Regierungsbeteiligung von Personen, die mit Angriffen auf US-Streitkräfte in Verbindung gebracht werden, besorgt, und die EU erklärte, die islamistische Gruppe habe ihr Versprechen gebrochen, die Regierung „integrativ und repräsentativ“ zu machen (BBC 08.09.2021b). Deutschland und die USA haben eine baldige Anerkennung der von den militant-islamistischen Taliban verkündeten Übergangsregierung Anfang September 2021 ausgeschlossen (BZ 08.09.2021). China und Russland haben ihre Botschaften auch nach dem Machtwechsel offengehalten (NYT 01.09.2021).

Vertreter der National Resistance Front (NRF) haben die internationale Gemeinschaft darum gebeten, die Taliban-Regierung nicht anzuerkennen (BBC 08.09.2021b). Ahmad Massoud, einer der Anführer der NRF, kündigte an, nach Absprachen mit anderen Politikern eine Parallelregierung zu der von ihm als illegitim bezeichneten Talibanregierung bilden zu wollen (IT 08.09.2021).

Mit Oktober 2021 hat sich unter den Taliban bislang noch kein umfassendes Staatswesen herausgebildet. Der Status der bisherigen Verfassung und Gesetze der Vorgängerregierung ist, trotz politischer Ankündigung einzelner Taliban, auf die Verfassung von 1964 zurückgreifen zu wollen, unklar, das Regierungshandeln uneinheitlich. Hinzu kommen die teilweise beschränkten Durchgriffsmöglichkeiten der Talibanführung auf ihre Vertreter auf Provinz- und Distriktebene. Repressives Verhalten von Taliban der Bevölkerung gegenüber hängt deswegen stark von individuellen und lokalen Umständen ab (AA 21.10.2021).

Im Juni 2022 berichtet der UN-Sicherheitsrat, dass sich die Taliban mit einer wachsenden Zahl von Problemen bei der Staatsführung und Sicherheitsproblemen konfrontiert sehen, unter anderem mit Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Bewegung selbst (UNGASC 15.06.2022; vergleiche USDOS 12.04.2022), dem Auftauchen weiterer bewaffneter Oppositionsgruppen, erneuten Angriffen des Islamischen Staats und Grenzspannungen mit mehreren Nachbarländern (UNGASC 15.06.2022).

Die Taliban haben die Umstrukturierung staatlicher Einrichtungen auch 2022 fortgesetzt und ehemaliges Regierungspersonal durch Taliban-Mitglieder ersetzt (UNGASC 15.06.2022; vergleiche USDOS 12.04.2022), wobei sie häufig versuchten, verschiedenen Gruppen entgegenzukommen und durch diese Ernennungen interne Spannungen zu lösen. Im Januar verkleinerten die Behörden die frühere unabhängige Kommission für Verwaltungsreform und öffentlichen Dienst und legten sie mit dem Büro für Verwaltungsangelegenheiten zusammen. Am 7.04.2022 kündigte das Justizministerium der Taliban die Abschaffung der Abteilung für politische Parteien an und schloss damit die Registrierung von politischen Parteien aus. Am 04.05.2022 wurden die Unabhängige Menschenrechtskommission, die Kommission für die Überwachung der Umsetzung der Verfassung und die Sekretariate von Ober- und Unterhaus des Parlaments aufgelöst. Trotz der Forderungen der Afghanen, der Länder in der Region und der internationalen Gemeinschaft nach größerer ethnischer, politischer und geografischer Vielfalt sowie der Einbeziehung von Frauen in die Verwaltungsstrukturen der Taliban blieben das 25-köpfige Kabinett (bestehend aus 21 Paschtunen, drei Tadschiken und einem Usbeken) und die 34 durch die Taliban ernannten Provinzgouverneure (27 Paschtunen, vier Tadschiken und je ein Usbeke, Turkmene und Paschayi) alle männlich und den Taliban verbunden. Viele der Kabinettsmitglieder haben einen religiösen Hintergrund und begrenzte Verwaltungserfahrung und stehen auf der Sanktionsliste gemäß der Sicherheitsratsresolution 1988 (2011) (UNGASC 15.06.2022).

Am 29.04.2022, zum Eid al-Fitr, dem Ende des heiligen Monats Ramadan, gab der Taliban-Führer Haibatullah Akhundzada eine Erklärung ab, in der er das Engagement der Taliban-Behörden für „alle Scharia-Rechte von Männern und Frauen“ darlegte und insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung, die Sicherheit, die Bemühungen um einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung sowie die Rückkehr von Afghanen aus dem Ausland und die Bemühungen um die nationale Einheit hervorhob. Am 11.05.2022 leitete der stellvertretende Ministerpräsident Kabir die erste Sitzung der Kommission für Rückkehr und Kommunikation mit ehemaligen afghanischen Beamten und politischen Persönlichkeiten, die daraufhin ihr Mandat annahm und die Absicht ankündigte, eine Loya Jirga einzuberufen. Am 18.05.2022 trafen sich Vertreter der bislang zersplitterten politischen Opposition aus verschiedenen ethnischen Gruppen in der Türkei unter dem Dach des Hohen Rates des Nationalen Widerstands zur Rettung Afghanistans und forderten die Taliban auf, sich zu Verhandlungen bereit zu erklären (UNGASC 15.06.2022; vergleiche BAMF 01.07.2022).

Exilpolitische Aktivitäten:

Am 28.09.2021 kündigten Angehörige der früheren afghanischen Regierung mit einem in der Schweiz veröffentlichten Statement der dortigen afghanischen Botschaft die Gründung einer Exilregierung unter Vizepräsident Saleh an (AA 21.10.2021; vergleiche ANI 29.09.2021). Eine Reihe von afghanischen Auslandsvertretungen in Drittstaaten hatte zuvor die Übergangsregierung der Taliban verurteilt und auf den Fortbestand der afghanischen Verfassung von 2004 verwiesen. Weitere ehemalige Regierungsmitglieder bzw. politische Akteure der ehemaligen Republik sind in unterschiedlichen Gruppierungen aus dem Ausland aktiv (AA 21.10.2021).

Die Taliban haben bisher allen ehemaligen Regierungsvertretern Amnestie zugesagt, soweit sie den Widerstand gegen sie aufgeben und ihre Autorität anerkennen (AA 21.10.2021; vergleiche France 24 17.08.2021). Zur Umsetzung dieser Zusicherung im Falle der Rückkehr prominenter Vertreter der Republik ist bisher nichts bekannt (AA 21.10.2021).

[…]

Sicherheitslage:

Letzte Änderung: 03.05.2022

Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu (RFE/RL 12.05.2021; vergleiche SIGAR 30.04.2021, BAMF 31.05.2021, UNGASC 02.09.2021), aber auch schon zuvor galt die Sicherheitslage in Afghanistan als volatil (UNGASC 17.03.2020; vergleiche USDOS 30.03.2021). Laut Berichten war der Juni 2021 der bis dahin tödlichste Monat mit den meisten militärischen und zivilen Opfern seit 20 Jahren in Afghanistan (TN 01.07.2021; vergleiche AJ 02.07.2021). Gemäß einer Quelle veränderte sich die Lage seit der Einnahme der ersten Provinzhauptstadt durch die Taliban - Zaranj in Nimruz - am 06.08.2021 in „halsbrecherischer Geschwindigkeit“ (AAN 15.08.2021), innerhalb von zehn Tagen eroberten sie 33 der 34 afghanischen Provinzhauptstädte (UNGASC 02.09.2021). Auch eroberten die Taliban mehrere Grenzübergänge und Kontrollpunkte, was der finanziell eingeschränkten Regierung dringend benötigte Zolleinnahmen entzog (BBC 13.08.2021). Am 15.08.2021 floh Präsident Ashraf GhANI ins Ausland, und die Taliban zogen kampflos in Kabul ein (ORF 16.08.2021; vergleiche TAG 15.08.2021). Zuvor war schon Jalalabad im Osten an der Grenze zu Pakistan gefallen, ebenso wie die nordafghanische Metropole Mazar-e Scharif (TAG 15.08.2021; vergleiche BBC 15.08.2021). Ein Bericht führt den Vormarsch der Taliban in erster Linie auf die Schwächung der Moral und des Zusammenhalts der Sicherheitskräfte und der politischen Führung der Regierung zurück (ICG 14.08.2021; vergleiche BBC 13.08.2021, AAN 15.08.2021). Die Kapitulation so vieler Distrikte und städtischer Zentren ist nicht unbedingt ein Zeichen für die Unterstützung der Taliban durch die Bevölkerung, sondern unterstreicht vielmehr die tiefe Entfremdung vieler lokaler Gemeinschaften von einer stark zentralisierten Regierung, die häufig von den Prioritäten ihrer ausländischen Geber beeinflusst wird (ICG 14.08.2021), auch wurde die weit verbreitete Korruption, beispielsweise unter den Sicherheitskräften, als ein Problem genannt (BBC 13.08.2021).

Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15.08.2021 hat sich die allgemeine Sicherheitslage im Lande verändert. Nach Angaben der UN sind konfliktbedingte Sicherheitsvorfälle wie bewaffnete Zusammenstöße, Luftangriffe und improvisierte Sprengsätze (IEDs) seit der Eroberung des Landes durch die Taliban deutlich zurückgegangen (UNGASC 02.09.2021). Seit der Beendigung der Kämpfe zwischen den Taliban und den afghanischen Streitkräften hat sich auch die Zahl der zivilen Opfer erheblich verringert (PAJ 15.08.2021; vergleiche PAJ 21.08.2021, DIS 12.2021). Insbesondere die ländlichen Gebiete sind sicherer geworden, und die Menschen können in Gegenden reisen, die in den letzten 15-20 Jahren als zu gefährlich oder unzugänglich galten, da sich die Sicherheit auf den Straßen durch den Rückgang der IEDs verbessert hat (NYT 15.09.2021; vergleiche DIS 12.2021)

Die Zahl der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle ging nach dem 15.8.2021 deutlich zurück, von 600 auf weniger als 100 Zwischenfälle pro Woche. Aus den verfügbaren Daten für den Zeitraum bis Ende 2021 geht hervor, dass bewaffnete Zusammenstöße gegenüber demselben Zeitraum im Vorjahr um 98% von 7.430 auf 148 Vorfälle zurückgingen, Luftangriffe um 99% von 501 auf 3, Detonationen von improvisierten Sprengsätzen um 91% von 1.118 auf 101 und gezielte Tötungen um 51% von 424 auf 207. Andere Arten von Sicherheitsvorfällen wie Kriminalität haben jedoch zugenommen, während sich die wirtschaftliche und humanitäre Lage rapide verschlechtert hat. Auf die östlichen, zentralen, südlichen und westlichen Regionen entfielen 75% aller registrierten Vorfälle, wobei Nangarhar, Kabul, Kunar und Kandahar die am stärksten konfliktbetroffenen Provinzen sind (UNGASC 28.01.2022).

Trotz des Rückgangs der Gewalt sahen sich die Taliban-Behörden mit mehreren Herausforderungen konfrontiert, darunter eine Zunahme der Angriffe auf deren Mitglieder. Einige der Angriffe werden der National Resistance Front (NRF) zugeschrieben, der einige Persönlichkeiten der ehemaligen Regierung und der Opposition angehören (UNGASC 28.01.2022). Diese formierte sich im Panjshir-Tal, rund 55 km von Kabul entfernt (TD 20.08.2021), nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul Mitte August 2021 und wird von Amrullah Saleh, dem ehemaligen Vizepräsidenten Afghanistans und Chef des National Directorate of Security [Anm.: NDS, afghan. Geheimdienst], sowie Ahmad Massoud, dem Sohn des verstorbenen Anführers der Nordallianz gegen die Taliban in den 1990ern, angeführt. Ihr schlossen sich Mitglieder der inzwischen aufgelösten Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) an, um im Panjshir-Tal und umliegenden Distrikten in Parwan und Baghlan Widerstand gegen die Taliban zu leisten (LWJ 06.09.2021; vergleiche ANI 06.09.2021). Sowohl die Taliban, als auch die NRF betonten zu Beginn, ihre Differenzen mittels Dialog überwinden zu wollen (TN 30.08.2021; vergleiche WZ 22.08.2021). Nachdem die US-Streitkräfte ihren Truppenabzug aus Afghanistan am 30.08.2021 abgeschlossen hatten, griffen die Taliban das Pansjhir-Tal jedoch an. Es kam zu schweren Kämpfen und nach sieben Tagen nahmen die Taliban das Tal nach eigenen Angaben ein (LWJ 06.09.2021; vergleiche ANI 06.09.2021), während die NRF am 06.09.2021 bestritt, dass dies geschehen sei (ANI 06.09.2021). Mit Oktober 2021 wird weiterhin von Aktivitäten der NRF in den Provinzen Parwan, Baghlan (IP 13.11.2021; vergleiche NR 15.10.2021) und Samangan berichtet (IP 01.12.2021). Es wird weiters von einer strengen Medienzensur seitens der Taliban berichtet, die die Veröffentlichung von Nachrichten über die Aktivitäten der „National Resistance Front“ und anderer militanter Bewegungen in Afghanistan verhindern soll (IP 13.11.2021).

Weitere Kampfhandlungen gab es im August 2021 beispielsweise im Distrikt Behsud in der Provinz Maidan Wardak (AAN 01.09.2021; vergleiche AWM 22.08.2021, ALM 15.08.2021) und in Khedir in Daikundi, wo es zu Scharmützeln kam, als die Taliban versuchten, lokale oder ehemalige Regierungskräfte zu entwaffnen (AAN 01.09.2021).

Nachdem sich die Nachricht verbreitete, dass Präsident Ashraf Ghani das Land verlassen hatte, machten sich viele Menschen auf den Weg zum Flughafen, um aus dem Land zu fliehen (NLM 26.08.2021; BBC 08.09.2021c, UNGASC 02.09.2021). Im Zuge der Evakuierungsmissionen von Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan (ORF 18.08.2021) kam es in der Menschenmenge zu Todesopfern, nachdem tausende Menschen aus Angst vor den Taliban zum Flughafen gekommen waren (TN 16.08.2021). Unter anderem fand auch eine Schießerei mit einem Todesopfer statt (PAJ 23.08.2021).

Seit der Übernahme durch die Taliban hat die Zahl der Anschläge des ISKP Berichten zufolge zugenommen, insbesondere in den östlichen Provinzen Nangharhar und Kunar sowie in Kabul (DIS 12.2021; vergleiche AA 21.10.2021, UNGASC 28.01.2022). Anschläge des ISKP richten sich immer wieder gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere gegen Afghaninnen und Afghanen schiitischer Glaubensrichtung. Am 26.08.2021 wurden durch einen Anschlag des ISKP am Flughafen Kabul 170 Personen getötet und zahlreiche weitere verletzt (AA 21.10.2021; vergleiche MEE 27.08.2021, AAN 01.09.2021). Die USA führten als Vergeltungsschläge daraufhin zwei Drohnenangriffe in Jalalabad und Kabul durch, wobei nach US-Angaben ein Drahtzieher des ISKP, sowie zehn Zivilisten getötet wurden (AAN 01.09.2021; vergleiche NZZ 12.09.2021; BBC 30.08.2021). Am 8. und 15. Oktober 2021 kamen in Kunduz und Kandahar jeweils bei Selbstmordanschlägen zum Zeitpunkt des Freitagsgebets mehr als 100 Menschen ums Leben, zahlreiche weitere wurden verletzt (AA 21.10.2021). Ein weiterer Anschlag am 03.10.2021 in Kabul zielte auf eine Trauerfeier, an der hochrangige Taliban teilnahmen und tötete mindestens fünf Personen (AA 21.10.2021; vergleiche AnA 04.10.2021). Darüber hinaus verübt der ISKP gezielt Anschläge auf Sicherheitskräfte der Taliban, beispielsweise am 19.09.2021 in Nangarhar, bei denen auch Zivilisten zu Schaden kommen (AA 21.10.2021). Zwischen 19.08.2021 und 31.12.2021 verzeichneten die Vereinten Nationen 152 Angriffe der Gruppe in 16 Provinzen, verglichen mit 20 Angriffen in 5 Provinzen im gleichen Zeitraum des Vorjahres (UNGASC 28.01.2022).

Seit der Machtübernahme der Taliban gibt es einen Anstieg bei Straßenkriminalität und Entführungen. Lokale Medien berichten von mehr als 40 Entführungen von Geschäftsleuten in den zwei Monaten nach der Übernahme der Kontrolle durch die Taliban. Anderen Quellen zufolge ist die Zahl weitaus höher, doch da es keine funktionierende Bürokratie gibt, liegen nur spärliche offizielle Statistiken vor. Der Großteil der Entführungen fand in den Provinzen Kabul, Kandahar, Nangarhar, Kunduz, Herat und Balkh statt (FP 29.10.2021; vergleiche TN 28.10.2021).

Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie gaben 68,3% der Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese Ergebnisse nicht auf die gesamte Region oder das ganze Land hochgerechnet werden können. Die Befragten wurden gefragt, wie sicher sie sich in ihrer Nachbarschaft fühlen, was sich davon unterscheidet, ob sie sich unter dem Taliban-Regime sicher fühlen oder ob sie die Taliban als Sicherheitsgaranten betrachten oder ob sie sich in anderen Teilen ihrer Stadt oder anderswo im Land sicher fühlen würden. Das Sicherheitsgefühl ist auch davon abhängig, in welchem Ausmaß die Befragten ihre Nachbarn kennen und wie vertraut sie mit ihrer Nachbarschaft sind und nicht darauf, wie sehr sie sich in Sachen Sicherheit auf externe Akteure verlassen. Nicht erfasst wurde in der Studie, inwieweit bei den Befragten Sicherheitsängste oder Bedenken im Hinblick auf die Taliban oder Gruppen wie den ISKP vorliegen. Im Bezug auf Straßenkriminalität und Gewalt gaben 79,7% bzw. 70,7% der Befragten an, zwischen September und Oktober 2021 keiner Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. An dieser Stelle ist zu beachten, dass die Ergebnisse nicht erfassen, welche Maßnahmen der Risikominderung von den Befragten durchgeführt werden, wie z.B.: die Verringerung der Zeit, die sie außerhalb ihres Hauses verbringen, die Änderung ihres Verhaltens, einschließlich ihres Kaufverhaltens, um weniger Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sowie die Einschränkung der Bewegung von Frauen und Mädchen im Freien (ATR/STDOK 12.01.2022).

Verfolgung von Zivilisten und ehemaligen Mitgliedern der Streitkräfte:

Bereits vor der Machtübernahme intensivierten die Taliban gezielte Tötungen von wichtigen Regierungsvertretern, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten (BBC 13.08.2021; vergleiche AN 04.10.2020). Die Taliban kündigten nach ihrer Machtübernahme an, dass sie keine Vergeltung an Anhängern der früheren Regierung oder an Verfechtern verfassungsmäßig garantierter Rechte wie der Gleichberechtigung von Frauen, der Redefreiheit und der Achtung der Menschenrechte üben werden (FP 23.08.2021; vergleiche BBC 31.08.2021, UNGASC 02.09.2021). Über zielgerichtete, groß angelegte Vergeltungsmaßnahmen gegen ehemalige Angehörige der Regierung oder Sicherheitskräfte oder Verfolgung bestimmter Bevölkerungsgruppen gibt es bislang keine fundierten Erkenntnisse (AA 21.10.2021). Obwohl die Taliban eine „Generalamnestie“ für alle versprochen haben, die für die frühere Regierung gearbeitet haben (ohne formellen Erlass), gibt es Berichte aus Teilen Afghanistans unter anderem über die gezielte Tötung von Personen, die früher für die Regierung gearbeitet haben (AI 9.2021). Es gibt auch glaubwürdige Berichte über schwerwiegende Übergriffe von Taliban-Kämpfern, die von der Durchsetzung strenger sozialer Einschränkungen bis hin zu Verhaftungen, Hinrichtungen im Schnellverfahren und Entführungen junger, unverheirateter Frauen reichen. Einige dieser Taten scheinen auf lokale Streitigkeiten zurückzuführen oder durch Rache motiviert zu sein; andere scheinen je nach den lokalen Befehlshabern und ihren Beziehungen zu den Führern der Gemeinschaft zu variieren. Es ist nicht klar, ob die Taliban-Führung ihre eigenen Mitglieder für Verbrechen und Übergriffe zur Rechenschaft ziehen wird (ICG 14.08.2021). Auch wird berichtet, dass es eine neue Strategie der Taliban sei, die Beteiligung an gezielten Tötungen zu leugnen, während sie ihren Kämpfern im Geheimen derartige Tötungen befehlen (GN 10.09.2021). Einem Bericht zufolge kann derzeit jeder, der eine Waffe und traditionelle Kleidung trägt, behaupten, ein Talib zu sein, und Durchsuchungen und Beschlagnahmungen durchführen (AAN 01.09.2021; vergleiche BAMF 06.09.2021). Die Taliban-Kämpfer auf der Straße kontrollieren die Bevölkerung nach eigenen Regeln und entscheiden selbst, was unangemessenes Verhalten, Frisur oder Kleidung ist (BAMF 06.09.2021; vergleiche NLM 26.08.2021). Frühere Angehörige der Sicherheitskräfte berichten, dass sie sich weniger vor der Taliban-Führung als vor den einfachen Kämpfern fürchten würden (AAN 01.09.2021; vergleiche BAMF 06.09.2021).

Es wurde von Hinrichtungen von Zivilisten und Zivilistinnen sowie ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte (ORF 24.08.2021; vergleiche FP 23.08.2021, BBC 31.08.2021, GN 10.09.2021, Times 12.09.2021, ICG 14.08.2021) und Personen, die vor kurzem Anti-Taliban-Milizen beigetreten waren, berichtet (FP 23.08.2021). In vielen Städten suchten die Taliban nach ehemaligen Mitgliedern der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANDSF), Beamten der früheren Regierung oder deren Familienangehörigen, bedrohten sie und nahmen sie manchmal fest oder richteten sie hin (HRW 13.01.2022). In der Provinz Ghazni soll es zur gezielten Tötung von neun Hazara-Männern gekommen sein (AI 19.08.2021). Während die Nachrichten aus weiten Teilen des Landes aufgrund der Schließung von Medienzweigstellen und der Einschüchterung von Journalisten durch die Taliban spärlich sind, gibt es Berichte über die Verfolgung von Journalisten (RTE 28.08.2021; vergleiche FP 23.08.2021) und die Entführung einer Menschenrechtsanwältin (FP 23.08.2021). Die Taliban haben in den Tagen nach ihrer Machtübernahme systematisch in den von ihnen neu eroberten Gebieten Häftlinge aus den Gefängnissen entlassen (UNGASC 02.09.2021). Eine Richterin (REU 03.09.2021) wie auch eine Polizistin (GN 10.09.2021) gaben an, von ehemaligen Häftlingen verfolgt (REU 03.09.2021) bzw. von diesen identifiziert und daraufhin von den Taliban verfolgt worden zu sein (GN 10.09.2021). Weiters wird berichtet, dass die Taliban die Familienangehörigen der Geflüchteten bedrohen, unter anderem mit dem Tod, oder Lösegeld fordern, falls die Geflüchteten nicht zurückkehren (AI 9.2021; vergleiche BBC 31.08.2021).

Zivile Opfer vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021:

Nach Angaben der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hat die Zahl der zivilen Opfer in der ersten Jahreshälfte 2021 einen Rekordwert erreicht, der im Mai mit dem Beginn des Abzugs der internationalen Streitkräfte stark anstieg. Bis Juni wurden 5.183 tote oder verletzte Zivilisten gezählt, darunter 2.409 Frauen und Kinder (UNAMA 26.07.2021; vergleiche AI 29.03.2022). In den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 und im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres dokumentierte UNAMA fast eine Verdreifachung der zivilen Opfer durch den Einsatz von improvisierten Sprengsätzen (IEDs) durch regierungsfeindliche Kräfte (UNAMA 26.07.2021). Im gesamten Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für 2020 insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das war ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 (UNAMA 2.2021; AIHRC 28.01.2021) und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021).

Obwohl ein Rückgang von durch regierungsfeindlichen Elementen verletzte Zivilisten im Jahr 2020 festgestellt werden konnte, der hauptsächlich auf den Mangel an zivilen Opfern durch wahlbezogene Gewalt und den starken Rückgang der zivilen Opfer durch Selbstmordattentate im Vergleich zu 2019 zurückzuführen ist, so gab es einen Anstieg an zivilen Opfern durch gezielte Tötungen, durch Druckplatten-IEDs und durch fahrzeuggetragene Nicht-Selbstmord- IEDs (VBIEDs) (UNAMA 2.2021; vergleiche ACCORD 06.05.2021).

Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffen waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (AIHRC 28.01.2021). Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch haben aufständische Gruppen in Afghanistan ihre gezielten Tötungen von Frauen und religiösen Minderheiten erhöht (HRW 16.03.2021). Auch im Jahr 2021 kommt es weiterhin zu Angriffen und gezielten Tötungen von Zivilisten. So wurden beispielsweise im Juni fünf Mitarbeiter eines Polio-Impf-Teams (AP 15.06.2021; vergleiche VOA 15.06.2021) und zehn Minenräumer getötet (AI 16.06.2021; vergleiche AJ 16.06.2021).

Die von den Konfliktparteien eingesetzten Methoden, die die meisten zivilen Opfer verursacht haben, sind in der jeweiligen Reihenfolge folgende: IEDs und Straßenminen, gezielte Tötungen, Raketenbeschuss, komplexe Selbstmordanschläge, Bodenkämpfe und Luftangriffe (AIHRC 28.01.2021).

Quelle: UNAMA 26.7.2021

High Profile Attacks (HPAs) vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021:

Vor der Übernahme der Großstädte durch die Taliban kam es landesweit zu aufsehenerregenden Anschlägen (sog. High Profile-Angriffe, HPAs) durch regierungsfeindliche Elemente. Zwischen dem 16.05. und dem 31.07.2021 wurden 18 Selbstmordanschläge dokumentiert, verglichen mit 11 im vorangegangenen Zeitraum, darunter 16 Selbstmordattentate mit improvisierten Sprengsätzen in Fahrzeugen (UNGASC 02.09.2021), die in erster Linie auf Stellungen der afghanischen Streitkräfte (ANDSF) erfolgten (UNGASC 02.09.2021; vergleiche USDOD 12.2020). Darüber hinaus gab es 68 Angriffe mit magnetischen improvisierten Sprengsätzen (IEDs), darunter 14 in Kabul (UNGASC 02.09.2021).

Im Februar 2020 kam es in der Provinz Nangarhar zu einer sogenannten ’green-on-blue-attack’: Der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet (UNGASC 17.03.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.02.2020; vergleiche UNGASC 17.03.2020).

Seit Februar 2020 hatten die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF aufrechterhalten, vermieden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden (USDOD 1.7.2020). Die Taliban setzten außerdem bei Selbstmordanschlägen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh an Fahrzeugen befestigte improvisierte Sprengkörper (SVBIEDs) ein (UNGASC 17.03.2020).

Angriffe, die vom Islamischen Staat Khorasan Provinz (ISKP) beansprucht oder ihm zugeschrieben werden, haben zugenommen. Zwischen dem 16.05. und dem 18.08.2021 verzeichneten die Vereinten Nationen 88 Angriffe, verglichen mit 15 im gleichen Zeitraum des Jahres 2020. Die Bewegung zielte mit asymmetrischen Taktiken auf Zivilisten in städtischen Gebieten ab (UNGASC 02.09.2021).

[…]

Verfolgungungspraxis der Taliban, neue technische Möglichkeiten:

Letzte Änderung: 02.05.2022

Trotz mehrfacher Versicherungen der Taliban, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräften abzusehen, solange diese sich ihnen nicht widersetzten und die Autorität der Taliban akzeptieren (AA 21.10.2021), wurde nach der Machtübernahme der Taliban berichtet, dass diese auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten. Ein Mitglied einer Rechercheorganisation, welche einen (nicht öffentlich zugänglichen) Bericht zu diesem Thema für die Vereinten Nationen verfasste, sprach von einer „schwarzen Liste“ der Taliban und großer Gefahr für jeden, der sich auf dieser Liste befände (BBC 20.08.2021; vergleiche DW 20.08.2021). Gemäß einem früheren Mitglied der afghanischen Verteidigungskräfte ist bei der Vorgehensweise der Taliban nun neu, dass sie mit einer Namensliste von Haus zu Haus gehen und Personen auf ihrer Liste suchen (FP 23.08.2021).

Die Taliban sind in den sozialen Medien aktiv, unter anderem zu Propagandazwecken. Gegenwärtig nutzt die Gruppierung soziale Medien und Internettechnik jedoch nicht nur für Propagandazwecke und ihre eigene Kommunikation, sondern auch, um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren (GO 20.08.2021, BBC 06.09.2021). Einem afghanischen Journalisten zufolge verwenden die Taliban soziale Netzwerke wie Facebook und Linkedln derzeit intensiv, um jene Afghanen zu identifizieren, die mit westlichen Gruppen und der US-amerikanischen Hilfsagentur USAID zusammengearbeitet haben (ROW 20.08.2021). Auch wurde berichtet, dass die Taliban bei Kontrollpunkten Telefone durchsuchen, um Personen mit Verbindungen zu westlichen Regierungen oder Organisationen (INS 17.08.2021) bzw. zu den [ehemaligen] afghanischen Streitkräften (ANDSF) zu finden (ROW 20.08.2021). Viele afghanische Bürgerinnen und Bürger, die für die internationalen Streitkräfte, internationale Organisationen und für Medien gearbeitet haben, oder sich in den sozialen Medien kritisch gegenüber den Taliban äußerten, haben aus Angst vor einer Verfolgung durch die Taliban ihre Profile in den sozialen Medien daher gelöscht (BBC 06.09.2021; vergleiche ROW 20.08.2021, SKN 27.08.2021).

Unter anderem werten die Taliban auch aktuell im Internet verfügbare Videos und Fotos aus (GO 20.08.2021, BBC 06.09.2021). Sie verfügen über Spezialkräfte, die in Sachen Informationstechnik und Bildforensik gut ausgebildet und ausgerüstet sind. Ihre Bildforensiker arbeiten gemäß einem Bericht vom August 2021 auf dem neuesten Stand der Technik der Bilderkennung und nutzen beispielsweise Gesichtserkennungssoftware. Im Rahmen der Berichterstattung über auf der Flucht befindliche Ortskräfte wurden von Medien unverpixelte Fotos veröffentlicht, welche für Personen, die sich nun vor den Taliban verstecken, gefährlich werden können (GO 20.08.2021, vergleiche MMM 20.08.2021).

Die Taliban haben bereits früher biometrische Daten genutzt, um Menschen ins Visier zu nehmen.

In den Jahren 2016 und 2017 berichteten Journalisten, dass Taliban-Kämpfer biometrische Scanner einsetzten, um Buspassagiere, die sie für Mitglieder der Sicherheitskräfte hielten, zu identifizieren und summarisch hinzurichten; alle von Human Rights Watch (HRW) befragten Afghanen erwähnten diese Vorfälle (HRW 30.03.2022).

Im Zuge ihrer Offensive haben die Taliban Geräte zum Auslesen von biometrischen Daten erbeutet, welche ihnen die Identifikation von Hilfskräften der internationalen Truppen erleichtern könnte [Anmerkung: sog. HIIDE („Handheld Interagency Identity Detection Equipment“)-Geräte] (TIN 18.08.2021; vergleiche HO 08.09.2021, SKN 27.08.2021). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht genau bekannt, zu welchen Datenbanken die Taliban Zugriff haben. Laut Experten bieten die von den Taliban erlangten US-Gerätschaften nur begrenzten Zugang zu biometrischen Daten, die noch immer auf sicheren Servern gespeichert sind. Recherchen zeigten jedoch, dass eine größere Bedrohung von den Datenbanken der afghanischen Regierung selbst ausgeht, die sensible persönliche Informationen enthalten und zur Identifizierung von Millionen von Menschen im ganzen Land verwendet werden könnten. Betroffen sein könnte beispielsweise eine Datenbank, welche zum Zweck der Gehaltszahlung Angaben von Angehörigen der [ehemaligen] afghanischen Armee und Polizei enthält (das sog. Afghan Personnel and Pay System, APPS), aber auch andere Datenbanken mit biometrischen Angaben, welche die afghanische Regierung zur Erfassung ihrer Bürger anlegte, beispielsweise bei der Beantragung von Dokumenten, Bewerbungen für Regierungsposten oder Anmeldungen zur Aufnahmeprüfung für das Hochschulstudium. Eine Datenbank des [ehemaligen] afghanischen Innenminsteriums, das Afghan Automatic Biometric Identification System (AABIS), sollte gemäß Plänen bis 2012 bereits 80% der afghanischen Bevölkerung erfassen, also etwa 25 Mio. Menschen. Es gibt zwar keine öffentlich zugänglichen Informationen darüber, wie viele Datensätze diese Datenbank bis zum heutigen Zeitpunkt enthält, aber eine unbestätigte Angabe beziffert die Zahl auf immerhin 8,1 Mio. Datensätze. Trotz der Vielzahl von Systemen waren die unterschiedlichen Datenbanken allerdings nie vollständig miteinander verbunden (HO 08.09.2021; vergleiche SKN 27.08.2021). Berichten zufolge verwenden die Taliban auch Listen ehemaliger Beamter (HRW 30.11.2021; vergleiche FP 29.10.2021) und ziviler Aktivisten, um deren Kinder ausfindig zu machen (FP 29.10.2021).

Nach der Machtübernahme der Taliban hat Google einem Insider zufolge eine Reihe von E-Mail-Konten der bisherigen Kabuler Regierung vorläufig gesperrt. Etwa zwei Dutzend staatliche Stellen in Afghanistan sollen die Server von Google für E-Mails genutzt haben. Nach Angaben eines Experten wäre dies eine „wahre Fundgrube an Informationen“ für die Taliban, allein eine Mitarbeiterliste auf einem Google Sheet sei mit Blick auf Berichte über Repressalien gegen bisherige Regierungsmitarbeiter ein großes Problem. Mehrere afghanische Regierungsstellen nutzten auch E-Mail-Dienste von Microsoft, etwa das Außenministerium und das Präsidialamt. Unklar ist, ob das Softwareunternehmen Maßnahmen ergreift, um zu verhindern, dass Daten in die Hände der Taliban fallen. Ein Experte sagte, er halte die von den USA aufgebaute IT-Infrastruktur für einen bedeutenden Faktor für die Taliban. Dort gespeicherte Informationen seien „wahrscheinlich viel wertvoller für eine neue Regierung als alte Hubschrauber“ (TT 04.09.2021).

Da die Taliban Kabul so schnell einnahmen, hatten viele Büros keine Zeit, Beweise zu vernichten, die sie in den Augen der Taliban belasten. Berichten zufolge wurden von der britischen Botschaft beispielsweise Dokumente zurückgelassen, welche persönliche Daten von afghanischen Ortskräften und Bewerbern enthielten (SKN 27.08.2021).

Im Rahmen der Evakuierungsbemühungen rund um Ausländer und afghanische Ortskräfte nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul gaben US-Beamte den Taliban eine Liste mit den Namen US-amerikanischer Staatsbürger, Inhaber von Green Cards [Anmerkung: US-amerikanische Aufenthaltsberechtigungskarten] und afghanischer Verbündeter, um ihnen die Einreise in den von den Taliban kontrollierten Außenbereich des Flughafens von Kabul zu gewähren - eine Entscheidung, die kritisiert wurde. Gemäß einem Vertreter der US-amerikanischen Streitkräfte hätte die US-Regierung die betroffenen Afghanen somit auf eine „Todesliste“ gesetzt (POL 26.08.2021), wobei US-Präsident Biden in einer Pressekonferenz darauf angesprochen meinte, dass auf der Liste befindliche Afghanen von den Taliban bei den Kontrollen durchgelassen wurden (NYP 26.08.2021).

Einem Bericht des Human Rights Watch nach führen Taliban auch Durchsuchungsaktionen durch, einschließlich nächtlicher Razzien, um verdächtige ehemalige Beamte festzunehmen und zuweilen gewaltsam verschwinden zu lassen. Bei den Durchsuchungen bedrohen und misshandeln die Taliban häufig Familienmitglieder, um sie dazu zu bringen, den Aufenthaltsort der Untergetauchten preiszugeben. Einige der schließlich aufgegriffenen Personen wurden hingerichtet oder in Gewahrsam genommen, ohne dass ihre Inhaftierung bestätigt oder ihr Aufenthaltsort bekannt gegeben wurde (HRW 30.11.2021).

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Erreichbarkeit:

Letzte Änderung: 03.05.2022

Die Infrastruktur bleibt ein kritischer Faktor für Afghanistan, trotz der seit 2002 erreichten Infrastrukturinvestitionen und -optimierungen (TD 05.12.2017). Seit dem Fall der ersten Talibanregierung wurde das afghanische Verkehrswesen in städtischen und ländlichen Gebieten grundlegend erneuert. Beachtenswert ist die [beinahe] Vollendung der „Ring Road“, welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (TD 26.01.2018). Investitionen in ein integriertes Verkehrsnetzwerk werden systematisch geplant und umgesetzt. Dies beinhaltet beispielsweise Entwicklungen im Bereich des Schienenverkehrs und im Straßenbau (z.B. Vervollständigung und Instandhaltung der Kabul Ring Road, des Salang-Tunnels, des Lapis Lazuli Korridors etc.) (STDOK 4.2018; vergleiche TD 05.12.2017), aber auch Investitionen aus dem Ausland zur Verbesserung und zum Ausbau des Straßennetzes und der Verkehrswege (STDOK 4.2018; vergleiche USAID o.D.a, WB 17.01.2020).

Seit der Machtübernahme der Taliban sind die Treibstoffpreise um 20 % gestiegen. Zuvor kostete ein Liter Benzin 64 AFN, jetzt sind es 76 AFN (RA KBL 08.11.2021).

Jährlich sterben Hunderte von Menschen bei Verkehrsunfällen auf Straßen im ganzen Land - vor allem durch unbefestigte Straßen, überhöhte Geschwindigkeit und Unachtsamkeit (GIZ 7.2019; vergleiche AT 23.11.2019, PAJ 12.12.2019, ABC News 01.10.2020).

Die Taliban halten weiterhin Fahrzeuge an und durchsuchen sie. Am 26.12.2021 erließ das Ministerium für die Förderung der Tugend und die Verhütung des Lasters eine Richtlinie, die es Frauen nur in Begleitung eines engen männlichen Verwandten erlaubt, weiter als 72 Kilometer zu reisen. Der Erlass riet Taxifahrern außerdem, nur Frauen zu befördern, die einen islamischen Hidschab oder ein Kopftuch tragen (IOM 12.04.2022).

Die Ring Road, auch bekannt als Highway One, ist eine Straße, die das Landesinnere ringförmig umgibt (HP 09.10.2015; vergleiche FES 2015) und Teil des 3.360 Kilometer langen Hauptverkehrsstraßenprojekts ist, das 16 Provinzen und Großstädte wie Kabul, Mazar, Herat, Ghazni und Jalalabad miteinander verbindet (STDOK 4.201; vergleiche TN 09.12.2017, USAID o.D.a).

Trotz der Ankündigung des damaligen Präsidenten Ghani aus dem Jahr 2015, die Ring Road in neun Monaten fertigzustellen, ist ein ein ca. 150 km langes Teilstück zwischen Badghis und Faryab weiterhin unvollständig (SIGAR 15.07.2018). Die fehlenden 150 Kilometer sollen künftig den Distrikt Qaisar [Anm.: Provinz Faryab] mit Dar-e Bum [Anm.: Provinz Badghis] verbinden; dieses Straßenstück ist der letzte unbefestigte Teil der 2.200 km langen Straße. Im November 2020 sind die Arbeiten an diesem Teil der Ring Road noch im Gange, wenn auch nur zögerlich, weil Hindernisse wie Unsicherheit, mangelnde Kooperation der lokalen Bevölkerung, mangelnde Leistung der zuständigen Behörden und Unterauftragnehmer es schwierig machen, den Zeitpunkt der Fertigstellung des Projekts abzuschätzen (RA KBL 20.11.2020).

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Transportwesen:

Öffentliche Verkehrsmittel und Busse sind 24 Stunden am Tag verfügbar (IOM 12.4.2022). Das Transportwesen in Afghanistan gilt als „verhältnismäßig gut“. Es gibt einige regelmäßige Busverbindungen innerhalb Kabuls und in die wichtigsten Großstädte Afghanistans (IE o.D.). Es existierten einige nationale Busunternehmen, welche Mazar-e Sharif, Kabul, Herat, Jalalabad und Bamyan miteinander verbinden; Beispiele dafür sind Bazarak Panjshir, Herat Bus, Khawak Panjshir, Ahmad Shah Baba Abdali (vertrauliche Quelle 14.05.2018; vergleiche IWPR 26.03.2018).

Aus Bequemlichkeit bevorzugen Reisende, die es sich leisten können, die Nutzung von Gemeinschaftstaxis nach Mazar-e Sharif, Kabul, Herat, Jalalabad und Bamyan (vertrauliche Quelle 14.05.2018). Der folgenden Tabelle können die Preise für besagte Reiseziele entnommen werden (Stand 20.11.2021). Diese haben sich seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 nicht wesentlich geändert (RB KBL 08.11.2021):

Strecke

Preis

Kabul - Mazar

AFN 5.000-6.000 (ein Passagier); AFN 1.200 (per Passagier in Sammeltaxi)

Mazar - Herat

Keine direkte Taxiverbindung

Kabul - Jalalabad

AFN 1.500-1.800 (ein Passagier); AFN 300 (per Passagier in Sammeltaxi)

Kabul - Bayman

AFN 2.000 (ein Passagier); AFN 700 (per Passagier in Sammeltaxi)

Quelle: RA KBL 20.11.2020, 1 USD entspricht ca 90 AFN

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Flugverbindungen:

Der folgenden Karte können Informationen über Militär-, Regional- und internationale Flughäfen in den verschiedenen Städten Afghanistans entnommen werden (F 24 o.D.). Zu beachten ist allerdings, dass der Flughafen in Bamyan - in Abweichung zur dargestellten Karte - aktuell nicht von kommerziellen Anbietern angeflogen wurde (F 24 o.D.; vergleiche RA KBL 31.05.2021). Die vier internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Herat und Kandarhar sind für internationale Flüge geöffnet (RA KBL 08.11.2021; vergleiche F 24 o.D., IOM 12.04.2022) auch wenn die Anzahl der Flüge seit der Machtübernahme der Taliban abgenommen hat. Die meisten internationalen Flüge werden über die Flughäfen Kabul und Mazar abgewickelt (RA KBL 08.11.2021).

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Zentrale Akteure:

Letzte Änderung: 17.01.2022

Die Geschichte Afghanistans ist seit Langem von der Interaktion lokaler Kräfte mit dem [Zentral-] Staat geprägt - von der Kooptation von Stammeskräften durch dynastische Herrscher über die Entstehung von Partisanen- und Mudschaheddin-Kräften nach der sowjetischen Invasion bis hin zu den anarchischen Milizkämpfern, die in den 1990er-Jahren an die Stelle der Politik traten. Das Erbe der letzten Jahrzehnte der Mobilisierung und Militarisierung, der wechselnden Loyalitäten und der Umbenennung (sog. „re-hatting“: wenn eine bewaffnete Gruppe einen neuen Schirmherrn oder ein neues Etikett erhält, aber ihre Identität und Kohärenz beibehält) ist auch heute noch einer der stärksten Faktoren, die die afghanischen Kräfte und die damit verbundene politische Dynamik prägen. Die unmittelbar nach 2001 durchgeführten Reformen des Sicherheitssektors und die Demobilisierungswellen haben diese nie wirklich aufgelöst. Stattdessen wurden sie zu neuen Wegen, um die Parteinetzwerke und Klientelpolitik zu rehabilitieren oder zu legitimieren, oder in einigen Fällen neue sicherheitspolitische Akteure und Machthaber zu schaffen (AAN 01.07.2020). Angesichts des Truppenabzugs der US-Streitkräfte haben verschiedene Machthaber Afghanistans, wie zum Beispiel Mohammad Ismail Khan (von der Partei Jamiat-e Islami), Abdul Rashid Dostum (Jombesh-e Melli Islami), Mohammad Atta Noor (Vorsitzender einer Jamiat-Fraktion), Mohammad Mohaqeq (Hezb-e Wahdat-e Mardom) und Gulbuddin Hekmatyar (Hezb-e Islami), im Sommer 2021 zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder öffentlich über die Mobilisierung bewaffneter Männer außerhalb der afghanischen Armee- und Regierungsstrukturen gesprochen. Während die Präsenz von Milizen für viele Afghanen seit Jahren eine lokale Tatsache ist, wurde [in der Ära der afghanischen Regierungen 2001-15.08.2021] doch noch nie so deutlich öffentlich von der Notwendigkeit einer Mobilisierung gesprochen oder der Wunsch, autonome Einflusssphären zu schaffen, geäußert (AAN 04.06.2021; vergleiche AP 25.06.2021).

Mitte August 2021 formierte sich die National Resistance Front (NRF), die von Amrullah Saleh, dem ehemaligen Vizepräsidenten Afghanistans und Chef des National Directorate of Security [Anmerkung: NDS, afghanischer Geheimdienst], und Ahmad Massoud, dem Sohn des verstorbenen Anführers der Nordallianz gegen die Taliban in den 1990ern, angeführt wird (LWJ 06.09.2021; vergleiche ANI 06.09.2021).

In Afghanistan sind unterschiedliche Gruppierungen aktiv, welche der [bis August 2021 im Amt befindlichen] Regierung feindlich gegenüberstanden - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan war eine Zufluchtsstätte für Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP), Al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan (USDOD 12.2020), sowie Islamic Movement of Uzbekistan und Eastern Turkistan Movement (CRS 17.08.2021).

Im ersten Halbjahr 2021 waren - damals noch als „regierungsfeindliche Elemente“ bezeichnete - Gruppierungen wie die Taliban, ISKP und nicht näher definierte Elemente insgesamt für 64% der zivilen Opfer verantwortlich. 39% aller zivilen Opfer entfielen davon auf die Taliban, 9% auf den ISKP und 16% auf nicht näher definierte regierungsfeindliche Elemente. Vor der Machtübernahme der Taliban als „regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen“ bezeichnete Akteure waren im selben Zeitraum für 2% der von UNAMA erfassten zivilen Opfer verantwortlich. Auf Handlungen der [damals] regulären Streitkräfte der Afghan National Security and Defense Forces (ANDSF) wurden dagegen 23% der zivilen Opfer zurückgeführt (UNAMA 26.07.2021).

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Taliban

Letzte Änderung: 17.01.2022

Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv. Die Taliban-Führung regierte Afghanistan zwischen 1996 und 2001, als sie von US-amerikanischen/internationalen Streitkräften entmachtet wurde. Nach ihrer Entmachtung hat sie weiterhin einen Aufstand geführt (EASO 8.2020c; vergleiche NYT 26.5.2020). 2018 begannen die USA Verhandlungen mit einer Taliban-Delegation in Doha (NYT 26.05.2020), im Februar 2020 wurde der Vertrag, in welchem sich die US-amerikanische Regierung zum Truppenabzug verpflichtete, unterschrieben (NYT 29.02.2020), wobei die US-Truppen bis Ende August 2021 aus Afghanistan abzogen (DP 31.08.2021). Nachdem der bisherige Präsident Ashraf GhANI am 15.08.2021 aus Afghanistan geflohen war, nahmen die Taliban die Hauptstadt Kabul als die letzte aller großen afghanischen Städte ein (TAG 15.08.2021). Die Taliban-Führung kehrte daraufhin aus Doha zurück, wo sie erstmals 2013 ein politisches Büro eröffnet hatte (DW 31.08.2021). Im September 2021 kündigten sie die Bildung einer „Übergangsregierung“ an. Entgegen früheren Aussagen handelt es sich dabei nicht um eine „inklusive“ Regierung unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure, sondern um eine reine Talibanregierung (NZZ 07.09.2021).

Seit 2001 hat die Gruppe einige Schlüsselprinzipien beibehalten, darunter eine strenge Auslegung der Scharia in den von ihr kontrollierten Gebieten (EASO 8.2020c; vergleiche RFE/RL 27.04.2020). Die Taliban sind eine religiös motivierte, religiös konservative Bewegung, die das, was sie als ihre zentralen „Werte“ betrachten, nicht aufgeben wird. Wie sich diese Werte in einer künftigen Verfassung widerspiegeln und in der konkreten Politik zum Tragen kommen, hängt von den täglichen politischen Verhandlungen zwischen den verschiedenen politischen Kräften und dem Kräfteverhältnis zwischen ihnen ab (Ruttig 3.2021). Aufgrund der schnellen und umfangreichen militärischen Siege der Taliban im Sommer 2021 hat die Gruppierung nun jedoch wenig Grund, die Macht mit anderen Akteuren zu teilen (FA 23.08.2021).

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Struktur und Führung

Letzte Änderung: 17.01.2022

Die Taliban bezeichneten sich [vor ihrer Machtübernahme] selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.; vergleiche BBC 15.04.2021). Sie positionierten sich als Schattenregierung Afghanistans. Ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprachen den Verwaltungsämtern und -pflichten einer typischen Regierung (EASO 8.2020c; vergleiche NYT 26.05.2020), die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betrieb (EASO 8.2020c; vergleiche USIP 11.2019; BBC 15.04.2021). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando der Taliban sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 04.07.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 06.12.2018).

Die wichtigsten Entscheidungen werden von einem Führungsrat getroffen, der nach seinem langjährigen Versteck auch als Quetta-Schura bezeichnet wird. Dem Rat gehören neben dem Taliban-Chef und dessen Stellvertretern rund zwei Dutzend weitere Personen an (NZZ 17.08.2021). Die Mitglieder der Quetta-Schura sind vor allem Vertreter des Talibanregimes von 1996-2001 (IT 16.08.2021).

Neben der Quetta-Schura, welche [vor der Machtübernahme der Taliban in Kabul] die Talibanangelegenheiten in elf Provinzen im Süden, Südwesten und Westen Afghanistans regelte, gibt es beispielsweise auch die Peshawar-Schura, welche diese Aufgabe in 19 weiteren Provinzen übernommen hatte (UNSC 01.06.2021), sowie auch die Miran Shah-Schura. Das Haqqani-Netzwerk mit seinen Kommandanten in Ostafghanistan und Pakistan hat enge Verbindungen zu den beiden letztgenannten Schuras (RFE/RL 06.08.2021).

Die Quetta-Schura übt eine gewisse Kontrolle über die rund ein Dutzend verschiedenen Kommissionen aus, welche als „Ministerien“ fungierten (IT 16.8.2021). Die Taliban unterhielten [vor ihrer Machtübernahme in Kabul] beispielsweise eine Kommission für politische Angelegenheiten mit Sitz in Doha, welche im Februar 2020 die Friedensverhandlungen mit den USA abschloss. Nach Angaben des Talibansprechers Zabihullah Mujahid hat diese Kommission keine direkte Kontrolle über die Talibankämpfer in Afghanistan. Die militärischen Kommandostrukturen bis hinunter zur Provinz- und Distriktebene unterstehen nämlich der Kommission für militärische Angelegenheiten (RFE/RL 06.08.2021).

Die höchste Instanz in religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten ist Mullah Haibatullah Akhundzada (RFE/RL 06.08.2021). Er ist seit 2016 der „Amir al Muminin“ oder „Emir der Gläubigen“, ein Titel, der ihm von Aiman Al-Zawahiri, dem Anführer von Al-Qaida, verliehen wurde (FR 18.08.2021). Die neue Regierung wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied der Rahbari-Schura (Quetta-Schura) (NZZ 07.09.2021; vergleiche BBC 08.09.2021a, AA 21.10.2021). Mullah Abdul Ghani Baradar, der vormalige Leiter der Kommission für politische Angelegenheiten und Vorsitzender des Verhandlungsteams der Taliban in Doha (RFE/RL 06.08.2021), wurde gemeinsam mit Mawlawi Abdul Salam Hanafi zu stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt. Als Innenminister wurde Mawlawi Sirajuddin Haqqani ernannt, der Führer des Haqqani-Netzwerkes, der in den USA immer noch auf der „Gesucht“ Liste des FBI aufscheint. Als Verteidigungsminister wurde Mawlawi Mohammad Yaqoob Mujahid ernannt und als Außenminister Mawlawi Amir Khan Muttaqi (BBC 07.09.2021). Haibatullah Akhunzada wird sich als „Oberster Führer“ auf religiöse Angelegenheiten und die Regierungsführung im Rahmen des Islam konzentrieren (NZZ 08.09.2021; vergleiche TN 03.09.2021). In Kandahar hatte er im Oktober 2021 seinen ersten öffentlichen Auftritt (France 24 31.10.2021; vergleiche VOA 31.10.2021).

Die Taliban treten nach außen hin geeint auf, trotz Berichten über interne Spannungen oder Spaltungen. Im Juni 2021 berichtete der UN-Sicherheitsrat, dass die unabhängigen Operationen und die Macht von Taliban-Kommandanten vor Ort für den Führungsrat der Taliban (die Quetta-Schura) zunehmend Anlass zur Sorge sind. Spannungen zwischen der politischen Führung und einigen militärischen Befehlshabern sind Ausdruck anhaltender interner Rivalitäten, Stammesfehden und Meinungsverschiedenheiten über die Verteilung der Einnahmen der Taliban (UNSC 01.06.2021).

Zuletzt wurde auch über interne Meinungsverschiedenheiten bei der Regierungsbildung berichtet (HAT 05.09.2021; BAMF 06.09.2021), was vom offiziellen Sprecher der Taliban jedoch dementiert wurde (DS 06.09.2021). Haibatullah Akhunzada warnte im November die Taliban, dass es in ihren Reihen Einheiten geben könnte, die „gegen den Willen der Regierung arbeiten“ (AJ 04.11.2021; vergleiche TG 04.11.2021).

Die Taliban sind somit keine monolithische Organisation (TWN 20.04.2020). Gemäß einem Experten für die Organisationsstruktur der Taliban unterstehen nur rund 40-45% der Truppen der Talibanführung. Rund 35% werden von Sirajuddin Haqqani angeführt, weitere ca. 25% von Taliban aus dem Norden des Landes (Tadschiken und Usbeken) (GN 31.08.2021). Was militärische Operationen betrifft, so handelt es sich um einen vernetzten Aufstand mit einer starken Führung an der Spitze und dezentralisierten lokalen Befehlshabern, die Ressourcen auf Distriktebene mobilisieren können (EASO 8.2020c; vergleiche NYT 26.05.2020).

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Rechtsschutz / Justizwesen:

Letzte Änderung: 03.05.2022

Unter der vorherigen Regierung beruhte die afghanische Rechtsprechung auf drei parallelen und sich überschneidenden Rechtssystemen oder Rechtsquellen: dem formellen Gesetzesrecht, dem Stammesgewohnheitsrecht und der Scharia (EASO 1.2022). Beim Übergang der Taliban von einem Aufstand zu einer Regierung fehlten dem afghanischen Justizsystem eine offizielle Verfassung und offizielle Gesetze (EASO 1.2022; vergleiche FH 28.10.2022). Die Taliban kündigten nach ihrer Machtübernahme im August 2021 an, dass zukünftig eine islamische Regierung von islamischen Gesetzen angeleitet werden soll, das Regierungssystem solle auf der Scharia basieren. Sie blieben dabei allerdings sehr vage bezüglich der konkreten Auslegung. „Scharia“ bedeutet auf Arabisch „der Weg“ und bezieht sich auf ein breites Spektrum an moralischen und ethischen Grundsätzen, die sich aus dem Koran sowie aus den Aussprüchen und Praktiken des Propheten Mohammed ergeben. Die Grundsätze variieren je nach der Auslegung verschiedener Gelehrter, die Denkschulen gegründet haben, denen die Muslime folgen und die sie als Richtschnur für ihr tägliches Leben nutzen (AJ 23.08.2021; vergleiche NYT 19.08.2021). Die Auslegung der Scharia ist in der muslimischen Welt Gegenstand von Diskussionen. Jene Gruppen und Regierungen, die ihr Rechtssystem auf die Scharia stützen, haben dies auf unterschiedliche Weise getan. Wenn die Taliban sagen, dass sie die Scharia einführen, bedeutet das nicht, dass sie dies auf eine Weise tun, der andere islamische Gelehrte oder islamische Autoritäten zustimmen würden (NYT 19.08.2021). Sogar in Afghanistan haben sowohl die Taliban, die das Land zwischen 1996 und 2001 regierten, als auch die Regierung von Ashraf Ghani behauptet, das islamische Recht zu wahren, obwohl sie unterschiedliche Rechtssysteme hatten (AJ 23.08.2021).

Bereits vor der Machtübernahme unterhielten die Taliban Schattengerichte unter strikter Auslegung der Scharia in den von ihnen kontrollierten Gebieten, die von der Bevölkerung zum Teil als effizienter und verlässlicher als das korruptionsbelastete Justizsystem der Republik empfunden wurden. Aktuell gibt es Berichte, wonach die Taliban auf lokaler Ebene gegen Kriminalität vorgehen und Täter öffentlich bestrafen (AA 21.10.2021; vergleiche USDOS 12.04.2022). Darüber, was im Anschluss weiter mit den Tätern passiert, liegen keine Erkenntnisse vor (AA 21.10.2021). Während des Übergangs der Taliban von Aufständischen zu einer Regierung fehlte es dem afghanischen Justizsystem an einer offiziellen Verfassung und offiziellen Gesetze (FP 28.10.2022; vergleiche EASO 1.2022).

Nach der Absetzung der gewählten Regierung im August 2021 übernahmen die Taliban die vollständige Kontrolle über das Justizsystem des Landes und ernannten Richter an Zivil- und Militärgerichten (FH 28.02.2022). Es wurden ein Justizminister und ein Oberster Richter und Leiter des Obersten Gerichtshofs durch die Taliban ernannt. Der geltende Rechtsrahmen ist nach wie vor unklar, obwohl eine Überprüfung der Vereinbarkeit der bestehenden Rechtsvorschriften mit dem mit dem islamischen Recht läuft. Am 16.12.2022 erließ die Taliban-Führung ein Dekret zur Ernennung von 32 Direktoren, Abteilungsleitern, Richtern und anderen wichtigen Beamten im Zusammenhang mit dem Obersten Gerichtshof. Am 25.12.2021 wurde ein Generalstaatsanwalt ernannt, der sich zur Rechenschaftspflicht und Unabhängigkeit seines Amts nach der Scharia verpflichtet (UNGASC 28.01.2022). Richter, die unter der ehemaligen Regierung gedient haben, insbesondere Richterinnen, sind arbeitslos; eine beträchtliche Anzahl ist untergetaucht (FH 28.02.2022). Während in den Provinzen zahlreiche Richterstellen neu besetzt wurden, wurden ehemalige Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte nicht in das Justizsystem der Taliban- Behörden integriert. Frauen sind nach wie vor von der Arbeit im Justizsektor ausgeschlossen (UNGASC 28.01.2022).

Unter der Republik waren informelle Rechtssysteme, die sich auf Varianten des Gewohnheitsrechts und der Scharia stützten, zur Schlichtung von Streitigkeiten weit verbreitet, insbesondere in ländlichen Gebieten. Dies ist nach wie vor der Fall, auch wenn die Taliban seit ihrer Machtübernahme versuchen, einige lokale Streitbeilegungsverfahren zu kontrollieren (FH 28.02.2022).

Die Auslegung des islamischen Rechts durch die Taliban entstammt nach Angaben eines Experten dem Deobandi-Strang der Hanafi-Rechtsprechung - einem Zweig, der in mehreren Teilen Südostasiens, darunter Pakistan und Indien, anzutreffen ist - und der eigenen gelebten Erfahrung als überwiegend ländliche und stammesbezogene Gesellschaft (AJ 23.08.2021; vergleiche WTN 03.09.2021). Als die Taliban 1996 an die Macht kamen, setzten sie strenge Kleidervorschriften für Männer und Frauen durch und schlossen Frauen weitgehend von Arbeit und Bildung aus.

Die Taliban führten auch strafrechtliche Bestrafungen (hudood) im Einklang mit ihrer strengen Auslegung des islamischen Rechts ein, darunter öffentliche Hinrichtungen von Menschen, die von Taliban-Richtern des Mordes oder des Ehebruchs für schuldig befunden wurden, und Amputationen für diejenigen, die aufgrund von Diebstahl verurteilt wurden (AJ 23.08.2021; vergleiche VOA 24.08.2021).

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Sicherheitsbehörden:

Letzte Änderung: 03.05.2022

Die Taliban haben mit ihrer Machtübernahme im August 2021 faktisch die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernommen. Die Ein- und Zuteilung der bisherigen Kämpfer für diese Aufgaben folgt keiner einheitlichen Regelung. Neben bewaffneten Talibankämpfern in Uniform gibt es auch weiter eine Vielzahl von Talibankämpfern in Zivil, die Sicherheitsaufgaben wahrnehmen, ohne dass klar wäre, in wessen Auftrag oder auf welcher Grundlage sie dies tun (AA 21.10.2021). Die Einrichtung und der Betrieb der Sicherheitsministerien, insbesondere des Innenministeriums und des Verteidigungsministeriums, gelten als eine der Prioritäten der Taliban-Verwaltung. Sirajuddin Haqqani und Mohammad Yaqoub Omar, der Sohn des verstorbenen Taliban-Führers Mullah Omar, wurden zum Innenminister bzw. zum Verteidigungsminister ernannt. Die Taliban-Behörden erklärten, zu den Prioritäten im Sicherheitssektor gehören die Bekämpfung des Islamischen Staates (ISKP), des bewaffneten Widerstandes in und um die Provinz Panjshir und die Bekämpfung von Kriminalität sowie die Sicherung der Grenzen und die Drogenbekämpfung. Frauen in Uniform, die früher im Sicherheitssektor gedient haben, wurden vom Dienst ausgeschlossen. Am 11.11.2021 hat das Taliban-Regime eine Säuberungskommission eingerichtet, um „unerwünschte Personen“ aus den Reihen der Taliban zu entfernen, die kriminelles Verhalten an den Tag legen oder die nicht die Werte der Taliban vertreten. Berichten zufolge wurden bisher etwa 700 Personen entlassen (UNGASC 28.01.2022).

Wachsende Kriminalität war bereits in den vergangenen Jahren ein Problem, insbesondere in den Städten. Die Taliban nehmen für sich in Anspruch, dem entgegenzuwirken. Ihnen nahestehende Medien veröffentlichen beispielsweise Berichte über die Befreiung von Entführungsopfern oder die Gefangennahme von Dieben und Drogenschmugglern. Gleichzeitig existieren Berichte über öffentliche Strafmaßnahmen gegen und Zurschaustellung von Verbrechern durch die Taliban. Dies entspricht auch dem gängigen Vorgehen des ersten Talibanregimes (AA 21.10.2021).

Über zielgerichtete, groß angelegte Vergeltungsmaßnahmen gegen ehemalige Angehörige der Regierung oder Sicherheitskräfte oder Verfolgung bestimmter Bevölkerungsgruppen gibt es bislang keine fundierten Erkenntnisse (AA 21.10.2021). Obwohl die Taliban eine „Generalamnestie“ für alle versprochen haben, die für die frühere Regierung gearbeitet haben (ohne formellen Erlass), gibt es Berichte aus Teilen Afghanistans unter anderem über die gezielte Tötung von Personen, die früher für die Regierung gearbeitet haben (UNGASC 28.01.2022; vergleiche AI 9.2021, USDOS 12.04.2022). Es wurde berichtet, dass die Taliban eine schwangere Polizistin vor den Augen ihrer Familie getötet hätten (CNN 08.09.2021; vergleiche BBC 05.09.2021). Es gibt weitere Berichte wonach ehemalige Polizisten (PAJ 21.10.2021) oder Dolmetscher getötet wurden (ABC News 20.10.2021).

Während im Oktober afghanische Militärpiloten noch berichteten, dass ihre in Afghanistan verbliebenen Verwandten mit dem Tod bedroht würden, sollten sie nicht zurückkehren (RFE/RL 23.10.2021), forderte der Sprecher der Talibanregierung diese auf, im Land zu bleiben bzw. zurückzukehren. Sie würden durch eine Amnestie geschützt und nicht verhaftet werden. Dies geschah, nachdem Dutzende von in den USA ausgebildeten afghanischen Piloten Tadschikistan im Rahmen einer von den USA vermittelten Evakuierung verlassen hatten, wohin sie zuvor geflüchtet waren (AP 10.11.2021; vergleiche TD 10.11.2021).

Nach einem Bericht von Human Rights Watch (HRW) vom November 2021 wurden seit der Machtübernahme der Taliban mehr als 100 ehemalige Polizei- und Geheimdienstmitarbeiter in nur vier Provinzen (Ghazni, Helmand, Kandahar, and Kunduz) exekutiert oder waren gewaltsamem „Verschwindenlassen“ ausgesetzt (HRW 30.11.2021).

Angaben des amtierenden Oberbefehlshabers der Taliban Qari Fasihuddin zufolge planen die Taliban den Aufbau einer regulären Armee unter Einbeziehung bisheriger Sicherheitskräfte, deren gute Ausbildung man nutzen wolle. Gleiches soll auch für die Polizei gelten. Erkenntnisse über die Umsetzung dieser Planungen liegen bisher nicht vor (AA 21.10.2021).

Nach Angaben von BBC Pashto erließen die Taliban am 08.11.2021 einen Erlass, der die Namen der bisherigen Armeekorps (Qol-e Ordou) wie folgt änderte (BBC 08.11.2022; vergleiche KP 08.11.2022, EASO 1.2022):

• Korps Kabul wird in Korps Kabul Central umbenannt

• 209. Shaheen-Korps in Mazar wird in Al-Fatha-Korps umbenannt

• 17. Pamir-Korps in Kunduz wird in Omary-Korps umbenannt

• 205. Attal-Korps in Kandahar geändert in Badar-Korps

• 201. Silab-Korps in Laghman geändert in Khalid Ibn-e Walid-Korps

• 203. Tander-Korps in Paktia geändert in Mansouri-Korps

• 207. Zafar-Korps in Herat geändert in Al-Farooq-Korps

• 215. Maiwand-Korps in Helmand wurde in Azm-Korps umbenannt.
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Folter und unmenschliche Behandlung:

Letzte Änderung: 03.05.2022

Unter der vormaligen Regierung war laut der afghanischen Verfassung (Artikel 29) sowie dem Strafgesetzbuch (Penal Code) und dem afghanischen Strafverfahrensrecht (Criminal Procedure Code) Folter verboten (UNAMA 2.2021; vergleiche AA 16.07.2021). Die Regierung erzielte Fortschritte bei der Verringerung der Folter in einigen Haftanstalten, versäumte es jedoch, Mitglieder der Sicherheitskräfte und prominente politische Persönlichkeiten für Misshandlungen, einschließlich sexueller Übergriffe, zur Rechenschaft zu ziehen (HRW 04.02.2021; vergleiche HRW 13.01.2021). Obwohl die Verfassung von 2004 und die Gesetze der früheren Regierung solche Praktiken untersagten, gab es zahlreiche Berichte über Misshandlungen durch Regierungsbeamte, Sicherheitskräfte, Behörden von Haftanstalten und die Polizei (USDOS 12.04.2022).

Über systematische staatliche Folter ist bislang nichts bekannt (AA 21.10.2021). Es gibt jedoch zahlreiche Berichte über Folter und grausame, unmenschliche und erniedrigende Bestrafung durch die Taliban, ISKP und andere regierungsfeindliche Gruppen. UNAMA berichtet, dass zu den von den Taliban durchgeführten Bestrafungen Schläge, Amputationen und Hinrichtungen gehörten. Die Taliban hielten UNAMA zufolge Häftlinge unter schlechten Bedingungen fest und setzten sie Zwangsarbeit aus (UNAMA 26.05.2019; vergleiche USDOS 12.04.2022). Auch gibt es Berichte über die Folter von Journalisten (AA 21.10.2021; vergleiche HRW 08.09.2021).

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Allgemeine Menschenrechtslage:

Letzte Änderung: 09.08.2022

Es ist nicht davon auszugehen, dass die Verfassung der afghanischen Republik aus Sicht der Taliban aktuell fortbesteht. Eine neue oder angepasste Verfassung existiert bislang nicht; politische Aussagen der Taliban, übergangsweise die Verfassung von 1964 in Teilen nutzen zu wollen, blieben bislang ohne unmittelbare Auswirkungen (AA 21.10.2021). Die gewählte Regierung Afghanistans, die durch einen von den Taliban geführten Aufstand sowie durch Gewalt, Korruption und mangelhafte Wahlverfahren unterminiert wurde, bot vor ihrem Zusammenbruch im Jahr 2021 dennoch ein breites Spektrum an individuellen Rechten. Seit dem Sturz der gewählten Regierung haben die Taliban den politischen Raum des Landes geschlossen; Opposition gegen ihre Herrschaft wird nicht geduldet, während Frauen und Minderheitengruppen durch das neue Regime in ihren Rechten beschnitten wurden (FH 28.02.2022). Unter der Taliban-Herrschaft werden die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Freiheit und Versammlungsfreiheit zunehmend eingeschränkt, und jede Form von Dissens wird mit Verschwindenlassen, willkürlichen Verhaftungen und unrechtmäßiger Inhaftierung bestraft (AI 21.03.2022).

Es gibt Berichte über grobe Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021 (HRW 23.08.2021; vergleiche AA 21.10.2021, USDOS 12.04.2022), wobei diese im Einzelfall nur schwer zu verifizieren sind, darunter Hausdurchsuchungen, Willkürakte und Erschießungen (AA 21.10.2021). Die Gruppe soll Tür-zu-Tür-Durchsuchungen durchführen, und auch an einigen Kontrollpunkten der Taliban wurden gewalttätige Szenen gemeldet (HRW 30.11.2021; vergleiche USDOS 12.04.2022). Ebenso deuteten seit August zahlreiche Berichte darauf hin, dass die Taliban gewaltsam in Wohnungen und Büros eindrangen, um nach politischen Gegnern und nach Personen zu suchen, die die NATO- und US-Missionen unterstützt hatten (USDOS 12.04.2022). Diejenigen, die für die Regierung oder andere ausländische Mächte gearbeitet haben, sowie Journalisten und Aktivisten sagen, dass sie Repressalien fürchten (BBC 20.08.2021), und es gibt Berichte über das gewaltsame Verschwindenlassen von Frauen, willkürliche Verhaftungen von Journalisten und Aktivisten der Zivilgesellschaft durch die Taliban (AI 21.03.2022) sowie über Einzeltäter oder kriminelle Gruppen, die sich als Taliban ausgeben und Hausdurchsuchungen, Plünderungen und Ähnliches durchführen (AA 21.10.2021). Im Juni

2022 wurde berichtet, dass einige der Männer, die in der britischen Botschaft in Afghanistan arbeiteten und im Land geblieben waren, geschlagen und gefoltert wurden (BBC 16.07.2022, AN 16.07.2022).

UNAMA, AIHRC und andere Beobachter berichteten, dass es sowohl unter der früheren Regierung als auch unter den Taliban im ganzen Land zu willkürlichen und lang andauernden Inhaftierungen kam, einschließlich von Personen, die ohne richterliche Genehmigung festgehalten wurden. Die ehemaligen Regierungsbehörden informierten die Inhaftierten häufig nicht über die gegen sie erhobenen Anschuldigungen (USDOS 12.04.2022).

Beispielsweise wurde Berichten zufolge ein beliebter Komiker, der früher für die Polizei gearbeitet hatte, aus seinem Haus entführt und von den Taliban am oder um den 28.07.2021 getötet (AI 9.2021; vergleiche WP 28.07.2021), ein Folksänger von den Taliban erschossen (AI 9.2021; vergleiche RFE/RL 29.08.2021) und eine frühere Polizeiangestellte, die im achten Monat schwanger war, vor ihren Kindern erschossen (AI 9.2021; vergleiche BBC 05.09.2021).

Die Europäische Union hat erklärt, dass die von ihr zugesagte Entwicklungshilfe in Höhe von mehreren Milliarden Dollar von Bedingungen wie der Achtung der Menschenrechte durch die Taliban abhängt (MPI 02.09.2021; vergleiche REU 03.09.2021).

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Meinungs- und Pressefreiheit:

Letzte Änderung: 03.05.2022

Aufgrund der hohen Analphabetismusrate bevorzugen die meisten Bürger Fernsehen und Radio gegenüber Print- oder Online-Medien. Ein größerer Prozentsatz der Bevölkerung - auch in abgelegenen Provinzen - hat Zugang zu Radio (USDOS 30.03.2021).

Afghanistan rangiert im World Press Freedom Index 2021 (RSF 2021) wie auch schon im Jahr 2020 auf Platz 122 von 180 untersuchten Staaten; dies stellt eine Verschlechterung von einem Platz im Vergleich zu 2019 und drei Plätzen im Vergleich zum Jahr 2018 dar (RSF 2020).

Das Afghanistan Journalists Center (AFJC) zählte 2020 112 gewalttätige Übergriffe auf Medienschaffende, wobei sieben Journalisten und ein Medienmitarbeiter getötet wurden (AFJC o.D.a; vergleiche AI 03.05.2021, RSF 10.12.2020, BAMF 11.01.2021). 2021 wurden bis Ende August 51 Vorfälle wie physische Angriffe, Beleidigungen, Drohungen und Festnahmen von Medienschaffenden dokumentiert, wobei das AFJC wieder acht Todesopfer zählte (AFJC o.D.b). Die Taliban stritten in einer Presseerklärung vom 06.01.2021 jede (ihnen von der damaligen Regierung zugeschriebene) Beteiligung an der Tötung von Journalisten und Aktivisten der Zivilgesellschaft ab (BAMF 11.01.2021; vergleiche TN 06.01.2021). Nach Angaben von Human Rights Watch (HRW) nehmen Taliban- Kräfte jedoch gezielt Journalisten und andere Medienmitarbeiter ins Visier, darunter auch Frauen (HRW 01.04.2021) und nach Angaben des AFJC waren die Taliban, Daesh [Anm.: auch IS, ISKP] bzw. unbekannte Bewaffnete für die Tötungen von Journalisten verantwortlich (TN 06.01.2021; vergleiche AFJC o.D.b).

Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021:

Seit dem Fall der Republik hat fast die Hälfte der afghanischen Medien geschlossen, und Tausende von afghanischen Journalisten und Medienmitarbeitern haben entweder das Land verlassen, ihren Arbeitsplatz verloren oder sind untergetaucht (AAN 07.03.2022). Reporter ohne Grenzen und der afghanische Verband unabhängiger Journalisten berichteten, dass etwa 200 Medienunternehmen geschlossen wurden, wodurch fast 60 % der Journalisten arbeitslos wurden. Verschiedene Faktoren, darunter finanzielle Engpässe, Angst und die Abwanderung von Mitarbeitern, trugen ebenfalls zur Schließung bei (USDOS 12.04.2022; vergleiche RSF 31.08.2021). Aus den Berichten von Medienbeobachtungsstellen geht hervor, dass der Schaden für den afghanischen Mediensektor in den ersten Tagen nach dem Sturz der Republik am größten war. Bis auf wenige Ausnahmen sind jene Medien, die die ersten Tage der Talibanmachtübernahme überstanden haben, immer noch aktiv, wenn auch unter schwierigen Bedingungen und die Lage von Journalistinnen bleibt prekär, da die Politik der Taliban ihnen gegenüber immer noch unklar ist (AAN 07.03.2022). Es gibt auch Berichte über eine strenge Medienzensur durch die Taliban, um die Veröffentlichung von Nachrichten über die Aktivitäten der Nationalen Widerstandsfront und anderer militanter Bewegungen in Afghanistan zu verhindern (IP 13.11.2021).

Trotz der Zusicherungen, die Meinungsfreiheit zu respektieren, haben die Taliban die Medienfreiheit stark eingeschränkt (AI 29.03.2022; vergleiche HRW 13.01.2022, HRW 07.03.2022). Auch der ISKP verübte eine Reihe von tödlichen Angriffen auf Journalisten (HRW 13.01.2022). In den Wochen vor dem Einmarsch der Taliban in Kabul kam es zu Angriffen auf Journalisten (AI 9.2021; vergleiche REU 09.08.2021). Am 07.09.2021 verhafteten Sicherheitskräfte der Taliban Journalisten des in Kabul ansässigen Medienunternehmens Etilaat-e Roz. Die Reporter hatten über Proteste von Frauen in Kabul berichtet, die ein Ende der Verstöße der Taliban gegen die Rechte von Frauen und Mädchen forderten. Es wurde berichtet, dass die Taliban-Behörden die beiden Männer zu einer Polizeistation in Kabul brachten, sie in getrennte Zellen steckten und sie mit Kabeln schwer verprügelten. Beide Männer wurden am 08.09.2021 freigelassen und in einem Krankenhaus wegen ihrer Verletzungen am Rücken und im Gesicht medizinisch versorgt (HRW 08.09.2021). Es gibt auch Berichte, wonach Taliban Tränengas und Pfefferspray gegen Demonstranten einsetzen (BBC 07.09.2021). Die Situation für Journalisten außerhalb Kabuls scheint viel schlechter zu sein als innerhalb der Hauptstadt, insbesondere für Frauen (HRW 07.03.2022).

Seit der Machtübernahme der Taliban stehen die Erfahrungen ausländischer Journalisten, die größtenteils ungehindert aus Afghanistan berichten können, selbst von Orten, die zuvor unzugänglich waren, in krassem Gegensatz zu den Erfahrungen afghanischer Journalisten, die weiterhin der Gefahr von Gewalt durch die Taliban ausgesetzt sind (AAN 07.03.2022). Es gibt immer mehr Berichte über Folter, willkürliche Verhaftungen und Schläge von Journalisten, die den Taliban zugeschrieben werden (AAN 07.03.2022; vergleiche UNGASC 28.01.2022). Nach außen hin haben sich die Taliban verpflichtet, Journalisten zu schützen und die Pressefreiheit zu respektieren, jedoch existiert eine Reihe von Berichten über die Festnahme und Misshandlung von Journalisten (RSF 24.08.2021; vergleiche AA 21.10.2021). Die neuen Behörden verhängen bereits sehr strenge Auflagen für die Nachrichtenmedien, auch wenn sie noch nicht offiziell sind und es gibt Berichte wonach die Taliban Journalisten Schikanen, Drohungen und auch Gewalt aussetzen (RSF 24.08.2021; vergleiche AAN 07.03.2022).

Zahlreiche Medienschaffende haben ihre Arbeit nach der Machtübernahme der Taliban aufgegeben oder vermeiden die Berichterstattung zu bestimmten Themen wie Menschenrechtsverletzungen aufgrund von Sicherheitsbedenken, was besonders für Journalistinnen gilt (AA 21.10.2021; vergleiche AAN 07.03.2022). Es gibt Berichte unter anderem vom Committee to Protect Journalists (CPJ), dass weibliche Journalisten davon abgehalten wurden, an ihren Arbeitsplatzzurückzukehren (CPJ 19.08.2021; vergleiche AI 09.08.2021, TN 19.08.2021) und dass Journalisten bedroht, belästigt, verprügelt oder verhaftet wurden (AI 9.2021; vergleiche CPJ 19.08.2021, BBC 09.09.2021). Laut einer von Reporter ohne Grenzen (RSF) durchgeführten Umfrage arbeiten [mit Ende August 2021] weniger als 100 der 700 afghanischen Journalisten (RSF 31.08.2021; vergleiche AI 9.2021; AA 21.10.2021). Am 20.08.2021 brachen Taliban-Mitglieder, auf der Suche nach einem Journalisten, der für die Deutsche Welle (DW) arbeitet, in ein Haus ein. Der Journalist war jedoch bereits mit einem Evakuierungsflug nach Deutschland gebracht worden. Anschließend töteten sie ein Mitglied seiner Familie und verletzten ein weiteres (AI 9.2021; vergleiche TG 20.08.2021). Im Oktober 2021 gab es Berichte wonach ein Reporter von Tolonews von Soldaten am Grenzübergang Torkham geschlagen wurde, weil er über die Situation an der Grenze berichten wollte (TN 24.10.2021).

Journalisten beklagten sich über den mangelnden Zugang zu Informationen (TN 18.10.2021; vergleiche USDOS 12.04.2022) und erklärten, dass der Zugang zu Informationen trotz der Einführung mehrerer Pressesprecher in den Ministerien der Taliban-Regierung weiterhin ein Hindernis darstellt (TN 18.10.2021). Journalisten wird formell und informell vorgeschrieben, was und wie sie zu berichten haben. In einigen Fällen wurden diejenigen, die sich nicht daranhielten, vorgeladen, verhört, bedroht, gefoltert und inhaftiert. Das Ministerium für Information und Kultur ist nicht die einzige staatliche Einrichtung, die Einschränkungen vornimmt; auch Geheimdienstakteure und das Ministerium für Laster und Tugenden schränken die Pressefreiheit ein (AAN 07.03.2022).

Wie andere Sektoren auch, war der afghanische Mediensektor, einschließlich der staatlichen Rundfunkanstalt RTA, stark von ausländischer Finanzierung abhängig und konnte nie eine langfristige finanzielle Stabilität erreichen. Der Mangel an angemessenen Finanzmitteln stellte den afghanischen Mediensektor schon lange vor dem Zusammenbruch der Republik vor Herausforderungen (AAN 07.03.2022).

Internet und Mobiltelefonie:

Eine schnelle Verbreitung von Mobiltelefonen, Internet und sozialen Medien hat vielen Bürgern einen besseren Zugang zu unterschiedlichen Ansichten und Informationen ermöglicht (USDOS 30.3.2021). Es gibt Mobiltelefone in 90% der afghanischen Haushalte, wobei sich oft mehrere Personen eines teilen (DFJP/SEM 30.06.2020). Während die Anzahl der Mobiltelefonnutzer auf 23 Mio. geschätzt wird, gibt es weniger als neun Millionen Internetnutzer, was unter anderem auf die hohen Kosten und mangelnde Infrastruktur zurückgeführt wird (GBL 26.11.2021; vergleiche BBC 06.09.2021). Internet- und Telekommunikationsdienste sind in allen 34 Provinzen Afghanistans verfügbar, und die Dienste werden von verschiedenen Unternehmen angeboten. In einigen abgelegenen Gebieten ist die Qualität des Internets schlecht. Im Allgemeinen ist die Qualität der Internetdienste in den Städten besser als in den ländlichen Gebieten. Die Weltbank schätzt, dass derzeit nur 13,5 % der Afghanen Zugang zum Internet haben (IOM 12.04.2022; vergleiche DW 30.08.2021).

Fünf GSM-Betreiber decken zwei Drittel der bevölkerungsreichsten Gebiete ab. Ungefähr jeder zweite Einwohner hat im Jahr 2020 eine aktive SIM-Karte. Weniger als einer von zehn Nutzern geht mit einem Mobiltelefon ins Internet (DFJP/SEM 30.06.2020).

Im Laufe des Jahres 2021 gab es viele Berichte über Versuche der Taliban, den Zugang zu Informationen einzuschränken, oft durch die Zerstörung oder Abschaltung von Telekommunikationsantennen und anderen Geräten (USDOS 12.04.2022).

Aus strategischen Gründen schnitten die Taliban im Zuge der Kampfhandlungen die Internetverbindungen nach Panjshir zeitweise ab (AAN 01.07.2021) und es gibt auch Berichte wonach die Taliban in Kabul das Internet an- und abschalten würden (DW 30.08.2021). Am 09.09.2021 forderten die Taliban die Telekommunikationsbetreiber auf, die Internetverbindung in mehreren Bezirken Kabuls abzuschalten, darunter auch in Gebieten wie Dasht-e-Barchi, wo in den Tagen zuvor Proteste stattgefunden hatten (AI 9.2021; vergleiche IT 09.09.2021, AA 21.10.2021).

Die Taliban sind in den sozialen Medien aktiv und nutzen diese zur Außenkommunikation (BBC 06.09.2021; vergleiche USDOS 12.04.2022). Viele afghanische Bürger, die für internationale Streitkräfte, Organisationen und Medien gearbeitet haben, wie auch andere Personen, die sich in den sozialen Medien kritisch über die Taliban äußerten, deaktivierten nach der Machtübernahme der Taliban ihre Konten, da sie befürchteten, dass die Informationen dazu verwendet werden könnten, sie ins Visier zu nehmen (BBC 06.09.2021).

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Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit:

Letzte Änderung: 03.05.2022

Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und die Meinungs- und Pressefreiheit wurden seit der Machtübernahme der Taliban entgegen allgemeiner Zusicherungen deutlich eingeschränkt. Die Taliban lösten friedliche Proteste in ganz Afghanistan gewaltsam auf, wobei sie auch Schüsse, Elektroschockwaffen und Tränengas einsetzten und Demonstranten mit Peitschen und Kabeln schlugen und auspeitschten (AI 29.03.2022; vergleiche AA 21.10.2021, FH 28.02.2022, USDOS 12.04.2022). Auch von Todesopfern bei Protesten wird berichtet (BBC 19.08.2021; vergleiche AA 21.10.2021). Die Taliban haben ihr Vorgehen gegen die Proteste gegen ihre Herrschaft verschärft und haben alle Demonstrationen, die nicht offiziell genehmigt sind, verboten (TG 08.09.2021; vergleiche AA 22.10.2021, USDOS 12.04.2022). Demnach müssen Demonstrationen unter Angaben von Details zu Zweck, Zeitraum und Ort des Protests mit einem Vorlauf von 24 Stunden beim Justizministerium angemeldet und von dort genehmigt werden (AA 22.10.2021). Die Taliban warnten vor „schweren rechtlichen Konsequenzen“ sollte man sich nicht daran halten (TG 08.09.2021). Dennoch kommt es landesweit immer wieder zu Protesten und Gewaltanwendung gegen Demonstranten und Journalisten, zum Beispiel Ende Oktober 2021 bei einer Demonstration in Kabul für die Öffnung von Mädchenschulen (ANI 26.10.2021) und die Verbesserung der Wirtschaftslage (AA 21.10.2021). Zwischen Oktober und Dezember 2021 ebbten die Proteste weitgehend ab, wenngleich einige fortgesetzt wurden, vor allem von Lehrern, Beschäftigten im Gesundheitswesen und anderen Arbeitnehmern, die gegen die Nichtzahlung ihrer Gehälter protestierten. Frauengruppen griffen zunehmend darauf zurück, friedliche Versammlungen hinter verschlossenen Türen abzuhalten und ihre Botschaften über soziale Medien zu verbreiten (UNGASC 28.01.2022).

Eine formelle, organisierte politische Opposition im Land ist bislang nicht vorhanden (AA 21.10.2021; vergleiche FH 28.02.2022). Eine Reihe ehemaliger politischer Akteure, sowohl aus ehemaligen Regierungskreisen als auch aus der ehemaligen politischen Opposition, befinden sich gegenwärtig im Ausland. Prominente Figuren wie der ehemalige Vorsitzende des Hohen Rates für Nationale Versöhnung Abdullah und der ehemalige Präsident Hamid Karzai befinden sich weiterhin in Kabul (AA 21.10.2021; vergleiche FP 27.10.2021) und führen Gespräche, u. a. auch mit ausländischen Gästen. Ihr Aktionsradius ist darüber hinaus äußerst eingeschränkt, ihre öffentlichen Äußerungen sind von großer Zurückhaltung geprägt (AA 21.10.2021).

In Panjshir hat sich unter der Führung von Ahmad Massoud und dem ehemaligen Vizepräsidenten Saleh die sogenannte „Nationale Widerstandsfront“ gebildet, die laut eigenen Angaben auch nach der weitgehenden Übernahme der Provinz, durch die Taliban weiter aktiv ist und Angriffe durchführt. Vereinzelt gibt es auch aus anderen Provinzen Meldungen über bewaffneten Widerstand gegen die Taliban. Die Führung der „Nationalen Widerstandsfront“ hat sich mittlerweile nach Tadschikistan zurückgezogen (AA 21.10.2021; vergleiche France 24 04.10.2021).

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Haftbedingungen:

Letzte Änderung: 04.05.2022

Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 wurden Gefängnisse, Jugendrehabilitationszentren und andere Haftanstalten von unterschiedlichen Organisationen verwaltet: Das General Directorate of Prisons and Detention Centers (GDPDC), ein Teil des Innenministeriums (MoI), war verantwortlich für alle zivil geführten Gefängnisse, sowohl für weibliche als auch männliche Häftlinge, inklusive des nationalen Gefängniskomplexes in Pul-e Charkhi. Das MoI und das Juvenile Rehabilitation Directorate (JRD) waren verantwortlich für alle Jugendrehabilitationszentren und Zivilhaftanstalten. Das National Directorate of Security (NDS), war verantwortlich für Kurzzeit-Haftanstalten auf Provinz- und Distriktebene, die in der Regel mit den jeweiligen Hauptquartieren zusammenarbeiten. Das Verteidigungsministerium betrieb die Nationalen Haftanstalten Afghanistans in Parwan (USDOS 12.04.2022). Glaubwürdigen Berichten zufolge verwalteten regierungstreue lokale Machthaber, mächtige Personen in den Sicherheitskräften und Mitglieder der ANDSF private Gefängnisse, in denen Gefangene misshandelt wurden (USDOS 12.04.2022; vergleiche FH 04.02.2019). Die Bedingungen in den von der früheren Regierung betriebenen Gefängnissen waren aufgrund von Überbelegung, mangelnden sanitären Einrichtungen und eingeschränktem Zugang zu medizinischer Versorgung trotz des erhöhten COVID-19-Risikos, sehr hart. Der Zugang zu Nahrungsmitteln, Trinkwasser, sanitären Einrichtungen, Heizung, Belüftung, Beleuchtung und medizinischer Versorgung in den Gefängnissen war landesweit unterschiedlich und im Allgemeinen unzureichend (USDOS 12.04.2022).

Die frühere Regierung verfügte in der Regel nicht über die Möglichkeit, Untersuchungshäftlinge und verurteilte Häftlinge zu trennen oder Jugendliche nach der Schwere der gegen sie erhobenen Vorwürfe zu trennen. Lokale Gefängnisse und Haftanstalten haben nicht immer getrennte Einrichtungen für weibliche Gefangene; auch herrscht ein Mangel an separaten Einrichtungen für Untersuchungs- und Strafhäftlinge (USDOS 12.04.2022). Vor allem Frauen und Kinder wurden vor der Machtübernahme der Taliban in Haft häufig Opfer von Misshandlungen. Schätzungen zufolge leben über 300 Kinder in afghanischen Gefängnissen, ohne selbst eine Straftat begangen zu haben. Ab einem Alter von fünf Jahren ist es möglich, die Kinder in ein Heim zu transferieren. Allerdings gibt es diese Heime nicht in jeder Provinz. Die wenigen existierenden Heime sind überfüllt (AA 16.07.2021). Laut NGOs und Medienberichten hielten die Behörden Kinder unter 15 Jahren zusammen mit ihren Müttern im Gefängnis fest, was zum Teil auf die mangelnde Kapazität separater Kinderbetreuungszentren zurückzuführen war. Diese Berichte dokumentierten unzureichende Bildungs- und medizinische Einrichtungen für diese Minderjährigen (USDOS 12.04.2022).

Die Überbelegung der Gefängnisse war auch unter der Regierung vor dem 15. August ein ernstes und weit verbreitetes Problem. Nach Angaben der UNAMA waren im April landesweit mindestens 30 von 38 Gefängnissen überfüllt, mit einer durchschnittlichen Belegungsrate von fast 200 % (USDOS 12.04.2022). Nach der Übernahme Kabuls durch die Taliban wurden viele Gefängnisse geleert, da fast alle Gefangenen geflohen oder freigelassen worden waren (USDOS 12.04.2022; vergleiche AJ 17.08.2021, ANI 17.08.2021), darunter hochrangige Taliban (ANI 17.08.2021) und Mitglieder von ISKP und Al-Qaida (BBC 27.08.2021). Die beiden größten Gefängnisse - Pul-e-Charkhi in Kabul und Parwan in Bagram - blieben im Dezember weitgehend leer (USDOS 12.04.2022). Pule- Charkhi, das einst mit Tausenden von Taliban überfüllt war, die von der Regierung gefangen genommen und verhaftet worden waren, wird nun von einem Taliban-Befehlshaber geleitet, der einst dort inhaftiert war (BBC 25.09.2021; vergleiche AJ 14.09.2021).

Bereits vor der Machtübernahme unterhielten die Taliban Schattengerichte unter strikter Auslegung der Scharia in den von ihnen kontrollierten Gebieten, die von der Bevölkerung zum Teil als effizienter und verlässlicher als das korruptionsbelastete Justizsystem der Republik empfunden wurde. Aktuell gibt es Berichte, wonach die Taliban auf lokaler Ebene gegen Kriminalität vorgehen und Täter öffentlich bestrafen. Darüber, was im Anschluss weiter mit den Tätern passiert, liegen keine Erkenntnisse vor (AA 21.10.2021).

Am 23.11.2021 wies der Premierminister der Taliban die Behörden an, die Rechte der inhaftierten Personen gemäß der Scharia zu achten und zu schützen, unter anderem durch Begrenzung der Haftdauer. Dennoch erhielt UNAMA weiterhin Berichte über nicht vor Gerichte oder andere Streitbeilegungsmechanismen gebrachte Inhaftierte (UNGASC 28.01.2022; vergleiche EASO 1.2022).

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Todesstrafe:

Letzte Änderung: 03.05.2022

Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 war die Todesstrafe in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen (AA 16.07.2021). Und zwar für Delikte wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriff gegen den Staat, Mord und Zündung von Sprengladungen, Entführungen bzw. Straßenraub mit tödlicher Folge, Gruppenvergewaltigung von Frauen u.a. (StGb-AFGH 15.05.2017: Artikel 170,).

Die Taliban haben hierzu bisher keine gesetzlichen Regelungen erlassen (AA 21.10.2021; vergleiche EASO 1.2022). Die sowohl während des ersten Talibanregimes, als auch vor dem Zusammenbruch der Republik in von den Taliban kontrollierten Gebieten angewandte Rechtspraxis auf Grundlage einer strikten Auslegung der Scharia sieht die Todesstrafe vor (AA 21.10.2021).

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Religionsfreiheit:

Letzte Änderung: 09.08.2022

Etwa 99 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7 % und die Schiiten auf 10 bis 19 % der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 23.08.2022; vergleiche USDOS 02.06.2022, AA 21.10.2021). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 0,3 % der Bevölkerung aus (CIA 23.08.2022; vergleiche USDOS 02.06.2022). Der letzte bislang in Afghanistan lebende Jude hat nach der Machtübernahme der Taliban das Land verlassen (AP 09.09.2021; vergleiche USCIRF 4.2022). Die Zahl der Ahmadiyya-Muslime im Land geht in die Hunderte (USDOS 02.06.2022).

Bereits vor der Machtübernahme der Taliban waren die Möglichkeiten der konkreten Religionsausübung für Nicht-Muslime durch gesellschaftliche Stigmatisierung, Sicherheitsbedenken und die spärliche Existenz von Gebetsstätten extrem eingeschränkt (AA 21.10.2021). In den fünf Jahren vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichteten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskierten (USDOS 02.06.2022). Nach Angaben der US-Kommission für internationale Religionsfreiheit (USCIRF) sind Angehörige religiöser Gruppen auch weiterhin stark von der Verfolgung durch die Taliban bedroht (WT 06.10.2021; vergleiche NAT 06.10.2021). Zuletzt haben auch Salafisten, die wie die Taliban Sunniten sind, jedoch der wahhabitischen Schule angehören (RFE/RL 22.10.2021), die Taliban beschuldigt, ihre Gotteshäuser zu schließen und ihre Mitglieder zu verhaften bzw. zu töten (FH 28.02.2022; vergleiche RFE/RL 22.10.2021). Nach Dafürhalten des USCIRF sind trotz anfänglicher Erklärungen der Taliban, dass sie einige Elemente ihrer Ideologie reformiert hätten, Afghanen, die der strengen Auslegung des sunnitischen Islams durch die Taliban nicht folgen, sowie Anhänger anderer Glaubensrichtungen oder Überzeugungen in großer Gefahr. Berichten zufolge verfolgen die Taliban weiterhin religiöse Minderheiten und bestrafen die Bewohner der von ihnen kontrollierten Gebiete gemäß ihrer extremen Auslegung des islamischen Rechts. USCIRF liegen glaubwürdige Berichte vor, wonach religiöse Minderheiten, darunter auch Nichtgläubige und Muslime mit anderen Überzeugungen als die Taliban, schikaniert und ihre Gebetsstätten geschändet wurden (USCIRF 4.2022).

In einigen Gebieten Afghanistans (unter anderem Kabul) haben die Taliban alle Männer zur Teilnahme an den Gebetsversammlungen in den Moscheen verpflichtet und/oder Geldstrafen gegen Einwohner verhängt, die nicht zu den Gebeten erschienen sind (RFE/RL 06.01.2022) bzw. gedroht, dass Männer, die nicht zum Gebet in die Moschee gehen, strafrechtlich verfolgt werden könnten (BAMF 10.01.2022; vergleiche RFE/RL 6. 1.2022).

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Schiiten:

Letzte Änderung: 09.08.2022

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wurde vor der Machtübernahme durch die Taliban auf 10 bis 19 % geschätzt (CIA 23.08.2021; vergleiche AA 16.07.2021, USDOS 02.06.2022). Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Vertretern der Religionsgemeinschaft sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90 % von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (USDOS 02.06.2022).

Direkte Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten waren vor der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan selten (AA 16.07.2021). Die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentierte mindestens 20 Angriffe auf schiitische Hazaras in der ersten Jahreshälfte 2021 (USCIRF 4.2022). Auch nach der Machtübernahme der Taliban ging der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP) gezielt gegen Schiiten vor, mit Angriffen in Kabul, Jalalabad, Herat, Kandarhar und Kunduz (HRW 25.10.2021; vergleiche FH 28.02.2022, USDOS 12.04.2022).

Im Juli 2021 berichtete AI (Amnesty International) über die Tötung von neun Angehörigen der Hazara in der Provinz Ghazni (USCIRF 4.2022; vergleiche BBC 20.08.2021) und im August 2021 sollen nach Angaben der NGO in der Provinz Daikundi 13 Angehörige der Hazara-Minderheit, darunter ein 17-jähriges Mädchen, von den Taliban getötet worden sein (AI 05.10.2021; vergleiche USCIRF 4.2022). AI nimmt an, dass diese Tötungen nur einen winzigen Bruchteil der gesamten Todesopfer durch die Taliban darstellen, da die Gruppe in vielen Gebieten, die sie kürzlich erobert hat, die Mobilfunkverbindung gekappt hat und kontrolliert, welche Fotos und Videos aus diesen Regionen verbreitet werden (AI 19.08.2021).

Im Oktober kam es zu Anschlägen auf schiitische Moscheen in Kandarhar (UNOCHA 21.10.2021; vergleiche WP 15.10.2021) und Kunduz bei denen viele Menschen getötet wurden (BBC 09.10.2021; vergleiche TG 08.10.2021). Nach diesen Angriffen versprachen die Taliban die Sicherheitsmaßnahmen vor schiitischen Moscheen zu erhöhen (AN 17.10.2021; vergleiche HRW 25.10.2021).

Human Rights Watch (HRW) berichtet, dass Angehörige der Taliban beschuldigt werden, Zwangsumsiedlungen, vor allem unter Angehörigen der schiitischen Hazara, vorzunehmen, um das Land unter ihren eigenen Anhängern aufzuteilen (HRW 22.10.2021; vergleiche USDOS 12.04.2022, USDOS 02.06.2022). HRW verwies auf Vertreibungen in Daikundi, Uruzgan, Kandahar, Helmand und Balkh. In Helmand und Balkh wurden Anfang Oktober Hunderte von Hazara-Familien vertrieben, und in 14 Dörfern in Daikundi und Uruzgan wurden im September mindestens 2.800

Hazara-Bewohner vertrieben (HRW 22.10.2021; vergleiche USDOS 12.04.2022).

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Apostasie, Blasphemie, Konversion:

Letzte Änderung: 09.08.2022

Die Zahl der afghanischen Christen in Afghanistan ist höchst unsicher (USDOS 02.06.2022). Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 16.07.2021). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Der Islam spielt eine entscheidende Rolle in der afghanischen Gesellschaft und definiert die Auffassung der Afghanen vom Leben, von Moral und Lebensrhythmus. Den Islam zu verlassen und zu einer anderen Religion zu konvertieren bedeutet, gegen die gesellschaftlichen Kerninstitutionen und die soziale Ordnung zu rebellieren (LI 07.04.2021).

Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 konnten christliche Afghanen ihren Glauben nicht offen praktizieren (LI 07.04.2021; vergleiche USDOS 02.06.2022, AA 16.07.2021). In den fünf Jahren davor gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie (USDOS 02.06.2022; vergleiche AA 16.07.2020); jedoch berichteten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskierten (USDOS 02.06.2022). Presseberichte nach der Machtübernahme der Taliban ließen befürchten, dass die Gruppe christliche Konvertiten als Abtrünnige betrachten würde. Diese Berichte in Verbindung mit Erklärungen einiger Taliban-Führer, die sich ab August 2021 das Recht vorbehielten, harte Strafen für Verstöße gegen die strenge Auslegung der Scharia durch die Gruppe zu verhängen, führten dazu, dass sich einige christliche Konvertiten noch stärker versteckten, so die NGO International Christian Concern (USDOS 02.06.2022; vergleiche ICC o.D.).

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 02.06.2022).

Es gibt wenig konkrete Informationen darüber, wie christliche Afghanen ihren Glauben tatsächlich praktizieren; das verfügbare Material, das ihre Situation und Herausforderungen beschreibt, ist bescheiden und anekdotisch. Jene, die sich in der Öffentlichkeit oder über digitale Medien zu ihrem Glauben bekennen, sind ausnahmslos Afghanen, die außerhalb des Landes leben.

Es gibt keine Anzeichen für christliche Traditionen, christliche Präsenz oder Kirchengebäude jeglicher Art in Afghanistan (LI 07.04.2021). Christliche Konvertiten in Afghanistan praktizierten ihren Glauben im Verborgenen aus Angst vor Repressalien und Drohungen seitens der Taliban und separat vom Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISKP) (USCIRF 4.2022; vergleiche USDOS 02.06.2022).

Ein Konvertit wird in jeder Hinsicht stigmatisiert: als Repräsentant seiner Familie, Ehepartner, Eltern/Erziehungsberechtigter, politischer Bündnispartner und Geschäftspartner. Weigert sich der Konvertit, zum Islam zurückzukehren, riskiert er, von seiner Familie ausgeschlossen zu werden und im Extremfall Gewalt und Drohungen ausgesetzt zu sein. Einige Konvertiten haben angeblich Todesdrohungen von ihren eigenen Familienmitgliedern erhalten (LI 07.04.2021; vergleiche USDOS 02.06.2022).

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Ethnische Gruppen:

Letzte Änderung: 03.05.2022

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 37,5 Millionen Menschen (NSIA 6.2020; vergleiche CIA 23.08.2021). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016; vergleiche CIA 23.08.2021). Die größten Bevölkerungsgruppen sind Paschtunen (32-42%), Tadschiken (ca. 27%), Hazara (ca. 9-20%) und Usbeken (ca. 9%), gefolgt von Turkmenen und Belutschen (jeweils ca. 2%) (AA 21.10.2021).

Neben den alten Blöcken der Islamisten und linksgerichteten politischen Organisationen [Anm.: welche oftmals vor dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan entstanden] mobilisieren politische Parteien in Afghanistan vornehmlich entlang ethnischer Linien, wobei letztere Tendenz durch den Krieg noch weiter zugenommen hat (AAN 24.03.2021; vergleiche Karrell 26.01.2017).

Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 12.04.2022).

Die am 07.09.2021 gebildete Übergangsregierung der Taliban umfasste nur drei Vertreter der usbekischen bzw. der tadschikischen Minderheiten, durch weitere Ernennungen kamen mittlerweile wenige weitere, darunter ein Vertreter der Hazara, hinzu (AA 21.10.2021).

Darüber hinaus unterliegen - soweit bislang erkennbar - ethnische Minderheiten, aber keiner grundsätzlichen Verfolgung durch die Taliban, solange sie deren Machtanspruch akzeptieren (AA 21.10.2021). So waren zum Beispiel am 20.12.2021 alle 34 Provinzgouverneure männlich und überwiegend Paschtunen, während andere ethnische Gruppen kaum vertreten waren (UNGASC 28.01.2022).

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Paschtunen:

Letzte Änderung: 04.05.2022

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime (MRG o.D.e). Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (STDOK 7.2016).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Paschtunwali zusammengefasst werden (STDOK 7.2016; vergleiche NYT 10.06.2019) und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (STDOK 7.2016).

Die Taliban sind eine vorwiegend paschtunische Bewegung (BBC 26.05.2016; vergleiche RFE/RL 13.11.2018, EASO 9.2016, AAN 4.2011), werden aber nicht als nationalistische Bewegung gesehen (EASO 9.2016). Die Taliban rekrutieren auch aus anderen ethnischen Gruppen (RFE/RL 13.11.2018; vergleiche AAN 4.2011, EASO 9.2016). Die Unterstützung der Taliban durch paschtunische Stämme ist oftmals in der Marginalisierung einzelner Stämme durch die Regierung und im Konkurrenzverhalten oder der Rivalität zwischen unterschiedlichen Stämmen begründet (EASO 9.2016).

Die derzeitige Taliban-Regierung besteht fast ausschließlich aus männlichen Taliban-Kämpfern, Klerikern und politischen Führern, die der vorherrschenden Volksgruppe der Paschtunen angehören (USDOS 12.04.2022; vergleiche AA 21.10.2021).

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Hazara:

Letzte Änderung: 09.08.2022

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 15 % der Bevölkerung aus (MRG o.D.c.; vergleiche EASO 1.2022). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazarajat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara ausihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (STDOK 7.2016).

Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt Kabul, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri, Afshar und Kart-e Mamurin (AAN 19.03.2019).

Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild (STDOK 7.2016). Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten (STDOK 7.2016; vergleiche MRG o.D.c, EASO 1.2022), auch bekannt als Jafari Schiiten (USDOS 02.06.2022).

Eine Minderheit der Hazara ist ismailitisch (STDOK 7.2016). Ismailitische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind (GS 21.08.2012), leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (USDOS 02.06.2022).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan (STDOK 7.2016; vergleiche MRG o.D.c). Sollte der dem Haushalt vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist (MRG o.D.c).

Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (STDOK 7.2016).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (WP 21.03.2018).

Die Lage der Hazara, die während der ersten Taliban-Herrschaft [1996-2001] besonders verfolgt waren, hatte sich [bis zur erneuten Machtübernahme durch die Taliban im August 2021] grundsätzlich verbessert (AA 16.7.2021; vergleiche FH 04.03.2020). Sie wurden jedoch weiterhin am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, fanden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung (USDOS 12.04.2022).

Seit sich der Islamische Staat in der Provinz Khorasan (ISKP) als neuer Akteur im Afghanistan-Konflikt etabliert hat, wurde die Hazara-Bevölkerung Afghanistans zu einem der Hauptziele des ISKP. Trotz Bemühungen des afghanischen Staates, die Sicherheit der Hazaras zu verbessern, gelang es dem ISKP immer wieder, Anschläge auf sie zu verüben. Die Machtübernahme der Taliban im August 2021 hat daran nichts geändert (BAMF 5.2022) und Hazara sind weiterhin besonders gefährdet, Opfer von Anschlägen des ISKP zu werden. Diese Anschläge waren bereits in der Vergangenheit häufig gegen überwiegend von Hazara genutzte Einrichtungen oder Wohnviertel gerichtet (BAMF 5.2022; vergleiche AAN 17.01.2022, AA 21.10.2021). Während des gesamten Jahres 2021 setzte der ISKP seine Angriffe auf schiitische Gemeinschaften, vorwiegend Hazara, fort. Beispielsweise tötete am 08.10.2021 ein Selbstmordattentäter des ISKP mindestens 50 Angehörige der schiitischen Minderheit in einer Moschee in Kundus. Am 15.10.2021 wurden bei einem Selbstmordattentat auf eine Moschee der schiitischen Gemeinschaft in Kandahar mehr als 30 Gläubige getötet. Nach Anschlägen und Drohungen verstärkten die Sicherheitskräfte der Taliban die Schutzmaßnahmen an schiitischen Moscheen (USDOS 12.04.2022). Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen (USDOS 02.06.2022; vergleiche AAN 17.01.2022) wie im Mai 2021, als eine Autobombe vor einer Mädchenschule in Dasht-e Barchi explodierte, wobei 58 Personen, darunter Schülerinnen, getötet und mehr als 100 verletzt wurden (AJ 09.05.2021; vergleiche NYT 09.05.2021).

Einem Bericht des Afghanistan Analyst Network (AAN) vom 17. Januar 2022 zufolge gingen die Angriffe auf die Hazara nach der Machtübernahme zunächst kurzzeitig zurück, um dann ab September 2021 wieder zuzunehmen. Es wurde in den hauptsächlich von Hazara bewohnten Gebieten im Westen Kabuls eine rund einmonatige Anschlagspause verzeichnet, dann kam es jedoch wieder zu einigen Explosionen im Kabuler Stadtviertel Dasht-e Barchi, wie auch zu Anschlägen in Kunduz und Kandahar (AAN 17.01.2022).

Im Juli 2021 berichtete AI (Amnesty International) über die Tötung von neun Angehörigen der Hazara in der Provinz Ghazni (AI 19.08.2021; vergleiche BBC 20.08.2021) und im August 2021 sollen nach Angaben der NGO in der Provinz Daikundi 13 Angehörige der Hazara-Minderheit, darunter ein 17-jähriges Mädchen von den Taliban getötet worden sein (AI 05.10.2021; vergleiche BBC 05.10.2021). AI nimmt an, dass diese Tötungen nur einen winzigen Bruchteil der gesamten Todesopfer durch die Taliban darstellen, da die Gruppe in vielen Gebieten, die sie kürzlich erobert hat, die Mobilfunkverbindung gekappt hat und kontrolliert, welche Fotos und Videos aus diesen Regionen verbreitet werden (AI 19.08.2021).

Es gibt Berichte, dass Angehörige der Taliban beschuldigt werden, Zwangsumsiedlungen, vor allem unter Angehörigen der schiitischen Hazara, vorzunehmen, um das Land unter ihren eigenen Anhängern aufzuteilen. Die Quellen verweisen auf Vertreibungen in Daikundi, Uruzgan, Kandahar, Helmand und Balkh (HRW 22.10.2021; vergleiche DIS 12.2021, FH 28.02.2022). In Helmand und Balkh wurden Anfang Oktober „Hunderte von Hazara-Familien“, und in 14 Dörfern in Daikundi und Uruzgan im September mindestens 2.800 Hazara-Bewohner vertrieben (HRW 22.10.2021; vergleiche USDOS 12.04.2022). Drei im Bericht der dänischen Einwanderungsbehörde zitierten Quellen zufolge zeigen diese Vertreibungen, dass die Taliban die Hazara zwar nicht systematisch verfolgen, sie aber auch nicht bereit sind, sie zu schützen (DIS 12.2021).

Im Dezember 2021 führten hochrangige Taliban-Vertreter eine Reihe von Gesprächen mit schiitischen Hazara-Führern. Am 26.12.2021 veranstaltete der stellvertretende Interimspremierminister Maulavi Mohammed Abdul Kabir ein Treffen von schiitischen Führern aus dem ganzen Land und der stellvertretende Interims-Außenminister Sher Mohammad Abbas Stanekzai sprach am 29.12.2021 auf einer Sitzung des schiitischen Ulema-Rates in Kabul. Bei diesen Treffen bekundeten die Taliban-Vertreter ihre Entschlossenheit, für die Sicherheit aller Bürger zu sorgen und eine konfessionelle Spaltung zu vermeiden (USDOS 12.04.2022).

Auch im Jahr 2022 kam es weiterhin zu Angriffen. Beispielsweise wurden am 24.01.2022 bei einem ISKP-Anschlag im Hazara-Viertel Haji Abbas in Herat sieben Menschen getötet und zehn weitere verletzt (8am 24.01.2022; vergleiche BAMF 5.2022). Ebenso in Herat kam es am 01.04.2022 im Hazara-Viertel Jebrail zu einem Bombenanschlag, bei dem 12 junge Männer getötet und 25 weitere verletzt wurden (8am 06.04.2022; vergleiche BAMF 5.2022). Mindestens 26 junge Hazara wurden bei zwei Angriffen auf Bildungseinrichtungen in Kabul am 19.04.2022 getötet (8am 19.04.2022; vergleiche BAMF 5.2022). Am 21.04.2022 kam es zu einem weiteren Angriff in Kabul und auf eine schiitische Moschee in Mazar-e Sharif, bei dem 30 Menschen getötet und 80 verletzt wurden (8am 21.04.2022; vergleiche BAMF 5.2022). Am 28.04.2022 kamen bei zwei Bombenexplosionen in Mazar-e Sharif neun Menschen ums Leben und 13 wurden verletzt. Die Opfer waren vor allem Hazara und der ISKP bekannte sich zu dem Anschlag (KP 29.04.2022; vergleiche BAMF 5.2022).

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Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 04.05.2022

Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielen eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort. Für eine Unterstützung seitens der Familie kommt es auch darauf an, welche politische und religiöse Überzeugung den jeweiligen Heimatort dominiert. Für Frauen ist es kaum möglich, ohne familiäre Einbindung in andere Regionen auszuweichen. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 16.07.2021). Nach der Machtübernahme der Taliban gab es Berichte über härtere Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für Frauen (HRW 17.08.2021).

Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischsten ist, da viele von ihnen - zumindest anfangs - regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Die Auswirkungen neuer Bewohner auf die Stadt sind schwer zu evaluieren. Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu öfteren Wohnortwechseln, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht „man kenne seine Nachbarn nicht mehr“ (AAN 19.03.2019).

Die Absorptionsfähigkeit der Ausweichmöglichkeiten, vor allem im Umfeld größerer Städte, ist durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und Rückkehrer bereits stark beansprucht. Dies schlägt sich sowohl im Anstieg der Lebenshaltungskosten als auch im erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt nieder. Die Auswirkungen des anhaltenden Konflikts und der Covid-19-Pandemie haben die Lage weiter verschärft (AA 16.07.2021).

Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021:

Seit der Machtübernahme der Taliban gibt es Berichte, wonach die afghanische Bevölkerung daran gehindert wurde, ins Ausland zu fliehen und dort Asyl zu suchen, weil die Taliban den Zugang zum Flughafen von Kabul verhinderten oder die Landgrenzen geschlossen wurden. Einige Männer und Frauen wurden Berichten zufolge gefoltert oder misshandelt, als sie versuchten, das Land zu verlassen (AI 9.2021). Am 01.03.2022 erklärte ein Sprecher der Taliban, Besitzer legaler Reisedokumente könnten das Land ungehindert verlassen. Nur illegale Migration solle verhindert werden. Frauen dürfen nur mit männlicher Begleitung und einem triftigen Grund ausreisen. Gleichzeitig veröffentlichte das Nachrichtenportal „8am“ ein Dokument der für die Grenzsicherheit zuständigen Behörde des Innenministeriums, das Sicherheitskräfte an den Landgrenzen und Flughäfen auffordert, die Ausreise ehemaliger Angestellter der NATO und der amerikanischen Armee zu verhindern (BAMF 07.03.2022).

Sowohl Iran wie auch Pakistan haben ihre Grenzen für Personen ohne gültige Reisedokumente geschlossen, die aus Afghanistan einreisen wollen (DIS 12.2021; vergleiche SIGAR 30.01.2022), wobei nach Angaben von UNHCR Afghanen weiterhin illegal über inoffizielle Grenzübergänge in den Iran gelangen (UNHCR 10.11.2021) und Pakistan die Einreise bei einer kleinen Anzahl von medizinischen Fällen ohne Dokumente erlaubt hat (SIGAR 30.01.2022). Pakistan hat im Jahr 2020 begonnen, seine Grenze zu Afghanistan mit 2.600 km an Zäunen zu verstärken (DIS 12.2021). Der Bau des Zauns wurde mit Ende 2021 weiter fortgesetzt, trotz Versuchen seitens der Taliban, den Bau zu behindern (Dawn 07.01.2022; vergleiche VOA 03.01.2022).

Unmittelbar nach der Machtübernahme der Taliban riegelte die usbekische Regierung die Grenze zu Afghanistan ab und erklärte, dass keine afghanischen Flüchtlinge ins Land gelassen würden. Der usbekische Flughafen wurde zwar als Zwischenstopp zum Auftanken für Flüchtlingsflüge nach Europa und darüber hinaus zur Verfügung gestellt, doch das Einreiseverbot für Flüchtlinge blieb bestehen, auch nachdem der Grenzübergang Termez wieder für den zugelassenen gewerblichen Verkehr geöffnet wurde (VOA 23.12.2021). Auch die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan bleibt geschlossen (DIS 12.2021) und es gibt Berichte über zwangsweise Rückführungen von Afghanen aus Tadschikistan (UNHCR 19.11.2021; vergleiche DIS 12.2021). Mit Stand Jänner 2022 sind die Landgrenzen nach Tadschikistan und Usbekistan für Afghanen geschlossen (SIGAR 30.01.2022).

Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August war der Reiseverkehr zwischen den Städten im Allgemeinen ungehindert möglich (USDOS 12.04.2022). Die Taliban schränken die Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes kaum direkt ein. Allerdings können Kontrollpunkte, die dazu dienen, mutmaßliche Gegner zu verhaften und die Taliban-Vorschriften durchzusetzen, die Bewegungsfreiheit erschweren. Die Bewegungsfreiheit von Frauen ist eingeschränkt, da das Ministerium für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern vorschreibt, wie weit sie ohne Begleitung reisen dürfen. Frauen, die keine Kleidung tragen, die den Richtlinien des Ministeriums entspricht, kann der Zutritt zu Fahrzeugen untersagt werden (FH 28.02.2022).

Seit dem 26.12.2021 ist es afghanischen Frauen untersagt, mehr als 72 Kilometer (45 Meilen) ohne einen männlichen Verwandten zu reisen. Das Taliban-Ministerium für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern hat es Fahrern verboten, allein reisende Frauen mitzunehmen (RFE/RL 06.01.2022; vergleiche DW 26.12.2021).

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IDPs und Flüchtlinge

Letzte Änderung: 04.05.2022

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten (AA 16.07.2021).

Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führte vor der Machtübernahme durch die Taliban zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und zeitnahen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlte weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft (USDOS 12.04.2022).

IDPs waren in den Möglichkeiten eingeschränkt, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Oft kam es nach der ersten Binnenvertreibung zu einer weiteren Binnenwanderung. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand hatten oft Schwierigkeiten, grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen (USDOS 30.03.2021). Das Einkommen von Binnenvertriebenen und Rückkehrern war gering, da die Mehrheit der Menschen innerhalb dieser Gemeinschaften von Tagelöhnern und/oder Überweisungen von Verwandten im Ausland abhängig war, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (Halle 12.2020).

Die vier Mio. Binnenvertriebenen in Afghanistan leben unter Bedingungen, die sich perfekt für die schnelle Übertragung eines Virus wie COVID-19 eignen. Die Lager sind beengt, unhygienisch, und es fehlt selbst an den grundlegendsten medizinischen Einrichtungen. Sie leben in Hütten aus Lehm, Pfählen und Plastikplanen, in denen bis zu zehn Personen in nur einem oder zwei Räumen untergebracht sind, und sind nicht in der Lage, soziale Distanzierung und Quarantäne zu praktizieren (AI 30.03.2021). Der Zugang zur Gesundheitsversorgung war für Binnenvertriebene und Rückkehrer bereits vor der COVID-19-Pandemie eingeschränkt. Seit Beginn der Pandemie hat sich der Zugang weiter verschlechtert, da einige medizinische Zentren in COVID-19-Behandlungszentren umgewandelt wurden und die Finanzierung der humanitären Hilfe zurückging (Halle 12.2020).

Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021:

736.889 Menschen sind seit Anfang 2021 [Anm.: bis 13.03.2022] in Afghanistan intern vertrieben worden, 72.487 bislang im Jahr 2022 (UNHCR 15.03.2022). Im gesamten Jahr 2021 waren es 682,031 Menschen (AI 29.03.2022). Im Jahr 2020 hatte UNOCHA 332.902 Menschen als neue Binnenvertriebene aufgrund des Konflikts und von Naturkatastrophen bestätigt (UNOCHA 27.12.2020; vergleiche NRC 11.2020, AI 30.03.2021). Bis Oktober 2021 stieg die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen auf mehr als 3,5 Millionen Menschen (AA 21.10.2021). Ihre genaue Zahl

lässt sich jedoch nicht bestimmen (STDOK 10.2020).

Die Unsicherheit ist nicht der einzige Faktor, der die Menschen zwingt, ihre Häuser zu verlassen (UNHCR 15.10.2021; vergleiche NH 30.08.2021, UNGASC 28.01.2022). Die Wirtschafts- und Liquiditätskrise seit der Machtübernahme durch die Taliban, die geringeren landwirtschaftlichen Erträge aufgrund der Dürre, die unzuverlässige Stromversorgung und die sich verschlechternde Infrastruktur sowie die anhaltende COVID-19-Pandemie haben die humanitäre Krise verschärft (USDOS 12.04.2022). Darüber hinaus erlebte Afghanistan 2021 die zweite schwere Dürre innerhalb von vier Jahren, die die Nahrungsmittelproduktion stark beeinträchtigte (UNHCR 15.10.2021; vergleiche NH 30.08.2021, UNGASC 28.01.2022).

Nachdem die Taliban die Kontrolle über Afghanistan übernommen haben, sind Tausende von Menschen über die Grenze von Chaman ins benachbarte Pakistan (BBC 01.09.2021) oder über den Grenzübergang Islam Qala in den Iran geflohen (DZ 01.09.2021). Insgesamt 32 von 34 Provinzen haben ein gewisses Maß an Vertreibung zu verzeichnen (IOM 19.08.2021). Ein ehemaliger US-Militärvertreter erklärte, Überlandverbindungen seien riskant, aber zurzeit die einzige Möglichkeit zur Flucht. Laut US-Militärkreisen haben die Taliban weitere Kontrollpunkte auf den Hauptstraßen nach Usbekistan und Tadschikistan errichtet. Die Taliban verbieten zudem Frauen, ohne männliche Begleitung zu reisen (DZ 01.09.2021).

Nach dem Ende der gewaltsamen Auseinandersetzungen in weiten Teilen des Landes gibt es erste Anzeichen für eine Rückkehr Binnenvertriebener in ihre Heimatprovinzen (AA 21.10.2021; vergleiche UNHCR 27.02.2022). Die Taliban haben internationale Organisationen der humanitären Hilfe um Unterstützung bei der Rückführung Binnenvertriebener gebeten, die selbst in der Regel nicht über ausreichende Mittel zur Rückkehr verfügen (AA 21.10.2021).

Aufgrund des Winter gingen viele Binnenflüchtlinge nach Kabul, wo sie auf Hilfe hofften (UNHCR 15.10.2021). Das Ministerium für Flüchtlingsangelegenheiten der Übergangsregierung der Taliban hat zusammen mit einer Reihe von Hilfsorganisationen mit der Umsiedlung von Tausenden von Binnenvertriebenen im Oktober begonnen, die zumeist aus Behelfsunterkünften in Kabul in ihre Heimatprovinzen umgesiedelt wurden (römisch XI 05.10.2021; vergleiche KP 03.10.2021).

[...]

Afghanische Flüchtlinge im Iran:

Letzte Änderung: 04.05.2022

Iran hat die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet und übernimmt seit mehr als drei Jahrzehnten Verantwortung für afghanische und irakische Flüchtlinge im Land (AA 28.01.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Die Behörden arbeiten mit dem Büro von UNHCR zusammen, um afghanischen und irakischen Flüchtlingen Hilfe bereitzustellen (USDOS 30.03.2021; vergleiche UNHCR 30.09.2020), vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Lebensunterhalt (UNHCR 2020). Die iranische Regierung ist über das Amt für Ausländer- und Einwanderungsangelegenheiten (BAFIA) für die Registrierung von Asylwerbern und Flüchtlingen sowie für die Feststellung des Flüchtlingsstatus im Iran gemäß den iranischen Rechtsvorschriften zuständig. UNHCR im Iran nimmt keine Asylanträge an und entscheidet nicht über Asylanträge (UNHCR 26.09.2021).

Von den Flüchtlingen stellen die afghanischen weiterhin die größte Gruppe, gefolgt von irakischen. Insgesamt ist der Iran eines der größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge weltweit (GIZ 12.2020c). Im Iran halten sich ca. 3-4,5 Millionen Afghanen auf, wobei ca. 300.000 seit der Machtergreifung der Taliban Anfang August 2021 in den Iran geflohen sind (ÖB Teheran 11.2021). Einem eingeschränkten Kreis von 800.000 Amayesh-Karteninhaberinnen und -inhabern, die Zugang zu Gesundheitsdiensten und zum Bildungssystem haben, stehen laut UNHCR 2,6 Mio. nicht registrierte Flüchtlinge und 586.000 Afghaninnen mit Pass und Visum gegenüber (AA 28.01.2022). Internationale Organisationen wie UNHCR und NGOs bestätigen, dass der Iran afghanische Flüchtlinge einerseits in den vergangenen Jahren sehr großzügig aufgenommen und behandelt, andererseits aber sehr wenig internationale Unterstützung erhalten hat (ÖB Teheran 11.2021). Vor dem Hintergrund der faktischen Machtübernahme der Taliban in Afghanistan rechnet die iranische Regierung mit einer Massenfluchtbewegung aus dem Nachbarland und betont mit Blick auf die Wirtschaftslage und die anhaltende COVID-19-Pandemie, dass die Aufnahmekapazität erreicht sei. Deshalb fordert der Iran substanzielle finanzielle Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. UNHCR beobachtet ein erhöhtes Fluchtaufkommen, insb. Über illegale Schleuserrouten (AA 28.01.2022).

Mit der Durchführung des Amayesh-Programms für Flüchtlinge im Iran wurde in der Zeit von 2001 bis 2003 begonnen. Im Jahr 2001 begann man mit den Vorregistrierungen und im Jahr 2003 wurde die erste Amayesh-Runde durchgeführt. Die Personen, die durch das Programm registriert worden sind, bekamen sogenannte Amayesh-Karten ausgestellt, die unter anderem das Recht auf medizinische Versorgung und Ausbildung einschließen. Die Amayesh-Karten haben eine begrenzte Gültigkeit und um ihren legalen Status im Iran nicht zu verlieren, müssen sich Amayesh-registrierte Personen bei jeder Registrierungsrunde, die im Iran durchgeführt wird, erneut registrieren. Der Prozess zur erneuten Registrierung ist immer noch mit Schwierigkeiten und unterschiedlichen Ausgaben verbunden, die in den unterschiedlichen Provinzen variieren können. Normalerweise geschieht die Erneuerung jedes Jahr, die Kosten liegen bei 200-300 US-Dollar für eine Familie mit fünf Personen (hierin sind die Kosten für die Arbeitserlaubnis für eine Person sowie die Provinzsteuer inkludiert). Die iranischen Behörden geben im Internet bekannt, wenn es Zeit für eine neue Amayesh-Runde ist. Sie informieren auch über andere Regeln online und erwarten, dass sich die Betroffenen auf dem Laufenden halten, was nicht immer der Fall ist. Hilfsorganisationen richten sich mit extra Information an die am meisten schutzbedürftigen Gruppen, damit sie nicht verpassen, sich erneut für eine neue Amayesh-Karte oder den Schulbesuch der Kinder zu registrieren (Lifos 10.04.2018).

Die Afghanen, die vor 2001 in den Iran gekommen sind, werden - vorausgesetzt, dass sie sich bei sämtlichen Amayesh-Registrierungen registriert haben - von den iranischen Behörden als Flüchtlinge betrachtet. Das Amayesh-System ist aber kein offenes System, was bedeutet, dass neu eingereiste Afghanen kein Asyl im Iran beantragen können. Seit 2001 werden im Prinzip keine Neuregistrierungen mehr vorgenommen. Zu den Ausnahmen gehören wenige, besonders schutzbedürftige Fälle. Kinder von Amayesh-registrierten Eltern werden registriert (Lifos 10.04.2018). Die Behörden erlauben aber auch unregistrierten afghanischen Kindern den Schulbesuch (HRW 14.05.2019; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Wenn eine Person ihren Amayesh-Status infolge einer verpassten Registrierung verliert, gibt es keine Möglichkeit zur erneuten Registrierung. Amayesh-Registrierte verlieren ihren Status, wenn sie den Iran verlassen, weil der Amayesh- Status keine Ausreise erlaubt (Lifos 10.04.2018).

Amayesh-registrierte Afghanen haben das Recht, eine Arbeitsgenehmigung zu beantragen (Lifos 10.04.2018; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Männer im Alter von 18 bis 65 sind dazu verpflichtet, dieses in Zusammenhang mit der Amayesh-Registrierung zu tun. Amayesh-registrierte Frauen können keine offizielle Arbeitserlaubnis im Iran beantragen, aber in der Praxis arbeiten auch einige afghanische Frauen - oft zu Hause. Der Arbeitsmarkt für Afghanen in Iran ist reguliert und Afghanen haben das Recht, in 87 verschiedenen Berufen zu arbeiten. Ein Problem für Amayesh-registrierte, ausgebildete Personen ist, dass die Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt bedeuten können, dass sie nicht in dem Bereich arbeiten können, für den sie ausgebildet sind. Was den Zugang der afghanischen Bevölkerung zum Arbeitsmarkt sowie die Möglichkeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen angeht, haben die iranischen Behörden in den letzten Jahren frühere Restriktionen verringert. In einzelnen Fällen, wo eine Amayesh-registrierte Person eine gewisse Berufskompetenz besitzt, die nicht unter die 87 erlaubten Berufe fällt, kann eine Ausnahme gestattet werden (Lifos 10.04.2018). Gemäß einem anderen Bericht gehen die meisten Flüchtlinge jedoch eher minderwertigen und schlecht bezahlten Arbeiten v.a. im informellen Sektor (Bau, Reinigung/Müllabfuhr oder Landwirtschaft) nach, die offiziell versicherungspflichtig sind, während eine Beschäftigung in hochqualifizierten Berufen nicht erlaubt ist (AA 28.01.2022).

Als Teil der Bestrebungen der iranischen Behörden, Kontrolle über die sich illegal im Land aufhaltenden Afghanen zu bekommen, wurde 2017 ein Programm zur Identifikation und Registrierung afghanischer Staatsbürger durchgeführt. Dieser sogenannte ’headcount’ richtete sich zu Beginn nur auf Afghanen, wurde aber später auch auf irakische Staatsbürger im Land ausgeweitet. Bis Mitte September 2017 wurden durch dieses Programm ca. 800.000 ausländische Staatsbürger mit illegalem Aufenthalt im Land identifiziert. Hinsichtlich sich illegal im Land aufhaltender Afghanen wurde das Hauptaugenmerk in der ersten Runde auf drei besondere Kategorien gerichtet:

1. Unregistrierte Afghanen mit in die Schule gehenden Kindern;

2. Unregistrierte Afghanen, die mit Amayesh-registrierten Personen verheiratet sind;

3. Unregistrierte Afghanen, die mit iranischen Staatsbürgern verheiratet sind (Lifos 10.04.2018).

Personen aus diesen Kategorien, die eine dem Programm entsprechende Identifikation durchlaufen haben, haben einen Papierbeleg (headcount slip) erhalten, der sie bis auf Weiteres davor schützt, aus dem Iran deportiert zu werden. Die Möglichkeit zur Teilnahme an dem Programm wurde auf früher Amayesh-registrierte Personen oder Visumsinhaber, die ihren Status aus irgendeinem Grund verloren haben, ausgeweitet. Der Fokus der iranischen Behörden liegt darauf, den Aufenthalt der Afghanen, die sich illegal im Land befinden, zu erfassen und zu regulieren, und nicht auf Deportationen (Lifos 10.04.2018). Infolge eines Dekrets des Obersten Revolutionsführers aus dem Jahr 2015 sind aktuell 500.080 afghanische und irakische Flüchtlingskinder, darunter 185.000 ohne offiziellen Flüchtlingsstatus, an iranischen Schulen eingeschrieben. Neben dem Schutz vor Abschiebungen für die ganze Familie geht damit der Zugang zu einer besseren Grundversorgung mit Nahrungsmitteln sowie Beratung und Gesundheitsfürsorge einher (AA 28.01.2022). Auch die Schulgebühren für Flüchtlingskinder wurden 2016 aufgehoben. Dennoch finden nicht alle Kinder einen Schulplatz, auch weil erschwingliche Transportmöglichkeiten zur nächsten Schule fehlen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche ACCORD 5.2020), die Kinder illegal arbeiten geschickt werden, die allgemeine Einschreibegebühr von umgerechnet 60 USD zu hoch ist, oder Eltern iranischer Kinder gegen die Aufnahme von afghanischen Kindern sind (ÖB Teheran 11.2021). Flüchtlingskinder lernen Seite an Seite mit ihren iranischen Klassenkameraden nach dem iranischen Lehrplan. Allein im Jahr 2019 schuf Iran in seinen Schulen Platz für etwa 60.000 zusätzliche afghanische Schüler. Es gibt einige von der afghanischen Gemeinschaft betriebene Schulen, in denen in Dari oder anderen in Afghanistan gesprochenen Sprachen unterrichtet wird, aber diese Schulen wurden erst vor Kurzem offiziell anerkannt, nachdem sie zuvor regelmäßig von den Behörden geschlossen wurden (ACCORD 5.2020). Auch der Zugang zu höherer Bildung ist möglich, dafür muss jedoch der Flüchtlingsstatus aufgegeben, und ein Studentenvisum beantragt werden. Nach dem Studium besteht daher die Gefahr, keine Aufenthaltserlaubnis mehr zu erlangen. Infolgedessen beantragen viele stattdessen Asyl in Europa, um dort ihre Ausbildung fortzusetzen, obwohl sie dies lieber in Iran gemacht hätten (ÖB Teheran 11.2021).

Die Krankenversicherungsleistungen für registrierte Flüchtlinge sollen erweitert und möglichst alle Flüchtlinge in medizinische Betreuungsmaßnahmen aufgenommen werden. Dazu bedient sich die Flüchtlingsbehörde BAFIA zunehmend eines Überweisungssystems von besonders schwierigen Fällen an internationale NGOs oder den UNHCR. Dieser ist mit Gesundheitsstationen in 18 Provinzen tätig und leistet mit einem zusätzlichen Versicherungsangebot innerhalb des bestehenden Salamat-System (UPHI) im aktuellen 7. Zyklus, der am 24.02.2022 abläuft, Hilfe in bis zu 120.000 Härtefällen. Zudem sind Flüchtlinge Teil der staatlichen COVID-19-Impfkampagne. Bis Ende September hatten ca. 500.000 Personen die Erstdosis erhalten (AA 28.01.2022). Afghanen haben auch ohne Aufenthaltstitel Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Medizinische Grundversorgung ist für alle Menschen in Iran gratis zugänglich, nicht registrierte Flüchtlinge haben jedoch oft Angst, abgeschoben zu werden, und nehmen diese nicht in Anspruch. Seit 2016 können sich alle registrierten Flüchtlinge in der staatlichen Krankenversicherung registrieren, müssen allerdings eine Gebühr zahlen, die sich viele nicht leisten können. UNHCR zahlt diese Gebühr für die vulnerabelsten Flüchtlinge (ÖB Teheran 11.2021). 120.000 Flüchtlinge wurden von UNHCR beim Zugang zur iranischen Krankenversicherung unterstützt. Die Krankenversicherung zielt darauf ab, den am stärksten gefährdeten afghanischen Flüchtlingen den nötigen Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen. UNHCR übernahm die Kosten für die Versicherungsprämien der schutzbedürftigen Flüchtlinge, die 2020 in der iranischen Allgemeinen Krankenversicherung (UPHI) eingeschrieben waren. Angesichts der COVID-19-Pandemie und des anhaltenden wirtschaftlichen Abschwungs im Iran hat UNHCR die Zahl der von dem Programm erfassten Flüchtlinge vorübergehend erhöht. Trotz der Herausforderungen gewährt Iran den Flüchtlingen weiterhin großzügig Zugang zu Bildung und Gesundheitsdiensten. Iran ist eines von nur einer Handvoll Ländern auf der Welt, die Flüchtlingen die Möglichkeit bietet, sich wie iranische Staatsangehörige in eine nationale Krankenversicherung für wesentliche sekundäre und tertiäre öffentliche Gesundheitsdienste einzuschreiben. Das nationale Versicherungssystem ermöglicht eine kostenlose COVID-19-Behandlung und Krankenhausaufenthalte. Es subventioniert auch die Kosten für Operationen, Dialyse, Radiologie, Labortests, ambulante Versorgung und mehr. Viele Flüchtlinge können sich die Prämienkosten jedoch nicht leisten. Die Auswirkungen der Pandemie auf den Lebensunterhalt sind besonders schwerwiegend für Flüchtlinge, die oft auf prekäre und instabile Arbeitsplätze angewiesen sind. Viele können ihre Grundbedürfnisse nicht mehr decken, geschweige denn die Kosten für die Krankenversicherung, die schätzungsweise rund 40% der monatlichen Ausgaben einer durchschnittlichen Flüchtlingsfamilie ausmachen (UNHCR 06.04.2021).

Seit Beginn der Corona-Pandemie gab die Regierung immer wieder bekannt, dass die Behandlung für ausländische COVID-19-Patienten kostenlos erfolge. Mit Unterstützung des GAVI- COVAX-Mechanismus erhält Iran mittlerweile auch kostenlose Impfstoffe zum Impfen für die Afghanen im Land (ÖB Teheran 11.2021).

Kulturell, sprachlich, religiös und in den Grenzbereichen auch ethnisch bestehen Gemeinsamkeiten zwischen Iranern und Afghanen. Iranische Behörden fürchten jedoch einen noch größeren Zustrom von Afghanen in den kommenden Monaten und verweisen auf die bereits große afghanische Gemeinde in Iran, die schlechte Wirtschaftslage angesichts der US-Sanktionen und die Auswirkungen der COVID-Pandemie. Es werden Spannungen zwischen residenter Bevölkerung und den Neuankömmlingen befürchtet. Bereits bisher werden Afghanen teilweise diskriminiert, und es kommt zu Protesten gegen Afghanen, z.B. gegen die Aufnahme afghanischer Kinder an Schulen (ÖB Teheran 11.2021). Die meisten Flüchtlinge sind im Großen und Ganzen – auch wenn sie zum Teil bereits in der zweiten Generation in Iran leben - wenig integriert (AA 28.1.2022). Neu angekommene Afghanen haben meist keine Probleme, in Iran eine Wohnung zu finden. Dies liegt daran, dass die afghanische Gesellschaft eine starke Netzwerkgesellschaft mit festen Beziehungen innerhalb der Netzwerke ist. Diejenigen, die nach Iran kommen, haben oft bereits Familienmitglieder im Land, bei denen sie wohnen können. Afghanen in Iran unterstützen sich gegenseitig und dieses kann auch für Personen gelten, die nicht miteinander verwandt sind. Viele Afghanen mieten große Wohnungen und es können viele Personen in einem Haushalt wohnen. Afghanen in Iran haben ungeachtet dessen, ob sie Amayesh-registriert sind oder nicht, nicht das Recht dazu, ein Haus oder eine Wohnung zu besitzen, sondern können diese nur mieten. Die Wohnungskosten stellen einen der größten Ausgabenposten für Afghanen in Iran dar. Bei der Anmietung eines Hauses wird eine Kaution an den Besitzer bezahlt und je größer die Kaution, die hinterlegt werden kann, desto billiger werden die Mietkosten (Lifos 10.04.2018).

Hochzeiten zwischen Iranern und afghanischen Flüchtlingen sind, obwohl keine Seltenheit, schwierig, da die iranischen Behörden dafür Dokumente der Botschaft oder der afghanischen Behörden benötigen. Staatenlosen wird von einigen Provinzverwaltungen Zugang zur öffentlichen Grundversorgung und das Ausstellen von Reisedokumenten und sonstigen Papieren verwehrt; eine einheitliche Praxis fehlt (ÖB Teheran 11.2021). Mittlerweile ist es möglich, dass iranische Frauen ihre Staatsbürgerschaft an Kinder mit einem ausländischen Vater weitergeben können (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 31.03.2021).

Die Revolutionsgarden sollen Tausende von in Iran lebenden afghanischen Migranten mithilfe von Zwangsmaßnahmen für den Kampf in Syrien rekrutiert haben. Human Rights Watch berichtete, dass sich unter den Rekrutierten auch Kinder im Alter von 14 Jahren befinden (FH 28.02.2022; vergleiche USDOS 30.03.2021).

Die freiwillige Rückkehr registrierter afghanischer Flüchtlinge sank 2021 mit 800 Personen weiter (Vergleichszeitraum 2020: 947). Nach Angaben des UNHCR erfolgten 60% dieser Ausreisen durch Studierende in der Absicht, mit einem entsprechenden Visum wieder in den Iran einzureisen. Seit Jahresbeginn 2021 sind laut IOM bislang (Stand November 2021) mit 1.063.393 erneut mehr nicht registrierte Afghaninnen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt. UNHCR führt dies auf die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage in Iran sowie die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zurück (AA 28.01.2022). Von 01.01.2021 bis 28.02.2022 haben 34.185 im Iran ankommende Afghanen bei UNHCR um Unterstützung und Hilfe angesucht. Für den Grenzübertritt wird ein Pass sowie gültiges Visum verlangt (UNHCR 08.03.2022). Infolgedessen meldete UNHCR im September 2021 eine Zunahme der Bewegungen von Afghanen ohne Papiere, die auf dem Landweg irreguläre Grenzübertritte in den Iran vornehmen (AI 10.2021; vergleiche AA 28.01.2022).

Am 08.02.2022 wurde berichtet, dass nach Angaben von Beamten der Abteilung für Flüchtlinge und Repatriierung in Herat in Afghanistan in den letzten sechs Monaten fast 100 afghanische Flüchtlinge von iranischen Sicherheitskräften getötet worden seien (UNHCR 27.02.2022). Im Mai 2020 griffen iranische Grenzposten zahlreiche Afghanen auf, darunter auch Minderjährige, die auf der Suche nach Arbeit die Grenze überschritten hatten. Die Personen wurden geschlagen und mit vorgehaltener Waffe in den iranisch-afghanischen Grenzfluss Hariroud gezwungen. Dabei ertranken mehrere Menschen. Die Behörden wiesen jede Verantwortung für den Vorfall zurück (AI 07.04.2021).

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 09.08.2022

Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2020 lediglich Platz 169 von 189 des Human Development Index (UNDP o.D.). Afghanistan ist mit mehreren Krisen konfrontiert: einer wachsenden humanitären Notlage, massiver wirtschaftlicher Rückgang, die Lähmung des Banken- und Finanzsystems und die Tatsache, dass eine inklusive Regierung noch gebildet werden muss (UNGASC 28.01.2022).

Lebensgrundlage für rund 80 % der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 23.11.2018; vergleiche Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7 % am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hatte (Industrie: 24,1 %, tertiärer Sektor: 53,1 %; WB 7.2019). Rund 45 % aller Beschäftigen arbeiten im Agrarsektor, 20 % sind im Dienstleistungsbereich tätig (STDOK 10.2020; vergleiche CSO 2018).

Die afghanische Wirtschaft war bereits vor der Machtübernahme durch die Taliban schwach, wenig diversifiziert und in hohem Maße von ausländischen Einkünften abhängig. Diese umfasste zivile Hilfe, finanzielle Unterstützung für die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) und Geld, das von ausländischen Armeen im Land ausgegeben wurde (AAN 11.11.2021).

Bevor sie die Macht übernahmen, hatten die Taliban große Teile des Landes kontrolliert oder in ihrem Einfluss und konnten die Bevölkerung und die verschiedenen wirtschaftlichen Aktivitäten, denen die Menschen dort nachgingen, „besteuern“. Dazu gehörten unter anderem: die landwirtschaftliche Ernte (Ushr) [Anm.: 10 % Steuer auf landwirtschaftliche Produkte nach islamischem Recht], insbesondere Opium; der grenzüberschreitende Handel, sowohl legal als auch illegal; Bergbau; Gehälter, auch von Beamten und NGO-Mitarbeitern. Sie erzielten auch Einnahmen in Form von Schutzgeldern sowie durch die Einhebung von Geld von Reisenden an Kontrollpunkten. Die Taliban erhielten auch Spenden von afghanischen und ausländischen Anhängern (AAN 11.11.2021).

Nach der Machtübernahme der Taliban bleiben die Banken geschlossen, so haben die Vereinigten Staaten der Taliban-Regierung den Zugang zu praktisch allen Reserven der afghanischen Zentralbank in Höhe von 9 Mrd. USD (7,66 Mrd. EUR) verwehrt, die größtenteils in den USA gehalten werden. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Afghanistan nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban den Zugang zu seinen Mitteln verwehrt (DW 24.08.2021; vergleiche AAN 11.11.2021). Im November 2021 sagte der Präsident der Weltbank, dass es unwahrscheinlich sei, dass sie die direkte Hilfe für Afghanistan wieder aufnehmen werde, da das Zahlungssystem des Landes Probleme aufweise (KP 09.11.2021; vergleiche ANI 09.11.2021).

Die Regierung der Taliban hat einige kleine Schritte zur Bewältigung der Krise unternommen und teilweise die Arbeit mit NGOs und UN-Organisationen aufgenommen (AAN 11.11.2021).

Anfang Dezember wurde berichtet, dass die Taliban begonnen haben, landesweit eine Ushr einzutreiben (BAMF 06.12.2021).

Die Vereinten Nationen warnen nachdrücklich vor einer humanitären Katastrophe, falls internationale Hilfsleistungen ausbleiben oder nicht implementiert werden können. Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen ist ebenso wie eine Reihe von UN-Unterorganisationen (z. B. WHO, WFP, UNHCR, IOM) vor Ort – mit Abstrichen – weiter arbeitsfähig. Bei einer internationalen Geberkonferenz am 13. September 2021 hat die internationale Gemeinschaft über 1 Milliarde USD an Nothilfen für Afghanistan zugesagt (AA 21.10.2021).

Die Haushalte haben Einkommensverluste erlitten und kämpfen ums Überleben, was dazu führt, dass die Familien auf problematische Bewältigungsmechanismen zurückgreifen. Eine derart ernste sozioökonomische Situation führt zu psychosozialen Problemen, geschlechtsspezifischer Gewalt und schwerwiegenden Kinderschutzproblemen, einschließlich Kinderarbeit und Ausbeutung, und verhindert den Zugang zu Bildung, da Kinder gezwungen sein können, zu arbeiten oder zu betteln (UNHCR 12.04.2022).

Laut einer Studie des UNHCR, die vom 10.10.2021 bis 31.12.2021 durchgeführt und bei der 142.182 Personen in 34 Provinzen befragt wurden, gab die Mehrheit der untersuchten Haushalte an, zum Zeitpunkt der Befragung keine humanitäre Hilfe erhalten zu haben. Von denjenigen, die Hilfe erhalten hatten, gab die Mehrheit (53 %) an, die Hilfe vor mehr als drei Monaten erhalten zu haben, und zwar in erster Linie in Form von Nahrungsmitteln, während Bargeld (das zur Deckung einer Vielzahl anderer Grundbedürfnisse verwendet werden könnte) nur für 10 % der insgesamt untersuchten Haushalte bereitgestellt wurde (UNHCR 12.04.2022).

Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie gaben 4 % der Befragten an, dass sie in der Lage sind, ihre Familien mit den grundlegendsten Gütern zu versorgen. In Kabul gaben 80 % der Befragten an, dass sie nicht in der Lage sind, ihren Haushalt zu versorgen, gefolgt von 66 % in Mazar-e Sharif und 45 % in Herat. Ebenso gaben 8 % der Befragten in Kabul an, dass sie kaum in der Lage sind, ihre Familien mit grundlegenden Gütern zu versorgen, gefolgt von 24 % in Mazar-e Sharif und 42 % in Herat (ATR/STDOK 18.01.2022).

Naturkatastrophen:

Zu Beginn des Frühjahrs 2022 gibt es Berichte über schwere Regenfälle und Sturzfluten in Nangarhar (römisch XI 20.03.2022; vergleiche ANI 20.03.2022) und auch am 04.05.2022 wurden schwere Regenfälle und Sturzfluten in vielen Provinzen gemeldet (BAMF 09.05.2022; vergleiche UNOCHA 07.05.2022), z.B. in Badakhshan, Badghis, Baghlan, Bamyan, Faryab, Herat, Jawzjan, Kunar, Kunduz, Samangan und Takhar (UNOCHA 07.05.2022).

Am 22.06.2022 ereignete sich in den Provinzen Paktika und Khost ein Erdbeben der Stärke 5,9, das schätzungsweise 770 Todesopfer und etwa 1.500 Verletzte forderte (USAID 28.06.2022; vergleiche WHO 03.07.2022). Zusätzlich zu dem Erdbeben haben Sturzfluten nach schweren Regenfällen am 21.06.2022 in mindestens vier Provinzen Häuser und Lebensgrundlagen zerstört (WFP 23.06.2022).

[...]

Armut und Lebensmittelunsicherheit:

Letzte Änderung: 09.08.2022

Afghanistan kämpft weiterhin mit den Auswirkungen einer Dürre, der Aussicht auf eine weitere schlechte Ernte in diesem Jahr, einer Banken- und Finanzkrise, die so schwerwiegend ist, dass mehr als 80 % der Bevölkerung verschuldet sind, und einem Anstieg der Lebensmittel- und Kraftstoffpreise (UNOCHA 15.03.2022). 18,9 Millionen Menschen - fast die Hälfte der Bevölkerung - werden Schätzungen zufolge zwischen Juni und November 2022 von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sein. In allen 34 Provinzen herrschte im April 2022 akute Ernährungsunsicherheit auf Krisen- oder Notfallniveau (WFP 23.06.2022). Für die breite Bevölkerung waren seit Februar jeden Monat allmähliche Verbesserungen zu beobachten. Allerdings sind Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand immer noch weitgehend auf Bewältigungsstrategien angewiesen (87 %), wobei seit fast neun Monaten keine klare Tendenz zur Verbesserung zu erkennen ist (WFP 5.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen sind mit März 2022 die Krankenhäuser voll mit Kindern, die an Unterernährung leiden (UNOCHA 15.03.2022). Der Hunger geht weiterhin über die Kluft zwischen Stadt und Land hinaus, wobei beide Gruppen gleichermaßen betroffen sind: 92 % der Menschen in Afghanistan sind mit unzureichender Nahrungsaufnahme konfrontiert. Beide Gruppen verzeichneten im Mai einen Anstieg der ernsten Ernährungsunsicherheit (WFP 5.2022).

Die folgende Karte zeigt die Situation vom März bis Mai 2022 sowie eine Prognose für die voraussichtliche Ernährungssicherheit in Afghanistan für den Zeitraum von Juni bis November 2022 (IPC o.D.).

Quelle: IPC o.D.

Nach der Machtübernahme durch die Taliban sind die Lebensmittel- und Kraftstoffpreise in die Höhe geschossen und stiegen im Mai 2022 weiter an. Da die Lebensmittelpreise steigen, wird noch mehr Haushaltseinkommen für Lebensmittel ausgegeben. Die Haushalte geben jetzt 87 % ihres Einkommens für Lebensmittel aus - gegenüber 85 % und 83 % im April bzw. März 2022. Dies geschieht vor dem Hintergrund steigender Preise für wichtige Rohstoffe, wobei Weizenmehl um 4 % und Speiseöl um 8 % im Mai 2022 gestiegen sind (WFP 5.2022).

Nachfolgend eine Tabelle mit Vergleichspreisen vor und nach der Machtübernahme durch die Taliban (RA KBL 08.11.2021, IOM 12.04.2022):

 

Menge

Preis vor 15.08.2021

Preis November 2021 (RA KBL 08.11.2021

Preis April 2022* (IOM 12.04.2022)

Kleines Brot (Naan)

1 Stück

10 AFN

10 AFN

10 AFN

Mehl

50 Kilogramm

1.700-

1.900 AFN

2.150 AFN

2.150 AFN

Reis

25 Kilogramm

2.100 AFN

2.300 AFN

3.000 AFN

Bohnen

7 Kilogramm

800 AFN

800 AFN

1.200 AFN

Öl zum Kochen

5 Liter

500-800 AFN

800 AFN

1.000 AFN

Huhn

1 Kilogramm

180-200 AFN

280 AFN

240 AFN

Treibstoff (Benzin)

1 Liter

45-64 AFN

76 AFN

75 AFN

Quelle: RA KBL 8.11.2021, IOM 12.4.2022; 1 USD entspricht ca 90 AFN *Preise für Kabul

Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie gaben 3,6 % der Befragten an, dass sie in der Lage seien, ihre Familien ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. 53 % der Befragten in Herat, 26 % in Balkh und 12 % in Kabul gaben an, sie könnten es sich nicht leisten, ihre Familien ausreichend zu ernähren. Ebenso gaben 33 % der Befragten in Herat und Balkh und 57 % der Befragten in Kabul an, dass sie kaum in der Lage sind, ihre Familien ausreichend zu ernähren (ATR/STDOK 18.01.2022). Laut dem jüngsten Food Security Update vom März 2022 erreicht die humanitäre Hilfe von Monat zu Monat mehr Menschen. Einer von fünf Haushalten (21 Prozent) meldete, dass er im März humanitäre Nahrungsmittelhilfe erhalten hat - hauptsächlich von UN/NGOs - was einen deutlichen Anstieg gegenüber den Vormonaten darstellt. Diese Hilfe trägt dazu bei, die gravierende Ernährungsunsicherheit in mehreren Regionen (Herat, Kabul, Nordost- und Südostafghanistan) zu verringern. Bei Familien, die in diesen Regionen keine humanitäre Hilfe erhalten haben, hat sich das Niveau der schweren Ernährungsunsicherheit nicht verbessert (WFP 3.2022).

[...]

Wohnungsmarkt und Lebenserhaltungskosten:

Letzte Änderung: 09.08.2022

Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 lag die Miete für eine Wohnung im Stadtzentrum von Kabul durchschnittlich zwischen 200 und 350 USD im Monat. Für einen angemessenen Lebensstandard musste zudem mit durchschnittlichen Lebenshaltungskosten von bis zu 350 USD pro Monat (Stand 2020) gerechnet werden (IOM 2020). Auch in Mazar-e Sharif standen zahlreiche Wohnungen zur Miete zur Verfügung. Die Höhe des Mietpreises für eine drei-Zimmer-Wohnung in Mazar-e Sharif schwankte unter anderem je nach Lage zwischen 100 und 300 USD monatlich (STDOK 21.07.2020). Einer anderen Quelle zufolge lagen die Kosten für eine einfache Wohnung in Afghanistan ohne Heizung oder Komfort, aber mit Zugang zu fließendem Wasser, sporadisch verfügbarer Elektrizität, einer einfachen Toilette und einer Möglichkeit zum Kochen zwischen 80 und 100 USD im Monat (Schwörer 30.11.2020).

Es existieren auch andere Unterbringungsmöglichkeiten wie Hotels und Teehäuser, die etwa von Tagelöhnern zur Übernachtung genutzt werden (STDOK 21.07.2020). Auch eine Person, welche in Afghanistan über keine Familie oder Netzwerk verfügt, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden - vorausgesetzt die Person verfügt über die notwendigen finanziellen Mittel (Schwörer 30.11.2020; vergleiche STDOK 21.07.2020). Private Immobilienunternehmen in den Städten informieren über Mietpreise für Häuser und Wohnungen (IOM 2020). Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht (IOM 2020). Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosteten vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat, wobei abhängig vom Verbrauch diese Kosten auch höher liegen konnten. In ländlichen Gebieten konnte man mit mind. 50 % weniger Kosten für die Miete und den Lebensunterhalt rechnen als in den Städten (IOM 2020).

Seit der Machtübernahme der Taliban sind die Mieten um 20-40 % gesunken. Die durchschnittliche Miete für eine Wohnung wird mit November 2021 auf 110 bis 550 USD (10.000 bis 50.000 AFN) für Kabul, Herat und Mazar-e Sharif geschätzt. Je nach Standort und Art der Einrichtung (RA KBL 08.11.2021). Einer anderen Quelle zufolge liegt die durchschnittliche Monatsmiete für eine Wohnung mit drei Schlafzimmern in Kabul im April 2022 bei 120 bis 150 USD. Die monatliche Miete für ein einfaches Haus mit drei Schlafzimmern in einem Vorort liegt bei etwa 100 USD. In Mazar-e Sharif und Herat liegt dieser Satz bei 150 USD pro Monat für eine Wohnung mit drei Schlafzimmern, und für eine Lage weitab vom Stadtzentrum beträgt er 80 USD pro Monat (IOM 12.04.2022). Allerdings steigt wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage die Gefahr der Zwangsräumung, da die Haushalte möglicherweise nicht in der Lage sind, die Miete zu zahlen (UNHCR 12.04.2022).

In einer von der Staatendokumentation in Auftrag gegebenen und von ATR Consulting im November 2021 durchgeführten Studie gaben die meisten der Befragten in Herat (66 %) und Mazar-e Sharif (63 %) an, in einer eigenen Wohnung/einem eigenen Haus zu leben, während weniger als 50 % der Befragten in Kabul angaben, in einer eigenen Wohnung/einem eigenen Haus zu leben. Von jenen, die Miete bezahlten, gaben 54,3 % der Befragten in Kabul, 48,4 % in Balkh und 8,7 % in Herat an, dass sie 5.000 bis 10.000 AFN (ca. 40 bis 80 Euro) pro Monat Miete zahlten. In Kabul mieteten 41,3 % der Befragten Wohnungen/Häuser für weniger als 5.000 AFN pro Monat, in Herat 91,3 % und in Balkh 48,4 %. Nur 4,3 % der Befragten in Kabul mieteten Immobilien zwischen 10.000 und 20.000 AFN, während kein Befragter in Herat und Balkh mehr als 10.000 AFN für Miete zahlte (ATR/STDOK 18.01.2022).

[...]

Arbeitsmarkt

Letzte Änderung: 04.05.2022

Jeder vierte Afghane ist offiziell arbeitslos, viele sind unterbeschäftigt. Rückkehrer - etwa 1,5 Mio. in den letzten zwei Jahren - und eine ähnliche Zahl von Binnenvertriebenen erhöhen den Druck auf den Arbeitsmarkt zusätzlich (UNDP 30.11.2021).

Vor der Machtübernahme durch die Taliban war der Arbeitsmarkt durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert (STDOK 10.2020; vergleiche Ahmend 2018; CSO 2018). 80% der afghanischen Arbeitskräfte befanden sich in „prekären Beschäftigungsverhältnissen“ mit hoher Arbeitsplatzunsicherheit und schlechten Arbeitsbedingungen (AAN 03.12.2020; vergleiche, CSO 2018). Schätzungsweise 16% der prekär Beschäftigten waren Tagelöhner, von denen sich eine unbestimmte Zahl an belebten Straßenkreuzungen der Stadt versammelt und nach Arbeit sucht, die, wenn sie gefunden wird, ihren Familien nur ein Leben von der Hand in den Mund ermöglicht (AAN 03.12.2020).

Nach Angaben der Weltbank ist die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau und dürfte wegen der COVID-19-Pandemie wieder steigen (AA 16.07.2020; vergleiche IOM 18.03.2021), ebenso wie die Anzahl der prekär Beschäftigten (AAN 03.12.2020).

Schätzungen zufolge sind rund 67% der Bevölkerung unter 25 Jahren alt (NSIA 01.06.2020; vergleiche STDOK 10.2020). Am Arbeitsmarkt müssen jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (STDOK 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten bislang aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 8.2018; vergleiche STDOK 10.2020, CSO 2018).

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenig Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 08.06.2017). Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke ist die Arbeitssuche schwierig (STDOK 21.07.2020; vergleiche STDOK 13.06.2019, STDOK 4.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen, und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (STDOK 13.06.2019). Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge gibt es keine Hinweise, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (STDOK 4.2018).

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor (CSO 2018; vergleiche Haider/Kumar 2018): Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (CSO 2018).

Ungelernte Arbeiter erwirtschaften ihr Einkommen als Tagelöhner, Straßenverkäufer oder durch das Betreiben kleiner Geschäfte. Der Durchschnittslohn für einen ungelernten Arbeiter ist unterschiedlich, für einen Tagelöhner beträgt er etwa 5 USD pro Tag (IOM 18.03.2021). Während der COVID-19-Pandemie ist die Situation für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftszweige durch die Sperr- und Restriktionsmaßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ beeinflusst wurden (IOM 18.03.2021).

Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021:

Das Personal der Streitkräfte, vor allem des Verteidigungsministeriums, des Innenministeriums und des nationalen Sicherheitsministeriums, das auf etwa eine halbe Million Personen geschätzt wird, hat nach der Machtübernahme durch die Taliban keine Arbeit mehr (IPC 10.2021; vergleiche RA KBL 08.11.2021). Auch viele Mitarbeiter des Gesundheitssystems haben mit Stand November 2021 seit Monaten keine Gehälter mehr erhalten (MSF 10.11.2021; vergleiche IPC 10.2021). Viele Unternehmen und NGOs haben ihre Arbeit eingestellt oder ihre Aktivitäten auf ein Minimum reduziert. Die Bargeldknappheit und die Unterbrechung der Versorgungsketten in Verbindung mit dem Verlust von Investitionen und Kunden haben den privaten Sektor stark beeinträchtigt und zwingen die Unternehmen, in Nachbarländer auszuweichen, ihre Türen zu schließen oder ihre Mitarbeiter zu entlassen, um die Kosten zu senken. Ein Tagelöhner verdient bis zu 350 AFN (3,55 EUR) pro Tag. Tagesarbeit ist jedoch meist nur für zwei Tage in der Woche zu finden. Es ist schwierig geworden, Tagesarbeit zu finden, da viele, die zuvor für Unternehmen, NGOs oder die Regierung gearbeitet haben, jetzt nach Tagesarbeit suchen, um die Einkommensverluste auszugleichen (IOM 12.04.2022).

Das UNDP (United Nations Development Program) erwartet, dass sich die Arbeitslosigkeit in den nächsten zwei Jahren fast verdoppeln wird, während die Löhne Jahr für Jahr um 8 bis 10 % sinken werden (UNDP 30.11.2021). Afghanische Arbeitnehmerinnen machten vor der Krise 20 % der Beschäftigten aus. Die Beschränkungen für die Beschäftigung von Frauen werden sich sowohl auf die Wirtschaft als auch auf die Gesellschaft auswirken. Außerdem wird das Einkommen der Haushalte verringern, deren weibliche Mitglieder nun nicht mehr arbeiten, weniger arbeiten bzw. weniger verdienen, was zu einem Rückgang des Konsums auf der Mikroebene und der Nachfrage auf der Makroebene führen wird (UNDP 30.11.2021).

Die Markt- und Preisbeobachtung des Welternährungsprogramms (WFP) ergab einen drastischen Rückgang der Zahl der Arbeitstage für Gelegenheitsarbeiter in städtischen Gebieten: Im Juli waren es zwei Tage pro Woche, im August nur noch 1,8 Tage und im September nur noch ein Arbeitstag (IPC 10.2021). Die durchschnittliche Anzahl der Tage, an denen Gelegenheitsarbeiter Arbeit finden, lag Ende November 2021 bei 1,4 Tagen pro Woche (BAMF 29.11.2021).

Laut der saisonalen Bewertung der Ernährungssicherheit (SFSA) für das Jahr 2021 meldeten 95 % der Bevölkerung Einkommenseinbußen, davon 76 % einen erheblichen Einkommensrückgang (83 % bei städtischen und 72 % bei ländlichen Haushalten) im Vergleich zum Vorjahr. Die Hauptgründe waren ein Rückgang der Beschäftigung (42 %) und Konflikte (41 %) (IPC 10.2021).

Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie mit 300 Befragten gaben 58,3 % der Befragten an, keine Arbeit zu haben oder bereits längere Zeit arbeitslos zu sein (Männer: 35,3 %, Frauen: 81,3 %). Was die Art der Beschäftigung betrifft, so gaben 62 % der Befragten an, entweder ständig oder gelegentlich eine Vollzeitstelle zu haben, während 25 % eine Teilzeitstelle hatten, 9 % als Tagelöhner arbeiteten und 2 % mehrere Teilzeit- oder Saisonstellen hatten. Die Mehrheit der Befragten (89,1 %) gaben an, ein Einkommensniveau von weniger als 10.000 AFN (100 US$) pro Monat zu haben. 8,7 % der Befragten gaben an, ein Einkommensniveau zwischen 10.000 und 20.000 AFN (100-200 US$) pro Monat zu haben, und 2,2 % stuften sich auf ein höheres Niveau zwischen 20.000 und 50.000 AFN (200-500 US$) pro Monat ein (ATR/STDOK 18.01.2022).

Es wird geschätzt, dass mehr als eine halbe Million Arbeitnehmer im dritten Quartal 2021 ihren Arbeitsplatz verloren haben und dass der Verlust von Arbeitsplätzen bis zum zweiten Quartal 2022 auf fast 700.000 ansteigen wird. Wenn sich die Situation der Frauen weiter verschlechtert und die Abwanderung zunimmt, könnten die Beschäftigungsverluste bis zum zweiten Quartal 2022 auf mehr als 900.000 Arbeitsplätze ansteigen. Die sich verschärfende Wirtschaftskrise hat sich besonders stark auf einige der wichtigsten Sektoren der afghanischen Wirtschaft ausgewirkt, darunter Landwirtschaft, öffentliche Verwaltung, soziale Dienstleistungen und das Baugewerbe, wo Hunderttausende von Arbeitnehmern, ihren Arbeitsplatz verloren oder keinen Lohn erhielten (ILO 1.2022).

[...].“

2.           Beweiswürdigung

Die Feststellungen zum Namen des Beschwerdeführers, zu seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volljährigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Familienstand, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit und dazu, dass ihm auch bereits in Griechenland nur der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ergeben sich aus seinen schlüssigen und stringenten Angaben, die im Verwaltungs- als auch im gegenständlichen Beschwerdeverfahren weitgehend gleichbleibend waren. Soweit für den BF sein Geburtsdatum römisch 40 angegeben wird, wurde weder im Verwaltungs-, noch im Beschwerdeverfahren ein glaubwürdiges originäres Dokument vorgelegt, aus dem sich zweifelsfrei ergibt, dass der BF tatsächlich an diesem Tag geboren wurde. Der BF selbst hat bei seiner Einvernahme vor dem BFA angegeben, bereits volljährig zu sein, was unter Berücksichtigung des persönlichen Eindruckes, den der BF in seiner Beschwerdeverhandlung hinterlassen hat, als nachvollziehbar und damit vom erkennenden Gericht als glaubwürdig beurteilt wird.

Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungs-gericht am 13.09.2022 einen sehr selbstbewussten Eindruck hinterlassen, wirkte dabei hinsichtlich einer konkreten Beantwortung klarer an ihn gerichteter Fragen jedoch verschlossen und versuchte deren Beantwortung generell auszuweichen, sodass dadurch das erkennende Gericht zur Auffassung gelangte, dass das von ihm geschilderte „Fluchtvorbringen“ nicht der Wahrheit entspricht, und dass er nicht aus asylrelevanten Verfolgungsgründen in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus einer Einschau in das Strafregister des BF, das keinen Eintrag ausweist. Seine bereits vorhandenen rudimentären Sprachkenntnisse der Deutschen Sprache hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 13.09.2022, in welcher von der anwesenden Dolmetscherin das Vorbringen für den Beschwerdeführer in seine Muttersprache Dari übersetzt wurde, nachgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat ausgeführt, dass er im Iran im Stadtteil Waramin in der Hauptstadt Teheran geboren worden sei, vermochte diese Angabe jedoch nicht durch ein valides Dokument zweifelsfrei unter Beweis zu stellen.

Wenn er angab, dass er selbst keine lebenden Geschwister habe, vermag das erkennende Gericht dieser unbestätigten Aussage keine Glaubwürdigkeit zuzusprechen, zumal der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung auf eine entsprechende Frage überhaupt keine Geschwister nannte, er in seiner Einvernahme vor dem BFA am 26.07.2021 angab, dass er zwei Brüder gehabt habe, die beide verstorben seien, während er in der Einvernahme vor dem BFA am 13.01.2022 ausführte, dass sein älterer Bruder im Iran verstorben sei und er weitere Geschwister nicht habe. Damit ist für das BF auch nicht zweifelsfrei feststellbar, dass - so wie der BF ausgeführt hat – auch seine Eltern nicht mehr am Leben sind, bzw. dass der BF noch nie in Afghanistan war, über eine zwölfjährige Schulausbildung verfügt, im Iran, außer als Sporttrainer für Kinder noch nie gearbeitet hat sowie sich weder in Österreich noch in Afghanistan Familienmitglieder befinden.

Sofern der Beschwerdeführer auf eine allfällige Diskriminierung aufgrund seiner Sprachfärbung verweist, vermochte der Beschwerdeführer nicht einmal ansatzweise nachvollziehbar darzulegen, inwiefern er aufgrund dieser Sprachfärbung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgungsgefahr aufgrund eines in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Konventionsgrundes betroffen sein könnte.

Zwischen 9 bis 15 % der Bevölkerung Afghanistans gehören der Volksgruppe der Hazara an. Ausgehend von der in der aktuellsten Länderinformation der Staatendokumentation zu Afghanistan auf Seite 125 geschätzten afghanischen Bevölkerungszahl von 32 bis 37,5 Millionen Menschen, kommt man somit bei einer gemittelten Betrachtung auf ca. 3 Millionen aktuell in Afghanistan lebenden Hazara (im Ausland lebende Hazara bleiben dabei außer Betracht). Eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara würde bedeuten, dass aktuell ca. drei Millionen Menschen in Afghanistan nur aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht wären. Aus der sehr umfassenden Berichtslage zu Afghanistan und zur Volksgruppe der Hazara lässt sich jedoch diese Schlussfolgerung nicht ableiten. Auch der Beschwerdeführer vermochte keine valide Quelle nennen, aufgrund derer man zum Schluss kommen könnte bzw. kommen müsste, dass in Afghanistan alle Mitglieder der Volksgruppe der Hazara ausschließlich aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgungsgefahr betroffen sind.

Wenn der Beschwerdeführer als fluchtauslösendes Ereignis darauf hinweist, dass er den Iran aus religiösen Gründen verlassen habe und deswegen sich auch nicht nach Afghanistan begeben könne, weil er dort aus religiösen Gründen verfolgt werde, vermochte der Beschwerdeführer dieses Vorbringen nicht glaubhaft zu machen.

So hat er in seiner Erstbefragung am 14.07.2021 auf die Frage, warum er sein Land (Iran) verlassen habe, nur ausgeführt, dass er ohne Bekenntnis sei. Darüber hinaus hat er nur nichtssagend auf „Probleme“, die er im Iran gehabt habe, hingewiesen. Konkrete und nachvollziehbare Fluchtgründe, weswegen ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine Verfolgung drohen würde, und vor der er sich fürchtet, hat er dabei ebensowenig geäußert wie bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 26.07.2021.

In dieser Einvernahme hat er auf die Frage, warum er von Griechenland nach Österreich gereist sei ausgeführt, dass er, „nachdem er die Religion aufgegeben habe, den Iran verlassen habe und nach Europa gereist sei um hier leben zu können.“ Er habe einfach nur nach Europa gewollt. Er habe hier ein ruhiges Leben führen wollen. Der Beschwerdeführer verwies dabei nicht auf eine ihm drohende Verfolgungsgefahr oder von bereits gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlungen. Im Weiteren führte er in dieser Einvernahme aus, dass er (in Österreich) „erstmals gar keinen Aylantrag habe stellen wollen; er habe hier nur zur Ruhe kommen wollen. Aber dann habe er alles gesehen. Er habe gesehen, wie ruhig es hier sei und er habe die Menschen gesehen. Dann habe er den Entschluss gefasst, einen Antrag zu stellen.“ Auch in diesen vom Beschwerdeführer vorgetragenen Motiven hinsichtlich des gestellten Antrages auf internationalen Schutz vermag das erkennende Gericht eine dem BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgungsgefahr aus einem in der Genfer Flüchlingskonvention enthaltenen Konventionsgrund nicht zu erkennen oder nachvollziehbar abzuleiten.

Auch aus seinen Ausführungen in der Einvernahme vor dem BFA am 13.01.2022 geht nicht hervor, dass er in der islamischen Republik Iran aus religiösen Gründen bzw. wegen seiner Art den islamischen Glauben nicht auszuüben, angefeindet oder verfolgt wurde. Er vermochte lediglich davon zu berichten, dass Mitglieder seiner eigenen religiös lebenden Familie nicht damit einverstanden waren, wie er den islamischen Glauben (nicht) ausübte. Der Beschwerdeführer selbst hat ausgeführt, dass er selbst den Kontakt zu seiner Familie abgebrochen habe, nicht jedoch seine Familie zu ihm. Aber auch dieses Vorbringen muss vom erkennenden Gericht als nicht glaubhaft eingestuft werden, zumal der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme davon berichtet hat, dass er im September 2019 (angeblich ca. zwei Monate vor seinem 18. Geburtstag und damit angeblich zu einem Zeitpunkt, als er bereits den Kontakt zu seiner Familie abgebrochen hatte) im Iran festgenommen und eingesperrt worden sei, und von seiner Mutter und einem Onkel erst gegen Bezahlung eines Betrages in Höhe von 500.000.-- iranischen Toman freigekauft worden sei.

Wenn der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA am 13.01.2022 ausführt, dass er im Iran - nach Angaben des Beschwerdeführers seit seinem 16. Lebensjahr - nicht mehr gebetet habe und nicht in die Moschee gegangen sei, erscheint es unter Hinweis auf eine vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgungsgefahr aus religiösen Gründen sehr erstaunlich, dass er, wenn man den Ausführungen des Beschwerdeführers Glauben schenken könnte, von sich aus den Kontakt zu seiner Familie (außer zu seiner Mutter, die ihm weiterhin über zumindestens zwei Jahre ein Leben im Iran ermöglicht hätte, sodass er selbst nicht habe Geld verdienen müssen) abbricht, von keinerlei gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen berichten kann, und in weiterer Folge nach einer Festnahme durch iranische Behörden, seine Mutter und ein Onkel, zu dem er den Kontakt abgebrochen habe, ihn gegen Bezahlung eines Betrages in Höhe von 500.000.-- freikaufen und kurz darauf zudem auch noch die Mutter den Beschwerdeführer mit den nötigen finanziellen Mitteln ausstattet, um ihm schlepperunterstützt eine Ausreise bis nach Europa zu ermöglichen.

Zudem hat er nach Auffassung des erkennenden Gerichtes auch in der Einvernahme des BFA am 13.01.2022 seine wahren Beweggründe, den Iran und auch Griechenland zu verlassen und sich nicht in sein Heimatland Afghanistan zu begeben, deutlich dargelegt, indem er ausgeführt hat, dass es der Wunsch seiner (offensichtlich klugen) Mutter gewesen sei, (aus wirtschaftlichen und zukunftsorientierten Gründen) nach Europa auszuwandern. Er wolle sich auch weiterbilden. Er wolle Zahnarzt werden.

An dieser Stelle wird lediglich zur nochmaligen Klarstellung hingewiesen, dass der Beschwerdeführer in der Einvernahme des BFA am 13.01.2022 auch ausdrücklich ausgeführt hat, dass er selbst (im Iran) niemals bedroht worden sei. Nur das Verhältnis zwischen ihm und seiner Familie sei schlecht gewesen. Er sei auch zu keinem Zeitpunkt einer unmenschlichen Behandlung, Folter oder anderen Formen von körperlicher Gewalt ausgesetzt gewesen. Er sei lediglich einmal (wegen eines illegalen Aufenthaltes) inhaftiert gewesen. Dort hätten schlechte hygienische Bedingungen geherrscht.

Auffällig für das erkennende Gericht ist auch, dass der Beschwerdeführer in der islamischen Republik Iran wegen seiner Art, den (nach Angaben des BF nicht vorhandenen) islamischen Glauben nicht zu praktizieren, was zweifellos auch im Iran anderen Moslems aufgefallen sein musste, weder angefeindet, noch angegriffen bzw. nicht einmal diskriminiert oder ausgegrenzt wurde. Es wird diesbezüglich noch einmal darauf hingwiesen, dass der BF dazu angegeben hat, dass er im Iran niemals bedroht worden sei. Der Beschwerdeführer hat von einer Bedrohung oder Anfeindung wegen seiner religiösen (Nicht-)Glaubensausübung nichts berichtet. Er konnte damit offensichtlich in der Islamischen Republik Iran, wo der Islam ebenfalls Staatsreligion ist, und wo es – wie es internationale Medien berichten – auch fundamentalistische islamische Glaubenseiferer gibt, unbehelligt und komplikationslos seinen (nicht vorhandenen) islamischen Glauben nicht ausüben. Er hatte mit seiner Art seiner Glaubenausübung in der streng islamischen Republik Iran keine Probleme, was zur Frage führt, ob der Beschwerdeführer im streng islamischen Emirat Afghanistan unter Herrschaft der Taliban seinen (nicht vorhandenen) Glauben genauso ausüben würde, wie er in seinem Asyl- bzw. Beschwerdeverfahren das BFA bzw. das BVwG glauben lassen möchte.

Diese Frage wird angesichts seiner widersprüchlichen Angaben und des Eindrucks, den der BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung hinterlassen hat, im Rahmen der freien Beweiswürdigung insofern beantwortet, als es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, das erkennende Gericht glauben zu machen, dass er bei einem Aufenthalt in Afghanistan Handlungen setzen würde bzw. erforderliche Handlungen unterlassen würde, die in einer nach außen erkennbaren Art von einem allfälligen Verfolger in Afghanistan wahrgenommen werden würden, sodass dieser allfällige Verfolger auf den Beschwerdeführer aufmerksam werden würde und den BF in weiterer Folge aufgrund dieser Handlungen bzw. Unterlassungen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund eines in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Konventionsgrund, insbesondere auf Grund einer verinnerlichten politischen oder religiösen Überzeugung verfolgen würden.

Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 13.09.2022 hat der Beschwerdeführer auf die Frage, warum er in Österreich sei, nicht damit geantwortet, dass er aus Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung bis nach Österreich flüchten musste, sondern ausdrücklich angegeben, dass er bis nach Österreich gekommen sei, um etwas zu lernen. Er wolle ein gutes Leben hier aufbauen. Er wolle die Probleme, die er in der Vergangenheit gehabt habe, zurücklassen. Auf die Notwendigkeit einer Sicherheit vor einer ihm vordergründig drohenden Verfolgung hat er nicht hingewiesen und den sich daraus ergebenden Schutzbedarf auch nicht glaubhaft gemacht.

Zudem vermoche der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG nicht einmal ansatzweise darzulegen, was unter einer „westlichen Gesinnung“ verstanden werden könnte, und was davon er diesbezüglich aktiv in Afghanistan machen würde, weswegen er bei einer aktiven Ausübung dieser „verinnerlichten westlichen Gesinnung“ in Afghanistan auch tatsächlich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgungsgefahr betroffen sein könnte.

3.           Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Paragraph 6, BVwGG, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 10 aus 2013,, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 33 aus 2013, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 24 aus 2017,, geregelt (Paragraph eins, leg. cit.). Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, Bundesgesetzblatt 194 aus 1961,, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, Bundesgesetzblatt 173 aus 1950,, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, Bundesgesetzblatt 29 aus 1984,, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in den dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (siehe insbesondere Paragraph eins, BFA-VG, Bundesgesetzblatt Teil eins, 87 aus 2012, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 25 aus 2016,).

Gemäß Paragraph 3, BFA-G, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 70 aus 2015,, obliegt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vollziehung des BFA-VG (Ziffer eins,), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), Bundesgesetzblatt römisch eins Nr. 100 (Ziffer 2,), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), Bundesgesetzblatt römisch eins Nr. 100 (Ziffer 3,) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes – Bund 2005, Bundesgesetzblatt römisch eins Nr. 100 (Ziffer 4,).

Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß Paragraph 28, Absatz eins, VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu Spruchpunkt A)

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge Bundesgesetzblatt 55 aus 1955, (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge GFK) droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005, die auf Artikel 9, Statusrichtlinie [RL 2011/95/EU] verweist.).

Gemäß Paragraph 3, Absatz 3, AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6, AsylG 2005) gesetzt hat.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK (in der Fassung des Artikel eins, Absatz 2, des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge Bundesgesetzblatt 78 aus 1974,) – deren Bestimmungen gemäß Paragraph 74, AsylG 2005 unberührt bleiben – ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen, oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (VwGH 09.03.1999, 98/01/0370).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472, mwN; VwGH 24.08.2022, Ra 2022/19/0018-10). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid bzw. das entsprechende Erkenntnis des BVwG erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Die Verfolgungsgefahr muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (VwGH 27.01.2000, 99/20/0519). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 23.07.1999, 99/20/0208; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Von mangelnder Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht – unter dem Fehlen einer solchen ist nicht „zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht“ (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) –, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law² [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203).

Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat „nicht gewillt oder nicht in der Lage“ sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen vergleiche VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „internen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

Im Asylverfahren ist lediglich die Glaubhaftmachung der Fluchtgründe und nicht ein strikter Beweis erforderlich. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit.

Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, Zl. 2005/17/0252). Es genügt, wenn der betreffende Asylwerber die Behörde von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Vorliegens, der zu bescheinigenden Tatsache überzeugt (VwGH 11.11.1991, Zl. 91/19/0143; Hengstschläger/Leeb, AVG römisch II [2005] Paragraph 45, Rz 3 mwN). Nach der Judikatur ist die Wahrscheinlichkeit dann gegeben, wenn die für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Erscheinungen, wenn auch noch so geringfügig, gegenüber den im entgegengesetzten Sinn verwertbaren Erscheinungen überwiegen (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 324 mwN).

Der Ermittlungspflicht des Verwaltungsgerichtes steht eine Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers gegenüber. Der VwGH hat in ständiger Judikatur erkannt, dass es für die Glaubhaftmachung der Angaben erforderlich ist, dass der Beschwerdeführer die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert, und dass diese Gründe objektivierbar sind, wobei zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des „Glaubhaft Seins“ der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zukommt. Damit ist die Pflicht des Beschwerdeführers verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen und für eine Asylgewährung spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern. Insoweit trifft den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 11.11.1991, 91/12/0143, VwGH 13.04.1988, 86/01/0268). Der Beschwerdeführer hat daher das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (u.a. VwGH 26.06.2997, 95/18/1291, VwGH 17.07.1997, 97/18/0336, VwGH 05.04.1995, 93/180289). Die Mitwirkungspflicht bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann.

Auf der Grundlage des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des dabei festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

Der BF war noch nie in Afghanistan. Er ist im Iran geboren und hat bis zu seiner Ausreise aus dem Iran, die ihn letztlich nach Österreich geführt hat, nur im Iran gelebt. Es war der ausdrückliche Wunsch seiner Mutter, dass Ihr Sohn nach Europa ausreist, um dort ein besseres Leben, als im Iran zu führen. Diesem Wunsch ist der Beschwerdeführer nachgekommen, ohne dass er dabei nachvollziehbar vor irgend einem Bedrohungsszenario betroffen gewesen wäre, oder nachvollziehbar einer ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgungsgefahr ausgesetzt war. Der Beschwerdeführer hat im Asylverfahren auch seine eigenen Beweggründe für seine Ausreise aus dem Iran deutlich und nachvollziehbar dargetan: Wunsch nach Ausbildung (er möchte Zahnarzt werden), ein ruhiges Leben, frei von Vorschriften, die für ihn sinnlos und ohne Bedeutung sind, insbesondere frei von religiösen Zwängen führen und Verbesserung seiner wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Sofern er im Asylverfahren, in seiner Beschwerde bzw. im Beschwerdeverfahren darauf hinweist, dass er in Afghanistan als Hazara wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe verfolgt werden würde, wird vom erkennenden Gericht auf die allgemeine und übereinstimmende internationale Berichtslage hinsichtlich einer allfälligen Verfolgung von Hazara in Afghanistan hingewiesen. Übereinstimmend wird diesbezüglich ausgeführt, dass es in Afghanistan zwar Animositäten zwischen Mitgliedern verschiedener Volksgruppen gibt. Diese haben jedoch kein solches Ausmaß erreicht, dass man daraus ableitend generell von einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden asylrelevanten Verfolgungsgefahr sprechen kann.

Eine nachvollziehbare Begründung, die auf einer nachvollziehbaren Berichtslage zu Afghanistan beruht, warum der BF aufgrund seiner „pro westlichen Einstellung“ in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgt werden würde, blieb er schuldig. Das erkennende Gericht vermochte auch aus den Ausführungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erkennen, was er in Afghanistan aufgrund seiner „pro westlichen Einstellung“ machen oder unterlassen würde, damit er deswegen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in den Focus eines allfälligen Verfolgers geraten würde. Er vermochte eine solche Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft machen.

Nur weil ein Beschwerdeführer vor dem BVwG die Meinung vertritt, dass, ihm, nachdem er in Österreich aktiv gelebte Grundrechte als positiv wahrgenommen hat, diese ihm damit nach seiner Meinung auch in Afghanistan zustehen sollten, wird er nur aufgrund dieser inneren Überzeugung in Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgt. Der Beschwerdeführer muss vielmehr durch das Glaubhaftmachen konkreter Handlungen oder konkreter Unterlassungen, die er bei einem Aufenthalt in Afghanistan auch nachvollziehbar tätigen würde, welche für einen alffälligen Verfolger auch wahrnehmbar sein müssten und aufgrund derer der Verfolger dann auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch tatsächliche Verfolgungshandlungen setzt, darlegen, dass er deswegen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgt werden würde. In der gegenständlichen Angelegenheit hat der Beschwerdeführer jedoch nicht nachvollziehbar dargelegt, durch welche seiner Handlungen oder Unterlassungen aufgrund seiner „verinnerlichten westlichen Gesinnung“ eine Verfolgung zumindest ausgelöst werden könnte.

Diesbezüglich wird auch insbesondere auf die sehr aktuelle Rechtsprechung des VwGH vom 07.06.2022, Ra 2020/18/0439-8, hingewiesen, wonach das BFA – so die Auffassung des VwGH - in der diesbezüglichen Revision zutreffend aufgezeigt habe, dass EASO (nunmehr EUAA) in seinen Richtlinien zu dem Ergebnis gelangt sei, dass für als „verwestlicht“ wahrgenommene Männer das Verfolgungsrisiko (in Afghanistan) minimal sei und von den spezifischen individuellen Umständen abhänge.

Zwar existieren bereits vereinzelt Entscheidungen des BVwG, wonach ausschließlich aufgrund einer „Verwestlichung“ auch männlichen Afghanen der Status von Asylberechtigten zuerkannt wurde. Diese Entscheidungen beruhen jedoch auf den dabei festgestellten spezifischen individuellen Umständen und sind somit Einzelfallentscheidungen. Gegen diese Entscheidungen wurden auch keine Amtsrevisionen durch das BFA oder Beschwerden beim VfGH erhoben. Demgegenüber existiert bislang keine einzige Entscheidung des VwGH bzw. des VfGH, in denen diese Höchstgerichte nachvollziehbar zum Ergebnis gelangen, dass als verwestlicht anzusehende männliche Afghanen ohne darüberhinausgehende spezifische individuelle Umstände generell in Afghanistan deswegen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus einem in der GFK genannten Konventionsgrund eine Verfolgungsgefahr zu befürchten hätten.

Der BF bezeichnet sich selbst als „konfessionslos“, gibt aber an, an einen Gott zu glauben. Diesen Widerspruch vermag das BVwG auch bei einer philosophischen Betrachtungsweise nicht aufzulösen und nimmt die diesbezüglichen Ausführungen des Beschwerdeführers zur Kenntnis. Der Beschwerdeführer habe an Religion kein Interesse. Er spreche auch in Österreich mit niemandem über seine Konfessionslosigkeit. Er tritt auch in Österreich nicht mit Nachdruck für seine Konfessionslosigkeit oder einen damit allenfalls verbundenen Atheismus ein. Es ist für das BVwG auch nicht nachvollziehbar, dass er in Afghanistan seine Konfessionslosigkeit so deutlich in Erscheinung tretend ausleben würde, sodass er deswegen in Afghanistan im Sinne der dortigen Islam-religiös geprägten Ideologie negativ auffallen würde und in weiterer Folge deswegen Sanktionen oder Restriktionen zu befürchten hätte. Vielmehr hat er selbst in seiner Stellungnahme vom 02.09.2022 bekräftigt und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG den Eindruck hinterlassen, an religiösen Themen nicht interessiert zu sein. Er hat vor dem BVwG nicht den Eindruck hinterlassen, dass er für seine Religionslosigkeit überall auch negative Sanktionen in Kauf nehmen würde und damit auch in Afghanistan für diese Religionslosigkeit immer eintreten würde und diese auch immer und überall verteidigen würde. Der BF hat vielmehr den Eindruck hinterlassen, dass er frei von Konventionen und Religion sein will, ohne jedoch selbst bereit zu sein, für diese Freiheit auch Nachteile in Kauf zu nehmen. Er hat damit gegenüber dem erkennenden Gericht nicht glaubhaft gemacht, dass er seine Religionslosigkeit in Afghanistan derart ausleben würde, dass er deswegen in weiterer Folge in den Focus von afghanischen Glaubenswächtern oder Glaubenseiferern geraten würde, und wegen seiner Religionslosigkeit auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan aus religiösen und/oder politischen Gründen verfolgt werden würde. Der BF hat viel mehr den Eindruck hinterlassen, dass er sich in Afghanistan, soweit es erforderlich wäre, anpassen würde und auch religiöse Handlungen (allenfalls jedoch ohne innere religiöse Überzeugung und allenfalls auch mit einer ablehnenden inneren Überzeugung) verrichten würde, um nicht von allfälligen Sanktionen betroffen zu sein. Eine ihm drohende Verfolgung aus religiösen Gründen hat er damit auch nicht glaubhaft gemacht.

Für das erkennende Gericht ist abschließend auch aus der allgemeinen Berichtslage zu Rückkehrern von Afghanen aus dem Iran, selbst wenn Sie vorher noch nie in Afghanistan waren, aufgrund des Umstandes, dass sie als „Iran-Afghanen“ an ihrer Sprachfärbung erkannt werden, nicht erkennbar und damit auch nicht glaubhaft, dass diese generell und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus einem in der GFK genannten Konventionsgrund in Afghanistan verfolgt werden. Würde das für alle aus dem Iran stammenden Afghanen der Fall sein, hätte eine solche Verfolgungspraxis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch Eingang in die internationale Berichterstattung über Afghanistan gefunden.

Der Beschwerdeführer hat somit nicht glaubhaft gemacht, dass ihm in Afghanistan eine Verfolgung drohen würde. Insbesondere droht dem Beschwerdeführer keine Verfolgung mit der in der Rechtsprechung der Höchstgerichte geforderten maßgeblichen Wahrscheinlichkeit; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472, mwN; aktuell bestätigend VwGH 24.08.2022, Ra 2022/19/0018-10).

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig. Die Entscheidung hängt zwar von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Jedoch existiert zu dieser Rechtsfrage, ob auch die entfernte Möglichkeit einer allfälligen Verfolgung zu einer Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten führt, eine umfassende und äußerst einheitliche Rechtsprechung des VwGH, die auch in der Begründung dieser Entscheidung aufgezeigt wurde. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer diesbezüglichen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2022:W114.2255154.2.00