Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

28.09.2022

Geschäftszahl

W241 2243584-1

Spruch


W241 2243584-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hafner als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 , geb. am römisch 40 , StA. Somalia, vertreten durch die BBU, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2021, Zahl 1270031702/201017354, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.09.2022 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein somalischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner irregulären Einreise nach Österreich am 18.10.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2. In seiner Erstbefragung am 19.10.2020 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Somalisch im Wesentlichen an, dass er in Somalia diskriminiert worden wäre, weil seine Mutter einem Minderheitsclan angehöre. Er wäre von seinen Halbgeschwistern väterlicherseits mit dem Umbringen bedroht worden.

1.3. Bei seiner Einvernahme am 28.04.2021 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Somalisch beantwortete der BF Fragen zu seinen Lebensumständen und seiner Reiseroute.

Somalia habe er verlassen, weil er als Angehöriger einer Minderheit von seinen Halbgeschwistern diskriminiert worden wäre. Auch wäre es um ein Grundstück gegangen, welches sich diese aneignen hätten wollen, weshalb sie ihn umbringen hätten wollen.

1.4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 11.05.2021 den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte dem BF gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihm gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG vorgebracht.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Somalia wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Bezüglich seines Fluchtvorbringens wurde ausgeführt, dass das Vorbringen des BF vage sowie nicht asylrelevant und somit nicht glaubhaft sei.

Subsidiärer Schutz wurde ihm zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Somalia und seiner individuellen Situation nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden könne.

1.5. Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides brachte der BF fristgerecht mit Schreiben seiner Vertretung das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

1.6. Das BVwG führte am 20.09.2022 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Somalisch durch, zu der der BF und seine gewillkürte Vertretung persönlich erschienen. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der Verhandlung.

In der Folge machte der BF Angaben betreffend seine angeblichen Probleme mit seinen Halbgeschwistern.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

●             Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschrift der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA sowie die Beschwerde

●             Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 22.07.2022)

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen römisch 40 , geb. am römisch 40 , ist Staatsangehöriger von Somalia und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er ist ledig, die Muttersprache des BF ist Somalisch.

3.1.2. Lebensumstände:

Der BF wurde im Dorf römisch 40 in der Region römisch 40 geboren, dort hat er bis zu seiner Ausreise gelebt.

Er gehört väterlicherseits dem Clan Sheikhal an, Subklan Lobogi. Seine Mutter ist Angehörige des Clans Gabooye.

In Somalia lebt noch die Mutter des BF, ob sie noch in römisch 40 oder Somaliland aufhältig ist, kann aufgrund unstimmiger Angaben des BF nicht festgestellt werden (siehe unten Punkt 4.2.). Weiters befinden sich 4 Halbschwestern und 2 Halbbrüder im Heimatdorf. Der Vater ist bereits verstorben.

3.1.3. Der BF reiste am 02.12.2019 von Somalia nach Österreich, wo er am 18.10.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

3.2.1. Der BF verließ den Somalia aufgrund der dortigen schwierigen Lebensbedingungen.

3.2.2. Der BF hat sein Vorbringen, dass ihm Verfolgung aufgrund seiner Clanzugehörigkeit durch andere Dorfbewohner bzw. durch seine Halbgeschwister drohe, nicht glaubhaft gemacht.

3.2.3. Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

3.2.4. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Es konnte vom BF auch nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Sinne der obigen Punkte ausgesetzt wäre.

3.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Aufgrund der in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Somalia („Gesamtaktualisierung am 22.07.2022“):

1.           COVID-19

Letzte Änderung: 29.06.2022

Die Covid-19-Pandemie wirkt sich auch weiterhin auf die humanitäre Lage aus. Mit Stand 30.4.2022 waren seit Beginn der Pandemie insgesamt 26.581 Infektionen und 1.350 damit in Zusammenhang stehende Todesfälle registriert worden (UNSC 13.5.2022, Absatz 46,). Mit Stand 20.6.2022 waren in Somalia 12.205 aktive Fälle registriert (ACDC 22.6.2022).

Es gibt nur einen sehr eingeschränkten Zugang zu Impfungen (AI 29.3.2022). Ende April 2022 waren 1,4 Millionen Menschen voll immunisiert, insgesamt waren 2,6 Millionen Dosen verabreicht worden (UNSC 13.5.2022, Absatz 46,). Allerdings zögern viele Menschen, sich impfen zu lassen (AI 18.8.2021, Sitzung 18; vergleiche WB 6.2021, Sitzung 20). U. a. lässt das durch fehlende öffentliche Informationen befeuerte, mangelnde Bewusstsein der Öffentlichkeit hinsichtlich Covid-19 viele Menschen zögern, sich impfen zu lassen; dies gilt sogar für medizinisches Personal (AI 29.3.2022). Andere Gründe für die geringe Durchimpfung sind: eine niedrige Zahl an Neuinfektionen; die nicht vorhersagbare Verfügbarkeit von Impfstoffen; die geringe Haltbarkeit der Impfstoffe; und der mangelnde Zugang zu Impfzentren aufgrund von Unsicherheit oder geografischer Entfernung (UNOCHA 12.4.2022).

Der Umgang der somalischen Regierung mit der Covid-19-Pandemie war und ist völlig inadäquat. Die tatsächliche Zahl an Covid-19-Fällen und -Toten ist vermutlich höher als die offiziellen Zahlen darstellen (AI 18.8.2021, Sitzung 5; vergleiche AI 29.3.2022). So liegt die Zahl an Covid-19-Toten im Zeitraum März bis September 2020 gemäß einer Studie mindestens 32-mal höher als offiziell angegeben. Während die von der Regierung angegebene Zahl bei 99 liegt, schätzen Experten die Zahl an Toten auf 3.200-11.800. Die Regierung zählt üblicherweise nur jene Toten, die an Covid-19 in medizinischen Einrichtungen verstorben sind. Außerhalb davon gab und gibt es in Somalia kein System für eine Registrierung von Todesfällen (VOA 19.10.2021). Auch insgesamt sind bei den Infektionen nur jene Fälle registriert worden, wo es Erkrankte überhaupt bis zu einer Gesundheitseinrichtung geschafft haben und dort dann auch tatsächlich getestet wurden. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs – viele mehr sind zu Hause gestorben (AI 18.8.2021, Sitzung 14).

Problematisch sind die - auch weiterhin - extrem geringen Testkapazitäten (UNFPA 5.2022), das mit Covid-19 verbundene Stigma, das geringe Vertrauen in Gesundheitseinrichtungen sowie teils auch die Leugnung von Covid-19 (UC 13.6.2021, Sitzung 9). Covid-19 wurde (und wird) von Falschinformationen und einem Stigma begleitet. So wurden z. B. Menschen, die Maske tragen, als infiziert oder sogar als gottlos erachtet, Abstandsregeln als kulturell inakzeptabel und unhöflich empfunden. Es wurde versucht, diesen Stigmata mit Aufklärungsarbeit entgegenzuwirken (BBC 2.2022).

Trotzdem sind seit Beginn der Pandemie bis Ende Mai 2022 nur rund 494.000 Tests durchgeführt worden (OWD 22.6.2022). Testungen sind v.a. auf Städte beschränkt (UC 13.6.2021, Sitzung 2). Viele Infektionen werden wegen der geringen Testkapazitäten nicht erkannt (UNFPA 5.2022).

Humanitäre Partner hatten schon im April 2020 für einen Plan zur Eindämmung von Covid-19 insgesamt 256 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNSC 13.11.2020, Absatz 51,). Anfangs gab es nur ein speziell für Covid-19-Patienten zugewiesenes Spital, das Martino Hospital in Mogadischu. Dieses ist allerdings unterbesetzt und schlecht ausgerüstet; von 150 Betten verfügten im Feber 2021 nur 11 über ein Beatmungsgerät und Sauerstoffversorgung (Sahan 25.2.2021c). Viele Covid-19-Patienten sind in Spitälern aus Mangel an Sauerstoffversorgung oder wegen eines Stromausfalls gestorben (AI 18.8.2021, Sitzung 13f). Es gibt so gut wie keine präventiven Maßnahmen und Einrichtungen. Menschen, die an Covid-19 erkranken, bleibt der Ausweg in ein Privatspital – wenn sie sich das leisten können (Sahan 25.2.2021c). Die Situation war derart ernst, dass sich Akteure aus dem privaten Sektor engagiert und zusätzliche Covid-19-Kapazitäten geschaffen haben (AI 18.8.2021, Sitzung 14). Ab August 2021 gab es in Mogadischu schon drei Krankenhäuser, wo Covid-19-Patienten versorgt werden konnten (AI 29.3.2022). Der türkische Rote Halbmond hat Somalia im Feber 2021 weitere zehn Beatmungsgeräte zukommen lassen (AAG 26.2.2021). Im März 2021 spendete die Dahabshil Group dem Staat Sauerstoffverdichter, mit denen insgesamt 250 Patienten versorgt werden können. Die Firma übernimmt auch die technische Instandhaltung (Sahan 11.3.2021). Ende September 2021 wurde in Mogadischu die erste öffentliche Anlage zur Produktion von medizinischem Sauerstoff eröffnet. Diese wurde von der Hormuud Salaam Stiftung angekauft und gespendet. Der Sauerstoff wird an öffentlichen Spitälern in Mogadischu kostenlos zur Verfügung gestellt (Reuters 30.9.2021). Außerdem hat die EU gemeinsam mit der WHO dem Martino Hospital in Mogadischu eine eigene Anlage zur Produktion von medizinischem Sauerstoff geschenkt. Die Anlage wurde im März 2022 übergeben. Der Sauerstoff wird zur Behandlung von Covid-19 aber auch für andere Patienten verwendet. Zwei weitere solche Anlagen werden in Garoowe und Hargeysa installiert (EC/WHO 20.3.2022). Taiwan unterstützt Somaliland bei Testungen, Masken, Sauerstoffanlagen sowie mit Impfstoff (TRO 4.4.2022).

Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22 % der städtischen, 12 % der ländlichen und 6 % der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Die Mehrheit der Empfänger berichtete von Rückgängen von über 10 % (IPC 3.2021, Sitzung 2). Nach anderen Angaben erwies sich der Remissenfluss als resilient. Demnach haben sich die Überweisungen von 2,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019 auf 2,8 Milliarden im Jahr 2020 erhöht. Die Überweisungen an Privathaushalte erhöhten sich von 1,3 auf 1,6 Milliarden (WB 6.2021, Sitzung 11f). In Somaliland sind die Remissen im Jahr 2020 jedenfalls gegenüber jenen im Jahr 2019 gestiegen (ISIR 1.3.2022).

Der Export von Vieh – der wichtigste Wirtschaftszweig – ist wegen der Pandemie zurückgegangen (ISIR 1.3.2022). 45 % der Kleinstunternehmen mussten schließen (UNSC 10.8.2021, Absatz 17,). Die Arbeitslosigkeit - und damit auch die Armut - haben sich verstärkt. Schätzungen zufolge mussten beim Ausbruch von Covid-19 21 % der Somali ihre Arbeit niederlegen; und das, obwohl nur 55 % der Bevölkerung überhaupt am Arbeitsmarkt teilnimmt. 78 % der Haushalte berichteten über einen Rückgang des Einkommens (WB 6.2021, Sitzung 23). Familien - und hier v. a. von Frauen geführte - spüren auch im Jahr 2022 die Auswirkungen der Pandemie - sei es durch Jobverlust oder den Verlust von Kaufkraft. Manche Unternehmen müssen Mitarbeiter entlassen, um die Folgen der Pandemie zu bewältigen; andere haben mit einem Minimum an Personal wieder den Betrieb aufgenommen (UNFPA 14.4.2022).

Ungeimpfte Reisende müssen ein negatives PCR-Testergebnis mitführen, das nicht mehr als 72 (Mogadischu) bzw. 96 (Hargeysa) Stunden alt ist. Geimpfte müssen keinen Testnachweis erbringen. Am Flughafen in Mogadischu und jenem in Hargeysa werden Screenings durchgeführt. Personen mit Symptomen müssen sich einem Antigentest unterziehen und werden - auf eigene Kosten - in einem Hotel unter Quarantäne gesetzt (USES 14.6.2022; vergleiche GW 19.4.2022). Somalische Staatsangehörige, die ohne negatives Covid-19-Testergebnis ankommen, müssen sich für 14 Tage in Selbstquarantäne begeben. Ausländern ohne Testergebnis wird in Mogadischu die Einreise verweigert, in Hargeysa gelten die gleichen Regeln wie für Staatsbürger (GW 19.4.2022).

Die Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 wurden weitgehend gelockert bzw. aufgehoben (GW 19.4.2022). Alle Menschen sind dazu aufgerufen, Menschenansammlungen zu meiden, Masken zu tragen und Abstandsregeln einzuhalten. Größere Veranstaltungen (Sport, Hochzeiten, Proteste) sind verboten (USES 14.6.2022). Nach anderen Angaben wurde das Verbot größerer Veranstaltungen am 19.4.2022 aufgehoben (GW 19.4.2022).

Es gibt keine Einschränkungen im Inlandsverkehr. Der zivile Luftverkehr und öffentliche Verkehrsmittel sind in Betrieb (USES 14.6.2022). Die Landverbindungen zwischen Dschibuti und Somaliland wurden wieder geöffnet, der Hafen in Berbera ist in Betrieb (GW 19.4.2022).

Quellen:

             ACDC - African Union Center for Disease Control and Prevention (22.6.2022): Africa CDC Dashbord Covid-19, https://africacdc.org/covid-19/, Zugriff 22.6.2022

             AfrN - Africa News (26.2.2021): Ongoing Health Crisis in Somalia, https://www.africanews.com/2021/02/26/somalia-struggles-against-covid-19/, Zugriff 23.6.2022

             AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22, The State of the World's Human Rights - Somalia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070229.html, Zugriff 6.4.2022

             AI - Amnesty International (18.8.2021): "We just watched COVID-19 patients die": COVID-19 exposed Somalia's weak healthcare system but debt relief can transform it [AFR 52/4602/2021], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058478/AFR5246022021ENGLISH.pdf, Zugriff 17.5.2022

             BBC - BBC News (2.2022): How media and communication are supporting Somalis through the pandemic, https://www.bbc.co.uk/mediaaction/publications-and-resources/research/briefings/africa/somalia/covid-learning-2022/, Zugriff 23.6.2022

             EC/WHO - European Commission / WHO (20.3.2022): WHO and EU hand over life-saving medical oxygen plant to Somalia: a landmark achievement in bridging gaps in oxygen supply in the country, https://reliefweb.int/report/somalia/who-and-eu-hand-over-life-saving-medical-oxygen-plant-somalia-landmark-achievement, Zugriff 22.6.2022

             GW - GardaWorld (19.4.2022): Somalia: Authorities relax COVID-19-related restrictions as of April 19 /update 24, https://crisis24.garda.com/alerts/2022/04/somalia-authorities-relax-covid-19-related-restrictions-as-of-april-19-update-24, Zugriff 23.6.2022

             IPC - Integrated Food Security Phase (3.2021): Somalia – IPC Acute Food Insecurity and Acute Malnutrition Analysis January-June 2021, https://www.ipcinfo.org/fileadmin/user_upload/ipcinfo/docs/IPC_Somalia_Acute_Food_Insecurity_Malnutrition_2021JanJuly_Report.pdf, Zugriff 23.6.2022

             ISIR - Institute for Strategic Insights and Research Think Tank (1.3.2022): 2022 Budget Brief Somaliland, https://isirthinktank.com/2022-b-u-d-g-e-t-b-r-i-e-f-s-o-m-a-l-i-l-a-n-d/, Zugriff 20.6.2022

             OWD - Ourworldindata.com (22.6.2022): Total Covid-19 tests, https://ourworldindata.org/grapher/full-list-total-tests-for-covid-19?country=~SOM, Zugriff 22.6.2022

             Reuters (30.9.2021): Somalia opens first public oxygen plant to help treat COVID-19 amid severe shortage, https://www.reuters.com/world/the-great-reboot/somalia-opens-first-public-oxygen-plant-help-treat-covid-19-amid-severe-shortage-2021-09-30/, Zugriff 23.6.2022

             Sahan - Sahan / Mogadishu Times (11.3.2021): The Somali Wire Issue No. 100, per e-Mail; Dokument liegt bei der Staatendokumentation auf. Originallink auf Somali: http://mogtimes.com/articles/41259/Sawirro-Dahabshiil-Group-oo-ka-jawaabtay-baaqii-DF-kuna-wareejisay-Oxygen

             Sahan - Sahan / Somali Wire Team (25.2.2021c): Editor’s Pick – COVID-19 has not been prevented, it is used as a political weapon, in: The Somali Wire Issue No. 87, per e-Mail; Dokument liegt bei der Staatendokumentation auf

             TRO - Taiwan Representative Office in the Republic of Somaliland [Taiwan] (4.4.2022): When Health Meets Technology - Signing Health Information Management Efficiency Enhancement Project in Somaliland, https://www.roc-taiwan.org/smd_en/post/611.html, Zugriff 12.5.2022

             UC - University of Cambridge (13.6.2021): Lockdowns, lives and livelihoods: the impact of COVID-19 and public health responses to conflict affected populations - a remote qualitative study in Baidoa and Mogadishu, Somalia, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/s13031-021-00382-5.pdf, Zugriff 23.6.2022

             UNFPA - UN Population Fund (5.2022): UNFPA Response in Somalia, Situation Report, Issue #5, https://somalia.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/somalia-situation_report_may2022.pdf, Zugriff 14.6.2022

             UNFPA - UN Population Fund (14.4.2022): Overview of Gender Based Violence Situation in Somalia, https://somalia.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/somalia_gbv_advocacy_brief_09april22.pdf, Zugriff 10.6.2022

             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (12.4.2022): Somalia Humanitarian Bulletin, March 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Somalia_%20Humanitarian%20Bulletin_March_%202022_FINAL%20-%20for%20publication_0.pdf, Zugriff 18.5.2022

             UNSC - UN Security Council (13.5.2022): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2022/392], https://reliefweb.int/attachments/02e8f544-fa6f-47fe-80a1-6f7ee9d6c94e/N2233663.pdf, Zugriff 27.5.2022

             UNSC - UN Security Council (10.8.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/723], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058501/S_2021_723_E.pdf, Zugriff 18.5.2022

             UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf, Zugriff 10.6.2022

             USES - US Embassy in Somalia [USA] (14.6.2022): Covid-19 Information, https://so.usembassy.gov/covid-19-information/, Zugriff 22.6.2022

             VOA - Voice of America (19.10.2021): Somalia COVID Deaths Vastly Undercounted, Study Finds, https://www.voanews.com/a/somalia-covid-deaths-vastly-undercounted-study-finds/6277195.html, Zugriff 23.6.2022

             WB - Weltbank (6.2021): Somalia Economic Update. Investing in Health to Anchor Growth, http://documents1.worldbank.org/curated/en/926051631552941734/pdf/Somalia-Economic-Update-Investing-in-Health-to-Anchor-Growth.pdf, Zugriff 12.5.2022

2.           Politische Lage

a.           Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 22.07.2022

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 28.6.2022, Sitzung 4f). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2022, Sitzung 4).

Staatlichkeit: Trotz massiver militärischer, diplomatischer und finanzieller Unterstützung hat die Regierung in Mogadischu kaum Fortschritte gemacht (Meservey 19.10.2021). Nach anderen Angaben hat Somalia in den vergangenen Jahren auf vielen Gebieten große Fortschritte erzielt. Der Staat ist etwa bei Steuereinnahmen effektiver geworden. Junge Somalis und Angehörige der Diaspora sind in der Zivilgesellschaft aktiv, und Mogadischu selbst hat sich stark verändert (BBC 18.1.2021). Jedenfalls zeigt das Land trotz erzielter Fortschritte auch weiterhin alle Merkmale eines failed state (HIPS 3.2021, Sitzung 25). Laut einer anderen Quelle ist Somalia zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind demnach sehr schwach, wesentliche Staatsfunktionen können von ihnen nicht ausgeübt werden. Es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 28.6.2022, Sitzung 4/6). Die Bundesregierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 2022a, C1), da sie nur wenige Gebiete kontrolliert (BS 2022, Sitzung 33). Zudem hängt die Existenz des somalischen Staates zum größten Teil von der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft ab (HIPS 3.2021, Sitzung 9). Dies gilt natürlich auch für die Umsetzung von Aktivitäten seitens der Regierung (FH 2022a, C1).

Wie auch in Afghanistan wurde in Somalia durch eine fremde Kraft ein bestehendes islamistisches Regime vertrieben – namentlich die Union Islamischer Gerichte durch Äthiopien im Jahr 2006; wie auch in Afghanistan begann danach ein von Außen betriebener Prozess zur Staatsbildung unter dem Schutz ausländischer Soldaten; und wie auch in Afghanistan ist es der Regierung nicht gelungen, ein ausreichendes Maß an Legitimität aufzubauen (FP 22.9.2021). Die Öffentlichkeit fühlt sich ignoriert, weil die Regierung nicht daran arbeitet, das Leben der Bürger zu verbessern. Dementsprechend erachten viele Bürger die Regierung als nutzlos (HO 12.9.2021). Selbst in Gebieten, die von der Regierung gehalten werden, tun sich die Verwaltungen schwer, auch nur grundlegende Dienste anzubieten. Gleichzeitig kämpfen die staatlichen Institutionen mit dem Erbe von jahrzehntelanger Korruption und von Missmanagement (CFR 19.5.2021). Somalia schneidet bei den wichtigsten Benchmarks für gute Regierungsführung - Rechtsstaatlichkeit, Effektivität der Regierung, politische Stabilität, Beteiligung der Öffentlichkeit, Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruptionsbekämpfung - erschreckend schlecht ab (HIPS 3.2021, Sitzung 5f). Die Ausübung von Macht durch die Politik erfolgt willkürlich. Und tatsächlich ist keine der Regierungen auf Bundes- oder Bundesstaatsebene nach irgendeinem Gesetz rechenschaftspflichtig (HIPS 3.2021, Sitzung 12). Selbst das somalische Parlament erwägt kaum jemals die Rechtmäßigkeit einer Angelegenheit, sondern fokussiert unmittelbar auf individuelle materielle Gewinne (HIPS 3.2021, Sitzung 15). Die Unvorhersagbarkeit und die chaotische Praxis der Politik haben die Entwicklung staatlicher Institutionen gehemmt und die Effektivität der Regierung sowie die Reichweite des Staates eingeschränkt (HIPS 3.2021, Sitzung 25). Die Unfähigkeit, gegen die endemische Korruption vorzugehen, behindert den Staatsbildungsprozess und den Aufbau von Institutionen (BS 2022, Sitzung 18); der politische Machtkampf hat das Vertrauen der Bevölkerung in bestehende staatliche Institutionen weiter geschwächt, die politischen Konflikte haben die Kluft zwischen den Fraktionen vergrößert (BS 2022, Sitzung 18/42). All dies zehrt einerseits an der Ausdauer der Geberländer (FP 22.9.2021) und wird andererseits von al Shabaab ausgenutzt (CFR 19.5.2021).

Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 28). Seit 2016 und 2017 die fünf Bundesstaaten gegründet wurden, stockt der Verfassungsprozess. Grundlegende Fragen des Staatsaufbaus sind nicht geklärt. Dies lähmt staatliches Handeln und fördert politische Spannungen zwischen Mogadischu und den föderalen Gliedstaaten, weil eben die Verfassungsgebung und Kompetenzverteilung noch immer nicht abgeschlossen sind (AA 28.6.2022, Sitzung 4).

Regierung: Unter der bestehenden Übergangsverfassung aus dem Jahr 2012 wird der Präsident für eine Amtszeit von vier Jahren von einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments gewählt. Der Präsident teilt sich seine exekutive Macht mit dem Premierminister, der wiederum nur mit Unterstützung des Parlaments arbeiten kann (FH 2022a, A1).

2017 wurde Farmaajo als Präsident gewählt, sein Mandat endete eigentlich am 8.2.2021 (FH 2022a, A1), er regierte aber bis Mai 2022 weiter (AA 28.6.2022, Sitzung 4/6). Somalia stürzte in eine schwere Verfassungs- und politische Krise (Sahan 9.2.2021a), in deren Folge es in Mogadischu zwischen Kräften der Regierung und Kräften der Opposition auch zu Kampfhandlungen kam (UNSC 19.5.2021, Absatz 3 -, 11,). Nach dieser Eskalation im April 2021 konnte im Mai 2021 eine Einigung der Umsetzungsmodalitäten der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen erzielt werden. Trotz aller Bekundungen konnten die eigentlich Ende 2020 geplanten Parlamentswahlen nicht demokratisch gestaltet werden. Stattdessen wurde wieder auf einen Selektionsprozess ähnlich wie bei den Wahlen 2016 zurückgegriffen. Zudem wurde der Wahlprozess zu einem Zweikammerparlament durch innenpolitische Streitigkeiten für mehr als ein Jahr verzögert. Mit der erneuten Wahl des ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamud (2012-2017) am 15.5.2022 ist der Wahlprozess mit großer Verzögerung abgeschlossen (AA 28.6.2022, Sitzung 4/6). Nach mehr als 15 Monaten Streitigkeiten sind die Wahlen ruhig verlaufen. Es gab 36 Kandidaten. Im Vergleich zu den Wahlen im Jahr 2017 hat diesmal Geld bzw. Stimmenkauf keine entscheidende Rolle gespielt. In der letzten Wahlrunde erhielt Farmaajo 110 Stimmen, Hassan Sheikh Mohamud 214 Stimmen (AQ10, 5.2022). Der Wahlsieg wurde allgemein akzeptiert (AA 28.6.2022, Sitzung 4/6). Am 9.6.2022 wurde der neue Präsident angelobt (Sahan 10.6.2022; vergleiche GN 9.6.2022). Dieser ernannte am 15.6.2022 Hamza Abdi Barre, einen ehemaligen Vorsitzenden der staatlichen Wahlkommission von Jubaland, zum Premierminister (BAMF 20.6.2022; vergleiche FTL 28.6.2022).

Parlament: Die provisorische Verfassung sieht ein Zweikammernparlament mit einem 275-köpfigen Unterhaus und einem 54 Senatoren umfassenden Oberhaus vor (HIPS 11.2021). Die Mitglieder zum Oberhaus werden von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt. Die Wahlen zum Oberhaus begannen im Juli 2021 und konnten nach Monaten der Streitigkeiten im November 2021 abgeschlossen werden (FH 2022a, A2). Sie wurden auf voller Breite manipuliert, nur um 15 der 54 Sitze gab es tatsächlich einen Wettstreit. Die meisten Senatoren sind nunmehr de facto von den Präsidenten der Bundesstaaten nominierte (HIPS 8.2.2022, Sitzung 8; vergleiche HIPS 11.2021) Alliierte, Freunde und manchmal auch Familienangehörige. Insgesamt hat es sich nicht um einen glaubwürdigen Wahlbewerb gehandelt, der Vorgang kann kaum als „Wahl“ bezeichnet werden (HIPS 11.2021).

Bei der Wahl zum Unterhaus wählen Älteste und Gruppen der Zivilgesellschaft eines bestimmten Subclans Wahlmänner, welche als Delegation dann wiederum einen Abgeordneten küren. Senatoren und Abgeordnete wählen schlussendlich den Präsidenten. Der Manipulation sind Tür und Tor geöffnet (FP 22.9.2021). Eigentlich war für die Wahlen vorgesehen, dass jeder einzelne Unterhausabgeordnete von 101 Wahldelegierten seines Clans gewählt wird (2017 waren es 51 Delegierte pro Sitz). Später wurde die Zahl auf 67 Delegierte pro Sitz gesenkt (HIPS 11.2021). Insgesamt wurden die Wahlen durch innenpolitische Streitigkeiten für mehr als ein Jahr verzögert. Die Abgeordneten wurden in indirekter Wahl von Delegierten gewählt (AA 28.6.2022, Sitzung 6; vergleiche UNSC 13.5.2022, Absatz 3 f, f,). In diesem Wahlsystem spielt eine begrenzte Anzahl an Volksvertretern eine sehr eingeschränkt demokratische Rolle (BS 2022, Sitzung 20). Es musste eine allseits akzeptierte Repräsentation der verschiedenen Clans sowie der Gliedstaaten sichergestellt werden, was den Prozess der Delegiertenbestimmung sehr langwierig und intransparent machte. Die Legitimität der letzten Wahlprozesse war noch weitestgehend akzeptiert. Der derzeitige Prozess wird von verschiedenen nationalen und internationalen Politikern und Beobachtern hinsichtlich seiner Legitimität in Frage gestellt (AA 28.6.2022, Sitzung 6). Tatsächlich ist es auf breiter Front zu Wahlmanipulationen gekommen (HIPS 8.2.2022, Sitzung 4) bzw. gab es zahlreiche Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten und einen Mangel an Transparenz (UNSC 8.2.2022, Absatz 2,) sowie hinsichtlich Bestechung (AA 28.6.2022, Sitzung 12). Der Wahlvorgang war selbst gegen den vorhergehenden – schwer defizitären – Wahlprozess noch eine dramatische Verschlechterung (Meservey 19.10.2021).

Am 28.4.2022 wurde der Wahlprozess der am 29.7.2021 begonnenen Parlamentswahlen abgeschlossen (AA 28.6.2022, Sitzung 6). Alle 275 Abgeordneten zum Unterhaus waren gewählt, 20% davon sind Frauen (UNSC 13.5.2022, Absatz 2,). Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 12.4.2022, Sitzung 31f; vergleiche AA 28.6.2022, Sitzung 6; ÖB 3.2020, Sitzung 3; BS 2022, Sitzung 12).

Demokratie: Seit Jahrzehnten hat es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder nationaler Ebene mehr gegeben (AA 28.6.2022, Sitzung 6; vergleiche FP 10.2.2021; USDOS 12.4.2022, Sitzung 28f). In Süd-/Zentralsomalia gibt es keine demokratischen Institutionen (BS 2022, Sitzung 20). Somalia ist keine Wahldemokratie und hat auch keine strikte Gewaltenteilung, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2022, Sitzung 11/15). Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung demokratisch nicht legitimierter traditioneller Strukturen (v. a. Clanstrukturen) vergeben (AA 28.6.2022, Sitzung 6). Eine andere Quelle gibt zu bedenken: Auch wenn sie nicht wirklich frei und fair waren, so haben die in den letzten zwei Jahrzehnten in Somalia durchgeführten indirekten Wahlen zu Ergebnissen geführt, die im Allgemeinen von den politischen Akteuren und der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert wurden. So wurden durch einen – gewaltfreien – Wahlprozess jeweils schwache, aber akzeptierte Institutionen geschaffen (HIPS 11.2021).

Aktuelle Politische Lage: Der neue Präsident hat von seinem Vorgänger eine politisierte, parteiische und unfähige Bürokratie geerbt. Die Nabad iyo Nolol (N&N, Friede und Leben), die Partei von Ex-Präsident Farmaajo, hat die letzten fünf Jahre damit verbracht, die Verwaltung ohne Skrupel zu zentralisieren (Sahan 17.6.2022). Die Regierung unter Farmaajo und dem NISA-Chef Fahad Yasin wollte gemäß einer Quelle in Richtung von Verhandlungen mit al Shabaab und einer Talibanisierung Somalias. Dutzende ehemalige Dschihadisten wurden von ihnen in Schlüsselpositionen der Bundesverwaltung und der Sicherheitskräfte gehievt (Bryden 8.11.2021), politische Führungskräfte und Minister wurden auf Basis von Loyalität und nicht von Kompetenz ausgewählt. Jeder, der als Bedrohung wahrgenommen wurde, wurde angegriffen. Die Bundesregierung und regionale Führer haben alles getan, um zeitgerechte und glaubwürdige Wahlen zu verhindern. Der Versuch, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Wahlen zu manipulieren, führte das Land in politisches Chaos. Die Verzögerungen, Zusammenstöße und Ungewissheiten rund um die Wahlen haben außerdem zu einem fast vollständigen Zusammenbruch hinsichtlich der Erfüllung von Regierungsfunktionen geführt. Dies hat wiederum zur Spaltung aller Sektoren - auch des Sicherheitsapparats - beigetragen (Ali 28.1.2022). Der mehr als ein Jahr andauernde Streit um die Wahlen hat nicht nur die Regierungsarbeit gelähmt (FP 22.9.2021), er hat es ermöglicht, dass al Shabaab den angeschlagenen Staat weiter ausgehöhlt hat (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 8).

Dahingegen ist Präsident Hassan Sheikh gemäß Angaben einer Quelle ein Demokrat. Er will die Staatsbildung im Konsens fortführen. Um aber den Einfluss von N&N zu tilgen und eine inklusive Politik umzusetzen, wird es Zeit brauchen. Gleichzeitig wird N&N alles daran setzen, von Hassan Sheikh vorangetriebene Reformen zu sabotieren - und zwar von innerhalb der Regierung (Sahan 17.6.2022). Folglich ist das Machtzentrum Somalias nach der Machtübernahme durch den neuen Präsidenten paralysiert. Eine Elite im Wettstreit stehender islamistischer Fraktionen, die allesamt dem Föderalismus abgeneigt sind, versucht, Reformen zu hintertreiben oder rückgängig zu machen. Die N&N ist im Begriff, sich neu zu gruppieren. Der neue Präsident möchte dem mit einer Stärkung von Dam ul-Jadiid ["Partei" bzw. politisch-islamische Strömung des Präsidenten] entgegenwirken. Der Präsident ist moderat islamisch und keine Bedrohung für demokratische Werte. Insgesamt ist die Politik in Somalia zunehmend in der Hand von Eliten und fraktioniert. Clans üben weniger Macht aus, islamistische Fraktionen gewinnen an Macht und Einfluss (Sahan 28.6.2022).

Föderalisierung: Die Übergangsverfassung aus dem Jahr 2012 sieht föderale Strukturen vor. Seit damals sind sechs Entitäten durch die Bundesregierung als Bundesstaaten anerkannt worden: Puntland, Galmudug, Jubaland, South-West State (SWS) und HirShabelle. Jeder dieser Bundesstaaten hat eine eigene Verfassung. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 17). Die Hauptstadtregion Benadir (Mogadischu) verbleibt als Banadir Regional Administration/BRA unter direkter Kontrolle der Bundesregierung (HIPS 8.2.2022, Sitzung 19). Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, Sitzung 55f).

Unter der Regierung von Präsident Farmaajo waren die Beziehungen zwischen Bundesregierung und einigen Bundesstaaten angespannt. Dabei ging es um Fragen der Machtteilung, um Ressourcen, Territorien und die Kontrolle bewaffneter Kräfte (SPC 9.2.2022). Grundsätzlich gibt es politische Uneinigkeit über die Frage, ob Bundesstaaten semi-autonom sein sollen oder ob mehr Macht bei der Bundesregierung zentralisiert sein soll (ISS 15.12.2020). Zahlreiche Befugnisse wurden nicht geklärt. Das betrifft die Verteidigung, welche militärischen Truppen und Polizeieinheiten vor Ort eingesetzt werden können, die Frage der Ressourcenverteilung, die Verteilung von internationalen Hilfsgeldern. Auch Entwicklungszusammenarbeitsprojekte werden über die Zentralregierung in Mogadischu abgewickelt, und die Verteilung auf die Regionen ist strittig, ebenso die Fragen, wer welche Hoheiten über welche Verträge hat (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 4). Präsident Farmaajo hatte versucht, die Macht wieder zu zentralisieren (TNYT 14.4.2021; vergleiche Bryden 8.11.2021). Zudem ist es den neuen Präsidenten der Bundesstaaten aufgrund ihrer Schwäche nicht gelungen, ihre Macht zu konsolidieren und staatliche Autorität auszuüben. Immer mehr Gebiete gingen an al Shabaab verloren (Bryden 8.11.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Mai_2022%29%2C_28.06.2022.pdf, Zugriff 4.7.2022

             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 17.5.2022

             Ali, Hodan / The Elephant (28.1.2022): Somalia’s Famines, Government Apathy and the Aid Industry, https://www.theelephant.info/features/2022/01/28/somalias-famines-government-apathy-and-the-aid-industry/, Zugriff 17.2.2022

             AQ10 - Anonyme Quelle 10 (5.2022): Bei der Quelle handelt es sich um einen analytischen Newsletter

             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (20.6.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw25-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 30.6.2022

             BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc.com/news/world-africa-55677077, Zugriff 24.6.2022

             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-sicherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf, Zugriff 9.6.2022

             Bryden, Matt / The Elephant (8.11.2021): Fake Fight: The Quiet Jihadist Takeover of Somalia, https://www.theelephant.info/long-reads/2021/11/08/fake-fight-the-quiet-jihadist-takeover-of-somalia/#.YYjpCzdaMR4.twitter, Zugriff 25.5.2022

             BS - Bertelsmann Stiftung (2022): BTI 2022 - Somalia Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_SOM.pdf, Zugriff 15.3.2022

             CFR - Council on Foreign Relations / Cheatham, A. / Felter, Claire / Laub, Z. (19.5.2021): Backgrounder – Al-Shabab, https://www.cfr.org/backgrounder/al-shabab, Zugriff 9.6.2022

             FH - Freedom House (2022a): Freedom in the World 2022 – Somalia, https://freedomhouse.org/country/somalia/freedom-world/2022, Zugriff 24.5.2022

             FP - Foreign Policy / Mahmood, O.S. / Ainte, A. (22.9.2021): Could Somalia Be the Next Afghanistan? https://foreignpolicy.com/2021/09/22/could-somalia-alshabab-taliban-next-afghanistan/, Zugriff 6.7.2022

             FP - Foreign Policy (10.2.2021): Will Somalia’s Missed Election Lead to Chaos? https://foreignpolicy.com/2021/02/10/somalia-missed-election-chaos-mogadishu/, Zugriff 13.7.2022

             FTL - Facility for Talo and Leadership (28.6.2022): Roble Hands over Office of the Prime Minister Officially to Barre, https://www.ftlsomalia.com/roble-hands-over-office-of-the-prime-minister-officially-to-barre/, Zugriff 29.6.2022

             GN - Goobjoog News (9.6.2022): Hassan Sheikh Mohamud inaugurated as Somalia’s 10th president, https://goobjoog.com/english/hassan-sheikh-mohamud-inaugurated-as-somalias-10th-president/, Zugriff 4.7.2022

             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (8.2.2022): State of Somalia Report 2021, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2021-English-version.pdf, Zugriff 21.2.2022

             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (11.2021): The Dangers of rigged indirect Elections in Somalia, https://heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2021/11/Election-Brief-English-Nov-24-2021.pdf, Zugriff 13.7.2022

             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (3.2021): The Impediments To Good Governance In Somalia, http://www.heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2021/03/Impediments-good-governance-2.pdf, Zugriff 1.6.2022

             HO - Hiiraan Online / Schwartz, Stephen (12.9.2021): Somalia’s Leaders Need to Seize Immediately the Lessons of Afghanistan, https://hiiraan.com/op4/2021/sept/183881/somalia_s_leaders_need_to_seize_immediately_the_lessons_of_afghanistan.aspx, Zugriff 1.6.2022

             ISS - Institute for Security Studies (15.12.2020): Regional conflicts add to Somalia’s security concerns, https://issafrica.org/iss-today/regional-conflicts-add-to-somalias-security-concerns, Zugriff 13.7.2022

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             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 11.5.2022

             Sahan - Sahan / Somali Wire Team (28.6.2022): Editor’s Pick – The counter-reform will not be televised, in: The Somali Wire Issue No. 414, per e-Mail 29.6.2022

             Sahan - Sahan / Somali Wire Team (17.6.2022): Editor’s Pick – Some policy advice for Somalia's new president: römisch eins f you build it, they will come, in: The Somali Wire Issue No. 407, per e-Mail 4.7.2022

             Sahan - Sahan / Somali Wire Team (10.6.2022): Editor’s Pick – Fahad’s dance of the seven veils, in: The Somali Wire Issue No. 402, per e-Mail

             Sahan - Sahan / Matt Bryden (9.2.2021a): Editor’s Pick - Ku Qabso ku Qadi Mayside, in: The Somali Wire Issue No. 78, per e-Mail

             SPC - Somalia Protection Cluster (9.2.2022): Protection Analysis Update, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOM_PAU_Somalia-Protection-Analysis_Feb2022.pdf, Zugriff 25.5.2022

             TNYT - The New York Times (14.4.2021): Somalia’s President Extends Term by Two Years, Drawing Condemnation, https://www.nytimes.com/2021/04/14/world/africa/somalia-president.html, Zugriff 13.7.2022

             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (22.12.2021): Citizenship and Statelessness in the Horn of Africa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065866/61c97bea4.pdf, Zugriff 12.5.2022

             UNSC - UN Security Council (13.5.2022): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2022/392], https://reliefweb.int/attachments/02e8f544-fa6f-47fe-80a1-6f7ee9d6c94e/N2233663.pdf, Zugriff 27.5.2022

             UNSC - UN Security Council (8.2.2022): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2022/101], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068141/S_2022_101_E.pdf, Zugriff 21.2.2022

             UNSC - UN Security Council (19.5.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/485], https://www.ecoi.net/en/file/local/2052226/S_2021_485_E.pdf, Zugriff 1.6.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_SOMALIA-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 21.4.2022

i.           Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug)

Letzte Änderung: 25.07.2022

Galmudug wurde im Jahr 2015 geschaffen (HIPS 2021, Sitzung 15). Der Bundesstaat wird vom Hawiye-Subclan der Habr Gedir-Sa'ad dominiert (EASO 2.2016, Sitzung 17).

Die Staatsversammlung in Dhusamareb wählte am 2.2.2020 Ahmed Abdi Kariye 'Qoorqoor' zum Präsidenten (UNSC 13.2.2020, Absatz 9 ;, vergleiche IP 14.2.2020), während der damalige Amtsinhaber Ahmed 'Haaf' dies anfocht (IP 14.2.2020). Nach Verhandlungen zwischen den beiden Opponenten konnte im April 2020 eine friedliche Amtsübergabe stattfinden – allerdings in Absenz der Sufi-Miliz Ahlu Sunna Wal Jama'a (ASWJ). Zuvor waren im Feber 2020 Spannungen zwischen der Regionalregierung und der ASWJ zu schweren Kämpfen eskaliert (UNSC 13.5.2020, Absatz 9,). Die Bundesregierung hat Qoorqoor so durch die Intervention der Bundesarmee das Amt als Präsident von Galmudug gesichert (PGN 10.2020, Sitzung 6), das er nach den manipulierten Wahlen auch antrat (HIPS 2021, Sitzung 3/16). Die ASWJ hingegen ist nach einer kurzen Phase der Reorganisierung [siehe Sicherheitslage] de facto (Stand Juli 2022) ausgeschaltet und zerschlagen (BMLV 7.7.2022).

Al Shabaab ist in dem Bundesstaat zunehmend aktiv (BMLV 7.7.2022).

Quellen:

             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (7.7.2022): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten

             EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1158113/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 9.6.2022

             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf, Zugriff 23.6.2022

             IP - Indigo Publications (14.2.2020): The Indian Ocean Newsletter No 1515, kostenpflichtiges Abonnement, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

             PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map & Timeline - October 2020, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2020/10/somalia-map-of-al-shabaab-control.html, Zugriff 7.7.2022

             UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf, Zugriff 10.6.2022

             UNSC - UN Security Council (13.2.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/121], https://www.ecoi.net/en/file/local/2025872/S_2020_121_E.pdf, Zugriff 23.6.2022

3.           Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Letzte Änderung: 25.07.2022

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2022). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 6).

Quellen:

             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2022): Curated Data - Africa (14 January 2022), https://acleddata.com/curated-data-files/, Zugriff 19.1.2022

             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf, Zugriff 18.5.2022

             PGN - Political Geography Now (12.2021): Somalia Control Map & Timeline - December 2021, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://controlmaps.polgeonow.com/2021/12/who-controls-somalia-crisis-timeline/, Zugriff 27.6.2022

a.           Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 25.07.2022

Die Sicherheitslage bleibt instabil (BS 2022, Sitzung 38) bzw. volatil, mit durchschnittlich 236 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Monat. Die meisten Vorfälle gingen auf das Konto von al Shabaab. Die Angriffe der Gruppe richten sich in erster Linie gegen somalische Sicherheitskräfte und AMISOM. Dabei werden Angriffe vorwiegend mit improvisierten Sprengsätzen und sogenannten hit-and-run-Angriffen durchgeführt (UNSC 13.5.2022, Absatz 13,). Die österreichische Botschaft spricht in diesem Zusammenhang von einem bewaffneten Konflikt (ÖB 3.2020, Sitzung 2), während das deutsche Auswärtige Amt von Bürgerkrieg und bürgerkriegsähnlichen Zuständen in vielen Teilen Süd-/Zentralsomalias berichtet (AA 28.6.2022, Sitzung 5/9). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (ÖB 3.2020, Sitzung 2).

AMISOM hält in Kooperation mit der somalischen Armee, regionalen Sicherheitskräften sowie mit regionalen und lokalen Milizen die Kontrolle über die seit 2012 eroberten Gebiete. Allerdings konnten trotz internationaler Unterstützung kaum weitere territoriale Gewinne verzeichnet werden (BS 2022, Sitzung 6). Die somalische Regierung und AMISOM können keinen Schutz vor allgemeiner oder terroristischer Kriminalität im Land garantieren (AA 17.5.2022). Generell ist die Regierung nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen. Dafür ist sie in erster Linie auf ATMIS - aber auch auf Unterstützung anderer Staaten angewiesen (BMLV 19.7.2022; vergleiche BS 2022, Sitzung 11/13; HIPS 4.2021, Sitzung 16). Wenn ATMIS abzieht, würde Mogadischu rasch fallen (BMLV 19.7.2022; vergleiche Robinson 27.1.2022). An dieser Situation wird sich in den nächsten Jahren nichts ändern (BMLV 19.7.2022). Zudem ist die Regierung zum eigenen Überleben schon alleine deswegen auf ausländische Truppen und Hilfe angewiesen, weil sie nicht in der Lage ist, aus eigenen Mitteln Polizisten und Soldaten zu bezahlen (FP 22.9.2021).

Trend: Die Bundesregierung hat es nicht geschafft, die Reichweite staatlicher Institutionen in Bezug auf die Bereitstellung von Dienstleistungen für Bürger und den Schutz ihres Lebens und ihres Eigentums über Mogadischu hinaus auszuweiten (BMLV 19.7.2022; vergleiche HIPS 3.2021, Sitzung 22). Der Kampf gegen al Shabaab stagniert seit mehreren Jahren (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 7). Die Regierung unter Präsident Farmaajo hat die vergangenen vier Jahre damit zugebracht, einen Krieg gegen den Föderalismus, politischen Pluralismus und demokratische Normen zu führen – aber nicht gegen al Shabaab. Die Gruppe ist heute stärker denn je und hat 2021 aggressiv expandiert (Bryden 8.11.2021). Dabei sah sich al Shabaab schon zuvor durch den Abzug der USA und einen Teilabzug äthiopischer Kräfte gestärkt (ICG 16.4.2021). Danach hat sie die große politische Unsicherheit und die damit verbundenen Spannungen genutzt, um das Tempo ihrer Aktivitäten in Mogadischu und in den Bundesstaaten auch mittel- und langfristig aufrechterhalten zu können (UNSC 6.10.2021; vergleiche CFR 19.5.2021). Die Regierung unter Präsident Farmaajo hatte den Kampf gegen al Shabaab aufgeben, und immer mehr Gebiete gingen an die Gruppe verloren (Bryden 8.11.2021). Al Shabaab gewinnt an Boden (TNYT 14.4.2021) und konnte im Jahr 2021 in Gebiete vordringen, die bis dahin als geschützt gegolten hatten - etwa in den Nordwesten von Galmudug und in die zuvor friedliche Küstenzone nordwestlich von Mogadischu in Middle Shabelle (PGN 12.2021; vergleiche UNSC 6.10.2021). Insgesamt konnte al Shabaab unter Ausnutzung der politischen Instabilität im Jahr 2021 in Galmudug, HirShabelle, Jubaland und dem SWS-Geländegewinne erzielen (HIPS 8.2.2022, Sitzung 6).

Auch der Konflikt zwischen der Bundesregierung und einzelnen Bundesstaaten wurde immer wieder gewaltsam ausgetragen (BS 2022, Sitzung 37). Im April 2021 ist es in Mogadischu zu Kampfhandlungen gekommen (BBC 31.5.2021; vergleiche TNH 20.5.2021). Auch im September 2021 war die Situation in Mogadischu höchst angespannt (ICG 14.9.2021). Der Zusammenhalt von Bundesregierung und Bundesstaaten wäre notwendig, weil al Shabaab die Fähigkeit besitzt, Brüche zwischen Bundes- und Regionalregierungen auszunutzen (UNSC 6.10.2021).

Die Operation Badbaado – 2019 zur Sicherung der westlichen Zugänge zu Mogadischu begonnen - hat sich totgelaufen und wurde nach der Einnahme von Janaale im März 2020 nicht weiterverfolgt. Sie hat lediglich einige unzusammenhängende Vorposten zwischen Mogadischu und Janaale hinterlassen, deren Zwischengebiete von al Shabaab kontrolliert werden (BMLV 19.7.2022; vergleiche Bryden 8.11.2021; Robinson 27.1.2022). Die als Folgeoperation geplante Operation Badbaado römisch II in Middle Shabelle ist de facto nie angelaufen (Robinson 27.1.2022). Seit Badbaado ist es zu keinem geplanten offensiven Vorgehen gegen al Shabaab mehr gekommen (BMLV 7.7.2022). Ein weiteres Zurückdrängen von al Shabaab durch ATMIS kann ohne Beteiligung der Truppen der Bundesregierung nicht erwartet werden (BMLV 19.7.2022). Die Fähigkeit, mittlerweile auch die am sichersten eingestuften Ziele angreifen zu können, verdeutlicht dies umso mehr (JF 18.6.2021). Die Bundesarmee ist teils nicht in der Lage, FOBs (Forward Operating Base) zu halten. Mehrfach hat al Shabaab erfolgreich FOBs der Bundesarmee angegriffen und überwältigt. Derartige Operationen sind mittlerweile für al Shabaab die wichtigste Quelle an militärischem Nachschub (Sahan 26.8.2021).

Noch im Mai und Juni 2021 hatte die Bundesarmee bei einer Offensive in Middle Shabelle bewiesen, dass sie zu einer ausschließlich auf eigenen Kräften beruhenden Initiative kaum in der Lage war. Die Operation endete unter großen Verlusten im Fiasko (Sahan 14.7.2021). Mit Antritt von Präsident Hassan Sheikh Mohamud im Mai 2022 haben somalische Kräfte plötzlich mehrere größere Erfolge gegen al Shabaab einfahren können. Einerseits konnte die Spezialeinheit Danab Ende Juni al Shabaab in HirShabelle mit einer Offensive überraschen und mehrere Stützpunkte der Gruppe zwischen Matabaan und Jowhar einnehmen. Andererseits wurden bei einem Zusammenspiel von Macawiisley und Ahlu Sunna Wal Jama'a in Galmudug dutzende Kämpfer der al Shabaab getötet. Dies waren die größten Verluste der Islamisten in den vergangenen fünf Jahren (Sahan 29.6.2022).

Al Shabaab führt nach wie vor einen Guerillakrieg (USDOS 2.6.2022, Sitzung 5) mit gewalttätigen, extremistischen Taktiken. Die Gruppe bleibt die signifikanteste Bedrohung für Frieden, Stabilität und Sicherheit. Die Gruppe ist in hohem Maß anpassungsfähig und mobil und kann ihren Einfluss auch in Gebieten außerhalb der eigenen Kontrolle geltend machen. Mit unterschiedlichen Methoden gelingt es al Shabaab, die Bevölkerung zu kontrollieren, Einfluss auf die Politik zu nehmen und in Süd-/Zentralsomalia für ein Klima der Angst zu sorgen: Kontrolle großer Gebiete; sogenannte hit-and-run-Angriffe gegen Städte und militärische Positionen; Ausnutzung von Clanstreitigkeiten mit einer Taktik des "teile und herrsche"; Unterbrechung von Hauptversorgungsrouten und Blockade von Städten; und in wichtigen Städten (z. B. Mogadischu, Baidoa, Galkacyo, Jowhar) gezielte Attentate, Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen und Mörserangriffe. Zusätzlich ist die Gruppe auch weiterhin in der Lage, größere - sogenannte "komplexe" - Angriffe durchzuführen (UNSC 6.10.2021). Insgesamt verfolgt al Shabaab eine klassische Guerilla-Doktrin: Die Einkreisung von Städten aus dem ländlichen Raum heraus. Die Präsenz von al Shabaab im ländlichen Raum hat 2021 zugenommen (BMLV 19.7.2022).

Im Zuge der Wahlen hat al Shabaab ihre Anschläge verstärkt (UNSC 13.5.2022, Absatz 15 f, f,). In Bevölkerungszentren - etwa Mogadischu, Kismayo und Baidoa - greift al Shabaab vorwiegend sogenannte "weiche" Ziele an. Damit sollen psychologische und hinsichtlich medialer Reichweite "sensationelle" Effekte erzielt werden, womit die Gruppe ihre Fähigkeiten zeigt und die Menschen einschüchtern möchte (UNSC 6.10.2021). Angegriffen werden Regierungseinrichtungen und Sicherheitskräfte, aber auch Hotels, Märkte und andere öffentliche Einrichtungen (AA 17.5.2022).

Kampfhandlungen: In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es regelmäßig zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. ATMIS und al Shabaab (AA 28.6.2022, Sitzung 20; vergleiche AA 17.5.2022). Die Kriegsführung von al Shabaab erfolgt weitgehend asymmetrisch mit sog. hit-and-run-attacks, Attentaten, Sprengstoffanschlägen und Granatangriffen. Das Gros der Angriffe wird mit niedriger Intensität bewertet – jedoch sind die Angriffe zahlreich, zerstörerisch und kühn (JF 28.7.2020). Am meisten betroffen waren davon zuletzt Mogadischu, Lower Shabelle und Bay (UNSC 13.5.2022, Absatz 13,). Generell sind insbesondere die Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle betroffen (AA 28.6.2022, Sitzung 20). Auch entlang der Hauptversorgungsrouten unterhält al Shabaab weiterhin Angriffe, und die Gruppe hat einige davon einnehmen können (USDOS 12.4.2022, Sitzung 17).

Innerhalb der von al Shabaab gehaltenen Gebiete führen Bundesarmee und AMISOM kaum Operationen durch. Es kommt dort lediglich zu sporadischen Luftschlägen der USA (UNSC 6.10.2021). Die größte Einzeloffensive der Bundesregierung der vergangenen Jahre richtete sich im Oktober 2021 gegen ASWJ in Guri Ceel. Dabei wurden 120 Menschen getötet und hunderte verwundet. Dies war die blutigste Schlacht in Somalia seit dem Angriff der al Shabaab auf den kenianischen Stützpunkt in Ceel Cadde (Gedo) Anfang 2016 (Bryden 8.11.2021).

Gebietskontrolle: Al Shabaab wurde im Laufe der vergangenen Jahre erfolgreich aus den großen Städten gedrängt (ÖB 3.2020, Sitzung 2). Während AMISOM (bzw. als deren Nachfolgerin die ATMIS) und die Armee die Mehrheit der Städte halten, übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes die Kontrolle aus oder kann dort zumindest Einfluss geltend machen. Gleichzeitig hat al Shabaab die Fähigkeit behalten, in Mogadischu zuzuschlagen und hat Gebiete gefestigt, wo die Gruppe zuvor unter Druck von Regierungskräften gestanden ist (USDOS 2.6.2022, Sitzung 5f). Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias befinden sich also teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle von al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 28.6.2022, Sitzung 5). Nach anderen Angaben besitzt die Bundesregierung kaum Legitimität und kontrolliert lediglich Mogadischu - und das nicht zur Gänze. In Baidoa und Jowhar hat sie stärkeren Einfluss (BMLV 19.7.2022; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 12). Ihre Verbündeten kontrollieren viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und ATMIS sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben (BMLV 19.7.2022). In Gebieten, in welchen al Shabaab keine direkte Kontrolle ausübt - sei es wegen der Präsenz von somalischen oder internationalen Sicherheitskräften, sei es wegen der Präsenz von Clanmilizen - versucht die Gruppe die lokale Bevölkerung und die Ältesten durch Störoperationen entlang der Hauptversorgungsrouten zu bestrafen bzw. deren Unterstützung zu erzwingen (UNSC 6.10.2021). Gleichzeitig erhöht al Shabaab mit der Einnahme von Wegzöllen das eigene Budget (HIPS 8.2.2022, Sitzung 6). Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle hält al Shabaab Blockaden aufrecht (HRW 13.1.2022).

Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia befinden sich unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab. Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind

1.           das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; de facti die gesamte Region Middle Juba;

2.           Jamaame und Badhaade in Lower Juba;

3.           größere Gebiete um Ceel Cadde und Qws Qurun in der Region Gedo;

4.           Gebiete nördlich und entlang des Shabelle in Lower Shabelle, darunter Sablaale und Kurtunwaarey;

5.           der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor; sowie Rab Dhuure;

6.           weites Gebiet recht und links der Grenze von Bay und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;

7.           sowie die südliche Hälfte von Galgaduud mit den Städten Ceel Dheere und Ceel Buur; und angrenzende Gebiete von Mudug und Middle Shabelle, namentlich die Städte Xaradheere (Mudug) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (PGN 12.2021; vergleiche UNSC 6.10.2021).

Die Regierung kontrolliert Städte und Orte nur punktuell als Inseln inmitten umstrittener und umkämpfter Gebiete. Selbst in diesen Städten und Orten wird die Regierung von Rebellen unterwandert (WZ 29.12.2021). In Süd-/Zentralsomalia kann kein Gebiet als frei von al Shabaab bezeichnet werden – insbesondere durch die Infiltration mit verdeckten Akteuren kann al Shabaab nahezu überall aktiv werden. Ein Vordringen größerer Kampfverbände von al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Städte mit konsolidierter Sicherheit – i.d.R. mit Stützpunkten von Armee und ATMIS – können von al Shabaab zwar angegriffen, aber nicht eingenommen werden (BMLV 19.7.2022). Immer wieder gelingt es al Shabaab kurzfristig kleinere Orte oder Stützpunkte - etwa Matabaan - einzunehmen, um sich nach wenigen Stunden oder Tagen wieder zurückzuziehen (BMLV 19.7.2022; vergleiche PGN 12.2021).

Andere Akteure: Über drei Jahrzehnte gewaltsamer Konflikte haben die sozialen Brüche größer werden lassen. Kämpfe zwischen Clanmilizen und gewaltsame Auseinandersetzungen in Bundesstaaten und zwischen Bundesstaaten und der Bundesregierung kennzeichnen den anhaltenden Konflikt um Macht und Ressourcen (BS 2022, Sitzung 34). Diese Konflikte um z.B. Land und Wasser führen regelmäßig zu Gewalt (BS 2022, Sitzung 31). Es kommt immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 17.5.2022) sowie zwischen Milizen einzelner Subclans bzw. religiöser Gruppierungen wie ASWJ (AA 28.6.2022, Sitzung 20). Solche Kämpfe zwischen (Sub-)Clans - vorrangig um Land und Wasser, aber auch um Macht - haben im Jahr 2021 zugenommen. Bei Zusammenstößen in Galmudug, Jubaland und dem SWS kam es dabei zu Toten und massiven Vertreibungen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 4f). Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es auch zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15). Generell sind Clan-Auseinandersetzungen üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer – generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter – Gewalt verbunden sein (BMLV 19.7.2022). Das Expertenpanel der UN hat im Zeitraum Jänner bis August 2021 118 Vorfälle von Clankonflikten registriert. Dabei handelte es sich v.a. um Rachemorde und Entführungen. Insgesamt starben dabei 80 Menschen, 170 wurden verletzt; 22 Personen wurden entführt, um Blutgeld für vorhergehende Morde zu erpressen (UNSC 6.10.2021).

Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 28.6.2022, Sitzung 19). Gewaltakte durch bewaffnete Gruppen und Banden und Armutskriminalität sind im gesamten Land weit verbreitet. Bewaffnete Überfälle, Autoraub („Carjacking“), sexueller Missbrauch und auch Morde kommen häufig vor (AA 17.5.2022).

Im Zeitraum Feber-Mai 2022 verübte der sogenannte Islamische Staat zwei Sprengstoffanschläge auf einen Polizisten und einen Beamten sowie einen Handgranatenanschlag auf einen Checkpoint der Polizei. Alle diese Vorfälle, bei denen zwei Zivilisten und drei Angehörige der Sicherheitskräfte verletzt wurden, ereigneten sich in Mogadischu (UNSC 13.5.2022, Absatz 21,).

Zivile Opfer: Bei Kampfhandlungen gegen al Shabaab, aber auch zwischen Clans oder Sicherheitskräften kommt es zur Vertreibung, Verletzung oder Tötung von Zivilisten (HRW 13.1.2022). Al Shabaab ist für einen Großteil der zivilen Opfer verantwortlich (siehe Tabelle weiter unten). Nach eigenen Angaben greift al Shabaab einfache Zivilisten nicht gezielt an (C4 15.6.2022). Jedenfalls gelten die meisten Anschläge außerhalb von Mogadischu ATMIS und somalischen Sicherheitskräften (AA 28.6.2022, Sitzung 6). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (BMLV 19.7.2022).

Allgemein ist die Datenlage zu Zahlen ziviler Opfer unklar und heterogen. Der Experte Matt Bryden veranschaulicht dies mit den Angaben mehrerer Organisationen. So gab es laut UNMAS (Mine Action Service) 2020 wesentlich weniger zivile Tote und Verletzte: 454 zu 1.140 im Jahr 2019. Dahingegen berichtet US-AFRICOM von 776 Vorfällen mit insgesamt 2.395 Opfern im Jahr 2020 und 676 Vorfällen mit 1.799 Opfern 2019. US-AFRICOM zählt zivile und militärische Opfer zusammen. Dementsprechend wären 2020 wesentlich mehr Sicherheitskräfte untern den Opfern gewesen als Zivilisten – ein Widerspruch zu den Angaben der UN, wonach Zivilisten die Hauptlast der Sprengstoffanschläge tragen würden. Dies wird auch von AMISOM bestätigt: Demnach richteten sich 2019 28% der Anschläge direkt gegen Zivilisten, 2020 waren es nur 20% (Sahan 6.4.2021a).

Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 15,4 Millionen Einwohnern (WHO 12.1.2021) lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:9367 [Anm.: Rechnung auf Basis der in vorgenannten Quellen angegebenen Zahlen].

Luftangriffe: Immer wieder kommt es zu Luftschlägen, v.a. durch die USA (PGN 12.2021). Im Jahr 2017 führten die USA 35 Luftschläge in Somalia durch, 2018 waren es 47 und 2019 63. Im Jahr 2020 ist die Zahl auf 51 gesunken (HIPS 2021, Sitzung 21). Im Jahr 2021 bestätigten die USA lediglich 11 Luftangriffe (HRW 13.1.2022), insgesamt sollen es aber 16 gewesen sein (PGN 12.2021). Die Luftangriffe auf al Shabaab und den IS, bei denen seit 2017 ca. 1.000 Kämpfer getötet worden sind (HIPS 2021, Sitzung 21) konzentrierten sich vor allem auf die Regionen Lower Shabelle, Lower Juba, Middle Juba, Gedo und Bari (UNSC 13.8.2020, Absatz 24,). Auch Kenia führt nach wie vor Luftschläge in Somalia durch (PGN 12.2021), z.B. am 22.6.2022 im Grenzgebiet von Gedo zu Kenia (GN 22.6.2022).

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             UNSC - UN Security Council (6.10.2021): Letter dated 5 October 2021 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council: Final report of the Panel of Experts on Somalia (S/2021/849), https://reliefweb.int/attachments/17a953bc-861a-348a-a59b-1e182f053030/S_2021_849_E.pdf, Zugriff 14.6.2022

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             UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf, Zugriff 8.7.2022

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             USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_SOMALIA-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 21.4.2022

             WHO - World Health Organization (12.1.2021): Health for all is Somalia’s answer to COVID-19 and future threats to health, https://www.who.int/news-room/feature-stories/detail/health-for-all-is-somalia-s-answer-to-covid-19-and-future-threats-to-health, Zugriff 12.7.2022

             WZ - Wiener Zeitung (29.12.2021): Sezessionisten, Islamisten und eine streitende Regierung, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2132800-Somalia-zwischen-Sezessionisten-Islamisten-und-streitender-Regierung.html, Zugriff 27.6.2022

i.           Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug)

Letzte Änderung: 25.07.2022

Generell hat die Regierung von Galmudug die Kontrolle über die Städte Dhusamareb, Cadaado, Matabaan und Cabudwaaq. Die Städte Dhusamareb und Guri Ceel sind weitgehend frei von al Shabaab. Dort befindet sich das Hauptquartier einer Division der Bundesarmee sowie eine Garnison von ATMIS-Truppen aus Dschibuti; letztere soll allerdings mittelfristig abgezogen werden. Die Städte Cadaado und Galkacyo können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Dhusamareb und Matabaan waren in der jüngeren Vergangenheit Kernraum des Konflikts zwischen ASWJ und Regierungskräften sowie hinsichtlich Kampfhandlungen mit al Shabaab. Die Lage in diesen Städten hat sich verschlechtert (BMLV 7.7.2022).

Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ): Nach einem für die ASWJ unvorteilhaften Friedensabkommen im Jahr 2020 (Sahan 20.6.2022) befand sich die politische Führung der ASWJ im innerstaatlichen Exil in der puntländischen Hauptstadt Garoowe. Die Miliz wurde teilweise entwaffnet, teilweise – nach einer Ausbildungszeit in Mogadischu – in die staatlichen Sicherheitskräfte übernommen. Damit war die ASWJ vorerst zerschlagen und ausgeschaltet (BMLV 7.7.2022). Allerdings hatte sich ASWJ im September 2021 neu gesammelt und mobilisiert (GO 2.10.2021; vergleiche HIPS 8.2.2022, Sitzung 25). Die Gruppe argumentierte damit, dass al Shabaab in Galmudug zu einer zunehmend großen Bedrohung geworden war (Reuters 2.10.2021). Demnach hatte ASWJ nach eigenen Angaben lediglich vor, al Shabaab aus Galmudug zu vertreiben. Die Regierung des Bundesstaates hingegen sprach von einem Angriff (GO 2.10.2021). Ein anderer Grund für die Remobilisierung war das Schwinden von Geldflüssen. Qatar hatte ursprünglich zugesagt, für die Demobilisierung von 5.000 Kämpfern aufzukommen. Allerdings wurden die Zahlungen später auf 2.500 Mann reduziert. Viele (ehemalige) Kämpfer der ASWJ gingen daher zu ihren Clans zurück, das Friedensabkommen zwischen Galmudug und der Sufi-Miliz begann zu bröckeln (Sahan 20.6.2022).

Jedenfalls wurde ASWJ im September 2021 in Bohol von Bundestruppen angegriffen. Danach besetzte ASWJ Guri Ceel, Matabaan und Ceel Dheere. Im Zeitraum 23.-27.10.2021 kam es im Bereich Guri Ceel zu Kämpfen zwischen ASWJ und Kräften von Bundesregierung und Galmudug. Dabei sind mindestens 120 Menschen getötet und 600 verletzt worden. 100.000 wurden vertrieben (PGN 12.2021; vergleiche HIPS 8.2.2022, Sitzung 25; Bryden 8.11.2021). ASWJ konnte Guri Ceel nach einem vereinbarten Waffenstillstand verlassen und sich nach Bohol, einem 40 Kilometer von Dhusamareb entfernten Dorf, zurückziehen (HIPS 8.2.2022, Sitzung 25; vergleiche PGN 12.2021). Bei dem Angriff auf ASWJ spielen auch religiöse Motive eine Rolle, ein Kampf der (damals) in wichtigen Positionen vertretenen Salafisten gegen die Miliz der Sufis (Sahan 10.6.2022). Seit Monaten kommt es also in und um Dhusamareb zu Spannungen und Gewalt zwischen ASWJ und Kräften Galmudugs (GN 25.5.2022). Laut neueren Angaben haben sich die Spannungen mit der (neuerlichen) mehrheitlichen Auflösung der ASWJ gelegt (BMLV 7.7.2022).

Clans: Im März 2021 kam es zu weiteren Gesprächen zwischen den Ayr und Saleban (UNSC 19.5.2021, Absatz 31,). Insgesamt zogen sich aber Auseinandersetzungen um Wasser, Weideland und andere Ressourcen über Monate hin und halten an - z. B. im Gebiet Balanbaale (Sahan 8.10.2021c). Dort wurden im Feber 2022 bei Kämpfen zwischen Marehan und Habr Gedir 43 Menschen getötet und 35 verletzt. Mehr als 2.500 Haushalte wurden vertrieben (UNHCR 11.2.2022). Nach anderen Angaben kamen bei Kämpfen zwischen Ayr und Marehan im Gebiet Balanbaale mindestens zehn Menschen ums Leben und 15 wurden verwundet (BAMF 7.2.2022).

Gebietskontrolle und al Shabaab: Cadaado und Dhusamareb laufen wegen der Präsenz von Sicherheitskräften nicht Gefahr, von al Shabaab überlaufen zu werden. Insgesamt hat al Shabaab ihre Präsenz in Galmudug verstärkt (BMLV 7.7.2022). Zudem hat sich die Grenze des Einflussbereichs von al Shabaab von der Achse Hobyo-Dhusamareb deutlich nach Norden verschoben und reicht nahezu bis Cadaado (PGN 12.2021). In und um Hobyo hat die Gruppe ihre Gebiete ebenfalls ausgedehnt (UNSC 6.10.2021), und in diesem Bezirk kommt es fallweise auch zu Kampfhandlungen (ACLED 14.4.2022).

Die Bezirke Ceel Dheere und Ceel Buur befinden sich samt Bezirkshauptstädten unter Kontrolle von al Shabaab, dies gilt auch für die Bezirkshauptstadt Xaradheere sowie für Teile dieses Bezirks und Teile des Bezirks Dhusamareb (PGN 12.2021; vergleiche HIPS 8.2.2022, Sitzung 26). In Mudug verfügt al Shabaab also weiterhin über eine signifikante Präsenz, führt dort auch Operationen durch (UNSC 10.8.2021, Absatz 14,) und verfolgt eine aggressive Expansion (Bryden 8.11.2021). Die Gruppe ist bis an die wichtige Hauptverbindungsroute Belet Weyne - Galkacyo herangerückt. Al Shabaab kommt mit Angriffen bis an die Straße heran (PGN 12.2021). Die Gruppe dringt zeitweise auch ins Umland von Dhusamareb vor (HIPS 8.2.2022, Sitzung 26) und hat im Juni 2021 auch schon einen AMISOM-Stützpunkt in der Nähe des Flughafens angegriffen. Im Juli wurden Regierungskräfte auf der Straße zwischen Guri Ceel und Dhusamareb angegriffen. Zusätzlich überfiel al Shabaab einen militärischen Stützpunkt in Godinlabe - eine Gegend, die bis zum Zeitpunkt der Auflösung von ASWJ immer frei von al Shabaab geblieben war. Schlussendlich gelang es al Shabaab 2021 zudem, die Stadt Matabaan kurzzeitig einzunehmen, nachdem Polizisten von Galmudug ihre Posten geräumt hatten. Zuvor war al Shabaab seit vielen Jahren keine Bedrohung mehr für die Stadt gewesen (PGN 12.2021).

2021 kam es vermehrt zu Aktivitäten im Bereich Ba’ad Weyne, Bezirk Hobyo (PGN 2.2021, Sitzung 11ff). Dieser Ort sowie Wisil waren von al Shabaab eingenommen worden. Bei Wisil kam es zu schweren Kämpfen mit dutzenden Toten. Al Shabaab hat die Bewohner aufgefordert, Schutzgeld zu bezahlen oder das Gebiet zu räumen. Außerdem forderte die Gruppe die Übergabe junger Männer und Frauen für den Kampf. Hunderte Familien sind daraufhin geflüchtet (Sahan 1.7.2021b). Die Bundesarmee und Kräfte von Galmudug haben im Juli 2021 anfänglich das Gebiet von Ba’ad Weyne zurückerobert und sind in Richtung Bezirk Xaradheere vorgestoßen. Al Shabaab setzte zu einer Gegenoffensive an, und es kam in der Folge zu mehreren Kämpfen zwischen beiden Seiten sowie zu US-Luftschlägen (UNSC 10.8.2021, Absatz 14 ;, vergleiche PGN 12.2021). Jedenfalls haben die Regierungskräfte das zuvor gewonnene Gelände wieder verloren (PGN 12.2021).

Bisweilen wehren sich lokale Clans gegen al Shabaab. So wurden bei einem Angriff der Gruppe auf den Ort Baxdo (ca. 100km nordöstlich von Dhusamareb) am 22.6.2022 67 al-Shabaab-Kämpfer getötet (Sahan 30.6.2022). Beteiligt an dieser erfolgreichen Abwehr waren Sicherheitskräfte und Clanmilizen der Habr Gedir (ACLED 23.6.2022). Andererseits führt al Shabaab gegen Dörfer, die mit ASWJ affiliiert sind bzw. gegen deren Älteste Strafaktionen durch (UNSC 6.10.2021).

Galkacyo: Puntland und Galmudug haben im Juni 2020 eine Einigung erzielt, um vergangene Streitpunkte beizulegen (PGN 10.2020, Sitzung 6). Die Sicherheitslage in Galkacyo hat sich seit Anfang 2021 stabilisiert. Generell hat sich die Kooperation zwischen den Verwaltungen und Sicherheitskräften von Galmudug und Puntland wesentlich verbessert, dadurch konnten auch Mitglieder der al Shabaab in Galkacyo aufgespürt und verhaftet werden. Ob al Shabaab in Galkacyo Steuern eintreibt, ist unklar; es kommt sehr selten zu Attentaten. Die Gruppe hat dort an Kraft eingebüßt und konnte weder im Nord- noch im Südteil der Stadt die Unterstützung der Bevölkerung mobilisieren (BMLV 7.7.2022).

Im Juni 2022 wurde eine Polizeistation in der Stadt von einer Clanmiliz eingenommen. In der jüngeren Vergangenheit wurden in Galkacyo und Burtinle immer wieder Checkpoints von Milizen übernommen. Diese protestieren gegen die Regierung von Präsident Deni (Sahan 27.6.2022).

Vorfälle: In den beiden Regionen Galgaduud und Mudug lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,29 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014, Sitzung 31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2020 insgesamt 36 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "violence against civilians"). Bei 25 dieser 36 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2021 waren es 43 derartige Vorfälle (davon 28 mit je einem Toten). In der Folge eine Übersicht für die Jahre 2013-2021 zur Gesamtzahl an Vorfällen mit Todesopfern sowie zur Subkategorie "violence against civilians", in welcher auch "normale" Morde inkludiert sind. Die Zahlen werden in zwei Subkategorien aufgeschlüsselt: Ein Todesopfer; mehrere Todesopfer. Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt.

Quellen:

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             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (14.4.2022): ACLED Regional Overview – Africa (2-8 April 2022), https://reliefweb.int/attachments/7880e955-4b9c-3348-a9ac-2939500cd371/acleddata.com-Regional%20Overview%20Africa%202-8%20April%202022.pdf, Zugriff 29.6.2022

             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2022): Curated Data - Africa (14 January 2022), https://acleddata.com/curated-data-files/, Zugriff 19.1.2022

             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.2.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw06-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 6.5.2022

             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (7.7.2022): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten

             Bryden, Matt / The Elephant (8.11.2021): Fake Fight: The Quiet Jihadist Takeover of Somalia, https://www.theelephant.info/long-reads/2021/11/08/fake-fight-the-quiet-jihadist-takeover-of-somalia/#.YYjpCzdaMR4.twitter, Zugriff 25.5.2022

             GN - Goobjoog News (25.5.2022): Gamudug military court issues arrest warrant for 18 members of Alhu Sunna Wal’jamaa, https://goobjoog.com/english/gamudug-military-court-issues-arrest-warrant-for-18-members-of-alhu-sunna-waljamaa/, Zugriff 29.6.2022

             GO - Garowe Online (2.10.2021): Somalia’s PM calls for an immediate end to Galmudug conflict, https://www.garoweonline.com/en/news/somalia/somalia-s-pm-calls-for-an-immediate-end-to-galmudug-conflict, Zugriff 11.7.2022

             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (8.2.2022): State of Somalia Report 2021, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2021-English-version.pdf, Zugriff 21.2.2022

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             Sahan - Sahan / Keydmedia (8.10.2021c): The Somali Wire Issue No. 245, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.keydmedia.net/news/xiisad-dagaal-oo-ka-jirta-gobolka-galgaduud

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4.           Rechtsschutz, Justizwesen

a.           Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 26.07.2022

Von einer flächendeckenden effektiven Staatsgewalt kann nicht gesprochen werden (AA 28.6.2022, Sitzung 5). Der fehlende Zugang zu einem fairen und gerechten Justizsystem ist eines der dringendsten Probleme, mit denen Somalia auf dem Weg zu Stabilität und Wiederaufbau konfrontiert ist (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 61).

Die Rechtsordnung in Somalia richtet sich nach einer Mischung des von 1962 stammenden nationalen Strafgesetzbuches sowie traditionellem („Xeer“) und islamischem Gewohnheitsrecht (Scharia) (AA 17.5.2022; vergleiche BS 2022, Sitzung 16; USDOS 2.6.2022, Sitzung 3). Nach dem Kollaps des Staates im Jahr 1991 kollabierte in weiten Teilen des Landes auch das formelle Recht. Gleichzeitig stieg die Bedeutung von Scharia und Xeer. Die Scharia bildet die Grundlage jeder Rechtssprechung, und der Staat muss sich religiösen Normen beugen (BS 2022, Sitzung 9). Aufgrund des Versagens und der Ineffektivität der formellen staatlichen Justiz sind traditionelles Recht, islamische Rechtsprechung und Gerichte von al Shabaab häufige Quellen für Streitbeilegungen (HIPS 3.2021, Sitzung 13; vergleiche LI 16.6.2021, Sitzung 2; SPC 9.2.2022).

Die Grundsätze der Gewaltenteilung sind in der Verfassung von 2012 niedergeschrieben. Allerdings ist die Verfassungsrealität eine andere (AA 28.6.2022, Sitzung 8; vergleiche USDOS 12.4.2022, Sitzung 11f), und es gibt keine strenge Trennung der Gewalten, weder auf Bundes- noch auf Bundesstaatsebene. Ebenso gibt es keine landesweite Rechtsstaatlichkeit (BS 2022, Sitzung 16). Diese wird von al Shabaab etwa durch die Einhebung von Steuern und die Durchsetzung von Urteilen eigener Gerichte untergraben. Der mangelnde (Rechts-)Schutz durch die Regierung führt dazu, dass sich Staatsbürger der Schutzgelderpressung durch al Shabaab beugen (HI 10.2020, Sitzung 9f). Staatlicher Schutz ist auch im Falle von Clankonflikten von geringer Relevanz, die „Regelung“ wird grundsätzlich den Clans selbst überlassen. Aufgrund der anhaltend schlechten Sicherheitslage sowie mangels Kompetenz der staatlichen Sicherheitskräfte und Justiz muss der staatliche Schutz in Zentral- und Südsomalia als schwach bis nicht gegeben gesehen werden. Staatliche Sicherheitskräfte können und wollen oftmals nicht in Clankonflikte eingreifen. Befinden sich Angehörige eines bestimmten Clans oder von Minderheiten in Gefahr oder sind diese bedroht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Zugang zu effektivem staatlichem Schutz gewährleistet ist (ÖB 3.2020, Sitzung 10).

Formelle Justiz - Kapazität: De facto gibt es kein funktionierendes formelles Justizsystem (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 61). Nach anderen Angaben verfügt die somalische Justiz über sehr begrenzte Kapazitäten (LI 16.6.2021, Sitzung 2). In den vergangenen zehn Jahren wurden in Mogadischu Gerichte auf Bezirksebene und einige Gerichte in anderen Städten eingerichtet (BS 2022, Sitzung 16). Generell sind Gerichte aber nur in größeren Städten verfügbar (BS 2022, Sitzung 9). Der Verfassungsgerichtshof ist immer noch nicht eingerichtet worden (HIPS 3.2021, Sitzung 10). An allen Gerichten mangelt es dem Personal an Ausbildung (BS 2022, Sitzung 17; vergleiche LIFOS 1.7.2019, Sitzung 4). Oft werden Richter und Staatsanwälte nicht aufgrund ihrer Qualifikation ernannt (SIDRA 11.2019, Sitzung 5). Aufbau, Funktionsweise und Effizienz des Justizsystems entsprechen nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes (AA 28.6.2022, Sitzung 4). Es gibt zwar einen Instanzenzug, aber in der Praxis werden Zeugen eingeschüchtert und Beweismaterial nicht ausreichend herbeigebracht und gewürdigt (AA 28.6.2022, Sitzung 15). Das Justizsystem ist zersplittert und unterbesetzt (FH 2022a, F1), v. a. außerhalb urbaner Zentren nicht vorhanden. Einige lokale Gerichte sind bei ihrer Rechtsdurchsetzung vom örtlich dominanten Clan abhängig (USDOS 12.4.2022, Sitzung 11). Durchgesetzt wird formelles Recht eher noch im urbanen als im ländlichen Kontext (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 36).

Formelle Justiz - Qualität und Unabhängigkeit: Eine landesweite Implementierung und einheitliche Anwendung der von der somalischen Bundesregierung vorgegebenen Bestimmungen ist nicht gesichert (AA 17.5.2022). In den tatsächlich von der Regierung kontrollierten Gebieten sind die Richter einer vielfältigen politischen Einflussnahme durch staatliche Amtsträger ausgesetzt (AA 28.6.2022, Sitzung 8), und nicht immer respektiert die Regierung Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz (USDOS 12.4.2022, Sitzung 11). Außerdem werden Urteile durch Clan- oder politischen Überlegungen seitens der Richter beeinflusst (BS 2022, Sitzung 17; vergleiche USDOS 12.4.2022, Sitzung 11; FH 2022a, F2). Die meisten der in der Verfassung vorgesehenen Rechte für ein faires Verfahren werden bei Gericht nicht angewendet (USDOS 12.4.2022, Sitzung 12f). Nationales oder internationales Recht werden bei Fest- oder Ingewahrsamnahme sowie beim Vorgerichtstellen von Tatverdächtigen nur selten eingehalten (AA 28.6.2022, Sitzung 10/15; vergleiche USDOS 12.4.2022, Sitzung 12f). Verfahren dauern sehr lang (FIS 7.8.2020, Sitzung 21).

Die somalische Justiz ist zudem von Korruption geprägt (LI 16.6.2021, Sitzung 2; vergleiche BS 2022, Sitzung 17; FH 2022a, F1). Diese behindert den Zugang zu fairen Verfahren (USDOS 12.4.2022, Sitzung 12; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Richter und Staatsanwälte verlangen mitunter Bestechungsgelder (SIDRA 11.2019, Sitzung 5). In einigen Fällen wurden Häftlinge entlassen, nachdem sich Sicherheitskräfte, Angehörige der Justizwache, Politiker oder Clanälteste für sie eingesetzt hatten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 9; vergleiche SIDRA 11.2019, Sitzung 5). Zusätzlich halten sich Behörden oft selbst nicht an gerichtliche Anordnungen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 11; vergleiche FH 2022a, F1). In anderen Worten ist [Zitat] 'die somalische Justiz ein Marktplatz, an welchem Gefallen, Einfluss und Geld ausgetauscht werden' (Sahan 9.4.2021). Folglich ist das Vertrauen der Menschen in die formelle Justiz gering. Sie wird als teuer, ineffizient und manipulierbar wahrgenommen (BS 2022, Sitzung 16). Insgesamt stehen Zivilisten also ernsten Mängeln beim Rechtsschutz gegenüber (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Bürger wenden sich aufgrund der Mängel im formellen Justizsystem oft an die traditionelle oder die islamische Rechtsprechung (FH 2022a, F1).

Formelle Justiz - Militärgerichte: Grundsätzlich sind Militärgerichte für Fälle von islamistischem Terrorismus und Milizgewalt zuständig (BS 2022, Sitzung 16). Allerdings verhandeln und urteilen sie weiterhin über Fälle jeglicher Art. Darunter fallen auch zivilrechtliche Fälle, die eigentlich nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen (AA 28.6.2022, Sitzung 9; vergleiche BS 2022, Sitzung 16; FH 2022a, F2), bzw. wo unklar ist, ob diese in ihren Zuständigkeitsbereich fallen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 3). Verfahren vor Militärgerichten entsprechen teilweise nicht den international anerkannten Standards für faire Gerichtsverfahren (AA 28.6.2022, Sitzung 9; vergleiche USDOS 12.4.2022, Sitzung 3; HRW 13.1.2022; FH 2022a, F2). Angeklagten wird nur selten das Recht auf eine Rechtsvertretung oder auf Berufung zugestanden (USDOS 12.4.2022, Sitzung 13).

Traditionelles Recht (Xeer): Das informelle Justizsystem (Scharia und Xeer) spielt eine entscheidende Rolle bei der Gewährleistung von Gerechtigkeit. 90 % der Somali bevorzugen das informelle System, denn dieses ist leichter zugänglich und schneller. Auch für den sozialen Frieden bzw. den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist Xeer von Bedeutung (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 61; vergleiche SPC 9.2.2022). Es wird angenommen, dass Xeer schon vor islamischen oder kolonialen Ordnungen existiert hat. In der provisorischen Verfassung wird Xeer als traditioneller Konfliktlösungsmechanismus anerkannt. Im Jahr 2017 hat die Bundesregierung eine Policy zu traditioneller Konfliktlösung verabschiedet. Damit sollte die Anwendung von Xeer reguliert und auf "nicht-schwere" Verbrechen begrenzt werden. Tatsächlich ist die Anwendung des Xeer auf Strafverbrechen nicht standardisiert (USDOS 2.6.2022, Sitzung 3).

Im Xeer werden Vorbringen von Fall zu Fall verhandelt und von Ältesten implementiert (BS 2022, Sitzung 16). Clanälteste sehen sich örtliche Präzedenzfälle an, bevor sie die relevanten Passagen der Scharia heranziehen (USDOS 2.6.2022, Sitzung 3). Jedenfalls dient diese Art der Justiz im ganzen Land bei der Vermittlung in Konflikten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 12). Xeer ist insbesondere in jenen ländlichen Gebieten wichtig, wo Verwaltung und Justiz nur schwach oder gar nicht vorhanden sind. Aber auch in den Städten wird Xeer oft zur Konfliktlösung – z. B. bei Streitfragen unter Politikern und Händlern – angewendet (SEM 31.5.2017, Sitzung 34). Zur Anwendung kommt Xeer auch bei anderen Konflikten und bei Kriminalität (BFA 8.2017, Sitzung 100). Es kommt auch dort zu tragen, wo Polizei und Justizbehörden existieren. In manchen Fällen greift die traditionelle Justiz auf Polizei und Gerichtsbedienstete zurück (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 7), in anderen Fällen behindert der Einsatz des Xeer Polizei und Justiz. Jedenfalls wiegt eine Entscheidung im Xeer schwerer als ein Urteil vor einem formellen Gericht. Im Zweifel zählt die Entscheidung im Xeer (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 4). Frauen werden im Xeer insofern benachteiligt, als sie in diesem System nicht selbst aktiv werden können und auf ein männliches Netzwerk angewiesen sind (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14).

Clanschutz im Xeer: Maßgeblicher Akteur im Xeer ist der Jilib – die sogenannte Diya/Mag/Blutgeld-zahlende Gruppe. Das System ist im gesamten Kulturraum der Somali präsent und bietet – je nach Region, Clan und Status – ein gewisses Maß an (Rechts-)Schutz. Die sozialen und politischen Beziehungen zwischen Jilibs sind durch (mündliche) Xeer-Verträge geregelt. Mag/Diya muss bei Verstößen gegen diesen Vertrag bezahlt werden. Für Straftaten, die ein Gruppenmitglied an einem Mitglied eines anderen Jilib begangen hat – z. B. wenn jemand verletzt oder getötet wurde – sind Kompensationszahlungen (Mag/Diya) vorgesehen (SEM 31.5.2017, Sitzung 8ff). Wenn einer Person etwas passiert, dann wendet sie sich nicht an die Polizei, sondern zuallererst an die eigene Familie und den Clan (FIS 7.8.2020, Sitzung 20). Dies gilt auch bei anderen (Sach-)Schadensfällen. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind – insbesondere bei Kompensationszahlungen. Letztere werden von der ganzen Gruppe des Täters bzw. Verursachers gemeinsam bezahlt (SEM 31.5.2017, Sitzung 8ff).

Der Ausdruck „Clanschutz“ bedeutet in diesem Zusammenhang also traditionell die Möglichkeit einer Einzelperson, vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Sein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Mag/Diya zu zahlen – oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, Sitzung 31). Aufgrund von Allianzen werden auch Minderheiten in das System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, Sitzung 33). Allerdings haben schwächere Clans und Minderheiten oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14). Der Clanschutz funktioniert generell – aber nicht immer – besser als der Schutz durch den Staat oder die Polizei. Darum aktivieren Somalis im Konfliktfall (Verbrechen, Streitigkeit etc.) tendenziell eher Clanmechanismen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt (SEM 31.5.2017, Sitzung 36). Dementsprechend wird etwa ein Tod in erster Linie durch die Zahlung von Blutgeld und nicht durch einen Rachemord ausgeglichen (GIGA 3.7.2018).

Aufgrund der Schwäche bzw. Abwesenheit staatlicher Strukturen in einem großen Teil des von Somalis besiedelten Raums spielen die Clans also auch heute eine wichtige politische, rechtliche und soziale Rolle (SEM 31.5.2017, Sitzung 8; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 10), denn die Konfliktlösungsmechanismen der Clans für Kriminalität und Familienstreitigkeiten sind intakt. Selbst im Falle einer Bedrohung durch al Shabaab kann der Clan einbezogen werden. Bei Kriminalität, die nicht von al Shabaab ausgeht, können Probleme direkt zwischen den Clans gelöst werden (SEM 31.5.2017, Sitzung 35). Die patrilineare Abstammungsgemeinschaft - der Clan - schaltet sich also in Konfliktfällen ein, etwa bei Landkonflikten, Unfällen mit Personenschaden, bei Tötungsdelikten und Vergewaltigungen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 31).

Die Clanzugehörigkeit kann also manche Täter vor einer Tat zurückschrecken lassen, doch hat auch der Clanschutz seine Grenzen. Angehörige nicht-dominanter Clans und Gruppen sind etwa vulnerabler (LI 15.5.2018, Sitzung 3). Das traditionelle Justizsystem hat für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt, Kinder, Minderheitenclans, Behinderte und IDPs oft negative Auswirkungen (SPC 9.2.2022). Außerdem kann z. B. eine Einzelperson ohne Anschluss in Mogadischu nicht von diesem System profitieren (SEM 31.5.2017, Sitzung 35). Problematisch ist zudem, dass im Xeer oft ganze (Sub-)Clans für die Taten Einzelner zur Verantwortung gezogen werden (USDOS 12.4.2022, Sitzung 12). Trotzdem sind die Mechanismen des Xeer wichtig, da sie nahe an den Menschen wirken und jahrhundertealte, den Menschen bekannte Verfahren und Normen nutzen. Der Entscheidungsprozess ist transparent und inklusiv (UNHRC 6.9.2017, Absatz 60,). Zusammenfassend ist Xeer ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Die traditionell vorgesehenen Kompensationszahlungen decken zahlreiche zivil- und strafrechtliche Bereiche ab und kommen z. B. bei fahrlässiger Tötung, bei Autounfällen mit Personen- oder Sachschaden oder sogar bei Diebstahl zu tragen. Nach der Art des Vorfalles richtet sich auch der zu entrichtende Betrag (SEM 31.5.2017, Sitzung 32).

In einer Dokumentation der Deutschen Welle berichten Clan-Älteste, dass sie bzw. Sultans im ganzen Clan Geld sammeln. Bei einem Mordfall müssen z. B. 50.000 US-Dollar gesammelt werden. Die Ältesten telefonieren dann mit Clan-Mitgliedern und diese geben jeweils 5-200 US-Dollar. Die Zahlung ist dabei nicht optional, sondern verpflichtend. Bei einer Verweigerung erfolgt eine Bestrafung. Selbst zum Tode verurteilte Mörder können so gerettet werden. Diese bleiben lediglich so lange in Haft, bis der Clan des Opfers das Geld erhält (DW 3.2021). Diese Art des "Fundraising" nennt sich Qaraan (Majid 2017, Sitzung 18).

Scharia: Grundsätzlich dient die Scharia bei Entscheidungen in Familienangelegenheiten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 37). Die Gesetzlosigkeit in Süd-/Zentralsomalia hat jedoch dazu geführt, dass die Scharia nicht mehr nur in Zivil-, sondern auch in Strafsachen zum Einsatz kommt, da die Bezahlung von Blutgeld manchmal nicht mehr als ausreichend angesehen wird (SEM 31.5.2017, Sitzung 34). Problematisch ist, dass die Scharia von Gerichten an unterschiedlichen Orten auch unterschiedlich interpretiert wird, bzw. dass es mehrere Versionen der Scharia gibt. Schariagerichte werden auch für andere Rechtsdienste herangezogen – sie werden als effizienter, weniger korrupt, schneller und fairer angesehen (BS 2022, Sitzung 16f). Frauen können im Rahmen der Scharia effektiver Recht bekommen als im sehr patriarchalen und oft auch intransparenten traditionellen Recht (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 32).

Recht bei al Shabaab: In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten wird das Prinzip der Gewaltenteilung gemäß der theokratischen Ideologie der Gruppe nicht anerkannt (AA 28.6.2022, Sitzung 8). Dort ersetzt islamisches Recht auch Xeer (SEM 31.5.2017, Sitzung 33; ÖB 3.2020, Sitzung 4); nach anderen Angaben kommt Xeer fallweise zum Einsatz (USDOS 2.6.2022, Sitzung 3). Jedenfalls gibt es dort kein formelles Justizsystem (USDOS 12.4.2022, Sitzung 13). Der Clanschutz ist in Gebieten unter Kontrolle oder Einfluss von al Shabaab eingeschränkt, aber nicht inexistent. Abhängig von den Umständen können die Clans auch in diesen Regionen Schutz bieten. Es kann den Schutz einer Einzelperson erhöhen, Mitglied eines Mehrheitsclans zu sein (SEM 31.5.2017, Sitzung 33f), es gibt ein gewisses Maß an Verhandlungsspielraum (LI 21.5.2019a, Sitzung 3).

Al Shabaab unterhält in den von ihr kontrollierten Gebieten ständige, von Geistlichen geführte Gerichte, welche ein breites Spektrum an straf- und zivilrechtlichen Fällen abhandeln. Zusätzlich gibt es auch mobile Gerichte (ICG 27.6.2019, Sitzung 4). Diese Form der Justiz ist effektiv, aber drakonisch (BS 2022, Sitzung 10). Al Shabaab wendet eine zum Teil extreme Sichtweise und Auslegung der Scharia an (AA 17.5.2022). In von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden regelmäßig extreme Körperstrafen verhängt und öffentlich vollstreckt, darunter Auspeitschen oder Stockschläge, Handamputationen für Diebstahl oder Hinrichtungen für Ehebruch (AA 28.6.2022, Sitzung 16). Al Shabaab inhaftiert Personen für "Vergehen" wie Rauchen, Musikhören (USDOS 12.4.2022, Sitzung 7; vergleiche CFR 19.5.2021), den Verkauf von Khat, das Rasieren des Bartes (CFR 19.5.2021), unerlaubte Inhalte auf dem Mobiltelefon; Fußballschauen oder -spielen und das Tragen eines BHs oder das Nicht-Tragen eines Hidschabs (USDOS 12.4.2022, Sitzung 7). Die harsche Interpretation der Scharia wird in erster Linie in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten umgesetzt, dort, wo die Gruppe auch über eine permanente Präsenz verfügt. In anderen Gebieten liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Einhebung von Steuern (LI 20.12.2017, Sitzung 3).

Die Gerichte der al Shabaab werden als gut funktionierend, effektiv, weniger korrupt, schnell und im Vergleich fairer beschrieben (BS 2022, Sitzung 17; vergleiche AA 28.6.2022, Sitzung 8) – zumindest im Vergleich zur staatlichen Rechtsprechung (FIS 7.8.2020, Sitzung 16). Al Shabaab urteilt oder vermittelt u. a. in Streitigkeiten zwischen Wirtschaftstreibenden (HI 10.2020, Sitzung 7). Obwohl al Shabaab Prozesskosten bzw. Gerichtsgebühren einhebt (HIPS 4.2021, Sitzung 22), bevorzugen viele Menschen ihre Gerichte – selbst Personen aus von der Regierung kontrollierten Gebieten (AA 28.6.2022, Sitzung 8; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 16). So begeben sich z. B. Streitparteien aus Mogadischu extra nach Lower Shabelle, um dort bei al Shabaab Klage einzureichen (FIS 7.8.2020, Sitzung 16; vergleiche LIFOS 1.7.2019, Sitzung 4). Denn der Rechtsprechung durch al Shabaab wird mehr Vertrauen entgegengebracht als jener der staatlichen Justiz (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14). Zudem bieten die Schariagerichte von al Shabaab manchmal die einzige Möglichkeit, überhaupt Gerechtigkeit zu erfahren (SRF 27.12.2021). So kann die Justiz von al Shabaab z. B. für benachteiligte Gruppen mit keinem oder nur eingeschränktem Zugang zu anderen Rechtssystemen anziehend wirken. So sind diese Gerichte für manche Frauen etwa die einzige Möglichkeit, um finanzielle Ansprüche an vormalige Ehemänner oder männliche Verwandte geltend zu machen (UNSC 1.11.2019, Sitzung 14). Gerichte von al Shabaab hören alle Seiten, fällen Urteile und sorgen dafür, dass Urteile auch umgesetzt bzw. eingehalten werden – wo nötig mit Gewalt (FIS 7.8.2020, Sitzung 16). Al Shabaab setzt eigene Gerichtsbeschlüsse auch durch (AA 28.6.2022, Sitzung 8; vergleiche HI 10.2020, Sitzung 10), mit Gewalt und Drohungen und auch in von der Regierung kontrollierten Gebieten (AA 28.6.2022, Sitzung 8).

Es gilt das Angebot einer Amnestie für Kämpfer der al Shabaab, welche ihre Waffen ablegen, der Gewalt abschwören und sich zur staatlichen Ordnung bekennen. Für diese Amnestiemöglichkeit gibt es aber keine rechtliche Grundlage (AA 28.6.2022, Sitzung 16). Allerdings wird üblicherweise ehemaligen Kämpfern im Austausch für Informationen über al Shabaab eine Amnestie gewährt (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 24).

Zu den weder von der Regierung noch von al Shabaab kontrollierten Gebieten gibt es kaum Informationen. Es ist aber davon auszugehen, dass Rechtsetzung, -Sprechung und -Durchsetzung zumeist in den Händen von v.a. Clanältesten liegen. Von einer Gewaltenteilung ist dort nicht auszugehen (AA 28.6.2022, Sitzung 8). Urteile werden hier häufig gemäß Xeer von Ältesten gesprochen. Diese Verfahren betreffen in der Regel nur Rechtsstreitigkeiten innerhalb des Clans. Sind mehrere Clans betroffen, kommt es häufig zu außergerichtlichen Vereinbarungen (Friedensrichter), auch und gerade in Strafsachen. Repressionen gegenüber Familie und Nahestehenden (Sippenhaft) spielen dabei eine wichtige Rolle (AA 28.6.2022, Sitzung 16).

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             USDOS - US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/04/SOMALIA-2021-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 8.6.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_SOMALIA-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 21.4.2022

5.           Sicherheitsbehörden

a.           Süd-/Zentralsomalia, Puntland

i.           Ausländische Kräfte

Letzte Änderung: 26.07.2022

Im April 2022 hat die African Union Transition Mission in Somalia (ATMIS) von der African Union Mission in Somalia (AMISOM) übernommen, nachdem dies vom UN Security Council (RVI 9.6.2022; vergleiche UNSC 13.5.2022, Absatz 62,) und zuvor vom Sicherheitsrat der Afrikanischen Union so beschlossen wurde (UNSC 13.5.2022, Absatz 62,). AMISOM war zuvor seit 2007 in Somalia aktiv (ISS 29.3.2022). Das Mandat von ATMIS umfasst die Umsetzung des Somali Transition Plans und die Übertragung der Verantwortung für die Sicherheit an somalische Kräfte und Institutionen mit Ende 2024 (RVI 9.6.2022). Das vorläufige Mandat von ATMIS erstreckt sich auf ein Jahr (UNSC 13.5.2022, Absatz 62,) und ist mehr oder weniger mit jenem von AMISOM ident (RVI 9.6.2022; vergleiche ACLED 14.4.2022). Das militärische Mandat umfasst: die Ausführung gezielter Operationen in Tandem mit somalischen Sicherheitskräften, um al Shabaab und andere terroristische Gruppen zu bekämpfen; in Tandem mit somalischen Sicherheitskräften Städte zu halten und die dort ansässige Bevölkerung zu schützen und die Sicherheit zu gewährleisten; Hauptversorgungsrouten zu sichern und einzunehmen; die Kapazitäten somalischer Sicherheitskräfte zu entwickeln, damit diese Ende 2024 die Verantwortung übernehmen können (ATMIS 2022a).

Auch hinsichtlich der Truppenstärke ist ATMIS mit AMISOM vergleichbar, die Aufstellung soll aber ein mobileres und agileres Vorgehen gegen al Shabaab gewährleisten (RVI 9.6.2022; vergleiche ISS 29.3.2022). ATMIS bzw. AMISOM gelten als mächtigster Gegner der al Shabaab (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 6). Die Truppe trägt einerseits seit Jahren die Führung im Kampf gegen al Shabaab und andererseits schützt sie die Bundesregierung (BBC 18.1.2021), die in großem Maße von den Kräften der AMISOM abhängig ist (BS 2022, Sitzung 4; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 8; BBC 18.1.2021).

AMISOM hat eine militärische, eine polizeiliche und eine zivile Komponente. Truppenstellerstaaten für die militärische Komponente sind gegenwärtig Uganda, Burundi, Dschibuti, Kenia und Äthiopien mit einem Mandat für 18.586 Mann (ATMIS 2022a; vergleiche ATMIS 2022b). Die Stärke beträgt seit Feber 2020: Äthiopien: 3.902; Burundi: 3.715; Dschibuti: 1.691; Kenia: 3.654; Uganda: 5.513; Hauptquartier: 111. Seit Ende 2020 verfügt AMISOM über eine zusätzliche Luftkomponente von vier Hubschraubern, die von Uganda gestellt werden. Diese dienen v.a. für Verbindung, Versorgung und medizinische Notfälle. Insgesamt verfügt ATMIS über sieben militärische Luftfahrzeuge, zwölf wären autorisiert (BMLV 19.7.2022). Bis Ende 2022 ist ein Abzug von 2.000 Mann projektiert (ATMIS 2022a; vergleiche BMLV 19.7.2022).

AMISOM wird maßgeblich von der EU finanziert (ÖB 3.2020, Sitzung 7). Seit 2007 hat die EU fast 2,3 Mrd. Euro für AMISOM bzw. ATMIS ausgegeben und wird die Truppe - und maßgeblich den Sold - auch weiterhin maßgeblich finanzieren (TET 7.7.2022) während die UN für logistische Unterstützung sorgt (ISS 29.3.2022; vergleiche UNSC 8.2.2022, Absatz 73 f, f,). Die Ausbildung für ATMIS erfolgt laufend auch im Rahmen der Einsatzvorbereitung in den Herkunftsländern und in Somalia, maßgeblich durch Großbritannien, die USA, Frankreich und die EU. In manchen Gebieten kooperiert ATMIS eng mit lokalen Milizen oder anderen Kräften (BMLV 19.7.2022).

Im Land befindet sich auch eine auf 1.040 Polizisten mandatierte ATMIS-Polizeikomponente unterschiedlicher afrikanischer Teilnehmerstaaten (Uganda, Nigeria, Ghana, Sierra Leone, Kenia und Sambia). Die Hauptaufgabe von ATMIS ist hier u. a. die Unterstützung der somalischen Polizei bei der Polizeiarbeit und die Ausbildung somalischer Polizisten (ATMIS 2022c).

Neben den fünf Armeen der AMISOM-Truppenstellerstaaten sind in Somalia noch Militärberater aus zahlreichen anderen Staaten aktiv (BBC 18.1.2021). Zur Zahl der bilateral auf somalischem Territorium operierenden äthiopischen Truppen gibt es unterschiedlichste Angaben. Denn Äthiopien hat auch diese Truppenteile mit dem grünen Barett von AMISOM ausgestattet. Eine Quelle berichtet von vermutlich drei (teils verstärkten) Bataillonen und insgesamt geschätzten 2.500 Mann in Gedo, Hiiraan und Galmudug. Bereits abgezogene äthiopische Truppen wurden zumindest an der Grenze durch rund 1.500 Mann Liyu Police aus dem äthiopischen Somali Regional State ersetzt (BMLV 19.7.2022).

Die USA haben die Eliteeinheit Danaab ausgebildet (BBC 1.6.2022). Allerdings wurden die US-Truppen abgezogen, dieser Abzug war mit Mitte Jänner 2021 offiziell abgeschlossen (PGN 2.2021, Sitzung 12f). 2022 wurde die Entscheidung zum Abzug revidiert. Nun sollen wieder bis zu 500 Soldaten in Somalia stationiert werden (BBC 1.6.2022; vergleiche AQ10 5.2022), um somalische Truppen auszubilden, zu beraten und auszurüsten. Sie werden in Bali Doogle stationiert – samt Drohnen und Hubschraubern (AQ10 5.2022). Zusätzlich befinden sich im Land 50 Soldaten aus Großbritannien. Diese führen ein Trainingsprogramm für somalische Kräfte in Baidoa durch (BMLV 19.7.2022; vergleiche PGN 12.2021).

Quellen:

             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 17.5.2022

             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (14.4.2022): ACLED Regional Overview – Africa (2-8 April 2022), https://reliefweb.int/attachments/7880e955-4b9c-3348-a9ac-2939500cd371/acleddata.com-Regional%20Overview%20Africa%202-8%20April%202022.pdf, Zugriff 29.6.2022

             AQ10 - Anonyme Quelle 10 (5.2022): Bei der Quelle handelt es sich um einen analytischen Newsletter

             ATMIS - African Union Transition Mission in Somalia (2022a): Military Component, https://atmis-au.org/military-component/, Zugriff 15.7.2022

             ATMIS - African Union Transition Mission in Somalia (2022b): Homepage, https://atmis-au.org/, Zugriff 15.7.2022

             ATMIS - African Union Transition Mission in Somalia (2022c): Police Component, https://atmis-au.org/police-component/, Zugriff 15.7.2022

             BBC - BBC News (1.6.2022): US troops back in Somalia to fight al-Shabab, https://www.bbc.com/news/world-africa-61631439, Zugriff 24.6.2022

             BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc.com/news/world-africa-55677077, Zugriff 24.6.2022

             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (19.7.2022): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation, per e-Mail

             BS - Bertelsmann Stiftung (2022): BTI 2022 - Somalia Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_SOM.pdf, Zugriff 15.3.2022

             ISS - Institute for Security Studies / Dessu, Meressa K. (29.3.2022): römisch eins s the AU mission in Somalia changing in name only? https://issafrica.org/iss-today/is-the-au-mission-in-somalia-changing-in-name-only#:~:text=The%20African%20Union%20(AU)%2C,to%20the%20Somali%20Security%20Forces, Zugriff 15.7.2022

             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 11.5.2022

             PGN - Political Geography Now (12.2021): Somalia Control Map & Timeline - December 2021, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://controlmaps.polgeonow.com/2021/12/who-controls-somalia-crisis-timeline/, Zugriff 27.6.2022

             PGN - Political Geography Now (2.2021): Somalia Control Map & Timeline - February 2021, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://controlmaps.polgeonow.com/2021/02/somalia-control-map-2021/, Zugriff 11.7.2022

             RVI - Rift Valley Institute (9.6.2022): A Year in the Horn of Africa: Latest Developments in Ethiopia, Eritrea, Somalia, Somaliland and Djibouti, https://riftvalley.net/news/year-horn-africa-latest-developments-ethiopia-eritrea-somalia-somaliland-and-djibouti, Zugriff 15.7.2022

             TET - The European Times (7.7.2022): EU support to the African Union Mission in Somalia with €120 million, https://www.europeantimes.news/2022/07/eu-support-to-the-african-union-mission-in-somalia-with-e120-million/, Zugriff 15.7.2022

             UNSC - UN Security Council (13.5.2022): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2022/392], https://reliefweb.int/attachments/02e8f544-fa6f-47fe-80a1-6f7ee9d6c94e/N2233663.pdf, Zugriff 27.5.2022

             UNSC - UN Security Council (8.2.2022): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2022/101], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068141/S_2022_101_E.pdf, Zugriff 21.2.2022

ii.         Somalische Kräfte

Letzte Änderung: 26.07.2022

Der Sicherheitssektor ist sehr relevant, 80 % der öffentlichen Stellen befinden sich in diesem Bereich, zwei Drittel der Staatsausgaben (AA 28.6.2022, Sitzung 9). - Nach anderen Angaben fließen jedenfalls mehr als die Hälfte dorthin (HIPS 4.2021, Sitzung 20). Der Sicherheitssektor präsentiert sich nach wie vor als Mischung aus Truppen auf Clanbasis und neuen, durch externe Akteure wie die Türkei ausgebildeten Verbänden (BMLV 19.7.2022). Die Gesamtzahl der Sicherheitskräfte wird 2021 mit ca. 40.000 angegeben (HIPS 4.2021, Sitzung 28). Nach anderen Angaben sind die Sicherheitskräfte unter der Regierung von Präsident Farmaajo mithilfe externer Unterstützung stark expandiert. Demnach hat Somalia mit 53.000 Mann auf Bundesebene und ca. 23.000 auf Ebene der Bundesstaaten mehr staatliches Sicherheitspersonal als notwendig und finanzierbar ist. Trotzdem ist die Aufnahme und Ausbildung weiterer 22.500 Soldaten in Planung, während sich immer noch ca. 20.000 Soldaten von ATMIS im Land befinden (Sahan 29.6.2022).

Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen (BS 2022, Sitzung 6), obwohl in den vergangenen Jahren Milliarden an US-Dollar in die Ausbildung und Ausrüstung von tausenden Soldaten, Polizisten und Geheimdienstmitarbeitern investiert worden sind. Trotzdem sind die Sicherheitskräfte Somalias auch nach 15 Jahren immer noch schwach und werden für politische Zwecke eingesetzt (HIPS 4.2021, Sitzung 4/8). Die Kräfte des Bundes werden als in „alarmierender Weise disfunktional“ beschrieben (Bryden 8.11.2021). Experten sind sich einig, dass die somalischen Sicherheitskräfte noch zu schwach und schlecht organisiert sind, um selbständig - ohne internationale Unterstützung - die Sicherheit im Land garantieren zu können (SRF 27.12.2021; vergleiche BMLV 19.7.2022; IP 27.7.2021).

Sie sind stark fragmentiert (AA 28.6.2022, Sitzung 10; vergleiche HIPS 4.2021, Sitzung 4/8), für die militärische Organisation gibt es kein zentrales Kommando (HIPS 3.2021, Sitzung 16) und die Zusammenarbeit zwischen Armee und AMISOM hängt in großem Maße von der Sympathie zwischen einzelnen Führungskräften ab (Sahan 14.7.2021). Zudem sind die Sicherheitskräfte von al Shabaab unterwandert (BMLV 19.7.2022; vergleiche GO 25.3.2021; AQ10, 5.2022), und die Loyalität vieler Sicherheitskräfte liegt eher beim eigenen Clan bzw. der patrilinearen Abstammungsgruppe als beim Staat (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29). Die mangelnde Koordination von Aktivitäten und Operationen des Sicherheitsapparats trägt dazu bei, dass der Kampf gegen Al Shabaab wirkungslos bleibt (BMLV 19.7.2022; vergleiche HIPS 3.2021, Sitzung 16).

Zudem war ein Chaos innerhalb der somalischen Sicherheitsinstitutionen das gefährlichste Nebenprodukt des politischen Konflikts der jüngeren Vergangenheit (HIPS 8.2.2022, Sitzung 10). In der politischen Auseinandersetzung 2021 unterstützte z. B. die Spezialeinheit Dufaan Präsident Farmaajo (ICG 14.9.2021), dies gilt auch für die Einheiten Gorgor und Haramcad, die vom damaligen Geheimdienstkommandanten Fahad Yasin direkt unter Kontrolle der NISA (National Intelligence and Security Agency) gebracht wurden. Dufaan und Haramcad wurden nach Gedo verlegt, um die Macht Jubalands einzuschränken (Bryden 8.11.2021). Gleichzeitig wurde die NISA von Yasin stark politisiert (AA 28.6.2022, Sitzung 10). Der Nachrichtendienst galt im Machtkampf als wichtigstes Instrument der Bundesregierung. Er wurde von der damaligen Führung so umgebaut, dass de facto eine völlig parallel laufende Sicherheitsbehörde etabliert worden ist (Bryden 8.11.2021). Unter Farmaajo und Fahad Yasin wurde der Sicherheitssektor darauf getrimmt, dass nicht al Shabaab bekämpft, sondern politische Rivalen unterdrückt werden konnten. Loyale und unterqualifizierte Personen wurden auf relevante Stellen gehoben, die Führung der Sicherheitskräfte politisiert (Sahan 29.6.2022)

Zivile Kontrolle, Verantwortlichkeit, Ansehen: Es mangelt an effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte (USDOS 12.4.2022, Sitzung 1) bzw. entziehen sich Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte oftmals der zivilen Kontrolle. Dies gilt insbesondere für die NISA. Gleichzeitig bekennt sich die Regierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen (AA 28.6.2022, Sitzung 21/9). Die justizielle Verantwortlichkeit einzelner Mitglieder der Sicherheitsorgane ist zumeist schwach bis inexistent (AA 28.6.2022, Sitzung 9). Denn auch wenn die Regierung Schritte unternimmt, um öffentlich Bedienstete - v. a. Polizisten und Soldaten - zu bestrafen, bleibt Straflosigkeit die Norm (USDOS 12.4.2022, Sitzung 2). Obwohl es eigene Militärgerichte gibt, bleiben Vergehen durch Armeeangehörige häufig ungeahndet (AA 28.6.2022, Sitzung 15). Die Ausbildung im Menschenrechtsbereich wird zwar international unterstützt; es muss aber weiterhin davon ausgegangen werden, dass der Mehrzahl der regulären Kräfte die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen ihres Handelns nur äußerst begrenzt bekannt sind. Dies gilt insbesondere für regierungsnahe Milizen (AA 28.6.2022, Sitzung 9). Maßnahmen zur Verhinderung willkürlicher Verhaftungen werden weder von der Polizei noch von der NISA oder militärischen Institutionen beachtet. Zudem wird deren Arbeit von Korruption unterminiert (FH 2022a, F2). Da die Sicherheitskräfte gegenüber der Zivilbevölkerung oft auch als Gewalt- und nicht als Sicherheitsakteure auftreten (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29), genießen sie insgesamt keinen guten Ruf bei der Bevölkerung (AA 28.6.2022, Sitzung 10; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29).

Polizei: Die nationale Polizei untersteht dem Ministerium für innere Sicherheit (USDOS 12.4.2022, Sitzung 1). Die Strafverfolgungsbehörden sind schwach (SPC 9.2.2022). Die genaue Größe der somalischen Polizei ist unbekannt. Laut offiziellen Angaben stehen 11.000 Polizisten auf der Gehaltsliste des dafür zuständigen Ministeriums für innere Sicherheit. Die große Mehrheit dieser Polizisten versieht ihren Dienst in Mogadischu und Umgebung. Jeder Bundesstaat hat seine eigenen Polizeikräfte (HIPS 4.2021, Sitzung 7). Nach anderen Angaben umfasst die Polizei mittlerweile 37.000 Mann, wovon ungefähr die Hälfte der Bundespolizei zuzurechnen ist (Sahan 29.6.2022).

Weitere verfügbare Zahlen hierzu [inkl. Polizei einzelner Bundesstaaten]:

●             Benadir/Mogadischu: Stand September 2021 - ca. 11.000 Mann;

●             Galmudug: mindestens 700;

●             HirShabelle: ca. 600;

●             Jubaland: Stand vom August 2017 - 500-600; allerdings bildet Kenia jedes Halbjahr 100-200 neue Polizisten aus;

●             South West State: Zwischen 1.000 bis 1.100 (BMLV 19.7.2022).

Im Bereich der Polizeiausbildung bestehen Trainingsschulen von AMISOM und UNSOM, bilaterale Initiativen (v. a. zur Ausbildung von Polizeikräften in Mogadischu), Unterstützung durch UNDP und UNODC sowie IOM (ÖB 3.2020, Sitzung 8). AMISOM hat bereits mehr als 4.000 somalische Polizisten in unterschiedlichen Bereichen ausgebildet (AMISOM 2021b). ATMIS bildet z. B. weiterhin Polizisten für Jubaland und Kismayo in Dhobley und in Baidoa für den SWS aus und unterstützt diese auch beim Einsatz (BMLV 19.7.2022). Über das Joint Police Programme werden Kapazitäten für die Somali Police Force aufgebaut. Im Berichtszeitraum Feber bis Mai 2022 erwähnt der Bericht des UN-Sicherheitsrats die Ausbildung von 300 Polizisten für Jubaland und von 400 für Galmudug. Außerdem wurden zwölf neue Polizeistationen in Jubaland, HirShabelle, Benadir, Galmudug und Puntland ausgestattet (UNSC 13.5.2022, Absatz 69,).

Die Bezahlung erfolgt meist nur unregelmäßig, dies fördert die Korruption (AA 28.6.2022, Sitzung 9). Im Fall einer kriminalitätsbedingten Notlage fehlen weitgehend funktionierende staatliche Stellen, die Hilfe leisten könnten. Die Polizei verfügt zwar über einige Kapazitäten, hat aber auch Probleme, sich an den Menschenrechten zu orientieren. Dass die Bevölkerung die Polizei nicht unbedingt als eine Kraft erachtet, welche sie schützt, scheint sich in manchen größeren Städten langsam zu ändern. Dort wurden Polizeikräfte lokal – und die lokale Clandynamik berücksichtigend – rekrutiert. Das hat zu Verbesserungen geführt. Dies betrifft etwa Kismayo, Jowhar oder Belet Weyne (BMLV 19.7.2022).

Die Türkei hat die paramilitärische Polizei-Spezialeinheit Haramcad (Gepard) ausgebildet und mit modernen Waffen, Ausrüstung und gepanzerten Fahrzeugen ausgestattet (Bryden 8.11.2021; vergleiche Sahan 29.6.2022). Haramcad umfasst ca. 1.200 Mann (Sahan 29.6.2022). Diese Einheit wird allgemein als fähig erachtet, wurde allerdings von der Regierung Farmaajo u. a. eingesetzt, um interne Gegner auf Linie zu bringen (HIPS 2021, Sitzung 28).

Armee: Das Verteidigungsministerium ist für die Kontrolle der Armee verantwortlich (USDOS 12.4.2022, Sitzung 1). Es wurde versucht, diverse Milizen zu einer Armee unter Führung der Bundesregierung zu fusionieren (Reuters 19.2.2021). Der Großteil der Bundesarmee stellt aber auch weiterhin eine Ansammlung von Clanmilizen dar (Robinson 27.1.2022). Anders ausgedrückt ist die Linie zwischen der Bundesarmee und Clanmilizen sehr schmal. Ein Soldat kann an einem Tag im Interesse des Landes arbeiten und am nächsten im Interesse seines Clans oder einer politischen Gruppe (BBC 1.6.2022). Jedenfalls zeigt die Bundesarmee nur wenige Merkmale einer effektiven Armee im westlichen Sinne. Ausländische Militärhilfe ist stark an Eigennutz gebunden, unterschiedliche politische Akteure werden gegeneinander ausgespielt. Als Resultat bietet sich ein Bild von einerseits Brigaden auf Clanbasis, die den Großteil der Truppen stellen und eigentlich dem eigenen Clan zur Verfügung stehen; und andererseits von vom Ausland unterstützten, nur teilweise mit der Bundesarmee verbundenen Kräften wie Danaab (USA), Gorgor (Türkei), Haramcad, Gashaan, sowie von Eritrea (Robinson 27.1.2022), den Vereinten Arabischen Emiraten, Katar, Großbritannien, der EU, Uganda, Kenia, Dschibuti und anderen Staaten ausgebildeten Kräften. Folglich sieht man auf der Straße auch ein breites Spektrum an Uniformen und Waffen (BBC 1.6.2022).

Korruption ist verbreitet (FH 2022a, F2). Soldaten werden durch Nepotismus aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit befördert und/oder um ihre Loyalität zu erlangen. Dies zerstört die Moral der Sicherheitskräfte und lenkt ihre Loyalität in Richtung der Clans (HIPS 4.2021, Sitzung 4/28). Der chronische Nepotismus in der Bundesarmee wirkt sich hinsichtlich der Moral der Soldaten verheerend aus (HIPS 4.2021, Sitzung 14). Einige Kommandanten nehmen Bestechungsgelder an oder kooperieren mit al Shabaab (Sahan 3.3.2021). Im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen Präsident Farmaajo und der Opposition 2021 haben sich Auflösungstendenzen verstärkt. Die Sicherheitskräfte und die Armee hatten sich entlang von Clanlinien fragmentiert (TNH 20.5.2021; vergleiche Sahan 4.5.2021).

Besoldung: Soldaten verdienen etwa 100 US-Dollar im Monat (BMLV 19.7.2022). Es kommt vor, dass Soldaten nur sehr unregelmäßig bezahlt werden, dies fördert die Korruption. Diese, sowie Misswirtschaft und finanzielle Einschränkungen beeinträchtigen die Wirksamkeit der Armee (AA 28.6.2022, Sitzung 9f). Die Einführung der biometrischen Registrierung aller Soldaten der Bundesarmee hat die davor bestehende Korruption eingeschränkt, aber nicht eliminiert (HIPS 4.2021, Sitzung 15). Generell erfolgt nunmehr die (elektronische) Bezahlung der Soldaten viel regelmäßiger, doch selbst hier kommt es mitunter zu Verzögerungen. Die Spezialeinheit Danab wird und wurde von den USA finanziert und regelmäßig bezahlt (BMLV 19.7.2022).

Der Armee mangelt es zudem an Ausbildung und Ausrüstung (FP 22.9.2021; vergleiche HIPS 4.2021, Sitzung 20), obwohl die Bundesarmee im vergangenen Jahrzehnt von zahlreichen Akteuren diesbezüglich Unterstützung erhalten hat - namentlich von Burundi, Dschibuti, Äthiopien, Italien, Kenia, dem Sudan, der Türkei, den VAE, Uganda, Großbritannien, den USA, der AU, der EU und den UN (Williams 2019, Sitzung 2ff). Selbst in Katar (FTL 5.7.2022; vergleiche BBC 1.6.2022) und in Eritrea wurden Soldaten ausgebildet (BMLV 19.7.2022). Die Türkei hat dabei am meisten Soldaten ausgebildet - und auch ausgerüstet. Die vielen externen Akteure, welche sich am Aufbau somalischer Sicherheitskräfte beteiligen, arbeiten notorisch unkoordiniert, und einige Akteure – etwa Kenia und Äthiopien – verfolgen darüber hinaus nationale Interessen (HIPS 4.2021, Sitzung 24ff). Die somalischen Streitkräfte haben keine Übersicht über ihre eigenen Lagerbestände. Und obwohl Somalia in den letzten Jahren Tausende Waffen beschafft hat, sind nach wie vor nicht alle Soldaten mit einer Waffe ausgestattet (BMLV 21.7.2022).

Die USA haben Armee- und Regionalkräfte ausgebildet, die Spezialeinheit Danaab aufgestellt und Anti-Terrorismus-Kapazitäten gestärkt; die EU führt ihre Ausbildungsmission EUTM weiter (BS 2022, Sitzung 40). Die Türkei unterstützt die Bundesarmee materiell und bildet in einem eigens erbauten Stützpunkt (TURKSOM) auch Soldaten aus (HIPS 2021, Sitzung 28). Die UN-Agentur UNSOS unterstützt 13.900 Angehörige der Sicherheitskräfte logistisch (UNSC 8.2.2022, Absatz 78,).

Armee/Stärke: Die Regierung nennt unterschiedliche Zahlen: 24.000 oder 28.000 (HIPS 4.2021, Sitzung 7). Die genaue Stärke ist allerdings unbekannt bzw. unklar (BMLV 19.7.2022; vergleiche HIPS 4.2021, Sitzung 7). Eine Quelle nennt diesbezüglich mehr als 25.000 - ohne die Spezialeinheit Gorgor; mit Letzterer umfasst die Bundesarmee demnach fast 30.000 Soldaten (Sahan 29.6.2022). Insgesamt sind in den vergangenen 15 Jahren von externen Akteuren Schätzungen zufolge mehr als 100.000 Soldaten ausgebildet worden (HIPS 4.2021, Sitzung 7).

Spezialeinheiten: Danab (Blitz) - von den USA ausgebildet, ausgerüstet und betreut (HIPS 8.2.2022, Sitzung 5; vergleiche BBC 1.6.2022; Williams 2019, Sitzung 2/9) - ist die einzige Einheit, bei welcher bei der Rekrutierung nicht der Clan, sondern militärische Erfahrung und Können eine Rolle spielen (BMLV 19.7.2022; vergleiche Williams 2019, Sitzung 2/9). Es handelt sich um eine bestens ausgebildete (HIPS 8.2.2022, Sitzung 5) und um die schlagkräftigste Einheit in Somalia (Robinson 27.1.2022; vergleiche HIPS 4.2021, Sitzung 26f). Diese Truppe umfasst etwa 1.000 (HIPS 4.2021, Sitzung 26f), nach neueren Angaben 1.600 Mann und zeichnet für 80 % aller von der Bundesarmee geführten offensiven Maßnahmen verantwortlich (BMLV 19.7.2022; vergleiche HIPS 4.2021, Sitzung 26f)

Eine weitere Spezialeinheit ist die von der Türkei ausgebildete und mit modernen Waffen, Ausrüstung und gepanzerten Fahrzeugen ausgestattete Gorgor (Adler) (Bryden 8.11.2021; vergleiche Robinson 27.1.2022; HIPS 2021, Sitzung 28). Diese Einheit wird nicht geschlossen eingesetzt, sondern ist in Mogadischu, Dhusamareb, Belet Xaawo und mehreren Orten in Lower Shabelle im Einsatz (BMLV 19.7.2022). Die Einheit umfasst nunmehr mehr als 5.000 (Sahan 29.6.2022), nach anderen Angaben 5.500 Mann in vermutlich 10 Bataillonen (BMLV 19.7.2022).

Regionale Kräfte: Die Bundesstaaten haben ihre eigenen Sicherheitsapparate (HIPS 3.2021, Sitzung 16). Unklar ist, inwiefern diese Kräfte in die zur Bundesregierung gerechneten Kräfte eingegliedert sind bzw. dorthin zugeordnet werden. Beim Operational Readiness Assessment wurden 2019 in Jubaland, Galmudug, SWS und Puntland fast 20.000 Personen registriert, welche zu "Regionalkräften" (auch Darawish) gezählt werden (UNSC 15.5.2019, Absatz 45,). Unter Darawish werden in Somalia grundsätzlich alle organisierten bewaffneten Kräfte verstanden, die außerhalb der Clanmilizen zu finden sind. Im neueren Kontext werden damit v.a. Sicherheitskräfte der Bundesstaaten bezeichnet (BMLV 21.7.2022). Darawish werden nunmehr auch national ausgebildet. So haben im Feber 2020 die ersten 300 von 1.750 Darawish ihre – u.a. von AMISOM und EUTM gestaltete – Ausbildung in Mogadischu abgeschlossen (AMISOM 14.2.2020). Kenia kooperiert mit den Sicherheitskräften Jubalands (BS 2022, Sitzung 41) und bildet diese aus (BMLV 7.7.2022). Großbritannien bildet Sicherheitskräfte des SWS aus (AQ7 2.2022) und auch Dschibuti beteiligt sich am Aufbau lokaler Darawish Forces (UNSC 13.5.2022, Absatz 68,).

Zudem verfügen alle politischen Kräfte über eigene Kampftruppen (AA 28.6.2022, Sitzung 12). Einzelne Politiker, Unternehmen und Hilfsorganisationen haben eigenes Sicherheitspersonal (HIPS 3.2021, Sitzung 16).

Unter der Regierung von Präsident Farmaajo wurden auch die Popular Defence Forces (Ciidanka Difaaca Shacbiga ah / PDF) geschaffen, um städtische Jugendliche und untere Ränge der al Shabaab zu absorbieren. Sie sollten die Sicherheit am Präsidentensitz (Villa Somalia) erhöhen und danach langsam über ganz Mogadischu ausgerollt werden. Allerdings wurden die PDF später von der Jugendmiliz der Villa Somalia – Xoogga Wadaniyiinta – aufgenommen. Letztere umfasst Tausende (unbewaffnete) Jugendliche (Bryden 8.11.2021).

NISA (National Intelligence and Security Agency): Die NISA ist vergleichbar mit einem Inlandsgeheimdienst. Sie hat die Aufgabe als Sicherheitspolizei vornehmlich gegen al Shabaab vorzugehen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29), bzw. ist sie auch für den Staatsschutz zuständig und mit exekutiven Vollmachten ausgestattet. Die exekutiven Einheiten der NISA sind zwar 2018 formal in die Polizei integriert worden. Trotzdem bleibt die NISA mit exekutiven Vollmachten ausgestattet und übt weiterhin eine aktive Rolle in der Terrorismusbekämpfung aus, die über eine rein nachrichtendienstliche Tätigkeit hinausgeht. Es kommt auch immer wieder zu Zusammenstößen mit anderen Sicherheitskräften. Außerdem führt die NISA Razzien durch und nimmt Menschen fest und unterliegt wenigen bis keinen Aufsichts- und Kontrollmechanismen (AA 28.6.2022, Sitzung 10f). Dabei ist der Rechtsstatus der NISA strittig. Nach Angaben eines ehemaligen NISA-Direktors sehen somalische Präsidenten den Dienst als ihren verlängerten Arm gegen Opponenten (HIPS 4.2021, Sitzung 8). Unter der Führung eines der engsten Vertrauten von Präsident Farmaajo entwickelte sich die NISA jedenfalls zunehmend zu einem Instrument der politischen Einflussnahme. Die Organisation der Ausbildung eines – eigentlich militärischen – Kontingents in Eritrea und der Einsatz der fertig ausgebildeten Kräfte in Gedo unterstreichen diese Entwicklung. Die Finanzierung der NISA erfolgt weitgehend durch Katar (BMLV 19.7.2022), das Land hat zahlreiche Ressourcen, Ausbildungsmaßnahmen und Ausrüstung für die NISA aufgewendet (Sahan 29.6.2022). Das in Somalia befindliche Personal der NISA umfasst 5.000 Mann (Sahan 29.6.2022; vergleiche BMLV 19.7.2022), wovon die Masse in Mogadischu und Teilen von Gedo eingesetzt sind (BMLV 19.7.2022).

Die NISA verfügt über eigene Spezialeinheiten: die in Eritrea ausgebildeten Dufaan (Sturm) (Sahan 5.5.2021; vergleiche UNSC 6.10.2021) mit einer Stärke von mindestens 450 Mann, undurchsichtiger Führung (UNSC 6.10.2021), fehlender gesetzlicher Verankerung und Verantwortlichkeit (Sahan 10.6.2022); die in Zivil - als Hit-Squads - gezielt gegen Anhänger der Opposition vorgehenden Ruuxaan (Geister) (Sahan 5.5.2021; vergleiche Bryden 8.11.2021); und die von den USA ausgebildeten und als Anti-Terror-Einheiten eingesetzten Waran (Speer) und Gashaan (Schild) (Bryden 8.11.2021).

Puntland: Insgesamt beläuft sich die Stärke der Streit- und Sicherheitskräfte Puntlands (Darawish, Polizei, Puntland Maritim Police Force / PMPF und andere) auf rund 10.000-12.000 Mann (BMLV 19.7.2022). Die PMPF wird weiterhin von den Vereinten Arabischen Emiraten unterstützt (Sahan 20.6.2022). Diese Einheit stellt eine signifikante Ressource im Kampf gegen Extremisten und Waffenschmuggler dar (UNSC 6.10.2021). Die Spezialeinheit Puntland Security Force (PSF) dient als Anti-Terrorismuseinheit, wird von den USA ausgebildet und unterstützt (HIPS 8.2.2022, Sitzung 19). Ausstehende Soldzahlungen sind nach wie vor ein wiederkehrendes Problem, das zwar punktuell zu Störungen des öffentlichen Lebens durch Straßenblockaden führen kann; diese Störungen dauern gewöhnlich aber nicht mehr als einige Stunden an (BMLV 19.7.2022). Insgesamt hat die puntländische Regierung ein gewisses Problem, an allen Orten wirklich Sicherheit zu gewähren (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 30).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Mai_2022%29%2C_28.06.2022.pdf, Zugriff 4.7.2022

             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 17.5.2022

             AMISOM (2021b): AMISOM Police, https://amisom-au.org/mission-profile/amisom-police/, Zugriff 18.7.2022

             AMISOM (17.2.2021): AMISOM reviews progress made in training, mentoring Southwest State Police, https://amisom-au.org/2021/02/amisom-reviews-progress-made-in-training-mentoring-southwest-state-police/, Zugriff 8.7.2022

             AMISOM (14.2.2020): 300 Darwish forces graduate and will take over liberated areas accross Somalia, https://reliefweb.int/report/somalia/300-darwish-forces-graduate-and-will-take-over-liberated-areas-across-somalia, Zugriff 18.7.2022

             AN - Ahval News (22.2.2021): Turkish-trained special forces take Somalia back to days of civil war, https://ahvalnews.com/turkey-somalia/turkish-trained-special-forces-take-somalia-back-days-civil-war, Zugriff 2.6.2022

             AQ10 - Anonyme Quelle 10 (5.2022): Bei der Quelle handelt es sich um einen analytischen Newsletter

             AQ7 - Anonyme Quelle 7 (2.2022): Bei der Quelle handelt es sich um einen analytischen Newsletter

             BBC - BBC News (1.6.2022): US troops back in Somalia to fight al-Shabab, https://www.bbc.com/news/world-africa-61631439, Zugriff 24.6.2022

             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (21.7.2022): Telefonische Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation

             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (19.7.2022): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation, per e-Mail

             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (7.7.2022): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten

             Bryden, Matt / The Elephant (8.11.2021): Fake Fight: The Quiet Jihadist Takeover of Somalia, https://www.theelephant.info/long-reads/2021/11/08/fake-fight-the-quiet-jihadist-takeover-of-somalia/#.YYjpCzdaMR4.twitter, Zugriff 25.5.2022

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             Robinson, Colin / The Global Observatory (27.1.2022): New Name, but Little Sign of Change: The Revised Agreement on the African Union Mission in Somalia, https://theglobalobservatory.org/2022/01/revised-agreement-on-african-union-mission-in-somalia/, Zugriff 15.7.2022

             Sahan - Sahan / Somali Wire Team (29.6.2022): Editor’s Pick – Somalia’s Security Sector is Broken: here’s how the new government can fix it (Part 1), in: The Somali Wire Issue No. 415, per e-Mail

             Sahan - Sahan / Somali Wire Team (20.6.2022): Editor’s Pick – A pivot to the UAE, in: The Somali Wire Issue No. 408, per e-Mail

             Sahan - Sahan / Somali Wire Team (10.6.2022): Editor’s Pick – Fahad’s dance of the seven veils, in: The Somali Wire Issue No. 402, per e-Mail

             Sahan - Sahan / Ahmed Abdullahi Sheikh (14.7.2021): Editor’s Pick – Bad Blood between Brothers in Arms, in: The Somali Wire Issue No. 184, per e-Mail

             Sahan - Sahan / Ahmed Abdullahi Sheikh (5.5.2021): Editor’s Pick – Roble and struggle to "demilitarise" Somalia’s vote, in: The Somali Wire Issue No. 137, per e-Mail

             Sahan - Sahan / Matt Bryden (4.5.2021): Editor’s Pick – A way forward for Somalia, in: The Somali Wire Issue No. 136, per e-Mail

             Sahan - Sahan / Ahmed Abdullahi Sheikh (3.3.2021): Editor’s Pick – The impact of corruption on the fight against Al-Shabaab, in: The Somali Wire Issue No. 94, per e-Mail

             SPC - Somalia Protection Cluster (9.2.2022): Protection Analysis Update, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOM_PAU_Somalia-Protection-Analysis_Feb2022.pdf, Zugriff 25.5.2022

             SRF - Schweizer Radio und Fernsehen (27.12.2021): Ein Staat ohne Macht - Somalia: Leben im gescheiterten Staat, https://www.srf.ch/news/international/ein-staat-ohne-macht-somalia-leben-im-gescheiterten-staat, Zugriff 11.5.2022

             TNH - The New Humanitarian (20.5.2021): Somalia’s political crisis explained, https://www.thenewhumanitarian.org/news-feature/2021/5/20/somalias-political-crisis-explained, Zugriff 6.7.2022

             UNSC - UN Security Council (13.5.2022): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2022/392], https://reliefweb.int/attachments/02e8f544-fa6f-47fe-80a1-6f7ee9d6c94e/N2233663.pdf, Zugriff 27.5.2022

             UNSC - UN Security Council (8.2.2022): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2022/101], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068141/S_2022_101_E.pdf, Zugriff 21.2.2022

             UNSC - UN Security Council (6.10.2021): Letter dated 5 October 2021 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council: Final report of the Panel of Experts on Somalia (S/2021/849), https://reliefweb.int/attachments/17a953bc-861a-348a-a59b-1e182f053030/S_2021_849_E.pdf, Zugriff 14.6.2022

             UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf, Zugriff 10.6.2022

             UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia [S/2019/393], https://www.ecoi.net/en/file/local/2009264/S_2019_393_E.pdf, Zugriff 7.7.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_SOMALIA-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 21.4.2022

             Williams, Paul D. (2019): Building the Somali National Army: Anatomy of a failure, 2008-2018, In: Journal of Strategic Studies, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/01402390.2019.1575210

6.           Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 26.07.2022

Die somalische Bevölkerung bekennt sich zu über 99 % zum sunnitischen Islam (AA 28.6.2022, Sitzung 11). Eine Konversion zu einer anderen Religion bleibt in einigen Gebieten verboten und gilt als sozial inakzeptabel. Nur eine sehr kleine Minderheit hängt tatsächlich einer anderen Religion oder islamischen Richtung an (USDOS 2.6.2022, Sitzung 2). Somalis folgten traditionell der Shafi’i-Schule des islamischen Rechts, geführt von mehreren dominanten Sufi-Orden bzw. Sekten (turuuq). Trotz des aggressiven Vordringens des importierten Salafismus’ schätzen viele Somali nach wie vor ihren Sufi-Glauben und ihre Sufi-Bräuche (Bryden 8.11.2021). Allerdings macht sich seit 20 Jahren der Einfluss des Wahhabismus und damit der Vormarsch einer konservativen Auslegung des Islams bemerkbar (AA 28.6.2022, Sitzung 11).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Mai_2022%29%2C_28.06.2022.pdf, Zugriff 4.7.2022

             Bryden, Matt / The Elephant (8.11.2021): Fake Fight: The Quiet Jihadist Takeover of Somalia, https://www.theelephant.info/long-reads/2021/11/08/fake-fight-the-quiet-jihadist-takeover-of-somalia/#.YYjpCzdaMR4.twitter, Zugriff 25.5.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/04/SOMALIA-2021-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 8.6.2022

a.           Gebiete unter Regierungskontrolle

Letzte Änderung: 26.07.2022

Somalia ist seinem verfassungsmäßigen Selbstverständnis nach ein islamischer Staat, der nicht vorrangig auf religiöse Vielfalt und Toleranz ausgelegt ist (AA 28.6.2022, Sitzung 11). Die Verfassungen von Somalia, Puntland und Somaliland bestimmen den Islam als Staatsreligion. Das islamische Recht (Scharia) wird als grundlegende Quelle der staatlichen Gesetzgebung genannt (AA 28.6.2022, Sitzung 14f; vergleiche BS 2022, Sitzung 9; USDOS 2.6.2022, Sitzung 1ff), alle Gesetze müssen mit den generellen Prinzipien der Scharia konform sein. Auch die Verfassungen der anderen Bundesstaaten erklären den Islam zur offiziellen Religion (USDOS 2.6.2022, Sitzung 1ff).

Der Übertritt zu einer anderen Religion ist gesetzlich nicht explizit verboten, wohl aber wird die Scharia entsprechend interpretiert. Blasphemie und "Beleidigung des Islam" sind Straftatbestände (USDOS 2.6.2022, Sitzung 2f). Nach anderen Angaben ist es Muslimen verboten, eine andere Religion anzunehmen (AA 28.6.2022, Sitzung 15). Jedenfalls sind Missionierung bzw. die Werbung für andere Religionen laut Verfassung verboten (FH 2022a, D2; vergleiche AA 28.6.2022, Sitzung 15). Andererseits bekennt sich die Verfassung zu Religionsfreiheit (AA 28.6.2022, Sitzung 15). Auch sind dort ein Diskriminierungsverbot aufgrund der Religion (FH 2022a, D2) sowie die freie Glaubensausübung festgeschrieben (USDOS 2.6.2022, Sitzung 2).

Unabhängig von staatlichen Bestimmungen und insbesondere jenseits der Bereiche, in denen die staatlichen Stellen effektive Staatsgewalt ausüben können, sind islamische und lokale Traditionen und islamisches Gewohnheitsrecht weit verbreitet (28.6.2022, Sitzung 15). Es herrscht ein starker sozialer Druck, den Traditionen des sunnitischen Islam zu folgen. Eine Konversion vom Islam zu einer anderen Religion wird als sozial inakzeptabel erachtet. Jene, die unter dem Verdacht stehen, konvertiert zu sein, sowie deren Familien müssen mit Belästigungen seitens ihrer Umgebung rechnen (USDOS 2.6.2022, Sitzung 7).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Mai_2022%29%2C_28.06.2022.pdf, Zugriff 4.7.2022

             BS - Bertelsmann Stiftung (2022): BTI 2022 - Somalia Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_SOM.pdf, Zugriff 15.3.2022

             FH - Freedom House (2022a): Freedom in the World 2022 – Somalia, https://freedomhouse.org/country/somalia/freedom-world/2022, Zugriff 24.5.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/04/SOMALIA-2021-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 8.6.2022

b.           Gebiete von al Shabaab

Letzte Änderung: 26.07.2022

In Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab ist die Praktizierung eines moderaten Islams sowie anderer Religionen untersagt (AA 28.6.2022, Sitzung 15). Al Shabaab setzt in den von ihr kontrollierten Gebieten gewaltsam die eigene Interpretation des Islam und der Scharia durch (FH 2022a, D2; vergleiche USDOS 2.6.2022, Sitzung 6). Al Shabaab drangsaliert, verletzt oder tötet Menschen aus unterschiedlichen Gründen, u. a. dann, wenn sich diese nicht an die Edikte der Gruppe halten (USDOS 2.6.2022, Sitzung 1). Eltern, Lehrer und Gemeinden, welche sich nicht an die Vorschriften von al Shabaab halten, werden bedroht. Zudem droht al Shabaab damit, jeden Konvertiten zu exekutieren (USDOS 2.6.2022, Sitzung 6). Auf Apostasie steht die Todesstrafe (FH 2022a, D2). Scheinbar gilt dies auch für Blasphemie, denn am 5.8.2021 wurde ein 83-Jähriger in der Nähe der Stadt Ceel Buur (Galmudug) von al Shabaab durch ein Erschießungskommando hingerichtet. Dem urteilenden Gericht zufolge hatte der Mann gestanden, den Propheten beleidigt zu haben (BAMF 9.8.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022, Sitzung 6).

In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab sind Politik und Verwaltung von religiösen Dogmen geprägt (BS 2022, Sitzung 10). Al Shabaab verbietet dort generell "un-islamisches Verhalten" - Kinos, Fernsehen, Musik, Internet, das Zusehen bei Sportübertragungen, der Verkauf von Khat, Rauchen und weiteres mehr. Es gilt das Gebot der Vollverschleierung (USDOS 2.6.2022, Sitzung 7; vergleiche CFR 19.5.2021). Allerdings scheint al Shabaab bei der Durchsetzung derartiger Normen zunehmend pragmatisch zu sein (ICG 27.6.2019, Sitzung 7).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Mai_2022%29%2C_28.06.2022.pdf, Zugriff 4.7.2022

             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (9.8.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw32-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2, Zugriff 9.6.2022

             BS - Bertelsmann Stiftung (2022): BTI 2022 - Somalia Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_SOM.pdf, Zugriff 15.3.2022

             CFR - Council on Foreign Relations / Cheatham, A. /Felter, Claire / Laub, Z. (19.5.2021): Backgrounder – Al-Shabab, https://www.cfr.org/backgrounder/al-shabab, Zugriff 9.6.2022

             FH - Freedom House (2022a): Freedom in the World 2022 – Somalia, https://freedomhouse.org/country/somalia/freedom-world/2022, Zugriff 24.5.2022

             ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf, Zugriff 9.6.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/04/SOMALIA-2021-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 8.6.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_SOMALIA-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 21.4.2022

7.           Minderheiten und Clans

Letzte Änderung: 26.07.2022

Zu Clanschutz siehe auch Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen

Der Clan ist die relevanteste soziale, ökonomische und politische Struktur in Somalia. Er bestimmt den Zugang zu Ressourcen sowie zu Möglichkeiten, Einfluss, Schutz und Beziehungen (SPC 9.2.2022). Dementsprechend steht Diskriminierung in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke haben (AA 28.6.2022, Sitzung 11). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2022, Sitzung 10). In ganz Somalia sehen sich Menschen, die keinem der großen Clans angehören, in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56) und für ökonomische sowie politische Partizipation (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56; vergleiche BS 2022, Sitzung 23). Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2022, Sitzung 23). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UNOCHA 14.3.2022).

Recht: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Weder das traditionelle Recht (Xeer) (SEM 31.5.2017, Sitzung 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, Sitzung 42; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 3). Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen (ÖB 3.2020, Sitzung 3). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, Sitzung 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, Sitzung 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, Sitzung 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14).

Angehörige von Minderheiten stehen vor Hindernissen, wenn sie Identitätsdokumente erhalten wollen - auch im Falle von Reisepässen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 58).

Politik: Politische Repräsentation, politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren - und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel (ÖB 3.2020, Sitzung 3). Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhalten (ÖB 3.2020, Sitzung 3; vergleiche USDOS 12.4.2022, Sitzung 31f; FH 2022a, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 2022a, B4). Sie werden von relevanten politischen Posten ausgeschlossen und die wenigen Angehörigen von Minderheiten, die solche Posten halten, haben kaum die Möglichkeit, sich für ihre Gemeinschaften einzusetzen (SPC 9.2.2022). So ist also selbst die gegebene, formelle Vertretung nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die 4.5-Formel hat bisher nicht zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bezogenen Gleichberechtigung beigetragen (ÖB 3.2020, Sitzung 3).

Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41; vergleiche AA 28.6.2022, Sitzung 14; FH 2022a, F4). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 28.6.2022, Sitzung 14). Zudem mangelt es ihnen an Remissen (SPC 9.2.2022). Haushalte, die einer Minderheit angehören, stehen einem höheren Maß an Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung gegenüber. Meist sind Minderheitenangehörige von informeller Arbeit abhängig, und die allgemeinen ökonomischen Probleme haben u. a. die Nachfrage nach Tagelöhnern zurückgehen lassen. Dadurch sind auch die Einkommen dramatisch gesunken (UNOCHA 14.3.2022).

Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41). In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (FIS 7.8.2020, Sitzung 39).

Al Shabaab: Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt (BS 2022, Sitzung 19). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen "noblen" Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, Sitzung 11; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 4). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist ein weiterer Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB 3.2020, Sitzung 4).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Mai_2022%29%2C_28.06.2022.pdf, Zugriff 4.7.2022

             BS - Bertelsmann Stiftung (2022): BTI 2022 - Somalia Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_SOM.pdf, Zugriff 15.3.2022

             DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Report_Towards-an-improved-understanding-of-vulnerability-and-resilience-in-Somalia.pdf, Zugriff 27.5.2022

             FH - Freedom House (2022a): Freedom in the World 2022 – Somalia, https://freedomhouse.org/country/somalia/freedom-world/2022, Zugriff 24.5.2022

             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645, Zugriff 6.5.2022

             ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf, Zugriff 9.6.2022

             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (1.7.2019): Somalia - Rätts- och säkerhetssektorn Version 1.0, https://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentAttachmentId=46794, Zugriff 9.6.2022

             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 11.5.2022

             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 9.6.2022

             SPC - Somalia Protection Cluster (9.2.2022): Protection Analysis Update, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOM_PAU_Somalia-Protection-Analysis_Feb2022.pdf, Zugriff 25.5.2022

             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (22.12.2021): Citizenship and Statelessness in the Horn of Africa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065866/61c97bea4.pdf, Zugriff 12.5.2022

             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (14.3.2022): Somalia Humanitarian Bulletin, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA%20SOMALIA%20HUMANITARIAN%20BULLETIN%20-%20FEBRUARY%202022.pdf, Zugriff 18.5.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_SOMALIA-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 21.4.2022

a.           Bevölkerungsstruktur

Letzte Änderung: 26.07.2022

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 56). Somalia ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings sei der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung unklar (AA 28.6.2022, Sitzung 11/14). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 12.4.2022, Sitzung 40). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UNOCHA 14.3.2022; vergleiche NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 44; vergleiche SEM, 31.5.2017, Sitzung 12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 5).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2022, Sitzung 34). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, Sitzung 8).

Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

●             Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

●             Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

●             Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

●             Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

●             Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, Sitzung 9).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, Sitzung 25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, Sitzung 38ff).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, Sitzung 9). Zudem gewinnt die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation immer mehr an Bedeutung. Dadurch kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden (BS 2022, Sitzung 25).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Mai_2022%29%2C_28.06.2022.pdf, Zugriff 4.7.2022

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf, Zugriff 3.2.2022

             BS - Bertelsmann Stiftung (2022): BTI 2022 - Somalia Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_SOM.pdf, Zugriff 15.3.2022

             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645, Zugriff 17.3.2021

             GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

             LI - Landinfo [Norwegen] (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/03/Report-Somalia-Practical-issues-and-security-challenges-associated-with-travels-in-Southern-Somalia-4-April-2016.pdf, Zugriff 18.12.2020

             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (1.12.2021): Algemeen ambtsbericht Somalië, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068196/algemeen-ambtsbericht-somalie-21122021.pdf, Zugriff 11.5.2022

             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020

             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (22.12.2021): Citizenship and Statelessness in the Horn of Africa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065866/61c97bea4.pdf, Zugriff 12.5.2022

             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (14.3.2022): Somalia Humanitarian Bulletin, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA%20SOMALIA%20HUMANITARIAN%20BULLETIN%20-%20FEBRUARY%202022.pdf, Zugriff 18.5.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_SOMALIA-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 21.4.2022

b.           Süd-/Zentralsomalia, Puntland

8.           Relevante Bevölkerungsgruppen

a.           Kinder

Letzte Änderung: 26.07.2022

Zu Kindersoldaten und Zwangsrekrutierungen siehe Kapitel "Wehrdienst und Rekrutierungen".

Die Übergangsverfassung definiert Kinder als Personen, die jünger als 18 Jahre alt sind (USDOS 12.4.2022, Sitzung 46). Traditionell werden Kinder allerdings ab einem Alter von 15 Jahren als volljährig erachtet (LIFOS 16.4.2019, Sitzung 10/12). Nach anderen Angaben sehen viele Somali - und auch somalische Behörden - die Pubertät als relevantes Kriterium, um ein Kind als erwachsen zu erachten. Dem Geburtsdatum kommt im somalischen Kontext demnach nur eine geringe praktische und kulturelle Bedeutung zu (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 41).

Im April 2022 waren knapp 1,4 Millionen Kinder in ganz Somalia von akuter Unterernährung betroffen, davon 330.000 von schwerer Unterernährung (UNOCHA 20.4.2022, Sitzung 2). Somalia hat weltweit die höchste Kindersterblichkeitsrate (AI 18.8.2021, Sitzung 5). Eines von sieben Kindern stirbt vor dem fünften Geburtstag, schuld daran sind u. a. Unterernährung, Pneumonie, Masern und Durchfallerkrankungen (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 11); nach anderen Angaben sind es sogar 117 Todesfälle bei 1.000 Lebendgeburten. Die grundlegenden Impfungen erfolgen bei Kindern in nomadischen Gebieten bei nur 1 %, bei der restlichen ländlichen Bevölkerung bei 14 % und in Städten bei 19 % (WB 6.2021, Sitzung 30).

Gewalt: Somalia findet sich unter den Ländern mit der größten Zahl an Verbrechen an Kindern weltweit (SPC 9.2.2022). Alle am Konflikt in Somalia beteiligten Parteien haben schwere Vergehen gegen Kinder begangen – darunter Tötung, Verstümmelung, Rekrutierung und Kampfeinsatz (HRW 13.1.2022). Im Zeitraum 6.11.2021-31.1.2022 wurden 767 Fälle von schweren Menschenrechtsverletzungen an Kindern dokumentiert, 635 Kinder waren betroffen (467 Buben, 168 Mädchen). Für ca. 67 % der Vergehen war al Shabaab verantwortlich. Die registrierten Fälle umfassen 289 Kinder, die rekrutiert und eingesetzt wurden; 182 Kinder, die getötet oder verstümmelt wurden; 220 Kinder, die entführt wurden; und 68 Kinder, die einer Vergewaltigung oder einer anderen Form sexueller Gewalt ausgesetzt waren (UNSC 8.2.2022, Absatz 59,). Es ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl an schweren Verbrechen an Kindern weit höher liegt, als die der gemeldeten und verifizierten Fälle (SPC 9.2.2022).

Missbrauch und Vergewaltigung von Kindern sind ernste Probleme. Es gibt keine bekannten Anstrengungen der Bundesregierung oder von Regionalregierungen, dagegen vorzugehen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 42). Es kommt immer wieder zur Verhaftung und Inhaftierung von Kindern, denen Verbindungen zu bewaffneten Gruppen nachgesagt werden, durch Bundes- und Lokalkräfte (HRW 13.1.2022).

Kinderarbeit: Tatsächlich gibt es kein Mindestalter hinsichtlich einer Anstellung. Das Gesetz verbietet und kriminalisiert nicht einmal die schlimmsten Formen von Kinderarbeit. Ein Gesetz, welches das Mindestalter für die meisten Tätigkeiten auf 15 Jahre festlegt, schreibt gleichzeitig ein unterschiedliches Alter für unterschiedliche Tätigkeiten vor. Dieses Gesetz wird allerdings nicht umgesetzt. Kinderarbeit ist weit verbreitet. Es ist nicht unüblich, dass Jugendliche schon in jungen Jahren als Hirten, in der Landwirtschaft oder im Haushalt arbeiten. Kinder werden außerdem zum Zerkleinern von Steinen, als Verkäufer oder Träger eingesetzt (USDOS 12.4.2022, Sitzung 47). Im ländlichen Somalia ist von Kinderarbeit - meist Feldarbeit oder nomadische Hilfstätigkeit - auszugehen. In urbanen Zentren werden Kinder als Dienstboten und für einfache Erledigungen eingesetzt. Für Puntland und Somaliland gilt dies nur eingeschränkt (AA 28.6.2022, Sitzung 17). Die körperliche Züchtigung von Kindern ist gesetzlich nicht verboten, allgemein üblich und wird gesellschaftlich akzeptiert (FIS 5.10.2018, Sitzung 33).

Adoption: Der Konflikt hat viele Waisen hervorgebracht. Zudem wurden viele Kinder von ihren biologischen Eltern getrennt (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 49f). Trotzdem gibt es weder eine offizielle, staatlich geregelte Adoptionspraxis noch ein staatliches Adoptionsrecht (ÖB 3.2020, Sitzung 9; vergleiche UNHCR 22.12.2021, Sitzung 23). Auch die Scharia sieht keine völlige Adoption vor, bevorzugt dagegen ein System der Vormundschaft (kafala). Dabei übernimmt der Vormund alle Pflichten eines Elternteils, allerdings ohne die Rechtsbindung des Kindes zur biologischen Familie zu brechen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 23). Generell ist es nicht unüblich, eigene Kinder – etwa wegen eigener Armut – bei engen oder fernen Verwandten unterzubringen (SIDRA 6.2019b, Sitzung 4). Viele Kinder und Waisen wachsen innerhalb der weiteren Verwandtschaft auf, bei Familien, in die sie nicht hineingeboren wurden. Dabei gibt es keine rechtliche Vereinbarung, die Unterbringung erfolgt relativ formlos (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 24/49f; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 9). Offizielle Dokumente sind zumeist nicht vorzufinden bzw. könnten diese einer Urkundenüberprüfung nicht standhalten (ÖB 3.2020, Sitzung 9). In Mogadischu gibt es einige Waisenhäuser; allerdings funktioniert dieses System nicht ausreichend und daher gibt es in der Stadt auch viele Straßenkinder (FIS 7.8.2020, Sitzung 38). In Somaliland gibt es die Möglichkeit, dass ein Gericht einem (Waisen)Kind eine neue Identität gibt, damit dieses Dokumente erhalten und die Schule besuchen kann (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 49).

Bildung: Eigentlich sieht das Gesetz eine kostenlose Schulbildung vor. In der Realität ist diese aber weder kostenlos oder verpflichtend. In vielen Gebieten haben Kinder keinen Zugang zu Schulen, sei es aufgrund von Armut, Unsicherheit, langen Schulwegen oder wichtigeren Aufgaben im Haushalt (USDOS 12.4.2022, Sitzung 41f). Die Alphabetisierungsquote ist eine der niedrigsten weltweit. Dabei gibt es Unterschiede: In urbanen Gebieten beträgt die Quote knapp 65 %, in ländlichen Gebieten 27,5 %; unter Nomaden nur 12,1 %. Im Norden ist sie höher als im Süden (BS 2022, Sitzung 32). Außerdem hängt eine Alphabetisierung auch von der individuellen finanziellen Situation ab, Arme können sich Bildung nicht leisten (BS 2022, Sitzung 32; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 32). Die Mehrheit der Kinder - fast zwei Drittel - geht jedenfalls nicht in die Schule. Mädchen sind zudem in geringerem Ausmaß in Schulen eingeschrieben (USDOS 12.4.2022, Sitzung 42/47). Nur 30 % der Kinder im Schulalter sind für die Grundschule, 26 % für die Sekundarstufe eingetragen. Dies ist ein historischer Tiefpunkt (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Nach anderen Angaben sind es bei der Grundschule 36 % (BS 2022, Sitzung 32).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Mai_2022%29%2C_28.06.2022.pdf, Zugriff 4.7.2022

             AI - Amnesty International (18.8.2021): "We just watched COVID-19 patients die": COVID-19 exposed Somalia's weak healthcare system but debt relief can transform it [AFR 52/4602/2021], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058478/AFR5246022021ENGLISH.pdf, Zugriff 17.5.2022

             BS - Bertelsmann Stiftung (2022): BTI 2022 - Somalia Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_SOM.pdf, Zugriff 15.3.2022

             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645, Zugriff 6.5.2022

             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f6944b6d21a7/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf, Zugriff 12.5.2022

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066476.html, Zugriff 3.2.2022

             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2015777/190827400.pdf, Zugriff 24.5.2022

             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (16.4.2019): Somalia - Kvinnlig könsstympning (version 1.0), https://www.ecoi.net/en/file/local/2007150/190416400.pdf, Zugriff 27.5.2022

             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (1.12.2021): Algemeen ambtsbericht Somalië, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068196/algemeen-ambtsbericht-somalie-21122021.pdf, Zugriff 11.5.2022

             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 11.5.2022

             SIDRA - Somali Institute for Development Research and Analysis (6.2019b): Rape: A rising Crisis and Reality for the Women in Somalia, https://sidrainstitute.org/wp-content/uploads/2019/06/Rape-Policy-Brief.pdf, Zugriff 27.5.2022

             SPC - Somalia Protection Cluster (9.2.2022): Protection Analysis Update, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOM_PAU_Somalia-Protection-Analysis_Feb2022.pdf, Zugriff 25.5.2022

             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (22.12.2021): Citizenship and Statelessness in the Horn of Africa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065866/61c97bea4.pdf, Zugriff 12.5.2022

             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (20.4.2022): Somalia: Drought Situation Report No.6 (As of 20 April 2022), https://reliefweb.int/attachments/507b4ddd-9836-30a7-9f23-b30c38d38305/Drought%20Situation%20Report%20%236%20-%2020%20April%202022%20eoah.pdf, Zugriff 27.5.2022

             UNSC - UN Security Council (8.2.2022): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2022/101], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068141/S_2022_101_E.pdf, Zugriff 21.2.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_SOMALIA-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 21.4.2022

             WB - Weltbank (6.2021): Somalia Economic Update. Investing in Health to Anchor Growth, http://documents1.worldbank.org/curated/en/926051631552941734/pdf/Somalia-Economic-Update-Investing-in-Health-to-Anchor-Growth.pdf, Zugriff 12.5.2022

b.           Subjekte gezielter Attentate durch al Shabaab und andere terroristische Gruppen

Letzte Änderung: 27.07.2022

Folgende Personengruppen sind bezüglich eines gezielten Attentats durch al Shabaab einem erhöhten Risiko ausgesetzt:

●             Angehörige der AMISOM bzw. ATMIS (BS 2022, Sitzung 34; vergleiche USDOS 2.6.2022, Sitzung 1);

●             nationale und regionale Behördenvertreter und -Mitarbeiter (BS 2022, Sitzung 7/34; vergleiche USDOS 2.6.2022, Sitzung 1);

●             Angehörige der Sicherheitskräfte (BS 2022, Sitzung 7/34; vergleiche USDOS 2.6.2022, Sitzung 1);

●             Regierungsangehörige, Parlamentarier und Offizielle (BS 2022, Sitzung 34; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 8); al Shabaab greift z. B. gezielt Örtlichkeiten an, wo sich Regierungsvertreter treffen (BS 2022, Sitzung 7);

●             mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15; vergleiche BS 2022, Sitzung 7);

●             Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15);

●             Wirtschaftstreibende (BS 2022, Sitzung 7), insbesondere dann, wenn sie sich weigern, Schutzgeld ("Steuer") an al Shabaab abzuführen (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 57);

●             Älteste und Gemeindeführer (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15; vergleiche BS 2022, Sitzung 7);

●             Wahldelegierte und deren Angehörige (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15; vergleiche BS 2022, Sitzung 7); dabei hat al Shabaab in der Vergangenheit Delegierte vor die Wahl gestellt, entweder zu ihnen zu kommen und sich zu entschuldigen, oder aber einem Todesurteil zu unterliegen. Die große Mehrheit entschuldigte sich (Mohamed 17.8.2019). Immer wieder werden jedenfalls an Wahlen Beteiligte ermordet, so z. B. ein Delegierter und Ältester am 13.6.2022 sowie ein weiterer Delegierter Mitte April 2022 – beide in Hodan (Mogadischu). Al Shabaab bekennt sich nicht immer zu derartigen Attentaten, hat in der Vergangenheit allerdings betont, jede an Wahlen beteiligte Person zum Ziel zu machen (HO 14.6.2022);

●             Angehörige diplomatischer Missionen (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15);

●             prominente und Menschenrechts- und Friedensaktivisten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 15);

●             religiöse Führer (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 57f; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 8);

●             Journalisten (BS 2022, Sitzung 34) und Mitarbeiter von Medien (USDOS 12.4.2022, Sitzung 48);

●             Telekommunikationsarbeiter (USDOS 12.4.2022, Sitzung 48);

●             mutmaßliche Kollaborateure und Spione (HRW 13.1.2022; vergleiche BS 2022, Sitzung 19; USDOS 12.4.2022, Sitzung 15f);

●             Deserteure (FIS 7.8.2020, Sitzung 8);

●             als glaubensabtrünnig Bezeichnete (Apostaten) (BS 2022, Sitzung 19);

●             (vermeintliche) Angehörige oder Sympathisanten des IS (AA 28.6.2022, Sitzung 16); den IS hat al Shabaab als Seuche bezeichnet, welche ausgerottet werden müsse (JF 14.1.2020).

Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie kein Schutzgeld bzw. "Steuern" an al Shabaab abführen. Gleichzeitig muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde auf o. g. Personengruppen politisch motiviert oder einfache Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen (BMLV 19.7.2022).

Kollaboration: In von al Shabaab kontrollierten Gebieten gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden (AA 28.6.2022, Sitzung 19). Al Shabaab tötet - meist nach unfairen Verfahren - Personen, denen Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung oder ausländischen Kräften vorgeworfen wird (HRW 13.1.2022; vergleiche USDOS 2.6.2022, Sitzung 1/6; UNSC 6.10.2021). Z.B. wurde im Feber 2022 in Buulo Fulay (Bay) ein Mann hingerichtet, dem Spionage für die äthiopischen Streitkräfte und die Kräfte des SWS vorgeworfen wurde (BAMF 7.2.2022). Alleine im Zeitraum Mai-Juli 2021 wurden von al Shabaab 19 Zivilisten öffentlich hingerichtet – 18 davon wegen vorgeblicher Spionage und eine Person wegen Mordes (UNSC 10.8.2021, Absatz 42,).

Al Shabaab bedroht Menschen, die mit der Regierung in Verbindung gebracht werden. Zivilisten können bestraft oder auch getötet werden, wenn sie für die Regierung oder die Armee arbeiten (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 20). Die Schwelle dessen, was al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, ist mitunter sehr niedrig angesetzt (BFA 8.2017, Sitzung 40f). So wurden etwa im Feber 2021 in Mogadischu drei Frauen erschossen, die im Verteidigungsministerium als Reinigungskräfte gearbeitet hatten (Sahan 15.2.2021a). Nach eigenen Angaben greift al Shabaab solche Personen hingegen nicht gezielt an (C4 15.6.2022). Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechselt, kann auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration wahrgenommen werden (BFA 8.2017, Sitzung 40ff). So wurden etwa Anfang Juli 2021 fünf Zivilisten im Gebiet Jowhar von al Shabaab entführt, weil sie Soldaten der Armee mit Erfrischungen bewirtet bzw. mit ihnen gehandelt hatten. Mehrere Häuser und Fahrzeuge wurden angezündet (AMISOM 2.7.2021). Generell sind aber das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt. Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen: a) die Kollaboration ist offensichtlich; b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu; c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen; d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat (BFA 8.2017, Sitzung 40ff).

Auf der anderen Seite kollaborieren viele Menschen mit al Shabaab. Verwaltungsstrukturen und Sicherheitskräfte sind unterwandert. Eine derartige Kollaboration kann aus finanziellen oder ideologischen Gründen erfolgen, oft aber auch aus Angst. Es scheint wenig ratsam, ein "Angebot" von al Shabaab abzulehnen (BMLV 19.7.2022).

Kapazitäten: Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung auf Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie direkt Soldaten von Armee und AMISOM [nunmehr ATMIS] (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 23). Grundsätzlich richten sich die Angriffe der al Shabaab in nahezu allen Fällen gegen Personen des somalischen Staates (darunter die Sicherheitskräfte), Institutionen der internationalen Gemeinschaft (darunter ausländische Truppen) und gegen Gebäude, die von erst- und zweitgenannten Zielen frequentiert werden (BMLV 21.7.2022).

Al Shabaab greift Zivilisten, die nicht in eine der weiter oben genannten Kategorien fallen, nicht spezifisch an. Für diese besteht das größte Risiko darin, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (BMLV 19.7.2022; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 24ff) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 24). So greift al Shabaab etwa Cafés, Restaurants oder Hotels an, die von Behördenvertretern oder Wirtschaftstreibenden frequentiert werden (BS 2022, Sitzung 7). Zwar richten sich diese Angriffe also gegen Personengruppen, die von al Shabaab als Feinde erachtet werden, doch kommen dabei auch Zivilisten zu Schaden, welche sich am oder in der Nähe des Ziels aufhalten. Nach einem Anschlag im Dezember 2019 hat sich al Shabaab sogar dafür entschuldigt, dass derart viele Zivilisten ums Leben gekommen sind (FIS 7.8.2020, Sitzung 25). Nach anderen Angaben ist es zwar Zufall, wer konkret einem Anschlag zum Opfer fällt; aber al Shabaab greift wahllos und doch gezielt Zivilisten an. Die Intention ist, der Bevölkerung vor Augen zu führen, dass die Regierung sie nicht beschützen kann (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 10ff). Dies führt Zivilisten in eine Art endemisch-alltägliche Unsicherheit in allen Lebensbereichen - und das, obwohl die Wahrscheinlichkeit, von einem Anschlag getroffen zu werden, relativ gering ist (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 27).

Ausweichmöglichkeiten: Aufgrund der überregionalen Aktivitäten und der Vernetzung des Amniyad [Nachrichtendienst der al Shabaab] sind – vor allem prominente – Zielpersonen auch bei einer innerstaatlichen Flucht gefährdet (BMLV 22.7.2022). Nach Angaben eines Journalisten wiederum kann sich ein Mensch in Mogadischu vor al Shabaab verstecken (AI 13.2.2020, A. 36). Dies kann beispielsweise für eine Person gelten, die vom eigenen Clan z. B. im Bezirk Jowhar für eine Rekrutierung bei al Shabaab vorgesehen gewesen wäre, und sich nach Mogadischu abgesetzt hat; nicht aber prominentere Personen, die vor al Shabaab auf der Flucht sind (BMLV 22.7.2022). Al Shabaab verfügt also generell über die Kapazitäten, menschliche Ziele – auch in Mogadischu – aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Personen al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clandynamiken. Die Gruppe ist bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen. Zusätzlich möchte al Shabaab mit jedem begangenen Anschlag und mit jedem verübten Attentat auch ein entsprechendes Publikum erreichen (BFA 8.2017, Sitzung 35f).

Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen (BMLV 19.7.2022).

Der sogenannte Islamische Staat (IS) operiert nahezu ausschließlich in Puntland bzw. mit einigen Zellen in Mogadischu. Die Hauptziele des IS in Puntland sind Regierungsangestellte und Politiker, Soldaten, Mitarbeiter des Nachrichtendienstes, Polizisten und Angehörige von al Shabaab. In Mogadischu wendet sich der IS gegen Angehörige von al Shabaab sowie gegen jene Personen (v.a. Händler und Geschäftsleute), die sich weigern, Abgaben bzw. Schutzgeld zu entrichten (BMLV 19.7.2022).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Mai_2022%29%2C_28.06.2022.pdf, Zugriff 4.7.2022

             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 17.5.2022

             AI - Amnesty International (13.2.2020): "We live in perpetual fear": Violations and Abuses of Freedom of Expression in Somalia [AFR 52/1442/2020], https://www.ecoi.net/en/file/local/2024685/AFR5214422020ENGLISH.PDF, Zugriff 2.6.2022

             AMISOM (2.7.2021): Morning Headlines – Newsletter per E-Mail, Überschrift: Al-Shabaab Targets Locals For Welcoming And Feeding SNA, Originallink auf Somali: https://www.caasimada.net/al-shabaab-oo-beegsaday-shacab-caano-iyo-biyo-ku-soo-dhoweeyey-ciidanka-df/

             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.2.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw06-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 6.5.2022

             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-sicherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf, Zugriff 9.6.2022

             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (21.7.2022): Telefonische Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation

             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (19.7.2022): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation, per e-Mail

             BS - Bertelsmann Stiftung (2022): BTI 2022 - Somalia Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_SOM.pdf, Zugriff 15.3.2022

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             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645, Zugriff 6.5.2022

             HO - Hiiraan Online (14.6.2022): Second former electoral delegate shot dead in Mogadishu, https://www.hiiraan.com/news4/2022/Jun/186603/second_former_electoral_delegate_shot_dead_in_mogadishu.aspx?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter, Zugriff 30.6.2022

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066476.html, Zugriff 3.2.2022

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             UNSC - UN Security Council (6.10.2021): Letter dated 5 October 2021 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council: Final report of the Panel of Experts on Somalia (S/2021/849), https://reliefweb.int/attachments/17a953bc-861a-348a-a59b-1e182f053030/S_2021_849_E.pdf, Zugriff 14.10.2022

             UNSC - UN Security Council (10.8.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/723], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058501/S_2021_723_E.pdf, Zugriff 18.5.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/04/SOMALIA-2021-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 8.6.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_SOMALIA-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 21.4.2022

9.           Bewegungsfreiheit und Relokation

a.           Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 25.07.2022

Gesetze schützen das Recht auf Bewegungsfreiheit im Land und das Recht zur Ausreise. Diese Rechte sind in einigen Landesteilen eingeschränkt (USDOS 12.4.2022, Sitzung 24) – v. a. durch die Unsicherheit entlang der wichtigsten Straßen (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 37), durch Checkpoints und Straßenblockaden der jeweiligen Machthaber in bestimmten Gebieten aber auch durch Kampfhandlungen. IDPs sind in den Lagern in und um Mogadischu teils strikten Beschränkungen bezüglich ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen. Davon abgesehen sind keine Einschränkungen für bestimmte Gruppen bekannt (ÖB 3.2020, Sitzung 9f).

Überlandreisen: Al Shabaab bleibt auch weiterhin die größte Bedrohung hinsichtlich Bewegungsfreiheit entlang von Hauptversorgungsrouten in Süd-/Zentralsomalia. Die Gruppe verwendet entlang dieser Straßen Sprengsätze und legt Hinterhalte. Manchmal placiert al Shabaab Sprengsätze auch deswegen, um dadurch den Verkehr auf Straßen umzulenken, an welchen sie Checkpoints unterhält, wo Gebühren eingehoben werden (UNSC 6.10.2021).

Reisende werden durch die zahlreichen, von unterschiedlichen Gruppen betriebenen Straßensperren in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt (USDOS 12.4.2022, Sitzung 24f). Zudem sind sie dort Plünderung, Erpressung, Belästigung und Gewalt ausgesetzt (USDOS 12.4.2022, Sitzung 24f; vergleiche FH 2022a, G1). Neben den Straßensperren kann auch das Aufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen ein Risiko darstellen (FH 2022a, G1). Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle führt al Shabaab eine Blockade durch und greift manchmal Zivilisten an, welche die Blockade durchbrechen wollen (HRW 13.1.2022). Einige Bezirke sind demnach auf Luftbrücken angewiesen (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 37).

Der durchschnittliche Somali kann eine Überlandreise antreten, muss aber mit einem gewissen Risiko rechnen, während das Risiko für Sicherheitskräfte oder Regierungsbedienstete höher ist (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 38). Trotzdem bereisen Zivilisten und Wirtschaftstreibende tagtäglich die Überlandverbindungen. Die Menschen reisen nicht uninformiert. Reisende und Fahrer versuchen ihre Reise nach neuesten sicherheitsrelevanten Informationen zu adaptieren (LI 28.6.2019, Sitzung 4/9). Überlandreisen werden bevorzugt mit Minibussen (9-Sitzer), auf Lastwägen oder aber zu Fuß unternommen. Es ist einfach, sich in Mogadischu eine solche Fahrt zu organisieren. Straßenzustand und Sicherheitsüberlegungen können den Zugang zu einzelnen Destinationen fallweise verunmöglichen. Generell können Menschen aber jedes Ziel in Süd-/Zentralsomalia erreichen. Um in kleinere Dörfer zu gelangen, muss meist in der nächstgelegenen Bezirkshauptstadt umgestiegen werden (LI 28.6.2019, Sitzung 7).

Nach anderen Angaben sind die Möglichkeiten für Überlandreisen von Mogadischu in Richtung Baidoa, Kismayo oder Belet Weyne stark eingeschränkt. Weniger weit entfernte Ziele – etwa Afgooye – sind demnach aber auf der Straße erreichbar. Allerdings finden sich auch an dieser Route Straßensperren unterschiedlicher Akteure. Generell werden Überlandreisen in Süd-/Zentralsomalia als nicht wirklich sicher erachtet. Al Shabaab ist in der Lage, alle Straßen, die nach Mogadischu führen, zu kontrollieren. Auch andere Akteure können Reisenden unterschiedlichste Probleme verursachen. Daher gibt es auch nur wenig Verkehr (FIS 7.8.2020, Sitzung 27f).

Al Shabaab kontrolliert den Ort Leego an der Straße zwischen Wanla Weyne und Buur Hakaba. Damit ist die Route von Mogadischu nach Baidoa für Zwecke der Regierung geschlossen; diese gilt auch für die Hauptversorgungsroute nach Baraawe (Bryden 8.11.2021). Auch die Straße zwischen Mogadischu und Jowhar wird fallweise blockiert. Anfang 2021 konnten dort Lkw über fast zwei Wochen nicht verkehren (Sahan 1.3.2021b). Diese Straße wird von einer Quelle als gefährlich eingestuft. Demnach ist zudem die weitere Route von Jowhar nach Belet Weyne de facto unpassierbar (Bryden 8.11.2021). Nach anderen Angaben ist die Straße Jowhar - Buulo Barde - Belet Weyne grundsätzlich für den Personenverkehr und Warentransport geöffnet. Die Straße unterliegt allerdings noch immer einer erheblichen Bedrohung durch al Shabaab, wenn auch die Frequenz der Überfälle entlang dieser Verbindungslinie merklich abgenommen hat. Der Verkehr entlang der Route Belet Weyne - Garoowe ist v. a. im Bereich von Matabaan – Dhusamareb durch al Shabaab gefährdet. An den Straßenverbindungen in der Region Lower Juba kann es zu Übergriffen durch al Shabaab kommen. Dies gilt auch in der Region Gedo für die Verbindungen südlich von Garbahaarey. Dahingegen kommt es im Gebiet zwischen Doolow und Luuq nur selten zu Zwischenfällen. In Bakool kommt es entlang der Verbindungsstraßen zwischen Waajid, Yeed und Ceel Barde nur selten zu Zwischenfällen. Die Verbindungen von und nach Xudur unterliegen wiederkehrenden Angriffen von al Shabaab (BMLV 19.7.2022), Xudur ist von al Shabaab eingekreist (PGN 2.2021, Sitzung 12). In Bay bzw. Lower Shabelle kann es an der Route von Baidoa nach Mogadischu zu Übergriffen durch unterschiedliche Akteure kommen. Al Shabaab hat Zugriff auf die gesamte Straße, sie kontrolliert die Verbindung von Baidoa nach Buur Hakaba und weiter nach Bali Doogle. Rund um Baidoa betreibt die Gruppe Straßensperren (BMLV 19.7.2022).

Straßensperren: In ganz Süd-/Zentralsomalia gibt es Straßensperren (Checkpoints), an welchen Fahrzeuge aufgehalten und Personen kontrolliert werden. Prinzipiell geht es an einer Straßensperre um die Einhebung von Wegzoll (LI 28.6.2019, Sitzung 8), wobei die Höhe des Zolls mitunter willkürlich ist. Es gibt permanente und ad hoc Straßensperren, betrieben von Sicherheitskräften, al Shabaab oder Clanmilizen (LI 28.6.2019, Sitzung 8; vergleiche USDOS 12.4.2022, Sitzung 24f). Häufig kommt es an Checkpoints zwischen Clanmilizen, aber auch mit und unter staatlichen Einheiten, die sich um die Kontrolle und um Einnahmen streiten, zu kämpfen (AA 28.6.2022, Sitzung 9).

In Mogadischu gibt es mehrere Hundert permanente oder mobile Kontrollpunkte, dadurch wird die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dort werden keine offiziellen Gebühren eingehoben, es kann aber zur Forderung nach Bestechungsgeldern kommen (EASO 9.2021a, Sitzung 22f). Gemäß neueren Angaben wurde die Mehrzahl der Checkpoints innerhalb des Stadtgebietes geräumt (Ausnahme: in den Bereichen wichtiger Infrastruktur wie der Villa Somalia, des Parlamentsgebäudes, dem Flughafen u.ä.). Einschränkungen ergeben sich durch Sicherheitsmaßnahmen zu besonderen Anlässen wie Staatsbesuchen, die teilweise wichtige Straßenzüge für den zivilen Verkehr nicht passierbar machen. Die Dauer dieser Auswirkungen ist unterschiedlich: von mehreren Stunden bis zu mehreren Tagen (BMLV 19.7.2022). Insgesamt können sich Menschen in Mogadischu aber unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit frei bewegen und sich niederlassen (FIS 7.8.2020, Sitzung 39).

Frauen: Es ist nicht ungewöhnlich, alleine reisende ältere Frauen anzutreffen. Dahingegen wird vermieden, jüngere Frauen ohne Begleitung auf Reisen zu schicken – v.a. aufgrund der Gefahr sexueller Gewalt (LI 28.6.2019, Sitzung 11f). Bezüglich dieser besteht für Frauen an Straßensperren ein erhöhtes Risiko (FIS 7.8.2020, Sitzung 23).

Straßensperren von al Shabaab: In ländlichen Gebieten der gesamten Südhälfte Somalias ist jederzeit mit spontan errichteten Checkpoints der al Shabaab zu rechnen (AA 17.5.2022). Al Shabaab kontrolliert die Versorgungsrouten zwischen den meisten Städten (BS 2022, Sitzung 6). Außerhalb der tatsächlich von der Regierung und ihren Alliierten kontrollierten Gebieten besteht eine große Wahrscheinlichkeit, auf eine Straßensperre von al Shabaab zu stoßen (LI 28.6.2019, Sitzung 4/10). Straßensperren zielen in erster Linie auf die Einhebung von Steuern und Abgaben (BS 2022, Sitzung 6; vergleiche LI 28.6.2019, Sitzung 9f) ab, und in zweiter Linie darauf, Spione zu identifizieren. Generell ist es weder Ziel von al Shabaab, Menschen am Reisen zu hindern, noch sind Reisende selbst ein Ziel. Menschen können z. B. aus den Gebieten von al Shabaab in Städte reisen, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen (LI 28.6.2019, Sitzung 9f). Allerdings verhält sich al Shabaab an Straßensperren unberechenbar. Menschen können nie voraussehen, wie sie dort behandelt werden. Gebühren werden eingehoben, die Identität aller Reisenden wird verifiziert. Al Shabaab kennt den Hintergrund vieler Menschen, ihr Nachrichtendienst ist effizient (FIS 7.8.2020, Sitzung 28). Wenn also eine Person in eine solche Kontrolle gerät, und über diese Person im Rahmen der ausführlichen Netzwerke der al Shabaab eine Meldung vorliegt, dass diese Person z. B. vor ein paar Monaten negativ aufgefallen ist, dann kann dies zu Repressalien führen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 40).

Angst vor al Shabaab müssen in erster Linie jene Reisenden haben, die öffentlich Bedienstete sind oder die Verbindungen zur Regierung haben. Außerhalb größerer Städte können sie jederzeit auf eine Straßensperre von al Shabaab treffen (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 38). Sie befinden sich in Lebensgefahr. Dies gilt insbesondere an Straßensperren in jenen Gebieten, die nicht vollständig unter Kontrolle von al Shabaab stehen. Dort dürfen Spione standrechtlich – ohne Verfahren – exekutiert werden. In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab werden Verdächtige i. d. R. verhaftet und vor Gericht gestellt. Auch dies hat - bei einem Schuldspruch - den Tod zur Folge. Außerdem kann es Personen treffen, die von al Shabaab – etwa wegen des Mitführens von bestimmten Objekten (Smartphones, Regierungsdokumente, Symbole, die mit der Regierung assoziiert werden etc.) – als mit der Regierung in Zusammenhang stehend oder als Spione verdächtigt werden (LI 28.6.2019, Sitzung 9f). Auch Reisende, die im Gebiet der Reisebewegung weder über Familien- noch Clanverbindungen verfügen, können von al Shabaab unter Umständen als Spione verdächtigt werden (außer sie haben einen Bürgen). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Reiseziel der Person im von der al Shabaab kontrollierten Gebiet liegt (LI 28.6.2019, Sitzung 4/11).

Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit al Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor – etwa Auspeitschen (LI 28.6.2019, Sitzung 11). Reisende passen sich daher üblicherweise den Kleidungs- und Verhaltensvorschriften von al Shabaab an, um nicht herauszustechen (LI 28.6.2019, Sitzung 4).

Ausweichmöglichkeiten und Binnenmigration: Innerstaatliche Fluchtalternativen bestehen jedenfalls für einen Teil der somalischen Bevölkerung (ÖB 3.2020, Sitzung 12). Im Fall einer nicht durch individuelle Verfolgung begründeten Flucht aus von al Shabaab kontrollierten Gebieten bieten urbane Zentren und ländliche Gebiete unter staatlicher Kontrolle relativ größere Sicherheit. Dabei ist es schwierig, relativ sichere Zufluchtsgebiete pauschal festzulegen, denn je nach Ausweichgrund und persönlichen Umständen ist eine Person möglicherweise in einem anderen Gebiet Somalias dann von anderen Menschenrechtsverletzungen oder Verletzungen des humanitären Völkerrechts bedroht. Die soziale und wirtschaftliche Integration in „clanfremden“ Gebieten kann zum Teil schwierig sein (AA 28.6.2022, Sitzung 20).

Menschen aus Süd-/Zentralsomalia können sich auch in Somaliland und Puntland ansiedeln. Dort werden sie jedoch nur "halb" akzeptiert, in Somaliland kommen ihnen keine Staatsbürgerrechte zu (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25f). Trotzdem herrscht in Somaliland und Puntland (außer in den umstrittenen Gebieten) mehr Freiheit (AA 28.6.2022, Sitzung 20). Üblicherweise genießen Somalis außerdem den Schutz ihres eigenen Clans, weshalb man davon ausgehen kann, dass sie in Gebieten, in denen ihr Clan Einfluss genießt, grundsätzlich in Sicherheit sind (ÖB 3.2020, Sitzung 12). Selbst IDPs tun sich bei einer Integration leichter, wenn sie z. B. in Mogadischu über Beziehungen und Clanverbindungen verfügen. Manchmal helfen bei einer Integration auch spezielle berufliche Fähigkeiten (FIS 7.8.2020, Sitzung 36). Zudem gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. In Mogadischu und anderen großen Städten ist es nicht automatisch nachvollziehbar, welchem Clan eine Person angehört (LI 4.4.2016, Sitzung 9). Dort leben Angehörige aller somalischen Clans, sie können sich dort frei bewegen und auch niederlassen (FIS 7.8.2020, Sitzung 39).

Generell hat die Binnenmigration seit 2012 stark zugenommen, v. a. der Zuzug in urbane Gebiete. Menschen erhoffen sich in der Stadt eine bessere Zukunft und bessere Lebensbedingungen als etwa auf dem Land, wo wiederkehrende Dürren und Überschwemmungen ein nomadisches oder landwirtschaftliches Leben schwer gemacht haben (FIS 7.8.2020, Sitzung 36; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 16/24). Immer mehr Menschen flüchten und kommen nach Mogadischu (TG 8.6.2022).

Luftweg: Die sicherste Arte des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen (FIS 7.8.2020, Sitzung 29; vergleiche LI 28.6.2019, Sitzung 6f). Regierungsvertreter nutzen das Flugzeug, wo es nur geht (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 38). Von Mogadischu aus können Baidoa, Kismayo, Garoowe, Galkacyo, Bossaso, Cadaado und Guri Ceel mit Linienflügen erreicht werden (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 39). Anbieter ab Mogadischu gibt es auch für Flüge nach Cabudwaaq, Belet Weyne und Dhobley (EASO 9.2021a). Die Kosten für ein One-Way-Ticket im Binnenflugverkehr belaufen sich auf 100-150 US-Dollar (FIS 7.8.2020, Sitzung 29; vergleiche LI 28.6.2019, Sitzung 6f).

Eine effektive Ausreisekontrolle an den Grenzübergängen von Somalia in die Nachbarländer findet nicht statt. Sowohl die Landgrenze als auch die Seegrenze werden weitgehend nicht überwacht. Kontrollen werden dagegen bei Flugreisen ab Mogadischu, Garoowe und Bossaso durchgeführt (AA 28.6.2022, Sitzung 26).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Mai_2022%29%2C_28.06.2022.pdf, Zugriff 4.7.2022

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (17.5.2022): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/somaliasicherheit/203132#content_1, Zugriff 17.5.2022

             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 17.5.2022

             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (19.7.2022): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation, per e-Mail

             Bryden, Matt / The Elephant (8.11.2021): Fake Fight: The Quiet Jihadist Takeover of Somalia, https://www.theelephant.info/long-reads/2021/11/08/fake-fight-the-quiet-jihadist-takeover-of-somalia/#.YYjpCzdaMR4.twitter, Zugriff 25.5.2022

             BS - Bertelsmann Stiftung (2022): BTI 2022 - Somalia Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_SOM.pdf, Zugriff 15.3.2022

             EASO - European Asylum Support Office (9.2021a): Somalia – Key socio-economic indicators, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/2021_09_EASO_COI_Report_Somalia_Key_socio_economic_indicators.pdf, Zugriff 25.5.2022

             FH - Freedom House (2022a): Freedom in the World 2022 – Somalia, https://freedomhouse.org/country/somalia/freedom-world/2022, Zugriff 24.5.2022

             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645, Zugriff 6.5.2022

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             LI - Landinfo [Norwegen] (28.6.2019): Somalia: Praktiske og sikkerhetsmessige forhold på reise i Sør-Somalia, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2019/06/Somalia-temanotat-Praktiske-og-sikkerhetsmessige-forhold-på-reise-i-Sør-Somalia-28062019.pdf, Zugriff 18.12.2020

             LI - Landinfo [Norwegen] (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/03/Report-Somalia-Practical-issues-and-security-challenges-associated-with-travels-in-Southern-Somalia-4-April-2016.pdf, Zugriff 25.5.2022

             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (1.12.2021): Algemeen ambtsbericht Somalië, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068196/algemeen-ambtsbericht-somalie-21122021.pdf, Zugriff 11.5.2022

             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 11.5.2022

             PGN - Political Geography Now (2.2021): Somalia Control Map & Timeline - February 2021, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2021/02/somalia-control-map-2021.html

             RE - Radio Ergo (18.2.2021): Conflict along Hiran-Galmudug road affects jobs and local markets, https://radioergo.org/en/2021/02/18/conflict-along-hiran-galmudug-road-affects-jobs-and-local-markets/, Zugriff 25.5.2022

             Sahan - Sahan / Radio Dalsan (10.3.2021b): The Somali Wire Issue No. 99, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.radiodalsan.com/howlgal-lagu-furayo-waddooyin-ay-xireen-al-shaabab-oo-lagu-dhawaaqay/

             Sahan - Sahan / Gedo Times (2.3.2021b): The Somali Wire No. 93, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.gedotimes.com/2021/03/01/sawirobulshada-buulo-barde-oo-ka-cabanaya-godoon-ay-galiyeen-alshabaab/

             Sahan - Sahan / Badweyn Times (1.3.2021b): The Somali Wire No. 92, per e-Mail, Originallink auf Somalia: https://badweyntimes.net/sawirro-gaadiid-uu-fasaxay-al-shabaab-oo-gudaha-u-galay-jowhar-ujeedka/

             TG - The Guardian / Mohamed Ahmed, Fathi (8.6.2022): Mogadishu shops shuttered as soaring food prices add to desperation in Somalia, https://www.theguardian.com/global-development/2022/jun/08/mogadishu-shops-shuttered-as-soaring-food-prices-add-to-desperation-in-somalia, Zugriff 30.6.2022

             UNSC - UN Security Council (6.10.2021): Letter dated 5 October 2021 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council: Final report of the Panel of Experts on Somalia (S/2021/849), https://reliefweb.int/attachments/17a953bc-861a-348a-a59b-1e182f053030/S_2021_849_E.pdf, Zugriff 14.6.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_SOMALIA-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 21.4.2022

10.         Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

a.           Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 25.07.2022

Die somalische Regierung arbeitet mit dem UNHCR und IOM zusammen, um Flüchtlinge, zurückkehrende Flüchtlinge, Asylwerber, Staatenlose und andere relevante Personengruppen zu unterstützen. Der UNHCR setzt sich für den Schutz von IDPs ein und gewährt etwas an finanzieller Unterstützung (USDOS 12.4.2022, Sitzung 25f).

IDP-Zahlen: Rund 2,9 Millionen Menschen gelten als intern Vertriebene (UNSC 8.2.2022, Absatz 46,), davon sind ca. 1,9 Millionen Kinder (USDOS 12.4.2022, Sitzung 43). Im ersten Halbjahr 2021 wurden 359.000 Menschen durch Unsicherheit neu vertrieben (Vergleichszeitraum 2020: 134.000); 68.000 durch Dürre (45.000); 56.500 durch Überflutungen (453.200) (UNHCR 14.7.2021). Von Überflutungen waren v. a. Jowhar und Belet Weyne betroffen. 207.000 der im Jahr 2021 durch Unsicherheit Vertriebenen flohen temporär aus und innerhalb von Mogadischu, als es dort im April 2021 zu Zusammenstößen in Zusammenhang mit den Wahlen gekommen war (UNSC 10.8.2021, Absatz 51 f, f, ;, vergleiche AI 29.3.2022). Im Zeitraum November 2021 bis April 2022 wurden insgesamt ca. 650.000 Menschen durch die Dürre neu vertrieben (UNHCR 16.5.2022b).

Es gibt mehr als 2.400 IDP-Lager in Somalia (UNOCHA 10.2.2022). Die Migration vom Land in die Stadt hat zu einem enormen und unregulierten Städtewachstum geführt. Hinsichtlich der IDP-Zahlen müssen zwei Faktoren berücksichtigt werden: Einerseits gibt es für Somalia keine Zahlen zur "normalen" Urbanisierung. Andererseits werden in der Regel nur jene IDPs gezählt, die in Lagern wohnen. Mitglieder großer Clans kommen aber üblicherweise bei Verwandten unter und leben daher nicht in Lagern (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 16/26f). In Städten wurde die Urbanisierung durch den Zuzug vieler IDPs verstärkt. Dies hat zu einer hohen Nachfrage nach Land aber auch zu nochmaligen Zwangsräumungen geführt (SPC 9.2.2022).

Allerdings ist die Zahl dieser Zwangsräumungen seit 2019 rückläufig (SPC 9.2.2022). Im ersten Quartal 2022 wurden ca. 31.000 IDPs zwangsweise vertrieben (UNOCHA 12.4.2022). Zehntausende IDPs wurden auch 2021 vertrieben - v. a. in Mogadischu (HRW 13.1.2022). Im Jahr 2020 waren es insgesamt 143.000 gewesen - zwei Drittel davon im Großraum Mogadischu, außerdem auch in Baidoa und Kismayo. Insgesamt bleiben Zwangsräumungen von IDPs und armer Stadtbevölkerung ein Problem (AA 28.6.2022, Sitzung 22). Bewohner von Lagern leben daher in ständiger Ungewissheit, da sie immer eine Zwangsräumung befürchten müssen (FIS 7.8.2020, Sitzung 37). Die Mehrheit der betroffenen Menschen zog in der Folge in entlegene und unsichere Außenbezirke der Städte, wo es lediglich eine rudimentäre bzw. gar keine soziale Grundversorgung gibt (AA 28.6.2022, Sitzung 22).

Organisationen wie IOM versuchen, durch eine Umsiedlung von IDPs auf vorbereitete Grundstücke einer Zwangsräumung zuvorzukommen. So wurden z. B. in Baidoa 2019 1.000 IDP-Haushalte aus 15 Lagern auf mit der Stadtverwaltung abgestimmte Grundstücke umgesiedelt (IOM 25.6.2019; vergleiche RD 27.6.2019). Dort wurden zuvor Latrinen, Wasserversorgung, Straßenbeleuchtung und andere Infrastruktur installiert. Auch zwei Polizeistationen wurden gebaut. Den IDPs wurden außerdem Gutscheine für Baumaterial zur Verfügung gestellt (IOM 25.6.2019). Im November 2021 hat der SWS mehr als 4.300 Landbesitzurkunden im Neuansiedlungsgebiet Barwaaqo (Baidoa) ausstellt (UNSC 8.2.2022, Absatz 39,). Generell befinden sich derartige Relocation Areas am Stadtrand oder sogar weit außerhalb der jeweiligen Stadt. Allerdings bieten diese Lager wesentlich bessere Unterkünfte - etwa Häuser aus Wellblech oder sogar Stein (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 21).

Rechtliche Lage: Ende 2019 hat die Bundesregierung die Konvention der Afrikanischen Union zum Schutz von IDPs ratifiziert. Die Regionalverwaltung von Benadir (BAR) hat ein Büro für nachhaltige Lösungen für IDPs geschaffen. Auch eine nationale IDP-Policy wurde angenommen. Im Jänner 2020 präsentierte die BAR eine Strategie für nachhaltige Lösungen (UNOCHA 6.2.2020, Sitzung 4; vergleiche RI 12.2019, Sitzung 11f). Diesbezüglich wurden nationale Richtlinien zur Räumung von IDP-Lagern erlassen. Insgesamt sind dies wichtige Schritte, um die Rechte von IDPs zu schützen und nachhaltige Lösungen zu ermöglichen (RI 12.2019, Sitzung 4).

Menschenrechte: IDPs sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nicht-staatlichen – aber auch staatlichen – Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkung und Diskriminierung aufgrund von Clanzugehörigkeit sind an der Tagesordnung (AA 28.6.2022, Sitzung 22). Dies trifft in erster Linie Bewohner von IDP-Lagern – in Mogadischu v. a. jene IDPs, die nicht über Clanbeziehungen in der Stadt verfügen (FIS 7.8.2020, Sitzung 36). Weibliche und minderjährige IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung bzw. Missbrauch besonders gefährdet (USDOS 12.4.2022, Sitzung 26; vergleiche UNSC 8.2.2022, Absatz 46,). Für IDPs in Lagern gibt es keinen Rechtsschutz, und es gibt in Lagern auch keine Polizisten, die man im Notfall alarmieren könnte (FIS 7.8.2020, Sitzung 36).

Versorgung: In Mogadischu sind die Bedingungen für IDPs in Lagern hart. Oft fehlt es dort an simplen Notwendigkeiten, wie etwa Toiletten (FIS 7.8.2020, Sitzung 36). Landesweit fehlen in 80 % der IDP-Lager Wasserstellen – v. a. in Benadir, dem SWS und Jubaland (UNOCHA 1.2021, Sitzung 5). Die Rate an Unterernährung ist hoch, der Zugang zu grundlegenden Diensten eingeschränkt (RI 12.2019, Sitzung 9). Es mangelt ihnen zumeist an Zugang zu genügend Lebensmitteln und akzeptablen Unterkünften (ÖB 3.2020, Sitzung 12). Allerdings ist der Zustand von IDP-Lagern unterschiedlich. Während die neueren meist absolut rudimentär sind, verfügen ältere Lager üblicherweise über grundlegende Sanitär-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen (FIS 7.8.2020. Sitzung 36). Oft wurde dort auch eine Nachbarschaftshilfe aufgebaut (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Trotzdem werden noch weniger Kinder von IDPs eingeschult, als es schon bei anderen Kindern der Fall ist (USDOS 12.4.2022, Sitzung 42).

Unterstützung: Die EU unterstützte über das Programm RE-INTEG Rückkehrer, IDPs und Aufnahmegemeinden. Dafür wurden 55 Millionen Euro zur Verfügung gestellt [siehe dazu Kapitel Rückkehrspezifische Grundversorgung] (EC o.D.). Damit wurde unter anderem für 7.000 Familien aus 54 IDP-Lagern in Baidoa Land beschafft, welches diesen permanent als Eigentum erhalten bleibt, und auf welchem sie siedeln können (EC 13.7.2019). Die Weltbank stellt für fünf Jahre insgesamt 112 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Mit diesem Geld soll die städtische Infrastruktur verbessert werden, wovon sowohl autochthone Stadtbewohner als auch IDPs profitieren sollen (RI 12.2019, Sitzung 18f). Andere Programme für nachhaltige Lösungen werden von UN-HABITAT, dem Norwegian Refugee Council und der EU finanziert oder geführt (RI 12.2019, Sitzung 9). Im März 2022 startete die Bundesregierung gemeinsam mit den UN ein vier-Jahres-Programm namens Saameynta. Mit diesem Programm soll mehr als 75.000 IDPs und Aufnahmegemeinden in Baidoa, Belet Weyne und Bossaso geholfen werden. Vor allem sollen die Abhängigkeit von humanitärer Hilfe und die Armut reduziert sowie die Integration der IDPs in den Städten gefördert werden. Das Programm umfasst den Zugang zu Wasser, Unterkunft und medizinischer Versorgung. IOM setzt das Programm in Partnerschaft mit der Bundesregierung, UNDP und UNHABITAT um (UNOCHA 12.4.2022). Im März 2021 konnte IOM knapp 7.000 IDPs aus Baidoa in das IDP-Lager Barwaaqo übersiedeln, wo schon 2019 mehr als 6.000 IDPs angesiedelt worden waren. Das Land für dieses Lager wurde von der Lokalverwaltung zur Verfügung gestellt. In Barwaaqo bekommen Familien ein Stück Land, auf dem eine Unterkunft errichtet und ein Garten betrieben werden kann. Die Familien erhalten zudem finanzielle Unterstützung. Zwei Jahre nach der Umsiedlung erhalten die Familien dann auch Rechtsanspruch auf den von ihnen genutzten Grund (IOM 9.3.2021a).

Die Situation von IDPs in Puntland wird von NGOs als durchaus positiv beschrieben, sie können z. B. geregelter Tätigkeit nachgehen (ÖB 3.2020, Sitzung 12). Es gibt Anzeichen dafür, dass in Puntland aufhältige IDPs aus anderen Teilen Somalias dort permanent bleiben können und dieselben Rechte genießen wie die ursprünglichen Einwohner (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 9).

Flüchtlinge: Die Zahl ausländischer Flüchtlinge wird als sehr gering eingeschätzt (AA 28.6.2022, Sitzung 22). Im April 2022 befanden sich ca. 33.000 Flüchtlinge Asylwerber im Land, etwa die Hälfte davon in Somaliland (UNHCR 10.5.2022). Sie stammen fast zur Gänze aus Äthiopien (68,5 %), dem Jemen (27,5 %) und Syrien (3,5 %) (UNHCR 10.5.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022, Sitzung 26f). Asylwerbern aus dem Jemen wird prima facie der Asylstatus zuerkannt (USDOS 12.4.2022, Sitzung 26f). Der UNHCR betreibt ein Unterstützungs- und Integrationsprogramm zur möglichst schnellen Eingliederung von Flüchtlingen in das öffentliche Leben (AA 28.6.2022, Sitzung 23).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Mai_2022%29%2C_28.06.2022.pdf, Zugriff 4.7.2022

             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 17.5.2022

             AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22, The State of the World's Human Rights - Somalia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070229.html, Zugriff 6.4.2022

             EC - European Commission (13.7.2019): 7,000 Displaced Families in Baidoa Have A New Home, https://reliefweb.int/report/somalia/7000-displaced-families-baidoa-have-new-home, Zugriff 18.5.2022

             EC - European Commission (o.D.): EU Emergency Trust Fund for Africa – RE-INTEG, https://ec.europa.eu/trustfundforafrica/region/horn-africa/somalia/re-integ-enhancing-somalias-responsiveness-management-and-reintegration_en, Zugriff 18.5.2022

             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645, Zugriff 6.5.2022

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066476.html, Zugriff 3.2.2022

             IOM - Internationale Organisation für Migration (9.3.2021a): IOM Somalia Relocates Nearly 7,000 Internally Displaced Persons Facing Eviction, https://www.iom.int/news/iom-somalia-relocates-nearly-7000-internally-displaced-persons-facing-eviction, Zugriff 18.5.2022

             IOM - Internationale Organisation für Migration (25.6.2019): In Somalia, IOM Begins Relocating Families at Risk of Eviction, https://www.iom.int/news/somalia-iom-begins-relocating-families-risk-eviction, Zugriff 18.5.2022

             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf, Zugriff 18.5.2022

             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 11.5.2022

             RD - Radio Dalsan (27.6.2019): UN relocates 3,900 IDPs to new sites in Somalia, https://www.radiodalsan.com/en/2019/06/27/un-relocates-3900-idps-to-new-sites-in-somalia/, Zugriff 18.5.2022

             RI - Refugees International (12.2019): Durable Solutions in Somalia, Moving from Policies to Practice for IDPs in Mogadishu, https://static1.squarespace.com/static/506c8ea1e4b01d9450dd53f5/t/5dfa4e11ba6ef66e21fbfd17/1576685091236/Mark+-+Somalia+-+2.0.pdf, Zugriff 18.5.2022

             SPC - Somalia Protection Cluster (9.2.2022): Protection Analysis Update, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOM_PAU_Somalia-Protection-Analysis_Feb2022.pdf, Zugriff 25.5.2022

             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (16.5.2022b): Somalia: Drought Displacement Monitoring Dashboard (April 2022), https://reliefweb.int/attachments/3404f73f-b4d8-4919-9b46-3c962cd1fb1f/20220516_Somalia_Drought%20Displacement%20Monitoring%20Dashboard-April.pdf, Zugriff 18.5.2022

             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (10.5.2022): Somalia: Refugees and Asylum-seekers as of 30 April 2022, https://reliefweb.int/attachments/09489c89-b148-3c69-b1eb-3aa51c6040d6/EXTERNAL%20UNHCR%2C%20Somalia%2C%20Monthly%20report%20on%20registered%20Refugees%20and%20Asylum-seekers%20April%202022_u.pdf, Zugriff 18.5.2022

             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (14.7.2021): Somalia - Internal Displacements Monitored by Protection & Return Monitoring Network (PRMN) - June 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2056012/UNHCR_Somalia_PRMN_InternalDisplacements_June_2021.pdf, Zugriff 18.5.2022

             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (12.4.2022): Somalia Humanitarian Bulletin, March 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Somalia_%20Humanitarian%20Bulletin_March_%202022_FINAL%20-%20for%20publication_0.pdf, Zugriff 18.5.2022

             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (10.2.2022): Somalia Humanitarian Bulletin, January 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Humanitarian%20Bulletin%20January%202022%20%20final%20ver.pdf, Zugriff 18.5.2022

             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (1.2021): Somalia Humanitarian Bulletin, January 2021, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-humanitarian-bulletin-january-2021-enso, Zugriff 18.5.2022

             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (6.2.2020): Somalia Humanitarian Bulletin, 1 January – 6 February 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024797/January+2020+Humanitarian+Bulletin+eo+rev+M.pdf, Zugriff 18.5.2022

             UNSC - UN Security Council (8.2.2022): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2022/101], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068141/S_2022_101_E.pdf, Zugriff 21.2.2022

             UNSC - UN Security Council (10.8.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/723], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058501/S_2021_723_E.pdf, Zugriff 18.5.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_SOMALIA-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 21.4.2022

11.         Grundversorgung/Wirtschaft

a.           Süd-/Zentralsomalia, Puntland

i.           Wirtschaft und Arbeit

Letzte Änderung: 27.07.2022

Mehrere Schocks haben die Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Erholung des Landes unterminiert, darunter Überschwemmungen, eine Heuschreckenplage und die Covid-19-Pandemie (AFDB 25.5.2022). Die somalische Wirtschaft hat sich allerdings als resilienter erwiesen, als zuvor vermutet: Ursprünglich war für 2020 ein Rückgang des BIP um 2,5 % prognostiziert worden (UNSC 13.11.2020, Absatz 17,), tatsächlich sind es dann nur minus 0,4 % geworden (UNSC 10.8.2021, Absatz 17,). Für 2021 war ein Wachstum von 2,4 % prognostiziert (WB 6.2021, S, 20), geworden sind es dann 2,9 % (RD 30.6.2022). Für das Jahr 2022 prognostiziert die Weltbank ein Wachstum von 3,2 % (WB 6.2021, Sitzung 20).

Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Erholung sind Remissen und anhaltende Investitionen (UNSC 17.2.2021, Absatz 19,). Ein resilienter Privatsektor und starke Remissen aus der Diaspora bleiben Grundlage für Optimismus. Zudem gibt es unentwickelte Möglichkeiten aufgrund der Urbanisierung, sowie auf den Gebieten neuer Technologien, Bildung und Gesundheit Ausschussbericht 22.6.2022). Die Geldrückflüsse nach Somalia sind 2021 im Vergleich zu 2020 noch einmal gestiegen, von 30,8 % des BIP auf 31,3 % (AFDB 25.5.2022). Neben der Diaspora (VICE 1.3.2020) sind auch zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) tatkräftig dabei, das Land wiederaufzubauen (ÖB 3.2020, Sitzung 20). Das Maß an privaten Investitionen bleibt konstant. Die Inflation lag 2021 bei 4,6 %, für 2022 werden aufgrund höherer Nahrungsmittel- und Treibstoffpreise sowie der herrschenden Dürre 9,4 % prognostiziert (AFDB 25.5.2022).

Allerdings war das Wirtschaftswachstum schon in besseren Jahren für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern hätte können (UNSC 21.12.2018, Sitzung 4). Der Bevölkerungszuwachs nivelliert das Wirtschaftswachstum und hemmt die Reduzierung von Armut (BS 2022, Sitzung 30). Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt 875 US-Dollar (BS 2022, Sitzung 3). Zusätzlich bleibt die somalische Wirtschaft im Allgemeinen weiterhin fragil. Dies hängt mit der schmalen Wirtschaftsbasis zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist von Landwirtschaft und Fischerei abhängig und dadurch externen und Umwelteinflüssen besonders ausgesetzt (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Landwirtschaft, Handel, Kommunikation und mobile Geldtransferdienste tragen maßgeblich zum BIP bei; alleine die Viehwirtschaft macht rund 60% des BIP (BS 2022, Sitzung 31) und 80 % der Exporte aus (BS 2022, Sitzung 25). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft schwierig bis unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB 3.2020, Sitzung 2/15) bzw. sind vertrauenswürdige Daten kaum vorhanden (BS 2022, Sitzung 30).

Al Shabaab und andere nicht staatliche Akteure behindern kommerzielle Aktivitäten in Bakool, Bay, Gedo und Hiiraan (USDOS 12.4.2022, Sitzung 25).

Staatshaushalt: Die Regierung ist stark abhängig von externer Hilfe. Ein Großteil der Regierungsausgaben wird durch externe Akteure bezahlt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29; vergleiche BS 2022, Sitzung 40). Alleine die offizielle Entwicklungshilfe betrug 2019 1,9 Milliarden US-Dollar – 40 % des BIP (BS 2022, Sitzung 40). Aufgrund der fehlenden Kontrolle über das Territorium – aber auch hinsichtlich technischer Fähigkeiten – war die Regierung bisher nicht in der Lage, ein nationales Steuersystem aufzubauen. Selbst für grundlegende Staatsausgaben ist das Land auf externe Geber angewiesen (BS 2022, Sitzung 36).

Das Budget für das Jahr 2022 beträgt ca. 919 Millionen US-Dollar (HO 30.6.2022). Nach anderen Angaben ist für das Jahr 2022 ein Staatsbudget von 699 Millionen US-Dollar vorgesehen. 2021 waren es 671 Millionen, 2020 476 Millionen (GN 1.11.2021) und 2019 344 Millionen (SPA 18.3.2021). 38 % der Staatsausgaben entfallen auf Verteidigung und Sicherheit (BS 2022, Sitzung 28), in den Jahren 2017 bis 2021 waren es durchschnittlich 31 % (AI 18.8.2021, Sitzung 19). 2021 betrugen die Staatseinnahmen 648 Millionen US-Dollar, davon stammten 388 Millionen von Geberländern. Für 2022 werden 410 Millionen US-Dollar, gespendet von Geberländern, eingeplant (GN 1.11.2021). Von den Bundesstaaten gelingt es neben Puntland nur Jubaland, ein relevantes Maß an Einnahmen selbst zu generieren (WB 6.2021, Sitzung 16).

Im Jahr 2020 hatte Somalia mit der Normalisierung der Beziehungen zu internationalen Finanzinstitutionen (Weltbank, Währungsfonds, Afrikanische Entwicklungsbank) einen Meilenstein erreicht. Das Land kann wieder partizipieren (HIPS 2021, Sitzung 4/23).

Arbeitsmarkt: Es gibt kein nationales Mindesteinkommen. Ca. 95 % der Berufstätigen arbeiten im informellen Sektor (USDOS 12.4.2022, Sitzung 48). In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund sowie vom Ort ab (BS 2022, Sitzung 30).

Das Unternehmertum spielt in der somalischen Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Schätzungen zufolge werden alleine dadurch mehr als drei Viertel aller Arbeitsplätze geschaffen (WB 22.3.2022). Zum Beispiel hat der Telekom-Konzern Hormuud Telecom in den vergangenen Jahren tausende Arbeitsplätze geschaffen und beschäftigt heute mehr als 20.000 Frauen und Männer (EAT 14.2.2021). Überhaupt sind zwei Drittel der aktiven Erwerbsbevölkerung Selbständige (WB 13.7.2022)

Einerseits wird berichtet, dass die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge und zurückkehrende Flüchtlinge in Süd-/Zentralsomalia limitiert sind. So berichten etwa Personen, die aus Kenia zurückgekehrt sind, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 27). Andererseits wird ebenso berichtet, dass die besten Jobs oft an Angehörige der Diaspora fallen – etwa wegen besserer Sprachkenntnisse (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Am Arbeitsmarkt spielen Clanverbindungen eine Rolle (USDOS 12.4.2022, Sitzung 48). Gerade, um eine bessere Arbeit zu erhalten, ist man auf persönliche Beziehungen und das Netzwerk des Clans angewiesen. Dementsprechend schwer tun sich IDPs, wenn sie vor Ort über kein Netzwerk verfügen; meist sind sie ja nicht Mitglieder der lokalen Gemeinde (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen (DI 6.2019, Sitzung 22f; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden (OXFAM 6.2018, Sitzung 10); außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise (DI 6.2019, Sitzung 22f). Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem wird von Ausbeutung und Unterbezahlung berichtet (OXFAM 6.2018, Sitzung 10).

Ende Mai 2022 hat die Regierung die National Youth Development Initiative gestartet. Mit dieser sollen Arbeitsplätze für Jugendliche geschaffen werden (WB 13.7.2022). Zuvor hatte die von der EU finanzierte Dalbile Youth Initiative darauf abgezielt, junge Menschen mit Fähigkeiten und Ressourcen auszustatten und z. B. Start-ups mit bis zu 2.000 US-Dollar zu fördern (UNFPA 2.3.2021b). UNFPA und die EU unterstützen in Puntland Start-ups von Jungunternehmern – etwa im Bereich Fischfang, Modedesign oder Hotellerie – mit Ausbildung, Know-how und finanziellen Mitteln. Das Programm läuft jedenfalls bis 2024 (UNSC 10.8.2021, Absatz 35,).

Einkommen, Tätigkeiten: An Arbeitstätigkeiten genannt werden: Träger am Bau; Arbeiten am Hafen (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f) Köhler; Hilfsarbeiter am Bau; Koranlehrer; Rickshaw-Fahrer; Transporteur mit einer Eselkarre; Transporteur mit einer Scheibtruhe (Khalil 1.2019, Sitzung 30). Arzt; Krankenschwester (FIS 5.10.2018, Sitzung 36); Universitätslektor (TG 8.6.2022); angestellte und selbstständige Überlandfahrer; Fleischverkäufer (RE 18.2.2021); Magd; Hausangestellte; Wäscherin; Marktverkäuferin. In der Verwaltung sind nur wenige Stellen verfügbar, besser stellt sich die Situation bei Polizei und Armee dar. Viele Menschen leben vom Kleinhandel oder von ihrer Arbeit in Restaurants oder Teehäusern. Allerdings ist eine Arbeit in der Gastwirtschaft mit niedrigem Ansehen verbunden. Die Mehrheitsbevölkerung ist derartige Tätigkeiten sowie jene auf Baustellen äußerst abgeneigt. Dort finden sich vielmehr marginalisierte Gruppen – z. B. IDPs – die oft auch als Tagelöhner arbeiten. Weibliche IDPs arbeiten als Mägde, Hausangestellte oder Wäscherinnen. Manche verkaufen Früchte auf Märkten (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Durch den Niedergang der Landwirtschaft, der maßgeblich durch die Dürre verursacht worden ist, ist auch die Nachfrage nach Arbeitskräften in der Landwirtschaft gesunken bzw. haben sich die Löhne dort verringert (IPC 4.6.2022).

Arbeitslosenquote: Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch (USDOS 12.4.2022, Sitzung 27), wobei es zu konkreten Zahlen unterschiedlichste und teils widersprüchliche Angaben gibt: Laut einer Quelle lag die Erwerbsquote (labour force participation) 2018 bei Männern bei 58 %, bei Frauen bei 37 % (UNSC 21.12.2018, Sitzung 4). Die Zahl für Frauen wird auch von einer Quelle im Jahr 2021 erwähnt (SLS 6.4.2021). Eine Quelle nennt 2022 eine Jugendarbeitslosigkeit (15-29 Jahre) von 68 % (RD 10.6.2022). Eine weitere Quelle erklärte 2016, dass 58 % der männlichen Jugendlichen (Altersgruppe 15-35) ökonomisch aktiv waren, während drei von zehn Jugendlichen arbeitslos waren (UNFPA 8.2016, Sitzung 4). In einer anderen Quelle wird die Arbeitslosenrate für 2020 mit 13,1 % angeführt (BS 2022, Sitzung 23); die Weltbank nennt für das Jahr 2021 für ganz Somalia eine Arbeitslosenquote bei der Erwerbsbevölkerung von 19,9 % (WB 2022). Eine weitere Quelle nannte 2018 bei 15-24-Jährigen eine Quote von 48 % (OXFAM 6.2018, Sitzung 22, FN8) und eine andere Quelle berichtet 2020 von einer Arbeitslosenquote von 47,4 % bei der erwerbstätigen Bevölkerung (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben hingegen nur 14,3 % der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6 %, Kismayo 13 %, Baidoa 24 %) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von „arbeitslos“ unklar ist (z. B. informeller Sektor) (IOM 2.2016).

Nach Angaben einer Quelle hat sich die Arbeitslosigkeit - und damit auch die Armut - infolge der Covid-19-Pandemie verstärkt. 21 % mussten ihre Arbeit niederlegen; und das, obwohl nur 55 % der Bevölkerung überhaupt am Arbeitsmarkt teilnehmen. 78 % der Haushalte berichteten über einen Rückgang des Einkommens (WB 6.2021, Sitzung 23).

[Zur Arbeitsmarktlage in Somalia gibt es kaum aktuelle, v. a. kaum detaillierte Informationen.] In einer eingehenden Analyse hat UNFPA im Jahr 2016 Daten zur Ökonomie in der somalischen Gesellschaft erhoben. Dabei wird festgestellt, dass nur knapp die Hälfte der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (15-64) überhaupt am Arbeitsleben teilnimmt. Der Rest ist „ökonomisch inaktiv“; in diese Gruppe fallen in erster Linie Hausfrauen, gefolgt von Schülern/Studenten, pensionierten oder arbeitsunfähigen Personen. Bei den ökonomisch Aktiven wiederum finden sich in allen Lebensbereichen deutlich mehr Männer (UNFPA 2016):

●             Ländlich: 68,8 % der Männer - 40,5 % der Frauen

●             Urban: 52,6 % der Männer - 24,6 % der Frauen

●             IDP-Lager: 55,2 % der Männer - 32,6 % der Frauen

●             Nomaden: 78,9 % der Männer - 55,6 % der Frauen (UNFPA 2016)

Aufgeschlüsselt für Puntland und Süd-/Zentralsomalia ergibt sich aus den UNFPA-Daten, dass dort 44,4 % der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeiten. 11,4 % gelten als Arbeitssuchende. 44,2 % der Bevölkerung sind ökonomisch inaktiv. Als arbeitend werden in der Studie folgende Personen bezeichnet: jene, die in den der Erhebung vorangegangenen zwölf Monaten bezahlter Arbeit nachgegangen sind oder selbstständig waren. Darunter fällt auch unbezahlte (aber produktive) Arbeit in der Familie, bei welcher direkt Einkommen generiert wird (etwa Viehhüten, Arbeit am eigenen Ackerland; Wirtschaftstreibende, Dienstleister im eigenen Betrieb). Als arbeitslos werden jene Personen bezeichnet, die in diesen zwölf Monaten nach Arbeit gesucht haben und bereit waren, eine Arbeit anzunehmen (UNFPA 2016, Sitzung 29).

In der gleichen Studie wurde der Status bzgl. Arbeit auch auf Geschlechter heruntergebrochen. Folglich waren zum damaligen Zeitpunkt in Puntland und Süd-/Zentralsomalia 13,8 % der Männer und 9 % der Frauen im Alter von 15-64 Jahren auf der Arbeitssuche, wohingegen 55,8 % der Männer und 32,9 % der Frauen einer Arbeit nachgingen (UNFPA 2016, Sitzung 31).

Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen in Puntland und Süd-/Zentralsomalia arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (65,6 %).

Frauen: Der vor allem unter Männern vorherrschende Khat-Konsum, der im langjährigen Konflikt geforderte Blutzoll an der männlichen Bevölkerung und die hohe Scheidungsrate haben dazu geführt, dass Frauen immer mehr in ehemals männlich dominierte Wirtschaftsbereiche vorstoßen – etwa bei der Viehzucht, in der Landwirtschaft und im Handel. Frauen tragen nunmehr oft den Hauptteil zum Familieneinkommen bei (ICG 27.6.2019, Sitzung 10f). Gerade auch die Hungersnot von 2011 und die Dürre 2016/17 haben den Vorstoß von Frauen in männliche Domänen weiter vorangetrieben (DI 6.2019, Sitzung 22). In Süd-/Zentralsomalia und Puntland sind Frauen in 43 % der Haushalte mittlerweile die Hauptverdiener (OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Frauen spielen - außer bei den großen Betrieben - eine führende Rolle beim Unternehmertum. In Mogadischu und Bossaso sind ca. 45 % der formellen Unternehmen im Besitz von Frauen (WB 22.3.2022).

Trotzdem bietet sich für vom Land in Städte ziehende Frauen meist nur eine Tätigkeit als z. B. Wäscherin an, da es diesen Frauen i. d. R. an Bildung und Berufsausbildung mangelt. Allerdings können sie z.B. auch als Kleinhändlerin tätig werden. Sie verkaufen Treibstoff, Milch, Fleisch, Früchte, Gemüse oder Khat auf Märkten oder auf der Straße. 80 % - 90 % des derart betriebenen Handels wird von Frauen kontrolliert. Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f), oder sie verkaufen Kleidung und Essen (RE 19.2.2021). Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin (OXFAM 6.2018, Sitzung 10) oder aber auch auf Baustellen (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 10). All diese Tätigkeiten führen Frauen jenseits des ihnen traditionell zugeschriebenen Bereichs des eigenen Haushalts aus (OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Natürlich gibt es für Frauen auch weiterhin kulturelle Einschränkungen bezüglich der Berufsausübung, z. B. können sie nicht Taxifahrerin werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f). Sie haben hinsichtlich Einkommensmöglichkeiten eine eingeschränkte Auswahl. Von Frauen abgehaltene Workshops (z. B. Schneiderei-, Henna- und Kochkurse) in Mogadischu tragen zur Verbesserung der Situation bei (DW 11.3.2021). Allerdings ist auch bekannt, dass Frauen eine geringere Aussicht auf eine Vollzeitanstellung haben (SLS 6.4.2021).

Lebensunterhalt: Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, kleine Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar (BS 2022, Sitzung 25f). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1 %). 6,9 % arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8 % als Handwerker, 4,7 % als Techniker, 4,1 % als Hilfsarbeiter und 2,3 % als Manager (UNFPA 2016, Sitzung 22).

Die Mehrheit der IDPs verdingt sich als Tagelöhner. Frauen gehen oft von Tür zu Tür und bieten ihre Dienste an, etwa als Wäscherinnen oder in der Hausarbeit. Männer gehen häufig auf Baustellen - die Städte werden ja wieder aufgebaut und daher braucht es auch viele Tagelöhner. Die begehrtesten Jobs sind jene auf Baustellen, wo der Verdienst höher ist als in anderen Bereichen. Es gibt auch viele Kleinstunternehmer beiderlei Geschlechts. Dabei bekommen die Menschen nicht immer einen Job, sie arbeiten z. B. nur 2-3 Tage in der Woche. Daneben gibt es humanitäre Hilfe, aber damit sind die Menschen nicht ausreichend versorgt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Nach anderen Angaben bieten NGOs und der Privatsektor den Menschen grundlegende Dienste – vor allem in urbanen Zentren (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Zudem haben Menschen in IDP-Lagern - v. a. wenn sie länger dort leben - in der Regel auch eine Nachbarschaftshilfe aufgebaut (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23).

In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60 %) und von Verwandten im Ausland (27 %) versorgt zu werden (IOM 2.2016, Sitzung 42f). Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/32f; vergleiche GIGA 3.7.2018) bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen – z. B. bei Krankenkosten – und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus (GIGA 3.7.2018). Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 9/32ff). Erweiterte Familie und Clan stellen also das grundlegende soziale Sicherheitsnetz dar (BS 2022, Sitzung 29).

Aufgrund des Fehlens eines formellen Bankensystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debt-credit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clanverbindungen eine wichtige Rolle – und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greißler anschreiben lassen (RVI 9.2018, Sitzung 4). Zusätzlich ist es 2019 gelungen, die Gargaara Company Ltd. zu etablieren. Über diese Institution werden Kredite an Mikro-, Klein- und mittlere Unternehmen vergeben. Gargaara spielt auch beim Abfedern von Auswirkungen der Covid-19-Pandemie eine Rolle (WB 6.2021, Sitzung 7).

Die Inflation zeigt Auswirkungen auf die Bewertung von Einkommen. Ein Universitätslektor in Mogadischu erörtert, dass vorher 130 US-Dollar ausgereicht haben, um für die Kinder Milch und Nahrung zu besorgen. Nun aber reichen nicht einmal 250 US-Dollar. Er verdient 800 US-Dollar und damit konnte er mit seiner Frau und sieben Kindern ein komfortables Leben führen. Jetzt erklärt er, kaum alle lebenswichtigen Kosten abdecken zu können (TG 8.6.2022).

Remissen: Im Jahr 2020 wurden insgesamt 2,8 Milliarden US-Dollar (2019: 2,3 Milliarden) nach Somalia zurück überwiesen. Davon flossen 1,6 Milliarden an Privathaushalte (2019: 1,3 Milliarden) (WB 6.2021, Sitzung 11f). Wie erwähnt, sind für viele Haushalte Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle (FIS 7.8.2020, Sitzung 34) bzw. ermöglichen sie es vielen somalischen Staatsbürgern, den Lebensunterhalt zu bestreiten (BS 2022, Sitzung 26). Diese Remissen, die bis zu 40% eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen also wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei (BS 2022, Sitzung 29) und fördern die Resilienz der Haushalte (DI 6.2019, Sitzung 5). Städtische Haushalte erhalten viel eher regelmäßige monatliche Remissen, dort sind es 72 %. Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Überweisungen beträgt 229 US-Dollar (RVI 9.2018, Sitzung 1f). IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen (DI 6.2019, Sitzung 28). Auch die Bevölkerung in Südsomalia – und hier v. a. im ländlichen Raum – empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist (RVI 9.2018, Sitzung 2).

Mindestens 65 % der Haushalte, welche Remissen beziehen, erhalten diese regelmäßig (monatlich), der Rest erhält sie anlassbezogen oder im Krisenfall. Remissen können folglich Fluktuationen im Einkommen bzw. gestiegene Ausgaben ausgleichen. Dies ist gerade in Zeiten einer humanitären Krise - etwa jener von 2017 - wichtig. Durch Remissen können Haushalte Quantität und Qualität der für den Haushalt besorgten Lebensmittel verbessern, und ein sehr großer Teil der Überweisungen wird auch für Lebensmittel aufgewendet. Zusätzlich wird in Somalia in Zeiten der Krise auch geteilt. Menschen bitten z.B. andere Personen, von welchen sie wissen, dass diese Remissen erhalten, um Hilfe (RVI 9.2018, Sitzung 2f).

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ii.         Grundversorgung und humanitäre Lage

Letzte Änderung: 27.07.2022

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Regelmäßig wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen wie auch Überflutungen, zuletzt auch die Heuschreckenplage, die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zu einem Land mit hohen humanitären Nöten (AA 28.6.2022, Sitzung 4/23). Öffentliche Dienste gibt es kaum, meist finden sich Angebote wie Wasser- und Stromversorgung sowie Bildung und Gesundheitsdienste bei privaten Dienstleistern. Für viele Menschen sind derartige Dienste nur schwer oder gar nicht zugänglich (BS 2022, Sitzung 11). Der Gouverneur der somalischen Zentralbank erklärt, dass es für die Zurverfügungstellung eines finanziellen Sicherheitsnetzes für Bedürftige seitens der Regierung keinerlei budgetären Spielraum gibt (BB 29.6.2022).

Armut: Rund 70 % der Bevölkerung müssen mit weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag auskommen und leben damit unterhalb der Armutsgrenze (SPC 9.2.2022; vergleiche BS 2022, Sitzung 23; UNSC 8.2.2022, Absatz 44,). Die Covid-19-Krise hat die Zahlen noch einmal ansteigen lassen (SPC 9.2.2022). Es gibt viele IDPs und Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten (USDOS 12.4.2022, Sitzung 43). Generell sind somalische Haushalte aufgrund von Naturkatastrophen, Epidemien, Verletzung oder Tod für Notsituationen anfällig. Mangelnde Bildung, übermäßige Abhängigkeit von landwirtschaftlichem Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit, geringer Wohlstand und große Haushaltsgrößen tragen weiter dazu bei (ÖB 3.2020, Sitzung 14). 60 % der Somali sind zum größten Teil von der Viehzucht abhängig, 23 % sind Subsistenz-Landwirte (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Zwei Drittel der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Sie sind absolut vom Regen abhängig. In den vergangenen Jahren haben Frequenz und Dauer von Dürren zugenommen. Deswegen wurde auch die Kapazität der Menschen, derartigen Katastrophen zu begegnen, reduziert. Mit jeder Dürre wurden ihre Vermögenswerte reduziert: Tiere starben oder wurden zu niedrigen Preisen verkauft, Ernten blieben aus; es fehlt das Geld, um neues Saatgut anzuschaffen (TG 8.7.2019).

Dürre, Regenfälle, Überschwemmungen: Überschwemmungen und Dürre stellen für Somalia kein neues Phänomen dar. Immer spielt Wasser eine Rolle: Entweder gibt es zu viel davon, oder zu wenig. Derartige Katastrophen ereignen sich seit Jahrzehnten. Allein in den letzten fünfzig Jahren wurden drei Millionen Menschen durch Dürre und Hunger vertrieben. Im Zuge der Dürre im Jahr 1973 in Nordsomalia wurden mehr als 100.000 Familien nach Lower Shabelle und in die Juba-Regionen übersiedelt. Bei der Hungersnot in den Jahren 1991-1992 starben 300.000 Menschen, im Jahr 2011 mehr als 260.000 – die Hälfte davon Kinder unter fünf Jahren (Ali 28.1.2022). Seit 1990 hat Somalia zwölf Dürren und 19 Flutkatastrophen durchlebt (AJ 19.11.2021). Doch auch wenn Dürren in dieser afrikanischen Region üblich sind, werden sie tendenziell schlimmer (DW 17.6.2022). Somalia ist hinsichtlich des Klimawandels als Frontstaat zu bezeichnen und hat in Ostafrika bislang den größten Temperaturanstieg zu verzeichnen (HIPS 8.2.2022, Sitzung 13; vergleiche DW 17.6.2022).

So stehen Somalia und Somaliland diesmal vor einer der schlimmsten Dürren der vergangenen Jahrzehnte, nachdem vier Regenzeiten in Folge schlecht ausgefallen sind, und zuvor eine Heuschreckenplage geherrscht hat (MSF 7.6.2022; vergleiche FAO 14.6.2022; UNN 7.6.2022). Mehr als 80 % des Landes befinden sich bereits jetzt in schwerer oder extremer Dürre. Damit kann die Situation mit jenen der Jahre 2010/11 und 2016/17 verglichen werden (FAO 14.6.2022). Bereits am 23.11.2021 hat die Bundesregierung aufgrund der anhaltenden Dürre den Notstand ausgerufen (GN 24.11.2021a; vergleiche PGN 12.2021). Die sich verschlechternde Lage bei der Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung und der Ernährungssituation wird von der seit 2020 mehrfach vorkommenden Dürre, von Unsicherheit und Konflikt in Süd-/Zentralsomalia und von durch globale Ereignisse verursachte Preisschocks angetrieben. Dabei sind die Bewältigungsstrategien der Menschen in den vorangehenden Jahren ohnehin durch Nahrungsmittelengpässe, Klimaschocks, Krankheiten, Heuschrecken und die Covid-19-Pandemie erodiert (UNOCHA 12.4.2022; vergleiche IPC 4.6.2022). Von der Dürre sind rund 6,1 Millionen Menschen betroffen, die Mehrheit davon sind Hunger, Elend und dem Verlust ihrer Lebensgrundlage ausgesetzt (UNSC 13.5.2022, Absatz 38 f,).

Die Gu-Regenzeit 2022 verlief unterdurchschnittlich. Im Norden des Landes wurden zwischen 30 % und 60 % der durchschnittlich erwartbaren Menge verzeichnet; in Süd-/Zentralsomalia waren es zwischen 45 % und 75 %. Dies ist die vierte aufeinanderfolgende unterdurchschnittliche Regenzeit. Kurzfristig wird es nach der Gu-Regenzeit zu Verbesserungen kommen; allerdings ist für die Trockenzeit von Juli bis September 2022 eine starke Verschlechterung der Dürrebedingungen vorhergesagt (FAO 14.6.2022). Langzeitprognosen weisen darauf hin, dass auch die Deyr-Regenzeit im Herbst 2022 schlecht verlaufen wird (FAO 14.6.2022; vergleiche IPC 4.6.2022).

Ernte, Vieh, Nahrungsmittel, Preise: Das Ausfallen der Deyr-Regenzeit 2021 hat zur schlechtesten Ernte seit Aufzeichnungsbeginn geführt (UNSC 8.2.2022, Absatz 42,). Auch andere Ernten sind unterdurchschnittlich ausgefallen (DW 17.6.2022). Prognosen sagen für die nächste Ernte eine um ca. 40-60 % unterdurchschnittliche Ernte voraus (FAO 14.6.2022; vergleiche IPC 4.6.2022). Unterdurchschnittliche Ernten haben wiederum die Bedeutung von Nahrungsmittelimporten vergrößert (IPC 4.6.2022). Dementsprechend hat nicht nur die Dürre, sondern auch der Krieg gegen die Ukraine, Nahrungsmittel knapp und teuer werden lassen (Kapila 21.6.2022) und die ohnehin angespannte Situation verschlimmert (DW 17.6.2022). Somalia bezieht mehr als 90% seines Weizens von Russland und der Ukraine (UNN 7.6.2022; vergleiche Kapila 21.6.2022), 70 % stammen aus der Ukraine (USAID 13.6.2022). Zusätzlich haben der schlechte Regen und die Flucht von Bauern auf der Suche nach Nahrung und Wasser dazu geführt, dass in Ackerbaugebieten weniger Frucht angebaut worden ist. Hinzu kommt ein Mangel an Saatgut, Bewässerungsmöglichkeiten und anderen Notwendigkeiten (IPC 4.6.2022).

Bereits im Feber 2022 waren die Nahrungsmittel- und Wasserpreise in einigen Gebieten auf 140-160 % über dem Fünfjahresdurchschnitt angestiegen, ähnlich wie bei den Dürren in den Jahren 2010/11 und 2016/17 (UNSC 13.5.2022, Absatz 40,). Nach Angaben aus dem Juni 2022 haben sich die Preise für Speiseöl, Bohnen, Reis und Zucker verdoppelt – nicht zuletzt auch aufgrund gestiegener Treibstoffpreise (Kapila 21.6.2022).

Nachdem auch im März 2022 nur wenig Regenfälle verzeichnet wurden, haben 3,5 Millionen Menschen dringend Wasser gebraucht. 80 % der Wasserquellen landesweit sind ausgetrocknet. Am Juba und am Shabelle sank der Wasserstand unter das historische Minimum, in Teilen der Flussverläufe trockneten die beiden Flüsse ganz aus, was wiederum die Landwirtschaft beeinflusst hat (UNSC 13.5.2022, Absatz 40,). Al Shabaab nutzt Wasser mitunter als Waffe, indem für den Zugang zu Wasserstellen Gebühren eingehoben werden (SPC 9.2.2022). Bereits im Jänner 2022 konnte ein Fünftel der Bevölkerung grundlegende Bedürfnisse an Wasser nicht abdecken (IPS 18.1.2022).

Wassermangel und Mangel an Weidemöglichkeiten haben den Viehbestand der Nomaden dezimiert (MSF 7.6.2022). Von Mitte 2021 bis Mai 2022 sind mehr als drei Millionen Stück Vieh verendet (IPC 4.6.2022; vergleiche AP 8.6.2022). Nach anderen Angaben waren es sogar sieben Millionen und damit ein Drittel des somalischen Bestandes Ausschussbericht 22.6.2022). Alleine in Jubaland haben Nomaden seit Oktober 2021 80 % ihrer Rinder verloren (UNOCHA 10.2.2022). Dabei hat Vieh bis dahin maßgeblich zur Versorgung der Familien – mit Milch und Fleisch – beigetragen (AP 8.6.2022). Mancher Suizid ist auf den Verlust des gesamten Viehbestandes zurückzuführen (GN 21.11.2021).

Fluchtbewegungen: Bereits Ende 2021 haben sich Menschen und Nutzvieh aus Dürregebieten auf die Flucht begeben (FAO 14.6.2022). Aus und in Bay, Bakool, Mudug und Galgaduud kam es zu Fluchtbewegungen (GN 24.11.2021a). In Belet Weyne kommen laufend Flüchtlinge an. Sie hoffen, dort Hilfe zu finden. Nicht viele in den Lagern können sich ein Fass Wasser um zwei US-Dollar leisten (RE 2.6.2022). Die Hungersnot ist selbst in Mogadischu spürbar, wo am Stadtrand immer wieder erschöpfte Menschen aus dem Hinterland eintreffen (AP 8.6.2022). Mit Stand Mai 2022 sind mehr als 760.000 Menschen geflüchtet und befinden sich auf der Suche nach Nahrung, Wasser und humanitärer Hilfe (UNSC 13.5.2022, Absatz 38 f, ;, vergleiche Ausschussbericht 22.6.2022).

Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot] Im September 2021 wurden 2,2 Millionen Menschen in IPC 3-4 eingeordnet, weitere 5,6 Millionen in IPC 2 (FSNAU 9.9.2021a). Mit Stand Mai 2022 befanden sich fast vier Millionen Menschen in IPC-Stufe 3; mehr als 1,2 Millionen in Stufe 4 und 38.000 in Stufe 5 (Hungersnot). Die meisten Nomaden befinden sich in IPC-Stufe 3 oder 4. Auch viele IDPs sind schwer betroffen. Die meisten armen Stadtbewohner finden sich in IPC-Stufe 3 (IPC 4.6.2022).

Angesichts der IPC-Karten ist die Stadtbevölkerung i. d. R. von IPC 3 oder IPC 4 anteilig weniger betroffen als Menschen in ländlichen Gebieten (FSNAU o.D.a). Generell finden sich unter IDPs mehr Personen, die unter Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung sowie an Mangel- oder Unterernährung leiden (USDOS 12.4.2022, Sitzung 25).

Hugersnot: Die sich verschlimmernde Dürre in einigen Teilen Süd-/Zentralsomalias hat die Gefahr einer Hungersnot, die zumindest bis September 2022 besteht, herbeigeführt. Dies gilt dann, wenn die Ernte aus der Gu-Regenzeit schlecht ausfällt; die Nahrungsmittelpreise weiter steigen; und die humanitäre Hilfe nicht hochgefahren wird. Insbesondere betroffen sind: Zentral-Hiiraan (Hawd); Teile von Mudug, Nugaal und Galgaduud (Addun); Bay und Bakool; IDPs in Baidoa, Mogadischu, Dhusamareb und Galkacyo. Überall dort könnte bis September auch eine Hungersnot eintreten. Besonders besorgniserregend ist die Situation jedenfalls in Bay. Bei ausbleibender Hilfe und einer Zuspitzung der Lage können in der Folge auch Teile von Somaliland (Teile von Sanaag, Sool und Togdheer), weitere Teile von Bakool, das Jubatal, die südlichen Küstengebiete in Middle und Lower Juba, weitere Teile von Togdheer, die Küstengebiete in Zentral- und Nordostsomalia sowie die IDPs in Burco, Laascaanood, Garoowe, Belet Weyne, Doolow und Kismayo betroffen sein (IPC 4.6.2022). Das World Food Programme hat die Menschen im Juni 2022 aufgerufen, sich auf eine Hungersnot vorzubereiten (FTL 23.6.2022). Gleichzeitig haben sich die Möglichkeiten – v. a. armer und vulnerabler - Bevölkerungsgruppen, sich vor Hunger zu schützen, erheblich gemindert (IPC 4.6.2022; vergleiche MSF 7.6.2022).

Mindestens 7,7 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (UNSC 13.5.2022, Absatz 38 f,) bzw. von schwerem Hunger oder einer Hungersnot bedroht (BAMF 28.3.2022). Eine Million Menschen befindet sich bereits im Vorzustand einer Hungersnot. Die Zahlen sind mit jenen der äthiopischen Hungersnot 1984 vergleichbar (Kapila 21.6.2022). Schätzungen zufolge könnten bei ausbleibender Hilfe 350.000 Kinder verhungern (DW 17.6.2022). Aus Gedo wurden bereits im November 2021 die ersten Hungertoten gemeldet (GN 24.11.2021a), im März 2022 wurden dort 25 Hungertote bzw. Tote in Zusammenhang mit Nahrungsmittel- und Wasserknappheit gemeldet (BAMF 28.3.2022). In den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 sind alleine im Spital in Kismayo 33 Kinder an Unterernährung verstorben (RK 20.6.2022). Auch aus Hiiraan kommen Meldungen über Kinder, die an Unterernährung verstorben sind (Sahan 21.6.2022b). Im Jahr 2022 sind bis Juni 448 Kinder in Zentren zur Versorgung von Unterernährung an Unterernährung verstorben (AP 8.6.2022; vergleiche ATMIS 13.6.2022). Viele andere sterben abseits solcher Zentren – in entlegenen Gebieten, auf dem Weg, um Hilfe zu suchen (AP 8.6.2022). Die UNO geht von tausenden Hungertoten seit Beginn des Jahres 2022 aus (BAMF 13.6.2022; vergleiche AP 8.6.2022).

Die Zahlen zur akuten Unterernährung haben sich im ganzen Land verschlechtert. Ca. 1,4 Millionen Kinder unter fünf Jahren sind davon betroffen, fast 330.000 davon gelten als schwer unterernährt. Vor allem unter neu ankommenden IDPs in Mogadischu, Baidoa und Galkacyo werden hohe Zahlen gemeldet. UNICEF hat von Jänner bis Mai 2022 mehr als 50.000 Kinder wegen schwerer akuter Unterernährung behandelt (UNSC 13.5.2022, Absatz 42,). Nach neueren Angaben sind bis Jahresende 2022 sogar 1,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren akut unterernährt (IPC 4.6.2022), 386.000 Kinder davon akut schwer unterernährt und auf lebensrettende Hilfe angewiesen (UNN 7.6.2022; vergleiche IPC 4.6.2022).

Die IPC-Stufen zur Unter- und Mangelernährung haben sich seit August 2021 wie folgt entwickelt (inkl. Prognose bis August 2022):

Humanitäre Hilfe: In Somalia ist die längstdienende humanitäre Mission tätig, jährlich werden Milliarden US-Dollar ausgegeben (Ali 28.1.2022). Mit Stand Mai 2022 waren in Somalia in 72 von 74 Bezirken alleine 220 humanitäre Organisationen aktiv, davon 158 nationale NGOs. Hier nur einige Beispiele an erbrachter Hilfeleistung: Zwischen Jänner und März 2022 erreichte unterschiedliche Form an Dürrehilfe ca. 2,5 Millionen Einwohner (UNSC 13.5.2022, Absatz 48,). Durchschnittlich erreichte Hilfe 2,4 Millionen Menschen pro Monat (IPC 4.6.2022). Viele davon erhielten Nahrungsmittelhilfe durch Geldtransfers, mehr als eine Million Menschen profitieren von längerfristigen Programmen (UNSC 13.5.2022, Absatz 44,). Insgesamt nutzen rund 70% der Bevölkerung mobile Bankdienste, ein Drittel der Menschen haben mobile Konten (BS 2022, Sitzung 26f). Die Weltbank stellt 143 Millionen US-Dollar zur Verfügung, um vulnerablen Haushalten, die übermäßig von den Klima- und Umweltschäden der letzten Jahre betroffen sind, mit Geld helfen zu können. Bestehende Programme für 160.000 Haushalte werden um mehr als 350.000 Haushalte erweitert. Bereits Anfang Juni 2022 wurde im Rahmen des Baxnaano-Programms Geld an 243.000 Haushalte überwiesen (WB 22.6.2022). Die USA stellen 105 Millionen US-Dollar für Nothilfe zur Verfügung. Das Geld wird v. a. für Nahrungsmittel, medizinische und Wasserversorgung verwendet werden (USAID 13.6.2022). CARE arbeitet an 56 Einrichtungen des Gesundheitsministeriums und mit 77 mobilen Kliniken, um lebensrettende Gesundheits- und Ernährungsleistungen zur Verfügung stellen zu können – v. a. an Schwangere, stillende Mütter und Kinder unter fünf Jahren (CARE 25.5.2022). Hilfsorganisationen im sogenannten Nutrition Cluster (Ernährung) erreichten 2021 mehr als eine Million Kinder unter fünf Jahren sowie fast 280.000 Schwangere und stillende Mütter mit Ernährungsdiensten. Mehr als 327.000 Kinder unter zwei Jahren wurden mit Nahrungsergänzung versorgt, es gibt hierzu 988 Ernährungszentren (UNOCHA 10.2.2022). UN-Agenturen und andere Akteure haben im Zeitraum Jänner bis Mai 2022 in Gedo und Bay 42 neue Brunnen errichtet und in Lower Shabelle, Gedo, Lower Juba, Bay, Mudug und Galgaduud 55 Brunnen rehabilitiert. Alle Brunnen wurden mit Solaranlagen ausgestattet (UNSC 13.5.2022, Absatz 44,). In Puntland helfen u. a. Sicherheitskräfte bei der Verteilung von Wasser in von der Dürre betroffene Gebiete (FTL 20.6.2022). Auch IOM hat 13.000 Haushalte in neun Bezirken in ganz Somalia mit Wasser versorgt (UNSC 13.5.2022, Absatz 44,).

Generell stellen Sicherheitsprobleme ein Hindernis bei der Versorgung von Menschen dar (UNSC 8.2.2022, Absatz 49 ;, vergleiche UNSC 13.5.2022, Absatz 47 ;, NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 38). Unterschiedliche bewaffnete Akteure – aber in erster Linie al Shabaab – behindern v. a. in Süd-/Zentralsomalia humanitäre Hilfe (UNSC 6.10.2021). Die meisten Vorfälle gegen humanitäre Kräfte ereigneten sich zuletzt in Galmudug, HirShabelle und dem SWS (UNSC 8.2.2022, Absatz 49 ;, vergleiche UNSC 13.5.2022, Absatz 47,). In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab ist der Zugang für humanitäre Hilfe eingeschränkt. Dort kann eine effektive humanitäre Hilfe nur eingeschränkt vollbracht werden (SPC 9.2.2022).

Insgesamt ist die Nahrungsmittelhilfe aber nicht ausreichend, weswegen mit einer Verschlimmerung der Situation zu rechnen ist (IPC 4.6.2022).

Öffentliche Hilfe - Programm "Baxnaano": Mit diesem Programm soll chronische Armut reduziert und Resilienz aufgebaut werden. Dabei werden 200.000 Haushalten mit Kindern unter fünf Jahren für drei Jahre monatlich 20 US-Dollar an Unterstützung zur Verfügung gestellt. Im November 2021 waren 186.400 Haushalte als Nutznießer gelistet (WB 1.2022). Insgesamt werden mehr als 1,1 Millionen Menschen - in ländlichen Gebieten, aber auch arme Menschen und IDPs in Städten - über Programme mit vierteljährlichen Geldzahlungen bedacht (WFP 6.10.2021). Der Anteil des Sozialsektors am Staatsbudget soll 2021 auf 34 % anwachsen; der Großteil davon fließt über Baxnaano an arme und vulnerable Haushalte (WB 6.2021, Sitzung 19).

Gesellschaftliche Unterstützung: Insgesamt gibt es kein öffentliches Wohlfahrtssystem (BS 2022, Sitzung 29), keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe (AA 28.6.2022, Sitzung 23). Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor (BS 2022, Sitzung 29). Das eigentliche soziale Sicherungsnetz ist die erweiterte Familie, der Subclan oder der Clan. Sie bieten oftmals zumindest einen rudimentären Schutz (AA 28.6.2022, Sitzung 23; vergleiche BS 2022, Sitzung 29). Vorrangig stellt die patrilineare (väterliche) Abstammungsgemeinschaft die Solidaritäts- und Schutzgruppe. Aber daneben gibt es auch die Patri-(Vater)-Linie der Mutter und zusätzlich möglicherweise noch angeheiratete Verwandtschaft. Alle drei Linien bilden in der Regel - wie es ein Experte formuliert - "einen ganz beachtlichen Verwandtschaftskosmos". Und in diesem Netzwerk kann Hilfe und Solidarität gesucht werden, es besteht diesbezüglich eine moralische Pflicht. Allerdings müssen verwandtschaftliche Beziehungen auch gepflegt werden. Entscheidend ist also nicht unbedingt die Quantität an Verwandten, sondern die Qualität der Beziehungen. Wer als schwacher Akteur in diesem Netzwerk positioniert ist, der wird schlechter behandelt als die stark Positionierten (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 32f). In einer Dokumentation der Deutschen Welle wird ein junger Mann gezeigt, der im Sudan medizinisch versorgt und von dort zurückgeholt werden musste. Die Ältesten bzw. Sultans sammeln Geld im ganzen Clan, und dieser gab dafür schließlich 7.000 US-Dollar aus. Danach hat der Clan dem Mann um 3.000 US-Dollar ein Tuk-Tuk finanziert, damit er den gefährlichen Weg der Migration nicht noch einmal antritt (DW 3.2021). Diese Art des "Fundraising" (Qaraan) in Somalia und in der Diaspora wird also nicht nur gemacht, um sogenanntes Blutgeld im Fall eines Mordes zu sammeln, sondern auch, um andere Bedürfnisse eines Clanmitglieds abzudecken. Darunter fallen auch Probleme bei der Nahrungsmittelversorgung (Majid 2017, Sitzung 18).

Eine weitere Hilfestellung bieten Remissen aus dem Ausland (BS 2022, Sitzung 29). Allein im Jahr 2021 flossen durch solche Heimatüberweisungen rund 2,8 Milliarden US-Dollar nach Somalia. Das entspricht rund einem Drittel des Bruttoinlandprodukts und ist weit mehr Geld, als durch Entwicklungshilfe ins Land kommt (SRF 27.12.2021). Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22 % der städtischen, 12 % der ländlichen und 6 % der IDP-Haushalte Remissen beziehen (IPC 3.2021, Sitzung 2). Diese stellen einen bedeutenden Anteil des Budgets von Privathaushalten dar. Vor allem für die unteren 40 %, wo Remissen 54 % aller Haushaltsausgaben decken (WB 6.2021, Sitzung 4). Minderheiten mangelt es oft am Zugang zu Remissen (SPC 9.2.2022).

In Krisenzeiten (etwa Hungersnot 2011 und Dürre 2016/17) stellt die Hilfe durch Freunde oder Verwandte die am meisten effiziente und verwendete Bewältigungsstrategie dar. Neben Familie und Clan helfen also auch andere soziale Verbindungen – seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z. B. Unterkunft und Nahrung finden können (DI 6.2019, Sitzung 15ff). Generell ist es auch üblich, Kinder bei engen oder fernen Verwandten unterzubringen, wenn eine Familie diese selbst nicht erhalten kann (SIDRA 6.2019b, Sitzung 4). 22 % der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten, 28 % bei institutionellen Pflegeeinrichtungen (7 %) untergebracht. Weitere 28 % schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn (OXFAM 6.2018, Sitzung 11f).

In der somalischen Gesellschaft – auch bei den Bantu – ist die Tradition des Austauschs von Geschenken tief verwurzelt. Mit dem traditionellen Teilen werden in dieser Kultur der Gegenseitigkeit bzw. Reziprozität Verbindungen gestärkt. Folglich wurden auch im Rahmen der Dürre 2016/17 die über Geldtransfers zur Verfügung gestellten Mittel und Remissen mit Nachbarn, Verwandten oder Freunden geteilt – wie es die Tradition des Teilens vorsah (DI 6.2019, Sitzung 20f). Selbst Kleinhändlerinnen in IDP-Lagern, die ihre Ware selbst nur auf Kredit bei einem größeren Geschäft angeschafft haben, lassen anschreiben und streichen manchmal die Schulden von noch ärmeren Menschen (RE 19.2.2021). Menschen, die selbst wenig haben, teilen ihre wenigen Habseligkeiten und helfen anderen beim Überleben. Es herrscht eine starke Solidarität (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 19).

Die hohe Anzahl an IDPs zeigt jedenfalls, dass soziale Absicherungssysteme bei Krisen in vielen Teilen des Landes zunehmend überlastet sind (IPC 4.6.2022), dass also z. B. manche Clans nicht mehr in der Lage sind, der Armut ihrer Mitglieder entsprechend zu begegnen. Wenn Menschen in weit von ihrer eigentlichen Clanheimat entfernte Gebiete fliehen, verlieren sie zunehmend an Rückhalt und setzen sich größeren Risiken aus (DI 6.2019, Sitzung 12).

Quellen:

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             USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_SOMALIA-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 21.4.2022

             WB - Weltbank (22.6.2022): World Bank to Support Somalia’s Drought Response through Cash Transfers to 500,000 Households, https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2022/06/22/world-bank-to-support-somalia-s-drought-response-through-cash-transfers-to-500-000-households.print, Zugriff 30.6.2022

             WB - Weltbank / Al-Ahmadi, Afrah / Zampaglione, Giuseppe (1.2022): From Protracted Humanitarian Relief to State-led Social Safety Net System: Somalia Baxnaano Program, https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/10986/36864/1/From-Protracted-Humanitarian-Relief-to-State-led-Social-Safety-Net-System-Somalia-Baxnaano-Program.pdf, Zugriff 22.7.2022

             WB - Weltbank (6.2021): Somalia Economic Update. Investing in Health to Anchor Growth, http://documents1.worldbank.org/curated/en/926051631552941734/pdf/Somalia-Economic-Update-Investing-in-Health-to-Anchor-Growth.pdf, Zugriff 12.5.2022

             WFP - World Food Programme (6.10.2021): WFP Somalia Country Brief, August 2021, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/WFP%20Somalia%20Country%20Brief%20August%20.pdf, Zugriff 22.7.2022

iii.       Rückkehrspezifische Grundversorgung

Letzte Änderung: 27.07.2022

Einkommen: Somalis aus der Diaspora - aus Europa oder den USA - die freiwillig zurückkehren, nehmen oft keine Hilfspakete in Anspruch, sondern kehren einfach zurück. Viele der Rückkehrer aus Kenia und dem Jemen gehen in die großen Städte Kismayo, Mogadischu und Baidoa, weil sie sich dort bessere ökonomische Möglichkeiten erwarten (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). Der UNHCR hat für eine repräsentative Studie von 2018 bis Dezember 2021 fast 2.900 Haushalte mit mehr als 17.000 Angehörigen – darunter vor allem unterstützte Rückkehrer aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen – zu ihrer Situation in Somalia befragt. Insgesamt haben 59 % der Rückkehrerhaushalte angegeben, dass ihr Einkommen nicht ausreicht. Dies wird zu 43 % auf mangelnde Jobmöglichkeiten zurückgeführt. Die meisten Rückkehrer leben von Einkommen als Taglöhner oder als Selbstständige sowie von humanitärer Hilfe (UNHCR 22.3.2022).

Nach Angaben einer Quelle ist Somalia auf eine Rückkehr von Flüchtlingen in großem Ausmaß nicht vorbereitet, und es kann davon ausgegangen werden, dass sich ein erheblicher Teil der Rückkehrer als IDPs wiederfinden wird (ÖB 3.2020, Sitzung 14). Arbeitslose Rückkehrer im REINTEG-Programm (siehe unten) berichten über mangelnde Möglichkeiten; über eingeschränkte Erfahrungen, Fähigkeiten und Informationen über den Arbeitsmarkt. Nur 30 % der REINTEG-Rückkehrer sind mit ihrer ökonomischen Situation zufrieden, viele klagen über niedriges Einkommen und lange Arbeitsstunden (IOM 3.12.2020). Viele von ihnen sind diesbezüglich Druck seitens ihrer Familie ausgesetzt – v. a. wenn sie aufgrund ihrer „abgebrochenen“ Migration noch Schulden offen haben. Manche Rückkehrer gehen deshalb explizit nicht in Regionen, wo Mitglieder des eigenen Clans leben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24).

Laut einer Quelle muss eine nach Mogadischu zurückgeführte Person nicht damit rechnen, ohne Angehörige zu verhungern. Selbst wenn jemand tatsächlich überhaupt niemanden kennen sollte, dann würde diese Person in ein IDP-Lager gehen und dort in irgendeiner Form Hilfe bekommen. Die Person ist auf Mitleid angewiesen; Hilfe findet sich vielleicht auch in einer Moschee. Jedenfalls würde eine solche Person so schnell wie möglich versuchen, dorthin zu gelangen, wo sich ein Familienmitglied befindet. Dass gar keine Familie existiert, ist sehr unwahrscheinlich (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 37).

Rückkehrer, die im Ausland ausgebildet wurden, können - bei vorhandenen, besseren Fähigkeiten - am Arbeitsmarkt Vorteile haben. Jedenfalls sind Netzwerke aus Familie, Nachbarn und Freunden für Rückkehrer höchst relevant. Die Unterstützung, die ein Rückkehrer aus diesen Netzwerken ziehen kann, hängt maßgeblich davon ab, wie sehr er diese Netzwerke während seines Auslandsaufenthalts gepflegt hat. Natürlich spielen auch Clannetzwerke eine Rolle. Dies ist mit ein Grund dafür, dass Rückkehrer sich oft in Gebieten ansiedeln, die von eigenen Clanmitgliedern bewohnt werden (EASO 9.2021a).

Unterstützung / Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z. B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/31f). Jedenfalls versucht die Mehrheit der Rückkehrer in eine Region zu kommen, wo zumindest Mitglieder ihres Clans leben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24), denn eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden (ÖB 3.2020, Sitzung 14). Nach anderen Angaben ist es bei einer Rückkehr weniger entscheidend, ob jemand Verwandte hat oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, wie diese persönlichen Verwandtschaftsbeziehungen funktionieren und ob sie aktiv sind, ob sie gepflegt wurden. Denn Solidarität wird nicht bedingungslos gegeben. Wer sich lange nicht um seine Beziehungen gekümmert hat, wer einen (gesellschaftlichen) Makel auf sich geladen hat oder damit behaftet ist, der kann - trotz vorhandener Verwandtschaft - nicht uneingeschränkt auf Solidarität und Hilfe hoffen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 39f).

Auch in Mogadischu sind Freundschaften und Clannetzwerke sehr wichtig. Zur Aufnahme kleinerer oder mittelgroßer wirtschaftlicher Aktivitäten ist aber kein Netzwerk notwendig (FIS 7.8.2020, Sitzung 39). Insgesamt herrschen am Arbeitsmarkt Nepotismus und Korruption (SIDRA 6.2019a, Sitzung 5).

Unterstützung extern: Für Rückkehrer aus dem Jemen (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63) und Kenia gibt es seitens des UNHCR Rückkehrpakete (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Deutschland unterstützt in Jubaland ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient (AA 28.6.2022, Sitzung 23). Der UNHCR unterstützt ausgewählte Haushalte in unterschiedlichen Teilen Somalias mit Ausbildungs-, Schulungs- und finanziellen Maßnahmen (UNHCR 27.6.2021, Sitzung 9).

Rückkehrprogramme: Bis Ende 2022 setzt IOM für Österreich das Rückkehrprogramm Restart römisch III um, das auch Somalia umfasst. Das Programm bietet Rückkehrern 500 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro Sachleistungen - etwa im Rahmen einer Unternehmensgründung oder für Bildungsmaßnahmen; Beratung nach der Rückkehr; situationsspezifische Unterstützung vor Ort - etwa für vulnerable Rückkehrer; Zuweisung zu weiteren spezifischen Organisationen; Monitoring (IOM 26.11.2021; vergleiche IOM o.D.).

Die auf Rückkehrer spezialisierte Organisation IRARA kooperiert mit Frontex, um u. a. in Somalia eine Reintegration zu gewährleisten. Hierbei werden nicht nur freiwillige, sondern auch unfreiwillige Rückkehrer unterstützt und vom Programm abgedeckt. Einerseits bietet IRARA Leistungen bei der Ankunft (Abholung vom Flughafen; Unterstützung bei der Weiterreise; temporäre Unterkunft; dringende medizinische Betreuung; spezielle Betreuung vulnerabler Personen; Geldaushilfe). Zum anderen bietet die Organisation auch sogenannte post-return assistance (Hilfe beim Aufbau eines Betriebes; langfristige Unterstützung bei der Unterkunft; soziale, rechtliche und medizinische Unterstützung; Hilfe bei der Arbeitssuche; Bildung und Berufsausbildung; Geldaushilfe (IRARA 2022).

Im ebenfalls von IOM geführten Programm RESTART römisch III wird Somalia als Projektland für freiwillige Rückkehr angeführt. Dieses wird dort über Büros in Mogadischu und Bossaso abgewickelt. Voraussetzung einer Rückführung ist hier eine Freigabe durch somalische Behörden vor der Rückkehr (Kontakt über Operations bei IOM Österreich) (IOM 12.2021).

Unterkunft: Der Zugang zu einer Unterkunft oder zu Bildung wird von Rückkehrern im REINTEG-Programm als problematisch beschrieben (IOM 3.12.2020). In den „besseren“ Bezirken von Mogadischu, wo es größere Sicherheitsvorkehrungen gibt – z. B. Waaberi, Medina, Hodan oder das Gebiet am Flughafen – kostet die Miete eines einfachen Raumes mit 25 m² 50-100 US-Dollar pro Monat. Am Stadtrand – z. B. in Heliwaa oder am Viehmarkt – sind die Preise leistbarer. Grundsätzlich braucht es zur Anmietung eines Objektes einen Bürgen, der vor Ort bekannt ist. Dies ist i. d. R. ein Mann. Für eine alleinstehende Frau gestaltet sich die Wohnungssuche dementsprechend schwierig, dies ist kulturell unüblich und wirft unter Umständen Fragen auf (FIS 7.8.2020, Sitzung 31f).

Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63; vergleiche AA 28.6.2022, Sitzung 24); nach anderen Angaben finden sich viele der Rückkehrer aus dem Jemen und aus Kenia schlussendlich in IDP-Lagern wieder (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). Gemäß der bereits weiter oben erwähnten Rückkehrer-Studie des UNHCR haben hingegen nur 22 % der unterstützten und 38 % der nicht unterstützten, von UNHCR befragten 2.900 Rückkehrerhaushalte angegeben, in einem IDP-Lager zu wohnen (UNHCR 22.3.2022).

Vom Returnee Management Office (RMO) der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein inner-somalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden und die Grundvoraussetzungen für eine freiwillige Rückkehr nicht gewährleistet sind (AA 28.6.2022, Sitzung 24f).

Frauen und Minderheiten: Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das i. d. R. enge Familienangehörige – geführt von einem männlichen Verwandten – umfasst. Für alleinstehende Frauen ist es mitunter schwierig, eine Unterkunft zu mieten oder zu kaufen (FIS 5.10.2018, Sitzung 23). Auch für Angehörige von Minderheiten – etwa den Bantus – gestaltet sich eine Rückkehr schwierig. Ein Mangel an Netzwerken schränkt z. B. den Zugang zu humanitärer Hilfe ein (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 8). Für eine weibliche Angehörige von Minderheiten, die weder Aussicht auf familiäre noch Clanunterstützung hat, stellt eine Rückkehr tatsächlich eine Bedrohung dar (ÖB 3.2020, Sitzung 11).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Mai_2022%29%2C_28.06.2022.pdf, Zugriff 4.7.2022

             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 17.5.2022

             EASO - European Asylum Support Office (9.2021a): Somalia – Key socio-economic indicators, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/2021_09_EASO_COI_Report_Somalia_Key_socio_economic_indicators.pdf, Zugriff 25.5.2022

             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645, Zugriff 6.5.2022

             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f6944b6d21a7/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf, Zugriff 12.5.2022

             IOM - Internationale Organisation für Migration (12.2021): AVRR-Newsletter 04/2021 – Freiwillige Rückkehr und Reintegration aus Österreich

             IOM - Internationale Organisation für Migration (26.11.2021): RESTART III: Support for the Austrian Return System and the Reintegration of Voluntary Returnees, https://austria.iom.int/restart-iii-support-austrian-return-system-and-reintegration-voluntary-returnees, Zugriff 26.7.2022

             IOM - Internationale Organisation für Migration (3.12.2020): How Peer Support Can Assist Returnees to Breathe Easy, https://migrationjointinitiative.org/news/how-peer-support-can-assist-returnees-breathe-easy, Zugriff 11.3.2021; Link nicht mehr verfügbar, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

             IOM - Internationale Organisation für Migration (o.D.): Restart römisch III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen [sic], https://austria.iom.int/sites/g/files/tmzbdl1281/files/iom-restart-iii_information-fur-klientinnen_de_allgemein_0.pdf, Zugriff 26.7.2022

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             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (19.6.2019): Minoritetsgruppen bantu i Somalia Version 1.0, https://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=43198, Zugriff 9.6.2022

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             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 11.5.2022

             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 9.6.2022

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             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (22.3.2022): Somalia, Post Return Monitoring Snapshot, PRM Round 7, February 2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070098/Post+Return+Monitoring+-+Snapshot+February+2022.pdf, Zugriff 11.5.2022

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12.         Medizinische Versorgung

a.           Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 25.07.2022

Das somalische Gesundheitssystem ist das zweitfragilste weltweit (WB 6.2021, Sitzung 32). Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft (AA 28.6.2022, Sitzung 24) und nicht durchgängig gesichert (AA 17.5.2022). Die Infrastruktur bei der medizinischen Versorgung ist minimal und beschränkt sich meist auf Städte und sichere Gebiete. Die Ausrüstung reicht nicht, um auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung ausreichend abdecken zu können. Es mangelt an Geld, Personal, Referenzsystemen, Diagnoseeinrichtungen, an Ausbildungseinrichtungen, Regulierungen und Managementfähigkeiten (HIPS 5.2020, Sitzung 38). 2021 betrug das Budget des Gesundheitsministeriums 33,6 Millionen US-Dollar (AI 18.8.2021, Sitzung 19). Allerdings zeigt sich in Aufwärtstrend: 2020 wurden 1,3 % des Budgets für den Gesundheitsbereich ausgegeben, 2021 wurden dafür 5 % veranschlagt (WB 6.2021, Sitzung 19). Nach anderen Angaben wurden für den Gesundheitsbereich in den Jahren 2017-2021 jährlich durchschnittlich 2 % des Budgets ausgegeben (AI 29.3.2022).

Insgesamt zählt die Gesundheitslage zu den schlechtesten der Welt (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Die durchschnittliche Lebenserwartung ist zwar von 45,3 Jahren im Jahr 1990 auf heute 57,1 Jahre beträchtlich gestiegen, bleibt aber immer noch niedrig (WB 6.2021, Sitzung 29). Erhebliche Teile der Bevölkerung haben keinen Zugang zu trinkbarem Wasser oder zu hinreichenden sanitären Einrichtungen (AA 28.6.2022, Sitzung 24); daran sterben jährlich 87 von 100.000 Einwohnern (Äthiopien: 44) (HIPS 5.2020, Sitzung 24). Die Quoten von Mütter- und Säuglingssterblichkeit sind unter den höchsten Werten weltweit (AA 28.6.2022, Sitzung 24). Eine von zwölf Frauen stirbt während der Schwangerschaft, eines von sieben Kindern vor dem fünften Geburtstag (Äthiopien: 17). Bei der hohen Kindersterblichkeit schwingt Unterernährung bei einem Drittel der Todesfälle als Faktor mit (ÖB 3.2020, Sitzung 15; vergleiche HIPS 5.2020, Sitzung 21ff). Selbst in Somaliland und Puntland werden nur 44 % bzw. 38 % der Mütter von qualifizierten Geburtshelfern betreut (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Insgesamt haben nur ca. 15 % der Menschen in ländlichen Gebieten Zugang zu medizinischer Versorgung (AI 18.8.2021, Sitzung 5). Die Rate an grundlegender Immunisierung für Kinder liegt bei Nomaden bei 1 %, in anderen ländlichen Gebieten bei 14 %, in Städten bei 19 % (WB 6.2021, Sitzung 31). Zudem gibt es für medizinische Leistungen und pharmazeutische Produkte keinerlei Qualitäts- oder Sicherheitsstandards (WB 6.2021, Sitzung 27).

Es mangelt an Personal für die medizinische Versorgung. Besonders akut ist der Mangel an Psychiatern, an Technikern für medizinische Ausrüstung und an Anästhesisten. Am größten aber ist der Mangel an einfachen Ärzten (HIPS 5.2020, Sitzung 42). Insgesamt kommen auf 10.000 Einwohner 4,28 medizinisch ausgebildete Personen (Subsaharaafrika: 13,3; WHO-Ziel: 25) (WB 6.2021, Sitzung 34). Nach anderen Angaben kommen auf 100.000 Einwohner fünf Ärzte, vier Krankenpfleger und eine Hebamme. Dabei herrscht jedenfalls eine Ungleichverteilung: In Puntland gibt es 356 Ärzte, in Jubaland nur 54 und in Galmudug und im SWS je nur 25 (HIPS 5.2020, Sitzung 27/44ff). Die Weltbank hat das mit 100 Millionen US-Dollar dotierte "Improving Healthcare Services in Somalia Project / Damal Caafimaad" genehmigt. Damit soll die Gesundheitsversorgung für ca. 10 % der Gesamtbevölkerung Somalias, namentlich in Gebieten von Nugaal (Puntland), Bakool und Bay (SWS), Hiiraan und Middle Shabelle verbessert werden (WB 22.7.2021).

In Benadir gibt es 61 Gesundheitseinrichtungen, in HirShabelle 81.

Nach anderen Angaben gibt es in ganz Somalia elf öffentliche und 50 andere Spitäler. In Mogadischu gibt es demnach vier öffentliche und 46 andere Gesundheitszentren (FIS 7.8.2020, Sitzung 31). Jedenfalls müssen Patienten oft lange Wegstrecken zurücklegen, um an medizinische Versorgung zu gelangen (HIPS 5.2020, Sitzung 39). In Mogadischu gibt es mindestens zwei Spitäler, die für jedermann zugänglich sind. In manchen Spitälern kann bei Notlage über die Ambulanzgebühr verhandelt werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 36). Im Gegensatz zu Puntland werden in Süd-/Zentralsomalia Gesundheitseinrichtungen vorwiegend von internationalen NGOs unter Finanzierung von Gebern betrieben (HIPS 5.2020, Sitzung 39). Das Keysaney Hospital wird von der Somali Red Crescent Society (SRCS) betrieben. Zusätzlich führt die SRCS Rehabilitationszentren in Mogadischu und Galkacyo (SRCS 2021, Sitzung 8). Die Spitäler Medina und Keysaney (Mogadischu) sowie in Kismayo und Baidoa werden vom Roten Kreuz unterstützt (ICRC 15.2.2022). Insgesamt gibt es im Land nur 5,34 stationäre Krankenhausbetten pro 10.000 Einwohnern (WHO-Ziel: 25 Betten) (WB 6.2021, Sitzung 34).

Zudem sind die öffentlichen Krankenhäuser mangelhaft ausgestattet (AA 28.6.2022, Sitzung 24; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 31f), was Ausrüstung, medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht (AA 28.6.2022, Sitzung 24). Dabei ist der Standard von Spitälern außerhalb Mogadischus erheblich schlechter (FIS 5.10.2018, Sitzung 36). Die Mehrheit der Krankenhäuser bietet außerdem nicht alle Möglichkeiten einer tertiären Versorgung (HIPS 5.2020, Sitzung 38). Speziellere medizinische Versorgung – etwa Chirurgie – ist nur eingeschränkt verfügbar – in öffentlichen Einrichtungen fast gar nicht, unter Umständen aber in privaten. So werden selbst am Banadir Hospital – einem der größten Spitäler des Landes, das über vergleichsweise gutes Personal verfügt und auch Universitätsklinik ist – nur einfache Operationen durchgeführt (FIS 5.10.2018, Sitzung 35). Relativ häufig müssen daher Patienten von öffentlichen Einrichtungen an private verwiesen werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 31). Immerhin stellt der private Sektor 60 % aller Gesundheitsleistungen und 70 % aller Medikamente. Und auch in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen wird der Großteil der Dienste über NGOs erbracht (WB 6.2021, Sitzung 27f).

Die Primärversorgung wird oftmals von internationalen Organisationen bereitgestellt und ist für Patienten kostenfrei. Allerdings muss manchmal für Medikamente bezahlt werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 35f; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 20). Oft handelt es sich bei dieser Primärversorgung um sogenannte "Mother Health Clinics", von welchen es in Somalia relativ viele gibt. Diese werden von der Bevölkerung als Gesamtgesundheitszentren genutzt, weil dort die Diagnosen eben kostenlos sind (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 20). Private Einrichtungen, die spezielle Leistungen anbieten, sind sehr teuer. Schon ein kleiner operativer Eingriff kostet 100 US-Dollar. Am Banadir-Hospital in Mogadischu wird eine Ambulanzgebühr von 5-10 US-Dollar eingehoben, die Behandlungsgebühr an anderen Spitälern beläuft sich auf 5-12 US-Dollar. Medikamente, die Kindern oder ans Bett gebundenen Patienten verabreicht werden, sind kostenlos. Üblicherweise sind die Kosten für eine Behandlung aber vom Patienten zu tragen (FIS 5.10.2018, Sitzung 35f). Am türkischen Spital in Mogadischu, das als öffentliche Einrichtung wahrgenommen wird, werden nur geringe Kosten verrechnet, arme Menschen werden gratis behandelt (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 73). Generell gilt, wenn z. B. ein IDP die Kosten nicht aufbringen kann, wird er in öffentlichen Krankenhäusern auch umsonst behandelt. Zusätzlich kann man sich auch an Gesundheitseinrichtungen wenden, die von UN-Agenturen betrieben werden. Bei privaten Einrichtungen sind alle Kosten zu bezahlen (FIS 7.8.2020, Sitzung 31/37). Es gibt keine Krankenversicherung (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 73); nach anderen Angaben ist diese so gut wie nicht existent, im Jahr 2020 waren nur 2 % der Haushalte hinsichtlich Ausgaben für Gesundheit versichert (WB 6.2021, Sitzung 34).

Beispiel Garoowe: Quellen von EASO berichten, dass am Garoowe Group Hospital (GGH) eine Aufnahmegebühr von 5 US-Dollar zu entrichten ist, bei der Aufnahme zur Behandlung bei einem Spezialisten auch bis zu 10 US-Dollar. Auch Labortests müssen selbst bezahlt werden; ein normaler Bluttest kostet 1-4 US-Dollar. Normale Betten kosten nichts, Einzelzimmer 10 US-Dollar pro Nacht. Die Pflege, normale Dienste und im Spital lagernde Medikamente sind kostenfrei. Für Operationen muss allerdings bezahlte werden. Ein Kaiserschnitt kostet ca. 350 US-Dollar. Ein Privaten Krankenhäusern ist die Aufnahmegebühr etwas höher als am GGH. Alle Dienste und Übernachtungen müssen bezahlt werden. Operationen kosten in etwa so viel, wie am GGH (EASO 9.2021a, Sitzung 64f).

Die SRCS betreibt 53 stationäre und zwölf mobile Kliniken zur primären medizinischen Versorgung. Im Jahr 2020 wurden dort mehr als 1,2 Millionen Patienten behandelt. Davon waren 45 % Kinder und 40 % Frauen. Die häufigsten Behandlungen erfolgten in Zusammenhang mit akuten Atemwegserkrankungen (24 %), Durchfallerkrankungen (12,4 %), Anämie (15,6 %), Hautkrankheiten (6,2 %), Harnwegs- (10 %) und Augeninfektionen (5,2 %) (SRCS 2021, Sitzung 9f). Die am öftesten diagnostizierten chronischen Krankheiten sind Diabetes und Bluthochdruck (WB 6.2021, Sitzung 30). Mobile Kliniken versorgen wöchentlich oder zweiwöchentlich IDP-Lager am Stadtrand von Mogadischu. Diese Versorgung erfolgt allerdings nur unregelmäßig (EASO 9.2021a, Sitzung 40). Gesundheitspartner der UN haben von Jänner bis November in Somalia 2,6 Millionen präventive und heilkundliche Konsultationen durchgeführt, u. a. 12.000 Konsultationen zur psychischen Gesundheit (UNOCHA 11.2021).

Versorgungs- und Gesundheitsmaßnahmen internationaler Hilfsorganisationen mussten auch immer wieder wegen Kampfhandlungen oder aufgrund von Anordnungen unterbrochen werden (AA 28.6.2022, Sitzung 24). Zudem mangelt es an Rettungsdiensten. So gibt es selbst in Mogadischu bei einer Bevölkerung von ca. drei Millionen Menschen nur zwei Krankenwagen, die kostenfrei Covid-19-Patienten transportieren (AI 29.3.2022).

Psychiatrie: Es gibt in ganz Süd-/Zentralsomalia und Puntland nur einen Psychiater, elf Sozialarbeiter für psychische Gesundheit sowie 19 Pflegekräfte. Folgende psychiatrische Einrichtungen sind bekannt (WHO Rizwan 8.10.2020):

An psychiatrischen Spitälern gibt es nur zwei, und zwar in Mogadischu; daneben gibt es drei entsprechende Abteilungen an anderen Spitälern und vier weitere Einrichtungen (WHO Rizwan 8.10.2020). Nach anderen Angaben gibt es auch am Rand von Garoowe eine Psychiatrie, dort fallen für einen monatlichen Aufenthalt 100 US-Dollar an Kosten an (EASO 9.2021a, Sitzung 64f).

Es gibt eine hohe Rate an Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung (WHO Rizwan 8.10.2020). Psychische Probleme werden durch den bestehenden Konflikt und den durch Instabilität, Arbeits- und Hoffnungslosigkeit verursachten Stress gefördert. Schätzungen zufolge sind 30 % der Bevölkerung betroffen (FIS 5.10.2018, Sitzung 34; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 16), die absolute Zahl wird mit 1,9 Millionen Betroffenen beziffert (HIPS 5.2020, Sitzung 26). Nach anderen Angaben (Stand 2020) wurden bei 4,3 % der Bevölkerung durch einen Arzt eine Geisteskrankheit diagnostiziert, während man von einer Verbreitung von 14 % ausgeht (WB 6.2021, Sitzung 31).

Psychisch Kranken haftet meist ein mit Diskriminierung verbundenes Stigma an. Nach wie vor ist das Anketten psychisch Kranker eine weitverbreitete Praxis. Dies gilt selbst für psychiatrische Einrichtungen – etwa in Garoowe (WHO Rizwan 8.10.2020). Aufgrund des Mangels an Einrichtungen werden psychisch Kranke mitunter an Bäume gebunden oder zu Hause eingesperrt (USDOS 12.4.2022, Sitzung 44). Im Zweifelsfall suchen Menschen mit psychischen und anderen Störungen Zuflucht im Glauben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 38).

Verfügbarkeit:

Nur 5 % der Einrichtungen sind in der Lage, Krankheiten wie Tuberkulose, Diabetes oder Gebärmutterhalskrebs zu diagnostizieren und zu behandeln (WB 6.2021, Sitzung 34).

●             Diabetes: Kurz- und langwirkendes Insulin ist kostenpflichtig verfügbar. Medikamente können überall gekauft werden. Die Behandlung erfolgt an privaten Spitälern (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 84). Rund 537.000 Menschen leiden in Somalia an einer Form von Diabetes (HIPS 5.2020, Sitzung 26).

●             Dialyse: In Mogadischu ist Dialyse nicht möglich (FIS 7.8.2020, Sitzung 31); nach anderen Angaben steht Dialyse in Städten zur Verfügung, nicht aber auf Bezirksebene (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 74). Am türkischen Krankenhaus in Mogadischu kostet jede Behandlung 35 US-Dollar (DIS 11.2020, App. F, Sitzung 16).

●             HIV/AIDS: Kostenlose Dienste stehen zur Verfügung (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 74). Über das Land verstreut gibt es Zentren, in welchen anti-retrovirale Medikamente kostenfrei abgegeben werden (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 83).

●             Krebs: Es gibt nur diagnostische Einrichtungen, keine Behandlungsmöglichkeiten (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 74). Es sind auch keine Medikamente verfügbar. Wer es sich leisten kann, geht zur Behandlung nach Indien, Äthiopien, Kenia oder Dschibuti (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 83).

●             Orthopädie: Das SRCS betreibt in Hargeysa, Mogadischu und Galkacyo orthopädische Rehabilitationszentren samt Physiotherapie. An den genannten Zentren der SRCS in Mogadischu und Galkacyo werden Prothesen, Orthosen, Physiotherapie, Rollstühle und Gehhilfen organisiert, unterhalten und repariert (SRCS 2021, Sitzung 8/19ff).

●             Psychische Krankheiten: Die Verfügbarkeit ist hinsichtlich der Zahl an Einrichtungen, qualifiziertem Personal und geographischer Reichweite unzureichend. Auch die Verfügbarkeit psychotroper Medikamente ist nicht immer gegeben, das Personal im Umgang damit nicht durchgehend geschult (WHO Rizwan 8.10.2020). Oft werden Patienten während psychotischer Phasen angekettet (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 84).

●             Transplantationen: Diese sind in Somalia nicht möglich, es gibt keine Blutbank. Patienten werden i.d.R. nach Indien, in die Türkei oder nach Katar verwiesen (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 84).

●             Tuberkulose: Die Behandlung wird über den Global Fund gratis angeboten (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 84). Die Zahl an Infizierten mit der multi-resistenten Art von Tuberkulose ist in Somalia eine der höchsten in Afrika. Mehr als 8 % der Neuinfizierten weisen einen resistenten Typ auf (HIPS 5.2020, Sitzung 25).

Medikamente: Grundlegende Medikamente sind verfügbar (FIS 5.10.2018, Sitzung 37; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 31), darunter solche gegen die am meisten üblichen Krankheiten sowie jene zur Behandlung von Diabetes, Bluthochdruck, Epilepsie und von Geschwüren. Auch Schmerzstiller sind verfügbar. In den primären Gesundheitszentren ländlicher Gebiete kann es bei Medikamenten zur Behandlung chronischer Krankheiten zu Engpässen kommen (FIS 5.10.2018, Sitzung 37). Nach anderen Angaben kommt es in Krankenhäusern allgemein immer wieder zu Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten und medizinischen Verbrauchsmaterialien (AA 17.5.2022).

Es gibt keine Regulierung des Imports von Medikamenten (DIS 11.2020, Sitzung 73). Medikamente können ohne Verschreibung gekauft werden. Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt in erster Linie über private Apotheken. Für Apotheken gibt es keinerlei Aufsicht (FIS 5.10.2018, Sitzung 37). Die zuständige österreichische Botschaft kann zur Medikamentenversorgung in Mogadischu keine Angaben machen (ÖB 3.2020, Sitzung 16).

Quellen:

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             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (17.5.2022): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/somaliasicherheit/203132#content_1, Zugriff 17.5.2022

             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 17.5.2022

             AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22, The State of the World's Human Rights - Somalia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070229.html, Zugriff 6.4.2022

             AI - Amnesty International (18.8.2021): "We just watched COVID-19 patients die": COVID-19 exposed Somalia's weak healthcare system but debt relief can transform it [AFR 52/4602/2021], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058478/AFR5246022021ENGLISH.pdf, Zugriff 17.5.2022

             DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (11.2020): Somalia - Health System,
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             EASO - European Asylum Support Office (9.2021a): Somalia – Key socio-economic indicators, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/2021_09_EASO_COI_Report_Somalia_Key_socio_economic_indicators.pdf, Zugriff 17.5.2022

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             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f6944b6d21a7/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf, Zugriff 12.5.2022

             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (5.2020): Somalia’s Healthcare System: A Baseline Study & Human Capital Development Strategy, http://www.heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2020/05/Somalia-Healthcare-System-A-Baseline-Study-and-Human-Capital-Development-Strategy.pdf, Zugriff 12.5.2022

             ICRC - International Committee of the Red Cross (15.2.2022): Facts & Figures 2021, https://blogs.icrc.org/somalia/2022/02/15/facts-and-figures-2021/, Zugriff 17.5.2022

             MoH/DIS - Ministry of Health [Somalia] / Danish Immigration Service [Dänemark] (27.8.2020): Telefoninterview des DIS mit dem somalischen Gesundheitsministerium, in: DIS (11.2020): Somalia - Health System, S.72-75, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landenotater/COI_report_somalia_health_care_nov_2020.pdf?la=en-GB&hash=3F6C5E28C30AF49C2A5183D32E1B68E3BA52E60C, Zugriff 12.5.2022

             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 11.5.2022

             SRCS - Somali Red Crescent Society (2021): Annual Report 2020, https://data-api.ifrc.org/documents/SO/AR_Somalia_2020.pdf, Zugriff 12.5.2022

             UNFPA/DIS - UN Population Fund / Danish Immigration Service [Dänemark] (25.6.2020): Skype-Interview des DIS mit UNFPA, in: DIS (11.2020): Somalia - Health System, S.79-84, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landenotater/COI_report_somalia_health_care_nov_2020.pdf?la=en-GB&hash=3F6C5E28C30AF49C2A5183D32E1B68E3BA52E60C, Zugriff 12.5.2022

             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (11.2021): Somalia Humanitarian Bulletin, November 2021, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Somalia%20Humanitarian%20Bulletin%2C%20November%202021.pdf, Zugriff 12.5.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_SOMALIA-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 21.4.2022

             WB - Weltbank (22.7.2021): Somalia’s Women and Children are Among the 1.84 Million to Benefit from Improved Healthcare Services, https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2021/07/19/somalia-s-women-and-children-are-among-the-1-84-million-to-benefit-from-improved-healthcare-services, Zugriff 12.5.2022

             WB - Weltbank (6.2021): Somalia Economic Update. Investing in Health to Anchor Growth, http://documents1.worldbank.org/curated/en/926051631552941734/pdf/Somalia-Economic-Update-Investing-in-Health-to-Anchor-Growth.pdf, Zugriff 12.5.2022

             WHO Rizwan - World Health Organization / Humayun Rizwan (8.10.2020): Mental Health in Somalia, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/mental_health_presentation.pdf, Zugriff 12.5.2022

13.         Rückkehr

a.           Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 25.07.2022

Rückkehr international: Die steigende Rückkehr von somalischen Flüchtlingen nach Somalia ist eine Tatsache (ÖB 3.2020, Sitzung 13). Viele lokale Angestellte internationaler NGOs oder Organisationen sind aus der Diaspora zurückgekehrte Somali. Andere kommen nach Somalia auf Urlaub oder eröffnen ein Geschäft (BFA 3./4.2017). Viele Somalis in der Diaspora wollen zurückkommen und das Land aufbauen. Manche tun es nicht, weil es in Somalia keine adäquate Schulbildung für ihre Kinder gibt (SRF 27.12.2021). Andere schicken ihre Kinder gezielt nach Somalia: Alleine im Jahr 2019 wurden hunderte Kinder der somalischen Diaspora in London nach Somalia, Somaliland und Kenia gebracht, weil sich die Eltern zunehmend Sorgen um die Zunahme von Drogenbanden und Gewalt in England machten (TG 9.3.2019).

Die USA, Kanada, Großbritannien, Finnland, Dänemark, die Niederlande, Belgien und Norwegen führen grundsätzlich Abschiebungen nach Mogadischu durch. Pandemiebedingt und aufgrund der schwierigen Zusammenarbeit mit den somalischen Behörden finden nur wenige bis keine Rückführungen durch die genannten Staaten statt (AA 28.6.2022, Sitzung 25). Österreich beteiligt sich am von IOM geführten Programm RESTART römisch III, das freiwillige Rückkehr nach Somalia abwickelt (IOM 12.2021).

Rückkehr regional: Die Rückkehrbewegung nach Somalia hat sich seit 2020 deutlich verlangsamt. Insgesamt sind von Ende 2014 bis Jänner 2022 knapp 134.000 Menschen mit oder ohne Unterstützung nach Somalia zurückgekehrt. Im Jahr 2021 waren es ca. 2.500 – vor allem aus dem Jemen (UNHCR 10.2.2022). Verursacht wurde der Rückgang nicht zuletzt von der COVID-19-Pandemie (UNHCR 22.3.2022). In den ersten drei Monaten des Jahres 2022 kehrten nur 187 Personen von UNHCR assistiert nach Somalia zurück (UNHCR 22.4.2022).

Aus dem Jemen kamen mehr als 5.400 somalische Flüchtlinge mit Unterstützung durch den UNHCR zurück in ihr Land. Weitere knapp 46.000 sind aus dem Jemen ohne Unterstützung zurückgekehrt (AA 28.6.2022, Sitzung 23).

Der UNHCR und andere internationale Partner unterstützen seit 2014 die freiwillige Rückkehr von Somaliern aus Kenia. Grundlage ist ein trilaterales Abkommen zwischen Kenia, Somalia und dem UNHCR (AA 28.6.2022, Sitzung 23). Seit Abschluss des trilateralen Abkommens kehrten mit Unterstützung des UNHCR über 85.000 Menschen aus Kenia nach Somalia zurück (AA 28.6.2022, Sitzung 23; vergleiche NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 69). Diese gingen vor allem nach Kismayo und das südliche Jubaland (AA 28.6.2022, Sitzung 23). Noch nie wurde ein Bus, welcher Rückkehrer transportiert, angegriffen (FIS 7.8.2020, Sitzung 28). Allerdings kommt es aufgrund von Gewalt und Konflikten sowie durch die Pandemie bedingte Reisebeschränkungen immer wieder zu Unterbrechungen bei der Rückkehrbewegung (USDOS 12.4.2022, Sitzung 26).

Seit Frühjahr 2018 unterstützt die sogenannte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration rückkehrwillige somalische Migranten vornehmlich in Libyen und Äthiopien. Die Leistungen umfassen Beratung zu Möglichkeiten der Rückkehr sowie der Integration in den somalischen Arbeitsmarkt. Außerdem wird die Entwicklung von standardisierten Rückführungsverfahren nach Somalia gefördert. Mit Unterstützung von IOM sind 2021 803 Personen nach Somalia zurückgekehrt, davon 340 aus Saudi-Arabien, 295 aus dem Jemen und 16 aus Deutschland (AA 28.6.2022, Sitzung 24).

Behandlung: Die Zahl der von westlichen Staaten zurückgeführten somalischen Staatsangehörigen nimmt stetig zu. Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professionalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt. Das RMO hat für alle Rückführungsmaßnahmen nach Somalia eine einheitliche Prozedur festgelegt, die konsequent zur Anwendung gebracht wird (AA 28.6.2022, Sitzung 24). Es liegen keine Informationen dahingehend vor, dass abgelehnte Asylwerber am Flughafen in Mogadischu Probleme seitens der Behörden erfahren (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 71). Das RMO befragt sie hinsichtlich Identität, Nationalität, Familienbezügen sowie zum gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete minderjährige und andere Rückkehrer. Eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug kann vom RMO organisiert werden, die Rechnung begleichen die rückführenden Staaten. Staatliche Repressionen sind nicht die Hauptsorge der Rückkehrer. Nach vorliegenden Erkenntnissen werden Rückkehrer vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt (AA 28.6.2022, Sitzung 24f). Eine strukturelle Diskriminierung von Rückkehrern aus dem Ausland gibt es nicht (AA 28.6.2022, Sitzung 20).

Rückkehrstudie von UNHCR: Der UNHCR hat für eine repräsentative Studie von 2018 bis Dezember 2021 fast 2.900 Haushalte mit mehr als 17.000 Angehörigen – darunter vor allem unterstützte Rückkehrer aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen – zu ihrer Situation in Somalia befragt. Dabei hatten 48% der Befragten angegeben, wegen der verbesserten Sicherheitslage nach Somalia zurückgegangen zu sein. 14% machten diesen Schritt wegen besserer ökonomischer Möglichkeiten. Nur 24% der befragten Haushalte gaben an, in einem "IDP-Lager" zu wohnen [Anführungszeichen von UNHCR übernommen]. 94% der Rückkehrer gaben an, nach ihrer Rückkehr keinerlei Form von Gewalt (Drohungen, Einschüchterungen, physische Gewalt) erlebt zu haben. 90% gaben an, sich in ihrer Gemeinde und im Bezirk frei bewegen zu können. 91% der Befragten gaben an, dass sie nicht als Rückkehrer diskriminiert würden; und 88% wurden auch nicht wegen ihrer ethnischen oder Clan-Zugehörigkeit diskriminiert. 88% der Befragten haben keine Streitigkeiten austragen müssen. Von jenen, die in Konflikte verwickelt waren, gaben 38% Wohnungs- und Landstreitigkeiten als Gründe an, weitere 27% Familienstreitigkeiten (UNHCR 22.3.2022).

Erreichbarkeit: Einen regelmäßigen internationalen Direktflugverkehr nach Mogadischu gibt es aus Istanbul, Addis Abeba, Nairobi, Doha und Entebbe (AQ9 1.2022). Darüber hinaus fliegen regionale Fluglinien, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und private Chartermaschinen Mogadischu aus Nairobi regelmäßig an (AA 18.4.2021, Sitzung 24). Von Bossaso (Puntland) aus wird Addis Abeba und Dubai angeflogen, von Garoowe (Puntland) Addis Abeba und Nairobi (AQ9 1.2022). Für Rückführungen somalischer Staatsbürger wurden vor der COVID-19-Pandemie die Verbindungen der Turkish Airlines via Istanbul bzw. via Nairobi mit Jubba Airways bevorzugt. Bei Ersterer erfolgte meist eine polizeiliche Eskortierung bis Mogadischu, bei Letzterer nur bis Nairobi, da die Fluglinie sich dann gegen die Zahlung einer Gebühr um die Sicherheit kümmerte (AA 18.4.2021, Sitzung 24).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Mai_2022%29%2C_28.06.2022.pdf, Zugriff 4.7.2022

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf, Zugriff 6.5.2022

             AQ9 - Anonyme Quelle 9 (1.2022): Bei der Quelle handelt es sich um eine Migrationsanalyse

             BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia (3./4.2017): Informationen aus den Protokollen der FFM

             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645, Zugriff 6.5.2022

             IOM - Internationale Organisation für Migration (12.2021): AVRR-Newsletter 04/2021 – Freiwillige Rückkehr und Reintegration aus Österreich

             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (1.12.2021): Algemeen ambtsbericht Somalië, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068196/algemeen-ambtsbericht-somalie-21122021.pdf, Zugriff 11.5.2022

             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 11.5.2022

             SRF - Schweizer Radio und Fernsehen (27.12.2021): Ein Staat ohne Macht - Somalia: Leben im gescheiterten Staat, https://www.srf.ch/news/international/ein-staat-ohne-macht-somalia-leben-im-gescheiterten-staat, Zugriff 11.5.2022

             TG - The Guardian (9.3.2019): Mothers send sons to Somalia to avoid knife crime, https://www.theguardian.com/uk-news/2019/mar/09/british-somalis-send-sons-abroad-to-protect-against-knife-crime, Zugriff 11.5.2022

             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (22.4.2022): Somalia Situation, Population of concern to UNHCR as of 31 March 2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2072029/RB_Situations_Somalia_220331.pdf, Zugriff 11.5.2022

             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (22.3.2022): Somalia, Post Return Monitoring Snapshot, PRM Round 7, February 2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2070098/Post+Return+Monitoring+-+Snapshot+February+2022.pdf, Zugriff 11.5.2022

             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (10.2.2022): Somalia, Returnees Figures and Trends as of 31 January 2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068052/Monthly+Return+Dashboard+as+of++Jan+2022.pdf, Zugriff 11.5.2022

             USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_SOMALIA-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 21.4.2022

14.         Dokumente

a.           Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 25.07.2022

Es gibt im Land kein umfassendes Programm zur Geburtenregistrierung, die Registrierungsrate beträgt in ganz Somalia (inkl. Somaliland) nur rund 3 % (ÖB 3.2020). Nach anderen Angaben sind 4 % der Kinder unter zwei Jahren registriert, allerdings ist nur 1 % im Besitz einer Geburtsurkunde (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 40). Seit dem Fall von Siad Barre im Jahr 1991 herrscht in Somalia eine „dokumentenlose“ Gesellschaft. Normalerweise identifizieren sich Somalis durch Dialekt und Clanzugehörigkeit (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 13; vergleiche NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 40). Der Großteil der Bevölkerung besitzt also keine Papiere (ÖB 3.2020, Sitzung 4), Somalia hat den höchsten Prozentsatz an Menschen weltweit, die über keinen staatlichen Identitätsnachweis verfügen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 43ff). Die Weltbank nennt diesbezüglich eine Zahl von 77 % der Bevölkerung (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 40). Einen Reisepass besitzen nur Personen in formellen Anstellungen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 43ff) oder jene, die ins Ausland reisen (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 43ff; vergleiche LIFOS 9.4.2019, Sitzung 13).

Identitätsprüfung: [siehe auch Kapitel Meldewesen] Möchte jemand ein Dokument beantragen, dann muss er sich an jene Lokalbehörde wenden, wo er geboren wurde oder lebt (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 15f). Nachdem in Somalia kein Personenstandsverzeichnis existiert, erfolgt die Ausstellung von Dokumenten allein aufgrund der mündlichen Angaben der antragstellenden Person (ÖB 3.2020, Sitzung 4; vergleiche LI 14.6.2018, Sitzung 17) und ggf. anwesender Zeugen und Verwandten (ÖB 3.2020, Sitzung 4; vergleiche LI 14.6.2018, Sitzung 17; LIFOS 9.4.2019, Sitzung 15f). Die Person selbst wird interviewt und nach dem Ältesten befragt, mit welchem ggf. Kontakt aufgenommen wird (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 15f). Denn die verlässliche Feststellung von Identitäten erfolgt – neben Verwandten – oft durch Älteste eines Dorfes (ÖB 3.2020, Sitzung 4). Folglich kann es bei Angaben, die zur Ausstellung eines Dokuments gemacht werden müssen, leicht zu Falschangaben kommen. Zusätzlich fördern schwache Institutionen, niedrige Gehälter und eine Kultur der Korruption die Bestechlichkeit von Beamten, welche Dokumente ausstellen. Auch die starken Loyalitäten, die auf dem Clansystem beruhen, kommen hier zu tragen. In das System der Identifizierung einzelner Personen kann folglich nicht viel Vertrauen gelegt werden (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 34ff). Es besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige zu erhalten (AA 28.6.2022, Sitzung 26).

Dokumentensicherheit: Für Somalier ist es generell einfach, echte Dokumente unwahren Inhalts zu besorgen, darunter auch unrichtige Pässe der Nachbarländer Dschibuti, Äthiopien und Kenia. In Somalia selbst, aber auch z. B. im Stadtteil Eastleigh in Nairobi, werden gefälschte somalische Reisepässe ebenso wie zahlreiche andere gefälschte Dokumente zum Verkauf angeboten (AA 28.6.2022, Sitzung 26). Dokumenten mangelt es insgesamt an nachweisbaren Grundlagen und Verlässlichkeit der Angaben. Dieser Umstand öffnet die Tür für Betrug und Missbrauch. Personen mit fünf verschiedenen Reisedokumenten und fünf darin anderslautenden Namen sind keine Seltenheit. Hinzu kommen erschwerend die häufige Namensgleichheit bzw. verschiedene Namensschreibweisen (ÖB 3.2020, Sitzung 4). Generell werden Dokumente eher nicht gefälscht, da es einfach ist, an Originale zu gelangen. Mit Hilfe von sogenannten "Fixern" können alle Arten von Dokumenten arrangiert werden: Reisepässe, Geburts- oder Sterbeurkunden etc. (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 41f). Auch für ethnische Somali aus den Nachbarländern scheint es kein Problem zu sein, an echte somalische Dokumente zu gelangen. Sowohl in Kenia als auch in Äthiopien sind zahlreiche eigene Staatsbürger somalischer Ethnie als aus Somalia stammende Flüchtlinge registriert (BFA 3./4.2017). Die Echtheit von Dokumenten bzw. Urkundenüberprüfungen hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit bzw. des Wahrheitsgehalts von Dokumenten kann keinesfalls überprüft werden (ÖB 3.2020, Sitzung 4; vergleiche NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 41).

Dokumente: Nur wenige Somali können die erforderlichen Mittel aufbringen, um einen Reisepass zu erhalten (ÖB 3.2020, Sitzung 9). Dabei erfolgt die Ausstellung eines Passes in Mogadischu innerhalb weniger Wochen ohne Problem, die Kosten betragen 90-100 US-Dollar. Gleichzeitig mit dem Pass erhält man einen Personalausweis. Für die Beantragung eines Passes ist die Vorlage einer Geburtsurkunde notwendig (FIS 7.8.2020, Sitzung 45). Ausgestellt werden Pässe in Mogadischu und wenigen anderen somalischen Städten sowie an einigen Botschaften (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 43ff). Generell ist die Ausstellung von Reisepässen an somalischen Botschaften von persönlichen Beziehungen und der jeweiligen Situation abhängig (NLMBZ 1.12.2021, Sitzung 41). Insgesamt ist die Ausstellung von Reisepässen von Betrug und Korruption gekennzeichnet, die Integrität dieses Dokuments ist untergraben (ÖB 3.2020, Sitzung 5). Aufgrund von Sorgen hinsichtlich des Ausstellungsprozesses bzw. wegen weitverbreitetem Passbetrug erkennen nur wenige Staaten den somalischen Reisepass als gültiges Reisedokument an (UNHCR 22.12.2021, Sitzung 43ff; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 9).

Die große Mehrheit somalischer Geburtsurkunden ist entweder gefälscht oder sonst für einen Identitätsnachweis unbrauchbar (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 34f). Geburtsurkunden mit falschen Einträgen können gekauft werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 45). Selbst somalische Behörden schenken somalischen Geburtsurkunden nur wenig Vertrauen (BFA 3./4.2017).

In Puntland erhalten nicht-puntländische Somali zwar keinen puntländischen Ausweis; sie können aber eine Personalurkunde erhalten (warqadda sugnaanta), wo ihre eigentliche Herkunft eingetragen ist. Für IDPs aus anderen Teilen Somalias gibt es in Puntland eigene ID-Karten (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 17).

Ehen werden vor einem Schariagericht geschlossen und auch wieder aufgelöst. Die Scharia-Gerichte können Ehe- und Scheidungsurkunden ausstellen. Es gibt kein zentrales Verzeichnis, das die Akte der Gerichte nachprüfbar macht (ÖB 3.2020, Sitzung 9). Es gibt keine Zivilehe (LI 14.6.2018, Sitzung 7).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Mai_2022%29%2C_28.06.2022.pdf, Zugriff 4.7.2022

             BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia [Österreich/Schweiz] (3./4.2017): Informationen aus den Protokollen der FFM

             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645, Zugriff 6.5.2022

             LI - Landinfo [Norwegen] (14.6.2018): Somalia: Marriage and divorce, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/09/Report-Somalia-Marriage-and-divorce-14062018-2.pdf, Zugriff 6.5.2022

             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf, Zugriff 6.5.2022

             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (1.12.2021): Algemeen ambtsbericht Somalië, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068196/algemeen-ambtsbericht-somalie-21122021.pdf, Zugriff 11.5.2022

             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 6.5.2022

             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (22.12.2021): Citizenship and Statelessness in the Horn of Africa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065866/61c97bea4.pdf, Zugriff 12.5.2022

4. Beweiswürdigung:

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG.

4.1. Zur Person des BF:

Die Feststellungen zur Identität des BF, dem vom BFA bereits subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, ergeben sich aus seinen Angaben vor dem BFA und in der Beschwerde.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den Lebensumständen des BF, stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF im Verfahren vor dem BFA und in der Beschwerde sowie auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Somalisch und die Kenntnis der geografischen Gegebenheiten von Somalia.

Die Identität des BF steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.

4.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Als fluchtauslösendes Ereignis brachte der BF vor, dass er als Sohn einer Mutter, die Angehörige eines Minderheiten-Clans ist, diskriminiert worden sei, ferner würden ihn seine Halbgeschwister verfolgen und töten wollen.

Festzuhalten ist, dass diese Verfolgungsgründe weder bewiesen noch belegt worden sind. Daher ist zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, auf die persönliche Glaubwürdigkeit des BF und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen.

Die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des BF hat vor allem zu berücksichtigen, ob dieser außerhalb des unmittelbaren Vortrags zu seinen Fluchtgründen die Wahrheit gesagt hat; auch ist die Beachtung der in Paragraph 15, AsylG normierten Mitwirkungspflichten gemäß Paragraph 18, Absatz 2, AsylG und die sonstige Mitwirkung des BF im Verfahren zu berücksichtigen.

Zum Vorbringen, in der Gesellschaft als Sohn einer Mutter, die Angehörige des Minderheiten-Clans Gabooye ist, diskriminiert worden zu sein, ist auszuführen, dass dem keine Asylrelevanz zukommt, zumal sich aus den Länderberichten nicht ergibt, dass jeder Zugehörige des Clans Gabooye einer systematischen staatlichen Verfolgung obliegt und der BF dies auch nicht behauptet hat („Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt? A: Die Regierung sind Menschen, die Mensch diskriminieren. Seitens der Regierung und ihrer Beamten gab es aber keine solche Übergriffe.“). Darüber hinaus hat der BF angegeben, dass für ihn die Benachteiligungen, die er von anderen, ihm fremden Menschen erfahren hätte, nicht schlimm gewesen wären, fluchtauslösend wären eher die Konflikte mit den Halbgeschwistern gewesen („Die Gesellschaft und die Leute aus dem Dorf haben mich diskriminiert, aber dies war nicht so schlimm. […] F: Sie haben geschildert, dass Sie von anderen Mitgliedern Ihrer Gemeinde diskriminiert wurden, wie hat sich dies geäußert? A: Wenn ich zum Markt ging, dann haben sie mich als Minderheit beleidigt und ich hatte keine Freunde. Es war mir egal. Es ging um die Beleidigung durch meine Geschwister.“). Ferner ist festzuhalten, dass in Somalia die Clan-Zugehörigkeit vom Vater hergeleitet wird und der BF damit in der Gesellschaft auch als ein Mitglied der Sheekhaal, einem angesehenen Clan in Somalia, gelten würde, weshalb die behaupteten Diskriminierungen durch andere Dorfbewohner nicht nachvollziehbar erscheinen.

Bezüglich der Bedrohung durch die Halbgeschwister ist auszuführen, dass diesem Vorbringen ebenfalls keine Glaubwürdigkeit zukommt. Mögen ihn auch die Geschwister aufgrund der Clanzugehörigkeit der Mutter ablehnend behandelt bzw. beim Grundstücksverkauf benachteiligt haben – dem allerdings keine Asylrelevanz zukommt –, so konnte der BF jedoch aufgrund mehrerer Unstimmigkeiten und Unplausibilitäten nicht glaubhaft vermitteln, dass diese ihm tatsächlich nach dem Leben trachten würden.

Wenig nachvollziehbar sind bereits die vom BF geschilderten Motive der Halbgeschwister, den BF und seine Mutter umzubringen. So gab der BF in der Verhandlung am 20.09.2022 an, dass es um einen Grundstücksverkauf gegangen wäre. Die Halbgeschwister hätten dem BF und seiner Mutter den Erlös vorenthalten wollen und befürchtet, dass diese ihren Anteil einfordern würden. Um dies zu verhindern, hätten sie sie töten wollen. Allerdings stellt sich hier die Frage, auf welche Weise der BF und seine Mutter sich das Geld verschaffen hätten wollen, zumal der BF ja angab, dass Mitglieder der Gabooye diskriminiert worden wären und es keinen Sinn gehabt hätte, sich an die Behörden zu wenden, da einem sowieso keiner helfe. Die Furcht der Halbgeschwister wäre somit völlig unbegründet gewesen und fehlt in Zusammenhang mit dem Grundstücksverkauf jeglicher Grund für einen beabsichtigten Mord.

Ferner gab der BF an, dass die Halbgeschwister nicht nur ihn, sondern auch seine Mutter töten hätten wollen. Auf Nachfrage des erkennenden Gerichts, weshalb diese dann noch seit der Flucht des BF am 02.12.2019 bis heute im Heimatdorf leben hätte können, ohne getötet worden zu sein, antwortete der BF, dass die Mutter gleichzeitig mit ihm das Dorf verlassen hätte und nunmehr in Somaliland lebe („RI: Sie haben ja auch angekündigt Ihre Mutter zu töten. Warum konnte sie dortbleiben? Diese ganzen Vorfälle sind schon vor 3 Jahren passiert. BF: Meine Mutter ist nicht mehr dort. […] RI: Dann sagen Sie mir bitte, wo wohnt Ihre Mutter? BF: In Somaliland.“). Allerdings hatte der BF zuvor auf die Frage, wo sich aktuell seine Angehörigen befinden würden, von sich aus eindeutig ausgesagt, dass sich seine Mutter noch im Heimatdorf befinde, wobei er auch angab, dass die Halbgeschwister ebenfalls dort leben würden, jedoch nicht im Haus der Mutter („RI: Welche Verwandte von Ihnen leben noch in Somalia und wo halten sie sich auf? BF: Meine Mutter befindet sich in römisch 40 . Halbgeschwister leben noch in römisch 40 , aber nicht zusammen mit meiner Mutter.“). Hier zeigt sich somit ein grober Widerspruch und es entsteht der Eindruck, dass der BF gezwungen war, seine Aussage bezüglich des wahren Aufenthaltsortes zu ändern, zumal deren aktuelle Anwesenheit im Heimatdorf eindeutig gegen eine tatsächlich bestehende Bedrohung durch die Halbgeschwister sprechen würde.

Bezüglich des Kontaktes zur Mutter ergaben sich weitere Unplausibilitäten, die gegen deren Flucht nach Somaliland sprechen. So stellt sich die Frage, auf welche Weise und wann der BF nach dem angeblichen Verschwinden seiner Mutter diese wiederfinden konnte. So gab er in der Einvernahme vor dem BFA am 28.04.2021 an, keinen Kontakt zu seiner Mutter zu haben und auch nicht zu wissen, wo sie sei („Ich weiß nicht von was sie lebt und wir haben keinen Kontakt mehr.“). In der Verhandlung am 20.09.2022 brachte er jedoch vor, bereits seit Jänner 2021 mit der Mutter wieder in Kontakt zu stehen, was die Aussage vor dem BFA im April 2021 nicht nachvollziehbar macht („RI: Wann haben Sie dann wieder das 1. Mal Kontakt zu Ihrer Mutter gehabt? BF: Im Jänner 2021.“). Weiters gab der BF an, über Facebook mit seiner Mutter in Verbindung zu stehen, wobei jedoch das Facebook-Profil den Namen römisch 40 aufweist und auf dem Profilfoto ein junges Mädchen zu sehen ist. Dies und der Umstand, dass der BF in diesem Zusammenhang vor dem BVwG angab, der Facebook-Name sei falsch, der richtige Name seiner Mutter laute römisch 40 , erscheint angesichts des Umstandes, dass er vor dem BFA angegeben hatte, sie heiße römisch 40 , befremdlich und verstärkt in einer Gesamtschau den Eindruck der Unglaubwürdigkeit.

Ferner steht die Behauptung des BF vor dem BVwG, er hätte ihm unbekannte ältere Männer um Hilfe gebeten und von ihnen 20.000 somalische Schilling für die Ausreise erhalten, in Widerspruch zu seiner immer wiederkehrenden Behauptung, dass ihm als Angehörigen eines Minderheiten-Clans niemand jemals geholfen hätte und er von allen Seiten diskriminiert worden wäre. Es stellt sich hier die Frage, weshalb sich diese Männer plötzlich so wohltätig gegenüber dem BF verhalten und ihm Geld – wenn auch nicht viel – schenken hätten sollen.

Des Weiteren steigerte der BF sein Vorbringen vor dem BVwG, was ebenfalls gegen den Wahrheitsgehalt der Fluchtgeschichte spricht. So gab er nunmehr an, dass es tatsächlich einen Mordanschlag auf seine Mutter gegeben hätte, wobei die Halbgeschwister zu ihnen nachhause gekommen wären und diese töten hätten wollen, sie jedoch mit Glück entkommen hätte können. Diesen einschneidenden Vorfall hatte der BF vor dem BFA mit keinem Wort erwähnt und auch vor dem BVwG machte der BF im Zuge der Befragung relativ spät darüber Angaben, was angesichts der Wichtigkeit eines solchen Ereignisses überaus befremdlich erscheint und dafür spricht, dass der BF versucht, durch Ausbau der Fluchtgeschichte eine asylrelevante Situation zu generieren.

Zu guter Letzt ist festzuhalten, dass das Vorbringen in der Verhandlung, der BF sei der Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch Al Shabaab ausgesetzt, ins Leere geht, zumal der BF dies vor dem BFA nie erwähnt hatte und vor dem BVwG nunmehr angab, weder persönlichen Kontakt zu Mitgliedern der Al Shabaab gehabt zu haben noch diese überhaupt gesehen zu haben („RI: Hat es irgendwelche Probleme persönlich mit der Al Shabab gegeben? BF: Nein, meine Mutter hat mir nur gesagt, wenn ich diese Leute sehe, soll ich flüchten.“). Diesbezüglich kann somit eine den BF persönlich betreffende Bedrohung nicht erkannt werden.

Zusammengefasst konnte der BF aufgrund der Widersprüche und Unplausibilitäten eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Clanzugehörigkeit durch andere Dorfbewohner bzw. durch seine Halbgeschwister nicht glaubhaft machen.

Von weiteren Erhebungen im Herkunftsland konnte daher Abstand genommen werden. Da weitere Fluchtgründe weder behauptet wurden, noch von Amts wegen hervorgekommen sind, konnte eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht werden.

Überdies ist darauf hinzuweisen, dass dem BF auf Grund der aktuellen Lage in Somalia und seiner individuellen Situation bereits rechtskräftig der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist.

4.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Die diesem Erkenntnis zugrundegelegten Länderfeststellungen (siehe oben Punkt 3.3.) gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Somalia ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben.

Dass sich seit der Erlassung des bekämpften Bescheides des BFA in Somalia allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, kann in diesem Fall verneint werden. Die Lage in Somalia stellt sich diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einschau in aktuelle Berichte) versichert hat.

Der BF hat diese Feststellungen nicht in substantiierter Weise bestritten, zumal sie nicht nur die Grundlage für die Abweisung von Asyl, sondern mit auch die Grundlage für die Gewährung von subsidiärem Schutz an den BF darstellen.

5. Rechtliche Beurteilung:

5.1. Anzuwendendes Recht:

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Gemäß Paragraph 6, Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 10 aus 2013, in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012, in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

Gemäß Paragraph 27, VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (Paragraph 9, Absatz eins, Ziffer 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (Paragraph 9, Absatz 3,) zu überprüfen.

Gemäß Paragraph 28, Absatz eins, VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.           der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.           die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß Paragraph 15, AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Gemäß Paragraph 18, AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

5.2. Rechtlich folgt daraus:

Zu Spruchteil A):

5.2.1. Die gegenständliche und zulässige Beschwerde wurde rechtzeitig beim BFA eingebracht und ist nach Vorlage am 21.06.2021 beim BVwG eingegangen.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

5.2.2. Das BVwG stellt weiters fest, dass das Verwaltungsverfahren in wesentlichen Punkten rechtmäßig durchgeführt wurde.

Die belangte Behörde befragte den BF insbesondere zu der von ihm behaupteten Gefahrensituation und legte ihrer Entscheidung umfangreiche Berichte unbedenklicher Stellen über die Situation in Somalia zu Grunde.

5.2.3. Zur Beschwerde:

Das Vorbringen in der Beschwerde war ebenfalls nicht geeignet, eine andere Entscheidung über den Antrag des BF herbeizuführen.

Das Beschwerdevorbringen erschöpfte sich in einer Wiederholung des Fluchtvorbringens, welches der BF bereits vor der Erstbehörde vorgebracht hatte.

Das BFA hat ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen, warum der BF eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen konnte, und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage nachvollziehbar zusammengefasst. Diesen Ausführungen ist der BF in der Beschwerde auch nicht in geeigneter Weise entgegengetreten.

Der Gefahrenlage des BF wurde durch die Entscheidung des BFA, ihm subsidiären Schutz zu gewähren, hinreichend Rechnung getragen.

5.2.4. Zum angefochtenen Spruchpunkt römisch eins. des gegenständlichen Bescheides (Paragraph 3, AsylG):

Gemäß Paragraph 3, AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974, (in der Folge GFK) droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung) verweist.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 3, AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6, AsylG) gesetzt hat.

Die mit 01.01.2016 in Kraft getretenen Absatz 4 bis 4b des Paragraph 3, AsylG, die gemäß Paragraph 75, Absatz 24, für Asylanträge gelten, die nach dem 15.11.2015 gestellt worden sind, lauten:

„(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (Paragraph 5, BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.

(4b) In einem Familienverfahren gemäß Paragraph 34, Absatz eins, Ziffer eins, gilt Absatz 4, mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.“

Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist vergleiche z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse vergleiche VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vergleiche auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein vergleiche dazu VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe vergleiche VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird vergleiche VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0370; VwGH 22.10.2002, 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503 und 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße – möglicherweise vorübergehende – Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände im Sinne des Artikel eins, Abschnitt C Ziffer 5, GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, 98/20/0399; VwGH 03.05.2000, 99/01/0359).

5.2.4.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Da der BF die behaupteten Fluchtgründe, nämlich die – aktuell drohende – Gefahr einer Verfolgung aufgrund seiner Clanzugehörigkeit durch andere Dorfbewohner bzw. durch seine Halbgeschwister, nicht glaubhaft hat machen können, liegt die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, nicht vor. Soweit er eine Verfolgung durch Private behauptet, fehlt es überdies an einem ausreichenden Zusammenhang mit einem Konventionsgrund.

Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des VwGH keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar vergleiche etwa VwGH 14.03.1995, 94/20/0789; 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen vergleiche etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt – nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gewinnung – zusammenhängt (siehe auch BVwG 15.12.2014, W225 1434681-1/31E). Derartiges hat der BF jedoch nicht glaubhaft behauptet.

Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass dem BF gerade auf Grund der aktuellen Lage in Somalia und seiner individuellen Situation bereits der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist. Dafür, dass der BF aus einem asylrelevanten Grund von der allgemeinen Lage besonders betroffen wäre, lässt sich kein Anhaltspunkt erkennen.

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), Bundesgesetzblatt Nr. 10 aus 1985, in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.


European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2022:W241.2243584.1.00