Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

26.09.2022

Geschäftszahl

W142 2241570-1

Spruch


W142 2241570-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2021, Zl. 1265238306/200477165, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.06.2022 zu Recht erkannt:

A)

römisch eins. Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 hinsichtlich Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

römisch II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status des subsidär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

römisch III. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 wird römisch 40 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres erteilt.

römisch IV. In Erledgigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger aus Somalia, reiste illegal in Österreich ein und stellte am 09.06.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 10.06.2020 fand vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des BF im Beisein eines Dolmetschers, welcher in die Sprache Somalisch übersetzte, statt. Zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt, gab der BF an, er sei in Hardhere geboren und verheiratet. Er spreche muttersprachlich Somalisch und bekenne sich zum Islam. Er gehöre der Volksgruppe der Qaboye an. Der BF habe die Grundschule besucht, keine Berufsausbildung und zuletzt als Mechaniker gearbeitet. Er habe noch seine Eltern, seine Ehefrau, zwei Söhne und zwei Töchter. Er habe in Somalia in der Stadt Hargeysa gelebt. Den Entschluss zur Ausreise habe er im Februar 2020 gefasst. Er sei am 29.02.2020 mit einem PKW von Somalia nach Äthiopien gefahren und dann mit dem Flugzeug weiter in die Türkei gereist. Danach sei er über Griechenland und unbekannte Länder nach Östereich gelangt. Die Reise habe 4.500 USD gekostet und sei mit Hilfe eines Schleppers erfolgt.

Zu seinem Fluchtgrund brachte er vor, er habe sein Land verlassen, weil seine Volksgruppe (Qaboye) diskriminiert werde. Andere Gründe habe er nicht.

Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben. Daheim sei es nicht sicher für ihn.

3. Am 24.07.2020 wurde der BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in der Sprache Somali niederschriftlich einvernommen.

Der BF verneinte derzeit in ärztlicher Behandlung zu stehen oder Medikamente einzunehmen. Befragt, ob er betreffend seine Angaben zu seiner Nationalität, seinem Reiseweg oder zu allfällig vorglegeten Dokumenten etwas berichtigen, ergänzen oder richtigstellen wolle, gab der BF an, dass sich die Dolmetscherin zu seinem Geburtsort verschrieben habe. Er sei in Harar Dheere geboren, nicht in Hardhere. Weiters führte der BF aus, dass er sein genaues Geburtsdatum nicht kenne. Er habe die Koranschule besucht und habe er zuletzt bzw. von Geburt an, in Harar Dheere, im Dorf römisch 40 gelebt. Der BF habe dort mit seinen Eltern, seiner Frau und seinen Kindern gelebt. Er sei ein Einzelkind. Die allgemeine Situation im Dorf sei schlecht gewesen, Al Shabaab habe die Kontrolle.

Befragt, wieso er habe flüchten müssen, gab der BF an, er habe wegen der Al Shabaab-Millizen flüchten müssen. Seinen Lebensunterhalt habe er durch seine Arbeit als Automechaniker verdient. Auf die Frage, was mit seinem Haus passiert sei, gab der BF an, er habe alles zurückgelassen. Befragt, ob er noch Angehörige in der Heimat habe, nannte der BF seine Eltern, seine Frau und seine Kinder sowie einen Onkel mütterlicherseits, von welchem er den Beruf des Mechanikers erlernt habe. Seine Familie lebe jetzt in Harar Dheere, im Dorf römisch 40 .

Befragt, warum er nicht auch dort leben könne, gab der BF wie folgt an (LA: Leiter der Amtshandlung, VP: Verfahrenspartei/BF):

[…]

VP: „Ich habe als Automechaniker gearbeitet in einer Werkstatt von meinem Onkel. Dort habe ich Jugendliche kennen gelernt. Sie verlangten von mir etwas, was ich nicht machen konnte. Sie verkauften alkoholische Getränke und baten mich zu helfen, indem ich alkoholische Getränke in der Werkstätte versteckte. Sie haben mir Geld dafür geboten. Ich habe neun Monate lange Getränke versteckt. Dann hat die Al-Shabaab herausgefunden, dass ich alkoholische Getränke in der Werkstätte verstecke. Eines Tages kamen die Al-Shabaab und sie erwischten einen der Männer. Ich selbst war nicht da. Mein Onkel hat mir das erzählt und mich davor gewarnt in die Werkstatt zu kommen. Ich versteckte mich drei Tage im Dorf. Danach habe ich mich mit meinem Onkel zusammengesetzt. Die Al-Shabaab hat den jungen Mann getötet. Aus diesem Grund musste ich fliehen, da ich auch Angst hatte, dass sie mich töten.“

LA: Wusste Ihr Onkel, dass Sie Alkohol in der Werkstätte verstecken?

VP: Nein, hat er nicht gewusst.

LA: War Ihr Onkel sauer, als er es herausgefunden hat?

VP: Ja er war sehr enttäuscht und hat mich angeschrien. Er sorgte sich um mich. Er wusste, dass die Al Shabaab mich töten wird.

LA: Und wie geht es Ihrer Familie jetzt dort?

VP: Ich habe gar keinen Kontakt.

LA: Haben Sie kein Handy?

VP: Nein

...

LA: Was haben Sie in der Werkstätte verdient?

VP: Ich habe täglich 10 Dollar verdient.

LA: Wieviel Geld haben Sie für das verstecken des Alkohols bekommen?

VP: 200 Dollar in der Woche.

LA: Wer hat Ihre Reise hierher finanziert?

VP: Mein Onkel.

LA: Hatten Sie wirtschaftliche Gründe Ihre Heimat zu verlassen?

VP: Ich konnte dort leben, ich hatte keine Probleme mich mit Essen zu versorgen.

LA: Wo könnten Sie in Zukunft in Ihrer Heimat wohnen?

VP: Nirgends ich habe Angst in Somalia zu leben. Ich habe Angst vor der Al-Shabaab.

[…]

Weiters verneinte der BF, in der Heimat Mitglied einer politischen Organisation oder eines Vereines gewesen zu sein und gab er an, dem Clan der Gabooye anzugehören und Moslem zu sein. Er habe im Herkunftsstaat oder in Österreich keine Strafrechsdelikte begangen.

4. Am 25.01.2021 fand eine weitere Einvernahme des BF, unter Anwsenheit eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch, vor dem BFA statt.

Der BF gab an, dass er keine Medikamente einnehme und er nicht in ärztlicher Behandlung stehe. Er habe bei der Erstbefragung die Wahrheit gesagt, das Protokoll sei ihm rückübersetzt und korrekt protokolliert worden. Der BF bejahte, den Dolmetscher damals gut verstanden zu haben und er vollständige Angaben gemacht habe bzw. seine Fluchtgründe vollständig erzählt habe.

Zu seinen persönlichen Verhältnisse führte der BF aus, er sei in Harardhere geboren, sei Moslem und gehöre er dem Minderheitsclan der Gabooye, Reer Magaadi, an. Die Frage, ob er Probleme wegen seiner Clanzugehörigkeit gehabt habe, bejahte der BF und gab er an, dass es Rassismus gegen die Gabooye in Somalia gebe. Persönlich habe er keine Probleme wegen seiner Clanzugehörigkeit gehabt und sei er auch nicht verfolgt worden. Auf Unterstützung seines Clans könne er nicht zurückgreifen. Dies deshalb, weil sein Vater und auch er Einzelkinder seien, weshalb ihm niemand helfen könne. Sein Clan sei ein Haradhere und überall in Somalia verstreut angesiedelt. In Mogadischu gebe es wenige. Sein Clan sei mit keinem anderen Clan verbunden. Der BF habe 2 Jahre die Koranschule besucht, wo er lesen und schreiben gelernt habe. Anschließend habe er in der Werkstätte seines Onkels mütterlicherseits (in Haradhere) als Mechaniker gearbeitet. Er habe 10 USD im Monat verdient. In einem anderen Beruf habe er nicht gearbeitet. Die Frage, ob sein Lebensunterhalt in Somalia gesichert gewesen sei, bejahte der BF und gab er an, dass er von dem Geld leben habe können. Sein letzter Arbeitstag sei am 20.02.2020 gewesen. Er habe in Somalia in Harardhere gewohnt, später, bevor er ausgereist sei, in Mogadischu. Auf den Vorhalt, dass er bei der Erstbefragung angegeben habe, in Hargeysa gewohnt zu haben, führte der BF aus, dass die Dolmetscherin in der Erstbefragung Hargeysa mit Haradhere verwechselt habe. Der BF habe in Haradhere mit seinen Eltern, seiner Frau und den Kindern in einer Hütte gelebt. Am 20.02.2020 habe er Haradhere nach Mogadischu verlassen. In Mogadischu habe er in Bakara, bei einem Verwandten seines Onkels mütterlicherseits in einer Hütte gelebt. Er sei 8 oder 9 Tage in Mogadischu gewesen. Seine Familie habe keinen Besitz in Somalia. Der BF sei verheiratete und habe er 4 Kinder. Diese hätten in Haradhere gelebt als er Somalia verlassen habe. Er habe 2013 in Haradhere traditionell geheiratet. Wo seine Ehefrau und seine 4 Kinder aktuell leben wisse er nicht. Er habe zu ihnen keinen Kontakt. Befragt, ob er versucht habe Kontakt aufzunehmen, gab der BF an, er wisse nicht, wie er sie kontaktieren solle. Befragt, wie sich seine Familie nach seiner Ausreise den Lebensunterhalt finanziert habe, gab der BF an, es sei schlecht gewesen. Er habe für die Familie gearbeitet. Seine Frau, den Kindern und den Eltern gehe es nach seiner Ausreise sicher schlecht. Befragt, ob er dies vermute oder es wisse, gab der BF an, dies zu wissen. Befragt, woher er dies wisse, führte der BF aus, er sei die einzige Person gewesen, die gearbeitet habe. Er habe die Familie versorgt. Sein Vater sei krank. Der einzige, der helfen könne, sei sein Onkel, dieser habe jedoch selbst zwei Familien. Seine Ehefrau und die 4 Kinder seien gesund. Seine Eltern würden in Somalia leben, er habe keinen Kontakt. Befragt, wer von seiner Familie noch in Somalia lebe, nannte der BF 3 Cousins und den Onkel mütterlicherseits. Ansonsten lebe niemand in Somalia. Ein Cousin lebe in Mogadischu, 2 Cousins und der Onkel mütterlicherseits (Besitzer der Werkstatt) in Haradhere. Es würden keine weiteren Familienmitglieder in Mogadischu leben.

Zu seiner Fluchtroute befragt, gab der BF an, er sei von Haradhere nach Hobiyo und weiter mit dem Maschinenboot nach Mogadischu gelangt. Von dort sei er schlepperunterstützt mit dem Flugzeut in die Türkei gereist und über Griechenland nach Österreich gekommen. Sein Reisepass sei ihm vom Schlepper in der Türkei am 29.02.2020 abgenommen worden.

Die Frage, ob er sein Heimatland wegen der Dürre verlassen habe, verneinte der BF und gab er an, nur wegen der Al Shabaab. Er habe die Entscheidung zum Verlassen des Heimatlandes innerhalb von 4 Tagen getroffen. Am 20.02.2020 habe er Hardhere verlassen, anschließend sei er noch bis 29.02.2020 in Mogadischu gewesen. Er habe sich 3 Tage in Haradhere und 5 Tage in Mogadischu versteckt. In Haradhere habe er sich im Haus des Cousins seines Vaters versteckt. In Mogadischu habe er sich im Haus eines Freundes des Onkels versteckt.

Er sei illegal ausgereist. Der Schlepper habe ihm einen Reisepass und ein Visum besorgt. Die Ausreise habe 4.500 USD gekostet. Sein Onkel mütterlicherseits habe die Reise bezahlt. Er müsse das Geld nicht zurückzahlen, da er das einzige Kind seiner Schwester sei. Der BF sei alleine ausgereist.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der BF wie folgt an (Schreibfehler korrigiert):

[…]

„VP: Ich habe in der Werkstätte meines Onkels gearbeitet und für zwei junge Männer habeich das Auto repariert. Sie haben mit Alkohol gehandelt. Dann haben sie mir angeboten, gegen Geld, die alkoholischen Getränke in der Werkstätte zu verstecken. Es gab ein altes Auto in der Werkstätte, zudem war die Werkstätte groß. Ich habe ihnen gesagt, dass ich 2 Tage Bedenkzeit brauche. Dann habe ich es mir überlegt, weil man in der Werkstätte nichts verdient. Die Arbeit war so lala. Manchmal hat man nur die Hälfte des Monats gearbeitet und auch nur die Hälfte des Monatslohns erhalten. Dann habe ich sie gefragt, wie viel sie mir bezahlen würden. Sie haben mir dafür 200 Dollar pro Woche angeboten. So habe ich für diese Männer 9 Monate gearbeitet. Dann hat Al-Shabaab dies mitbekommen. Wir haben von Al-Shabaab Autos in der Werkstätte repariert. Al-Shabaab hat einen Mann mit alkoholischen Getränken erwischt und ihn gefragt, woher er dies hätte. Dieser hat angegeben, dass er die alkoholischen Getränke von unserer Werkstätte bekommen hat. Am nächsten Tag um 10:00 Uhr sind die Al-Shabaab in die Werkstätte gekommen. Ich war nicht in der Werkstätte, weil ich meinen Sohn zum Arzt gebracht, er war krank. Einer der Männer, für welche ich die alkoholischen Getränke versteckt habe, war nicht in der Stadt, weil er weitere alkoholische Getränke besorgen war. Al-Shabaab sind in die Werkstätte gekommen. Einer der Männer, für welche ich die alkoholischen Getränke versteckt habe, war vor Ort, auch andere Mitarbeiter. Al-Shabaab hat nur den Mann, für welchen ich die Getränke versteckt habe, festgenommen und nach mir gefragt. Mein Onkel hat mich angerufen und gefragt, was ist da passiert; zudem hat er mir gesagt, dass es nicht vereinbart war, dass alkoholische Getränke in der Werkstätte versteckt werden. Außerdem hat er gesagt, dass ich nicht in die Werkstätte oder nachhause gehen soll. Nach 2 Tagen habe ich meinen Onkel getroffen, er erzählte mir, dass der Mann von Al-Shabaab umgebracht wurde. Al-Shabaab verbietet Alkohol, sie werden auch micht töten. Daher habe ich das Land verlassen. Mein Onkel hat mit mir geschimpft, warum habe ich das getan, ich habe mein Leben ruiniert. Dann habe ich aus Angst Haradhere verlassen. Dann bin ich nach Mogadischu gekommen. Mein Onkel hat Kontakt mit seinem Bekannten in Mogadischu aufgenommen, er hat die Kosten für die Reise bezahlt und alles organisiert.

LA: War das Ihr Fluchtgrund? Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?

VP: Das war der Grund, warum ich mein Heimatland verlassen habe.

LA: Haben Sie weitere Fluchtgründe?

VP: Nein.

LA: Warum haben Sie am 10.06.2020 im Rahmen der Erstbefragung etwas anderes erzählt?

VP: Ich war damals durcheinander. Ich war 5 Tage land in einem Auto. Ich wurde gefragt, woher ich komme, nicht nach meinem Fluchtgrund. Es gabe eine Dolmetscherin, mit ihr habe ich gesprochen.

LA: Es stimmt nicht, dass Sie in der Erstbefragung nicht nach Ihrem Fluchtgrund befragt wurden. Was sagen Sie dazu?

VP: Ich wurde gefragt, warum ich mein Heimatland verlassen habe. Ich habe Rassismus angegeben. Es gibt dort Rassismus. Es war ein Fehler, dass ich nicht meinen Fluchtgrund genannt habe, ich war müde.

LA: Wo befindet sich die Werkstätte Ihres Onkels, in welcher Sie gearbeitet haben?

VP: In Haradhere. Die Werkstätte befindet sich 2 Kilometer von der Hütte, in der ich gelebt habe, entfernt.

LA: Seit wann haben Sie in der Werkstätte bei Ihrem Onkel gearbeitet?

VP: Ich war 10 Jahre alt, als ich zu arbeiten begonnen habe.

LA: Wieviele Personen arbeiteten in der Werkstätte bei Ihrem Onkel?

VP: Es waren insgesamt 5 Mitarbeiter (2 Mechaniker, 3 Schweißer) und mein Onkel war der Chef.

LA: Ist der Verkauf und die Lagerung von alkoholischen Getränken gestattet?

VP: Ich habe die alkoholischen Getränke in dem alten Auto in der Werkstätte gelagert.

Nachgefragt? Der Verkauf hat nicht in der Werkstätte stattgefunden, sondern die Männer haben die alkoholischen Getränke abgeholt und woanders verkauft. Es ist, abgesehen von Al-Shabaab, verboten, Alkohol zu verkaufen.

LA: Woher konnte der Mann, der von Al-Shabaab mit einem alkoholischen Getränk angetroffen wurde, wissen, dass die Getränke in ihrer Werkstätte gelagert werden?

VP: Dieser Mann war einer der Verkäufer der Männer, für welche ich die alkoholischen Getränke gelagert habe.

LA: Ist dem Mann, der das alkoholische Getränke getrunken hat, etwas passiert?

VP: Dieser wurde inhaftiert für die Dauer von einigen Monat und vor Gericht gestellt.

LA: Wieso haben Sie sich auf dieses Geschäft mit den Männern eingelassen?

VP: Weil ich wenig Geld hatte. Ich hatte nichts gehabt.

LA: Wussten Sie über die Konsequenzen?

VP: Ja, ich wusste schon, dass ich zu Tode verurteilt werde.

LA: Haben Sie mit jemanden darüber gesprochen?

VP: Nein, ich habe mit niemanden darüber gesprochen.

LA: Wann wurden die alkoholischen Getränke in die Werkstätte geliefert?

VP: Jeden zweiten Monat. In der Nacht.

LA: Wer war in der Werkstätte vor Ort, als die Getränke geliefert wurden?

VP: Ich war dort, als die Getränke gebracht wurden.

LA: Wo befindet sich die Werkstätte? – wie muss ich mir das vorstellen?

VP: In der Nacht war niemand in der Umgebung, obwohl es Häuser in der Nachbarschaft gibt.

LA: Hatten Sie die Befürchtung erwischt zu werden? – von wem?

VP: Ja, ich hatte immer Angst. Von Al-Shabaab.

Nachgefragt? Sie waren in der Stadt. Sie kommen auch in der Nacht in die Stadt, es gibt auch Mitarbeiter der Al-Shabaab.

LA: Wie haben die Al-Shabaab gewusst, um welchen Mann es sich handelt, der von ihnen mitgenommen wurde?

VP: Der Mann, der mit dem alkoholischen Getränk erwischt wurde, hat ihn verraten.

LA: Wie sah das Eintreffen der Al-Shabaab in der Werkstätte aus?

VP: Mein Onkel hat mir gesagt, dass Al-Shabaab in die Werkstätte gekommen sind, den Mann mitgenommen haben und nach mir gefragt haben.

LA: Wie oft kamen Mitglieder der Al-Shabaab?

VP: Davor haben Al-Shabaab ihre Autos bei uns reparieren lassen. Aber es gab nur die eine Festnahme.

LA: Ist Al-Shabaab nach der Festnahme wieder in die Werkstätte gekommen?

VP: Sie sind immer wieder gekommen, als ich bereits versteckt war.

LA: Wo und wann haben Sie sich anschließend mit Ihrem Onkel getroffen?

VP: 15 Kilometer von Haradhere entfernt, im ländlichen Bereich, im Freien, dort wo die Nomaden leben. Wir haben uns im Haus des Cousins meines Vaters getroffen, er ist Hirte.

Nachgefragt? Das Treffen war am Abend.

LA: Woher wissen Sie, dass der junge Mann von Mitgliedern der Al-Shabaab getötet wurde?

VP: Mein Onkel hat es mir mitgeteilt.

Nachgefragt? Ein Al-Shabaab Fahrer, der die Autos in die Werkstätte gebracht hat, war mit meinem Onkel befreundet und dieser hat es ihm verraten.

LA: Wurden Sie persönlich von Mitgliedern der Al-Shabaab angesprochen oder bedroht?

VP: Nein, ich wurde nicht angesprochen. Die Al-Shabaab wollten mich einmal rekurtieren, nachdem mein Onkel gebeten hat, mich bei ihm zu lassen, weil ich ein Einzelkind bin, haben sie davon abgelassen.

Nachgefragt? Ich wurde wegen der Lagerung der alkoholischen Getränke von der Al-Shabaab nicht bedroht.

Nachgefragt? Früher, als sie mich rekutrieren wollten, wurde ich bedroht.

LA: Haben Sie sich an die Sicherheitsbehörden Ihres Heimatlandes gewendet, um von diesen geschützt zu werden?

VP: Nein, dass konnte ich nicht.

LA: Hätten Sie sich an Ihren Clan wenden können?

VP: Mein Clan kann nichts machen.

LA: Haben Sie nun alles zu Ihrem Fluchtgrund sagen können oder möchten Sie noch etwas anführen?

VP: Ja, ich habe alles erzählt.

LA: Wurden Sie jemals persönlich konkret bedroht oder verfolgt?

VP: Nein.

LA: Hatten Sie jemals Schwierigkeiten oder Probleme mit den Behörden Ihres Heimatlandes „Somalia“?

VP: Nein.

LA: Gehören Sie einer politischen Partei an?

VP: Nein.

LA: Waren Sie jemals aufgrund Ihrer politischen Einstellung persönlich verfolgt oder bedroht?

VP: Nein.

LA: Ist gegen Sie ein Gerichtsverfahren anhängig?

VP: Nein.

LA: Waren Sie in Haft oder wurden Sie festgenommen? Wenn ja, wie oft insgesamt?

VP: Nein.

LA: Waren Sie jemals aufgrund Ihrer Religon in Ihrer Heimat persönlich verfolgt oder bedroht?

VP: Nein.

LA: Waren Sie jemals aufgrund Ihrer sozialen Gruppe in Ihrer Heimat persönlich verfolgt oder bedroht?

VP: Ja, wegen der Volksgruppenzugehörigkeit, Rassismus.

Nachgefragt? Als ich die Koranschule besucht habe, wurde ich von anderen Somali beschimpft. Jedes Mal, wenn es dazu die Gelegenheit gab und sie haben sich versammelt und zu uns (= alle Gabooye) etwas gesagt und uns beleidigt.

LA: Was würde Sie erwarten, wenn Sie nach „Somalia“ zurückkehren würden?

VP: Ich werde getötet.

LA: Könnten Sie nicht in einem anderen Teil Ihres Herkunftsstaates leben? – Warum nicht?

VP: Nein. Ich habe niemanden woanders, ich kenne mich nicht aus.

Nachgefragt: Sie haben einen Cousin in Mogadischu?

VP: Es exisitert die Regierung dort, trotzdem gibt es Al-Shabaab. Ich habe Angst.

LA: Wohin gehen Sie, sollte Ihr Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen werden und Sie Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssen?

VP: Ich weiß nicht wohin ich soll.

LA: Es gibt die Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr und der Inanspruchnahme einer Rückkehrhilfe. Möchten Sie dies tun?

VP: Nein.“

[…]

Der BF verzichtete auf die Einbringung einer Stellungahme zu den Länderfeststellungen und gab an, alles erzählt zu haben und den Dolmetscher einwandfrei verstanden zu haben.

Nach der Rückübersetzung der Niederschrift wurden noch folgende Fragen an den BF gestellt:

[…]

„LA: Haben Sie ein Problem mit AMISOM? – haben Sie sich an AMISOM gewandt, um Hilfe vor Al-Shabaab zu bekommen?

VP: Nein, ich habe kein Problem mit AMISOM. Ich habe mich nicht an AMISOM gewandt.

LA: Warum nicht?

VP: Es gab keine Zeit und keine Gelegenheit dafür.

Nachgefragt? Ich musste mich vor Al-Shabaab verstecken. AMISOM ist von unserem Gebiet weit entfernt.

Nachgefragt? AMISOM befindet sich in Mogadischu.

LA: Sie waren 9 Tage in Mogadischu, wieso sind Sie nicht dorthin gegangen?

VP: Ich hatte Angst vor Al-Shabaab. Aus Angst bin ich auf diese Idee gar nicht gekommen.

LA: Wurde alles richtig protokolliert?

VP: Ja.

LA: Möchten Sie sonst noch was ergänzen?

VP: Nein.

Nach erfolgter Rückübersetzung gibt AW an, dass alles richtig und vollständig ist und alles richtig wiedergegeben wurde.“

[…]

5. Mit nunmehr angefochtenen Bescheid vom 23.02.2021 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG (Spruchpunkt römisch eins.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG ab (Spruchpunkt römisch II.). Ferner wurde dem BF unter Spruchpunkt römisch III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt. Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia gemäß Paragraph 46, FPG zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.). In Spruchpunkt römisch VI. wurde festgehalten, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Das BFA stellte fest, dass der BF somalischer Staatsangehöriger sei, der berufsständischen Gruppe der Gabooye angehöre und sich zum muslimischen Glauben bekenne. Seine Identität stehe nicht fest. Er spreche Somali, sei gesund und arbeitsfähig. Er habe Berufserfahrung als Automechaniker. Der BF sei verheiratet und habe 4 Kinder. Er habe in Harardhere und zuletzt in Mogadischu gelebt. Seine Eltern, seine Frau und seine Kinder würden nach wie vor in Harardere leben. Ein Cousin und ein Freund/Verwandter des Onkels würden in Mogadischu leben.

Die vom BF angegebenen Gründe für das Verlassen des Heimatlandes seien nicht glaubhaft. Der BF habe nicht glaubhaft machen können, dass er einer Verfolgung oder Zwangsrekrutierung durch die Al Shabaab ausgesetzt gewesen sei oder er im Falle einer Rückkehr sein würde. Im Falle einer Rückkehr sei nicht von physischen Übergriffen auszugehen. Er habe in Somalia weder mit Privaten nocht mit der Regierung Probleme gehabt.

Der BF sei ein volljähriger und arbeitsfähiger Mann. Er sei gesund. Eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Somalia stelle keine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention dar und bedeute für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internatioanlen oder innerstaatlichen Konfliktes. Zudem habe nicht festgestellt werden können, dass er bei einer Rückkehr von den Auswirkugnen der Dürre betroffen wäre oder Gefahr laufen würde notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können. Im Jahr 2018 habe es durchschnittliche Regenfälle gegeben, die Dürre sei offiziell vorbei. Die Nahrungs- und Ernährungssituation habe sich verbessert. Es könne keine wie immer geartete, sonstige besondere Gefährdung seiner Person bei einer Rückkehr nach Somalia festgestellt werden. Der BF könne Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Er verfüge in Somalia über familiäre Anknüpfungspunkte und könne sich auch in Mogadischu niederlassen. Die somalischen Behörden würden Rückkehrer bei der Ausforschung von Verwandten unterstützen. Seine Versorugung in Somalia sei immer gesichert gewesen und seien keine Umstände hervorgetreten, weshalb sich diese Situation bei einer Rückkehr ändern sollte.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, es sei nicht glaubhaft, dass der BF nicht wüsste wo sich seine Familie derzeit aufhalten würde. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe habe der BF sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens gesteigert, zumal er in der Erstbefragung noch mit keinem einzigen Wort erwähnte, von Al Shabaab verfolgt, bedroht oder zwangsrekrutiert worden zu sein. Zudem habe der BF vage, oberflächliche, unplausible und widersprüchliche Angaben getätigt. Auch hätte der BF, bei tatsächlichen Problemen mit Al Shabaab, zumindest versucht Hilft von AMISOM zu bekommen. Verwunderlich sei weiters, dass Al Shabaab laut den Angaben des BF nach seinem Untertauchen „immer wieder“ in der Werkstätte vorstelllig geworden wäre, von diesen jedoch keine weiteren Schritte vollzogen worden seien. Weiters falle auf, dass sich der Onkel (nach der 3-tägigen Abwesenheit des BF) mit diesem im 15km entfernten „ländlichen Bereich“ getroffen habe, um über die Ausreise des BF zu sprechen, ohne jedoch befürchtet zu haben, von der Al Shabaab beobachtet zu werden. Insgesamt habe der BF daher keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können.

6. Gegen diesen Bescheid brachte der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit ein. Es wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF aus Harardherre (Region Mudug) stamme und dem Clan der Gaboye angehöre. Der Vorwurf des BFA, wonach die Fluchtgründe des BF vor allem deshalb unglaubwürdig seien, weil die Bedrohung/Verfolgung durch die Al Shabaab nicht bereits in der Erstbefragung geltend gemacht worden sei, er im Rahmen der Erstbefragung vage und oberflächliche Angaben gemacht habe und der BF sohin seine Fluchtgründe gesteigert habe, stelle keinen Grund dar, dem BF nicht zu glauben, da die Annahme, ein Asylwerber werde immer alles, was zur Asylgewährung führen könne, bereits in der Erstbefragung vorbringen, nicht richtig sei (VwGH 16.07.2020, Ra 2019/19/0419). Der BF habe die Bedrohungen durch Al Shabaab nicht sofort im Rahmen der polizeilichen Erstbefragung vorgebracht, da er nervös gewesen sei und er auch nicht die Zeit gehabt habe, alles zu erwähnen, was er vorbringen habe wollen. Lediglich deshalb auf die komplette Unglaubwürdigkeit der Fluchtgeschichte zu schließen, sei nicht angemessen. Der BF sei glaubwürdig, weil seine Angaben zur Fluchtgeschichte gleichbleibend und widerspruchsfrei seien. Zudem habe der BF im Rahmen der Erstbefragung explizit gesagt, dass er in Somalia um sein Leben fürchte und Angst vor einer Rückkehr habe. Den Grund seiner Angst habe er dann ausführlich in der Einvernahme vor dem BFA geschildert. Worin der Widerspruch liege, sei fraglich. Weiters gehe aus diversen Berichten hervor, dass sich die die Lage in Somalia, entgegen der Auffassung der Behörde, weiterhin desaströs darstelle. Eine Enspannung der Lage sei nicht in Sicht, sondern sei mit einer Verschärfung der Situation, vor allem auch in Mudug, zu rechnen. Auch die Familie des BF sei von der derzeitig prekären Versorgungslage massiv betroffen. Dass der BF die katastrophalen Zustände in Somalia nicht erwähnte habe, spiele keine Rolle, da die Behörde ihrer Ermittlungs- und Feststellungspflicht nachkommen müsse. Bei rechtsrichtigen Ermittlungen wäre die Behörde zum Schluss gekommen, dass sich die Lage in Somalia weiterhin verschlechtert habe. Entgegen der Ansicht des BFA sei dem BF eine Rückkehr nach Somalia nicht zumutbar und wäre er massiv in seinen Rechten nach Artikel 2,, 3 EMRK beeinträchtigt. Abschließend wurde ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung gestellt.

7. Am 19.04.2021 langten die Beschwerde und der Verwaltungsakt beim erkenneden Gericht ein. Mit Beschwerdevorlage ersuchte das BFA darum, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

8. Mit Verfahrensanordnung vom 06.12.2021 wurde dem BF Parteiengehör gewährt, ihm aktuelle Länderberichte zur Lage in Somalia übermittelt (LIB der Staatendokumentation vom 21.10.2021; EASO Report Somalia Targeted profiles, EASO Report Somalia Key socio economic indicators und EASO Report Somalia Security situation, jeweils Stand: September 2021) und der BF aufgefordert zu diesen Berichten eine schriftliche Stellungnahme binnen einer Frist von 2 Wochen zu erstatten bzw. aktuelle Integrationsunterlagen vorzulegen.

Eine Stellungnahme wurde nicht eingebracht.

9. Am 14.02.2022 teilte der Rechtsvertreter des BF per E-Mail mit, dass nächstmöglich um einen Termin für die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung ersucht werde.

10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.06.2022, in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Somalisch und im Beisein der Rechtsvertreterin des BF, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt nicht teilnahm.

Der BF brachte in der Verhandlung wie folgt vor:

[…]

R: Wo sind Sie geboren?

BF: In Hardhere.

R: Wo liegt Hardhere in Somalia?

BF: In Galmudug.

R: Wo liegt Galmudug in Somalia?

BF: In Süd-Somalia.

R: Welchem Clan gehören Sie an?

BF: Gabooye.

R: Gabooye ist ein Sammelbegriff. Können Sie das näher konkretisieren?

BF: Darunter gehöre ich Maqale an.

R: Ist Maqale ein Sub-Clan? Was ist Maqale?

BF: Ein Sub-Clan.

R: Haben Sie in Ihrem Geburtsort bis zur Ausreise aus Somalia gelebt.

BF: Ich habe dort bis zur Ausreise in Somalia gelebt.

R: Haben Sie eine Schule besucht?

BF: Nur eine Koranschule habe ich besucht, am Vormittag wurde der Koran unterrichtet, am Nachmittag das Lesen und das Schreiben.

R: Wie lange haben Sie diese Koranschule besucht?

BF: 2 Jahre.

R: Können Sie mir die Jahreszahl angeben, wann Sie diese Koranschule besucht haben?

BF: Das kann ich nicht sagen.

R: Wissen Sie vielleicht, wie alt Sie waren?

BF: Mit 8 Jahren angefangen und mit 10 Jahren aufgehört.

R: Wieso haben Sie bei der Erstbefragung angegeben, die Grundschule besucht zu haben?

BF: Weil wir nennen die Koranschule auch Grundschule.

R: Was haben Sie danach gemacht, nachdem Sie mit der Koranschule aufgehört haben?

BF: Ich habe angefangen zu arbeiten.

R: Was haben Sie begonnen zu arbeiten?

BF: In einer Werkstatt von meinem Onkel ms habe ich gearbeitet.

R: Wie lange haben Sie dort gearbeitet?

BF: Bis zur Ausreise habe ich dort gearbeitet.

R: Welche Tätigkeit haben Sie in dieser Werkstatt ausgeübt?

BF: Als Mechaniker habe ich gearbeitet. Zuerst habe ich von meinem Onkel gelernt und bin dann selbst Mechaniker geworden.

R: Wo hat sich diese Werkstatt genau befunden?

BF: In Hardhere.

R: Kann man das näher eingrenzen?

BF: In der Mitte der Stadt. Im Zentrum.

R: Wie viele Menschen haben in dieser Werkstatt gearbeitet?

BF: 5 Personen. Mein Onkel ms war der Chef und 5 Mitarbeiter, darunter war auch ich ein Mitarbeiter.

R: Es hat außer Ihrem Onkel und Ihnen noch 4 Mitarbeiter gegeben?

BF: Ja.

R: Haben Sie noch Verwandte, die in Ihrem Heimatland leben?

BF: Meine Frau, meine 4 Kinder, meine Mutter. Meine Eltern.

R: Haben Sie noch Onkel und Tanten?

BF: Es gibt eine Tante ms. Ich habe keine Tanten vs. Mein Vater war ein Einzelkind.

R: Ihre Mutter, wie viele Geschwister hat diese?

BF: Eine Schwester, ein Bruder. Der Bruder ist gestorben, die Schwester lebt noch.

R: Wo leben nun Ihre Ehefrau und Ihre Kinder?

BF: Zuletzt sind sie in Haradhere gewesen. Jetzt weiß ich es nicht.

R: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu Ihrer Ehefrau?

BF: Seit der Ausreise. Der letzte Kontakt war am 20.02.2020.

R: Wieso haben Sie keinen Kontakt mehr zu ihr? Was vermuten Sie?

BF: Weil meine Frau kein Handy hat. Deswegen weiß ich nicht, wo ich sie kontaktieren soll.

R: Wo leben Ihre Eltern?

BF: Alle haben zuletzt in Haradhere gelebt, beide Eltern.

R: Wann hatten Sie den letzten Kontakt zu Ihren Eltern?

BF: Der gleiche Zeitpunkt, als ich den letzten Kontakt zu meiner Ehefrau hatte. 1x hatte ich mit meinem Onkel Kontakt aufgenommen.

R: Haben Sie alle gemeinsam gewohnt? Ihre Frau, Ihre Kinder, Ihre Eltern haben alle gemeinsam in einem Haus/Wohnung gelebt?

BF: Ja. Alle haben im selben Haushalt gelebt.

R: Haben Sie in einem Haus oder in einer Wohnung gelebt? Wie können wir uns das vorstellen?

BF: In einem Buschhaus.

R: Wann haben Sie Ihre Ehefrau geheiratet?

BF: Im Jahr 2013 haben wir geheiratet.

R: Können Sie ein näheres Datum angeben?

BF: Ich kann mich nicht erinnern.

R: Wie viele Töchter und Söhne haben Sie?

BF: 2 Töchter und 2 Söhne.

R: Wer ist das älteste Kind und wie heißt das älteste Kind?

BF schreibt alle Kindernamen und den Namen der Ehefrau und den Namen der Eltern auf ein Blatt Papier (Beilage ./A).

BF: Meine Kinder heißen römisch 40 . Meine Ehefrau heißt römisch 40 und meine Mutter heißt römisch 40 und mein Vater römisch 40 .

R: D.h. Ihre Töchter heißen römisch 40 und römisch 40 ?

BF: Ja.

R: Wie alt ist derzeit Ihre Tochter römisch 40 und Ihre Tochter römisch 40 ?

BF: römisch 40 ist 8 Jahre alt und römisch 40 4.

R: Wie alt sind derzeit die Söhne römisch 40 und römisch 40 ?

BF: römisch 40 ist 2 Jahre alt. römisch 40 ist derzeit 6 Jahre alt.

R: Wann haben Sie Somalia verlassen, um Richtung Europa zu reisen?

BF: Am 29.02.2020 bin ich aus Mogadischu geflogen.

R: Woher hatten Sie das Geld, um ausreisen zu können?

BF: Mein Onkel, bei dem ich gearbeitet habe, hat das Geld bezahlt.

R: Von Mogadischu sind Sie wohin geflogen?

BF: In die Türkei.

R: Wie lange waren Sie in der Türkei aufhältig?

BF: 14 Tage.

R: Haben Sie Verwandte, die hier in Österreich leben?

BF: Nein.

R: Haben Sie somalische Freunde hier in Österreich?

BF: Ja. Ich habe sie hier kennengelernt.

R: Haben Sie schon jemanden gekannt, der in Österreich war, bevor Sie aus Somalia ausgereist sind?

BF: Nein.

R: Haben Sie schon Deutschkurse besucht hier in Österreich? Möchten Sie Zertifikate vorlegen?

BF: Ich besuche jetzt einen A1-Kurs.

BFV legt die A1-Kursbesuchsbestätigung vom 08.03.2022 vor (wird in Kopie als Beilage ./B) zum Akt genommen.

R: Können Sie mir auf Deutsch erzählen, wie bei Ihnen ein typischer Tag abläuft?

BF (auf Deutsch): Ich schlafen. Spazieren.

BF: Können Sie noch etwas auf Deutsch angeben?

BF: Ich kann besser verstehen, als sprechen. Wegen CORONA war es schwierig und ich wohne in einem Dorf außerhalb der Stadt am Berg.

R: Haben Sie sonstige Integrationsunterlagen, die Sie vorlegen können? Was machen Sie am Berg?

BF: Ich habe versucht, freiwillige Arbeiten anzunehmen. Das habe ich nicht geschafft.

R: Was würden Sie hier in Österreich arbeiten wollen? Wie stellen Sie sich das Leben hier in Österreich vor?

BF: Ich möchte gerne als Mechaniker arbeiten.

R: Was machen Sie den ganzen Tag, was tun Sie?

BF: Manchmal gehe ich Fußballspielen. Manchmal gehe ich Kaffee trinken. Freitags bin ich in einem Sprach-Cafe.

R: Dieses Sprach-Cafe ist in Ihrem Dorf?

BF: Ja.

R: Sind mehrere Asylwerber auf dem Berg?

BF: Ja. Wir sind 6 Flüchtlinge.

R: Was war der Grund? Warum haben Sie Ihr Heimatland verlassen und Ihre Frau und Ihre Kinder zurückgelassen?

BF: Weil mich die Al-Shabaab verfolgt hat, musste ich dann mein Heimatdorf verlassen und meine Kinder und meine Frau verlassen.

R: Wieso hat Sie die Al-Shabaab verfolgt? Können Sie das näher beschreiben?

BF: Ich habe in dieser Werkstatt gearbeitet. Ich habe von einem Mann das Auto repariert.

R: Welches Auto war das?

BF: Ein Land-Cruiser.

R: Wie hat der Mann geheißen? Wissen Sie das?

BF: römisch 40 .

R: Ist das der Vorname?

BF: Ja.

R: Wie lautet der Nachname dieses Mannes?

BF: Ich weiß das nicht.

R: Wann ist dieser Mann zu Ihnen in die Werkstatt gekommen?

BF: Ich glaube im 2. Monat 2019 haben wir uns kennengelernt.

R: Was meinen Sie mit „wir haben uns kennengelernt“? Wo haben Sie sich kennengelernt?

BF: In dieser Zeit habe ich römisch 40 kennengelernt. Er hat alkoholische Getränke transportiert.

R: Welchen Alkohol hat er transportiert?

BF: Gin.

R: Was ist dann weiter passiert?

BF: Er hat mir gesagt, er braucht einen Platz, um diesen Alkohol zu lagern. Er hat gesagt, er würde keinen Platz finden. Er fragte mich, ob ich eine Stelle kennen würde.

R: Haben Sie einen Ort gewusst, wo er diesen Alkohol lagern kann?

BF: Ja. In der Werkstatt. Ich habe das getan. Während dieser Zeit haben wir wenig Arbeit gehabt. Er hat mir für diesen Auftrag Geld angeboten. Ich hatte kein Geld zu diesem Zeitpunkt, um die Kinder zu versorgen.

R: Haben Sie Ihren Onkel gefragt, ob er damit einverstanden ist, dass Alkohol in der Werkstatt gelagert wird?

BF: Nein.

R: Wie viele Kisten von Gin wurden in der Werkstatt gelagert? Wissen Sie das?

BF: 10 Kartons.

R: Wann wurden diese in der Werkstatt gelagert? Können Sie sich noch erinnern?

BF: Es war in den letzten Tagen, als uns Al-Shabaab erwischt hat.

R: Wie viel Geld haben Sie bekommen?

BF: 200 Dollar pro Woche.

R: D.h. wie viele Wochen lang wurde dann Gin in der Werkstatt gelagert?

BF: Zuletzt ca. 2 Wochen.

R: Was heißt zuletzt ca. 2 Wochen? D.h. 2 Wochen lang war der Gin in der Werkstatt gelagert?

BF: Ja.

R: Wie hat das ausgesehen? Der Gin wurde in der Werkstatt gelagert. Wer hat die Gin-Kartons abgeholt oder sind die Gin-Kartons einfach dort stehen geblieben?

BF: Jedes Mal sind sie gekommen und haben einen Karton genommen, sie haben diesen verkauft.

R: Aber in der Werkstatt wurde kein Gin verkauft?

BF: Nein.

R: Wissen Sie, wo dieser Gin dann verkauft wurde?

BF: Ich weiß es nicht. Ein Mann ist gekommen und hat den Karton genommen.

R: Wissen Sie den Namen dieses Mannes, der den Karton genommen hat?

BF: römisch 40 .

R: D.h. wie viele verschiedene Männer waren an der Lagerung der Gin-Kartons und dem Verkauf beteiligt? Wissen Sie das?

BF: Es waren 2 Männer, derjenige, der die alkoholischen Getränke mit dem Auto gebracht hat und der Andere, der geschickt hat, um die Kartons zu holen.

R: römisch 40 und römisch 40 waren das?

BF: Ja.

R: Was ist dann genau passiert?

BF: Dann hat die Al-Shabaab herausbekommen, wo dieser Alkohol gelagert wird.

R: Ist die Al-Shabaab in die Werkstatt gekommen?

BF: Ja. Sie sind gekommen und sie haben römisch 40 erwischt, denjenigen, der die Kartons abgeholt hat. Ich war aber zu dem Zeitpunkt nicht in der Werkstatt. Ich war zu Hause.

R: Wer war zu dem Zeitpunkt in der Werkstatt?

BF: Mein Onkel ms und die 4 Mitarbeiter.

R: Haben diese gewusst, dass Alkohol gelagert wird?

BF: Nein.

R: Wie kann römisch 40 einfach in die Werkstatt gehen und Kartons abholen, wenn Ihr Onkel und die anderen Mitarbeiter nicht gewusst haben, dass Alkohol gelagert wird?

BF: Der Alkohol war im hinteren Bereich der Werkstatt gelagert. römisch 40 ist immer gekommen. Ich habe ihm den Alkohol gegeben.

R: Dieser Alkohol, der gelagert wurde und die Alkohol-Kartons, die abgeholt wurden, das war im Zeitraum 2 Wochen vor Ihrer Ausreise? Stimmt das?

BF: Ja. Das waren diese 2 Wochen vor der Ausreise aus meinem Heimatort.

R: Von Ihrem Heimatort sind Sie dann wohin gereist?

BF: Als ich das gehört habe, hat mich mein Onkel angerufen und sagte, dass die Al-Shabaab-Männer in die Werkstatt gekommen sind und ich nicht in die Werkstatt gehen soll. Er sagte auch, dass römisch 40 von der Al-Shabaab festgenommen wurde.

R: Wie haben Sie das gehört?

BF: Das hat mir mein Onkel telefonisch gesagt.

R: D.h. als Ihr Onkel Sie angerufen hat, haben Sie gewusst was passiert ist, bzw. dass die Al-Shabaab in die Werkstatt gekommen ist?

BF: Ja, als mein Onkel mich angerufen hat, habe ich alles erfahren.

R: Wissen Sie, wie viele Al-Shabaab-Männer in die Werkstatt gekommen sind?

BF: Mein Onkel sagte mir, sie sind mit einem Jeep, mit einem kleinen Transporter gekommen. Es waren bis zu 10 Personen.

R: Wurden Sie konkret von der Al-Shabaab bedroht?

BF: Sie haben mit meinem Onkel gesprochen und gesagt, sie suchen nach mir. Er muss mich herbringen.

R: Woher hat die Al-Shabaab gewusst, dass Sie zugestimmt haben, dass diese Gin-Kartons in der Werkstatt gelagert werden?

BF: Irgendwie haben sie es herausgefunden, dass dieser Alkohol römisch 40 gehört.

R: Woher hat die Al-Shabaab gewusst, dass Sie davon Bescheid gewusst haben?

BF: Es wurde ihnen gesagt.

R: Woher wissen Sie das, dass es der Al-Shabaab gesagt wurde?

BF: Ich weiß nicht genau, wie sie das herausgefunden haben. Ich vermute, dass es ein Mitarbeiter herausgefunden hat und mich verraten hat, oder mich die Al-Shabaab beobachtet hat.

R: D.h. Sie sind dann vernünftigerweise nicht mehr in die Werkstatt gegangen? Stimmt das?

BF: Ja. Nach 2 Tagen hat mich die Al-Shabaab zu Hause gesucht. Sie sind mit 2 Autos gekommen.

R: Wo waren Sie zu diesem Zeitpunkt?

BF: Ich habe das Haus verlassen, gleich am selben Tag, als mir der Onkel das alles erzählt hat. Ich habe mich im ländlichen Bereich außerhalb versteckt.

R: Wo haben Sie sich genau versteckt?

BF: Ich habe mich bei meiner Tante ms versteckt. Sie lebte am Land. In der Stadt Hobayo.

R: Wie weit ist Hobayo von Ihrem Heimatort entfernt?

BF: Ca. 90km.

R: Wie sind Sie zu Ihrer Tante gelangt, wie war es Ihnen möglich von Ihrem Heimatort zur Tante zu gelangen?

BF: Zu Fuß.

R: Wie lange sind Sie zu Fuß gegangen?

BF: 1 Tag und 1 Nacht.

R: Der Onkel hat Sie kontaktiert, als Sie bei Ihrer Tante aufhältig waren?

BF: Ja. Ich war die ganze Zeit im Haus der Tante. Ich habe das Haus nicht verlassen.

R: Woher hat der Onkel gewusst, dass Sie bei der Tante aufhältig sind?

BF: Ich hatte kein Handy. Er hat die ganze Zeit Kontakt zu meiner Tante aufgenommen.

R: Wie lange sind Sie bei der Tante geblieben?

BF: 2 Nächte.

R: Wohin sind Sie dann gegangen?

BF: Nach Mogadischu.

R: Wie weit ist Hobayo von Mogadischu entfernt?

BF: Mit dem Boot sind wir gefahren.

R: Wer ist gefahren?

BF: Ich und 6 weitere Personen. Das Boot ist ca. 4-5 Stunden gefahren.

R: Was waren das für weitere Personen? Waren das auch Personen, die Somalia verlassen wollten?

BF: Sie wollten ganz normal nach Mogadischu. Sie waren Somalier. Ich wollte den Landweg vermeiden.

R: Wie lange waren Sie in Mogadischu aufhältig?

BF: Bis zu 9 Tagen oder Nächte. Vielleicht sogar 6 Nächte.

R: Wann ist genau die Al-Shabaab in die Werkstatt gekommen? Können Sie den Tag/Monat und nähere Daten mitteilen?

BF: Das war am 20.02., als ich zuletzt meine Familie gesehen habe. Dann bin ich weggegangen, das war am Vormittag.

R: römisch 40 oder römisch 40 wurden verhaftet?

BF: Sie haben römisch 40 festgenommen. Als ich in Mogadischu war, hat mir mein Onkel erzählt, dass man glaubt, dass römisch 40 umgebracht wurde. Ich soll nicht zurückkehren.

R: römisch 40 hat die Kartons geholt?

BF: Ja.

R: römisch 40 hat die Kartons in die Werkstatt geliefert?

BF: Ja. Er war der Besitzer des Alkohols.

R: Was glauben Sie, würde Ihnen passieren, wenn Sie jetzt nach Somalia zurückkehren müssten?

BF: Ich habe Angst, dass mich die Al-Shabaab umbringt. Alkohol ist bei der Al-Shabaab verboten.

R: Wieso können Sie nicht in Mogadischu bleiben? Wieso haben Sie nicht dortbleiben können?

BF: Ich habe Angst vor der Al-Shabaab. Sie sind überall dort. Überall haben sie ihre Leute.

R: Sie haben gesagt, Sie waren 9 Tage in Mogadischu. Bei wem haben Sie sich aufgehalten?

BF: Beim Cousin (Sohn meines Onkels).

R: Wo hat er genau in Mogadischu gelebt?

BF: In Bakara.

R: Was ist Bakara?

BF: Das ist der große Markt in Mogadischu. Er wohnt in der Nähe vom Markt.

R: Wie viel haben Sie für die Ausreise nach Europa bezahlt?

BF: 4.500 Dollar.

R: Das ist viel Geld.

BF: Nein. Der Onkel hat das bezahlt, um mich zu retten.

R: Sie waren 2 Wochen in der Türkei aufhältig und dann sind Sie nach Griechenland gereist?

BF: Ja.

R: Wo waren Sie in Griechenland aufhältig?

BF: Ich kenne mich in Griechenland nicht aus. Man hat uns in einer kleinen Ortschaft versteckt. Wir waren 16 Personen.

R: Wie lange ungefähr waren Sie in Griechenland aufhältig?

BF: 2 Monate und etwas über 20 Tage.

R: Warum haben Sie bei der Erstbefragung angegeben, dass Sie ca. 4 Monate in der Türkei aufhältig waren?

BF: Ich habe gedacht, man fragt nach der Länge der ganzen Reise.

R: Wieso haben Sie bei der Erstbefragung auch angegeben, in Hargeysa gelebt zu haben?

BF: Das habe ich nicht gesagt. Man hat es verwechselt mir Haradhere.

R: In der Erstbefragung haben Sie jede Seite der Niederschrift unterschrieben. Da steht eindeutig Hargeysa.

BF: Ich war stark übermüdet. 5 Tage lang war ich unterwegs. Ich konnte nicht so gut sehen.

R: Wieso konnte Ihre Familie in Somalia leben? Wieso konnte Ihr Onkel, der Besitzer der Werkstatt, in Somalia leben, nachdem Sie aus Somalia ausgereist sind?

BF: Ich weiß nicht, was jetzt mit meinem Onkel passiert ist. Vielleicht lebt er nicht mehr. Vielleicht wurde er getötet. Es wird ihm irgendetwas passieren.

R: Haben Sie Geschwister?

BF: Nein.

R: Sind Sie gesund? Geht es Ihnen gut?

BF: Ja.

R: Wieso waren Sie an diesem Tag, als die Al-Shabaab römisch 40 verhaftet hat, nicht in der Werkstatt und haben gearbeitet?

BF: Mein Kind war krank. Ich musste ihn zum Arzt bringen.

R: Wieso haben Sie vor dem Bundesamt angegeben, dass Sie für römisch 40 und römisch 40 9 Monate gearbeitet haben. Heute sagten Sie, dass das in einer Zeitspanne von 2 Wochen passiert ist.

BF: Nein. Ich habe gesagt, wir kennen uns 9 Monate lang. Wir kannten uns 9 Monate.

R: Wieso können Sie nicht in den Norden von Somalia gehen (Somaliland oder Puntland). Wieso ist das nicht möglich?

BF: Weil ich keine Unterstützung vom Clan bekommen würde, ich gehöre zu einer Minderheit.

R: Vor dem Bundesamt haben Sie angegeben, dass der Clan Reer Maqaadi heißen würde.

BF: Nein. Das ist Maqale.

R: Von was haben Ihre Kinder und Ihre Frau gelebt, als Sie nicht mehr in Somalia waren, was hat Ihre Frau Ihnen erzählt, als Sie sie zuletzt erreicht haben?

BF: Ich habe gearbeitet und die Familie versorgt.

R: Sie waren dann nicht mehr da. Wovon haben sie dann gelebt?

BF: Sie hatten nichts.

R: Außer Ihnen und Ihrem Onkel waren 4 Mitarbeiter in der Werkstatt beschäftigt?

BF: Ja.

R: Welche Tätigkeiten übten diese 4 Mitarbeiter aus?

BF: Wir waren 3 Mechaniker mit mir und 2 Schweißer.

R: Können Sie mir die Namen der 4 Mitarbeiter nennen? Wie haben diese geheißen?

BF: römisch 40 .

R: Sind das Vornamen?

BF: Ja. Deren Nachnamen weiß ich nicht. Wir waren nur Arbeitskollegen.

R: Was arbeitet der Cousin in Mogadischu?

BF: Tuc-Tuc-Fahrer.

R: Wie viele Cousins und Cousinen haben Sie?

BF: Der Onkel hat 3 Söhne und 2 Töchter. Die Tante hat einen Sohn und eine Tochter.

R: Wo leben die 3 Söhne des Onkels, einer lebt in Mogadischu, wo leben die anderen?

BF: In Haradhere.

R: Wo lebt der Sohn Ihrer Tante?

BF: Mit der Tante in Hobayo.

R: Die Tochter der Tante, Ihre Cousine?

BF: Auch in Hobayo.

R: Wenn Sie diese Probleme mit der Al-Shabaab nicht hätten, könnten Sie als Tuc-Tuc-Fahrer oder wieder in einer Werkstatt arbeiten?

BF: Es gibt in Hobayo auch Al-Shabaab. Sie hätten mich dort auch erwischt.

R: Wieso haben Sie vor dem Bundesamt angegeben, dass Sie nur 3 Cousins und 1 Onkel ms hätten und sonst niemand mehr hätten?

BF: Ich habe nur die 3 Söhne vom Onkel erwähnt, weil der Onkel hat 2 Töchter mit einer anderen Frau.

R: Kennen Sie diese 2 Töchter? Wissen Sie deren Namen?

BF: Ja. Ich weiß, wie sie heißen. Sie heißen römisch 40 .

R: Wo leben diese beiden Töchter?

BF: In Haradhere.

R an BFV: Haben Sie eine Frage?

BFV: Können Sie erklären, welche Motivation Sie hatten, dass der Alkohol in der Werkstatt gelagert wird?

BF: Weil das Geschäft um diese Zeit schlecht war. Ich habe wenig verdient. Es war nicht ausreichend, um die Familie zu versorgen. Aus Hunger habe ich das gemacht, damit meine Kinder nicht verhungern müssen.

R: Erörtert werden folgende Berichte:

o) LIB der Staatendokumentation

R: Möchten Sie etwas zur Situation in Ihrem Heimatland angeben?

BF: Ich möchte noch sagen, dass zurzeit starke Dürre herrscht. Es müssen Menschen und Tiere sterben.

BFV: 85% des gesamten Weizenimports kommen aus Russland und der Ukraine. Aus diesem Grund ist mit ausbleibenden Getreidelieferungen zu rechnen, was die Hungersnot noch mehr verstärken wird.

[…]

Im Zuge der Verhandlung legte der BF einen Nachweis betreffend den Besuch eines Kurses an der Volkshochschule vor.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der BF ist ein Staatsangehöriger von Somalia und stellte am 09.06.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Die Identität des BF steht nicht fest.

Er bekennt sich zum muslimischen Glauben und gehört dem Clan der Gabooye an.

Der BF spricht muttersprachlich Somalisch.

Er ist traditionell verheiratet und hat 4 Kinder.

Der BF lebte in Somalia mit seinen Eltern, seiner Frau und den 4 Kindern in Harardheere, in der Region Mudug.

Er besuchte in Somalia 2 Jahre lang die Koranschule, wo er lesen und schreiben lernte.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF in Somalia als Mechaniker gearbeitet hat.

Seine Eltern, seine Ehefrau und seine Kinder lebten zuletzt in Harardheere. Der BF hatte mit seiner Familie zuletzt im Februar 2020 Kontakt.

Der BF ist gesund und strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur den Fluchtgründen des BF:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung in seinem Herkunftsstaat Somalia verfolgt wird.

Ebenso konnte nicht festgestellt werden, dass der BF seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte.

Es ist nicht glaubhaft, dass der BF wegen der Lagerung von Alkohol in der Werkstatt seines Onkels mütterlicherseits einer Bedrohung/Verfolgung durch die Al Shabaab-Miliz ausgesetzt war oder die Al Shabaab den BF zwangsrekrutieren wollte.

Darüber hinaus konnte nicht festgestellt werden, dass der BF aufgrund seiner Angehörigkeit zum Clan der Gabooye in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt wäre.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Dem BF droht derzeit die reale Gefahr, im Fall der Rückkehr nach Somalia grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine auswegslose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.4. Relevante Länderberichte zur Situation in Somalia:

COVID-19

Letzte Änderung: 20.10.2021

Im ersten Quartal 2021 entwickelte sich eine neue Welle. Im Zeitraum 16.3.-7.5.2021 wurden 11.504 Infektionen bestätigt, 537 Personen starben an oder mit Covid-19 (UNSC 19.5.2021, Absatz 61,). Mit Stand 27.6.2021 waren in Somalia 7.235 aktive Fälle registriert, insgesamt 775 Personen waren verstorben (ACDC 27.6.2021). Insgesamt gibt es laut offiziellen Angaben Ende

August 2021 knapp 1.000 Todesopfer bei nur rund 18.000 bestätigten Infektionen. Seit Beginn der Pandemie waren bis dahin nur rund 284.000 Tests durchgeführt worden (WB 6.2021, Sitzung 26).

Mitte März 2021 trafen die ersten Impfstoffe in Somalia ein. Mit Stand 29.4.2021 waren 121.700 Personen immunisiert (UNSC 19.5.2021, Absatz 61,). Bis Mitte August 2021 wurden an Somalia zwei Arten von Covid-19-Impfstoff gespendet: mehr als 400.000 Impfdosen von Oxford/AstraZe- neca und 200.000 von Sinopharm. Das allein würde nur ausreichen, um 3 % der Bevölkerung zu impfen (AI 18.8.2021, Sitzung 18). Allerdings zögern viele Menschen, sich impfen zu lassen (AIS. 18; vergleiche WB 6.2021, Sitzung 20). Viele der gespendeten Oxford/AstraZeneca-Dosen sind bereits abgelaufen und können nicht mehr verwendet werden (AI 18.8.2021, Sitzung 18). Mitte August 2021 empfing Somalia offenbar weitere ca. 410.000 durch die COVAX-Initiative gespendete Covid-19-Impfdosen (BAMF 16.8.2021).

Nach Angabe des somalischen Gesundheitsministeriums waren bis Ende Juli 2021 1,8 % der Menschen voll immunisiert (UNOCHA 7.2021). Nach anderen Angaben waren am 14.10.2021 insgesamt 477.075 Impfdosen verabreicht worden und zu diesem Zeitpunkt 1,5 % der Bevölkerung voll immunisiert (PTC 14.10.2021). Laut Schätzungen werden bis Ende des Jahres 2021 rund 500.000 Menschen voll immunisiert sein, bis Ende 2022 weitere 700.000. Jedenfalls ist die Bevölkerung dadurch möglichen neuen - und gefährlicheren - COVID-19-Varianten ungeschützt ausgesetzt, und die Krankheit droht im Land endemisch zu werden (WB 6.2021).

Im August 2020 wurde der internationale Flugverkehr wieder aufgenommen (PGN 10.2020, Sitzung 9).

Regeln zum social distancing oder auch Präventionsmaßnahmen wurden kaum berücksichtigt (HIPS 2021, Sitzung 24). Trotz Warnungen wurden Moscheen durchgehend - ohne Besucherbeschränkung - offengehalten (DEVEX 13.8.2020). Mitte Feber 2021 warnte die Gesundheitsministerin vor einer Rückkehr der Pandemie. Die Zahl an Neuinfektionen und Toten stieg an (Sahan 16.2.2021b). Ende Feber 2021 wurden alle Demonstrationen in Mogadischu verboten, da eine neue Welle von Covid-19 eingetreten war. Zwischen 1. und 24. Feber verzeichnete Somalia mehr als ein Drittel aller Covid-19-Todesopfer der gesamten Pandemie (PGN 2.2021, Sitzung 16).

Der Umgang der somalischen Regierung mit der Covid-19-Pandemie war und ist völlig inadäquat. Die tatsächliche Zahl an Covid-19-Fällen und -Toten ist vermutlich höher als die offiziellen Zahlen darstellen (AI 18.8.2021, Sitzung 5; vergleiche UNFPA 12.2020, Sitzung 1). Dies liegt u.a. an den wenig verfügbaren bzw. erreichbaren Testmöglichkeiten, am Stigma, an wenig Vertrauen in Gesundheitseinrichtungen sowie teilweise an der Leugnung von COVID-19 (UC 13.6.2021, Sitzung 9; vergleiche UNFPA 12.2020, Sitzung 1). Testungen sind v.a. auf Städte beschränkt (UC 13.6.2021, Sitzung 2) und generell so gut wie inexistent. Die offiziellen Todeszahlen sind niedrig, das wahre Ausmaß wird aber wohl nie wirklich bekannt werden (STC 4.2.2021). Es sind nur jene Fälle registriert worden, wo es Erkrankte überhaupt bis zu einer Gesundheitseinrichtung geschafft haben und dort dann auch tatsächlich getestet wurden. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs - viele mehr sind zu Hause gestorben (AI 18.8.2021, Sitzung 14).Auch, dass es in Spitälern kaum Kapazitäten für

Covid-19-Patienten gibt, ist ein Grund dafür, warum viele sich gar nicht erst testen lassen wollen - ein Test birgt für die Menschen keinen Vorteil (DEVEX 13.8.2020).

Die informellen Zahlen zur Verbreitung von Covid-19 in Somalia und Somaliland sind also um ein Vielfaches höher als die offiziellen. Einerseits sind die Regierungen nicht in der Lage, breitflächig Tests (es gibt insgesamt nur 14 Labore) oder gar ein Contact-Tracing durchzuführen. Gleichzeitig behindern Stigma und Desinformation die Bekämpfung von Covid-19 in Somalia und Somaliland. Mit dem Virus geht eine Stigmatisierung jener einher, die infiziert sind, als infiziert gelten oder aber infiziert waren. Mancherorts werden selbst Menschen, die Masken tragen, als infiziert gebrandmarkt. Die Angst vor einer Stigmatisierung und die damit verbundene Angst vor ökonomischen Folgen sind der Hauptgrund, warum so wenige Menschen getestet werden. Es wird berichtet, dass z.B. Menschen bei (vormals) Infizierten nicht mehr einkaufen würden. IDPs werden vielerorts von der Gastgemeinde gemieden - aus Angst vor Ansteckung. Dies hat auch zum Verlust von Arbeitsplätzen - z. B. als Haushaltshilfen - geführt. Dabei fällt es gerade auch IDPs schwer, Präventionsmaßnahmen umzusetzen. Sie leben oft in Armut und in dicht bevölkerten Lagern, und es mangelt an Wasser (DEVEX 13.8.2020).

Somalia ist eines jener Länder, dass hinsichtlich des Umgangs mit der Pandemie die geringsten Kapazitäten aufweist (UNFPA 12.2020, Sitzung 1). Humanitäre Partner haben schon im April 2020 für einen Plan zur Eindämmung von Covid-19 insgesamt 256 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNSC 13.11.2020, Absatz 51,). UNSOS unterstützt medizinische Einrichtungen, stellt Ausrüstung zur Bekämpfung der Pandemie zur Verfügung. Bis Anfang Juni konnten die UN und AMISOM eine substanzielle Zahl an Behandlungsplätzen schaffen (darunter auch Betten zur Intensivpflege) (UNSC 13.8.2020, Absatz 69,). Trotzdem gibt es nur ein speziell für Covid-19-Pa- tienten zugewiesenes Spital, das Martini Hospital in Mogadischu. Dieses ist unterbesetzt und schlecht ausgerüstet; von 150 Betten verfügen nur 11 über ein Beatmungsgerät und Sauerstoffversorgung (Sahan 25.2.2021c). In ganz Somalia und Somaliland gab es im August 2020 für Covid-Patienten nur 24 Intensivbetten (DEVEX 13.8.2020). Viele Covid-19-Patienten sind in Spitälern aus Mangel an Sauerstoffversorgung oder wegen eines Stromausfalls gestorben (AI 18.8.2021, Sitzung 13f). Es gibt so gut wie keine präventiven Maßnahmen und Einrichtungen. Menschen, die an Covid-19 erkranken, bleibt der Ausweg in ein Privatspital - wenn sie sich das leisten können (Sahan 25.2.2021c). Die Situation war derart ernst, dass sich Akteure aus dem privaten Sektor engagiert und zusätzliche Covid-19-Kapazitäten geschaffen haben (AI

18.8.2021, S. 14). Der türkische Rote Halbmond hat Somalia im Feber 2021 weitere zehn Beatmungsgeräte zukommen lassen (AAG 26.2.2021). Im März 2021 spendete die Dahabshil Group dem Staat Sauerstoffverdichter, mit denen insgesamt 250 Patienten versorgt werden können. Die Firma übernimmt auch die technische Instandhaltung (Sahan 11.3.2021). Ende September 2021 wurde in Mogadischu die erste öffentliche Anlage zur Produktion von medizinischem Sauerstoff eröffnet. Diese wurde von der Hormuud Salaam Stiftung angekauft und gespendet. Der Sauerstoff wird an öffentlichen Spitälern in Mogadischu kostenlos zur Verfügung gestellt (Reuters 30.9.2021).

Nachdem die Bildungsinstitutionen ihre Arbeit wieder aufgenommen hatten, sind nicht alle Kinder zurück in die Schule gekommen. Dies liegt an finanziellen Hürden, an der Angst vor einer Infektion, aber auch daran, dass Kinder zur Arbeit eingesetzt werden. Außerdem zeigt eine Studie aus Puntland, dass die Zahl an Frühehen zugenommen hat. Gleichzeitig wurden Immunisierungskampagnen und auch Ernährungsprogramme unterbrochen. Manche Gesundheitseinrichtungen sind teilweise nur eingeschränkt aktiv - nicht zuletzt, weil viele Menschen diese aufgrund von Ängsten nicht in Anspruch nehmen; der Patientenzustrom hat sich in der Pandemie verringert (UNFPA 12.2020, V-VI).

Nach Angaben von Quellen sind Remissen im Zuge der Covid-19-Pandemie zurückgegangen (IPC 3.2021, Sitzung 2; vergleiche UNFPA 12.2020). Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22% der städtischen, 12% der ländlichen und 6% der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Die Mehrheit der Empfänger berichtete von Rückgängen von über 10% (IPC 3.2021, Sitzung 2). Nach anderen Angaben erwies sich der Remissenfluss als resilient. Demnach haben sich die Überweisungen von 2,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019 auf 2,8 Milliarden im Jahr 2020 erhöht. Die Überweisungen an Privathaushalte erhöhten sich von 1,3 auf 1,6 Milliarden (WB Sitzung 11f).

Der Export von Vieh - der wichtigste Wirtschaftszweig - ist wegen der Pandemie zurückgegangen (UNFPA 12.2020, Sitzung 1). 45 % der Kleinstunternehmen mussten schließen (UNSC 10.8.2021, Absatz 17,). Die Arbeitslosigkeit - und damit auch die Armut - haben sich verstärkt. Schätzungen zufolge mussten beim Ausbruch von COVID-19 21 % der Somali ihre Arbeit niederlegen; und das, obwohl nur 55 % der Bevölkerung überhaupt am Arbeitsmarkt teilnimmt. 78 % der Haushalte berichteten über einen Rückgang des Einkommens (WB 6.2021, Sitzung 23).

Internationale und nationale Flüge operieren uneingeschränkt. Ankommende müssen am Aden Adde International Airport in Mogadischu und auch am Egal International Airport in Hargeysa einen negativen Covid-19-Test vorweisen, der nicht älter als drei Tage ist. Wie in Mogadischu mit Personen umgegangen wird, welche diese Vorgabe nicht erfüllen, ist unbekannt. In Hargeysa werden Personen ohne Test auf eigene Kosten in eine von der Regierung benannte Unterkunft zur zweiwöchigen Selbstisolation geschickt. Die Landverbindungen zwischen Dschibuti und Somaliland wurden wieder geöffnet, der Hafen in Berbera ist in Betrieb (GW 11.6.2021).

Restaurants, Hotels, Bars und Geschäfte sind offen, es gelten Hygienemaßnahmen und solche zum Social Distancing. Die Maßnahmen außerhalb Mogadischus können variieren. Es kann jederzeit geschehen, dass Behörden Covid-Maßnahmen kurzfristig verschärfen (GW 11.6.2021).

Quellen:

•             AAG - Anadolu Agency [Türkei] (26.2.2021): Turkish Red Crescent donates 10 ventilators to Somalia, https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkish-red-crescent-donates-10-ventilators- to-somalia/2158421 , Zugriff 1.3.2021

•             ACDC - African Union Center for Disease Control and Prevention (27.6.2021): Africa CDC Dashbord Covid-19, https://africacdc.org/covid-19/, Zugriff 1.7.2021

•             AI - Amnesty International (18.8.2021): „We just watched COVID-19 patients die": CO- VID-19 exposed Somalia’s weak healthcare system but debt relief can transform it [AFR 52/4602/2021], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058478/AFR5246022021ENGLISH.pdf , Zugriff 27.8.2021

•             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (16.8.2021): Briefing Notes,

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•             DEVEX / Sara Jerving (13.8.2020): Stigma and weak systems hamper the Somali COVID- 19 response, https://www.devex.com/news/stigma-and-weak-systems-hamper-the-somali -covid-19-response-97895 , Zugriff 12.10.2020

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Politische Lage Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 20.10.2021

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 18.4.2021, Sitzung 4f). Während Süd/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2020, Sitzung 4).

Staatlichkeit: Somalia hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Absatz 78,), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Somalia hat in den vergangenen Jahren auf vielen Gebieten große Fortschritte erzielt. Der Staat ist etwa bei Steuereinnahmen effektiver geworden. Junge Somalis und Angehörige der Diaspora sind in der Zivilgesellschaft aktiv, und Mogadischu selbst hat sich stark verändert (BBC 18.1.2021). Trotz der Fortschritte, die in den letzten 10 Jahren erzielt wurden, zeigt Somalia aber auch weiterhin alle Merkmale eines failed state (HIPS 3.2021, Sitzung 25). Laut einer anderen Quelle ist Somalia zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 18.4.2021, Sitzung 4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 3.3.2021a,C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2020, Sitzung 33). Zudem hängt die Existenz des somalischen Staates zum größten Teil von der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft ab (HIPS 3.2021, Sitzung 9). Dies gilt natürlich auch für die Umsetzung von Aktivitäten seitens der Regierung (FH 3.3.2021a, C1).

Wie auch in Afghanistan wurde in Somalia durch eine fremde Kraft ein bestehendes islamis- tisches Regime vertrieben - namentlich die Union Islamischer Gerichte durch Äthiopien im Jahr 2006; wie auch in Afghanistan begann danach ein von Außen betriebener Prozess zur Staatsbildung unter dem Schutz ausländischer Soldaten; und wie auch in Afghanistan ist es der Regierung nicht gelungen, ein ausreichendes Maß an Legitimität aufzubauen (FP 22.9.2021). Die Öffentlichkeit fühlt sich ignoriert, weil die Regierung nicht daran arbeitet, das Leben der Bürger zu verbessern. Dementsprechend erachten viele Bürger die Regierung als nutzlos (HO. Selbst in Gebieten, die von der Regierung gehalten werden, tun sich die Verwaltungen schwer, auch nur grundlegende Dienste anzubieten. Gleichzeitig kämpfen die staatlichen Institutionen mit dem Erbe von jahrzehntelanger Korruption und von Missmanagement (CFR. Somalia schneidet bei den wichtigsten Benchmarks für gute Regierungsführung - Rechtsstaatlichkeit, Effektivität der Regierung, politische Stabilität, Beteiligung der Öffentlichkeit, Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruptionsbekämpfung - erschreckend schlecht ab. Die Politik verläuft in der Praxis chaotisch und auf Konfrontation ausgerichtet (HIPS 3.2021, Sitzung 5f). Die Ausübung von Macht durch die Politik erfolgt willkürlich. Und tatsächlich ist keine der Regierungen auf Bundes- oder Bundesstaatsebene nach irgendeinem Gesetz rechenschaftspflichtig (HIPS 3.2021, Sitzung 12). Selbst das somalische Parlament erwägt kaum jemals die Rechtmäßigkeit einer Angelegenheit, sondern fokussiert unmittelbar auf individuelle materielle Gewinne (HIPS Sitzung 15). Die Unvorhersagbarkeit und die chaotische Praxis der Politik haben die Entwicklung staatlicher Institutionen gehemmt und die Effektivität der Regierung sowie die Reichweite des Staates eingeschränkt (HIPS 3.2021, Sitzung 25). All dies zehrt einerseits an der Ausdauer der Geberländer (FP 22.9.2021) und wird andererseits von al Shabaab ausgenutzt (CFR 19.5.2021). Insgesamt verfügt die Regierung in der eigenen Bevölkerung und bei internationalen Partnern nur über wenig Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in den Staat ist gering (BS 2020, Sitzung 34/40).

Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 23). Generell sind drei entscheidende Punkte abzuarbeiten: die Überarbeitung der Verfassung; der Aufbau der föderalen Architektur; und die Entwicklung eines angemessenen Wahlsystems. Der Stillstand zu Anfang des Jahres 2021 ist das Ergebnis des Versagens der Regierung Farmaajo, auch nur einen dieser Punkte zu lösen (ECFR.

Regierung: Die Präsidentschaftswahl fand im Feber 2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed ’Farmaajo’ zum Präsidenten (AA 18.4.2021, Sitzung 6; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 2; USDOS 30.3.2021, Sitzung 1/23). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1). Premierminister Hassan Ali Kheyre wurde mit einem Misstrauensvotum des Parlaments am 25.7.2020 seines Amtes enthoben (UNSC 13.8.2020, Absatz 5,). Im September 2020 wurde Mohamed Hussein Roble als neuer

Premierminister angelobt (UNSC 13.11.2020, Absatz 6,). Seit Feber 2021 regiert Farmaajo ohne Mandat, seine Amtszeit ist abgelaufen (TNH 20.5.2021).

Parlament: Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Anfang 2017 besetzt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt (AA 18.4.2021, Sitzung 6; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 23). Beide Häuser wurden also in indirekten Wahlen besetzt, das Unterhaus nach Clanzugehörigkeit. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2020, Sitzung 11). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2020, Sitzung 20). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 18.4.2021, Sitzung 6; vergleiche BS 2020, Sitzung 20). Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 30.3.2021, Sitzung 26f; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 3; BS 2020, Sitzung 11). Auch die Regierung ist entlang dieser Formel organisiert (ÖB 3.2020, Sitzung 3). Insgesamt wird das Parlament durch Stimmenkauf entwertet, und es hat auf die Tätigkeiten von Präsident und Premierminister wenig Einfluss (BS 2020, Sitzung 20).

Für 2021 vorgesehene Wahlen wurden zuerst verschoben (UNSC 13.8.2020, Absatz 7,), bis es im September 2020 hinsichtlich des Prozederes zu einer Einigung mit den Bundesstaaten kam. Das vereinbarte Modell entsprach in etwa jenem von 2016. Dabei werden von Ältesten, Bundesstaaten und Vertretern der Zivilgesellschaft Wahldelegierte ausgesucht, welche wiederum die einzelnen Parlamentsabgeordneten wählen. Pro Parlamentssitz sollen 101 Wahlmänner und -Frauen ausgewählt werden (2016: 51). Die Abgeordneten zum Oberhaus werden von den Parlamenten der Bundesstaaten ausgewählt (UNSC 13.11.2020, Absatz 2 f, ;, vergleiche FP 10.2.2021). Dieser Wahlmodus, in welchem die Präsidenten der Bundesstaaten an Macht gewinnen, wird von Teilen der Opposition und der Zivilgesellschaft kritisiert. Für die Auswahl der Senatoren des Oberhauses sind die Bundesstaaten - und hier maßgeblich der jeweilige Präsident - verantwortlich. Beim Unterhaus gibt es einen anderen Modus. Dort wählen Älteste und Gruppen der Zivilgesellschaft eines bestimmten Subclans 101 Wahlmänner, welche als Delegation dann wiederum einen Abgeordneten küren. Senatoren und Abgeordnete wählen schlussendlich den Präsidenten. Der Manipulation sind Tür und Tor geöffnet (FP 22.9.2021).

Demokratie: Seit 1969 wurde in Somalia keine Regierung mehr direkt gewählt (FP 10.2.2021). Somalia ist keine Wahldemokratie und hat auch keine strikte Gewaltenteilung, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2020, Sitzung 11/15). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 30.3.2021, Sitzung 23f) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clanstrukturen) vergeben (AA 18.4.2021, Sitzung 6). 2016 und 2017 konnten mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratischen Machtwechsel wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 18.4.2021, Sitzung 4). Die errungenen Fortschritte wurden von der Regierung Farmaajo allerdings weitgehend rückgängig gemacht (ECFR 16.2.2021).

Aktuelle Politische Lage: Präsident Farmaajo war nicht in der Lage, sich mit Ahmed Ma- dobe, Präsident von Jubaland, und Said Deni, Präsident von Puntland, auf die Umsetzung des o.g. im September 2020 vereinbarten Fahrplans für Neuwahlen zu einigen (IP 12.2.2021; vergleiche FP 10.2.2021). Und so ist das Mandat des Parlaments im Dezember 2020 ausgelaufen (SG 8.2.2021), jenes von Präsident Farmaajo formell am 8.2.2021 (IP 12.2.2021; vergleiche ECFR. Damit verfügte Somalia im Feber 2021 plötzlich über keine legitime Regierung mehr, und Präsident Farmaajo weigert sich sein Amt abzugeben (ECFR 16.2.2021). Die Präsidenten von Puntland und Jubaland (FP 10.2.2021; vergleiche Sahan 22.2.2021) sowie eine Allianz aus 14 Präsidentschaftskandidaten, darunter die ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamed und Sharif Sheikh Ahmed, haben Farmaajo danach nicht mehr als Präsidenten anerkannt (Sahan 9.2.2021b; vergleiche IP 12.2.2021, FP 10.2.2021). Somalia stürzte in eine schwere Verfassungs- und politische Krise (Sahan 9.2.2021a). Dabei hat das Versagen, einen Kompromiss zu finden, nicht nur den demokratischen Prozess unterminiert, es hat die Sicherheit Somalias vulnerabel gemacht (FP 10.2.2021). Denn al Shabaab hat sich die politische Krise zu Nutzen gemacht und die Angriffe seit Anfang 2021 verstärkt (IP 12.2.2021).

Ende Feber und Anfang März 2021 wurden neuerliche Verhandlungen über eine Umsetzung des beschlossenen Wahlsystems angesetzt - auf Druck der internationalen Gemeinschaft (AMISOM 3.3.2021; vergleiche UNSOM 2.3.2021). Die Verhandlungen verliefen ohne Ergebnis. Daraufhin hat das parlamentarische Unterhaus ein Gesetz verabschiedet, mit welchem die Legislaturperiode des Parlaments und auch die Amtszeit des Präsidenten um zwei Jahre verlängert wurden. Die o.g. Allianz der Präsidentschaftskandidaten und der Präsidenten von Puntland und Jubaland hat diesen Vorgang scharf zurückgewiesen. In der Folge kam es in Mogadischu zwischen Kräften der Regierung und Kräften der Opposition am 25.4.2021 zu Kampfhandlungen. Am 1.5.2021 wurde das Gesetz schließlich vom Parlament zurückgezogen und man kehrte zum Abkommen vom September 2020 zurück. Neuer Verantwortlicher für die Umsetzung der Wahlen ist nun Premierminister Roble. Dieser hat in Verhandlungen mit der Allianz der Präsidentschaftskandidaten am 5.5.2021 eine Einigung zur Entflechtung [Disengagement] bzw. zum Rückzug der jeweiligen bewaffneten Kräfte in ihre Stützpunkte erzielt (UNSC 19.5.2021, Absatz 3 -, 11,). Ende Mai 2021 wurden - nach enormem nationalen und internationalen Druck - Verhandlungen wieder aufgenommen. Maßgeblich verantwortlich dafür war wieder Premierminister Roble (TNH 20.5.2021), der mit der logistischen und sicherheitstechnischen Vorbereitung der Wahlen beauftragt worden ist (ICG 14.9.2021; vergleiche BAMF 13.9.2021). Am 27.5.2021 wurde eine Einigung verkündet, demnach sollten die Wahlen im Sommer 2021 stattfinden (BAMF 31.5.2021). Später wurden die Präsidentschaftswahlen für den Oktober 2021 angesetzt (TSD 29.6.2021) und schließlich auf November 2021 verschoben (BAMF 13.9.2021). Allerdings waren Ende September 2021 die Wahlen zum Oberhaus immer noch nicht abgeschlossen. Die Unterhauswahlen wurden erneut auf November verschoben. Wann die Präsidentschaftswahlen nun tatsächlich stattfinden werden, ist unklar (ICG 1.10.2021). Der Wahlprozess kann noch Monate in Anspruch nehmen (VOA 11.10.2021).

Der mehr als ein Jahr andauernde Streit um die Wahlen hat die Regierungsarbeit gelähmt (FP. Im Verlauf des Sommers 2021 kam es zum Zerwürfnis zwischen Präsident Farmaajo und dem für die Wahlen zuständigen Premierminister Roble. U.a. hatte Roble einen Skandal genutzt, um den Chef des Nachrichtendienstes NISA- der engste Vertraute des Präsidenten - zu entmachten (BAMF 13.9.2021; vergleiche ICG 14.9.2021). Mehrere politische Akteure - darunter Angehörige der Opposition - haben zunehmend Vertrauen zu Premierminister Roble. Dies und die Entlassung des NISA-Chefs haben zu erheblichen Spannungen in Mogadischu geführt. Es ist jederzeit möglich, dass die Anhänger beider Lager zu den Waffen greifen (ICG 14.9.2021). Zwischen Premierminister und Präsident ist ein Machtkampf entbrannt - samt gegenseitigem Entzug von Vollmachten (ICG 1.10.2021). Derweil höhlt al Shabaab den angeschlagenen Staat aus (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 8).

Föderalisierung: Auch wenn die Entscheidung zur Föderalisierung umstritten war, und die Umsetzung von Gewalt begleitet wurde, konnten neue Bezirks- und Regionalverwaltungen etabliert werden. Neben Puntland wurden in den letzten Jahren vier neue Bundesstaaten geschaffen: Galmudug, Jubaland, South-West State (SWS) und HirShabelle. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet (BS 2020, Sitzung 10; vergleiche AI 13.2.2020, Sitzung 13). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (Banadir Regional Admi- nistration/BRA) (AI 13.2.2020, Sitzung 13). Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, Sitzung 55f).

Grundsätzlich gibt es politische Uneinigkeit über die Frage, ob Bundesstaaten semi-autonom sein sollen oder ob mehr Macht bei der Bundesregierung zentralisiert sein soll (ISS 15.12.2020). Zahlreiche Befugnisse wurden nicht geklärt. Das betrifft die Verteidigung, welche militärischen Truppen und Polizeieinheiten vor Ort eingesetzt werden können, die Frage der Ressourcenverteilung, die Verteilung von internationalen Hilfsgeldern. Auch Entwicklungszusammenarbeitsprojekte werden über die Zentralregierung in Mogadischu abgewickelt, und die Verteilung auf die Regionen ist strittig, ebenso die Fragen, wer welche Hoheiten über welche Verträge hat (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 4).

Generell versuchte Farmaajo die Macht wieder zu zentralisieren (TNYT 14.4.2021). Dass in vier der fünf Bundesstaaten im Zeitraum 2018-2019 eine neue Führung gewählt werden sollte, sah die Bundesregierung als Chance, sich durch die Platzierung loyaler Präsidenten Einfluss zu verschaffen. Dementsprechend mischte sich die Bundesregierung in die Wahlen ein (HIPS 2020, S.1/4ff; vergleiche ECFR 16.2.2021). So hat etwa der Geheimdienst NISA die Zusammensetzung von Wahlversammlungen manipuliert (TNYT 14.4.2021). Zudem hat sie Truppen entsendet, um die politische Kontrolle zu erlangen (ECFR 16.2.2021; vergleiche HIPS 4.2021, Sitzung 12). Derart konnte der Präsident in HirShabelle, dem SWS und in Galmudug ihm genehme und loyale

Regionalpräsidenten durchsetzen (HIPS 4.2021, Sitzung 12; vergleiche Sahan 11.2.2021b). Nur in Jubaland ist ihm dies nicht gelungen. Dort hat die Bundesregierung dafür die Region Gedo mehr oder weniger besetzt (HIPS 4.2021, Sitzung 10). Insgesamt hat Farmaajo Somalia jedenfalls an den Rand eines institutionellen Kollaps’ geführt (ECFR 16.2.2021).

Bei der Auseinandersetzung zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten kommt u. a. die Krise am Golf zu tragen: Der Konflikt zwischen den Vereinten Arabischen Emiraten (VAE) - unterstützt von Saudi-Arabien - und Katar - unterstützt von der Türkei - wurde auch nach Somalia exportiert und trägt dort erheblich zur Vertiefung der Spaltung bei (BS 2020, Sitzung 41). Zudem leidet AMISOM an den Spannungen zwischen der Bundesregierung und dem Nachbarland Kenia sowie am Konflikt in Äthiopien - beide Staaten sind Truppensteller (ISS 15.12.2020).

Quellen:

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•             AI - Amnesty International (13.2.2020): „We live in perpetual fear": Violations and Abuses of Freedom of Expression in Somalia [AFR 52/1442/2020], https://www.ecoi.net/en/file/! ocal/2024685/AFR5214422020ENGLISH.PDF , Zugriff 25.2.2020

•             AMISOM (3.3.2021): 3 March 2021 - Morning Headlines, Newsletter per E-Mail, Originallink auf Somali: https://puntlandpost.net/2021/03/01/guddiga-doorashooyinka-oo-ka-hadlay-is mari-waaga-doorashada/

•             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (13.9.2021): Briefing Notes,

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•             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (31.5.2021): Briefing Notes,

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•             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten

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•             FP - Foreign Policy (10.2.2021): Will Somalia’s Missed Election Lead to Chaos? https: //foreignpolicy.com/2021/02/10/somalia-missed-election-chaos-mogadishu/, Zugriff

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•             Sahan - Sahan / Puntland Times (11.2.2021b): The Somali Wire Issue No. 80, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://puntlandtimes.ca/2021/02/maamulada-taageersan-dowlad da-oo-aan-weli-ka-hadlin-shirkii-farmaajo-ku-baaqay-ee-garoowe/

•             Sahan - Sahan / Matt Bryden (9.2.2021a): Editor’s Pick - Ku Qabso ku Qadi Mayside, in: The Somali Wire Issue No. 78, per e-Mail

•             Sahan - Sahan / Keydmedia (9.2.2021b): The Somali Wire Issue No. 78, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.keydmedia.net/news/farmaajo-wuxuu-dalka-geliyay-xaal ad-hubanti-laaan-ah

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•             UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf, Zugriff 9.10.2020

•             UNSC - UN Security Council (13.2.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/121], https://www.ecoi.net/en/file/local/2025872/S_2020_121_E.pdf, Zugriff 26.3.2020

•             UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia [S/2019/393], https://www.ecoi.net/en/file/local/2009264/S_2019_393_E.pdf , Zugriff

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•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

•             VOA - Voice of America / Maruf, Harun (11.10.2021): AU Endorses Joint Mission with UN for Somalia, https://www.voanews.com/a7au-endorses-joint-mission-with-un-for-somalia/ 6266127.html , Zugriff 12.10.2021

Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug)

Letzte Änderung: 07.07.2021

Galmudug wurde im Jahr 2015 geschaffen (HIPS 2021, Sitzung 15). Der Bundesstaat wird vom Hawiye-Subclan der Habr Gedir-Sa’ad dominiert (EASO 2.2016, Sitzung 17).

Ende 2017 wurde mit der Sufi-Miliz der Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ) ein Abkommen zur Machtteilung abgeschlossen (UNSC 15.5.2019, Absatz 7,). Die Regierung von Galmudug konnte ihre Institutionen stärken, indem z. B. Clanmilizen entwaffnet und in Süd-Galkacyo eine Bezirksvertretung eingeführt wurde (UNSC 13.11.2020, Absatz 8,). Im Juli 2019 zerbrach das Abkommen von 2017, es wurde durch ein sich auf Clans stützendes Machtteilungsabkommen ersetzt (US- DOS 30.3.2021, Sitzung 24).

Nach Jahren der Misswirtschaft und politischer Krisen hatte sich Galmudug 2020 eigentlich auf einen Neustart vorbereitet. Allerdings hat sich die Krise durch die mangelhafte Wahl nur noch verschlimmert (HIPS 2021, Sitzung 15). Anfang 2020 war die Situation angespannt. Sowohl die ASWJ als auch Präsident Ahmed „Haaf“ haben parallele Präsidentschaftswahlen durchgeführt - in Dhusamareb und Galkacyo. Die Staatsversammlung in Dhusamareb wählte am 2.2.2020 Ahmed Abdi Kariye „Qoorqoor“ zum Präsidenten (UNSC 13.2.2020, Absatz 9 ;, vergleiche IP 14.2.2020), während Ahmed „Haaf“ dies anfocht (IP 14.2.2020). Nach Verhandlungen zwischen den beiden Opponenten konnte im April 2020 eine friedliche Amtsübergabe stattfinden - allerdings in Absenz der ASWJ. Zuvor waren im Feber 2020 Spannungen zwischen der Regionalregierung und der ASWJ zu schweren Kämpfen eskaliert (UNSC 13.5.2020, Absatz 9,). Die Bundesregierung hat Qoorqoor so durch die Intervention der Bundesarmee das Amt als Präsident von Galmudug gesichert (PGN 10.2020, Sitzung 6), das er nach den manipulierten Wahlen auch antrat. Er ist ein ehemaliger Minister der Bundesregierung, der Letztere offen unterstützt (HIPS 2021, Sitzung 3/16). Die ASWJ hingegen ist de facto ausgeschaltet und zerschlagen (BMLV 25.2.2021).

Al Shabaab ist in dem Bundesstaat zunehmend aktiv (UNSC 13.11.2020, Absatz 8 ;, vergleiche BMLV

•             Quellen:

•             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten

•             EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, https://ww w.ecoi.net/en/file/local/1158113/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 14.12.2020

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Fi nal-2.pdf, Zugriff 12.2.2021

•             IP - Indigo Publications (14.2.2020): The Indian Ocean Newsletter No 1515 (kostenpflichtiges Abonnement)

•             PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map & Timeline - October 2020, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/20 20/10/somalia-map-of-al-shabaab-control.html

•             UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf, Zugriff 13.10.2020

•             UNSC - UN Security Council (13.2.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/121], https://www.ecoi.net/en/file/local/2025872/S_2020_121_E.pdf, Zugriff 26.3.2020

•             UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia [S/2019/393], https://www.ecoi.net/en/file/local/2009264/S_2019_393_E.pdf , Zugriff

•             28.1.2021

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)

Letzte Änderung: 07.07.2021

Die Übergangsverfassung sieht vor, dass das Bundesparlament über den Status der Region Benadir - und damit den Status von Mogadischu - entscheiden muss. Es kam auch zu einer Kampagne, wonach Benadir zu einem eigenen Bundesstaat werden sollte. Dadurch wäre aber die künstliche Clanbalance der Bundesstaaten insgesamt gefährdet (HIPS 2021, Sitzung 18). Als Konsequenz ist der Status der Bundeshauptstadt nach wie vor nicht geklärt. Die BRA ist kein Bundesstaat, verfügt aber über eine funktionierende Regionalregierung und wird vom Bürgermeister von Mogadischu geführt (AI 13.2.2020, Sitzung 13). Die Hauptstadt untersteht direkt der Bundesregierung (HIPS 2021, Sitzung 9), der somalische Präsident ernennt Bürgermeister und Stellvertreter (HIPS 2021, Sitzung 18).

In Mogadischu bleiben die Hawiye/Abgaal sowie die Hawiye/Habr Gedir in ihren Machtpositionen; in Dayniile auch die Hawiye/Murusade (FIS 7.8.2020, Sitzung 38).

•             AI - Amnesty International (13.2.2020): „We live in perpetual fear": Violations and Abuses of Freedom of Expression in Somalia [AFR 52/1442/2020], https://www.ecoi.net/en/file/! ocal/2024685/AFR5214422020ENGLISH.PDF , Zugriff 25.2.2020

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Fi nding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae 973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645 , Zugriff 17.3.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Fi nal-2.pdf, Zugriff 12.2.2021

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Letzte Änderung: 29.03.2021

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2021). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und - in noch stärkerem Ausmaß - in Süd-/Zentralsoma- lia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).

Quellen:

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2021): Curated Data - Africa (21 January 2021), https://acleddata.com/curated-data-files/, Zugriff 26.1.2021

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medbor- garskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.p df, Zugriff 17.3.2021

•             PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map & Timeline - October 2020, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/20 20/10/somalia-map-of-al-shabaab-control.html

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 21.10.2021

Die Sicherheitslage bleibt instabil (BS 2020, Sitzung 38) bzw. volatil, mit durchschnittlich 260 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Monat. Die meisten Vorfälle gingen auf das Konto der al Shabaab. Dabei handelte es sich vorwiegend um sogenannte hit-and-run-Angriffe sowie um Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen (UNSC 10.8.2021, Absatz 11,). Die österreichische Botschaft spricht in diesem Zusammenhang von einem bewaffneten Konflikt (ÖB 3.2020, Sitzung 2), während das deutsche Auswärtige Amt von Bürgerkrieg und bürgerkriegsähnlichen Zuständen berichtet (AA, Sitzung 4/8). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (ÖB 3.2020, Sitzung 2).

AMISOM hält in Kooperation mit der somalischen Armee, regionalen Sicherheitskräften sowie mit regionalen und lokalen Milizen die Kontrolle über die seit 2012 eroberten Gebiete. Während die somalische Regierung und ihre Alliierten zwar im Großen und Ganzen territoriale Gewinne verzeichnen und die Kontrolle über die meisten Städte halten können, ist es ihnen nicht gelungen, die Kontrolle in ländliche Gebiete auszudehnen (BS 2020, Sitzung 6). Die somalische Regierung und AMISOM können keinen Schutz vor allgemeiner oder terroristischer Kriminalität im Land garantieren (AA 3.12.2020). Generell ist die Regierung nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen. Dafür ist sie in erster Linie auf AMISOM - aber auch auf Unterstützung durch die USAangewiesen. Dies wird sich in den nächsten Jahren nicht ändern (IP 1.11.2019; vergleiche BS 2020, Sitzung 11). Die Regierung ist zum eigenen Überleben schon alleine deswegen auf ausländische Truppen und Hilfe angewiesen, weil sie nicht in der Lage ist, aus eigenen Mitteln Polizisten und Soldaten zu bezahlen (FP 22.9.2021).

Trend: Somalische Sicherheitskräfte hängen bei Einsätzen nach wie vor stark von internationaler Unterstützung ab. Al Shabaab konnte nicht soweit zurückgedrängt und reduziert werden, als dass die Sicherheitskräfte alleine diese Bedrohung eindämmen könnten (HIPS 4.2021, Sitzung 16). Die Bundesregierung hat es nicht geschafft, die Reichweite staatlicher Institutionen in Bezug auf die Bereitstellung von Dienstleistungen für Bürger und den Schutz ihres Lebens und ihres Eigentums über Mogadischu hinaus auszuweiten (HIPS 3.2021, Sitzung 22).

Im Zeitraum von Anfang 2018 bis Ende 2020 gab es hunderte terroristische Vorfälle. In den Jahren 2018 und 2019 war die Zahl an Vorfällen zunächst rückläufig - v.a. wegen der intensivierten Operationen gegen al Shabaab. Die Gruppe konnte dabei aus einigen strategisch wichtigen Punkten vertrieben werden - etwa von den Shabelle-Brücken zwischen Sabid Anoole und Janaale (Sahan 11.2.2021a). Dadurch wurde die Infiltration von al Shabaab in Richtung Mogadischu erschwert (HIPS 4.2021, Sitzung 18). Damit und durch verstärkte Sicherheitsmaßnahmen in Mogadischu konnte al Shabaab auch nur mehr selten Sprengstoffanschläge mit Fahrzeugen durchführen. Die Zahl an zivilen Opfern durch Sprengstoffanschläge ging demnach 2020 gegenüber 2019 um 50 % zurück (UNSC 17.2.2021, Absatz 13,). Im Jahr 2020 haben sich aber zuletzt die Angriffe auf somalische Kräfte und AMISOM wieder gemehrt (Sahan 11.2.2021a; vergleiche JF.

Dies kann direkt mit den politischen Streitigkeiten zwischen Bund und Bundesstaaten in Zusammenhang gebracht werden, da dadurch für den Kampf gegen al Shabaab notwendige Ressourcen umgeleitet wurden (Sahan 11.2.2021a). Al Shabaab sucht den Konflikt in der und um die Regierung zum eigenen Vorteil zu nutzen (CFR 19.5.2021). Schon Anfang Feber 2021 befand sich die Sicherheitslage aufgrund des politischen Streits rund um das Ende der Präsidentschaft Farmaajos in einer Abwärtsspirale. Zudem hatten Sicherheitskräfte teilweise seit Monaten keinen Sold erhalten und hielten sich in Mogadischu und anderen Landesteilen an der Bevölkerung schadlos (SG 8.2.2021). Später im Jahr hatte die politische Krise eine Rückkehr zum Bürgerkrieg befürchten lassen (ICG 16.4.2021; vergleiche HO 12.4.2021a; AJ 14.4.2021a). Viele Sicherheitskräfte sind v. a. ihrem Kommandanten oder ihrem Clan gegenüber loyal. So kann nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition Bewaffnete ins Feld stellen (Reuters 19.2.2021; vergleiche AJ 14.4.2021a). Dies ist im April 2021 in Mogadischu auch geschehen, und es ist dort zu Kampfhandlungen gekommen (BBC 31.5.2021; vergleiche TNH 20.5.2021). Auch im September 2021 war die Situation in Mogadischu höchst angespannt (ICG 14.9.2021).

Dahingegen stagniert der Kampf gegen al Shabaab bereits seit mehreren Jahren (ACCORD, Sitzung 7). Laut Einschätzung eines Experten kann ein weiteres Zurückdrängen von al Shabaab durch AMISOM auf der aktuellen Grundlage nicht erwartet werden (BMLV 25.2.2021). In Lower Juba und Lower Shabelle kommt es nur noch sporadisch zu Störoperationen gegen al Shabaab (UNSC 13.11.2020, Absatz 60,). In der Vergangenheit hat die Bundesarmee wiederholt dabei versagt, von AMISOM geräumte Gebiete auch tatsächlich abzusichern (UNSC 1.11.2019, Sitzung 24) bzw. ist sie nicht in der Lage, FOBs (Forward Operating Base) zu halten. Mehrfach hat al Shabaab erfolgreich FOBs der Bundesarmee angegriffen und überwältigt. Derartige Operationen sind mittlerweile für al Shabaab die wichtigste Quelle an militärischem Nachschub (Sahan).

Entlang der Hauptversorgungsrouten hat al Shabaab die Angriffe auf Sicherheitskräfte verstärkt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 15). Von der politischen Krise hat al Shabaab - wie erwähnt - profitiert. Sicherheitskräfte wurden aus Frontgebieten abgezogen (Sahan 18.3.2021a). Die Gruppe sah sich schon zuvor durch den Abzug der USA und einen Teilabzug äthiopischer Kräfte gestärkt und als Sieger (ICG 16.4.2021). Al Shabaab gewinnt an Boden (TNYT 14.4.2021). Die Fähigkeit, mittlerweile auch die am sichersten eingestuften Ziele angreifen zu können, verdeutlicht dies umso mehr (JF 18.6.2021). Ein durch inneräthiopische Zwänge verursachter Rückzug äthiopischer Truppen aus Hiiraan, Galmudug und Gedo scheint möglich. Gerade in den letztgenannten Regionen ist al Shabaab zuletzt erstarkt und würde ein Vakuum rasch füllen (Sahan 1.7.2021a).

Ein Vordringen größerer Kampfverbände der al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Städte mit konsolidierter Sicherheit - i.d.R. mit Stützpunkten von Armee und AMISOM - können von al Shabaab zwar angegriffen, aber nicht eingenommen werden (BMLV 25.2.2021).

Al Shabaab führt nach wie vor einen Guerillakrieg (USDOS 12.5.2021, Sitzung 6). Al Shabaab bleibt die signifikanteste Bedrohung für Frieden und Sicherheit. Die Gruppe führt ihren Kampf mit zunehmender Intensität und Häufigkeit. Die Angriffe auf sogenannten high-profile-Ziele in Mogadischu und anderswo wurden verstärkt (HIPS 2021, Sitzung 20). Angegriffen werden Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeiter, Sicherheitskräfte, internationale Partner und öffentliche Plätze - z.B. Restaurants und Hotels (FIS 7.8.2020, Sitzung 25; vergleiche AA 3.12.2020). Al Shabaab führt weiterhin regelmäßige Angriffe auf Regierungsstellungen durch. Vor allem der Korridor Mogadi- schu-Merka ist für Angriffe anfällig (PGN 10.2020, Sitzung 2). Al Shabaab bleibt zudem weiterhin in der Lage, z.B. in Mogadischu koordinierte Angriffe durchzuführen. Die Zahl an Mörserangriffen ist zurückgegangen. Derartige Angriffe richten sich in erster Linie gegen AMISOM und regionale Sicherheitskräfte in Lower Juba, Lower Shabelle und Middle Shabelle (UNSC 13.11.2020, Absatz 12,), aber auch in Hiiraan und Benadir (UNSC 13.8.2020, Absatz 19,). Hingegen hat die Zahl an Selbstmordattentaten zugenommen (UNSC 13.11.2020, Absatz 14,). Etwa am 9.5.2021 gegen eine Polizeistation mit sieben Toten; oder am 15.6.2021 gegen ein Ausbildungszentrum der Armee mit 23 Toten (UNSC 10.8.2021, Absatz 12,). Es kommt auch weiterhin zu sogenannten komplexen Angriffen, etwa am 16.8.2020 auf das Elite Hotel in Mogadischu mit zwanzig Todesopfern oder am 17.8.2020 auf einen Stützpunkt der somalischen Armee in Goof Gaduud Burey (Bay) (UNSC 13.11.2020, Absatz 14,); auf ein Restaurant in Xamar Jabjab am 5.3.2021 mit zehn Toten oder auf zwei Stützpunkte der Armee in Lower Shabelle (Bariire und Aw Dheegle) am 3.4.2021 (UNSC, Absatz 15 /, 18,).

Kampfhandlungen: Die Kriegsführung der al Shabaab erfolgt weitgehend asymmetrisch mit sog. hit-and-run-attacks, Attentaten, Sprengstoffanschlägen und Granatangriffen. Das Gros der Angriffe wird mit niedriger Intensität bewertet - jedoch sind die Angriffe zahlreich, zerstörerisch und kühn (JF 28.7.2020). Im Zeitraum November 2020 bis Feber 2021 waren davon die Regionen Lower und Middle Shabelle, Benadir, Bay, Hiiraan, Bakool, Lower Juba, Gedo, Galgaduud und Mudug betroffen (UNSC 17.2.2021, Absatz 15,). In den folgenden zwei Quartalen waren es Benadir sowie Lower und Middle Shabelle (UNSC 10.8.2021, Absatz 11 ;, UNSC 19.5.2021, Absatz 14,). Bei Kampfhandlungen gegen al Shabaab, aber auch zwischen Clans oder Sicherheitskräften kommt es zur Vertreibung, Verletzung oder Tötung von Zivilisten (HRW 14.1.2020). In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es regelmäßig zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. AMISOM (African Union Mission in Somalia) und al Shabaab (AA 18.4.2021, Sitzung 18; vergleiche AA 3.12.2020). Dies betrifft insbesondere die Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle (AA 18.4.2021, Sitzung 18). Der durch AMISOM und die somalische Armee in der Region Lower Shabelle auf al Shabaab ausgeübte militärische Druck hat dazu beigetragen, dass die Gruppe ihre Aktivitäten in HirShabelle und Galmudug verstärkt hat (UNSC 13.11.2020, Absatz 15,). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 22). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus von al Shabaab (BMLV 25.2.2021).

Immer wieder überrennt al Shabaab kurzfristig kleinere Orte oder Stützpunkte - etwa Daynuunay oder Goof Gaduud im Bereich Baidoa - um sich nach wenigen Stunden oder Tagen wieder zurückzuziehen (PGN 10.2020, Sitzung 9f). Andernorts greift al Shabaab Stützpunkte erfolglos an - etwa die FOB äthiopischer AMISOM-Truppen in Halgan im Feber 2021 (Halbeeg 22.2.2021).

Gebietskontrolle: Al Shabaab wurde im Laufe der vergangenen Jahre erfolgreich aus den großen Städten gedrängt (ÖB 3.2020, Sitzung 2). Seit der weitgehenden Einstellung offensiver Operationen durch AMISOM seit Juli 2015 hat sich die Aufteilung der Gebiete nicht wesentlich geändert. Während AMISOM und die Armee die Mehrheit der Städte halten, übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes die Kontrolle aus oder kann dort zumindest Einfluss geltend machen (UNSC 1.11.2019, Sitzung 10; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 2; USDOS 12.5.2021, Sitzung 6). Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 18.4.2021, Sitzung 5).

Die Bundesregierung selbst besitzt kaum Legitimität und kontrolliert lediglich Mogadischu - und das nicht zur Gänze. In Baidoa und Jowhar hat sie stärkeren Einfluss (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 12). Ihre Verbündeten kontrollieren viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben (BMLV 25.2.2021). Gegen einige dieser Städte unter Regierungskontrolle hält al Shabaab Blockaden aufrecht (HRW 14.1.2020). Al Shabaab ist in der Lage, Hauptversorgungsrouten abzuschneiden und Städte dadurch zu isolieren (UNSC 1.11.2019, Sitzung 10; vergleiche BMLV 25.2.2021).

Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia befinden sich unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab (BMLV 25.2.2021). Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind

1.           das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; sowie Qunya Baarow in Lower Juba;

2.           Teile von Lower Shabelle um Sablaale;

3.           der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor;

4.           weites Gebiet recht und links der Grenze von Bay und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;

5.           sowie die südliche Hälfte von Galgaduud mit den Städten Ceel Dheere und Ceel Buur; und angrenzende Gebiete von Mudug und Middle Shabelle, namentlich die Städte Xaradheere (Mudug) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (PGN 2.2021).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BMLV 25.2.2021).

Andere Akteure: Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2020, Sitzung 31). Zusätzlich wird die Sicherheitslage durch die große Anzahl lokaler und sogar föderaler Milizen verkompliziert (BS 2020, Sitzung 7). Es kommt immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 3.12.2020) sowie zwischen Milizen einzelner Subclans bzw. religiöser Gruppierungen wie Ahlu Sunna Wal Jama’a (AA 18.4.2021, Sitzung 18). Kämpfe zwischen (Sub-)Clans - vorrangig um Land und Wasser - gab es 2020 v.a. in Galmudug, Hiiraan, Lower und Middle Shabelle und Sool (USDOS 30.3.2021, Sitzung 3f). Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es auch zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 13). Generell sind Clan-Auseinandersetzungen üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer - generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter - Gewalt verbunden sein (LI 28.6.2019, Sitzung 8).

Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 18.4.2021, Sitzung 18).

Der sogenannte Islamische Staat bleibt in Somalia in Puntland konzentriert, in Mogadischu gibt es nur eine minimale Präsenz. Größere Aktivitäten des IS gab es in Puntland in den Jahren 2016 und 2017. In Mogadischu richtet sich der IS mit gezielten Tötungen v.a. gegen Sicherheitskräfte (JF 14.1.2020). Für den Zeitraum Mai-August 2020 werden dem IS allerdings nur zwei Attacken- beide in Mogadischu - zugeschrieben (UNSC 13.8.2020, Absatz 24,). Im Zeitraum August-Oktober 2020 (UNSC 13.11.2020, Absatz 16,) sowie November 2020-Feber 2021 gab es keine Aktivitäten (UNSC 17.2.2021, Absatz 17,), im Zeitraum Feber-Mai 2021 lediglich defensive Aktivitäten im eigenen Bereich (UNSC 19.5.2021, Absatz 19,).

Zivile Opfer: Al Shabaab ist für einen Großteil der zivilen Opfer verantwortlich (siehe Tabelle weiter unten). Allerdings greift al Shabaab Zivilisten nicht spezifisch an. Doch auch wenn die Gruppe eigentlich andere Ziele angreift, enden oft Zivilisten als Opfer, da sie sich zur falschen Zeit am falschen Ort befunden haben (NLMBZ 3.2020, Sitzung 17/37).

Allgemein ist die Datenlage zu Zahlen ziviler Opfer unklar und heterogen. Der Experte Matt Bryden veranschaulicht dies mit den Angaben mehrerer Organisationen. So gab es laut UNMAS (Mine Action Service) 2020 wesentlich weniger zivile Tote und Verletzte: 454 zu 1.140 im Jahr 2019. Dahingegen berichtet US-AFRICOM von 776 Vorfällen mit insgesamt 2.395 Opfern im Jahr 2020 und 676 Vorfällen mit 1.799 Opfern 2019. US-AFRICOM zählt zivile und militärische Opfer zusammen. Dementsprechend wären 2020 wesentlich mehr Sicherheitskräfte untern den

Opfern gewesen als Zivilisten - ein Widerspruch zu den Angaben der UN, wonach Zivilisten die Hauptlast der Sprengstoffanschläge tragen würden. Dies wird auch von AMISOM bestätigt: Demnach richteten sich 2019 28% der Anschläge direkt gegen Zivilisten, 2020 waren es nur 20% (Sahan 6.4.2021a)

Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 15,4 Millionen Einwohnern (WHO 12.1.2021) lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:19083 [Anm.: Rechnung auf Basis der in vorgenannten Quellen angegebenen Zahlen].

Luftangriffe: Im Jahr 2017 führten die USA 35 Luftschläge in Somalia durch, 2018 waren es 47 und 2019 63. Im Jahr 2020 ist die Zahl auf 51 gesunken. Die Luftangriffe auf al Shabaab und den IS, bei denen seit 2017 ca. 1.000 Kämpfer getötet worden sind (HIPS 2021, Sitzung 21) konzentrierten sich vor allem auf die Regionen Lower Shabelle, Lower Juba, Middle Juba, Gedo und Bari (UNSC 13.8.2020, Absatz 24,). Die Luftangriffe werden in der Regel mit bewaffneten Drohnen geflogen (PGN 10.2020, Sitzung 8). Neben den offiziell bekannt gegebenen Luftschlägen kommen noch verdeckte hinzu. Zusätzlich führt auch die kenianische Luftwaffe Angriffe durch, vorwiegend in Gedo und Lower Juba (PGN 10.2020, Sitzung 15ff). Insgesamt gab es demnach 2020 72 Luftangriffe, bei welchen die USA als Angreifer bestätigt sind oder vermutet werden (PGN 2.2021, Sitzung 11). Nach einer sechsmonatigen Pause kam es am 20.7. und 23.7.2021 sowie am 1.8.2021 zu US-Luftangriffen gegen al Shabaab im Bereich Qeycad (Galmudug) (BAMF 2.8.2021).

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•             UNSC - UN Security Council (13.2.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/121], https://www.ecoi.net/en/file/local/2025872/S_2020_121_E.pdf, Zugriff 26.3.2020

•             UNSC - UN Security Council (15.11.2019): Report of the Secretary-General on Somalia [S/2019/884], https://www.ecoi.net/en/file/local/2020943/S_2019_884_E.pdf , Zugriff

15.10.2020

•             UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https: //www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf, Zugriff 22.1.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Reli- gious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/05/240282-SO MALIA-2020-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 21.6.2021

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

•             WHO-World Health Organization (12.1.2021): Health for all isSomalia’sanswertoCOVID- 19 and future threats to health, https://www.who.int/news-room/feature-stories/detail/healt h-for-all-is-somalia-s-answer-to-covid-19-and-future-threats-to-health , Zugriff 16.2.2021

Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)

Letzte Änderung: 21.10.2021

In Mogadischu verfügt die Bundesregierung über ausreichend staatliche Institutionen hinsichtlich der Bereitstellung von Dienstleistungen für Bürger und den Schutz ihres Lebens und ihres Eigentums (HIPS 3.2021, Sitzung 22). Noch vor zehn Jahren kontrollierte al Shabaab die Hälfte der Stadt, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Grabenkämpfe war (BBC 18.1.2021). Heute hingegen ist Mogadischu unter Kontrolle von Regierung undAMISOM (PGN 2.2021, Sitzung 1f). Generell hat sich die Lage für die Zivilbevölkerung in den vergangenen Jahren verbessert (FIS 7.8.2020, Sitzung 4). Die Regierung unternimmt einiges, um die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. So wurden etwa 20 zusätzliche Checkpoints errichtet und im Zeitraum November 2019 bis Jänner 2020 190 gezielte Sicherheitsoperationen durchgeführt (UNSC 13.2.2020, Absatz 18,). Die Kapazitäten der Sicherheitsbehörden in Mogadischu haben sich verbessert, sie können nunmehr Gebiete kontrollieren, in welchen al Shabaab zuvor ungehindert agieren konnte (FIS 7.8.2020, Sitzung 20). Im Jahr 2019 hat die Einrichtung neuer Checkpoints, die Besetzung dieser Kontrollpunkte mit frischen Truppen, die regelmäßigere Auszahlung des Soldes und die Rotation der Mannschaften zur Moral und Effizienz der Sicherheitskräfte und damit zur Verbesserung der Sicherheitslage in Mogadischu beigetragen. Al Shabaab kann weniger Material und Operateure nach Mogadischu schleusen (FIS 7.8.2020, Sitzung 9f). Die Checkpoints haben also die Sicherheit verbessert (BMLV 25.2.2021). Auch die Militäroperation Badbaado in Lower Shabelle hat die Fähigkeiten von al Shabaab, Sprengsätze herzustellen und nach Mogadischu zu transportieren, wesentlich vermindert (HIPS 2021, Sitzung 20).

Allerdings werden solche Maßnahmen nicht permanent aufrecht erhalten; werden sie aber vernachlässigt, steigt auch wieder die Zahl an Anschlägen durch al Shabaab (FIS 7.8.2020, Sitzung 9f). Die Checkpoints wurden teilweise wieder abgebaut (BMLV 25.2.2021). Zudem haben Teile der Sicherheitskräfte seit Monaten keinen Sold erhalten, im Feber 2021 hielten sich Soldaten in Mogadischu an den Bewohnern schadlos (SG 8.2.2021). In Mogadischu kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen der somalischen Sicherheitskräfte untereinander, bei denen nicht selten auch Unbeteiligte zu Schaden kommen (AA 3.12.2020). Insgesamt ist die Sicherheitslage in Mogadischu ständigen Änderungen unterworfen (FIS 7.8.2020, Sitzung 4). So kam es etwa im Zuge der politischen Krise im Feber und dann wieder im April 2021 zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Bundesregierung loyalen Kräften einerseits und oppositionellen Kräften andererseits (UNSC 19.5.2021, Absatz 20 f,). Im Zuge dieser Krise haben sich unterschiedliche Fraktionen unterschiedliche Teile von Mogadischu „gesichert" (BBC 31.5.2021). Hawiyemilizen der Opposition - zum Teil Soldaten der somalischen Armee - hatten große Teile der Stadt unter Kontrolle genommen, rund 200.000 Menschen haben die Stadt verlassen (TNH 20.5.2021). Anfang Mai 2021 wurden rund drei Viertel der Stadt von der Opposition kontrolliert (Sahan 5.5.2021) während sich die in der Stadt befindlichen Farmaajo-loyalen Kräfte maßgeblich aus - irregulären - Einheiten der NISA zusammensetzten (Sahan 4.5.2021).

Einerseits reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte weiterhin nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 25.2.2021). Andererseits bietet die Stadt für al Shabaab alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, Sitzung 23). Innerhalb der Stadt hat sich die Sicherheit zwar verbessert, al Shabaab kann aber nach wie vor Anschläge durchführen -wenngleich die Durchführung schwierigerer geworden ist (BMLV 25.2.2021). Täglich kommt es zu Zwischenfällen in Zusammenhang mit al Shabaab (FIS 7.8.2020, Sitzung 5).

Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurückerlangt. In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)Rekrutierung zu entziehen (BMLV 25.2.2021).

Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (ICG 27.6.2019, Sitzung 5; vergleiche BBC 18.1.2021, BMLV 25.2.2021).

Geographische Situation: Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25f; vergleiche BMLV 25.2.2021). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische. Relevante Verwaltungsstrukturen gelten als von al Shabaab unterwandert (BMLV 25.2.2021). Die Gruppe kann weiterhin ins Stadtgebiet infiltrieren und auch größere Anschläge durchführen (UNSC 19.5.2021, Absatz 15,). In Mogadischu betreibt al Shabaab nahezu eine Schattenregierung: Betriebe werden eingeschüchtert und „besteuert" und eigene Gerichte sprechen Recht (BBC 18.1.2021). Jedenfalls verfügt al Shabaab über großen Einfluss in Mogadischu (FIS 7.8.2020, S.7) und ist in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben (FIS 7.8.2020, Sitzung 13; vergleiche BBC 23.11.2020). Stadtbewohner geben an, dass sie aus Angst vor einem Übergriff mit einer Hausrenovierung erst dann beginnen würden, wenn sie an al Shabaab Schutzgeld bezahlt hätten (FP 22.9.2021). In den Außenbezirken hat al Shabaab größeren Einfluss, auch die Unterstützung durch die Bevölkerung ist dort größer (FIS 7.8.2020, Sitzung 6f/12; vergleiche BMLV 25.2.2021).

Anschläge und Attentate: Mogadischu bleibt ein Hotspot terroristischer Gewalt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 11/14). Al Shabaab ist weiterhin in der Lage, in Mogadischu auch größere Sprengstoffanschläge durchzuführen. Dabei kommt es v.a. zum Einsatz von Selbstmordattentätern (UNSC 10.8.2021, Absatz 12,). Al Shabaab ermordet in Mogadischu auch immer noch regelmäßig Menschen (BBC 23.11.2020). Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates [„officials"], Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 23f). Nach anderen Angaben sind v.a. jene Örtlichkeiten betroffen, die von der ökonomischen und politischen Elite als Treffpunkte verwendet werden - z.B. Restaurants und Hotels (BS 2020, Sitzung 14).

Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der al Shabaab (BMLV 25.2.2021). Die Hauptziele von al Shabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal (FIS 7.8.2020, Sitzung 8). Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25f; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 25). Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Allerdings kommt es dort öfter zu gezielten Tötungen (FIS 7.8.2020, Sitzung 6f/12).

Zivilisten: Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Am Stadtrand ist die Unterstützung größer, die meisten Bewohner haben al Shabaab gegenüber aber eine negative Einstellung. Sie befolgen die Anweisungen der Gruppe nur deshalb, weil sie Repressalien fürchten. Al Shabaab agiert wie eine Mafia: Sie droht jenen mit ernsten Konsequenzen, welche sich Wünschen der Gruppe entgegensetzen (FIS 7.8.2020, Sitzung 14f). Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25). Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 42). Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und so zum Kollateralscha- den von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25/42; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 24ff).

Bewegungsfreiheit: Auch wenn Mogadischu von Sicherheitskräften und AMISOM geschützt wird, kann al Shabaab indirekt Kontrolle ausüben. Dadurch wird die Mobilität der Stadtbewohner im Alltag eingeschränkt (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 21). Die Menschen wissen um diese Gefahr bestimmter Örtlichkeiten und versuchen daher, diese zu meiden. Sie bewegen sich in der Stadt, vermeiden aber unnötige Wege. Für viele Bewohner der Stadt ist die Instabilität Teil ihres Lebens geworden. Sie versuchen, Gefahren auszuweichen, indem sie Nachrichten mitverfolgen und sich gegenseitig warnen (FIS 7.8.2020, Sitzung 25f). Zudem gibt es in Mogadischu mehrere hundert Straßensperren und Kontrollpunkte von Armee, Polizei und NISA. Einige davon sind permanent eingerichtet, andere werden mobil eingerichtet. Ob Gebühren oder illegale Abgaben verlangt werden, ist unklar (FIS 7.8.2020, Sitzung 22f). Diese Checkpoints schränken die Bewegungsfreiheit mehr ein, als es die Bedrohung durch al Shabaab tut (BMLV 25.2.2021). Jedenfalls gehen die Sicherheitskräfte an derartigen Sperren mittlerweile verantwortungsvoller vor, die Situation hat sich verbessert. Es liegen keine Informationen vor, wonach es dort zu schweren Vergehen oder Übergriffen kommen würde (FIS 7.8.2020, Sitzung 22f).

Die Gewaltkriminalität in der Stadt ist hoch. Monatlich sterben mehrere Menschen bei Raubüberfällen oder aus anderen Gründen verübten Morden (FIS 7.8.2020, Sitzung 19). Bei manchen Vorfällen ist unklar, von wem oder welcher Gruppe die Gewalt ausgegangen ist; Täter und Motiv bleiben unbekannt. Es kommt zu Rachemorden zwischen Clans, zu Gewalt aufgrund wirtschaftlicher Interessen oder aus politischer Motivation. Lokale Wirtschaftstreibende haben in der Vergangenheit auch schon al Shabaab engagiert, um Auftragsmorde durchzuführen (FIS 7.8.2020, Sitzung 5). Gleichzeitig haben die Bewohner eine hohe Hemmschwelle, um sich an die Polizei zu wenden. Das Vertrauen ist gering (FIS 7.8.2020, Sitzung 15/20; vergleiche BMLV 25.2.2021). Die Fähigkeit der Behörden, bei kleineren Delikten wie etwa Diebstahl zu intervenieren, ist derart gering, dass Menschen keinen Nutzen darin sehen, Anzeige zu erstatten. Hat eine Person Angst vor al Shabaab, dann kann ein Hilfesuchen bei der Polizei - aufgrund der Unterwanderung selbiger - die Gefahr noch verstärken. Die Polizei ist auch nicht in der Lage, Menschen bei gegebenen Schutzgeldforderungen seitens al Shabaab zu unterstützen (FIS 7.8.2020, Sitzung 15/20).

Die Kapazitäten des sogenannten Islamischen Staates sind in Mogadischu sehr beschränkt (FIS 7.8.2020, Sitzung 18).

Vorfälle: 2020 waren die Bezirke Dayniile (28 Vorfälle), Dharkenley (35), Hodan (39) und Yaqs- hiid (22), in geringerem Ausmaß die Bezirke Hawl Wadaag (17), Heliwaa (14), Karaan (18) und Wadajir/Medina (19) von Gewalt betroffen. Zivilisten waren 2020 v.a. in den Bezirken Dharkenley, Hawl Wadaag, Hodan, in geringerem Ausmaß in Dayniile (15 Vorfälle), Dharkenley (16), Hodan (18) und Yaqshiid (12) von gegen sie gerichteter Gewalt betroffen (ACLED - siehe Tabelle weiter unten).

In Benadir/Mogadischu lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,65 Millionen Menschen (UNFPA 10.2014, Sitzung 31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2019 insgesamt 134 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „vio- lence against civilians"). Bei 120 dieser 134 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2020 waren es 96 derartige Vorfälle (davon 86 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in der Region Benadir entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt):

Dabei handelte es sich laut ACLED Datenbank bei folgenden Fällen um „Violence against Civilians" (es handelt sich hierbei jedoch um keine exakten Zahlen, da ACLED einige Unschärfen aufweist; auch „normale" Morde sind inkludiert):

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.12.2020): Somalia - Reise- und Sicherheitshinweise - Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia -node/somaliasicherheit/203132#content_6 , Zugriff 3.12.2020

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer-innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2021): Curated Data - Africa (21 January 2021), https://acleddata.com/curated-data-files/, Zugriff 26.1.2021

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2020): Africa (Datathrough 11 January 2020), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 16.1.2020

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Datathrough 19 January 2019), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 23.1.2019

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 10.1.2018

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 21.12.2017

•             BBC - BBC News (31.5.2021): Somaliland elections: Could polls help gain recognition? https://www.bbc.co.uk/news/world-africa-57255602 , Zugriff 21.6.2021

•             BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc. com/news/world-africa-55677077 , Zugriff 3.2.2021

•             BBC - BBC News (23.11.2020): Life after al-Shabab: Driving a school bus instead of an armed pickup truck, https://www.bbc.co.uk/news/stories-55016792 , Zugriff 2.12.2020

•             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Fi nding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae 973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645 , Zugriff 17.3.2021

•             FP - Foreign Policy / Mahmood, O.S. / Ainte, A. (22.9.2021): Could Somalia Be the Next Afghanistan? https://foreignpolicy.com/2021/09/22/could-somalia-alshabab-taliban-next-a fghanistan/, Zugriff 23.9.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (3.2021): The Impediments To Good Governance In Somalia, http://www.heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2021/03/I mpediments-good-governance-2.pdf, Zugriff 23.7.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Fi nal-2.pdf, Zugriff 12.2.2021

•             ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf , Zugriff 9.12.2020

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2015777/190827400.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version),

niederländische Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambts bericht_Zuid-_en_Centraal-_Somalie maart_2019.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             PGN - Political Geography Now (2.2021): Somalia Control Map & Timeline - February 2021, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/20 21/02/somalia-control-map-2021.html

•             Sahan - Sahan / Ahmed Abdullahi Sheikh (5.5.2021): Editor’s Pick - Roble and struggle to „demilitarise“ Somalia’s vote, in: The Somali Wire Issue No. 137, per e-Mail

•             Sahan - Sahan / Matt Bryden (4.5.2021): Editor’s Pick - A way forward for Somalia, in: The Somali Wire Issue No. 136, per e-Mail

•             SG - Somali Guardian (8.2.2021): Somalia on Knife Edge as President’s Term Ends, https://somaliguardian.com/somalia-on-knife-edge-as-presidents-term-ends/, Zugriff 12.2.2021

•             TNH - The New Humanitarian (20.5.2021): Somalia’s political crisis explained, https://ww w.thenewhumanitarian.org/news-feature/2021/5/20/somalias-political-crisis-explained , Zugriff 21.6.2021

•             UNFPA- UN Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 - Somalia, https://somalia.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/Population-Estimation-Survey-of-So malia-PESS-2013-2014.pdf, Zugriff 28.1.2021

•             UNSC - UN Security Council (10.8.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2021/723], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058501/S_2021_723_E.pdf, Zugriff 27.8.2021

•             UNSC - UN Security Council (19.5.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2021/485], https://www.ecoi.net/en/file/local/2052226/S_2021_485_E.pdf, Zugriff 21.6.2021

•             UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf, Zugriff 2.3.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.2.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/121], https://www.ecoi.net/en/file/local/2025872/S_2020_121_E.pdf, Zugriff 26.3.2020

Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug)

Letzte Änderung: 21.10.2021

Dem Bundesstaat Galmudug sind Teile der Regionen Mudug und Galgaduud zugeordnet (BFA 8.2017, Sitzung 25).

Ahlu Sunna Wal Jama'a (ASWJ): Im Feber 2020 intervenierte die Bundesarmee zugunsten des nunmehrigen Präsidenten Qoorqoor und gegen die vormals alliierte Miliz der ASWJ (PGNS. 6). Äthiopien hatte zuvor bereits seit 2018 seine Zuwendungen an ASWJ reduziert und schließlich eingestellt (BMLV 25.2.2021). Die Spannungen eskalierten, und es kam bei Dhusamareb zu schweren Kämpfen zwischen ASWJ, Bundesarmee und der Spezialeinheit Haramcad. Dabei gab es dutzende Verluste (UNSC 13.5.2020, Absatz 9,). ASWJ wurde in der Folge durch die Bundesarmee aufgelöst (PGN 10.2020, Sitzung 3). Die politische Führung der ASWJ befand sich danach im innerstaatlichen Exil in der puntländischen Hauptstadt Garoowe. Ihre Miliz wurde teilweise entwaffnet, teilweise - nach einer Ausbildungszeit in Mogadischu - in die staatlichen Sicherheitskräfte übernommen. Damit war ASWJ zerschlagen und ausgeschaltet (BMLV 25.2.2021). Einige Anführer der ASWJ verblieben auf ihren Posten der Lokalverwaltung, die ehemaligen Kämpfer der Miliz bilden das Gros der lokal stationierten Bundestruppen (PGNS. 12).

Allerdings hat sich ASWJ im September 2021 neu gesammelt und mobilisiert (GO 2.10.2021). Die Gruppe argumentiert damit, dass al Shabaab in Galmudug zu einer zunehmend großen Bedrohung geworden ist und dies die Regierung zu verantworten hat (Reuters 2.10.2021). Demnach hat ASWJ nach eigenen Angaben lediglich vor, al Shabaab aus Galmudug zu vertreiben. Die Regierung des Bundesstaates hingegen spricht von einem Angriff (GO 2.10.2021). ASWJ hat anfangs mehrere Orte besetzt, wobei es am 30.9.2021 auch zu Gefechten mit Sicherheitskräften gekommen ist (ICG 1.10.2021; vergleiche Reuters 2.10.2021). Dabei kamen etwa bei Bohol mehr als zehn Kämpfer ums Leben (GO 2.10.2021). Der Präsident von Galmudug will auch weiterhin mit Gewalt gegen ASWJ vorgehen (SG 11.10.2021), die Bundesarmee hat zusätzliche Einheiten nach Dhusamareb verlegt. Derweil hält die Gruppe Guri Ceel besetzt (GO 2.10.2021).

Clans: Im Dezember 2019 kam es zwischen zwei Clans in der Region Mudug zu schweren Auseinandersetzungen und dutzenden Verlusten. Die Bundesarmee wurde zum Eingreifen entsendet. Nach der Entsendung von Vermittlern der Bundesregierung und nachfolgenden Versöhnungsgesprächen wurde ein gemeinsames Friedenskomitee gegründet (UNSC 13.2.2020, Absatz 39,). Im März 2021 kam es zu weiteren Gesprächen zwischen den Ayr und Saleeban (UNSC Absatz 31,). Mehrere Clanmilizen wurden teils entwaffnet, teils in die Sicherheitskräfte übernommen (BMLV 25.2.2021). Zuvor war die Bundesarmee in Galmudug nicht präsent, nun ist sie an vielen Orten vorzufinden - bis hin zur Grenze mit Puntland. Mit mehreren lokalen Milizen wurden Abkommen geschlossen. In Galinsoor wurde ein Ausbildungslager eingerichtet, u.a. werden dort lokale Milizen entwaffnet und integriert. Dieser Schritt wurde auch deshalb ergriffen, weil in den letzten Jahren bei Kämpfen zwischen Clanmilizen dutzende Menschen ums Leben gekommen sind (PGN 10.2020, Sitzung 2/5f). Allerdings ist es im Bezirk Dhusamareb Anfang 2021 wieder zu Clankämpfen gekommen. Der Vorsitzende des Militärgerichts hat Angehörige der Bundesarmee explizit davor gewarnt, an derartigen Auseinandersetzungen teilzunehmen (Sahan 19.2.2021a). Die Auseinandersetzungen um Wasser, Weideland und andere Ressourcen zogen sich über Monate und halten an - z.B. im Gebiet Balanbaale (Sahan 8.10.2021c).

Gebietskontrolle und al Shabaab: Galmudug kann Cadaado und Dhusamareb sichern und kontrolliert die Hauptverbindungsroute sowie das Gebiet zwischen dieser Straße und der äthiopischen Grenze (BMLV 25.2.2021). Die Grenze des Einflussbereichs von al Shabaab richtet sich in etwa nach der Achse Hobyo-Dhusamareb, wurde aber auch in Richtung Cadaado erweitert. Die Bezirke Ceel Dheere und Ceel Buur befinden sich samt Bezirkshauptstädten unter Kontrolle von al Shabaab, dies gilt auch für die Bezirkshauptstadt Xaradheere sowie für Teile dieses Bezirks und Teile des Bezirks Dhusamareb (PGN 2.2021, Sitzung 1). In Mudug verfügt al Shabaab also weiterhin über eine signifikante Präsenz und führt dort auch Operationen durch (UNSC 10.8.2021, Absatz 14,). Al Shabaab kontrolliert weiterhin nahezu die gesamte Küste und auch Teile des Hinterlands in den Bezirken Ceel Dheere, Ceel Buur und Xaradheere sowie das Gebiet von Gal Hareri (HIPS 2021, S.16). Die Städte Dhusamareb, Cadaado und Galkacyo sowie Matabaan können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 25.2.2021).

Jedenfalls hat al Shabaab die Präsenz in Galmudug verstärkt. Neben Middle Shabelle und Mogadischu findet sich dort das operative Schwergewicht der Gruppe (BMLV 25.2.2021), sie hat dort ihre Aktivitäten intensiviert (UNSC 13.11.2020, Absatz 8,). Im Norden von Galmudug ist al Shabaab näher an die wichtige Straße Belet Weyne-Galkacyo und damit an die dort liegenden Städte herangerückt (PGN 10.2020, Sitzung 2f/13ff). Die Gruppe steht bis zu 40 Kilometer außerhalb von Dhusamareb (HIPS 2021, Sitzung 16), und dringt in Gebiete vor, wo sie vor Auflösung der ASWJ nicht operieren konnte. Sie ist zwischenzeitlich auch schon bis direkt an die Straße vorgedrungen (PGN 2.2021, Sitzung 12) bzw. nahe an den Flughafen von Dhusamareb (SG 11.10.2021). Al Shabaab hat Orte unweit von Guri Ceel und Cadaado eingenommen und wiederholt Ziele in und um Dhusamareb sowie im September 2020 sogar direkt an der Straße angegriffen (PGN 10.2020, Sitzung 2f/13ff). Bisher gab es im Bereich Dhusamareb kaum Aktivitäten von al Shabaab. Dies hat sich geändert. Es kommt nun zu Sprengstoffanschlägen, Mörserangriffen und bewaffneten Zusammenstößen mit Sicherheitskräften und AMISOM (UNSC 13.11.2020, Absatz 15,). In der Vergangenheit wurde das Gebiet von ASWJ verteidigt, die Auflösung dieser Miliz durch die Bundesarmee hat zum Vorstoß von al Shabaab beigetragen. Immerhin verfügte die ASWJ über beachtliche militärische Schlagkraft und war ein erbitterter Gegner von al Shabaab (PGN

Sitzung 2f/13ff). Angesichts der gestiegenen Aktivitäten von al Shabaab in Galmudug hat die Regierung den Aufbau der Polizei beschleunigt (UNSC 13.11.2020, Absatz 8,).

2021 kam es vermehrt zu Aktivitäten im Bereich Ba’ad Weyne, Bezirk Hobyo (PGN 2.2021, Sitzung 11ff). Dieser Ort sowie Wisil waren von al Shabaab eingenommen worden. Bei Wisil kam es zu schweren Kämpfen mit dutzenden Toten. Al Shabaab hat die Bewohner aufgefordert, Schutzgeld zu bezahlen oder das Gebiet zu räumen. Außerdem forderte die Gruppe die Übergabe junger Männer und Frauen für den Kampf. Hunderte Familien sind daraufhin geflüchtet (Sahan 1.7.2021b). Die Bundesarmee und Kräfte von Galmudug haben im Juli 2021 anfänglich das Gebiet von Ba’ad Weyne zurückerobert und sind in Richtung Bezirk Xaradheere vorgestoßen. Al Shabaab setzte zu einer Gegenoffensive an, und es kam in der Folge zu mehreren Kämpfen zwischen beiden Seiten sowie zu US-Luftschlägen (UNSC 10.8.2021, Absatz 14,).

Generell hat die Regierung von Galmudug die Kontrolle über die Städte Dhusamareb, Cadaado, Matabaan und Cabudwaaq übernommen. Die Städte Dhusamareb und Guri Ceel sind weitgehend frei von al Shabaab; Dhusamareb gilt als sicher. Dort befindet sich das Hauptquartier einer Division der Bundesarmee (BMLV 25.2.2021) sowie eine Garnison von AMISOM-Truppen aus Dschibuti (UNSC 17.2.2021, Absatz 80,). Im Jahr 2020 waren erstmals Truppen der Bundesarmee im Gebiet Hobyo aktiv (PGN 10.2020, Sitzung 2/6/10).

Galkacyo: Für Süd-Galkacyo ist eine Bezirksvertretung eingesetzt worden (UNSC 13.11.2020, Absatz 8,). Die Sicherheitslage in Galkacyo hat sich zumindest nicht verschlechtert (BMLV 25.2.2021). Human Rights Watch berichtet im Jahresbericht 2019 über keine Probleme in Galkacyo (HRW 14.1.2020). Puntland und Galmudug haben im Juni 2020 eine Einigung erzielt, um vergangene Streitpunkte beizulegen (PGN 10.2020, Sitzung 6). Generell hat sich die Kooperation zwischen Galmudug und Puntland wesentlich verbessert, dadurch konnten auch Mitglieder der al Shabaab in Galkacyo aufgespürt und verhaftet werden. Außerdem kam es zu einem Vertragsabschluss zwischen den Clans Leelkase und Sa’ad, um die Gewalt in West-Mudug zu beenden (UNSC 13.8.2020, Absatz 38,).

Al Shabaab ist in Galkacyo - etwa über Steuereintreibung - präsent; es kommt auch zu Attentaten. Allerdings hat die Gruppe dort an Kraft eingebüßt und konnte weder im Nord- noch im Südteil der Stadt die Unterstützung der Bevölkerung mobilisieren (BMLV 25.2.2021).

Vorfälle: In den beiden Regionen Galgaduud und Mudug lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,29 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014, Sitzung 31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2019 insgesamt 51 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians"). Bei 39 dieser 51 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2020 waren es 36 derartige Vorfälle (davon 25 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in den Regionen Mudug und Galgaduud entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt):

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•             Quellen:

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2021): Curated Data - Africa (21 January 2021), https://acleddata.com/curated-data-files/, Zugriff 26.1.2021

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2020): Africa (Datathrough 11 January 2020), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 16.1.2020

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Datathrough 19 January 2019), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 23.1.2019

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 10.1.2018

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 21.12.2017

•             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1 502195321_ffm-report-somalia-sicherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf, Zugriff 3.12.2020

•             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten

•             GO - Garowe Online (2.10.2021): Somalia’s PM calls for an immediate end to Galmudug conflict, https://www.garoweonline.com/en/news/somalia/somalia-s-pm-calls-for-an-imm ediate-end-to-galmudug-conflict, Zugriff 11.10.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Fi nal-2.pdf, Zugriff 12.2.2021

•             HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020

•             ICG - International Crisis Group (1.10.2021): Crisis Watch September 2021, https://relief web.int/sites/reliefweb.int/files/resources/CrisisWatch%20Print%20_%20Chsis%20Group _15.pdf, Zugriff 11.10.2021

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Al Shabaab

Letzte Änderung: 21.10.2021

Al Shabaab ist eine radikal-islamistische, mit der al Qaida affiliierte Miliz (AA 18.4.2021, Sitzung 5; vergleiche USDOS 24.6.2020). Die Gruppe ist weiterhin eine gut organisierte und einheitliche Organisation mit einer strategischen Vision: die Eroberung Somalias (BBC 18.1.2021; vergleiche BMLV 25.2.2021) bzw. den Sturz der westlich gestützten somalischen Regierung und der Durchsetzung einer strengen Auslegung der Scharia (USDOS 12.5.2021, Sitzung 6) und der Errichtung eines islamischen Staates in Somalia (CFR 19.5.2021). Nachdem al Shabaab in den vergangenen zehn Jahren weiter Gebiete verlustig ging, hat sich die Gruppe angepasst. Ohne Städte physisch kontrollieren zu müssen, übt al Shabaab durch eine Mischung aus Zwang und administrativer Effektivität dort Einfluss und Macht aus (FP 22.9.2021). Allerdings wandelt sich al Shabaab langsam zu einer mafiösen Entität, bei der das Eintreiben von „Steuern" über den bewaffneten Kampf gestellt wird (HIPS 2021, Sitzung 3). Während die Gruppe terroristische Aktionen durchführt und als Guerillagruppe agiert, versucht sie unterhalb der Oberfläche eine Art Verwaltungsmacht zu etablieren - z.B. im Bereich der humanitären Hilfe und beim Zugang zu islamischer Gerichtsbarkeit (ACCORD, Sitzung 7; vergleiche FP 22.9.2021). römisch fünf.a. bei der Justiz hat al Shabaab geradezu eine Nische gefunden. Im Gegensatz zur Regierung ist al Shabaab weniger korrupt, Urteile sind konsistenter und die Durchsetzbarkeit ist eher gegeben (FP 22.9.2021).

Der Anführer von al Shabaab ist Ahmed Diriye alias Ahmed Umar alias Abu Ubaidah (USDOS 24.6.2020; vergleiche CFR 19.5.2021). Es wird darüber berichtet, dass dieser aus gesundheitlichen Gründen von seinem Stellvertreter Sheikh Abukar Ali Aden abgelöst worden ist (JF 23.10.2020; vergleiche PGN 10.2020, Sitzung 12), und dass die Spannungen innerhalb al Shabaabs größer geworden sind (JF 23.10.2020). Gemäß Angaben einer Quelle handelt es sich hier um wenig fundierte Gerüchte. Al Shabaab bleibt auch weiterhin eine geschlossene, monolithische Organisation, es sind keinerlei Anzeichen für eine Spaltung erkennbar (BMLV 25.2.2021). Im Zuge der politischen Machtkämpfe im ersten Halbjahr 2021 ergab sich für al Shabaab zudem die Möglichkeit, die politische Elite als korrupt und inkompetent und sich selbst als verlässliche Alternative darzustellen (TNH 20.5.2021).

Manche Menschen unterstützen al Shabaab aus ideologischen Gründen; manche deshalb, weil die Gruppe Rechtsschutz bietet; die meisten Menschen befolgen Anweisungen der Gruppe aber aus Angst (FIS 7.8.2020, Sitzung 15f). Die Menschen auf dem Gebiet von al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen. Die Gruppe versucht, alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens der Menschen zu kontrollieren (BS 2020, Sitzung 12). Auch Namen von Nachbarn und sogar die Namen der Verwandten der Nachbarn werden in Datenbanken geführt (Maruf 14.11.2018). Die mit der Nichtbefolgung strenger Vorschriften verbundenen harten Bestrafungen haben ein generelles Klima der Angst geschaffen (BS 2020, Sitzung 12). Dadurch kann al Shabaab die Bevölkerung kontrollieren, rekrutieren, Gebiete kontrollieren, Steuern eintreiben und ihre Gesetze durchsetzen (Mohamed 17.8.2019).

Verwaltung und Clans:

Al Shabaab ist es gelungen, auf den von ihr kontrollierten Gebieten ein vorhersagbares Maß an Besteuerung, Sicherheit, Rechtssicherheit und sozialer Ordnung zu etablieren und gleichzeitig weniger korrupt als andere somalische Akteure zu sein sowie gleichzeitig mit lokalen Clans zusammenzuarbeiten (HO 12.9.2021). Die Gruppe hat dort außerdem Verwaltungsstrukturen geschaffen (BS 2020, Sitzung 6) und erfüllt alle Rahmenbedingungen eines Staates. Gleichzeitig erlangt al Shabaab aufgrund ihres funktionierenden Justizwesens auch ein Maß an Unterstützung durch die Bevölkerung (Mohamed 17.8.2019). Völkerrechtlich kommen al Shabaab als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihr kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 18.4.2021, Sitzung 5/18). Al Shabaab sorgt dort auch einigermaßen für Ordnung (ICG 27.6.2019, Sitzung 1). Die Gruppe verfügt über eine eigene Verwaltung und eigene Gerichte (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 6). Die Gebiete von al Shabaab werden als relativ sicher und stabil beschrieben, bei einer Absenz von Clankonflikten (BMLV 25.2.2021; vergleiche JF 18.6.2021) und geringer Kriminalität (JF 18.6.2021). Al Shabaab duldet nicht, dass irgendeine andere Institution außer ihr selbst auf ihren Gebieten Gewalt anwendet. Jene, die dieses Gesetz brechen, werden bestraft (HI 31.5.2018, Sitzung 5). In den von ihr kontrollierten Gebieten verfügt al Shabaab über effektive Verwaltungsstrukturen, eine Art von Rechtsstaatlichkeit und eine effektive Polizei. Die Verwaltung von al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BMLV 25.2.2021). Die Zivilverwaltung von al Shabaab bietet u.a. Rechtsprechung durch Schariagerichte, organisiert Treffen mit Clanältesten, unterstützt Bedürftige, führt Religionsschulen und bietet Fortbildungsmöglichkeiten - auch für Frauen (NLMBZ 3.2019, Sitzung 11). Al Shabaab versucht, zu enge Bindungen an Clans zu vermeiden, unterstützt schwächere Gruppen gegen stärkere Rivalen oder vermittelt bei Streitigkeiten (ICG 27.6.2019, Sitzung 2). Gleichzeitig wird al Shabaab als Friedensbewahrer erachtet, da sie Clankonflikte derart handhabt, dass diese auf den Gebieten unter ihrer Kontrolle nur selten in Gewalt münden (HI 31.5.2018, Sitzung 5).

Stärke: Die Hälfte der Mitglieder von al Shabaab stellt den militärischen Arm (jabhat), welcher an der Front gegen die somalische Regierung und AMISOM kämpft. Die andere Hälfte sind entweder Polizisten, welche Gesetze und Gerichtsurteile durchsetzen und Verhaftungen vornehmen; sowie Richter. Außerdem verfügt al Shabaab in der Regierung, in der Armee und in fast jedem Sektor der Gesellschaft über ein fortschrittliches Spionagenetzwerk. Die Größe der Miliz von al Shabaab wird von einer Quelle auf 13.000 geschätzt (Maruf 14.11.2018). Neuere Quellen berichten von 7.000-9.000 (USDOS 24.6.2020) oder auch von 5.000-10.000 (bewaffneten) Angehörigen der al Shabaab (HIPS 2021, Sitzung 21; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 8). Die tatsächliche Größe ist schwer festzulegen, da viele Angehörige der al Shabaab zwischen Kampf und Zivilleben hin- und herwechseln (WP 31.8.2019). Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen AMISOM manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt al Shabaab mit dem Amniyad über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk (BMLV 25.2.2021). Dieser Dienst, der mehr als nur ein Geheimdienst ist, verfügt über 500 bis 1.000 Mann (BBC 27.5.2019). Der Amniyad ist die wichtigste Stütze der al Shabaab (Mohamed 17.8.2019; vergleiche JF 18.6.2021). Diese Teilorganisation hat ihre Fähigkeiten in den vergangenen Jahren ausgebaut. Der Amniyad ist auch für der Erhebung ausnützbarer Clanrivalitäten zuständig (JF 18.6.2021).

Es gibt einige wenige, ideologisch positionierte Anhänger; Personen, die religiös gebildet sind und sich bewusst auf dieser Ebene mit al Shabaab solidarisieren. Es gibt aber eine viel größere Anzahl von Menschen, die pragmatisch agieren. Sie akzeptieren al Shabaab als geringeres Übel (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 13).

Kapazitäten: Al Shabaab hat zwar insgesamt nicht an Stärke verloren (ÖB 3.2020, Sitzung 2) und ist nach wie vor in der Lage, Friedens- und Staatsbildung zu hemmen (HIPS 2021, Sitzung 3). Trotz ihrer Fähigkeit zu stören und zu zerstören, stellt al Shabaab aber nicht länger eine existentielle Bedrohung für die somalische Regierung dar (HIPS 2021, Sitzung 21). An Kapazitäten zur konventionellen Kriegsführung hat al Shabaab deutlich eingebüßt. Schuld daran sind die Luftschläge der USA und die Bodenoperationen von somalischer Armee und AMISOM (HIPS 2021, Sitzung 3). Allein bei Luftschlägen hat al Shabaab seit 2017 ca. 1.000 Mann verloren (HIPS 2021, Sitzung 21). So wurden Kommandostrukturen unterbrochen und zudem Sprengstoffvorräte vernichtet (FIS 7.8.2020, Sitzung 10f). Gemäß einer anderen Quelle bleiben die Kapazitäten von al Shabaab konstant. Zwar kann die Gruppe aufgrund intensiver Aufklärungstätigkeiten keine großen Kampfverbände mehr verlegen; allerdings sind die personellen und materiellen Kapazitäten unverändert geblieben (BMLV 25.2.2021). Allerdings nutzt die Gruppe die bestehenden politischen Konflikte um Neuwahlen. Die politische Elite ist durch sich selbst abgelenkt und hat den Kampf gegen al Shabaab vernachlässigt (HIPS 2021, Sitzung 21). Al Shabaab hat nicht genügend Kapazitäten, um ständig und überall präsent zu sein. Sie führt z.B. Körperstrafen immer wieder exemplarisch aus; aber nur so intensiv und so oft, wie es nötig ist, um die lokale Bevölkerung zu erschrecken und dafür zu sorgen, dass ein Großteil der Menschen sich tatsächlich - zwangsläufig - mit der Herrschaft von al Shabaab arrangiert (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 9).

Gebiete: Al Shabaab wurde zwar aus den meisten Städten vertrieben, bleibt aber auf dem Land in herausragender Position (BBC 18.1.2021) bzw. hat die Gruppe dort eine feste Basis (FP 22.9.2021). Zudem schränkt sie regionale sowie Kräfte des Bundes auf städtischen Raum ein, ohne dass diese die Möglichkeit hätten, sich zwischen den Städten frei zu bewegen (HIPS 2021, Sitzung 3). Al Shabaab kontrolliert Gebiete in den Regionen Lower Juba und Gedo (Jubaland); Bakool, Bay und Lower Shabelle (SWS); Hiiraan und Middle Shabelle (HirShabelle); Galgaduud und Mudug (Galmudug). Die Region Middle Juba wird zur Gänze von al Shabaab kontrolliert (PGN 2.2021, Sitzung 1).

Jedenfalls steht ebenso fest: Das Einsatzgebiet von al Shabaab ist fast so groß wie Deutschland. In diesem weitläufigen und infrastrukturell wenig erschlossenen Gebiet muss die Gruppe mit ca. 10.000 bewaffneten Kämpfern auskommen. Das bedeutet, dass al Shabaab zu keinem Zeitpunkt eine permanente Kontrolle über alle strategisch wichtigen Punkte ausüben kann. Die Gruppe kann nicht alle wichtigen Straßen kontrollieren, kann nicht in allen Orten des Hinterlandes mit permanenter Präsenz aufwarten, kann sich nicht um alle Konflikte vor Ort gleichzeitig kümmern (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 8). Gemäß einer Quelle hält al Shabaab in ihrem Gebiet vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen und zielt damit in erster Linie auf das Einheben von Steuern ab und übt Einfluss aus (LI 21.5.2019a, Sitzung 3). Eine andere Quelle erklärt, dass, auch wenn es dort keine permanenten Stationen gibt, die Polizei von al Shabaab regelmäßig auch entlegene Gebiete besucht. Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuzuschlagen, bzw. kann sie sich auch in vielen Gebieten Süd-/Zentralsoma- lias frei bewegen (BMLV 25.2.2021). In den meisten Städten verfügt die Gruppe zudem über Schattenverwaltungen (FP 22.9.2021). „Kontrolliert“ wird - wie es ein Experte ausdrückt - durch „exemplarische Gewalt“; durch das Streuen von Gerüchten; durch terroristische Anschläge zur Einschüchterung der Bevölkerung (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 8).

Steuern: Al Shabaab hat in ganz Süd-/Zentralsomalia ein komplexes System an Schutzgelderpressung etabliert, welches in den Jahren 2018 und 2019 exponentiell ausgebaut worden ist (HIPS 2020, Sitzung 12f; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 14f). In den Gebieten der al Shabaab wird alles und jeder besteuert (HI 10.2020, Sitzung 2f; vergleiche BBC 18.1.2021). In umstrittenen Gebieten findet sich kaum jemand, der eine Schutzgeldforderung der al Shabaab nicht befolgt. Und selbst in Städten wie Mogadischu und sogar in Bossaso (Puntland) zahlen nahezu alle Wirtschaftstreibenden Steuern an al Shabaab; denn überall dort sind Straforgane der Gruppe aktiv (HI 10.2020, Sitzung 2f).

Die Besteuerung scheint systematisch, organisiert und kontrolliert zu erfolgen - zumindest im Vergleich zur Bundesregierung (BS 2020, Sitzung 10). Demnach hebt al Shabaab auch ebenso viele oder sogar mehr „Steuern" ein, als die Bundesregierung. Dabei agiert die Gruppe wie ein verbrecherisches Syndikat (FDD 11.8.2021; FIS 7.8.2020, Sitzung 18; HI 10.2020, Sitzung 5). Das Steuersystem von al Shabaab wird durch systematische Einschüchterung und Gewalt gestützt (SEMG 9.11.2018, Sitzung 26/97). Ziel ist es, aus kriminellen Aktivitäten Gewinn zu lukrieren. Dabei dient die Religion nur als Deckmantel (FIS 7.8.2020, Sitzung 18). U.a. investiert al Shabaab Überschüsse aus Einnahmen in kleine Geschäfte und am Immobilienmarkt von Mogadischu (PGN 10.2020, Sitzung 16).

Eingehoben werden Steuern auf landwirtschaftliche Produkte; Güter, Personen und Fahrzeuge im Transit; auf den Verkauf von Vieh (BS 2020, Sitzung 10); sowie auf manche Dienstleistungen - und zwar sowohl in den eigenen Gebieten als auch in jenen der Regierung (HIPS 2020, Sitzung 13). Sogar Bundesbedienstete - darunter hochrangige Angehörige der Armee - führen Schutzgeld oder „Einkommenssteuer" an al Shabaab ab. Dieser Faktor belegt aber auch den Pragmatismus von al Shabaab als mafiöser Organisation, wo Geld vor Ideologie gereiht wird (HI 10.2020, Sitzung 6f).

Die Zahlung der Abgaben erfolgt in der Form von Geld, Tieren, landwirtschaftlichen Produkten oder anderen Werten (LI 20.12.2017, Sitzung 3). Die Höhe der Steuer ist oft verhandelbar. Jedenfalls haben die Menschen de facto keine Wahl, sie müssen al Shabaab bezahlen (WP 31.8.2019). Jene, welche Abgaben an al Shabaab abführen, können ungestört leben; aber jene, die sich weigern, werden bestraft und ihr Leben bedroht. Vorerst werden dabei hohe Strafzahlungen ausgesprochen oder aber der Zugang zu Märkten wird blockiert, dann folgen auch Todesdrohungen. Zur tatsächlichen Exekution kommt es aber nur in Extremfällen. Andere müssen ihre Firma schließen, ihre Kontaktdaten ändern oder aus dem Land fliehen. Nur jene können den Druck ertragen und einer Besteuerung entgehen, welche sich außerhalb der Reichweite von al Shabaab befinden (HI 10.2020, Sitzung 4ff). Kaum jemand bezahlt die Abgaben freiwillig, das Antriebsmittel dafür ist die Angst (HI 10.2020, Sitzung 1).

Konservativen Schätzungen zufolge lukriert al Shabaab alleine an monatlichen Abgaben 15 Millionen US-Dollar pro Monat - davon die Hälfte in Mogadischu (HI 10.2020, Sitzung 5). Generell werden alle Wirtschaftstätigkeiten in Mogadischu von der Gruppe mit Schutzgeld belegt (FIS 7.8.2020, Sitzung 13). Wirtschaftstreibende werden angerufen und bedroht. Diese zahlen Schutzgeld (WP 31.8.2019), denn die Regierung ist nicht in der Lage, sie vor Schutzgelderpressung zu schützen (HI 10.2020, Sitzung 9). Dabei verlangt al Shabaab von Wirtschaftstreibenden zunehmend höhere Steuern (HI 10.2020, Sitzung 1). Alle großen Unternehmen im südlichen Somalia zahlen diese jährliche Steuer. Nur sehr kleine Betriebe oder Straßenhändler müssen den Zakat nicht abführen.

Dahingegen werden auch zahlreiche andere Bereiche besteuert - etwa die Nutzung von Bewässerungsanalgen durch Bauern (HI 10.2020, Sitzung 3). Steuern werden auch auf landwirtschaftliche Produkte und Vieh eingehoben. Zusätzlich kommt es auch zu allgemeinen Geldforderungen (infaaq). Am meisten Geld verdient al Shabaab aber mit der Besteuerung von Fahrzeugen, die Güter durch das Gebiet der Gruppe transportieren. Auch am Bakara-Markt (VOA 3.12.2018), für Importe am Hafen von Mogadischu (UNSC 1.11.2019, Sitzung 13; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 13) sowie am Immobilienmarkt hebt al Shabaab Steuern ein (HI 10.2020, Sitzung 4). Selbst das Personal internationaler Organisationen zahlt Steuern bzw. Schutzgeld an al Shabaab, um in Ruhe gelassen zu werden (BFA 8.2017, Sitzung 33).

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Rechtsschutz, Justizwesen Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 21.10.2021

Von einer flächendeckenden effektiven Staatsgewalt kann nicht gesprochen werden (AA 18.4.2021, Sitzung 5).

Im somalischen Kulturraum existieren drei Rechtsquellen: traditionelles Recht (Xeer), islamisches Schariarecht (v. a. für familiäre Angelegenheiten) sowie formelles Recht (SEM 31.5.2017, Sitzung 31; vergleiche BS 2020, Sitzung 16; USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Nach dem Kollaps des Staates im Jahr 1991 kollabierte in weiten Teilen des Landes auch das formelle Recht. Gleichzeitig stieg die Bedeutung von Scharia und Xeer. Die Scharia hat es als Grundlage allen Rechts in die Übergangsverfassung und in die Verfassung von Puntland geschafft (BS 2020, Sitzung 9). Aufgrund des Versagens und der Ineffektivität der formellen staatlichen Justiz sind traditionelles Recht, islamische Rechtsprechung und Gerichte von al Shabaab häufige Quellen für Streitbeilegungen (HIPS 3.2021, Sitzung 13; vergleiche LI 16.6.2021, Sitzung 2).

Die Grundsätze der Gewaltenteilung sind in der Verfassung von 2012 niedergeschrieben. Allerdings ist die Verfassungsrealität eine andere (AA 18.4.2021, Sitzung 7; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 10f). Al Shabaab untergräbt die Rechtsstaatlichkeit durch die Einhebung von Steuern und Durchsetzung von Urteilen eigener Gerichte. Der mangelnde (Rechts-)Schutz durch die Regierung führt dazu, dass sich Staatsbürger der Schutzgelderpressung durch al Shabaab beugen (HI 10.2020, Sitzung 9f). Staatlicher Schutz ist auch im Falle von Clankonflikten von geringer Relevanz, die „Regelung" wird grundsätzlich den Clans selbst überlassen. Aufgrund der anhaltend schlechten Sicherheitslage sowie mangels Kompetenz der staatlichen Sicherheitskräfte und Justiz muss der staatliche Schutz in Zentral- und Südsomalia als schwach bis nicht gegeben gesehen werden. Staatliche Sicherheitskräfte können und wollen oftmals nicht in Clankonflikte eingreifen. Befinden sich Angehörige eines bestimmten Clans oder von Minderheiten in Gefahr oder sind diese bedroht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Zugang zu effektivem staatlichem Schutz gewährleistet ist (ÖB 3.2020, Sitzung 10). Andererseits ist auch bekannt, dass staatliche Sicherheitskräfte manchmal bei Clankonflikten Partei ergreifen (BS 2020, Sitzung 34).

Formelle Justiz - Kapazität: Generell verfügt die somalische Justiz über eine sehr begrenzte Kapazität (LI 16.6.2021, Sitzung 2). In den vergangenen zehn Jahren haben unterschiedliche Regierungen in Mogadischu und anderen Städten Gerichte auf Bezirksebene errichtet. U.a. gibt es zwei Bezirksgerichte in HirShabelle, sechs im SWS, acht in Jubaland und eines in Galmudug. Sie sind für Straf- und Zivilrechtsfälle zuständig. In Mogadischu gibt es außerdem ein Berufungsgericht und ein Oberstes Gericht (Supreme Court) (BS 2020, Sitzung 16). Generell sind Gerichte aber nur in größeren Städten verfügbar (BS 2020, Sitzung 9). Der Verfassungsgerichtshof ist immer noch nicht eingerichtet worden (HIPS 3.2021, Sitzung 10). Vielen Richtern und Staatsanwälten mangelt es an Qualifikation (BS 2020, Sitzung 17; vergleiche LIFOS 1.7.2019, Sitzung 4). Oft werden diese nicht aufgrund ihrer Qualifikation ernannt (SIDRA 11.2019, Sitzung 5), und ernannte Richter erhielten keine Ausbildung (BS 2020, Sitzung 17). Aufbau, Funktionsweise und Effizienz des Justizsystems entsprechen nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes (AA 18.4.2021, Sitzung 4). Es gibt zwar einen Instanzenzug, aber in der Praxis werden Zeugen eingeschüchtert und Beweismaterial nicht ausreichend herbeigebracht und gewürdigt (AA 18.4.2021, Sitzung 14). Das Justizsystem ist zersplittert und unterbesetzt (FH 3.3.2021a, F1), v.a. außerhalb urbaner Zentren nicht vorhanden. Einige lokale Gerichte sind bei ihrer Rechtsdurchsetzung vom örtlich dominanten Clan abhängig (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Durchgesetzt wird formelles Recht eher noch im urbanen als im ländichen Kontext (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 36).

Formelle Justiz - Qualität und Unabhängigkeit: In der Verfassung ist die Unabhängigkeit der Justiz vorgesehen (BS 2020, Sitzung 9). In den tatsächlich von der Regierung kontrollierten Gebieten sind die Richter einer vielfältigen politischen Einflussnahme durch staatliche Amtsträger ausgesetzt (AA 18.4.2021, Sitzung 7), und nicht immer respektiert die Regierung Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Außerdem sind Urteile von Clan- oder politischen Überlegungen seitens der Richter beeinflusst (BS 2020, Sitzung 16; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 10; FH 3.3.2021a, F2). Die meisten der in der Verfassung vorgesehenen Rechte für ein faires Verfahren werden bei Gericht nicht angewendet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10f). Nationales oder internationales Recht werden bei Fest- oder Ingewahrsamnahme sowie beim Vorgerichtstellen von Tatverdächtigen nur selten eingehalten (AA 18.4.2021, Sitzung 9; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 10f).

Die somalische Justiz ist zudem von Korruption geprägt (LI 16.6.2021, Sitzung 2). Diese behindert den Zugang zu fairen Verfahren (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11; vergleiche FH 3.3.2021a, F1; FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Verfahren dauern sehr lang (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Von Richtern oder Staatsanwälten werden Bestechungsgelder verlangt. Verdächtige und Verurteilte werden gegen Geld, oder weil sie einem bestimmten Clan angehören, auf freien Fuß gesetzt (SIDRA 11.2019, Sitzung 5). Zusätzlich halten sich Staatsbedienstete bzw. Behörden nicht an gerichtliche Anordnungen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11; vergleiche BS 2020, Sitzung 16; FH 3.3.2021a, F1). In anderen Worten ist [Zitat] die somalische Justiz ein Marktplatz, an welchem Gefallen, Einfluss und Geld ausgetauscht werden (Sahan 9.4.2021). Folglich ist das Vertrauen der Menschen in die formelle Justiz gering. Sie wird als teuer, ineffizient und manipulierbar wahrgenommen (BS 2020, Sitzung 16). Insgesamt stehen Zivilisten ernsthaften Mängeln beim Rechtsschutz gegenüber (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Bürger wenden sich aufgrund der Mängel im formellen Justizsystem oft an die traditionelle oder die islamische Rechtsprechung (FH 3.3.2021a, F1).

Formelle Justiz - Militärgerichte: Militärgerichte verhandeln und urteilen weiterhin über Fälle jeglicher Art. Darunter fallen auch zivilrechtliche Fälle, die eigentlich nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen (AA 18.4.2021, Sitzung 8; vergleiche BS 2020, Sitzung 16; vergleiche FH 3.3.2021a, F2), bzw. wo unklar ist, ob diese in ihren Zuständigkeitsbereich fallen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11). Verfahren vor Militärgerichten entsprechen teilweise nicht den international anerkannten Standards für faire Gerichtsverfahren (AA 18.4.2021, Sitzung 8; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 3; HRW 13.1.2021; FH 3.3.2021a, F2). Angeklagten wird nur selten das Recht auf eine Rechtsvertretung oder auf Berufung zugestanden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11).

Traditionelles Recht (Xeer): Das Xeer behandelt Vorbringen von Fall zu Fall und wird von Ältesten implementiert (BS 2020, Sitzung 16). Diese Art der Justiz dient im ganzen Land bei der Vermittlung in Konflikten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Xeer ist insbesondere in jenen ländlichen Gebieten wichtig, wo Verwaltung und Justiz nur schwach oder gar nicht vorhanden sind. Aber auch in den Städten wird Xeer oft zur Konfliktlösung - z.B. bei Streitfragen unter Politikern und Händlern - angewendet (SEM 31.5.2017, Sitzung 34). Zur Anwendung kommt Xeer auch bei anderen Konflikten und bei Kriminalität (BFA 8.2017, Sitzung 100). Es kommt also auch dort zu tragen, wo Polizei und Justizbehörden existieren. In manchen Fällen greift die traditionelle Justiz auf Polizei und Gerichtsbedienstete zurück (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 7), in anderen Fällen behindert der Einsatz des Xeer Polizei und Justiz. Jedenfalls wiegt eine Entscheidung im Xeer schwerer als ein Urteil vor einem formellen Gericht. Im Zweifel zählt die Entscheidung im Xeer (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 4). Frauen werden im Xeer insofern benachteiligt, als sie in diesem System nicht selbst aktiv werden können und auf ein männliches Netzwerk angewiesen sind (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14).

Clanschutz im Xeer: Maßgeblicher Akteur im Xeer ist der Jilib - die sogenannte Diya/Mag/Blut- geld-zahlende Gruppe. Das System ist im gesamten Kulturraum der Somali präsent und bietet - je nach Region, Clan und Status - ein gewisses Maß an (Rechts-)Schutz. Die sozialen und politischen Beziehungen zwischen Jilibs sind durch (mündliche) Xeer-Verträge geregelt. Mag/Diya muss bei Verstößen gegen diesen Vertrag bezahlt werden. Für Straftaten, die ein Gruppenmitglied an einem Mitglied eines anderen Jilib begangen hat - z.B. wenn jemand verletzt oder getötet wurde - sind Kompensationszahlungen (Mag/Diya) vorgesehen (SEM 31.5.2017, Sitzung 8ff). Wenn einer Person etwas passiert, dann wendet sie sich nicht an die Polizei, sondern zuallererst an die eigene Familie und den Clan (FIS 7.8.2020, Sitzung 20). Dies gilt auch bei anderen (Sach-)Schadensfällen. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind - insbesondere bei Kompensationszahlungen. Letztere werden von der ganzen Gruppe des Täters bzw. Verursachers gemeinsam bezahlt (SEM 31.5.2017, Sitzung 8ff).

Der Ausdruck „Clanschutz“ bedeutet in diesem Zusammenhang also traditionell die Möglichkeit einer Einzelperson, vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Sein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Mag/Diya zu zahlen - oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, Sitzung 31). Aufgrund von Allianzen werden auch Minderheiten in das System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, Sitzung 33). Allerdings haben schwächere Clans und Minderheiten oft Schwierigkeiten - oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit - ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14). Der Clanschutz funktioniert generell - aber nicht immer - besser als der Schutz durch den Staat oder die Polizei. Darum aktivieren Somalis im Konfliktfall (Verbrechen, Streitigkeit etc.) tendenziell eher Clanmechanismen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt (SEM 31.5.2017, Sitzung 36). Dementsprechend wird etwa ein Tod in erster Linie durch die Zahlung von Blutgeld und nicht durch einen Rachemord ausgeglichen (GIGA 3.7.2018).

Aufgrund der Schwäche bzw. Abwesenheit staatlicher Strukturen in einem großen Teil des von Somalis besiedelten Raums spielen die Clans also auch heute eine wichtige politische, rechtliche und soziale Rolle (SEM 31.5.2017, Sitzung 8; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 10), denn die Konfliktlösungsmechanismen der Clans für Kriminalität und Familienstreitigkeiten sind intakt. Selbst im Falle einer Bedrohung durch al Shabaab kann der Clan einbezogen werden. Bei Kriminalität, die nicht von al Shabaab ausgeht, können Probleme direkt zwischen den Clans gelöst werden (SEM 31.5.2017, Sitzung 35). Die patrilineare Abstammungsgemeinschaft - der Clan - schaltet sich also in Konfliktfällen ein, etwa bei Landkonflikten, Unfällen mit Personenschaden, bei Tötungsdelikten und Vergewaltigungen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 31).

Die Clanzugehörigkeit kann also manche Täter vor einer Tat zurückschrecken lassen, doch hat auch der Clanschutz seine Grenzen. Angehörige nicht-dominanter Clans und Gruppen sind etwa vulnerabler (LI 15.5.2018, Sitzung 3). Außerdem kann z.B. eine Einzelperson ohne Anschluss in Mogadischu nicht von diesem System profitieren (SEM 31.5.2017, Sitzung 35). Problematisch ist zudem, dass im Xeer oft ganze (Sub-)Clans für die Taten Einzelner zur Verantwortung gezogen werden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Trotzdem sind die Mechanismen des Xeer wichtig, da sie nahe an den Menschen wirken und jahrhundertealte, den Menschen bekannte Verfahren und Normen nutzen. Der Entscheidungsprozess ist transparent und inklusiv (UNHRC 6.9.2017, Absatz 60,). Zusammenfassend ist Xeer ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Die traditionell vorgesehenen Kompensationszahlungen decken zahlreiche zivil- und strafrechtliche Bereiche ab und kommen z.B. bei fahrlässiger Tötung, bei Autounfällen mit Personen- oder Sachschaden oder sogar bei Diebstahl zu tragen. Nach der Art des Vorfalles richtet sich auch der zu entrichtende Betrag (SEM 31.5.2017, Sitzung 32).

In einer Dokumentation der Deutschen Welle berichten Clan-Älteste, dass siebzw. Sultans im ganzen Clan Geld sammeln. Bei einem Mordfall müssen z.B. 50.000 US-Dollar gesammelt werden. Die Ältesten telefonieren dann mit Clan-Mitgliedern und diese geben jeweils 5-200 US-Dollar. Die Zahlung ist dabei nicht optional, sondern verpflichtend. Bei einer Verweigerung erfolgt eine Bestrafung. Selbst zum Tode verurteilte Mörder können so gerettet werden. Diese bleiben lediglich so lange in Haft, bis der Clan des Opfers das Geld erhält (DW 3.2021). Diese Art des „Fundraising“ nennt sich Qaraan (Majid 2017, Sitzung 18).

Scharia: Die Gesetzlosigkeit in Süd-/Zentralsomalia führte dazu, dass die Scharia nicht mehr nur in Zivil-, sondern auch in Strafsachen zum Einsatz kommt, da die Bezahlung von Blutgeld manchmal nicht mehr als ausreichend angesehen wird (SEM 31.5.2017, Sitzung 34). Problematisch ist, dass die Scharia von Gerichten an unterschiedlichen Orten auch unterschiedlich interpretiert wird, bzw. dass es mehrere Versionen der Scharia gibt. Schariagerichte werden auch für andere

Rechtsdienste herangezogen - sie werden als effizienter, weniger korrupt, schneller und fairer angesehen (BS 2020, Sitzung 16). Frauen können im Rahmen der Scharia effektiver Recht bekommen als im sehr patriarchalen und oft auch intransparenten traditionellen Recht (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 32).

Recht bei al Shabaab: In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten wird das Prinzip der Gewaltenteilung gemäß der theokratischen Ideologie der Gruppe nicht anerkannt (AA 18.4.2021, Sitzung 7). Dort ersetzt islamisches Recht auch Xeer (SEM 31.5.2017, Sitzung 33; ÖB 3.2020, Sitzung 4) bzw. ist Letzteres nach anderen Angaben bei al Shabaab sogar verboten (BS 2020, Sitzung 17); nach anderen Angaben kommt Xeer fallweise zum Einsatz (USDOS 12.5.2021, Sitzung 4). Jedenfalls gibt es dort kein formelles Justizsystem (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11). Der Clanschutz ist in Gebieten unter Kontrolle oder Einfluss von al Shabaab eingeschränkt, aber nicht inexistent. Abhängig von den Umständen können die Clans auch in diesen Regionen Schutz bieten. Es kann den Schutz einer Einzelperson erhöhen, Mitglied eines Mehrheitsclans zu sein (SEM 31.5.2017, Sitzung 33f), es gibt ein gewisses Maß an Verhandlungsspielraum (LI 21.5.2019a, Sitzung 3).

Al Shabaab unterhält in den von ihr kontrollierten Gebieten ständige, von Geistlichen geführte Gerichte, welche ein breites Spektrum an straf- und zivilrechtlichen Fällen abhandeln. Zusätzlich gibt es auch mobile Gerichte (ICG 27.6.2019, Sitzung 4). Es gilt die strikte salafistische Auslegung der Scharia (BS 2020, Sitzung 17). In von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden regelmäßig extreme Körperstrafen verhängt und öffentlich vollstreckt, darunter Auspeitschen oder Stockschläge, Handamputationen für Diebe oder Hinrichtungen für Ehebruch (AA 18.4.2021, Sitzung 13; vergleiche BS 2020, Sitzung 17). Al Shabaab inhaftiert Personen für „Vergehen" wie Rauchen, Musikhören (USDOS 30.3.2021, Sitzung 7; vergleiche CFR 19.5.2021), den Verkauf von Khat, das Rasieren des Bartes (CFR 19.5.2021), unerlaubte Inhalte auf dem Mobiltelefon; Musikhören, Fußballschauen oder -spielen und das Tragen eines BHs oder das Nicht-Tragen eines Hidschabs (USDOS 30.3.2021, Sitzung 7). Die harsche Interpretation der Scharia wird in erster Linie in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten umgesetzt, dort, wo die Gruppe auch über eine permanente Präsenz verfügt. In anderen Gebieten liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Einhebung von Steuern (LI 20.12.2017, Sitzung 3).

Die Gerichte der al Shabaab werden als gut funktionierend, effektiv, weniger korrupt, schnell und im Vergleich fairer beschrieben (BS 2020, Sitzung 16) - zumindest im Vergleich zur staatlichen Rechtsprechung (FIS 7.8.2020, Sitzung 16). Al Shabaab urteilt oder vermittelt u.a. in Streitigkeiten zwischen Wirtschaftstreibenden (HI 10.2020, Sitzung 7). Obwohl al Shabaab Prozesskosten bzw. Gerichtsgebühren einhebt (HIPS 4.2021, Sitzung 22) bevorzugen viele Menschen ihre Gerichte - selbst Personen aus von der Regierung kontrollierten Gebieten (BS 2020, Sitzung 17) - etwa aus Mogadischu (FIS 7.8.2020, Sitzung 16). Von dort begeben sich Streitparteien extra nach Lower Shabelle, um dort bei al Shabaab Klage einzureichen (FIS 7.8.2020, Sitzung 16; vergleiche LIFOS 1.7.2019, Sitzung 4). Denn der Rechtsprechung durch al Shabaab wird mehr Vertrauen entgegengebracht als jener der staatlichen Justiz (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14). Auch für benachteiligte Gruppen mit keinem oder nur eingeschränktem Zugang zu anderen Rechtssystemen kann die Justiz von al Shabaab anziehend wirken. So sind diese Gerichte für manche Frauen etwa die einzige Möglichkeit, um finanzielle Ansprüche an vormalige Ehemänner oder männliche Verwandte geltend zu machen (UNSC 1.11.2019, Sitzung 14). Gerichte von al Shabaab hören alle Seiten, fällen Urteile und sorgen dafür, dass Urteile auch umgesetzt bzw. eingehalten werden - wo nötig mit Gewalt (FIS 7.8.2020, Sitzung 16). Al Shabaab ist grundsätzlich in der Lage, Gerichtsbeschlüsse auch durchzusetzen (UNSC 1.11.2019, Sitzung 14; vergleiche HI 10.2020, Sitzung 10).

Es gilt das Angebot einer Amnestie für Kämpfer der al Shabaab, welche ihre Waffen ablegen, der Gewalt abschwören und sich zur staatlichen Ordnung bekennen. Für diese Amnestiemöglichkeit gibt es aber keine rechtliche Grundlage (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Allerdings wird üblicherweise ehemaligen Kämpfern im Austausch für Informationen über al Shabaab eine Amnestie gewährt (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 24).

Puntland: Puntland hat ein eigenes Gerichtswesen geschaffen (BS 2020, Sitzung 16). Abseits der Zivilgerichtsbarkeit gibt es in Puntland Militärgerichte. Deren Personal wird direkt vom Präsidenten aus den Reihen des Militärs ernannt und muss über keine fachliche Ausbildung verfügen. Die Spezialeinheit „Puntland Security Force" (PSF) ist gemäß Anti-Terrorgesetz mit den Militärgerichten in enger Verbindung. Es kommt an diesen Gerichten - in Zusammenhang mit Prozessen bei Terrorismusverdacht - mitunter zu Verurteilungen unter Verwendung erzwungener Geständnisse. Zuständig sind Militärgerichte in Puntland u.a. im Falle von Spionage, Verrat, Kontakt mit dem Feind und Terrorismus (UNSC 1.11.2019, Sitzung 38/138ff).

Das UNDP unterstützt seit Jahren die universitäre Ausbildung von Juristen in Puntland, um dem Mangel an Personal - Richter, (Staats-)Anwälte - entgegenzutreten (UNDP 7.4.2019).

Zu den weder von der Regierung noch von al Shabaab kontrollierten Gebieten gibt es kaum Informationen. Es ist aber davon auszugehen, dass Rechtsetzung, -Sprechung und - Durchsetzung zumeist in den Händen von v.a. Clanältesten liegen. Von einer Gewaltenteilung ist dort nicht auszugehen (AA 18.4.2021, Sitzung 7). Urteile werden hier häufig gemäß Xeer von Ältesten gesprochen. Diese Verfahren betreffen in der Regel nur Rechtsstreitigkeiten innerhalb des Clans. Sind mehrere Clans betroffen, kommt es häufig zu außergerichtlichen Vereinbarungen (Friedensrichter), auch und gerade in Strafsachen. Repressionen gegenüber Familie und Nahestehenden (Sippenhaft) spielen dabei eine wichtige Rolle (AA 18.4.2021, Sitzung 14).

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Sicherheitsbehörden Süd /Zentralsomalia, Puntland Ausländische Kräfte

Letzte Änderung: 21.10.2021

Die African Union Mission in Somalia (AMISOM) ist seit 2007 in Somalia stationiert (EU o.D.). Das prinzipielle Mandat von AMISOM ist es, die durch al Shabaab und andere Rebellengruppen gegebenen Bedrohungen zu reduzieren und Stabilisierungsanstrengungen zu unterstützen. Das hat AMISOM zu einem gewissen Maß auch geschafft (ISS 28.2.2019). Sie gilt als mächtigster Gegner der al Shabaab (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 6). Die Truppe trägt einerseits seit Jahren die Führung im Kampf gegen al Shabaab und andererseits schützt sie die Bundesregierung (BBC), die in großem Maße von den Kräften der AMISOM abhängig ist (BS 2020, Sitzung 6/13; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 8, BBC 18.1.2021). AMISOM ist ein beispielgebender Fall internationaler Kooperation bei einer militärischen Intervention. Afrikanische Länder stellen die Truppen, während die EU und andere für die Finanzierung aufkommen. Die UN wiederum sind für Ausrüstung und Logistik verantwortlich. Einzelne Länder, wie etwa die USA und Großbritannien, gewährleisten zusätzliche Unterstützung bei finanziellen Ressourcen, Logistik und Ausbildung (BS 2020, Sitzung 39).

Die UN haben im März 2021 das Mandat von AMISOM mit 19.626 Mann uniformiertem Personal verlängert (UNSC 12.3.2021). Im Dezember 2018 gab es noch ca. 21.600 uniformiertes AM- ISOM-Personal (UNSC 21.12.2018, Sitzung 9). AMISOM hat eine militärische, eine polizeiliche und eine zivile Komponente. Truppenstellerstaaten für die militärische Komponente sind gegenwärtig Uganda, Burundi, Dschibuti, Kenia und Äthiopien (AMISOM 2021a). Die Stärke beträgt seit Feber 2020: Äthiopien: 3.902; Burundi: 3.715; Dschibuti: 1.691; Kenia: 3.654; Uganda: 5.448; Hauptquartier: 111. Seit Ende 2020 verfügt AMISOM über eine zusätzliche Luftkomponente von vier Hubschraubern, die von Uganda gestellt werden. Diese dienen v.a. für Verbindung, Versorgung und medizinische Notfälle (BMLV 2.3.2021). UNSOS hat die Stationierung der Hubschrauber in Bali Doogle unterstützt (UNSC 13.11.2020, Absatz 76,). Auch private Firmen sind mit Hubschraubern dabei. Ob diese künftig auch in einer Kampfrolle eingesetzt werden, ist unklar (IP 4.2.2021). Insgesamt verfügt AMISOM über sieben militärische Luftfahrzeuge, zwölf wären autorisiert (UNSC 17.2.2021, Absatz 78,).

Hinsichtlich des Exit-Plans für AMISOM, der einen Abzug der Truppe eigentlich für Dezember 2021 vorgesehen hätte (ISS 28.2.2019), gibt es Rückschläge - v.a. in Zusammenhang mit den negativen Effekten der Streitigkeiten rund um die Wahl 2021 sowie jenen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten. Zudem leidet AMISOM an den Spannungen zwischen der somalischen Bundesregierung und Kenia sowie am Konflikt in Äthiopien. Befürchtet wird z.B., dass Kenia Truppenteile aus AMISOM abzieht (ISS 15.12.2020). Gegenwärtig ist ein Abzug für 2023 vorgesehen (HIPS 4.2021, Sitzung 13). Jedenfalls hat ein Bericht der Afrikanischen Union dargelegt, dass die aktuelle Konfiguration von AMISOM der aktuellen Bedrohung durch al Shabaab nicht gerecht wird (IP 27.7.2021). Der Peace and Security Council der Afrikanischen Union (AU) hat dementsprechend am 7.10.2021 beschlossen, dass AMISOM durch eine multi-dimensionale bzw. hybride Mission von AU und UN ersetzt werden soll (AU 7.10.2021; vergleiche VOA 11.10.2021). Diese neue Mission soll nicht nur auf Sicherheit und Stabilisierung abzielen, sondern auch eine starke zivile (politische) Komponente umfassen (AU 7.10.2021) und tunlichst schon 2022 umgesetzt werden. Ob die UN dem zustimmt, bleibt abzuwarten (VOA 11.10.2021).

AMISOM wird maßgeblich von der EU finanziert (ÖB 3.2020, Sitzung 7). Mehr als 2,1 Mrd. Euro wurden bisher von der Europäischen Kommission fürAMISOM ausgegeben. Die EU beteiligt sich am Sold von Soldaten, finanziert das Gehalt von AMISOM-Polizisten und zivilen Angestellten sowie die Infrastruktur (EU o.D.). UNSOS unterstützt AMISOM logistisch, z.B. mit mehr als tausend Flugstunden pro Monat, um AMISOM-Stützpunkte zu versorgen (UNSC 13.5.2020, Absatz 78 f,). Die Ausbildung fürAMISOM erfolgt laufend auch im Rahmen der Einsatzvorbereitung in den Herkunftsländern und in Somalia, maßgeblich durch Großbritannien, die USA, Frankreich und die EU. In manchen Gebieten kooperiert AMISOM eng mit lokalen Milizen oder anderen Kräften (BMLV 2.3.2021).

Im Land befindet sich auch eine mehrere hundert Mann starke AMISOM-Polizeikomponente unterschiedlicher afrikanischer Teilnehmerstaaten (Uganda, Nigeria, Ghana, Sierra Leone, Kenia und Sambia). Zumindest drei sogenannte Formed Police Units wurden aus Nigeria, Uganda und Sierra Leone entsendet (AMISOM 2021b). Mit der Reduktion des militärischen Teils von AMISOM wurde die Polizeikomponente verstärkt (ISS 28.2.2019).

Neben den fünf Armeen der AMISOM-Truppenstellerstaaten sind in Somalia noch Militärberater aus zahlreichen anderen Staaten aktiv (BBC 18.1.2021). Zur Zahl der bilateral auf somalischem Territorium operierenden äthiopischen Truppen gibt es unterschiedlichste Angaben. Denn Äthiopien hat auch diese Truppenteile mit dem grünen Barett von AMISOM ausgestattet (BMLV). Eine Quelle berichtet von bis zu 15.000 bilateral eingesetzten äthiopischen Truppen (PGN 2.2021, Sitzung 5). Eine andere Quelle berichtet von vermutlich drei (teils verstärkten) Bataillonen und insgesamt geschätzten 2.200-2.800 Mann in Gedo, Hiiraan und Galmudug (BMLV 2.3.2021). Generell hat Äthiopien kein Problem damit, bilateral eingesetzte Truppen zu verschieben oder abzuziehen (BFA 8.2017, Sitzung 17f). Dies ist aufgrund des inneren Konflikts in Äthiopien Ende 2020 dann auch geschehen, das Land hat bis zu 3.000 bilateral in Somalia eingesetzte Truppen abgezogen (ISS 15.12.2020; vergleiche PGN 2.2021, Sitzung 5). Bereits abgezogene äthiopische Truppen wurden zumindest an der Grenze durch Liyu Police aus dem äthiopischen Somali Regional State ersetzt (BMLV 2.3.2021).

Nach der Räumung der Stützpunkte in Buusaar und Faafax Dhuun (Süd-Gedo) Anfang 2020 befinden sich vermutlich keine bilateralen Truppen Kenias mehr in Somalia (BMLV 2.3.2021).

Die USA führen in Somalia eigene Angriffe durch, um führende Mitglieder der al Shabaab gefangenzunehmen oder zu töten (BS 2020, Sitzung 40). Zudem haben die USA die Eliteeinheit Danaab ausgebildet und unterstützen diese bei Einsätzen (BBC 18.1.2021; vergleiche HIPS 2021, Sitzung 28). Damit wurden Anti-Terrorismus-Kapazitäten geschaffen. Außerdem haben die USA auch Teile regionaler Kräfte ausgebildet (BS 2020, S.40; vergleiche ISS 15.12.2020). Schließlich unterstützen die USA auch maßgeblich AMISOM (ISS 15.12.2020) und haben insgesamt entscheidend zur Beschneidung der Kapazitäten von al Shabaab beigetragen (HIPS 2021, Sitzung 28). Mitte Jänner 2021 gaben die USA bekannt, dass der Abzug der Bodentruppen aus Somalia abgeschlossen ist; Luftschläge werden aber weiterhin geflogen (PGN 2.2021, Sitzung 12f; vergleiche IP 3.2.2021).

Quellen:

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer-innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             AMISOM (2021a): AMISOM Military Component, https://amisom-au.org/mission-profile/mi litary-component/, Zugriff 8.2.2021

•             AMISOM (2021b): AMISOM Police, https://amisom-au.org/mission-profile/amisom-police/ , Zugriff 8.2.2021

•             AU - Afrikanische Union (7.10.2021): Communique of the 1037th meeting of the PSC held on 7 October 2021 on the Situation in Somalia and the status of the consultations on the Independent Assessment Report on AU Mission in Somalia (AMISOM) Post-2021, https://www.peaceau.org/uploads/eng-psc-communique-1037th-meeting-on-somalia-ami som.pdf, Zugriff 11.10.2021

•             BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc. com/news/world-africa-55677077 , Zugriff 3.2.2021

•             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich]

(8.2017) : Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1 502195321_ffm-report-somalia-sicherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf, Zugriff

3.12.2020

•             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (2.3.2021): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation

•             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             EU - Europäische Union /TheAfrica-EU Partnership (o.D.): Projects -African Union Mission in Somalia (AMISOM), https://africa-eu-partnership.org/en/projects/african-union-mission- somalia-amisom , Zugriff 8.2.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (4.2021): Structural Impediments To Revi- ving Somalia’s Security Forces, https://heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2021/04 /Structural-Impediments-to-Security-English-version-April-17-Final-.pdf, Zugriff 26.7.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Fi nal-2.pdf, Zugriff 12.2.2021

•             IP - Indigo Publications (27.7.2021): Africa Intelligence - AMISOM’s future looks bleak, mit Zugangsberechtigung verfügbar auf: https://www.africaintelligence.com/archives , Zugriff

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•             IP - Indigo Publications (4.2.2021): Africa Intelligence - Kampala Executive Aviation run- ning flights for UPDF in Mogadishu, mit Zugangsberechtigung verfügbar auf: https://www. africaintelligence.com/archives , Zugriff 12.2.2021

•             IP - Indigo Publications (3.2.2021): Africa Intelligence - GI’s are out of Somalia, but US Air Force keeps the Horn under surveillance, mit Zugangsberechtigung verfügbar auf: https://www.africaintelligence.com/archives , Zugriff 12.2.2021

•             ISS - Institute for Security Studies (15.12.2020): Regional conflicts add to Somalia’s security concerns, https://issafrica.org/iss-today/regional-conflicts-add-to-somalias-security-co ncerns , Zugriff 3.2.2021

•             ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): römisch eins s this the right time to downsize AMISOM?, https://issafrica.org/iss-today/is-this-the-right-ti me-to-downsize-amisom , Zugriff 8.2.2021

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             PGN - Political Geography Now (2.2021): Somalia Control Map & Timeline - February 2021, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/20 21/02/somalia-control-map-2021.html

•             UNSC - UN Security Council (12.3.2021): Security Council Reauthorizes African Union Mission in Somalia, Unanimously Adopting Resolution 2568 (2021), https://www.un.org/p ress/en/2021/sc14467.doc.htm , Zugriff 15.3.2021

•             UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf, Zugriff 2.3.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             UNSC - UN Security Council (29.5.2020): Resolution 2520 (2020), http://unscr.com/en/r esolutions/doc/2520 , Zugriff 8.2.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf, Zugriff 13.10.2020

•             UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1456824/1226_1548256199_n1846028.pdf, Zugriff

8.2.2021

•             VOA - Voice of America / Maruf, Harun (11.10.2021): AU Endorses Joint Mission with UN for Somalia, https://www.voanews.com/a/au-endorses-joint-mission-with-un-for-somalia/ 6266127.html , Zugriff 12.10.2021

Somalische Kräfte

Letzte Änderung: 21.10.2021

Der Sicherheitssektor ist sehr relevant, 80 % der öffentlichen Stellen befinden sich in diesem Bereich, zwei Drittel der Staatsausgaben (AA18.4.2021, Sitzung 8) - nach anderenAngaben jedenfalls mehr als die Hälfte (HIPS 4.2021, Sitzung 20) fließen dorthin. Der Sektor ist nach wie vor eine Mischung aus formellen und informellen Institutionen und Akteuren, welche von innerstaatlichen und externen Kräften finanziert werden. De facto gibt es auch kaum einen Unterschied zwischen polizeilichen und militärischen Kräften, Ausrüstung und Auftrag sind oftmals identisch (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 5). Die Gesamtzahl der Sicherheitskräfte wird mit ca. 40.000 angegeben (HIPS, Sitzung 28).

Milliarden an US-Dollar sind in den vergangenen Jahren in die Ausbildung und Ausrüstung von tausenden Soldaten, Polizisten und Geheimdienstmitarbeitern investiert worden. Trotzdem sind die Sicherheitskräfte Somalias auch nach 15 Jahren immer noch schwach, stark zersplittert und sie werden zunehmend für politische Zwecke eingesetzt. Sowohl die Bundesregierung als auch die Regierungen der Bundesstaaten stellen ihr eigenes Überleben („regime security") über die nationale Sicherheit - und auch über die Rechtsstaatlichkeit. Anstatt al Shabaab zu bekämpfen und die Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen, werden unterschiedliche Sicherheitskräfte dazu missbraucht, die Interessen der Regierenden Elite durchzusetzen. Dies vertieft das Misstrauen vieler Somalis und auch internationaler Partner in die Sicherheitskräfte (HIPS 4.2021, Sitzung 4/8). Die Zusammenarbeit zwischen Armee und AMISOM hängt in großem Maße von der Sympathie zwischen einzelnen Führungskräften ab (Sahan 14.7.2021). Zusätzlich ist die militärische Organisation Somalias stark zersplittert, es gibt kein zentrales Kommando (HIPS 3.2021, Sitzung 16), keine gemeinsame Doktrin, und es mangelt an Ressourcen (IP 27.7.2021). Die Bundesstaaten haben ihre eigenen Sicherheitsapparate, und auch einzelne Politiker, Unternehmen und Hilfsorganisationen haben eigenes Sicherheitspersonal. Die mangelnde Koordination von Aktivitäten und Operationen des Sicherheitsapparats trägt dazu bei, dass der Kampf gegen Al Shabaab wirkungslos wird (HIPS 3.2021, Sitzung 16).

Somalische Sicherheitskräfte sind auch weiterhin nicht in der Lage, ohne internationale Unterstützung für die Sicherheit im Land zu garantieren (IP 27.7.2021; vergleiche TDP 12.2.2020). Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen (BS 2020, Sitzung 6; vergleiche HI 10.2020, Sitzung 1), sie ist nach wie vor auf den Schutz durch AMISOM angewiesen (BS 2020, Sitzung 6; vergleiche BBC 18.1.2021). Der Mangel an politischer Versöhnung behindert die Formierung professioneller Sicherheitskräfte (HIPS 4.2021, Sitzung 9). Die Loyalität der Sicherheitskräfte liegt eher bei den Clans bzw. der patrilinearen Abstammungsgruppe als beim Staat (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29). Es mangelt an Ausrüstung, Mannschaften und Ausbildung (FP 22.9.2021). Zudem sind sie von al Shabaab unterwandert (GO 25.3.2021; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 12; BMLV 25.2.2021). Eine ausschließlich auf Initiative von und durch die SNA durchgeführte Offensive in Middle Shabelle im Mai und Juni 2021 hat bewiesen, dass die Armee zu derartigen Einsätzen kaum in der Lage ist. Die Operation endete unter großen Verlusten im Fiasko (Sahan 14.7.2021).

Zivile Kontrolle: Es mangelt an effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1) bzw. entziehen sich Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte oftmals der zivilen Kontrolle. Dies gilt insbesondere für die National Intelligence and Security Agency (NISA). Gleichzeitig bekennt sich die Regierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen (AA 18.4.2021, Sitzung 8f/20). Die justizielle Verantwortlichkeit einzelner Mitglieder der Sicherheitsorgane ist zumeist schwach bis inexistent (AA 18.4.2021, Sitzung 8). Denn auch wenn manchen Angehörigen der Sicherheitskräfte vor Militärgerichten der Prozess gemacht wird, bleibt Straflosigkeit die Norm (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2). Da die Sicherheitskräfte gegenüber der Zivilbevölkerung oft auch als Gewalt- und nicht als Sicherheitsakteure auftreten, genießen sie einen schlechten Ruf (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29).

Polizei: Die nationale Polizei untersteht dem Ministerium für Innere Sicherheit (USDOS 30.3.2021,S. 1).

Die genaue Größe der somalischen Polizei ist unbekannt. AMISOM hat alleine im Zeitraum 20092015 an die 5.000 Polizisten ausgebildet. Laut offiziellen Angaben stehen 11.000 Polizisten auf der Gehaltsliste des dafür zuständigen Ministeriums für innere Sicherheit. Die große Mehrheit dieser Polizisten versieht ihren Dienst in Mogadischu und Umgebung. Jeder Bundesstaat hat seine eigenen Polizeikräfte (HIPS 4.2021, Sitzung 7). Weitere verfügbare Zahlen hierzu [inkl. Polizei einzelner Bundesstaaten]:

•             Benadir/Mogadischu: Zum Stand 8.000-9.000 Mann vom September 2019 gibt es keine neuen Informationen (BMLV 2.3.2021).

•             Galmudug: mindestens 700; diese wurden laut UN in Menschenrechten und Polizeiarbeit unterrichtet (UNSC 17.2.2021, Absatz 69,).

•             HirShabelle: rund 600 Mann (UNSC 13.2.2020, Absatz 71 ;, vergleiche UNSC 13.5.2020, Absatz 68,).

•             Jubaland: Zum Stand vom August 2017 - 500-600 Mann - gibt es keine neuen Erkenntnisse (BMLV 2.3.2021).

•             South West State: Stand August 2017 gab es 600-700 Polizisten (BFA 8.2017, Sitzung 12). Ende 2019 traten 400 neue Polizisten ihren Dienst an - u.a. in neu eroberten Gebieten von Lower Shabelle (UNSC 13.2.2020, Absatz 71,).

Im Bereich der Polizeiausbildung bestehen Trainingsschulen von AMISOM und UNSOM, bilaterale Initiativen (v.a. zur Ausbildung von Polizeikräften in Mogadischu), Unterstützung durch UNDP und UNODC sowie IOM (ÖB 3.2020, Sitzung 8). Auch die USA unterstützen die Ausbildung - maßgeblich mit dem Einsatz von Privatfirmen; so unterstützt die Firma Engility die somalische Kriminalpolizei (IP 13.3.2020). AMISOM betreut über 3.200 somalische Polizisten an 31 Polizeistationen (AMISOM 7.8.2019, Sitzung 4). AMISOM hat bereits mehr als 4.000 somalische Polizisten in unterschiedlichen Bereichen ausgebildet (AMISOM 2021b). So bildet AMISOM etwa in Bai- doa Polizisten aus und unterstützt diese auch beim Einsatz (RD 22.2.2021). Generell tragen auch die UN auf regionaler und nationaler Ebene zur Aus- bzw. Weiterbildung von Polizisten bei (UNSC 13.11.2020, Absatz 64 f, f,). So lassen etwa UNSOM und UNFPA einigen somalischen Polizisten hinsichtlich des Umgangs mit Fällen sexueller Gewalt eine angemessene Ausbildung zukommen (UNSC 13.11.2020, Absatz 49,); auch AMISOM ist in diesem Bereich tätig (AMISOM 11.6.2021; vergleiche AMISOM 28.5.2021). Die Polizei in Kismayo wurde ebenfalls von AMISOM und UN ausgebildet (BMLV 25.2.2021).

Die Türkei hat eine Spezialeinheit der Polizei ausgebildet und ausgerüstet. Ihr Name ist Haram- cad (Gepard). Diese Einheit wird allgemein als fähig erachtet, wird allerdings von der Regierung v.a. eingesetzt, um interne Gegner auf Linie zu bringen (HIPS 2021, Sitzung 28). Im März 2021 lieferte die Türkei gepanzerte Fahrzeuge für die Haramcad (SG 22.3.2021).

Die Bezahlung erfolgt meist nur unregelmäßig, dies fördert die Korruption (AA 18.4.2021, Sitzung 8; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 20). Im Fall einer kriminalitätsbedingten Notlage fehlen weitgehend funktionierende staatliche Stellen, die Hilfe leisten könnten. Die Polizei verfügt zwar über einige Kapazitäten, hat aber auch Probleme, sich an den Menschenrechten zu orientieren. Dass die Bevölkerung die Polizei nicht unbedingt als eine Kraft erachtet, welche sie schützt, scheint sich in manchen größeren Städten langsam zu ändern. Dort wurden Polizeikräfte lokal - und die lokale Clandynamik berücksichtigend - rekrutiert. Das hat zu Verbesserungen geführt. Dies betrifft etwa Kismayo, Jowhar oder Belet Weyne (BMLV 2.3.2021).

Armee: Das Verteidigungsministerium ist für die Kontrolle der Armee verantwortlich (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1). Der Bundesarmee kam und kommt beachtliche internationale Unterstützung zugute (BS 2020, Sitzung 6). Es wurde versucht, diverse Milizen zu einer Armee unter Führung der Bundesregierung zu fusionieren (Reuters 19.2.2021). Allerdings ist es nicht gelungen, eine vereinte Bundesarmee zu schaffen. Vor zehn Jahren hieß es noch, dass, wenn AMISOM abzieht, al Shabaab binnen einer Stunde Mogadischu einnehmen wird; nun heißt es, al Shabaab würde dafür zwölf Stunden brauchen (BBC 18.1.2021). Denn die Loyalität von Truppen zu einzelnen Kommandanten und Clans bleibt stark (Reuters 19.2.2021; vergleiche ICG 27.6.2019, Sitzung 4). Soldaten werden durch Nepotismus aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit befördert und/oder um ihre Loyalität zu erlangen. Dies zerstört die Moral der Sicherheitskräfte und lenkt ihrer Loyalität in Richtung der Clans (HIPS 4.2021, Sitzung 4/28). Der chronische Nepotismus in der Bundesarmee wirkt sich hinsichtlich der Moral der Soldaten verheerend aus (HIPS 4.2021, Sitzung 14).

Dementsprechend können sowohl Regierung als auch Opposition jederzeit Truppen ins Feld stellen. Laut einer Quelle zeigt die Armee sogar Auflösungserscheinungen (Reuters 19.2.2021). Gerade im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen Präsident Farmaajo und der Opposition im Frühjahr 2021 haben sich diese Auflösungstendenzen verstärkt. Die Sicherheitskräfte und die Armee hatten sich entlang von Clanlinien fragmentiert (TNH 20.5.2021; vergleiche Sahan 15.4.2021a; Sahan 4.5.2021). Einige Einheiten sind zur von Hawiye dominierten Opposition übergelaufen (TNH 20.5.2021). Selbst einige Soldaten der Eliteeinheiten Gorgor und Haramcad hatten ihre Einheiten verlassen und sich in die Hochburgen ihrer eigenen Clans zurückgezogen (Sahan 14.4.2021; vergleiche ICG 16.4.2021).

Zudem nehmen einige Kommandanten Bestechungsgelder und kooperieren mit al Shabaab - mit ein Grund für die mangelnden Fortschritte im Kampf gegen die Gruppe (Sahan 3.3.2021). Obwohl es eigene Militärgerichte gibt, bleiben Vergehen durch Armeeangehörige häufig ungeahndet (AA 18.4.2021, Sitzung 14).

Besoldung: Soldaten verdienen etwa 100 US-Dollar im Monat (FIS 7.8.2020, Sitzung 22). Es kommt vor, dass Soldaten nur sehr unregelmäßig bezahlt werden, dies fördert die Korruption. Diese, sowie Misswirtschaft und finanzielle Einschränkungen beeinträchtigen die Wirksamkeit der Armee (AA 18.4.2021, Sitzung 8). Die Einführung der biometrischen Registrierung aller Soldaten der Bundesarmee hat die davor bestehende Korruption eingeschränkt aber nicht eliminiert (HIPS 4.2021, Sitzung 15). Generell erfolgt nunmehr die (elektronische) Bezahlung der Soldaten viel regelmäßiger, doch selbst hier kommt es mitunter zu Verzögerungen (HIPS 2020, Sitzung 12; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 20, BMLV 2.3.2021). Die Spezialeinheit Danab wird und wurde von den USA finanziert und regelmäßig bezahlt (BMLV 2.3.2021).

Unterfinanzierung ist ein akutes Problem - vor allem hinsichtlich der Fähigkeit, neue Truppen zu rekrutieren, auszubilden und auszurüsten (HIPS 4.2021, Sitzung 20). Folglich mangelt es der Armee an Ausbildung und Ausrüstung, Korruption ist verbreitet (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 22). Im vergangenen Jahrzehnt hat die Armee von zahlreichen Akteuren Unterstützung bei Ausrüstung, Ausbildung und Logistik erhalten, namentlich von Burundi, Dschibuti, Äthiopien, Italien, Kenia, dem Sudan, der Türkei, den VAE, Uganda, Großbritannien, den USA, der AU, der EU und den UN (Williams 2019, Sitzung 2ff). Selbst in Eritrea wurden Soldaten ausgebildet (BMLV 25.2.2021). Die Türkei hat dabei am meisten Soldaten ausgebildet - und auch ausgerüstet. Die vielen externen Akteure, welche sich am Aufbau somalischer Sicherheitskräfte beteiligen, arbeiten notorisch unkoordiniert, und einige Akteure - etwa Kenia und Äthiopien - verfolgen dabei nationale Interessen (HIPS 4.2021, Sitzung 24ff). Insgesamt wurden zigtausende Soldaten ausgebildet (Williams 2019, Sitzung 2ff). Außerdem hat Somalia alleine in den Jahren 2013-2015 17.500 Waffen von außen erhalten. Trotzdem stellte sich im Jahr 2017 heraus, dass nur 70 % der Soldaten überhaupt eine Waffe besitzen (Williams 2019, Sitzung 22).

Die EU und die USA unterstützen weiterhin somalische Sicherheitskräfte, u.a. auch mit Ausbildung (BS 2020, Sitzung 40). Aus den USA sind einige Sicherheitsfirmen (z.B. Sincerus Global Solutions, Halcyon Group International, Barbaricum, People Technologies & Processes, Bancroft Global Development Group) in Somalia engagiert. Sie werden als Berater oder in der Ausbildung eingesetzt (IP 14.9.2020; vergleiche IP 20.8.2020). Die Türkei unterstützt die Bundesarmee materiell und bildet in einem eigens erbauten Stützpunkt (TURKSOM) auch Soldaten aus (IP 13.12.2019; vergleiche HIPS 2021, Sitzung 28). Die UN-Agentur UNSOS unterstützt nunmehr 13.900 Angehörige der Sicherheitskräfte logistisch (UNSC 10.8.2021, Absatz 80,). Katar hat der somalischen Armee Anfang 2019 68 gepanzerte Fahrzeuge geschenkt. Die Türkei schenkte der Armee im August 12 gepanzerte Fahrzeuge und 12 Geländewagen; die USA haben angekündigt, 96 Geländewagen zu schenken (IP 10.9.2020). Die Ausbildung im Menschenrechtsbereich wird international zunehmend unterstützt; es muss aber weiterhin davon ausgegangen werden, dass der Mehrzahl der regulären Kräfte die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen ihres Handelns nur äußerst begrenzt bekannt sind. Dies gilt insbesondere für regierungsnahe Milizen (AA 18.4.2021, Sitzung 8).

Armee/Stärke: Die Zahl aktiver Kräfte in der Bundesarmee, ihre Größe, Kommandostrukturen und die interne Organisation bleiben undurchsichtig (BS 2020, Sitzung 6). Selbst die Regierung nennt unterschiedliche Zahlen: 24.000 oder 28.000 (HIPS 4.2021, Sitzung 7). Die genaue Stärke ist allerdings unbekannt bzw. unklar (BMLV 2.3.2021; vergleiche HIPS 4.2021, Sitzung 7). Mit internationaler Hilfe wurden Anfang 2020 zwei neue Bataillone aufgestellt; zwei weitere wurden mit bestehenden Truppen neu geformt (UNSC 13.5.2020, Absatz 66,). Insgesamt sind in den vergangenen 15 Jahren von externen Akteuren Schätzungen zufolge mehr als 100.000 Soldaten ausgebildet worden (HIPS 4.2021, Sitzung 7).

Spezialeinheiten:Danab - von den USA ausgebildet, ausgerüstet und betreut - ist die einzige Einheit, bei welcher bei der Rekrutierung nicht der Clan, sondern militärische Erfahrung und können eine Rolle spielen (Williams 2019, Sitzung 2/9). Es handelt sich hierbei um die schlagkräf- tiste Einheit in Somalia. Diese Truppe umfasst etwa 1.000 Mann und zeichnet für 80 % aller von der Bundesarmee geführten offensiven Maßnahmen verantwortlich. Gleichzeitig haben die USA bislang verhindert, dass Danab für politische Zwecke missbraucht wird (HIPS 4.2021, Sitzung 26f). Der Einsatz und die Operationen von Danab werden aber nicht unter dem Kommando der somalischen Nationalarmee, sondern auf Befehl des US African Command (AFRICOM) durchgeführt (HIPS 3.2021, Sitzung 16). Eine weitere Spezialeinheit ist die von der Türkei ausgebildete und ausgerüstete Gorgor (Adler) (HIPS 2021, Sitzung 28; vergleiche AN 22.2.2021). Diese Einheit ist in Mogadischu, Dhusamareb und Belet Xaawo stationiert und steht unter direktem Befehl des Präsidenten. Die ca. 4.500-5.000 Mann umfassende Einheit steht einer Quelle zufolge zum Teil auch unter Führung türkischer Offiziere (AN 22.2.2021). Nach Angaben einer anderen Quelle hat die türkische Armee erst 2.500 Mann fertig ausgebildet, strebt aber die Ausbildung von insgesamt 10.000 Mann an (JF 20.11.2020). Eine dritte Quelle berichtet von insgesamt sechs ausgebildeten Gorgor-Bataillonen, die sich v.a. in Mogadischu und in Lower Shabelle im Einsatz befinden (BMLV 25.2.2021).

Regionale Kräfte: Unklar ist, inwiefern diese Kräfte in die zur Bundesregierung gerechneten Kräfte eingegliedert sind bzw. dorthin zugeordnet werden. Beim Operational Readiness Assessmentwurden in Jubaland, Galmudug, SWS und Puntland sogar fast 20.000 Personen registriert, welche zu „Regionalkräften“ (auch Darawish) gezählt werden (UNSC 15.5.2019, Absatz 45,). Dara- wish werden nunmehr auch national ausgebildet. So haben im Feber 2020 die ersten 300 von 1.750 Darawish ihre - u.a. von AMISOM und EUTM gestaltete - Ausbildung in Mogadischu abgeschlossen. Diese Kräfte sollen in neu gewonnenen Gebieten in Lower Shabelle stationiert werden (AMISOM 14.2.2020).

NISA (National Intelligence and Security Agency): Die NISA ist vergleichbar mit einem Inlandsgeheimdienst. Sie hat die Aufgabe als Sicherheitspolizei vornehmlich gegen al Shabaab vorzugehen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29), bzw. ist sie auch für den Staatsschutz zuständig. Die exekutiven Einheiten der NISA sind zwar 2018 formal in die Polizei integriert worden. Trotzdem bleibt die NISA mit exekutiven Vollmachten ausgestattet und übt weiterhin eine aktive Rolle in der Terrorismusbekämpfung aus, die über eine rein nachrichtendienstliche Tätigkeit hinausgeht. So führt die NISA etwa Razzien durch und nimmt Menschen fest (AA 18.4.2021, Sitzung 8). Dabei ist der Rechtsstatus der NISA strittig. Nach Angaben eines ehemaligen NISA-Direktors sehen somalische Präsidenten den Dienst als ihren verlängerten Arm gegen Opponenten (HIPS 4.2021, Sitzung 8). Unter der Führung eines der engsten Vertrauten von Präsident Farmaajo entwickelt sich die NISA zunehmend zu einem Instrument der politischen Einflussnahme. Die Organisation der Ausbildung eines - eigentlich militärischen - Kontingents in Eritrea und der Einsatz der fertig ausgebildeten Kräfte in Gedo unterstreichen diese Entwicklung. Die Stärke der NISA wird mit ca. 1.500 Mann angegeben, weitere ca. 600 Mann stehen - wie erwähnt - in Gedo. Die Finanzierung der NISA erfolgt weitgehend durch Katar (BMLV 2.3.2021). Nach neueren Angaben verfügt die NISA sogar über ca. 4.500 Mann (HIPS 4.2021, Sitzung 8). Die Führung der NISA soll von al Shabaab infiltriert worden sein (BS 2020, Sitzung 7). So steht etwa der Kommandant der NISA im Naheverhältnis zur al Shabaab. Überhaupt rekrutiert die NISA stark bei ehemaligen Kämpfern der al Shabaab - etwa in Rehabilitationszentren (GO 25.3.2021). Die NISA verfügt über eigene Spezialeinheiten: die in Eritrea (Sahan 5.5.2021) - nach anderen Angaben in der Türkei (ICG 14.9.2021) ausgebildeten Dufaan (Sturm), die in Zivil gezielt gegen Anhänger der Opposition vorgehenden Ruuxaan (Geister) (Sahan 5.5.2021), und die von den USA ausgebildeten Waran und Gashan. Während sich in der politischen Auseinandersetzung 2021 die Letztgenannten loyal zu Premierminister Roble verhalten, unterstützt Dufaan Präsident Farmaajo (ICG 14.9.2021).

Puntland: Insgesamt beläuft sich die Stärke der Streit- und Sicherheitskräfte Puntlands (Dara- wish, Polizei, Puntland Maritim Police Force / PMPF und andere) auf rund 10.000-12.000 Mann (BMLV 2.3.2021). Die PMPF wird weiterhin von den Vereinten Arabischen Emiraten unterstützt (HIPS 4.2021, Sitzung 25). Die Spezialeinheit Puntland Security Force (PSF) dient als Anti-Terrorismuseinheit und besteht aus rund 600 Soldaten. Die PSF wird von den USA ausgebildet und unterstützt. Die Einheit unterliegt nur eingeschränkter ziviler Kontrolle und unterhält in Bossaso eigene Haftanstalten (UNSC 1.11.2019, Sitzung 38f/138f). Ausstehende Soldzahlungen sind nach wie vor ein wiederkehrendes Problem, das zwar punktuell zu Störungen des öffentlichen Lebens durch Straßenblockaden führen kann; diese Störungen dauern gewöhnlich aber nicht mehr als einige Stunden an (BMLV 2.3.2021). Insgesamt hat die puntländische Regierung ein gewisses Problem, an allen Orten wirklich Sicherheit zu gewähren (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 30).

Quellen:

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Folter und unmenschliche Behandlung Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 08.07.2021

Staatlichen Akteuren werden gravierende Menschenrechtsverletzungen wie Tötungen, militärische Angriffe auf Zivilisten und zivile Einrichtungen, willkürliche Verhaftungen, außergerichtliche Hinrichtungen, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Vergewaltigungen, Entführung, Folter, schwere Misshandlung von Kindern, Raub, Bestechung, Korruption und willkürlicher Waffengebrauch vorgeworfen oder diese wurden dokumentiert (AA 18.4.2021, S.8f). Vorwürfe aufgrund systematischer Verfolgung werden jedoch nicht erhoben. Es kann im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, dass Sicherheitskräfte den entsprechenden völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommen und bei Verstößen straffrei gehen (AA 18.4.2021, Sitzung 20).

Tötungen: Sicherheitskräfte der Regierung, alliierte Milizen und andere Personen, die Uniformen tragen verüben willkürliche und ungesetzliche Tötungen. Bei bewaffneten Zusammenstößen werden Zivilisten getötet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2; vergleiche BS 2020, Sitzung 18). Sporadisch kommt es auch bei friedlichen Demonstrationen zum Einsatz tödlicher Gewalt (HRW 14.1.2020).

Folter: Auch, wenn Folter und unmenschliche Behandlung gesetzlich verboten sind, kommt es zu derartigen Vorfällen. Regierungskräfte und alliierte Milizen setzen exzessiv Gewalt ein - darunter auch Folter. NISA misshandelt Personen bei Verhören (USDOS 30.3.2021, Sitzung 5/14), es kommt dabei zu Folter (BS 2020, Sitzung 18; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 30). Verhaftete sind also dem Risiko ausgesetzt, gefoltert (FH 3.3.2021a, F3; vergleiche LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25) bzw. unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten und misshandelt zu werden (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Vorwürfe gibt es mitunter auch gegen Angehörige der Spezialeinheit Haramcad. Solche haben z.B. am 19.2. einen Journalisten verhaftet und dann gefoltert (WQ 21.2.2021). Außerdem wenden auch Clanmilizen - auch mit der Regierung affiliierte - Folter und unmenschliche Behandlung an. Aufgrund des Clanschutzes für Täter herrscht diesbezüglich eine Kultur der Straflosigkeit (USDOS 30.3.2021, Sitzung 5).

In Puntland gibt es einige Vorwürfe gegen die Puntland Security Force (PSF), wonach diese gegen Terrorismusverdächtige in Haft Folter anwendet (UNSC 1.11.2019, Sitzung 39/138f). Nach anderen Angaben sind diese Vorwürfe gegen die Puntland Intelligence Agency gerichtet (BS 2020, Sitzung 18).

Verhaftungen: Im Zeitraum Feber-Mai 2021 wurden 49 Personen willkürlich verhaftet (UNSC 19.5.2021, Absatz 47,). NISA verhaftet Menschen und hält diese über längere Zeit ohne Anklage fest (USDOS 30.3.2021, Sitzung 5). Der Geheimdienst unterliegt keinerlei Aufsichts- und Kontroll- mechanismen, und es ist davon auszugehen, dass bestehendes Recht bei Festnahme, Inge- wahrsamnahme und Vorgerichtstellung nur selten eingehalten wird (AA 18.4.2021, Sitzung 9).

Rechenschaft: Die Armee hat mehrere Angehörige von Sicherheitskräften verhaftet, die o.g. Verbrechen beschuldigt werden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 14). Ein Polizist wurde im Feber 2020 in Baidoa aufgrund einer Vergewaltigung zum Tode verurteilt und hingerichtet (UNSC 13.5.2020, Absatz 58,). Ein anderer Polizist wurde in Mogadischu zum Tode verurteilt, weil er im Zuge der Überwachung von Covid-19-Maßnahmen zwei Menschen erschossen hat (AI 7.4.2021). Ein Soldat der Bundesarmee wurde in Belet Xaawo im März 2021 aufgrund einer Vergewaltigung hingerichtet (UNSC 19.5.2021, Absatz 55,). Generell bleibt Straffreiheit aber die Norm (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2/30; vergleiche FH 3.3.2021a, F3). Dies gilt auch für willkürliches Vorgehen der Polizeikräfte, dieses bleibt in der Regel ungeahndet (AA 18.4.2021, Sitzung 9), und es gibt oft keine legale Möglichkeit juristisch dagegen vorzugehen (AA 18.4.2021, Sitzung 13).

Al Shabaab: Die Gruppe verhängt und vollstreckt in den Gebieten unter ihrer Kontrolle weiterhin harte Strafen; mitunter wird auch Folter angewendet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 5; vergleiche BS 2020, Sitzung 17). Dort ist auch von unmenschlicher Behandlung auszugehen, wenn Personen gegen die Interessen von al Shabaab handeln oder dessen verdächtigt werden (AA 18.4.2021, Sitzung 20).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer-innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21 - Somalia, https://www.ecoi.net/en/document/2048608.html , Zugriff 13.4.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 - Somalia, https://freedo mhouse.org/country/somalia/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2015777/190827400.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             UNSC - UN Security Council (19.5.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2021/485], https://www.ecoi.net/en/file/local/2052226/S_2021_485_E.pdf, Zugriff 21.6.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf, Zugriff 13.10.2020

•             UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council

Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https: //www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf, Zugriff 22.1.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

•             WQ - Warqaad (21.2.2021): FESOJ Condemns Brutal Assault of Journalist by Security Forces in Mogadishu, https://www.warqaad.info/fesoj-condemns-brutal-assault-of-journali st-by-security-forces-in-mogadishu/, Zugriff 22.2.2021

Korruption

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 21.10.2021

Korruption ist endemisch (USDOS 30.3.2021, Sitzung 27; vergleiche BS 2020, Sitzung 17/36f; FH 3.3.2021a, C2). Korruption und Clanpatronage ziehen sich durch alle Ebenen der Verwaltung (BS 2020, Sitzung 5). Zudem durchdringt Korruption alle Teile der Gesellschaft (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 34). Für Politiker stehen persönliche und Claninteressen im Vordergrund (BS 2020, Sitzung 36). Kleptokra- tie, Korruption und Entscheidungsfindung nach Claninteressen verhindern, dass auch nur die wesentlichsten Regierungsinstitutionen unabhängig funktionieren. Richter werden regelmäßig korrupter Praktiken beschuldigt, und auch bei den Sicherheitskräften ist Korruption weit verbreitet (BS 2020, Sitzung 15ff). Es fehlt weitgehend an öffentlicher Kontrolle der Regierungsinstitutionen und an Transparenz bei der Einnahmenerhebung und den Haushaltsausgaben (HIPS 3.2021, Sitzung 18). Somalia findet sich am Index von Transparency International 2020 zum wiederholten Male auf dem letzten Platz von 180 untersuchten Ländern (TI 2021, Sitzung 3).

Al Shabaab hebt in den von ihr kontrollierten Gebieten nicht vorhersagbare und hohe Zakat- und Sadaqa-Steuern ein (USDOS 30.3.2021, Sitzung 28).

Maßnahmen: Es gibt keine funktionierende Antikorruptionskommission (HIPS 3.2021, Sitzung 20). Es gibt zwar ein Gesetz gegen Korruption in der Verwaltung, dieses wird aber nicht effektiv angewendet. Antikorruptionsbehörden sind nicht effektiv. Für öffentlich Bedienstete ist Straflosigkeit bei Korruption die Norm (USDOS 30.3.2021, Sitzung 27; vergleiche BS 2020, Sitzung 17f/37; FH 3.3.2021a, C2). Allerdings wurden 2020 mehrere hochrangige Angestellte des Gesundheitsministeriums für Diebstahl und Fehlverwendung von Geldern zu Haftstrafen verurteilt (GN 15.2.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 28; HIPS 3.2021, Sitzung 21). Zudem hat das Justizministerium gemeinsam mit UNDP ein Projekt auf den Weg gebracht, um die Korruptionsbekämpfung zu stärken (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 35). Die von Präsident Farmaajo versprochene Einrichtung einer Anti-KorruptionsKommission wurde nicht eingelöst (USDOS 30.3.2021, Sitzung 27).

Quellen:

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 - Somalia, https://freedo mhouse.org/country/somalia/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             GN - Goobjoog News (15.2.2021): Auditor General asks MoH to explain COVID-19 funds use, http://goobjoog.com/english/auditor-general-asks-moh-to-explain-covid-19-funds-us e/, Zugriff 22.2.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (3.2021): The Impediments To Good Governance In Somalia, http://www.heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2021/03/I mpediments-good-governance-2.pdf, Zugriff 23.7.2021

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medbor- garskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.p df, Zugriff 17.3.2021

•             TI - Transparency International (2021): Corruption Perceptions Index 2020, https://images.t ransparencycdn.org/images/CPI2020_Report_EN_0802-WEB-1_2021-02-08-103053.pdf , Zugriff 17.3.2021

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

NGOs und Menschenrechtsaktivisten Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 21.10.2021

Schon Mitte der 1990er wurden in Somalia zahlreiche NGOs und auf Gemeinden fußende Organisationen gegründet. Viele arbeiten mittlerweile professionell (BS 2020, Sitzung 33). Im gesamten somalischen Kulturraum gibt es zahlreiche internationale Organisationen und NGOs, die sich um Belange vulnerabler Personen (u.a. IDPs, Frauen, Kinder und andere sozial benachteiligte Gruppen) kümmern (SEM 31.5.2017, Sitzung 43).

Lokale Gruppen der Zivilgesellschaft, internationale NGOs und UN-Agenturen können in Teilen des Landes eine breite Palette an Aktivitäten durchführen - allerdings unter schwierigen und oft auch gefährlichen Umständen (FH 3.3.2021a, E2). Aktiv sind derartige Gruppen und Organisationen vor allem in jenen Gebieten, die sich nicht unter der Kontrolle von al Shabaab befinden. Sie untersuchen Vorfälle, veröffentlichen Ergebnisse (USDOS 30.3.2021, S.28f) und werden ggf. politisch gebilligt und gefördert (AA 18.4.2021, Sitzung 7). Die Regierung ist hinsichtlich der Ergebnisse einigermaßen kooperativ und reagiert auf deren Ansichten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 29). Menschenrechtsorganisationen sehen sich trotzdem in aller Regel Repressionen durch staatliche Sicherheitsorgane, die auch auf eigene Faust und im eigenen Interesse agieren, ausgesetzt (AA 18.4.2021, Sitzung 7).

Außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete können diese Organisationen nicht arbeiten (AA 18.4.2021, Sitzung 7). Al Shabaab untersagt den meisten NGOs sowie allen UN-Agen- turen das Arbeiten auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle (HRW 14.1.2020; vergleiche FH 3.3.2021a, E2; ACCORD 31.5.2021, Sitzung 8).

Die Bewegungsfreiheit von Organisationen in Süd-/Zentralsomalia ist aufgrund von Sicherheitserwägungen eingeschränkt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 29; vergleiche HRW 14.1.2020). Somalia ist weltweit eines der gefährlichsten Länder für humanitäre Kräfte (BS 2020, Sitzung 14), auf welche mitunter gezielte Angriffe durchgeführt werden. Unsicherheit (HRW 14.1.2020), Fahrzeugraub, Erpressung und bürokratische Hürden für humanitäre Organisationen stellen ernste Hindernisse dar (USDOS 30.3.2021, Sitzung 15). Im Zeitraum von Mai bis August 2020 waren humanitäre Organisationen von 76 sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffen. Neun ihrer Angestellten wurden dabei getötet, 17 entführt und elf in Haft genommen (UNSC 13.8.2020, Absatz 68,). Vor allem in der Region Gedo kommt es immer wieder zu Entführungen durch al Shabaab, die mit Geiseln Lösegeld lukrieren will (UNSC 1.11.2019, Sitzung 35).

Die Präsenz von UN-Agenturen und Organisationen ist in den vergangenen Jahren stark ausgebaut worden: Ende 2014 befanden sich 331 internationale und 951 nationale Angestellte der UN in Somalia (UNSC 23.1.2015, Sitzung 16), im Feber 2020 waren es 683 bzw. 1.308 (UNSC 13.2.2020, Absatz 89,). Aufgrund der Covid-19-Pandemie wurde das internationale Personal vor Ort reduziert (UNSC 13.8.2020, Absatz 95 ;, vergleiche UNSC 17.2.2021, Absatz 89,). Ende Juli 2021 befanden sich 395 internationale und 1.362 nationale UN-Bedienstete im Land. Büros befinden sich in Baidoa, Belet Weyne, Berbera, Bossaso, Dhobley, Dhusamareb, Doolow, Galkacyo, Garoowe, Hargeysa, Jowhar, Kismayo und Mogadischu (UNSC 10.8.2021, Absatz 82,).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer-innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 - Somalia, https://freedo mhouse.org/country/somalia/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020

•             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender /afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020

•             UNSC - UN Security Council (10.8.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2021/723], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058501/S_2021_723_E.pdf, Zugriff 27.8.2021

•             UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf, Zugriff 2.3.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf, Zugriff 9.10.2020

•             UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https: //www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf, Zugriff 22.1.2020

•             UNSC - UN Security Council (13.2.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/121], https://www.ecoi.net/en/file/local/2025872/S_2020_121_E.pdf, Zugriff 26.3.2020

•             UNSC - UN Security Council (23.1.2015): Report of the Secretary-General on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1235688/1226_1423052016_n1501704somal.pdf , Zugriff 11.12.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

Wehrdienst und Rekrutierungen (durch den Staat und Dritte)

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 08.07.2021

Die somalische Armee ist eine Freiwilligenarmee (BFA 8.2017, S.14). Es gibt keinen verpflichtenden Militärdienst. Allerdings rekrutieren Clans regelmäßig - und teils unter Androhung von Zwangsmaßnahmen für die Familie -junge Männer zum Dienst in einer Miliz, bei den staatlichen Sicherheitskräften oder bei der al Shabaab. Dadurch soll für den eigenen Clan oder Subclan Schutz erlangt werden (AA 18.4.2021, S.14).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich]

(8.2017) : Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1 502195321_ffm-report-somalia-sicherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf, Zugriff

3.12.2020

(Zwangs-)Rekrutierungen und Kindersoldaten

Letzte Änderung: 08.07.2021

Kindersoldaten: Alle Konfliktparteien rekrutieren Kinder (BS 2020, Sitzung 19). Hauptverantwortlich bleibt aber weiterhin al Shabaab. Die Gruppe hatte im Jahr 2019 81 % der entsprechenden Vorfälle zu verantworten, 2020 waren es 75 %. Für weitere rund 20 % trugen staatliche Sicherheitskräfte und Clanmilizen die Verantwortung (AA 18.4.2021, Sitzung 15). Im Jahr 2020 gab es immer wieder Berichte über den Einsatz von Kindersoldaten durch die Bundesarmee, alliierte Milizen, die Sufi-Miliz Ahlu Sunna Wal Jama'a (ASWJ) und al Shabaab (USDOS 30.3.2021, Sitzung 14). Im ersten Halbjahr 2020 sind insgesamt 535 Kinder rekrutiert worden, mehr als 400 davon durch al Shabaab (UNSC 28.9.2020, Absatz 137,). Im Jahr 2019 waren noch1.169 durch al Shabaab rekrutiert worden, 2018 waren es 2.300 (UNSC 28.9.2020, Absatz 138,). Die Regierung versucht der Rekrutierung von Kindern durch die Armee mit Ausbildungs- und Screening-Programmen entgegenzuwirken. Dass es keine Geburtenregistrierung gibt, macht diese Arbeit schwierig (USDOS 30.3.2021, Sitzung 14).

Beim Konflikt in der äthiopischen Region Tigray sind auch somalische Rekruten eingesetzt worden, die sich in Eritrea zur Ausbildung befunden haben. Nach Angaben betroffener Eltern sind die Jungmänner unter Vorspiegelung falscher Aussichten in die somalische Armee und damit in den Krieg gelockt worden (HIPS 2021, Sitzung 27).

Kindersoldaten - al Shabaab: Al Shabaab entführt auch weiterhin Kinder, um diese zu rekrutieren. Betroffen sind in erster Linie ländliche, von al Shabaab kontrollierte Gebiete der Region Bay aber auch Middle Shabelle und Bakool (UNSC 1.11.2019, Sitzung 37). Allerdings ist die Zahl an derartigen Rekrutierungen seit 2019 rückläufig. Anfang 2020 betraf eine Rekrutierungskampagne die Regionen Bay, Bakool und Lower Shabelle (UNSC 28.9.2020, Absatz 138 f,).

Al Shabaab hat Kinder teils mit aggressiven und gewaltsamen Methoden rekrutiert (BS 2020, Sitzung 19; vergleiche HRW 14.1.2020). Es wird davon ausgegangen, dass al Shabaab Kinder von Minderheitengruppen systematisch entführt, um sie in die eigene Armee zu integrieren (BS 2020, Sitzung 19). Die Gruppe führt zu diesem Zweck Razzien gegen Schulen, Madrassen und Moscheen durch (USDOS 30.3.2021, Sitzung 14). Außerdem indoktriniert und rekrutiert al Shabaab Kinder gezielt in Schulen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 15; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 5). Manchmal werden Clanälteste bedroht und erpresst, damit Kinder an die Gruppe abgegeben werden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 14). Es wird mitunter auch Gewalt angewendet, um von Gemeinden und Ältesten junge Rekruten zu erpressen (BS 2020, Sitzung 19). An Gemeinden, die sich einer Herausgabe von Kindern verweigern, wird Vergeltung geübt (HRW 14.1.2020). Knapp die Hälfte der Kinder wird mittels Gewalt und Entführung rekrutiert, die andere durch Überzeugung der Eltern, Ältesten oder der Kinder selbst (AA 18.4.2021, Sitzung 15).

In Lagern werden Kinder einer grausamen körperlichen Ausbildung unterzogen. Sie erhalten keine adäquate Verpflegung, dafür aber eine Ausbildung an der Waffe, physische Strafen und religiöse Indoktrination. Kinder werden gezwungen, andere Kinder zu bestrafen oder zu exekutieren. Eingesetzt werden Kinder etwa als Munitions- und Versorgungsträger, zur Spionage, als Wachen; aber auch zur Anbringung von Sprengsätzen, in Kampfhandlungen und als Selbstmordattentäter (USDOS 30.3.2021, Sitzung 14f).

Manchmal werden Kinder aus den Händen der al Shabaab befreit, so etwa durch Sicherheitskräfte im August 2020, als 33 Buben aus einer Madrassa in Kurtunwareey (Lower Shabelle) befreit wurden. Alle Kinder wurden mit ihren Eltern wiedervereint (UNSC 13.11.2020, Absatz 46,). Im Jahr 2019 wurden mehr als 1.000 Kinder an UNICEF übergeben (UNSC 13.2.2020, Absatz 56,).

(Zwangs-)Rekrutierung: Hauptrekrutierungsbereich von al Shabaab ist Süd-/Zentralsomalia (ÖB 3.2020, Sitzung 5). Dabei versucht die Gruppe junge Männer durch Überzeugungsarbeit, ideologische und religiöse Beeinflussung und finanzielle Versprechen anzulocken. Jene, die arbeitslos, arm und ohne Aussicht sind, können trotz fehlenden religiösem Verständnis auch schon durch kleine Summen motiviert werden. Für manche Kandidaten spielen auch Rachegefühle gegen Gegner der al Shabaab eine Rolle (FIS 7.8.2020, Sitzung 17; vergleiche Khalil 1.2019, Sitzung 33). Bei manchen spielt auch Abenteuerlust eine Rolle (Khalil 1.2019, Sitzung 33). Jugendliche selbst geben an, dass der Hauptgrund zum Beitritt zu al Shabaab oder zur Armee das Einkommen ist (DI 6.2019, Sitzung 22f). Mindestens 50 % schließen sich al Shabaab aus ökonomischen Gründen an (ÖB 3.2020, Sitzung 5). Dies betrifft insbesondere Jugendliche, die oft über kein (regelmäßiges) Einkommen verfügen (SIDRA 6.2019a, Sitzung 4). Von Deserteuren wurde der monatliche Sold für verheiratete Angehörige der Polizei und Armee von al Shabaab mit 50 US-Dollar angegeben; Unverheiratete erhielten nur Gutscheine oder wurden in Naturalien bezahlt. Jene Angehörigen der al Shabaab, welche höherbewertete Aufgaben versehen (Kommandanten, Agenten, Sprengfallenhersteller, Logistiker und Journalisten) verdienen 200-300 US-Dollar pro Monat; allerdings erfolgen Auszahlungen nur inkonsequent (Khalil 1.2019, Sitzung 16). Im Übrigen ist auch die Loyalität von al Shabaab ein Anreiz. Während die Regierung kriegsversehrten Soldaten keinerlei Unterstützung zukommen lässt, sorgt al Shabaab sogar für die Hinterbliebenen gefallener Kämpfer (FIS 7.8.2020, Sitzung 17).

Manche versprechen sich durch ihre Mitgliedschaft bei al Shabaab die Möglichkeit einer Rache an Angehörigen anderer Clans (Khalil 1.2019, Sitzung 14f). Für Angehörige marginalisierter Gruppen bietet der Beitritt zu al Shabaab zudem die Möglichkeit, sich selbst und die eigene Familie gegen Übergriffe anderer abzusichern (FIS 5.10.2018, Sitzung 34). Auch die Aussicht auf eine Ehefrau wird als Rekrutierungswerkzeug verwendet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 34).

Insgesamt handelt es sich bei Rekrutierungsversuchen oft um eine Mischung aus Druck oder Drohungen und Anreizen (FIS 7.8.2020, Sitzung 18; vergleiche ICG 27.6.2019, Sitzung 2). Knapp ein Drittel der in einer Studie befragten al Shabaab-Deserteure gab an, dass bei ihrer Rekrutierung Drohungen eine Rolle gespielt haben. Dies kann freilich insofern übertrieben sein, als Deserteure dazu neigen, die eigene Verantwortung für begangene Taten dadurch zu minimieren (Khalil 1.2019, Sitzung 14). Al Shabaab agiert sehr situativ. So kommt Zwang etwa zur Anwendung, wenn die Gruppe in einem Gebiet nach einem verlustreichen Gefecht schnell die Reihen auffüllen muss (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 36/40). Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle der al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch die al Shabaab (BMLV 2.3.2021; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 17f). Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)rekrutierung zu entziehen (BMLV 25.2.2021).

Verweigerung: Üblicherweise richtet al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Die meisten Rekruten werden über Clans rekrutiert. Es wird also mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt. Dabei wird mitunter auch Druck ausgeübt. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer (BFA 8.2017, Sitzung 52), denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan. Damit al Shabaab die Verweigerung akzeptiert, muss eine Form der Kompensation getätigt werden (DIS 3.2017, Sitzung 21). Entweder der Clan oder das Individuum zahlt oder aber die Nicht-Zahlung wird durch Rekruten kompensiert. So gibt es also für Betroffene manchmal die Möglichkeit des Freikaufens. Diese Wahlmöglichkeit ist freilich nicht immer gegeben. In den Städten liegt der Fokus der al Shabaab eher auf dem Eintreiben von Steuern, in ländlichen Gebieten auf der Aushebung von Rekruten (BFA 8.2017, Sitzung 54f).

Es besteht die Möglichkeit, dass einem Verweigerer bei fehlender Kompensationszahlung die Exekution droht (DIS 3.2017, Sitzung 21). Insgesamt finden sich allerdings keine Beispiele dafür, wo al Shabaab einen Rekrutierungsverweigerer exekutiert hat (BFA 8.2017, Sitzung 54f). Eine Experte erklärt, dass eine einfache Person, die sich erfolgreich der Rekrutierung durch al Shabaab entzogen hat, nicht dauerhaft und über weite Strecken hin verfolgt wird (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 40). Stellt allerdings eine ganze Gemeinde den Rekrutierungsambitionen der al Shabaab Widerstand entgegen, kommt es mitunter zu Gewalt - so etwa geschehen im Gebiet Toosweyne westlich von Baidoa. Dort wurden Ende 2019 und Anfang 2020 mehrere Gemeindeführer von al Shabaab in Haft genommen, weil sich die Bevölkerung weigerte, 100 Buben und 200.000 US-Dollar abzuführen. Tausende Familien sind in der Folge aus dem Gebiet geflüchtet. Im Bezirk Xudur (Bakool) hat al Shabaab Gemeinden Enteignung und Deportation angedroht. Die Gemeinden wehrten sich mit ihrer Miliz, die 2020 in mehrere Kampfhandlungen mit al Shabaab verwickelt wurde. Im Juli 2020 entführte al Shabaab in Reaktion 60 Personen, danach wurde ein Waffenstillstand ausverhandelt (UNSC 28.9.2020, Annex 7.2).

Frauen: In den Führungsgremien und Kampfkräften von al Shabaab finden sich keine Frauen. Deren Rolle reicht von jener der einfachen Ehefrau bis hin zu Rekrutierung, Missionierung, Spionage, Waffenschmuggel und Spendensammlung (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f). Frauen, die mit Soldaten oder AMISOM Kleinhandel treiben, werden als Spione und Informationsbeschafferinnen rekrutiert (ICG 27.6.2019, Sitzung 12).

Quellen:

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•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer-innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich]

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•             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (2.3.2021): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation

•             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten

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Deserteure und ehemalige Kämpfer von al Shabaab

Letzte Änderung: 21.10.2021

Allgemein geben Deserteure für das Verlassen der al Shabaab folgende Gründe an: inadäquate Bezahlung, familiäre Verpflichtungen, schlechte Lebensbedingungen, Risiko für Leib und Leben (Khalil 1.2019, Sitzung 33/16f). Mit letzterem ist nicht bloß die Gefahr von Kampfhandlungen gemeint, sondern auch die von al Shabaab angewandte Bestrafung bei (vermeintlichen) Regelbrüchen (Khalil 1.2019, S.16f). Generell stellt die Desertion eines Einzelnen für al Shabaab ein kleineres Problem dar, als der Seitenwechsel ganzer Clans und der zugehörigen Milizen, z.B. als AbgaalSubclans sich in Galgaduud derAhlu Sunna Wal Jama’a zuwandten, oder als Hawadle-Subclans der al Shabaab in Hiiraan die Miliz Macawiisley entgegenstellten (SEMG 9.11.2018, Sitzung 27).

Verfolgung: Generell gestattet al Shabaab keinen Austritt (FIS 7.8.2020, Sitzung 8). Allerdings sind nicht alle ehemaligen Kämpfer der al Shabaab Deserteure. Es gibt Beispiele, wo Angehörige die Entlassung eines Familienmitglieds durch die al Shabaab erwirken konnten. Oft gleicht eine Desertion jedoch einer Flucht - mit entsprechender Angst vor Vergeltungsmaßnahmen seitens al Shabaab. Manche Deserteure warten Monate oder sogar Jahre, bevor sich ihnen eine Gelegenheit zur Flucht bietet (Khalil 1.2019, Sitzung 17f).

In manchen Fällen kann ein Deserteur bei seinem eigenen Clan Schutz finden (FIS 7.8.2020, Sitzung 8). Al Shabaab ist aufgrund eines Systems von Informanten in der Lage, Deserteure nahezu im gesamten Land aufzuspüren. Die Gruppe nutzt dafür unter anderem Clannetzwerke. In Mogadischu sind Deserteure nicht sicher. Ob sie jedoch zum Ziel werden oder nicht, hängt auch von ihrer früheren Rolle bei al Shabaab ab (ÖB 3.2020, Sitzung 6f). Ein Deserteur befindet sich dann in einer gefährlichen Situation, wenn al Shabaab ihn aufspüren konnte (FIS 7.8.2020, S.8). Es gibt Berichte, wonach Deserteure von al Shabaab als Abtrünnige (murtadd) verfolgt und teilweise exekutiert werden (ÖB 3.2020, Sitzung 6). Dies gilt insbesondere für Deserteure mittleren Ranges. Doch auch einfache Mannschaftsgrade können zum Ziel werden (BFA 8.2017, Sitzung 43f; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 6, FIS 7.8.2020, Sitzung 8). Viele Deserteure haben Angst davor, vom Amniyad [Geheimdienst von al Shabaab] aufgespürt zu werden (BBC 27.5.2019).

Allerdings gibt es kaum bekannte Beispiele für getötete Deserteure (BMLV 2.3.2021; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 8). Überhaupt gibt es keine konkreten Zahlen bzw. Berichte zu Tötungen von Deserteuren (ÖB 3.2020, Sitzung 6). Interessanterweise sind auch die vorhandenen Rehabilitationszentren für ehemalige Angehörige der al Shabaab nie zum Angriffsziel geworden [siehe unten] (NLMBZ 3.2019, Sitzung 12f; vergleiche BFA 8.2017, Sitzung 45ff). Inwiefern al Shabaab also tatsächlich Energie in das Aufspüren und Töten von desertierten Fußsoldaten investieren will, ist unklar. Insgesamt besteht in einigen Fällen offenbar auch die Möglichkeit, dass sich ein Deserteur mit der al Shabaab verständigt - etwa durch die Zahlung von Geldbeträgen (BFA 8.2017, Sitzung 43ff; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 6).

Deserteure in Somaliland und Puntland gelten grundsätzlich nicht als gefährdet. Deserteure aus Süd- oder Zentralsomalia befinden sich jedoch in Somaliland in einer schwierigen Lage, da sie nicht wissen, wem sie vertrauen können oder wer al Shabaab nahe steht (ÖB 3.2020, Sitzung 6f).

Amnestie: Präsident Farmaajo hat zwar eine Amnestie für Angehörige der al Shabaab ausgesprochen, welche sich freiwillig ergeben. Allerdings ist diese Amnestie nur mündlich ausgesprochen worden. Es gibt keine rechtliche Grundlage dafür. Trotzdem geben Deserteure an, dass die Aussicht auf eine Amnestie ein maßgeblicher Faktor für ihre Desertion war (Khalil 1.2019, Sitzung 17).

Rehabilitation/Reintegration: Die somalische Regierung betreibt mehrere Rehabilitationszentren für ehemalige Angehörige der al Shabaab (NLMBZ 3.2020, Sitzung 27f). Dies sind in erster Linie Zentren in Mogadischu, Baidoa und Kismayo (UNSC 13.8.2020, Absatz 82,). Ende Juni 2021 befanden sich in diesen Zentren 355 Männer und 170 Frauen; 102 Frauen und 157 Männer konnten von Jänner bis Juni 2021 als rehabilitiert entlassen werden (UNSC 10.8.2021, Absatz 66,). Alleine im Zeitraum August-Oktober 2020 durchliefen 248 Männer und 226 Frauen die Rehabilitationsprogramme an den fünf Rehabilitationszentren (zwei für Frauen, drei für Männer). Frauen erhalten dort auch handwerkliche Ausbildung (UNSC 13.11.2020, Absatz 75,). IOM unterstützt in Baidoa ein Projekt zur Demobilisierung und Reintegration von männlichen und weiblichen „disengaged combatants" der al Shabaab. Dabei wird die Grundversorgung gesichert, Zugang zu Berufsausbildung ermöglicht und Mediationsarbeit zur langfristigen Reintegration geleistet. Nach der Ausbildung wird Geld zur Verfügung gestellt, um gegebenenfalls ein Unternehmen gründen zu können (ÖB 3.2020, Sitzung 6).

Für Minderjährige (unter 18 Jahre) gibt es eigene Zentren (NLMBZ 3.2020, Sitzung 27f). Über Reintegrationsprogrammewerden knapp 1.000 minderjährige ehemalige Kombattanten unterstützt (UNSC 13.8.2020, Absatz 56,). U.a. werden bei von UNICEF unterstützten Reintegrationsprojekten für ehemalige Kindersoldaten Minderjährige in ihren Gemeinden resozialisiert. Sie erhalten außerdem Zugang zu einer Ausbildung (ÖB 3.2020, Sitzung 6). Alleine in den ersten vier Monaten 2020 wurden an UNICEF 1.283 Kinder (699 Buben, 314 Mädchen) zur Rehabilitation übergeben. Diese waren zuvor bei den Sicherheitskräften oder bewaffneten Gruppen aktiv (UNSC 13.5.2020, Absatz 53,).

Reintegration - Beispiel Serendi Rehabilitation Centre (SRC), Mogadischu: Das SRC steht jenen ehemaligen Angehörigen der al Shabaab offen, die als „low-risk" eingestuft wurden (Khalil 1.2019, Sitzung vii). Als „low-risk" wird von der NISA herausgefiltert, wer al Shabaab freiwillig verlassen hat; wer sich gegen die Ideologie der Gruppe ausspricht; und wer nicht als künftiges Risiko für die öffentliche Sicherheit erachtet wird (Khalil 1.2019, Sitzung 19/2; vergleiche BBC 23.11.2020). Trotzdem gibt es in Rehabilitationszentren auch Agenten von al Shabaab (BBC 23.11.2020).

Die Aufenthaltsdauer im SRC beträgt 6-12 Monate (Khalil 1.2019, Sitzung 19). Am SRC erhalten die Bewohner neben psycho-sozialer Unterstützung auch eine schulische und eine Berufsausbildung (Khalil 1.2019, Sitzung 23/12). Ein Rehabilitierter erzählt, dass er nun Schulbusfahrer ist, ein anderer ist Friseur. Im Zentrum gibt es z.B. auch Ausbildung in Mechanik, Schweißen, IT, Basisbildung und Englisch (BBC 23.11.2020). Das SRC unterstützt die Bewohner bei der Wiederherstellung des Kontakts zu Familie und Clan (Khalil 1.2019, Sitzung 24). Spätestens im Zuge der Reintegration in Mogadischu wenden sich viele aus dem SRC Entlassene an (teils entfernte) Verwandte. In vielen Fällen konnten positive Beziehungen zur Familie wieder hergestellt werden, die meisten wurden von ihrer Kernfamilie wieder aufgenommen (Khalil 1.2019, Sitzung 27f).

Nach der Entlassung aus dem SRC stellt gesellschaftliche Diskriminierung kaum ein relevantes Problem für ehemalige Angehörige der al Shabaab dar, wohl auch, weil es vielen gelingt, ihre Vergangenheit zu verschweigen (Kahlil 1.2019, Sitzung 29/34). Viele der Deserteure stammen zwar aus Mogadischu (Kahlil 1.2019, Sitzung 3), die Mehrheit jedoch aus Lower Shabelle, Middle Juba, Hiiraan oder Galgaduud (Kahlil 1.2019, Sitzung 3/27). Trotzdem entscheiden sich viele für eine Reintegration in Mogadischu - mitunter, weil dort relative Anonymität herrscht (Khalil 1.2019, Sitzung 29/27).

Bereits entlassene rehabilitierte ehemalige Angehörige von al Shabaab bleiben auch in Mogadischu und versuchen, dort in der Masse unerkannt zu bleiben (BBC 23.11.2020). Viele der aus dem SRC Entlassenen sind aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht in ihre eigentliche Heimat zurückgekehrt. Einige von ihnen meiden auch in Mogadischu bestimmte Stadtgebiete, da sie Angst haben, dort als ehemalige Angehörige der al Shabaab identifiziert zu werden. Insgesamt äußern aus dem SRC Entlassene häufig Sicherheitsbedenken bezüglich al Shabaab - natürlich besteht eine latente Bedrohung, von ehemaligen Kameraden erkannt zu werden. Allerdings ist nur in einem Fall auch tatsächlich eine Drohung (über SMS) ausgesprochen worden (Khalil 1.2019, Sitzung 27f). Schon in ihrer Zeit im halb-offenen SRC haben Deserteure am Wochenende Ausgang, und fast alle nehmen diesen auch in Anspruch (Khalil 1.2019, Sitzung 22).

Quellen:

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•             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich]

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•             Khalil - Khalil, James / Brown, Rory / et.al. / Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (1.2019): Deradicalisation and Disengagement in Somalia. Evidence from a Rehabilitation Programme for Former Members of Al-Shabaab, https://rusi.org/sit es/default/files/20190104_whr_4-18_deradicalisation_and_disengagement_in_somalia _web.pdf, Zugriff 2.2.2021

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Allgemeine Menschenrechtslage Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 21.10.2021

In der somalischen Verfassung ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert, wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle (AA 18.4.2021, Sitzung 19).

Trotzdem werden Zivil- und Menschenrechte regelmäßig und systematisch verletzt. Alle politischen Akteure, die um politische und ökonomische Macht streiten, sind in schwere Menschenrechtsvergehen involviert (BS 2020, Sitzung 18; vergleiche AI 7.4.2021). Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: willkürliche und ungesetzliche Tötungen - u.a. von Zivilisten - durch Kräfte der somalischen Bundesregierung; Entführungen und Verschwindenlassen; Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten; Folter und andere grausame Behandlung; harte Haftbedingungen; willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1f; vergleiche BS 2020, Sitzung 34). Al Shabaab ist für die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverletzungen verantwortlich (UNSC 1.11.2019, Sitzung 5; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 2).

Extralegale Tötungen stellen bei den Sicherheitskräften kein strukturelles Problem dar. Allerdings wäre in solchen Fällen aufgrund des dysfunktionalen Justizsystems in der Regel von

Straflosigkeit auszugehen. In Süd-/Zentralsomalia werden extralegale Tötungen in der Regel von der al Shabaab in von ihr kontrollierten Gebieten durchgeführt, zunehmend auch in Form von gezielten Attentaten in Gebieten unter staatlicher Kontrolle (AA 2.4.2020, Sitzung 21).

Bei Kämpfen unter Beteiligung von AMISOM, Regierung, Milizen und al Shabaab kommt es zur Tötung, Verletzung und Vertreibung von Zivilisten und anderen Kriegsverbrechen, welche durch alle Konfliktbeteiligten verübt werden (ÖB 3.2020, Sitzung 2; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 13). Es gibt zahlreiche Berichte, wonach staatliche Sicherheitskräfte, alliierte Milizen und andere uniformierte Personen willkürlich und außergesetzlich Personen töten. Für die meisten derartigen Tötungen sind aber al Shabaab und Clanmilizen verantwortlich (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2). Im Zeitraum 5.11.2020 bis 9.2.2021 kamen landesweit 363 Zivilisten bei Kämpfen oder Anschlägen ums Leben oder wurden verletzt. Für 144 Opfer trug dabei al Shabaab die Verantwortung (UNSC 17.2.2021, Absatz 44,). Im Zeitraum 5.8.2020 bis 4.11.2020 waren es vergleichsweise 257 Opfer gewesen, davon 163 durch al Shabaab zu verantworten (UNSC 13.11.2020, Absatz 39,).

Es liegen Berichte vor, wonach Behörden für Entführungen oder Verschwindenlassen verantwortlich sind. Betroffen davon sind v.a. Journalisten aber auch politische Gegner (USDOS 30.3.2021, Sitzung 4). Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen durch Bundes- und Regionalbehörden sowie durch alliierte Milizen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 8). Alleine im Zeitraum Mai-Juli 2021 wurden 115 Personen durch somalische Behörden willkürlich verhaftet (UNSC 10.8.2021, Absatz 43,). Die Regierung verwendet bei derartigen Verhaftungen oft den Vorwurf der Mitgliedschaft bei al Shabaab (USDOS 30.3.2021, Sitzung 9; vergleiche UNSC 13.5.2020, Absatz 47,).

Generell ist Straflosigkeit die Norm. Die Regierung macht zumindest einige Schritte, um öffentlich Bedienstete - vor allem Sicherheitskräfte - strafrechtlich zu verfolgen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2). So wurden etwa im Mai 2021 drei Verdächtige festgenommen, die als Sicherheitskräfte Frauen vergewaltigt haben sollen. Ihre DNA-Proben wurden zur Untersuchung nach Garoowe geschickt - dort befindet sich das einzige dafür ausgerüstete Labor Somalias (UNSC 10.8.2021, Absatz 48,).

Al Shabaab begeht in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Menschenrechtsverletzungen (BS 2020, Sitzung 18). Die Gruppe ist für die Mehrheit schwerer Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; entführt Menschen, begeht Vergewaltigungen und vollzieht grausame Bestrafungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Die Gruppe rekrutiert Kindersoldaten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2; vergleiche HRW 14.1.2020). Al Shabaab entführt Menschen und nimmt Geiseln (USDOS 30.3.2021, Sitzung 4). Al Shabaab verhängt in Gebieten Bestrafungen wie Amputationen und Exekutionen (CFR 19.5.2021; vergleiche BS 2020, Sitzung 17). Außerdem richtet al Shabaab regelmäßig und ohne ordentliches Verfahren Menschen hin, denen Kooperation mit der Regierung, internationalen Organisationen oder westlichen Hilfsorganisationen vorgeworfen wird (AA 18.4.2021, Sitzung 14). Frauen werden für die Missachtung strenger Kleidungsvorschriften geschlagen (BS 2020, Sitzung 19). Mitunter kommt es bei al Shabaab auch zu Zwangsarbeit (USDOS 30.3.2021, Sitzung 38). Im Zeitraum Feber - August 2020 trug al Shabaab für rund ein Drittel (207 von 596) der zivilen Todesopfern und Verletzten die Verantwortung (AI 7.4.2021).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21 - Somalia, https://www.ecoi.net/en/document/2048608.html , Zugriff 13.4.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             CFR - Council on Foreign Relations / Cheatham, A. /Felter, Claire / Laub, Z. (19.5.2021): Backgrounder - Al-Shabab, https://www.cfr.org/backgrounder/al-shabab , Zugriff

14.9.2021

•             HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             UNSC - UN Security Council (10.8.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2021/723], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058501/S_2021_723_E.pdf, Zugriff 27.8.2021

•             UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf, Zugriff 2.3.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf, Zugriff 13.10.2020

•             UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https: //www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf, Zugriff 22.1.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

Meinungs- und Pressefreiheit Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 08.07.2021

Gesetze und Verfassung sehen Meinungs- und Pressefreiheit vor (USDOS 30.3.2021, Sitzung 15; vergleiche BS 2020, Sitzung 14; FH 3.3.2021a, D1; AI 13.2.2020, Sitzung 17), allerdings halten sich weder die Bundes- noch regionale Regierungen daran (USDOS 30.3.2021, S.15f). Die Meinungsfreiheit unterliegt in Somalia schweren Einschränkungen (BS 2020, Sitzung 14). Nach anderen Angaben ist sie zumindest in Gebieten unter Kontrolle der Regierung weitgehend gegeben und wird durch die sehr weit verbreiteten sozialen Medien auch intensiv wahrgenommen (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Demnach gibt es in den sichereren Gebieten des Landes ein gewisses Maß an Meinungsfreiheit. Allerdings können Personen, welche sich kritisch über Mächtige in Staat und Gesellschaft äußern, Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt sein (FH 3.3.2021a, D4). Nach anderen Angaben schränken Clanmilizen, kriminelle Organisationen und al Shabaab die Meinungsfreiheit ein (USDOS 30.3.2021, Sitzung 18). Zudem wird ein im August 2020 neu in Kraft getretenes Mediengesetz von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. In diesem Gesetz sind u.a. mehrere, ungenau definierte Verbote enthalten, welche Journalisten zur Selbstzensur zwingen (AI 5.10.2020). So wird u.a. die Verbreitung von nicht näher definierten „Falschnachrichten“ [false news] kriminalisiert, das Strafmaß reicht dabei bis zu sechs Monaten Haft (USDOS 30.3.2021, Sitzung 16).

Medienvereinigungen setzen sich für die Rechte der Medien, Meinungsfreiheit und Qualität im Journalismus ein (BS 2020, Sitzung 14). Die National Union of Somali Journalists beobachtet die Lage der Medien und berichtet über Übergriffe gegenüber Medien und Journalisten. Ein Bericht zu allen 2019 verzeichneten Vorfällen findet sich auf der Homepage der Organisation (NUSOJ o.D.).

In Somalia wurden zahlreiche regionale Medien etabliert, darunter Zeitungen, Fernseh- und Radiosender sowie Onlinemedien (BS 2020, Sitzung 14). In Print- und v. a. Online-Publikationen spiegelt sich die Meinungsvielfalt in Mogadischu wider (AA 18.4.2021, Sitzung 11). Unabhängige Medien verbreiten eine große Anzahl unterschiedlicher Meinungen; allerdings ist aufgrund der Erfahrung mit willkürlichen Verhaftungen und anderen Folgen Selbstzensur üblich, was die Kritik an der Regierung betrifft (USDOS 30.3.2021, Sitzung 17).

Mobiles Internet ist in weiten Teilen des Landes ohne Zugangseinschränkung verfügbar (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Nach anderen Angaben schränkt die Regierung den Zugang zum Internet ein. Es gibt aber keine Berichte hinsichtlich widerrechtlicher Überwachung privater Kommunikation (USDOS 30.3.2021, Sitzung 18). Die Verwendung von Sozialen Medien in Somalia hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Eine signifikante Zahl an Menschen in der Diaspora sowie Junge und Urbane in Somalia sind mit dem Internet und mit sozialen Medien verbunden (AI 13.2.2020, Sitzung 12).

Journalisten sehen sich regelmäßig Einfluss- oder sogar Zwangsmaßnahmen durch staatliche Stellen ausgesetzt (AA 18.4.2021, Sitzung 11). Es kommt zu Drohungen, Belästigungen, Einschüchterungen, Schlägen und willkürlichen Verhaftungen (AI 7.4.2021). Kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft oder in Medien werden oft bedroht und zum Schweigen gebracht (BS 2020, Sitzung 38). Zudem manipuliert die Regierung Medien durch Bestechung und durch Drohungen. Einerseits fördert die Bestechung von Medienbesitzern und Redakteuren die Selbstzensur (AI 13.2.2020, Sitzung 13/39ff; vergleiche LI 8.3.2016, Sitzung 7).

Am World Press Freedom Index 2020 von Reporter ohne Grenzen rangiert Somalia auf Platz 163 von 180 bewerteten Ländern (RSF 3.7.2020). Angriffe auf Medien (u.a. Belästigungen, Einschüchterungen, physische Attacken) sind an der Tagesordnung (AA 18.4.2021, Sitzung 11). Die Bundesregierung, Regierungen von Bundesstaaten, affiliierte Milizen, ASWJ, al Shabaab und andere Akteure töten, misshandeln und belästigen Journalisten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 16; vergleiche AI 13.2.2020, Sitzung 24). In Süd-/Zentralsomalia waren in den Jahren 2018 und 2019 mindestens 14 Journalisten physischen Übergriffen ausgesetzt (AI 13.2.2020, Sitzung 26). Journalisten werden nicht nur in von al Shabaab kontrollierten Gebieten, sondern auch außerhalb dieser immer wieder von Angehörigen der al Shabaab und anderen Auftraggebern ermordet (BS 2020, Sitzung 15). In den letzten zehn Jahren wurden über 50 Medienvertreter getötet (AA 18.4.2021, Sitzung 11). In den Jahren 2019 und 2020 wurden jeweils zwei Journalisten getötet (AI 13.2.2020, Sitzung 19; vergleiche HIPS 2021, Sitzung 26). Angriffe auf oder Morde an Journalisten werden nur selten untersucht (HRW 14.1.2020; vergleiche AI 13.2.2020, Sitzung 12/19; AA 18.4.2021, Sitzung 11f), es herrscht Straflosigkeit (USDOS 30.3.2021, Sitzung 16).

Journalisten arbeiten in Somalia generell in einer feindseligen Umgebung. Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen, zu Drangsalierung, zur Verhängung von Geldbußen und auch zur Ausübung von Gewalt; Täter sind sowohl staatliche als auch nicht-staatliche Akteure (FH 3.3.2021a, D1; vergleiche BS 2020, Sitzung 14; USDOS 30.3.2021, Sitzung 16ff). Bundes- und Regionalbehörden verhaften Journalisten und andere Personen, die sich über die Behörden kritisch äußern (USDOS 30.3.2021, Sitzung 12). Gemäß einer anderen Quelle ist dies nicht der Fall (AI 13.2.2020). Dabei kommt es mitunter auch zur Verhaftung von Journalisten, die sich weigern, Bestechungsgelder des Präsidenten anzunehmen (AQ3 5.2020).

2020 sind landesweit 56 Journalisten verhaftet und fünf Medienanstalten geschlossen worden (HIPS 2021, Sitzung 26). Besonders im Zuge der Covid-19-Pandemie kam es zu einem Anstieg an Festnahmen. Manche sind nach Strafzahlungen wieder freigelassen worden (AA 18.4.2021, Sitzung 11f).

Al Shabaab verbietet den Menschen auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle das Hören internationaler Medien (USDOS 30.3.2021, Sitzung 18). Generell ist die Meinungsfreiheit in ihren Gebieten massiv eingeschränkt (FH 3.3.2021a, D4), unabhängige Medien sind verboten. Al Shabaab betreibt eigene Radiosender, welche v.a. religiöse Inhalte und politische Propaganda verbreiten (BS 2020, Sitzung 15). Al Shabaab verbietet Telekommunikationsunternehmen Zugang zum Internet anzubieten. Die Unternehmen wurden gezwungen, ihre Datendienste einzustellen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 18), es gibt dort kein Internet (FIS 7.8.2020, Sitzung 18).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21 - Somalia, https://www.ecoi.net/en/document/2048608.html , Zugriff 13.4.2021

•             AI - Amnesty International / Committee to Protect Journalists / Human Rights Watch (5.10.2020): Re: Concerns and recommendations on Somalia’s new media law, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2038685/AFR5231642020ENGLISH.PDF , Zugriff 9.10.2020

•             AI - Amnesty International (13.2.2020): „We live in perpetual fear": Violations and Abuses of Freedom of Expression in Somalia [AFR 52/1442/2020], https://www.ecoi.net/en/file/! ocal/2024685/AFR5214422020ENGLISH.PDF , Zugriff 25.2.2020

•             AQ3 - Anonyme Quelle 3 (5.2020): Bei der Quelle handelt es sich um einen analytischen Newsletter

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 - Somalia, https://freedo mhouse.org/country/somalia/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Fi nding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae 973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645 , Zugriff 17.3.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Fi nal-2.pdf, Zugriff 12.2.2021

•             HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020

•             LI - Landinfo [Norwegen] (8.3.2016): Somalia - Media and Journalism, https://landinfo.no/ asset/3568/1/3568_1.pdf, Zugriff 12.7.2019

•             NUSOJ - National Union of Somali Journalists (o.D.): About us, http://www.nusoj.org/ab out-us/, Zugriff 9.12.2020

•             RSF - Reporters Sans Frontieres (3.7.2020): Somalia: Already 20 journalists arrested in the first half of 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032832.html , Zugriff 9.10.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 08.07.2021

Gesetzlich werden grundsätzlich Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gewährt, erstere wird von der somalischen Regierung aber eingeschränkt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 19f; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 11; BS 2020, Sitzung 14). Für alle öffentlichen Versammlungen ist eine Genehmigung durch das Innenministerium erforderlich (USDOS 30.3.2021, Sitzung 19; vergleiche FH 3.3.2021a, E1). Die Regierung macht bei sicherheitsrelevanten Themen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit geltend (AA 18.4.2021, Sitzung 11). Aufgrund der Sicherheitslage bleibt die Versammlungsfreiheit daher in vielen Gebieten effektiv eingeschränkt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 19; vergleiche BS 2020, Sitzung 14).

Dabei bekräftigt die Regierung regelmäßig ihren Willen, diese Rechte auch zu gewährleisten. Hinsichtlich der Versammlungsfreiheit ist jedoch in staatlich kontrollierten Gebieten nie genau absehbar, wie die lokalen Sicherheitskräfte reagieren. Generell sind Handfeuerwaffen weitverbreitet, eine blutige Eskalation kann nie ausgeschlossen werden (AA 18.4.2021, Sitzung 11). In allen Teilen Somalias kommt es regelmäßig zu Gewaltanwendung bei Protesten (HRW 14.1.2020). Die Regierung geht mit Sicherheitskräften gegen Demonstranten vor (AA 18.4.2021, Sitzung 11; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 19). Immer wieder setzen Sicherheitskräfte dabei auch scharfe Munition ein (Sahan 16.2.2021a), so etwa die von der Türkei ausgebildete Spezialeinheit Gorgor gegen demonstrierende Zivilisten in Mogadischu im Feber 2021, als mehrere Menschen getötet wurden (AN 22.2.2021); oder zuvor am 15. und am 25.12.2020 bei Demonstrationen der Opposition (ein Todesopfer) (UNSC 17.2.2021, Absatz 4,).

Aufgrund des meist informellen Charakters politischer Gruppen und der Schwäche von Gewerkschaften ist eine Aussage zur Vereinigungsfreiheit nur schwer möglich (AA 18.4.2021, Sitzung 11). Personen außerhalb der von al Shabaab kontrollierten Gebiete können Organisationen der Zivilgesellschaft ungehindert beitreten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 20).

In von der al Shabaab kontrollierten Gebieten bestehen weder Versammlungs- noch Vereinigungsfreiheit (AA 18.4.2021, Sitzung 11; vergleiche BS 2020, Sitzung 14). Die meisten internationalen Organisationen dürfen dort nicht tätig werden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 20).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             AN - Ahval News (22.2.2021): Turkish-trained special forces take Somalia back to days of civil war, https://ahvalnews.com/turkey-somalia/turkish-trained-special-forces-take-somal ia-back-days-civil-war, Zugriff 22.2.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 - Somalia, https://freedo mhouse.org/country/somalia/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020

•             Sahan - Sahan / Matt Bryden (16.2.2021a): Editor’s Pick - Somalis have right to peaceful protest, in: The Somali Wire Issue No. 83, per e-Mail

•             UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf, Zugriff 2.3.2021

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

Haftbedingungen

Letzte Änderung: 08.07.2021

Die Haftbedingungen sind in den meisten Landesteilen hart, da es an sanitären Einrichtungen, an Hygiene, an adäquater Ernährung und an Wasser sowie an medizinischer Versorgung mangelt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 6; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 13). Zum Teil sind die Haftbedingungen lebensbedrohlich (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Besser sind die Bedingungen in neu errichteten Haftanstalten, im Mogadishu Prison and Court Complex, auch wenn dort, wie in anderen städtischen Haftanstalten, Überbelegung manchmal ein Problem darstellt. Das Gefängnis in Garoowe erfüllt internationale Standards und wird ordentlich geführt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 6). Unterstützung von UNDP, UNODC und IKRK beim Gefängnisaufbau und der Schulung von Gefängnispersonal in allen Regionen schafft langsam Abhilfe (AA 18.4.2021, Sitzung 13). So wurde etwa Anfang 2020 durch UNSOM Gefängnispersonal für Puntland, Belet Weyne und Kismayo in Verwaltung und menschenrechtlichen Belangen ausgebildet (UNSC 13.5.2020, Absatz 71,). Um die Überbelegung zu reduzieren, wurden über 362 Häftlinge in mehreren Bundesstaaten und in Mogadischu eine Amnestie verhängt (UNSC 13.5.2020, Absatz 49,). Im August 2020 kam es in einem Gefängnis in Mogadischu zu einem Aufstand, bei welchem 15 Häftlinge und vier Wachen getötet wurden (PGN 10.2020, Sitzung 10).

In Somaliland sind Haftanstalten gemäß einer Quelle überbelegt und die Bedingungen dort sind hart (FH 3.3.2021b, F3). Nach anderen Informationen entspricht das Hargeysa-Prison internationalen Standards und wird gut geführt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 6). UNODC und andere UN-Agenturen unterstützen Somaliland bei der Verbesserung der Haftbedingungen (ÖB 3.2020, Sitzung 17). Es ist gesetzlich vorgesehen, dass Häftlinge bei den Justizbehörden Beschwerden vorbringen dürfen, und dies geschieht auch (USDOS 30.3.2021, Sitzung 7). Um dem Problem der Überbelegung zu begegnen, gewährte Somaliland 2020 939 Gefangenen eine Amnestie (UNSC 13.8.2020, Absatz 53 ;, vergleiche UNSC 13.5.2020, Absatz 49,).

Die Behörden arbeiten aktiv mit internationalen Organisationen und Beobachtern zusammen. UNODC kann regelmäßig Haftanstalten besuchen und dort auch mit Ausbildungsmaßnahmen und bei der Infrastruktur unterstützend tätig werden. Somaliland gestattet unabhängigen Beobachtern von NGOs Zutritt zu Haftanstalten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 7).

Al Shabaab hält Personen in den Gebieten unter ihrer Kontrolle in Haft, teils für verhältnismäßig geringfügige Vergehen und unter inhumanen Bedingungen. Die Haftbedingungen in Haftanstalten von al Shabaab und in von traditionellen Autoritäten geführten Gebieten sind oft hart und lebensbedrohlich (USDOS 30.3.2021, Sitzung 7).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             FH - Freedom House (3.3.2021b): Freedom in the World 2021 - Somaliland, https://free domhouse.org/country/somaliland/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map & Timeline - October 2020, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/20 20/10/somalia-map-of-al-shabaab-control.html

•             UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf, Zugriff 9.10.2020

•             UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf, Zugriff 13.10.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

Todesstrafe

Letzte Änderung: 21.10.2021

In allen Landesteilen wird die Todesstrafe verhängt und vollzogen, allerdings [im Gegensatz zu Gebieten von al Shabaab] deutlich seltener in Gebieten unter der Kontrolle der jeweiligen Regierung - und dort nur für schwerste Verbrechen (AA 18.4.2021, Sitzung 20). Allerdings kommt es dort auch nach Verfahren, die nicht internationalen Standards genügen, zur Ausführung der Todesstrafe (AA 18.4.2021, Sitzung 13f; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 3). Die von Bundes- aber auch von

Regionalbehörden verhängten Todesurteile werden oft innerhalb weniger Tage vollstreckt; in manchen Fällen wird Verurteilten eine bis zu dreißigtägige Berufungsfrist eingeräumt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 3/11).

Im Zeitraum Mai-August 2020 wurden in Kismayo und Bossaso je ein Todesurteil (an Mitgliedern der Sicherheitskräfte) vollstreckt. Acht Todesurteile wurden von Militärgerichten in Jubaland, Puntland und Mogadischu ausgesprochen, vier davon gegen Angehörige der al Shabaab, vier gegen Angehörige der Sicherheitskräfte (UNSC 13.8.2020, Absatz 52,). Am 18.8.2020 wurden in Baidoazwei Männer wegen sexueller Vergehen an einem Minderjährigen öffentlich exekutiert (UNSC 13.11.2020, Absatz 46,). Insgesamt wurden im Jahr 2020 mindestens acht Hinrichtungen in Süd-/Zentralsomalia und Puntland vollstreckt (AA 18.4.2021, Sitzung 20). Nach anderen Angaben waren mindestens 24 Todesurteile verhängt und mindestens 12 vollstreckt worden. Exekutionen erfolgen grundsätzlich durch Erschießen (AI 4.2020, Sitzung 8ff/44). Im Jahr 2021 wurden alleine am 27.6.2021 in Puntland 21 Männer durch ein Erschießungskommando exekutiert. Sie waren zuvor wegen Mitgliedschaft bei al Shabaab verurteilt worden (UNSC 10.8.2021, Absatz 43,).

Im Jahr 2020 wurden in Somaliland mindestens sechs Personen hingerichtet (AA 18.4.2021, Sitzung 20).

In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten kommt es zu öffentlichen Exekutionen, z.B. wegen vorgeworfener Apostasie (USDOS 12.5.2021, Sitzung 6) oder wegen Ehebruchs und „Kooperation mit den Feinden des Islam" (d.h. mit der Regierung, AMISOM, UNO oder Hilfsorganisationen) (AA 18.4.2021, Sitzung 20). Al Shabaab hat alleine im Zeitraum Mai-Juli 2021 19 Zivilisten öffentlich hingerichtet - 18 davon wegen vorgeblicher Spionage und eine Person wegen Mordes (UNSC 10.8.2021, Absatz 42,). Exekutionen durch al Shabaab werden öffentlich vollzogen (AA 18.4.2021, Sitzung 20).

Eine Zusicherung der Nichtverhängung oder des Nichtvollzugs der Todesstrafe erscheint im Hinblick auf die jeweiligen Regierungen sehr unwahrscheinlich, im Hinblick auf die von al Shabaab kontrollierten Gebiete aussichtslos (AA 18.4.2021, Sitzung 20).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             AI - Amnesty International (4.2020): Death Sentences and Executions 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028355/ACT5018472020ENGLISH.PDF , Zugriff

12.10.2020

•             UNSC - UN Security Council (10.8.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2021/723], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058501/S_2021_723_E.pdf, Zugriff 27.8.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf, Zugriff 9.10.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Reli- gious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/05/240282-SO MALIA-2020-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 21.6.2021

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 30.06.2021

Die somalische Bevölkerung bekennt sich zum sunnitischen Islam (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Eine Konversion zu einer anderen Religion bleibt sozial inakzeptabel, und nur eine sehr kleine Minderheit hängt tatsächlich einer anderen Religion oder islamischen Richtung an (USDOS 12.5.2021, Sitzung 2).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Reli- gious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/05/240282-SO MALIA-2020-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 21.6.2021

Gebiete unter Regierungskontrolle

Letzte Änderung: 08.07.2021

Somalia ist seinem verfassungsmäßigen Selbstverständnis nach ein islamischer Staat, der nicht vorrangig auf religiöse Vielfalt und Toleranz ausgelegt ist (AA 18.4.2021, Sitzung 9). Die Verfassungen von Somalia, Puntland und Somaliland bestimmen den Islam als Staatsreligion. Das islamische Recht (Scharia) wird als grundlegende Quelle der staatlichen Gesetzgebung genannt (AA 18.4.2021, Sitzung 13; vergleiche BS 2020, Sitzung 9; USDOS 12.5.2021, Sitzung 1ff), alle Gesetze müssen mit den generellen Prinzipien der Scharia konform sein. Auch die Verfassungen der anderen Bundesstaaten erklären den Islam zur offiziellen Religion (USDOS 12.5.2021, Sitzung 1ff).

Der Übertritt zu einer anderen Religion ist gesetzlich nicht explizit verboten, wohl aber wird die Scharia entsprechend interpretiert. Blasphemie und „Beleidigung des Islam" sind Straftatbestände (USDOS 12.5.2021, Sitzung 3). Nach anderen Angaben ist es Muslimen verboten, eine andere Religion anzunehmen (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Jedenfalls sind Missionierung oder Werbung für andere Religionen laut Verfassung verboten (FH 3.3.2021a, D2; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 13). Andererseits bekennen sich die Verfassungen zu Religionsfreiheit, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Auch sind dort ein Diskriminierungsverbot aufgrund der Religion (FH 3.3.2021a, D2) sowie die freie Glaubensausübung festgeschrieben (USDOS 12.5.2021, Sitzung 1/3).

Unabhängig von staatlichen Bestimmungen und insbesondere jenseits der Bereiche, in denen die staatlichen Stellen effektive Staatsgewalt ausüben können, sind islamische und lokale Traditionen und islamisches Gewohnheitsrecht weit verbreitet (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Es herrscht ein starker sozialer Druck, den Traditionen des sunnitischen Islam zu folgen. Eine Konversion vom Islam zu einer anderen Religion wird als sozial inakzeptabel erachtet. Jene, die unter dem Verdacht stehen, konvertiert zu sein, sowie deren Familien müssen mit Belästigungen seitens ihrer Umgebung rechnen (USDOS 12.5.2021, Sitzung 8). Insgesamt spielen Repressionen aufgrund der Religion in Somalia aber fast keine Rolle, da es kaum Nicht-Muslime im Land gibt (AA 18.4.2021, Sitzung 9).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 - Somalia, https://freedo mhouse.org/country/somalia/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Reli- gious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/05/240282-SO MALIA-2020-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 21.6.2021

Gebiete von al Shabaab

Letzte Änderung: 21.10.2021

In Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab ist die Praktizierung eines moderaten Islams sowie anderer Religionen untersagt (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Al Shabaab setzt in den von ihr kontrollierten Gebieten gewaltsam die eigene Interpretation des Islam und der Scharia durch (FH 3.3.2021a, D2; vergleiche USDOS 12.5.2021, Sitzung 6). Dabei drangsaliert, verletzt oder tötet die Gruppe Personen, welche sie verdächtigt, zu einer anderen Religion konvertiert zu sein oder jene, die sich nicht an die Edikte von al Shabaab halten (USDOS 12.5.2021, Sitzung 1). Vertreter der Regierung und ihrer Verbündeten werden unter dem Vorwand getötet, sie seien Nicht-Muslime und Glaubensabtrünnige (USDOS 12.5.2021, Sitzung 6). Auf Apostasie steht die Todesstrafe (FH 3.3.2021a, D2). Scheinbar gilt dies auch für Blasphemie, denn am 5.8.2021 wurde ein 83-Jähriger in der Nähe der Stadt Ceel Buur (Galmudug) von al Shabaab durch ein Erschießungskommando hingerichtet. Dem urteilenden Gericht zufolge hatte der Mann gestanden, den Propheten beleidigt zu haben (BAMF 9.8.2021).

Politik und Verwaltung von al Shabaab sind von religiösen Dogmen geprägt (BS 2020, Sitzung 9). Dort, wo al Shabaab die Kontrolle ausübt, verbietet die Gruppe generell „un-islamisches Verhalten" - Kinos, Fernsehen, Musik, Internet, das Zusehen bei Sportübertragungen, der Verkauf von Khat, Rauchen und weiteres mehr. Es gilt das Gebot der Vollverschleierung (USDOS 12.5.2021, Sitzung 7; vergleiche CFR 19.5.2021). Allerdings scheint al Shabaab bei der Durchsetzung derartiger Normen zunehmend pragmatisch zu sein (ICG 27.6.2019, Sitzung 7).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (9.8.2021): Briefing Notes,

https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Briefin gNotes/2021/briefingnotes-kw32-2021.pdf? blob=publicationFile&v=2 , Zugriff

27.8.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             CFR - Council on Foreign Relations / Cheatham, A. /Felter, Claire / Laub, Z. (19.5.2021): Backgrounder - Al-Shabab, https://www.cfr.org/backgrounder/al-shabab , Zugriff

14.9.2021

•             FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 - Somalia, https://freedo mhouse.org/country/somalia/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf , Zugriff

9.12.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Reli- gious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/05/240282-SO MALIA-2020-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 21.6.2021

Minderheiten und Clans

Letzte Änderung: 08.07.2021

Zu Clanschutz siehe auch Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen

Generell steht Diskriminierung in Somalia oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke haben (AA 18.4.2021, Sitzung 10).

Recht: Weder das traditionelle Recht (Xeer) (SEM 31.5.2017, Sitzung 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, Sitzung 42; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 3). Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen (ÖB 3.2020, Sitzung 3). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, Sitzung 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, Sitzung 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, Sitzung 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten - oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit - ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14).

Politik: Regierung und Parlament sind entlang der sogenannten 4.5-Formel organisiert. Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhält (ÖB 3.2020, Sitzung 3; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 26f; FH 3.3.2021a, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 3.3.2021a, B4). Selbst die gegebene, formelle Vertretung ist jedoch nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die 4.5-Formel hat bisher nicht zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bezogenen Gleichberechtigung beigetragen. Politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren (ÖB 3.2020, Sitzung 3).

Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 12f; FH 3.3.2021a, F4). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung - nicht aber systematisch von staatlichen Stellen - wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 18.4.2021, Sitzung 12f).

Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36). In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (FIS 7.8.2020, Sitzung 39).

Al Shabaab: Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt und zwangsrekrutiert (BS 2020, Sitzung 19). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz - etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen „noblen" Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, Sitzung 11; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 4). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist auch ein Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB 3.2020, Sitzung 4).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Report_T

owards-an-improved-understanding-of-vulnerability-and-resilience-in-Somalia.pdf, Zugriff

14.12.2020

•             FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 - Somalia, https://freedo mhouse.org/country/somalia/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Fi nding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae 973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645 , Zugriff 17.3.2021

•             ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf , Zugriff

9.12.2020

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (1.7.2019): Somalia - Rätts- och säkerhets- sektorn Version 1.0, https://www.ecoi.net/en/file/local/2012758/190704400.pdf, Zugriff

17.3.2021

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender /afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

Bevölkerungsstruktur

Letzte Änderung: 08.07.2021

In weiten Teilen ist die Bevölkerung Somalias religiös, sprachlich und ethnisch weitgehend homogen; allerdings ist schon alleine der Anteil ethnischer Minderheiten unklar (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 3.2019, Sitzung 42; vergleiche SEM, 31.5.2017, Sitzung 12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 5).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2020, Sitzung 33). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, Sitzung 8).

Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden:

•             Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

•             Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

•             Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir- Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

•             Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

•             Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, Sitzung 9).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten - nicht aber die berufsständischen Gruppen - haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, Sitzung 25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, Sitzung 38ff).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen „nobler“ Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, Sitzung 5).

Die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation, welche immer wichtiger werden, kann eine „falsche“ Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensieren (BS 2020, Sitzung 25). Es gibt keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, Sitzung 9).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

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•             GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies

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•             LI - Landinfo [Norwegen] (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/ 03/Report-Somalia-Practical-issues-and-security-challenges-associated-with-travels-in- Southern-Somalia-4-April-2016.pdf, Zugriff 18.12.2020

•             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin

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•             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender /afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020

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Süd-/Zentralsomalia, Puntland Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation

Letzte Änderung: 08.07.2021

Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums (SEM 31.5.2017, Sitzung 11). Die soziale Stellung der ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich (SEM 31.5.2017, Sitzung 14).

In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten nicht systematischer Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, Sitzung 3). In den Städten ist die Bevölkerung aber allgemein gemischt, Kinder gehen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Schule und Menschen ins Spital (UNFPA/DIS 25.6.2020).

Nach anderen Angaben leiden Angehörige von Minderheiten an Arbeitslosigkeit und unter einem Mangel an Ressourcen. Sie werden amArbeitsmarkt diskriminiert und vom Rest der Gesellschaft ausgeschlossen. Die meisten Angehörigen marginalisierter Gruppen haben keine Aussicht auf Rechtsschutz, nur selten werden solche Personen in die Sicherheitskräfte aufgenommen. Auch im Xeer werden sie marginalisiert. In Mogadischu mangelt es den Minderheiten auch an politischem Einfluss. Andererseits ändert sich die Situation langsam zum Besseren, die Einstellung v.a. der jüngeren Generation ändert sich; die Clanzugehörigkeit ist für diese nicht mehr so wichtig, wie für die Älteren (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff).

Die Bantu sind die größte Minderheit in Somalia (SEM 31.5.2017, Sitzung 12f; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 41). Es gibt zahlreiche Bantu-Gruppen bzw. -Clans, wie z.B. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli, Oji oder Gobaweyne; pejorativ werden sie auch Adoon (Sklaven) oder Jareer (Kraushaar) genannt. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Juba und Shabelle (SEM 31.5.2017, Sitzung 12f). Von den ca. 900.000 IDPs, die sich im Großraum Mogadischu aufhalten, sind rund 700.000 Bantu (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff).

Die Bantu werden überall in Somalia rassistisch stigmatisiert und diskriminiert (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25). Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu, die zum Teil einst als Sklaven ins Land gekommen waren, herab (SEM 31.5.2017, Sitzung 14). Sie werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2020, Sitzung 9) und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft. Ihre Situation ist sehr schlecht (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 9f). Sie sind auch weiterhin Diskriminierung ausgesetzt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36; vergleiche GIGA 3.7.2018). Auch in IDP-Lagern werden sie diskriminiert, Bantu-Frauen mangelt es dort an Schutz durch die traditionelle Clanstruktur (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36; vergleiche LIFOS 19.6.2019, Sitzung 8). 80 % der Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt finden sich unter ihnen (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff). Überhaupt befinden sich Bantu in einer vulnerablen Situation, da zuvor bestehende Patronageverhältnisse (welche Schutz gewährleisteten) im Bürgerkrieg erodiert sind. Dadurch haben Bantu heute kaum Zugang zum Xeer (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 9f). Bantu sind besonders schutzlos (ÖB 3.2020, Sitzung 3; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 42). Andererseits sind einige Bantu-Gruppen mit lokal mächtigen Clans Allianzen eingegangen, um sich dadurch zu schützen (FIS 7.8.2020, Sitzung 44).

Mischehen werden stigmatisiert (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 7). Im September 2018 wurde ein Bantu in Mogadischu in Zusammenhang mit einer Mischehe getötet. Allerdings war dies ein sehr außergewöhnlicher Vorfall, über welchen viele Somali ihre Entrüstung äußerten (NLMBZ 3.2019, Sitzung 43). Al Shabaab hingegen hat zahlreiche Kinder der Bantu entführt oder zwangsrekrutiert. Trotzdem genießt die Gruppe bei dieser Minderheit größere Unterstützung (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 7ff).

Benadiri ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben (z. B. Mogadischu, Merka, Baraawe) und sich traditionell im Handel betätigen. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien, Persien, Indien und Portugal. Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos. Heute werden Benadiri gemeinhin als Händler respektiert (SEM 31.5.2017, Sitzung 13f). In Mogadischu stellen die Benadiri die zweitgrößte Minderheitengruppe. Einige von ihnen haben es geschafft, reich zu werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 41ff). Im Gegensatz zu den Bantu kommt ihnen kein geringerer Status zu, Mischehen sind kein Problem (LI 14.6.2018, Sitzung 17). Viele von ihnen sind relativ wohlhabend, befinden sich in relevanten Positionen und sind in der Lage, Schutz zuzukaufen (NLMBZ 3.2019, Sitzung 43). Vielen Reer Xamar (Teil der Benadiri) ist es gelungen, ihre vormaligen Immobilien im Bezirk Xamar Weyne (Mogadischu) durch Zahlungen zurückzuerhalten. Dort stellen sie auch die Bevölkerungsmehrheit (LI 21.5.2019b, Sitzung 2f), und der Verwaltungsdirektor des Bezirks ist Angehöriger der Reer Xamar (FIS 7.8.2020, Sitzung 40).

Die Bajuni sind ein kleines Fischervolk, das auf den Bajuni-Inseln an der Südspitze Somalias sowie in Kismayo lebt (SEM 31.5.2017, Sitzung 14).

Kinder von Mischehen der al-Shabaab: Einige somalische Mädchen und Frauen haben ausländische Kämpfer (z. B. aus Europa, USA, Asien) der al Shabaab geheiratet. Die aus solchen Ehen hervorgegangenen Kinder sind teils leicht zu identifizieren (ICG 27.6.2019, Sitzung 9).

Quellen:

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer-innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

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•             GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies

(3.7.2018) : Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

•             ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf , Zugriff

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•             LI - Landinfo [Norwegen] (21.5.2019b): Somalia: Rer Hamar-befolkningen i Mogadishu, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2019/05/Respons-Somalia-Rer-Hamar-befolknin gen-i-Mogadishu-21052019.pdf, Zugriff 2.2.2021

•             LI - Landinfo [Norwegen] (14.6.2018): Somalia: Marriage and divorce, https://landinfo.n o/wp-content/uploads/2018/09/Report-Somalia-Marriage-and-divorce-14062018-2.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (19.6.2019): Minoritetsgruppen bantu i Somalia Version 1.0, https://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=43198 , Zugriff 2.2.2021

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Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation

Letzte Änderung: 08.07.2021

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung. Im Gegensatz zu den „noblen" Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet. Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff).

Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, Sitzung 43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potentiell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, Sitzung 3).

Zur Diskriminierung berufsständischer Kasten trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vergleiche SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z.B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff).

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelneAngehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, Sitzung 49).

Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 4). Aufgrund dieses teils starken sozialen Drucks (FH 3.3.2021a, G3) kommen Mischehen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff; vergleiche FIS 5.10.2018, Sitzung 26). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden. Hawiye und Ra- hanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). In Mogadischu sind Mischehen möglich (FIS 5.10.2018, Sitzung 26). Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f).

Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die Ehepartner mit sich bringen - insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört (ÖB 3.2020, Sitzung 4). So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem „noblen" Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018, Sitzung 26).

Quellen:

•             FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 - Somalia, https://freedo mhouse.org/country/somalia/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/S omalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe7 9e2-baf3-0a23-97d1-f6944b6d21a7/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+an d+Nairobi+January+2018.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies

(3.7.2018) : Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

•             ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf , Zugriff

9.12.2020

•             LI - Landinfo [Norwegen] (21.5.2019b): Somalia: Rer Hamar-befolkningen i Mogadishu, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2019/05/Respons-Somalia-Rer-Hamar-befolknin gen-i-Mogadishu-21052019.pdf, Zugriff 2.2.2021

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender /afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020

Angehörige anderer Clans in der Position als Minderheit, Clanlose

Letzte Änderung: 08.07.2021

Auch Angehörige starker Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. So sehen sich beispielsweise die Biyomaal als exponierter Dir- Clan in Südsomalia manchmal in dieser Rolle. Generell gerät eine Einzelperson immer dann in die Rolle der Minderheit, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Die Position als „Gast" ist schwächer als jene des „Gastgebers“. Im System von „hosts and guests“ sind Personen, die sich außerhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. In Mogadischu gelten etwa Angehörige der Isaaq, Rahanweyn und Darod als „Gäste“. Dieses System gilt auch für IDPs (SEM 31.5.2017, Sitzung 11f/32f).

Diskriminierung: In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus. Diskriminierung erfolgt etwa auch beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Gerichtsverfahren (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36). Angehörige eines (Sub-)Clans können in von einem anderen (Sub-)Clan dominierten Gebiete auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser (AA 18.4.2021, Sitzung 12). In Mogadischu ist es im allgemeinen schwierig, Menschen die dort aufgewachsen sind, nach Clans zu differenzieren. Es gibt keine äußerlichen Unterschiede, auch der Akzent ist der gleiche. Selbst anhand von Namen lassen sich die Menschen nicht einmal ethnisch zuordnen, davor allem arabische Namen verwendet werden (UNFPA/DIS 25.6.2020).

Ashraf und Sheikhal werden als religiöse Clans bezeichnet. Die Ashraf beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter des Propheten; die Sheikhal aus einem vererbten religiösen Status. Beide Clans werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Die Sheikhal sind außerdem eng mit dem Clan der Hawiye/Hirab assoziiert und nehmen sogar einige Sitze der Hawiye im somalischen Parlament ein. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil-Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool (EASO 8.2014, Sitzung Sitzung 46f/103).

Für eine Person ohne Clanidentität ist gesellschaftlicher Schutz nicht vorhanden. Dies führt nicht automatisch zu Misshandlung, fördert aber die Vulnerabilität. Sollte eine Person ohne Clanidentität und ohne Ressourcen zurückkehren, wird es im gegenwärtigen somalischen Kontext für diese physisch und wirtschaftlich sehr schwierig, zu überleben (ACCORD 29.5.2019, Sitzung 2f). Allerdings gibt es laut Experten bis auf sehr wenige Waisenkinder in Somalia niemanden, der nicht weiß, woher er oder sie abstammt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 37/39f).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer-innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (29.5.2019): Anfragebeantwortung a-11008 (Auskunftsperson: Lidwien Kapteijns)

•             EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/public/COI-Report-Somalia.pdf, Zugriff 2.2.2021

•             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender /afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020

•             UNFPA/DIS - UN Population Fund / Danish Immigration Service (Dänemark) (25.6.2020): Skype-Interview des DIS mit UNFPA, in: DIS (11.2020): Somalia - Health System, S.79-84, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landenotater/COI_report_somalia_health_c are_nov_2020.pdf?la=en-GB&hash=3F6C5E28C30AF49C2A5183D32E1B68E3B A52E60C , Zugriff 7.12.2020

USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

Subjekte gezielter Attentate durch al Shabaab und andere terroristische Gruppen

Letzte Änderung: 21.10.2021

Folgende Personengruppen sind bezüglich eines gezielten Attentats durch al Shabaab einem erhöhten Risiko ausgesetzt:

•             Angehörige der AMISOM (USDOS 12.5.2021, Sitzung 1; vergleiche BS 2020, Sitzung 34, FIS 7.8.2020, Sitzung 8);

•             nationale und regionale Behördenvertreter und -Mitarbeiter (HRW 14.1.2020; vergleiche USDOS

12.5.2021, S. 1, BS 2020, Sitzung 34);

•             Angehörige der Sicherheitskräfte (USDOS 12.5.2021, Sitzung 1; vergleiche HRW 14.1.2020, BS 2020, Sitzung 14, FIS 7.8.2020, Sitzung 8);

•             Regierungsangehörige, Parlamentarier und Offizielle (UNSC 1.11.2019, Sitzung 5; vergleiche US- DOS 12.5.2021, Sitzung 1, BS 2020, Sitzung 34, FIS 7.8.2020, Sitzung 8); al Shabaab greift z.B. gezielt Örtlichkeiten an, wo sich die politische Elite trifft (BS 2020, Sitzung 14).

•             mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 13; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 8);

•             Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 13; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 8);

•             Wirtschaftstreibende (FIS 7.8.2020, Sitzung 8; vergleiche LIFOS 3.7.2019, Sitzung 23f); diese werden unter gewissen Umständen zum Ziel. Dies hängt von ihrem Status ab, und von der Frage, ob sie von al Shabaab geforderte Schutzgeldabgaben entrichten. Verweigert ein Wirtschaftstreibender eine Schutzgeldzahlung, wird er und/oder sein Betrieb zum Angriffsziel (NLMBZ 3.2020, Sitzung 47; vergleiche BS 2020, Sitzung 7, HI 10.2020, Sitzung 4ff). Ein Risiko besteht auch für Unternehmer, die für die Regierung tätig sind (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 24);

•             Älteste und Gemeindeführer (USDOS 30.3.2021, Sitzung 13; vergleiche HRW 14.1.2020, FIS 7.8.2020, Sitzung 8);

•             Wahldelegierte und deren Angehörige bzw. Personen, die am letzten Wahlprozess mitgewirkt haben (UNSC 1.11.2019, Sitzung 5; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 13, HRW 14.1.2020, BS 2020, Sitzung 21); dabei hat al Shabaab die Delegierten vor die Wahl gestellt, entweder zu ihnen zu kommen und sich zu entschuldigen, oder aber einem Todesurteil zu unterliegen. Die große Mehrheit entschuldigte sich (Mohamed 17.8.2019).

•             Angehörige diplomatischer Missionen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 13);

•             prominente und Menschenrechts- und Friedensaktivisten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 13; vergleiche BS 2020, Sitzung 34);

•             religiöse Führer (FIS 7.8.2020, Sitzung 8);

•             Journalisten (BS 2020, Sitzung 34) und Mitarbeiter von Medien (USDOS 30.3.2021, Sitzung 40);

•             Telekommunikationsarbeiter (USDOS 30.3.2021, Sitzung 40);

•             mutmaßliche Kollaborateure und Spione (USDOS 30.3.2021, Sitzung 13);

•             Deserteure (FIS 7.8.2020, Sitzung 8);

•             (vermeintliche) Angehörige oder Sympathisanten des IS (AA 18.4.2021, Sitzung 14); den IS hat al Shabaab als Seuche bezeichnet, welche ausgerottet werden müsse (JF 14.1.2020).

Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie keine Steuern an al Shabaab abführen (BFA 8.2017, Sitzung 34; vergleiche HI 10.2020). Gemäß einer Studie richteten sich Angriffe von al Shabaab im Zeitraum 2006-2017 zu 36,6 % gegen Personen des somalischen Staates (darunter die Sicherheitskräfte), zu 24,5 % Institutionen der internationalen Gemeinschaft (darunter AMISOM) und zu 32,4 % gegen Gebäude, die von erst- und zweitgenannten Zielen frequentiert werden (NLMBZ 3.2019, Sitzung 12).

Kollaboration: In von al Shabaab kontrollierten Gebieten gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden (AA 18.4.2021, Sitzung 18). Dort werden Unterstützer der staatlichen Strukturen oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen als militärisches Ziel definiert und entsprechend zur Ermordung freigegeben (AA 18.4.2021, Sitzung 10). Menschen werden wegen angeblicher Spionage exekutiert (USDOS 12.5.2021, Sitzung 1/6). Im Zeitraum Feber-Mai 2021 betraf dies insgesamt zwölf Männer (UNSC 19.5.2021, Absatz 46,). Al Shabaab exekutiert vor allem jene, welche der Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung oder ausländischen Kräften bezichtigt werden (HRW 14.1.2020). Im Zeitraum Mai-Juli 2021 wurden von al Shabaab 19 Zivilisten öffentlich hingerichtet - 18 davon wegen vorgeblicher Spionage und eine Person wegen Mordes (UNSC 10.8.2021, Absatz 42,). Die Schwelle dessen, was al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, ist mitunter sehr niedrig angesetzt (BFA 8.2017, Sitzung 40f). So wurden etwa im Feber 2021 in Mogadischu drei Frauen erschossen, die im Verteidigungsministerium als Reinigungskräfte gearbeitet hatten (Sahan 15.2.2021a). Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechselt, kann auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration wahrgenommen werden (BFA 8.2017, Sitzung 40ff). So wurden etwa Anfang Juli 2021 fünf Zivilisten im Gebiet Jowhar von al Shabaab entführt, weil sie Soldaten der Armee mit Erfrischungen bewirtet bzw. mit ihnen gehandelt hatten. Mehrere Häuser und Fahrzeuge wurden angezündet (AMISOM 2.7.2021). Generell sind aber das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt. Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen: a) die Kollaboration ist offensichtlich; b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu; c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen; d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat (BFA 8.2017, Sitzung 40ff).

Auf der anderen Seite kollaborieren viele Menschen mit al Shabaab. Verwaltungsstrukturen und Sicherheitskräfte sind unterwandert. Eine derartige Kollaboration kann aus finanziellen oder ideologischen Gründen erfolgen, oft aber auch aus Angst. Es scheint wenig ratsam, ein „Angebot“ der al Shabaab abzulehnen (BMLV 25.2.2021).

Kapazitäten: Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, auf Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie direkt Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 23). Al Shabaab verfügt über die Kapazitäten, menschliche Ziele - auch in Mogadischu - aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Personen al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clandynamiken. Die Gruppe ist bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen. Zusätzlich möchte al Shabaab mit jedem begangenen Anschlag und mit jedem verübten Attentat auch ein entsprechendes Publikum erreichen (BFA 8.2017, Sitzung 35f).

Insgesamt muss hinzugefügt werden, dass al Shabaab nicht für alle an den o.g. Personengruppen begangenen Morde die Verantwortung übernimmt (HRW 14.1.2020). Es muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde politisch motiviert oder einfach Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 26).

Al Shabaab greift Zivilisten, die nicht in eine der weiter oben genannten Kategorien fallen, nicht spezifisch an. Für diese besteht das größte Risiko darin, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (NLMBZ 3.2020, Sitzung 17; vergleiche LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25; FIS 7.8.2020, Sitzung 24ff) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 24). So greift al Shabaab etwa Cafes, Restaurants oder Hotels an, die von Behördenvertretern, Politikern oder Sicherheitskräften frequentiert werden. Zwar richten sich diese Angriffe also gegen Personengruppen, die von al Shabaab als Feinde erachtet werden, doch kommen dabei auch Zivilisten zu Schaden, welche sich am oder in der Nähe des Ziels aufhalten. Nach einem Anschlag im Dezember 2019 hat sich al Shabaab sogar dafür entschuldigt, dass derart viele Zivilisten ums Leben gekommen sind (FIS 7.8.2020, Sitzung 25). Nach anderen Angaben ist es zwar Zufall, wer konkret einem Anschlag zum Opfer fällt; aber al Shabaab greift wahllos und doch gezielt Zivilisten an. Die Intention ist, der Bevölkerung vor Augen zu führen, dass die Regierung sie nicht beschützen kann (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 10ff).

Dies führt Zivilisten in eine Art endemisch-alltägliche Unsicherheit in allen Lebensbereichen - und das, obwohl die Wahrscheinlichkeit, von einem Anschlag getroffen zu werden, relativ gering ist (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 27).

Ausweichmöglichkeiten: Aufgrund der überregionalen Aktivitäten und der Vernetzung des Amniyad [Nachrichtendienst der al Shabaab] sind - vor allem prominente - Zielpersonen auch bei einer innerstaatlichen Flucht gefährdet (BFA8.2017, Sitzung 36). NachAngaben eines Journalisten wiederum kann sich ein Mensch in Mogadischu vor al Shabaab verstecken (AI 13.2.2020, A. 36).

Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen (BFA 8.2017, Sitzung 47f).

Der sogenannte Islamische Staat (IS) operiert nahezu ausschließlich in Puntland [siehe dazu Kapitel Sicherheitslage] (JF 14.1.2020). Die Hauptziele des IS in Puntland sind Regierungsangestellte und Politiker, Soldaten, Mitarbeiter des Nachrichtendienstes, Polizisten und Angehörige von al Shabaab (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 35).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer-innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             AI - Amnesty International (13.2.2020): „We live in perpetual fear": Violations and Abuses of Freedom of Expression in Somalia [AFR 52/1442/2020], https://www.ecoi.net/en/file/! ocal/2024685/AFR5214422020ENGLISH.PDF , Zugriff 25.2.2020

•             AMISOM (2.7.2021): Morning Headlines - Newsletter per E-Mail, Überschrift: Al-Shabaab Targets Locals For Welcoming And Feeding SNA, Originallink auf Somali: https://www.ca asimada.net/al-shabaab-oo-beegsaday-shacab-caano-iyo-biyo-ku-soo-dhoweeyey-ciida nka-df/

•             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1 502195321_ffm-report-somalia-sicherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf, Zugriff

3.12.2020

•             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Fi nding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae 973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645 , Zugriff 17.3.2021

•             HI - Hiraal Institute (10.2020): A Losing Game: Countering Al-Shabab’s Financial System, https://hiraalinstitute.org/wp-content/uploads/2020/10/A-Losing-Game.pdf , Zugriff

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•             HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020

•             JF - Jamestown Foundation (14.1.2020): Islamic State’s Mixed Fortunes Become Visible in Somalia, Terrorism Monitor Volume: 18 Issue: 1, https://jamestown.org/program/islami c-states-mixed-fortunes-become-visible-in-somalia/, Zugriff 3.2.2021

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2015777/190827400.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia, https://www.hiiraan.com/op4/2019/aug/165221/the_recent_a l_shabab_resurgence_policy_options_for_somalia.aspx , Zugriff 2.2.2021

•             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2020): Algemeen Ambtsbe- richt Somalie, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029776/Algemeen+Ambtsbericht+Som alie+maart+2020.pdf, Zugriff 18.12.2020

•             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin

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•             Sahan - Sahan / Keydmedia (15.2.2021a): The Somali Wire Issue No. 82, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.keydmedia.net/news/meydadka-3-ruux-oo-lasoo-dh igay-muqdisho

•             UNSC - UN Security Council (10.8.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2021/723], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058501/S_2021_723_E.pdf, Zugriff 27.8.2021

•             UNSC - UN Security Council (19.5.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2021/485], https://www.ecoi.net/en/file/local/2052226/S_2021_485_E.pdf, Zugriff 21.6.2021

•             UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https: //www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf, Zugriff 22.1.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Reli- gious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/05/240282-SO MALIA-2020-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 21.6.2021

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

Risiko in Zusammenhang mit Schutzgelderpressungen („Steuern“)

Letzte Änderung: 21.10.2021

In den Gebieten von al Shabaab wird alles und jeder besteuert (HI 10.2020, Sitzung 2f; vergleiche BBC 18.1.2021). In umstrittenen Gebieten findet sich kaum jemand, der eine Schutzgeldforderung der al Shabaab nicht befolgt. Und selbst in Städten wie Mogadischu und sogar in Bossaso (Puntland) zahlen nahezu alle Wirtschaftstreibenden Steuern an al Shabaab; denn überall dort sind Straforgane der Gruppe aktiv (HI 10.2020, Sitzung 2f).

Al Shabaab hebt insgesamt soviel „Steuern" ein wie die Bundesregierung - oder sogar noch mehr. Dabei agiert die Gruppe wie ein verbrecherisches Syndikat bzw. wie eine mafiose Organisation (HIPS 4.2021, Sitzung 5; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 18; HI 10.2020, Sitzung 5). Ziel ist es, aus kriminellen Aktivitäten Gewinn zu lukrieren. Dabei dient die Religion nur als Deckmantel (FIS 7.8.2020, Sitzung 18). Dafür hat al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia ein komplexes System der Schutzgelderpressung etabliert. Landwirtschaftliche Produkte (UNSC 1.11.2019, Sitzung 13) sowie Güter und auch manche Dienstleistungen werden sowohl in den eigenen Gebieten als auch in jenen der Regierung „besteuert" (HIPS 2020, Sitzung 13). Sogar Bundesbedienstete - darunter hochrangige Angehörige der Armee - führen Schutzgeld oder „Einkommenssteuer" an al Shabaab ab. Dieser Faktor belegt aber auch den Pragmatismus von al Shabaab als mafiose Organisation, wo Geld vor Ideologie gereiht wird (HI 10.2020, Sitzung 6f).

Konservativen Schätzungen zufolge lukriert al Shabaab alleine an monatlichen Abgaben 15 Millionen US-Dollar - davon die Hälfte in Mogadischu (HI 10.2020, Sitzung 5). Generell werden alle Wirtschaftstätigkeiten in Mogadischu von der Gruppe mit Schutzgeld belegt (FIS 7.8.2020, Sitzung 13). Wirtschaftstreibende werden angerufen und bedroht. Diese zahlen Schutzgeld (WP 31.8.2019), denn die Regierung ist nicht in der Lage, sie vor Schutzgelderpressung zu schützen (HI 10.2020, Sitzung 9). Dabei verlangt al Shabaab von Wirtschaftstreibenden zunehmend höhere Steuern (HI 10.2020, Sitzung 1).Alle großen Unternehmen im südlichen Somalia zahlen diese jährliche Steuer. Nur sehr kleine Betriebe oder Straßenhändler müssen den Zakat nicht abführen. Dahingegen werden auch zahlreiche andere Bereiche besteuert - etwa die Nutzung von Bewässerungsanlagen durch Bauern (HI 10.2020, Sitzung 3). Steuern werden auch auf landwirtschaftliche Produkte und Vieh eingehoben. Zusätzlich kommt es auch zu allgemeinen Geldforderungen (infaaq). Am meisten Geld verdient al Shabaab aber mit der Besteuerung von Fahrzeugen, die Güter durch das Gebiet der Gruppe transportieren. Auch am Bakara-Markt (VOA 3.12.2018), für Importe am Hafen von Mogadischu (UNSC 1.11.2019, Sitzung 13; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 13) sowie am Immobilienmarkt hebt al Shabaab Steuern ein (HI 10.2020, Sitzung 4). Selbst das Personal internationaler Organisationen zahlt Steuern bzw. Schutzgeld an al Shabaab, um in Ruhe gelassen zu werden (BFA 8.2017, Sitzung 33).

Kommt es zu einem Anschlag auf ein Hotel, dann steht für al Shabaab eine Strafaktion für ausständige Steuerzahlungen im Vordergrund. Allfällig anwesende Regierungsvertreter oder Staatsbedienstete sind hierbei nur nebenrangige Ziele (BMLV 25.2.2021). Jene, die sich weigern an al Shabaab Abgaben abzuführen, werden bestraft und ihr Leben bedroht. Vorerst werden dabei hohe Strafzahlungen ausgesprochen oder aber der Zugang zu Märkten wird blockiert,

dann folgen auch Todesdrohungen. Zur tatsächlichen Exekution kommt es aber nur in Extremfällen (HI 10.2020, Sitzung 4ff). Manche Personen müssen ihre Firma schließen, ihre Kontaktdaten ändern oder aus dem Land fliehen. Nur jene können den Druck ertragen und einer Besteuerung entgehen, welche sich außerhalb der Reichweite von al Shabaab befinden (HI 10.2020, Sitzung 4ff). Jene, welche Abgaben an al Shabaab abführen, können ungestört leben (HI 10.2020, Sitzung 4ff). Kaum jemand bezahlt die Abgaben freiwillig, das Antriebsmittel dafür ist die Angst (HI 10.2020, Sitzung 1).

Auch der sog. Islamische Staat fordert „Steuern" - v.a. von Wirtschaftstreibenden in städtischen Gebieten. Jene, die sich der Zahlung einer „Steuer" widersetzen, müssen mit Gewalt rechnen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 15). Dies gilt jedenfalls für Unternehmen in Puntland - etwa in Bossaso und Galkacyo (UNSC 1.11.2019, Sitzung 19).

Quellen:

•             BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc. com/news/world-africa-55677077 , Zugriff 3.2.2021

•             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1 502195321_ffm-report-somalia-sicherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf, Zugriff

3.12.2020

•             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/SomaliaTFact-Fi nding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae 973a0/Somalia+Fact-FindingTMissionTtoTMogadishuTinTMarchT2020.pdf?t=16022 25617645 , Zugriff 17.3.2021

•             HI - Hiraal Institute (10.2020): A Losing Game: Countering Al-Shabab’s Financial System, https://hiraalinstitute.org/wp-content/uploads/2020/10/A-Losing-Game.pdf , Zugriff

30.10.2020

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (4.2021): Structural Impediments To Revi- ving Somalia’s Security Forces, https://heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2021/04 /Structural-Impediments-to-Security-English-version-April-17-Final-.pdf, Zugriff 26.7.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2020): State of Somalia Report 2019, Year in Review, http://www.heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2020/01/HIPS_2020-S0S- 2019-Report-English-Version.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https: //www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf, Zugriff 22.1.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/S0MALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REP0RT.pdf, Zugriff 6.4.2021

•             VOA-Voice of America/Harun Maruf (3.12.2018): In Somalia, Businesses Face ,Taxation‘ by Militants, https://www.voanews.com/a/in-somalia-businesses-face-taxation-by-militan ts/4684759.html , Zugriff 2.2.2021

• WP - The Washington Post (31.8.2019): ‘If römisch eins don’t pay, they kill me’: Al-Shabab tightens grip on Somalia with growing tax racket, https://www.washingtonpost.com/world/africa/if-i -dont-pay-they-kill-me-al-shabab-tightens-its-grip-on-somalia-with-growing-tax-racket/20 19/08/30/81472b38-beac-11e9-a8b0-7ed8a0d5dc5d_story.html , Zugriff 2.2.2021

Bewegungsfreiheit und Relokation Süd /Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 08.07.2021

Gesetze schützen das Recht auf Bewegungsfreiheit im Land und das Recht zur Ausreise. Diese Rechte sind in einigen Landesteilen eingeschränkt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 20) - v.a. durch Checkpoints und Straßenblockaden der jeweiligen Machthaber in bestimmten Gebieten aber auch durch Kampfhandlungen. IDPs sind in den Lagern in und um Mogadischu teils strikten Beschränkungen bezüglich ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen. Davon abgesehen sind keine Einschränkungen für bestimmte Gruppen bekannt (ÖB 3.2020, Sitzung 9f).

Überlandreisen: Reisende sind durch die zahlreichen, von unterschiedlichen Gruppen betriebenen Straßensperren, an welchen Wegzoll erpresst wird, einer Gefahr ausgesetzt (FH 3.3.2021a, G1; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 20). Neben den Straßensperren kann auch das Aufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen ein Risiko darstellen (LI 28.6.2019, Sitzung 8; vergleiche FH 3.3.2021a, G1). Generell werden Überlandreisen als riskant und teuer erachtet. Die Hauptstraßen Süd/Zentralsomalias werden nur teilweise von AMISOM und der Armee kontrolliert, weswegen AMISOM und die Armee aufgrund des Risikos Truppen und Versorgungsgüter oft auf dem Luftweg transportieren (NLMBZ 3.2020, Sitzung 33). Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle führt al Shabaab eine Blockade durch und greift Zivilisten an, welche die Blockade durchbrochen haben (HRW 13.1.2021).

Trotzdem bereisen Zivilisten und Wirtschaftstreibende tagtäglich die Überlandverbindungen (LI 28.6.2019, Sitzung 4/9). Nach anderen Angaben sind die Möglichkeiten für Überlandreisen von Mogadischu in Richtung Baidoa, Kismayo oder Belet Weyne stark eingeschränkt. Weniger weit entfernte Ziele - etwa Afgooye - sind demnach aber auf der Straße erreichbar. Allerdings finden sich auch an dieser Route Straßensperren unterschiedlicher Akteure. An der Straße nach Merka verwendet al Shabaab mobile Kontrollen. Generell werden Überlandreisen in Süd-/Zen- tralsomalia als nicht wirklich sicher erachtet. Al Shabaab ist in der Lage, alle Straßen, die nach Mogadischu führen, zu kontrollieren. Auch andere Akteure können Reisenden unterschiedlichste Probleme verursachen. Daher gibt es auch nur wenig Verkehr (FIS 7.8.2020, Sitzung 27f).

Die Menschen reisen nicht uninformiert. Reisende und Fahrer versuchen ihre Reise nach neuesten sicherheitsrelevanten Informationen zu adaptieren (LI 28.6.2019, Sitzung 4/9). Überlandreisen werden bevorzugt mit Minibussen (9-Sitzer), auf Lastwägen oder aber zu Fuß unternommen. Es ist einfach, sich in Mogadischu eine solche Fahrt zu organisieren. Straßenzustand und Sicherheitsüberlegungen können den Zugang zu einzelnen Destinationen fallweise verunmöglichen. Generell können Menschen aber jedes Ziel in Süd-/Zentralsomalia erreichen. Um in kleinere Dörfer zu gelangen, muss meist in der nächstgelegenen Bezirkshauptstadt umgestiegen werden (LI 28.6.2019, Sitzung 7).

Die Straße zwischen Mogadischu und Jowharwird fallweise blockiert. Anfang 2021 konnten dort LKW über fast zwei Wochen nicht verkehren (Sahan 1.3.2021b). Die Sicherheitslage entlang der Straße Jowhar - Buulo Barde - Belet Weyne ist grundsätzlich für den Personenverkehr und Warentransport geöffnet. Die Straße unterliegt allerdings noch immer einer erheblichen Bedrohung durch al Shabaab, wenn auch die Frequenz der Überfälle entlang dieser Verbindungslinie merklich abgenommen hat (BMLV 2.3.2021). Allerdings beklagten sich Bewohner im März 2021, dass Buulo Barde von al Shabaab abgeriegelt worden ist (Sahan 2.3.2021b). Der Verkehr entlang der Route Belet Weyne - Garoowe ist von al Shabaab unbeeinträchtigt (BMLV 2.3.2021). Nur punktuell konnte al Shabaab in Galmudug an die Hauptverbindungsroute vordringen (PGN 2.2021, Sitzung 12). An den Straßenverbindungen in der Region Lower Juba kann es zu Übergriffen durch al Shabaab kommen. Dies gilt auch in der Region Gedo für die Verbindungen südlich von Garbahaarey. Dahingegen kommt es im Gebiet zwischen Doolow und Luuq nur selten zu Zwischenfällen (BMLV 2.3.2021). Allerdings hat al Shabaab offenbar mehrere Straßen in der Region unter Blockade gesetzt (Sahan 10.3.2021b). In Bakool befinden sich die Verbindungsstraßen zwischen Waajid, Yeed und Ceel Barde einigermaßen unter Kontrolle. Die Verbindungen von und nach Xudur unterliegen wiederkehrenden Angriffen von al Shabaab (BMLV 2.3.2021), Xudur ist von al Shabaab eingekreist (PGN 2.2021, Sitzung 12). In Bay bzw. Lower Shabelle kann es an der Route von Baidoa nach Mogadischu zu Übergriffen durch unterschiedliche Akteure kommen. Al Shabaab hat Zugriff auf die gesamte Straße, sie kontrolliert die Verbindung von Baidoa nach Buur Hakaba und weiter nach Bali Doogle. Rund um Baidoa betreibt die Gruppe Straßensperren (BMLV 2.3.2021).

In Hiiraan kommt es an der Straße von Belet Weyne in Richtung Dhusamareb mitunter zu Clanauseinandersetzungen (RE 18.2.2021).

Straßensperren: In ganz Süd-/Zentralsomalia gibt es Straßensperren (Checkpoints), an welchen Fahrzeuge aufgehalten und Personen kontrolliert werden. Prinzipiell geht es an einer Straßensperre um die Einhebung von Wegzoll (LI 28.6.2019, Sitzung 8), wobei die Höhe des Zolls mitunter willkürlich ist. Es gibt permanente und ad hoc Straßensperren, betrieben von Sicherheitskräften, al Shabaab oder Clanmilizen (LI 28.6.2019, Sitzung 8; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 20f).

In Mogadischu gibt es mehrere Hundert permanente oder mobile Kontrollpunkte, dadurch wird die Bewegungsfreiheit eingeschränkt (FIS 7.8.2020, Sitzung 21ff). Zeitweise sperren Sicherheitskräfte ganze Straßenzüge, wodurch die Bewegungsfreiheit für Menschen und Waren erheblich behindert wird (HIPS 2020, Sitzung 2). Insgesamt können sich Menschen in Mogadischu aber unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit frei bewegen und sich niederlassen (FIS 7.8.2020, Sitzung 39).

Frauen: Es ist nicht ungewöhnlich, alleine reisende ältere Frauen anzutreffen. Dahingegen wird vermieden, jüngere Frauen ohne Begleitung auf Reisen zu schicken - v.a. aufgrund der Gefahr sexueller Gewalt (LI 28.6.2019, Sitzung 11f). Bezüglich dieser besteht für Frauen an Straßensperren ein erhöhtes Risiko (FIS 7.8.2020, Sitzung 23).

Straßensperren von al Shabaab: Al Shabaab kontrolliert Versorgungsrouten zwischen Städten (BS 2020, Sitzung 6). Außerhalb der tatsächlich von der Regierung und ihren Alliierten kontrollierten Gebieten besteht eine große Wahrscheinlichkeit, auf eine Straßensperre von al Shabaab zu stoßen (LI 28.6.23019, Sitzung 4/10). Doch auch an anderen wichtigen Straßenverbindungen betreibt al Shabaab Checkpoints (NLMBZ 3.2020, Sitzung 33).

Generell ist es weder Ziel von al Shabaab, Menschen am Reisen zu hindern, noch sind Reisende selbst ein Ziel. Straßensperren zielen in erster Linie auf die Einhebung von Steuern ab und in zweiter Linie darauf, Spione zu identifizieren. Menschen können z. B. aus den Gebieten von al Shabaab in Städte reisen, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen (LI 28.6.2019, Sitzung 9f). Allerdings verhält sich al Shabaab an Straßensperren unberechenbar. Menschen können nie voraussehen, wie sie dort behandelt werden. Gebühren werden eingehoben, die Identität aller Reisenden wird verifiziert. Al Shabaab kennt den Hintergrund vieler Menschen, ihr Nachrichtendienst ist effizient (FIS 7.8.2020, Sitzung 28). Wenn also eine Person in eine solche Kontrolle gerät, und über diese Person im Rahmen der ausführlichen Netzwerke der al Shabaab eine Meldung vorliegt, dass diese Person z.B. vor ein paar Monaten negativ aufgefallen ist, dann kann dies zu Repressalien führen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 40).

Angst vor al Shabaab müssen in erster Linie jene Reisenden haben, die tatsächlich Verbindungen zur Regierung haben, oder aber die diesbezüglich verdächtigt werden (LI 28.6.2019, Sitzung 9f; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 28). Sie befinden sich in Lebensgefahr. Dies gilt insbesondere an Straßensperren in jenen Gebieten, die nicht vollständig unter Kontrolle von al Shabaab stehen. Dort dürfen Spione standrechtlich - ohne Verfahren - exekutiert werden. In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab werden Verdächtige i.d.R. verhaftet und vor Gericht gestellt. Auch dies hat - bei einem Schuldspruch - den Tod zur Folge. Außerdem kann es Personen treffen, die von al Shabaab - etwa wegen des Mitführens von bestimmten Objekten (Smartphones, Regierungsdokumente, Symbole, die mit der Regierung assoziiert werden etc.) - als mit der Regierung in Zusammenhang stehend oder als Spione verdächtigt werden (LI 28.6.2019, Sitzung 9f). Auch Reisende, die im Gebiet der Reisebewegung weder über Familien- noch Clanverbindungen verfügen, können von al Shabaab unter Umständen als Spione verdächtigt werden (außer sie haben einen Bürgen). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Reiseziel der Person im von der al Shabaab kontrollierten Gebiet liegt (LI 28.6.2019, Sitzung 4/11).

Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit al Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor - etwa Auspeitschen (LI 28.6.2019, Sitzung 11). Reisende passen sich daher üblicherweise den Kleidungs- und Verhaltensvorschriften von al Shabaab an, um nicht herauszustechen (LI 28.6.2019, Sitzung 4).

Ausweichmöglichkeiten und Binnenmigration: Innerstaatliche Fluchtalternativen bestehen jedenfalls für einen Teil der somalischen Bevölkerung (ÖB 3.2020, Sitzung 12). Im Fall einer nicht durch individuelle Verfolgung begründeten Flucht aus von al Shabaab kontrollierten Gebieten bieten urbane Zentren und ländliche Gebiete unter staatlicher Kontrolle relativ größere Sicherheit. Dabei ist es schwierig, relativ sichere Zufluchtsgebiete pauschal festzulegen, denn je nach Ausweichgrund und persönlichen Umständen ist eine Person möglicherweise in einem anderen Gebiet Somalias dann von anderen Menschenrechtsverletzungen oder Verletzungen des humanitären Völkerrechts bedroht (AA 18.4.2021, Sitzung 18).

Menschen aus Süd-/Zentralsomalia können sich auch in Somaliland und Puntland ansiedeln. Dort werden sie jedoch nur „halb" akzeptiert, in Somaliland kommen ihnen keine Staatsbürgerrechte zu (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25f). Trotzdem herrscht in Somaliland und Puntland (außer in den umstrittenen Gebieten) mehr Freiheit (AA 18.4.2021, Sitzung 18). Üblicherweise genießen Somalis außerdem den Schutz ihres eigenen Clans, weshalb man davon ausgehen kann, dass sie in Gebieten, in denen ihr Clan Einfluss genießt, grundsätzlich in Sicherheit sind (ÖB 3.2020, Sitzung 12). Selbst IDPs tun sich bei einer Integration leichter, wenn sie z.B. in Mogadischu über Beziehungen und Clanverbindungen verfügen. Manchmal helfen bei einer Integration auch spezielle berufliche Fähigkeiten (FIS 7.8.2020, Sitzung 36). Zudem gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. In Mogadischu und anderen großen Städten ist es nicht automatisch nachvollziehbar, welchem Clan eine Person angehört (LI 4.4.2016, Sitzung 9). Dort leben Angehörige aller somalischen Clans, sie können sich dort frei bewegen und auch niederlassen (FIS 7.8.2020, Sitzung 39). Einschränkungen ergeben sich durch Sicherheitsmaßnahmen (z.B. Checkpoints), die teilweise wichtige Straßenzüge für den zivilen Verkehr nicht passierbar machen. Die Dauer dieser Auswirkungen ist unterschiedlich: von mehreren Stunden bis zu mehreren Tagen (BMLV 2.3.2021).

Generell hat die Binnenmigration seit 2012 stark zugenommen, v.a. der Zuzug in urbane Gebiete. Menschen erhoffen sich in der Stadt eine bessere Zukunft und bessere Lebensbedingungen als etwa auf dem Land, wo wiederkehrende Dürren und Überschwemmungen ein nomadisches oder landwirtschaftliches Leben schwer gemacht haben (FIS 7.8.2020, Sitzung 36; vergleiche ACCORD 31.5.2021, S.16/24).

Luftweg: Die sicherste Arte des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen (FIS 7.8.2020, Sitzung 29; vergleiche LI 28.6.2019, Sitzung 6f). Von Mogadischu aus können Baidoa, Kismayo, Garoowe, Galkacyo, Bossaso, Hargeysa, Dhobley und Doolow mit Linienflügen erreicht werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 29). Die Kosten für ein One-Way-Ticket im Binnenflugverkehr belaufen sich auf 100-150 US-Dollar (FIS 7.8.2020, Sitzung 29; vergleiche LI 28.6.2019, Sitzung 6f).

Eine effektive Ausreisekontrolle an den Grenzübergängen von Somalia in die Nachbarländer findet nicht statt. Sowohl die Landgrenze als auch die Seegrenze werden weitgehend nicht überwacht. Kontrollen werden dagegen bei Flugreisen ab Mogadischu, Garoowe und Bossaso durchgeführt (AA 18.4.2021, Sitzung 25).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer-innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (2.3.2021): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation

•             FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 - Somalia, https://freedo mhouse.org/country/somalia/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Fi nding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae 973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645 , Zugriff 17.3.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2020): State of Somalia Report 2019, Year in Review, http://www.heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2020/01/HIPS_2020-S0S- 2019-Report-English-Version.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Somalia, https://www.ecoi .net/en/document/2043509.html , Zugriff 28.1.2021

•             LI - Landinfo [Norwegen] (28.6.2019): Somalia: Praktiske og sikkerhetsmessige forhold pä reise i S0r-Somalia, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2019/06/Somalia-temanot at-Praktiske-og-sikkerhetsmessige-forhold-pa-reise-i-Sor-Somalia-28062019.pdf, Zugriff 18.12.2020

•             LI - Landinfo [Norwegen] (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/ 03/Report-Somalia-Practical-issues-and-security-challenges-associated-with-travels-in- Southern-Somalia-4-April-2016.pdf, Zugriff 18.12.2020

•             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2020): Algemeen Ambtsbe- richt Somalie, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029776/Algemeen+Ambtsbericht+Som alie+maart+2020.pdf, Zugriff 18.12.2020

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96BT2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             PGN - Political Geography Now (2.2021): Somalia Control Map & Timeline - February 2021, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/20 21/02/somalia-control-map-2021.html

•             RE - Radio Ergo (18.2.2021): Conflict along Hiran-Galmudug road affects jobs and local markets, https://radioergo.org/en/2021/02/18/conflict-along-hiran-galmudug-road-affects-j obs-and-local-markets/, Zugriff 23.2.2021

•             Sahan - Sahan / Radio Dalsan (10.3.2021b): The Somali Wire Issue No. 99, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.radiodalsan.com/howlgal-lagu-furayo-waddooyin-ay -xireen-al-shaabab-oo-lagu-dhawaaqay/

•             Sahan - Sahan / Gedo Times (2.3.2021b): The Somali Wire No. 93, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.gedotimes.com/2021/03/01/sawirobulshada-buulo-barde-oo-ka- cabanaya-godoon-ay-galiyeen-alshabaab/

•             Sahan - Sahan / Badweyn Times (1.3.2021b): The Somali Wire No. 92, per e-Mail, Originallink auf Somalia: https://badweyntimes.net/sawirro-gaadiid-uu-fasaxay-al-shabaab-oo- gudaha-u-galay-jowhar-ujeedka/

USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

Es gibt in Somalia kein Personenstandsverzeichnis (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 7). Die verlässliche Feststellung von Identitäten erfolgt oft nur durch den Ältestenrat eines Dorfes oder durch Verwandte bzw. Bekannte (ÖB 3.2020, Sitzung 4). Auch an somalischen Botschaften wird die Identität — etwa bei Beantragung eines Reisepasses - über Angaben zu Sprachkenntnis, ethnische und Clanzugehörigkeit verifiziert (NLMBZ 3.2020, Sitzung 35). Generell kommt es bei der Registrierung - etwa im Rahmen der Ausstellung von Dokumenten - zu Korruption (BS 2020, Sitzung 17).

Die meisten nach 1991 in Somalia geborenen Personen wurden nie offiziell registriert (ÖB 3.2020, Sitzung 4), und auch jetzt werden Geburten in Puntland und Süd- und Zentralsomalia nur in sehr geringem Ausmaß behördlich registriert (USDOS 30.3.2021, Sitzung 33). Es besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige in Süd- und Zentralsomalia und Puntland zu erhalten. Zustellungen sind nicht möglich (AA 18.4.2021, Sitzung 25).

Die Übergangsverfassung sieht vor, dass es hinsichtlich der Definition wie jemand an die somalische Staatsbürgerschaft gelangt, wie er diese aussetzt oder verliert, ein Gesetz geben soll. Allerdings wurde ein solches Gesetz noch nicht geschaffen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 33; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 5). Die somalische Staatsbürgerschaft wird prinzipiell mit der Geburt erlangt, wenn der Vater Somali ist (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 11). Es gilt also weiterhin, dass jeder Abkomme eines männlichen Somali somalischer Staatsbürger ist. Kinder somalischer Mütter können die Staatsbürgerschaft nach zwei Jahren erhalten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 33). Als Somali wird hier definiert, wer durch Herkunft, Sprache oder Tradition zur somalischen Nation gehört (BS 2020, Sitzung 9). Somalische Behörden betrachten demnach auch Somali, die eigentlich kenianische oder äthiopische Staatsbürger sind, als somalische Staatsbürger. Ein großer Teil der Parlamentsabgeordneten sind Doppelstaatsbürger (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 10f) - Doppelstaatsbürgerschaften werden also de facto akzeptiert. Während die provisorische Verfassung aus dem Jahr 2012 diese Auffassung unterstützt, sprechen nach wie vor bestehende Gesetze dagegen (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 10f; vergleiche NLMBZ 3.2020, Sitzung 36).

Somalia erachtet natürlich auch alle in Somaliland lebenden Somali als somalische Staatsbürger, während Somaliland sie als somaliländische Staatsbürger erachtet (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 11f).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medbor- garskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.p df, Zugriff 17.3.2021 NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2020): Algemeen Ambtsbe- richt Somalie, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029776/Algemeen+Ambtsbericht+Soma- lie+maart+2020.pdf, Zugriff 18.12.2020 ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021 USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 21.10.2021

Die somalische Regierung arbeitet mit dem UNHCR und IOM zusammen, um Flüchtlinge, zurückkehrende Flüchtlinge, Asylwerber, Staatenlose und andere relevante Personengruppen zu unterstützen. Der UNHCR setzt sich für den Schutz von IDPs ein und gewährt etwas an finanzieller Unterstützung (USDOS 30.3.2021, Sitzung 21f)

IDP-Zahlen: Schon vor dem Jahr 2016 gab es - v.a. in Süd-/Zentralsomalia - mehr als 1,1 Millionen IDPs. Viele davon waren im Zuge der Hungersnot 2011 geflüchtet und danach nicht mehr in ihre Heimat zurückgekehrt. Weitere 1,6 Millionen sind ab 2016 hinzugekommen, auch sie sind in erster Linie wegen der Dürre geflohen (OXFAM 6.2018, Sitzung 5). Die Gesamtzahl an IDPs belief sich 2020 auf rund 2,7 Millionen Menschen, die Zahl an im Jahr 2020 neu Vertriebenen betrug mehr als 893.000 Personen. Die meisten davon waren wegen Überflutungen vertrieben worden (716.000) (USDOS 30.3.2021, Sitzung 21; vergleiche IPC 3.2021, Sitzung 3). Im Zeitraum Juli-Dezember 2020 betrug der Anteil jener, die wegen eines Mangels an Lebensgrundlage oder wegen Unsicherheit und Konflikt vertrieben wurden, jeweils 14 % (IPC 3.2021, Sitzung 3). Im ersten Halbjahr 2021 sind 359.000 Menschen durch Unsicherheit vertrieben worden (Vergleichszeitraum 2020: 134.000); durch Dürre 68.000 (45.000); durch Überflutungen 56.500 (453.200) (UNHCR 14.7.2021). Von Überflutungen waren v.a. Jowhar und Belet Weyne betroffen. 207.000 der im Jahr 2021 durch Unsicherheit Vertriebenen flohen temporär aus und innerhalb von Mogadischu, als es dort im April 2021 zu Zusammenstößen in Zusammenhang mit den Wahlen gekommen war (UNSC10.8.2021, Absatz 51 f, f,). Rund 1,7 der 2,7 Millionen IDPs sind Kinder (USDOS 30.3.2021, Sitzung 34).

Es gibt ca. 2.300 IDP-Lager und -Siedlungen (UNSC 13.11.2020, Absatz 52,), nach anderen Angaben sogar knapp 3.000 (UNOCHA 1.2021, Sitzung 4). Alleine aus Baidoa werden 483 IDP-Ansied- lungen berichtet (UNOCHA 31.3.2020, Sitzung 3). Die Migration vom Land in die Stadt hat zu einem ernormen und unregulierten Städtewachstum geführt. Hinsichtlich der IDP-Zahlen müssen zwei Faktoren berücksichtigt werden: Einerseits gibt es für Somalia keine Zahlen zur „normalen" Urbanisierung. Andererseits werden in der Regel nur jene IDPs gezählt, die in Lagern wohnen. Mitglieder großer Clans kommen aber üblicherweise bei Verwandten unter und leben daher nicht in Lagern (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 16/26f).

Zwangsräumungen, die IDPs und die arme Stadtbevölkerung betrafen, bleiben ein großes Problem. Im Jahr 2020 waren davon 150.000 Menschen betroffen, zwei Drittel davon im Großraum Mogadischu und außerdem v.a. auch in Baidoa und Kismayo (AA 18.4.2021, Sitzung 21). Bewohner von Lagern leben daher in ständiger Ungewissheit, da sie immer eine Zwangsräumung befürchten müssen (FIS 7.8.2020, Sitzung 37). Die Mehrheit der IDPs zog in der Folge in entlegene und unsichere Außenbezirke der Städte, wo es lediglich eine rudimentäre bzw. gar keine soziale Grundversorgung gibt (AA 18.4.2021, Sitzung 21).

Organisationen wie IOM versuchen, durch eine Umsiedlung von IDPs auf vorbereitete Grundstücke einer Zwangsräumung zuvorzukommen. So wurden z.B. in Baidoa 2019 1.000 IDP-Haus- halte aus 15 Lagern auf mit der Stadtverwaltung abgestimmte Grundstücke umgesiedelt (IOM 25.6.2019; vergleiche RD 27.6.2019). Dort wurden zuvor Latrinen, Wasserversorgung, Straßenbeleuchtung und andere Infrastruktur installiert. Auch zwei Polizeistationen wurden gebaut. Den IDPs wurden außerdem Gutscheine für Baumaterial zur Verfügung gestellt (IOM 25.6.2019. Auch die UN versuchen, Land für IDPs zu pachten (UNSC 13.11.2020, Absatz 52,). Generell befinden sich derartige Relocation Areas am Stadtrand oder sogar weit außerhalb der jeweiligen Stadt. Allerdings bieten diese Lager wesentlich bessere Unterkünfte - etwa Häuser aus Wellblech oder sogar Stein (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 21).

Rechtliche Lage: Ende 2019 hat die Bundesregierung die Konvention der Afrikanischen Union zum Schutz von IDPs ratifiziert. Die Regionalverwaltung von Benadir (BAR) hat ein Büro für nachhaltige Lösungen für IDPs geschaffen. Auch eine nationale IDP-Policy wurde angenommen. Im Jänner 2020 präsentierte die BAR eine Strategie für nachhaltige Lösungen (UNOCHA

6.2.2020, S. 4; vergleiche RI 12.2019, Sitzung 11f). Auch auf Bundesebene wurde ein Rahmen für nachhaltige Lösungen geschaffen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 22). Diesbezüglich wurden nationale Richtlinien zur Räumung von IDP-Lagern erlassen. Insgesamt sind dies wichtige Schritte, um die Rechte von IDPs zu schützen und nachhaltige Lösungen zu ermöglichen (RI 12.2019, Sitzung 4).

Menschenrechte: IDPs sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nichtstaatlichen - aber auch staatlichen - Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkung und Diskriminierung aufgrund von Clanzugehörigkeit sind an der Tagesordnung (AA 18.4.2021, Sitzung 21); es kommt auch zu Vertreibungen und sexueller Gewalt (HRW 14.1.2020). Dies trifft in erster Linie Bewohner von IDP- Lagern - in Mogadischu v.a. jene IDPs, die nicht über Clanbeziehungen in der Stadt verfügen (FIS 7.8.2020, Sitzung 36). Weibliche und minderjährige IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 22; vergleiche HRW 14.1.2020; AA 18.4.2021, Sitzung 15). Zu den Tätern gehören bewaffnete Männer und Zivilisten (HRW 14.1.2020). Für IDPs in Lagern gibt es keinen Rechtsschutz, und es gibt in Lagern auch keine Polizisten, die man im Notfall alarmieren könnte (FIS 7.8.2020, Sitzung 36).

Versorgung: In Mogadischu sind die Bedingungen für IDPs in Lagern hart. Oft fehlt es dort an simplen Notwendigkeiten, wie etwa Toiletten (FIS 7.8.2020, Sitzung 36). Landesweit fehlen in 80 % der IDP-Lager Wasserstellen - v.a. in Benadir, dem SWS und Jubaland (UNOCHA 1.2021, Sitzung 5). Die Rate an Unterernährung ist hoch, der Zugang zu grundlegenden Diensten eingeschränkt (RI 12.2019, Sitzung 9). Es mangelt ihnen zumeist an Zugang zu genügend Lebensmitteln und akzeptablen Unterkünften (ÖB 3.2020, Sitzung 12). Allerdings ist der Zustand von IDP-Lagern unterschiedlich. Während die neueren meist absolut rudimentär sind, verfügen ältere Lager üblicherweise über grundlegende Sanitär-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen (FIS 7.8.2020. Sitzung 36). Oft wurde dort auch eine Nachbarschaftshilfe aufgebaut (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Trotzdem werden noch weniger Kinder von IDPs eingeschult, als es schon bei anderen Kindern der Fall ist (USDOS 30.3.2021, Sitzung 33f).

Unterstützung: Die EU unterstützte über das Programm RE-INTEG Rückkehrer, IDPs und Aufnahmegemeinden. Dafür wurden 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt [siehe dazu Kapitel Rückkehrspezifische Grundversorgung] (EC o.D.). Damit wurde unter anderem für 7.000 Familien aus 54 IDP-Lagern in Baidoa Land beschafft, welches diesen permanent als Eigentum erhalten bleibt, und auf welchem sie siedeln können. Insgesamt hat die EU mit ähnlichen Programmen bisher 60.000 Menschen helfen können (EC 13.7.2019). Die Weltbank stellt für fünf Jahre insgesamt 112 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Mit diesem Geld soll die städtische Infrastruktur verbessert werden, wovon sowohl autochthone Stadtbewohner als auch IDPs profitieren sollen (RI 12.2019, Sitzung 18f). Andere Programme für nachhaltige Lösungen werden von UN-HABITAT, dem Norwegian Refugee Council und der EU finanziert oder geführt (RI 12.2019, Sitzung 9). UNSOM hat mit der somalischen Regierung ein Drei-Jahres-Programm begonnen, das ausschließlich auf IDPs abzielt. Mit diesem Programm namens Saameynta sollen für IDPs in Baidoa, Bossaso und Belet Weyne dauerhafte Lösungen gefunden und geschaffen werden. 100.000 IDPs sollen ordentlich angesiedelt und mit sozialen Diensten und Arbeitsmöglichkeiten versehen werden (UNSOM 31.1.2021). Im März 2021 konnte IOM knapp 7.000 IDPs aus Baidoa in das IDP-Lager Barwaaqo übersiedeln, wo schon 2019 mehr als 6.000 IDPs angesiedelt worden waren. Das Land für dieses Lager wurde von der Lokalverwaltung zur Verfügung gestellt. In Barwaaqo bekommen Familien ein Stück Land, auf dem eine Unterkunft errichtet und ein Garten betrieben werden kann. Die Familien erhalten zudem finanzielle Unterstützung. Zwei Jahre nach der Umsiedlung erhalten die Familien dann auch Rechtsanspruch auf den von ihnen genutzten Grund (IOM 9.3.2021a).

Die Situation von IDPs in Puntland wird von NGOs als durchaus positiv beschrieben, sie können z. B. geregelter Tätigkeit nachgehen (ÖB 3.2020, Sitzung 12). Es gibt Anzeichen dafür, dass in Puntland aufhältige IDPs aus anderen Teilen Somalias dort permanent bleiben können und dieselben Rechte genießen, wie die ursprünglichen Einwohner (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 9).

Flüchtlinge: Somalia ist ein äußerst unattraktives Zufluchtsland für Asylsuchende. Die Zahl ausländischer Flüchtlinge wird als sehr gering eingeschätzt und beschränkte sich in der Vergangenheit im Wesentlichen auf ethnische Somali aus dem äthiopischen Somali Regional State. Die Zahl an Asylsuchenden aus dem Jemen und aus Syrien hat zugenommen. Auch aus dem äthiopischen Tigray kommen Flüchtlinge. Insgesamt handelt es sich um etwa 24.000 Menschen, sie halten sich v.a. in Somaliland und Puntland auf (AA 18.4.2021, Sitzung 21). Asylwerbern aus dem Jemen wird prima facie der Asylstatus zuerkannt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 22). Der UNHCR betreibt ein Unterstützungs- und Integrationsprogramm zur möglichst schnellen Eingliederung von Flüchtlingen in das öffentliche Leben (AA 18.4.2021, Sitzung 21).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer-innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             EC - European Commission (13.7.2019): 7,000 Displaced Families in Baidoa Have A New Home, https://reliefweb.int/report/somalia/7000-displaced-families-baidoa-have-new-hom e , Zugriff 29.1.2021

•             EC - European Commission (o.D.): EU Emergency Trust Fund for Africa - RE-INTEG, https://ec.europa.eu/trustfundforafrica/region/horn-africa/somalia/re-integ-enhancing-so malias-responsiveness-management-and-reintegration_en , Zugriff 29.1.2021

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Fi nding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae 973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645 , Zugriff 17.3.2021

•             HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020

•             IOM - Internationale Organisation für Migration (9.3.2021a): IOM Somalia Relocates Nearly

7,0         Internally Displaced Persons Facing Eviction, https://www.iom.int/news/iom-somal ia-relocates-nearly-7000-internally-displaced-persons-facing-eviction , Zugriff 11.3.2021

•             IOM - Internationale Organisation für Migration (25.6.2019): In Somalia, IOM Begins Relo- cating Families at Risk of Eviction, https://www.iom.int/news/somalia-iom-begins-relocati ng-families-risk-eviction , Zugriff 29.1.2021

•             IPC - Integrated Food Security Phase (3.2021): Somalia - IPC Acute Food Insecurity and Acute Malnutrition Analysis January-June 2021, https://reliefweb.int/report/somalia/som alia-ipc-acute-food-insecurity-and-acute-malnutrition-analysis-january-june , Zugriff 9.3.2021

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medbor- garskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.p df, Zugriff 17.3.2021

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             OXFAM / REACH (6.2018): Drought, Displacement and Livelihoods in Somalia/Somaliland. Time for gender-sensitive and protection-focused approaches, http://regionaldss.org/wp-c ontent/uploads/2018/07/bn-somalia-somaliland-drought-displacement-protection-280618- en-002.pdf, Zugriff 26.1.2021

•             RD - Radio Dalsan (27.6.2019): UN relocates 3,900 IDPs to new sites in Somalia, https: //www.radiodalsan.com/en/2019/06/27/un-relocates-3900-idps-to-new-sites-in-somalia/, Zugriff 29.1.2021

•             RI - Refugees International (12.2019): Durable Solutions in Somalia, Moving from Policies to Practice for IDPs in Mogadishu, https://static1.squarespace.com/static/506c8ea1e4b01 d9450dd53f5/t/5dfa4e11ba6ef66e21fbfd17/1576685091236/Mark+-+Somalia+-+2.0.pdf , Zugriff 28.1.2021

•             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (14.7.2021): Somalia - Internal Displacements Monitored by Protection & Return Monitoring Network (PRMN) - June 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2056012/UNHCR_Somalia_PRMN_InternalDisplacem ents_June_2021.pdf, Zugriff 20.7.2021

•             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (1.2021): Somalia Hu- manitarian Bulletin, January 2021, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-humanitar ian-bulletin-january-2021-enso , Zugriff 9.3.2021

•             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.3.2020): Somalia Humanitarian Bulletin, 1-31 March 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027648/Mar ch+2020+Humanitarian+Bulletin-Final+%281%29.pdf, Zugriff 8.4.2020

•             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (6.2.2020): Somalia Humanitarian Bulletin, 1 January-6 February 2020, https://www.ecoi.net/en/file/localZ2 024797/January+2020+Humanitarian+Bulletin+eo+rev+M.pdf, Zugriff 20.2.2020

•             UNSC - UN Security Council (10.8.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2021/723], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058501/S_2021_723_E.pdf, Zugriff 27.8.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary- General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (31.1.2021): On visit to Baidoa, Humanitarian Coordinator Highlights Needs for ‘Long-term Durable Solutions’ for Internally Displaced Persons, https://unsom.unmissions.org/visit-baidoa-humanitarian-coordinat or-highlights-needs-%E2%80%98long-term-durable-solutions%E2%80%99-internally , Zugriff 3.3.2021

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

Grundversorgung/Wirtschaf Süd-/Zentralsomalia, Puntland Wirtschaft und Arbeit

Letzte Änderung: 21.10.2021

Die somalische Wirtschaft hat mit dem dreifachen Schock aus Covid-19, einer Heuschreckenplage und Überschwemmungen zu kämpfen. Dabei hat sich die Wirtschaft als resilienter erwiesen, als zuvor vermutet: Ursprünglich war für 2020 ein Rückgang des BIP um 2,5 % prognostiziert worden (UNSC 13.11.2020, Absatz 17,), tatsächlich sind es dann nur minus 0,4 % geworden (UN- SC 10.8.2021, Absatz 17,). Für 2021 wird ein Wachstum von 2,4 %, für 2022 eines von 3,2 % prognostiziert (WB 6.2021, Sitzung 20). wiederaufzubauen (ÖB 3.2020, Sitzung 20).

Allerdings war das Wirtschaftswachstum schon in besseren Jahren für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern hätte können (UNSC 21.12.2018, Sitzung 4), die Bevölkerung wuchs schneller als das BIP. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt 500 US-Dollar (BS 2020, Sitzung 30). Zusätzlich bleibt die somalische Wirtschaft im Allgemeinen weiterhin fragil. Dies hängt mit der schmalen Wirtschaftsbasis zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist von Landwirtschaft und Fischerei abhängig und dadurch externen und Umwelteinflüssen besonders ausgesetzt (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Die Viehwirtschaft macht rund 60 % des BIP und 80 % der Exporte aus (BS 2020, Sitzung 25/30). Die Exporte - vor allem von Vieh - sind im ersten Halbjahr 2020 um 22 % zurückgegangen (UNSC 13.11.2020, Absatz 17 ;, vergleiche UNSC 10.8.2021, Absatz 17,). Dadurch stieg das Außenhandelsdefizit (UNSC 10.8.2021, Absatz 17,). Das BIP/Kopf ist 2020 mit 302 US-Dollar fast auf den Stand von 2013 gesunken (WB 6.2021, Sitzung 2). Außerdem behindern al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure kommerzielle Aktivitäten in Bakool, Bay, Gedo und Hiiraan und unterbinden die Leistung humanitärer Hilfe (USDOS 30.3.2021, Sitzung 21). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft schwierig bis unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB 3.2020, Sitzung 2/15) bzw. sind vertrauenswürdige Daten kaum vorhanden (BS 2020, Sitzung 30).

Staatshaushalt: Die Regierung ist stark abhängig von externer Hilfe. Ein Großteil der Regierungsausgaben wird durch externe Akteure bezahlt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29; vergleiche BS 2020, Sitzung 39). Alleine die offizielle Entwicklungshilfe betrug 2017 1,75 Milliarden US-Dollar - 26 % des BIP (BS 2020, Sitzung 39). Aufgrund der fehlenden Kontrolle über das Territorium - aber auch hinsichtlich technischer Fähigkeiten - war die Regierung bisher nicht in der Lage, ein nationales Steuersystem aufzubauen. Selbst für grundlegende Staatsausgaben ist das Land auf externe Geber angewiesen (BS 2020, Sitzung 36). Die eigenen Einnahmen betrugen 2016 nur rd. 113 Millionen US- Dollar (BS 2020, Sitzung 27). Im Jahr 2021 sollen sie bereits 260 Millionen US-Dollar betragen. Der große Rest des Budgets entstammt bi- und multilateralen Quellen (SPA 18.3.2021). Aufgrund der Streitigkeiten um die Wahlen im Frühjahr 2021 hat die EU ihre finanzielle Unterstützung zurückbehalten. Dies hinterlässt im Budget ein großes Loch, viele Beamte können nicht bezahlt werden (Sahan 16.4.2021a). Zudem gingen im ersten Quartal 2021 - aufgrund der politischen Streitigkeiten und einer neuen Covid-19-Welle - die Steuereinnahmen um 13 % zurück (WB 6.2021, Sitzung 19).

Das Staatsbudget 2021 beträgt 671 Millionen US-Dollar und hat sich damit seit 2019 (344 Millionen) fast verdoppelt. Ca. 164 Millionen US-Dollar sind für Verteidigung und Sicherheit vorgesehen (SPA 18.3.2021). Nach anderen Angaben entfallen darauf ca. 36 % der Staatsausgaben (HIPS 2020, Sitzung 11) bzw. in den Jahren 2017 bis 2021 durchschnittlich 31 % (AI 18.8.2021, Sitzung 19). Von den Bundesstaaten gelingt es neben Puntland nur Jubaland ein relevantes Maß an Einnahmen selbst zu generieren (WB 6.2021, Sitzung 16).

•             Im Jahr 2020 wurde in Somalia ein Meilenstein erreicht. Endlich kann das Land wieder an internationalen Finanzinstitutionen partizipieren. Im März 2020 erklärte die Afrikanische Entwicklungsbank nach einer Einzahlung durch die EU und das Vereinigte Königreich, dass alle Schulden und Rückstände Somalias beglichen sind. Die Weltbank, der IMF und die Afrikanische Entwicklungsbank haben alle Zahlungsrückstände und Darlehen bereinigt und ihre Beziehungen mit Somalia nach 30 Jahren normalisiert. Ende März bewilligte der Internationale Währungsfonds einen

•             Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Entwicklung ist und bleibt die Diaspora - etwa durch Investitionen (v. a. in Mogadischu und anderen Städten) (BS 2018, Sitzung 5/28; vergleiche UNSC 17.2.2021, Absatz 19,). Remissen stabilisieren auch weiterhin Haushalte und Betriebe (UNSC 13.11.2020, Abs.

17). Diese Rückflüsse sind 2020 im Vergleich zu 2019 noch einmal gestiegen (UNSC 17.2.2021, Absatz 19 ;, vergleiche WB 6.2021, Sitzung 11f), nach Angaben einer anderen Quelle sind sie aufgrund der Pandemie zurückgegangen (IPC 3.2021, Sitzung 2). Neben der Diaspora (VICE 1.3.2020) sind auch zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) tatkräftig dabei, das Land wiederaufzubauen (ÖB 3.2020, Sitzung 20).

Allerdings war das Wirtschaftswachstum schon in besseren Jahren für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern hätte können (UNSC 21.12.2018, Sitzung 4), die Bevölkerung wuchs schneller als das BIP. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt 500 US-Dollar (BS 2020, Sitzung 30). Zusätzlich bleibt die somalische Wirtschaft im Allgemeinen weiterhin fragil. Dies hängt mit der schmalen Wirtschaftsbasis zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist von Landwirtschaft und Fischerei abhängig und dadurch externen und Umwelteinflüssen besonders ausgesetzt (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Die Viehwirtschaft macht rund 60 % des BIP und 80 % der Exporte aus (BS 2020, Sitzung 25/30). Die Exporte - vor allem von Vieh - sind im ersten Halbjahr 2020 um 22 % zurückgegangen (UNSC 13.11.2020, Absatz 17 ;, vergleiche UNSC 10.8.2021, Absatz 17,). Dadurch stieg das Außenhandelsdefizit (UNSC 10.8.2021, Absatz 17,). Das BIP/Kopf ist 2020 mit 302 US-Dollar fast auf den Stand von 2013 gesunken (WB 6.2021, Sitzung 2). Außerdem behindern al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure kommerzielle Aktivitäten in Bakool, Bay, Gedo und Hiiraan und unterbinden die Leistung humanitärer Hilfe (USDOS 30.3.2021, Sitzung 21). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft schwierig bis unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB 3.2020, Sitzung 2/15) bzw. sind vertrauenswürdige Daten kaum vorhanden (BS 2020, Sitzung 30).

Staatshaushalt: Die Regierung ist stark abhängig von externer Hilfe. Ein Großteil der Regierungsausgaben wird durch externe Akteure bezahlt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29; vergleiche BS 2020, Sitzung 39). Alleine die offizielle Entwicklungshilfe betrug 2017 1,75 Milliarden US-Dollar - 26 % des BIP (BS 2020, Sitzung 39). Aufgrund der fehlenden Kontrolle über das Territorium - aber auch hinsichtlich technischer Fähigkeiten - war die Regierung bisher nicht in der Lage, ein nationales Steuersystem aufzubauen. Selbst für grundlegende Staatsausgaben ist das Land auf externe Geber angewiesen (BS 2020, Sitzung 36). Die eigenen Einnahmen betrugen 2016 nur rd. 113 Millionen US- Dollar (BS 2020, Sitzung 27). Im Jahr 2021 sollen sie bereits 260 Millionen US-Dollar betragen. Der große Rest des Budgets entstammt bi- und multilateralen Quellen (SPA 18.3.2021). Aufgrund der Streitigkeiten um die Wahlen im Frühjahr 2021 hat die EU ihre finanzielle Unterstützung zurückbehalten. Dies hinterlässt im Budget ein großes Loch, viele Beamte können nicht bezahlt werden (Sahan 16.4.2021a). Zudem gingen im ersten Quartal 2021 - aufgrund der politischen Streitigkeiten und einer neuen Covid-19-Welle - die Steuereinnahmen um 13 % zurück (WB 6.2021, Sitzung 19).

Das Staatsbudget 2021 beträgt 671 Millionen US-Dollar und hat sich damit seit 2019 (344 Millionen) fast verdoppelt. Ca. 164 Millionen US-Dollar sind für Verteidigung und Sicherheit vorgesehen (SPA 18.3.2021). Nach anderen Angaben entfallen darauf ca. 36 % der Staatsausgaben (HIPS 2020, Sitzung 11) bzw. in den Jahren 2017 bis 2021 durchschnittlich 31 % (AI 18.8.2021, Sitzung 19). Von den Bundesstaaten gelingt es neben Puntland nur Jubaland ein relevantes Maß an Einnahmen selbst zu generieren (WB 6.2021, Sitzung 16).

Im Jahr 2020 wurde in Somalia ein Meilenstein erreicht. Endlich kann das Land wieder an internationalen Finanzinstitutionen partizipieren. Im März 2020 erklärte die Afrikanische Entwicklungsbank nach einer Einzahlung durch die EU und das Vereinigte Königreich, dass alle Schulden und Rückstände Somalias beglichen sind. Die Weltbank, der IMF und die Afrikanische Entwicklungsbank haben alle Zahlungsrückstände und Darlehen bereinigt und ihre Beziehungen mit Somalia nach 30 Jahren normalisiert. Ende März bewilligte der Internationale Währungsfonds einen dreijährigen Kreditplan zur Unterstützung des Nationalen Entwicklungsplans (HIPS 2021, Sitzung 4/23).

Arbeitsmarkt: Es gibt kein nationales Mindesteinkommen. Ca. 95 % der Berufstätigen arbeiten im informellen Sektor (USDOS 30.3.2021, Sitzung 40). In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund sowie vom Ort (Stadt-Land- und Nord-Süd-Gefälle) ab (BS 2020, Sitzung 30). Generell zeigt vor allem die urbane Ökonomie in Somalia - allen voran in Mogadischu - eine Erholung. Es gibt einen Bau-Boom. Supermärkte, Restaurants und Geschäfte werden eröffnet (BS 2020, Sitzung 25). Alleine der Telekom-Konzern Hormuud Telecom hat in den vergangenen Jahren tausende Arbeitsplätze geschaffen und beschäftigt heute mehr als 20.000 Frauen und Männer (RD 14.2.2021). In Puntland und Teilen Südsomalias - insbesondere Mogadischu - boomt der Bildungsbereich (BS 2020, Sitzung 32).

Einerseits wird berichtet, dass die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge und zurückkehrende Flüchtlinge in Süd-/Zentralsomalia limitiert sind. So berichten etwa Personen, die aus Kenia zurückgekehrt sind, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 23). Andererseits wird ebenso berichtet, dass die besten Jobs oft an Angehörige der Diaspora fallen - etwa wegen besserer Sprachkenntnisse (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Am Arbeitsmarkt spielen Clanverbindungen eine Rolle (USDOS 30.3.2021, Sitzung 39). Gerade um eine bessere Arbeit zu erhalten, ist man auf persönliche Beziehungen und das Netzwerk des Clans angewiesen. Dementsprechend schwer tun sich IDPs, wenn sie vor Ort über kein Netzwerk verfügen; meist sind sie ja nicht Mitglieder der lokalen Gemeinde (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen (DI 6.2019, Sitzung 22f; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden (OXFAM 6.2018, Sitzung 10); außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise (DI 6.2019, Sitzung 22f). Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem wird von Ausbeutung und Unterbezahlung berichtet (OXFAM 6.2018, Sitzung 10).

Programme, wie die von der EU finanzierte Dalbile-Youth-Initiative, sollen Abhilfe schaffen. Dieses Programm, in welches sechs Millionen Euro investiert werden, dient der Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit. Junge Menschen werden mit Fähigkeiten und Ressourcen ausgestattet,

Start-ups mit bis zu 2.000 US-Dollar gefördert (UNFPA2.3.2021b). UNFPAund die EU unterstützen in Puntland Start-ups von Jungunternehmern - etwa im Bereich Fischfang, Modedesign oder Hotellerie - mit Ausbildung, Know-how und finanziellen Mitteln. Das Programm läuft jedenfalls bis 2024 (UNSC 10.8.2021, Absatz 35,).

Einkommen: Am Bau kann man beispielsweise als Träger arbeiten. Der Verdienst für eine derartige Tätigkeit beläuft sich auf rund 100 US-Dollar im Monat. Auch am Hafen gibt es Verdienstmöglichkeiten. In der Verwaltung sind nur wenige Stellen verfügbar, besser stellt sich die Situation bei Polizei und Armee dar. Viele Menschen leben vom Kleinhandel oder von ihrer Arbeit in Restaurants oder Teehäusern. Allerdings ist eine Arbeit in der Gastwirtschaft mit niedrigem Ansehen verbunden. Die Mehrheitsbevölkerung ist derartige Tätigkeiten sowie jene auf Baustellen äußerst abgeneigt. Dort finden sich vielmehr marginalisierte Gruppen - z.B. IDPs - die oft auch als Tagelöhner arbeiten. Weibliche IDPs arbeiten als Mägde, Hausangestellte oder Wäscherinnen. Manche verkaufen Früchte auf Märkten. Damit erzielen sie ein Einkommen von 1-2 US-Dollar pro Tag (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Von in der Reintegrationsphase befindlichen ehemaligen Angehörigen der al Shabaab wurden im September 2017 folgende Berufe genannt: Köhler; Hilfsarbeiter am Bau in Dayniile (10 Tage pro Monat; 10 US-Dollar pro Tag); Koranlehrer am Vormittag in Dayniile (120 US-Dollar pro Monat); Rickshaw-Fahrer; Transporteur mit einer Eselkarre (10-12 US-Dollar pro Tag); Transporteur mit einer Scheibtruhe (Khalil 1.2019, Sitzung 30). Ärzte verdienen im Banadir-Hospital 1.500-2.000 US-Dollar, Krankenschwestern 400-600 US-Dollar (FIS 5.10.2018, Sitzung 36); nach anderen Angaben verdienen Krankenschwestern nur 200-300 US-Dollar (AI 18.8.2021, Sitzung 17). Ein angestellter Fahrer, der Güter und Personen von Hiiraan nach Galgaduud befördert, verdient 300 US-Dollar pro Monat, ein anderer, der selbständig Personen transportiert, rechnet auf dieser Strecke pro Fahrt mit einem Verdienst von 75 US-Dollar (RE 18.2.2021). Eine Fleischverkäuferin in Belet Weyne verdient 4-8 US-Dollar am Tag (RE 19.2.2021).

Arbeitslosenquote: Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch (USDOS 30.3.2021, Sitzung 23), wobei es zu konkreten Zahlen unterschiedlichste Angaben gibt: Laut einer Quelle liegt die Erwerbsquote (labour force participation) bei Männern bei 58 %, bei Frauen bei 37 % (UNSC 21.12.2018, Sitzung 4). Eine weitere Quelle erklärt im August 2016, dass 58 % der männlichen Jugendlichen (Altersgruppe 15-35) ökonomisch aktiv sind, während drei von zehn Jugendlichen arbeitslos sind (UNFPA 8.2016, Sitzung 4). In einer anderen Quelle wird die Arbeitslosenrate für 2018 mit 14 % angeführt (BS 2020, Sitzung 23); die Weltbank nennt 2021 eine Rate von 13,4 % (WB 6.2021, Sitzung 29). Eine weitere Quelle nennt bei 15-24-Jährigen eine Quote von 48 % (OXFAM 6.2018, Sitzung 22, FN8) und eine andere Quelle berichtet von einer Arbeitslosenquote von 47,4 % bei der erwerbstätigen Bevölkerung (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Eine aktuellere Quelle erklärt, dass 37,5% der arbeitsfähigen und arbeitssuchenden Frauen arbeitslos sind (SLS 6.4.2021). Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben hingegen nur 14,3 % der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6 %, Kismayo 13 %, Baidoa 24 %) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von „arbeitslos“ unklar ist (z. B. informeller Sektor) (IOM 2.2016).

Die Arbeitslosigkeit - und damit auch die Armut - haben sich infolge der COVID-19-Pandemie verstärkt. 21 % mussten ihre Arbeit niederlegen; und das, obwohl nur 55 % der Bevölkerung überhaupt am Arbeitsmarkt teilnimmt. 78 % der Haushalte berichteten über einen Rückgang des Einkommens (WB 6.2021, Sitzung 23).

[Zur Arbeitsmarktlage in Somalia gibt es kaum aktuelle Informationen.] In einer eingehenden Analyse hat UNFPA im Jahr 2016 Daten zur Ökonomie in der somalischen Gesellschaft erhoben. Dabei wird festgestellt, dass nur knapp die Hälfte der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (15-64) überhaupt am Arbeitsleben teilnimmt. Der Rest ist „ökonomisch inaktiv“; in diese Gruppe fallen in erster Linie Hausfrauen, gefolgt von Schülern/Studenten, pensionierten oder arbeitsunfähigen Personen. Bei den ökonomisch Aktiven wiederum finden sich in allen Lebensbereichen deutlich mehr Männer (UNFPA 2016):

•             Ländlich: 68,8 % der Männer - 40,5 % der Frauen

•             Urban: 52,6 % der Männer - 24,6 % der Frauen

•             IDP-Lager: 55,2 % der Männer - 32,6 % der Frauen

•             Nomaden: 78,9 % der Männer - 55,6 % der Frauen (UNFPA 2016)

Aufgeschlüsselt für Puntland und Süd-/Zentralsomalia ergibt sich aus den UNFPA-Daten, dass dort 44,4 % der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeiten. 11,4 % gelten als Arbeitssuchende. 44,2 % der Bevölkerung sind ökonomisch inaktiv. Als arbeitend werden in der Studie folgende Personen bezeichnet: jene, die in den der Erhebung vorangegangenen zwölf Monaten bezahlter Arbeit nachgegangen sind oder selbstständig waren. Darunter fällt auch unbezahlte (aber produktive) Arbeit in der Familie, bei welcher direkt Einkommen generiert wird (etwa Viehhüten, Arbeit am eigenen Ackerland; Wirtschaftstreibende, Dienstleister im eigenen Betrieb). Als arbeitslos werden jene Personen bezeichnet, die in diesen zwölf Monaten nach Arbeit gesucht haben und bereitsind, eine Arbeit anzunehmen (UNFPA 2016, Sitzung 29). In der gleichen Studie wurde der Status bzgl. Arbeit auch auf Geschlechter heruntergebrochen. Folglich sind in Puntland und Süd-/Zentralsomalia 13,8 % der Männer und 9 % der Frauen im Alter von 15-64 Jahren auf der Arbeitssuche, wohingegen 55,8 % der Männer und 32,9 % der Frauen einer Arbeit nachgehen (UNFPA 2016, Sitzung 31)..Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen in Puntland und Süd-/Zentralsomalia arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (65,6 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (13,5 %) (UNFPA 2016, Sitzung 36f).

Frauen: Der vor allem unter Männern vorherrschende Khat-Konsum, der im langjährigen Konflikt geforderte Blutzoll an der männlichen Bevölkerung und die hohe Scheidungsrate haben dazu geführt, dass Frauen immer mehr in ehemals männlich dominierte Wirtschaftsbereiche vorstoßen - etwa bei der Viehzucht, in der Landwirtschaft und im Handel. Frauen tragen nunmehr oft den Hauptteil zum Familieneinkommen bei (ICG 27.6.2019, Sitzung 10f). Gerade auch die Hungersnot von 2011 und die Dürre 2016/17 haben den Vorstoß von Frauen in männliche Domänen weiter vorangetrieben (DI 6.2019, Sitzung 22). In Süd-/Zentralsomalia und Puntland sind Frauen in 43 % der Haushalte mittlerweile die Hauptverdiener (OXFAM 6.2018, Sitzung 10).

Trotzdem bietet sich für vom Land in Städte ziehende Frauen meist nur eine Tätigkeit als z.B. Wäscherin an, da es diesen Frauen i.d.R. an Bildung und Berufsausbildung mangelt. Allerdings können sie z. B. auch als Kleinhändlerin tätig werden. Sie verkaufen Treibstoff, Milch, Fleisch, Früchte, Gemüse oder Khat auf Märkten oder auf der Straße. 80 % - 90 % des derart betriebenen Handels wird von Frauen kontrolliert. Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft (FIS

5.10.2018, S. 24f), oder sie verkaufen Kleidung und Essen (RE 19.2.2021). Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin (OXFAM 6.2018, Sitzung 10) oder aber auch auf Baustellen (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 10). All diese Tätigkeiten führen Frauen jenseits des ihnen traditionell zugeschriebenen Bereichs des eigenen Haushalts aus (OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Natürlich gibt es für Frauen auch weiterhin kulturelle Einschränkungen bezüglich der Berufsausübung, z. B. können sie nicht Taxifahrer werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f). Sie haben hinsichtlich Einkommensmöglichkeiten eine eingeschränkte Auswahl. Von Frauen abgehaltene Workshops (z.B. Schneiderei-, Henna- und Kochkurse) in Mogadischu tragen zur Verbesserung der Situation bei (DW 11.3.2021). Allerdings ist auch bekannt, dass Frauen eine geringere Aussicht auf eine Vollzeitanstellung haben (SLS 6.4.2021).

Lebensunterhalt: Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, kleine Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar (BS 2020, Sitzung 25). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig (UNOCHA 31.7.2019, Sitzung 2; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1 %). 6,9 % arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8 % als Handwerker, 4,7 % als Techniker, 4,1 % als Hilfsarbeiter und 2,3 % als Manager (UNFPA 2016, Sitzung 22).

Studien darüber, wie Menschen in Mogadischu ihren Lebensunterhalt bestreiten, haben sich auf die am meisten vulnerablen Gruppen der Stadt konzentriert: auf IDPs und Arme (urban poor). Für diese Gruppen ist es charakteristisch, dass sie humanitäre Unterstützung erhalten. Sie stellen etwa 20 % der Bevölkerung von Mogadischu. Diese Gruppen profitieren nur zu einem äußerst geringen Anteil von Remissen (2 % der Befragten; somalische Gesamtbevölkerung: 30 %) (LI 1.4.2016, Sitzung 10). Die Mehrheit der IDPs verdingt sich als Tagelöhner. Aufgrund des Wiederaufbaus der Städte werden viele davon gebraucht. Die begehrtesten Jobs sind jene auf Baustellen, wo der Verdienst höher ist als in anderen Bereichen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Männer arbeiten oft im Transportwesen, am Hafen und als Bauarbeiter; Frauen arbeiten als Hausangestellte. Eine weitere Einkommensquelle dieser Gruppen ist der Kleinhandel - v. a. mit landwirtschaftlichen Produkten. Zusätzlich erhalten sie Nahrungsmittelhilfe und andere Leistungen über wohltätige Organisationen (LI 1.4.2016, Sitzung 10; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Dabei bekommen die Menschen nicht immer einen Job, sie arbeiten z.B. nur 2-3 Tage in der Woche (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Allerdings bieten NGOs und der Privatsektor den Menschen grundlegende Dienste - vor allem in urbanen Zentren (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Zudem haben Menschen in IDP-Lagern - v.a. wenn sie länger dort leben - in der Regel auch eine Nachbarschaftshilfe aufgebaut (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23).

In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60 %) und von Verwandten im Ausland (27 %) versorgt zu werden (IOM 2.2016, Sitzung 42f). Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/32f; vergleiche GIGA 3.7.2018) bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen - z. B. bei Krankenkosten - und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus (GIGA3.7.2018). Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder - je nach Ausmaß-an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 9/32ff). Erweiterte Familie und Clan stellen also das grundlegende soziale Sicherheitsnetz dar (BS 2020, Sitzung 29).

Aufgrund des Fehlens eines formellen Bankensystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debt- credit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clanverbindungen eine wichtige Rolle - und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greißler anschreiben lassen (RVI 9.2018, Sitzung 4). Allerdings ist es 2019 gelungen, die Gargaara Company Ltd. zu etablieren. Über diese Institution werden Kredite an Mikro-, Klein- und mittlere Unternehmen vergeben. Gargaara spielt auch beim Abfedern von Auswirkungen der Covid-19-Pandemie eine Rolle (WB 6.2021, Sitzung 7).

Remissen: Im Jahr 2020 wurden insgesamt 2,8 Milliarden US-Dollar (2019: 2,3 Milliarden) nach Somalia zurück überwiesen. Davon flossen 1,6 Milliarden an Privathaushalte (2019: 1,3 Milliarden) (WB 6.2021, Sitzung 11f). Wie erwähnt, sind für viele Haushalte Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle (FIS 7.8.2020, Sitzung 34). Sie ermöglichen größeren Teilen der Bevölkerung den Lebensuntererhalt - und damit Wasser, Gesundheitsleistungen, Bildung und Strom - zu finanzieren (BS 2020, Sitzung 25). Diese Remissen, die bis zu 40 % eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen also wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei (BS 2020, Sitzung 29) und fördern die Resilienz der Haushalte (DI 6.2019, Sitzung 5). Städtische Haushalte erhalten viel eher regelmäßige monatliche Remissen, dort sind es 72 %. Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Überweisungen beträgt 229 US-Dollar (RVI 9.2018, Sitzung 1f). IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen (DI 6.2019, Sitzung 28). Auch die Bevölkerung in Südsomalia - und hier v. a. im ländlichen Raum - empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist (RVI 9.2018, Sitzung 2). Vorerst wurde geschätzt, dass die Remissen aufgrund der Covid-19-Pandemie 2020 um 17 % zurückgehen würden (UNSC 13.8.2020, Absatz 26,). Schließlich waren sie aber 2020 noch einmal höher als schon 2019 (UNSC 17.2.2021, Absatz 19,).

Mindestens 65 % der Haushalte, welche Remissen beziehen, erhalten diese regelmäßig (monatlich), der Rest erhält sie anlassbezogen oder im Krisenfall. Remissen können folglich Fluktuationen im Einkommen bzw. gestiegene Ausgaben ausgleichen. Dies ist gerade in Zeiten einer humanitären Krise - etwa jener von 2017 - wichtig. Durch Remissen können Haushalte Quantität und Qualität der für den Haushalt besorgten Lebensmittel verbessern, und ein sehr großer Teil der Überweisungen wird auch für Lebensmittel aufgewendet. Zusätzlich wird in Somalia in Zeiten der Krise auch geteilt. Menschen bitten z.B. andere Personen, von welchen sie wissen, dass diese Remissen erhalten, um Hilfe (RVI 9.2018, Sitzung 2f).

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Grundversorgung und humanitäre Lage

Letzte Änderung: 21.10.2021

Die humanitären Bedürfnisse bleiben weiter hoch, angetrieben vom anhaltenden Konflikt, von politischer und wirtschaftlicher Instabilität und regelmäßigen Klimakatastrophen sowie der dreifachen Belastung durch Covid-19, Heuschrecken und Überflutungen (UNSC 13.11.2020, Absatz 50 ;, vergleiche UNSC 17.2.2021, Absatz 54,). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen wie auch Überflutungen, zuletzt auch die Heuschreckenplage, die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zum Land mit dem viertgrößten Bedarf an internationaler Nothilfe weltweit (AA 18.4.2021, Sitzung 4/22). Covid-19 hat die bereits bestehende Krise nur noch verschlimmert. Es fügt sich ein in die Krisen der schlimmsten Heuschreckenplage seit 25 Jahren, schweren Überflutungen mit zeitweise 650.000 Vertriebenen, dem mancherorts andauernden Konflikt und vorangehenden Jahren der Dürre. Insgesamt gelten rund 2,6 Millionen Menschen als im Land vertrieben, 3,5 Millionen können auch nur die grundlegendste Nahrungsversorgung nicht sicherstellen (DEVEX 13.8.2020) und stehen vor akuter Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung (WFP 6.10.2021).

Seit dem Jahr 2000 hat Somalia 19 schwere Überschwemmungen und 17 Dürren durchgemacht. Das ist dreimal so viel wie im Zeitraum 1970-1990. Im Jahr 2017 stand Somalia nach einer schweren Dürre am Rand einer Hungersnot. 2019 gab es nach einer ungewöhnlichen Gu- Regenzeit die schlechteste Ernte seit der Hungersnot im Jahr 2011 (UNSOM 31.1.2021).

Überschwemmungen: Schon im Zuge der überaus positiv ausgefallenen Deyr-Regenzeit (September-Dezember) 2019 kam es in HirShabelle, Jubaland und dem SWS zu Überschwemmungen. Besonders betroffen war Belet Weyne. 570.000 Menschen waren betroffen, 370.000 mussten ihre Häuser verlassen. Humanitäre Organisationen haben mehr als 350.000 Menschen Unterstützung geleistet (UNSC 13.2.2020, Absatz 60 f,). Doch auch die Gu-Regenzeit (April-Juni) 2020 sorgte für Überschwemmungen. Erneut waren in 39 Bezirken 1,3 Millionen Menschen betroffen, ca. 500.000 wurden vertrieben (UNSC 13.8.2020, Absatz 64,). Bei saisonalen Überflutungen im September 2020 wurden erneut 630.000 Menschen vertrieben (UNSC 13.11.2020, Absatz 53,). Dies betraf v. a. die Bezirke Merka, Afgooye, Balcad, Jowhar und Jalalaqsi (PGN 10.2020, Sitzung 9). In der Gu-Regenzeit 2021 trafen Überschwemmungen vor allem die Bezirke Jowhar und Belet Weyne; rund 166.000 Menschen waren betroffen (UNOCHA 26.5.2021). Bei den Überschwemmungen im April-Juni 2020 wurden Felder zerstört (UNSC 13.8.2020, Absatz 64,). Im September 2020 wurden bei Überschwemmungen mehr als 1.320 Quadratkilometer bewirtschaftetes Land verwüstet (UNSC 13.11.2020, Absatz 53,). Insgesamt wurden 2020 alleine im Bundesstaat HirShabelle fast 1.500 Quadratkilometer Ackerland zerstört (HIPS 2021, Sitzung 18).

Im November 2020 hat der Zyklon Gati Puntland getroffen und auch Teile Somalilands erreicht. Dies war der stärkste Zyklon in der Region, seit es Aufzeichnungen gibt. Der Zyklon brachte doppelt so starke Niederschläge wie in einem Jahr durchschnittlich üblich. Dutzende puntländi- sche Ortschaften und auch ein Teil von Bossaso wurden überschwemmt (PGN 2.2021, Sitzung 5f). Infrastruktur, Häuser und 120 Fischerboote wurden beschädigt oder zerstört, 7.500 Stück Vieh getötet (USAID 8.1.2021, Sitzung 2). 120.000 Menschen waren betroffen, 42.000 wurden temporär vertrieben. 78.000 Betroffenen wurde von humanitären Organisationen Hilfe geleistet (UNSC 17.2.2021, Absatz 55,).

Heuschrecken: Im Jahr 2020 war Somalia von der größten Heuschreckenplage seit 25 Jahren betroffen, die Bundesregierung rief den nationalen Notstand aus (BBC 2.2.2020; vergleiche UNSC 13.2.2020, Absatz 65,). Zumindest Anfang 2020 blieben die durch Heuschrecken verursachten Schäden begrenzt und lokal (FSNAU 3.2.2020c). Die damals am meisten betroffenen Gebiete waren Somaliland, Puntland und Galmudug (UNSC 13.2.2020, Absatz 65,). Die Gu-Regenfälle 2020 haben dafür gesorgt, dass die Heuschrecken erneut ideale Brutbedingungen vorfinden. Die FAO und die Regierung hatten vorsorglich 437 Quadratkilometer mit Bio-Pestiziden besprühen lassen (UNSC 13.8.2020, Absatz 65,). Später im Jahr wurden neuerlich 396 Quadratkilometer in Somaliland, Puntland und Galmudug besprüht. Damit wurden rund 90.000 Tonnen Nahrung gesichert. Luft- und Bodenoperationen gegen die Plage werden fortgesetzt (UNSC 13.11.2020, Absatz 55,). Trotzdem hat sich die Plage auch in die zentralen und südlichen Landesteile verbreitet. Insgesamt sind rund 3.000 Quadratkilometer und 700.000 Menschen betroffen. Humanitäre Organisationen unterstützten 25.900 agro-pastorale Haushalte, davon rd. 7.500 mit Geld (UNSC 17.2.2021, Absatz 56,). Vor allem in Puntland und Somaliland wachsen noch Schwärme heran. Klimatische Bedingungen werden aber aller Voraussicht nach dieAusbreitung in landwirtschaftliche Gebiete in Süd-/Zentralsomalia verhindern (FSNAU 17.5.2021, Sitzung 5). Da im Norden Äthiopiens aber derzeit keine Daten erhoben werden und keine Heuschrecken bekämpft werden können, ist unklar, wie sich die Lage bis Ende 2021 weiter entwickeln wird (FAO 27.8.2021).

Regenfälle: Die Deyr-Regenzeit 2020 (Oktober-Dezember) setzte um drei bis vier Wochen zu spät ein. Insgesamt blieb Deyr unterdurchschnittlich - und dies v. a. in den meisten Gebieten Nordsomalias (IPC 3.2021, Sitzung 2). Vor allem die Regionen Sanaag, Bari, Nugaal und Mudug waren von Wassermangel betroffen (FAO 1.3.2021). Nur in Zentralsomalia fiel mehr Regen als üblich (IPC 3.2021, Sitzung 2). Damit herrschte vor den Gu-Regenfällen (April-Juni) in mehr als 80 % des Landes moderate bis schwere Dürre (UNOCHA 17.6.2021; vergleiche FSNAU 17.5.2021, Sitzung 1). Diese wurde von der Bundesregierung am 25.4.2021 schlussendlich auch ausgerufen. Angesichts der globalen La-Nina-Lage wird prognostiziert, dass sich die Situation mittelfristig nicht entspannen wird (UNSC 19.5.2021, Absatz 56 /, 59,). Die Gu-Regenfälle (April-Juni) 2021 verliefen gering, sie endeten bereits sehr früh - nämlich im Mai. Bis zur nächsten Regenzeit im Herbst werden milde bis moderate Dürrebedingungen vorherrschen (UNOCHA 17.6.2021, Sitzung 1). Nach anderen Angaben steht Ostafrika 2021 und 2022 vor einer verheerenden Dürre, die eben durch La Nina ausgelöst wurde (Funk 4.10.2021). In Teilen Jubalands, in den Bezirken Afmadow, Dhobley und Kulbiyow in Lower Juba, herrscht bereits Dürre. Die Regierung von Jubaland hat zu sofortiger Hilfe aufgerufen, um Leben zu retten (GO 6.10.2021).

Ernte: In Südsomalia wird die Ernte nach der Deyr-Regenzeit um 20 % niedriger ausfallen, als üblich. Im Norden viel die Gu/Karan-Ernte im November 2020 um 58% niedriger aus als im langjährigen Durchschnitt. Die Heuschreckenplage hat signifikant zum Ernterückgang beigetragen (IPC 3.2021, Sitzung 2; vergleiche FEWS 4.2.2021). Die Gu-Ernte 2021 lag Schätzungen zufolge um 30-40 % unter dem langjährigen Durchschnitt (UNOCHA 7.2021). Nach anderen Angaben liegt die Ernte in Südsomalia um 60 % unter dem langjährigen Schnitt, in Nordwestsomalia um 63 % (FSNAU 9.9.2021a).

Armut: Rund 77 % der Bevölkerung müssen mit weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag auskommen - insbesondere in ländlichen Gebieten und IDP-Lagern (ÖB 3.2020, Sitzung 14; vergleiche BS 2020, Sitzung 22). Nach anderen Angaben leben 69 % der Bevölkerung in Armut (HIPS 2020, Sitzung 14), nach wieder anderen Angaben sind es 73 %. 43 % werden als extrem arm eingestuft (SIDRA 6.2019a, Sitzung 5). Es gibt viele IDPs und Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 34). Generell sind somalische Haushalte aufgrund von Naturkatastrophen, Epidemien, Verletzung oder Tod für Notsituationen anfällig. Mangelnde Bildung, übermäßige Abhängigkeit von landwirtschaftlichem Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit, geringer Wohlstand und große Haushaltsgrößen tragen weiter dazu bei (ÖB 3.2020, Sitzung 14). 60 % der Somali sind zum größten Teil von der Viehzucht abhängig, 23 % sind Subsistenz-Landwirte (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Zwei Drittel der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Sie sind absolut vom Regen abhängig. In den vergangenen Jahren haben Frequenz und Dauer von Dürren zugenommen. Deswegen wurde auch die Kapazität der Menschen, derartigen Katastrophen zu begegnen, reduziert. Mit jeder Dürre wurden ihre Vermögenswerte reduziert: Tiere starben oder wurden zu niedrigen Preisen verkauft, Ernten blieben aus; es fehlt das Geld, um neues Saatgut anzuschaffen (TG 8.7.2019).

Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot] Die Zahl an Menschen, die in ganz Somalia stark oder sehr stark von Lücken in der Nahrungsmittelversorgung betroffen sind (IPC 3 und höher), ist von 1,3 Millionen Anfang 2020 (FSNAU 3.2.2020c) auf 1,6 Millionen Anfang 2021 angewachsen. Weitere 2,5 Millionen Menschen leiden ebenfalls an Problemen bei der Nahrungsmittelversorgung (IPC 2) (IPC 3.2021, Sitzung 2). Im September 2021 wurden 2,2 Millionen Menschen in IPC 3-4 eingeordnet, weitere 5,6 Millionen in IPC 2; allerdings gilt nun eine neue Annahme von einer Gesamtbevölkerung von 15,7 Millionen Menschen. Die Prognose bis Jahresende besagt, dass sich dann 3,5 Millionen Menschen in IPC 3-4 und weitere 3,7 Millionen in IPC 2 befinden werden (FSNAU 9.9.2021a)…

Hunger ist v.a. bei Nomaden (42 %) und bei ländlichen Haushalten (37 %) prävalent (WB 6.2021, Sitzung 24). Angesichts der IPC-Karten ist die Stadtbevölkerung i.d.R. von IPC 3 oder IPC 4 anteilig weit weniger betroffen als Menschen in ländlichen Gebieten; und letztere sind weit weniger betroffen als IDPs (FSNAU o.D.). Generell finden sich unter IDPs mehr Personen, die unter Mangel- oder Unterernährung leiden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 21). Die Mehrheit der IDPs in städtischen Gebieten sind arm und haben nur eingeschränkte Reserven und Einkommensmöglichkeiten. Sie sind stark von externer humanitärer Hilfe abhängig. Sie, sowie Teile der armen Stadtbevölkerung (urban poor) werden bis Ende 2021 vor moderaten bis großen Lücken bei der Nahrungsmittelversorgung stehen (FEWS 4.2.2021). Dies gilt aber auch für viele Haushalte in vielen nomadischen Gebieten sowie für arme Haushalte in agro-pastoralen Gebieten - etwa an den Flüssen (FSNAU 9.9.2021a).

Eine weitere Kartensammlung, in welcher ausschließlich alarmierende Werte mehrere, für die Nahrungsmittelversorgung relevanter Werte zusammengefasst dargestellt werden, zeigt die Entwicklung der vergangenen Jahre (je dunkler das Rot, desto mehr Alarmwerte wurden überschritten):…

Ca. 838.800 Kinder unter fünf Jahren werden bis Dezember 2021 vor einer Situation der akuten Unter- oder Mangelernährung stehen, 143.200 vor schwerer akuter Unterernährung (FSNAU 9.9.2021a). Nach neueren Angaben ist die Zahl bereits im Juni auf eine Million Kinder angestiegen (UNOCHA 17.6.2021, Sitzung 2). Die Prognose für Juli 2022 geht von ca. 1,2 Millionen unterernährten bzw. 213.400 schwer unterernährten Kindern aus (FSNAU 9.9.2021a). Die Daten unten zeigen, dass IDPs in manchen Städten besonders von Unterernährung betroffen sind, in anderen weniger stark [GAM = akute Unterernährung; SAM = schwere akute Unterernährung]:…

Durchschnittlich befinden sich 11,5% in akuter Unterernährung (2020: 10.9%). Weiterhin bleiben die Zahlen also hoch. Besonders angespannt ist die Situation im Shabelletal bei IDPs in Mogadischu. Prognosen zufolge wird sich die Situation auch in folgenden Gebieten zuspitzen: Baidoa IDPs, Bay Agro-pastoral, Hiiraan, Coastal Deeh Pastoral, Garoowe IDPs, Baidoa urban und Doolow urban (FSNAU 9.9.2021a). Die IPC-Stufen zur Unter- und Mangelernährung für August 2021 und die Prognose bis November 2021…

Humanitäre Hilfe: Monatlich werden durchschnittlich 1,8 Millionen Menschen mit Nahrungsmittelhilfe erreicht; geplant wären 4 Millionen (UNOCHA 7.2021; FSNAU 9.9.2021a). Diese Hilfe verhindert eine stärkere Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung und eine höhere Rate an Unterernährung (FEWS 4.2.2021). Für Mogadischu gibt es ein spezielles Sicherheitsnetz, das von der Regierung gemeinsam mit dem World Food Programme betrieben wird. Dieses erreicht seit Juli 2018 monatlich 125.000 Menschen (IPC 3.2021, Sitzung 3). Dadurch werden 35 US-Dollar pro Monat und Haushalt ausbezahlt (FSNAU 9.9.2021a).

Die humanitäre Unterstützung für Somalia ist eine der am besten finanzierten humanitären Maßnahmen weltweit (RI 12.2019, Sitzung 16). Alleine die USA geben in den Jahren 2020 und 2021 mehr als einen halbe Milliarde US-Dollar dafür aus (USAID 8.1.2021, Sitzung 1). Hilfsprojekte von internationalen Organisationen oder NGOs erreichen in der Regel nicht alle Bedürftigen. Allerdings kann aufgrund großer internationaler humanitärer Kraftanstrengungen und einer zunehmenden Professionalisierung der humanitären Hilfe bei den regelmäßig wiederkehrenden Dürren sowie Überschwemmungen inzwischen weitgehend verhindert werden, dass es zu Hungertoten kommt (AA 18.4.2021, Sitzung 22). Laut UN-Generalsekretär sind die Spitzen bei der Notwendigkeit humanitärer Hilfe in Somalia schon zur Routine geworden (UNSC 13.11.2020, Absatz 96,). In der Regel erreichen humanitäre Organisationen die Menschen. Im November 2020 hatten Organisationen der Nahrungsmittelhilfe beispielsweise die Erreichung von 2,1 Millionen Menschen angestrebt; erreicht wurden schließlich 1,9 Millionen. Aufgrund von Behinderungen beim Zugang zu den Menschen konnten in diesem Monat etwa nur 3 % der Menschen in Middle Shabelle und niemand in Middle Juba erreicht werden. In Benadir konnten - aufgrund von Finanzierungsausfällen - nur 22 % erreicht werden. Im Kampf gegen Unterernährung stoßen die Organisationen auf Probleme bei der Erreichbarkeit von Menschen in Middle Juba, dem Bezirk Tayeeglow (Bakool), Sablaale (Lower Shabelle) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (UNOCHA 27.1.2021, Sitzung 3ff).

Insgesamt nutzen rund 70 % der Bevölkerung mobile Bankdienste, ein Drittel der Menschen haben mobile Konten (BS 2020, Sitzung 26). Aufgrund von Covid-19 hat z.B. die Hilfsorganisation CARE ihre work-for-cash-Programme ausgesetzt. Als Ersatz wird Hilfsbedürftigen das Geld auch ohne Arbeit auf ihr Mobiltelefon überwiesen. 84.000 Menschen nehmen dies in Anspruch. Die Europäische Kommission hat aufgrund der Heuschreckenplage weitere 5,8 Millionen Euro für Geldtransfers an Betroffene zur Verfügung gestellt (DEVEX 13.8.2020).

Folgende Organisationen sind beispielsweise in folgenden Städten in einem oder mehreren der genannten Bereiche tätig:

•             Baidoa (Kinderschutz, Gesundheit, Rückkehr/Unterkunft, Lokalverwaltung, Katastrophenmanagement, Kommunikation): World Vision, Save the Children International, Medecins Sans Frontieres, International Organization for Migration (IOM), IMC Worldwide, Soma- lia’s Ministry of Resettlement, Disaster Management and Disability Affairs, Ministry of Humanitarian Affairs, Ministry of Planning, Baidoa District Administration, Bay Regional Administration, Gargaar Relief and Development Organization (GREDO), Social-life and Agricultural Development Organization (SADO), Radio Baidoa, Baidoa Specialist Hospital;

•             Belet Weyne (Bildung, Schutz, Ernährung und Gesundheit, Nahrungsversorgungssicherheit, humanitäre Hilfe, Geldtransfer-Programme): UNICEF, Danish Refugee Council (DRC), the International Committee of the Red Cross (ICRC), Relief International, World Food Programme (WFP), Merci, World Health Organisation (WHO), UNOCHA, WARDI, Green Hope, Global Guardian Somalia Security Services, Beledweyne Private School;

•             Kismayo (handwerkliche Ausbildung, Unterstützung beim Lebensunterhalt mit Lebensmittelgutscheinen und anderen Aktivitäten, Unterkunft, Bildung): Jubaland Chamber of Commerce & Industry (JCCI), American Refugee Committee (ARC), IOM, CARE, Norwe- gian Refugee Council (NRC), Daallo Airlines, Kismayo University (DI 6.2019, Sitzung 25f);

In Gedo beteiligt sich u.a. auch AMISOM an Hilfsmaßnahmen - etwa durch die Lieferung von Wasser in Tanklastwagen (RD 14.3.2021). Allerdings ist außerhalb urbaner Zentren der Zugang zu manchen Bezirken nur eingeschränkt möglich - v.a. wegen der Unsicherheit entlang von Versorgungsrouten (UNSC 17.2.2021, Absatz 58,). Al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure behindern die Leistung humanitärer Hilfe und die Lieferung von Hilfsgütern an vulnerable Bevölkerungsteile - speziell in Süd-/Zentralsomalia (USDOS 30.3.2021, Sitzung 15; vergleiche UNSC 17.2.2021, Absatz 58,). In Bakool hat sich die humanitäre Lage aufgrund von Unsicherheit, Drohungen und einer Blockade drastisch verschlechtert. Der Zugang für humanitäre Organisationen ist beschränkt (UNOCHA 1.2021, Sitzung 3). Im Kampf gegen Unterernährung stoßen die Organisationen auf Probleme bei der Erreichbarkeit von Menschen in Middle Juba, dem Bezirk Tayeeglow (Bakool), Sablaale (Lower Shabelle) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (UNOCHA 27.1.2021, S.3ff). Zudem kam es alleine im Zeitraum August-November 2020 zu 44 gewaltsamen Zwischenfällen mit Auswirkungen auf humanitäre Organisationen. Dabei kamen zwei Mitarbeiter ums Leben, einer wurde verletzt (UNSC 13.11.2020, Absatz 57,). Rund ein Drittel des Landes ist für humanitäre Kräfte nur schwer erreichbar (UNSC 13.5.2020, Absatz 64,).

Öffentliche Hilfe - Programm „Baxnaano“: Dieses im April 2020 vom Arbeits- und Sozialministerium eingeführte Sozialhilfeprogramm hat dabei geholfen, vulnerable ländliche Haushalte vor dem Fall in die Armut zu bewahren. Über das Programm werden rund 100.000 Haushalte mit Geldtransfers versorgt. Das Baxnaano soll Verluste durch Heuschrecken und Wetterschocks abfedern (WB 6.2021, Sitzung 3/7). Nach jüngeren Angaben versorgte Baxnaano im Zeitraum Jänner-Juni 2021 440.900 Haushalte; es wurden 20 US-Dollar pro Monat ausbezahlt (FSNAU 9.9.2021a). Nach anderen Angaben werden mehr als 1,1 Millionen Menschen - in ländlichen Gebieten, aber auch arme Menschen und IDPs in Städten - über Programme mit vierteljährlichen Geldzahlungen bedacht (WFP 6.10.2021). Der Anteil des Sozialsektors am Staatsbudget soll 2021 auf 34 % anwachsen; der Großteil davon fließt über Baxnaano an arme und vulnerable Haushalte (WB 6.2021, Sitzung 19).

Gesellschaftliche Unterstützung: Insgesamt gibt es aber kein öffentliches Wohlfahrtssystem (BS 2020, Sitzung 29), keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe (AA 18.4.2021, Sitzung 22). Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor (BS 2020, Sitzung 29). Das eigentliche soziale Sicherungsnetz ist die erweiterte Familie, der Subclan oder der Clan. Sie bieten oftmals für Personen, deren Unterhalt und Überleben in Gefahr ist, zumindest einen rudimentären Schutz (AA 18.4.2021, Sitzung 22; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 11f; BS 2020, Sitzung 29). Vorrangig stellen die patrilinearen (väterlichen) Abstammungsgemeinschaft die Solidaritäts- und Schutzgruppe. Aber daneben gibt es auch die Patri-(Vater)-Linie der Mutter und zusätzlich möglicherweise noch angeheiratete Verwandtschaft. Alle drei Linien bilden in der Regel - wie es ein Experte formuliert - „einen ganz beachtlichen Verwandtschaftskosmos“. Und in diesem Netzwerk kann Hilfe und Solidarität gesucht werden, es besteht diesbezüglich eine moralische Pflicht. Allerdings müssen verwandtschaftliche Beziehungen auch gepflegt werden. Entscheidend ist also nicht unbedingt die Quantität an Verwandten, sondern die Qualität der Beziehungen. Wer als schwacher Akteur in diesem Netzwerk positioniert ist, der wird schlechter behandelt als die stark Positionierten (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 32f). In einer Dokumentation der Deutschen Welle wird ein junger Mann gezeigt, der im Sudan medizinisch versorgt und von dort zurückgeholt werden musste. Die Ältesten bzw. Sultans sammeln Geld im ganzen Clan, und dieser gab dafür schließlich 7.000 US-Dollar aus. Danach hat der Clan dem Mann um 3.000 US-Dollar ein Tuk-Tuk finanziert, damit er den gefährlichen Weg der Migration nicht noch einmal antritt (DW 3.2021). Diese Art des „Fundraising" (Qaraan) in Somalia und in der Diaspora wird also nicht nur gemacht, um sogenanntes Blutgeld im Fall eines Mordes zu sammeln, sondern auch, um andere Bedürfnisse eines Clanmitglieds abzudecken. Darunter fallen auch Probleme bei der Nahrungsmittelversorgung (Majid 2017, Sitzung 18).

Eine weitere Hilfestellung bieten Remissen aus dem Ausland (BS 2020, Sitzung 29). Remissen sind im Zuge der Covid-19-Pandemie zurückgegangen. Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22 % der städtischen, 12 % der ländlichen und 6 % der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Die Mehrheit der Empfänger berichtete von Rückgängen von über 10 % (IPC 3.2021, Sitzung 2). Nach anderen Angaben sind die Remissen an Privathaushalte während der Pandemie nicht zurückgegangen, sondern von 1,3 Mrd. US-Dollar im Jahr 2019 auf 1,6 Mrd. im Jahr 2020 gestiegen (WB 6.2021, Sitzung 11f). Dabei stellen Remissen einen bedeutenden Anteil des Budgets von Privathaushalten dar. Vor allem für die unteren 40 %, wo Remissen 54 % aller Haushaltsausgaben decken (WB 6.2021, Sitzung 4).

In Krisenzeiten (etwa Hungersnot 2011 und Dürre 2016/17) stellt die Hilfe durch Freunde oder Verwandte die am meisten effizienteste und verwendete Bewältigungsstrategie dar. Neben Familie und Clan helfen also auch andere soziale Verbindungen - seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z.B. Unterkunft und Nahrung finden können (DI 6.2019, Sitzung 15ff). Generell ist es auch üblich, Kinder bei engen oder fernen Verwandten unterzubringen, wenn eine Familie diese selbst nicht erhalten kann (SIDRA 6.2019b, Sitzung 4; vergleiche Majid 2017, Sitzung 24). 22 % der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten, 28 % bei institutionellen Pflegeeinrichtungen (7 %) untergebracht. Weitere 28 % schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn (OXFAM 6.2018, Sitzung 11f).

In der somalischen Gesellschaft - auch bei den Bantu - ist die Tradition des Austauschs von Geschenken tief verwurzelt. Mit dem traditionellen Teilen werden in dieser Kultur der Gegenseitigkeit bzw. Reziprozität Verbindungen gestärkt. Folglich wurden auch im Rahmen der Dürre 2016/17 die über Geldtransfers zur Verfügung gestellten Mittel und Remissen mit Nachbarn, Verwandten oder Freunden geteilt - wie es die Tradition des Teilens vorsah (DI 6.2019, Sitzung 20f). Selbst Kleinhändlerinnen in IDP-Lagern, die ihre Ware selbst nur auf Kredit bei einem größeren Geschäft angeschafft haben, lassen anschreiben und streichen manchmal die Schulden von noch ärmeren Menschen (RE 19.2.2021). Menschen, die selbst wenig haben, teilen ihre wenigen Habseligkeiten und helfen anderen beim Überleben. Es herrscht eine starke Solidarität (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 19).

Die hohe Anzahl an IDPs zeigt aber, dass manche Clans nicht in der Lage sind, der Armut ihrer Mitglieder entsprechend zu begegnen. Vor allem, wenn Menschen in weit von ihrer eigentlichen Clanheimat entfernte Gebiete fliehen, verlieren sie zunehmend an Rückhalt und setzen sich größeren Risiken aus. Eine Ausnahme davon bilden Migranten, die ihren Familien und Freunden mit Remissen helfen können (DI 6.2019, Sitzung 12).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer-innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             BBC - BBC News (2.2.2020): Somalia declares emergency over locust swarms, https: //www.bbc.com/news/world-africa-51348517 , Zugriff 20.2.2020

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             DEVEX / Sara Jerving (13.8.2020): Stigma and weak systems hamper the Somali COVID- 19 response, https://www.devex.com/news/stigma-and-weak-systems-hamper-the-somali -covid-19-response-97895 , Zugriff 12.10.2020

•             DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Report_T owards-an-improved-understanding-of-vulnerability-and-resilience-in-Somalia.pdf, Zugriff 14.12.2020

•             DW - Deutsche Welle (3.2021): DW Documentary - Somalia Living with Violence and Terror, verfügbar auf: https://ne-np.facebook.com/aaferroofficial/videos/161693795787317/, Zugriff 27.7.2021

•             FAO - UN Food and Agriculture Organization (27.8.2021): Desert Locust situation update 25 August 2021, https://reliefweb.int/report/somalia/desert-locust-situation-update-25-aug ust-2021 , Zugriff 27.8.2021

•             FAO - UN Food and Agriculture Organization / SWALIM (1.3.2021): Somalia Gu 2021 Rainfall Forecast and Weather Update, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-gu-20 21-rainfall-forecast-and-weather-update , Zugriff 9.3.2021

•             FEWS - Famine Early Warning System Network / FSNAU (4.2.2021): FSNAU FEWS NET

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Rückkehrspezifische Grundversorgung

Letzte Änderung: 08.07.2021

Einkommen: Somalis aus der Diaspora - aus Europa oder den USA- die freiwillig zurückkehren, nehmen oft keine Hilfspakete in Anspruch, sondern kehren einfach zurück. Viele der Rückkehrer aus Kenia und dem Jemen gehen in die großen Städte Kismayo, Mogadischu und Baidoa, weil sie sich dort bessere ökonomische Möglichkeiten erwarten (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). Der UNHCR hat über drei Jahre mehr als 2.000 Haushalte mit fast 12.000 Angehörigen - darunter vor allem unterstützte Rückkehrer aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen - zu ihrer Situation in Somalia befragt. Insgesamt haben 66 % der Rückkehrerhaushalte angegeben, dass ihr Einkommen nicht ausreicht. Dies wird vor allem auf mangelnde Jobmöglichkeiten zurückgeführt; seit der Pandemie 2020 auch auf rückläufige Remissen. Die meisten Rückkehrer leben von Einkommen als Taglöhner oder als Selbstständige sowie von humanitärer Hilfe (UNHCR 31.5.2021, Sitzung 4).

Nach anderen Angaben ist Somalia auf eine Rückkehr von Flüchtlingen in großem Ausmaß nicht vorbereitet, und es kann davon ausgegangen werden, dass sich ein erheblicher Teil der Rückkehrer als IDPs wiederfinden wird (ÖB 3.2020, Sitzung 14). Arbeitslose Rückkehrer im RE- INTEG-Programm (siehe unten) berichten über mangelnde Möglichkeiten; über eingeschränkte Erfahrungen, Fähigkeiten und Informationen über den Arbeitsmarkt. Nur 30 % der REINTEG- Rückkehrer sind mit ihrer ökonomischen Situation zufrieden, viele klagen über niedriges Einkommen und lange Arbeitsstunden (IOM 3.12.2020). Dabei ist wirtschaftliche Unabhängigkeit für viele Rückkehrer im REINTEG-Programm ein Hauptthema (IOM 9.3.2021b). Viele von ihnen sind diesbezüglich Druck seitens ihrer Familie ausgesetzt - v.a. wenn sie aufgrund ihrer „abgebrochenen“ Migration noch Schulden offen haben (IOM 9.3.2021b; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). Manche Rückkehrer gehen deshalb explizit nicht in Regionen, wo Mitglieder des eigenen Clans leben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24).

Laut einer Quelle muss eine nach Mogadischu zurückgeführte Person nicht damit rechnen, ohne Angehörige zu verhungern. Selbst wenn jemand tatsächlich überhaupt niemanden kennen sollte, dann würde diese Person in ein IDP-Lager gehen und dort in irgendeiner Form Hilfe bekommen. Die Person ist auf Mitleid angewiesen; Hilfe findet sich vielleicht auch in einer Moschee. Jedenfalls würde eine solche Person so schnell wie möglich versuchen, dorthin zu gelangen, wo sich ein Familienmitglied befindet. Dass gar keine Familie existiert, ist sehr unwahrscheinlich (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 37).

Unterstützung / Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder -je nach Ausmaß-an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/31f). Jedenfalls versucht die Mehrheit der Rückkehrer in eine Region zu kommen, wo zumindest Mitglieder ihres Clans leben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24), denn eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden (ÖB 3.2020, Sitzung 14). Nach anderen Angaben ist es bei einer Rückkehr weniger entscheidend, ob jemand Verwandte hat oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, wie diese persönlichen Verwandtschaftsbeziehungen funktionieren und ob sie aktiv sind, ob sie gepflegt wurden. Denn Solidarität wird nicht bedingungslos gegeben. Wer sich lange nicht um seine Beziehungen gekümmert hat, wer einen (gesellschaftlichen) Makel auf sich geladen hat oder damit behaftet ist, der kann - trotz vorhandener Verwandtschaft - nicht uneingeschränkt auf Solidarität und Hilfe hoffen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 39f).

Auch in Mogadischu sind Freundschaften und Clannetzwerke sehr wichtig. Zur Aufnahme kleinerer oder mittelgroßer wirtschaftlicher Aktivitäten ist aber kein Netzwerk notwendig (FIS 7.8.2020, Sitzung 39). Insgesamt herrschen am Arbeitsmarkt Nepotismus und Korruption (SIDRA 6.2019a, Sitzung 5).

Unterstützung extern: Für Rückkehrer aus dem Jemen (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63) und Kenia gibt es seitens des UNHCR Rückkehrpakete (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23) bzw. finanzielle Unterstützung. Bei Ankunft in Somalia bekommt jede Person eine Einmalzahlung von 200 US-Dollar, danach folgt eine monatliche Unterstützung von 200 US-Dollar pro Haushalt und Monat für ein halbes Jahr. Das World Food Programm gewährleistet für ein halbes Jahr eine Versorgung mit Nahrungsmitteln. Für Schulkosten werden 25 US-Dollar pro Monat und Schulkind ausbezahlt. Bei Erfüllung bestimmter Kriterien wird für die Unterkunft pro Haushalt eine Summe von 1.000 US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNHCR 30.9.2018, Sitzung 6; vergleiche LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63), die etwa zur Organisation einer Unterkunft dienen können (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63). Deutschland unterstützt in Jubaland ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient (AA 2.4.2020, Sitzung 22). IOM hat über die von der EU finanzierte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration seit März 2017 knapp 6.500 Rückkehrer bei der freiwilligen Rückkehr nach Somalia unterstützt. Fast 12.000 Rückkehrer erhielten Unterstützung nach ihrer Ankunft in Somalia (IOM 8.3.2021). Der UNHCR unterstützt ausgewählte Haushalte in unterschiedlichen Teilen Somalias mit Ausbildungs-, Schulungs- und finanziellen Maßnahmen (UNHCR 27.6.2021, Sitzung 9).

Rückkehrprogramme: In das europäische Programm zur freiwilligen Rückkehr ERRIN (European Return and Reintegration Network) wurde mit November 2019 auch die Destination Somalia aufgenommen. Umgesetzt wird das Programm vor Ort von der Organisation IRARA (International Return and Reintegration Assistance) mit Büro in Mogadischu. Das Programm umfasst - neben den direkt von Österreich zur Verfügung gestellten Mitteln - pro Rückkehrer 200 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro Sachleistungen. Letztere umfassen (je nach Wunsch des Rückkehrers) eine vorübergehende Unterbringung, medizinische und soziale Unterstützung, Beratung in administrativen und rechtlichen Belangen, Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens sowie schulische und berufliche Bildung (BMI 8.11.2019). Neben Mogadischu hat IRARA Standorte in Kismayo, Baidoa und Belet Weyne. Laut IRARA werden nicht nur freiwillige Rückkehrer, sondern auch abgewiesene Asylwerber, irreguläre Migranten, unbegleite te Minderjährige und andere vulnerable Gruppen unterstützt und vom Programm abgedeckt. Bei Ankunft bietet IRARA Abholung vom Flughafen; Unterstützung bei der Weiterreise; temporäre Unterkunft (sieben Tage); medizinische Betreuung; Grundversorgung. Zur Reintegration wird ein maßgeschneiderter Plan erstellt, der folgende Maßnahmen enthalten kann: soziale, rechtliche und medizinische Unterstützung; langfristige Unterstützung bei der Unterkunft; Bildung; Hilfe bei der Arbeitssuche; Berufsausbildung; Unterstützung für ein Start-up; Unterstützung für vulnerable Personen (IRARAo.D.a).

Das ebenfalls von der EU finanzierte Programm REINTEG bietet freiwilligen Rückkehrern - je nach Bedarf - medizinische und psycho-soziale Unterstützung; Bildung für Minderjährige; Berufstraining und Ausbildung, um ein Kleinunternehmen zu starten; die Grundlage für eine Arbeit, die ein eigenes Einkommen bringt; und Unterstützung bei Unterkunft und anderen grundlegenden Bedürfnissen. Durchschnittlich waren die REINTEG-Rückkehrer zwei Jahre lang weg aus Somalia (IOM 3.12.2020). Für Rückkehrer im REINTEG-Programm hat IOM im Mai 2020 eine Hotline eingerichtet. Rückkehrer melden sich dort, um etwa Fragen hinsichtlich der Zeitpläne zur ökonomischen Reintegration beantwortet zu bekommen, oder um hinsichtlich ihrer Mikro-Unternehmen oder auch z.B. für psycho-soziale oder medizinische Unterstützung anzusuchen (IOM 9.3.2021b). Nachdem schon im Jahr 2019 in Hargeysa erfolgreich ein Rückkehrer-Komitee für REINTEG eingerichtet worden war, wurde ein solches 2020 auch in Mogadischu gebildet. Die ebenfalls aus Rückkehrern zusammengesetzten Komitees unterstützen Rückkehrer nach ihrer Ankunft. Sie teilen Informationen und Netzwerke und stellen Kontakt zu relevanten Organisationen und Reintegrationsprojekten her (IOM 3.12.2020).

Unterkunft: Der Zugang zu einer Unterkunft oder zu Bildung wird von Rückkehrern im REINTEG- Programm als problematisch beschrieben (IOM 3.12.2020). Der Immobilienmarkt in Mogadischu boomt, die Preise sind gestiegen (BS 2020, Sitzung 25). In den „besseren" Bezirken der Stadt, wo es größere Sicherheitsvorkehrungen gibt - z.B. Waaberi, Medina, Hodan oder das Gebiet am Flughafen - kostet die Miete eines einfachen Raumes mit 25 m2 50-100 US-Dollar pro Monat. Am Stadtrand - z.B. in Heliwaa oder am Viehmarkt - sind die Preise leistbarer. Der Kubikmeter Wasser wird um 1-1,5 US-Dollar verkauft (FIS 7.8.2020, Sitzung 31). Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 22); nach anderen Angaben finden sich viele der Rückkehrer aus dem Jemen und aus Kenia schlussendlich in IDP-Lagern wieder (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). Gemäß der bereits weiter oben erwähnten Rückkehrer-Studie des UNHCR haben hingegen nur 19 % der mehr als 2.000 befragten Rückkehrerhaushalte angegeben, in einem IDP-Lager zu wohnen (UNHCR 31.5.2021, Sitzung 2).

Vom Returnee Management Office (RMO) der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein inner-somalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden und die Grundvoraussetzungen für eine freiwillige Rückkehr nicht gewährleistet sind (AA 2.4.2020, Sitzung 22f). Grundsätzlich braucht es zur Anmietung eines Objektes einen Bürgen, der vor Ort bekannt ist. Dies ist i.d.R. ein Mann. Für eine alleinstehende Frau gestaltet sich die Wohnungssuche dementsprechend schwierig, dies ist kulturell unüblich und wirft unter Umständen Fragen auf (FIS 7.8.2020, Sitzung 32).

Frauen und Minderheiten: Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das in der Regel enge Familienangehörige - geführt von einem männlichen Verwandten - umfasst. Für alleinstehende Frauen ist es mitunter schwierig, eine Unterkunft zu mieten oder zu kaufen (FIS 5.10.2018, Sitzung 23). Auch für Angehörige von Minderheiten - etwa den Bantus - gestaltet sich eine Rückkehr schwierig. Ein Mangel an Netzwerken schränkt z.B. den Zugang zu humanitärer Hilfe ein (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 8). Für eine weiblicheAngehörige von Minderheiten, die weder Aussicht auf familiäre noch Clanunterstützung hat, stellt eine Rückkehr tatsächlich eine Bedrohung dar (ÖB 3.2020, Sitzung 11).

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•             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (31.5.2021): Somalia Post Return Monitoring Snapshot Round 5 | MAY 2021, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/ PRM%20Snapshot%20May%202021.pdf, Zugriff 1.7.2021

•             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.9.2018): Operational Update Somalia 1-30 September 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/66704.pdf, Zugriff 21.6.2019

Medizinische Versorgung Süd /Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 21.10.2021

Das somalische Gesundheitssystem ist das zweitfragilste weltweit (WB 6.2021, Sitzung 32). Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft (AA 18.4.2021, Sitzung 23). Die Infrastruktur bei der medizinischen Versorgung ist minimal und beschränkt sich meist auf Städte und sichere Gebiete (HIPS 5.2020, Sitzung 38). Die Ausrüstung reicht nicht, um auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung ausreichend abdecken zu können (HIPS 5.2020, Sitzung 38; vergleiche AA 3.12.2020). Es mangelt an Geld, Personal, Referenzsystemen, Diagnoseeinrichtungen, an Ausbildungseinrichtungen, Regulierungen und Managementfähigkeiten (HIPS 5.2020, Sitzung 38). 2021 betrug das Budget des Gesundheitsministeriums 33,6 Millionen US-Dollar (AI 18.8.2021, Sitzung 19). Allerdings zeigt sich in Aufwärtstrend: 2020 wurden 1,3 % des Budgets für den Gesundheitsbereich ausgegeben, 2021 wurden dafür 5 % veranschlagt (WB 6.2021, Sitzung 19).

Dennoch zählt die Gesundheitslage zu den schlechtesten der Welt (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Die durchschnittliche Lebenserwartung ist zwar von 45,3 Jahren im Jahr 1990 auf heute 57,1 Jahre beträchtlich gestiegen, bleibt aber immer noch niedrig (WB 6.2021, Sitzung 29). Erhebliche Teile der Bevölkerung haben keinen Zugang zu trinkbarem Wasser oder zu hinreichenden sanitären Einrichtungen (AA 18.4.2021, Sitzung 23); daran sterben jährlich 87 von 100.000 Einwohnern (Äthiopien: 44) (HIPS 5.2020, Sitzung 24). Die Quoten von Mütter- und Säuglingssterblichkeit sind unter den höchsten Werten weltweit (AA 18.4.2021, Sitzung 23). Eine von zwölf Frauen stirbt während der Schwangerschaft, eines von sieben Kindern vor dem fünften Geburtstag (Äthiopien: 17). Bei der hohen Kindersterblichkeit schwingt Unterernährung bei einem Drittel der Todesfälle als Faktor mit (ÖB 3.2020, Sitzung 15; vergleiche HIPS 5.2020, Sitzung 21ff). Selbst in Somaliland und Puntland werden nur 44 % bzw. 38 % der Mütter von qualifizierten Geburtshelfern betreut (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Al Shabaab hat die medizinische Versorgung eingeschränkt - etwa durch die Behinderung zivilen Verkehrs, die Vernichtung von Medikamenten und die Schließung von Kliniken (USDOS 11.3.2020, S.14). Insgesamt haben nur ca. 15 % der Menschen in ländlichen Gebieten Zugang zu medizinischer Versorgung (AI 18.8.2021, Sitzung 5). Die Rate an grundlegender Immunisierung für Kinder liegt bei Nomaden bei 1 %, in anderen ländlichen Gebieten bei 14 %, in Städten bei 19 % (WB 6.2021, Sitzung 31). Zudem gibt es für medizinische Leistungen und pharmazeutische Produkte keinerlei Qualitäts- oder Sicherheitsstandards (WB 6.2021, Sitzung 27).

Es mangelt an Personal für die medizinische Versorgung. Besonders akut ist der Mangel an Psychiatern, an Technikern für medizinische Ausrüstung und an Anästhesisten. Am größten aber ist der Mangel an einfachen Ärzten (HIPS 5.2020, Sitzung 42). Insgesamt kommen auf 100.000 Einwohner nur zwei im medizinischen Bereich ausgebildete Personen (Standard weltweit: 25 pro 100.000) (UNOCHA 31.3.2020, Sitzung 2). Nach anderen Angaben kommen auf 10.000 Einwohner 4,28 medizinisch ausgebildete Personen (Subsaharaafrika: 13,3; WHO-Ziel: 25) (WB 6.2021, Sitzung 34). Nach wieder anderen Angaben kommen auf 100.000 Einwohner fünf Ärzte, vier Krankenpfleger und eine Hebamme. Dabei herrscht jedenfalls eine Ungleichverteilung: In Puntland gibt es 356 Ärzte, in Jubaland nur 54 und in Galmudug und im SWS je nur 25 (HIPS 5.2020, Sitzung 27/44ff). Die Weltbank hat das mit 100 Millionen US-Dollar dotierte „Improving Healthcare Services in Somalia Project/ Damal Caafimaad" genehmigt. Damit soll die Gesundheitsversorgung für ca. 10 % der Gesamtbevölkerung Somalias, namentlich in Gebieten von Nugaal (Puntland), Bakool und Bay (SWS), Hiiraan und Middle Shabelle verbessert werden (WB 22.7.2021).

In Benadir gibt es 61 Gesundheitseinrichtungen, in HirShabelle 81. In anderen Bundesstaaten stehen folgende Gesundheitseinrichtungen zur Verfügung (HIPS 5.2020, Sitzung 39ff):…

Nach anderen Angaben gibt es in ganz Somalia 11 öffentliche und 50 andere Spitäler. In Mogadischu gibt es 4 öffentliche und 46 andere Gesundheitszentren (FIS 7.8.2020, Sitzung 31). Jedenfalls müssen Patienten oft lange Wegstrecken zurücklegen, um an medizinische Versorgung zu gelangen (HIPS 5.2020, Sitzung 39). In Mogadischu gibt es mindestens zwei Spitäler, die für jedermann zugänglich sind. In manchen Spitälern kann bei Notlage über die Ambulanzgebühr verhandelt werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 36). Im Gegensatz zu Puntland werden in Süd-/Zentralsomalia Gesundheitseinrichtungen vorwiegend von internationalen NGOs unter Finanzierung von Gebern betrieben (HIPS 5.2020, Sitzung 39). Das Keysaney Hospital wird von der Somali Red Crescent Society (SRCS) betrieben. Zusätzlich führt die SRCS Rehabilitationszentren in Mogadischu und Galkacyo (SRCS 2020, Sitzung 8). Die Spitäler Medina und Keysaney (Mogadischu) sowie in Kisma- yo und Baidoa werden vom Roten Kreuz unterstützt (ICRC 7.2020). Das Rote Kreuz unterstützt die Somali Red Crescent Society beim Betrieb von 29 Erstversorgungseinrichtungen (20 feste und 9 mobile Kliniken). Auch vier Spitäler mit insgesamt 410 Betten in Mogadischu (Keysaney, Medina), Baidoa und Kismayo werden unterstützt (ICRC 13.9.2019). Insgesamt gibt es im Land nur 5,34 stationäre Krankenhausbetten pro 10.000 Einwohnern (WHO-Ziel: 25 Betten) (WB 6.2021, Sitzung 34).

Allerdings sind die öffentlichen Krankenhäuser mangelhaft ausgestattet (AA 18.4.2021, Sitzung 23; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 31f), was Ausrüstung/medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht (AA 18.4.2021, Sitzung 23). Dabei ist der Standard von Spitälern außerhalb Mogadischus erheblich schlechter (FIS 5.10.2018, Sitzung 36). Zudem bietet die Mehrheit der Krankenhäuser nicht alle Möglichkeiten einer tertiären Versorgung (HIPS 5.2020, Sitzung 38). Speziellere medizinische Versorgung - etwa Chirurgie - ist nur eingeschränkt verfügbar - in öffentlichen Einrichtungen fast gar nicht, unter Umständen aber in privaten. So werden selbst am Banadir Hospital - einem der größten Spitäler des Landes, das über vergleichsweise gutes Personal verfügt und auch Universitätsklinik ist - nur einfache Operationen durchgeführt (FIS 5.10.2018, Sitzung 35). Relativ häufig müssen daher Patienten von öffentlichen Einrichtungen an private verwiesen werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 31). Immerhin stellt der private Sektor 60 % aller Gesundheitsleistungen und 70 % aller Medikamente. Und auch in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen wird der Großteil der Dienste über NGOs erbracht (WB 6.2021, Sitzung 27f).

Die Primärversorgung wird oftmals von internationalen Organisationen bereitgestellt und ist für Patienten kostenfrei. Allerdings muss manchmal für Medikamente bezahlt werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 35f; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 20). Oft handelt es sich bei dieser Primärversorgung um sogenannte „Mother Health Clinics", von welchen es in Somalia relativ viele gibt. Diese werden von der Bevölkerung als Gesamtgesundheitszentren genutzt, weil dort die Diagnosen eben kostenlos sind (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 20). Private Einrichtungen, die spezielle Leistungen anbieten, sind sehr teuer. Schon ein kleiner operativer Eingriff kostet 100 US-Dollar. Am Banadir-Hospital in Mogadischu wird eine Ambulanzgebühr von 5-10 US-Dollar eingehoben, die Behandlungsgebühr an anderen Spitälern beläuft sich auf 5-12 US-Dollar. Medikamente, die Kindern oder ans Bett gebundenen Patienten verabreicht werden, sind kostenlos. Üblicherweise sind die Kosten für eine Behandlung aber vom Patienten zu tragen (FIS 5.10.2018, Sitzung 35f). Am türkischen Spital in Mogadischu, das als öffentliche Einrichtung wahrgenommen wird, werden nur geringe Kosten verrechnet, arme Menschen werden gratis behandelt (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 73). Generell gilt, wenn z.B. ein IDP die Kosten nicht aufbringen kann, wird er in öffentlichen Krankenhäusern auch umsonst behandelt. Zusätzlich kann man sich auch an Gesundheitseinrichtungen wenden, die von UN-Agenturen betrieben werden. Bei privaten Einrichtungen sind alle Kosten zu bezahlen (FIS 7.8.2020, Sitzung 31/37). Es gibt keine Krankenversicherung (MoH/DIS

27.8.2020, S. 73); nach anderen Angaben ist diese so gut wie nicht existent, im Jahr 2020 waren nur 2 % der Haushalte hinsichtlich Ausgaben für Gesundheit versichert (WB 6.2021, Sitzung 34).

Aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten musste die SRCS ihre mobilen und stationären Kliniken von 129 auf 72 reduzieren (57 stationäre und 15 mobile). Als Ziel wird die Abdeckung des Bedarfs von rund 1,6 Millionen Menschen angegeben. Im Jahr 2019 konnten mehr als 850.000 Patienten behandelt werden. Davon waren 45 % Kinder und 40 % Frauen. Die häufigsten Behandlungen erfolgten in Zusammenhang mit akuten Atemwegserkrankungen (26 %), Durchfallerkrankungen (9,2 %), Anämie (13 %), Hautkrankheiten (5,2 %), Harnwegsinfektionen (11,6 %) und Augeninfektionen (4,4 %) (SRCS 2020, Sitzung 9f). Die am öftesten diagnostizierten chronischen Krankheiten sind Diabetes und Bluthochdruck (WB 6.2021, Sitzung 30).

Versorgungs- und Gesundheitsmaßnahmen internationaler Hilfsorganisationen mussten auch immer wieder wegen Kampfhandlungen oder aufgrund von Anordnungen unterbrochen werden (AA 18.4.2021, Sitzung 23).

Psychiatrie: Es gibt in ganz Süd-/Zentralsomalia und Puntland nur einen Psychiater, elf Sozialarbeiter für psychische Gesundheit sowie 19 Pflegekräfte. Folgende psychiatrische Einrichtungen sind bekannt (WHO Rizwan 8.10.2020):…

An psychiatrischen Spitälern gibt es nur zwei, und zwar in Mogadischu; daneben gibt es drei entsprechende Abteilungen an anderen Spitälern und vier weitere Einrichtungen. Dabei gibt es eine hohe Rate an Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung (WHO Rizwan 8.10.2020). Psychische Probleme werden durch den bestehenden Konflikt und den durch Instabilität, Arbeitsund Hoffnungslosigkeit verursachten Stress gefördert. Schätzungen zufolge sind 30 % der Bevölkerung betroffen (FIS 5.10.2018, Sitzung 34; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 16), die absolute Zahl wird mit 1,9 Millionen Betroffenen beziffert (HIPS 5.2020, Sitzung 26). Nach anderen Angaben (Stand 2020) wurden bei 4,3 % der Bevölkerung durch einen Arzt eine Geisteskrankheit diagnostiziert während man von einer Verbreitung von 14 % ausgeht (WB 6.2021, Sitzung 31).

Psychisch Kranken haftet meist ein mit Diskriminierung verbundenes Stigma an. Nach wie vor ist das Anketten psychisch Kranker eine weitverbreitete Praxis. Dies gilt selbst für psychiatrische Einrichtungen - etwa in Garoowe (WHO Rizwan 8.10.2020). Aufgrund des Mangels an Einrichtungen werden psychisch Kranke mitunter an Bäume gebunden oder zu Hause eingesperrt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 35). Im Zweifelsfall suchen Menschen mit psychischen und anderen Störungen Zuflucht im Glauben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 38).

Verfügbarkeit:

Nur 5 % der Einrichtungen sind in der Lage, Tuberkulose, Diabetes oder Gebärmutterhalskrebs zu diagnostizieren und zu behandeln (WB 6.2021, Sitzung 34).

•             Diabetes: Kurz- und langwirkendes Insulin ist kostenpflichtig verfügbar. Medikamente können überall gekauft werden. Die Behandlung erfolgt an privaten Spitälern (UNFPA/DIS

25.6.2020, S. 84). Rund 537.000 Menschen leiden in Somalia an einer Form von Diabetes (HIPS 5.2020, Sitzung 26).

•             Dialyse: In Mogadischu ist Dialyse nicht möglich (FIS 7.8.2020, Sitzung 31); nach anderen Angaben steht Dialyse in Städten zur Verfügung, nicht aber auf Bezirksebene (MoH/DIS

27.8.2020, S. 74). Am türkischen Krankenhaus in Mogadischu kostet jede Behandlung 35 US-Dollar (DIS 11.2020, App. F, Sitzung 16).

•             HIV/AIDS: Kostenlose Dienste stehen zur Verfügung (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 74). Über das Land verstreut gibt es Zentren, in welchen anti-retrovirale Medikamente kostenfrei abgegeben werden (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 83).

•             Krebs: Es gibt nur diagnostische Einrichtungen, keine Behandlungsmöglichkeiten (MoH/DIS

27.8.2020, S. 74). Es sind auch keine Medikamente verfügbar. Wer es sich leisten kann, geht zur Behandlung nach Indien, Äthiopien, Kenia oder Dschibuti (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 83).

•             Orthopädie: Das SRCS betreibt in Hargeysa, Mogadischu und Galkacyo orthopädische Rehabilitationszentren samt Physiotherapie (SRCS 2020, Sitzung 8). An den genannten Zentren der SRCS in Mogadischu und Galkacyo werden Prothesen, Orthosen, Physiotherapie, Rollstühle und Gehhilfen organisiert, unterhalten und repariert (SRCS 2020, Sitzung 20ff).

•             Psychische Krankheiten: Die Verfügbarkeit ist hinsichtlich der Zahl an Einrichtungen, qualifiziertem Personal und geographischer Reichweite unzureichend. Auch die Verfügbarkeit psychotroper Medikamente ist nicht immer gegeben, das Personal im Umgang damit nicht durchgehend geschult (WHO Rizwan 8.10.2020). Oft werden Patienten während psychotischer Phasen angekettet (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 84).

•             Transplantationen: Diese sind in Somalia nicht möglich, es gibt keine Blutbank. Patienten werden i.d.R. nach Indien, in die Türkei oder nach Katar verwiesen (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 84).

•             Tuberkulose: Die Behandlung wird über den Global Fund gratis angeboten (UNFPA/DIS

25.6.2020, S. 84). Die Zahl an Infizierten mit der multi-resistenten Art von Tuberkulose ist in Somalia eine der höchsten in Afrika. Mehr als 8 % der Neuinfizierten weisen einen resistenten Typ auf (HIPS 5.2020, Sitzung 25).

Medikamente: Grundlegende Medikamente sind verfügbar (FIS 5.10.2018, Sitzung 37; vergleiche FIS

7.8.2020, S. 31), darunter solche gegen die am meisten üblichen Krankheiten sowie jene zur Behandlung von Diabetes, Bluthochdruck, Epilepsie und von Geschwüren. Auch Schmerzstiller sind verfügbar. In den primären Gesundheitszentren ländlicher Gebiete kann es bei Medikamenten zur Behandlung chronischer Krankheiten zu Engpässen kommen (FIS 5.10.2018, Sitzung 37). Nach anderen Angaben kommt es in Krankenhäusern allgemein immer wieder zu Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten, Verbands- und anderen medizinischen Verbrauchsmaterialien (AA 3.12.2020). Die oben erwähnten, vom Roten Kreuz unterstützten Spitäler erhalten Medikamente vom Roten Kreuz (ICRC 13.9.2019).

Es gibt keine Regulierung des Imports von Medikamenten (DIS 11.2020, Sitzung 73). Medikamente können ohne Verschreibung gekauft werden. Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt in erster Linie über private Apotheken. Für Apotheken gibt es keinerlei Aufsicht (FIS 5.10.2018, Sitzung 37). Die zuständige österreichische Botschaft kann zur Medikamentenversorgung in Mogadischu keine Angaben machen (ÖB 3.2020, Sitzung 16).

Quellen:

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•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.12.2020): Somalia - Reise- und Sicherheitshinweise - Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia -node/somaliasicherheit/203132#content_6 , Zugriff 3.12.2020

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer-innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             AI - Amnesty International (18.8.2021): „We just watched COVID-19 patients die": CO- VID-19 exposed Somalia’s weak healthcare system but debt relief can transform it [AFR 52/4602/2021], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058478/AFR5246022021ENGLISH.pdf , Zugriff 27.8.2021

•             DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (11.2020): Somalia - Health System, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landenotater/COI_report_somalia_health_c are_nov_2020.pdf?la=en-GB&hash=3F6C5E28C30AF49C2A5183D32E1B68E3B A52E60C , Zugriff 2.12.2020

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Fi nding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae 973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645 , Zugriff 17.3.2021

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/S omalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe7 9e2-baf3-0a23-97d1-f6944b6d21a7/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+an d+Nairobi+January+2018.pdf, Zugriff 17.3.2021

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•             ICRC - International Committee of the Red Cross (7.2020): Facts & Figures January - June 2020, https://blogs.icrc.org/somalia/wp-content/uploads/sites/99/2020/07/Facts-Fig ures-Mid-2020-EN.pdf, Zugriff 3.12.2020

•             ICRC - International Committee of the Red Cross (13.9.2019): Health activities in Somalia, https://blogs.icrc.org/somalia/2019/09/13/health-activities-in-somalia-2/, Zugriff 17.3.2021

•             MoH/DIS - Ministry of Health [Somalia] / Danish Immigration Service [Dänemark] (27.8.2020): Telefoninterview des DIS mit dem somalischen Gesundheitsministerium, in: DIS (11.2020): Somalia - Health System, S.72-75, https://www.nyidanmark.dk/-/medi a/Files/US/Landenotater/COI_report_somalia_health_care_nov_2020.pdf?la=en-GB&a mp;hash=3F6C5E28C30AF49C2A5183D32E1B68E3BA52E60C , Zugriff 7.12.2020

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96BT2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             SRCS - Somali Red Crescent Society (2020): Annual Report 2019, http://data.ifrc.org/fdrs /societies/somali-red-crescent-society , Zugriff 3.12.2020

•             UNFPA/DIS - UN Population Fund / Danish Immigration Service [Dänemark] (25.6.2020): Skype-Interview des DIS mit UNFPA, in: DIS (11.2020): Somalia - Health System, S.79-84, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landenotater/COI_report_somalia_health_c are_nov_2020.pdf?la=en-GB&hash=3F6C5E28C30AF49C2A5183D32E1B68E3B A52E60C , Zugriff 7.12.2020

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•             WB - Weltbank (6.2021): Somalia Economic Update. Investing in Health to Anchor Growth, http://documents1.worldbank.org/curated/en/926051631552941734/pdf/Somalia-Econo mic-Update-Investing-in-Health-to-Anchor-Growth.pdf, Zugriff 15.9.2021

WHO Rizwan - World Health Organization / Humayun Rizwan (8.10.2020): Mental Health in Somalia, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.inf o/files/documents/files/mental_health_presentation.pdf, Zugriff 3.12.2020

Rückkehr

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 21.10.2021

Rückkehr international: Die steigende Rückkehr von somalischen Flüchtlingen nach Somalia ist eine Tatsache (ÖB 3.2020, Sitzung 13). Schon nach den Jahren 2011 und 2012 hat die Zahl der aus der Diaspora nach Süd- und Zentralsomalia zurückkehrenden Menschen stark zugenommen. Es gibt keine Statistiken, doch alleine die vollen Flüge nach Mogadischu und die sichtbaren Investments der Diaspora scheinen die Entwicklung zu bestätigen (EASO 12.2017, Sitzung 55). Viele lokale Angestellte internationaler NGOs oder Organisationen sind aus der Diaspora zurückgekehrte Somali. Andere kommen nach Somalia auf Urlaub oder eröffnen ein Geschäft (BFA 3./4.2017). Repräsentanten der somalischen Gemeinde in London geben an, dass hunderte ihrer Kinder nach Somalia, Somaliland und Kenia ausgeflogen wurden. Grund dafür ist die wachsende Sorge der Eltern vor Drogenbanden und Gewalt in England (TG 9.3.2019).

Großbritannien, Norwegen, Dänemark und Finnland führen grundsätzlich Abschiebungen nach Mogadischu durch. 2018 hat auch die Schweiz erstmals nach Somalia rückgeführt. Belgien und die Niederlande haben im Jahr 2020 wegen COVID-19 keine Rückführungen durchgeführt, Rückführungen aus Deutschland gestalteten sich schwierig (AA 18.4.2021, Sitzung 24). Im November 2019 wurde Somalia in das ERRIN-Programm für freiwillige Rückkehr aufgenommen. Daran partizipiert auch Österreich (BMI 8.11.2019).

Rückkehr regional: Die Rückkehrbewegung nach Somalia hat sich in den Jahren 2020 und 2021 deutlich verlangsamt. Insgesamt sind von Ende 2014 bis Juni 2021 knapp 133.000 Menschen mit oder ohne Unterstützung nach Somalia zurückgekehrt. Im ersten Halbjahr 2021 waren es allerdings nur knapp 1.400 - vor allem aus dem Jemen (UNHCR 10.7.2021). Mehr als 75 % der Rückkehrer aus dem Jemen gehen nach Mogadischu (UNHCR 30.6.2019a). Aus dem Jemen kamen mehr als 5.400 somalische Flüchtlinge mit Unterstützung durch den UNHCR zurück in ihr Land. Weitere knapp 40.000 sind aus dem Jemen ohne Unterstützung zurückgekehrt (AA 18.4.2021, Sitzung 22; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 13). Im Feber 2021 landete ein Boot mit 164 jemenitischen und somalischen Familien in Bossaso, die Menschen wurden dort in einem Flüchtlingszentrum registriert (Sahan 25.2.2021b). Seit 2018 ist die Zahl an Rückkehrern jedenfalls rückläufig (AA 18.4.2021, Sitzung 22). Im Jahr 2020 waren es insgesamt nur etwa 1.000 Rückkehrer (USDOS 30.3.2021, Sitzung 21) - nicht zuletzt aufgrund der COVID-19-Pandemie. Ende 2020 wurden die diesbezüglichen Aktivitäten in begrenztem Ausmaß wieder aufgenommen (UNHCR 31.5.2021, Sitzung 1).

Der UNHCR und andere internationale Partner unterstützen seit 2014 die freiwillige Rückkehr von Somaliern aus Kenia. Grundlage ist ein trilaterales Abkommen zwischen Kenia, Somalia und dem UNHCR (AA 18.4.2021, Sitzung 22; vergleiche NLMBZ 3.2019, Sitzung 54). Seit Abschluss des trila teralen Abkommens kehrten mit Unterstützung des UNHCR über 84.900 Menschen aus Kenia nach Somalia zurück. Diese gingen vor allem nach Kismayo und das südliche Jubaland (AA 18.4.2021, Sitzung 22). Die Remigration von Kenia nach Somalia erfolgt hauptsächlich über Land, wobei die Fahrt bis an die Grenze organisiert wird, und die Rückkehrer dann innerhalb Somalias den Transport selbst arrangieren (NLMBZ 3.2019, Sitzung 54). Noch nie wurde ein Bus, welcher Rückkehrer transportiert, angegriffen (FIS 7.8.2020, Sitzung 28). Allerdings kommt es aufgrund von Gewalt und Konflikt immer wieder zu Unterbrechungen bei der Rückkehrbewegung (USDOS 30.3.2021, Sitzung 22).

Seit Frühjahr 2018 unterstützt die sogenannte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration rückkehrwillige somalische Migranten vornehmlich in Libyen und Äthiopien. Die Leistungen umfassen Beratung zu Möglichkeiten der Rückkehr sowie der Integration in den somalischen Arbeitsmarkt. Außerdem wird die Entwicklung von standardisierten Rückführungsverfahren nach Somalia gefördert. Zwischen 2014 und 2020 kamen 773 somalische Flüchtlinge aus Dschibuti, 469 aus Libyen, 143 aus dem Sudan, 34 aus Eritrea und weitere aus Angola, Tunesien, Gambia, China und der Ukraine nach Somalia zurück (AA 18.4.2021, Sitzung 22).

Behandlung: Die Zahl der von westlichen Staaten zurückgeführten somalischen Staatsangehörigen nimmt stetig zu. Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professio- nalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt. Das RMO hat für alle Rückführungsmaßnahmen nach Somalia eine einheitliche Prozedur festgelegt, die konsequent zur Anwendung gebracht wird (AA 18.4.2021, Sitzung 23). Am Flughafen kann es zu einer Befragung von Rückkehrern kommen (NLMBZ 3.2019, Sitzung 52). Das RMO befragt sie hinsichtlich Identität, Nationalität, Familienbezügen sowie zum gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete minderjährige und andere Rückkehrer. Eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug kann vom RMO organisiert werden, die Rechnung begleichen die rückführenden Staaten (AA 18.4.2021, Sitzung 23f).

Es sind keine Fälle bekannt, wo somalische Behörden Rückkehrer misshandelt haben (NLMBZ 3.2019, Sitzung 52). Staatliche Repressionen sind nicht die Hauptsorge der Rückkehrer. Nach vorliegenden Erkenntnissen werden Rückkehrer vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt (AA 18.4.2021, Sitzung 231).

Rückkehrstudie von UNHCR: Der UNHCR hat für eine repräsentative Studie von 2018 bis 2020 mehr als 2.000 Haushalte mit fast 12.000 Angehörigen - darunter vor allem unterstützte Rückkehrer aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen - zu ihrer Situation in Somalia befragt. Dabei hatten 46 % der Befragten angegeben, wegen der verbesserten Sicherheitslage nach Somalia zurückgegangen zu sein. 13 % machten diesen Schritt wegen besserer ökonomischer Möglichkeiten. Nur 19 % der befragten Haushalte gaben an, in einem IDP-Lager zu wohnen (wobei der UNHCR diese Bezeichnung dezidiert für inadäquat hält). 95 % der Rückkehrer gaben an, nach ihrer Rückkehr keinerlei Form von Gewalt (Drohungen, Einschuchterungen, physische Gewalt) erlebt zu haben. 87 % gaben an, sich in ihrer Gemeinde und im Bezirk frei bewegen zu können. 92 % der Befragten gaben an, dass sie nicht als Rückkehrer diskriminiert würden; und 90 % wurden auch nicht wegen ihrer ethnischen oder Clan-Zugehörigkeit diskriminiert. 88% der Befragten haben keine Streitigkeiten austragen müssen. Von jenen, die in Konflikte verwickelt waren, gaben 43 % Wohnungs- und Landstreitigkeiten als Gründe an, weitere 19 % Familienstreitigkeiten (UNHCR 31.5.2021).

Erreichbarkeit: Einen internationalen Standards entsprechenden, regelmäßigen Direktflugverkehr nach Mogadischu gibt es mit Turkish Airlines aus Istanbul, Ethiopian Airlines aus Addis Abeba, Kenyan Airways aus Nairobi und Qatar Airways aus Doha. Darüber hinaus fliegen regionale Fluglinien, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und private Chartermaschinen Mogadischu aus Nairobi regelmäßig an. Für Rückführungen somalischer Staatsbürger wurden vor COVID-19 die Verbindungen der Turkish Airlines via Istanbul bzw. via Nairobi mit Jubba Airways bevorzugt. Bei Ersterer erfolgte meist eine polizeiliche Eskortierung bis Mogadischu, bei Letzterer nur bis Nairobi, da die Fluglinie sich dann gegen die Zahlung einer Gebühr um die Sicherheit kümmerte (AA 18.4.2021, Sitzung 24).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia (3./4.2017): Informationen aus den Protokollen der FFM

•             BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (8.11.2019): ERRIN Reintegrationsprojekt Somalia und Somaliland ab 8. November 2019, per e-Mail

•             EASO - European Asylum Support Office (12.2017): Somalia Security Situation, https: //www.easo.europa.eu/sites/default/files/publications/coi-somalia-dec2017lr.pdf, Zugriff

3.12.2020

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Fi nding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae 973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645 , Zugriff 17.3.2021

•             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin

Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambts bericht_Zuid-_en_Centraal-_Somaliemaart_2019.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             Sahan - Sahan / Hillaac Net (25.2.2021b): The Somali Wire No. 90, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.hillaac.net/puntland-oo-qaabishay-in-ka-badan-160-qoys-oo-qa xooti-ka-soo-cararay-yemen/

•             TG - The Guardian (9.3.2019): Mothers send sons to Somalia to avoid knife crime, https://www.theguardian.com/uk-news/2019/mar/09/british-somalis-send-sons-abroad-to- protect-against-knife-crime , Zugriff 3.12.2020

•             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (10.7.2021): Somalia - Returnees Figures and Trends as of 30 June 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2056013/UNHCRTSom alia+Monthly+Refugee+Returnee+Report+-+June+2021.pdf, Zugriff 20.7.2021

•             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (31.5.2021): Somalia Post Return Monitoring Snapshot Round 5 | MAY 2021, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/ PRM%20Snapshot%20May%202021.pdf, Zugriff 1.7.2021

•             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.11.2019): Refugee returnees to Somalia at 30 November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2022050/document-8.pdf, Zugriff 27.1.2020

•             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.6.2019): UNHCR Somalia Factsheet - 1 - 30 June 2019, https://reliefweb.int/report/somalia/unhcr-somalia-factsheet-1-30-june-2 019 , Zugriff 3.12.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 6.4.2021

Dokumente

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 07.07.2021

Es gibt im Land kein umfassendes Programm zur Geburtenregistrierung, die Registrierungsrate beträgt in ganz Somalia (inkl. Somaliland) nur rund 3 % (ÖB 3.2020). Seit dem Fall von Siad Barre im Jahr 1991 herrscht in Somalia eine „dokumentenlose" Gesellschaft. Normalerweise identifizieren sich Somalis durch Dialekt und Clanzugehörigkeit (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 13). Der Großteil der Bevölkerung besitzt also keine Papiere (ÖB 3.2020, Sitzung 4). Üblicherweise verfügen nur jene Somali über Dokumente, die vorhaben, ins Ausland zu reisen (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 13).

Identitätsprüfung: Möchte jemand ein Dokument beantragen, dann muss er sich an jene Lokalbehörde wenden, wo er geboren wurde oder lebt (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 15f). Nachdem in Somalia kein Personenstandsverzeichnis existiert, erfolgt die Ausstellung von Dokumenten allein aufgrund der mündlichen Angaben der antragstellenden Person (ÖB 3.2020, Sitzung 4; vergleiche LI 14.6.2018, Sitzung 17) und ggf. anwesender Zeugen und Verwandten (ÖB 3.2020, Sitzung 4; vergleiche LI 14.6.2018, S.

17; LIFOS 9.4.2019, Sitzung 15f). Die Person selbst wird interviewt und nach dem Ältesten befragt, mit welchem ggf. Kontakt aufgenommen wird (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 15f). Denn die verlässliche Feststellung von Identitäten erfolgt - neben Verwandten - oft durch Älteste eines Dorfes (ÖB 3.2020, Sitzung 4).

Folglich kann es bei Angaben, die zur Ausstellung eines Dokuments gemacht werden müssen, leicht zu Falschangaben kommen. Zusätzlich fördern schwache Institutionen, niedrige Gehälter und eine Kultur der Korruption die Bestechlichkeit von Beamten, welche Dokumente ausstellen. Auch die starken Loyalitäten, die auf dem Clansystem beruhen, kommen hier zu tragen. In das System der Identifizierung einzelner Personen kann folglich nicht viel Vertrauen gelegt werden (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 34ff). Es besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige zu erhalten (AA 18.4.2021, Sitzung 25).

Dokumentensicherheit: Für Somalier ist es generell einfach, echte Dokumente unwahren Inhalts zu besorgen, darunter auch unrichtige Pässe der Nachbarländer Dschibuti, Äthiopien und Kenia. In Somalia selbst, aber auch z.B. im Stadtteil Eastleigh in Nairobi, werden gefälschte somalische Reisepässe ebenso wie zahlreiche andere gefälschte Dokumente zum Verkauf angeboten (AA 18.4.2021, Sitzung 25). Dokumenten mangelt es insgesamt an nachweisbaren Grundlagen und Verlässlichkeit der Angaben. Dieser Umstand öffnet die Tür für Betrug und Missbrauch. Personen mit fünf verschiedenen Reisedokumenten und fünf darin anderslautenden Namen sind keine Seltenheit. Hinzu kommen erschwerend die häufige Namensgleichheit bzw. verschiedene Namensschreibweisen (ÖB 3.2020, Sitzung 4). Für ethnische Somali aus den Nachbarländern scheint es kein Problem zu sein, an echte somalische Dokumente zu gelangen. Sowohl in Kenia als auch in Äthiopien sind zahlreiche eigene Staatsbürger somalischer Ethnie als aus Somalia stammende Flüchtlinge registriert (BFA3./4.2017). Die Echtheit von Dokumenten bzw. Urkundenüberprüfungen hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit bzw. dem Wahrheitsgehalt von Dokumenten kann von österreichischen Vertretungsbehörden keinesfalls überprüft werden (ÖB 3.2020, Sitzung 4).

Dokumente: Nur wenige Somali können die erforderlichen Mittel aufbringen, um einen Reisepass zu erhalten (ÖB 3.2020, Sitzung 9). Dabei erfolgt die Ausstellung eines Passes in Mogadischu innerhalb weniger Wochen ohne Problem, die Kosten betragen 90-100 US-Dollar. Gleichzeitig mit dem Pass erhält man einen Personalausweis (FIS 7.8.2020, Sitzung 45). Pässe können außerhalb Somalias auch an 27 somalischen Botschaften beantragt werden (NLMBZ 3.2019, Sitzung 29ff). Insgesamt ist die Ausstellung von Reisepässen von Betrug und Korruption gekennzeichnet, die Integrität dieses Dokuments ist untergraben (ÖB 3.2020, Sitzung 5; vergleiche BS 2020, Sitzung 17). Aufgrund von weitverbreitetem Passbetrug erkennen viele Staaten den somalischen Reisepass nicht als gültiges Reisedokument an (ÖB 3.2020, Sitzung 9).

Für die Beantragung eines Passes ist die Vorlage einer Geburtsurkunde notwendig (FIS 7.8.2020, Sitzung 45; vergleiche NLMBZ 3.2019, Sitzung 29ff). Letztere kann ebenfalls an der Botschaft beantragt werden (NLMBZ 3.2019, Sitzung 29ff). Die große Mehrheit somalischer Geburtsurkunden ist aber entweder gefälscht oder sonst für einen Identitätsnachweis unbrauchbar (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 34f). Geburtsurkunden mit falschen Einträgen können gekauft werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 45).

Selbst somalische Behörden schenken somalischen Geburtsurkunden nur wenig Vertrauen (BFA 3./4.2017).

In Puntland erhalten nicht-puntländische Somali zwar keinen puntländischen Ausweis; sie können aber eine Personalurkunde erhalten (warqadda sugnaanta), wo ihre eigentliche Herkunft eingetragen ist. Für IDPs aus anderen Teilen Somalias gibt es in Puntland eigene ID-Karten (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 17).

Ehen werden vor einem Schariagericht geschlossen und auch wieder aufgelöst. Die SchariaGerichte können Ehe- und Scheidungsurkunden ausstellen. Es gibt kein zentrales Verzeichnis, das die Akte der Gerichte nachprüfbar macht (ÖB 3.2020, Sitzung 9). Es gibt keine Zivilehe (LI 14.6.2018, Sitzung 7).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia [Österreich/Schweiz] (3./4.2017): Informationen aus den Protokollen der FFM

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Fi nding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae 973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645 , Zugriff 17.3.2021

•             LI - Landinfo [Norwegen] (14.6.2018): Somalia: Marriage and divorce, https://landinfo.n o/wp-content/uploads/2018/09/Report-Somalia-Marriage-and-divorce-14062018-2.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medbor- garskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.p df, Zugriff 17.3.2021

•             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin

Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambts bericht_Zuid-_en_Centraal-_Somaliemaart_2019.pdf, Zugriff 2.12.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Clan- und Religionszugehörigkeit des BF, zu seiner Muttersprache und seinem Familienstand (traditionell verheiratet, 4 Kinder), ergeben sich aus seinen diesbezüglich gleichbleibenden und glaubwürdigen Angaben während des Asylverfahrens.

Die Identität des BF konnte mangels der Vorlage entsprechender somalischer Personaldokumente nicht festgestellt werden.

Das Datum der Asylantragstellung ergibt sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt.

Die Feststellungen zur Herkunft/zum Wohnort des BF ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF in den niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BFA sowie der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.

Dass der BF in Somalia 2 Jahre lang die Koranschule besucht hat und lesen sowie schreiben lernte, ergibt sich ebenfalls aus seinen eigenen glaubhaften Angaben in den Einvernahmen vor der belangten Behörde sowie seinen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung Sitzung 3 Verhandlungsprotokoll).

Wie an späterer Stelle der Beweiswürdigung dargelegt wird, verstrickte sich der BF betreffend seine Tätigkeit in der Werkstatt des Onkels in diverse Widersprüche, weshalb nicht festgestellt werden kann, dass der BF in Somalia als Mechaniker gearbeitet hat.

Die Feststellungen zum letzten Kontakt bzw. Wohnort der Familienangehörigen des BF in Somalia ergeben sich insbesondere aus den glaubhaften Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung Sitzung 5 Verhandlungsprotkoll).

Die Feststellung, dass der BF gesund ist, ergibt sich ebenso aus seinen Angaben im Asylverfahren, insbesondere aus seinen aktuellen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wo er bejahte gesund zu sein bzw. es ihm gut gehe Sitzung 15 Verhandlungsprotokoll).

Die strafrechtliche Unnbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme ins österreichische Strafregister.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des BF:

Dem BF ist es nicht gelungen, das Vorliegen von Fluchtgründen iSd Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) glaubhaft zu machen.

Zunächst ist zu betonen, dass der BF seine Fluchtgründe während des Verfahrens erheblich steigerte. So sprach er in der Erstbefragung lediglich davon, sein Land verlassen zu haben, weil seine Volksgruppe (Gabooye) diskriminiert werde bzw. er Angst um sein Leben habe und es daheim nicht sicher für ihn sei (AS 38).

In der niederschriftlichen Einvernahme am 24.07.2020 sprach er dann erstmals zusammengefasst davon, dass er im Zuge seiner Arbeit als Automechaniker in der Werkstatt seines Onkels mütterlicherseits Jugendliche kennengelernt habe, welche Alkohol verkauft hätten und habe er für diese Jugendlichen, gegen Bezahlung, alkoholische Getränke in der Werkstätte versteckt. Die Al Shabaab habe jedoch vom versteckten Alkohol erfahren und seien Al Shabaab-Männer, als der BF gerade nicht da gewesen sei, in die Werkstatt gekommen und hätten einen der Jugendlichen erwischt und diesen (später) auch getötet. Der BF habe dies von seinem Onkel erfahren, welcher den BF davor gewarnt habe wieder in die Werkstatt zu kommen. Der BF habe sich danach versteckt gehalten und schließlich Somalia, aus Angst ebenfalls von der Al Shabaab getötet zu werden, verlassen (AS 67).

Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dienen soll und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, dennoch ist von einem Asylwerber aber zu erwarten, dass er zumindest die Eckpunkte seiner Fluchtgeschichte gleichbleibend im Verfahren schildert. Im vorliegenden Fall hat der BF aber sein Fluchtvorbringen erheblich abgeändert, zumal er in der Erstbefragung mit keinem einzigen Wort die Vorfälle rund um den versteckten Alkohol in der Werkstätte des Onkels, die Besuche der Al Shabaab-Männer in der Werkstatt bzw. die Mitnahme und die Tötung des Mannes erwähnte. In der niederschriftlichen Einvernahme am 25.01.2021 wurde der BF von der Behörde dann dazu befragt, warum er in der Erstbefragung etwas Anderes erzählt habe, wobei der BF zunächst versuchte dies damit zu rechtfertigen, indem er angab, dass er damals durcheinander gewesen sei, 5 Tage lang in einem Auto gewesen sei bzw. man ihn gefragt habe, woher er komme, aber nicht nach seinem Fluchtgrund (AS 157). Nachdem ihm dann von der Behörde vorgehalten wurde, dass es nicht stimme, ihn bei der Erstbefragung nicht nach dem Fluchtgrund befragt zu haben, gab er dann plötzlich doch zu, befragt worden zu sein, warum er sein Heimatland verlassen habe und er Rassismus angegeben habe bzw. es ein Fehler gewesen sei, nicht seinen Fluchtgrund genannt zu haben und er müde gewesen sei (AS 157). In der Beschwerdeschrift wurde dann wiederum behauptet, der BF sei in der Erstbefragung nervös gewesen und habe er nicht die Zeit gehabt, alles zu erwähnen, was er vorbringen habe wollen. Selbst wenn der BF bei der Erstbefragung durcheinander, müde oder nervös gewesen sein mag und ein Asylwerber im Zuge der Erstbefragung auch nicht die Möglichkeit hat, alle Details seiner Fluchtgründe konkret darzulegen, ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den erstmals in der niederschriftlichen Einvernahme geschilderten Vorfälle (geheime Lagerung von Alkohol in der Werkstätte seines Onkels, Besuche der Al Shabaab in der Werkstatt und die Festnahme/Tötung des Mannes mit welchem der BF zusammengearbeitet haben will) um einschneidende Erlebnisse bzw. zentrale Teile seines Fluchtvorbringes handelt, die dem BF jedenfalls vorrangig in Erinnerung geblieben sein mussten und daher jedenfalls zu erwarten wäre, dass der BF diese Ereignisse schon in der Erstbefragung kurz zur Sprache bringt bzw. (wenn auch nur in einem Satz) vorbringt in Somalia eine Verfolgung durch Al Shabaab zu befürchten.

Unabhänig davon, verstrickte sich der BF betreffend die Vorfälle rund um die Lagerung des Alkohols in der Werkstätte seines Onkels aber auch in mehrere Ungereimtheiten und Widersprüche.

So fällt auf, dass der BF in der ersten Einvernahme vor dem BFA am 24.07.2020 davon sprach, 9 Monate lang alkoholische Getränke für die Männer versteckt zu haben, bis die Al Shabaab dies herausgefunden habe (AS 67). Auch in der zweiten Einvernahme vor der belangten Behörde am 25.01.2021 gab der BF an, 9 Monate lang für die Männer gearbeitet zu haben, bis die Al Shabaab dies mitbekommen habe (AS 156). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht schilderte der BF jedoch eine völlig andere Zeitspanne. So gab er auf die Frage der Richterin, wann der Alkohol in der Werkstatt gelagert worden sei, zunächst an, dies sei „in den letzten Tagen“, als sie Al Shabaab erwischt habe, gewesen. Nach nochmaliger Nachfrage, wie wieviele Wochen lang der Alkohol (Gin) in der Werkstatt gelagert worden sei, gab der BF dann an „zuletzt ca. 2 Wochen“, bevor er die darauffolgende Frage der Richterin, was er mit „zuletzt ca. 2 Wochen“ meine bzw. ob dies heiße, dass der Alkohol (Gin) in der Werkstatt 2 Wochen lang gelagert gewesen sei, bejahte Sitzung 9 Verhandlungsprotokoll). Auch an späterer Stelle der Verhandlung bestätigte der BF, nach diesbezüglicher Nachfrage, erneut, dass die Lagerung des Alkohols im Zeitraum von 2 Wochen vor der Ausreise gewesen sei („Ja. Das waren diese 2 Wochen vor der Aureise aus meinem Heimatort.“, Sitzung 10 Verhandlungsprotokoll). Als der BF im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung schließlich noch explizit dazu befragt wurde, warum er vor dem Bundesamt angegeben habe, 9 Monate lang für die beiden Männer gearbeitet zu haben bzw. er nun von einer Zeitspanne von 2 Wochen gesprochen habe, versuchte der BF dies völlig unglaubwürdig und aktenwidrig damit zu rechtfertigen, indem er angab, gesagt zu haben, dass sie sich 9 Monate lang kennen würden bzw. 9 Monate gekannt hätten Sitzung 15 Verhandlungprotokoll). Unabhängig davon, dass die in der mündlichen Verhandlung angegebene Zeitspanne von 2 Wochen eindeutig seinen Angaben in den beiden Einvernahmen vor dem BFA widerspricht, sind diese aber auch nicht mit den weiteren Schilderungen des BF in der niederschriftlichen Einvernahme vom 25.01.2021 vereinbar, zumal er hier auch schilderte, dass die alkoholischen Getränke jeden zweiten Monat, in der Nacht, in die Werkstätte geliefert worden seien (AS 158).

Aber auch die Angaben des BF zur Lagerung des Alkohols in der Werkstätte divergieren. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 25.01.2021 gab der BF an, er habe die alkoholischen Getränke in einem alten Auto in der Werkstätte gelagert (AS 157), während er in der mündlichen Verhandlung dann schilderte, der Alkohol sei im hinteren Bereich der Werkstatt gelagert gewesen Sitzung 10 Verhandlugsprotokoll). Von der Lagerung des Alkohols in einem alten Auto, war in der mündlichen Verhandlung keine Rede mehr.

Der BF verstrickte sich auch in seinen Schilderungen zu dem Zeitpunkt, als die Al Shabaab zur Werkstätte kamen, in Ungereimtheiten. In der Einvernahme vor dem BFA am 25.01.2021 schilderte er, er sei zu diesem Zeitpunkt nicht in der Werkstätte gewesen, da er seinen Sohn zum Arzt gebracht habe, weil dieser krank gewesen sei (AS 156). In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht gab er zunächst jedoch abweichend an, er sei zu diesem Zeitpunkt zu Hause gewesen Sitzung 10 Verhandlungsprotokoll). Erst an späterer Stelle der Verhandlung, als er von der erkennenden Richterin explizit dazu befragt wurde, wieso er an dem Tag, als der Mann von der Al Shabaab verhaftet worden sei, nicht in der Werkstatt gearbeitet habe, gab er schließlich doch an: „Mein Kind war krank. Ich musste ihn zum Arzt bringen.“ Sitzung 15 Verhandlungsprotokoll).

Ein weiterer Widerspruch findet sich in den Angaben des BF zu den Mitarbeitern der Werkstatt. Der BF sprach zwar stets davon, dass sie insgesamt 5 Mitarbeiter und der Onkel (zusätzlich) als Chef gewesen seien, jedoch gab er vor dem BFA an es seien 2 Mechaniker und 3 Schweißer gewesen (AS 157), während er in der mündlichen Verhandlung dazu abweichend ausführte, sie seien 3 Mechaniker und 2 Schweißer gewesen Sitzung 16 Verhandlungsprotkoll).

Die Angaben des BF divergieren aber noch in weiteren Punkten. So gab der BF vor dem BFA am 24.07.2020 an, er sei von seinem Onkel davor gewarnt worden (wieder) in die Werkstatt zu kommen und habe er sich drei Tage lang im Dorf versteckt und sich danach mit seinem Onkel zusammengesetzt (AS 67). In der niederschriftlichen Einvernahme am 25.01.2021, führte er aus, sein Onkel habe ihn angerufen und ihm gesagt, dass er nicht in die Werkstatt und nicht nach Hause gehen solle. Er habe sich drei Tage lang in Haradheere, im Haus des Cousins des Vaters versteckt. Er habe seinen Onkel nach 2 Tagen getroffen, dies sei 15km von Hardheere entfernt, im ländlichen Bereich, im Freien, dort wo die Nomaden leben, gewesen. Sie hätten sich im Haus des Cousins des Vaters getroffen, dieser sei Hirte. Das Treffen sei am Abend gewesen (AS 155, 156 und 158). In der mündlichen Verhandlung schilderte der BF die Situation wiederum abweichend, zumal er hier angab, sich im ländlichen Bereich, außerhalb, bei seiner Tante mütterlicherseits im Haus versteckt zu haben. Diese würde am Land, in der Stadt Hobayo, leben, was ca. 90km von seinem Heimatort entfernt sei. Er sei zwei Nächte bei der Tante geblieben Sitzung 12 Verhandlungsprotokoll). Abgesehen von den eben aufgezeigten Widersprüchen, fällte dazu weiters noch auf, dass der BF in der Verhandlung den vor dem BFA geschilderten Umstand, sich mit seinem Onkel getroffen bzw. zusammengesetzt zu haben, mit keinem einzigen Wort mehr erwähnte.

Auch die Ausführungen des BF zu seinem Aufenthalt in Mogadischu waren unterschiedlich. In der Einvernahme vor dem BFA am 25.01.2021 gab er anfangs an, er habe in Mogadischu bei einem Verwandten des Onkels mütterlicherseits gewohnt und sei er 8 oder 9 Tage lang in Mogadischu gewesen (AS 152). An späterer Stelle dieser Einvernahme führte er dann aus, er habe sich in Mogadischu im Haus eines Freundes seines Onkels versteckt (AS 155). In der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab er dann abweichend an, er sei bis zu 9 Tage oder Nächte, vielleicht sogar 6 Nächte in Mogadischu gewesen und habe er sich bei seinem Cousin (Sohn seines Onkels) aufgehalten Sitzung 13 und 14 Verhandlungsprotokoll).

Insgesamt geht die zur Entscheidung berufene Richterin des BVwG nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und aufgrund des persönlichen Eindrucks des BF daher nicht davon aus, dass die vom BF vorgebrachten Fluchtgründe, wonach er wegen dem Verstecken von alkoholischen Getränken in der Werkstätte seines Onkels einer Bedrohung/Verfolgung durch Al Shabaab ausgesetzt sei, der Wahrheit entsprechen. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurückliegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen könnten, dass der BF die Ereignisse jedoch in einer derart widersprüchlichen und nicht nachvollziehbaren Weise wie in der mündlichen Verhandlung schildern würde, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität. Es ist daher davon auszugehen, dass sich der BF lediglich eines gedanklichen Konstruktes bedient.

Unabhängig von der Unglaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens ist selbst im Falle einer hypothetischen Wahrunterstellung nicht von einer konkreten Verfolgungsgefahr in Somalia auszugehen, zumal der BF laut seinen eigenen Angaben während des Verfahrens, gar nie persönlich von Mitglieder der Al Shabaab bedroht wurde. Vielmher verneinte der BF vor dem BFA von Mitgliedern der Al Shabaab angesprochen oder wegen der Lagerung des Alkohols bedroht worden zu sein (AS 158 und 159). Auch in der mündlichen Verhandlung gab er an, dass die Al Shabaab-Männer lediglich mit seinem Onkel gesprochen hätten und diesem gesagt hätten, dass sie nach dem BF suchen würden bzw. der Onkel den BF herbringen müsse Sitzung 11 Verhandlungsprotokoll). Auch vor diesem Hintergrund ist daher völlig unwahrscheinlich, dass die Al Shabaab den BF bei einer Rückkehr überhaupt erkennen oder ihn bedrohen/verfolgen würde.

Soweit der BF vor dem BFA einmal vage angab, dass die Al Shabaab ihn früher einmal rekrutieren habe wollen bzw. ihn deshalb bedroht habe, so ist zu betonen, dass auch dieses Vorbringenen des BF nicht glaubhaft ist, zumal er selbiges lediglich in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 25.01.2021 erwähnte, während in der Erstbefragung, in der ersten Einvernahme vor dem BFA am 24.07.2020 und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht jedoch keine Rede von einer Zwangsrekrutierung durch die Al Shabab war. Unabhängig davon ist darauf hinzuweisen, dass der BF vor dem BFA sogar selbst ausführte, dass sein Onkel (die Al Shabaab) darum gebeten habe, den BF beim Onkel zu lassen, weil er ein Einzelkind sei und die Al Shabaab dann davon (gemeint: von der Zwangsrekrutierung) abgelassen habe (AS 159), weshalb auch vor diesem Hintergrund keine asylrelvante Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr nach Somalia vorliegt.

Betreffend die Ausführungen des BF, wegen der Zugehörigkeit zum Minderheitsclan der Gabooye in Somalia einer Verfolgung ausgesetzt zu sein, ist darauf hinzuweisen, dass der BF zunächst lediglich in allgemeiner Weise ausführte, dass die Volksgruppe der Gabooye in Somalia diskriminiert werde (Erstbefragung, AS 38), es Rassismus gegen die Gabooye in Somalia gebe (zweite Einvernahme vor dem BFA, AS 151) bzw. er vor dem BFA zunächst auch explizit verneinte, persönliche Probleme aufgrund der Clanzugehörigkeit gehabt zu haben und. er auch verneinte wegen seiner Clanzugehörigkeit verfolgt worden zu sein (AS 151). Erst an späterer Stelle der Einvernahme vom 25.01.2021 bejahte er dann plötzlich wegen der Volksgruppenzugehörigkeit/Rasssisums verfolgt worden zu sein, er führte aber lediglich vage aus, er sei, als er die Koranschule besucht habe, von anderen Somaliern beschimpft worden bzw. sei jedes Mal, wenn es die Gelegenheit gegeben habe, zu den Gabooye etwas gesagt und diese beleidigt worden (AS 160). Beleidungen/Beschimpfungen in der Schule sind jedoch nicht geeignet eine asylrelevante Verfolgungsgefahr darzulegen und brachte der BF auch nicht vor, dass es Übergriffe oder dergleichen auf ihnen gegeben hätte. Ebenso geht aus dem herangezogenen Länderinformationsblatt nicht hervor, dass die Gabooye einer generellen Verfolgungsgefahr (Gruppenverfolgung) unterliegen würden, sondern hat sich demnach die Situation für die Gabooye, die im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal die Schule besuchen konnten, gebessert. Inbesondere unter jungen Somaliern ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden, mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Zudem wird im Länderinformationsblatt explizit festgehalten, dass es keine gezielten Angriffe oder Misshandlungen gibt.

Der BF konnte daher insgesamt keine asylrelevnante Verfolgung darlegen oder glaubhaft machen, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides als unbegründet abzuweisen war.

2.3. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Dem BF ist eine Rückkehr in seinen Heimatort Harardheere in der Region Mudug nicht möglich, zumal die Al Shabaab – laut den herangezogenen Länderberichten – in der Region Mudug präsent ist, diese Region zum Teil unter der Kontrolle der Al Shabaab steht und es auch immer wieder zu Übergriffen kommt bzw. die Region von Gewalt betroffen ist. Auch die tatsächliche Erreichbarkeit seines Heimatortes ist fraglich, zumal es viele Straßensperren gibt und eine Reise auf dem Landweg ein Risiko darstellt. Die Al-Shabaab kontrolliert wichtige Hauptversorgungsrouten. Al-Shabaab verhält sich an Straßensperren unberechenbar. Menschen können nie voraussehen, wie sie dort behandelt werden.

Zu prüfen ist daher die Möglichkeit und Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in einem von der somalischen Regierung kontrollierten und für den BF erreichbaren Gebiet. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um die somalische Städte Mogadischu und Kismayo, wobei Mogadischu vom Blickwinkel der Versorgungslage mehr Möglichkeiten bietet, weshalb im Folgenden auf diese Stadt näher einzugehen ist.

Fallgegenständlich muss neben der nach wie vor prekären Sicherheitslage in Süd-/Zentralsomalia sowie der prekären Menschenrechtslage in von Al Shabaab kontrollierten Gebieten auch die aktuell angespannte Grundversorgungslage miteinbezogen werden. Aus den Länderberichten ergibt sich, dass die humanitären Bedürfnisse weiter hoch bleiben, angetrieben von anhaltenden Konflikten, von politischer und wirtschaftlicher Instabilität und regelmäßigen Klimakatastrophen sowie der Belastung durch Covid-19, Heuschrecken und Überflutungen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen wie auch Überflutungen, zuletzt auch die Heuschreckenplage, die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zum Land mit dem viertgrößten Bedarf an internationaler Nothilfe weltweit. Covid-19 hat die bereits bestehende Krise nur noch verschlimmert. Es fügt sich den Länderberichten zufolge ein in die Krisen der schlimmsten Heuschreckenplage seit 25 Jahren, schweren Überflutungen mit zeitweise 650.000 Vertriebenen, dem mancherorts andauernden Konflikt und vorangehenden Jahren der Dürre. Insgesamt gelten laut den Länderberichten rund 2,6 Millionen Menschen als im Land vertrieben, 3,5 Millionen können auch nur die grundlegendste Nahrungsversorgung nicht sicherstellen und stehen vor akuter Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung.

Weiters ist dem Länderinformationsblatt zu entnehmen, dass in Städten wie Mogadischu entweder ein funktionierendes Netzwerk oder aber genügend Eigenressourcen notwendig sind, um ein Auslangen finden zu können. Ein Netzwerk ist insbesondere hinsichtlich der Arbeitssuche wichtig. Ferner ist dem Länderinformationsblatt zu entnehmen, dass das UNHCR vor der inexistenten Infrastruktur und mangelnden Einrichtungen für somalische Rückkehrer warnt, sodass auch unter diesem Aspekt der Aufbau einer Existenzgrundlage für einen Rückkehrer ohne soziale bzw. familiäre Kontakte kaum möglich ist. Auch wenn es in Mogadischu viel mehr Arbeitsmöglichkeiten gibt, als an anderen Orten Somalias, ist dennoch zu berücksichtigen, dass freie Arbeitsplätze häufig über die Verwandtschaft vor Ort oder den Clan vergeben werden.

Der BF gab zwar an, dass er vor seiner Ausreise nach Europa (einige Tage) in Mogadischu aufhältig gewesen ist, da er sich dazu - wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt wurde - in Widersprüche verstrickte, erscheint zweifelhaft, ob der BF tatsächlich bereits in Mogadischu aufhältig war. Doch selbst bei hypothetischer Annahme eines tatsächlichen Aufenthaltes in Mogadischu, hätte der BF lediglich ein paar Tage seines Lebens dort verbracht. Der BF führt während des Verfahrens zwar auch aus, dass er in Mogadischu Verwandte habe, wie er in der mündlichen Verhandlung jedoch glaubhaft darlegen konnte, hat er seit Februar 2020 keinen Kontakt mehr zu seinen Verwandten in Somalia, weshalb nicht sicher ist, ob sich aktuell noch Verwandte des BF in Somalia/der Stadt Mogadischu aufhalten bzw. diese den BF unterstützen wollen oder können. Der BF wäre ohne familäre oder soziale Anknüpfungspunkte in Somalia auf sich alleine gestellt. Er gehört einem Minderheitsclan an, wodurch die Möglichkeiten des Clanschutzes schon grundsätzlich stark eingeschränkt sind und besuchte er lediglich 2 Jahre lang die Koranschule bzw. haben sich auch betreffend seine Tätigkeit als Mechaniker Widersprüche ergeben. Der BF läuft daher auch Gefahr in ein IDP-Camp gehen zu müssen.

2.4. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht entscheidungswesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu Spruchpunkt römisch eins. (Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten):

3.1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in

Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde vergleiche VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr vergleiche VwGH  10.06.1998, 96/20/0287).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren vergleiche VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann vergleiche VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 in Verbindung mit Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe vergleiche VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der BF die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, Paragraph 45,, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus vergleiche VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (hier: des Bundesverwaltungsgerichts) vergleiche VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

3.1.2. Wie bereits ausführlich beweiswürdigend ausgeführt, ist es dem BF nicht gelungen, eine individuelle und konkret gegen ihn gerichtete Bedrohung oder Verfolgung durch Al Shabaab glaubhaft zu machen.

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, ist es dem BF insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Ebenso wurde in der Beweiswürdigung schon ausführlich dargelegt, dass der BF in Somalia auch keiner individuellen asylrelevanten Verfolgung oder Benachteiligung aufgrund seiner Clanzugehörigkeit ausgesetzt gewesen ist und auch keine Gruppenverfolgung der Gabooye vorliegt. Die Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Volksgruppe allein sowie deren etwaige schlechte allgemeine Situation ist nicht geeignet, eine Asylgewährung zu rechtfertigen vergleiche Erk. des VwGH v. 23.5.1995, Zl. 94/20/0816). Das Asylgesetz verlangt vielmehr die begründete Furcht vor einer konkret gegen eine Person selbst gerichtete Verfolgungshandlung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen. Allgemeine geringfügige Benachteiligungen, die noch nicht das Ausmaß einer Gruppenverfolgung haben und die sich nicht speziell gegen den BF richten, können daher nicht zur Gewährung von Asyl führen.

Vor diesem Hintergrund ist eine aktuelle, gezielt gegen die Person des BF gerichtete Verfolgung nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

Da sich auch sonst keine konkrete gegen den BF gerichtete Verfolgung in seinem Heimatstaat ableiten ließ, war im Ergebnis die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt römisch II. (Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten):

3.2.1. Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen,

1.           der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2.           dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Nach Paragraph 8, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, leg.cit. mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, leg.cit. oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, leg.cit. zu verbinden.

Nach Paragraph 8, Absatz 3, AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offensteht. …“

Zu prüfen ist, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Artikel 2, EMRK (Recht auf Leben), Artikel 3, EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben vergleiche VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen vergleiche etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Artikel 3, EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat vergleiche VwGH vom 31.03.2005, 2002/20/0582; VwGH vom 31.05.2005, 2005/20/0095).

Die bloße Möglichkeit einer dem Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des Paragraph 57, FrG (nunmehr: Paragraph 50, Absatz eins, FPG bzw. Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005) als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

Die Anerkennung des Vorliegens einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person, die als Zivilperson die Gewährung von subsidiärem Schutz beantragt, setzt nicht voraus, dass sie beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Eine solche Bedrohung liegt auch dann vor, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein vergleiche EuGH 17.2.2009, Elgafaji, C-465/07, Rn 35). Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des BF bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird vergleiche EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U 370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Artikel 3, EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vergleiche auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (z.B. Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Artikel 3, EMRK in Verbindung mit Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 bzw. Paragraph 50, Absatz eins, FPG bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vergleiche VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059).

Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Artikel 3, EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Artikel 3, EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137). Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Artikel 3, EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH vom 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).

Gemäß Paragraph 8, Absatz 3, AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG) offensteht.

3.2.2. Aus den Feststellungen zur Person des BF in Zusammenschau mit den aktuellen spezifischen Länderfeststellungen zu Somalia ergeben sich konkrete Hindernisse betreffend die sofortige Rückverbringung des BF in seinem Herkunftsstaat:

Vor dem Hintergrund der insgesamt eher schlechten Versorgungslage im gesamten Land, der prekären Sicherheitslage in Somalia und in Zusammenschau mit den persönlichen Verhältnissen des BF kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieser im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung entgegen Artikel 3, EMRK ausgesetzt wäre. Denn nicht nur Handlungen, sondern auch unmenschliche Bedingungen und Zustände können eine Verletzung von Artikel 3, EMRK auslösen, selbst wenn der Staat keinerlei Absicht hegt, dem Betroffenen Leiden zuzufügen und auch wenn die Zustände in diesem Land als "normal" gelten würden (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer [2016] Asyl- und Fremdenrecht Paragraph 8, AsylG 2005 K 12). Eine Rückführung des BF würde diesen daher in seinen Rechten nach Artikel 3, EMRK verletzen.

Wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt wurde, liegt in Somalia, neben der nach wie vor prekären Sicherheitslage in Süd-/Zentralsomalia und der prekären Menschenrechtslage in von Al Shabaab kontrollierten Gebieten auch eine aktuell angespannte Grundversorgungslage vor. Die humantiären Grundbedürfnisse bleiben hoch und ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Aus den Länderberichten geht weiters hervor, dass die Zurverfügungstellung von Unterkunft und Arbeit von den Rückkehrern selbst in die Hand genommen werden muss und diesbezüglich auftretende Probleme durch ein vorhandenes Netzwerk abgefedert werden können. Von einer Unterstützung des BF durch Clan und Kernfamilie kann jedoch – wie ebenso bereits dargelegt wurde - nicht mt Sicherheit ausgegangen werden. Der BF gehört einerseits einem Minderheitsclan an und hat er andererseits seit Februar 2020 keinen Kontakt mehr zu seiner Familie in Somalia und steht daher nicht fest, wo sich diese aufahlten oder ob diese den BF unterstützen können oder wollen. Der BF besuchte auch lediglich 2 Jahre lang die Koranschule und haben sich betreffend seine Tätigkeit als Mechaniker Widersprüche ergeben. Der BF läuft sohin auch Gefahr in ein IDP-Lager gehen zu müssen. In diesem Zusammenhang ergibt sich aus den Länderberichten, dass sich ein erheblicher Teil der Rückkehrer als IDPs wiederfinden wird und es v.a. in Mogadischu zu Vertreibung bzw. Zwangsräumungen von IDPs gekommen ist. IDPs gehören in Somalia generell zu den am meisten gefährdeten Personengruppen. Die Regierung und Regionalbehörden bieten nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung. In Mogadischu sind die Bedingungen für IDPs in Lagern hart. Oft fehlt es dort an simplen Notwendigkeiten, wie etwa Toiletten. Die Rate an Unterernährung ist hoch, der Zugang zu grundlegenden Diensten eingeschränkt. Es mangelt ihnen zumeist an Zugang zu genügend Lebensmitteln und akzeptablen Unterkünften.

Angesichts all dieser Umstände ist ernstlich zu befürchten, dass der BF bei einer Rückkehr nach Somalia in eine aussichtslose Lage geraten würde und ist derzeit nicht einer Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mogadischu auszugehen.

Unter Berücksichtigung der dargelegten allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat des BF und der aufgezeigten persönlichen Umstände des Einzelfalls des BF und der allgemeinen prekären Versorgungslage in Somalia ist davon auszugehen, dass es nicht ausreichend wahrscheinlich ist, dass der BF bei einer Rückkehr nach Somalia seinen notdürftigen Lebensunterhalt erwirtschaften wird können.

Dem BF würde daher vor dem Hintergrund der dargelegten Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der ihn betreffenden individuellen, exzeptionellen Umstände bei einer Rückkehr nach Somalia die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen. Es ist damit dargetan, dass seine Abschiebung eine Verletzung in seinen Rechten nach Artikel 3, EMRK darstellen würde.

Hinsichtlich der gegenwärtigen Situation in Somalia führte jüngst der Verfassungsgerichtshof aus, dass selbst im Großraum Mogadischu die Sicherheitslage äußerst volatil sei und neben einer angespannten Sicherheitslage Somalia darüber hinaus von schweren Überschwemmungen, einer lahmgelegten Wirtschaft, drohenden Wüstenheuschreckenschwärmen, einer exponentiellen Ausbreitung von COVID-19, von regelmäßigen Dürren sowie einer oft unzureichenden Nahrungsmittelversorgung gekennzeichnet ist vergleiche VfGH vom 11.12.2020, E 2576/2020-19).

Es ist somit nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass die Abschiebung des BF nach Somalia für ihn als Zivilperson somit (landesweit) eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes iSd Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 mit sich bringen würde vergleiche Artikel 15, Litera c, Statusrichtlinie), eine relevante innerstaatliche Fluchtalternative ist nicht vorhanden.

Ausschlussgründe nach Paragraph 8, Absatz 3 a, in Verbindung mit Paragraph 9, Absatz 2, AsylG 2005 liegen nicht vor, weil sie einerseits nicht hervorgekommen sind (Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer eins und 2 AsylG 2005) und der BF andererseits unbescholten ist (Ziffer 3, leg.cit.).

Der Beschwerde zu Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheids war daher stattzugeben und dem BF gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

3.3. Zu Spruchpunkt römisch III (Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung):

3.3.1. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt für ein Jahr und wird im Fall des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom BFA für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

3.3.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat dem BF mit gegenständlichem Erkenntnis den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, sodass eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der Dauer von einem Jahr zu erteilen ist.

3.4. Zu Spruchpunkt römisch IV (Ersatzlose Behebung der Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides):

Auf Grund der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten waren die Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos gemäß Paragraph 28, Absatz eins und 2 VwGVG zu beheben.

Zu B)

Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im gegenständlichen Fall konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2022:W142.2241570.1.00