Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

30.08.2022

Geschäftszahl

L506 2208770-1

Spruch


L506 2208770-1/31E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. GABRIEL als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA Iran, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , Regionaldirektion Tirol – Außenstelle Innsbruck, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am römisch 40 und am römisch 40 , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den Paragraph 3, Absatz eins,, Paragraph 8, Absatz eins und Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 idgF in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG sowie Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2 und Absatz 9,, Paragraph 46 und Paragraph 55, FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF), ein iranischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Kurden zugehörig, stellte am römisch 40 nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Anlässlich der Erstbefragung am römisch 40 gab der BF als Grund für seine Ausreise an, er habe vor ca. 25 Tagen den Ausreiseentschluss gefasst und er sei über die Türkei, Griechenland und Slowenien nach Österreich gereist. Als Ausreisegrund gab der BF seine Konversion zum Christentum an, bei Rückkehr drohe ihm die Hinrichtung.

3. Am 18.04.2018 übermittelte der BF eine Bestätigung über den Besuch eines Taufvorbereitungskurses sowie seinen Taufschein, wonach er am römisch 40 in der Evangelischen Pfarrgemeinde A.B. und H.B. römisch 40 getauft worden sei.

4. Am 21.08.2018 erfolgte die Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (nachfolgend: BFA). Der BF gab an, er sei von SEPAH, der Revolutionsgarde, gesucht worden. Er habe im Iran Hauskirchen besucht, insgesamt etwa acht Mal. Eines Tages seien sie [Anm: die Behörde] gekommen und der BF sei mit den anderen Hauskirchenbesuchern geflüchtet. Dabei habe er seinen Rucksack zurückgelassen. Von seiner Mutter habe er etwa 3 – 4 Stunden später erfahren, dass Leute von der Behörde in Zivil ihn zu Hause gesucht hätten; sie hätten dabei auch seinen Hund getötet. Daraufhin habe er sich zur Flucht entschlossen. Den Kontakt zum Christentum habe er durch einen Arbeitskollegen bekommen.

Im Weiteren wurden dem BF Fragen zum christlichen Glauben gestellt.

5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Iran gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, - 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft betrage (Spruchpunkt römisch VI.).

Das BFA stellte zu den geltend gemachten Ausreisegründen des BF zusammengefasst fest, dass diese nicht glaubhaft seien und insbesondere eine Verfolgung und eine Hausdurchsuchung durch staatliche Behörden unglaubwürdig seien. Eine Verfolgung aufgrund der behaupteten Konversion zum Christentum habe nicht festgestellt werden können.

Spruchpunkt römisch II. begründete die Behörde zusammengefasst damit, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation iSd Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG zu verneinen sei.

Zu Spruchpunkt römisch IV. hielt das BFA fest, dass die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung für den Beschwerdeführer keinen Eingriff in Artikel 8, EMRK darstelle.

6. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 29.10.2018 innerhalb offener Frist vollinhaltlich Beschwerde. Zu deren Inhalt im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen (zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise: VwGH 16.12.1999, 99/20/0524).

Der BF monierte insbesondere ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und dass die Entscheidung des BFA nicht zutreffend gewesen sei. Das BVwG werde daher ersucht, den Fall des BF nochmals zu prüfen.

Es wurden die Anträge gestellt, die Rechtsmittelbehörde möge

-) den Bescheid abändern und dem BF den Status des Asylberechtigten zuerkennen;

-) in eventu dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen;

-) in eventu aussprechen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und dem BF einen Aufenthaltstitel gem. Paragraph 55, AsylG erteilen bzw. dies der erstinstanzlichen Behörde auftragen;

-) die gegen den BF ausgesprochene Rückkehrentscheidung aufheben.

7. Gegenständliche Beschwerde langte samt bezug habendem Verwaltungsakt am römisch 40 in der hg. Gerichtsabteilung ein.

8. Am 09.05.2019 langte hg. die Verständigung der Staatsanwaltschaft römisch 40 ein, wonach von der Verfolgung des BF gem. Paragraph 27, (1) SMG (vorläufig) zurückgetreten werde.

9. Am 22.09.2020 langte hg. die Bekanntgabe der Adressänderung des BF ein, am 10.11.2020 und 10.12.2021 eine Anfrage hinsichtlich des Verfahrensstandes, am 20.04.2022 Nachweise zur Integration des BF und eine Bestätigung über die Teilnahme am Taufkurs und am Pfarrgemeindeleben und am 06.07.2022 Screenshots zu christlichen Postings, die Mitgliedskarte eines Fitnessstudios sowie ein Antrag auf zeugenschaftliche Befragung der Pfarrerin seiner Geminde, welcher am 12.07.2022 wieder zurückgezogen wurde.

10. Am römisch 40 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu der der BF und das BFA geladen wurden, die aber aufgrund von Krankheitssymptomen des BF, welche nach rd. einstündiger Verhandlungsdauer (Husten und Schnupfen) auf den 22.07.2022 vertagt wurde.

11. Am 01.08.2022 wurde hg. eine Stellungnahme des BF zur mündlichen Verhandlung eingebracht.

12. Hinsichtlich des Verfahrensganges und des Parteivorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

13. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in den behördlichen Verwaltungsakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des BF, des Bescheidinhaltes sowie des Inhaltes der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde und durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung am römisch 40 und römisch 40 .

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

1.1. Zuständigkeit der entscheidenden Einzelrichterin

Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012, idgF, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß Paragraph 6, des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 10 aus 2013,, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Aufgrund der geltenden Geschäftsverteilung wurde der gegenständliche Verfahrensakt der erkennenden Einzelrichterin zugewiesen, woraus sich deren Zuständigkeit ergibt.

2.           Feststellungen (Sachverhalt):

2.1.       Zur Person des Beschwerdeführers wird festgestellt:

2.1.1. Die Identität des Beschwerdeführers, welcher Staatsangehöriger des Iran ist und der Volksgruppe der Kurden angehört, steht fest.

Der Beschwerdeführer ist in der Stadt römisch 40 in der Provinz römisch 40 geboren und aufgewachsen, hat zwölf Jahre die Schule besucht und mit Matura abgeschlossen und war als Kranfahrer erwerbstätig. Er hat im Haus seiner Eltern gewohnt. Seine Familienangehörigen (Eltern und Geschwister) sind nach wie vor im Iran aufhältig und der Beschwerdeführer steht mit ihnen in Kontakt.

Der Beschwerdeführer ist ledig, gesund und arbeitsfähig.

2.1.2. Der Beschwerdeführer reiste aus dem Iran aus und illegal in Österreich ein. Er stellte am römisch 40 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatstaat Iran wegen seiner Hinwendung zum Christentum und dem Besuch von Hauskirchen behördlich gesucht wurde oder er pro futuro derartigen Problemen ausgesetzt sein wird.

Der Beschwerdeführer wurde nach Absolvierung eines Taufvorbereitungskurses (Juni römisch 40 -Juni römisch 40 ) am römisch 40 in der römisch 40 (Evangelische Pfarrgemeinde A.B. und H.B.) römisch 40 getauft und ist seither Mitglied der Kirchengemeinde.

Dass sich der Beschwerdeführer ernsthaft mit christlichen Glaubensinhalten auseinandergesetzt, sich nachhaltig dem christlichen Glauben zugewandt hat und dieser Glaube für den Beschwerdeführer identitätsstiftend ist, kann nicht festgestellt werden.

Es können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Gefahr liefe, im Iran einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Iran in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde oder als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes ausgesetzt wäre.

Zum Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat festgestellt werden.

2.1.3. In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Verwandten oder sonstigen nahen Angehörigen.

Der Beschwerdeführer verfügt über einen Freundes-/Bekanntenkreis, dem Personen verschiedener Nationalitäten angehören; er ist kein Mitglied in einem Verein oder sonstigen Organisation.

Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig, er bezieht in Österreich Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Er verfügt über eine Einstellungszusage, über Empfehlungsschreiben, er hilft fallweise ehrenamtlich als Dolmetscher aus und leistet Hilfstätigkeiten im Rahmen der organisierten Unterkunft. Der BF spricht Deutsch auf unbestimmten Niveau. Er hat Deutschkurse besucht, ist für die ÖIF Integrationsprüfung A2 am römisch 40 angemeldet und ist in der Lage, Deutsch auf einfache Art und Weise zu sprechen.

Er ist strafrechtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer verfügt zum Entscheidungszeitpunkt über keine relevanten Bindungen zu Österreich. Auch sonst konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.

2.2. Zur Lage im Herkunftsstaat wird festgestellt:

2.2.1.

Politische Lage

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 14.9.2021b; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der ’velayat-e faqih’, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage ist, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten wird. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel ’Revolutionsführer’ (GIZ 12.2020a; vergleiche BS 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 30.3.2021, FH 3.3.2021). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.9.2021a; vergleiche FH 3.3.2021, US DOS 30.3.2021), ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und die höchste Autorität des Landes (FH 3.3.2021). Er steht somit höher als der Präsident. Des Weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran bzw. IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 3.3.2021, US DOS 30.3.2021). Doch obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z. B. schiitischer Klerus). Die Mitgliedschaften und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 5.2.2021).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: An der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021). Am 18.6.2021 fanden in Iran erneut Präsidentschaftswahlen statt (Tagesschau.de 18.6.2021; vergleiche AA 14.9.2021a). Gewonnen hat die Wahl der konservative Hardliner und vormalige Justizchef Ibrahim Raisi mit mehr als 62 % der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 50 % und war somit niedriger als jemals zuvor in der Geschichte der Islamischen Republik. In der Hauptstadt Teheran lag die Wahlbeteiligung sogar bei nur 26 %. Zudem wurden mehr als 3,7 Millionen Stimmzettel für ungültig erklärt (Standard.at 19.6.2021; vergleiche DW 19.6.2021). Wie bei jeder Wahl hat der Wächterrat die Kandidaten im Vorhinein ausgesiebt (Tagesschau.de 18.6.2021). Raisi wurde mehr oder weniger von Revolutionsführer Khamenei ins Amt gehievt (Zeitonline 23.6.2021). Raisi ist seit 5.8.2021 Staatspräsident. Am 25.8.2021 hat das Parlament den Vorschlag des neuen Staatspräsidenten für das Kabinett gebilligt, damit hat die neue Regierung ihr Amt angetreten (AA 14.9.2021a.). In Folge der Präsidentschaftswahlen vom Juni 2021 befindet sich die gesamte Befehlskette in konservativer bzw. erzkonservativer Hand (Oberster Führer, Präsident/Regierungschef, Leiter der religiösen Judikative, Regierung, Parlament, Wächterrat, Expertenrat) (ÖB Teheran 11.2021).

Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 3.3.2021). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive, zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 12.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren (GIZ 12.2020a). Bei den Parlamentswahlen vom 21.2.2020 haben (ultra-)konservative Kandidaten knapp 80 % der Sitze im Parlament gewonnen. Die Überprüfung von Kandidatinnen und Kandidaten für Parlamentswahlen durch den Wächterrat garantierte dabei bereits im Vorfeld der Wahlen, dass nur Abgeordnete gewählt werden konnten, die das Regime nicht infrage stellen. Unabhängige Wahlbeobachter wurden nicht zugelassen (AA 5.2.2021). Vor der Abstimmung disqualifizierte der Wächterrat mehr als 9.000 der 16.000 Personen, die sich für eine Kandidatur angemeldet hatten, darunter eine große Anzahl reformistischer und gemäßigter Kandidaten. Die Wahlbeteiligung lag bei 42,6 %, was als die niedrigste Wahlbeteiligung in die Geschichte der Islamischen Republik einging (FH 3.3.2021; vergleiche AA 5.2.2021) mit einem Rekord an ungültigen Stimmen. Es herrscht breite Politikverdrossenheit aufgrund nicht eingelöster Versprechen der vorigen Regierung Rohani zu wirtschaftlichen Reformen, Westöffnung und Korruptionsbekämpfung (ÖB Teheran 11.2021).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern, davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen. Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt unter anderem auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche GIZ 12.2020a, FH 3.3.2021, BS 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 12.2020a). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der ’Gesamtinteressen des Systems’ zu achten (AA 14.9.2021a; vergleiche GIZ 12.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 12.2020a).

Das Parlament, der Expertenrat sowie der Präsident werden in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Dabei sind Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA5.2.2021). Das iranische Wahlsystem entspricht aber nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Folglich können iranische Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten auswählen (FH 3.3.2021; vergleiche AA 5.2.2021).

Das Regime reagierte auch unter der moderaten Regierung von Präsident Rohani in den letzten Jahren auf die wirtschaftliche Krise und immer wieder hochkommenden Unmut und Demonstrationen mit hartem Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivistinnen, religiösen & ethnischen Minderheiten und Umweltaktivisten. Die Regierung Raisi ist noch dabei, ihre Machtstruktur auf allen Ebenen zu festigen. Sie hat jedoch bereits stärkere Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Sinne der ’islamischen Gesellschaftsordnung’ (Rolle der Frauen fokussiert auf Gebärfunktion), der Ablehnung ’westlicher’ Kultur, der Unterdrückung von Kritik (Internetzensur) und eine stärkere Ausrichtung auf Russland und China und deren politische Modelle angekündigt (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021a): Politisches Portrait - Iran, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/politisches-portrait/202450 , Zugriff 24.11.2021

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021b): Steckbrief - Iran, https://www.auswae rtiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/steckbrief/202394 , Zugriff 24.11.2021

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-projec

t.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 27.4.2021

•             DW – Deutsche Welle (19.6.2021): Raeissi wird neuer Präsident im Iran, https://www.dw .com/de/raeissi-wird-neuer-pr%C3%A4sident-im-iran/a-57961660 , Zugriff 25.6.2021

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 27.4.2021

•             GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/ , Zugriff 27.4.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 9.12.2021

•             Standard.at (19.6.2021): Hardliner Raisi gewann Präsidentenwahl im Iran, https://www.de rstandard.at/story/2000127545908/kleriker-raisi-fuehrt-laut-medienberichten-bei-praeside ntenwahl-im-iran , Zugriff 25.6.2021

•             Tagesschau.de (18.6.2021): Keine Macht dem Volk? https://www.tagesschau.de/ausland/ asien/iran-wahlen-kandidaten-stimmung-101.html , Zugriff 25.6.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights

Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 27.4.2021

•             Zeitonline (23.6.2021): Wofür steht Ebrahim Raissi? https://www.zeit.de/2021/26/iran-pra esidentenwahl-ebrahim-raissi-ali-chamenei , Zugriff 25.6.2021

Sicherheitslage

Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben im Juli 2021 Proteste gegen die Wasserknappheit in der Provinz Khuzestan und im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 7.12.2021).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 14.6.2021). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 7.12.2021b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 7.12.2021b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 7.12.2021).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 7.12.2021b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte im Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen, kriminellen Banden und den Sicherheitskräften (EDA 7.12.2021). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 11.2021). Gelegentlich kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Auch für unbeteiligte Personen besteht das Risiko, unversehens in einen Schusswechsel zu geraten (EDA 7.12.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.12.2021b, unverändert gültig seit 2.12.2021): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laend er/iran-node/iransicherheit/202396 , Zugriff 7.12.2021

•             EDA– Eidgenössisches Departement für auswärtigeAngelegenheiten [Schweiz] (7.12.2021, unverändert gültig seit 30.8.2021): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda /de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html , Zugriff 7.12.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 7.12.2021

Verbotene Organisationen

Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 5.2.2021).

Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komala(h)-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI), die aus Belutschistan stammende Jundallah und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der PKK, zusammenarbeitet (AA 5.2.2021). Die politischen Gruppierungen KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 11.2021) und hat einen bewaffneten Flügel (AI 15.6.2018). Von Mai bis September 2016 wurden fast wöchentlich bewaffnete Konflikte zwischen kurdischen Guerillakräften und iranischen Sicherheitskräften gemeldet. In den letzten zehn Jahren hatte hauptsächlich die kurdische Partei PJAK militärische Operationen im Nord-westen des Iran durchgeführt. Seit Mai 2016 beteiligen sich auch andere kurdische Parteien (KDPI, KDP-I, PAK) an militärischen Operationen gegen iranische Sicherheitskräfte. Alle diese Parteien operieren von Militärbasen und Lagern im Nordirak aus. Die Revolutionsgarden haben im gleichen Zeitraum ihre Präsenz in der Region verstärkt und kurdische Dörfer sowohl auf iranischer als auch auf irakischer Seite angegriffen. Mitglieder und Unterstützer von KDPI und Komala werden im Allgemeinen härter behandelt als andere Aktivisten im kurdischen Raum. In der Regel unterscheiden die iranischen Behörden nicht zwischen Mitgliedern und Unterstützern der Parteien. Während die iranischen Behörden Personen, die verhaftet werden, beschuldigen, mit diesen Parteien verbunden zu sein, ist dies nicht immer der Fall. Familienmitglieder von Parteimitgliedern und Unterstützern laufen ebenfalls Gefahr, von den iranischen Behörden befragt, inhaftiert und verhaftet zu werden, um dadurch Druck auf Aktivisten auszuüben. Enge Familienmitglieder werden häufiger verhaftet als Mitglieder der Großfamilie (DIS 7.2.2020).

Auch die Volksmudschahedin (MEK, MKO, PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019; vergleiche Landinfo 12.4.2021).

Hinsichtlich des Risikos, für politische Aktivitäten verhaftet zu werden, ist die Art der Aktivität entscheidend. Andauernde politische Aktivitäten werden eher in einer Anklage enden. Auch Personen, die mit politischem Material oder beim Anbringen politischer Slogans an Wänden erwischt werden, laufen Gefahr, verhaftet zu werden. Eine Person, die nur eine einzige politische Aktivität auf niedrigem Niveau setzt - z.B. Verteilen von Flugblättern - läuft kaum Gefahr, deswegen angeklagt zu werden (DIS/DRC 23.2.2018).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021

•             AI – Amnesty International (15.6.2018): Urgent Action, Iranian Kurdish Woman denied Medical Care, UA: 151/14 Index: MDE 13/8598/201, https://www.ecoi.net/en/file/local/143 5509/1226_1529323691_mde1385982018english.pdf , Zugriff 4.5.2020

•             AI – Amnesty International (11.2.2019): Amnesty International’s written statement to the 40thsessionof theHuman RightsCouncil(25 February –22March 2019), MDE 13/9828/2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457788/1226_1550135137_mde1398282019english. pdf , Zugriff 4.5.2020

•             DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+ on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 14.5.2020

•             DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-perso ns-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 4.5.2020

•             Landinfo [Norwegen] (12.4.2021): Iran. Mojahedin-e Khalq Organization (MKO), https:

//www.ecoi.net/en/file/local/2050252/Temanotat-Iran-MKO-12042021.pdf , Zugriff 14.6.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 7.12.2021

Volksmudschahedin (Mujahedin-e-Khalq – MEK, MKO; People’s Mojahedin Organisation of Iran – PMOI; National Council of Resistance of Iran – NCRI)

Die militante iranische Exil-Oppositionsbewegung Mujahedin-e Khalq (MEK, oder auch MKO, ’iranische Volksmudschahedin’) gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 9.2017; vergleiche Landinfo 12.4.2021) und wird für die Ermordung von 17.000 Iranern verantwortlich gemacht (ÖB Teheran 9.2017; vergleiche Global Security o.D., SFH 20.7.2018). Verbindungen zur MEK gelten in Iran als ’moharebeh’ (’Waffenaufnahme gegen Gott’), worauf die Todesstrafe steht (ÖB Teheran 11.2021). Im Exil in Frankreich hat die MEK-Führung den Nationalen Widerstandsrat [National Council of Resistance of Iran (NCRI)] gegründet (Telepolis 18.1.2019; vergleiche Landinfo 12.4.2021). Im Juni 2018 wurde ein geplanter Terroranschlag auf ein MEK-Treffen nahe Paris vereitelt (ÖB Teheran 11.2021).

Die linksgerichtete MEK wurde in den 1960er Jahren mit der Intention gegründet, den Schah von Persien zu stürzen. Sie unterstützte während der iranischen Revolution Ayatollah Khomeini. Die Organisation wurde Anfang der 1980er Jahre aus Iran ins Exil in den Irak vertrieben, nachdem sie gegen Khomeini opponiert hatte. Die MEK wird für verschiedene Anschläge verantwortlich gemacht und hatte als Verbündete der irakischen Seite am ersten Golfkrieg zwischen 1980 bis 1988 teilgenommen. Im Jahr 1987 gründete die Organisation einen bewaffneten Arm, die National Liberation Army (NLA) und führte ab 1988 von der 60 Kilometer von Bagdad entfernten Basis Ashraf ausgehend bewaffnete Operationen durch. In diesem Zeitraum exekutierten die iranischen Behörden Hunderte bis Tausende MEK-Mitglieder, welche als Feinde der Nation und Verräter bezeichnet wurden. Die Organisation wurde von einer Reihe von Staaten offiziell als terroristische Organisation eingestuft, darunter von den USA, der EU und Großbritannien. Im Jahr 2003 hat sich die MEK entwaffnet und den Verzicht auf Gewalt verkündet (SFH 20.7.2018; vergleiche Landinfo 12.4.2021). In den Jahren 2008, 2009 und 2012 wurde die MEK in Großbritannien, in der EU und in den USA von der Liste der terroristischen Organisationen entfernt (SFH 20.7.2018). Die MEK-Mitglieder im Irak ließen sich ab 2011 im Rahmen einer von UNHCR unterstützten Umsiedlung mehrheitlich in Albanien nieder. Im September 2016 sollen die letzten Volksmudschahedin ihr Lager im Irak verlassen haben (SFH 20.7.2018; vergleiche Guardian 9.11.2018). Mittlerweile sind viele von ihnen in die EU und die USA weitergereist (Guardian 9.11.2018). Die iranischen Behörden beobachten die Aktivitäten von MEK-Mitgliedern im Exil (Landinfo 12.4.2021).

Experten sind sich einig, dass die Volksmudschahedin die USA beim Eingreifen in den Irak, bei diversen Aktionen im Nahen Osten und beim Kampf gegen den Terrorismus unterstützt haben. Auch bei der Veröffentlichung des iranischen Atomprogramms sollen sie eine wichtige Rolle gespielt haben (DW 28.3.2016; vergleiche Guardian 9.11.2018). Obwohl die MEK behauptet, das iranische Volk zu vertreten und ihre Rolle bei den Volksaufständen der letzten Jahre betont, gibt es kaum Anzeichen dafür, dass sie in Iran signifikante Unterstützung erhält. Das iranische Regime betrachtet die MEK als Terrororganisation und wirft ihr vor, in Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten Proteste anzuzetteln. Folglich riskieren diejenigen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zu dieser Gruppe zu haben - einschließlich der Familienmitglieder - starke Reaktionen (Landinfo 12.4.2021; vergleiche ACCORD 7.2018). Die österreichische Botschaft berichtet hierzu, dass die MEK zwar die stärkste oppositionelle Bewegung und international präsent ist, dass sie aber in Iran aufgrund ihrer terroristischen Vergangenheit und der Unterstützung Saddam Husseins im Iran-Irak-Krieg kaum Unterstützung genießt (ÖB Teheran 11.2021). In den letzten Jahren scheint sich die MEK darauf zu konzentrieren, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und als praktikable Alternative zum derzeitigen Regime internationale Unterstützung zu gewinnen. Die Organisation führt umfassende PR- und Lobbying-Kampagnen durch, unter anderem durch den oben erwähnten Nationalen Widerstandsrat (NCRI) (Landinfo 12.4.2021).

Immer wieder wird Kommandanten der MEK von ehemaligen Mitgliedern vorgeworfen, dass sie Mitglieder der MEK systematisch misshandeln würden, um sie zum Schweigen zu bringen. Hierzu würden Folter, Einzelhaft, Beschlagnahmung von Vermögen und Trennung von Familien angewendet, um die Kontrolle über die Mitglieder zu behalten. Solche Vorwürfe werden von der MEK zurückgewiesen (Guardian 9.11.2018).

Quellen:

• ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research Documentation (7.2018): COI compilation Iran. Political Opposition. Mojahedin-e Khalq Organisation (MEK, MKO), https://www.ecoi.net/en/file/local/1441174/1226_1534925790_iran-coi-compilatio n-july-2018-final.pdf , Zugriff 9.6.2021

•             DW – Deutsche Welle (28.3.2016): Iranische Volksmudschahedin in Albanien, http://www. dw.com/de/iranische-volksmudschahedin-in-albanien/a-19132961 , Zugriff 5.5.2020

•             Global Security (o.D.): Mujahedin-e Khalq Organization (MEK or MKO), http://www.global security.org/military/world/para/mek.htm , Zugriff 5.5.2020

•             Landinfo [Norwegen] (12.4.2021): Iran. Mojahedin-e Khalq Organization (MKO), https://www.ecoi.net/en/file/local/2050252/Temanotat-Iran-MKO-12042021.pdf , Zugriff 9.6.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (9.2017): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426070/5818_1520415893_iran-oeb-bericht-2017 -09.docx , Zugriff 5.5.2020

•             SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (20.7.2018): Iran: Rückkehr von Personen mit Verbindungen zu den Volksmudschahedin (PMOI), https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/he rkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/iran/180720-irn-gefaehrdung-pmoi.pdf , Zugriff 5.5.2020

•             Telepolis (18.1.2019): Was verbindet die Volksmudschahedin mit der rechten spanischen Vox-Partei?, https://www.heise.de/tp/features/Was-verbindet-die-Volksmudschahedin-mit -der-rechten-spanischen-Vox-Partei-4281979.html , Zugriff 5.5.2020

•             The Guardian (9.11.2018): Terrorists, cultists – or champions of Iranian democracy? The wild wild story of the MEK, https://www.theguardian.com/news/2018/nov/09/mek-iran-re volution-regime-trump-rajavi , Zugriff 5.5.2020

PJAK - Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (Partei für Freiheit und Leben in Kurdistan bzw. Partei für ein freies Leben Kurdistans)

Die PJAK begann in den späten 1990er Jahren als friedliche studentische Menschenrechtsorganisation. Es ging den Mitgliedern der Gruppierung anfangs um den Aufbau einer kurdischen Nationalidentität (BMI 2015; vergleiche ACCORD 7.2015, DIS 7.2.2020), und man wollte die Assimilierung der Kurden durch die Zentralregierung verhindern (JF 15.1.2018). 2004 begannen die bewaffneten Angriffe auf die iranische Regierung von den Kandil-Bergen aus, von wo aus die PJAK bis heute operiert. Ebendort hat auch die PKK ihre Basen, und die PJAK gilt als iranischer Ableger der PKK (JF 15.1.2018; vergleiche Landinfo 18.12.2020). Als Unterschied zur PKK gibt die PJAK selbst an, dass sie sich niemals gegen Zivilisten, sondern immer nur gegen ausschließlich iranische Regierungstruppen wendet bzw. gewandt hat. Die iranische Regierung hat die PJAK auch niemals diesbezüglich beschuldigt. Angaben über die zahlenmäßige Stärke der PJAK sind schwierig. Schätzungen liegen zwischen 1.000 (JF 15.1.2018; vergleiche Landinfo 18.12.2020) und 3.000 Kämpfern (BMI 2015; vergleiche Landinfo 18.12.2020). Ein großer Teil der Kämpfer in Ostkurdistan sollen Frauen sein (TRAC o.D.; vergleiche CRS 6.2.2020). Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist ein erklärtes Ziel der PJAK. Beide Geschlechter müssen auf allen Ebenen der Organisation gleichermaßen vertreten sein und das gleiche Schulungsprogramm absolvieren. Schätzungen zufolge sind bis zur Hälfte der Mitglieder Frauen. Neben der kurdischen Sache steht nicht nur die schon erwähnte Gleichstellung der Geschlechter, sondern auch der ethnischen Gruppen ganz oben auf der politischen Agenda der PJAK. Darüber hinaus hat die PJAK das erklärte Ziel eines Regimewechsels in Iran. In diesem Zusammenhang versucht die Organisation, alle Iraner anzusprechen. Das erklärte Ziel von PJAK ist es, das derzeitige theokratische Modell durch ein demokratisches föderales System zu ersetzen. Ihr Ziel und ihre Vision ist es, dass in einem zukünftigen politischen Modell alle ethnischen und religiösen Gruppen ein hohes Maß an Autonomie haben sollten. Dies gilt für alle ethnischen Gruppen, nicht nur für die Kurden (Landinfo 18.12.2020).

Die PJAK ist in einen Militärflügel, den ostkurdischen Verteidigungskräften (YRK), und einen politischen Flügel, der Demokratischen und Freien Gesellschaft Ostkurdistans (KODAR), aufgeteilt. Die Gruppe gibt vor, mit allen Iranern zusammenzuarbeiten, aber in der Praxis ist ihre Mitgliedschaft fast ausschließlich kurdisch. Während der militärische Flügel in den Kandil-Bergen stationiert ist, ist der politische Zweig in Europa und dem Irak ansässig (JF 15.1.2018; vergleiche Landinfo 18.12.2020) und operiert in Iran nur im Untergrund (DIS 7.2.2020; vergleiche Landinfo 18.12.2020). Während die kurdisch-iranischen Exilparteien wie z.B. PDKI, KDP-I, die drei Komala-Fraktionen und PAK (Parti Azadi Kurdistan - Kurdistan Freedom Party) mit der Autonomen Kurdischen Region (Kurdistan Regional Government - KRG) Vereinbarungen für eine formalisierte Präsenz im Nordirak getroffen haben, hat die PJAK keine solchen Vereinbarungen. Mit dieser formalisierten Präsenz gehen finanzielle Unterstützung, Zugang zu Schulen, Gesundheitsversorgung und andere öffentliche Dienstleistungen einher. Da die PJAK nicht über eine solche formalisierte Präsenz verfügt, erhalten ihre Mitglieder weder finanzielle Unterstützung noch öffentliche Dienstleistungen (Landinfo 18.12.2020).

Der militärische Arm der PJAK führte in Iran von Anfang der 2000er Jahre bis 2011 eine sporadische Aufstandskampagne. Dabei wurden Dutzende iranische Sicherheitskräfte getötet, hauptsächlich bei Operationen in und um Städte mit kurdischer Mehrheit wie Urmia und Mariwan. 2011 erklärte die PJAK einen [brüchigen] Waffenstillstand. Der Zusammenbruch des syrischen Staates eröffnete der PKK und ihren Mitgliedsgruppen neue Möglichkeiten, und es wurden Kämpfer nach Syrien geschickt. Dies wurde ab 2014 verstärkt, da die von der YPG [syrischer Ableger der PKK] gehaltenen Gebiete zunehmend von den von der Türkei unterstützten Streitkräften der Freien Syrischen Armee (FSA) und von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates (IS), insbesondere bei der Belagerung von Kobane, unter Druck gesetzt wurden (JF 15.1.2018). Trotz des zunehmenden Engagements der PJAK in Syrien gab die Gruppe ihren Waffenstillstand mit Iran im Jahr 2015 auf, vor allem, um von der weitverbreiteten Empörung und den Protesten gegen die Tötung einer kurdischen Frau durch iranische Sicherheitskräfte in Mahabad zu profitieren. Die Gruppe nahm ihre Angriffe auf iranische Truppen wieder auf, was zu verstärkter Gewalt zwischen der PJAK und der iranischen Regierung führte und im August 2015 ihren Höhepunkt mit einem PJAK-Angriff in Mariwan erreichte, bei dem Berichten zufolge 20 Mitglieder der Revolutionsgarde getötet wurden. Die Regierung reagierte mit der Hinrichtung inhaftierter kurdischer Aktivisten (JF 15.1.2018; vergleiche Landinfo 18.12.2020).

Die PJAK liefert sich somit seit Jahren einen Guerilla-Kampf mit den iranischen Sicherheitsbehörden (AA 5.2.2021). In den Jahren 2017 und 2018 kam es immer wieder zu Zusammenstößen mit kurdischen Oppositionsgruppen (PJAK, KDP-Iran, Komala), mit mehreren Dutzend Festnahmen und zahlreichen Toten (ÖB Teheran 10.2020; vergleiche BS 2020). Unter den politisch Verfolgten in Iran sind verhältnismäßig viele Kurden. Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 11.2021).

Zusammenstöße der PJAK mit iranischen Sicherheitskräften wurden auch 2019 (Kurdistan24 5.8.2019) und 2020 berichtet (Hengaw 30.12.2020).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 9.12.2021

•             ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research Documentation (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_a ccord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf , Zugriff 4.5.2020

•             BMI – Bundesministerium für Inneres [Österreich] / Langanger, Simone (2015): Kurdish political parties in Iran, in: BMI - Bundesministerium für Inneres (Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter [eds.]): regiones et res publicae - The Kurds: History - Religion Language - Politics, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res -publicae-the-kurds-2015.pdf , Zugriff 4.5.2020

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-proj ect.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

•             CRS – Congressional Research Service [USA] (6.2.2020): Iran: Internal Politics and U.S.Policy and Options, https://fas.org/sgp/crs/mideast/RL32048.pdf , Zugriff 4.5.2020

•             DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+ on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 4.5.2020

•             Hengaw Organisation für Menschenrechte (30.12.2020): Militärische Zusammenstöße iniranisch Kurdistan im Jahre 2020 - Statistische Angaben, https://hengaw.net/de/news/mil itarische-zusammensto%C3%9Fe-in-iranisch-kurdistan-im-jahre-2020-statistische-anga ben , Zugriff 9.12.2021

•             JF – Jamestown Foundation (15.1.2018): Party for Free Life in Kurdistan: The PKK’s Iranian Wing Bides Its Time, Terrorism Monitor Volume: 16 Issue: 1, https://jamestown.or g/program/party-free-life-kurdistan-pkks-iranian-wing-bides-time/ , Zugriff 4.5.2020

•             Kurdistan24 (5.8.2019): PKK-affiliate group reports deaths from recent clash with Iran Guards, https://www.kurdistan24.net/en/news/406728f5-dfd2-4e2b-b71c-de07c86c6646 , Zugriff 4.5.2020

•             Landinfo [Norwegen] (18.12.2020): Det iransk-kurdiske partiet PJAK, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2043154/Iran-temanotat-PJAK-18122020.pdf, Zugriff 26.1.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021

•             TRAC – Terrorism Research & Analysis Consortium (o.D.): Party of Free Life of Kurdistan (PJAK), https://www.trackingterrorism.org/group/party-free-life-kurdistan-pjak , Zugriff 4.5.2020

Kurdish Democratic Party of Iran (KDPI/PDKI) und Komala(h) (Kurdistan Organization of the Communist Party of Iran, Komala, SKHKI)

Neben der PJAK zählen insbesondere die marxistische Komalah-Partei und die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI bzw. PDKI) zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran (AA 5.2.2021). Die Mitgliedschaft in kurdischen Parteien ist illegal und wird streng bestraft. In kurdischen Gebieten gilt auch zivilgesellschaftlicher Aktivismus, der nichts mit den Parteien zu tun hat, als verdächtig. Dies wird als politische Oppositionstätigkeit interpretiert und von den Behörden unterdrückt. Personen, die an Demonstrationen oder anderen Protestmärschen teilnehmen, stehen im Verdacht, Mitglied einer Partei zu sein. Sie riskieren eine Verhaftung (Landinfo 19.5.2020).

Die KDPI (auch PDKI) wurde 1945 in der iranischen Stadt Mahabad gegründet (DIS 7.2.2020; vergleiche Landinfo 19.5.2020), vom Schah im Jahr 1953 verboten und dadurch in den Untergrund verbannt (TRAC o.D.). Das Ziel der KDPI besteht darin, die kurdischen nationalen Rechte innerhalb eines föderalen und eines demokratischen Iran zu erlangen (DIS 7.2.2020; vergleiche TRAC o.D., MERIP o.D., Landinfo 19.5.2020). Sie bezeichnet sich selbst als sozialdemokratische Partei (Landinfo 2.4.2020). Die KDPI wird von der Regierung als konterrevolutionäre und terroristische Gruppe betrachtet, die von ihrem irakischen Hauptquartier aus das Regime bekämpft (BMI 2015; vergleiche MERIP o.D., ACCORD 7.2015, Landinfo 2.4.2020). Die KDPI wird traditionell als die größte iranisch-kurdische Partei angesehen (DIS 7.2.2020; vergleiche Landinfo 19.5.2020), wobei dies heute nicht mehr gültig ist (Landinfo 2.4.2020). Die Partei KDP-Iran hat sich 2006 von der KDPI getrennt und ist eine separate Partei (DIS 7.2.2020; vergleiche Landinfo 19.5.2020). Trotz der Spaltung haben die beiden Parteien ein neues Kooperationsforum gebildet, das neben KDPI und KDP-Iran aus zwei weiteren iranisch-kurdischen Parteien besteht, nämlich den beiden Fraktionen der linken Partei Komala (Landinfo 19.5.2020). Die kurdischen Parteien konkurrieren um Einfluss in der kurdischen iranischen Bevölkerung (Landinfo 2.4.2020), und sie sind in Iran nicht sehr stark durch Mitglieder repräsentiert, sondern am ehesten durch Sympathisanten (ACCORD 7.2015). Viele der kurdischen Parteien operieren vom Nordirak aus. Der Status und Handlungsspielraum der kurdischen Oppositionsgruppen wie KDP-I, Komala und PDKI und PJAK war und ist ein schwieriges Thema in den Beziehungen zwischen Iran und der Autonomen Kurdischen Region (Kurdistan Regional Government - KRG). Die KRG hat Vereinbarungen für eine formalisierte Präsenz mit mehreren iranisch-kurdischen Exilparteien wie KDPI, KDP-Iran, den drei Komala-Fraktionen und PAK getroffen. Aufgrund der Notwendigkeit einer gutnachbarlichen Beziehung zu Iran hat die KRG gefordert, dass die iranisch-kurdischen Exilparteien alle militärischen Aktivitäten gegen Iran unterlassen. Dies war eine Bedingung dafür, dass die Exilparteien in Stützpunkten und Lagern im Nordirak operieren dürfen. Mit dieser formalisierten Präsenz gehen finanzielle Unterstützung, Zugang zu Schulen, Gesundheitsversorgung und anderen öffentlichen Dienstleistungen einher (Landinfo 18.12.2020).

Die Komala-Partei wurde 1969 gegründet. Ihre Mitglieder bestanden zu dieser Zeit aus kurdischen linken Studenten und Intellektuellen, hauptsächlich aus Teheran, aber auch aus anderen kurdischen Städten. Komala basiert auf sozialistischen Werten und kämpft für kurdische Rechte und einen demokratischen, säkularen, pluralistischen und föderalen Iran. Komala besteht aus drei oder mehr getrennten Parteien (DIS 7.2.2020).

Das Ausmaß der zivilpolitischen Aktivitäten der iranisch-kurdischen Oppositionsparteien, insbesondere der KDPI und Komala, in Iran ist aufgrund der Kontrolle, mit der sie konfrontiert sind, im Allgemeinen begrenzt. Wenn die Parteien zivilpolitische Aktivitäten durchführen, geschieht dies unter Geheimhaltung, um zu verhindern, dass die Behörden gegen sie vorgehen. Die Parteien unterstützen jedoch die Aktivitäten anderer, beispielsweise von Organisationen, die sich sowohl auf Umweltfragen als auch auf soziale Fragen konzentrieren. Die kurdischen politischen Parteien führen Propaganda-Aktivitäten durch, um ein Bewusstsein für die Politik der iranischen Regierung zu schaffen und die Menschen zu ermutigen – durch verschiedene friedliche und entschlossene Maßnahmen wie Demonstrationen, Generalstreiks und symbolische Mittel, wie das Tragen kurdischer Kleidung zu besonderen Anlässen – gegen die Regierung zu protestieren. Die meisten Aktivitäten der kurdischen Parteien finden im öffentlichen Raum, einschließlich Schulen, statt. Die Parteien ermutigen ihre Mitglieder, Unterstützer und die Öffentlichkeit, Maßnahmen über soziale Medien, Fernseh- und Radiokanäle zu ergreifen (DIS 7.2.2020).

In Bezug auf die Rekrutierung von Mitgliedern ist zu sagen, dass die Regeln für die Mitgliedschaft in den iranisch-kurdischen politischen Parteien (KDPI und Komala) nicht immer geradlinig sind und die Mitgliedschaft durch verschiedene Verfahren erlangt werden kann. Menschen in der kurdischen Region in Iran können über die geheimen Netzwerke dieser Parteien Mitglieder werden, oder sie können selbst Mitglieder der Partei in der Autonomen Kurdischen Region Irak kontaktieren und dadurch Mitglieder werden. Zukünftige Mitglieder durchlaufen eine Überprüfung, um z.B. Spione der iranischen Regierung ausschließen zu können (DIS 7.2.2020; vergleiche Landinfo 19.5.2020). Es kommt immer wieder vor, dass das Geheimdienstministerium und die Revolutionsgarden Personen bedrohen oder bestechen, um sie als Kundschafter einzusetzen (DIS 7.2.2020). Sowohl das iranische Geheimdienstministerium als auch der Geheimdienst der Revolutionsgarden sind mit einem Netzwerk von Informanten verbunden, die die Aktivitäten der iranisch-kurdischen Parteien verfolgen und darüber berichten. Die Geheimdienste haben wahrscheinlich einen gewissen Überblick über die Mitglieder und Aktivitäten der Parteien. Mitglieder der Parteien werden vom iranischen Geheimdienst kontaktiert und Drohungen und Druck ausgesetzt. Auch die Familien der Mitglieder in Iran werden häufig kontaktiert, um die den Parteien angehörenden Familienmitglieder zu überreden, die Parteien zu verlassen und in den Iran zurückzukehren. Je höher die Position eines Parteimitglieds, desto höher ist der Druck auf die Familie in Iran (Landinfo 19.5.2020).

Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der kommunistischen Komala-Partei und der KDP-Iran und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 11.2021). Ab 2015 stationierten einige der kurdischen Parteien ihre Peschmerga wieder in Iran. Die KDPI beispielsweise erklärte den Waffenstillstand mit Iran 2016 für beendet und bewaffnete Auseinandersetzungen nahmen zu (Landinfo 2.4.2020). Ende April 2017 stationierte eine der Komala-Parteien ihre Streitkräfte im Grenzgebiet zwischen der Autonomen Kurdischen Region Irak und Iran (DIS 7.2.2020). Im September 2018 wurden drei angebliche Komala-Mitglieder wegen Terrorismus nach unfairen Verfahren und trotz internationaler Proteste hingerichtet (ÖB Teheran 10.2020; vergleiche DIS 7.2.2020), zeitgleich fanden Raketenangriffe auf einen Stützpunkt der KDPI in Nord-Irak statt (ÖB Teheran 10.2020; vergleiche DIS 7.2.2020, BS 2020). Die Anzahl der Begegnungen zwischen iranisch-kurdischen Guerillas und iranischen Streitkräften hat zwar an Intensität abgenommen, aber nicht aufgehört (Landinfo 2.4.2020).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 9.12.2021

•             ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research Documentation (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_a ccord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf , Zugriff 5.5.2020

•             BMI – Bundesministerium für Inneres [Österreich] / Langanger, Simone (2015): Kurdish political parties in Iran, in: BMI - Bundesministerium für Inneres (Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter [eds.]): regiones et res publicae - The Kurds: History - Religion Language - Politics„ http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res -publicae-the-kurds-2015.pdf , Zugriff 5.5.2020

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report - Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

•             DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+ on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 5.5.2020

•             Landinfo [Norwegen] (18.12.2020): Det iransk-kurdiske partiet PJAK, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2043154/Iran-temanotat-PJAK-18122020.pdf , Zugriff 26.1.2021

•             Landinfo [Norwegen] (19.5.2020): Kurdistan Democratic Party –Iran (KDP-I), https://coi.ea so.europa.eu/administration/norway/PLib/Temanotat_Iran_KDP-I_19052020.pdf , Zugriff 25.1.2021

•             Landinfo [Norwegen] (2.4.2020): PDKI–Democratic Party of Iranian, https://www.ecoi.net /en/file/local/2027641/Iran_temanotat_PDKI_april_2020.pdf , Zugriff 27.1.2021

•             MERIP – Middle East Research and Information Project (o.D.): Major Kurdish Organizations in Iran, https://www.merip.org/mer/mer141/major-kurdish-organizations-iran , Zugriff 5.5.2020

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             TRAC – Terrorism Research and Analysis Consortium (o.D.): Democratic Party of Iranian Kurdistan (DPKI), https://www.trackingterrorism.org/group/democratic-party-iranian-kurdi stan-dpki , Zugriff 5.5.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 11.2021). Die heutige Verfassung Irans ist ein hybrides System aus republikanischdemokratischen und theokratisch-autoritären Elementen unter dem Vorrang des islamischen Rechts der dschafaritischen Rechtsschule. Die Verfassung enthält republikanisch-demokratische Organe wie z.B. das Parlament sowie das Amt des Präsidenten, da diese Organe direkt vom Volk gewählt werden. Als wesentliche theokratische Organe gelten das Amt des religiösen Führers sowie der Wächterrat (BAMF 5.2021). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 5.2.2021; vergleiche BS 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren ausgesetzt (AA 5.2.2021). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 3.3.2021).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 30.3.2021). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 13.1.2021; vergleiche HRC 14.5.2021). Die Behörden setzen sich ständig über Bestimmungen hinweg, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 7.4.2021; vergleiche HRW 13.1.2021). In einigen Fällen wurde in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt, weil man sie nicht über ihre Verhandlungstermine informiert oder sie nicht vom Gefängnis zum Gericht transportiert hatte (AI 7.4.2021).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) werden Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 5.2.2021).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer spezifischen Rechtssituation befassen, dann dürfen Richter ihrem Wissen und ihrerAuslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen ’göttlichen Wissens’ [divine knowledge] für schuldig befinden (US DOS 30.3.2021).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die ’Sondergerichte für die Geistlichkeit’ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vergleiche BS 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

-             Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere ’Feindschaft zu Gott’ und ’Korruption auf Erden’;

-             Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

-             Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

-             Spionage für fremde Mächte;

-             Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

-             Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Viele Gerichtsverfahren finden hinter verschlossenen Türen statt. Bei Verfahren vor Revolutionsgerichten herrscht offene Feindseligkeit gegenüber den Angeklagten, und Anschuldigungen von Sicherheits- und Geheimdiensten werden als Tatsachen behandelt, die bereits feststehen. Erzwungene ’Geständnisse’, die unter Folter und anderen Misshandlungen zustande kommen, werden vor Beginn der Prozesse im Staatsfernsehen ausgestrahlt. Gerichte nutzen sie durchweg als Beweismittel und begründen damit Schuldsprüche, selbst wenn die Angeklagten ihre Aussagen widerrufen. In vielen Fällen bestätigen Berufungsgerichte Schuldsprüche und Strafen, ohne eine Anhörung abzuhalten. Häufig weigern sich Gerichte, Angeklagten, die wegen Straftaten in Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit verurteilt wurden, das Urteil in schriftlicher Form zukommen zu lassen (AI 7.4.2021).

Bei Delikten, die im starkem Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden (ÖB Teheran 11.2021). Mit der islamischen Revolution von 1979 kam es zur Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, welches die bisherige Gesetzgebung, die vom „code pénal napoléon“ von 1810 beeinflusst war, ablöste und sich aus drei eigenständigen Teilbereichen zusammensetzt. Neben den im Koran und der Sunna festgelegten hadd-Delikten gibt es die qisas-Delikte, die aus vorislamischer Zeit stammen, und die ta’zir-Delikte, die alle sonstigen strafwürdigen Taten umfassen. Während für hadd-Delikte - wie u.a. unerlaubter Geschlechtsverkehr, Alkoholgenuss, Diebstahl oder Feindschaft gegen Gott und aus Sicht von Traditionalisten auch Rebellion und Apostasie - sogenannte hadd-Strafen wie Kreuzigung, Steinigung, sonstige Todesstrafen, Amputationsstrafen, Auspeitschung oder Verbannung verhängt werden, sind für qisas-Delikte grundsätzlich Talions- bzw. Vergeltungsstrafen (qisas) oder zu zahlendes Blutgeld (diya) als Strafausgleich vorgesehen. Talionsstrafen werden vom Grundsatz her bei vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten und zu zahlendem Blutgeld bei nicht vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten verhängt. Für alle sonstigen aus Sicht der Rechtsordnung strafwürdigen Taten sind ta’zir-Strafen vorgesehen, die aus unterschiedlichen Züchtigungsstrafen bestehen, die mit dem Islam vereinbar sein müssen. Das neue iranische Strafgesetzbuch ab 2013 gliedert sich in vier Bücher: Im ersten Buch werden die Allgemeinen Vorschriften (Artikel eins –, 216,), im zweiten Buch die hadd-Strafen (Artikel 217 –, 288,), im dritten Buch die qisas-Strafen (Artikel 289 –, 447,) und im vierten Buch das Blutgeld bzw. diya (Artikel 448 –, 728,) behandelt (BAMF 5.2021). Im iranischen Strafrecht sind also körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 5.2.2021). Auf die Anwendung der Vergeltungstrafen (qisas) der Amputation (z.B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung kann der Geschädigte gegen Erhalt eines Abstandsgeldes (diya) verzichten (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 5.2.2021). Unter Rohanis Präsidentschaft hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 5.2.2021). Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom Geschädigten gegen diya verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 5.2.2021).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 5.2.2021).

Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 5.2.2021).

Rechtsschutz ist nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen. Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen. Üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (AA 5.2.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/14572 57/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelev ante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 7.4.2020

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/11159 73/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-absch iebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-201 5.pdf , Zugriff 7.4.2020

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020) – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 28.4.2021

•             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran:Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Beho erde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?__blob=public ationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%2 2name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D , Zugriff 26.11.2021

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 28.4.2021

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report – Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf , Zugriff 7.4.2020

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

•             HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 25.11.2021

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 28.4.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021

Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enqhelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Die Revolutionsgarde und die nationale Armee (Artesh) sorgen für die externe Verteidigung. Die zivilen Behörden behalten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Trotzdem können Angehörige der Sicherheitskräfte Misshandlungen begehen, ohne befürchten zu müssen, bestraft zu werden (US DOS 30.3.2021). Organisatorisch sind die Basij den Revolutionsgarden unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 5.2.2021). Basijis haben Stützpunkte unter anderem in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 11.2021).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 5.2.2021). Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden und den Basij unterstützt. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BS 2020).

Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den Revolutionsgarden (BS 2020). Diese nehmen eine Sonderrolle ein, ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 5.2.2021). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 3.3.2021). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist also aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Ex-Präsident Hassan Rohani versuchte zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen, dies gelang ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vergleiche BS 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland ausgebildet (Tagesspiegel 8.6.2017).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität. Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Beobachtung und Ausübung von Druck auf die politische Opposition zu. Das Geheimdienstministerium bedient sich dabei überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).

Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem ’Hohen Rat für den Cyberspace’ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EUMenschenrechtssanktionsliste (AA 5.2.2021).

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete (BS 2020). Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, darunter Folter, Verschwindenlassen und Gewaltakte gegen Demonstranten und Umstehende bei öffentlichen Demonstrationen. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Fehlverhalten der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter zur Rechenschaft zieht (US DOS 30.3.2021). In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie Basij de facto willkürlich handeln können. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 23.11.2021

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

•             DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+ on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 14.5.2020

•             DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-an d-converts.pdf , Zugriff 7.4.2020

•             DW – Deutsche Welle (18.2.2016): Die Strippenzieher der iranischen Wirtschaft, http://www.dw.com/de/die-strippenzieher-der-iranischen-wirtschaft/a-19054802 , Zugriff 7.4.2020

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

•             Menawatch (10.1.2018): Die Wirtschaft des Iran ist in den Händen der Revolutionsgarden, https://www.mena-watch.com/die-wirtschaft-des-iran-ist-in-den-haenden-der-revolutionsg arden/ , Zugriff 7.4.2020

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021

•             Tagesspiegel (8.6.2017): Staat im Staat: Warum Irans Revolutionsgarden so viel Macht haben, https://www.tagesspiegel.de/politik/krise-am-golf-staat-im-staat-warum-irans-revol utionsgarden-so-viel-macht-haben/19907934.html , Zugriff 7.4.2020

•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist nach Artikel 38, der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind psychische und physische Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 5.2.2021; vergleiche US DOS 30.3.2021, DIS 7.2.2020). Folter ist in Iran weit verbreitet (ÖB Teheran 11.2021) und wird Berichten zufolge von einer Reihe von Akteuren wie dem polizeilichen Nachrichtendienst, dem Geheimdienstministerium (HRC 14.5.2021), den Islamischen Revolutionsgarden, der Polizei (HRC 14.5.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021) als auch in Gefängnissen ausgeführt (ÖB Teheran 11.2021). Dies betrifft vorrangig nicht-registrierte Gefängnisse, aber auch offizielle Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht und in welchem politische Gefangene inhaftiert sind (AA 5.2.2021). Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet, vor allem während Verhören (AI 7.4.2021). Zudem wurden 2020 mindestens 160 Personen zu Peitschen- bzw. Stockhieben verurteilt sowohl wegen Diebstahls oder Überfällen als auch wegen Handlungen, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z.B. Beteiligung an friedlichen Protesten, außereheliche oder einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen sowie Teilnahme an Feiern, bei denen sowohl Männer als auch Frauen anwesend waren. In vielen Fällen wurden die Auspeitschungen vollstreckt (AI 7.4.2021). Berichten zufolge unterhalten Behörden abseits des nationalen Gefängnissystems auch noch inoffizielle, geheime Gefängnisse und Haftanstalten, in denen Missbrauch stattfindet (US DOS 30.3.2021).

Bei Delikten, die im Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischt-geschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 11.2021). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen - teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser sowie die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 10.2020; vergleiche US DOS 30.3.2021).

Die Tatsache, dass die Justiz bei ihren Ermittlungen in hohem Maße auf Geständnisse angewiesen ist, scheint ein wichtiger Anreiz für Folter zu sein (HRC 14.5.2021). Obwohl das iranische Recht die Verwendung erzwungener Geständnisse vor Gericht verbietet, zeigen Zeugenaussagen, dass Richter sich einerseits häufig weigern, Foltervorwürfen nachzugehen und sich andererseits auf erzwungene Geständnisse als Beweismittel für eine Verurteilung verlassen (HRC 14.5.2021; vergleiche HRW 13.1.2021). Ehemalige Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 3.3.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 28.4.2021

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

•             DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+ on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 14.5.2020

•             HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 24.11.2021

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 28.4.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021

Korruption

Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Bereich vor, aber die Regierung implementiert dieses Gesetz nur willkürlich. Manchmal werden Korruptionsfälle gegen Beamte rechtmäßig verfolgt, gleichzeitig werden politisch motivierte Anklagen gegen Regimekritiker oder politische Opponenten vorgebracht. Beamte betätigen sich weiterhin korrupt und können mit Straffreiheit rechnen. Religiöse Wohltätigkeitsorganisationen, sogenannte ’Bonyads’, leisten zwischen einem Viertel und einem Drittel der wirtschaftlichen Leistung des Landes. Bonyads erhalten Begünstigungen durch die Regierung, ihr Finanzgebaren wird jedoch nicht kontrolliert. Oppositionspolitiker und internationale Organisationen bezichtigen diese Bonyads regelmäßig der Korruption. Geleitet werden diese steuerbefreiten Organisationen von Personen, die der Regierung nahe stehen, wie z.B. Angehörige des Militärs oder der Geistlichkeit. Zahlreiche Firmen, die in Verbindung mit den Revolutionsgarden stehen, betätigen sich teils rechtswidrig in Handel und Gewerbe, einschließlich der Bereiche Telekommunikation, Bergbau und Bauwesen.

Andere Unternehmen der Revolutionsgarden betätigen sich im Schmuggel von Medikamenten, Drogen und Rohstoffen. Von allen Regierungsmitgliedern (einschließlich Mitglieder des Minister-, Wächter- und Schlichtungsrats und der Expertenversammlung) wird ein jährlicher Bericht über die Vermögenslage verlangt. Es gibt keine Information, ob diese Personen sich an die Gesetze halten (US DOS 30.3.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Im Jahr 2019 leitete die Justiz ein hartes Vorgehen gegen Korruption ein, obwohl ihr vorgeworfen wurde, dass die Bemühungen politisch motiviert seien. Die Initiative wurde 2020 fortgesetzt und umfasste eine öffentlichkeitswirksame Strafverfolgung ehemaliger Politiker und Gerichtsbeamter (FH 3.3.2021).

Auch das Justizwesen ist nicht frei von Korruption (AA5.2.2021; vergleiche BS 2020). Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit (AA 5.2.2021). Auch in der Polizei, bei sozialen Organisationen, im Öffentlichen Dienst und bei staatlichen Behörden ist Korruption weit verbreitet. Korruption und Gesetzesverstöße sind auch in der politischen Elite weit verbreitet. Nur selten werden Täter strafrechtlich verfolgt und wenn, dann ist dies hauptsächlich auf politische Rivalitäten zurückzuführen (BS 2020). Die Justiz setzt eine Antikorruptionskampagne fort, deren Motivation laut Beobachtern u.a. politische Auseinandersetzungen und das Ersetzen von Einnahmeverlusten aufgrund wirtschaftlicher Herausforderungen sind. Der oberste Führer genehmigte 2018 einen Antrag des Justizchefs, spezielle Revolutionsgerichte einzurichten, um Einzelpersonen wegen Wirtschaftsverbrechen vor Gericht zu stellen. Gleichzeitig forderte er Höchststrafen für diejenigen, welche die Wirtschaft ’gestört und korrumpiert’ haben. Er wurde zitiert, wonach Strafen für diejenigen, die der wirtschaftlichen Korruption beschuldigt werden, einschließlich Beamter der Regierung und des Militärs, schnell durchgeführt werden sollten. Amnesty International kritisiert diesbezüglich das Fehlen eines fairen und ordnungsgemäßen Verfahrens durch die Gerichte (US DOS 30.3.2021).

Transparency International führt Iran in seinem Korruptionswahrnehmungsindex von 2020 mit 25 (von 100) Punkten (0=highly corrupt, 100=very clean) auf Platz 149 von 180 [2019: Platz 146 von 180] untersuchten Ländern (TI 2021) [2019: Platz 146 von 180].

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

•             TI – Transparency International (1.2021): Corruption Perspective Index 2020 – Iran, https: //www.transparency.org/en/cpi/2020/index/irn , Zugriff 28.4.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

NGOs gegenüber agiert der iranische Staat sehr misstrauisch, aufgrund der Befürchtung, dass NGOs die staatliche Ordnung untergraben würden (BS 2020). Eine aktive, öffentliche Menschenrechtsarbeit ist in Iran somit nicht möglich. Alle Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen benötigen eine staatliche Genehmigung und unterliegen damit staatlicher Kontrolle (AA 5.2.2021). Laut Gesetz müssen sich NGOs beim Innenministerium registrieren und sie müssen um eine Genehmigung ansuchen, wenn sie ausländische Subventionen erhalten. Auf Anfragen und Berichte seitens der Aktivisten reagieren Behörden mit Schikanen, Inhaftierungen und Überwachung. Unabhängige Menschenrechtsgruppen und NGOs sehen sich weiterhin Schikanen aufgrund ihrer Tätigkeiten und möglichen Schließungen aufgrund anhaltender und oft willkürlicher Verzögerungen bei der offiziellen Registrierung gegenüber (US DOS 30.3.2021). In Iran sind kaum mehr prominente Menschenrechtsverteidiger oder NGOs aktiv. Zudem warnt das Innenministerium vor Kontakten zum Ausland und vor Kritik an der Islamischen Republik, die hart verfolgt werden, etwa in Form von Straftatbeständen wie ’Propaganda gegen das Regime’ oder ’Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit’. Zusätzlich haben NGOs große Schwierigkeiten, finanzielle Quellen zu erschließen. Insbesondere der Zugang zu ausländischen Geldern bleibt verschlossen, da beim Rückgriff auf diese Gelder Gerichtsverfahren wegen Spionage, Kontakt zur Auslandsopposition oder ähnliche Vorwürfe drohen (AA 5.2.2021).

Ehemals aktive iranische Menschenrechtsaktivisten sind in überwiegender Mehrheit entweder in Haft oder halten sich in Europa oder Nordamerika auf. Folglich sind in Iran kaum mehr prominente Menschenrechtsverteidiger oder NGOs aktiv (AA 5.2.2021) bzw. sind Menschenrechtsorganisationen nur vereinzelt vorhanden, da sie unter enormem Druck stehen. Regelmäßig gibt es Beispiele dafür, dass Organisationen, die sich im weitesten Sinne für Menschenrechte einsetzen, unter großen Druck geraten. Andererseits können manche NGOs - etwa in den Bereichen Drogenbekämpfung oder Flüchtlingsbetreuung - arbeiten. In anderen Bereichen, etwa LGBT-Rechte, Frauenrechte und seit 2018 auch Umweltschutz müssen NGOs ohne Registrierung und mit der Gefahr von Verfolgung arbeiten (ÖB Teheran 11.2021). Besonders unter Druck stehen Mitglieder bzw. Gründer von Menschenrechtsorganisationen (zumeist Strafverteidiger bzw. Menschenrechtsanwälte), wie etwa des ’Defenders of Human Rights Center’, deren Gründungsmitglieder nahezu allesamt wegen ihrer Tätigkeit hohe Haftstrafen verbüßen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Zum Teil wurden auch Körperstrafen sowie Berufs- und Reiseverbote über sie verhängt. Es ist davon auszugehen, dass sie in Haftanstalten physischer und schwerer psychischer Folter ausgesetzt sind. Oft werden auch Familienmitglieder und Freunde von Strafverteidigern unter Druck gesetzt (verhört oder verhaftet). Im März 2021 wurde die bis dato größte NGO, die ’Imam Ali Popular Students Relief Society’, verboten und ihre Leiter verhaftet. Die ca. 12.000 Mitglieder hatten sich der Armutsbekämpfung verschrieben und Blutgelder gesammelt, um Exekutionen zu verhindern. Die Organisation hatte UNESCO-Beobachtungsstatus (ÖB Teheran 11.2021).

Willkürliche Verhaftungen von Personen, die lediglich friedlich ihre Menschenrechte wahrnehmen, kommen weiterhin vor. Dazu zählen Rechtsanwälte, Aktivisten und andere Menschenrechtsverteidiger, die sich für die Umwelt, die Rechte von Frauen, Arbeitnehmer und Minderheiten einsetzen oder sich gegen die Todesstrafe engagieren oder Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung im Zusammenhang mit den massenhaften Hinrichtungen und dem Verschwindenlassen von Menschen in den 1980er Jahren verlangen. Auch Demonstrierende, Journalisten und andere Medienschaffende, politisch Andersdenkende, Künstler und Schriftsteller werden willkürlich inhaftiert (AI 7.4.2021). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 10.2020). Behörden schließen auch rechtswidrig die Geschäftsbetriebe von Journalisten, die für unabhängige Medien im Ausland arbeiten, oder sie frieren deren Bankkonten und Vermögen ein. Dies betrifft auch Menschenrechtsverteidiger und deren Familien. Um Demonstrierende, Journalisten und Menschenrechtsverteidiger für ihre Tätigkeiten zu bestrafen, werden auch Familienmitglieder, wie zum Beispiel deren Kinder oder betagte Eltern, eingeschüchtert, verhört oder willkürlich festgenommen und inhaftiert (AI 7.4.2021). Selbst Personen, die ins Ausland flüchten konnten, sind mitunter nicht sicher. So wurde im Sommer 2021 in New York (USA) ein Verfahren gegen mehrere Iraner eröffnete, die versucht haben sollen, die Frauenrechtlerin Masih Alinejad und weitere Personen aus dem Vereinigten Königreich und Kanada zu entführen bzw. nach Iran zu locken. Der Journalist Ruhollah Zam wurde Ende 2020 hingerichtet, nachdem er aus Frankreich in den Irak gelockt und von dort nach Iran entführt worden war (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 28.4.2021

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021

Wehrdienst

Die Länge des verpflichtenden Wehrdienstes ist von den individuellen Verhältnissen abhängig und beträgt 18 bis 24 Monate. Aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen können Wehrpflichtige ausgemustert werden. Ein Freikauf vom Wehrdienst ist durch temporäre Regelungen in unregelmäßigen Abständen immer wieder möglich: 2.500 Euro für Schulabgänger ohne Matura, 5.000 Euro für Maturanten. Studenten können, wenn sie im Ausland studieren möchten, unter Hinterlegung einer Kaution, gestaffelt nach Bachelor, Master oder Promotion (7.500, 10.000 bzw. 12.500 Euro) freigestellt werden. Die Wehrdienstzeit wird bei verheirateten Iranern pro Kind um drei Monate verkürzt und bei Freikauf von der Wehrpflicht ein Nachlass in Höhe von 5% bzw. weiteren 5% pro Kind gewährt. Religionsführer Khamenei hat die Jahrgänge bis einschließlich 1975/76, die bislang keinen Wehrdienst geleistet hatten, freigestellt. Bekennende Homosexuelle und Transsexuelle können vom Militärdienst freigestellt werden (AA 5.2.2021).

Es gibt keinen Wehrersatzdienst. In besonderen Fällen, etwa bei psychischen oder physischen Leiden oder wenn sonst kein Mann für die Familie sorgen kann, wird der Wehrdienst erlassen (ÖB Teheran 11.2021). Weitere Gründe vom Wehrdienst befreit zu werden sind beispielsweise, wenn man der einzige Sohn einer Familie ist, wenn man alte Eltern hat oder wenn man einen Bruder hat, der momentan im Militär dient (DFAT 14.4.2020). Für Sportler oder bei guten Beziehungen zu relevanten Stellen kann nach einer 60-tägigen Grundausbildung jedoch eine Art ’Ersatzdienst’ für weitere 22 Monate u.a. in Ministerien oder bei Sportverbänden absolviert werden. Iraner, deren Väter im Irak-Iran-Krieg gekämpft haben, müssen nur einen verkürzten Wehrdienst leisten. Wehrdienstpflichtige, d.h. männliche Staatsangehörige über 18 Jahren, die nicht etwa aufgrund eines Studiums vorübergehend von der Wehrdienstpflicht befreit sind, dürfen mit wenigen Ausnahmen vor Ableistung ihres Wehrdienstes das Land nicht verlassen (d.h. sie erhalten erst danach einen Reisepass) bzw. müssen eine größere Kaution hinterlegen. Angehörige der Streitkräfte und der Polizei dürfen das Land nur mit Zustimmung ihres Dienstes verlassen. Die Zustände beim iranischen Militär sind in der Regel wesentlich härter als in europäischen Streitkräften (berichtet wird regelmäßig über unzureichende Verpflegung, unzureichende Ausrüstung, drakonische Strafen etc.) (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021

•             DFAT – Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (14.4.2020): DFAT Country Information Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029778/country-information-r eport-iran.pdf , Zugriff 14.12.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Die Strafen bei Nichtmeldung variieren abhängig von der Frage, ob sich das Land im Kriegszustand befindet oder nicht.Personen, die sich zu spät melden, sind verpflichtet, zusätzlich drei Monate Wehrdienst zu leisten. Wehrpflichtige, die sich zu spät oder gar nicht melden und aufgegriffen werden, erhalten ihre Bescheinigung über die Ableistung des Wehrdienstes teilweise mit erheblicher Verspätung (AA 5.2.2021). Junge Männer ab 18 Jahren, die zum Wehrdienst einberufen wurden und sich nicht bei den Behörden melden, werden als Wehrdienstverweigerer betrachtet (ACCORD 7.2015). In Iran gibt es keinen Wehrersatzdienst und eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen wird nicht anerkannt (ACCORD 7.2015; vergleiche UK HO 4.2020). Die Verweigerung des Militärdienstes bis zu einem Jahr in Friedenszeiten oder zwei Monaten in Kriegszeiten kann dazu führen, dass die Gesamtlänge des Militärdienstes um drei bis sechs Monate verlängert wird. Eine mehr als einjährige Wehrdienstverweigerung in Friedenszeiten oder mehr als zwei Monate in Kriegszeiten kann zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen. Die Wehrdienstverweigerer können soziale Vorteile und Bürgerrechte verlieren, einschließlich des Zugangs zu Posten im öffentlichen Dienst oder höherer Bildung oder des Rechts auf Unternehmensgründung. Die Regierung kann auch die Erteilung von Führerscheinen für Wehrdienstverweigerer verweigern, ihren Pass einziehen oder ihnen verbieten, das Land ohne besondere Genehmigung zu verlassen (DFAT 14.4.2020).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021

•             ACCORD -Austrian Centre for Country of Origin andAsylum Research and Documentation (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_a ccord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf , Zugriff 9.4.2020

•             DFAT – Australian Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (14.4.2020): DFAT Country Information Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029778/country-infor mation-report-iran.pdf , Zugriff 14.4.2021

•             UK HO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (4.2020): Country Policy and Information Note Iran: Military Service, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028094/Iran__Military_Service_-_CPIN_-_v2.0_-_April_2020.pdf , Zugriff 25.11.2021

Allgemeine Menschenrechtslage

Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Artikel 4, IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene ’Hohe Rat für Menschenrechte’ untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten ’Pariser Prinzipien’ (AA 5.2.2021).

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:

•             Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR)

•             Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) (ICCPR)

•             Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD)

•             Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht) (CRC)

•             Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (CRC-OP-SC)

•             Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD)

•             Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

•             UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen

•             UN-Apartheid-Konvention

•             Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 5.2.2021)

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:

•             Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT)

•             Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention (OP-CAT)

•             Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR)

•             Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)

•             Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (CED)

•             Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (CRC-OP-AC) (unterzeichnet aber nicht ratifiziert)(AA 5.2.2021).

Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Menschenrechtslage, insbesondere der politischen und bürgerlichen Rechte, wobei sich der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Menschenrechtsbereich in den letzten Jahren erheblich verengt hat (ÖB Teheran 11.2021). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 12.2020a). Die tiefe wirtschaftliche und politisch Krise Irans hat Auswirkungen auf die Einhaltung der Menschenrechte (BAMF 5.2021). Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören: Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard der ’schwersten Verbrechen’ entsprechen und ohne einen fairen Prozess; rechtswidrige oder willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; systematische Inhaftierungen, einschließlich Hunderter von politischen Gefangenen (US DOS 11.3.2020; vergleiche AI 7.4.2021, FH 3.3.2021, HRW 13.1.2021). Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte; Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets - einschließlich Gewalt,Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigter Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und Kriminalisierung von Verleumdungen; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung; weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen; rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien; Menschenhandel; Gewalt gegen ethnische Minderheiten; strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten; Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten sowie Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten; und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften (US DOS 30.3.2021; vergleiche FH 3.3.2021, HRW 13.1.2021). Die Regierung unternimmt kaum Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Viele dieser Missstände sind im Rahmen der Regierungspolitik zu verantworten. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (US DOS 30.3.2021).

Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände vergleiche Artikel 279 bis 288 iStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Artikel eins bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr, der Spionage beschuldigt zu werden (AA 5.2.2021). Das Regime geht in den letzten Jahren immer wieder hart gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivistinnen und gegen religiöse und ethnische Minderheiten vor (ÖB Teheran 11.2021). Auch Umweltaktivisten müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen (BS 2020; vergleiche ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021

•             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran:Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Beho erde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?__blob=public ationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%2 2name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D , Zugriff 29.11.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 28.4.2021

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-proj ect.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

•             GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/#c4398 , Zugriff 28.4.2021

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 28.4.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021

Meinungs- und Pressefreiheit, Internet

Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Medienfreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht ’schädlich’ für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die ’Rechte der Öffentlichkeit’ sind (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 30.3.2021). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 5.2.2021; vergleiche BS 2020, AI 7.4.2021, US DOS 30.3.2021). Die Justiz- und Sicherheitsbehörden verwenden weiterhin vage definierte Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, um Aktivisten, Dissidenten und Menschenrechtsverteidiger wegen freier Meinungsäußerung zu verhaften und strafrechtlich zu verfolgen (HRW 13.1.2021), bzw. nutzen Behörden Gesetze, um Personen, die die Regierung direkt kritisieren oder menschenrechtliche Probleme ansprechen, einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen. Die Behörden dulden es nicht, das Regierungssystem, den Obersten Führer oder die Staatsreligion öffentlich zu kritisieren. Sicherheitsbehörden bestrafen jene, die diese Einschränkungen verletzen oder den Präsidenten, das Kabinett oder das Parlament öffentlich kritisieren (US DOS 30.3.2021).

Der staatliche Rundfunk wird von Hardlinern streng kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert (FH 3.3.2021). Insgesamt spiegelt die iranische Presselandschaft eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums wider, geprägt wird sie dennoch von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter ’roter Linien’ des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß auch zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen gegen ungeschriebene Regeln drohen Verwarnungen, Publikationsverbote, strafrechtliche Sanktionen etwa wegen ’Propaganda gegen das System’ bis hin zum Verbot von Medien, sowohl von reformorientierten als auch von konservativen Zeitungen (AA 5.2.2021). ’Propaganda gegen das System’ ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert, wobei ’Propaganda’ nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden. Dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 11.2021). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung sowie Einschüchterung ihrer Angehörigen konfrontiert (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 26.2.2020, FH 3.3.2021). Zur Vermeidung von regimekritischen Unruhen versuchen der Oberste Führer und der Justizapparat, mit Hilfe der Regierung eine kritische Berichterstattung zu verhindern. Die Aufrechterhaltung des Systems der Islamischen Republik steht im Vordergrund, sodass aus Sicht der religiösen Führungselite sogar eine starke Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit verhältnismäßig zu sein scheint. Lange Haftstrafen und Todesurteile werden hierbei als gerechtfertigtes Mittel gesehen (BAMF 5.2021). Alle Arten von Medien unterliegen der Zensur (AI 7.4.2021).

Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet. Die Behörden versuchen, dies durch den Einsatz von Störsendern (sogenanntes Jamming) zu unterbinden (AA 26.2.2020; vergleiche FH 3.3.2021). Die Polizei durchsucht regelmäßig Privathäuser und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 3.3.2021). Andererseits besitzt nahezu jede iranische Familie eine Satellitenantenne, auch wenn diese offiziell verboten sind (GIZ 12.2020c).

Internet ist weit verbreitet, die Zahl der Internetcafés (Cofee Net) nimmt stetig zu, chatten (und zunehmend auch bloggen) ist eine Art Volkssport unter jungen Iranern. Zudem ist die Zahl an Handys gerade unter jungen Iranern hoch, auch wenn SIM-Karten sehr teuer sind (GIZ 12.2020c).Etwa 70% der iranischen Bevölkerung sind aktive Internetnutzer. Seit 2009 haben die iranischen Behörden erhebliche Mittel für den Ausbau der Infrastruktur, aber auch für die Kontrolle ihrer Nutzung aufgewendet. Zensur und Überwachung sind umfangreich. Eine Cyberpolizei wurde eingerichtet, und auch mehrere andere Regierungsbehörden haben Aufgaben im Zusammenhang mit der Überwachung des Internets und der sozialen Medien übernommen. Darüber hinaus haben die iranischen Behörden ein lokales, staatlich kontrolliertes Netzwerk entwickelt, das National Information Network (NIN). Die regimekritische Debatte findet vor allem in den sozialen Medien statt. Für illegale Oppositionsparteien ist das Internet der bevorzugte Kanal für den Informationsaustausch. Die iranischen Behörden konzentrieren sich insbesondere auf Personen, die die öffentliche Meinung in Iran beeinflussen können, wie beispielsweise diejenigen, die viele Anhänger in den sozialen Medien haben. Dies gilt auch für im Ausland lebende Iraner. Iranische Journalisten, die für internationale Medienhäuser arbeiten, werden streng überwacht (Landinfo 31.5.2021).

Gegen Personen, die ihre Meinung oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wird massiv vorgegangen. Die elektronischen Medien und der Internet-Verkehr stehen unter staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten und viele Plattformen sind gesperrt. Regimefeindliche oder ’islamfeindliche’ Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken, getätigt werden (ÖB Teheran 11.2021). Ebenso werden oppositionelle Webseiten und eine Vielzahl ausländischer Nachrichtenseiten sowie soziale Netzwerke durch iranische Behörden blockiert (AA 5.2.2021; vergleiche FH 3.3.2021, AI 7.4.2021). So bleiben z.B. die Internetseiten von Facebook, Telegram, Twitter und YouTube blockiert (AI 7.4.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Grundsätzlich ist der Empfang ausländischer Medien mithilfe sogenannter VPN (Virtual Private Network) möglich, der Staat kann diese technisch allerdings blockieren. Darüber hinaus wird der Internetverlauf gefiltert bzw. mitgelesen (AA 5.2.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Das Vorgehen der Behörden gegen reformorientierte Medien erstreckt sich auch auf das Internet. Jede Person die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen ’Cyber-Krieg’ gegen das Land führen zu wollen. Die Überwachung persönlicher Daten ist ohne Gerichtsanordnung grundsätzlich verboten. Wenn die nationale Sicherheit bedroht zu sein scheint, wird hiervon jedoch abgesehen (AA 5.2.2021). Noch herrscht dennoch eine erstaunliche Meinungsvielfalt im Internet, Kritik an staatlichen Maßnahmen wird breit geäußert. Dies war bereits unter der Regierung Rohani den Hardlinern im Parlament ein Dorn im Auge, die mehrmals versuchten, ein Gesetz zur stärkeren Kontrolle des Internets zu beschließen. Die Regierung Raisi hat diesen Gesetzesentwurf wieder aufgegriffen. Unter anderem ist geplant, Nutzer zu Echtnamen-Registrierung zu zwingen und die Verwendung von VPNs zu verfolgen. Iran hat mit China unter anderem eine Kooperation zu IKT-Angelegenheiten beschlossen (ÖB Teheran 11.2021).

Die 1997 unter Khatami gegründete ’Association of Iranian Journalists’ wurde 2009 unter dem damaligen Präsidenten Ahmadinedschad von den Sicherheitskräften geschlossen und hat seitdem trotz pressefreundlicher Wahlkampfversprechen von Ex-Präsident Rohani ihre Tätigkeit nicht wieder aufnehmen dürfen. Im Ausland lebende Journalisten von BBC Farsi berichten von gezielter Verfolgung und Einschüchterungsversuchen. Maßnahmen wie Überwachung, wiederholte Befragungen und das Einfrieren von Konten erstrecken sich dabei auch auf Familien der Betroffenen. Familienangehörige werden unter Druck gesetzt, auf die Beendigung der journalistischen Tätigkeit hinzuwirken. Inhaftierte Journalisten sind in Iran – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt, die sich aufgrund der Covid-19-Pandemie noch verschärft haben. Unter politischen Gefangenen und Journalisten kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, unter anderem gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung (AA 5.2.2021).

Ebenso unter Druck stehen Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als ’unislamisch’ oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dies unterliegt einer Genehmigungspflicht). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist ’regimefeindlicher Propaganda’ und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 11.2021).

In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hat sich Iran um einen Platz verschlechtert und liegt nun an Position 174 (2020: 173) von 180 (ROG 2021a). Iran bestätigt mit der weltweit ersten staatlichen Hinrichtung eines Journalisten seit 30 Jahren seine Stellung als einer der schlimmsten Unterdrücker der Pressefreiheit (ROG 2021b).

Hinsichtlich der Corona-Pandemie spielt die Islamische Republik die Opferzahlen herunter, verschärft die Einschränkungen für traditionelle Medien und soziale Netzwerke, verhört, verhaftet und verurteilt Medienschaffende für ihre unabhängige Berichterstattung (ROG 2021b). Die Behörden ergriffen im Jahr 2020 Maßnahmen, die eine unabhängige Berichterstattung über Covid-19 und jegliche Kritik am staatlichen Umgang mit der Pandemie unterbinden sollten. Das Ministerium für Kultur und islamische Führung wies Medien und Journalisten an, bei der Berichterstattung nur offizielle Quellen und Statistiken zu verwenden. Die Internetpolizei gründete eine spezielle Einheit, um gegen ’Internet-Gerüchte’ und ’Fake News’ über Corona in den sozialen Medien vorzugehen. Zahlreiche Journalisten, Nutzer Sozialer Medien, Mitarbeiter im Gesundheitswesen und andere Personen wurden festgenommen, verhört oder verwarnt. Im April 2020 erhoben die Behörden Anklage gegen einen Arzt aus Saqqez in der Provinz Kurdistan, wegen ’Verbreitung von Propaganda gegen das System’ und ’Störung der öffentlichen Meinung’, weil er auf Instagram Beiträge über Covid-19 veröffentlicht hatte (AI 7.4.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 23.11.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 29.4.2021

•             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran:Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Beho erde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?__blob=public ationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%2 2name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D , Zugriff 29.11.2021

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 29.4.2021

•             GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 29.4.2021

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 29.4.2021

•             Landinfo [Norwegen] (31.5.2021): Iran. Internett og sosiale medier, https://www.ecoi.net/e n/file/local/2052678/Temanotat-Iran-Internett-og-sosiale-medier-31052021.pdf , Zugriff 14.6.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021

•             ROG – Reporter ohne Grenzen (2021a): Rangliste zur Pressefreiheit 2021, https://www. reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2021/ Rangliste_der_Pressefreiheit_2021_-_RSF.pdf , Zugriff 29.4.2021

•             ROG – Reporter ohne Grenzen (2021b): Rangliste der Pressefreiheit. Weltweite Entwicklungen im Überblick, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2021/uebe rblick , Zugriff 29.4.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 29.4.2021

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen der Opposition sind seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch in kleinem Umfang statt. Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studierende teilweise verpflichtet werden (AA 5.2.2021).

In den letzten drei Jahren haben die iranischen Behörden auf wiederholte und weit verbreitete Proteste im ganzen Land mit übermäßiger und tödlicher Gewalt und willkürlichen Verhaftungen von Tausenden von Demonstranten reagiert (HRW 13.1.2021; vergleiche AI 7.4.2021). Nach den regierungskritischen Protesten im November und Dezember 2019, die aufgrund einer Benzinpreiserhöhung ausgelöst wurden (DW 29.12.2019; vergleiche DIS 7.2.2020), wurden Tausende Personen festgenommen (DIS 7.2020). Gegen mindestens 500 Personen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Die Festgenommenen wurden unmenschlicher Behandlung und Folter unterworfen, um Geständnisse, dass sie Verbindungen zu Oppositionsgruppen oder ausländischen Regierungen haben, zu erzielen. Demonstranten wurden aufgrund von Anschuldigungen, die nationale Sicherheit bedroht zu haben, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (HRC 14.5.2021). Mit einer zeitweisen Internetblockade sorgte Teheran damals dafür, dass kaum Informationen, Bilder und Videos der Proteste verbreitet werden konnten (DW 29.12.2019; vergleiche HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021). Sicherheitskräfte setzten exzessive und rechtswidrige tödliche Gewalt gegen massive Proteste im ganzen Land ein, insbesondere gegen Demonstranten, die Straßen blockierten oder in einigen Fällen Steine warfen und versuchten, öffentliche Gebäude zu übernehmen (HRW 13.1.2021). Die Regierung hat eingeräumt, dass während der Proteste im November 2019 einige Menschen getötet wurden. Es ist äußerst schwierig, eine Gesamtzahl an Todesopfern bereitzustellen. Die Schätzungen der Zahl der Todesopfer reichen laut verifizierten Berichten von über 304 bis zu unbestätigten Berichten von bis zu 1.500 Toten, darunter auch Frauen und Kinder. Die Zahl der von den Sicherheitskräften verletzten Personen schwankt zwischen 2.000 und 4.800. Die Zahl der Todesopfer war in den kurdisch besiedelten Provinzen relativ hoch im Vergleich zu anderen Provinzen des Landes (DIS 7.2.2020). Auch mehr als ein Jahr nach den Protesten schüchtern die Behörden die Familien der Opfer weiter ein und behindern die Bemühungen, die Zahl der getöteten Demonstranten zu klären (FH 3.3.2021).

Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Gewerkschaftliche Aktivitäten werden zum Teil unter dem Vorwurf der ’Propaganda gegen das Regime’ und ’Handlungen gegen die nationale Sicherheit’ verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 5.2.2021), jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein. Mehrere inhaftierte Arbeiteraktivisten wurden 2019 zu Haftstrafen von 14 Jahren oder mehr verurteilt (FH 3.3.2021). Erlaubt sind nur ’Islamische Arbeitsräte’ unter der Aufsicht des ’Haus der Arbeiter’ (keine unabhängige Institution). Mitglieder und Gründer unabhängiger Gewerkschaftsgruppierungen wie etwa die Teheraner Busfahrergewerkschaft, die Zuckerrohrarbeitergewerkschaft oder die Lehrergewerkschaft werden zunehmend häufig verhaftet, gefoltert und bestraft. Proteste gegen zu geringe oder gar nicht ausbezahlte Löhne mehren sich, auch dabei kommt es immer wieder zu Festnahmen. Eine Gruppe von Umweltaktivisten wurde 2018 aufgrund von Spionageverdacht verhaftet, einige wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (ÖB Teheran 11.2021).

In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche GIZ 12.2020a). Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Sowohl bei Präsidenten- als auch bei Parlamentswahlen nimmt der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vor. Kandidaten werden unter fadenscheinigen Gründen aussortiert – dabei wurden auch schon ehemalige Präsidenten als ’nicht geeignet’ ausgeschlossen. Nach langen Debatten bewertet der Wächterrat – dem nur Männer angehören – die Kandidatur von Frauen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2021 als prinzipiell zulässig, dennoch wurde auch diesmal keine einzige der Kandidatinnen zugelassen. Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u.a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.) (ÖB Teheran 11.2021).

Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisationen so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems infrage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände (’regimefeindliche Propaganda’, ’Beleidigung des Obersten Führers’ etc.). Darüber hinaus werden Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen (ÖB Teheran 11.2021). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden also verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv (AA 5.2.2021). Die Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi sowie dessen Ehefrau Zahra Rahnavard stehen noch immer ohne Anklage oder Gerichtsverfahren unter Hausarrest, der 2011 gegen sie verhängt worden war (AI 7.4.2021; vergleiche BS 2020, ÖB Teheran 11.2021, AA 5.2.2021).

An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, welche die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten. Eine markante Führungspersönlichkeit fehlt bei sämtlichen oppositionellen Gruppierungen (ÖB Teheran 11.2021). Ohne entsprechende Führung und angesichts umfassender Überwachung der Kommunikationskanäle spielen die verbleibenden Oppositionellen kaum eine Rolle. Das Fehlen oppositioneller Führungspersonen zeigte sich auch bei den Unruhen zum Jahreswechsel 2017/18, den Protesten im November 2019 und den Demonstrationen nach dem Absturz eines ukrainischen Passagierflugzeugs im Januar 2020. Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen hat oftmals staatliche Zwangsmaßnahmen und Sanktionen zur Folge (AA 5.2.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 29.4.2021

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

•             DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+ on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 29.4.2021

•             DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2020): Iran. November 2019 Protests, https://www.ecoi.net/en/file/local/2033026/COI_brief_report_iran_nov_2019_protest_jul y_2020.pdf , Zugriff 26.11.2021

•             DW – Deutsche Welle (29.12.2019): Bericht: Iran geht von 1500 Toten bei Unruhen aus, https://www.dw.com/de/bericht-iran-geht-von-1500-toten-bei-unruhen-aus/a-51780047 , Zugriff 29.4.2021

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 29.4.2021

•             GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/ , Zugriff 29.4.2021

•             HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 25.11.2021

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 29.4.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 13.12.2021

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 30.3.2021, FH 3.3.2021, AI 7.4.2021). Im Juni 2020 waren 211.000 Personen inhaftiert, womit die Gefängnisse mehr als zweieinhalb mal überbelegt waren (ÖB Teheran 11.2021). Berichten zufolge kommt es auch vor, dass bei Überbelegung der Zellen Häftlinge auf Gängen, am Boden oder in Gefängnishöfen schlafen müssen (US DOS 30.3.2021). Die Haftbedingungen sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Berichtet wird über unzureichende Ernährung, die langfristig zu entsprechenden Folgeschäden führen kann, und die Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2020; vergleiche US DOS 30.3.2021, FH 3.3.2021, AI 7.4.2021). Im Allgemeinen verschlechterten sich die Haftbedingungen während der COVID-19-Pandemie erheblich (US DOS 30.3.2021; vergleiche HRC 14.5.2021). Politische Gefangene haben in den letzten Jahren wiederholt Hungerstreiks durchgeführt, um gegen Misshandlungen in Gewahrsam zu protestieren (FH 3.3.2021; vergleiche US DOS 30.3.2021). Von Februar bis Mai 2020 ließen die Behörden als Reaktion auf die Corona-Pandemie etwa 128.000 Gefangene vorübergehend frei und begnadigten 10.000 weitere (AI 7.4.2021), um die Ausbreitung von COVID-19 in Gefängnissen zu verhindern. Berichten zufolge befanden sich nur sehr wenige politische Gefangene unter jenen, denen Urlaub gewährt wurde (FH 3.3.2021). Hunderte gewaltlose politische Gefangene waren von Begnadigungen und vorübergehenden Freilassungen ausgeschlossen (AI 7.4.2021). Mehrere Menschenrechtsverteidiger wurden unter der richterlichen Anordnung bezüglich COVID-19 freigelassen. In vielen anderen Fällen haben sich die Behörden trotz der Gesundheitsrisiken geweigert, Menschenrechtsverteidigern vorübergehende Freilassungen zu gewähren (HRW 13.3.2021). Die Zahl der Coronavirus-Infektionen in Gefängnissen dürfte höher sein als von den Behörden angegeben (FH 3.3.2021).

Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet - vor allem während Verhören (AI 7.4.2021). Regelmäßig versterben Menschen in Haft. Laut Berichten sind folgende Foltermethoden verbreitet: Elektroschocks, Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen – teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, Verweigerung medizinischer Behandlung. Im August 2021 wurden Aufnahmen von Überwachungskameras des Evin-Gefängnisses in Teheran vom März 2021 veröffentlicht, auf denen schockierende Folter und Misshandlungen von Gefangenen durch Aufseher und andere Gefangene zu sehen sind. Der Justiz-Leiter besuchte das Gefängnis daraufhin und rief zu ordnungsgemäßer Behandlung von Gefangenen auf. Politische Gefangene oder Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 11.2021).

Die Haftbedingungen variieren im Einzelfall nach Gefängnis-Trakt und Status der Gefangenen, wobei generelle Aussagen nicht möglich sind. So ist im Evin-Gefängnis in Teheran ein Trakt für Ausländer reserviert, ein Trakt wird vom Geheimdienst der Revolutionsgarden verwaltet, manche Trakte sind unterirdisch. Das Quarchak-Frauengefängnis in Teheran dürfte als ehemaliger Hühnerstall sanitär unzureichend sein (ÖB Teheran 11.2021).

Straflosigkeit bei Vergehen von Beamten ist weiterhin ein Problem. Berichten zufolge hat Folter zu mehreren Todesfällen in Gewahrsam geführt (AI 7.4.2021). Gefangene können Beschwerden bei den Justizbehörden einreichen, werden jedoch häufig mit Zensur oder Vergeltung in Form von Verleumdung, Schlägen, Folter und Verweigerung von medizinischer Versorgung und Medikamenten oder Urlaubsanträgen sowie Anklage wegen zusätzlicher Straftaten konfrontiert (US DOS 30.3.2021).

Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark von einander ab. Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse. Es kommt regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen (AA 5.2.2021). Im März und April 2020 protestierten Gefangene im ganzen Land mit Hungerstreiks und Aufständen, weil die Behörden nicht in der Lage waren, sie vor Corona-Infektionen zu schützen. Die Behörden reagierten mit rechtswidrigen Mitteln. Sie schlugen die Inhaftierten und beschossen sie mit scharfer Munition, Metallkugeln und Tränengas, um die Proteste niederzuschlagen. Dies führte dazu, dass am 31. März 2020 im Sheiban-Gefängnis inAhwaz in der Provinz Khuzestan mehrere Gefangene, die der arabischen Ahwazi-Minderheit angehörten, getötet und viele weitere verletzt wurden (AI 7.4.2021).

Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in ’sichere Häuser’ gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen. Dort werden sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten (ÖB Teheran 11.2021). Ein besonders prominentes Beispiel ist Oppositionsführer Mehdi Karroubi, der zusammen mit seiner Frau und zwei anderen Oppositionsführern seit 2011 unter Hausarrest steht (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 7.4.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 29.4.2021

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•             HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 26.11.2021

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 29.4.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 29.4.2021

Todesstrafe

Iran ist auch weiterhin eines der Länder, wo die Todesstrafe am häufigsten durchgeführt wird (HRW 13.1.2021; vergleiche CSW 3.2021). In Bezug auf die Anzahl der jährlichen Hinrichtungen befindet sich Iran nach China weltweit an zweiter Stelle (FH 3.3.2021). Im Jahr 2020 wurden mindestens 267 Menschen hingerichtet (HRC 14.5.2021; vergleiche AI 4.2021, HRW 13.1.2021), darunter neun Frauen (HRC 14.5.2021). Mindestens 25 Hinrichtungen erfolgten aufgrund von Anschuldigungen im Zusammenhang mit Drogen, eine aufgrund von Alkoholkonsum und mindestens 15 Hinrichtungen aufgrund der weitreichenden Anschuldigungen Moharebeh (Waffenaufnahme gegen Gott), Efsad-e Fel-arz (Korruption auf Erden) und Baghy (Rebellion gegen den Staat). Mindestens vier jugendliche Straftäter wurden hingerichtet (HRC 14.5.2021).

Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, ’Moharebeh’ (Waffenaufnahme gegen Gott) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRW 13.1.2021, AA 5.2.2021). Des weiteren terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslim mit einer Muslimin (AA 5.2.2021). Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 5.2.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). In den letzten 20 Jahren ist es jedoch zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 5.2.2021).

Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt mittlerweile auf Verurteilungen wegen Mordes (AA 5.2.2021). Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießung, durchgeführt, allerdings in letzter Zeit nicht mehr öffentlich (ÖB Teheran 11.2021). Betroffen hiervon sind auch zum Tatzeitpunkt Minderjährige (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 5.2.2021, HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021, HRC 14.5.2021, AI 7.4.2021, CSW 3.2021). Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei neun Jahren (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 5.2.2021) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. Mehreren zur Tatzeit Minderjährigen droht aktuell die Hinrichtung (AA 5.2.2021). Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen, die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 5.2.2021). Selbst nach der Hinrichtung durch das Regime werden repressive Maßnahmen gegen Angehörige fortgesetzt. Hingerichtete werden weit entfernt von ihrem früheren Wohnort begraben, manchmal ohne Benachrichtigung der Angehörigen.Totenfeiern sowie Grabbesuche für Regimegegner werden aufgelöst (ÖB Teheran 11.2021).

Durch die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte Ende 2017 konnte Iran seit 2018 die Zahl der Hinrichtungen etwa halbieren. Über gewalttätige Drogenstraftäter und diejenigen, die mehr als 100 Kilo Opium oder zwei Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, wird weiterhin die Todesstrafe verhängt (ÖB Teheran 11.2021). Laut anderer Quelle liegt die Grenze bei 50 Kilogramm ’traditioneller Drogen’ (AA 5.2.2021). Diese Gesetzesänderungen führten zu einer Überprüfung der Todesstrafe für Tausende von Häftlingen (FH 3.3.2021). Das neue Gesetz gilt rückwirkend, sodass dadurch etwa 2.000 bis 5.000 bereits zum Tode Verurteilte von der Todesstrafe verschont bleiben könnten (AA 5.2.2021). Ca. 9% aller Exekutionen stehen in Verbindung mit Drogenvergehen (AI 4.2021).

Todesstrafen für Frauen und Mädchen liegen oft Morde an ihren Ehemännern zugrunde, die sie in Selbstverteidigung nach langjährigem Missbrauch begehen (ÖB Teheran 11.2021).

Regelmäßig gehen der Todesstrafe ein unfaires Verfahren und Misshandlung (erzwungene Geständnisse) voraus (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 7.4.2021, US DOS 30.3.2021). Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom ’Geschädigten’ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen. Seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021).

Regierung und NGOs sind bemüht, Hinrichtungen durch Förderung des Blutgeld-Prozesses zu verhindern, und es werden z.B. mit Spendenaufrufen Blutgelder gesammelt (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021

•             AI – Amnesty International (4.2021): Todesurteile und Hinrichtungen 2020, https://www.am nesty.at/media/8345/amnesty_bericht-zur-todesstrafe-2020_web.pdf , Zugriff 30.4.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021

•             CSW – Christian Solidarity Worldwide (3.2021): Iran: General Briefing, file:///tmp/mozilla _sl52920/iran---march-2021-2.pdf , Zugriff 7.5.2021

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021

•             HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 26.11.2021

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•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 26.11.2021

Religionsfreiheit

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Artikel 13, der iranischen Verfassung anerkannten ’Buchreligionen’ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben in ihren Gemeinden relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als ’mohareb’ (Waffenaufnahme gegen Gott) verfolgt und mit der Todesstrafe bestraft werden (AA 5.2.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018). Religiöse Minderheiten werden mit Argwohn betrachtet und als Bedrohung für das theokratische System gesehen (CSW 3.2021). Auch unterliegen Anhänger religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 5.2.2021). Somit werden auch anerkannte religiöse Minderheiten (Zoroastrier, Juden, Christen) diskriminiert, sie sind in ihrer Religionsausübung jedoch nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Sie haben gewisse rechtlich garantierte Minderheitenrechte, etwa eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 11.2021). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA 23.5.2018; vergleiche FH 3.3.2021, IRB 9.3.2021). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA 23.5.2018; vergleiche FH 3.3.2021, BAMF 3.2019) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 3.3.2021). Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen (AI 7.4.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021).

Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück (ÖB Teheran 10.2020; vergleiche Open Doors 2021). Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha’i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Mitunter wird von bedrohlicher Diskriminierung von Nicht-Schiiten seitens des familiären oder gesellschaftlichen Umfelds berichtet. Auch oppositionelle schiitische Geistliche und muslimische Sekten sind der Verfolgung ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021).

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt (AI 7.4.2021).

Die Regierung überwacht weiterhin die Aussagen und Ansichten hochrangiger schiitischer religiöser Führer, die die Regierungspolitik oder die Ansichten des Obersten Führers Ali Khamenei nicht unterstützten. Diese werden durch Behörden weiterhin mit Festnahmen, Inhaftierungen, Mittelkürzungen, Verlust von geistlichen Berechtigungsnachweisen und Beschlagnahmungen von Eigentum unter Druck gesetzt (US DOS 12.5.2021). Die Inhaftierung von Angehörigen religiöser Minderheiten, welche ihre Kultur, ihre Sprache oder ihren Glauben praktizieren, ist weiterhin ein ernstes Problem (HRC 11.1.2021).

Personen, die sich zumAtheismus bekennen, laufen Gefahr, willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt oder wegen Apostasie (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 7.4.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021

•             BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PL ib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf , Zugriff 18.12.2020

•             BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (23.5.2018): Analyse Iran – Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf , Zugriff 17.4.2020

•             CSW – Christian Solidarity Worldwide (3.2021): Iran: General Briefing, file:///tmp/mozilla _sl52920/iran---march-2021-1.pdf , Zugriff 7.5.2021

•             DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-an d-converts.pdf , Zugriff 20.4.2020

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021

•             HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (11.1.2021): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/46/50], https://undocs.org/en/A/hrc/46/50 , Zugriff 30.4.2021

•             IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html , Zugriff 7.5.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf Zugriff 3.12.2020

•             Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2019 – 30. September 2020), https://www.opendoors.de/christenverfolgung/welt verfolgungsindex/laenderprofile/iran , Zugriff 19.1.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html , Zugriff 18.6.2021

Christen

Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran, von denen der Großteil den armenischen Christen angehört. Diese leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan (BFA 23.5.2018). Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt, allerdings werden evangelikale Freikirchen von der Regierung nicht als christlich anerkannt. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt. Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt (ÖB Teheran 11.2021); christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 5.2.2021, BAMF 3.2019, IRB 9.3.2021), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Soweit ethnische Christen die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie kaum behindert oder verfolgt. Dies trifft insbesondere auf armenische und assyrische Christen zu. Muslimische Konvertiten und Mitglieder protestantischer Freikirchen sind demgegenüber willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt (AA 5.2.2021).

Die armenischen Christen gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die in der Verfassung genannt werden. Ihnen stehen zwei der 290 Sitze im iranischen Parlament zu. Laut den konsultierten Quellen können armenische Christen – solange sie sich an die Gesetze der Islamischen Republik Iran halten – ihren Glauben relativ frei ausüben (BFA 23.5.2018; vergleiche BAMF 3.2019, FH 3.3.2021). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben (ÖB Teheran 11.2021). Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur armenische oder assyrische Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen (US DOS 12.5.2021; vergleiche IRB 9.3.2021).

Grundrechtlich besteht ’Kultusfreiheit’ innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen (ÖB Teheran 10.2020). Jedoch haben Nichtmuslime weder Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit noch Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit. Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und derAnwerbung von anders Gläubigen ist verboten (Proselytismusverbot) und wird streng bestraft (ÖB Teheran 10.2020; vergleiche BAMF 3.2019, BFA 23.5.2018, Open Doors 2021). Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden (BFA 23.5.2018; vergleiche ÖB Teheran 11.2021), wobei es in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam. Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen (’Hauskirchen’) oft hart vorgegangen (u.a. Verhaftungen und Beschlagnahmungen). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot. Kirchenvertreter sind angehalten, die Behörden zu informieren, bevor sie neue Mitglieder in ihre Glaubensgemeinschaft aufnehmen (ÖB Teheran 11.2021). Es gibt aber auch Einschränkungen, mit denen auch anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht (BFA 23.5.2018; vergleiche Open Doors 2021). Im Weltverfolgungsindex 2021 von Christen von Open Doors befindet sich Iran auf dem achten Platz (2020: Platz 9). Der Weltverfolgungsindex ist eine Rangliste der 50 Länder, in denen Christen der stärksten Verfolgung und Diskriminierung wegen ihres Glaubens ausgesetzt sind. Je niedriger die Zahl, desto höher die Verfolgung. Im Berichtszeitraum ist die Zahl der verhafteten Christen des Weltverfolgungsindex 2021 im Gegensatz zum Vorjahr (169) gesunken. Es gab keine breit angelegte Verhaftungswelle, auch wenn es im Juni 2020 eine Razzia gab. Eine genaue Zahl wird im Bericht nicht genannt (Open Doors 2021). Christen werden weiterhin schikaniert, willkürlich inhaftiert und wegen der Ausübung ihres Glaubens verurteilt (AI 7.4.2021; vergleiche CSW 3.2021). Dies betrifft auch Personen, die zum Christentum konvertiert waren (AI 7.4.2021; vergleiche HRW 13.1.2021). Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden (AA 5.2.2021).

Mohabat News und Open Doors berichten von anhaltenden Razzien in Kirchengemeinden, insbesondere Hauskirchen, Konfiszierungen von Bibeln und christlichen Materialien und der Verhaftung vieler Christen muslimischer Herkunft, aber auch traditioneller Christen wie Armeniern und Assyrern. Ausländische christliche Gemeinden können ihre Religion weitgehend ungehindert ausüben, werden jedoch von staatlicher Seite dabei genau beobachtet. Eine nachhaltige Gemeindearbeit wird durch staatliche Schikanen verhindert (z. B. Verweigerung der Visaverlängerung für in Iran praktizierende, ausländische Priester oder Visaverweigerung). Dadurch dürften die Gemeinden langfristig ’aussterben’. Insbesondere Iraner, die sich aktiv für nicht-muslimische Glaubens- und Gemeindearbeit einsetzen, laufen Gefahr, ins Visier der Sicherheitsbehörden zu geraten (AA 5.2.2021).

Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind. Sie haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben (BFA 23.5.2018). Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden (BFA 23.5.2018; vergleiche IRB 9.3.2021). Es gehört zum Erscheinungsbild in den Großstädten, dass christliche Symbole im Modebereich als Accessoires Verwendung finden und auch in den entsprechenden Geschäften angeboten werden. Auch Dekorationen mit christlichen Motiven sind nicht ungewöhnlich. Eine solche kommerzielle Präsentation führte bisher nach Darstellung der in Teheran vertretenen westlichen Botschaften zu keinen Strafverfahren. Laut der Nachrichtenseite der iranischen Christen, Mohabat News, können Christen öffentlich im ganzen Land Weihnachtsgeschenke, Tannenbäume oder Schmuckwaren für ihre Feste kaufen. Vor einigen Kirchen in Teheran stehen anlässlich der Weihnachtsfeiertage, zu denen von staatlicher Seite immer wieder Glückwünsche übermittelt werden, Weihnachtsbäume (BAMF 3.2019).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 7.5.2021

•             BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PL ib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf , Zugriff 4.1.2021

•             BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (23.5.2018): Analyse Iran – Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf , Zugriff 20.4.2020

•             CSW - Christian Solidarity Worldwide (3.2021): Iran: General Briefing, file:///tmp/mozilla _sl52920/iran---march-2021-2.pdf , Zugriff 7.5.2021

•             DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-an d-converts.pdf , Zugriff 20.4.2020

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 7.5.2021

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 7.5.2021

•             IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html , Zugriff 7.5.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf , Zugriff 16.12.2020

•             Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2019 – 30. September 2020), https://www.opendoors.de/christenverfolgung/welt verfolgungsindex/laenderprofile/iran , Zugriff 19.1.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html , Zugriff 18.6.2021

Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen

Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist in Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 11.2021). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel ’mohareb’ (’Waffenaufnahme gegen Gott’), ’mofsid-fil-arz/fisad-al-arz’ (’Verdorbenheit auf Erden’), ’Handlungen gegen die nationale Sicherheit’ (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche DIS/DRC 23.2.2018), ’Organisation von Hauskirchen’ und ’Beleidigung des Heiligen’, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 5.2.2021). In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich ausAngst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2021). Quellen zufolge fand 1990 die einzige ’offizielle’ Hinrichtung eines Christen wegen Apostasie in Iran statt (IRB 9.3.2021). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt (AA 12.1.2019).

Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 5.2.2021; vergleiche Open Doors 2021). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind. Die Probleme, die durch Konversion auftreten können, sind breit gefächert. Sie beginnen in der Schule, wo Kinder aus konvertierten Familien einen Verweis, oder die Verwehrung des Hochschuleintritts riskieren, sollten sie den Fächern Religionsunterricht, Islamische Lehre und Koranstunde fernbleiben (ÖB Teheran 11.2021).

Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit Konversion vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese Konversion ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich ’konvertierte’ Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 11.2021).

Die Versammlung in – meist evangelischen – Hauskirchen oder Hausgemeinden wird laut Behörden ’kontrolliert’, de facto aber untersagt, weshalb die einzelnen Gemeinden meist klein bleiben und ständig den Standort wechseln, um Razzien auszuweichen. Dennoch sind Hauskirchen inzwischen relativ weit verbreitet (ÖB Teheran 10.2020). Die Schließungen der ’Assembly of God’-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen (DIS/DRC 23.2.2018; vergleiche IRB 9.3.2021). Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind (DIS/DRC 23.2.2018). Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit, eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018). Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren. Deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da diese zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen wollen, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es ist jedoch unklar, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen. Allerdings wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Razzien gegen Hauskirchen werden weiterhin durchgeführt (AI 7.4.2021).

Von Repressionen und willkürlichen Verhaftungen von konvertierten Christen, Mitgliedern der protestantischen und evangelischen Kirche wird immer wieder berichtet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 3.3.2021, CSW 3.2021). Im August 2020 wurden 35 neu Konvertierte verhaftet und im selben Monat sind vier weitere Konvertierte wegen Anschuldigungen wie ’Teilnahme an Versammlungen der häuslichen Kirchen’, ’Verbreitung vom zionistischen Christentum’ und ’Gefährdung der inneren Sicherheit’ zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt worden(ÖB Teheran 11.2021). Trotzdem ist die Zahl der verhafteten Christen laut Weltverfolgungsindex 2021 im Gegensatz zum Vorjahr gesunken. Der Rückgang der Zahl der Verhaftungen ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die iranischen Sicherheitsdienste Ende 2019 alle Hände voll zu tun hatten, die Proteste im Land zum Schweigen zu bringen. Darauf folgte die Coronakrise, welche die Regierung auf andere Weise beschäftigte. Allerdings wurden im Berichtszeitraum des Weltverfolgungsindex 2021 mehr Christen zu Gefängnisstrafen verurteilt als im Vorjahr. Teilweise müssen inhaftierte Christen Hypotheken aufnehmen, um die hohen Kautionszahlungen für ihre Entlassung aufbringen zu können. Weil sie befürchten, dass ein Gerichtsurteil zu einer langen Gefängnisstrafe führt, fliehen viele iranische Christen nach ihrer vorläufigen Entlassung aus dem Land, wobei sie ihre Kaution und somit häufig auch ihren Grundbesitz verlieren (Open Doors2021).

Organisatoren von Hauskirchen laufen Gefahr, wegen ’Verbrechen gegen Gott’ angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte. In Bezug auf die Strafverfolgung von Mitgliedern von Hauskirchen besagt eine Quelle, dass eher nur die Anführer von Hauskirchen gerichtlich verfolgt würden, während eine andere Quelle meint, dass auch ’low-profile’ Mitglieder davon betroffen sein können. Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen. Wenn es sich um einen prominenten Fall handelt, werden die Betroffenen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden unter der Bedingung wieder freigelassen, sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen ist, dass dieAnführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018).

Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen (ÖB Teheran 10.2020; vergleiche Landinfo 16.10.2019, UK HO 2.2020). Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche Landinfo 16.10.2019). Darüber hinaus wird Christen mitunter der Konsum von Alkohol (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens vorgeworfen (ÖB Teheran 11.2021).

Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden in der Regel nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018; vergleiche Landinfo 16.10.2019).

Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein ’high-profile’-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber durchaus zu Problemen führen (DIS/DRC 23.2.2018). Die iranischen Behörden sind in erster Linie daran interessiert, die Ausbreitung des Christentums zu stoppen, und verfügen allem Anschein nach nicht über die notwendigen Ressourcen, um alle christlichen Konvertiten zu überwachen (UK HO 2.2020). Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 11.2021).

Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS/DRC 23.2.2018). Open Doors gibt im Weltverfolgungsindex 2021 an, dass die Taufe als öffentliches Zeichen der Abwendung vom Islam gesehen wird und deshalb verboten ist (Open Doors 2021).

Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (USDOS 12.5.2021). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der ’Katholischen Jerusalem Bibel’ ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den ’Katechismus der Katholischen Kirche’ ins Farsi. Beide Produkte sind heute noch ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/14572 57/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelev ante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 20.4.2020

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 7.5.2021

•             BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PL ib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf , Zugriff 4.1.2021

•             CSW – Christian Solidarity Worldwide (3.2021): Iran: General Briefing, file:///tmp/mozilla _sl52920/iran---march-2021-3.pdf , Zugriff 7.5.2021

•             DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Councile (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-an d-converts.pdf , Zugriff 20.4.2020

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 7.5.2021

•             IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https: //www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html , Zugriff 7.5.2021

•             Landinfo [Norwegen] (16.10.2019): Iran: Kristne konvertitter – en oppdatering om arrestasjoner og straffeforfølgelse, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019853/Respons-Iran-Kristn e-konvertitter-en-oppdatering-om-arrestasjoner-og-straffeforf%C3%B8lgelse-AVA-1610 2019.pdf , Zugriff 5.1.2020

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf , Zugriff 7.1.2021

•             Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum: 1. Oktober 2019 –30. September 2020), https://www.opendoors.de/sites/default/files/count ry_dossier/8_laenderprofil_iran.pdf , Zugriff 7.5.2021

•             UK HO – UK Home Office [Großbritannien] (2.2020): Country Policy and Information Note Iran: Christians and Christian converts, https://assets.publishing.service.gov.uk/governm ent/uploads/system/uploads/attachment_data/file/868800/Iran_-_Christians-Converts_- _CPIN_-_v6.0_-_Feb_2020_-_EXT_PDF.pdf , Zugriff 7.5.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html , Zugriff 18.6.2021

Baha‘i

Baha’í gelten als Abtrünnige und nicht als Mitglieder einer Religionsgemeinschaft (AA 5.2.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Sie sind die am meisten verfolgte religiöse Gruppe, ihre etwa 300.000 Anhänger werden systematisch verfolgt, weil sie Propheten nach Mohammed akzeptieren. Dazu kommt, dass die Baha‘i wegen des Bestehens ihrer Zentrale in Haifa/Israel von offizieller iranischer Seite besonders misstrauisch beobachtet und oft als israelische Spione angesehen werden. Es gibt häufig Berichte über Verhaftungen von Baha‘i (ÖB Teheran 11.2021). Baha‘i sind wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Sie sind vom Pensions- und Sozialversicherungssystem ausgeschlossen, Kriminalitätsopfer erhalten keine staatliche Kompensation, und Gewerbescheine werden unter Hinweis auf die Baha‘i-Zugehörigkeit verweigert (AA 5.2.2021). Die Behörden können die Schließung von Unternehmen im Besitz von Baha’i anordnen und Vermögen von Anhängern der Glaubensgemeinschaft beschlagnahmen (AI 7.4.2021). Auch bekommen sie keine Personalpapiere ausgehändigt und sind vollkommen staatlicher Willkür ausgeliefert (GIZ 12.2020c). Ebenso ist ihnen der Zugang zu höherer Bildung nicht möglich (AA 5.2.2021; vergleiche AI 7.4.2021, BS 2020, FH 3.3.2021, US DOS 30.3.2021), da Baha‘i-Studenten der Zugang zu Universitäten verwehrt wird (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRW 13.1.2021). Auch Jobs im öffentlichen Sektor sind für sie nicht zugänglich (BS 2020; vergleiche AI 7.4.2021). Nach Angaben eines Baha‘i-Vertreters werden auf lokaler Ebene Unterrichtseinheiten vom BIHE (Baha’i Institute of Higher Education, 2011 für illegal erklärt) abgehalten. Damit gehen zum einen erhebliche Risiken für Studenten und Dozenten einher und zum anderen werden auf diese Weise erlangte Abschlüsse nicht anerkannt (AA 5.2.2021). Die Führungsriege der Baha‘i-Gemeinde in Iran sowie die Leitung der Untergrunduniversität BIHE wurden nach Gefängnisstrafen Anfang 2018 freigelassen. Die Hoffnung nach einem Gerichtsurteil im Jänner 2019, wonach Iranisches Recht das Baha’itum nicht kriminalisiert und Proselytismus nicht unter den Straftatbestand Propaganda gegen den Staat subsumierbar sei, wurden enttäuscht (ÖB Teheran 11.2021).

Die iranische Regierung setzt die systematische Unterdrückung der Baha’i fort (USCIRF 4.2021). Insbesondere die Streichung der Option ’andere Religionen’ vom Antragsformular für ID-Karten Anfang 2020 setzt die Baha‘i unter Druck (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 5.2.2021). Es kann nur noch eine der in der Verfassung anerkannten Religionen - also Islam, Christentum, Judentum oder Zoroastrismus - angegeben werden (AA 5.2.2021). Dadurch werden die Baha’i gezwungen, entweder nicht wahrheitsgemäß das Formular auszufüllen (was ihnen ihre Religion verbietet) oder harte Einschränkungen in Kauf zu nehmen (ÖB Teheran 11.2021). Baha’i können dann kein Darlehen beantragen, keinen Scheck einlösen und auch kein Grundstück kaufen (AA 5.2.2021). Auch 2020 gab es Razzien inklusive Beschlagnahmungen gegen Baha’i (HRC 11.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Zerstörungen und Beschlagnahmungen von Eigentum der religiösen Minderheit der Baha’i gehen weiterhin vonstatten, einschließlich einer Reihe von Gerichtsverfahren, in denen ihr Eigentum als ’unrechtmäßig’ eingestuft wurde. Razzien gegen Baha’i passieren auf Grundlage des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer ’verdorbenen Sekte’ und ’Handlungen gegen die nationale Sicherheit’ (HRC 14.5.2021). Derzeit sind nach Angaben der International Baha’i Community 78 Baha’i aus Glaubensgründen in iranischen Gefängnissen in Haft (AA 5.2.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 30.4.2021

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021

•             GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 29.12.2020

•             HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 6.12.2021

•             HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (11.1.2021): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/46/50], https://undocs.org/en/A/hrc/46/50 , Zugriff 30.4.2021

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 30.4.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

•             USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF – Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): Iran, https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2052971/Iran+Chapter+AR2021.pdf Zugriff 18.6.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 6.12.2021

Sunniten

Die meisten Sunniten in Iran sind Kurden, Turkmenen, Araber oder Belutschen, die in den Randprovinzen des Landes leben (Qantara.de 11.1.2016) - vor allem im Südwesten nahe den Grenzen zu den arabischen Nachbarländern (ÖB Teheran 10.2020).

In den sunnitischen Siedlungsgebieten im Westen und Südosten Irans ist die Religionsausübung ohne Einschränkungen möglich (AA 5.2.2021). Sunniten sind in der Verfassung als Muslime anerkannt und dürfen ihre Religion prinzipiell frei ausüben, sie werden jedoch vielfach benachteiligt (ÖB Teheran 11.2021). Sunniten sehen sich vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt (GIZ 12.2020c; vergleiche HRW 13.1.2021) und werden vor dem Gesetz benachteiligt. So nehmen gerade in den letzten Jahren die Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten zu (GIZ 12.2020c). Sunniten berichten, dass sie keine Moscheen in großen Städten bauen dürfen (FH 3.3.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021, BS 2020, AI 7.4.2021) und Probleme hätten, Posten im öffentlichen Dienst zu bekommen (FH 3.3.2021; vergleiche BS 2020), dasolche wichtige politische Ämter ausschließlich schiitischen Muslimen offenstehen (AI 7.4.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021).

Sunnitische Geistliche werden immer wieder verhaftet. Außerdem fürchten die Behörden ein Überlaufen iranischer Sunniten zum radikalen Salafismus. Die Machtübernahme der radikal-sunnitischen Taliban in Afghanistan hat die Ängste in Iran vor einem Überschwappen des dortigen anti-schiitischen Terrors – v.a. seitens Al-Qaida und des sogenannten ’Islamischen Staates’ – und mögliche Spannungen zwischen sunnitischer Minderheit und der Mehrheitsbevölkerung bekräftigt (ÖB Teheran 11.2021).

Sunniten werden mitunter sowohl aufgrund ihrer religiösen wie auch ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert, da viele kurdischer oder arabischer Volkszugehörigkeit sind (AA 5.2.2021). Dabei spielt bei der Ausgrenzung von Sunniten oft weniger die islamische Konfession als die ethnische Zugehörigkeit eine Rolle. In den Siedlungsgebieten der Sunniten gibt es starke Autonomiebewegungen, gegen die die Zentralregierung in Teheran vorgeht. Angehörige der ethnischen Minderheiten haben deshalb auch schlechteren Zugang zu Wasser, Wohnraum, Arbeit oder Bildung. Sunnitentum, ethnische Zugehörigkeit und Autonomiebestrebungen vermischen sich in der staatlichen Wahrnehmung. Im Jahr 2015 wurde erstmals ein Sunnit zum Botschafter des Iran ernannt (Qantara.de 11.1.2016).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-projec

t.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021

•             GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 30.4.2021

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 30.4.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf , Zugriff 29.12.2020

•             Qantara.de (11.1.2016): Muslime zweiter Klasse, https://de.qantara.de/inhalt/sunniten-im -iran-muslime-zweiter-klasse , Zugriff 22.4.2020

Derwisch-Orden/Sufis

Schwere Repressionen erleben auch Mitglieder der Derwisch-Gemeinschaft (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 7.4.2021). Obwohl der Gonabadi-Orden (größter Sufi-Orden im Iran) zur Schia zählt, werden seine Mitglieder regelmäßig verfolgt und verhaftet, da sie jede Form des politischen Islams ablehnen und somit das Prinzip, auf dem die Islamische Republik Iran beruht, nicht anerkennen (AA 5.2.2021).

Ihre Gemeinden sehen sich verschiedenen Arten von Diskriminierung und Angriffen (auch auf ihr Eigentum), willkürlichen Festnahmen und Dämonisierung (u.a. im staatlichen Fernsehen) ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021). So werden Sufis etwa in iranischen Medien gelegentlich als Teufelsanbeter und Satanisten stigmatisiert (AA 5.2.2021). Auch kommt es immer wieder zur Zerstörung ihrer Gotteshäuser (FH 3.3.2021) sowie zu Inhaftierungen (FH 3.3.2021; vergleiche AI 7.4.2021). Als Gründe für die Inhaftierungen werden unter anderem die Störung der öffentlichen Ordnung, Verbreitung von systemfeindlicher Propaganda, Handlungen gegen die Nationale Sicherheit, Mitgliedschaft in illegalen Gruppierungen und die Beleidigung des Obersten Führers genannt (ÖB Teheran 11.2021). Im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt werden sie systematisch diskriminiert (AI 7.4.2021).

Nach gewalttätigen Protesten von Gonabadi-Derwischen im Februar 2018, bei denen fünf Sicherheitskräfte ums Leben kamen, wurden über 200 Derwische zu Haft und teilweise körperlicher Züchtigung verurteilt, ein Derwisch wurde nach einem unfairen Prozess und einem Zwangsgeständnis zum Tode verurteilt und hingerichtet (ÖB Teheran 11.2021). Im November 2020 wurden 25 Gonabadi-Derwische begnadigt, trotzdem sind noch immer viele Derwische in Haft (HRC 11.1.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Seither ist es um diese Gemeinschaft öffentlich ruhig geworden, allenfalls noch aktive Mitglieder der Gemeinschaft dürften starke Selbstzensur üben (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021

•             HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (11.1.2021): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/46/50], https://undocs.org/en/A/hrc/46/50 , Zugriff 30.4.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

Ahl-e Haqq/Yar(e)san

Die Regierung betrachtet Yaresan oft als schiitische Muslime, die Sufismus praktizieren, aber die Yaresan betrachten ihre Religion als einen eigenständigen Glauben (bekannt als Ahl-e-Haqq oder Kaka’i). Yaresan können sich auch als Schiiten registrieren, um Regierungsdienste zu erhalten (USDOS 12.5.2021).

In Iran gibt es zwei Zweige der Yaresan (auch Ahl-e Haqq genannt). Die sogenannten Modernisten/Reformisten und die Traditionalisten. Die Modernisten deklarieren sich selbst als schiitische Muslime und werden auch von den Behörden akzeptiert. Diese Gruppe besteht hauptsächlich aus gut ausgebildeten Städtern. Ihre Glaubensvorstellungen beruhen vor allem auf den Lehren von Hajj Ne’matollah Jayhunabadi (1871-1920), seinem Sohn Nur Ali Elahi (1895-1974) und dessen Sohn Bahram Elahi (1931-). Jayhunabadi behauptete, dass Yaresan Muslime seien und führte den Yari Glauben mit dem Schiismus zusammen. Er öffnete die Religion auch für nicht als Yaresan geborene Personen. Viele Personen wurden zu seinen Anhängern, vor allem im Bereich in und um Sahneh [Stadt und gleichnamiger Bezirk in der Provinz Kermanschah]. Diese Gruppe wird auch als Elahi-Zweig bzw. Elahi-Anhänger bezeichnet. Die Traditionalisten sehen sich selbst als Nicht-Muslime und kommen eher aus dem ländlichen Bereich, vor allem aus dem Bezirk Guran in Kermanschah. Ca. eine halbe Million Yaresan leben dort. Diese Gruppierung war schon immer geschlossen für Nicht-Yaresan. Die Traditionalisten werden von iranischen Behörden als „Teufelsanbeter“ verunglimpft. Weitere Gruppen von Yaresan leben in anderen Gebieten des Iran, wie z.B. West-Aserbaidschan, Lorestan, Teheran, Hamadan, Kelardascht, Karadsch und Saveh. Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele Yaresan es gibt. Schätzungen differieren zwischen einer und vier Millionen. Ursprünglich kommen die Yaresan aus dem Gebiet um Guran, im westlichen Teil von Kermanschah. Aufgrund ihres intellektuellen Hintergrunds hat es den Anschein, dass es mehr Modernisten gibt, tatsächlich dürfte aber die Anzahl der Traditionalisten höher sein. Außerhalb ihres Heimes agieren Yaresan als Muslime, ansonsten könnten sie eventuell Probleme mit den Behörden bekommen. Auch der Zugang zu Bildung und Arbeit im Öffentlichen Dienst wird dadurch erleichtert. In Bezug auf Konsequenzen für Yaresan, die sich öffentlich über ihren Glauben äußern und ihn als nicht-muslimisch bezeichnen, wird davon ausgegangen, dass die Gruppe nicht als Ganzes von den Behörden ins Visier genommen wird und systematisch belästigt und inhaftiert wird, nur aufgrund der Tatsache, dass man Yaresan ist. Repressionen und Verfolgung basieren auf individuellen Fällen, beispielsweise erfahren ein Leiter einer Gemeinschaft oder andere profilierte Personen Druck durch die Behörden. Es gab in den letzten Jahren einige Fälle von Schikane und Misshandlungen. Es werden von Zeit zu Zeit Maßnahmen gegen Yaresan-Gemeinden eingeleitet, ähnlich wie gegen die Sufi-Orden. Es ist jedoch schwer zu sagen, ob einzelne Yaresan aufgrund ihrer Religion oder wegen politischer Gründe verfolgt werden. Da viele Yaresan Kurden sind, kann eine etwaige Verfolgung auch deshalb vonstatten gehen. Das öffentliche Bekunden der kurdischen Identität ist ein sensibles Thema in Iran. Wichtig zu erwähnen ist, dass der Umgang der Behörden mit religiösen und ethnischen Minderheiten nicht statisch ist. Momentan versucht die iranische Regierung eher weniger harsch damit umzugehen. Es gibt auch einen Anstieg des Interesses von jungen Yaresan an der eigenen Religion. Besonderes Interesse besteht an Textmaterial über die traditionelle Version des Yari-Glaubens. Solche Texte werden in Iran als illegal angesehen, währenddessen Texte des Elahi-Zweiges (Modernisten) als legal angesehen werden, und diese Texte sind auch schon einige Male nachgedruckt worden. Yaresan, die öffentlich und aktiv ihre Yari-Identität und Religion bekunden, ziehen das Interesse der Behörden auf sich. Obwohl es Yaresan aufgrund ihres Glaubens verboten ist, in Bezug auf ihren Glauben zu lügen, sah sich der Großteil der Yaresan dazu gezwungen, um Problemen mit den Behörden aus dem Weg zu gehen. Personen, die religiös und/oder politisch aktiv sind und beispielsweise in Besitz von illegalen Schriften erwischt werden, setzen sich der Gefahr aus, festgenommen und befragt zu werden. Normalerweise würde der Person befohlen, entweder die Aktivitäten einzustellen oder anderenfalls eine Haftstrafe abzubüßen. Auch Anhänger des Elahi-Zweiges erfahren mitunter Repression und Misshandlung durch die Behörden. Von Zeit zu Zeit werden sie Opfer von Razzien, und manchmal werden Anführer inhaftiert (DIS 6.4.2017). Berichtet werden in Bezug auf die Yaresan/Ahl-e Haqq Fälle von Diskriminierung, Drohungen, Angriffen auf gemeinsames Eigentum und willkürliche Festnahmen (ÖB Teheran 10.2020). Sie werden weiterhin aufgrund der friedlichen Ausübung ihres Glaubens diskriminiert und strafrechtlich verfolgt (AI 7.4.2021). Ihnen wird der Bau von Gotteshäusern, der Zugang zu Bildung und Posten im öffentlichen Dienst verweigert, wenn sie sich nicht als Angehörige einer der anerkannten Religionen deklarieren. Ebenso ist es ihnen nicht erlaubt, religiöse Zeremonien in der Öffentlichkeit abzuhalten. Yaresan sind weiterhin einer Reihe von Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, darunter Angriffe auf Mausoleen oder auch die Zerstörung ihrer Friedhöfe. Yarsani-Männer, erkennbar an ihren besonderen Schnurrbärten, sind weiterhin Diskriminierungen am Arbeitsplatz ausgesetzt. Berichten zufolge fördern schiitische Prediger weiterhin die soziale Diskriminierung von Yarsanis (USDOS 12.5.2021).

Quellen:

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 7.5.2021

•             DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (6.4.2017): IRAN: The Yaresan, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1494231887_notatyaresan6april2017docx.pdf , Zugriff 22.4.2020

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf , Zugriff 29.12.2020

•             USDOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html , Zugriff 18.6.2021

Ethnische Minderheiten

Iran gehört mit über 80 Millionen Einwohnern zu den 20 bevölkerungsreichsten Ländern der Erde. Das Bevölkerungswachstum beträgt etwa 1,1 %. Dabei ist die iranische Gesellschaft viel heterogener, als die offizielle Staatsdoktrin glauben machen will. Nur etwa 51 % der Iraner sind Perser. Dazu kommt die Volksgruppe der Aseris mit 24 % der Gesamtbevölkerung, etwa 8 % Gilakis und Mazanderanis, 7 % Kurden, 3 % Araber und je etwa 2 % Turkmenen, Luren und Belutschen. Die diesbezüglich genannten Zahlen variieren teils beträchtlich. Zudem leben viele Flüchtlinge im Land, von denen die afghanischen weiterhin die größte Gruppe stellen, gefolgt von irakischen. Insgesamt ist Iran eines der größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge weltweit. Die ethnischen Minderheiten Irans leben eher in den Grenzregionen des Landes zu seinen Nachbarn, die Kurden etwa im Nordwesten, die Araber in der Region um den Persischen Golf. (GIZ 12.2020c). Der Vielvölkerstaat Iran verfolgt gegenüber ethnischen Minderheiten grundsätzlich eine auf Ausgleich bedachte Politik, v.a. die Aseri sind in Staat und Wirtschaft sehr gut integriert (AA 5.2.2021). Überwiegend leben die Minderheiten allerdings in den ökonomisch benachteiligten Randgebieten (DW 6.2.2021) und die Infrastruktur von Regionen, wo Minderheiten wohnen, ist zum Teil stark vernachlässigt (BMI 2015; vergleiche AA 5.2.2021, FH 3.3.2021, AI 7.4.2021, ÖB Teheran 11.2021). Die Diskriminierung ethnischer Minderheiten in Iran ist weiterhin ein Problem, betroffen sind v.a. Kurden, Araber, Belutschen, Aseris und Turkmenen. Die strukturelle Diskriminierung dieser Gruppen äußert sich im Alltag auch mit dem Verbot ihrer Muttersprache im Unterricht und vor Behörden (nur Farsi erlaubt) und im Verbot des Zugangs zu höheren politischen Ämtern (schiitischen Männern vorbehalten). Menschen, die sich für Minderheitenrechte einsetzen können bedroht, festgenommen und bestraft werden. Unabhängig von der Art der ihnen vorgeworfenen Straftat werden Angehörige ethnischer Minderheiten öfter zum Tode verurteilt, gefoltert und verbringen mehr Zeit in Untersuchungshaft (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021

•             BMI – Bundesministerium für Inneres [Österreich] / Langanger, Simone (2015): Kurdish political parties in Iran, in: BMI - Bundesministerium für Inneres (Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter [eds.]): regiones et res publicae - The Kurds: History - Religion Language - Politics, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res -publicae-the-kurds-2015.pdf , Zugriff 4.6.2019

•             DW - Deutsche Welle (6.2.2021): Kurden verstärkt im Visier Teherans, https://www.dw.c om/de/kurden-verst%C3%A4rkt-im-visier-teherans/a-56473340 , Zugriff 30.11.2021

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021

•             GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 30.4.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

Kurden

Die Kurden (überwiegend Sunniten) sind hinsichtlich ihrer kulturellen Eigenständigkeit staatlicher Diskriminierung ausgesetzt. Dennoch werden sie in größerer Zahl in hohe Ämter der Provinzverwaltungen und zunehmend auch in der Ministerialbürokratie berufen (so gibt es eine kurdischstämmige Vize-Innenministerin). Der iranische Staatsrundfunk sendet stundenweise kurdischsprachige Sendungen auf dem Regionalsender IRIB Kurdistan. In der Verfassung vorgesehener Schulunterricht sowie Studiengänge in kurdischer Sprache sind seit einem Erlass von Rohani im Jahr 2016 rechtlich möglich. Es ist jedoch nicht nachprüfbar, in welchem Umfang Unterricht an Schulen und Universitäten tatsächlich angeboten wird, da er nicht aktiv vom iranischen Staat gefördert wird (5.2.2021). Die Regierung schränkt kulturelle und politische Aktivitäten der Kurden ein (HRW 13.1.2021). Problematisch sind vor allem kulturelle Aktivitäten, die politisch werden (DIS/DRC 23.2.2018). Zahlreiche Kurden werden willkürlich inhaftiert, darunter auch Menschenrechtsaktivisten, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzten (AI 7.4.2021). Alleine zwischen 9. und 24.1.2021 wurden 57 kurdische Zivilisten und Aktivisten willkürlich und ohne Gerichtsbeschluss festgenommen (KHRN 25.1.2021). Auch im Jahr 2020 schossen iranische Grenzschützer weiterhin rechtswidrig auf zahlreiche unbewaffnete kurdische Männer, die als Träger (kulbar) arbeiteten und Lasten aus den kurdischen Regionen diesseits und jenseits der iranisch-irakischen Grenze hin- und hertransportierten. Nach Angaben kurdischer Menschenrechtsorganisationen wurden mindestens 40 Männer getötet und zahlreiche weitere verletzt (AI 7.4.2021).

Die kurdische Region Irans ist militarisiert und die iranische Regierung überwacht die kurdische Bevölkerung durch regelmäßige Checkpoints ebenso wie durch die Nutzung von Telekommunikation und sozialen Medien. Die iranische Regierung sieht jede Art von politischem oder zivilem Aktivismus als potenzielle Bedrohung an, insofern können sowohl politische als auch zivilgesellschaftliche Aktivisten von Verfolgung bedroht sein (DIS 7.2.2020). Seit dem Unabhängigkeitsreferendum der irakischen Kurden im September 2017 wurde die Präsenz von Militär und Revolutionsgarden in Gebieten mit überwiegend kurdischem Bevölkerungsanteil deutlich erhöht (AA 5.2.2021; vergleiche DIS 7.2.2020) und einige Mitglieder der lokalen Bevölkerung arbeiten als Informanten für die iranischen Behörden (DIS 7.2.2020). Die militärische und geheimdienstliche Präsenz ist nicht immer sichtbar. Die Überwachung in diesem Gebiet ist nicht systematisch, aber strukturiert und auch nicht zufällig, sondern gezielt (DIS/DRC 23.2.2018).

Kurdischen Aktivisten werden in vielen Fällen von der Zentralregierung separatistische Tendenzen vorgeworfen und diese entsprechend geahndet (AA 5.2.2021; vergleiche DIS 7.2.2020). Unter den politisch Verfolgten sind daher verhältnismäßig viele Kurden (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche DIS/DRC 23.2.2018, Landinfo 19.5.2020). Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK (partiya jiyana azad a kurdistane - Partei für ein freies Leben in Kurdistan, Schwesterorganisation der PKK in Iran), der kommunistischen Komala-Partei, oder der KDP-Iran – und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche DIS/DRC 23.2.2018). Die meisten werden wegen Verbrechen gegen die nationale Sicherheit angeklagt. Kurden machen auch einen überproportionalenAnteil der zum Tode verurteilten und hingerichteten Personen aus (Landinfo 18.12.2020; vergleiche AA 5.2.2021). Darüber hinaus häufen sich Berichte über Repressalien gegen Kurden aufgrund suspekter Aktivitäten ihrer Verwandten im Irak, mit denen die Verwandten zum Aufgeben oder zur Einreise in den Iran bewegt werden sollen (ÖB Teheran 11.2021). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche DIS/DRC 23.2.2018, HRC 14.5.2021). Den Menschen dieser Regionen bleibt aufgrund der dortigen Unterentwicklung oftmals keine andere Wahl, als zu schmuggeln (ÖB Teheran 11.2021).

KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018).

Anfang des Jahres 2021 wurden ca. 100 Kurden willkürlich verhaftet. Es handelte sich bei den Verhafteten um zivilgesellschaftliche und Arbeitsrechtsaktivisten, um Umweltschützer, Autoren, Studenten, aber auch um Personen, die sich politisch gar nicht betätigt haben. Die Angehörigen der Verhafteten sind über deren Aufenthaltsort offenbar nicht informiert worden. Die Beweggründe der Behörden sind unklar. Die iranischen Behörden haben nicht erklärt, warum sie gegen eine so große Gruppe von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund vorgegangen sind. Ungefähr die Hälfte derer, die ins Visier genommen wurden, sollen keine Verbindung zu irgendwelchen Medien, politischen Organisationen oder zivilgesellschaftlichen Gruppen gehabt haben. Viele der nun Verhafteten haben offenbar an einer Versammlung teilgenommen oder ein Kommentar in den sozialen Medien verfasst (DW 6.2.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 3.5.2021

•             DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark] /Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-perso ns-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 22.4.2020

•             DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+ on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 14.5.2020

•             DW – Deutsche Welle (6.2.2021): Kurden verstärkt im Visier Teherans, https://www.dw.c om/de/kurden-verst%C3%A4rkt-im-visier-teherans/a-56473340 , Zugriff 30.11.2021

•             HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 29.11.2021

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 25.1.2021

•             KHRN – Kurdistan Human Rights Network (25.1.2021): Iran forces arbitrarily detain Kurdish civilians, activists, https://kurdistanhumanrights.org/en/iran-forces-arbitrarily-detain-kurdi sh-civilians-activists/ , Zugriff 27.1.2021

•             Landinfo [Norwegen] (18.12.2020): Det iransk-kurdiske partiet PJAK, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2043154/Iran-temanotat-PJAK-18122020.pdf , Zugriff 26.1.2021

•             Landinfo [Norwegen] (19.5.2020): Kurdistan Democratic Party – Iran (KDP-I),https://coi.easo.europa.eu/administration/norway/PLib/Temanotat_Iran_KDP-I_19052020. pdf , Zugriff 25.1.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

Araber

Ahwazi-Araber (nach Schätzungen rund zwei Millionen) sind mehrheitlich sunnitischen Glaubens und bewohnen die an Erdölvorkommen reiche Grenzregion zu Irak und Kuwait. Mangels Unterricht in der Muttersprache sind vieleAraberAnalphabeten. Es herrscht unter der arabischen Minderheit eine hohe Armutsrate (ÖB Teheran 11.2021) und es mangelt häufig an Wasser- und Stromversorgung (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 7.4.2021). Menschenrechtsorganisationen sehen Benachteiligungen im beruflichen und schulischen Umfeld, die zu wirtschaftlicher, politischer, sozialer und kultureller Ausgrenzung der arabischen Minderheit führen. Darüber hinaus leidet sie unter wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und an Umweltschäden (Verschmutzung, Staubstürme), für die sie eine Vernachlässigung ihres Siedlungsgebietes (v.a. Provinz Khuzestan) durch die Zentralregierung verantwortlich macht (AA 5.2.2021). Arabische Ahwazi beklagen zudem, dass die Behörden Ausdrucksformen der arabischen Kultur, wie traditionelle Kleidung oder Dichtkunst unterdrücken (AI 7.4.2021).

Die Regierung schränkt kulturelle und politische Aktivitäten der Araber ein (HRW 13.1.2021), jedoch wurden einige lokale Clanführer in Khuzestan und anderen Gegenden, wo Ahwazi-Araber leben, in lokale Räte gewählt, wo sie auch sehr unverblümt sprechen. Ins Visier der Behörden können Ahwazi-Araber geraten, wenn sie Journalisten oder politische Aktivisten sind, die sich für Minderheitenrechte einsetzen (DIS/DRC 23.2.2018). Aufgrund der staatlichen Repression und gesellschaftlicher Benachteiligung setzen sich verschiedene separatistische Gruppierungen auch gewaltsam für eine Abspaltung ein, so u.a. die von der Regierung als terroristische Organisation geführte „Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz“ (ASMLA) in der Region Khuzestan (AA 5.2.2021).

Es gibt Berichte über die Vertreibung von Arabern von ihren Grundstücken aufgrund staatlicher Entwicklungsprojekte. Araber werden unverhältnismäßig häufig wegen unklar definierten Anschuldigungen (etwa wegen ’mohareb’ und ’mofsid-fil-arz’) zu sehr hohen Strafen verurteilt. Nach dem terroristischen Angriff in Ahwaz im September 2018 mit 30 Toten wurden offiziell 22 Personen aus dem Umfeld der Untergrundorganisation ’Al-Ahvaziya’ festgenommen, die Opposition hat von bis zu 800 Festnahmen berichtet. Derartige Benachteiligung lag auch den ’Wasserprotesten’ im Juli 2021 in der v.a. von Arabern bewohnten Provinz Khuzestan zugrunde, in der ehemaligen Sümpfe, welche den Wasserbüffel-Bauern die Lebensgrundlage boten, aufgrund von Wasserumleitungen, Misswirtschaft und Klimakrise austrockneten. Nachdem zwölf Menschen umgekommen waren, wurden die Protestierenden mit Versprechungen (Rückleitung von Wasser aus anderen Provinzen) beruhigt. Allerdings kam es bereits in den Vorjahren im Sommer zu Unruhen aufgrund von Wassermangel. Immer mehr Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage, und es wurden keine Maßnahmen gesetzt (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 4.5.2021

•             DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-perso ns-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 22.4.2020

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 4.5.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 14.12.2021

Belutschen

Die rund 1,5 Mio. sunnitischen Belutschen leben in unterentwickelten Gebieten im Südosten an der Grenze zu Pakistan und Afghanistan (ÖB Teheran 11.2021). Sie zählen zu den ärmsten Minderheiten und leben in einer von Gewalt und Drogenschmuggelkriminalität geplagten Provinz im Grenzgebiet zu Pakistan. Hinweise auf staatliche Repressionen beruhend auf ihrer ethnischen Zugehörigkeit liegen nicht vor, die Todesstrafe wird jedoch häufig gegen Belutschen verhängt (AA 5.2.2021). In der verarmten Provinz Sistan und Belutschistan ist die entsprechende Infrastruktur dermaßen schlecht, dass vielen belutschischen Dorfbewohnern de facto ihr Recht auf ausreichendes, gut zugängliches und sicheres Trinkwasser verwehrt wird. Sie müssen sich Trinkwasser und Wasser für den Hausgebrauch aus unsicheren Quellen holen, wie Flüssen, Brunnen, Teichen und Gruben, in denen es Krokodile gibt. Mehrere Menschen ertranken beim Wasserholen. In einigen Fällen erklärten die lokalen Behörden, die Opfer seien selbst schuld an ihrem Tod, weil sie nicht vorsichtig genug gewesen seien. Zudem mangelt es in der Provinz an Stromversorgung, Schulen und Gesundheitseinrichtungen, weil der Staat nicht genug investiert (AI 7.4.2021).

Kulturelle und politische Aktivitäten der Belutschen werden durch die Regierung eingeschränkt (HRW 13.1.2021), und sie sind von willkürlicher Inhaftierung bedroht (AI 7.4.2021). Regelmäßig wird auch in dieser Region von tödlichen Zusammenstößen von Sicherheitskräften mit vermeintlichen Schmugglern, Drogenkurieren oder Terroristen berichtet. Den Belutschen bleibt mangels anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten oftmals keine andere Wahl als der Schmuggel zum Überleben (ÖB Teheran 11.2021). Eine unverhältnismäßig große Anzahl der im Rahmen der Todesstrafe Hingerichteten gehört neben der kurdischen auch der belutschischen Minderheit in Iran an (AI 7.4.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 4.5.2021

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 4.5.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Generell genießt die Familie in Iran, ebenso wie in den meisten anderen islamischen Gesellschaften, einen hohen Stellenwert. Der Unterschied zwischen Stadt und Land macht sich aber auch hier bemerkbar, in Bezug auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau sowie auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Auf dem Land hat das traditionelle islamische Rollenmodell weitgehende Gültigkeit, der Tschador, der Ganzkörperschleier, dominiert hier das Straßenbild. In den großen Städten hat sich dieses Rollenverständnis inzwischen verschoben, wenn auch nicht in allen Stadtteilen. Während des Iran-Irak-Krieges war, allen eventuellen ideologischen Bedenken zum Trotz, die Arbeitskraft der Frauen schlicht unabdingbar. Nach dem Krieg waren Frauen aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken oder gar zu entfernen. Die unterschiedliche und sich verändernde Stellung der Frau zeigt sich auch an den Kinderzahlen: Während in vielen ländlichen, gerade den abgelegeneren Gebieten fünf Kinder der Normalfall sind, sind es in Teheran und Isfahan im Durchschnitt unter zwei. Insbesondere junge Frauen begehren heute gegen die nominell sehr strikten Regeln auf, besonders anhand der Kleidungsvorschriften für Frauen wird heute der Kampf zwischen einer eher säkular orientierten Jugend der Städte und dem System in der Öffentlichkeit ausgefochten. Eine Bewegung, die sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit erfreut, ist der islamische Feminismus. Dieser will die Rechte der Frau mittels einer islamischen Argumentation durchsetzen (GIZ 12.2020c).

Auch wenn die Stellung der Frau in Iran, entgegen aller Vorurteile gegenüber der Islamischen Republik, in der Praxis sehr viel besser ist als in vielen anderen Ländern der Region, sind Frauen auch hier nicht gleichberechtigt (GIZ 12.2020c). Verschiedene gesetzliche Verbote machen es Frauen unmöglich, im gleichen Maße wie Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (strenge Kleiderordnung, Verbot des Zugangs zu Sportveranstaltungen, Genehmigungsvorbehalt des Ehemannes oder Vaters bezüglich Arbeitsaufnahme oder Reisen). In rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind iranische Frauen also vielfältigen Diskriminierungen unterworfen, die jedoch zum Teil relativ offen diskutiert werden (AA 5.2.2021).

Iran hat die ’Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau’ als einer von wenigen Staaten weltweit nicht unterzeichnet. Im Global Gender Gap Report 2020 des World Economic Forum liegt Iran an Stelle 148 von 153 (WEF 2020; vergleiche AA 5.2.2021). Von einigen staatlichen Funktionen (u.a. Richteramt, Staatspräsident) sind Frauen gesetzlich oder aufgrund entsprechender Ernennungspraxis ausgeschlossen (AA 5.2.2021; vergleiche BAMF 7.2020). Es ist hier anzumerken, dass es sehr wohl einige Richterinnen - insbesondere an Familiengerichten - gibt. Ihnen steht es aber nicht zu, ein Urteil auszusprechen oder den Prozess zu leiten. Sie dürfen unter der Aufsicht eines männlichen Richters lediglich beratend tätig werden (BAMF 7.2020). 4% aller politischen Ämter in Iran sind von Frauen besetzt. 15% aller Abgeordneten im nationalen Parlament in Teheran (majles-e shura-ye eslami) sind Frauen. Es wurde zwar eine Anhebung auf 30% angestrebt, dieses Vorhaben wurde jedoch durch eine Mehrheit der Parlamentarier abgelehnt. Frauen steht auch das Amt einer Botschafterin offen (BAMF 7.2020).

Die Erwerbsquote von Frauen liegt nur bei etwa 12%. Viele Frauen sind im informellen Sektor tätig (BS 2020). Zusätzlich sind Frauen seit dem Beginn der Coronakrise stärker als Männer vom Verlust ihres Arbeitsplatzes betroffen. Da Arbeitgeber durch die Pandemie wirtschaftlich unter Druck geraten sind, versuchen diese, den ausbleibenden Umsatz durch eine Reduzierung der Lohnzahlungen auszugleichen. Am stärksten davon, aber auch vom Verlust des Arbeitsplatzes, betroffen sind die Lohnzahlungen von Frauen (BAMF 7.2020). Laut offiziellen Daten wurden aufgrund der Corona-Krise binnen eines Jahres eine Million Frauen zusätzlich arbeitslos. Die Stärkung der Schattenwirtschaft, und damit von religiösen Stiftungen und Unternehmen im Besitz der Revolutionsgarden, in denen konservative Männer dominieren, hat die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen besonders eingeschränkt (ÖB Teheran 11.2021). Laut offiziellen Angaben liegt die Arbeitslosenrate bei Frauen bei 20,8% (1,11 Millionen). Unter Frauen mit höherer Bildung liegt sie noch deutlich höher. Nachholbedarf besteht weiterhin im Bereich der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, allerdings ist der Spielraum der Regierung beschränkt, da konservative Vertreter immer wieder die traditionelle Rolle der Frau in der islamischen Familie betonen. Nach einer im April 2019 veröffentlichten staatlichen Studie sind 65,9% der Arbeitslosen in Iran Frauen (AA 5.2.2021). Gründe für die stärkere Betroffenheit von Frauen von Arbeitslosigkeit sind neben der Covid-Pandemie auch die US-Sanktionen und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und die beruflichen Möglichkeiten für Frauen sind durch soziale und rechtliche Regelungen eingeschränkt, mit dem Ziel der Beschränkung der Rolle von Frauen als Mutter und Ehefrau. Oftmals wird von Frauen das Einverständnis des Ehemannes oder Vaters verlangt, um eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können. Gesetzlich kann ein Ehemann seiner Ehefrau jederzeit verbieten, arbeiten zu gehen. Stellenausschreibungen werden oft geschlechtsspezifisch nur für Männer ausgeschrieben. Regelmäßig werden Frauen nach Rückkehr aus der neunmonatigen Karenz gekündigt. Die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit verhindern den gewerkschaftlichen Zusammenschluss erwerbstätiger Frauen. Konservative Politiker haben in der Vergangenheit mehrmals versucht, die Erwerbstätigkeit von Frauen weiter einzuschränken oder in manchen Sektoren zu verbieten (ÖB Teheran 11.2021).

In rechtlicher Hinsicht unterliegen Frauen einer Vielzahl diskriminierender Einschränkungen. Prägend ist dabei die Rolle der (Ehe-)frau als dem (Ehe-)mann untergeordnet, wie sich sowohl in Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechtes, der Ehescheidung als auch des Erbrechts erkennen lässt (AA 5.2.2021; vergleiche HRW 13.1.2021, ÖB Teheran 11.2021, AI 7.4.2021, BAMF 7.2020). Beispielsweise darf eine verheiratete Frau ohne die schriftliche Genehmigung ihres Mannes (oder Vaters) keinen Reisepass erhalten oder ins Ausland reisen (HRW 13.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021, BAMF 7.2020). Kinder unter 18 Jahren benötigen für die Ausstellung des Reisepasses die schriftliche Erlaubnis ihres Vaters. Wenn der Ehemann oder der Vater nicht anwesend ist, hat die Frau sich bei einem Wunsch zur Ausreise an die zuständige Behörde des Außenministeriums zu wenden, sofern die schriftliche Erlaubnis nicht vorliegt. Während dieses Verfahrens werden auch Unterschrift sowie personenbezogene Angaben überprüft (BAMF 7.2020).

Unverheiratete und geschiedene Frauen sowie Witwen benötigen keine Erlaubnis ihres Vaters oder eines männlichen Vormunds, um zu reisen (Cedoca 30.3.2020). Nach dem Zivilgesetzbuch hat ein Ehemann das Recht, den Wohnort zu wählen, und kann seine Frau daran hindern, bestimmte Berufe auszuüben (HRW 13.1.2021; vergleiche BAMF 7.2020). Im Straf- bzw. Strafprozessrecht sind Mädchen bereits mit neun Jahren vollumfänglich strafmündig (Buben mit 15 Jahren) (AA 5.2.2021; vergleiche BAMF 7.2020, ÖB Teheran 11.2021). Zeugenaussagen von Frauen werden hingegen nur zur Hälfte gewichtet (AA 5.2.2021; vergleiche FH 3.3.2021, ÖB Teheran 11.2021) und die finanzielle Entschädigung, die der Familie eines weiblichen Opfers nach ihrem Tod gewährt wird, ist nur halb so hoch wie die Entschädigung für ein männliches Opfer (FH 3.3.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Selbst KFZ-Versicherungen zahlen nur die Hälfte bei Personenschäden von Frauen. Auch erben Frauen nur die Hälfte von Männern (ÖB Teheran 11.2021). Weitere diskriminierende Vorschriften finden sich im Staatsangehörigkeitsrecht, internationalen Privatrecht, Arbeitsrecht sowie im Sozialversicherungsrecht (AA 5.2.2021).

Bei Verstößen gegen gesetzliche Verbote müssen Frauen mit Strafen rechnen. So kann etwa eine Frau, die ihre Haare oder die Konturen ihres Körpers nicht verhüllt, mit Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) und/oder Geldstrafe bestraft werden. Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich; dazu kommt es in der Regel nicht, da die Familien von der Möglichkeit des Freikaufs überwiegend Gebrauch machen (AA 5.2.2021).

Laut Gesetz darf eine Jungfrau nicht ohne Einverständnis ihres Vaters, Großvaters oder eines Richters heiraten (US DOS 30.3.2021). Das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen liegt bei 13 Jahren. Väter und Großväter können bei Gericht eine Erlaubnis einholen, wenn sie das Mädchen früher verheiraten wollen (AA 5.2.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021, AI 7.4.2021, BAMF 7.2020). Das gesetzliche Alter für Buben liegt bei 15 Jahren. Mit der schlechten Wirtschaftslage geht ein Anstieg des Verkaufs von Mädchen zum Kindesmissbrauch in Kinderehen einher. 2020 stieg die Rate nach offiziellen Zahlen um 10,5% auf 31.379 Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren. Jüngere Mädchen werden nicht gezählt, auch wenn die Verheiratung von Mädchen ab neun Jahren mit Zustimmung der Eltern und eines religiösen Richters erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021).

Im Juni erließ der Präsident ein Dekret, mit dem eine Änderung des Zivilgesetzbuches in Kraft gesetzt wurde. Dadurch wird es iranischen Frauen, die mit ausländischen Männern verheiratet sind, ermöglicht, ihren Kindern die Staatsbürgerschaft zu übertragen (US DOS 30.3.2021; vergleiche BAMF 7.2020, ÖB Teheran 11.2021). Frauen müssen diese Übertragung jedoch eigens beantragen, und ihre Kinder müssen sich einer Sicherheitsüberprüfung durch das Geheimdienstministerium unterziehen, während die Staatsbürgerschaft iranischer Männer automatisch an deren Kinder übertragen wird (USDOS 30.3.2021; vergleiche BAMF 7.2020).

Gesetzliche Regelungen räumen geschiedenen Frauen das Recht auf Alimente ein. Angaben über mögliche (finanzielle) Unterstützung vom Staat für alleinerziehende bzw. alleinstehende Frauen sind nicht eruierbar. Das Gesetz sieht vor, dass geschiedenen Frauen vorzugsweise das Sorgerecht für ihre Kinder bis zu deren siebentem Lebensjahr gegeben werden soll. Danach soll das Sorgerecht dem Vater übertragen werden, außer dieser ist dazu nicht imstande. Heiraten geschiedene Frauen erneut, verlieren sie das Sorgerecht für Kinder aus einer früheren Ehe (ÖB Teheran 11.2021). Ein Mann kann sich zu jedem Zeitpunkt von seiner Frau scheiden lassen. Die Möglichkeiten der Frau, sich von ihrem Ehemann scheiden zu lassen, sind dagegen eingeschränkt und nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Bei Schließung einer dauerhaften Ehe besteht die Möglichkeit, Regelungen vor dem Heiratsnotariat zu vereinbaren, unter denen sich die Ehefrau an ein Gericht wenden kann, um eine schriftliche Erlaubnis zur Scheidung zu erhalten (BAMF 7.2020).

Aufgrund der Schwierigkeit für Frauen, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist der familiäre Rückhalt für alleinstehende Frauen umso bedeutender. Jedoch erhalten manche Frauen, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm leben (wie zum Beispiel lesbische Frauen oder Prostituierte), keine Unterstützung durch die Familie und können Opfer von häuslicher Gewalt und Zwangsheirat werden. Alleinstehende Frauen haben oft Schwierigkeiten, eine Wohnung oder Arbeit zu finden, da sie für Prostituierte gehalten werden (ÖB Teheran 11.2021).

Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen. Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Fälle von Genitalverstümmelung sind nicht bekannt (AA 5.2.2021). Vergewaltigung ist illegal und unterliegt strengen Strafen, einschließlich der Todesstrafe. Das Gesetz betrachtet Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe per Definition als einvernehmlich und behandelt daher keine Vergewaltigung in der Ehe, auch nicht in Fällen von Zwangsheirat. Die meisten Vergewaltigungsopfer melden Verbrechen nicht, weil sie staatliche Vergeltungsmaßnahmen oder Strafen für Vergewaltigungen befürchten, wie zum Beispiel Anklagen wegen Unanständigkeit, unmoralischem Verhalten oder Ehebruch. Ehebruch wiederum ist ebenfalls mit der Todesstrafe bedroht. Auch gesellschaftliche Repressalien oder Ausgrenzung werden von Vergewaltigungsopfern befürchtet (US DOS 30.3.2021). Sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz und in der Familie ist weit verbreitet, für die Männer herrscht gänzliche Straflosigkeit. Ein iranischer ’Me-Too’-Moment im Sommer 2020, als eine junge Frau Interviews mit Überlebenden sexueller Gewalt veröffentlichte, zeigte das Ausmaß des ansonsten totgeschwiegenen Problems auf. Krisenzentren und Frauenhäuser nach europäischem Modell existieren in Iran nicht. Die schwierige Beweislast für sexuelle Missbrauch und das Verbot außerehelicher Beziehungen hat zur Folge, dass Frauen Missbrauch nicht anzeigen, da sie ansonsten regelmäßig selbst Beschuldigte wären. Ein Gesetzesentwurf der Regierung Rohani zu Gewaltschutz wurde vom erzkonservativen Parlament solange boykottiert, bis der jetzige Präsident Raisi an die Macht kam, unter dem das Gesetz keine Aussicht auf Umsetzung hat (ÖB Teheran 11.2021).

Am 1.11.2021 wurde ein neues Gesetz zur ’Verjüngung der Gesellschaft und zum Schutz der Familie’ verabschiedet, das von neun UN-Sonderberichterstattern und Menschenrechtsmechanismen als menschenrechtswidrig bezeichnet wurde. Das Gesetz schränkt den Zugang von Frauen zu reproduktiven Rechten stark ein. So soll der Zugang zu Abtreibungen v.a. mithilfe strafrechtlicher Drohungen weiter stark eingeschränkt werden, insbesondere dürfte bei Abtreibungen als ’mohareb’ (Waffenaufnahme gegen Gott) die Todesstrafe drohen. Darüber hinaus werden der Verkauf von Verhütungsmitteln und Sterilisationen verboten, eine Datenbank von Frauen, die gynäkologische Hilfe suchen wird erstellt, und religiöse Richter sollen mitentscheiden, ob einer Frau medizinische indizierte Abtreibung gewährt wird (ÖB Teheran 11.2021).

Dem Gesetz nach müssen alle Frauen in Iran ab einem Alter von neun Jahren die islamischen Bekleidungsvorschriften in der Öffentlichkeit einhalten. Das Kopftuch ist zwingend vorgeschrieben, jedoch nicht das Tragen des Tschadors. Nach einer Studie des wissenschaftlichen Dienstes des iranischen Parlamentes heißen nur 13% der befragten Frauen das Tragen des Tschadors gut (BAMF 7.2020). Seit Ende Dezember 2017 fordern immer mehr iranische Frauen eine Abschaffung der Kopftuchpflicht.Als Protest nehmen sie in der Öffentlichkeit ihre Kopftücher ab und hängen sie als Fahne auf. Auch gläubige Musliminnen, die das Kopftuch freiwillig tragen, ältere Frauen, Männer und angeblich auch einige Kleriker haben sich den landesweiten Protestaktionen angeschlossen (Kleine Zeitung 3.2.2018). Zahlreiche Frauen, die öffentlich ihren Schleier abnahmen und davon Fotos und Videos verbreiteten, befinden sich weiterhin in Haft und sind zu Peitschenhieben verurteilt, wie auch ihre Rechtsanwälte (ÖB Teheran 11.2021). In einigen Fällen wurden auch besonders harte Haftstrafen verhängt (u.a. 24 Jahre Haft für eine Frauenrechtsaktivistin im August 2019) (AA 5.2.2021). Die Sittenpolizei und Bürgerwehren gingen auch 2020 weiterhin massiv gegen Millionen Frauen und Mädchen vor, um den Kopftuchzwang durchzusetzen, der gesetzlich vorgeschrieben ist. Mehrere Frauenrechtsverteidigerinnen, die sich gegen den Kopftuchzwang engagieren, befinden sich noch immer in Haft (AI 7.4.2021). Obwohl Frauen im Oktober 2019 einmalig auf Druck der FIFA erstmals ein Fußball-Länderspiel im Stadion verfolgen konnten, hat sich am grundsätzlichen Stadionverbot für Frauen nichts geändert (AA 5.2.2021). Neben den Beschränkungen in Bezug auf Sportveranstaltungen gibt es solche auch bezüglich Kultur, beispielsweise ein Singverbot außer im Chor, Verbot des Tanzens, etc. Die Regierung Raisi hat bereits angekündigt, das Rad- und Motorratfahrverbot für Frauen streng durchzusetzen (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 6.6.2021

•             BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.2020): Länderreport Nr. 28. Iran. Frauen - Rechtliche Stellung und gesellschaftliche Teilhabe, https://coi.easo.e uropa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_28_Iran_July-2020.pdf , Zugriff 16.12.2020

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

•             Cedoca – Documentation and Research Department of the Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien] (30.3.2020): COI Focus IRAN Treatment of returnees by their national authorities, https://coi.easo.europa.eu/administrat ion/belgium/PLib/COI_Focus_Iran_Treatment%20of_returnees_by_their_national_autho rities_30032020_update_ENG.pdf , Zugriff 17.12.2020

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 6.5.2021

•             GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 6.5.2021

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 6.5.2021

•             Kleine Zeitung (3.2.2018): Bericht: ’Besorgniserregender Widerstand gegen Kopftuch’, https://www.kleinezeitung.at/politik/aussenpolitik/5365790/Strafen-helfen-im-Iran-nichtmehr_Besorgniserregender-Widerstand , Zugriff 23.4.2020

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf Zugriff 4.12.2020

•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 6.5.2021

•             WEF – World Economic Forum (2020): Global Gender Gap Report 2020, http://www3.wef orum.org/docs/WEF_GGGR_2020.pdf , Zugriff 28.12.2020

Kinder

Iran hat das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit dem islamischen Recht) (CRC) und das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (CRC-OP-SC) ratifziert (AA 5.2.2021). Nach einer Häufung von sogenannten Ehrenmorden hat das Parlament 2020 ein Gesetz verabschiedet, das den Schutz von Kindern vor Gewalttaten auch von Verwandten stärken soll. Eine seit über zehn Jahren diskutierte Ergänzung zum Kinderschutzrecht wurde im Juni 2020 verabschiedet, nachdem der Ehrenmord eines 14-jährigen Mädchens durch den eigenen Vater für viel Aufregung gesorgt hatte (AA 5.2.2021). Es enthält neue Strafen für bestimmte Handlungen, die die Sicherheit und das Wohlergehen eines Kindes beeinträchtigen, einschließlich körperlicher Schäden und der Verhinderung des Zugangs zu Bildung. Das Gesetz ermöglicht es den Behörden auch, Kinder in Situationen, die ihre Sicherheit ernsthaft gefährden, umzusiedeln (HRW 13.1.2021). Das Gesetz geht jedoch nicht auf einige der schwerwiegendsten Bedrohungen für Kinder in Iran ein, wie Kinderehen, die Verhängung der Todesstrafe (HRW 13.1.2021; vergleiche AI 7.4.2021) und Vergewaltigung in der Ehe (AI 7.4.2021). Zwangsverheiratungen von Minderjährigen kommen vor allem in ländlichen Gebieten vor. Dies betrifft meist Mädchen und dient der finanziellen Entlastung der Familie (AA 5.2.2021). Nach dem iranischen Zivilgesetztbuch können Mädchen ab einem Alter von 13 und Buben ab einem Alter von 15 Jahren heiraten. Mit Zustimmung des Vaters – unter Umständen auch des Großvaters – und eines Richters kann eine Ehe auch vorher geschlossen werden (AA 5.2.2021; vergleiche US DOS 30.3.2021, HRW 13.1.2021, ÖB Teheran 11.2021). Nach offiziellen Angaben werden jedes Jahr etwa 30.000 Mädchen unter 14 Jahren verheiratet (AI 7.4.2021). Im Jahr 2020 wurden nach offiziellen Angaben 31.379 Mädchen zwischen 10 und 14 Jahren verheiratet. Noch jüngere Mädchen werden nicht gezählt, da die Verheiratung von Mädchen ab neun Jahren mit Zustimmung der Eltern und eines religiösen Richters erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021). Eltern dürfen ihre adoptierten Kinder heiraten, sofern ein Gericht zustimmt (AA 5.2.2021).

Seit 2020 können iranische Frauen, die mit ausländischen Männern verheiratet sind, ihren Kindern die Staatsbürgerschaft übertragen (USDOS 30.3.2021; vergleiche BAMF 7.2020, ÖB Teheran 11.2021) [vgl. Kapitel Frauen]. Eine Geburt innerhalb der Landesgrenzen verleiht nicht die Staatsbürgerschaft, es sei denn, ein Kind wird von unbekannten Eltern geboren. Das Gesetz schreibt vor, dass alle Geburten innerhalb von 15 Tagen registriert werden müssen (US DOS 30.3.2021).

Iran ist ein Land, in dem die Bildung einen hohen Stellenwert genießt. In sporadischen Fällen gibt es bereits in Kindergärten eine Trennung nach Geschlechtern, die große Mehrzahl der Kindergärten ist jedoch nicht nach den Geschlechtern getrennt. Schulklassen werden hingegen nach Geschlechtern getrennt mit Schülern und Schülerinnen besetzt. Dies beginnt in der Grundschule und endet beim Besuch der Oberschulen (bis zur 12. Klasse) (AA 5.2.2021). Universitäten bieten mehrheitlich den gemeinsamen Zugang für Männer sowie Frauen an. Es gibt jedoch einige Universitäten in Iran, die lediglich für Männer oder Frauen zugänglich sind (BAMF 7.2020).

Obwohl der Grundschulbesuch bis zum Alter von elf Jahren für alle kostenlos und verpflichtend ist, berichten Medien und andere Quellen über eine geringere Einschulung in ländlichen Gebieten, insbesondere bei Mädchen. Nach Angaben von HRW sieht das oben erwähnte Kinderschutzgesetz finanzielle Strafen für Eltern oder Erziehungsberechtigte vor, die nicht für den Zugang ihrer Kinder zur Sekundarschulbildung sorgen. Die Sekundarschulbildung ist kostenlos. Kindern, die keinen staatlichen Ausweis besitzen, wird das Recht auf Bildung verweigert. In seinem Bericht vom Februar 2019 äußerte sich der UN-Sonderberichterstatter für Iran besorgt über den Zugang von Minderheitenkindern zur Bildung und verwies auf die hohen Grundschulabbrecherquoten bei Mädchen aus ethnischen Minderheiten, die in Grenzprovinzen leben (US DOS 30.3.2021).

Das iranische Recht verbietet Kinderarbeit bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres; bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gibt es diverse Einschränkungen (z.B. keine Schwer-/Nachtarbeit). In Familienbetrieben lässt das Gesetz allerdings auch die Beschäftigung von Kindern unter 15 Jahren zu. In Iran arbeiten daher Millionen von Kindern. Der Staat spricht von zwei Millionen, nach inoffiziellen Schätzungen sind bis zu sieben Millionen Kinder betroffen. Die Hälfte davon ist zwischen sieben und zehn Jahren alt und ca. 85 % sind Buben. Nach offiziellen Statistiken leben über zwei Millionen Kinder in Iran auf der Straße. Viele von ihnen sind als Straßenverkäufer tätig. Politische Initiativen, Straßenkinder in ihre Familien zurückzubringen, verliefen nicht erfolgreich (AA 5.2.2021). Die Revolutionsgarden sollen Tausende von in Iran lebenden afghanischen Migranten mithilfe von Zwangstaktiken für den Kampf in Syrien rekrutiert haben. Unter den Rekrutierten sollen sich Kinder im Alter von 14 Jahren befinden (FH 3.3.2021; vergleiche US DOS 1.7.2021).

Verurteilte können für Verbrechen, die sie im Alter von unter 18 Jahren begangen haben, hingerichtet werden (FH 3.3.2021). Die Verhängung der Todesstrafe ist gegen männliche Jugendliche ab dem 15. Lebensjahr, für Mädchen ab dem neunten Lebensjahr möglich (AA 5.2.2021; vergleiche HRC 14.5.2021, ÖB Teheran 11.2021, BAMF 7.2020) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2020 wurden mindestens vier zur Tatzeit minderjährige Täter hingerichtet. Mehreren weiteren zur Tatzeit Minderjährigen droht die Hinrichtung. 2019 wurden erstmals auch zwei zum Zeitpunkt der Hinrichtung Minderjährige verzeichnet (AA 5.2.2021). Nach dem geltenden iranischen Strafgesetzbuch liegt es im Ermessen der Richter, Personen, die ihr mutmaßliches Verbrechen als Kinder begangen haben, nicht zum Tode zu verurteilen (HRW 13.1.2021; vergleiche HRC 14.5.2021) [vgl. Kapitel Todesstrafe]. Im März 2021 befanden sich über 80 Kinderstraftäter in der Todeszelle (HRC 14.5.2021). In Gefängnissen sind Erwachsene und Minderjährige oftmals nicht getrennt untergebracht (AA 5.2.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021).Im ’Kapitel über die Strafen’ des iranischen Strafgesetzbuches finden sich detaillierte Vorschriften, wie mit Jugendlichen umzugehen ist. Bei Straftaten, die mit ta‘zir-Strafen bedroht sind, wird gegen Kinder und Jugendliche unter 15 Mondjahren eine Reihe von Erziehungsmaßnahmen verhängt, zwischen zwölf und 15 Jahren sind auch leichte Strafen möglich, wie die Ermahnung des Richters, oder eine Selbstverpflichtung keine Straftaten mehr zu begehen. Bei schweren und mittelschweren Straftaten ist die Unterbringung in einem Erziehungszentrum für drei Monate bis zu einem Jahr, unabhängig von den ebenso vorgesehenen milderen Strafen möglich (Artikel 88 iStGB). Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren werden mit Unterbringung in einer Erziehungsanstalt bestraft, die bei schweren Straftaten bis zu fünf Jahren dauern kann, bei mittelschweren und leichten Straftaten kann stattdessen eine Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit verhängt werden (Artikel 89 iStGB). Bei den hadd- und qisas-Delikten wird eine Person, welche die Strafmündigkeit erreicht hat, aber noch nicht 18 Jahre alt ist, und das Wesen der Straftat und ihres Verbots nicht erfasst hat, oder an deren geistiger und seelischer Reife Zweifel bestehen, je nach den Umständen mit denselben Strafen wie bei ta‘zir-Delikten bestraft (Artikel 91 iStGB). Zur Feststellung derartiger Zweifel kann das Gericht das Gutachten eines Gerichtsmediziners einholen; es kann sich aber auch jedes anderen Mittels bedienen (gesetzliche Erläuterung zu Artikel 91 iStGB). Das bedeutet, dass es beispielsweise Verwandte, Nachbarn, Lehrer oder andere Personen aus dem nahen Umfeld befragen kann. Damit hat das Gericht aber einen so großen Spielraum, dass es die schweren hadd- und qisas-Strafen bei Personen unter 18 Jahren fast immer vermeiden kann. Strafverfahren unter 18-Jähriger, nach iranischem Recht handelt es sich dabei nicht um Minderjährige, werden grundsätzlich gemäß Artikel 304 der iranischen Strafprozessordnung vor einem Gericht für Kinder und Heranwachsende behandelt (BAMF 7.2020).

Das gesetzliche Mindestalter für einvernehmlichen Sex ist das gleiche wie für die Ehe, da Sex außerhalb der Ehe illegal ist. Es gibt keine speziellen Gesetze zur sexuellen Ausbeutung von Kindern, da solche Straftaten entweder unter die Kategorie Kindesmissbrauch oder Sexualdelikte des Ehebruchs fallen (US DOS 30.3.2021). Aufgrund der mangelnden Transparenz der Regierung bezüglich des Menschenhandels in Iran, insbesondere im Hinblick auf Frauen und Mädchen, werden keine Statistiken vorgelegt (NCRI 21.4.2021). Die Regierung meldete keine Strafverfolgungsmaßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels, und Beamte verübten weiterhin ungestraft Delikte in Bezug auf Menschenhandel, darunter den Sexhandel mit Erwachsenen und Kindern (US DOS 1.7.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 23.11.2021

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 24.11.2021

•             BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.2020): Länderreport Nr. 28. Iran. Frauen - Rechtliche Stellung und gesellschaftliche Teilhabe, https://coi.easo.e uropa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_28_Iran_July-2020.pdf , Zugriff 24.11.2021

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 24.11.2021

•             HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 24.11.2021

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 23.11.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

•             NCRI - National Council of Resistance Iran (21.4.2021): Trafficking of Iranian Women Often Takes Place Through Three Provinces, https://women.ncr-iran.org/2021/04/21/traffi cking-of-iranian-women/ , Zugriff 23.11.2021

•             USDOS – US Department of State [USA] (1.7.2021): 2021 Trafficking in Persons Report: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2055123.html , Zugriff 23.11.2021

•             USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 23.11.2021

Sexuelle Minderheiten

Sexuelle Minderheiten in Iran erfahren regelmäßig Diskriminierungen, Belästigungen und Missbrauch auch durch nicht-staatliche Akteure, wie Familienmitglieder, und durch die Gesellschaft. Homosexualität gilt als Krankheit, kann als solche angezeigt werden, befreit vom Militärdienst und sperrt die Betroffenen von derAusübung von Beamtenfunktionen aus.Aus Furcht vor Bestrafung werden Missbrauchsfälle Homosexueller nicht angezeigt (ÖB Teheran 11.2021). Über Belästigungen und Diskriminierung sexueller Minderheiten wird aufgrund der Kriminalisierung und Verborgenheit dieser Gruppen nicht ausreichend berichtet (FH 3.3.2021). Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist nicht verboten (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRW 13.1.2021).

Verboten ist in Iran unabhängig von der Religionsangehörigkeit jede sexuelle Beziehung, die außerhalb der heterosexuellen Ehe stattfindet, also auch homosexuelle Beziehungen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 3.3.2021, GIZ 12.2020c). Auf homosexuelle Handlungen, welche auch als ’Verbrechen gegen Gott’ gelten, steht offiziell Auspeitschung; sie können auch mit dem Tod bestraft werden. Dies besagen diverse Fatwas, die von beinahe allen iranischen Klerikern ausgesprochen wurden (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRW 13.1.2021, GIZ 12.2020c). Die Beweisanforderungen sind allerdings sehr hoch, es werden braucht vier männliche Zeugen benötigt. Bei Fällen, in denen zu wenige Zeugenaussagen vorliegen, gibt es ein Ermittlungsverbot. Zudem gibt es hohe Strafen für Falschbeschuldigungen. Bei Minderjährigen und in weniger schwerwiegenden Fällen sind Peitschenhiebe vorgesehen. Auch hierfür sind zwei männliche Zeugen erforderlich (AA 5.2.2021). Im Falle von ’Lavat’ (Sodomie unter Männern) ist die vorgesehene Bestrafung die Todesstrafe für den passiven Partner, falls der Geschlechtsverkehr einvernehmlich stattfand, ansonsten für den Vergewaltiger (ÖB Teheran 11.2021). Homosexuelle Handlungen zwischen Frauen werden mit bis zu 100 Peitschenhieben, bei der vierten Verurteilung mit der Todesstrafe geahndet (AA 5.2.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Die Bestrafung von gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen Männern ist meist schwerwiegender als die für Frauen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 30.3.2021). Die Todesstrafe für Homosexualität wurde in den letzten Jahren nur punktuell und meist in Verbindung mit anderen Verbrechen verhängt (ÖB Teheran 11.2021). Aufgrund der mangelnden Transparenz des Gerichtswesens lässt sich der Umfang der strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen wegen Homosexualität nicht eindeutig bestimmen (AA 5.2.2021).

In einem soziokulturell westlich beeinflussten, liberalen Umfeld werden homosexuelle Beziehungen in Einzelfällen de facto geduldet bzw. ignoriert. Seitens der westlichen Botschaften wurde in der Vergangenheit immer wieder über Wohngemeinschaften von Personen gleichen Geschlechts berichtet, die unbehelligt existieren. Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und sozialer Ausgrenzung ist ein öffentliches ’Coming out’ grundsätzlich nicht möglich (AA 5.2.2021). Lesbische Frauen aus traditionellen, armen Familien sehen sich aus sozio-ökonomischen Gründen oder vonseiten der Familie häufig gedrängt, einen Mann zu heiraten (AA 5.2.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021).

Transsexualität ist in Iran seit 1987 erlaubt, wird aber laut Gesetz als Geisteskrankheit definiert (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 30.3.2021). Laut einer Fatwa Ayatollah Khomeneis sind Geschlechtsumwandlungen für ’diagnostizierte Transsexuelle’ erlaubt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRW 13.1.2021, GIZ 12.2020c). Geschlechtsumwandlungen sind zulässig und entsprechende Operationen werden in voller Höhe von den Krankenversicherungen erstattet (AA 5.2.2021; vergleiche HRW 13.1.2021). Nach der Operation dürfen Transgender-Personen heiraten. Die Geschlechtsumwandlungen gelten daher häufig als Weg, von der Heterosexualität abweichende sexuelle Orientierungen oder Identitäten in die Legalität zu bringen (AA 5.2.2021). Nach der Umwandlung ist es möglich, das neue Geschlecht legal registrieren zu lassen (GIZ 12.2020c). Iran hat nach Thailand die höchste Rate an Geschlechtsumwandlungen weltweit (AA 5.2.2021). Es gibt Berichte, die darauf hinweisen, dass Transsexuelle unter Druck gesetzt werden, sich für ein Geschlecht zu entscheiden (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 30.3.2021), um ihre sexuelle Orientierung ausleben zu können (ÖB Teheran 11.2021). Transsexuelle Personen werden häufig sozial stigmatisiert, auch im Berufsumfeld und in der eigenen Familie, sodass manche in die Prostitution gedrängt werden (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 6.5.2021

•             GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 6.5.2021

•             HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 6.5.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 6.5.2021

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Im Prinzip respektiert die Regierung diese Rechte, es gibt jedoch einige Einschränkungen, besonders für Frauen und Flüchtlinge. Die Regierung verlangt von allen Bürgern für Auslandsreisen Ausreisebewilligungen. Bürger, die auf Staatskosten ausgebildet wurden oder Stipendien erhalten haben, müssen diese entweder zurückzahlen, oder erhalten befristete Ausreisebewilligungen (US DOS 30.3.2021). Die Regierung schränkt auch die Reisefreiheit von einigen religiösen Führern, Mitgliedern von religiösen Minderheiten und Wissenschaftern in sensiblen Bereichen ein. Journalisten, Akademiker, oppositionelle Politiker, Künstler sowie Menschen- und Frauenrechtsaktivisten sind von Reiseverboten und Konfiszierung der Reisepässe betroffen. Verheiratete Frauen dürfen nicht ohne die Zustimmung ihrer Männer ins Ausland reisen (US DOS 30.3.2021; vergleiche FH 3.3.2021).

Zur rechtmäßigen Ausreise aus der Islamischen Republik Iran benötigen iranische Staatsangehörige einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (4.400.000 IRR, ca. 90€). Die illegale Ausreise erfolgt zumeist auf dem Landweg unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Türkei (AA 5.2.2021).

Soweit Repressionen praktiziert werden, geschieht dies landesweit unterschiedslos. Ausweichmöglichkeiten bestehen somit nicht (AA 5.2.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021

Flüchtlinge

Iran hat die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet und übernimmt seit mehr als drei Jahrzehnten Verantwortung für afghanische und irakische Flüchtlinge im Land (AA 5.2.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Die Behörden arbeiten mit dem Büro von UNHCR zusammen, um afghanischen und irakischen Flüchtlingen Hilfe bereitzustellen (US DOS 30.3.2021; vergleiche UNHCR 30.9.2020), vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Lebensunterhalt (UNHCR 2020). Die iranische Regierung ist über das Amt für Ausländer- und Einwanderungsangelegenheiten (BAFIA) für die Registrierung von Asylwerbern und Flüchtlingen sowie für die Feststellung des Flüchtlingsstatus in Iran gemäß den iranischen Rechtsvorschriften zuständig. UNHCR in Iran nimmt keine Asylanträge an und entscheidet nicht über Asylanträge (UNHCR 26.9.2021).

Von den Flüchtlingen stellen die afghanischen weiterhin die größte Gruppe, gefolgt von irakischen. Insgesamt ist Iran eines der größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge weltweit (GIZ 12.2020c). In Iran halten sich ca. 3-4,5 Millionen Afghanen auf, wobei ca. 300.000 seit Machtergreifung der Taliban Anfang August 2021 nach Iran geflohen sind (ÖB Teheran 11.2021). Einem eingeschränkten Kreis von 951.000 Amayesh-Karteninhabern, die Zugang zu Gesundheitsdiensten und zum Bildungssystem haben, stehen 1,5-2 Mio. nicht registrierte Flüchtlinge und 450.000 Afghanen mit Pass und Visum gegenüber. Die Regierung hatte im Jahr 2017 mit einer schrittweisen Ausweitung der Registrierung begonnen, die mittlerweile abgeschlossen wurde. 800.000 nicht dokumentierte Afghanen wurden erfasst, unklar ist aber noch, was für einen Status sie erhalten werden. Angesichts des anhaltenden Drucks durch die US-Wirtschaftssanktionen wird es für Iran immer schwieriger, das Engagement für die Flüchtlinge innenpolitisch zu rechtfertigen. Bislang wirkt sich dies jedoch nicht auf die Leistungen für die Flüchtlinge aus. In enger Zusammenarbeit verfolgt die Flüchtlingsbehörde BAFIA die Projekte, die internationale und lokale NGOs umsetzen, um die Verhältnisse der Flüchtlinge im Land zu verbessern (AA 5.2.2021). Internationale Organisationen wie UNHCR und NGOs bestätigen, dass Iran afghanische Flüchtlinge einerseits in den vergangenen Jahren sehr großzügig aufgenommen und behandelt, andererseits aber sehr wenig internationale Unterstützung erhalten hat (ÖB Teheran 11.2021).

Mit der Durchführung des Amayesh-Programms für Flüchtlinge in Iran wurde in der Zeit von 2001 bis 2003 begonnen. Im Jahr 2001 begann man mit den Vorregistrierungen und im Jahr 2003 wurde die erste Amayesh-Runde durchgeführt. Die Personen, die durch das Programm registriert worden sind, bekamen sogenannte Amayesh-Karten ausgestellt, die unter anderem das Recht auf medizinische Versorgung und Ausbildung einschließen. Die Amayesh-Karten haben eine begrenzte Gültigkeit und um ihren legalen Status in Iran nicht zu verlieren, müssen sich Amayesh-registrierte Personen bei jeder Registrierungsrunde, die in Iran durchgeführt wird, erneut registrieren. Der Prozess zur erneuten Registrierung ist immer noch mit Schwierigkeiten und unterschiedlichen Ausgaben verbunden, die in den unterschiedlichen Provinzen variieren können. Normalerweise geschieht die Erneuerung jedes Jahr, die Kosten liegen bei 200–300 US-Dollar für eine Familie mit fünf Personen (hierin sind die Kosten für die Arbeitserlaubnis für eine Person sowie die Provinzsteuer inkludiert). Die iranischen Behörden geben im Internet bekannt, wenn es Zeit für eine neue Amayesh-Runde ist. Sie informieren auch über andere Regeln online und erwarten, dass sich die Betroffenen auf dem Laufenden halten, was nicht immer der Fall ist. Hilfsorganisationen richten sich mit extra Information an die am meisten schutzbedürftigen Gruppen, damit sie nicht verpassen, sich erneut für eine neue AmayeshKarte oder den Schulbesuch der Kinder zu registrieren (Lifos 10.4.2018).

Die Afghanen, die vor 2001 nach Iran gekommen sind, werden – vorausgesetzt, dass sie sich bei sämtlichen Amayesh-Registrierungen registriert haben – von den iranischen Behörden als Flüchtlinge betrachtet. Das Amayesh-System ist aber kein offenes System, was bedeutet, dass neu eingereiste Afghanen kein Asyl in Iran beantragen können. Seit 2001 werden im Prinzip keine Neuregistrierungen mehr vorgenommen. Zu den Ausnahmen gehören wenige, besonders schutzbedürftige Fälle. Kinder von Amayesh-registrierten Eltern werden registriert (Lifos 10.4.2018). Die Behörden erlauben aber auch unregistrierten afghanischen Kindern den Schulbesuch (HRW 14.5.2019; vergleiche ÖB Teheran 11.2021, AA 5.2.2021). Wenn eine Person ihren Amayesh-Status infolge einer verpassten Registrierung verliert, gibt es keine Möglichkeit zur erneuten Registrierung. Amayesh-Registrierte verlieren ihren Status, wenn sie Iran verlassen, weil der Amayesh-Status keine Ausreise erlaubt (Lifos 10.4.2018).

Amayesh-registrierteAfghanen haben das Recht, eineArbeitsgenehmigung zu beantragen (Lifos 10.4.2018; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Männer im Alter von 18 bis 65 sind dazu verpflichtet, dieses in Zusammenhang mit der Amayesh-Registrierung zu tun. Amayesh-registrierte Frauen können keine offizielle Arbeitserlaubnis in Iran beantragen, aber in der Praxis arbeiten auch einige afghanische Frauen – oft zu Hause. Der Arbeitsmarkt für Afghanen in Iran ist reguliert und Afghanen haben das Recht, in 87 verschiedenen Berufen zu arbeiten. Ein Problem für Amayesh-registrierte, ausgebildete Personen ist, dass die Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt bedeuten können, dass sie nicht in dem Bereich arbeiten können, für den sie ausgebildet sind. Was den Zugang der afghanischen Bevölkerung zum Arbeitsmarkt sowie die Möglichkeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen angeht, haben die iranischen Behörden in den letzten Jahren frühere Restriktionen verringert. In einzelnen Fällen, wo eine Amayesh-registrierte Person eine gewisse Berufskompetenz besitzt, die nicht unter die 87 erlaubten Berufe fällt, kann eine Ausnahme gestattet werden (Lifos 10.4.2018). Die meisten Flüchtlinge gehen eher minderwertigen und schlecht bezahlten Arbeiten v.a. im informellen Sektor (Bau, Reinigung/Müllabfuhr oder Landwirtschaft) nach, die offiziell versicherungspflichtig sind (AA 5.2.2021).

Als Teil der Bestrebungen der iranischen Behörden, Kontrolle über die sich illegal im Land aufhaltenden Afghanen zu bekommen, wurde 2017 ein Programm zur Identifikation und Registrierung afghanischer Staatsbürger durchgeführt. Dieser sogenannte ’headcount’ richtete sich zu Beginn nur auf Afghanen, wurde aber später auch auf irakische Staatsbürger im Land ausgeweitet. Bis Mitte September 2017 wurden durch dieses Programm ca. 800.000 ausländische Staatsbürger mit illegalem Aufenthalt im Land identifiziert. Hinsichtlich sich illegal im Land aufhaltender Afghanen wurde das Hauptaugenmerk in der ersten Runde auf drei besondere Kategorien gerichtet:

1.           Unregistrierte Afghanen mit in die Schule gehenden Kindern;

2.           Unregistrierte Afghanen, die mit Amayesh-registrierten Personen verheiratet sind;

3.           UnregistrierteAfghanen, die mit iranischen Staatsbürgern verheiratet sind (Lifos 10.4.2018).

Personen aus diesen Kategorien, die eine dem Programm entsprechende Identifikation durchlaufen haben, haben einen Papierbeleg (headcount slip) erhalten, der sie bis auf Weiteres davor schützt, aus Iran deportiert zu werden. Die Möglichkeit zur Teilnahme an dem Programm wurde auf früher Amayesh-registrierte Personen oder Visumsinhaber, die ihren Status aus irgendeinem Grund verloren haben, ausgeweitet. Der Fokus der iranischen Behörden liegt darauf, den Aufenthalt der Afghanen, die sich illegal im Land befinden, zu erfassen und zu regulieren, und nicht auf Deportationen (Lifos 10.4.2018). Im November 2018 hat die Regierung erneut eine Registrierungsinitiative für in Iran legal sowie illegal arbeitende Ausländer eingeleitet. In diesem Kontext wurden zum Schuljahr 2019/2020 erneut nicht-registrierte Flüchtlingskinder in das Schulsystem aufgenommen. Derzeit werden über 130.000 sogenannte ’blue card holders’ gezählt, die infolge eines Dekrets des Obersten Revolutionsführers aus dem Jahr 2015 neu eingeschrieben werden konnten, bei insgesamt 480.000 Kindern aus Flüchtlingsfamilien (auch Iraker). Neben dem Abschiebeschutz für die ganze Familie geht damit der Zugang zu einer besseren Grundversorgung mit Nahrungsmitteln sowie Beratung und Gesundheitsfürsorge einher (AA 5.2.2021). Auch die Schulgebühren für Flüchtlingskinder wurden 2016 aufgehoben. Dennoch finden nicht alle Kinder einen Schulplatz, auch weil erschwingliche Transportmöglichkeiten zur nächsten Schule fehlen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche ACCORD 5.2020), die Kinder illegal arbeiten geschickt werden, die allgemeine Einschreibegebühr von umgerechnet 60 USD zu hoch ist, oder Eltern iranischer Kinder gegen die Aufnahme von afghanischen Kindern sind (ÖB Teheran 11.2021). Flüchtlingskinder lernen Seite an Seite mit ihren iranischen Klassenkameraden nach dem iranischen Lehrplan. Allein im Jahr 2019 schuf Iran in seinen Schulen Platz für etwa 60.000 zusätzliche afghanische Schüler. Es gibt einige von der afghanischen Gemeinschaft betriebene Schulen, in denen in Dari oder anderen in Afghanistan gesprochenen Sprachen unterrichtet wird, aber diese Schulen wurden erst vor Kurzem offiziell anerkannt, nachdem sie zuvor regelmäßig von den Behörden geschlossen wurden (ACCORD 5.2020). Auch der Zugang zu höherer Bildung ist möglich, dafür muss jedoch der Flüchtlingsstatus aufgegeben, und ein Studentenvisum beantragt werden. Nach dem Studium besteht daher die Gefahr, keine Aufenthaltserlaubnis mehr zu erlangen. Infolgedessen beantragen viele stattdessen Asyl in Europa, um dort ihre Ausbildung fortzusetzen, obwohl sie dies lieber in Iran gemacht hätten (ÖB Teheran 11.2021).

Die Krankenversicherungsleistungen für registrierte Flüchtlinge sollen erweitert und möglichst alle Flüchtlinge in medizinische Betreuungsmaßnahmen aufgenommen werden. Dazu bedient sich die Flüchtlingsbehörde BAFIA zunehmend eines Überweisungssystems von besonders schwierigen Fällen an internationale NGOs oder den UNHCR. Dieser ist mit Gesundheitsstationen in 18 Provinzen tätig und hat mit einem zusätzlichen Versicherungsangebot innerhalb des bestehenden Salamat-System (UPHI) [Krankenversicherung] im 6. Zyklus in 100.000 Härtefällen Hilfe geleistet (AA 5.2.2021). Afghanen haben auch ohne Aufenthaltstitel Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Medizinische Grundversorgung ist für alle Menschen in Iran gratis zugänglich, nicht registrierte Flüchtlinge haben jedoch oft Angst, abgeschoben zu werden, und nehmen diese nicht in Anspruch. Seit 2016 können sich alle registrierten Flüchtlinge in der staatlichen Krankenversicherung registrieren, müssen allerdings eine Gebühr zahlen, die sich viele nicht leisten können. UNHCR zahlt diese Gebühr für die vulnerabelsten Flüchtlinge (ÖB Teheran 11.2021). 120.000 Flüchtlinge wurden von UNHCR beim Zugang zur iranischen Krankenversicherung unterstützt.Die Krankenversicherung zielt darauf ab, den am stärksten gefährdeten afghanischen Flüchtlingen den nötigen Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen. UNHCR übernahm die Kosten für die Versicherungsprämien der schutzbedürftigen Flüchtlinge, die 2020 in der iranischenAllgemeinen Krankenversicherung (UPHI) eingeschrieben waren. Angesichts der COVID-19-Pandemie und des anhaltenden wirtschaftlichen Abschwungs in Iran hat UNHCR die Zahl der von dem Programm erfassten Flüchtlinge vorübergehend erhöht. Trotz der Herausforderungen gewährt Iran den Flüchtlingen weiterhin großzügig Zugang zu Bildung und Gesundheitsdiensten. Iran ist eines von nur einer Handvoll Ländern auf der Welt, die Flüchtlingen die Möglichkeit bietet, sich wie iranische Staatsangehörige in eine nationale Krankenversicherung für wesentliche sekundäre und tertiäre öffentliche Gesundheitsdienste einzuschreiben. Das nationale Versicherungssystem ermöglicht eine kostenlose COVID-19-Behandlung und Krankenhausaufenthalte. Es subventioniert auch die Kosten für Operationen, Dialyse, Radiologie, Labortests, ambulante Versorgung und mehr. Viele Flüchtlinge können sich die Prämienkosten jedoch nicht leisten. Die Auswirkungen der Pandemie auf den Lebensunterhalt sind besonders schwerwiegend für Flüchtlinge, die oft auf prekäre und instabileArbeitsplätze angewiesen sind. Viele können ihre Grundbedürfnisse nicht mehr decken, geschweige denn die Kosten für die Krankenversicherung, die schätzungsweise rund 40% der monatlichen Ausgaben einer durchschnittlichen Flüchtlingsfamilie ausmachen (UNHCR 6.4.2021).

Kulturell, sprachlich, religiös und in den Grenzbereichen auch ethnisch bestehen Gemeinsamkeiten zwischen Iranern und Afghanen. Iranische Behörden fürchten jedoch einen noch größeren Zustrom von Afghanen in den kommenden Monaten und verweisen auf die bereits große afghanische Gemeinde in Iran, die schlechte Wirtschaftslage angesichts der US-Sanktionen und die Auswirkungen der Covid-Pandemie. Es werden Spannungen zwischen residenter Bevölkerung und den Neuankömmlingen befürchtet. Bereits bisher werden Afghanen teilweise diskriminiert, und es kommt zu Protesten gegen Afghanen, z.B. gegen die Aufnahme afghanischer Kinder an Schulen (ÖB Teheran 11.2021). Afghanen sind im Großen und Ganzen - auch wenn sie zum Teil bereits in der zweiten Generation in Iran leben, wenig integriert. 15% der Flüchtlinge, die sich auf den Weg nach Europa machen, haben mindestens sechs Monate in Iran verbracht (AA 5.2.2021). Neu angekommene Afghanen haben meist keine Probleme, in Iran eine Wohnung zu finden. Dies liegt daran, dass die afghanische Gesellschaft eine starke Netzwerkgesellschaft mit festen Beziehungen innerhalb der Netzwerke ist. Diejenigen, die nach Iran kommen, haben oft bereits Familienmitglieder im Land, bei denen sie wohnen können. Afghanen in Iran unterstützen sich gegenseitig und dieses kann auch für Personen gelten, die nicht miteinander verwandt sind. Viele Afghanen mieten große Wohnungen und es können viele Personen in einem Haushalt wohnen. Afghanen in Iran haben ungeachtet dessen, ob sie Amayesh-registriert sind oder nicht, nicht das Recht dazu, ein Haus oder eine Wohnung zu besitzen, sondern können diese nur mieten. Die Wohnungskosten stellen einen der größten Ausgabenposten für Afghanen in Iran dar. Bei der Anmietung eines Hauses wird eine Kaution an den Besitzer bezahlt und je größer die Kaution, die hinterlegt werden kann, desto billiger werden die Mietkosten (Lifos 10.4.2018).

Hochzeiten zwischen Iranern und afghanischen Flüchtlingen sind, obwohl keine Seltenheit, schwierig, da die iranischen Behörden dafür Dokumente der Botschaft oder der afghanischen Behörden benötigen. Staatenlosen wird von einigen Provinzverwaltungen Zugang zur öffentlichen Grundversorgung und das Ausstellen von Reisedokumenten und sonstigen Papieren verwehrt; eine einheitliche Praxis fehlt (ÖB Teheran 11.2021). Mittlerweile ist es möglich, dass iranische Frauen ihre Staatsbürgerschaft an Kinder mit einem ausländischen Vater weitergeben können [vgl. hierzu Kapitel Frauen] (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 31.3.2021).

Die Revolutionsgarden sollen Tausende von in Iran lebenden afghanischen Migranten mithilfe von Zwangsmaßnahmen für den Kampf in Syrien rekrutiert haben. Human Rights Watch berichtete, dass sich unter den Rekrutierten auch Kinder im Alter von 14 Jahren befinden (FH 3.3.2021; vergleiche US DOS 30.3.2021).

Die freiwillige Rückkehr registrierter afghanischer Flüchtlinge lag 2019 mit 1.609 im vergleichbaren Rahmen wie im Vorjahr (Vergleichszeitraum 2018: 1.450). Nach Angaben des UNHCR erfolgen 40% dieser Ausreisen durch Studenten in der Absicht, mit einem entsprechenden Visum wieder nach Iran einzureisen (AA 5.2.2021). Seit Jahresbeginn 2020 sind laut UNHCR bislang (Stand Oktober 2020) mit 695.677 deutlich mehr nicht registrierte Afghanen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt als im Vorjahr (2019 dagegen insgesamt nur 476.887), 259.084 der Rückkehrenden wurden abgeschoben. UNHCR führt dies auf die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage in Iran sowie die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zurück (AA 5.2.2021). UNHCR verzeichnete, dass 16.300 Afghanen, die ’potenziell internationalen Schutz benötigen’ zwischen Jänner und September 2021 neu nach Iran eingereist sind. Mitte September 2021 brauchten Afghanen einen Pass und ein Visum, um nach Iran einzureisen, mit wenigen Ausnahmen aus medizinischen Gründen. Infolgedessen meldete UNHCR eine Zunahme der Bewegungen von Afghanen ohne Papiere, die auf dem Landweg irreguläre Grenzübertritte nach Iran vornehmen (AI 10.2021).

Im Mai 2020 griffen iranische Grenzposten zahlreiche Afghanen auf, darunter auch Minderjährige, die auf der Suche nach Arbeit die Grenze überschritten hatten. Die Personen wurden geschlagen und mit vorgehaltener Waffe in den iranisch-afghanischen Grenzfluss Hariroud gezwungen. Dabei ertranken mehrere Menschen. Die Behörden wiesen jede Verantwortung für den Vorfall zurück (AI 7.4.2021).

Seit Beginn der Corona Pandemie gab die Regierung immer wieder bekannt, dass die Behandlung für ausländische Covid-19 Patienten kostenlos erfolge. Mit Unterstützung des GAVICOVAX-Mechanismus erhält Iran mittlerweile auch kostenlose Impfstoffe zum Impfen für die Afghanen im Land (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021

•             ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (5.2020): Das Schulsystem im Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2030055/Schulsy stem+Iran_Mai+2020.pdf , Zugriff 13.1.2020

•             AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 29.4.2021

•             AI – Amnesty International (10.2021): Like an obstacle course: Few routes to safety for Afghans trying to flee their country [ASA 11/4832/2021], https://www.ecoi.net/en/file/local /2062588/ASA1148322021ENGLISH.pdf , Zugriff 26.11.2021

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

•             GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 30.12.2020

•             HRW – Human Rights Watch (14.5.2019): Iran: Parliament OKs Nationality Law Reform, https://www.ecoi.net/de/dokument/2008705.html , Zugriff 28.4.2021

•             Lifos – Lifos/Migrationsverket [Schweden] (10.4.2018): Afghanistan: Afghanen im Iran [Original: Afghaner i Iran]. Arbeitsübersetzung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich], https://www.ecoi.net/en/file/local/1434046/5818_1528099872_afghba-analysen-afghanen-im-iran-2018-05.pdf , Zugriff 28.4.2020

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

•             UNHCR – UN High Commissioner for Refugees (30.9.2020): Iran, Afghan Voluntary Repatriation - Jan to Sep 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2039223/IRN+VolRep+Se ptember+2020+-+EXT.pdf , Zugriff 13.1.2021

•             UNHCR – UN High Commissioner for Refugees (6.4.2021): 120,000 refugees assisted to access Iran’s health insurance scheme, https://www.unhcr.org/news/briefing/2021/4/606 c19ad4/120000-refugees-assisted-access-irans-health-insurance-scheme.html , Zugriff

17.5.2021

•             UNHCR – UN High Commissioner for Refugees (2020): Iran. Year in Review 2020, https:// www.ecoi.net/en/file/local/2047227/IRN+Year+in+Review+2020.pdf , Zugriff 26.11.2021

•             UNHCR – UN High Commissioner for Refugees (26.9.2021): Announcement on Services Available for the Undocumented, https://www.ecoi.net/de/dokument/2060978.html , Zugriff 26.11.2021

•             US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 5.5.2021

Grundversorgung

Die Grundversorgung ist in Iran gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Der monatliche Mindestlohn für eine vierköpfige Familie mit einer erwerbstätigen Person liegt bei umgerechnet etwa 100 Euro im Monat (aufgrund Inflation und Wechselkursveränderung stark schwankend). Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei ca. 54,6 Mio. IRR (ca. 400 Euro pro Monat) (AA 5.2.2021).

Angesichts der immer schärferen US-Sanktionen gegen Iran und des dramatischen Währungsverfalls hat sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche BS 2020). Gründe sind die US-Sanktionen und deren extraterritoriale Anwendung und damit Zurückhaltung europäischer Unternehmen vor Geschäften mit Iran, aber auch die Folgen der Corona-Pandemie. Viele Privatunternehmen mussten aufgrund fehlender Devisen und Importmöglichkeiten von Rohstoffen, Bestandteilen oder Ausrüstung die Produktion drosseln oder schließen (ÖB Teheran 11.2021).

Neben Arbeitslosigkeit spielt in Iran auch Unterbeschäftigung eine Rolle. Ausgebildete Arbeitskräfte (Facharbeiter, Uni-Absolventen) finden oft keine ihrer Ausbildung entsprechenden Jobs. Daraus folgen soziale Spannungen, aber auch ein beträchtlicher „Braindrain“, der die iranische Gesellschaft und Wirtschaft beeinträchtigt (ÖB Teheran 11.2021). Aufgrund der COVID19-Pandemie haben im Jahr 2020 ca. eine Million Menschen ihren Arbeitsplatz verloren (HRC 14.5.2021). Angesichts der Kaufkrafteinbußen können viele Menschen ihre Lebenserhaltungskosten nur sehr knapp abdecken, jede Verschlechterung führt zu Verzweiflung. So kam es zu lokal begrenzten kurzzeitigen Protesten und Streiks, etwa wegen Gehaltsrückständen und schlechten Arbeitsbedingungen, aufgrund des Preisdrucks in der Produktion (ÖB Teheran 11.2021).

Die iranische Wirtschaft ist weitestgehend zentralisiert und steht zu großen Teilen unter staatlicher Kontrolle (GIZ 12.2020b). Der staatliche Sektor (staatliche und halbstaatliche Unternehmen) macht etwa 80 % der iranischen Wirtschaftstätigkeit aus, während der private und kooperative Sektor nur 20 % ausmacht (BS 2020). So haben viele iranische Unternehmen neben wirtschaftlichen auch politische Ziele zu erfüllen. Durch regelmäßige staatliche Eingriffe über Preisregulierungen und Subventionen, die in aller Regel politische Ursachen haben, konnte sich bisher eine eigenständige Wirtschaft nur bedingt entwickeln. Eine etablierte Privatwirtschaft gibt es vor allem auf dem Basar, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsgewerbe (GIZ 12.2020b). Die iranische Regierung ist der größte Monopolist des Landes, gefolgt von den Revolutionsgarden und anderen einflussreichen Institutionen und Menschen. Es gibt ein Gesetz gegen das Monopol, obwohl noch nie ein Unternehmen oder eine Person für monopolistische Maßnahmen zur Rechenschaft gezogen wurde (BS 2020). Erst in den letzten eineinhalb Jahrzehnten wurden, vor allem durch die 2001 gegründete Iranian Privatization Organization, vermehrt Anstrengungen zur Privatisierung weiterer Teile der Wirtschaft unternommen. Der wichtigste Sektor der iranischen Wirtschaft ist die Erdöl- und Erdgasproduktion. Die Ölförderung ist durch die National Iranian Oil Company monopolisiert, 80-85 % der staatlichen Einnahmen stammen aus dem Ölverkauf. Da zudem etwa 60% dieses Budgets in die Finanzierung staatlicher Unternehmen und Institutionen fließen, ist Iran nahezu komplett von den Einnahmen aus dem Ölexport abhängig. Nicht nur die Wirtschaft, auch der Lebensstandard vieler Iraner hängt vom Ölpreis ab. Problematisch sind auch die völlig veralteten Förderanlagen und Raffinerien des Landes. Aufgrund der Sanktionen konnten diese nicht modernisiert werden. Hindernisse bei der Modernisierung iranischer Förderanlagen und Raffinerien führten nicht zuletzt dazu, dass in den letzten Jahren immer wieder große Mengen an Benzin importiert werden mussten, um den heimischen Bedarf zu decken. Da Benzin lange staatlich subventioniert wurde, kostete dies den Staat in den letzten Jahren etwa 11 % des BIP. Hebt die Regierung den Benzinpreis an oder begrenzt die ausgegebenen Rationen, führt das immer wieder zu teils gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 12.2020b). Soziale Unzufriedenheit war in den letzten Jahren mehrmals der Hintergrund von Unruhen in der Bevölkerung. Bei den gewalttätigen Unruhen im November 2019 starben Hunderte Menschen (Landinfo 12.8.2020) und Tausende wurden verletzt (FH 3.3.2021) [Bezüglich der Unruhen vergleiche Sie bitte das Kapitel zur Versammlungsfreiheit].

Ein wichtiger, in nicht wenigen Bereichen sogar zentraler Faktor der iranischen Wirtschaft sind die halbstaatlichen religiösen Stiftungen, die Bonyads (GIZ 12.2020b; vergleiche BS 2020). Heute gibt es etwa 120 davon. Hier verschmelzen Religion, Politik und Wirtschaft am deutlichsten. Entsprechend islamischer Grundsätze ist die Hauptaufgabe einer religiösen Stiftung die öffentliche Wohlfahrt, etwa in Form des Erhalts von Straßen oder der Pflege eines Pilgerzentrums. Daneben sind viele der Stiftungen heute jedoch international agierende Großkonzerne. Die größte Stiftung des Landes ist die Ostan-e Qods-e Rezavi, die Imam Reza Stiftung, die sich der Instandhaltung des religiösen Zentrums in Maschhad widmet. Daneben ist die Stiftung jedoch im (Teil-)Besitz zahlreicher Industrieunternehmen, wie etwa der Teheraner Busgesellschaft, und setzt jährlich geschätzte 14 Milliarden Dollar um. Zudem ist sie der größte Grundbesitzer des Landes. Die Bonyad-e Mostazafan wa Dschanbazan, die Stiftung der Unterdrückten und Kriegsveteranen, offiziell zuständig für die Versorgung der Kriegsversehrten und Armen, steht hingegen hinter der National Iranian Oil Company. Politisch steht sie den Revolutionswächtern nahe, viele ihrer hohen Beamten kommen aus deren Reihen. Vor allem mit Hilfe dieser Stiftungen, die beide offiziell direkt dem Revolutionsführer unterstehen, setzt der iranische Staat seine Vorstellungen einer islamischen Wirtschaftspolitik um und verteilt großzügig Gelder für politische Gefälligkeiten (GIZ 12.2020b). Diese Institutionen sind weder der Regierung noch der Justiz gegenüber rechenschaftspflichtig. Außerdem genießen die Bonyads viele Privilegien wie Steuerbefreiungen und einen ausschließlichen Zugang zu lukrativen Regierungsverträgen (BS 2020).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

•             BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

•             FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html ,Zugriff 29.4.2021

•             GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020b): Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412 , Zugriff 29.4.2021

•             HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 26.11.2021

•             Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): Report Iran. The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 14.1.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

Sozialbeihilfen

Dem Arbeitsministerium ist die Verantwortung für Sozialhilfe und Versicherungswesen übertragen. Es gibt verschiedene Versicherungsträger, welche alle dem im Sozialministerium angesiedelten ’Hohen Versicherungsrat’ (HIC) unterstehen, der die Versicherungspolitik plant, koordiniert, durchführt und überwacht. Der Hauptversicherer ist die ’Organisation für Sozialversicherung’ (SSIO). Alle Arbeitgeber und -nehmer zahlen in das System ein und erhalten dafür gewisse Unterstützungsleistungen. Viele Kliniken und Spitäler dieser Organisation befinden sich in städtischen Gegenden (ÖB Teheran 11.2021). Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die die Bereiche Rente, Unfall und Krankheit umfasst. Der Rentenanspruch entsteht in voller Höhe nach 30 Beitragsjahren. Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch in der Höhe von ca. 20 Euro pro Kind. Ebenfalls besteht ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Höhe von 70-80 % des Gehaltes, das für mindestens ein Jahr gezahlt wird. Schließlich erhält ein geringer Teil der nicht oder gering verdienenden iranischen Bevölkerung zur Sicherung der Grundversorgung monatlich 500.000 IRR (ca. 2 Euro, sog. Yarane; Umrechnungskurs stark schwankend) (AA 5.2.2021). Selbstständige und Beamte sind nicht Teil der Arbeitslosenversicherung, da angenommen wird, dass ihre Arbeitsverträge nicht gekündigt werden können (Landinfo 12.8.2020).

Iranischen Bürgern stehen unterschiedliche Arten von Versicherungsschutz zur Verfügung. Bei der obligatorischen Versicherung werden Arbeitnehmer von den Arbeitgebern versichert. 7 % der Prämie werden von den Arbeitnehmern und 23 % von den Arbeitgebern gezahlt. Weiters steht den Eigentümern der Unternehmen eine freiwillige Abdeckung zur Verfügung. Es gibt drei Prämiensätze von 12 %, 14 % und 18 %, die zulasten der Versicherten gehen. Das System deckt alle Angestellten und Freiberuflichen ab, wobei Letztere zwischen verschiedenen Stufen wählen können. Ein freiwilliger Versicherungsschutz ist für zuvor versicherte Personen zwischen 18 und 50 Jahren verfügbar. Dieser ist vollständig von der versicherten Person zu zahlen. Spezielle Systeme gibt es darüber hinaus für Staatsangestellte und Militärangehörige. Generell ist für Angestellte die Mitgliedschaft im Sozialversicherungssystem verpflichtend. Die Sozialversicherung schützt im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Berufsunfällen und auch bei altersbedingtem Ausscheiden. Seit 2003 wurden die zuständigen Institutionen zusammengelegt, um Ineffektivität und Redundanzen zu vermeiden. Zuschüsse und Leistungen werden auf Basis des Gehalts (insbesondere der letzten zwei Jahre) der zu versichernden Person berechnet, sowie auf Basis der monatlichen Zahlungen bei privat versicherten Personen. Solange Rückkehrende für eine iranische Organisation/Firma arbeiten, übernehmen die Arbeitgeber den Großteil der Beiträge. Ansonsten muss (je nach gewähltem Angebot) selbst eingezahlt werden. Angestellte müssen 7 % des monatlichen Gehalts abgeben, während Selbstständige und Private einen individuell abgestimmten Beitrag bezahlen (IOM 2021). Die Mittel für die Altersrente werden durch gemeinsame Beiträge der versicherten Person, des Arbeitgebers und der Regierung gedeckt und variieren je nach Beitragsjahren. Die Altersrente wird über die Pensionskasse für Beamte, über die Organisation für soziale Sicherheit sowie über 16 weitere Pensionsfonds in Iran bereitgestellt. Die Hinterbliebenenrente wird an Angehörige einer versicherten verstorbenen Person gezahlt. Zu den Angehörigen zählen Witwe/Witwer, Kinder (das heißt Söhne bis zum Alter von 20 Jahren und Töchter bis zur Heirat) und Eltern. Die Rente des Ehepartners beträgt 50 % der Alters- oder Invalidenrente der versicherten Person, während sie für Waisen 25 % und für Eltern 20 % beträgt. Die kombinierte Hinterbliebenenrente darf nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn oder über der Rente des Verstorbenen liegen. In Iran gibt es einen gesetzlichen monatlichen Mindestlohn für ungelernte Arbeitnehmer, der unter Berücksichtigung der Inflation jährlich neu berechnet wird. Im April 2020 lag der Mindestlohn bei 18,34 Millionen Rial (ca. 113 USD). Darüber hinaus zahlt der Staat (praktisch) jeder Familie eine Wohnungs- und Lebensmittelzulage in Form von monatlichen Geldtransfers (yaraneh-ye naqdi), wobei der Gesamtbetrag für einen unverheirateten Arbeitnehmer 25 Millionen Rial (ca. 155 USD) und 30 Millionen Rial (ca. 186 USD) für einen verheirateten Arbeiter pro Monat beträgt. Familienbeihilfe wird im Rahmen von Sozialversicherungssystemen für Eltern gewährt, die mindestens 720 Tage gearbeitet und Beiträge gezahlt haben. Die Familienbeihilfe wird gezahlt, bis das Kind 18 Jahre alt ist oder - wenn es studiert - bis das Studium abgeschlossen ist. Die Familienbeihilfe wird monatlich gezahlt und als das Dreifache des gesetzlichen täglichen Mindestlohns eines ungelernten Arbeitnehmers für jedes Kind berechnet. Die Leistungen werden jährlich angepasst (Landinfo 12.8.2020).

Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen, wie z.B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, die Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z.B. Frauengruppen) (AA 5.2.2021). Als Teil des iranischen Sozialwesens haben alle iranischen Bürger das Recht auf kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung. Alle Bürger können über die Wohlfahrtsorganisation TAMIN EJTEMAEI eine Sozialversicherung beantragen. Darüber hinaus können Leistungen von Arbeitgebern oder privaten Anbietern und Organisationen angeboten werden (IOM 2021).

Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt um die ’sadeqe’, die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße. Ein Ansatz, gerade der Armut auf dem Land entgegenzuwirken, ist Bildung. Der Staat schickt beispielsweise Studenten, die als Pflichtteil des Studiums in Dörfern abgelegener Regionen unterrichten müssen. Viele weitere staatliche Anstrengungen zur Bekämpfung der Armut werden jedoch dadurch behindert, dass der Staat selbst aufgrund des Verfalls des Ölpreises in finanziellen Schwierigkeiten steckt (GIZ 12.2020b). Die staatliche Wohlfahrtsorganisation betreibt Selbsthilfegruppen für Familien in schwierigen Situationen, die in Familienzentren organisiert sind. Einige erhalten Unterstützung bei der Arbeitssuche. Ein Projekt mit einem Mikrofinanzierungsansatz umfasst 50.000 Menschen - nicht nur Frauen, sondern auch Landbevölkerung und andere. Ziel ist es, die Armut zu verringern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf weiblichen Ernährern. Es gibt ca. drei Millionen Familien, die von Frauen geführt werden. 180.000 von ihnen werden von der staatlichen Wohlfahrtsorganisation betreut. Das Budget ist begrenzt und nicht alle Bedürftigen erhalten Hilfe. Die Leistungen gehen nicht unbedingt an die Frauen, sondern können beispielsweise die Bildung für Kinder abdecken (Landinfo 12.8.2020).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

•             GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020b): Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412 , Zugriff 30.12.2020

•             IOM – International Organization for Migration (2021): Länderinformationsblatt Iran, https: //milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/-/Iran_%2D_Country_Fact_Sheet_2021%2C_deutsch.pdf?nodeid=23268593&vernum=-2 , Zugriff 19.11.2021

•             Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 30.12.2020

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

Medizinische Versorgung

Seit der Islamischen Revolution hat sich das iranische Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert allen Bürgern das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen. Die Verwirklichung dieses Zieles obliegt dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung (ÖB Teheran 11.2021). Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität, deren Rektor die Verantwortung für das Gesundheitswesen in der betroffenen Provinz trägt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche IOM 2021). Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche Landinfo 12.8.2020). Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z.B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird (ÖB Teheran 11.2021). Neben den medizinischen Universitäten wird ein Teil der Dienstleistungen von Versicherungsunternehmen und den Provinz- und Bezirkseinheiten erbracht. Die dezentralen Einrichtungen (Gesundheitshäuser, ländliche Gesundheitszentren) bieten in den Räumlichkeiten der medizinischen Universitäten kostenlose Dienstleistungen an. An anderer Stelle bezahlt die erkrankte Person einen kleinen Betrag, um eine medizinische Behandlung zu erhalten (IOM 2021). Darüber hinaus gibt es im ganzen Land viele NGOs und Wohltätigkeitsorganisationen, die Gesundheitseinrichtungen betreiben, deren Zugang auf einer Bedarfsanalyse basiert, ohne dass auf einen vorherigen Versicherungsschutz Bezug genommen wird. Die Mahak-Gesellschaft zur Unterstützung krebskranker Kinder ist beispielsweise ein bekanntes gemeinnütziges Forschungs-, Krankenhaus- und Rehabilitationszentrum für Kinder mit Krebs. Die Patienten werden von Ärzten im ganzen Land an Mahak überwiesen. Laut einem Vertreter von Mahak wird jedes Kind, bei dem Krebs diagnostiziert wird, entweder im Mahak-Krankenhaus oder in anderen Krankenhäusern behandelt. Mahak deckt auch die Behandlung von Patienten in anderen Krankenhäusern in Iran ab. Die Behandlung ist kostenlos und die Patienten müssen nicht versichert sein, um eine Behandlung zu erhalten. Selbst Verwandte können bei der Begleitung ihrer kranken Kinder eine Finanzierung für die Unterkunft erhalten. Mahak empfängt Krebspatienten auch aus mehreren Nachbarländern (Landinfo 12.8.2020).

Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 11.2021). Der Rote Halbmond ist auch die zentrale Stelle für den Import von speziellen Medikamenten, die für Patienten in speziellen Apotheken erhältlich sind. In jedem Bezirk gibt es Ärzte, die dazu verpflichtet sind, Notfälle zu jeder Zeit aufzunehmen. In weniger dringenden Fällen sollte der Patient zunächst sein Gesundheitszentrum kontaktieren und einen Termin vereinbaren (IOM 2021).

Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Das Gesundheitswesen ist zwar fast flächendeckend - laut WHO haben 98% aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung - die Qualität schwankt jedoch (GIZ 12.2020c). Die spezialisierte, medizinische Versorgung, gerade bei Notfällen oder Unfällen, ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischen Standards. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich (AA 24.11.2021a). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede zwischen den Regionen. Folgende Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als Teheran auf: Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Khorasan sowie Sistan und Belutschistan. Es ist davon auszugehen, dass sich eine Vielzahl an Haushalten keine ausreichende Gesundheitsversorgung leisten kann. Gesundheitsdienste sind geografisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 11.2021).

Die medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, die von jeweils einem männlichen und einer weiblichen ’Behvarz’ (Gesundheitspersonal, das nach der regulären elfjährigen Schulbildung zwei Jahre praktisch und theoretisch ausgebildet wird) geleitet werden. Jedes dieser Gesundheitshäuser ist für Gesundheitsvorsorge (u.a. Impfungen, Betreuung von Schwangerschaften) zuständig, wobei die Qualität der Versorgung als zufriedenstellend beurteilt wird. In Städten übernehmen sogenannte ’Gesundheitsposten’ in den Bezirken die Aufgabe der ländlichen Gesundheitshäuser. Auf der nächsten Ebene sind die ländlichen Gesundheitszentren anzufinden, die jeweils von einem Allgemeinmediziner geleitet werden. Sie überwachen und beraten die Gesundheitshäuser, übernehmen ambulante Behandlungen und übergeben schwierigere Fälle an städtische, öffentliche Krankenhäuser, die in jeder größeren Stadt zu finden sind (ÖB Teheran 11.2021). Bis zu 90 % der Bevölkerung in ländlichen Regionen haben Zugang zu Basisgesundheitsdienstleistungen. Auch in städtischen Regionen gibt es eine Vielzahl an Gesundheitszentren (IOM 2021). Weitere staatliche Institutionen wie die Iranian National Oil Corporation, die Justiz und Revolutionsgarden betreiben ihre eigenen Krankenhäuser. Die medizinische Belegschaft in Iran umfasst insgesamt mehr als 51.000 Allgemeinärzte, 32.000 Fachärzte, 115.000 Krankenschwestern, 33.000 Hebammen und 35.000 örtliche Gesundheitshelfer (behvarz) (Landinfo 12.8.2020). Im Jahr 2020 wurden 161 Projekte zum Bau ländlicher Gesundheitszentren abgeschlossen. Somit wurde der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen verbessert. Daneben hat das Überweisungssystem bei Hausärzten dazu beigetragen, dass Servicepakete für Prävention, Pflege und Behandlung auch in ländlichen Gebieten angeboten werden (IOM 2021).

Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen noch immer out-of-pocket-Zahlungen von den versicherten Personen geleistet werden (ÖB Teheran 11.2021). Es ist jedoch anzuführen, dass der Anteil derartiger Zahlungen durch die Patienten in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen ist. Vor dem Health Transformation Plan im Jahr 2014 waren Out-of-pocketZahlungen die Hauptfinanzierungsquelle, und lagen über 50 % der Kosten. 2010 erreichten die Zahlungen einen Höchststand von 58 %, während sie bis 2016 auf 35,5 % zurückgingen. Dies ist jedoch noch weit von dem erklärten Ziel entfernt, die Out-of-pocket-Zahlungen auf unter 30 % zu senken. Dies bedeutet, dass das Zahlungssystem nach wie vor weitgehend auf Servicegebühren sowohl im öffentlichen als auch im privaten Gesundheitswesen basiert (Landinfo 12.8.2020). Die Kosten für Krankenhäuser werden unter anderem dadurch gesenkt, dass die Versorgung des Kranken mit Gütern des täglichen Bedarfs, etwa Essen, immer noch weitestgehend seiner Familie zufällt (GIZ 12.2020c). Iran verwendet interne Referenzpreise für Arzneimittel, was bedeutet, dass Arzneimittel zum Preis des Referenz-Arzneimittels erstattet werden und die Patienten die Möglichkeit haben, teurere Arzneimittel zu kaufen und die zusätzlichen Kosten zu bezahlen. Der Erstattungspreis wird von der Regierung festgelegt, während Hersteller, Händler oder Einzelhändler ihren eigenen Arzneimittelpreis festlegen können (Landinfo 12.8.2020).

Alle iranischen Staatsbürger inklusive Rückkehrende haben Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen (PHC) sowie weitere Angebote. Es gibt zwei verschiedene Arten von Krankenversicherungen, jene über den Arbeitsplatz oder eine private Versicherung. Beide gehören zur staatlichen iranischen Krankenversicherung TAMIN EJTEMAEI www.tamin.ir/ . Kinder sind zumeist durch die Krankenversicherung der Eltern abgedeckt. Um eine Versicherung zu erhalten, sind eine Kopie der iranischen Geburtsurkunde, ein Passfoto und eine komplette medizinische Untersuchung notwendig. Zusätzliche Dokumente können später gegebenenfalls angefordert werden (IOM 2021).

Allen iranischen Bürgern stehen mehrere Arten eines primären Krankenversicherungsschutzes zur Verfügung, darunter Tamin-Ejtemaei, Salamat, Khadamat-Darmani und Nirouhaye - Mosalah. Der Krankenversicherungsschutz umfasst medizinische Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten und Impfstoffen. Im Allgemeinen ist der primäre Krankenversicherungsschutz begrenzt. Für weitere medizinische Dienstleistungen kann zusätzlich eine private Krankenversicherung abgeschlossen werden (IOM 2021). Die ’Organisation für die Versicherung medizinischer Dienste’ (MSIO) wurde 1994 gegründet, um Beamte und alle Personen, die nicht von anderen Versicherungsorganisationen berücksichtigt wurden, zu versichern. Daneben kümmern sich Wohltätigkeitsorganisationen, u.a. die ’Imam Khomeini Stiftung’, um nicht versicherte Personen - etwa Mittellose oder nicht anerkannte Flüchtlinge. Registrierte afghanische Flüchtlinge können sich in der staatlichen Krankenversicherung registrieren (ÖB Teheran 11.2021).

Da es keine allgemein akzeptierte Definition für schutzbedürftige Personen gibt, ist es schwierig, diese Gruppe zu spezifizieren. Dennoch gibt es einige NGOs, die sich auf einen bestimmten Kreis Betroffener spezialisieren. Allgemein gibt es zwei Arten von Zentren, die Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen in Iran leisten, nämlich öffentliche und private. Die öffentlichen Einrichtungen sind in der Regel überlaufen und es gibt lange Wartezeiten, weshalb Personen, die über die nötigen Mittel verfügen, sich oft an kleinere, spezialisierte private Zentren wenden. Die populärste Organisation ist BEHZISTI, die Projekte zu Gender, alten Menschen, Menschen mit Behinderung (inklusive psychischer Probleme), ethnische und religiöse Minderheiten, etc. anbietet. Außerdem werden Drogensüchtige, alleinerziehende Mütter, Personen mit Einschränkungen etc. unterstützt. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem sozio-psychologische Betreuung, Beratungsgespräche, Unterkünfte, Rehabilitationsleistungen, Suchtbehandlung etc. Die Imam Khomeini Relief Foundation bietet Dienstleistungen für Frauenhaushalte, Waisen, Familien von Häftlingen usw. an, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Der Zugang zu öffentlichen Angeboten ist für alle Bürger gleich. Dennoch gibt es zusätzliche Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen, die von den Gemeinden/Organisationen abgedeckt werden (IOM 2021).

Im Zuge der aktuellen Sanktionen gegen Iran ist es zu gelegentlichen Engpässen beim Import von speziellen Medikamentengruppen gekommen (IOM 2021; vergleiche Landinfo 12.8.2020, HRC 14.5.2021). Obwohl auf dem Papier Medikamente und Lebensmittel von den Sanktionen nicht betroffen sind, ist es seit 2020 u.a. wegen fehlender Zahlungskanäle zu mehr Engpässen bei bestimmten Medikamenten wie z.B. Insulin gekommen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRC 14.5.2021). Das Gesundheitsministerium ist sehr bemüht, den Bedarf an Medikamenten zu decken. Aufgrund der mangelnden Devisen steigen aber die Preise der Medikamente, die aus dem Ausland eingeführt werden, sodass schwache Gesellschaftsschichten sich diese nicht mehr leisten können. Viele Medikamente werden in Iran selbst produziert, jedoch oftmals nicht in entsprechender Qualität (ÖB Teheran 11.2021). Im Generellen gibt es aber keine ernsten Mängel an Medizin, Fachärzten oder Equipment im öffentlichen Gesundheitssystem. Pharmazeutika werden zumeist unter Führung des Gesundheitsministeriums aus dem Ausland importiert. Zusätzlich gibt es für Bürger Privatkrankenhäuser mit Spezialleistungen in größeren Ballungsräumen. Die öffentlichen Einrichtungen bieten zwar grundsätzlich fast alle Leistungen zu sehr niedrigen Preisen an, aber aufgrund langer Wartezeiten und überfüllter Zentren, entscheiden sich einige für die kostenintensivere Behandlung bei privaten Gesundheitsträgern (IOM 2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.11.2021a): Reise- und Sicherheitshinweise Gesundheit, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransic herheit/202396#content_5 , Zugriff 24.11.2021

•             GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 30.12.2020

•             HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 26.11.2021

•             IOM – International Organization for Migration (2021): Länderinformationsblatt Iran, https: //milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/-/Iran_%2D_Country_Fact_Sheet_2021%2C_deutsch.pdf?nodeid=23268593&vernum=-2 , Zugriff 19.11.2021

•             Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): Report Iran. The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 11.1.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

Rückkehr

Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus (AA 5.2.2021). In der iranischen Gesetzgebung gibt es kein Gesetz, das die Beantragung von Asyl im Ausland strafbar macht (Cedoca 30.3.2020). In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden (AA 5.2.2021). Allerdings gibt es zum Thema Rückkehrer nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglichen Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr. Australien zahlt Rückkehrhilfe an eine bislang überschaubare Gruppe an freiwilligen Rückkehrern in Teheran in Euro aus (ÖB Teheran 11.2021).

Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und nach Iran zurückkehren. Eine Einreise ist lediglich mit einem gültigen iranischen Reisepass möglich. Die iranischen Auslandsvertretungen sind angewiesen, diesen jedem iranischen Staatsangehörigen auf Antrag auszustellen (AA 5.2.2021).

Iranische Flüchtlinge im Nordirak können offiziell nach Iran zurückkehren. Dafür werden iranische Identitätsdokumente benötigt. Wenn Personen diese Dokumente nicht besitzen, können sie diese beantragen. Für die Rückkehr nach Iran braucht man eine offizielle Erlaubnis des iranischen Staates. Die Rückkehr wird mit den Behörden von Fall zu Fall verhandelt. Iranische Rückkehrer, die nicht aktiv kurdische Oppositionsparteien, wie beispielsweise die KDPI oder Komala unterstützen, werden nicht direkt von den Behörden ins Visier genommen werden. Sie können aber durchaus zu ihrem Leben im Nordirak befragt werden. Der Fall kann aber anders aussehen, wenn Rückkehrer Waffen transportiert haben, oder politisch aktiv sind und deshalb Strafverfolgung in Iran riskieren. Die Rückkehr aus einem der Camps in Nordirak kann als Zugehörigkeit zu einer der kurdischen Oppositionsparteien gedeutet werden und deshalb problematisch sein (DIS/DRC 23.2.2018).

In Bezug auf Nachkommen von politisch aktiven Personen wird berichtet, dass es solche Rückkehrer gibt, aber keine Statistiken dazu vorhanden sind. Es ist auch durchaus üblich, dass Personen die Grenze zwischen Irak und Iran überqueren. Auch illegale Grenzübertritte sind weit verbreitet. Nachkommen von politisch aktiven Personen riskieren nicht notwendigerweise Strafverfolgung, wenn sie nach Iran zurückkehren. Ob solch ein Rückkehrer Strafverfolgung befürchten muss, würde von den Profilen der Eltern und wie bekannt diese waren, abhängen. Befragungen durch Behörden sind natürlich möglich, aber wenn sie beweisen können, dass sie nicht politisch aktiv sind und nicht in bewaffneten Aktivitäten involviert waren, wird das Risiko für Repressionen eher gering ausfallen (DIS/DRC 23.2.2018).

Iraner, die im Ausland leben und sich dort öffentlich regimekritisch äußern, können von Repressionen bedroht sein, nicht nur wenn sie nach Iran zurückkehren. 2019 und 2020 wurden zwei Exil-Oppositionelle im Ausland verschleppt und sind derzeit in Iran inhaftiert. In Belgien läuft ein Gerichtsprozess gegen einen iranischen Diplomaten, der 2018 einen Anschlag auf das Jahrestreffen der oppositionellen Volksmudschaheddin in Paris geplant haben soll (AA 5.2.2021). Wenn Kurden im Ausland politisch aktiv sind, beispielsweise durch Kritik an der politischen Freiheit in Iran in einem Blog oder anderen Online-Medien, oder wenn eine Person Informationen an die ausländische Presse weitergibt, kann das bei einer Rückreise eine gewisse Bedeutung haben. Die Schwere des Problems für solche Personen hängt aber vom Inhalt und Ausmaß der Aktivitäten im Ausland und auch vom persönlichen Aktivismus in Iran ab (DIS/DRC 23.2.2018).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind jedoch keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 5.2.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021

•             Cedoca – Documentation and Research Department of the Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien] (30.3.2020): COI Focus IRAN

Treatment of returnees by their national authorities, https://coi.easo.europa.eu/administrat ion/belgium/PLib/COI_Focus_Iran_Treatment%20of_returnees_by_their_national_autho rities_30032020_update_ENG.pdf , Zugriff 18.12.2020

•             DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-perso ns-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 29.4.2020

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)

Zurückgeführte unbegleitete Minderjährige werden vom „Amt für soziale Angelegenheiten beim iranischen Außenministerium“ betreut und in Waisenheime überführt, wenn eine vorherige Unterrichtung erfolgt (AA 5.2.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelrevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

Dokumente

Alle iranischen Staatsbürger erhalten bei der Geburtsregistrierung ein Ausweisheft (Shenasnameh). Dieses ist in zwei Versionen erhältlich: eine für Kinder bis zu 15 Jahren und eine für Personen über 15 Jahren. Das Shenasnameh wird bei Änderungen des Familienstandes und der Familienverhältnisse aktualisiert. Darüber hinaus stellen die iranischen Behörden für iranische Staatsbürger über 15 Jahren einen nationalen Personalausweis aus (Kart-e melli). Dabei handelt es sich inzwischen um eine elektronische Chipkarte, die allmählich zum wichtigsten Ausweisdokument der Iraner im täglichen Leben geworden ist. Sowohl die Shenasnameh als auch die Kart-e melli werden von der Nationalen Organisation für Zivilregistrierung (NOCR) ausgestellt (Landinfo 5.1.2021).

Gefälschte bzw. mit falschen Angaben erstellte Dokumente sind in Iran einfach erhältlich (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 5.2.2021). Auch echte Dokumente unrichtigen Inhaltes sind einfach zu beschaffen (AA 5.2.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Dies betrifft insbesondere die Shenasnameh (Stammbuch). So ist es relativ einfach, in eine echte Shenasnameh ein anderes Geburtsdatum eintragen zu lassen. Bei Kindern, die außerehelich geboren werden, wird zumeist ein beliebiger Name als Vater eingetragen, um die Kinder vor Benachteiligungen in der Schule und im Erwachsenenleben zu schützen. Frauen lassen sich nach einer Scheidung häufig eine neue Shenasnameh ausstellen, aus der die gescheiterte Ehe nicht hervorgeht (AA 5.2.2021). Die neuesten Ausgaben von Shenasnameh und Kart-e melli verfügen über fortschrittlichere Sicherheitsfunktionen als die Vorgängermodelle. Dies hat dazu beigetragen, die Authentizität der iranischen Ausweise zu verbessern. Es sind aber noch immer die alten Versionen in Gebrauch und diese sind weitaus leichter zu manipulieren (Landinfo 5.1.2021).

Sowohl die von iranischen Behörden als auch von der afghanischen Botschaft in Iran ausgestellten Dokumente bestätigen unrichtige Angaben. Eine Überprüfung ist seitens der österreichischen Botschaft nicht möglich. Die Überprüfung von Haftbefehlen kann von der Botschaft aufgrund von Datenschutz nicht durchgeführt werden (ÖB Teheran 11.2021).

Die offizielle Registrierungsbehörde nimmt alle iranischen Staatsangehörigen in ihre Datenbank auf. Auslandsvertretungen sind nicht ermächtigt, Auskünfte einzuholen. Ein formales Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren ist nicht bekannt (AA 5.2.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021

•             Landinfo [Norwegen] (5.1.2021): Iran. Passports, ID and civil status documents, https://www.ecoi.net/en/file/local/2044494/Iran-Passports-ID-and-civil-status-documnents-050 12021.pdf , Zugriff 26.11.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

2.2.2. Covid 19

Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://ww w.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7 594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Iran ist weiterhin von COVID-19 betroffen (AA 20.12.2021). Die COVID-Lage flachte nach einer dramatischen 5. Welle im August 2021 mit weltweit höchsten Fallzahlen etwas ab (ÖB Teheran 11.2021). Es kann aber immer wieder – insbesondere vor iranischen Feiertagen – vorkommen, dass kurzfristig inneriranische Reisebeschränkungen eingeführt werden. Dann wird Fahrzeugen mit Autokennzeichen aus anderen Provinzen die Einreise in die betroffenen Provinzen nicht gestattet. Fahrzeugen mit Autokennzeichen aus den betroffenen Provinzen dürfen diese nicht verlassen. Diese Beschränkungen werden in der Regel einige Tage vorher über die Medien bekannt gegeben. Aktuell gelten solche Maßnahmen für alle Provinzen der Kategorien ’orange’ (u.a. Teheran) und ’rot’. Für den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen sowie dem öffentlichen Personennahverkehr kann ein Ausweispapier verlangt werden. Zusätzlich können Kontrollen und und Messungen der Körpertemperatur an Provinz- und Stadtgrenzen durchgeführt werden. Bei Infektionsverdacht können Quarantänemaßnahmen oder die Einweisung in ein Krankenhaus angeordnet werden. Für Inlandsflugreisen kann ein negativer PCR-Test verlangt werden. Informationen erteilen die jeweiligen Fluggesellschaften. Im Alltag ist derzeit vor allem in ’gelb’, ’orange’ und ’rot’ eingestuften Regionen mit Einschränkungen bei Öffnungszeiten und Serviceangebot zu rechnen. Vollständig Geimpfte und Genesene sind von den Beschränkungen im öffentlichen Leben nicht ausgenommen (AA 20.12.2021).

Das Tragen von Gesichtsmasken an geschlossenen öffentlichen Orten ist verpflichtend. Bei Nichteinhaltung kann eine Geldstrafe verhängt werden. In Iran gelten Maßnahmen und Beschränkungen, darunter die vorübergehende Schließung nicht wesentlicher Geschäfte und religiöser Schreine und die Absage einiger öffentlicher Veranstaltungen. Jede Provinz ist in der Lage, Beschränkungen einzuführen, um auf örtlich begrenzte Infektionsspitzen zu reagieren. Dies kann eine Sperrung und Bewegungseinschränkung beinhalten. Interne Reisebeschränkungen, auch in wichtige Tourismus- und Pilgergebiete, können kurzfristig verhängt werden (GOV.uk o.D.).

Die COVID-19-Pandemie hat die Herausforderungen im Gesundheitssystem noch verschlimmert. Bis zum 1.10.2020 hatte der Gesundheitssektor nur 27 % der aus dem nationalen Entwicklungsfonds bereitgestellten 1,1 Milliarden US-Dollar erhalten. Im Gesundheitswesen Beschäftigte haben monatelang keinen Lohn erhalten, arbeiteten in Sonderschichten und mit begrenztem Schutz. Mit Stand März 2021 sind mehr als 550 Ärzte, Krankenschwestern und andere Pflegekräfte Berichten zufolge an COVID-19 verstorben (HRC 14.5.2021). DieAuswirkungen der Covid 19-Pandemie auf den Gesundheitssektor sind schwer abzuschätzen. Während der schlimmsten Pandemie-Phasen führte Iran regelmäßig die Statistiken an Infizierten und Todesfällen in der Region und teilweise weltweit an. Die tatsächlichen Zahlen dürften etwa dreimal höher gelegen haben. Berichte über Kranke, die mangels Betten aus Spitälern nach Hause geschickt wurden, häuften sich. Kosten für Medikamente auch in Spitalsbehandlung konnten sich nicht alle leisten. Wegen voller Auslastung der Krankenhäuser (am meisten in den großen Städten und Ballungsräumen) wurden Feldspitäler aufgebaut. Seitens der Behörden wurden zwar Maßnahmen erlassen, um das Gesundheitssystem zu entlasten, insbesondere Hygienemaßnahmen und Bewegungseinschränkungen, die jedoch regelmäßig missachtet werden. Ein besonderes Problem stellen religiöse Prediger und Veranstaltungen dar, bei denen viele Männer, ohne Abstand zu halten, zusammenkommen (ÖB Teheran 11.2021).

Einreisebestimmungen unterliegen häufigen Änderungen und einer uneinheitlichen Anwendung (AA 20.12.2021). Personen, die nach Iran auf dem Luftweg einreisen wollen, haben einen negativen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 aus dem Abreisestaat in englischer Sprache mit sich zu führen und vorzuweisen. Das ärztliche Zeugnis darf zum Zeitpunkt des Beginns der Reise nicht älter als 72 Stunden sein. Kann das Gesundheitszeugnis nicht vorgelegt werden, so kann ausländischen Staatsangehörigen die Einreise verwehrt werden. Nach Ankunft ist unter Umständen auf Aufforderung der iranischen Behörden am Flughafen ein weiterer PCR-Test zu machen, dessen Kosten Änderungen unterliegen und zwischen 15 und 50 Euro liegen. Zusätzlich zum Test ist der Nachweis über eine vollständige Impfung vor mindestens 15 Tagen erforderlich. Eine Regelung über die Gültigkeitsdauer des Impfschutzes ist nicht bekannt (BMeiA 20.12.2021). Reisende können bei Einreise zusätzlich zu ihrem gesundheitlichen Befinden und ihrer Reiseroute sowie Aufenthaltsorten in Iran befragt werden. Bei COVID-19-Symptomen können ärztliche Untersuchungen vorgenommen werden. Ein erneuter COVID-19-Test kann immer von den iranischen Behörden angeordnet und durchgeführt werden. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses wird für ausländische Staatsangehörige Selbstisolation in einer staatlichen Unterkunft angeordnet. Bei positivem Testergebnis erfolgt eine rigorose Kontrolle der Kontaktpersonen und gegebenenfalls ergehen weitere verpflichtende (Quarantäne-)Anweisungen der iranischen Behörden. Alle entstehenden Kosten sind von den Reisenden zu tragen. Sollte man innerhalb von zwei Wochen nach Einreise Symptome entwickeln, die auf eine Erkrankung an COVID-19 hinweisen könnten, kann ebenfalls ein erneuter Coronatest durchgeführt werden. Die Verfahren können sich kurzfristig ändern. Abweichende Handhabungen sind jederzeit möglich (AA 20.12.2021).

Die iranischen Behörden rufen weiterhin dazu auf, möglichst soziale Kontakte, Reisen und die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Es gilt eine generelle Maskenpflicht an allen öffentlichen Orten, in geschlossenen Räumlichkeiten sowie im öffentlichen Nahverkehr (AA 20.12.2021). Iran will wegen der neuen Omikron-Variante erneut strenge Corona-Einschränkungen bis hin zum Lockdown einführen.

Wegen der Wirtschaftskrise in Iran wollte die Regierung von Präsident Raisi erneute Beschränkungen eigentlich unbedingt vermeiden. Aufgrund der Bestätigung des ersten Omikron-Falls, hat die Regierung nach Meinung von Gesundheitsexperten jedoch keine andere Wahl mehr, als erneut einen Lockdown zu verhängen (Finanzen.at 20.12.2021).

Die Covid-Krise verstärkt die aufgrund der US-Sanktionen ohnehin ökonomisch schwierige Lage.

Eine Reihe von UN-Sonderberichterstattern kritisierten die Auswirkungen der Sanktionen auf die Anschaffung von Impfstoffen. Nachdem der Oberste Führer Khamenei den Import von Impfstoffen aus Großbritannien und den USA zunächst verboten hatte, und im Lichte der Probleme mit der Bezahlung von Importen aufgrund der US-Sanktionen (als ’middle in-come country’ muss Iran COVAX-Impfstoffe bezahlen) setzte man im Sinne der Doktrin der nationalen Resilienz auf eigene Impfstoff-Entwicklung. Die Massenproduktion stockte jedoch, und auch Offizielle kritisieren den Umgang mit der Pandemie. Organisierte zivilgesellschaftliche Kritik wird unterdrückt (Verhaftung von Rechtsanwälten, die Klage gegen Behörden anstrebten). Mittlerweile hat die Lieferung ausländischer Impfstoffe seit September 2021 deutlich zugenommen, sodass Ende November 2021 mehr als 70 % der Erwachsenen in Iran zumindest erstgeimpft wurden (ÖB Teheran 11.2021) und ca. 60 % doppelt geimpft sind. Auch die dritte Boosterimpfung hat bereits begonnen (Finanzen.at 20.12.2021). Die offizielle Zahl der Todesopfer im Land hat mehr als 120.000 erreicht (BBC News 18.10.2021; vergleiche WHO 2.12.2021), aber die iranischen Behörden geben zu, dass die tatsächliche Zahl viel höher liegt. Viele Iraner führen das Ausmaß der Covid-Todesfälle auf die Entscheidung des Obersten Führers zurück, den Import von in den USA und Großbritannien entwickelten Impfstoffen im vergangenen Winter zu verbieten (BBC News 18.10.2021).

Quellen:

•             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.12.2021, unverändert gültig seit 13.12.2021): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www. auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/iransicherheit/202396 , Zugriff 20.12.2021

•             BBC News (18.10.2021): Covid: Thousands of children left without parents in Iran, https: //www.bbc.com/news/world-middle-east-58886923 , Zugriff 20.12.2021

•             BMeiA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (20.12.2021, unverändert gültig seit 16.12.2021): Iran - Aktuelle Hinweise, https: //www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/ , Zugriff 20.12.2021

•             Finanzen.at (20.12.2021): Iran plant erneut Corona-Einschränkungen wegen OmikronVariante, https://www.finanzen.at/nachrichten/aktien/iran-plant-erneut-corona-einschrank ungen-wegen-omikron-variante-1031057367 , Zugriff 21.12.2021

•             GOV.uk - Governement United Kingdom [Großbritannien] (o.D.): Foreign travel advice Iran, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/iran/coronavirus , Zugriff 20.12.2021

•             HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 20.12.2021

•             ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 20.12.2021

•             WHO - World Health Organisation (2.12.2021): COVID-19 situation updates for week 47 (21–27 November 2021), https://reliefweb.int/report/iran-islamic-republic/covid-19-situatio n-updates-week-47-21-27-november-2021, Zugriff 20.12.2021

2.2.3. aktuell

In Österreich gibt es mit Stand 29.08.2022, 12:28 Uhr, 4.934.634 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 20.613 Todesfälle sowie 19.043.614 verabreichte Impfungen; im Iran wurden bislang 7.523.662 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 143.728 Todesfälle bestätigt und 153.299.262 Impfungen verabreicht wurden.

3. Beweiswürdigung:

3.1. Zum Verfahrensgang

Der oben unter Punkt römisch eins. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

3.2. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellung zur Staatsangehörigkeit und zur Volksgruppenzugehörigkeit des BF ergeben sich aus seinen in diesen Punkten glaubwürdigen Angaben sowie seinen Sprach- und Ortskenntnissen.

Der Beschwerdeführer legte im behördlichen Verfahren einen iranischen Personalausweis im Original vor (AS 201 – Kopie vom Original) und ging das BFA von dessen Echtheit aus (AS 303). Entgegen der Feststellung des BFA geht die erkennende Richterin davon aus, dass der BF mit der Vorlage seines iranischen Personalausweises im Original seine Identität nachgewiesen hat, zumal keine Zweifel an dessen Echtheit bestanden und auch keine sonstigen Hinweise ersichtlich sind, dass die darin aufgenommenen Identitätsdaten unrichtig wären.

Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen des BF im Herkunftsstaat, zu seiner dortigen Schulbildung und Erwerbstätigkeit sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ergeben sich aus den diesbezüglich unwiderlegten Angaben des BF.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand des BF ergibt sich aus den unwiderlegten Angaben des BF in der hg. Verhandlung; der BF gab an, gesund zu sein und in keiner medizinischen Behandlung zu stehen. (1. Verhandlungsschrift vom römisch 40 [VHS I] S 3). Die Arbeitsfähigkeit des BF ergibt sich aus dem Umstand, dass der BF bereits im Iran jahrelang berufstätig war, er sich selbst arbeitsfähig fühlt (2. Verhandlungsschrift vom römisch 40 [VHS römisch II, S 23) und über eine Einstellungszusage verfügt; es sind keine Hinweise ersichtlich, weshalb der BF keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können sollte.

Die illegale Einreise des BF in das österreichische Bundesgebiet und das Datum seiner Asylantragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt und den Angaben des BF.

Die festgestellte Taufe ergibt sich aus dem vorgelegten Taufschein der Pfarrgemeinde A. und H.B. römisch 40 , aus dem ersichtlich ist, dass der BF am römisch 40 getauft wurde (AS 73), der zuvor besuchte Taufvorbereitungskurs und die betreffende Feststellung resultiert aus der diesbezüglichen Bestätigung (AS 75).

Dass der Beschwerdeführer in Österreich keine Familienangehörigen oder sonstige nahen Bezugspersonen hat, ergibt sich aus seinen eigenen, in diesem Punkt glaubwürdigen Angaben.

Aus den unwiderlegten Angaben des Beschwerdeführers vor dem erkennenden Gericht geht hervor, dass er in Österreich über Freunde bzw. Bekannte verfügt. In der hg. Beschwerdeverhandlung gab der BF auch an, kein Mitglied in einem Verein zu sein (VHS römisch II, S 21). Die von ihm vorgelegte Karte eines Fitnesscenters (OZ 20) ist mangels namentlicher Zuordenbarkeit und mangels erkennbarer Gültigkeitsdauer als Nachweis für eine Vereinsmitgliedschaft nicht geeignet und würde darüber hinaus auch keinen entscheidungsrelevanten Integrationsnachweis darstellen.

Dass der BF Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung erhält, ergibt sich aus den Angaben des BF im Verfahren und dem aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem des Bundes. Auch wenn der BF über eine Einstellungszusage (Beilage zur VHS römisch eins) verfügen mag, so ist er dennoch als nicht selbsterhaltungsfähig anzusehen, zumal der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, dass der Ausübung einer Beschäftigung sowie einer etwaigen Einstellungszusage oder Arbeitsplatzzusage eines Asylwerbers, der lediglich über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und über keine Arbeitserlaubnis verfügt, keine wesentliche Bedeutung zukommt (VwGH 22.02.2011, 2010/18/0323; VwGH 29.06.2010, 2010/18/0195 mit weiteren Nachweisen).

Zu ehrenamtlicher Tätigkeit befragt gab der BF an, vor Corona in einem Altenheim im Ausmaß von 3 – 4 Monaten gearbeitet zu haben, nunmehr aber nicht mehr gebraucht zu werden (VHS römisch II, S 22). Aus den vorgelegten Bestätigungen ist ersichtlich, dass der BF im Altenheim gearbeitet hat, fallweise ehrenamtlich als Dolmetscher aushilft und Hilfstätigkeiten im Rahmen der organisierten Unterkünfte geleistet hat (OZ 16, AS 211).

Die Teilnahme an Deutschkursen (A1 und A2) konnte der BF durch Vorlage der jeweiligen Bestätigungen belegen (AS 209ff). Dass der BF für die ÖIF-Integrationsprüfung A2 am römisch 40 angemeldet ist, ist aus der vorgelegten Zahlungs-/Anmeldebestätigung ersichtlich (Beilage zur VHS römisch II). Zwar gab der BF in der hg. Beschwerdeverhandlung an, die Deutschprüfung auf dem Niveau A1 absolviert zu haben (VHS römisch II, S 21), doch mangels Nachweis dafür war die Feststellung zu den Deutschkenntnissen in der vorliegenden Form zu treffen. Die erkennende Richterin konnte sich jedoch in der mündlichen Verhandlung von den Deutschkenntnissen des BF einen Eindruck verschaffen und dass dieser in der Lage war, Deutsch auf einfache Art und Weise zu sprechen.

Da von der Verfolgung des BF wegen Paragraph 27, (1) SMG von der Staatsanwaltschaft römisch 40 (vorläufig) zurückgetreten wurde, war – in Zusammenschau mit dem aktuellen Strafregisterauszug - die Feststellung zu treffen, dass der BF strafrechtlich unbescholten ist.

3.3. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch-empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76). Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, Paragraph 45, AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: „Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (…)“.

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH, 25.03.1999, 98/20/0559).

Seitens des Höchstgerichtes wurde auch in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH, 24.06.1999, 98/20/0453; 25.11.1999, 98/20/0357).

Der VwGH hat in ständiger Judikatur erkannt, dass für die Glaubhaftmachung der Angaben des Fremden es erforderlich ist, dass er die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, 95/21/0294, 95/18/1291) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, 93/18/0289), wobei zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des „Glaubhaft-Seins“ der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zukommt (VwGH 23.01.1997, 95/20/0303,0304).

Damit ist die Pflicht des Antragstellers verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen für eine Asylgewährung spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern.

Insoweit trifft den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 11.11.1991, 91/19/0143, 13.04.1988, 86/01/0268).

Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation des Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten - z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z. B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden (VwGH v. 29.06.2000, 2000/01/0093).

Ferner ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach Paragraph 7, AsylG Anmerkung, bzw. nach dessen Nachfolgerbestimmung Paragraph 3, AsylG) bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen die Annahme sprechen vergleiche zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts (1991), 137 f, s. a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191; Rohrböck, AsylG 1997, RZ 314, 524).

Kriterien der Glaubhaftmachung finden sich exemplarisch auch in Artikel 4, Absatz 5, der StatusRL (Richtlinie 2004/83/EG), worin folgende Faktoren angeführt werden:

- dass der Antragsteller sich offensichtlich bemüht hat, seinen Antrag zu substantiieren;

- dass alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

- dass festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

- dass der Antragsteller internationalen Schutz zum frühest möglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war.

- dass die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.

3.4. Der BF wurde in der hg. Verhandlung sowohl zu seinen Gründen für seine Ausreise und die Asylantragstellung als auch zu den Inhalten des Glaubens, von dem er behauptete, sich diesem zugewandt zu haben und zu diesem konvertiert zu sein sowie zum Praktizieren dieses Glaubens und zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt.

3.4.1. Zu den Gründen für die Ausreise und Asylantragstellung des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer erklärte zur Begründung seines Asylantrages, sich bereits in seinem Heimatland für das Christentum interessiert und Hauskirchen besucht zu haben und aufgrund der Entdeckung der Hauskirche und seiner Hinwendung zum Christentum im Iran von den iranischen Behörden (SEPAH) gesucht worden zu sein.

Das Vorbringen des BF hält jedoch aus nachfolgenden Gründen einer Glaubwürdigkeitsprüfung nicht stand:

3.4.1.1. Vorerst fällt auf, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Ausreisegründen in der Erstbefragung in wesentlichen Punkten von jenen in der nachfolgenden behördlichen Einvernahme bzw. der hg. mündlichen Verhandlung abweicht. Das BVwG verkennt dabei nicht, dass sich die Erstbefragung nach Paragraph 19, Absatz eins, AsylG 2005 nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, es wäre aber dennoch zu erwarten gewesen, dass der BF ein - zumindest in den wesentlichen Punkten - gleichbleibendes Vorbringen zu seinem Ausreisegrund erstattet und es nicht, wie im vorliegenden Fall zu den nachfolgenden Ungereimtheiten kommt.

Der BF erklärte im Rahmen der Erstbefragung, sein Land verlassen zu haben, weil er zum Christentum konvertiert sei (AS 23). Dass er auch Hauskirchen besucht habe und deshalb von den iranischen Behörden (Revolutionsgarde) gesucht worden sein soll, erwähnte er hingegen nicht. Auf Befragen in der hg. Verhandlung, weshalb er in der Erstbefragung seine Hauskirchenbesuche und den daraus resultierenden Verfolgungsgrund nicht erwähnt habe, berief sich der BF auf die Aufforderung, nur den Hauptgrund zu schildern (VHS römisch II, S 5). Auch wenn diese Erklärung dem Grunde nach zutreffen mag, so erschließt sich daraus nicht, weshalb der BF gerade den unmittelbar fluchtauslösenden Vorfall, nämlich die überstürzte Flucht aus der Hauskirche und die darauffolgende Suche der Behörden nach ihm, welcher ihn in der Folge zum Verlassen des Heimatlandes bewogen haben soll, in der Erstbefragung nicht einmal ansatzweise erwähnte, handelt es sich doch dabei um konkrete, den BF persönlich betreffende Verfolgungsmomente, sondern sich dort lediglich auf die kurze Angabe hinsichtlich seiner Konversion zum Christentum beschränkte, ohne weitere Angaben zu machen oder daraus resultierende Probleme zu benennen.

Da der BF sohin keinerlei persönliche Verfolgung in der Erstbefragung schilderte, sondern dort lediglich erklärte, wegen seiner Konversion ausgereist zu sein, ist von einer markanten Divergenz in seinem Vorbringen auszugehen.

In diesem Zusammenhang sei die rezente Judikatur des VwGH, Ra 2019/20/0526 und 0527-6 vom 26.02.2020 hervorgehoben, welche zur beweiswürdigenden Gegenüberstellung von Erstbefragung und Einvernahme Folgendes festhält:

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben, da sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl ist es aber nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen vergleiche VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429, mwN).

Gemäß Paragraph 19, Absatz eins, AsylG 2005 ist es weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zwischen der Erstbefragung und späteren Angaben einzubeziehen; es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind vergleiche VwGH 12.8.2019, Ra 2019/20/0366, mwN).

Es besteht jedoch keine generelle Unzulässigkeit, auf die Steigerung im Fluchtvorbringen zwischen der Erstbefragung und den weiteren Einvernahmen abzustellen (VwGH 26.08.2020, Ra 2020/18/0132-12).

Auf die jüngste Judikatur des VwGH in einem ähnlich gelagerten Fall sei an dieser Stelle verwiesen, vertritt dieser in seinem Erkenntnis Ra 2018/20/0168-3 vom 17.05.2018 die Auffassung, dass es nicht unvertretbar ist, in den in der Erstbefragung als Fluchtgrund geäußerten allgemeinen Sicherheitsbedenken wegen des Bürgerkrieges beweiswürdigend einen anderen Fluchtgrund zu sehen, als in dem nachfolgend vorgebrachten, mit einer kurzfristigen Verschleppung einhergehenden Versuch einer Zwangsrekrutierung.

Letztgenannte Judikatur ist auch auf den vorliegenden Fall umlegbar, gab der BF anlässlich der Erstbefragung lediglich eine allgemeine Situation an. Auch über Befragen, was er im Rückkehrfall befürchte, erklärte er allgemein, die Hinrichtung zu befürchten, ohne konkrete Angaben dazu zu machen. Erst anlässlich der behördlichen Einvernahme nannte der BF konkrete Vorfälle, Probleme und Befürchtungen.

Bereits aufgrund dieser Divergenzen der Angaben des BF zwischen Erstbefragung und behördlicher Einvernahme ist nicht von der Glaubwürdigkeit der geltend gemachten Ausreisegründe des BF auszugehen.

Dem Beschwerdeführer, der über eine elfjährige Schulausbildung und über Matura im Iran, sohin über eine gute Ausbildung verfügt, sodass ihm das Gewicht seiner Angaben umso mehr bewusst gewesen sein muss, wurde eingangs der Erstbefragung ein Merkblatt über die Rechte und Pflichten ausgefolgt und dieser dahingehend belehrt, dass seine Angaben eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung des Bundesamtes sind und wurde der BF aufgefordert, wahre und vollständige Angaben zu machen und an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken und wurde ihm mitgeteilt, dass unwahre Angaben nachteilige Folgen haben können. Der BF gab ferner an, den Dolmetscher gut zu verstehen (AS 17) und verneinte die Frage nach allfälligen Beschwerden, die ihn an der Befragung hindern und gab darüber hinaus an, der Einvernahme ohne Probleme folgen zu können und erklärte, nach Rückübersetzung der Niederschrift, alles verstanden und keine Ergänzungen oder Korrekturen vorzunehmen zu haben, was er letztlich mit seiner Unterschrift bestätigte (AS 25).

Gem. Paragraph 15, AVG liefert eine gem. Paragraph 14, aufgenommene Niederschrift über den Verlauf und über den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis, wobei der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des bezeugten Beweises zulässig bleibt.

Letztlich ist festzuhalten, dass er BF in der Erstbefragung erklärte, im Iran konvertiert zu sein, aus seinen Angaben in der hg. Verhandlung jedoch hervorgeht, dass er sich erst im Jahr 2016 in Österreich im Zuge des Bibelkurses den Entschluss gefasst zu haben, Christ zu werden (VHS römisch II, S 9). Auch diese Angaben des BF sind nicht miteinander in Einklang zu bringen und sprechen nicht für ein glaubwürdiges Vorbringen.

3.4.1.2. Doch auch die übrigen Angaben des BF in Zusammenhang mit den ausreisekausalen Vorfällen sind nicht widerspruchsfrei.

Der BF gab – zum auslösenden Vorfall für seine Ausreise befragt – im Wesentlichen zusammengefasst an, im Iran eine Hauskirche besucht zu haben. Als die Behörde gekommen sei, habe der BF die Hauskirche fluchtartig verlassen und dabei seinen Rucksack zurückgelassen. Sein Bruder habe ihn bei einem Freund untergebracht. Durch ein Telefonat mit der Mutter habe er erfahren, dass ihn die Behörde (Revolutionsgarde) gesucht habe (AS 107).

Der BF war jedoch nicht in der Lage, die Details und Handlungsabläufe zu den genannten Vorfällen gleichbleibend zu schildern.

So gab der BF in der behördlichen Einvernahme zunächst an, sie [Anm.: die Teilnehmer der Hauskirche] seien informiert worden, dass die Behörde da sei, weshalb er die Hauskirche fluchtartig verlassen habe. Da er den Rucksack zurückgelassen habe, habe er kein Geld gehabt. Er habe dann seinen Bruder angerufen, dieser habe ihn abgeholt und zu seinem Freund gebracht. Der BF selbst habe in der Folge sein Handy deaktiviert, um nicht gefunden zu werden (AS 107). Den Bruder habe er mit einem von einem Passanten geliehenen Handy angerufen (AS 108), weil in der Heimkirche keine Handys benutzt werden durften und obwohl er in einer Trafik erfragt habe, wo er sich befinde, konnte der BF die Straße nicht nennen, in der ihn der Bruder letztlich abgeholt habe (AS 109).

In der Beschwerde führte er zu diesem Teil seines Vorbringens ergänzend aus, dass in der Hauskirche Mobiltelefone verboten seien, weshalb es ihm auch nicht möglich gewesen wäre, den Bruder mit dem eigenen Telefon anzurufen. Er habe deshalb einen Passanten gebeten, ihm das Handy zu leihen, um den Bruder zu verständigen, und auch die Wegbeschreibung sei nicht durch den BF selbst erfolgt (AS 383). Diese Ausführungen in der Beschwerde implizieren, dass der BF gar kein Handy bei sich hatte.

Den Ausführungen des BF in der hg. Beschwerdeverhandlung zufolge habe er in der Hauskirche sehr wohl sein Handy dabei gehabt, der Akku sei aber seit Mittag leer gewesen. Deshalb habe er nach seinem fluchtartigen Verlassen der Hauskirche den Verkäufer der Trafik um dessen Handy gebeten und die Adresse erfragt. Dann habe er seine Mutter angerufen, um ihr zu sagen, dass ihn der Bruder abholen solle (VHS römisch II, S 3).

Es erschließt sich der erkennenden Richterin aber nicht, weshalb der BF einmal betont, sein Handy nach seiner Flucht aus der Hauskirche deaktiviert zu haben, um nicht gefunden zu werden, ein anderes Mal dass es ihm nicht möglich gewesen wäre, den Bruder anzurufen, da die Mitnahme eigener Mobiltelefone zur Hauskirche verboten gewesen wäre und er deshalb kein Handy bei sich gehabt habe, wodurch sich dann aber die erforderliche Deaktivierung des Handys ad absurdum führt. Lt. Angaben des BF in der hg. Verhandlung soll dann der Akku des Handys leer gewesen sein und als er es am Abend aufladen und einschalten habe wollen, habe ihn der Bruder davor gewarnt, weil dies zu gefährlich sei (VHS römisch II, S 4). Wie aus dieser Darlegung dieses Teils der Angaben des BF ersichtlich ist, erklärte der BF zwar gleichlautend, aus der Hauskirche geflüchtet und vom Bruder abgeholt worden zu sein, doch variierten die betreffenden, nicht unwesentlichen Details.

Dass der BF die genannten Details und Handlungsabläufe (Passant/Verkäufer, Handy und dessen Ladezustand, Adresse, Anruf der Mutter bzw. des Bruders) nicht gleichbleibend angeben konnte, sondern im Vorbringen die soeben dargelegten Widersprüche auftraten, lässt jedoch den Schluss zu, dass es sich um kein tatsächlich erlebtes Ereignis handelte.

Auch erklärte der BF in der behördlichen Einvernahme, der Name des Veranstalters der Hauskirche sei römisch 40 . Gefragt nach dessen Familiennamen gab der BF jedoch an, seinen richtigen Namen nicht zu kennen (AS 107, 108).

Damit ist jedoch nicht in Einklang zu bringen, dass der BF in der hg. Verhandlung erklärte, römisch 40 sei sein Arbeitskollege und habe ihn dieser dazu gebracht, die Hauskirche zu besuchen und habe römisch 40 diese auch geleitet (VHS römisch eins, S 8), sodass es wenig plausibel ist, dass der BF den Namen der betreffenden Person nicht kannte.

Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass bei tatsächlicher Existenz der seitens des BF geschilderten Geschehnisse es dem BF ein Anliegen gewesen wäre, diese von sich aus – nachvollziehbar und gleichbleibend - darzulegen. Eine derartige Vorgangsweise entspricht auch den aus mehr als zwanzigjähriger Tätigkeit im Asylverfahren resultierenden Erfahrungswerten der erkennenden Richterin und werden gerade freie, emotionale Erzählungen unter Nennung zahlreicher Details auch als sog. „Realkennzeichen“ einer glaubwürdigen Darlegung in einschlägiger Literatur und Fortbildungsveranstaltungen zur Thematik „Glaubwürdigkeitsprüfung“, welche die erkennende Richterin besuchte, genannt.

3.4.1.3. Ebenso sind die Angaben des BF hinsichtlich seiner bereits im Iran bestandenen Hinwendung zum Christentum nicht konsistent.

Es ist – wie sich anhand nachfolgender Erwägungen zeigen wird - nicht davon auszugehen, dass der BF sich im Iran dem Christentum zugewendet hat bzw. zu diesem konvertiert ist, weswegen in weiterer Folge die behauptete Verfolgung des BF durch staatliche Stellen aufgrund seiner religiösen Gesinnung nicht glaubhaft gemacht werden konnte.

So gab der BF, der lt. seinen Angaben Mitte November römisch 40 sein Land verlassen habe, in der niederschriftlichen Einvernahme an, etwa im Mai römisch 40 durch seinen Arbeitskollegen mit dem Christentum in Kontakt gekommen zu sein und er habe etwa vier Monate nach dem ersten Kontakt, somit etwa im römisch 40 2015, begonnen, die Hauskirche zu besuchen (AS 110). In der Folge habe er die Hauskirche 8 Mal besucht.

Der BF gab in der Erstbefragung zu seinem Religionsbekenntnis auch an, Christ zu sein. In der hg. Beschwerdeverhandlung gab der BF an, zu diesem Zeitpunkt seien seine Informationen über das Christentum noch sehr gering gewesen und habe er sich erst im Jahr 2016 im Zuge des Glaubenskurses entschlossen, Christ zu werden. Der BF wurde daher auch gefragt, weshalb er bereits in der Erstbefragung zum Fluchtgrund angegeben habe, „weil ich zum Christentum konvertiert bin“ (AS 23), doch bestritt der BF diese Aussage; er habe zum Fluchtgrund befragt nur gesagt, „wegen dem Christentum und der Konversion“ (VHS römisch II, S 5) geflüchtet zu sein.

Diesen Angaben des BF vor dem erkennenden Gericht ist aber entgegenzuhalten, dass der BF, der das Protokoll der Erstbefragung nach Rückübersetzung unterschrieb und angab, alles verstanden zu haben (AS 25), weder mündlich in der Erstbefragung noch in der darauffolgenden Zeit schriftlich Fehler in der Niederschrift beanstandete. Diesbezüglich ist der BF auch entgegenzuhalten, dass gemäß Paragraph 15, AVG – soweit nicht Einwendungen erhoben wurden – eine gemäß Paragraph 14, AVG aufgenommene Niederschrift über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis liefert, wobei der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges zulässig bleibt und sind Protokollrügen bei Rückübersetzung der Niederschrift grundsätzlich im Rahmen derselben Amtshandlung vorzubringen (Paragraph 14, Absatz 3 und 4 AVG). Schließlich wurde dem BF die Niederschrift rückübersetzt und er hat die Richtigkeit der Niederschrift mit seiner Unterschrift auf jeder Seite des Protokolls bestätigt. Zweifel an der Richtigkeit des Inhalts der Niederschrift bestehen daher nicht und geht die erkennende Richterin – in Zusammenschau mit den sonstigen Ungereimtheiten - von einer Schutzbehauptung des BF aus, wenn er nunmehr diese Unstimmigkeit einem Fehler in der Erstbefragung zuschreiben will. Zudem äußerte der BF im Rahmen der Erstbefragung auch die Rückkehrbefürchtung, hingerichtet zu werden, was wiederum auf die dortige Behauptung einer Konversion im Herkunftsland schließen lässt.

Festzuhalten ist daher, dass der BF zwar in der Erstbefragung seine Konversion bereits im Herkunftsland behauptete, dies jedoch über Vorhalt in der hg. Verhandlung in weiterer Folge die betreffende Angabe bestritt.

Auch gab der BF zu seiner Religionszugehörigkeit in der Erstbefragung an, Christ zu sein (AS 15).

Dezidiert in der hg. Verhandlung zu seinem religiösen Status anlässlich seiner Einreise in Österreich gefragt, gab der BF entgegen seiner Angabe in der Erstbefragung nunmehr an, zu diesem Zeitpunkt keinen Glauben gehabt zu haben und habe er erst in Österreich begonnen, zu recherchieren und in der Erstbefragung auch lediglich ein bestehendes Interesse am Christentum angegeben.

Gerade diese genannten Divergenzen hinsichtlich seines religiösen Status, der im Zentrum seiner Antragsbegründung steht, sind jedoch geeignet, die Angaben des BF zu einem Religionswechsel erheblich in Zweifel zu ziehen, wäre er doch andernfalls in der Lage gewesen, dazu gleichbleibende Angaben zu machen, was jedoch nicht der Fall war.

Weiters gab der BF an, sein Interesse für das Christentum sei durch den Arbeitskollegen römisch 40 geweckt worden und er habe nur über das Christentum recherchiert, über andere Glaubensrichtungen habe er sich nicht informiert (AS 111f). römisch 40 sei auch der Zuständige in der Hauskirche gewesen, der über das Christentum gelehrt habe (VHS römisch eins, S 7). Der BF gab sowohl in der behördlichen Einvernahme als auch in der hg. Beschwerdeverhandlung an, zwar Moslem ab Geburt (gewesen) zu sein, doch sei er nicht gläubig gewesen und habe den islamischen Glauben nicht praktiziert. Er habe daher Gespräche über Religion gestoppt und gesagt, dass er nicht über Religion reden wolle, doch konnte er nicht plausibel erklären, wie es in der Folge zu seinem Sinneswandel gekommen sein soll. Der BF gab – wiederholt dazu befragt – an, sein Kollege römisch 40 habe ihn interessiert, dieser sei immer so ruhig und glücklich gewesen. Der BF habe dann angefangen, sich über das Christentum zu informieren, weil römisch 40 Christ gewesen sei (AS 111f).

Der BF wurde in der hg. Beschwerdeverhandlung aufgefordert zu erzählen, warum er Christ geworden sei und was ihn veranlasst habe, sich von seiner bisherigen Religion abzuwenden und dem Christentum zuzuwenden. Der BF führte dazu aus, dass römisch 40 , sein Verhalten und sein Charakter, der Grund gewesen sei, dass er bereit geworden sei, etwas über das Christentum zu erfahren, doch erst in Österreich habe er die Möglichkeit gehabt, sich eingehend mit dem Christentum zu beschäftigen. Erst in Österreich habe er die Entscheidung getroffen, Christ zu werden, im Iran sei die Hauptinformationsquelle die Hauskirche gewesen (VHS römisch II, S 6f). Festzuhalten ist daher wiederum, dass der BF jedenfalls nicht bereits im Iran konvertiert ist, sondern - allenfalls - ein Interesse dafür geweckt wurde, was nicht seinen Ausführungen in der Erstbefragung entspricht.

Dass sich der BF, der lt. seinen Angaben dem Islam formal angehörte, jedoch nicht gläubig war und dem die Konsequenzen einer Konversion bewusst gewesen sein müssen, somit ohne ausreichende Informationen über das Christentum zu haben, lediglich aufgrund des allgemeinen Verhaltens seines Arbeitskollegen und einer oberflächlichen Recherche im Internet (VHS 6: VR: Haben Sie im Iran im Internet recherchiert? BF: Natürlich habe ich das gemacht, z.B habe ich eigegeben, „Was bedeutet das Christentum?“ oder ich habe eingegeben, „Was ist das Christentum?“. Mehr konnte ich nicht recherchieren, es ist gefiltert und zweitens musste ich dafür zahlen und es kostet viel.) sich dem Risiko aussetzte, Hauskirchen zu besuchen, um Christ zu werden, ist jedoch nicht nachvollziehbar und spricht auch dies gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens.

Auch die konkrete Frage der Richterin in der hg. Verhandlung, welche Antworten er im Internet bekommen habe, beantwortete der BF lediglich ausweichend, in dem er erklärte, er habe eine Frage in Youtube angegeben und sei ein Link zu einem Jesusfilm geöffnet worden, doch habe er es sich nicht leisten können, so einen Film anzusehen (VHS römisch II, S 6).

Eine nachvollziehbare Änderung seiner religiösen Ausrichtung im Iran, die den BF dazu veranlasste, ein solches Risiko in Kauf zu nehmen, ist seinen vagen und formelhaften Angaben jedoch nicht zu entnehmen und auch im Lichte der bisherigen beweiswürdigenden Überlegungen zu verneinen.

Der BF wurde sowohl in der behördlichen Einvernahme als auch im Zuge der hg. Beschwerdeverhandlung zu seinen Besuchen von Hauskirchen befragt. Dem BF war es aber nicht möglich, den Standort der letzten Hauskirche zu nennen, ebensowenig wo die vorherigen Hauskirchentreffen stattgefunden hätten (AS 108). Dieses Unwissen spricht jedoch nicht für einen tatsächlichen Besuch von Hauskirchen, da der BF zuvor mit SMS verständigt worden sein soll, wo diese Treffen stattfänden und er sich auch nach der Arbeit dort selbständig hinbegeben haben will (AS 107). Es wäre daher anzunehmen, dass der BF in der Lage sein müsste, zumindest den letzten Treffpunkt anzugeben, was er jedoch nicht vermochte.

Auch der vom BF in der hg. Verhandlung geschilderte Ablauf einer Hauskirche ist oberflächlich und vermittelt er damit nicht den Eindruck, Hauskirchen tatsächlich besucht zu haben. So gab er dazu aufgefordert, alles anzugeben, was er zum Ablauf der Hauskirchentreffen sagen könne, lediglich an, am Anfang habe der Zuständige – dies sei römisch 40 gewesen – Notizen über Grundsätze des Christentums gehabt und habe darüber gesprochen, was diese bedeuten würden (VHS römisch eins, S 7f), ohne jedoch darzulegen, um welche Grundsätze es sich dabei gehandelt habe.

Auch auf weitere Nachfragen, was er konkret über das Christentum und dessen Bedeutung erfahren habe, tätigte der BF nur vage Aussagen ohne konkret-individuellen Aussagewert, die einen Hauskirchenbesuch des BF glaubhaft machen würden, beschränkten sich doch die Aussagen des BF auf „In dieser Hauskirche haben sie uns erzählt, was es bedeutet, Christ zu sein und was das Christentum bedeutet, der Weg, den wir uns ausgesucht haben. Er hat uns erklärt, was der Unterschied zwischen Protestanten, Katholiken und Orthodoxen ist. […] Wir haben keine Bibel gehabt. Wie ich bereits erwähnte, er hat uns unterrichtet und hat uns nur von seinen Notizen klargemacht, was das Christentum bedeutet. […] In dieser Hauskirche habe ich gehört, wer Jesus war, über sein Leben, was er gemacht hat, über seine Wunder und wie er gelebt hat und mit den Menschen gewesen ist bzw. was er denen gelehrt hat. Das war alles von seinen Notizen. […] Alles, was ich gesagt habe war ungefähr der Inhalt der Hauskirche, die ich besucht habe. Das wurde uns alles von seinen Notizen gelehrt. Mehr war nicht.“ Derartige unsubstantiierte und vage Angaben, welche ohne inhaltlichen Aussagewert – konkret auf den BF bezogen - sind, lassen nicht den Schluss zu, dass der BF tatsächlich an Hauskirchentreffen teilgenommen hat.

Letztlich gab der BF zu seinem Informationsstand über das Christentum vor dem Besuch der Hauskirchentreffen befragt an, nur gewusst zu haben, dass es eine Glaubensrichtung gebe, die Christentum heiße. Er habe auch hin und wieder christliche Filme im Fernsehen gesehen und habe er keine weiteren Informationen gehabt (VHS römisch eins, S 8).

Seinen Entschluss zum Hauskirchenbesuch habe römisch 40 begründet, der mit ihm über das Leben und Hoffnung gesprochen habe, doch habe er keinen Nerv für Gott und die Propheten gehabt, weshalb römisch 40 nicht mit ihm über Religion gesprochen habe.

Später habe er mit ihm über das Christentum gesprochen.

Nach konkreten Gesprächsinhalten, die ihn zum Besuch von Hauskirchentreffen veranlassten, gefragt, erklärte der BF vage, römisch 40 habe über das Christentum und den Charakter von Jesus und wie dieser gelebt habe, gesprochen und ihn in die Hauskirche eingeladen und habe er sich letztlich aus Neugier für die Teilnahme entschlossen. Konkrete Inhalte, von denen ihm römisch 40 erzählt habe und die den BF neugierig gemacht haben sollen, vermochte der BF jedoch nicht anzugeben, sondern verwies der BF erneut vage auf das Verhalten von römisch 40 und die Liebe und Hoffnung, die er ausgestrahlt habe (VHS römisch eins, S 9). Einen nachvollziehbaren Grund für den Entschluss, das Risiko von Hauskirchenbesuchen auf sich zu nehmen, vermochte der BF trotz wiederholtem Nachfragen in der ersten hg. Verhandlung jedoch nicht darzulegen.

In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass die erste hg. Verhandlung an dieser Stelle abgebrochen wurde, da der BF nach plötzlich auftretendem Husten erklärte, seit dem Vortag Husten und Schnupfen zu haben.

Der BF, der gefragt wurde, warum er eingangs der hg. Verhandlung erklärt hatte, gesund zu sein, gab an, er habe gedacht, mit der eingangs gestellten Frage nach seinem Gesundheitszustand sei eine andere Krankheit gemeint.

Zur Vermeidung des Risikos einer möglichen Ansteckung der Verhandlungsteilnehmer mit COVID 19 wurde die Verhandlung infolge der beschriebenen Verhaltensweise und Angaben des BF um 09: 15 Uhr abgebrochen und auf römisch 40 vertagt sowie ein COVID-Schnelltest des BF veranlasst, welcher im Ergebnis negativ war.

In der zweiten hg. Verhandlung wurde der BF erneut zu Inhalten der Hauskirchentreffen befragt und erklärte, sie seien von Notizen unterrichtet worden und verwies dazu wiederum vage auf Grundsätze, die er nicht weiter erläuterte. Ferner hätten sie gebetet und habe er erfahren, dass das ‚Vater Unser‘ ein wichtiges Gebet sei.

Aufgefordert, seine eigene Rolle bei den genannten Treffen zu beschreiben und gefragt, was er konkret gemacht habe, erklärte der BF lediglich, teilgenommen zu haben, alles sei neu für ihn gewesen und habe er zugehört, das meiste habe erst in Österreich erfahren. (VHS römisch II, S 3)

Der BF konnte somit weder den Entschluss zum Besuch einer Hauskirche nachvollziehbar begründen noch den Ablauf solcher Hauskirchentreffen oder dort vermittelte Inhalte und Aktivitäten nachvollziehbar beschreiben. Ebensowenig vermochte er nachvollziehbar vermitteln, wie er persönlich daran teilgenommen hat oder seine dortige Rolle substantiiert zu beschreiben.

Gerade von einer Person, welche sich einem neuen Glauben zugewendet hat oder sich zumindest dafür interessiert und sich damit auseinandersetzen will und welche die im Herkunftsland verbotene und daher risikobehaftete Möglichkeit wahrnimmt, an einer Hauskirche teilzunehmen, müssen solche Erlebnisse doch mit zahlreichen Emotionen verknüpft und von großer Einprägsamkeit sein. Dass der BF jedoch nicht inhaltliche Besonderheiten oder einprägsame Wahrnehmungen dazu wiedergeben kann, spricht nicht für eine tatsächliche Teilnahme an solchen Treffen und daher das Vorbringen, wonach der BF aufgrund eines Interesses am Christentum vor seiner Ausreise achtmal eine Hauskirche besucht haben will und aufgrund der Entdeckung der Hauskirche durch die iranischen Behörden das Land verlassen haben will, einmal mehr als unglaubwürdig zu qualifizieren.

Ebensowenig vermochte er, eigene inhaltliche Recherchen zur christlichen Religion im Iran darzulegen.

In Zusammenschau mit den oa. beweiswürdigenden Ausführungen, wonach der BF nicht in der Lage war, den ausreisekausalen Vorfall glaubhaft zu schildern und eine Konversion bereits im Herkunftsland vom BF selbst dementiert wurde, ist in Anbetracht der soeben dargelegten vagen Ausführungen des BF auch nicht davon auszugehen, dass der BF im Iran Hauskirchen besucht hat. Eine behördliche Verfolgung des BF aus diesen Gründen ist aufgrund der widersprüchlichen Darlegung vergleiche Punkt 3.4.1.1. und 3.4.1.2.) auszuschließen.

Verstärkt wird diese Ansicht der erkennenden Richterin auch dadurch, dass die Angaben des BF zu Gesprächen mit seinem Arbeitskollegen römisch 40 , der in ihm das Interesse am christlichen Glauben geweckt haben soll, oberflächlich waren. Es habe auch kein auslösendes Ereignis für seine Konversion gegeben, außer dass ihm römisch 40 über das Christentum erzählt habe, ohne aber inhaltlich darzulegen, was den BF am Christentum so fasziniert habe, dass er sich zum Besuch von Hauskirchentreffen entschloss.

Der BF wurde auch gefragt, warum er sich für das Christentum und nicht für eine andere Religion entschieden habe oder ohne Religion geblieben sei und verwies er in diesem Zusammenhang lediglich darauf, dass ihn das Verhalten von römisch 40 neugierig gemacht habe. Doch auch die über Nachfragen geschilderten Verhaltensweisen dieses Freundes/Arbeitskollegen (ruhig, glücklich, sprach nur Gutes und von Vergebung und hat nicht geschimpft) sind – unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage – nicht geeignet, den Konversionswunsch des BF nachvollziehbar darzulegen und glaubhaft zu machen, zumal es sich dabei um keine ausschließlich christlichen Werte bzw. Eigenschaften handelt, sondern ebenso menschliche, welche für jede Person, unabhängig von ihrer Religion, große Bedeutung haben und an welchen sich Personen jeder Glaubensrichtung orientieren können.

Das ausweichende Aussageverhalten des BF hinsichtlich seines Arbeitskollegen, der ihn zum christlichen Glauben haben und der sohin eine zentrale Rolle bei der Glaubensfindung des BF gespielt haben soll, indiziert somit, dass der BF nicht über diesen zum Christentum gefunden hat. Vielmehr lassen die oben wiedergegebenen knappen, oberflächlichen und wenig aussagekräftigen Angaben des BF im Zusammenhang mit seiner beginnenden Hinwendung zum Christentum im Iran darauf schließen, dass das behauptete Interesse des BF am christlichen Glauben nicht tatsächlich bestanden hat.

Diese Ansicht der erkennenden Richterin wird auch dadurch bestärkt, dass der BF „auch gar nicht mehr daran gedacht“ habe, mit diesem Freund und Arbeitskollegen, der eine entscheidende Rolle in seiner Glaubensfindung gespielt haben soll, in Kontakt zu treten (VHS römisch II, S 7).

Es ist jedoch wenig nachvollziehbar, dass der BF, der sich nunmehr als gläubiger Christ bezeichnet, kein Interesse am weiteren Schicksal seines Freundes, der ihm zum neuen Glauben gebracht haben soll, zeigt, und dies damit begründet, dass sein Leben in Gefahr gewesen sei und sich dieses verändert habe.

Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, ist weder glaubhaft, dass der BF von seinem Freund missioniert worden ist und er sich bereits im Herkunftsland dem Christentum zugewandt hat, noch dass er wegen Hauskirchenbesuchen behördlich verfolgt wurde. Insgesamt ist daher festzuhalten, dass dem Vorbringen des BF zu seinem Ausreisegrund aufgrund der dargelegten Erwägungen die Glaubwürdigkeit abzusprechen war.

Zu seinen Informationsquellen über das Christentum im Iran befragt, gab der BF wiederum die Hauskirche an und dass dort aus den Notizen unterrichtet worden sei; diese seien aber nicht so umfassend gewesen wie hier. Zusätzliche Recherchen über Internet seien im Iran kaum möglich (VHS römisch II, S 6). Doch welche Antworten der BF im Zuge seiner Recherchen bekommen habe, ließ der BF, wie bereits dargelegt, unbeantwortet, da sich auf seine Frage ein Link geöffnet habe und er es sich nicht habe leisten können, den Film anzuschauen (VHS römisch II, S 6).

Die Ausführungen des BF, wie sein Interesse am Christentum entstanden sei, lassen somit gravierende Zweifel an der ernsthaften beginnenden Hinwendung zu einem neuen Glauben entstehen, da von tatsächlich konvertierten Personen diesbezüglich nachvollziehbare und umfassendere Angaben, vor allem auch in persönlicher und spiritueller Hinsicht erwartet werden können, was bei den Antworten des Beschwerdeführers, welche auch nicht von sich aus, sondern über wiederholtes Nachfragen erfolgten und sich auf wenige oberflächliche und inhaltsleere Angaben beschränkten, nicht der Fall war.

Insgesamt vermittelte der BF mit den von ihm geltend gemachten Ausreisegründen den Eindruck, dass er sich eines konstruierten Vorbringens zum Zwecke der Asylerlangung bediente. Er war nicht in der Lage, zwangsläufig wahrgenommene Details oder Handlungsabläufe gleichbleibend zu schildern, aus denen Rückschlüsse auf tatsächlich erlebte Vorfälle möglich wären.

3.4.1.4. Abgesehen von den bisherigen Erwägungen wird seitens des erkennenden Gerichtes auch darauf hingewiesen, dass es gegen die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers spricht, dass dieser vor seiner Weiterreise nach Österreich zwangsläufig andere Länder durchreist hat, ohne jedoch – seinen Angaben zufolge – dort einen Asylantrag zu stellen (AS 23, 106), wobei festzuhalten ist, dass ein EURODAC-Treffer vom 17.11.2015 zu Griechenland vorlag.

Auch diese Vorgehensweise der BF spricht nicht für die Existenz einer tatsächlichen Verfolgung der BF und einer daraus resultierenden Flucht aus ihrem Herkunftsstaat.

In diesem Zusammenhang ist auf die Richtlinie 2011/95/EU des Rates vom 13.12.2011 (in Kraft seit 9. Jänner 2012, Umsetzung bis 21. Dezember 2013) über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sog. Statusrichtlinie) zu verweisen, welche in ihrem Artikel 4, Absatz 5, Litera d, vorsieht, dass dann, wenn für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise fehlen, diese Aussagen keines Nachweises bedürfen, wenn der Antragsteller internationalen Schutz zum frühest möglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war. Wendet man diese sekundärrechtliche Norm im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung auf das gegenständliche Verfahren an, so ergibt sich um Umkehrschluss, dass gegenständlich jedenfalls - glaubwürdige - Beweise erforderlich gewesen wären.

Der BF musste auf seiner Reise nach Österreich auch durch andere als sicher geltende Staaten (der BF erklärte, ua durch Griechenland und Slowenien gereist zu sein) reisen und wäre es ihm möglich und zumutbar gewesen, schon dort um Schutz anzusuchen bzw. ein Asylverfahren dort abzuwarten oder zumindest begründet darzulegen, warum ihm das nicht möglich gewesen sein soll. Auch aus diesem Vorgehen des BF kann geschlossen werden, dass er andere Motive als jene der Schutzsuche hat.

Die generelle persönliche Glaubwürdigkeit des BF ist daher im Verfahren auch aus diesem Grund zu verneinen.

Insgesamt ist festzuhalten, dass dem Vorbringen der BF zu seinem Ausreisegrund aufgrund der dargelegten Erwägungen insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen war.

3.4.2. Zur Konversion des Beschwerdeführers

Untrennbar in Zusammenhang mit den seitens des BF geltend gemachten Gründen für seine Ausreise, nämlich seiner Verfolgung wegen seiner bereits im Iran bestehenden Hinwendung zum Christentum, steht die seitens des BF angegebene Konversion und das Praktizieren des christlichen Glaubens sowohl im Iran als auch in Österreich. Bereits aufgrund der Tatsache der Untrennbarkeit des ausreisekausalen Vorbringens und jenem der Konversion und der Glaubenspraxis in Österreich stellt schon die festgestellte Unglaubwürdigkeit der Ausreisegründe ein starkes Indiz für die Unglaubwürdigkeit der behaupteten Konversion und Glaubenspraxis dar und lässt umgekehrt die aus nachfolgenden Gründen festgestellte Scheinkonversion einmal mehr klare Rückschlüsse auf die Unglaubwürdigkeit der ausreisekausalen Angaben des BF zu.

Die nachfolgende Beweiswürdigung lässt somit einmal mehr klare Rückschlüsse darauf zu, dass auch im Iran kein solches nachhaltiges Interesse des BF am christlichen Glauben bestanden und letztendlich seine Ausreise erfordert hat und untermauert erneut die Ansicht der erkennenden Richterin, wonach die geltend gemachten Ausreisegründe des BF als unglaubwürdig zu qualifizieren sind.

Doch auch die Prüfung der Ernsthaftigkeit der behaupteten Konversion per se lässt - unabhängig von der bisherigen Beweiswürdigung - aufgrund nachfolgender Überlegungen keinen anderen Schluss zu, als von der Unglaubwürdigkeit der diesbezüglichen Angaben des BF und in weiterer Konsequenz von einer Scheinkonversion auszugehen.

Vorweg wird aber in diesem Zusammenhang von der erkennenden Richterin ausdrücklich festgehalten, dass weder die Taufe des BF in der evangelischen römisch 40 noch seine Mitgliedschaft zur Evangelischen Kirche in Zweifel gezogen werden. Die nachfolgend dargelegten Überlegungen hinsichtlich einer Scheinkonversion des BF beziehen sich ausschließlich auf die Glaubensüberzeugung bzw. Glaubensbetätigung des BF – unabhängig davon, dass der BF nunmehr durch seine Taufe als Christ anzusehen ist vergleiche dazu VfGH 21.09.2020, E 2618/2020-10).

Es ist an dieser Stelle erneut darauf hinzuweisen, dass der BF – wie in den beweiswürdigenden Ausführungen zum Ausreisegrund bereits erwähnt – nicht in der Lage war, seine Motive für seinen Glaubenswechsel trotz mehrmaligem Nachfragen in der hg. Verhandlung nachvollziehbar darzulegen und persönliche oder religiöse Beweggründe für sein Interesse am und seine Beschäftigung mit dem Christentum zu nennen. Auch kam trotz umfassender Befragung in der hg. Verhandlung nicht hervor, was den BF konkret vom Christentum überzeugt hat und ihn an der Religion, deren Glaubenssätzen und -inhalten dermaßen begeistert, dass er diesem weiterhin angehören will.

3.4.2.1. Bereits die Tatsache, dass der BF nicht näher erklären konnte, aus welchen Gründen er sich als nicht religiöser Mensch sich nunmehr einer Religion, nämlich dem Christentum zugewandt hat, lässt gravierende Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Konversion aufkommen.

Zunächst ist darauf zu verweisen, dass der BF bereits in der Erstbefragung angegeben hat, Christ zu sein, diese Aussage jedoch in der Folge relativierte vergleiche Punkt 3.4.1.3.). Der BF bestätigte auch, dass es - außer dass ihm römisch 40 über das Christentum erzählt habe - kein auslösendes Ereignis für die Konversion gegeben habe, weshalb der BF in der hg. Verhandlung aufgefordert wurde, eine ungefähre zeitliche Einordnung hinsichtlich des Entschlusses, Christ zu werden, zu treffen. Dazu führte der BF aus, er habe diese Entscheidung in Österreich getroffen. Da sei ihm das Verhalten der Gläubigen aufgefallen und wie sie ihn als Fremden behandelt hätten. Dann habe er sich intensiv mit dem Christentum beschäftigt und habe ab Juni römisch 40 einen Bibelkurs besucht. Der Entschluss sei mit der Zeit gekommen, als er gemerkt habe, dass er lebe, wie es Jesus gelehrt habe; er habe begonnen, den Menschen zu vertrauen und habe gelernt, zu vergeben (VHS römisch II, S 9). Aber auch diesen allgemein gehaltenen Aussagen ist weder ein auslösendes Ereignis noch eine konkrete Aussage zu entnehmen, welche den Entschluss des BF, Christ zu werden, nachvollziehbar und glaubhaft machen würde. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Entscheidung des VwGH vom 09.06.2022, Ra 2021/18/0399, zu verweisen, wonach ein maßgebliches Indiz für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionsweise beispielsweise eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel ist. Mit diesen vom BF angegebenen Gründen ist es ihm jedoch nicht gelungen, eine schlüssige Motivation bzw. ein auslösendes Moment für seinen Glaubenswechsel darzulegen bzw. glaubhaft zu machen.

Auch lässt sich seine Aussage, er habe aufgrund des Verhaltens der Gläubigen zum Christentum gefunden, nicht mit seiner folgenden Aussage in Einklang bringen, wonach er in der Unterkunft von anderen erfahren habe, welche Kirche sie besuchen würden und dass er mit ihnen mitgegangen sei; aus dieser Aussage ist zu schließen, dass er zu diesem Zeitpunkt (Beginn des Kirchenbesuches) eben noch keinen Kontakt mit Gläubigen in Österreich hatte.

Der BF erklärte, er habe im Jahr römisch 40 begonnen, eine Kirche zu besuchen und im Juni römisch 40 mit dem Beginn eines Glaubenskurses begonnen, der bis römisch 40 gedauert und alle zwei Wochen stattgefunden habe. Die Dauer des Tauf- bzw. Glaubenskurses von Juni römisch 40 – Juni römisch 40 entspricht auch der vorgelegten schriftlichen Bestätigung (AS 75).

Der erste Kirchenbesuch sei ca. zwei Monate vor dem genannten Kurs erfolgt – zurückgerechnet sohin im April römisch 40 .

Der BF, der nach Recherchen und Beschäftigungen mit dem christlichen Glauben, nach seiner Einreise in Österreich gefragt worden war, macht keine darüber hinausgehenden Angaben.

Vorerst fällt dazu auf, dass der BF trotz erfolgter Asylantragstellung im Dezember römisch 40 lt. seinen Angaben erst im April römisch 40 erstmals eine Kirche aufsuchte und zwei Monate danach einen Glaubenskurs begann. Recherchen hinsichtlich des christlichen Glaubens im Zeitraum zwischen der Einreise im Dezember römisch 40 und dem angegebenen ersten Kirchenbesuch im April römisch 40 gab er nicht an, was nicht für ein nachvollziehbares Interesse des BF am christlichen Glauben spricht. Insbesonders ist in diesem Zusammenhang auch festzuhalten, dass der BF gerade wegen des christlichen Glaubens den Iran verlassen haben will, doch ist im Lichte dieser Vorgehensweise des BF einmal mehr von der Unglaubwürdigkeit der Angaben des BF auszugehen, hätte er doch andernfalls bereits früher eigene persönliche Recherchen in Österreich aufgenommen oder Kontakt zu einer Glaubensgemeinschaft hergestellt.

Der BF gab auch nicht an, von sich aus aktiv geworden zu sein und aus eigenem eine Kirche aufgesucht zu haben, sondern erklärte, die Kontaktaufnahme sei über Mitbewohner erfolgt.

Der BF erklärte zu den in deutscher Sprache abgehaltenen Gottesdiensten auch, das Ritual Abendmahl und lediglich teilweise das ‚Vater Unser Gebet‘, sonst jedoch nicht viel verstanden zu haben.

Den Entschluss zum Kursbesuch erklärte der BF damit, nicht viel Wissen gehabt zu haben und habe er es besser verstehen wollen, falls sein Interesse mehr werde. Er habe dann erfahren, dass man sich taufen lassen könne und habe er während des Kurses den Taufentschluss gefasst.

Auch fällt auf, dass der BF über den genannten Kirchenbesuch, von dem er aufgrund der Sprachbarriere nicht viel verstanden haben will und den Besuch eines Glaubenskurses keine hinausgehenden, zusätzlichen eigenständigen Aktivitäten und Recherchen hinsichtlich des christlichen Glaubens in Österreich nannte.

Weder gab er in der hg. Verhandlung an, sich eine Bibel in seiner Muttersprache besorgt und darin gelesen zu haben, noch erklärte er, andere theologische Texte gelesen, im Internet recherchiert oder den Kontakt zu Gläubigen und den Austausch mit diesen gesucht zu haben. Ebensowenig gab er an, sich an einen Kirchenvertreter gewandt zu haben, was einmal mehr wenig Interesse am christlichen Glauben indiziert, da dem BF im Gegensatz zum Iran in Österreich, einem Land, in dem Glaubensfreiheit herrscht, viele Möglichkeiten offen gestanden wären, Zugang zu christlichen Glaubensinhalten und Kontakt zu kirchlichen Organisationen herzustellen, was er jedoch in den ersten vier Monaten seiner Anwesenheit in Österreich gänzlich unterlassen hat und auch zusätzlich zum Taufkurs und zum Kirchenbesuch keine darüber hinausgehenden eigenständigen Aktivitäten, um mehr über das Christentum zu erfahren, unternahm.

Lediglich ergänzend ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass der BF lt. dem im Akt einliegenden Auszug aus dem Zentralen Melderegister in den ersten sechs Monaten seines Aufenthaltes ( römisch 40 ) in Österreich an der Adresse römisch 40 lebte und sich an der Adresse römisch 40 die römisch-katholische Pfarrkirche befindet. Dass der BF, der unmittelbar neben einer Kirche wohnte und lt. eigenen Angaben kaum Kenntnisse zum Christentum und sohin ebensowenig zu einem bestimmten Glaubenszweig (und sich auch erst anlässlich seines ersten Kirchenbesuches für die von ihm besuchte evangelische Kirche entschied – VHS römisch II, S 10), jedoch umgekehrt großes Interesse am Christentum gehabt haben will, hätte sohin einfach und auf kurzem Weg, nach seiner Einreise im Dezember römisch 40 in Kontakt zu einer christlichen Kirche treten können, was lt. seinen Angaben aber erst vier Monate später, im April römisch 40 geschehen ist und nicht für ein tatsächliches Interesse am Christentum spricht. Auch indiziert die soeben geschilderte passive Verhaltensweise des BF einmal mehr, dass er den Iran nicht wegen seiner religiösen Einstellung bzw. einem Interesse am christlichen Glauben verlassen hat.

Auch die soeben dargelegte Vorgehensweise des BF nach seiner Einreise in Österreich lässt sohin einmal mehr kein ernsthaftes Interesse am christlichen Glauben erkennen.

Bei Betrachtung der Angaben des BF im Laufe des Verfahrens sind persönliche, spirituelle oder religiöse Motive für seine Hinwendung zum Christentum bereits im Iran ebenso wenig erkennbar wie eine längere Phase des ernsthaften Nachdenkens, Überlegens und Recherchierens hinsichtlich des christlichen Glaubens oder eine umfassende inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem. Hätte sich der BF tatsächlich nach intensiver, persönlicher Beschäftigung mit Glaubensinhalten entschlossen, sich vom Islam abzuwenden und dem Christentum anzuschließen, wäre es ihm wohl möglich gewesen, seine Beweggründe und ausschlaggebende Faktoren bzw. Themenbereiche und den Prozess seiner Glaubensfindung konkret, umfassend und mit persönlicher Überzeugung darzulegen. Gerade weil der BF jedoch nicht schlüssig angeben konnte, warum er den Islam, dem er den Großteil seines Lebens, wenn auch nur formal, angehörte, nunmehr ablehne und von einem ungläubigen Menschen (AS 111) nunmehr zu einem gläubigen Christen wurde und das Christentum als für ihn identitätsprägend erachte, wird die erkennende Richterin in ihrer Ansicht, wonach der BF den Abfall vom Islam und die Hinwendung zum Christentum lediglich im Zusammenhang mit seinem Asylverfahren behauptet, bestätigt.

3.4.2.2. Der Beschwerdeführer erklärte, in Österreich einen Taufvorbereitungskurs besucht zu haben und getauft worden zu sein.

Wie sich aus den vorgelegten Bestätigungen und den Angaben des Beschwerdeführers ergibt, gehört der BF nunmehr der evangelischen römisch 40 und somit einer protestantischen Glaubensrichtung, an.

Wie der BF ferner hg. schilderte, sei er über Mitbewohner in Kontakt zu seiner Kirche gekommen, der Gottesdienst sei in Deutsch gewesen und er habe nicht viel davon verstanden. Dennoch habe er sich für den Taufkursbesuch entschlossen, falls sein Interesse mehr werde, und er habe dann erfahren, dass man sich taufen lassen könne. Für diese Kirche habe er sich entschieden, weil es die erste Kirche gewesen sei, die er besucht habe. Er habe sich dort wohl gefühlt und die Menschen seien sehr nett gewesen. Auf die Frage, welchem Glaubenszweig diese Kirche angehöre, gab der BF „Evangelisch H.B…..A.B.“ an, dass dies aber sehr kleingeschrieben sei, er habe dies auf seinem Taufschein nachgelesen (VHS römisch II, S 10).

Dieser Beschreibung des BF über die Auswahl seiner Kirche bzw. Glaubensrichtung kann keinerlei persönliche Motivation, sich dem protestantischen Glaubenszweig anzuschließen, entnommen werden. Insbesondere vermittelte der BF nicht den Eindruck, als hätte er sich vor seiner Entscheidung näher mit den verschiedenen christlichen Glaubensrichtungen auseinandergesetzt und sich auf Basis der gesammelten Information, reiflicher Überlegung und persönlicher Überzeugung für die Hinwendung zu diesem Glaubenszweig und der konkreten Kirchengemeinde entschieden. Vielmehr ist eine gewisse Distanziertheit in den Angaben des BF ersichtlich und scheint es, als wäre es dem BF lediglich ein Anliegen gewesen, einer christlichen Kirchgemeinde anzugehören, um damit sein Vorbringen im Asylverfahren zu untermauern, anstatt die aufgrund der Glaubensfreiheit bestehende Möglichkeit, sich seine Glaubensrichtung selbst auszuwählen, zu nutzen. Persönliche bzw. religiöse Beweggründe konnten darin nicht erkannt werden. Auch die Tatsache, dass dem BF offensichtlich die Bedeutung „evangelisch H.B. und A.B.“ kein Begriff war, er dies auf dem Taufschein nachgelesen habe, dies aber sehr klein geschrieben sei, und er über seinen selbst ausgewählten Glaubenszweig keine weiterführenden Angaben tätigte, spricht nicht für eine ernsthafte Haltung des BF hinsichtlich der Organisation als Taufspender und einmal mehr gegen eine glaubwürdige Konversion zum christlichen Glauben.

Der BF war bereits zum Zeitpunkt der niederschriftlichen Einvernahme getauft. Auffallend ist, dass der BF im Rahmen der Einvernahme zunächst ausführte, dass es – Jesus zufolge – nicht erforderlich sei, eine Taufe zu haben, um Christ zu sein. Dennoch habe er sich taufen lassen, weil dies so vorgegeben sei, er habe dies nicht unbedingt gewollt (AS 114) und habe er eine Taufe nie persönlich angeregt (AS 115). Zwar relativierte der BF in der Beschwerde diese Aussage dahingehend, dass er wegen der kurzfristig anberaumten Einvernahme nervös gewesen sei und dass lediglich der konkrete Tauftermin von anderer Seite vorgeschlagen worden sei, die Entscheidung zur Konversion und zur Annahme des Christentums sei natürlich von ihm selbst gekommen (AS 385). Auch in der hg. Beschwerdeverhandlung verwies er darauf, dass viele Glaubensfragen in der behördlichen Einvernahme falsch protokolliert worden seien, weil er sich wegen der Kurzfristigkeit des Termins nicht darauf habe vorbereiten können (VHS römisch eins, S 5), doch handelt es sich dabei nach Ansicht der erkennenden Richterin um Schutzbehauptungen des BF.

Der BF gab dazu an, im behördlichen Verfahren sei es zu falschen Protokollierungen in Zusammenhang mit Glaubensfragen gekommen. Über Nachfragen in der hg. Verhandlung nahm er diese Aussage jedoch zurück und erklärte, es sei sein Fehler gewesen, und habe er falsche Angaben gemacht und sei das Protokoll richtig. Er habe falsche Angaben in Zusammenhang mit Glaubensfragen gemacht und sei er damals ganz am Anfang gewesen und habe nicht alles über Glaubensfragen gewusst und sich nicht auf die Befragung vorbereiten können. Nunmehr sei sein Wissen besser (VHS römisch eins, S 5).

Der BF wurde in der hg. Verhandlung nach seinen persönlichen Beweggründen für die Taufe gefragt. Der BF verwies dazu lediglich auf eine vorherige Angabe in der hg. Verhandlung.

So habe er sich während des Kurses für die Taufe entschlossen, weil Jesus gesagt habe, wer sein Jünger werden wolle solle sich taufen lassen, dies sei die wichtigste Motivation gewesen (VHS römisch II, S 10f). Mit diesen Ausführungen gab der BF jedoch keinen nachvollziehbaren Grund an, weshalb er für sich persönlich den Entschluss gefasst habe, ein Jünger Jesu zu werden und sich taufen zu lassen, und welche individuellen Überlegungen diesem Entschluss vorangegangen sind. Dass die Entscheidung, sich taufen zu lassen, auf einer inneren religiösen Überzeugung und einem dementsprechenden persönlichen, spirituellen Wunsch des BF beruht oder diesem Entschluss ein bestimmter Prozess oder spirituelle Gedanken vorausgegangen sind, ist in diesen wenigen Angaben nicht erkennbar.

Der BF wurde ersucht, seine konkrete Teilnahme am Taufvorbereitungskurs, der sich über ein Jahr erstreckte und alle zwei Wochen erfolgte, konkret zu beschreiben, und führte der BF dazu wie folgt aus: „Wir bekamen Notizen, davon wurde unterrichtet. Das waren die Themen. Uns wurden die Notizen vorgelesen und die Teilnehmer konnten Fragen stellen und miteinander diskutieren. So war der Ablauf des Kurses“ (VHS römisch II, S 11). Da dieser allgemeinen Antwort kein objektiv-fassbarer Aussagewert zur persönlichen Teilnahme des BF zu entnehmen ist, wurde der BF nach Hinweis auf die Allgemeinheit seiner Angaben ersucht, seine konkrete Rolle in diesem Kurs darzulegen und gab der BF dazu an: „Ich habe auch teilgenommen. Ich habe die Notizen gelesen und mitdiskutiert. Ich habe etwas über die Sünde gefragt, wir haben darüber diskutiert. Alles was ich nicht verstand, habe ich nachgefragt.“ (VHS römisch II, S 11). Aber auch dieser Aussage sind keine Inhalte des betreffenden Kurses, keine konkreten Fragen, Sichtweisen des BF oder Diskussionen oder besonders einprägsame persönliche Erfahrungen des BF zu entnehmen. Nach konkreten Beispielen gefragt, verwies der BF auf ein Gleichnis, das ihn berührt habe und welches er kurz schilderte. Er habe eine Frage dazu gestellt und die Antwort erhalten, dass Gott entscheide, was jeder im Leben bekomme. Weitere Angaben machte er nicht.

Aus der Nennung des Gleichnisses ist jedoch nicht abzuleiten, wie der BF persönlich am Kurs teilgenommen hat, welche Fragen sich ihm stellten oder was ihm an persönlichen Gesprächen und Eindrücken in Erinnerung ist bzw. wie sich seine Kursteilnahme konkret gestaltete.

Im Lichte der Tatsache, dass gerade der Taufvorbereitungskurs als erste Möglichkeit, sich umfassend in einem Land, in dem Glaubensfreiheit herrscht, über die betreffende Religion bei einer Person mit theologischem Wissen zu informieren, Fragen zu stellen und eigene spirituelle Ansichten mit Gleichgesinnten zu diskutieren und sich auch mit anderen Kursteilnehmern frei auszutauschen, überzeugen die wenigen Angaben des BF, der am einjährigen Kurs teilgenommen hat, weder von einer interessierten Kursteilnahme noch von einer ernsthaften Vorbereitung auf die Taufe.

Über Nachfragen der Richterin gab der BF an, nach der Taufe auch an einem anderen Glaubenskurs, welcher jedoch nur ein paarmal stattgefunden habe, teilgenommen zu haben.

Da der BF lt. Stellungnahme der Pfarrerin (Beilage zur VHS römisch eins) auch an Glaubensgesprächen teilgenommen hat, wurde der BF auch dazu gefragt. Auffallend ist, dass der BF zunächst dazu vermeinte, dieser Kurs habe nur ein paar Mal stattgefunden und habe wieder aufgehört, doch sollen diese Gespräche der Bestätigung zufolge von Jänner – Juni römisch 40 , somit immerhin ein halbes Jahr lang, stattgefunden haben. Zum betreffenden Inhalt befragt und aufgefordert, alles anzugeben, was ihm dazu in Erinnerung geblieben sei, gab der BF wie folgt an: „Es war wie ein Taufkurs. Der Großteil wurde von den Gleichnissen aus der Bibel gesprochen“ (BF schweigt) (VHS römisch II, S 11). Weitere Angaben machte der BF dazu nicht.

Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es unterschiedliche Erzählstile, darunter auch sehr knappe, gibt, lässt diese oberflächliche Antwort des BF wiederum nicht auf eine interessierte Teilnahme an diesen Glaubensgesprächen schließen. Es ist jedoch von einer Person, welche sich tatsächlich für einen neuen Glauben interessiert, zu erwarten, dass diese umfassendere Angaben, etwa über Bibelstellen, welche sie besonders beeindruckt oder beschäftigt haben, über diskutierte Fragen und Ansichten im Kurs bzw. in den besuchten Glaubensgesprächen sowie über grundsätzliche, einprägsame Kursinhalte macht, was jedoch nicht geschehen ist, was einmal mehr wenig bzw. nicht vorhandenes Interesse des BF für den christlichen Glauben indiziert.

Über Aufforderung, seine Taufe bzw. persönliche Erinnerungen dazu zu beschreiben, gab der BF an, am Pfingstmontag getauft worden zu sein; er habe einen Taufpaten gehabt, habe einen Bibelvers ausgesucht und sich für einen Taufnamen entschieden. Es sei eine Bibelstelle auf Farsi gelesen worden, die Täuflinge hätten ihren Glauben bestätigt und es sei dann Wasser über ihren Kopf gegossen worden. Danach sei für die Täuflinge gebetet worden, er habe dann seinen Taufschein und eine Kerze bekommen, danach habe es ein Festmahl gegeben. Während der Taufe habe er gewusst, dass Gott bei ihm sei (VHS römisch II, S 12).

Der BF machte in der hg. Verhandlung eigenständige und umfassende Angaben zu seiner Taufe.

Doch im Zusammenhang mit dem Taufnamen fällt auch auf, dass sich der BF zum Zeitpunkt der Taufe zwar für den Namen römisch 40 entschieden hat, doch selbst erklärte, zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst zu haben, wer dies gewesen ist; er habe dies erst später recherchiert. Zwar ist der Erhalt eines christlichen Taufnamens keine zwingende Voraussetzung für eine ernsthafte Konversion, doch spricht das mangelnde Interesse an der Person des selbst gewählten Namenspatrons zum Zeitpunkt der Taufe nicht für eine ernsthafte Auswahl des Namens. Dem BF waren in der hg. Verhandlung hingegen auch Angaben zu seinem Namenspatron möglich.

Ferner ist in den Angaben des BF in der behördlichen Einvernahme nicht erkennbar, dass diesem der Terminus ‚Taufspruch‘ ein Begriff war und stellte er auf die betreffende Frage die Gegenfrage, was damit gemeint sei. Über Fragewiederholung machte der BF zusammenhanglose Angaben und erklärte, es sei ihm erklärt worden, dass er gesäubert worden sei und er sündenfrei sei und hätten sie ihm gesagt, dass er an Jesus glaube (AS 117).

Auch gab der BF bei der Behörde an, die Taufe sei ihm vorgegeben worden und habe er dies nicht unbedingt gewollt. Als er den Bibelkurs besucht habe, hätten ihnen die Pfarrer gesagt, dass sie an einem bestimmten Tag getauft werden und sei er dann getauft worden (AS 114, 115).

Wenig nachvollziehbar ist auch, dass der BF angab, bereits beim ersten Kirchenbesuch am Abendmahl teilgenommen zu haben, in seiner Kirche müsse man dafür nicht getauft sein (VHS römisch II, S 13). Auf weitere Nachfrage der erkennenden Richterin und Verweis auf die Homepage der Pfarre, wonach Getaufte zum Abendmahl eingeladen seien, gab der BF an, dass er schon glaube, gleich von Anfang an das Abendmahl empfangen zu haben, er sei sich jetzt aber ehrlich gesagt nicht mehr sicher und dies sei schon mehrere Jahre her, sodass er nicht mehr sagen könne, ob er am Abendmahl bereits vor seiner Taufe teilgenommen habe (VHS römisch II, S 14).

Doch angesichts der Tatsache, dass es sich gerade beim Abendmahl um eines von zwei Sakramenten im Glaubenszweig des BF handelt, spricht seine diesbezügliche Unkenntnis zum erstmaligen Empfang der Kommunion nicht für einen ernsthaften Empfang dieses Sakramentes oder einen ernsthaften diesbezüglichen Bedeutungsgehalt für ihn und einmal mehr gegen eine ernsthafte Konversion des BF.

Auch ergab die Stellungnahme der Pfarrerin vom römisch 40 (OZ 28), dass für den Empfang des Abendmahls theoretisch die Taufe Voraussetzung sei, wenn sie auch einräumte, dass die Praxis oft eine andere sei, zumal weder bei Geflüchteten noch bei anderen Menschen immer bekannt sei, ob sie schon getauft sind. Dieser Bestätigung ist jedoch auch zu entnehmen, dass bereits sehr früh im Taufkurs besprochen wird, worum es beim Abendmahl geht; schon aus diesem Grund hätte dem BF bewusst sein müssen, ob er bereits gleich von Anfang an – somit vor der Taufe – das Abendmahl empfangen habe oder erst danach bzw. müsste der BF Ausführungen zum Zusammenhang zwischen Taufe und Teilnahme am Abendmahl machen können, was jedoch nicht geschehen ist.

Hervorzuheben ist an dieser Stelle auch die einschlägige höchstgerichtliche Judikatur, der zufolge es für die Beurteilung der Frage, ob eine Konversion vorliegt, nicht auf den Formalakt der Taufe, welcher im gegebenen Fall zweifelsohne vorliegt, sondern auf die religiöse Einstellung des Asylwerbers ankommt vergleiche ua VwGH vom 21.12.2006, 2005/20/0624).

3.4.2.3. Die BF wurde im Zuge der hg. Beschwerdeverhandlung auch zu christlichen Feiertagen und zum Praktizieren seines Glaubens sowie zum Wissen über seine neue Religion befragt.

In diesem Zusammenhang ist zunächst auf den Umstand zu verweisen, dass der BF zum Zeitpunkt der niederschriftlichen Einvernahme bereits den Taufkurs absolviert hatte und getauft war, weshalb ihm bereits im Zuge der Einvernahme Fragen über seinen neuen Glauben gestellt wurden und war der BF teilweise zu Antworten in der Lage.

Der BF wurde in der behördlichen Einvernahme auch aufgefordert, alles anzugeben, was er über das Leben und Wirken Jesu wisse und wurde auch diesbezüglich nachgefragt. Sein Wissen zu Jesus beschränkte sich jedoch lediglich darauf, dass er Gottes Sohn sei, von der Jungfrau Maria geboren wurde, im Alter von Jahren 30 die Menschen geleitet habe und mit 33 gekreuzigt worden sei (AS 115ff). Da im Neue Testament der Bibel das Leben und Wirken Jesu umfassend geschildert wird, und lt. vorgelegter Bestätigung im Taufkurs auch das Leben und Wirken Jesu behandelt wurde (AS 75) lassen die diesbezüglichen wenigen und wenig substantiierten Angaben des BF weder auf eine interessierte Kursteilnahme noch auf ein solches Bibelstudium schließen. Auch wenn dem Wissen, wie nachfolgend erörtert wird, eine lediglich untergeordnete Bedeutung zukommt, müsste der BF hinsichtlich derart grundsätzlicher Fragen zu weitergehenden Ausführungen in der Lage sein.

Auf die Frage, wie sich der christliche Glaube, dem der BF zu diesem Zeitpunkt bereits zumindest zwei Jahre angehörte, in seinem Alltag auswirke, gab der BF an, er sei freundlicher und der Kontakt zu anderen Menschen besser geworden.

Es wird in diesem Zusammenhang nicht verkannt, dass Freundlichkeit im Christentum eine bedeutende Rolle zukommt (Arg: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst) und Bestandteil eines christlich geprägten Lebens sein sollte. Dennoch stellt sie keinen ausschließlich christlichen Wert dar, sondern ein ebenso menschlicher, welcher für jede Person, unabhängig von ihrer Religion, große Bedeutung haben und an welchem sich Personen jeder Glaubensrichtung orientieren kann. Die Absicht, ein freundlicher Mitmensch sein zu wollen, lässt per se keine Rückschlüsse auf die innere, religiöse Haltung des BF zu und wird dem BF auch in seinem Heimatstaat nicht zum Nachteil gereichen. Inwiefern der BF sein eigenes Leben nach diesem christlichen Wert ausrichtet und ob der christliche Glaube sein persönliches Handeln konkret beeinflusst bzw. verändert hat, geht aus dieser Angabe jedenfalls nicht hervor. Ebensowenig erklärte der BF, aus welchen konkreten Inhalten bzw. Glaubensgrundsätzen er den genannten Wert ableitet und wo bzw. wie Jesus die Menschen zu einem derartigen Verhalten auffordert.

In der hg. Beschwerdeverhandlung wurde der BF zunächst gefragt, wie er in Österreich seinen Glauben praktiziere und inwieweit er am Pfarrgemeindeleben teilnehme.

Dazu gab der BF an, im Christentum sein Leben, seine Hoffnung gefunden zu haben. Er beginne jeden Tag mit einem Gebet in eigenen Worten und versuche so zu leben, wie sein Glaube ihn gelehrt habe. Er sei glücklich, dass er Gott gefunden und der Glaube ihn gerettet habe und danke er Gott, dass er sich ihm gezeigt habe und versuche er zu leben, wie es ihm gelehrt worden sei (VHS römisch II, S 14).

Abgesehen vom persönlichen Gebet, welches er in der Schilderung seines Tagesablauf später in der Verhandlung nicht mehr erwähnte, machte der BF jedoch keine darüber hinausgehenden konkreten Ausführungen zu einer persönlichen Glaubenspraxis wie zB das Lesen in der Bibel oder anderer theologischer Texte, den Besuch von Gottesdiensten, den Austausch mit anderen Gläubigen oder den aktuellen Besuch eines Glaubenskurses oder einer Bibelrunde.

Auf die Frage, wie er in der Pfarrgemeinde integriert sei und an welchen Aktivitäten er teilnehme, gab er an, Teil dieser Kirche zu sein, jedoch keine bestimmte Aufgabe in der Kirche zu haben, die Gottesdienste zu besuchen und dass es seit der Coronakrise keine Kaffeetreffen mehr nach dem Gottesdienst gegeben habe, nunmehr jedoch schon wieder. Persönliche Aktivitäten in der Pfarrgemeinde oder Angebote der Gemeinde, die er wahrnehme, gab er trotz konkretem Nachfragen nicht an, er erklärte, es gebe Familiengottesdienste und sei er unlängst bei einer Taufe als Zuschauer dabei gewesen.

Im weiteren verwies aber von sich aus und ungefragt auf die Adventszeit und dass jeden Sonntag eine Kerze angezündet werde sowie auf weitere Festtage im Kirchenjahr.

Hingegen war dem BF nicht bekannt, dass in seiner Pfarrgemeinde monatlich ein Gebetstreffen stattfindet, obwohl dies auf der Homepage der Pfarrgemeinde angeboten wird (VHS römisch II, S 15). Ebensowenig war dem BF bekannt, dass in seiner Pfarre jeden zweiten und vierten Dienstag im Monat eine Bibelstunde abgehalten wird, welche ebenfalls auf der Homepage angeboten wird. Die Frage, ob er aktuell einen Bibel-oder Glaubenskurs besuche, verneinte er mit der Erklärung, dass seit Beginn der Coronakrise keine Kurse stattgefunden hätten (VHS römisch II, S 16). Dazu gab der BF an, darüber wisse er nichts, auch seine Freunde hätten nichts dazu gesagt und er sei auch nicht von der Pfarrerin darüber informiert worden (VHS römisch II, S 16). Dem BF wäre es jedoch auch unbenommen gewesen, aus eigenem solche Informationen direkt in der Pfarre oder auf der Homepage einzuholen, was jedoch nicht geschehen ist und ein mangelndes Interesse daran indiziert.

Zwar wusste der BF, dass es in seiner Pfarrgemeinde eine Gemeindezeitung gebe, doch er lese nicht darin, da seine Deutschkenntnisse nicht ausreichend dafür seien (VHS römisch II, S 17). Ein zumindest bestehendes Interesse oder Bemühen, die dortigen Inhalte, wenn auch nicht im Detail, sondern doch fragmentarisch oder in Grundzügen zu verstehen, ergibt sich aus der Antwort des BF jedoch nicht.

Doch auch die Möglichkeit, an zweisprachigen Glaubensgesprächen, welche auch aktuell lt. deren Homepage in der Gemeinde des BF in Deutsch und in Farsi für bereits getaufte Asylwerber angeboten werden, nimmt der BF nicht (mehr) wahr, sondern wich der diesbezüglichen Frage nach einer Teilnahme dahingehend aus, dass er bei christlichen Glaubensfragen sich an die Pfarrerin wende (VHS römisch II, S 17). Über Nachfragen verneinte der BF schließlich die Teilnahme an solchen Gesprächen und gab über weiteres Nachfragen an, nichts davon gewusst zu haben.

Auch diese passive Verhaltensweise bzw. Unkenntnis des BF lässt auf keine Rückschlüsse auf eine ernsthafte Glaubensbetätigung schließen, gab er doch selbst an, dass er aufgrund der Sprachbarriere den Gemeindebrief nicht lese und auch nicht immer alles im Gottesdienst Gesprochene verstehe, sodass es naheliegend wäre, gerade auf das genannte zweisprachige Angebot zurückzugreifen, was er jedoch nicht getan hat.

Ebensowenig war ihm das Themenjahr seiner Glaubensgemeinschaft bekannt und dass 2022 das Jahr der Schöpfung ist, obwohl auch dieses auf der Homepage der Pfarrgemeinde, gleich nach Gebet und Nothilfe für Menschen in und aus der Ukraine, thematisiert wird (VHS römisch II, S 19), wozu lediglich ergänzend verwiesen wird. Gefragt, ob das betreffende Thema nicht im Gottesdienst behandelt werde, erklärte der BF, die Bibelstelle der Schöpfung sei gelesen worden, doch habe er nicht gewusst, dass es das ganze Jahr sei.

Eine besondere Auseinandersetzung mit seiner Gemeinde, deren Mitglied er ist oder ein Interesse am Gemeindeleben bzw. einer Glaubenspraxis gemeinsam mit anderen Mitgliedern, ist diesen Angaben des BF jedoch nicht zu entnehmen.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der BF zwar an sonntäglichen Gottesdiensten teilnehmen mag, eine (pro-)aktive Teilnahme am Pfarrgemeindeleben oder ein Interesse daran ist beim BF jedenfalls nicht feststellbar, ebensowenig ist ein Interesse an den mehrfachen genannten Angeboten seiner Pfarre, die er nicht wahrnimmt, beim BF erkennbar.

Auch nach Vorhalt der betreffenden Angebote in der hg. Verhandlung ließen die Antworten des BF nicht erkennen, dass er es bedauere, diese nicht gekannt zu haben oder er nunmehr, nach Kenntnisnahme künftig an diesen teilnehmen möchte.

Weiter befragt, ob er in der Bibel lese, gab der BF an, regelmäßig in der Bibel zu lesen; er lese zwar nicht täglich, aber hin und wieder in der Bibel und habe einmal die ganze Bibel gelesen (VHS, S 15). Der BF nannte ein Gleichnis, welches er vor zwei Tagen gelesen habe und vermochte er auch, dessen Bedeutung kurz zu erklären.

Die Frage, ob er alles verstehe, was in der Bibel stehe, beantwortete er ausweichend dahingehend, dass er versuche, die Bedeutung der Gleichnisse zu verstehen, was ihm mittlerweile gelinge; nach Fragewiederholung erklärte er, alles zu verstehen („ich verstehe jetzt alles“, VHS römisch II, S 15).

Dazu sei ergänzend auch bemerkt, dass selbst Theologen über verschiedene Bibelauslegungen und offene Fragen diskutieren, sodass umso weniger davon ausgegangen werden kann, dass sich dem BF gerade als ‚neuem Christen‘ solche Fragen nicht stellen, wenn er sich ernsthaft mit Bibelinhalten auseinandersetzen würde.

Er lese sonst keine religiöse Literatur oder Texte, aber schaue sich auf YouTube Glaubensfilme bzw. Ausschnitte von iranischen Predigern an, um seinen Glauben zu vertiefen.

Nachvollziehbare Angaben dazu konnte der BF auf Nachfrage, welche Filme er ansehe, jedoch nicht machen, sondern gab dazu an, er meine damit Ausschnitte von iranischen Predigern, die auf Farsi predigen.

Darauf bezug nehmend gefragt, ob er Angaben zu Predigten machen könne, die ihn besonders beeindruckt haben, erklärte der BF, er habe auf YouTube einen Taufunterricht gesehen, dessen Inhalt gewesen sei, wie man die Sünden erkennen solle; dies habe ihm sehr gut gefallen, sei aber keine Predigt gewesen (VHS römisch II, S 16).

Dem BF wurde die Frage nach ihn beeindruckenden Predigten wiederholt und erörtert und gab der BF an, die Predigten nicht zu verstehen und stellte er die Gegenfrage, ob damit gemeint sei, wenn der Pfarrer eine Geschichte erzähle.

Diese Antwort des BF lässt aber den Schluss zu, dass der BF den Begriff Predigt nicht kennt und lässt einmal mehr Rückschlüsse auf die mangelnde Ernsthaftigkeit einer Konversion und die interessierte Teilnahme am Gottesdienst zu. Auch auf weitere Nachfrage, Erläuterung und Umschreibung des Begriffs „Predigt“ war der BF – trotz angegebenem jahrelangen Kirchenbesuch – nicht in der Lage, dazu nachvollziehbare Ausführungen zu tätigen. Vorerst erklärte er, er habe im Internet einen farsisprachigen Pfarrer gehört, der gesagt habe, dass Jesus Liebe sei und habe dieser umfassend über Jesus erzählt und über die Bergpredigt gesprochen. Damit vermocht der BF jedoch keine konkrete Predigt darzulegen.

Nachgefragt, ob es aufgrund seines angegebenen jahrelangen Gottesdienstbesuches in seiner Kirchengemeinde Predigten gebe, die ihm in Erinnerung geblieben seien, erklärte er, sie bekämen wöchentlich eine Notiz, was letzte Woche gemacht worden sei und darin stehe ein Bibelvers. Die Predigt bestehe aus diesem Vers und er lese die Stelle jedes Mal nach. Konkrete Angaben zum Inhalt einer Predigt machte der BF jedoch nicht, wobei dazu festzuhalten ist, dass in diesem Zusammenhang keine detaillierten inhaltlichen Ausführungen erwartet werden, sondern nachvollziehbare Angaben des BF, aus denen geschlossen werden kann, dass er bestimmte Predigten oder Worte des Pfarrers oder der Pfarrerin besonders verinnerlicht hat. Der BF machte jedoch keine derartigen Angaben.

Was letzten Sonntag, sohin wenige Tage vor der hg. Verhandlung gepredigt worden sei, habe er aber leider vergessen, ebenso was an diesem Tag aus der Bibel gelesen worden sei (VHS römisch II, S 16f). Dass der BF dazu auch keine rudimentären Angaben in diesem Zusammenhang machen kann, spricht nicht für eine interessierte Gottesdienstteilnahme.

Im Lichte dessen, dass die Predigt eine besondere Stellung im Neuen Testament und im Gottesdienst einnimmt, lassen die obzitierten Angaben des BF einmal mehr Rückschlüsse auf die mangelnde Ernsthaftigkeit einer Konversion und die interessierte Teilnahme am Gottesdienst zu.

Der BF wurde danach gefragt, was ihm persönlich am Besuch eines Gottesdienstes wichtig sei und gab an, dass diese für ihn persönlich die wichtigste Aufgabe eines gläubigen Christen darstellen würden, ebenso wie das Ritual Abendmahl.

Weitere Angaben, vor allem zur Teilhabe an einer Gemeinschaft mit anderen Gläubigen, oder, dass er dort Ruhe und Kraft finde, wie in der schriftlichen Bestätigung seiner Pfarrerin vom römisch 40 festgehalten wurde, machte der BF dazu nicht.

Zwar konnte der BF in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Abendmahls erläutern, doch ist auch auf die zuvor getätigte Aussage des BF zu verweisen, wonach er sich nicht mehr sicher sei, ob er bereits vor oder erst nach der Taufe am Abendmahl teilgenommen habe. Auch aus diesem Aussageverhalten des BF ist zu schließen, dass der BF bestrebt war, Wissen, das er sich angeeignet hat, wiederzugeben, ihm die Bedeutung des ihm vermittelten Wissens jedoch nicht bewusst war, was wiederum keine Rückschlüsse darauf zulässt, dass der neue Glaube für den BF identitätsprägend geworden ist.

Darüber hinaus werden die Gottesdienste in Deutsch abgehalten, sodass nicht davon auszugehen ist, dass der BF diesen auch inhaltlich folgen kann, zumal seine Deutschkenntnisse – seinen eigenen Angaben zufolge – nicht einmal für das Lesen der Gemeindezeitung ausreichen würden. Der BF gab an, zu versuchen, zu verstehen, was im Gottesdienst gesprochen werde und lese er manchmal die betreffenden Bibelstellen zu Hause nach.

Die alleinige Präsenz in einem Gottesdienst lässt aber nicht gleichzeitig auf eine innere Haltung im Sinne einer interessierten Teilnahme und spirituellen Auseinandersetzung schließen, was auch durch die Antworten des BF evident wird.

Der BF wurde auch zu allgemeinen wichtigen christlichen Feiertagen und zu Tagen, die nur in seinem Glaubenszweig wichtig sind, befragt.

Zur Frage, wie der BF persönlich die Woche vor Ostern verbracht habe und aufgefordert, alles anzugeben, was ihm dazu wichtig sei, womit dem BF eine umfassende Darstellung seiner persönlichen Glaubenspraxis in diesem wichtigen Zeitraum eingeräumt wurde, gab der BF wie folgt an: „Es gibt den Mittwoch, das ist der Tag, wo wir uns erinnern, dass ihn einer der Jünger verraten hat. Der Donnerstag ist der letzte Abend von Jesus mit den Jüngern. Freitag ist der Tag, wo Jesus gekreuzigt wurde. […] Ich war nur am Freitag in der Kirche. (BF schweigt). […] Es war genau wie an den Gottesdiensten, die am Sonntag stattfinden. ‚Am Sonntag war Ostern und da war ich auch in der Kirche. VR: Wann beginnt die Osterzeit und wann endet sie? BF: Ostern beenden wir mit Pfingsten, das ist 50 Tage nach Ostern. Es beginnt [da]mit wie ein Jünger Jesus verraten hat, dann kommt das Abendmahl. Es beginnt mit Aschermittwoch, dann ist Abendmahl und dann Ostern. VR: Meine Frage war, wann Ostern beginnt? BF: Von Freitag, wo Jesus gekreuzigt wird, beginnt Ostern. Ich weiß nicht, was Sie meinen.“ (VHS römisch II, S 18).

Dieser zitierten Aussage zufolge konnte der BF den Beginn der Osterzeit nicht nennen; er erklärte sowohl ausweichend als auch unzutreffend, dass Ostern mit dem Verrat Jesu, dem Aschermittwoch, beginne und in weiterer Folge, dass Ostern am Karfreitag beginne, obwohl der Ostersonntag erst den Beginn der österlichen Freudenzeit darstellt, was dem BF angesichts seiner angegebenen mehrjährigen Glaubenspraxis und des grundsätzlichen Bedeutungsgehaltes der Karwoche sowie der besonderen Bedeutung des Karfreitag im protestantischen Glaubenszweig und der Osterzeit (vor allem aus dem Lesen in der Bibel und dem Besuch der Gottesdienste) bekannt sein müsste, sodass in diesem Zusammenhang keine überzogene Erwartungshaltung hinsichtlich des Wissens des BF besteht, jedoch grundsätzliches Wissen erwartet werden kann. Auch ordnete der BF den Aschermittwoch unzutreffend unmittelbar vor dem Abendmahl in der Karwoche ein.

Da der Karfreitag für die Protestanten besonders wichtig ist und der BF erklärte, an diesem Tag in der Kirche gewesen zu sein, ohne weitergehende Angaben dazu zumachen, wurde er gefragt, wie der Ablauf an diesem Tag in der Kirche war.

Der BF gab substanzlos lediglich an, es sei genau wie an den Sonntagsgottesdiensten gewesen, ohne Besonderheiten zum Karfreitag, einem wichtigen Tag im protestantischen Glaubenszweig, von dem ausgegangen werden kann, dass dieser im betreffenden Gottesdienst thematisiert wurde, zu nennen. Nicht weiter auf die Frage eingehend, erklärte der BF, auch am Ostersonntag in der Kirche gewesen zu sein.

Auch fällt auf, dass der BF eine Zeit des Fastens in diesem Zusammenhang nicht nannte, wobei auch nicht wesentlich ist, ob der BF selbst fastet, doch wäre ein Erwähnen in diesem Zusammenhang oder die Angabe von Gründen dazu, warum er faste oder nicht faste naheliegend, was jedoch nicht geschehen ist.

Zwar wird nicht verkannt, dass die reformatorische Tradition im Gegensatz zu anderen christlichen Kirchen - wie etwa der katholischen oder orthodoxen Kirche - weniger Wert auf verbindliche Fastenzeiten legt und Martin Luther das Fasten als eine individuelle Frömmigkeitsübung verstand, die nicht allen Gläubigen gleichermaßen empfohlen oder gar verordnet werden könne, weshalb es keine allgemeingültigen Fastengebote für evangelische Christen gibt und diese selbst entscheiden sollen, worauf sie eine Zeitlang verzichten möchten. Ein strikter Fasttag ist für viele evangelische Christen aber dennoch der Karfreitag, sodass der BF darüber zumindest bescheid wissen müsste.

Schließlich ist zu den Ausführungen des BF hinsichtlich der Karwoche auch festzuhalten, dass dieser keine Angaben dazu in spiritueller Hinsicht machte oder ausführte, warum ihm persönlich als religiösen Christen bestimmte Elemente der Karwoche wichtig sind, was ebenfalls nicht auf eine identitätsstiftende Ausübung seines Glaubens hindeutet.

Die Angaben des BF lassen jedenfalls auf keine ernsthafte Glaubenspraxis schließen, zumal sie lediglich ein fragmentarisches (und hinsichtlich zentraler und grundsätzlicher Inhalte teilweise unzutreffendes) Wissen des BF über das christliche Hochfest Ostern oder über die besondere Bedeutung des Karfreitag im evangelischen Glauben erkennen lassen und der BF in Anbetracht des Umstandes, dass er sich bereits – seinen Angaben zufolge – seit sieben Jahren mit dem Christentum mehr oder weniger intensiv auseinandersetzt, zwar nicht zu detaillierten jedoch hinsichtlich grundsätzlicher Inhalte zu zutreffenden und zumindest umfassenderen Angaben in der Lage sein müsste, was jedoch nicht der Fall war und einmal mehr gegen eine Konversion, eine interessierte Gottesdienstteilnahme – der BF müsste seit seinem ersten Gottesdienstbesuch Mitte römisch 40 mehrmals einen Ostergottesdienst durchlaufen haben - und ein engagiertes Bibelstudium des BF spricht.

Es kann auch im Lichte der zitierten Angaben des BF, wonach Ostern am Karfreitag beginne, nicht davon ausgegangen werden, dass dem BF der Bedeutungsgehalt des zentralen christlichen Hochfestes Ostern bekannt ist.

Da Leiden, Sterben und Auferstehung Christi das höchste Fest im Kirchenjahr als Dreitagefeier begangen wird und die Gottesdienste sich seitdem in den meisten Liturgien von der Feier des letzten Abendmahls am Gründonnerstagabend – dem Vorabend des Karfreitags – über den Karsamstag, den Tag der Grabesruhe des Herrn, bis zum Anbruch der neuen Woche am Ostersonntag erstrecken und mit dem Ostersonntag „Sonntag der Auferstehung“ die österliche Freudenzeit (Osterzeit) beginnt, die fünfzig Tage bis einschließlich Pfingsten dauert, müsste der BF zu weitergehenden Angaben in der Lage sein, was jedoch nicht der Fall war und einmal mehr gegen eine Konversion, eine interessierte Gottesdienstteilnahme und ein engagiertes Bibelstudium des BF spricht.

Auf die Frage, welche Tage in seinem Glaubenszweig besonders wichtig sind, wies der BF zutreffend auf den Reformationstag hin, an dem man sich an den Gründer Martin Luther erinnere und verwies an der betreffenden Frage vorbei antwortend weiter auf die zwei Sakramente Taufe und Abendmahl.

Den Karfreitag, welcher bis 2019 aufgrund seiner besonderen Bedeutung im evangelischen Glauben ein gesetzlicher Feiertag für evangelische Christen war, erwähnte er jedoch in diesem Zusammenhang nicht. Zur Bedeutung des Karfreitag im evangelischen Glauben sei ergänzend auch auf folgende Ausführungen des evangelischen Wiener Superintendenten verwiesen: „Am Karfreitag gedenken wir Jesu Leiden und Sterben, seiner Hingabe an die Menschen und blicken voraus auf die Auferstehung. So wird der Karfreitag zum Symbol des überwundenen Leids", sagt Wiens Superintendent Matthias Geist. "Der Karfreitag hat für uns eine eigene Stimmung. Wir halten inne, wir kommen zur Ruhe, viele fasten an Karfreitag. Dieser Tag erinnert uns hier und heute, vor dem Leid in dieser Welt nicht die Augen zu verschließen. Und besonders am Karfreitag zeigt sich die Liebe und Gnade Gottes zu den Menschen: Gott geht mit, Gott leidet mit, Gott geht für den Menschen in den Tod“, so Geist. (www.evang-wien.at/karfreitag)

Erst auf diesbezügliches Nachfragen der Richterin gab der BF an, dass Jesus am Freitag gekreuzigt wurde und der Karfreitag sehr wichtig sei, weil sich Gott für uns geopfert habe (VHS römisch II, S 19).

Auch, wenn jedem Gläubigen eine individuelle Glaubenspraxis zuzugestehen ist, so lassen sowohl die unterbliebene Nennung des Karfreitag als besonders wichtigen Tag in seinem Glaubenszweig als auch seine diesbezüglichen wenigen Angaben jedoch nicht auf einen besonderen Bedeutungsgehalt dieses Tages für den BF schließen.

Auf die Frage, wie er die letzten Weihnachtsfeiertage bzw. die ganze Weihnachtszeit (Anmerkung: Mariä Lichtmess, am 2. Februar, 40 Tage nach Weihnachten, beendet nach alter Tradition die Weihnachtszeit. Die Weihnachtszeit im engeren Sinne endet am 6. Januar mit dem Erscheinungsfest (Epiphanias).) verbracht habe, womit dem BF auch hier eine umfassende Darstellungsmöglichkeit seiner persönlichen Glaubenspraxis in diesem wichtigen Zeitraum eingeräumt wurde, gab der BF an, eine Einladung der Kirche für den 24. Dezember erhalten zu haben, sie hätten Musik und christliche Lieder gehabt. Wegen Corona hätten sie sich anmelden müssen, dies habe man per Mail bekannt gegeben, manche hätten auch angerufen, dieses Jahr sei anders als vor Corona gewesen. Vor Corona hätten sie iranischen Essen gekocht und mitgenommen. Am 25.12. habe der Gottesdienst in der Früh stattgefunden, er sei aber nicht dort gewesen. Er habe einen Freund besucht, der ihn eingeladen habe (VHS römisch II, S 19).

Dass in seiner Gemeinde lt. Homepage auch ein Altjahresabend stattfindet, erwähnte der BF nicht.

Weitere Angaben hinsichtlich des persönlichen Begehens der Weihnachtszeit, etwa weitere Aktivitäten wie zB Gottesdienstbesuche an gesetzlichen Feiertagen (25., 26. Dezember und 6. Jänner) oder wie der BF über den erwähnten Gottesdienst hinaus in privatem Rahmen und für sich persönlich in spiritueller Hinsicht das Hochfest Weihnachten und die Weihnachtszeit insgesamt verbracht (zB Lesen des Weihnachtsevangeliums oder anderer spiritueller Texte) oder er christliche Bräuche (wie zB Weihnachtsbaum, Geschenke) übernommen habe, machte der BF jedoch nicht, sondern nahm vorwiegend auf organisatorische Umstände in Zusammenhang mit der Coronapandemie anlässlich des von ihm besuchten einzigen Gottesdienstes bezug. Ebensowenig machte der BF inhaltliche Angaben zum von ihm besuchten Weihnachtsgottesdienst bzw. zur Weihnachtszeit insgesamt oder damit zusammenhängende spirituelle Eindrücke oder Ansichten.

Was am 6. Jänner, dem Ende der Weihnachtszeit und gesetzlichen Feiertag in Österreich, dem Dreikönigsfest bzw. Fest der Erscheinung des Herrn gefeiert wird, konnte der BF nicht beantworten, sondern erklärte, er habe dies vergessen (VHS römisch II, S 19).

Auch fällt zu den wenigen Sätzen des BF hinsichtlich der Weihnachtsfeiertage insgesamt auf, dass dieser keine Angaben dazu in spiritueller Hinsicht machte oder ausführte, warum ihm persönlich als religiösen Christen bestimmte Elemente der Weihnachtszeit/Weihnachtsfeiertage wichtig sind, was ebenfalls keine Rückschlüsse auf eine identitätsstiftende Ausübung seines Glaubens zulässt.

Weder die Ausführungen des BF zur Karwoche noch zum Osterfest noch zum Weihnachtsfest, zwei zentralen christlichen Hochfesten, lassen erkennen, welche Bedeutung diese beiden wichtigen Feste bzw. der Zeitabschnitt der Karwoche, für ihn persönlich hätten und welche Rolle die Geburt Jesus bzw. seine Kreuzigung und Auferstehung in seinem Leben einnehmen würden. Die oberflächlichen und äußerst kurzen Antworten des BF auf die jeweiligen Fragen nach den betreffenden Festen bestätigen den Eindruck, dass sich der BF mit diesen zentralen christlichen Festen nicht tiefgehend auseinandergesetzt hat, ihm das Feiern dieser Feste kein persönliches, religiöses Bedürfnis ist und der christliche Glaube nicht tatsächlich und identitätsstiftend Bestandteil seines Lebens geworden ist. Angesichts dessen, dass die Themen und Inhalte der betreffenden Feste auch in den entsprechenden Gottesdiensten ausführlich thematisiert werden, ist auch nicht von einer interessierten oder ernsthaften Gottesdienstteilnahme des BF oder daraus resultierenden besonderen Eindrücken oder Erkenntnissen auszugehen.

Auch, dass dem BF die für den evangelischen Glauben typische Konfirmation als im Rahmen einer gottesdienstlichen Feier vollzogene Aufnahme jugendlicher evangelischer Christen in die Gemeinde der Erwachsenen nicht bekannt war (VHS römisch II, S 13), spricht einmal mehr gegen eine ernsthafte Glaubenspraxis, müsste er doch diesem Institut während der Jahre, in denen er den Gottesdienst besucht oder in den Kursen die er besuchte, begegnet sein.

Insgesamt zeigte der BF in der hg. Beschwerdeverhandlung wiederholt, dass dieser bestrebt war, sich angeeignetes Wissen wiedergeben zu wollen, bspw. die zusammenhanglose Ausführung zu Advent und Adventskerzen auf die Frage nach den Aktivitäten des BF in der Pfarrgemeinde (VHS römisch II, S 15) oder der Hinweis auf die beiden Sakramente im evangelischen Glaubenszweig auf die Frage, welche Tage den Protestanten besonders wichtig sind (VHS römisch II, S 19).

Ausführungen zur persönlichen Bedeutung des betreffenden Inhaltes und die Integration des Glaubens in das eigene Leben tätigte er hingegen nicht, was eine christliche Prägung der Lebensweise des BF ausschließt.

Zusammengefasst ist daher festzuhalten, dass beim BF – neben den sonntäglichen Gottesdienstbesuchen - keinerlei Aktivitäten in bzw. mit seiner Pfarrgemeinde feststellbar waren und er auch gerade die Angebote seiner Kirche, von der er angibt, ein Teil zu sein (VHS römisch II, S 14), zu vertiefenden Bibel- und Gesprächstreffen weder kennt noch wahrnimmt, obwohl diese bspw. auf der Homepage angeboten werden und es dem BF auch unbenommen ist, sich selbst nach solchen Möglichkeiten zu erkundigen.

Auch, wenn der BF Gottesdienste besuchen mag, so war er nicht in der Lage, inhaltliche Angaben zu Predigt und Evangelium im zuletzt besuchten Gottesdienst zu machen, war ihm der Begriff Predigt als solcher nicht vertraut und gibt der BF auch selbst eine Sprachbarriere an, sodass eine ernsthafte Teilnahme am Gottesdienst wenig nachvollziehbar ist.

Zwar verfügt der BF über ein (fragmentarisches) Grundwissen über seine neue Religion, doch zeigen weiters seine Aussagen zu den genannten christlichen Feiertagen, dass diese für ihn keine persönliche spirituelle Bedeutung haben und lassen insgesamt eine persönliche Auseinandersetzung des BF vermissen. Dass er die christlichen Bräuche übernommen und in sein Leben integriert hätte, konnte ebensowenig festgestellt werden wie die persönliche Begehung christlicher Hochfeste oder deren spirituelle Bedeutung für den BF. Auch ist aus der Beschreibung seines Tagesablaufs („Vor Corona habe ich oft Sport gemacht und habe gearbeitet. Nach Corona haben sie mir gesagt, dass ich im Altersheim nicht mehr arbeiten darf, deswegen habe ich in der Unterkunft gearbeitet. Eine Zeit lang habe ich den Deutschkurs besucht. Ich bin auch ins Fitnessstudio gegangen. Zu meinem Sport habe ich keine Bestätigung“, VHS römisch II, S 21) weder erkennbar, dass der BF die Gemeinschaft mit anderen Gläubigen noch das gemeinsame Gebet oder Bibelstudien sucht, noch regelmäßig selbst für sich Gebete spricht.

Insgesamt ist daher nicht von einer Ernsthaftigkeit der Religionsausübung und einer christlichen Prägung seines Lebens auszugehen.

3.4.2.4. Mit Dokumentenvorlage vom 06.07.2022 übermittelte der BF dem BVwG einen Screenshot von Postings mit christlichem Inhalt aus seinem Facebook-account.

Zunächst ist darauf zu verweisen, dass der BF in der hg. Beschwerdeverhandlung diese Aktivität im Internet von sich aus nicht erwähnte, auch nicht, über Befragen der Richterin, ob er hinsichtlich seines Glaubens noch etwas angeben oder ergänzen wolle, was ihm persönlich wichtig sei, ebensowenig, als er zu seinen Rückkehrbefürchtungen befragt wurde, sodass nicht davon auszugehen ist, dass diese Aktivität für den BF eine besondere Bedeutung einnimmt.

Erst auf Nachfrage durch den Beschwerdeführervertreter gab der BF an, seit römisch 40 christliche Inhalte zu posten, weil Missionieren eine der wichtigsten Aufgaben eines Christen sei. Mittlerweile mache er es nur mehr selten (VHS römisch II, S 20). Doch haben Screenshots schon per se eine eingeschränkte Beweiskraft, zumal elektronische Nachrichten einfach manipuliert werden können (Vorgeben anderer Absender, Fake-Profile, etc.), sodass die Echtheit von vorgelegten elektronischen Nachrichten nicht verifizierbar ist. Darüber hinaus wäre auch die Echtheit dieser Postings nicht geeignet, eine Gefährdung des BF oder ein besonderes religiöses Engagement nachzuweisen, zumal der Inhalt dieser Postings lediglich aus Gratulationen zu den jeweiligen Feierlichkeiten und Fotos von christlichen Bildern bestehe (VHS römisch II, S 20, Dokumentenvorlage OZ 20).

Für Aktivitäten im Internet gilt ferner derselbe Maßstab wie für sonstige exilpolitische Tätigkeiten. Alle Aktivitäten sind im Zusammenhang zu würdigen. Untergeordnete exilpolitische Tätigkeiten, die nicht geeignet sind, auf die Verhältnisse im Heimatland ernsthaft einzuwirken und aus der Sicht des iranischen Staates keine Gefahr begründen, können mit dem Gefährdungspotenzial inneriranischer Systemkritik via Internet nicht verglichen werden. Mit Internetauftritten wie einem Weblog und regimekritischen Artikeln und Bildern in Facebook hebt sich jemand nicht aus der Masse der iranischen Asylwerber hervor, die im Internet präsent sind. Schon die Masse der Internetportale, Blogs und sonstiger Seiten von iranischen Oppositionellen - geschätzt 60.000 – spricht gegen eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr. Daran ändert nichts, wenn etwa die Teilnahme an einer Demonstration hinzukommt, über die im deutschen Fernsehen berichtet wurde (VG Würzburg, U.v. 18.04.2012 – W 6 K 11.30147 5381344). Da die vom BF geschilderten Postings (Gratulationen zu Feierlichkeiten) nicht geeignet sind, auf die Verhältnisse im Heimatland ernsthaft einzuwirken oder er sich damit exponiert, ist in dieser „exilpolitischen“ Tätigkeit des BF, so sie überhaupt stattgefunden hat, kein Gefährdungspotenzial für den BF zu erkennen.

Der BF machte auch trotz Befragen der Richterin, ob er hinsichtlich seines Glaubens etwas angeben wolle, was ihm persönlich wichtig sei, von sich aus keine Angaben, wonach er andere Personen in die Kirche eingeladen habe, sodass auch nicht davon auszugehen ist, dass dies eine besondere Bedeutung für den BF hat. Über Befragen seines Vertreters gab der BF jedoch an, er habe bereits vier Personen in seine Kirche eingeladen und mittlerweile seien alle vier getauft. Er habe mit diesen vier Personen über sein Leben geredet, habe versucht, den Inhalt der Kurse weiterzugeben und bei Fragen fände er es besser, wenn sie in die Kirche kommen, christliche Filme anschauen und im Internet Glaubenskurse ansehen würden (VHS römisch II, S 21). Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage ist zunächst festzuhalten, dass es dem BF in der hg. Beschwerdeverhandlung nicht möglich war, Inhalte des Glaubenskurses nachvollziehbar wiederzugeben vergleiche Punkt 3.4.2.2.) und er selbst erklärte, selbst noch nicht so weit zu sein und sei sein Wissen über das Christentum nicht so weit, dass er richtig missionieren könne, weshalb eine Missionierung anderer Personen deshalb nicht plausibel ist. Darüber hinaus kann aufgrund von Erzählungen aus dem eigenen Leben und der vom BF erteilten Ratschläge von einer missionarischen Tätigkeit des BF, welche die Weitergabe von Glaubenslehre, die Verkündung des Glaubens und die Bekehrung zu dem betreffenden Glauben beinhaltet, in Zusammenschau mit den bisherigen hg. beweiswürdigenden Ausführungen zu grundsätzlichen Kenntnissen und Glaubenspraxis des BF nicht ausgegangen werden.

Der BF wurde hg. abschließend gefragt, ob er hinsichtlich seines neuen Glaubens Angaben machen wolle, die ihm persönlich noch wichtig seien und verneinte die betreffende Frage (VHS, S 20). Es ist daher nicht davon auszugehen ist, dass der BF über die in der hg. Verhandlung umfassend erörterten Aktivitäten hinausgehend aktiv ist.

3.4.2.5. Auch die schriftlichen Ausführungen der taufspendenden Pfarrerin vom römisch 40 und vom römisch 40 (Beilage zur VHS römisch eins und AS 217) vermögen nichts an der soeben dargelegten Ansicht zu ändern. Zwar gab die Pfarrerin darin an, dass der Glaube des BF „geprägt von einer tiefen Sehnsucht nach religiöser Freiheit“ sei und dieser den Gottesdienst besuche, den Taufkurs besucht habe, er getauft sei, den Namen Daniel angenommen habe und sich Kenntnisse von Glaubensinhalten erarbeitet habe, ohne jedoch darzulegen, woraus sie diesen Schluss gezogen habe. Darüber hinaus konnte sie lediglich nach außen in Erscheinung tretende Faktoren wie den Taufnamen römisch 40 , den Gottesdienstbesuch, die Teilnahme am Taufkurs und an Glaubensgesprächen betreffend die angegebene Konversion des BF, welche von der erkennenden Richterin auch nicht angezweifelt werden, wiedergeben.

Es ist aber – wie beweiswürdigend ausgeführt - aufgrund der Angaben des BF vielmehr darauf zu schließen, dass der BF trotz der in Österreich herrschenden Glaubensfreiheit wenig Interesse am christlichen Glauben, welches einer Konversion naturgemäß vorgeschaltet sein muss, hat und sich offensichtlich darauf beschränkte, Antworten auf Wissensfragen zu erlernen und außenwirksame Akte wie Taufe und Gottesdienstbesuche zu setzen, womit er jedoch nicht von einer persönlichen Auseinandersetzung mit dem angegebenen neuen Glauben und von einer tatsächlichen Konversion zu überzeugen vermochte.

Die fachliche Kompetenz in Glaubensfragen taufspendenden Pfarrerin wird nicht in Frage gestellt, doch unterliegen die Angaben des BF im gegenständlichen Verfahren der richterlichen Beweiswürdigung und ist im hg. Verfahren vor allem die Frage, ob der neue Glaube für den BF identitätsstiftend ist, von zentraler Bedeutung. Auch ist das Verwaltungsgericht nicht an Erwägungen Dritter (hier: evangelische Kirche) gebunden VwGH vom 11.12.2019, Ra 2019/20/0538 bis 0539-3).

3.4.2.6. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der BF weder Gründe für seine Konversion nachvollziehbar darlegen konnte und trotz behaupteter jahrelanger Auseinandersetzung mit dem Christentum und trotz Besuch von Taufkurs und Glaubensgesprächen, wie in der hg. Verhandlung hervorkam, grundlegende und zutreffende Angaben zu seiner neuen Religion bzw. seines Glaubenszweiges vermissen lässt (auch wenn er in der behördlichen Einvernahme auch einige Wissensfragen beantworten konnte), er ein ernsthaftes Praktizieren seines christlichen Glaubens nicht glaubhaft machen konnte und insgesamt nicht feststellbar war, dass sich der Beschwerdeführer ernsthaft mit christlichen Glaubensinhalten auseinandergesetzt, sich nachhaltig dem christlichen Glauben zugewandt hat und dieser Glaube für den Beschwerdeführer identitätsstiftend geworden wäre.

Die Antworten des BF in der hg. Verhandlung lassen darauf schließen, dass sich dieser rudimentäres Wissen zu Bibelinhalten und zur christlichen Glaubenspraxis angeeignet hat bzw. ihm solches Wissen vermittelt wurde, umgekehrt war er jedoch zu Ausführungen von grundsätzlichen Inhalten des christlichen Glaubens bzw. seines Glaubenszweiges auch nicht in der Lage. Das Unvermögen, grundsätzliche Angaben zu seinem Glauben bzw. zu seinem Glaubenszweig zu machen, wie es in der hg. Beweiswürdigung erörtert wurde bzw. die betreffende Unkenntnis des BF, spricht jedoch nicht für eine ernsthafte Konversion des BF, da ihm die betreffenden Grundsätze nach angegebener mehrjähriger Zugehörigkeit zum christlichen Glauben und zu einer christlichen Gemeinde bekannt sein müssten, was jedoch nicht der Fall war.

Der teilweise korrekten Beantwortung von Wissensfragen, vor allem in der behördlichen Einvernahme, kommt im vorliegenden Fall bei Gesamtbetrachtung der sonstigen fallbezogenen Faktoren jedoch eine untergeordnete Bedeutung zu.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass es nicht mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, sich einen grundsätzlichen Wissensstand zu Glaubens- und Bibelinhalten durch entsprechendes Lernen anzueignen und sind dem hg. Amtswissen zufolge auch im Internet entsprechende Fragenkataloge speziell für im Asylverfahren vorgebrachte Konversion (zum Teil auch gegen Bezahlung) abrufbar (zB.: سوالات مهم کیس پناهندگی مسیحیت - YouTube, دانلود رایگان صد سوال مسیحیتpdf و200 سوال مسیحیت pdf | فروش کیس پناهندگی/نمونه کیس پناهندگی ✈ (wordpress.com) Download Free Hundred Questions Christianpdf und 200 Fragen Christentum pdf Publiziert am 23. Januar 2017 von Mehrpour Immigration and Refugee Services Advisory Group,Download 100 Fragen Christentum, نمونه سوالات كيس مسيحيت | ایران گلوبال (iranglobal.info) Beispielfragen von The Christian Bag, ساخت نمونه کیس پناهندگی رایگان + سوالات مصاحبه پناهندگی (mohajermag.ir) Erstellen einer kostenlosen Asylfallprobe + Fragen zu Asylgesprächen).

Religiöses Wissen lässt sich auch ohne inneren Bezug zum Christentum erlernen und kommt der Beantwortung von Wissensfragen daher im Zuge der durchzuführenden Gesamtbetrachtung generell eine lediglich eine untergeordnete Bedeutung zu, wenngleich die in der hg. Verhandlung hervorgekommenen Defizite in Zusammenhang mit Grundwissen sehr wohl gegen die Ernsthaftigkeit der Konversion des BF sprechen.

Die Aneignung von Wissen ist für eine überzeugende Konversion zwar als Teil dieser vorzunehmenden Gesamtschau ebenso wesentlich, diesem kommt jedoch im Vergleich zur persönlichen Auseinandersetzung mit Glaubens- und Bibelinhalten und der persönlichen Glaubenspraxis insofern eine untergeordnete Bedeutung zu, als die Aneignung von Wissen per se noch nichts über eine persönliche Glaubenseinstellung aussagt, wobei auch zu unterscheiden ist, ob es sich um lediglich oberflächliches Wissen oder um Wissen handelt, aus dem eine persönliche Auseinandersetzung ableitbar ist. Nicht unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass es sich beim BF um einen gebildeten Mann (Matura, AS 104) handelt, dem in Österreich auch genügend Zeit zur Verfügung stand, sich dieses Wissen anzueignen, wobei gegenständlich nochmals zu betonen ist, dass auch die Kenntnisse des BF über seine neue Religion, insbesondere in Zusammenschau mit der von ihm angegeben langen Zeitdauer, in der er sich mit dem Christentum beschäftigt haben will, in den dargelegten grundsätzlichen Bereichen lückenhaft sind. Eine persönliche Auseinandersetzung des BF mit seinem neuen Glauben war aus den dargelegten beweiswürdigenden Überlegungen jedenfalls nicht feststellbar.

Die erkennende Richterin misst der Frage, über welches Wissen ein angeblicher Konvertit über seinen angegebenen neuen Glauben verfügt, keine überzogene Bedeutung bei vergleiche dazu die rezente höchstgerichtliche Judikatur VwGH Ra 2022/18/0030-10 vom 27. April 2022), doch fällt auf, dass der erwachsene Beschwerdeführer, der nach seiner Einreise in Österreich im Dezember römisch 40 einen Taufvorbereitungskurs absolvierte, die Taufe am römisch 40 empfing und an Gottesdiensten teilnimmt und der sich bereits im Iran mit dem Christentum befasst haben will, bislang über weitgehend oberflächliche Kenntnisse über das Christentum und den protestantischen Glauben verfügt, wozu auf die bisherige Beweiswürdigung verwiesen wird. Die fragmentarischen, die Fragen zum Teil auch ignorierenden Antworten des BF lassen auch keine Rückschlüsse darauf zu, dass er zentrale christliche Feste und christliche Gottesdienste mit einem ernsthaften und ausgeprägten religiösen Bewusstsein begeht und er aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert ist und den christlichen Glauben für sein weiteres Leben identitätsprägend verinnerlicht hat.

Auch die seitens des BF in der behördlichen Einvernahme genannten Kritikpunkte am Islam (Verbote, Zwang, Kleidervorschriften für Frauen, Alkoholverbot) lassen nicht automatisch Rückschlüsse auf den Glauben des BF zu. Nach Ansicht der erkennenden Richterin kann aus einzelnen Kritikpunkten an einer Religion bzw. aus Kritikpunkten an deren Organisationsform oder Glaubensauslegung nicht zwangsläufig darauf geschlossen werden, dass die betreffende Person automatisch das Bedürfnis hat, ihre Religion im Sinne einer Konversion zu verändern, sondern ist in diesem Zusammenhang eine klare Unterscheidung zwischen Kritik an einer Religion einerseits und dem Glauben als religiöser Überzeugung andererseits zu treffen.

Auch bzw. vor allem die genannten persönlichen Umstände sind bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung zu beachten, wobei der persönlichen, individuellen Komponente ein besonders hohes Gewicht beigemessen wird.

Die Antworten des BF lassen jedoch eine solche persönliche Ebene und Angaben, aus welchen eine eigene spirituelle Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben ableitbar ist, vermissen.

Gerade die ernsthafte, individuelle, persönliche Glaubenspraxis, die spirituelle Haltung, der persönliche, weltanschauliche Glaube, der seine konkrete Bedeutung für jeden Einzelnen bestimmt, lässt nach hg. Ansicht Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit einer Konversion zu, doch vermochte der BF solche aus genannten Gründen nicht darzulegen.

Unter christlicher Spiritualität ist nach allgemeiner Definition jene spezifische Form von Spiritualität zu verstehen, in deren Mittelpunkt die persönliche Beziehung zu Jesus Christus steht. Sie ist immer auch biblische Spiritualität und rückgebunden an urchristlichen Praktiken. In der christlichen Spiritualität wird individuelle Vervollkommnung als nicht nur durch Techniken (Kontemplation, Lesen der Bibel, Gebet, Exerzitien, Wallfahrt, Kirchenmusik) erreichbar angesehen, sondern insbesondere als Gnade erlebt. Christliche Spiritualität umfasst nicht nur religiöse Rituale, sondern drückt sich auch zB in Form von Nächstenliebe im gelebten Alltag aus.

Auch dieser Umstand in Zusammenschau mit den soeben dargelegten beweiswürdigenden Überlegungen spricht nicht für eine eingehende Auseinandersetzung mit dem vorgebrachten neuen Glauben oder einen persönlichen identitätsstiftenden Bedeutungsgehalt für den BF.

Auch kommt im gegebenen Fall die festgestellte Unglaubwürdigkeit der vom BF geltend gemachten Ausreisegründe hinzu, welche sich ebenso auf seine vorgebrachte Hinwendung zum christlichen Glauben beziehen, sodass auch dieser Umstand nicht unerheblich ist und in die Gesamtbetrachtung der geltend gemachten Konversion einzubeziehen.

Aufgrund der bisherigen Ausführungen kann in weiterer Konsequenz nicht davon ausgegangen werden, dass der christliche Glaube wesentlicher Bestandteil der Identität des BF geworden ist vergleiche auch VwGH 30.09.2019, Ra 2019/20/0437), sodass ihm nicht angesonnen werden kann, in seinem Heimatland auf die Religionsausübung zu verzichten, um staatlichen Verfolgungsmaßnahmen zu entgehen, sondern ist ein allenfalls bestehendes Interesse am Christentum ersichtlich, welches jedoch für die Geltendmachung einer asylrechtlich relevanten Konversion zum Christentum nicht ausreicht (VwGH 20.06.2017, Ra 2017/01/0076).

Die erkennende Richterin lässt auch nicht unberücksichtigt, dass der BF – wenn auch nur wenig (VHS römisch II, S 14) - am Gemeindeleben in der Pfarre teilnimmt und dort freundschaftliche Kontakte haben mag. Aus diesen Faktoren alleine kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass der BF ernsthaft zum christlichen Glauben konvertierte und dieser für ihn identitätsstiftend ist.

Die zuvor dargelegten Antworten und Vorgehensweisen des BF vermitteln deutlich ein Gesamtbild, wonach eine tatsächliche, ernsthafte und inhaltliche Auseinandersetzung mit christlichen Glaubensinhalten nicht gegeben ist, sodass nicht von einer Konversion im Sinne einer inneren, tatsächlichen Hinwendung zum Christentum ausgegangen werden kann, sondern von einer Konversion, welche lediglich aus asyltaktischen Gründen zum Schein erfolgte.

Die in der hg. Verhandlung hervorgekommenen Angaben, Aktivitäten und Kenntnisse des BF sprechen, wie durch die umfassende Befragung des BF in der hg. Verhandlung, in der sich die erkennende Richterin einen persönlichen Eindruck vom BF verschaffen konnte, hervorgekommen ist, für keine substantiierte spirituelle Haltung, wie sie einer Person, die sich aus freien Stücken einem neuen Glauben zugewendet hat, diesen über mehrere Jahre praktiziert und sich sogar für die Taufe entschieden hat, zugrunde liegt, sondern dafür, dass der BF dieses Sakrament aus Opportunitätserwägungen vornehmen ließ.

Angesichts der aktuellen höchstgerichtlichen Judikatur (Ra 2021/18/0399-14 vom 9. Juni 2022 und Ra 2022/18/0030-10 vom 27. April 2022), wonach keine überzogenen Erwartungshaltungen an das Bibel- bzw. theologische Wissen von Asylwerbenden anzulegen sind, wird festgehalten, dass kein spezifisches theologisches Wissen vom BF verlangt oder erwartet wird, sondern soll durch die gestellten Fragen und zum Begehen christlicher Feste, welche sich auch auf die diesbezüglichen zentralen Glaubens- bzw. Bibelinhalte beziehen, die persönliche Auseinandersetzung des BF mit den entsprechenden Bibelinhalten und seine Glaubenspraxis eruiert werden.

3.4.3. Im Lichte der bisherigen Ausführungen ist nicht davon auszugehen, dass sich der BF ernsthaft und nachhaltig dem Christentum zugewandt hat bzw. im Falle einer Rückkehr in den Iran diesen Glauben praktizieren wird oder dieser für ihn identitätsstiftend ist. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Verbindung mit einer Konversion nur dann in Betracht kommt, wenn die Hinwendung zu dem angenommenen Glauben auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel, der für den BF identitätsstiftend ist, und nicht nur auf Opportunitätserwägungen beruht.

Nur, wenn die Konversion des Betroffenen die religiöse Identität des Schutzsuchenden in dieser Weise prägt, kann ihm nicht zugemutet werden, in seinem Heimatland auf die Religionsausübung zu verzichten, um staatlichen Verfolgungsmaßnahmen zu entgehen.

Für die Beurteilung, ob es sich bei der Konversion des Beschwerdeführers um eine Scheinkonversion handelt, kommt nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH und VwGH der Frage der inneren (Glaubens-)Überzeugung des Beschwerdeführers maßgebliche Bedeutung zu. Für diese Beurteilung ist insbesondere der persönliche Eindruck des Beschwerdeführers wesentlich vergleiche dazu jüngst: VfGH, 23.09.2019, E968/2019).

Die erkennende Richterin konnte sich vom Wissensstand zu Glaubensinhalten und der persönlichen Auseinandersetzung des BF mit Inhalten des christlichen Glaubens und der Bibel, dem Praktizieren dieses Glaubens und von diesem selbst in der hg. Verhandlung einen persönlichen Eindruck verschaffen und kam klar und zweifelsfrei zu dem Schluss, dass dieser für die Annahme einer tatsächlichen, ernsthaften Konversion im Sinne der unter Punkt 3.4.6. genannten Definition nicht ausreichend ist.

Letztlich ergab das hg. Beweisverfahren aus den dargelegten Gründen nicht, dass der christliche Glaube bereits derart tief im BF verwurzelt ist, dass dieser Bestandteil seiner Identität geworden ist.

3.4.4. Im Lichte der bisherigen Ausführungen ist nicht davon auszugehen, dass sich der BF ernsthaft und nachhaltig dem Christentum zugewandt hat bzw. im Falle einer Rückkehr im Iran diesen Glauben praktizieren wird und deshalb in das Blickfeld der Behörden geraten oder missionierend bzw. in einer herausgehobenen Position tätig sein wird.

Dass die vorgebliche Konversion des BF, seine Taufe und seine Teilnahme an Gottesdiensten den iranischen Staatsorganen bereits bekannt geworden sind, hat dieser nicht in glaubwürdiger Weise behauptet. Aus dem ausreisekausalen Vorbringen des BF ergibt sich nicht, dass dieser in politischer oder religiöser Hinsicht in irgendeiner Form auffällig geworden und in das Visier der iranischen Behörden geraten ist, zumal sein Vorbringen für unglaubwürdig zu befinden war vergleiche Punkt 3.4.1.).

Es lassen sich auch keine Anhaltspunkte dafür ableiten, dass der Beschwerdeführer derart in das Blickfeld der iranischen Behörden geraten wäre, sodass er unter Beobachtung steht und seine Betätigung im christlichen Umfeld insofern registriert worden wäre, um ihn - im Falle der Rückkehr - wegen Abfalls vom Glauben ("Apostasie") zu belangen, woran auch der formale Akt der Taufe nichts zu ändern vermag, ist doch nicht davon auszugehen, dass iranische Behörden alle im Ausland vorgenommenen Taufen beobachten und registrieren, was auch deren faktische Möglichkeiten bei weitem übersteigen würde.

In den länderkundlichen Feststellungen wird auf Personen bezuggenommen, welche tatsächlich zum christlichen Glauben konvertiert sind und sich durch das Praktizieren dieses Glaubens unter Umständen einer Gefährdung aussetzen können.

Die hg. Beweiswürdigung ergab jedoch, dass im Falle des Beschwerdeführers gerade keine ernsthafte Konversion zum christlichen Glauben oder ein anderes Verfolgungsmoment existent ist, sodass in weiterer Konsequenz auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass er den christlichen Glauben, dem er sich, wie die Beweiswürdigung zeigte, lediglich zum Schein zugewandt hat und diesen nicht tatsächlich und ernsthaft praktiziert und dieser auch nicht Bestandteil seiner Identität geworden ist, diesen umso weniger im Rückkehrfall in den Iran praktizieren bzw. ein diesbezügliches Bedürfnis haben wird, sodass im Hinblick auf die in den Länderfeststellungen zitierten Quellen, welche allesamt von einer tatsächlichen ernsthaften Konversion, welche auch den Wunsch, den Glauben zu praktizieren, beinhaltet, im gegebenen Fall nicht mit asylrelevanten Konsequenzen zu rechnen ist vergleiche dazu auch EGMR, 19.12.2017, 60342/16 A. gg. die Schweiz – eine Konversion führt nur bei Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit zur Verfolgung im Iran:...dass Konvertiten im Iran nur dann dem Risiko einer Misshandlung ausgesetzt sind, wenn sie durch die öffentliche Ausübung ihres Glaubens die Aufmerksamkeit der iranischen Behörden erregen.). Dass trotz Widerruf einer erfolgten Taufe eine Gefährdung lt. Bericht des Danish Immigration Service/Danish Refugee Councile (DIS/DRC) aus dem Jahr 2014 möglich ist, kann nicht festgestellt werden. In das aktuelle Länderinformationsblatt wurde der aktuelle Bericht des DIS/DRC aus dem Jahr 2018 ebenso aufgenommen, doch findet sich darin keine solche Information, wie im Bericht aus dem Jahr 2014, sodass davon ausgegangen werden kann, dass der diesbezügliche Informationsstand aus dem Jahr 2014 nicht mehr aktuell ist. Auch, wenn im aktuellen Bericht auf die Meinung einer Organisation verwiesen wird, die sich um Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten kümmert, wonach eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein könnte (es wird sohin von einer bloßen Möglichkeit ausgegangen), so steht dem die Aussage von Amnesty International und einer anonymen Quelle vor Ort gegenüber, wonach eine Taufe keine Bedeutung habe. Das erkennende Gericht misst dieser Aussage von Amnesty International, in diesem Zusammenhang mehr Gewicht zu, handelt es sich doch hiebei um eine internationale Organisation, die sich weltweit für Menschenrechte einsetzt und Menschenrechtsverletzungen recherchiert und darüber berichtet, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese Organisation im Falle, dass sie das alleinige Faktum der Taufe als problematisch ansehen würde, nicht berichten würde, dass diese keine Bedeutung habe. Auch ist, wie bereits festgehalten, nicht ersichtlich bzw. nicht davon auszugehen, dass die iranischen Behörden Kenntnis von der Taufe des Beschwerdeführers haben.

Da weder eine christliche Glaubensbetätigung noch eine missionarische Tätigkeit des BF zu erwarten ist, ist eine Rückkehrgefährdung des BF aus Gründen der geltend gemachten Konversion auszuschließen.

3.4.5. Konversion (lat.: conversio ‚Umwendung, Umkehr‘) bedeutet die Übernahme von neuen Glaubensgrundsätzen, religiösen Traditionen und Bräuchen sowie möglicherweise auch anderen Teilen der mit der fremden Religion verbundenen Kultur durch eine konvertierende Person. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Konversion zum Christentum sind aus den dargelegten Erwägungen nicht als glaubwürdig zu qualifizieren und ist daher davon auszugehen, dass die behauptete Konversion des BF zum Christentum allenfalls nur formal erfolgt ist, um Vorteile im Asylverfahren zu erwirken.

Der VwGH verlangt zur Feststellung, ob ein Antragsteller tatsächlich oder nur zum Schein konvertiert ist, eine schlüssige Gesamtbeurteilung. Elemente für eine solche Gesamtbeurteilung können sein: eine nähere Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten und seinem religiösen Grundwissen sowie eine konkrete Auseinandersetzung mit Angaben etwaiger Zeugen. Mangelndes religiöses Grundwissen kann für das Vorliegen einer Scheinkonversion sprechen, ist aber nicht ausreichend (VwGH 14.11.2007, 2004/20/0215; 14.11.2007, 2004/20/0485).

Hervorzuheben ist auch die rezente höchstgerichtliche Judikatur in einem ähnlich gelagerten Fall, in dem das Bundesverwaltungsgericht aufgrund des mangelnden Wissens der BF zu Glaubensinhalten und bei Betrachtung der religiösen Aktivitäten und einer Gesamtbetrachtung im Falle einer behaupteten Konversion die Beschwerde gem. Paragraphen 3,, 8, 10 AsylG 2005 als unbegründet abwies, der VfGH die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 12.06.2019, E 990/2019-7, ablehnte und der Verwaltungsgerichtshof die Revision mit Beschluss vom 29.08.2019, Ra 2019/19/0303-6 zurückwies.

3.4.6. Aufgrund der mehrfach vorliegenden dargelegten Faktoren, welche bei Gesamtschau gegen eine tatsächliche Konversion des BF sprechen, entspricht die hg. Ansicht auch der obzitierten höchstgerichtlichen Judikatur hinsichtlich einer Gesamtbeurteilung.

Zusammenfassend ist sohin festzuhalten, dass sowohl die Gründe für die Ausreise als auch die geltend gemachten subjektiven Nachfluchtgründe des BF als unglaubwürdig zu qualifizieren waren.

3.5. Die hg. getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den aktuellen angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen.

Die allgemeinen länderkundlichen Feststellungen resultieren aus den zitierten Länderdokumenten, welche auf verschiedenartigen, objektiven Quellen, die inhaltlich miteinander in Einklang stehen, basieren.

Der Beschwerdeführer trat diesen in der mündlichen Verhandlung nicht entgegen, sondern gab an, diese gelesen zu haben, jedoch keine Stellungnahme abgeben zu wollen (VHS römisch II, S 20).

Es ist im Lichte der hg. Länderfeststellungen nochmals festzuhalten, dass die Angaben des BF zu einer tatsächlichen Konversion nicht glaubwürdig sind, er bislang nicht in das Blickfeld der iranischen Behörden geriet, weshalb ihm aus den dargelegten Gründen die Scheinkonversion in Österreich auch nicht zum Nachteil gereicht; die seitens des BF angegebenen Aktivitäten (Taufe, Gottesdienstbesuche, Glaubenskurse) können sohin auch nicht als identitätsstiftend für den BF erachtet werden. Überdies kann nicht davon ausgegangen werden, dass der BF aufgrund der dargelegten Gründe zu einer Missionstätigkeit im Iran in der Lage ist oder ein Interesse an derartigen Aktivitäten hat.

Es ist allgemein zu den Feststellungen auszuführen, dass es sich bei den herangezogenen Quellen zum Teil um staatliche bzw. staatsnahe Institutionen handelt, die zur Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet sind.

Zur Auswahl der Quellen wird angeführt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht einer ausgewogenen Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges bediente, um sich so ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers machen zu können. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates über den berichtet wird zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann.

Jedenfalls handelt es sich bei den dem Verfahren zugrunde gelegten Quellen um Berichte staatlicher oder staatsnaher Institutionen, denen aufgrund ihrer Verpflichtung zu Objektivität und Unparteilichkeit keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann.

Die in das Verfahren integrierten Länderinformationen wurden schließlich von der Staatendokumentation des BFA, zusammengestellt, deren Qualität ob der gesetzlichen Verpflichtung zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der gesammelten Tatsachen nach objektiven Kriterien (Paragraph 5, Absatz 2, BFA-G) nicht in Zweifel gezogen wird.

Der BF ist in der gegenständlichen Beschwerde weder den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat noch den hg. länderkundlichen Feststellungen in der mündlichen Verhandlung, substantiiert entgegengetreten.

Es wurden somit im gesamten Verfahren keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage und zur speziellen Situation des BF im Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen.

Die unstrittigen Feststellungen zu aktuell vorliegenden Zahlen in Verbindung mit der Pandemie aufgrund des Corona-Virus ergeben sich aus den notorischen unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen, wie etwa der Johns Hopkins Universität, Corona Resource Center, in Baltimore, Maryland (darauf ua verweisend: https://www.ages.at).

Es wurden somit im gesamten Verfahren keinerlei Gründe dargelegt, die Zweifel an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage und zur speziellen Situation des BF im Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen.

3.6. Zur Beschwerde des BF

Da sämtliche Ausführungen in der Beschwerde die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des BF voraussetzen, welche jedoch aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu verneinen war, ist, um Wiederholungen zu vermeiden, nicht weiter auf den Beschwerdeinhalt einzugehen.

Insofern in der Beschwerde auf die kurzfristig anberaumte behördliche Einvernahme und die daraus resultierende Nervosität und mangelnde Konzentration des BF verwiesen und festgehalten wurde, dass dem BF daher auch die Antworten auf Fragen zum Glaubenswechsel erst später eingefallen seien, ist festzuhalten, dass sich die hg. Beweiswürdigung in Zusammenhang mit der Konversion des BF vorwiegend auf die Erörterungen in der hg. Verhandlungen stützen und der BF zu seiner kurzfristigen behördlichen Einvernahme und den in der Beschwerde monierten Umständen in der hg. Verhandlung letztlich angab, er habe nunmehr ein Wissen über seinen Glauben, welches er damals noch nicht gehabt habe. Dennoch hätte er sich, wenn die Ladung nicht kurzfristig erfolgt wäre, durch das Lesen der Bibel ein bisschen vorbereiten und seine Nervosität beherrschen können.

Ferner ist dazu festzuhalten, dass der BF eingangs der behördlichen Einvernahme, zu der er am selben Tag geladen wurde, auf die Frage, ob es für ihn in Ordnung sei, dass die betreffende Einvernahme am betreffenden Tag stattfinde, erklärte, damit einverstanden zu sein, doch könne er nicht alle Bestätigungen vorlegen, wofür ihm eine einwöchige Frist eingeräumt wurde (AS 100). Am Ende der Einvernahme erklärte der BF, keinerlei Probleme gehabt zu haben (AS 119) und erklärte, dieser ohne Probleme gefolgt zu sein, alles verstanden zu haben und bestätigte er nach Rückübersetzung seiner Angaben deren Richtigkeit und Vollständigkeit mit seiner Unterschrift (AS 120).

Gem. Paragraph 15, AVG liefert eine gem. Paragraph 14, aufgenommene Niederschrift über den Verlauf und über den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis, wobei der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des bezeugten Beweises zulässig bleibt. Mit den vom Beschwerdeführer dargelegten Argumenten gelingt es ihm mangels Substantiiertheit nicht, den vollen Beweis der gegenständlichen Niederschriften zu entkräften. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher – wie auch schon das Bundesamt – keine Zweifel am vollen Beweis der do. Niederschrift, sodass den Ausführungen in der Beschwerde auch aus diesem Blickwinkel nicht gefolgt werden kann.

4. Rechtliche Beurteilung (Zu Spruchteil A):

4.1. Zu Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides

4.1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling i.S.d. Asylgesetzes ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung".

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist vergleiche zB. VwGH E vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH E vom 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH E vom 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011).

Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH E vom 26.2.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH E vom 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse vergleiche VwGH E 18.4.1996, 95/20/0239; VwGH E vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein vergleiche VwGH E vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt (VwGH E vom 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH E vom 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH E vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183, VwGH E vom 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann weiters nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH 27.01.2000, Zl. 99/20/0519, VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256, VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0177, VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203, VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0291, VwGH 07.09.2000, Zl. 2000/01/0153, u.a.).

4.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist.

Nach Ansicht der erkennenden Richterin sind im Falle des Beschwerdeführers die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem der in der GFK genannten Gründen nicht gegeben.

Das ausreisekausale Vorbringen des Beschwerdeführers und der von ihm geltend gemachte Nachfluchtgrund der Konversion war in seiner Gesamtheit – wie in der Beweiswürdigung detailliert ausgeführt - nicht als glaubwürdig zu qualifizieren, weshalb es auch nicht der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist vergleiche VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 30.06.2005, Zahl: 2003/20/0544) ist zur Frage der Verfolgungsgefahr bei Iranern, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, maßgeblich, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung des behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grunde mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (so schon im Erkenntnis des VwGH vom 24.10.2001, Z1. 99/20/0550, ebenfalls VwGH vom 17.10.2002, Zahl: 2000/20/0102). In gleichem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 31.05.2001, Zl. 2001/20/0054, im Zusammenhang mit einer noch nicht erfolgten, aber beabsichtigten Konversion zum Ausdruck gebracht, dass für die Beurteilung des Asylanspruches maßgeblich sei, ob der Asylwerber in seinem Heimatstaat in der Lage war, eine von ihm gewählte Religion frei auszuüben, oder ob er bei Ausführung seines inneren Entschlusses, vom Islam abzufallen und zum Christentum überzutreten, mit asylrelevanter Verfolgung rechnen müsse.

Nach den alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union bindenden normativen Vorgaben des Artikel 10 Absatz eins, b RL 2004/83/eg, kann einem Flüchtling nicht mehr angesonnen werden, sich bei der Religionsausübung auf das sogenannte „forum internum" zu beschränken.

Asylbegehren, die auf Verfolgung mit religiösem Hintergrund gestützt werden, müssen so hin unter Berücksichtigung der unmittelbar anwendbaren Vorgaben des Artikel 10 Absatz eins, b RL 2004/83/eg geprüft werden. Gemäß dieser Richtlinie muss so hin die öffentliche Ausübung (forum externum) des christlichen Glaubens in Lehre, Gottesdienst und Sakramentsverwaltung möglich sein.

Um von einer Asylrelevanz überhaupt ausgehen zu können, kommt es auf die Art der Ausübung des christlichen Glaubens im Iran an, sowie darauf, ob der Asylwerber bei der Ausübung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit asylrelevanter Gefährdung zu rechnen hat.

Es bedarf hinsichtlich einer etwaigen Gefährdung im Heimatland grundsätzlich der vollen richterlichen Überzeugung, dass jemand während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet aus ernsthafter, fester innerer Überzeugung zum christlichen Glauben übergetreten ist und für ihn dessen Ausübung auch bei angenommener Rückkehr eine besondere, identitätsprägende und unverzichtbare Bedeutung hat.

Bei der Prüfung, ob tatsächlich Verfolgungsgefahr gegeben ist, sind sowohl objektive als auch subjektive Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Es kommt nicht ausschließlich auf den erfolgten Glaubensübertritt an, da dieser allein in der Regel noch nicht zu einer begründeten Verfolgungsfurcht führt. Bei Antragstellern, die unverfolgt aus dem Herkunftsstaat ausreisen, wird daher eine doppelte Prognose unter Würdigung der Gesamtumstände vorgenommen. Zu berücksichtigen ist das zu erwartende Verhalten des Antragstellers in seinem Herkunftsstaat und die voraussichtliche Reaktion der Behörden oder anderer Akteure. Maßgeblich für diese doppelte Prognose sind jedoch nicht detaillierte Kenntnisse über die Konversionsreligion und spielen diese bei der Entscheidung eine untergeordnete Rolle.

Basis der doppelten Prognose ist die Ernsthaftigkeit des religiösen Engagements, das sich durch ein Verhalten ausdrückt. Bescheinigungen über die Art, den Umfang und die Dauerhaftigkeit der Beteiligung des Antragstellers an den Aktivitäten der jeweiligen Kirchengemeinde geben darüber Aufschluss und sind zu berücksichtigen. Für die Überzeugung werden stets alle Aspekte des jeweiligen Falles - sowohl subjektive als auch objektive- in den Blick genommen (Sarah Bega, 410/Ursula Gräfin Praschma, AL 4, Entscheiderbrief des BMF 5/2015).

Im Lichte der in das Verfahren integrierten Länderinformationen und auch der zitierten aktuellen Judikatur ist der Schluss zu ziehen, dass aus der lediglich formalen, bzw. zum Schein erfolgten Konversion zum christlichen Glauben - wie sie in casu vorliegt - ohne dem Vorliegen einer exponierten Tätigkeit wie etwa missionarischer Aktivitäten, keine asylrechtlich relevante Gefährdung resultiert.

Dass der BF wie viele andere iranische Konvertiten die Kirche besucht und getauft wurde und ihm dies im Rückkehrfall in asylrelevanter Weise zum Nachteil gereicht, kann aufgrund der in der Beweiswürdigung getroffenen Ausführungen, wonach nicht davon auszugehen ist, dass die Person des BF für die iranischen Behörden in irgendeiner Weise von Interesse ist und unter Beobachtung steht, nicht festgestellt werden.

Auch betreffen den in das Verfahren aufgenommenen Länderfeststellungen zufolge Repressionen jedoch vor allem missionierende Christen und sehen sich christliche Konvertiten aufgrund der Ausübung ihres Glaubens willkürlichen Festnahmen und Verhaftungen ausgesetzt.

Dass der BF den christlichen Glauben ausübt und dieser für ihn identitätsstiftend ist, ist im Lichte der beweiswürdigenden Ausführungen auszuschließen und kann auch umso weniger davon ausgegangen werden, dass es dem BF ein Anliegen ist, missionierend tätig zu sein bzw. ist zu verneinen, dass der BF aufgrund der Ergebnisse der hg. Beweiswürdigung dazu in der Lage wäre. Der BF erklärte in der hg. Verhandlung letztlich selbst, sein Wissen sei für ein richtiges Missionieren nicht so weit.

Aus den Länderfeststellungen ist letztlich zu schließen, dass nur iranische Staatsangehörige, die sich als Folge ihrer missionarischen Betätigung für das Regime deutlich von der breiten Masse abheben (Kirchenführer, in der Öffentlichkeit besonders aktive Personen), Gefahr laufen, dass sich die iranischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen.

Im Hinblick darauf, dass der iranische Staat nicht jegliche Tätigkeit seiner Staatsbürger verfolgen kann, muss sich sein Interesse auf Personen beschränken, die aufgrund ihrer exponierten Stellung, ihres Einflusses auf andere iranische Staatsbürger und eines herausragenden Engagements eine potentielle Gefahr für den ausschließlichen Machtanspruch des Regimes im Iran darstellen könnten.

Das Verhalten des BF erweist sich aber nicht als derart markant, dass es geeignet erscheint, einen erhöhten Ermittlungsaufwand bei den iranischen Behörden auszulösen. Ein asylrelevantes Verfolgungsrisiko ist nach Ansicht der erkennenden Richterin daher nicht gegeben.

Der BF hat auch nicht vorgebracht, dass sich seine Familie zu seinem scheinbaren Glaubensübertritt negativ geäußert oder diesen den iranischen Behörden mitgeteilt hätte und ist nicht davon auszugehen, dass diese die iranischen Behörden diesbezüglich in Kenntnis setzt.

Letztlich sei hervorgehoben, dass lt. den in das Verfahren integrierten aktuellen länderkundlichen Feststellungen konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, für die iranischen Behörden nicht von Interesse sein werden vergleiche dazu auch EGMR, 19.12.2017, 60342/16 A. gg. die Schweiz – eine Konversion führt nur bei Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit zur Verfolgung im Iran:...dass Konvertiten im Iran nur dann dem Risiko einer Misshandlung ausgesetzt sind, wenn sie durch die öffentliche Ausübung ihres Glaubens die Aufmerksamkeit der iranischen Behörden erregen.).

Aufgrund der Beweiswürdigung in casu, welche ergibt, dass es sich beim BF um eine Scheinkonversion handelt, kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der BF Aktivitäten im Iran setzt und ist ferner auch auf die in den länderkundlichen Feststellungen enthalte Ausführung von Amnesty International zu verweisen, wonach sogar eine Taufe keine Bedeutung habe.

Auch wenn in einem Länderbericht auf die Meinung einer Organisation verwiesen wird, die sich um Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten kümmert, wonach eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein könnte (es wird sohin von einer bloßen Möglichkeit ausgegangen), so steht dem die Aussage von Amnesty International und einer anonymen Quelle vor Ort gegenüber, wonach eine Taufe keine Bedeutung habe. Das erkennende Gericht misst dieser Aussage von Amnesty International in diesem Zusammenhang mehr Gewicht zu, handelt es sich doch hiebei um eine internationale Organisation, die sich weltweit für Menschenrechte einsetzt und Menschenrechtsverletzungen recherchiert und darüber berichtet, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese Organisation im Falle, dass sie das alleinige Faktum der Taufe als problematisch ansehen würde, nicht berichten würde, dass diese keine Bedeutung habe.

4.1.3. Der Beschwerdeführer hat im Verfahren angegeben, Angehöriger der Volksgruppe der Kurden zu sein und - in der behördlichen Einvernahme und in der hg. Verhandlung dazu befragt - keine diesbezüglichen Probleme gehabt zu haben (AS 106, VHS römisch II, S 6).

Vollständigkeitshalber sei in diesem Zusammenhang auf nachfolgende höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach die Zugehörigkeit eines Asylwerbers zu einer Minderheit allein noch keinen Grund für die Gewährung von Asyl darstellt. Für die Anerkennung als Flüchtling kommt es immer nur auf die konkrete Situation des jeweiligen Asylwerbers an, nicht aber bloß auf die politischen Verhältnisse in seinem Heimatland. (VwGH 29.10.1993, 92/01/1105; 07.11.1995, 94/20/0889). Auch sind lt. Ausführungen der Länderdokumentation keine Rechtsverletzungen gegen Mitglieder ethnischer Minderheiten aus rein ethnischen Gesichtspunkten bekannt.

Aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit hat der BF im Lichte obiger Ausführungen keine verfahrensrelevanten Probleme zu befürchten.

4.1.4. Auch das Vorliegen eines Nachfluchtgrundes ist im gegenständlichen Fall aufgrund der dargelegten Erwägungen zu verneinen.

Nach den getroffenen Feststellungen gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass iranische Staatsangehörige, die aus dem Ausland in ihre Heimat zurückkehren, nunmehr asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt wären.

4.1.5. In einer Gesamtschau sämtlicher Umstände und mangels Vorliegens einer aktuellen Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des erstinstanzlichen Bescheides abzuweisen.

4.2. Zu Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides

4.2.1. Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Ziffer eins,), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Ziffer 2,), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 3, AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des Paragraph 11, offen steht.

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Absatz eins, oder aus den Gründen des Absatz 3, oder 6 abzuweisen, so hat gemäß Paragraph 8, Absatz 3 a, AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß Paragraph 9, Absatz 2, AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Artikel 2, EMRK (Recht auf Leben), Artikel 3, EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben vergleiche VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. Gesetzgebungsperiode zu Paragraph 8, AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird – auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören –, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Artikel 3, EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offenbliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen vergleiche VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

Die bloße Möglichkeit einer dem Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde vergleiche VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Artikel 3, EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vergleiche auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Artikel 3, EMRK in Verbindung mit Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vergleiche VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Artikel 3, EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Artikel 3, EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr („real risk“) – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).

4.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 nicht gegeben sind.

Dass der BF im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Eine Gefährdung durch staatliche Behörden bloß aufgrund des Faktums der Rückkehr ist nicht ersichtlich vergleiche dazu die einschlägigen Länderfeststellungen), auch keine sonstige allgemeine Gefährdungslage durch Dritte.

Der BF ist in Österreich aber auch im Iran in keiner Weise öffentlich regimefeindlich aufgefallen und ist mangels Exponiertheit des BF auch nicht davon auszugehen, dass dieser seitens der iranischen Behörden in Österreich überwacht wird und Probleme im Rückkehrfall bekommen wird.

Der Verfassungsgerichtshof entschied mit Erkenntnis vom 20. September 2010, U 1863/09-12, unter Hinweis auf das im Vorabsatz erwähnte Urteil des EGMR, dass bei einer Rückkehr in den Iran bezüglich der Prüfung der Gefahr einer Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung neben der zuvor erwähnten Berücksichtigung der angespannten Situation auch die speziellen Risiken bedacht werden müssen, denen Iraner ausgesetzt sind, wenn sie, ohne über Beweismittel für ihre legale Ausreise zu verfügen, in ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssen. Auf Grund aktueller Länderberichte stehe fest, dass diese besonders leicht einer genauen Überprüfung der Rechtmäßigkeit ihrer Ausreise aus dem Iran unterzogen werden. Diesfalls wäre es wahrscheinlich, dass ein Iraner ohne gültige Ausreisepapiere die Aufmerksamkeit der iranischen Sicherheitsbehörden auf sich ziehen und seine Vergangenheit dabei offen gelegt würde. Diese beiden Gesichtspunkte zusammen können dazu führen, dass die Ausweisung eines Iraners in seinen Herkunftsstaat angesichts der gegenwärtigen Umstände eine Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung darstellt. Diese Judikatur ist im konkreten Fall nun aber nicht einschlägig, da der Beschwerdeführer im Unterschied zur genannten VfGH-Judikatur jedoch ein unglaubwürdiges Vorbringen erstattet hat, daher zu keinem Zeitpunkt wesentlich ins Blickfeld des iranischen Staates geraten ist, den Iran nicht vorverfolgt verlassen hat und sein gesamtes Vorbringen als unglaubwürdig zu werten ist, weshalb letztlich keine Gefährdung vorliegt.

Nach den getroffenen Länderfeststellungen herrscht im Iran ferner nicht eine generell unsichere, von bewaffneten Unruhen geprägte Lage, aufgrund derer der BF bei einer Rückkehr einer konkreten Gefährdung ausgesetzt werden würde.

Ferner ist die Grundversorgung sowie die medizinische Versorgung grundsätzlich gewährleistet und besteht den länderkundlichen Feststellungen zufolge auch die Möglichkeit der Beziehung von Sozialbeihilfen. In den zahlreichen Apotheken sind auch die meisten in Europa gebräuchlichen Medikamente zu kaufen und nicht sehr teuer; generell sind alle Medikamentengruppen im Iran erhältlich; letztlich kann der BF bei Bedarf auch mit der Unterstützung seiner Familie rechnen.

Eine allgemeine Gefährdung von allen Rückkehrern wegen des Faktums ihrer Rückkehr lässt sich aus den Quellen ebenso wenig folgern.

Die aktuelle Lage im Iran stellt sich derzeit nicht so dar, dass nun bereits ein generelles Abschiebehindernis bzw. eine generelle Gefährdung aus Sicht der EMRK (Artikel 3,) gegeben ist. Vielmehr hat sich die innenpolitische Lage nach den Turbulenzen im Jahr 2009 wieder - zumindest oberflächlich - beruhigt. In diesem Zusammenhang ist auch auf das Urteil des EGMR vom 09.03.2010, Fall R.C., Appl. 41.827/07 zu verweisen, wonach zwar die im Iran herrschende, sehr angespannte Situation nicht außer Acht gelassen werden dürfe, in welcher der Respekt für die grundlegenden Menschenrechte seit den Wahlen 2009 erheblich abgenommen habe, diese schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen allein die Rückführung eines Iraners in seinen Herkunftsstaat aber noch nicht als unzulässig iSd Artikel 3, EMRK erscheinen lassen.

Beim BF handelt es sich um einen gesunden jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann und verfügt der BF im Herkunftsstaat auch über Angehörige (Eltern und Geschwister), zu denen er in Kontakt steht. Es sind jedenfalls keine Gründe ersichtlich, warum er als Erwachsener im Iran keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können sollte bzw. im Falle von Anfangsschwierigkeiten keine Unterstützung durch seine Familie finden kann. Dass ihn die Familie im Stich gelassen hätte, wurde vom BF nicht vorgebracht, sondern es besteht nach wie vor regelmäßig Kontakt zur Familie (VHS römisch eins, S 7).

Der BF ist im Iran aufgewachsen, spricht die Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau, hat dort die Schule besucht, mit Matura abgeschlossen (AS 104) und verfügt über Berufserfahrung als Kranfahrer. Er wurde im Iran sozialisiert und ist es ihm durchaus zuzumuten, sich im Iran wieder eine Existenz aufzubauen.

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Artikel 3, EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde vergleiche VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nicht vor.

Letztlich war zu berücksichtigen, dass der BF in der Beschwerde den vom BFA zugrunde gelegten Länderberichten und ebensowenig den hg. in das Verfahren aufgenommenen Länderberichten zur Zumutbarkeit und Möglichkeit der Rückkehr in den Iran nicht substantiiert entgegengetreten ist und nicht dargelegt hat, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf seine individuelle Situation auswirken würde, insbesondere inwieweit der BF durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.

Es ist daher nicht ersichtlich, dass dem BF im Fall seiner Rückkehr in den Iran dort die notdürftigste Lebensgrundlage fehlt. Gemäß den getroffenen Länderfeststellungen ist die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet; Gegenteiliges wurde vom BF auch nicht dargetan. Letztlich ist aus der Reise des BF nach Österreich ersichtlich, dass er mobil und in der Lage ist, auch in einer für ihn fremden Umgebung sein Leben zu organisieren.

Auch aus den aktuellen, in das Verfahren integrierten Quellen zur COVID19-Pandemie ergibt sich keine Rückehrgefährdung des BF im Sinne eines realen Risikos, ist doch aufgrund des Alters und des Gesundheitszustandes des BF nicht darauf zu schließen, dass dieser Angehöriger einer Risikogruppe ist.

Bei COVID 19 handelt es sich um keine wahrscheinlich tödlich verlaufende, die Schwelle des Artikel 3, EMRK tangierende Krankheit und hat der BF zu den diesbezüglichen hg. Feststellungen auch kein Vorbringen erstattet, aus dem sich in diesem Zusammenhang ein reales Risiko im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat ergeben würde.

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Judikatur des EGMR zu verweisen, wonach es – abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Artikel 3, EMRK darstellen würde – grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, römisch eins gegen Schweden, Nr. 61 204/09).

Dazu auch VwGH vom 23.06.2020, Ra 2020/20/0188-3, Rz 17 – 19 hinsichtlich der Ausführungen zur aktuellen Covid-Pandemie: es reicht nicht, wenn eine Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Artikel 3, EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Artikel 3, EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (VwGH 22.4.2020, Ra 2020/18/0098, mwN).

Insgesamt kann sohin im vorliegenden Fall vor dem Hintergrund der COVID 19-Pandemie im Herkunftsstaat des BF weder auf eine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Krankheitsverlaufes beim BF, der auch die Möglichkeit genutzt hat, sich in Österreich zumindest zwei Mal impfen zu lassen, noch insgesamt auf eine allgemeine oder medizinische unzureichende Versorgungslage geschlossen werden.

Ergänzend ist anzuführen, dass gemäß Paragraph 52 a, BFA-VG zB. auch eine finanzielle Rückkehrhilfe (über diese wird im erstinstanzlichen Verfahren schon informiert) als Startkapital für die Fortsetzung des bisherigen Lebens in den Iran gewährt werden kann. Im Rahmen der Rückkehrhilfe wird dabei der Neubeginn zu Hause unterstützt, Kontakt zu Hilfsorganisationen im Heimatland vermittelt, finanzielle Unterstützung geleistet und beim Zugang zu Wohn-, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten geholfen (http://www.caritas.at/hilfe-einrichtungen/fluechtlinge/beratung-und vertretung/rueckkehrhilfe/).

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass die wirtschaftliche Situation im Herkunftsstaat des BF schlechter ist als in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bzw. in Österreich, aus den Berichten geht aber keinesfalls hervor, dass sie dergestalt ist, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre.

Es kam im Verfahren nicht hervor, dass konkret für den BF im Falle einer Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr bestünde, als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt zu sein.

Auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ergibt sich somit kein "reales Risiko", dass es derzeit durch die Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde.

Demnach war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

4.3. Zu den Spruchpunkt römisch IV.-VI. des angefochtenen Bescheides (zur Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung Paragraph 52, FPG):

4.3.1. Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt wird.

4.3.2. Gegen Spruchpunkt römisch III. (Paragraph 57, AsylG 2005) des angefochtenen Bescheides wurde ausdrücklich keine Beschwerde erhoben, weshalb der betreffende Spruchpunkt in Rechtskraft erwuchs und daher nicht darüber abzusprechen ist.

4.3.3. Gemäß Paragraph 52, Absatz 2, FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (Paragraph 10, AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

4.3.3.1. Der BF ist als Staatsangehöriger der Republik Iran kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen und ebensowenig nach dem AsylG zu.

4.3.4. Gemäß Paragraph 55, Absatz , AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 9, Integrationsgesetz (IntG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 68 aus 2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (Paragraph 5, Absatz 2, Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 189 aus 1955,) erreicht wird. Nach Paragraph 55, Absatz 2, AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Absatz eins, Ziffer eins, vorliegt.

Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraph 45, oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre.

Der Begriff des "Familienlebens" in Artikel 8, EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt vergleiche dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Artikel 8 ;, Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vergleiche auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Artikel 8, EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt vergleiche Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Artikel 8, Absatz 2, EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

4.3.4.1. Der BF hat keine Verwandten oder sonstige nahe Angehörigen in Österreich. Die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bildet daher keinen Eingriff in das Recht des BF auf Schutz des Familienlebens.

4.3.4.2. Zum Privatleben des BF in Österreich ist folgendes festzuhalten:

Der BF war im Bundesgebiet seit seiner illegalen Einreise in Österreich im Dezember römisch 40 aufhältig. Der gut sechseinhalbjährige Aufenthalt des BF wird jedoch dadurch relativiert, dass dieser bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war. Dies musste dem BF bewusst gewesen sein.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt vergleiche dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Artikel 8, MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Eine von Artikel 8, EMRK geschützte Integration ist erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen vergleiche Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt vergleiche VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH). Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist vergleiche VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Artikel 8, EMRK thematisiert.

In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Artikel 8, Absatz 2, EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon 10 Jahre im Aufnahmestaat lebte.

Die Interessen des BF werden daher dadurch erheblich gemindert, dass sein Aufenthalt lediglich auf einen - wie sich im Verfahren zeigte - unberechtigten Asylantrag zurückzuführen ist (VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479 mwN). Beruht der bisherige Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten (insbesondere bei Vortäuschung eines Asylgrundes [vgl VwGH 2.10.1996, 95/21/0169]), relativiert dies die ableitbaren Interessen des Asylwerbers nämlich wesentlich [vgl. die Erkenntnisse vom 28. Juni 2007, Zl. 2006/21/0114, und vom 30. August 2007, Zl. 2006/21/0246] (VwGH 20.12.2007, 2006/21/0168).

In Anbetracht dieser Umstände kommt dem nunmehr gut sechseinhalbjährigen Aufenthalt des BF in Österreich eine lediglich untergeordnete Bedeutung zu.

Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf die rezente höchstgerichtliche Judikatur zur Zurückweisung einer Revision im Falle eines Asylwerbers mit mehr als siebenjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet, abgeschlossener Lehre und Berufstätigkeit als Koch, Deutschkenntnissen auf dem Niveau B2, einem sozialen Netz an Freunden, 10monatiger eheähnliche Beziehung, keinen Kontakten zur Familie im Herkunftsstaat, Unbescholtenheit sowie Selbsterhaltungsfähigkeit während des Großteils des Verfahrens.

Der VwGH hob besonders hervor, dass maßgeblich relativierend einzubeziehen sei, dass sich der Asylwerber seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müsse und verneinte auch angesichts der obzitierten integrationsbegründenden Faktoren die Existenz von ‚außergewöhnlichen Umständen‘ (VwGH 04.02.2020, Ra 2020/14/0026-5 mit Verweis auf VwGH 12.12.2019, Ra 2019/14/0242; 25.06.2019, Ra 2019/14/0260, VwGH 02.12.2019, Ra 2019/14/0408).

Auf die strengen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. Paragraph 55, AsylG zuletzt verweisend: VwGH 16.07.2020, Ra 2020/21/0133.

Der BF hat in Österreich Deutschkurse besucht, bislang jedoch keine Prüfung nachgewiesen. In der hg. Verhandlung hat er eine Anmeldung für eine A2 Integrationsprüfung am römisch 40 vorgelegt. Die erkennende Richterin konnte sich von den einfachen Deutschkenntnissen des BF in der hg. Beschwerdeverhandlung einen Eindruck verschaffen, doch sind diese – in Anbetracht der Aufenthaltsdauer des BF in Österreich – als unterdurchschnittlich anzusehen.

Zwar stellt der Spracherwerb und der tatsächliche Wille, die deutsche Sprache zu erlernen, zweifellos ein wesentliches Kriterium bei der Beurteilung der Integration in Österreich dar, doch ist auch auf die diesbezügliche höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehende Integrationsmerkmale verfügt und diesen nur untergeordnete Bedeutung zukommt vergleiche VwGH 06.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

Der BF bezieht seit seiner Einreise in Österreich staatliche Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Zwar hat der BF lt. vorgelegter Bestätigung der römisch 40 vom römisch 40 gemeinnützig in einem Altenheim und fallweise als Dolmetscher in seiner Unterkunft gearbeitet (OZ 16), wozu der BF in der hg. Verhandlung erklärte, die Tätigkeit im Altenheim habe mehrere Monate im Jahr römisch 40 umfasst, doch ist darin – ohne dieses Engagement schmälern zu wollen – dennoch keine Verfestigung am Arbeitsmarkt zu erkennen.

Die erkennende Richterin verkennt auch nicht, dass sich der BF während seines Aufenthaltes in Österreich ein Privatleben aufgebaut hat und über einen Freundeskreis verfügt, doch ist dies auch der Dauer des Aufenthaltes geschuldet. Soweit in den vorgelegten Empfehlungsschreiben von Privatpersonen (Empfehlungsschreiben vom römisch 40 , Empfehlungsschreiben undatiert, AS 227, Empfehlungsschreiben römisch 40 vom römisch 40 dem BF Kontaktfreudigkeit, Interesse an der österreichischen Kultur, Hilfsbereitschaft, Gastfreundlichkeit, Fleiß, Engagement beim Deutschlernen und Freundlichkeit attestiert wurden, ist auszuführen, dass daraus nicht hervorgeht, wodurch im konkreten Fall eine besondere Integration des Beschwerdeführers gegeben sein soll, auch wenn die darin beschriebenen Eigenschaften des BF zutreffen mögen. Besondere Tatsachen, die ein berücksichtigungswürdiges Engagement zur Integration in Österreich gezeigt hätten, sind dadurch nicht hervorgekommen.

Lt. einer Einstellungszusage vom römisch 40 könnte der BF eine Tätigkeit in einem Gastronomiebetrieb aufnehmen.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer über eine Einstellungszusage verfügt, kann in casu nicht entscheidungswesentlich zu seinen Gunsten ausschlagen (dazu auch VwGH 14.12.2010, 2010/22/0186, in dem der Ansicht zugestimmt wird, dass im Fall eines im Jahr 2003 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereisten, unbescholtenen Beschwerdeführers, der über eine Einstellungszusage verfügte und zudem in den Jahren 2006 bis 2008 als Straßenarbeiter tätig gewesen sei, nicht von einer solchen beruflichen Integration gesprochen werden könne, die die Erlassung einer Ausweisung unzulässig machen würde) und die Existenz einer Selbsterhaltungsfähigkeit dartun, ist eine solche doch an die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung geknüpft.

Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, dass der Ausübung einer Beschäftigung sowie einer etwaigen Einstellungszusage oder Arbeitsplatzzusage eines Asylwerbers, der lediglich über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und über keine Arbeitserlaubnis verfügt hat, keine wesentliche Bedeutung zukommt (VwGH 22.02.2011, 2010/18/0323 mit Hinweis auf VwGH 15.09.2010, 2007/18/0612, VwGH 29.06.2010, 2010/18/0195 mit weiteren Nachweisen).

Soweit der BF über private Bindungen in Österreich verfügt, ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass diese zwar durch eine Rückkehr in den Iran gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass der BF hierdurch gezwungen wird, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm in Österreich nahestehen, gänzlich abzubrechen. Auch hier steht es ihm frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch kurzfristige Urlaubsaufenthalte) aufrecht zu erhalten. Auch der Verwaltungsgerichtshof führt zur sozialen Integration wie folgt aus: Das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich ist in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen vergleiche VwGH 31.1.2013, 2011/23/0519).

Ferner ist die rezente Judikatur des VwGH heranzuziehen, wonach trotz siebenjährigem Aufenthalt, sehr guten Deutschkenntnissen, der Beziehung zu einer Österreicherin und intensiven Bindungen zu österreichischen Freunden und Glaubensgemeinschaft und der Tätigkeit als Zeitungsverkäufer spätestens vor dem Hintergrund der Rückkehrentscheidung durch das BFA dem Revisionswerber hätte klar sein müssen, dass es keine gesicherte Grundlage für seinen Aufenthalt in Österreich gibt. Angesichts der verwandtschaftlichen Beziehungen des Revisionswerbers im Herkunftsstaat und dessen Verlassen im Erwachsenenalter kann nicht von einer kompletten Entwurzelung ausgegangen werden.

Auch die Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Herkunftsstaat – letztlich Folge des seinerzeitigen ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von Subsidiärschutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassen des Herkunftsstaats sind im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (VwGH 17.04.2020, Ra 2020/21/0083-6).

Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die rezente höchstgerichtliche Judikatur zur Zurückweisung einer Revision im Falle eines Asylwerbers mit mehr als siebenjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet, abgeschlossener Lehre und Berufstätigkeit als Koch, Deutschkenntnissen auf dem Niveau B2, einem sozialen Netz an Freunden, 10monatiger eheähnliche Beziehung, keinen Kontakten zur Familie im Herkunftsstaat, Unbescholtenheit sowie Selbsterhaltungsfähigkeit während des Großteils des Verfahrens. Der VwGH hob besonders hervor, dass maßgeblich relativierend einzubeziehen sei, dass sich der Asylwerber seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müsse und verneinte auch angesichts der obzitierten integrationsbegründenden Faktoren die Existenz von ‚außergewöhnlichen Umständen‘ (VwGH 04.02.2020, Ra 2020/14/0026-5 mit Verweis auf VwGH 12.12.2019, Ra 2019/14/0242; 25.06.2019, Ra 2019/14/0260, VwGH 02.12.2019, Ra 2019/14/0408).

Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang ferner auch auf VwGH 25.02.2010, Zl. 2009/21/0070, wonach selbst bei einem rund achtjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet, einer Berufstätigkeit des BF, dem Erlernen der deutschen Sprache, der Unbescholtenheit des BF, dem Vorhandensein eines Freundes- und Bekanntenkreises sowie Verwandten in Österreich und fehlendem Kontakt ins Herkunftsland, die persönlichen Interessen nicht die öffentlichen Interessen überwiegen, wenn die integrationsbegründenden Umstände während eines Aufenthaltes erworben wurden, der sich auf einen nicht berechtigten Asylantrag gründet.

Ebenso auch VwGH 23.03.2010, Zl. 2010/18/0038, im Falle eines Asylwerbers mit siebenjährigem Aufenthalt, guten Deutschkenntnissen, Unbescholtenheit und beruflicher Integration. Auch in diesem Fall wurde dem Vorbringen zur Integration des Beschwerdeführers in Österreich während seines mehrjährigen Aufenthaltes zu Recht entgegengehalten, dass der Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers während seines gesamten Aufenthaltes als unsicher anzusehen war.

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Zurückweisung der Revision durch den VwGH auch bei rd. sechsjährigem Aufenthalt des BF im Bundesgebiet (VwGH 12.08.2020, Ra 2020/14/0322-6).

Der persönliche und familiäre Lebensmittelpunkt des BF liegt nach wie vor im Iran, wo seine Familienangehörigen leben, zu welchen er in regelmäßigen Kontakt steht. Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende besonders berücksichtigungswürdige Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind nicht erkennbar. Weitere ausgeprägte Interessen hat der BF im Verfahren auch nicht dargetan. Die Schutzwürdigkeit seines Privat- und Familienlebens in Österreich ist aufgrund des Umstandes, dass er seinen Aufenthalt nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt hat, nur im geringen Maße gegeben. Der BF hat andererseits den überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht, wurde dort sozialisiert und spricht die Mehrheitssprache seiner Herkunftsregion auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso war festzustellen, dass er dort über Bezugspersonen in Form seiner Angehörigen (Eltern und Geschwister) verfügt. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es dem BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

Es ist zusammenfassend davon auszugehen, dass im Falle des BF schon aufgrund der dargelegten Faktoren naturgemäß von keiner Verdichtung der Interessen des BF auszugehen, sondern ein relativ geringer Grad an Integration erreicht worden ist.

Von einer strafrechtlichen Verfolgung des BF wegen Paragraph 27, Absatz eins, SMG wurde lt. Verständigung der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom römisch 40 vorläufig zurückgetreten (OZ 6).

Der BF gilt als strafrechtlich unbescholten.

Der Umstand, dass der BF in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

Angesichts der - somit in ihrem Gewicht erheblich geminderten - Gesamtinteressen des BF am Verbleib in Österreich überwiegen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich neben den gefährdeten Sicherheitsinteressen insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrages verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf vergleiche dazu im allgemeinen und zur Gewichtung der maßgeblichen Kriterien VfGH 29.09.2007, B 1150/07).

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des Paragraph 9, BFA-VG ist daher davon auszugehen, dass die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.

4.3.5. Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG hat ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Nach Paragraph 50, Absatz eins, FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Nach Paragraph 50, Absatz 2, FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Artikel 33, Ziffer eins, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974,), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005).

Nach Paragraph 50, Absatz 3, FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

4.3.5.1. Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des Paragraph 50, FPG ergeben würde.

4.3.6. Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach Paragraph 55, Absatz 2, FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

4.3.6.1. Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

Festzuhalten ist im Zusammenhang mit der vierzehntägigen Frist zur Ausreise, dass die Vollziehung der Außerlandesbringung zum Kompetenzbereich des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gehört, sodass naturgemäß die aktuellen Gegebenheiten in Bezug auf die Covid-19-Pandemie seitens des BFA zu berücksichtigen sind.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchteil B):

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), Bundesgesetzblatt Nr. 10 aus 1985, idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Themen Glaubwürdigkeitsprüfung, wohlbegründete Furcht, Verfolgung, Glaubhaftmachung, Refoulement und Rückkehrentscheidung auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2022:L506.2208770.1.00