Bundesverwaltungsgericht
23.08.2022
L531 2209426-1
L531 2209426-1/22E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Anita MAYRHOFER über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 , StA: Iran, vertreten durch Mag. Martin SAUSENG, Rechtsanwalt in 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2018, römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.06.2022, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Die beschwerdeführende Partei (im Folgenden kurz: bP), ein Staatsangehöriger des Iran, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 22.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am darauffolgenden Tag, gab die bP an, den Namen römisch 40 zu führen und Staatsangehöriger des Iran zu sein. Sie sei am römisch 40 im Iran geboren, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und bekenne sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.
Zu ihren Ausreisegründen befragt, gab die bP Folgendes an: "Ich hatte im Iran politische Aktivitäten gegen das iranische Regime. Wir sind Araber und wir wollen in unserer Stadt Ahwas unsere eigene Stadt haben. Aufgrund dessen wurde ich von den iranischen Behörden verhaftet und wieder freigelassen. Nun werde ich wieder verfolgt deswegen verließ ich mein Heimatland."
Zu einer Rückkehrgefährdung gab die bP an: "Ich habe Angst um mein Leben."
3. Nach Zulassung des Verfahrens wurde die bP am 09.10.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgen kurz: BFA) im Beisein eines geeigneten Dolmetschers vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter niederschriftlich einvernommen.
Die Einvernahme der bP gestaltete sich wie folgt:
"[…]
LA: Entsprechen Ihre bisherigen Angaben im Zuge der früheren Einvernahme/n im Asylverfahren der Wahrheit?
VP: Ja.
LA: Wie verstehen Sie den anwesenden Dolmetscher?
VP: Gut.
LA: Haben Sie einen Verfahrensvertreter?
VP: Nein.
LA: Sind Sie gesund?
VP: Ja, vollkommen.
LA: Haben Sie sich mittlerweile irgendwelche Dokumente zur Identitätsfeststellung besorgt?
VP: Nein. Mein Reisepass, meine Führerschein und mein Staatsbürgerschaftsnachweis wurde wurden von den iranischen Behörden beschlagnahmt.
LA: Woher wissen Sie, dass die Dokumente beschlagnahmt wurden?
VP: Nach meiner Flucht war ich fünf Monate unterwegs. In diesen fünf Monaten konnte ich meine Familie nicht kontaktieren. Als ich nach Österreich gekommen bin, konnte ich meine Mutter anrufen. Diese hat mir gesagt, dass die iranischen Behörden alle Dokumente beschlagnahmt haben.
LA: Wann haben Sie da mit Ihrer Mutter telefoniert?
VP: Zwei oder drei Tage nach der Antragstellung.
LA: Auf Ihrer Reise hatten Sie warum gerade keine Möglichkeit mit Ihren Eltern zu telefonieren?
VP: Ich habe Angst gehabt.
LA: Haben Sie irgendwelche Personaldokumente oder andere Dokumente in Österreich, die Sie nochnicht vorgelegt haben?
VP: Nein.
LA: Haben Sie Beweismittel, die Sie im bisherigen Verfahren noch nicht vorgelegt haben?
VP: Ich lege vor:
1 Schreiben der Bewegung für den Arabischen Kampf zur Befreiung von Ahwaz vom römisch 40 .2018
mitsamt Übersetzung.
1 Deutschkursbestätigung von Jugend am Werk Niveau A1.3
1 Teilnahmebestätigung des ÖIF für den Wertekurs
1 Teilnahmebestätigung für einen Trommelworkshop vom 10.09.2018
6 Ablichtungen
Anmerkung: in Kopie zum Akt
LA: Woher haben Sie dieses Schreiben der Bewegung für den Arabischen Kampf zur Befreiung von Ahwaz?
VP: Mein Onkel römisch 40 ist der Vorsitzende dieser Bewegung. Er befindet sich zurzeit in Dänemark und führt in Dänemark und Holland einen Fernsehsender über die Thematik.
LA: Wo sind Sie geboren?
VP: In Ahwaz.
LA: Wo liegt das?
VP: Im Süden vom Iran am Golf.
LA: Ist Ahwaz eine Stadt?
VP: Nein es ist die Haupstadt.
LA: Die Hauptstadt von was?
VP: Die Hauptstadt von Arabstan.
LA: Was ist Arabstan?
VP: Vor ca. 92 Jahren war das ein souveräner Staat. 1925 wurde der Staat vom Iran besetzt und bis jetzt stehen wir unter der iranischen Besatzung und leiden. Wir dürfen unsere Muttersprache nicht sprechen und unseren Kindern keine arabischen Namen geben. Auch unsere Trachten dürfen wir nicht anziehen. Unsere Identitäten wurden gefälscht. Sie haben auch die Flüße umgeleitet damit sie durch den Iran fließen und nicht durch Ahwaz. Die Gegend ist auch reich an Erdöl und der Iran hat die volle Kontrolle darüber übernommen. Wenn wir versuchen unsere Rechte zu verteidigen werden wir
auf offener Straße zum Tode verurteilt.
LA: Wo sind Sie aufgewachsen?
VP: Wir sind als ich jung war nach Sous gezogen. Dort bin ich aufgewachsen und dort haben wir zwei Häuser. Aber wir haben noch immer ein Haus in Ahwaz. Wir pendeln öfters zwischen Sous und Ahwaz hin und her.
LA: Wo liegt Sous?
VP: Nördlich von Ahwaz, ca. 100 Kilometer entfernt.
LA: Wo haben Sie sonst noch gelebt?
VP: Sonst habe ich nirgendwo gelebt.
LA: Gehört Sous auch zum Staat Arabstan?
VP: Ja.
LA: Welche Staatsangehörigkeit haben Sie?
VP: Ich bin Iraner.
LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?
VP: Ich bin Araber.
LA: Welcher Religion gehören Sie an?
VP: Ich bin sunnitischer Moslem.
LA: Sind Sie verheiratet?
VP: Nein.
LA: Haben Sie Kinder?
VP: Nein.
LA: Welche schulische Ausbildung haben Sie?
VP: Ich war fünf Jahre in der Grundschule und zwei Jahre in der Hauptschule.
LA: Haben Sie einen Beruf erlernt bzw. eine Ausbildung gemacht?
VP: Nein. Das ist bei uns auch nicht üblich. Man baut entweder etwas an oder geht in den Handel.
LA: Als was haben Sie gearbeitet? Welche Berufe übten Sie zuletzt aus?
VP: Früher habe ich beim Anbauen geholfen, aber als ich 18 wurde habe ich im Autohaus meines Onkels gearbeitet. Später wurde ich sein Partner.
LA: Wie waren Ihre allgemeinen Lebensbedingungen und Ihre finanzielle Lage im Herkunftsstaat?
VP: Gut.
LA: Welche Familienmitglieder und Verwandte haben Sie noch im Herkunftsstaat? Damit sind auch Onkeln, Tanten, Cousinen, Cousins usw. gemeint.
VP: Vater, Mutter, drei Brüder und zwei Schwestern. Ich habe auch unzählbar viele Onkel, Tanten, Cousinen und Cousins. Die meisten leben in einem kleinen Dorf in der Nähe von Sous, namens Bet Mehmet. Sie bauen dort Weizen, Mais und Gerste an. Die Hälfte der Liegenschaften hat der Iran beschlagnahmt und baut dort Zuckerrohr an.
LA: Wie geht es Ihren Angehörigen im Herkunftsstaat?
VP: Es geht ihnen gut. Zur Zeit werden sie allerdings immer wieder zur Einvernahme geholt und nach mir gefragt.
LA: Wovon leben Ihre Angehörigen?
VP: Wie ich zuvor schon gesagt habe.
LA: Sie sind nun schon einige Zeit in Österreich. Was haben Sie in diesem Zeitraum gemacht? Wie gestaltet sich Ihr Tagesablauf?
VP: Ich stehe am Morgen auf und frühstücke. Dann gehe ich aus um zum Beispiel zu spazieren und am Abend gehe ich ins Fitnessstudio. Ich gehe auch gerne mit meiner Freundin etwas trinken oder in die Disco.
LA: Können Sie sich schon in deutscher Sprache verständigen?
VP: Ja.
Anmerkung: Auf Befragen in Deutsch kann die VP Deutsch etwas verstehen und gebrochen auf
Deutsch antworten.
LA: Haben Sie in Österreich familiäre Beziehungen oder sonstige verwandtschaftliche Bindungen?
VP: Nein.
LA: Aus einem Aktenvermerk vom 22.04.2016 geht hervor, dass Sie in Österreich um Asyl ansuchen möchten, weil Sie hier Familie hätten. Möchten Sie sich dazu äußern?
VP: Ich habe zwei Onkel in Dänemark, hier habe ich keine Familie.
LA: Haben Sie einen Freundeskreis in Österreich?
VP: Ja.
LA: Können Sie mir Namen und Adressen nennen?
VP: Ich habe viele Freunde. Adresses habe ich keine, aber alle wohnen in römisch 40 . Hans Peter (NN unbekannt) lädt mich oft ein. Ich gehe mit ihm auch was trinken. Er ist 35 Jahre alt. Meine Freundin heißt römisch 40 , sie lebt in römisch 40 . Wie die anderen heißen weiß ich nicht, aber ich trainiere auch mit vielen zusammen. Ich habe die Namen vergessen.
LA: Haben Sie eine andere besondere Bindung zu Österreich?
VP: Nein.
LA: Haben Sie Arbeit in Österreich? Wenn ja, welche und seit wann?
VP: Nein.
LA: Wovon leben Sie dann?
VP: Von den 150 Euro die ich bekomme. Zweimal war auch mein Onkel aus Dänemark da und hat mir Gewand gekauft. Auch wenn ich mit meinen Freunden fort gehe, zahlen immer sie. Ich würde gerne arbeiten, aber ich bekomme keine.
LA: Besuchen Sie in Österreich Kurse, eine Schule oder eine Universität?
VP: Ich darf zurzeit keinen Deutschkurs machen. Ich müsste diese selber tragen aber ich habe nicht so viel Geld. Schule oder Universität besuche ich nicht.
LA: Sind Sie Mitglied in einem Verein?
VP: Nein.
LA: Sind Sie ehrenamtlich aktiv?
VP: Nein. Ich habe mich zwar bei der Gemeinde gemeldet, aber keine Antwort bekommen.
LA: Wie beteiligen Sie sich am sozialen Leben?
VP: Dieser Hans Peter hat einen Garten. Oft gehe ich zu ihm und helfe bei den Gartenarbeiten.
Solche Arbeiten. Auch den Nachbarn helfe ich oft bei kleineren Arbeiten.
LA: Wie stellen Sie sich die Zukunft vor?
VP: Momentan ist das Leben langweilig. Wenn ich meine Papiere bekomme dann kann ich endlich arbeiten und heiraten. Einfach ein anderes Leben hier führen.
LA: Welche konkreten Schritte haben Sie bislang gesetzt um diese Vorstellungen zu erfüllen?
VP: Ich habe einen Deutschkurs gemacht. Jetzt lerne ich von meinen Freunden. Mehr kann ich nicht machen. Ich bin so wie gefesselt und kann nichts machen. Ich würde gerne arbeiten, heiraten, ein Haus bauen und ein Auto kaufen.
LA: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen?
VP: Am römisch 40 .2015
LA: Wo haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen?
VP: In Urumieh an der türkischen Grenze.
LA: Wie haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen?
VP: Ich bin zu Fuß einfach über die Grenze in die Türkei. Wir waren fünf Tage unterwegs bis wir die Türkei erreicht hatten. Danach sind wir mit dem Taxi nach Istanbul.
LA: Wie ging es dann weiter bis Sie in Österreich angekommen sind?
VP: Von Istanbul mit dem Bus nach Izmir. In Izmir habe ich ca. 25 Tage gewartet. Dann sind wir mit einem Schlauchboot Richtung Griechenland gefahren. Ich kann mich an den Namen der Insel nicht erinnern. In Griechenland war ich dann ca. 40 Tage. In Griechenland habe ich einen Schlepper kennen gelernt, der mich zur mazedonischen Grenze gebracht hat. Von dort sind wir durch Mazedonien, Serbien bis nach Ungarn gefahren. Über die Grenze sind wir immer zu Fuß, die restliche Strecke mit dem Auto bzw. Taxi. Ich war dann 25 Tage in Ungarn im Gefägnis. Von Ungarn bin ich dann weiter mit einem Auto nach Wien.
LA: Hatten Sie da bereits ein bestimmtes Reiseziel als Sie aufgebrochen sind?
VP: Ich hab kein bestimmtes Land gehabt. Ich wollte nur in ein europäisches Land. Als ich Österreich erreicht habe, habe ich mich wohl gefühlt und entschieden zu bleiben.
LA: Wer hat die Reise organisiert?
VP: Als mein Freund am römisch 40 .2015 von den iranischen Behörden festgenommen wurde, habe ich mich entschieden das Land zu verlassen. Am nächsten Tag habe ich Ahwaz verlassen. Mein Onkel hat mich nach Urumieh mitgenommen. Er hat dort viele Freunde. Dort war ich dann ca. 2 Monate und habe mich bei seinen Freunden versteckt. Und diese Freunde meines Onkels haben dann die Reise organisiert.
LA: Nun spricht eine über zwei Monate organisierte Reise nicht gerade für eine überhastete Flucht. Möchten Sie sich dazu äußern?
VP: In diesen beiden Monaten haben Sie immer wieder versucht mich aus dem Iran zu bringen, aber es war nicht möglich. Die Flucht war nicht möglich.
LA: Warum nicht?
VP: Die iranische Polizei hat die Grenze immer überwacht. Es war nicht so einfach über die Grenze zu flüchten.
LA: Sind Sie legal oder illegal ausgereist?
VP: Illegal.
LA: Beschreiben Sie die Grenzkontrollen, die Sie durchlaufen mussten. Hatten Sie bei der
Grenzkontrolle Schwierigkeiten? Welche?
VP: Es gab keine.
LA: Wie viel hat die Reise gekostet?
VP: Insgesamt von der Türkei bis nach Österreich 3500 Euro. Vom Iran in die Türkei haben die
Freunde meines Onkels die Kosten übernommen.
LA: Haben Sie in anderen Staaten um Asyl angesucht?
VP: Nein. Ich wurde in Ungarn und Griechenland erkennungsdienstlich behandelt.
LA: Warum nicht? Sie sagten vorhin Sie wollten lediglich in ein europäisches Land?
VP: Einfach so. Ich bin nach Österreich gekommen. Als ich das Land erreicht hatte, habe ich entschieden hier zu bleiben. Ich bin selbst freiwillig zur Polizei gegangen.
LA: Wenn jemand Schutz sucht, dann wendet er sich doch an das nächstgelegene Land, welches
einem Schutz bietet und durchreist nicht mehrere sichere Länder bis nach Österreich. Warum haben Sie nicht zuvor um Asyl angesucht?
VP: Ursprünglich wollte ich zu meinem Onkel nach Dänemark gehen, aber als ich Österreich erreicht habe, habe ich entschieden hier zu bleiben.
LA: Welche Fluchtgründe haben Sie nun? Warum suchen Sie um Asyl an? Schildern Sie ausführlich.
VP: In meiner Heimat war ich politisch und kulturell aktiv. Ich habe auch direkten Kontakt mit meinem Onkel, welcher der Vorsitzende der Bewegung zur Befreiung von Ahwaz ist. Ich habe an Demonstrationen teilgenommen. Wir haben dagegen protestiert, dass der Iran unsere Flüsse umgeleitet hat und unser Land ausgetrocknet hat. Ich habe an diesen Demonstrationen teilgenommen und Fotos gemacht. Ich habe die Fotos und Videos an meinen Onkel weitergeschickt. Wir haben die Flagge von Ahwaz immer wieder gehisst. Wir haben auch arabische Sprüche an die Wände gesprüht. Wir wollten einfach unsere Rechte verteidigen. Das Recht die arabische Sprache zu sprechen, unsere Tracht zu tragen und unsere Kultur zu leben. Das hat uns der Iran verboten. Jeder der dagegen protestiert hat wurde zum Tode verurteilt. Anfang 2015 habe ich mich dieser Bewegung angeschlossen. Ich und ein Freund sind beigetreten. Wir haben auch Flugblätter verteilt. Wir haben das bis Oktober gemacht, bis mein Freund verhaftet wurde. Da ich gesehen habe, dass mein Leben in Gefahr war bin ich geflüchtet. Mein Freund, welcher mit mir zusammen gearbeitet hat, wurde zum Tode verurteilt.
LA: Liegt gegen Sie ein Haftbefehl vor?
VP: Als mein Freund verhaftet wurde, bin ich gleich am nächsten Tag geflüchtet. Der Fluchtweg
dauerte fünf Monate. In diesen fünf Monaten habe ich mich nicht getraut meine Familie zu
kontaktieren. Als ich nach Österreich gekommen bin konnte ich endlich meine Mutter anrufen. Diese hat mir gesagt, dass der iranische Geheimdienst mindestens 6 mal dort gewesen ist und die Beamten alle Dokumente beschlagnahmt haben. Es ist nicht üblich, dass ein Haftbefehl erlassen wird und man etwas schriftlich bekommt. Man wird einfach verhaftet und zum Tode verurteilt. Auch hier habe ich das Gefühl, dass mein Leben noch in Gefahr ist. Vor ca. 10 Monaten wurde auch ein Aktivist in den Niederlanden erschossen.
LA: Warum war der Geheimdienst so oft dort? Was hat Ihre Mutter da gesagt?
VP: Sie haben alle Familienmitglieder verhört und immer wieder nach mir gefragt. Sie haben sogar zu meiner Mutter gesagt, dass sie mich bereits verurteilt und hingerichtet hätten. Sie wollten einfach sehen wie sie darauf reagieren würde. Daraufhin ist meine Mutter krank geworden. Das war in den fünf Monaten, wo ich auf der Flucht war. Da wusste sie nicht, dass ich noch lebe.
LA: Waren Sie selbst in Haft?
VP: Ja. Ich wurde am römisch 40 2013 wurde ich mit meinem Vater und meinem älteren Bruder von der Polizei festgenommen und verhört bezüglich meines Onkels in Dänemark. Es wurde uns vorgeworfen, dass wir ihn kontaktieren würden und ihm Informationen übermitteln würden. Ich habe aber damals noch keinen Kontakt mit meinem Onkel gehabt. Wir wurden geschlagen. Wir waren aber nicht wirklich in einem Gefängnis, sondern in einem Zimmer des iranischen Geheimdienstes. Einen Monat später wurde ich freigelassen, allerdings blieben mein Vater und mein Bruder noch 6 weitere Monate beim Geheimdienst.
LA: Wurde jemand aus Ihrer Familie nach Ihrer Flucht verhaftet?
VP: Meine ganze Familie war fünf Tage beim iranischen Geheimdienst zur Einvernahme. Sogar mein kleiner Bruder wurde vom Geheimdienst zum Verhör geholt.
LA: Welche Ziele verfolgt diese Bewegung?
VP: Wir waren einmal ein souveräner Staat und wollten diesen von der Besatzung befreien. Wir verlangen einfach unsere Rechte.
LA: Wann wurde sie gegründet? Beschreiben Sie ihre Geschichte!
VP: Wann genau weiß ich nicht, aber ich weiß, dass sie 25 Jahre alt ist.
LA: Wie viele Mitglieder gibt es da?
VP: Es gibt 45 führende Mitglieder und die Anzahl der Unterstützer ist unzählbar.
LA: Werden alle Mitglieder und Unterstützer durch die iranische Regierung bedroht?
VP: Selbstverständlich. Auch mein Onkel wird derzeit vom dänischen Geheimdienst 24 Stunden lang überwacht.
LA: Wie können diese Menschen dann im Iran leben?
VP: Die meisten sind nicht politisch aktiv und halten sich bedeckt. Diejenigen die politisch aktiv sind werden jedoch verhaftet und hingerichtet. Im Internet habe ich zuletzt gelesen, dass jeden Tag 25 Aktivisten verhaftet und hingerichtet werden.
LA: Haben Sie das auch gewusst bevor Sie sich der Bewegung angeschlossen haben?
VP: Ich habe nicht gewusst, dass es so gefährlich ist. Ich habe gegen Ungerechtigkeit protestiert und eine patriotische Arbeit geleistet.
LA: Was halten Ihre Eltern davon?
VP: Sie haben das nicht gewusst. Niemand hat das gewusst. Nur ich mein Freund und mein Onkel.
LA: Woher soll es dann die iranische Regierung wissen?
VP: Mein Freund hat mit anderen Personen gearbeitet. Möglicherweise sind sie dadurch dahinter gekommen. Es haben alle in römisch 40 gelebt.
LA: Woher wissen Sie eigentlich, dass Ihr Freund hingerichtet wurde?
VP: Er hat in der Nähe von mir gelebt. An dem Tag an dem er verhaftet wurde, wurde auch ein
Todesurteil gegen ihn erlassen. Ich habe nicht gesagt, dass er hingerichtet wurde, sondern dass ein Todesurteil ausgesprochen wurde. Durch meinen Kontakt mit der Bewegung habe ich erfahren, dass er zum Tode verurteilt wurde. Ob er hingerichtet wurde wissen wir nicht.
LA: Wurden Sie von der Organisation ausgebildet, mit ihren Zielen vertraut gemacht?
VP: Wir haben nur die Flagge gehisst, Sprüche an die Wände gesprüht und Flugblätter verteilt. Wir haben auch Videos gemacht und Fotos geschossen. Das habe ich an meinen Onkel in Dänemark weiter geschickt.
LA: Warum unterstützt Ihr Vater diese Bewegung nicht?
VP: Jeder ist frei. Wenn ich nicht wollte, hätte ich mich auch nicht angeschlossen. Die meisten jungen Leute in meinem Alter haben sich dieser Bewegung angeschlossen.
LA: Gibt es da Mitgliedertreffen?
VP: Nein. Ich habe nur mit meinem Freund gearbeitet und habe meinen Onkel kontaktiert. Bei den Demos haben alle teilgenommen.
LA: Was ist da passiert bei den Demonstrationen?
VP: Wir haben einfach unsere Ansprüche kundgetan. Wir wurden oft von der iranischen Polizei
angeschossen und willkürlich verhaftet.
LA: Wie oft haben Sie bei Demonstrationen teilgenommen?
VP: Zweimal.
LA: Wann (Datum, Uhrzeit) und wo (Stad, Straße) begann die Demonstration?
VP: Das war am römisch 40 .2015 auf einem Fußballplatz.
LA: Was war ihr Ziel? Wer hat zu ihr aufgerufen?
VP: Unser Fußballteam römisch 40 hat an diesem Tage gegen ein saudisches Team gespielt. Wir
wussten, dass die Saudis auf unserer Seite sind und haben uns auf Whatsapp verabredet, dass alle
arabisches Gewand anziehen sollen und arabische Sprüche vorbereiten sollen. Wir haben auch die Fahne von Ahwaz gehisst. Nach dem Match hat die iranische Polizei auf uns gewartet und jeder in arabischer Kleidung wurde festgenommen und geschlagen. Wir waren sehr viele und haben die Polizei angegriffen. Wir haben sogar ein Polizei Auto in Brand gesetzt. Sie habe auf uns geschossen und es war ein großes Gefecht. Ein Mensch wurde sogar getötet und es gab auf unserer Seite sehr viele Verletzte.
LA: Waren Sie an der Vorbereitung beteilig? Wenn ja, wie?
VP: Die Demonstration war nicht geplant. Wir wollten einfach zum Match gehen. Als wir aus dem Stadion rausgingen wurden wir geschlagen und Viele wurden verhaftet. Es ist mehr oder weniger zu einer Demonstration geworden.
LA: Wo haben Sie sich in der Menschenmenge aufgehalten?
VP: Unmittelbar nach dem Match sind wir rausgegangen. Draußen wartete die Polizei, wir wurden geschlagen und verhaftet. Die Leute waren aufgebracht und es kam zu einem Protest.
LA: Wer wurde verhaftet?
VP: Hunderte wurden verhaftet.
LA: Sind Sie auch verhaftet worden?
VP: Nein an dem Tag nicht.
LA: Hat der Staat von Ihrer Beteiligung erfahren? Wenn ja, wie und wann?
VP: Nein. Wir waren ja tausende.
LA: Wann und wo begann die zweite Demonstration bei der Sie dabei waren?
VP: Am römisch 40 .2015 im Viertel römisch 40 .
LA: Was war ihr Ziel? Wer hat zu ihr aufgerufen?
VP: Wir wollten einfach, dass die anderen Staaten von unserer Angelegenheit erfahren. Wir wollten einfach zum Ausdruck bringen, dass wir unsere Freiheit wollen und uns der Iran besetzt hat. Wir wollen einen souveränen Staat. Wer dazu aufgerufen hat weiß ich nicht. Ich habe einfach eine Whatsapp bekommen und darin stand, dass es am morgigen Tag eine Demonstration gegen die iranische Besatzung gibt. Daraufhin habe ich mit meinem Freund beschlossen die Fahne von Ahwaz zu hissen. Die Demonstration hat nicht lange gedauert. Bereits zwei Stunden nach Beginn war die iranische Polizei da, hat auf uns geschossen und viele Leute verhaftet. An den Vorbereitungen war ich nicht beteiligt, ich habe die Nachricht von der Demonstration nur weitergeschickt an andere Whatsapp Gruppen.
LA: Was sind das für Whatsapp Gruppen?
VP: Es ist üblich, dass so ca. 10 Personen eine Whatsapp Gruppe haben. Wenn etwas passiert
werden die Nachrichten weitergeschickt und verteilt.
LA: Wer ist da Mitglied in diesen Whatsapp Gruppen?
VP: Ich habe selber drei Gruppen aus Whatsapp mit Bekannten, Freunden und Verwandten. Solche Gruppen.
LA: Wie viele Menschen haben an der Demonstration teilgenommen?
VP: Sehr viele. Ca. 1000 Menschen.
LA: Sind die Demonstranten durch die Stadt gezogen? Durch welche Straßen?
VP: Ja sind sie. Es war eine Handelsstraße. Es war der letzte Tag im Ramadan, deswegen waren
viele Leute da.
LA: Wo haben Sie sich in der Menschenmenge aufgehalten?
VP: Ich war damals mit meinem Freund auf einem Motorrad unterwegs. Ich bin mit ihm die
Demonstration einmal auf und abgefahren und habe dabei die Fahne von Ahwaz geschwenkt. Ich war vermummt.
LA: Was haben Sie nach dem einmaligen Auf- und Abfahren gemacht?
VP: Ich ging nach Hause und bin an diesem Tag nicht mehr rausgegangen.
LA: Woher wissen Sie dann, dass die Polizei die Demonstration nach zwei Stunden aufgelöst hat?
VP: Alle Demonstrationen dauern nicht mehr als zwei Stunden. Es kommt meistens die iranische Polizei und schießt auf die Menge. Dadurch werden die Demonstrationen schnell aufgelöst.
LA: Mit welcher Munition wird da geschossen?
VP: Mit scharfer Munition. An dem Tag wurden viele verletzt.
LA: Hat der Staat von Ihrer Beteiligung erfahren? Wenn ja, wie und wann?
VP: Nein. Ich war vermummt.
LA: Was glauben Sie nun wie Sie in das Visier der iranischen Behörden gekommen sind?
VP: Nach der Festnahme meines Freundes sind Sie auf mich gekommen. Vielleicht durch seine
Handydaten oder durch Folter.
LA: In wie fern hatten Sie eine führende Rolle in der Bewegung?
VP: Ich habe keine Führungsrolle gehabt. Ich habe nur Flugblätter verteilt, gefilmt, Fotos gemacht und alles an meinen Onkel geschickt.
LA: Hatte Ihr festgenommener Freund eine führende Rolle?
VP: Er hat das gleiche gemacht wie ich.
LA: Haben Sie sich in Österreich exilpolitisch betätigt?
VP: Ich habe an Demonstrationen und Konferenzen teilgenommen.
LA: An welchen Demonstrationen und Konferenzen haben Sie in Österreich teilgenommen?
VP: An zwei Demonstrationen. Ich kann mich nicht mehr erinnern wann das war. Die eine war vor dem UN Gebäude in Wien und eine weitere war als der iranische Präsident hier war. Diese war im vierten Bezirk in Wien. Die Konferenz war im 7. Bezirk.
LA: Was war Ihre Rolle dabei?
VP: Ich war der Organisator.
LA: Sie haben das organisiert und wissen nicht mehr wann das war?
VP: Die Konferenz war im Februar 2017.
LA: Haben Sie die Demonstrationen auch organisiert?
VP: Ich war ein Mitorganisator einer Demonstration.
LA: Was haben Sie da organisatorisch gemacht?
VP: Wir haben Flugblätter gedruckt und die Transparente geschrieben.
LA: Haben Sie alle Gründe genannt oder wollen Sie noch etwas vorbringen.
VP: Ich habe alles gesagt.
LA: Was befürchten Sie im Falle der Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat?
VP: Es erwartet mich sicher das gleiche Schicksal wie meinen Freund. Entweder das Todesurteil oder eine lebenslange Haft.
LA: Möchten Sie die Feststellungen des BFA betreffend Ihren Herkunftsstaat von dem anwesenden Dolmetscher übersetzt bekommen bzw. diese in Kopie mitnehmen und eine schriftliche
Stellungnahme innerhalb einer Frist von 2 Wochen dazu abgeben?
VP: Nein. Ich bin selbst gut informiert.
LA: Ich beende jetzt die inhaltliche Befragung und darf Sie an das Neuerungsverbot erinnern. Möchten Sie noch weitere Angaben machen?
VP: Nein. Ich habe nichts mehr hinzufügen.
LA: Konnten Sie zum Verfahren alles umfassend vorbringen?
VP: Ja.
LA: Gibt es zur Einvernahme irgendwelche Einwände?
VP: Nein.
LA: Wie haben sie den Dolmetscher verstanden?
VP: Sehr gut.
Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.
LA: Hat Ihnen der anwesende Dolmetsch die Niederschrift rückübersetzt?
VP: Ja.
LA: Wie haben sie den Dolmetsch dabei verstanden?
VP: Sehr gut.
LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst?
VP: Nein.
LA: Wurde bislang alles richtig und vollständig protokolliert?
VP: Ja. Abgesehen von einem Fehler auf Seite 9. Das Todesurteil gegen meinen Freund wurde nach eineinhalb Jahren in Haft erlassen und nicht sofort.
LA: Wollen Sie eine Kopie des Protokolls?
VP: Ja.
In Vorlage gebracht wurde ein Schreiben der "Bewegung für den Arabischen Kampf zur Befreiung von Ahwaz" vom römisch 40 2018, samt Übersetzung aus dem Arabischen; eine Deutschkursbestätigung von Jugend am Werk Niveau A 1.3, eine Teilnahmebestätigung des ÖIF für den Wertekurs, eine Teilnahmebestätigung für einen Trommelworkshop vom 10.09.2018, sowie sechs Lichtbilder.
4.1. Mit Bescheid des BFA vom 17.10.2018, römisch 40 , wurde der Antrag der bP auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.), sowie der Antrag gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Der bP wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gem Paragraph 52, Absatz 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Iran gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch VI.).
4.2. Beweiswürdigend hielt die belangte Behörde (im Folgenden kurz: bB) zu den ausreisekausalen Gründen Nachstehendes fest:
Im Wesentlichen brachten Sie vor, dass Sie seit Anfang 2015 Mitglied einer Vereinigung namens „Bewegung für den Arabischen Kampf zur Befreiung von Ahwaz“ wären und aus diesem Grund politisch durch die iranische Regierung verfolgt werden würden. Sie hätten Flugblätter verteilt und Sprüche in arabischer Sprache auf Wände gesprayt. Darüber hinaus hätten Sie Ihrem, in Dänemark lebenden Onkel, welcher der Vorsitzende dieser Bewegung sei, Foto- und Videomaterial übermittelt und an zwei Demonstrationen in Iran teilgenommen, bei welchen es um die Einforderung von mehr Rechten für die arabische Volksgruppe ging. Nachdem Ihr Freund, mit welchem Sie sich der Bewegung angeschlossen hätten, verhaftet worden wäre, hätten Sie Iran verlassen. In Österreich hätten Sie sich exilpolitisch betätigt und eine Konferenz sowie eine Demonstration mitorganisiert. Auf einer weiteren Demonstration in Österreich wären Sie anwesend gewesen. Vorerst ist hinsichtlich Ihrer arabischen Abstammung auszuführen, dass sich, entsprechend der Länderberichte, die Situation für Araber in Iran derart gestaltet, dass keine von Amts wegen aufzugreifenden Anhaltspunkte dafür existieren, dass gegenwärtig Personen arabischer Volksgruppenzugehörigkeit generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit, allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, einer asylrelevanten – sohin auch einer maßgeblichen Intensität erreichenden – Verfolgung ausgesetzt sein würden.
Dabei verkennt die erkennende Behörde nicht, dass es zu Diskriminierungen kommen kann, wie Sie von Ihnen geschildert wurden. Insofern sind Ihre diesbezüglichen Angaben glaubhaft, da Sie im Einklang mit den Länderberichten stehen. Andererseits haben Sie aber auch zu Protokoll gegeben, dass Ihre gesamte Familie und unzählige Verwandte vor Ort leben und es diesen gut gehen würde. Zu Ihren behaupteten individuellen Problemen mit dem iranischen Staat wird seitens der erkennenden Behörde darauf hingewiesen, dass es gegen Ihre persönliche Glaubwürdigkeit spricht, dass Sie sich vor Ihrer Weiterreise nach Österreich etwa bereits in Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn aufgehalten haben, ohne jedoch dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt zu haben (EV Sitzung 7). Aus welchen Gründen Sie dies unterlassen haben, wurde von Ihnen nicht substantiiert angeführt, sondern gaben Sie dazu befragt an: „Einfach so. Ich bin nach Österreich gekommen. Als ich das Land erreicht hatte, habe ich entschieden hier zu bleiben.“ In diesem Zusammenhang ist auf die Richtlinie 2011/95/EU des Rates vom 13.12.2011 (in Kraft seit 9. Jänner 2012, Umsetzung bis 21.
Dezember 2013) über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sog. Statusrichtlinie) zu verweisen, welche in ihrem Artikel 4, Absatz 5, Litera d, vorsieht, dass dann, wenn für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise fehlen, diese Aussagen keines Nachweises bedürfen, wenn der Antragsteller internationalen Schutz zum frühest möglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war. Wendet man diese sekundärrechtliche Norm im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung auf das gegenständliche Verfahren an, so ergibt sich um Umkehrschluss, dass gegenständlich jedenfalls - glaubwürdige - Beweise erforderlich gewesen wären. Sie mussten auf ihrer Reise nach Österreich auch durch andere als sicher geltende Staaten reisen und wäre es Ihnen möglich und zumutbar gewesen schon dort um Schutz anzusuchen. Aus diesem Vorgehen schließt die erkennende Behörde, dass Sie andere Motive als jene der Schutzsuche hatten.
Zudem sprechen auch folgende, teils gravierende, Widersprüche gegen Ihre persönliche Glaubwürdigkeit:
Im Zuge der Erstbefragung erklärten Sie, dass Sie den Entschluss zur Ausreise vor ca. drei Monaten getroffen hätten. In Ihrem Fall wäre dies Mitte Jänner 2016 gewesen. Dies deckt sich auch mit der von Ihnen geschilderten Reiseroute und ist insofern glaubhaft. In der Einvernahme wiederholten Sie im Wesentlichen Ihre Reiseroute, gaben jedoch an, dass Sie sich zur Ausreise entschieden hätten als Ihr Freund am 21.10.2015 verhaftet worden wäre Sitzung 6f). Befragt nach Dokumenten, welche geeignet wären Ihre Identität festzustellen, gaben Sie in der Erstbefragung an, dass Ihr Reisepass zu Hause zurückgeblieben wäre und dass Sie nicht in der Lage wären Kopien oder Originale der angegeben Dokumente zu beschaffen. Dies ist insofern verwunderlich, da Sie, Ihren Angaben in der Einvernahme Sitzung 2) nach, erst zwei oder drei Tage nach der Antragstellung, als Sie nämlich erstmals seit Ihrer Flucht nach Hause angerufen hätten, davon erfahren haben können, dass die Dokumente durch de iranischen Geheimdienst konfisziert worden wären. Zum Zeitpunkt der Befragung hätten Sie davon ausgehen müssen, dass die Dokumente noch dort sind, wo Sie diese zurückgelassen haben. Abgesehen davon ist auch Ihre Erklärung, warum Sie während Ihrer Reise keinen telefonischen Kontakt nach Hause gehabt hätten nicht glaubhaft. Für das Bundesamt ist nämlich nicht ersichtlich und von Ihrer Seite aus auch nicht hinreichend begründet („aus Angst“), warum Sie nicht aus Griechenland oder Ungarn zu Hause anrufen hätten können. Gerade nämlich wenn sich jemand fürchtet, sucht er Kontakt zu den ihm nahestehenden Personen und informiert über seine aktuelle Lage. Darüber hinaus hätten Sie ja auch, in Österreich angekommen, sehr schnell den telefonischen Kontakt nach Hause gesucht. Überdies geht aus einem Aktenvermerk der LPD römisch 40 vom 22.04.2016 hervor, dass Sie gegenüber den Beamten angegeben hätten, dass Sie Ihre Dokumente im Schlepperfahrzeug
zurückgelassen hätten. Aus demselben Aktenvermerk geht im Übrigen hervor, dass Sie in Österreich um Asyl ansuchen möchten, weil Sie hier Familie hätten. In der Erstbefragung erklärten Sie, Österreich sei Ihr Zielland gewesen, weil Sie hier Bekannte hätten. In der Einvernahme wiederum sagten Sie einerseits, Sie hätten kein bestimmtes Zielland gehabt Sitzung 6), anderseits nannten Sie Dänemark als ursprüngliches Ziel Sitzung 7). Konfrontiert mit Aktenvermerk antworteten Sie ausweichend und nicht konkret. In der Erstbefragung gaben Sie an, dass Sie aufgrund Ihrer politischen Aktivitäten von den iranischen Behörden verhaftet worden wären. Auf Nachfragen im Zuge der Einvernahme Sitzung 8) erklärten Sie diesbezüglich, dass Sie am römisch 40 .2013 gemeinsam mit Ihrem Vater und
einem älteren Bruder festgenommen und verhört worden wären. Dabei wäre Ihnen vorgeworfen worden, dass Sie mit Ihrem Onkel, welcher in Dänemark leben würde, Kontakt hätten und Informationen an diesen übermittelt hätten. Sie erklärten darüber hinaus, dass Sie zum Zeitpunkt der Verhaftung noch keinen Kontakt zu Ihrem Onkel gehabt hätten. Dafür spricht auch Ihr Vorbringen, dass Sie sich seiner „Bewegung für den Arabischen Kampf zur Befreiung von Ahwaz“ erst Anfang 2015 angeschlossen hätten (EV. S 8). Da Sie mit Ihren politischen Aktivitäten erst 2015 begonnen hätten, ist es nicht möglich, dass Sie deswegen, wie von Ihnen in der Erstbefragung angegeben, bereits 2013 politisch verfolgt worden wären. Die erkennende Behörde lässt nicht unberücksichtigt, dass im Zuge von Einvernahmen, in denen ein Dolmetscher zwischengeschaltet ist, grundsätzlich Missverständnisse und Fehler nicht auszuschließen sind, doch kann im gegebenen Fall nicht von einer fehlerhaften Übersetzung bzw. Protokollierung ausgegangen werden, da Sie am Ende der jeweiligen Einvernahme selbst angaben, den Dolmetscher einwandfrei verstanden zu haben und nach wortwörtlicher Rückübersetzung der Niederschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben durch Ihre Unterschrift bestätigten. Insgesamt kann die erkennende Behörde Ihr Verhalten betreffend Ihrer Identitätsdokumente lediglich als Verstoß gegen Ihre Mitwirkungsverpflichtung werten, da Sie von Anfang an, noch bevor Sie Informationen aus der Heimat gehabt haben hätten können, ausgeschlossen haben zur Identitätsfeststellung beitragen zu können. Die festgestellten Widersprüche zu Reiseziel und Ausreiseentscheidung, sowie der inhaltliche Widerspruch zum Fluchtgrund zwischen Erstbefragung und Einvernahme belasten Ihre persönliche Glaubwürdigkeit nicht minder schwer und kann Ihnen, da Sie offensichtlich an mehreren Stellen die Unwahrheit gesagt haben, keine persönliche Glaubwürdigkeit zugesprochen werden. Abgesehen von den soeben aufgezeigten Widersprüchen ist festzuhalten, dass Ihre Schilderungen im Rahmen der freien Erzählung detaillos und oberflächlich waren und somit ebenfalls gegen die Glaubwürdigkeit Ihrer Angaben sprechen. Im Zuge der freien Erzählung Ihres Fluchtvorbringens gelang es Ihnen nicht, von sich aus, eine Mehrzahl von persönlich wahrgenommenen Details der Handlungsabläufe sowie allenfalls besondere Interaktionen von handelnden Personen ins Treffen zu führen bzw. allenfalls über Ihre eigene diesbezügliche Gefühlslage zu berichten und so den Zuhörer in die Lage zu versetzen, den Eindruck zu gewinnen, dass Sie all dies selbst höchstpersönlich durchlebt haben. Das genaue Gegenteil war der Fall, denn Sie verharrten in einer wortkargen Darlegung einiger weniger Eckpunkte einer Schilderung, welche kurz und emotionslos war. So gingen Sie von sich aus beispielsweise nicht auf das Erlebte im Zuge der angesprochenen Demonstrationen ein, sprachen die Inhalte der Flugblätter bzw. arabischen Sprüche mit keinem Wort an und waren auch bezüglich Ihres inhaftieren Freundes wortkarg. Auch von einer Verhaftung, wie Sie es noch in der Erstbefragung behauptet hatten, erzählten Sie, von sich aus, nichts. Sie stellten sämtliche Angaben lediglich in den Raum, wie es jeder andere Mensch, der sich eine Geschichte ausdenkt auch tun würde. Hätten Sie sich ernsthaft und unter Gefahr über zehn Monate politisch engagiert, wäre Ihr Fluchtvorbringen nicht derart detailarm und hätte die erkennende Behörde nicht jedes Detail mühsam aus Ihnen herausarbeiten müssen. Grundsätzlich kann nämlich davon ausgegangen werden, dass bei tatsächlicher Existenz der Ihrerseits geschilderten Aktivitäten und Geschehnisse es Ihnen ein Anliegen gewesen wäre, diese von sich aus und detailliert darzulegen. Eine derartige Vorgangsweise entspricht auch den Erfahrungswerten der erkennenden Behörde und werden gerade freie, emotionale
Erzählungen unter Nennung zahlreicher Details auch als sog. "Realkennzeichen" einer glaubwürdigen Darlegung in einschlägiger Literatur und Fortbildungsveranstaltungen zur Thematik "Glaubwürdigkeitsprüfung", genannt. Dieselbe Tendenz wiesen auch Ihre Antworten zu den politischen Zielen der Bewegung Sitzung 8f) auf. Diese waren genauso einsilbig wie auch Ihre Ausführungen zur Geschichte und zur Mitgliederstruktur. Insgesamt ließen Sie sämtliches Hintergrundwissen missen, welches man von einem Mitglied einer derartigen Organisation erwarten würde. Darüber hinaus ist es Ihnen auch nicht gelungen mit abstrusen Theorien, welche fernab jeder Realität sind, zu punkten. Aussagen wonach jeder, der dagegen protestiert hat, zum Tode verurteilt worden wäre (EV Sitzung 7), sind letztlich nur ein Beleg dafür, dass Sie versuchen Ihrem unglaubhaften Vorbringen eine besondere Dramatik zu verleihen. Da die „Bewegung“ unzählbar viele Unterstützer (EV Sitzung 9) hätte und tausende (EV Sitzung 10) protestiert hätten, wäre die Analogie, dass der Iran massenhaft Todesurteile aus politischen Gründen verhängen hätte müssen, was jedoch nicht im Einklang mit den zugrundeliegenden Länderfeststellungen steht. Demnach werden 65% aller Todesurteile wegen Drogendelikten verhängt, gefolgt von Mord und Sexualdelikten. Das Bundesamt verkennt nicht, dass tatsächlich Todesurteile aufgrund politischer Motive im Iran verhängt werden, jedoch handelt es sich dabei um eine weitaus geringere Anzahl, als Sie darzustellen versuchten. Zu den von Ihnen angeführten Demonstrationen am römisch 40 2015 und römisch 40 2015 ist anzuführen, dass es sich dabei um Ereignisse handelte über die im Internet öffentlich und ausführlich berichtet worden ist. Abgesehen davon, dass eine zweimalige Demo-Teilnahme innerhalb von zehn Monate, keine besonders herausragende politische Betätigung darstellt, fällt auf, dass Sie lediglich über zwei medienwirksame Veranstaltungen berichteten und darüber hinaus keine Angaben über weitere konkrete politische Aktivitäten machten. Im Lichte Ihrer persönlichen Unglaubwürdigkeit und des unglaubhaften Vorbringens an sich, kann Ihnen auch betreffend der Teilnahmen an den Demonstrationen nicht gefolgt werden. Sie haben nämlich, wie eingangs erwähnt, die Demonstrationen lediglich in den Raum gestellt und von sich aus keine weiteren Ausführungen darüber getätigt. Erst über beharrliches Nachfragen der erkennenden Behörde waren Sie bereit Angaben zu machen, die jedoch keine Informationen enthielten, welche man nicht bereits im Internet finden hätte können. Jemand, der tatsächlich vor Ort gewesen wäre, hätte die Abläufe wesentlich lebensnaher und greifbarer darstellen können müssen. Sofern Sie – wahrheitsunterstellt – tatsächlich an den beiden genannten Demonstrationen teilgenommen hätten, müsste Ihnen konsequenterweise auch geglaubt werden, dass Sie von Seiten der iranischen Behörden nicht erkannt worden wären, weswegen Sie diesbezüglich keine Folgen zu erwarten hätten. Abgesehen davon könnte aus einer schlichten Teilnahme an Demonstrationen in untergeordneter Form nicht der Schluss gezogen werden, dass Ihnen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohen würde. Wenn Sie nun ein Schreiben der „Bewegung für den Arabischen Kampf zur Befreiung von Ahwaz“ vom römisch 40 2018 als Beweismittel vorlegen, dann muss diesbezüglich festgestellt werden, dass der Vorsitzende dieser Gruppierung Ihr Onkel römisch 40 ist. Bei ihm handelt es sich auch um den alleinigen Unterzeichner des Schriftstückes. Der Inhalt des Schreibens geht in keiner Weise auf konkrete politische Aktivitäten ein, sondern ist allgemein gehalten. Tatsächlich angegeben wird jedoch, dass Ihre Festnahme veranlasst wurde. Sie hingegen antworteten auf die Frage ob ein Haftbefehl vorliegen würde ausweichend und erklärten, dass dies nicht üblich wäre (EV Sitzung 8). Es stellt sich nun die Frage wie ASMAL wissen könnte, dass Ihre Festnahme veranlasst wurde, Sie jedoch nicht. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung geht die erkennende Behörde davon aus, dass es sich bei dem Schreiben, aufgrund des nicht konkreten Inhaltes und der Angabe, dass Ihre Festnahme veranlasst worden wäre, um ein verwandtschaftliches Gefälligkeitsschreiben handelt, welchem kein Beweiswert inne wohnt. Dass Sie dieses Schreiben erst zweieinhalb Jahre nach Ihrer Einreise in das Bundesgebiet vorlegen, obwohl Sie auch zuvor jederzeit die Möglichkeit gehabt hätten und dies, im Rahmen Ihrer Mitwirkungspflicht auch tun hätten müssen, stellt einen weiteren Grund dar dem Beweismittel keinen Beweiswert zukommen zu lassen. Die Teilnahme an zumindest einer Demonstration in Österreich vermochten Sie zu dokumentieren, weshalb die Glaubwürdigkeit diesbezüglich gegeben ist. Sofern Sie nun aber behaupten exilpolitisch in Österreich tätig zu sein, an zwei Demonstrationen führend teilgenommen bzw. eine Konferenz organisiert zu haben und diesbezüglich Ablichtungen als Beweismittel vorgelegt haben, ist beweiswürdigend auszuführen, dass Sie offensichtlich ein derart geringes Interesse daran hatten, dass Sie sich nicht einmal mehr an das Datum der einzelnen Veranstaltungen erinnern konnten. Dementsprechend ist es auch nicht glaubhaft, dass Sie in die Organisation der Veranstaltungen involviert gewesen wären. Das Drucken von Flugblättern und Schreiben von Transparenten sind jedenfalls nicht als Organisation einer Veranstaltung zu sehen, sondern üblich bei Aufmärschen (EV Sitzung 12). Vielmehr wahrscheinlich ist, dass Sie der Demonstration lediglich als einfacher Teilnehmer gefolgt sind. Der erkennenden Behörde liegen keinerlei Unterlagen vor, dass einfache Teilnehmer das Interesse iranischer Behörden wecken sollten. In Iran und in vielen anderen Staaten der Welt nehmen jedes Jahr abertausende Araber an unzähligen Demonstrationen teil, wie aus Medienberichten hinlänglich bekannt ist. Eine Identifikation der einfachen Teilnehmer über allenfalls vorhandene Fotos ist alleine schon aufgrund des dafür enormen Zeitaufwandes so gut wie unmöglich ist. Eine aus einer Demonstrationsteilnahme herrührende Gefahr einer Verfolgung ist somit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Sie haben somit in einer Gesamtschau keine gegen Sie persönlich gerichteten aktuellen und konkreten Verfolgungshandlungen glaubhaft machen können. Die erkennende Behörde ist daher aufgrund obiger Ausführungen zur Ansicht gelangt, dass Sie im Zeitpunkt des Verlassens des Irans keiner asylrechtlich relevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt gewesen waren und besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, dass derartiges im Falle Ihrer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintreten könnte.
4.3. Rechtlich führte die bB aus, dass weder ein unter Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2 der GKF, noch unter Paragraph 8, Absatz eins, AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorgekommen sei. Des Weiteren sei der bP kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 zu erteilen. Schließlich wurde ausgeführt, weshalb gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung in den Iran gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei. Letztlich wurde erläutert, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
5. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 15.10.2018 wurde der bP gemäß Paragraph 52, Absatz eins, BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und wurde die bP ferner mit Verfahrensanordnung des BFA vom selben Tag gemäß Paragraph 52 a, Absatz 2, BFA-VG darüber informiert, dass sie verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.
6. Gegen den obengenannten Bescheid des BFA richtet sich die Beschwerde vom 09.11.2018 an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden kurz: BVwG).
Darin wird unschlüssige Beweiswürdigung bzw. rechtliche Beurteilung, mangelhafte Ermittlungstätigkeit und in Folge dessen mangelhaftes Ermittlungsverfahrens moniert und begehrt, der Beschwerde stattzugeben und den Bescheid – allenfalls nach Verfahrensergänzung – dahingehend abzuändern, dass dem Antrag der bP auf internationalen Schutz stattzugeben und festzustellen sei, dass dieser der Status eines Asylberechtigten zukomme oder hilfsweise der des subsidiär Schutzberechtigten, sowie festzustellen, dass die erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und der bP ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Artikel 8, EMRK zu erteilen sei. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Beantragt wird ferner die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
In der Sache bringt die bP vor, nicht nachvollziehen zu können, warum die bB dieser die Glaubwürdigkeit abgesprochen habe, zumal diese in chronologischer Abfolge die Ereignisse, sowie die dargestellte persönliche Bedrohungslage für ihre Person umfassend und in Übereinstimmung mit den Länderinformationen – insbesondere unter Verweis auf die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur "Arabischen Kampfbewegung zur Befreiung der Ahwaz" - dargestellt habe. Stattdessen habe die bB "die gesamte Situation on ihrem kulturellen Kontext verkannt" und der bP "zu wenig objektive Beachtung geschenkt" und sich "allgemein mit dem Vorbringen nicht ordnungsgemäß auseinandergesetzt".
7. Am 17.05.2022 langte beim BVwG die Verständigung vom Rücktritt von der Verfolgung der Staatsanwaltschaft Graz zu römisch 40 aufgrund eines außergerichtlichen Tatausgleiches ein.
8. Mit Bekanntgabe von 03.06.2022 brachte die bP – unter Aufrechterhaltung der Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme – ergänzend vor, dass der Umstand des Verwandtschaftsverhältnisses der bP zu dem in Dänemark lebenden Vorstand der ASMLA-Bewegung insofern an Relevanz gewonnen hat, als dieser zwischenzeitig "offenkundig ins Visier des iranischen Geheimdienstes in Dänemark geraten ist." Dieses sowohl ideologisch politisch als auch verwandtschaftliche Naheverhältnis führe "naturgemäß zu einer weiteren erhöhten Gefahr der Verfolgung des Beschwerdeführers."
In Vorlage gebracht wurde eine Kopie des Reisedokumentes des römisch 40 ; allgemeine Zeitungsartikel samt Artikel zum Onkel der bP, sowie drei Bestätigungsschreiben, wonach es sich bei der bP um einen politischen Aktivisten handle.
9. Mit Note vom 09.06.2022 wurden der bP aktuelle Länderfeststellungen zum Iran vom Mai 2022 übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, spätestens in der mündlichen Verhandlung eine Stellungnahme abzugeben.
10. Am 15.06.2022 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Beisein der bP, sowie eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch. Der Rechtsvertreter ist entschuldigt nicht erschienen; ebenso das BFA verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Beschwerdeverhandlung.
Im Verlauf der Verhandlung wurde der bP neuerlich die Gelegenheit eingeräumt, ihre Ausreisegründe und ihre Rückkehrbefürchtungen umfassend darzulegen und wurde sie zu ihren bisherigen Integrationsbemühungen befragt.
Die bP brachte zwei Fotoaufnahmen in Vorlage.
11. Mit Urkundenvorlage vom 30.06.2022 wurde von der bP ein Konvolut an Empfehlungsschreiben, sowie ein (undatierter) Antrag auf Beschäftigungsbewilligung des AMS nachgereicht.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei
Die bP – ein Staatsangehöriger des Iran - führt den im Spruch genannten Namen und ist an dem dort angeführten Datum in Al Ahwaz geboren. Sie ist Moslem sunnitischer Glaubensrichtung und Angehöriger der arabischen Volksgruppe der Ahwazi. Ihre Identität steht fest.
Die bP spricht arabisch und verfügt über gute Kenntnisse der Sprache Farsi.
Die bP ist ledig und hat keine Kinder.
Die bP hat eine neunjährige Grundschulbildung genossen und hat zuletzt mit ihrem Onkel ein Autohandelsgeschäft betrieben.
Vor ihrer Ausreise lebte die bP mit ihren Eltern, drei Brüdern und drei Schwestern. Die Familie der bP – die finanziell gut situiert ist - besitzt zwei Häuser (eines in Al Ahwaz und eines in römisch 40 , jeweils der Provinz Khuzestan) und betreibt eine familieneigene Landwirtschaft. Ferner leben viele Onkel, Tanten und Cousinen im Iran. Die bP pflegt regelmäßigen Kontakt zu ihrer Familie, sowie Freunden.
Die bP ist gesund und arbeitsfähig.
Aufgrund eines außergerichtlichen Tatausgleiches gemäß Paragraph 204, Absatz eins, StPO am römisch 40 2019 wurde von der strafgerichtlichen Verfolgung wegen Verdachtes auf Körperverletzung abgesehen. Ansonsten ist die bP strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Die bP wurde verdächtigt, einem Freund in einer Diskothek ein Glas auf den Hinterkopf geworfen, einen Tritt verpasst und einen weiteren Schlag versetzt zu haben. Dies da er seinen Freund mit seiner Freundin dort erblickte.
Der aufgrund der abgenommenen Fingerabdrücke im EURODAC-System gefundene Treffer lautet auf "HU 2……" vom römisch 40 .2016 und „GR 2…“ vom römisch 40 .2016. Hieraus folgt, dass die bP in Ungarn und Griechenland gemäß der DurchführungsVO erkennungsdienstlich behandelt wurde.
1.2. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei
Die bP war vor ihrer Ausreise keiner individuellen Verfolgung oder sonstiger Gefährdung durch staatliche Organe oder Privatpersonen wegen ihrer politischen Gesinnung oder der Volksgruppenzugehörigkeit zur Minderheit der Ahwazi ausgesetzt und wird im Falle einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion einer solchen auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sein. Die bP wurde vor ihrer Ausreise auch nicht wegen ihres Verwandtschaftsverhältnisses zu dem Vorstand der ASMLA -Bewegung asylrelevant verfolgt und wird im Rückkehrfall aus diesem Grund mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch nicht asylrelevant verfolgt werden.
Der bP droht im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung der bP festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe, sowie kriegerische Ereignisse oder terroristische Anschläge oder eine mangelnde existenzielle Lebensgrundlage im Iran.
1.3. Zum Privat- und Familienleben der beschwerdeführenden Partei
Die bP hält sich zumindest seit ihrer Asylantragstellung am 22.04.2016 im Bundesgebiet auf. Sie reiste rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und ist seither durchgehend im Bundesgebiet aufhältig. Sie verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.
Die bP bezieht seit der Antragstellung Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und war im Bundesgebiet nicht legal erwerbstätig.
Die bP hat im Jahr 2017 einen Deutschkurs auf dem Niveau A1, sowie einen ÖIF- Wertekurs besucht. Ferner hat die bP einen Trommelworkshop absolviert.
Die bP ist weder ehrenamtlich tätig, noch ist sie Mitglied in einem Verein oder einer Organisation.
Die bP verfügt über wenig ausgeprägte Deutschkenntnisse.
Die bP pflegt übliche soziale Kontakte zu ihrem Freundes- und Bekanntenkreis. Im Bundesgebiet halten sich keine Verwandten der bP auf; auch unterhält sie aktuell keine Liebesbeziehung.
1.4. Zur gegenwärtigen Lage im Herkunftsstaat Iran
Zur aktuellen Lage im Iran war unter Heranziehung der gegenüber der bP offengelegten Quellen nachstehendes festzustellen:
COVID-19
Letzte Änderung: 23.05.2022
Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Die Covid-Lage flachte nach einer dramatischen fünften Welle im August 2021 mit den weltweit höchsten Fallzahlen etwas ab (ÖB Teheran 11.2021). Trotzdem ist Iran noch stark von der Pandemie betroffen. Beispielsweise herrscht in den Krankenhäusern ein gravierender Mangel an medizinischen Gütern, und es wird befürchtet, dass die Sanktionen den Zugang zu medizinischer Ausrüstung und Produkten zusätzlich erschwert haben. Gesundheitsexperten zufolge haben die begrenzten Impfstoffvorräte und die schleppende Impfkampagne erheblich zu der Gesundheitskrise beigetragen (HRC 13.1.2022). Bis Ende 2021 wurden in Iran über sechs Millionen Covid-Fälle und mehr als 130.000 Todesfälle registriert (UNHCR 14.4.2022).
Bei einer Einreise nach Iran ist unter Umständen auf Aufforderung der iranischen Behörden am Flughafen ein PCR-Test zu machen, dessen Kosten Änderungen unterliegen und zwischen 15 und 50 Euro liegen. Ein Nachweis über eine vollständige Impfung vor mindestens 15 Tagen ist erforderlich. Personen, die (auch) im Besitz der iranischen Staatsangehörigkeit sind und daher mit einem iranischen Pass einreisen, benötigen jedenfalls einen maximal 72 Stunden alten PCR-Test in englischer Sprache (BMeiA 19.5.2022). Reisende können bei der Einreise zusätzlich zu ihrem gesundheitlichen Befinden und ihrer Reiseroute nach ihren geplanten Aufenthaltsorten in Iran befragt werden. Bei Covid-19-Symptomen können ärztliche Untersuchungen und ein Covid-19-Test vorgenommen werden. Ein erneuter Covid-19-Test kann von den iranischen Behörden angeordnet und durchgeführt werden. Bei einem positiven Testergebnis erfolgt eine rigorose Kontrolle der Kontaktpersonen und gegebenenfalls ergehen weitere verpflichtende (Quarantäne-)Anweisungen. Alle entstehenden Kosten sind von den Reisenden zu tragen. Sollten Reisende innerhalb von zwei Wochen nach Einreise Symptome entwickeln, die auf eine Erkrankung an Covid-19 hinweisen, kann ebenfalls ein erneuter Test durchgeführt werden. Abweichende Handhabungen sind jederzeit und kurzfristig möglich. Landgrenzen bleiben weiterhin größtenteils geschlossen. Es gibt Einschränkungen im Flugverkehr. Transitflüge einiger internationaler Fluglinien sowie Direktflüge zu verschiedenen europäischen Destinationen werden durchgeführt. Es kann dabei stets zu kurzfristigen Änderungen des Flugplans kommen (AA 19.5.2022b).
Das Tragen von Gesichtsmasken an geschlossenen öffentlichen Orten ist verpflichtend. Bei Nichteinhaltung kann eine Geldstrafe verhängt werden. In Iran gelten Maßnahmen und Beschränkungen, darunter die vorübergehende Schließung nicht wesentlicher Geschäfte und religiöser Schreine und die Absage einiger öffentlicher Veranstaltungen. Jede Provinz ist in der Lage, Beschränkungen einzuführen, um auf örtlich begrenzte Infektionsspitzen zu reagieren. Dies kann einen Lockdown und eine Bewegungseinschränkung beinhalten. Interne Reisebeschränkungen, auch in wichtige Tourismus- und Pilgergebiete, können kurzfristig verhängt werden (GOV.uk o.D.).
Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf den Gesundheitssektor sind schwer abzuschätzen. Während der schlimmsten Pandemie-Phasen führte Iran regelmäßig die Statistiken an Infizierten und Todesfällen in der Region und teilweise weltweit an. Die tatsächlichen Zahlen dürften etwa dreimal höher gelegen haben. Berichte über Kranke, die mangels Betten aus Spitälern nach Hause geschickt wurden, häuften sich. Kosten für Medikamente - auch in Spitalsbehandlung - konnten sich nicht alle leisten. Wegen voller Auslastung der Krankenhäuser (am meisten in den großen Städten und Ballungsräumen) wurden Feldspitäler aufgebaut. Seitens der Behörden wurden zwar Maßnahmen erlassen, um das Gesundheitssystem zu entlasten, insbesondere Hygienemaßnahmen und Bewegungseinschränkungen, die jedoch regelmäßig missachtet werden. Ein besonderes Problem stellen religiöse Prediger bzw. Veranstaltungen dar, bei denen viele Männer zusammenkommen, ohne Abstand zu halten (ÖB Teheran 11.2021).
Die Covid-19-Krise verstärkt die aufgrund der US-Sanktionen ohnehin ökonomisch schwierige Lage. Eine Reihe von UN-Sonderberichterstattern kritisierten die Auswirkungen der Sanktionen auf die Anschaffung von Impfstoffen. Nachdem der Oberste Führer Khamenei den Import von Impfstoffen aus Großbritannien und den USA zunächst verboten hatte, und im Lichte der Probleme mit der Bezahlung von Importen aufgrund der US-Sanktionen (als 'middle income country' muss Iran COVAX-Impfstoffe bezahlen) setzte man im Sinne der Doktrin der nationalen Resilienz auf eigene Impfstoff-Entwicklung. Die Massenproduktion stockte jedoch, und auch Offizielle kritisieren den Umgang mit der Pandemie. Organisierte zivilgesellschaftliche Kritik wird unterdrückt (Verhaftung von Rechtsanwälten, die Klage gegen Behörden anstrebten). Mittlerweile hat die Lieferung ausländischer Impfstoffe seit September 2021 deutlich zugenommen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRC 13.1.2022). Das iranische Gesundheitsministerium berichtete, dass bis Ende Dezember über 50 Millionen Menschen in Iran vollständig geimpft waren, darunter über 1 Million afghanische Staatsangehörige, einschließlich Flüchtlinge und Menschen ohne Registrierung. In enger Zusammenarbeit mit dem Büro für Ausländer- und Einwanderungsangelegenheiten (BAFIA) unterstützt UNHCR die iranische Regierung weiterhin bei der Bekämpfung von Covid-19 (UNHCR 14.4.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2022b, unverändert gültig seit 12.5.2022): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/iransicherheit/202396, Zugriff 19.5.2022
BMeiA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (19.5.2022, unverändert gültig seit 17.5.2022): Iran - Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/, Zugriff 19.5.2022
GOV.uk - Governement United Kingdom [Großbritannien] (o.D.): Foreign travel advice Iran, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/iran/coronavirus, Zugriff 19.5.2022
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 19.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 19.5.2022
UNHCR (14.4.2022): COVID-19 response in the Islamic Republic of Iran, December 2021, https://reliefweb.int/report/iran-islamic-republic/covid-19-response-islamic-republic-iran-december-2021, Zugriff 19.5.2022
Politische Lage
Letzte Änderung: 23.05.2022
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 14.9.2021b; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der 'velayat-e faqih', der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage ist, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten wird. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel 'Revolutionsführer' (GIZ 12.2020a; vergleiche BS 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 12.4.2022, FH 28.2.2022, AA 14.9.2021b). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.9.2021a; vergleiche FH 28.2.2022), ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und die höchste Autorität des Landes (FH 28.2.2022). Er steht somit höher als der Präsident. Des Weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran bzw. IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 28.2.2022, US DOS 12.4.2022). Doch obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen und unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 28.1.2022).
Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: An der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021). Am 18.6.2021 fanden in Iran Präsidentschaftswahlen statt (Tagesschau.de 18.6.2021; vergleiche AA 14.9.2021a). Gewonnen hat die Wahl der konservative Hardliner und vormalige Justizchef Ibrahim Raisi mit mehr als 62% der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 50% und war somit niedriger als jemals zuvor in der Geschichte der Islamischen Republik. In der Hauptstadt Teheran lag die Wahlbeteiligung bei nur 26%. Zudem wurden mehr als 3,7 Millionen Stimmzettel für ungültig erklärt (Standard.at 19.6.2021; vergleiche DW 19.6.2021). Wie bei jeder Wahl hat der Wächterrat die Kandidaten im Vorhinein ausgesiebt (Tagesschau.de 18.6.2021; vergleiche AA 28.1.2022). Raisi wurde mehr oder weniger von Revolutionsführer Khamenei ins Amt gehievt (ZO 23.6.2021). Raisi ist seit 5.8.2021 Staatspräsident. Am 25.8.2021 hat das Parlament seinen Vorschlag für das Kabinett gebilligt, und damit hat die neue Regierung ihr Amt angetreten (AA 14.9.2021a.). In Folge der Präsidentschaftswahlen vom Juni 2021 befindet sich die gesamte Befehlskette in konservativer bzw. erzkonservativer Hand (Oberster Führer, Präsident/Regierungschef, Leiter der religiösen Judikative, Regierung, Parlament, Wächterrat, Expertenrat) (ÖB Teheran 11.2021).
Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Amtsträger im Staat (FH 28.2.2022). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive, zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt (GIZ 12.2020a), da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 12.2020a; vergleiche OD 19.1.2022).
Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren (GIZ 12.2020a). Bei den Parlamentswahlen vom 21.2.2020 haben (ultra-)konservative Kandidaten knapp 80% der Sitze im Parlament gewonnen (AA 28.1.2022). Vor der Abstimmung disqualifizierte der Wächterrat mehr als 9.000 der 16.000 Personen, die sich für eine Kandidatur angemeldet hatten, darunter eine große Anzahl reformistischer und gemäßigter Kandidaten (FH 28.2.2022). Die Wahlbeteiligung lag bei 42,6%, was als die niedrigste Wahlbeteiligung in die Geschichte der Islamischen Republik einging (FH 28.2.2022; vergleiche AA 28.1.2022) mit einem Rekord an ungültigen Stimmen. Es herrscht breite Politikverdrossenheit aufgrund nicht eingelöster Versprechen der vorigen Regierung Rohani zu wirtschaftlichen Reformen, Westöffnung und Korruptionsbekämpfung (ÖB Teheran 11.2021).
Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern, davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen. Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt unter anderem auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche GIZ 12.2020a, FH 28.2.2022, BS 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 12.2020a). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der 'Gesamtinteressen des Systems' zu achten (AA 14.9.2021a; vergleiche GIZ 12.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 12.2020a).
Präsident, Parlament und Expertenrat werden also in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den von Revolutionsführer und Justizchef ernannten Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 28.1.2022; vergleiche FH 28.2.2022).
Das Regime reagierte auch unter der moderaten Regierung von Ex-Präsident Rohani in den letzten Jahren auf die wirtschaftliche Krise und immer wieder hochkommenden Unmut und Demonstrationen mit hartem Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivisten, religiöse und ethnische Minderheiten und Umweltaktivisten. Die Regierung Raisi ist noch dabei, ihre Machtstruktur auf allen Ebenen zu festigen. Sie hat jedoch bereits stärkere Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Sinne der 'islamischen Gesellschaftsordnung' (Rolle der Frauen fokussiert auf Gebärfunktion), der Ablehnung 'westlicher' Kultur, der Unterdrückung von Kritik (Internetzensur) und eine stärkere Ausrichtung auf Russland und China und deren politische Modelle angekündigt (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 4.3.2022
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021a): Politisches Portrait - Iran, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/politisches-portrait/202450, Zugriff 4.3.2022
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021b): Steckbrief - Iran, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/steckbrief/202394, Zugriff 4.3.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 4.3.2022
DW – Deutsche Welle (19.6.2021): Raeissi wird neuer Präsident im Iran, https://www.dw.com/de/raeissi-wird-neuer-pr%C3%A4sident-im-iran/a-57961660, Zugriff 4.3.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 4.3.2022
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 4.3.2022 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 4.3.2022
OD – Open Doors (19.1.2022): Weltverfolgungsindex 2022 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2020 – 30. September 2021), https://www.opendoors.de/sites/default/files/copyright_open_doors_2022_wvi_bericht_signiert.pdf, Zugriff 4.3.2022
Standard.at (19.6.2021): Hardliner Raisi gewann Präsidentenwahl im Iran, https://www.derstandard.at/story/2000127545908/kleriker-raisi-fuehrt-laut-medienberichten-bei-praesidentenwahl-im-iran, Zugriff 4.3.2022
Tagesschau.de (18.6.2021): Keine Macht dem Volk? https://www.tagesschau.de/ausland/asien/iran-wahlen-kandidaten-stimmung-101.html, Zugriff 4.3.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 4.3.2022
ZO – Zeit Online (23.6.2021): Wofür steht Ebrahim Raissi? https://www.zeit.de/2021/26/iran-praesidentenwahl-ebrahim-raissi-ali-chamenei, Zugriff 4.3.2022
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 23.05.2022
Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben im Juli 2021 Proteste gegen die Wasserknappheit in der Provinz Khuzestan und im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 19.5.2022).
Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 19.5.2022). In Iran kommt es, vor allem in Regionen mit einem hohen Anteil an Minderheiten in der Bevölkerung, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 19.5.2022b).
In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 19.5.2022b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 19.5.2022).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, Personal der Justiz und Angehörige des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 19.5.2022b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte im Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen, kriminellen Banden und den Sicherheitskräften (EDA 19.5.2022). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 11.2021). Gelegentlich kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Auch für unbeteiligte Personen besteht das Risiko, unversehens in einen Schusswechsel zu geraten (EDA 19.5.2022).
Obwohl die iranische Führung den Taliban in Afghanistan misstrauisch gegenübersteht, begrüßte sie im August 2021 nicht nur das Ende des Bürgerkriegs in Afghanistan, sondern auch den Abzug der US-geführten Koalition aus dem Land, insbesondere von den Ostgrenzen Irans. Iranische Beamte haben Taliban-Vertretern im April 2022 erlaubt, in die afghanische Botschaft in Teheran zurückzukehren. Dennoch sind die Taliban-Mitarbeiter nur befugt, konsularische Aufgaben wahrzunehmen, da Iran, wie alle anderen Regierungen auch, die Taliban nicht offiziell als Regierungsbehörde Afghanistans anerkannt hat. Das Misstrauen Irans gegenüber den Taliban besteht weiterhin, was zum Teil durch mehrere Bombenanschläge auf afghanische schiitische Moscheen, die von den Sicherheitskräften der Taliban nicht verhindert werden konnten, sowie durch angebliche Misshandlungen von Schiiten durch die Taliban genährt wurde. Ende April 2022 kam es im Bezirk Islam Qala westlich von Herat zu Zusammenstößen zwischen iranischen Grenzschützern und afghanischen Streitkräften, weil die Afghanen in der Nähe der Grenze Straßen gebaut hatten. Die afghanischen Behörden reagierten darauf mit der Beschlagnahmung eines iranischen Militärfahrzeugs, woraufhin Iran zusätzliche reguläre Boden- und Hubschrauber-Militäreinheiten (keine Kräfte der Islamischen Revolutionsgarden) an die Grenze entsandte. Iran schloss den Grenzübergang vorübergehend und spielte die militärische Aufstockung als Teil der routinemäßigen Grenzsicherheitsmaßnahmen herunter. Beamte des iranischen Außenministeriums kritisierten gleichzeitig die Afghanen wegen 'möglicher mangelnder Fähigkeiten' und der Unfähigkeit, die Grenzpunkte zwischen den beiden Ländern zu unterscheiden. Beide Seiten versuchten daraufhin, die Spannungen zu entschärfen, indem sie ankündigten, dass der amtierende Taliban-Minister für Flüchtlinge und Rückführungen Anfang Mai eine Delegation nach Iran führt, um die Grenzzusammenstöße und die angebliche iranische Misshandlung afghanischer Flüchtlinge zu besprechen (SC 4.5.2022)
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2022b, unverändert gültig seit 12.5.2022): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 19.5.2022
EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (19.5.2022, unverändert gültig seit 7.4.2022): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 19.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 19.5.2022
SC – Soufan Center (4.5.2022): IntelBrief: Border Clashes Mar the Taliban’s Regional Relationships, https://thesoufancenter.org/intelbrief-2022-may-4/, Zugriff 19.5.2022
Verbotene Organisationen
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, die die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 28.1.2022).
Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komala(h)-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI), die aus Belutschistan stammende Jundallah und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der türkischen Arbeiterpartei Kurdistans - PKK, zusammenarbeitet (AA 28.1.2022). Die politischen Gruppierungen KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 11.2021) und hat einen bewaffneten Flügel (AI 15.6.2018). Von Mai bis September 2016 wurden fast wöchentlich bewaffnete Konflikte zwischen kurdischen Guerillakräften und iranischen Sicherheitskräften gemeldet. In den letzten zehn Jahren hatte hauptsächlich die kurdische Partei PJAK militärische Operationen im Nordwesten Irans durchgeführt. Seit Mai 2016 beteiligen sich auch andere kurdische Parteien (KDPI, KDP-I, PAK) an militärischen Operationen gegen iranische Sicherheitskräfte. Alle diese Parteien operieren von Militärbasen und Lagern im Nordirak aus. Die Revolutionsgarden haben im gleichen Zeitraum ihre Präsenz in der Region verstärkt und kurdische Dörfer sowohl auf iranischer als auch auf irakischer Seite angegriffen. Mitglieder und Unterstützer von KDPI und Komala werden im Allgemeinen härter behandelt als andere Aktivisten im kurdischen Raum. In der Regel unterscheiden die iranischen Behörden nicht zwischen Mitgliedern und Unterstützern der Parteien. Während die iranischen Behörden Personen, die verhaftet werden, beschuldigen, mit diesen Parteien verbunden zu sein, ist dies nicht immer der Fall. Familienmitglieder von Parteimitgliedern und Unterstützern laufen ebenfalls Gefahr, von den iranischen Behörden befragt, inhaftiert und verhaftet zu werden, um dadurch Druck auf Aktivisten auszuüben. Enge Familienmitglieder werden häufiger verhaftet als Mitglieder der Großfamilie (DIS 7.2.2020). Auch die Volksmudschahedin (MEK, MKO, PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019; vergleiche Landinfo 12.4.2021).
Hinsichtlich des Risikos für politische Aktivitäten verhaftet zu werden, ist die Art der Aktivität entscheidend. Andauernde politische Aktivitäten werden eher in einer Anklage enden. Auch Personen, die mit politischem Material oder beim Anbringen politischer Slogans an Wänden erwischt werden, laufen Gefahr, verhaftet zu werden. Eine Person, die nur eine einzige politische Aktivität auf niedrigem Niveau setzt - z.B. Verteilen von Flugblättern - läuft kaum Gefahr, deswegen angeklagt zu werden (DIS/DRC 23.2.2018).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 4.3.2022
AI – Amnesty International (11.2.2019): Amnesty International's written statement to the 40thsessionof theHuman RightsCouncil(25 February –22March 2019), MDE 13/9828/2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457788/1226_1550135137_mde1398282019english.pdf, Zugriff 4.3.2022
AI – Amnesty International (15.6.2018): Urgent Action, Iranian Kurdish Woman denied Medical Care, UA: 151/14 Index: MDE 13/8598/201, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435509/1226_1529323691_mde1385982018english.pdf, Zugriff 4.3.2022
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf, Zugriff 4.3.2022
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/ Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf, Zugriff 4.3.2022
Landinfo [Norwegen] (12.4.2021): Iran. Mojahedin-e Khalq Organization (MKO), https://www.ecoi.net/en/file/local/2050252/Temanotat-Iran-MKO-12042021.pdf, Zugriff 4.3.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 4.3.2022
Volksmudschahedin (Mujahedin-e-Khalq – MEK, MKO; People’s Mojahedin Organisation of Iran – PMOI; National Council of Resistance of Iran – NCRI)
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die militante iranische Exil-Oppositionsbewegung Mujahedin-e Khalq (MEK, oder auch MKO, 'iranische Volksmudschahedin') gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 9.2017; vergleiche Landinfo 12.4.2021, EUAA 30.3.2022) und wird für die Ermordung von 17.000 Iranern verantwortlich gemacht (ÖB Teheran 9.2017; vergleiche GS o.D., SFH 20.7.2018). Verbindungen zur MEK gelten in Iran als 'moharebeh' ('Waffenaufnahme gegen Gott'), worauf die Todesstrafe steht (ÖB Teheran 11.2021). Im Exil in Frankreich hat die MEK-Führung den Nationalen Widerstandsrat [National Council of Resistance of Iran (NCRI)] gegründet (Telepolis 18.1.2019; vergleiche Landinfo 12.4.2021, EUAA 30.3.2022). Im Juni 2018 wurde ein geplanter Terroranschlag auf ein MEK-Treffen nahe Paris vereitelt (ÖB Teheran 11.2021).
Die linksgerichtete MEK wurde in den 1960er-Jahren mit der Intention gegründet, den Schah von Persien zu stürzen. Sie unterstützte während der iranischen Revolution Ayatollah Khomeini. Die Organisation wurde Anfang der 1980er-Jahre aus Iran ins Exil in den Irak vertrieben, nachdem sie gegen Khomeini opponiert hatte. Die MEK wird für verschiedene Anschläge verantwortlich gemacht und hatte als Verbündete der irakischen Seite am ersten Golfkrieg zwischen 1980 bis 1988 teilgenommen. Im Jahr 1987 gründete die Organisation einen bewaffneten Arm, die National Liberation Army (NLA) und führte ab 1988 von der 60 Kilometer von Bagdad entfernten Basis Ashraf ausgehend bewaffnete Operationen durch. In diesem Zeitraum exekutierten die iranischen Behörden Hunderte bis Tausende MEK-Mitglieder, welche als Feinde der Nation und Verräter bezeichnet wurden. Die Organisation wurde von einer Reihe von Staaten offiziell als terroristische Organisation eingestuft, darunter von den USA, der EU und Großbritannien. Im Jahr 2003 hat sich die MEK entwaffnet und den Verzicht auf Gewalt verkündet (SFH 20.7.2018; vergleiche Landinfo 12.4.2021). In den Jahren 2008, 2009 und 2012 wurde die MEK in Großbritannien, in der EU und in den USA von der Liste der terroristischen Organisationen entfernt (SFH 20.7.2018). Die MEK-Mitglieder im Irak ließen sich ab 2011 im Rahmen einer von UNHCR unterstützten Umsiedlung mehrheitlich in Albanien nieder. Im September 2016 sollen die letzten Volksmudschahedin ihr Lager im Irak verlassen haben (SFH 20.7.2018; vergleiche Guardian 9.11.2018). Mittlerweile sind viele von ihnen in die EU und die USA weitergereist (Guardian 9.11.2018). Die iranischen Behörden beobachten die Aktivitäten von MEK-Mitgliedern im Exil (Landinfo 12.4.2021).
Experten sind sich einig, dass die Volksmudschahedin die USA beim Eingreifen im Irak, bei diversen Aktionen im Nahen Osten und beim Kampf gegen den Terrorismus unterstützt haben. Auch bei der Veröffentlichung des iranischen Atomprogramms sollen sie eine wichtige Rolle gespielt haben (DW 28.3.2016; vergleiche Guardian 9.11.2018). Obwohl die MEK behauptet, das iranische Volk zu vertreten und ihre Rolle bei den Volksaufständen der letzten Jahre betont, gibt es kaum Anzeichen dafür, dass sie in Iran signifikante Unterstützung erhält. Das iranische Regime betrachtet die MEK als Terrororganisation und wirft ihr vor, in Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten Proteste anzuzetteln. Folglich riskieren diejenigen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zu dieser Gruppe zu haben - einschließlich der Familienmitglieder - starke Reaktionen (Landinfo 12.4.2021; vergleiche ACCORD 7.2018). Die österreichische Botschaft berichtet hierzu, dass die MEK zwar die stärkste oppositionelle Bewegung und international präsent ist, dass sie aber in Iran aufgrund ihrer terroristischen Vergangenheit und der Unterstützung Saddam Husseins im Iran-Irak-Krieg kaum Unterstützung genießt (ÖB Teheran 11.2021). In den letzten Jahren scheint sich die MEK darauf zu konzentrieren, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und als praktikable Alternative zum derzeitigen Regime internationale Unterstützung zu gewinnen. Die Organisation führt umfassende PR- und Lobbying-Kampagnen durch, unter anderem durch den oben erwähnten Nationalen Widerstandsrat (NCRI) (Landinfo 12.4.2021).
Immer wieder wird Kommandanten der MEK von ehemaligen Mitgliedern vorgeworfen, dass sie Mitglieder der MEK systematisch misshandeln würden, um sie zum Schweigen zu bringen. Hierzu würden Folter, Einzelhaft, Beschlagnahmung von Vermögen und Trennung von Familien angewendet, um die Kontrolle über die Mitglieder zu behalten. Solche Vorwürfe werden von der MEK zurückgewiesen (Guardian 9.11.2018). Die MEK soll im Jänner 2022 Fernsehkanäle und einen Radiosender, die unter der Kontrolle der staatlichen iranischen Rundfunkanstalt stehen, gehackt haben (EUAA 30.3.2022).
Quellen:
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research Documentation (7.2018): COI compilation Iran. Political Opposition. Mojahedin-e Khalq Organisation (MEK, MKO), https://www.ecoi.net/en/file/local/1441174/1226_1534925790_iran-coi-compilation-july-2018-final.pdf, Zugriff 16.5.2022
DW – Deutsche Welle (28.3.2016): Iranische Volksmudschahedin in Albanien, http://www.dw.com/de/iranische-volksmudschahedin-in-albanien/a-19132961, Zugriff 16.5.2022
EUAA – European Union Asylum Agency (30.3.2022): People’s Mujahedin Organisation of Iran, Q21-2022, https://coi.euaa.europa.eu/administration/easo/PLib/2022_03_Q21_EUAA_COI_Query_Response_IRAN_People_Mujahedin_Organisation.pdf, Zugriff 16.5.2022
GS – Global Security (o.D.): Mujahedin-e Khalq Organization (MEK or MKO), http://www.globalsecurity.org/military/world/para/mek.htm, Zugriff 16.5.2022
Landinfo [Norwegen] (12.4.2021): Iran. Mojahedin-e Khalq Organization (MKO), https://www.ecoi.net/en/file/local/2050252/Temanotat-Iran-MKO-12042021.pdf, Zugriff 16.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 16.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (9.2017): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426070/5818_1520415893_iran-oeb-bericht-2017-09.docx, Zugriff 16.5.2022
SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (20.7.2018): Iran: Rückkehr von Personen mit Verbindungen zu den Volksmudschahedin (PMOI), https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/iran/180720-irn-gefaehrdung-pmoi.pdf, Zugriff 16.5.2022
Telepolis (18.1.2019): Was verbindet die Volksmudschahedin mit der rechten spanischen Vox-Partei?, https://www.heise.de/tp/features/Was-verbindet-die-Volksmudschahedin-mit-der-rechten-spanischen-Vox-Partei-4281979.html, Zugriff 16.5.2022
The Guardian (9.11.2018): Terrorists, cultists – or champions of Iranian democracy? The wild wild story of the MEK, https://www.theguardian.com/news/2018/nov/09/mek-iran-revolution-regime-trump-rajavi, Zugriff 16.5.2022
PJAK - Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (Partei für Freiheit und Leben in Kurdistan bzw. Partei für ein freies Leben Kurdistans)
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die PJAK begann in den späten 1990er-Jahren als friedliche studentische Menschenrechtsorganisation. Es ging den Mitgliedern der Gruppierung anfangs um den Aufbau einer kurdischen Nationalidentität (BMI 2015; vergleiche ACCORD 7.2015, DIS 7.2.2020), und man wollte die Assimilierung der Kurden durch die Zentralregierung verhindern (JF 15.1.2018). 2004 begannen die bewaffneten Angriffe auf die iranische Regierung von den Kandil-Bergen aus, von wo aus die PJAK bis heute operiert. Ebendort hat auch die türkische Arbeiterpartei Kurdistans - PKK dort ihre Basen (JF 15.1.2018; vergleiche Landinfo 18.12.2020), und die PJAK gilt als iranischer Ableger der PKK (JF 15.1.2018; vergleiche Landinfo 18.12.2020, AA 28.1.2022). Als Unterschied zur PKK gibt die PJAK selbst an, dass sie sich niemals gegen Zivilisten, sondern immer nur gegen ausschließlich iranische Regierungstruppen wendet bzw. gewandt hat. Die iranische Regierung hat die PJAK auch niemals diesbezüglich beschuldigt. Angaben über die zahlenmäßige Stärke der PJAK sind schwierig. Schätzungen liegen zwischen 1.000 (JF 15.1.2018; vergleiche Landinfo 18.12.2020) und 3.000 Kämpfern (BMI 2015; vergleiche Landinfo 18.12.2020). Ein großer Teil der Kämpfer in Ostkurdistan sollen Frauen sein (CRS 6.2.2020). Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist ein erklärtes Ziel der PJAK. Beide Geschlechter müssen auf allen Ebenen der Organisation gleichermaßen vertreten sein und das gleiche Schulungsprogramm absolvieren. Schätzungen zufolge sind bis zur Hälfte der Mitglieder Frauen. Neben der kurdischen Sache steht nicht nur die schon erwähnte Gleichstellung der Geschlechter, sondern auch der ethnischen Gruppen ganz oben auf der politischen Agenda der PJAK. Darüber hinaus hat die PJAK das erklärte Ziel eines Regimewechsels in Iran. In diesem Zusammenhang versucht die Organisation, alle Iraner anzusprechen. Das erklärte Ziel von PJAK ist es, das derzeitige theokratische Modell durch ein demokratisches föderales System zu ersetzen. Ihr Ziel und ihre Vision ist es, dass in einem zukünftigen politischen Modell alle ethnischen und religiösen Gruppen ein hohes Maß an Autonomie haben sollten. Dies gilt für alle ethnischen Gruppen, nicht nur für die Kurden (Landinfo 18.12.2020).
Die PJAK ist in einen Militärflügel, den ostkurdischen Verteidigungskräften (YRK), und einen politischen Flügel, der Demokratischen und Freien Gesellschaft Ostkurdistans (KODAR), aufgeteilt. Die Gruppe gibt vor, mit allen Iranern zusammenzuarbeiten, aber in der Praxis ist ihre Mitgliedschaft fast ausschließlich kurdisch. Während der militärische Flügel in den Kandil-Bergen stationiert ist, ist der politische Zweig in Europa und dem Irak ansässig (JF 15.1.2018; vergleiche Landinfo 18.12.2020) und operiert in Iran nur im Untergrund (DIS 7.2.2020; vergleiche Landinfo 18.12.2020). Während die kurdisch-iranischen Exilparteien wie z.B. PDKI, KDP-I, die drei Komala-Fraktionen und PAK (Parti Azadi Kurdistan - Kurdistan Freedom Party) mit der Autonomen Kurdischen Region (Kurdistan Regional Government - KRG) Vereinbarungen für eine formalisierte Präsenz im Nordirak getroffen haben, hat die PJAK keine solchen Vereinbarungen. Mit dieser formalisierten Präsenz gehen finanzielle Unterstützung, Zugang zu Schulen, Gesundheitsversorgung und andere öffentliche Dienstleistungen einher. Da die PJAK nicht über eine solche formalisierte Präsenz verfügt, erhalten ihre Mitglieder weder finanzielle Unterstützung noch öffentliche Dienstleistungen (Landinfo 18.12.2020).
Der militärische Arm der PJAK führte in Iran von Anfang der 2000er-Jahre bis 2011 eine sporadische Aufstandskampagne. Dabei wurden Dutzende iranische Sicherheitskräfte getötet, hauptsächlich bei Operationen in und um Städte mit kurdischer Mehrheit wie Urmia und Mariwan. 2011 erklärte die PJAK einen [brüchigen] Waffenstillstand. Der Zusammenbruch des syrischen Staates eröffnete der PKK und ihren Mitgliedsgruppen neue Möglichkeiten, und es wurden Kämpfer nach Syrien geschickt. Dies wurde ab 2014 verstärkt, da die von der YPG [syrischer Ableger der PKK] gehaltenen Gebiete zunehmend von den von der Türkei unterstützten Streitkräften der Freien Syrischen Armee (FSA) und von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates (IS), insbesondere bei der Belagerung von Kobane, unter Druck gesetzt wurden (JF 15.1.2018). Trotz des zunehmenden Engagements der PJAK in Syrien gab die Gruppe ihren Waffenstillstand mit Iran im Jahr 2015 auf, vor allem, um von der weitverbreiteten Empörung und den Protesten gegen die Tötung einer kurdischen Frau durch iranische Sicherheitskräfte in Mahabad zu profitieren. Die Gruppe nahm ihre Angriffe auf iranische Truppen wieder auf, was zu verstärkter Gewalt zwischen der PJAK und der iranischen Regierung führte und im August 2015 ihren Höhepunkt mit einem PJAK-Angriff in Mariwan erreichte, bei dem Berichten zufolge 20 Mitglieder der Revolutionsgarde getötet wurden. Die Regierung reagierte mit der Hinrichtung inhaftierter kurdischer Aktivisten (JF 15.1.2018; vergleiche Landinfo 18.12.2020). Die PJAK liefert sich somit seit Jahren einen Guerilla-Kampf mit den iranischen Sicherheitsbehörden (AA 5.2.2021). In den Jahren 2017 und 2018 kam es immer wieder zu Zusammenstößen mit kurdischen Oppositionsgruppen (PJAK, KDP-Iran, Komala), mit mehreren Dutzend Festnahmen und zahlreichen Toten (ÖB Teheran 10.2020; vergleiche BS 2020). Unter den politisch Verfolgten in Iran sind verhältnismäßig viele Kurden. Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 11.2021). Zusammenstöße der PJAK mit iranischen Sicherheitskräften wurden auch 2019 (Kurdistan24 5.8.2019), 2020 (Hengaw 30.12.2020) und 2021 berichtet (Rudaw 4.8.2021).
Quellen:
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AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2, Zugriff 19.5.2022
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CRS – Congressional Research Service [USA] (6.2.2020): Iran: Internal Politics and U.S. Policy and Options, https://fas.org/sgp/crs/mideast/RL32048.pdf, Zugriff 19.5.2022
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf, Zugriff 19.5.2022
Hengaw – Hengaw Organisation für Menschenrechte (30.12.2020): Militärische Zusammenstöße in iranisch Kurdistan im Jahre 2020 - Statistische Angaben, https://hengaw.net/de/news/militarische-zusammensto%C3%9Fe-in-iranisch-kurdistan-im-jahre-2020-statistische-angaben, Zugriff 19.5.2022
JF – Jamestown Foundation (15.1.2018): Party for Free Life in Kurdistan: The PKK’s Iranian Wing Bides Its Time, Terrorism Monitor Volume: 16 Issue: 1, https://jamestown.org/program/party-free-life-kurdistan-pkks-iranian-wing-bides-time/, Zugriff 19.5.2022
Kurdistan24 (5.8.2019): PKK-affiliate group reports deaths from recent clash with Iran Guards, https://www.kurdistan24.net/en/news/406728f5-dfd2-4e2b-b71c-de07c86c6646, Zugriff 19.5.2022
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Rudaw (4.8.2021): PJAK releases identity of two of its fighters killed in clashes with IRGC, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iran/040820212, Zugriff 19.5.2022
Kurdish Democratic Party of Iran (KDPI/PDKI) und Komala(h) (Kurdistan Organization of the Communist Party of Iran, Komala, SKHKI)
Letzte Änderung: 23.05.2022
Neben der PJAK zählen insbesondere die marxistische Komalah-Partei und die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI bzw. PDKI) zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran (AA 5.2.2021), und die iranischen Behörden verfolgen diese (AA 28.1.2022). Die Mitgliedschaft in kurdischen Parteien ist illegal und wird streng bestraft. In kurdischen Gebieten gilt auch zivilgesellschaftlicher Aktivismus, der nichts mit den Parteien zu tun hat, als verdächtig. Dies wird als politische Oppositionstätigkeit interpretiert und von den Behörden unterdrückt. Personen, die an Demonstrationen oder anderen Protestmärschen teilnehmen, stehen im Verdacht, Mitglied einer Partei zu sein. Sie riskieren eine Verhaftung (Landinfo 19.5.2020).
Die KDPI (auch PDKI) wurde 1945 in der iranischen Stadt Mahabad gegründet (DIS 7.2.2020; vergleiche Landinfo 19.5.2020). Das Ziel der KDPI besteht darin, die kurdischen nationalen Rechte innerhalb eines föderalen und eines demokratischen Iran zu erlangen (DIS 7.2.2020; vergleiche Landinfo 19.5.2020). Sie bezeichnet sich selbst als sozialdemokratische Partei (Landinfo 2.4.2020). Die KDPI wird von der Regierung als konterrevolutionäre und terroristische Gruppe betrachtet, die von ihrem irakischen Hauptquartier aus das Regime bekämpft (BMI 2015; vergleiche ACCORD 7.2015, Landinfo 2.4.2020). Die KDPI wird traditionell als die größte iranisch-kurdische Partei angesehen (DIS 7.2.2020; vergleiche Landinfo 19.5.2020), wobei dies heute nicht mehr gültig ist (Landinfo 2.4.2020). Die Partei KDP-Iran hat sich 2006 von der KDPI getrennt und ist eine separate Partei (DIS 7.2.2020; vergleiche Landinfo 19.5.2020). Trotz der Spaltung haben die beiden Parteien ein neues Kooperationsforum gebildet, das neben KDPI und KDP-Iran aus zwei weiteren iranisch-kurdischen Parteien besteht, nämlich zwei Fraktionen der linken Partei Komala (Landinfo 19.5.2020). Die kurdischen Parteien konkurrieren um Einfluss in der kurdischen iranischen Bevölkerung (Landinfo 2.4.2020), und sie sind in Iran nicht sehr stark durch Mitglieder repräsentiert, sondern am ehesten durch Sympathisanten (ACCORD 7.2015). Viele der kurdischen Parteien operieren vom Nordirak aus. Der Status und Handlungsspielraum der kurdischen Oppositionsgruppen wie KDP-I, Komala und PDKI und PJAK waren und sind ein schwieriges Thema in den Beziehungen zwischen Iran und der Autonomen Kurdischen Region (Kurdistan Regional Government - KRG). Die KRG hat Vereinbarungen für eine formalisierte Präsenz mit mehreren iranisch-kurdischen Exilparteien wie KDPI, KDP-Iran, den drei Komala-Fraktionen und der Kurdischen Freiheitspartei PAK getroffen. Aufgrund der Notwendigkeit einer gutnachbarlichen Beziehung zu Iran hat die KRG gefordert, dass die iranisch-kurdischen Exilparteien alle militärischen Aktivitäten gegen Iran unterlassen. Dies war eine Bedingung dafür, dass die Exilparteien in Stützpunkten und Lagern im Nordirak operieren dürfen. Mit dieser formalisierten Präsenz gehen finanzielle Unterstützung, Zugang zu Schulen, Gesundheitsversorgung und anderen öffentlichen Dienstleistungen einher (Landinfo 18.12.2020).
Die Komala-Partei wurde 1969 gegründet. Ihre Mitglieder bestanden zu dieser Zeit aus kurdischen linken Studenten und Intellektuellen, hauptsächlich aus Teheran, aber auch aus anderen kurdischen Städten. Komala basiert auf sozialistischen Werten und kämpft für kurdische Rechte und einen demokratischen, säkularen, pluralistischen und föderalen Iran. Komala besteht aus drei oder mehr getrennten Parteien (DIS 7.2.2020).
Das Ausmaß der zivilpolitischen Aktivitäten der iranisch-kurdischen Oppositionsparteien, insbesondere der KDPI und Komala, in Iran ist aufgrund der Kontrolle, mit der sie konfrontiert sind, im Allgemeinen begrenzt. Wenn die Parteien zivilpolitische Aktivitäten durchführen, geschieht dies unter Geheimhaltung, um zu verhindern, dass die Behörden gegen sie vorgehen. Die Parteien unterstützen jedoch die Aktivitäten anderer, beispielsweise von Organisationen, die sich sowohl auf Umweltfragen als auch auf soziale Fragen konzentrieren. Die kurdischen politischen Parteien führen Propaganda-Aktivitäten durch, um ein Bewusstsein für die Politik der iranischen Regierung zu schaffen und die Menschen zu ermutigen – durch verschiedene friedliche und entschlossene Maßnahmen wie Demonstrationen, Generalstreiks und symbolische Mittel, wie das Tragen kurdischer Kleidung zu besonderen Anlässen – gegen die Regierung zu protestieren. Die meisten Aktivitäten der kurdischen Parteien finden im öffentlichen Raum, einschließlich Schulen, statt. Die Parteien ermutigen ihre Mitglieder, Unterstützer und die Öffentlichkeit, Maßnahmen über soziale Medien, Fernseh- und Radiokanäle zu ergreifen (DIS 7.2.2020).
In Bezug auf die Rekrutierung von Mitgliedern ist zu sagen, dass die Regeln für die Mitgliedschaft in den iranisch-kurdischen politischen Parteien (KDPI und Komala) nicht immer geradlinig sind und die Mitgliedschaft durch verschiedene Verfahren erlangt werden kann. Menschen in der kurdischen Region in Iran können über die geheimen Netzwerke dieser Parteien Mitglieder werden, oder sie können selbst Mitglieder der Partei in der Autonomen Kurdischen Region Irak kontaktieren und dadurch Mitglieder werden. Zukünftige Mitglieder durchlaufen eine Überprüfung, um z.B. Spione der iranischen Regierung ausschließen zu können (DIS 7.2.2020; vergleiche Landinfo 19.5.2020). Es kommt immer wieder vor, dass das Geheimdienstministerium und die Revolutionsgarden Personen bedrohen oder bestechen, um sie als Kundschafter einzusetzen (DIS 7.2.2020). Sowohl das iranische Geheimdienstministerium als auch der Geheimdienst der Revolutionsgarden sind mit einem Netzwerk von Informanten verbunden, die die Aktivitäten der iranisch-kurdischen Parteien verfolgen und darüber berichten. Die Geheimdienste haben wahrscheinlich einen gewissen Überblick über die Mitglieder und Aktivitäten der Parteien. Mitglieder der Parteien werden vom iranischen Geheimdienst kontaktiert und Drohungen und Druck ausgesetzt. Auch die Familien der Mitglieder in Iran werden häufig kontaktiert, um die den Parteien angehörenden Familienmitglieder zu überreden, die Parteien zu verlassen und in den Iran zurückzukehren. Je höher die Position eines Parteimitglieds, desto höher ist der Druck auf die Familie in Iran (Landinfo 19.5.2020).
Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der kommunistischen Komala-Partei und der KDP-Iran und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 11.2021). Ab 2015 stationierten einige der kurdischen Parteien ihre Peschmerga wieder in Iran. Die KDPI beispielsweise erklärte den Waffenstillstand mit Iran 2016 für beendet und bewaffnete Auseinandersetzungen nahmen zu (Landinfo 2.4.2020). Ende April 2017 stationierte eine der Komala-Fraktionen ihre Streitkräfte im Grenzgebiet zwischen der Autonomen Kurdischen Region Irak und Iran (DIS 7.2.2020). Im September 2018 wurden drei angebliche Komala-Mitglieder wegen Terrorismus nach unfairen Verfahren und trotz internationaler Proteste hingerichtet (ÖB Teheran 10.2020; vergleiche DIS 7.2.2020), zeitgleich fanden Raketenangriffe auf einen Stützpunkt der KDPI in Nord-Irak statt (ÖB Teheran 10.2020; vergleiche DIS 7.2.2020, BS 2020, BpB 10.12.2020). Die Anzahl der Begegnungen zwischen iranisch-kurdischen Guerillas und iranischen Streitkräften hat zwar an Intensität abgenommen, aber nicht aufgehört (Landinfo 2.4.2020).
Die humanitäre Lage in den iranischen kurdischen Gebieten hat sich laut KDPI aufgrund der Covid-19-Krise massiv verschärft (BpB 10.12.2020).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 19.5.2022
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2, Zugriff 19.5.2022
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Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 23.05.2022
Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 11.2021). Die heutige Verfassung Irans ist ein hybrides System aus republikanisch-demokratischen und theokratisch-autoritären Elementen unter dem Vorrang des islamischen Rechts der dschafaritischen Rechtsschule. Die Verfassung enthält republikanisch-demokratische Organe wie z.B. das Parlament sowie das Amt des Präsidenten, da diese Organe direkt vom Volk gewählt werden. Als wesentliche theokratische Organe gelten das Amt des religiösen Führers sowie der Wächterrat (BAMF 5.2021). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben. Exekutivorgane, besonders der Sicherheitsapparat, nehmen v.a. in politischen Fällen jedoch massiven Einfluss auf Urteilsfindung und Strafzumessung. Das Justizwesen ist zudem geprägt von Korruption (AA 28.1.2022; vergleiche BS 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA), deren Unabhängigkeit die Judikative einzuschränken versucht. Anwälte der IBA sind staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen ausgesetzt (AA 28.1.2022). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 28.2.2022).
Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 12.4.2022). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 13.1.2022; vergleiche HRC 13.1.2022, AI 29.3.2022). Die Behörden setzen sich ständig über Bestimmungen hinweg, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 7.4.2021; vergleiche HRW 13.1.2022). In einigen Fällen wird in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt, weil man sie nicht über ihre Verhandlungstermine informiert oder sie nicht vom Gefängnis zum Gericht transportiert (AI 7.4.2021).
Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) werden Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 28.1.2022).
Wenn sich Gesetze nicht mit einer spezifischen Rechtssituation befassen, dann dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen 'göttlichen Wissens' [divine knowledge] für schuldig befinden (US DOS 12.4.2022).
In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die 'Sondergerichte für die Geistlichkeit' sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vergleiche BS 2018).
Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:
● Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere 'Feindschaft zu Gott' und 'Korruption auf Erden';
● Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;
● Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;
● Spionage für fremde Mächte;
● Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;
● Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).
Viele Gerichtsverfahren finden hinter verschlossenen Türen statt. Bei Verfahren vor Revolutionsgerichten herrscht offene Feindseligkeit gegenüber den Angeklagten, und Anschuldigungen von Sicherheits- und Geheimdiensten werden als Tatsachen behandelt, die bereits feststehen (AI 7.4.2021). Erzwungene 'Geständnisse', die unter Folter und anderen Misshandlungen zustande kommen, werden vor Beginn der Prozesse im Staatsfernsehen ausgestrahlt (AI 7.4.2021; vergleiche AA 28.1.2022). Gerichte nutzen sie durchweg als Beweismittel und begründen damit Schuldsprüche, selbst wenn die Angeklagten ihre Aussagen widerrufen. In vielen Fällen bestätigen Berufungsgerichte Schuldsprüche und Strafen, ohne eine Anhörung abzuhalten. Häufig weigern sich Gerichte, Angeklagten, die wegen Straftaten in Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit verurteilt wurden, das Urteil in schriftlicher Form zukommen zu lassen (AI 7.4.2021).
Bei Delikten, die im starkem Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden (ÖB Teheran 11.2021). Mit der islamischen Revolution von 1979 kam es zur Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, welches die bisherige Gesetzgebung, die vom 'code pénal napoléon' von 1810 beeinflusst war, ablöste und sich aus drei eigenständigen Teilbereichen zusammensetzt. Neben den im Koran und der Sunna festgelegten hadd-Delikten gibt es die qisas-Delikte, die aus vorislamischer Zeit stammen, und die ta'zir-Delikte, die alle sonstigen strafwürdigen Taten umfassen. Während für hadd-Delikte - wie u.a. unerlaubter Geschlechtsverkehr, Alkoholgenuss, Diebstahl oder Feindschaft gegen Gott und aus Sicht von Traditionalisten auch Rebellion und Apostasie - sogenannte hadd-Strafen wie Kreuzigung, Steinigung, sonstige Todesstrafen, Amputationsstrafen, Auspeitschung oder Verbannung verhängt werden, sind für qisas-Delikte grundsätzlich Talions- bzw. Vergeltungsstrafen (qisas) oder zu zahlendes Blutgeld (diya) als Strafausgleich vorgesehen. Talionsstrafen werden vom Grundsatz her bei vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten und zu zahlendem Blutgeld bei nicht vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten verhängt. Für alle sonstigen aus Sicht der Rechtsordnung strafwürdigen Taten sind ta'zir-Strafen vorgesehen, die aus unterschiedlichen Züchtigungsstrafen bestehen, die mit dem Islam vereinbar sein müssen. Das neue iranische Strafgesetzbuch ab 2013 gliedert sich in vier Bücher: Im ersten Buch werden die Allgemeinen Vorschriften (Artikel eins –, 216,), im zweiten Buch die hadd-Strafen (Artikel 217 –, 288,), im dritten Buch die qisas-Strafen (Artikel 289 –, 447,) und im vierten Buch das Blutgeld bzw. diya (Artikel 448 –, 728,) behandelt (BAMF 5.2021). Im iranischen Strafrecht sind also körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 28.1.2022). Auf die Anwendung der Vergeltungsstrafen (qisas) der Amputation (z.B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung kann der Geschädigte gegen Erhalt eines Abstandsgeldes (diya) verzichten (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 28.1.2022). Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom Geschädigten gegen diya verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 28.1.2022).
Verlässliche Aussagen zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Häftlinge ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht einer Straftat unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste mit vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (Kopftuchzwang) (AA 28.1.2022).
Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).
Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 28.1.2022).
Rechtsschutz ist nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert, zum Teil auch selber inhaftiert und verurteilt. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen. Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen. Üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (AA 28.1.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 22.4.2022
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 22.4.2022
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 22.4.2022
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020) – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html, Zugriff 22.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021) – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 22.4.2022
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran: Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?__blob=publicationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%22name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D, Zugriff 22.4.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 22.4.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report – Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 22.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 22.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 22.4.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 22.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 22.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 22.4.2022
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 23.05.2022
Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enqhelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Die Revolutionsgarden und die nationale Armee (Artesh) sorgen für die externe Verteidigung (US DOS 12.4.2022). Die zivilen Behörden bzw. die Regierung behalten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (US DOS 12.4.2022; vergleiche BS 2020) und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete (BS 2020). Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen (US DOS 12.4.2022).
Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorismusbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 28.1.2022). Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden und den Basij unterstützt. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BS 2020). Neben dem 'Hohen Rat für den Cyberspace' beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfälle, Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie die Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 28.1.2022).
Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den Revolutionsgarden (BS 2020). Diese nehmen eine Sonderrolle ein, ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eine fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 28.1.2022). Heute sollen die Revolutionsgarden über ca. 190.000 Soldatinnen und Soldaten verfügen, während die regulären Streitkräfte 420.000 Mann unter Waffen haben. Hinzu kommen noch einmal 450.000 Reservisten als Teil der Basij-Milizen (Iran Journal 1.2.2021), die ebenfalls den Revolutionsgarden unterstellt sind (Iran Journal 1.2.2021; vergleiche AA 28.1.2022). Basij haben Stützpunkte unter anderem in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basij gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 11.2021).
Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 28.2.2022). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte und kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016; vergleiche SRF 9.4.2019). Längst ist also aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Ex-Präsident Hassan Rohani versuchte zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen, dies gelang ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vergleiche BS 2020, Iran Journal 1.2.2021). Mittlerweile sind die wirtschaftlichen Aktivitäten der Revolutionsgarden außerhalb des normalen Marktgeschehens so umfangreich, dass der Privatsektor in vielen Bereichen nicht mehr existiert. Er wurde verdrängt und ist gegenüber der Marktbeherrschung der Garden nicht mehr wettbewerbsfähig (Iran Journal 1.2.2021). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern auch in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland ausgebildet (Tagesspiegel 8.6.2017; vergleiche Iran Journal 1.2.2021). Die 1990 gegründete Quds-Brigade ist mit 5.000 Mann relativ klein. Doch für Irans Regionalpolitik spielt sie bei Auslandseinsätzen eine zentrale Rolle. Um ihre Unterlegenheit bei konventionellen Waffensystemen auszugleichen, setzt die Quds-Armee vor allem auf Guerillataktiken (Iran Journal 1.2.2021).
Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst und den technischen Aufklärungsdienst. Der Inlandsgeheimdienst beobachtet die politische Opposition und übt Druck auf diese aus (AA 28.1.1.2022).
Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung (AA 28.1.1.2022).
Angehörige der Sicherheitskräfte können Misshandlungen begehen, ohne befürchten zu müssen, bestraft zu werden. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, darunter Folter, Verschwindenlassen und Gewaltakte gegen Demonstranten und Umstehende bei öffentlichen Demonstrationen. Die Regierung unternimmt nur wenige Schritte, um Beamte, die Menschenrechtsverletzungen begehen, zu identifizieren, zu untersuchen, strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Die Straflosigkeit bleibt auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte allgegenwärtig (US DOS 12.4.2022). In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).
Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie Basij de facto willkürlich handeln können. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen können den Unwillen zufällig anwesender Basij bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basij können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 22.4.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 22.4.2022
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf, Zugriff 22.4.2022
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 22.4.2022
DW – Deutsche Welle (18.2.2016): Die Strippenzieher der iranischen Wirtschaft, http://www.dw.com/de/die-strippenzieher-der-iranischen-wirtschaft/a-19054802, Zugriff 22.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 22.4.2022
Iran Journal (1.2.2021): Aus der Schwäche wuchs ihre Macht, https://iranjournal.org/wirtschaft/geschichte-der-revoltuionsgarde, Zugriff 22.4.2022
Menawatch (10.1.2018): Die Wirtschaft des Iran ist in den Händen der Revolutionsgarden, https://www.mena-watch.com/die-wirtschaft-des-iran-ist-in-den-haenden-der-revolutionsgarden/, Zugriff 22.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 22.4.2022
Tagesspiegel (8.6.2017): Staat im Staat: Warum Irans Revolutionsgarden so viel Macht haben, https://www.tagesspiegel.de/politik/krise-am-golf-staat-im-staat-warum-irans-revolutionsgarden-so-viel-macht-haben/19907934.html, Zugriff 22.4.2022
SRF – Schweizer Rundfunk und Fernsehen (9.4.2019): Was ist die Revolutionsgarde?, https://www.srf.ch/news/international/dominante-militaermacht-im-iran-was-ist-die-revolutionsgarde, Zugriff 22.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 22.4.2022
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 23.05.2022
Folter ist nach Artikel 38, der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind psychische und physische Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 28.1.2022; vergleiche US DOS 12.4.2022, DIS 7.2.2020) bzw. weit verbreitet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022). Gerade bei politischen Fällen ist Folter nicht nur geduldet, sondern wird mitunter angeordnet (AA 28.1.2022). Folter wird Berichten zufolge von einer Reihe von Akteuren wie dem polizeilichen Nachrichtendienst, dem Geheimdienstministerium (HRC 14.5.2021), den Islamischen Revolutionsgarden, der Polizei (HRC 14.5.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021) als auch in Gefängnissen ausgeführt (ÖB Teheran 11.2021). Berichten zufolge unterhalten Behörden abseits des nationalen Gefängnissystems auch noch inoffizielle, geheime Gefängnisse und Haftanstalten, in denen Missbrauch stattfindet (US DOS 12.4.2022). Folter betrifft vorrangig nicht-registrierte Gefängnisse, aber auch offizielle Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht und in welchem politische Gefangene inhaftiert sind (AA 28.1.2022). Folter und Misshandlungen werden systematisch angewendet, vor allem während Verhören. Im August 2021 gelangten Videoaufnahmen an die Öffentlichkeit, die von Überwachungskameras im Evin-Gefängnis in Teheran stammten und zeigten, wie Gefangene vom Wachpersonal geschlagen, sexuell belästigt und auf andere Weise gefoltert und misshandelt wurden (AI 29.3.2022).
Bei Delikten, die im Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischt-geschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 11.2021). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen - teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser sowie die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 12.4.2022).
Die Tatsache, dass die Justiz bei ihren Ermittlungen in hohem Maße auf Geständnisse angewiesen ist, scheint ein wichtiger Anreiz für Folter zu sein. Obwohl das iranische Recht die Verwendung erzwungener Geständnisse vor Gericht verbietet (HRC 14.5.2021) zeigen Zeugenaussagen, dass Richter sich einerseits häufig weigern, Foltervorwürfen nachzugehen (HRC 14.5.2021; vergleiche HRC 13.1.2022) und sich andererseits auf erzwungene Geständnisse als Beweismittel für eine Verurteilung verlassen (HRC 14.5.2021; vergleiche HRW 13.1.2022). Dies gilt auch insbesondere bei der Verhängung der Todesstrafe (HRC 13.1.2022). Ehemalige Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 28.2.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 22.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 22.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 22.4.2022
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf, Zugriff 22.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 22.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf, Zugriff 22.4.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 22.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 22.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 22.4.2022
Korruption
Letzte Änderung: 23.05.2022
Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Bereich vor, aber die Regierung implementiert dieses Gesetz nur willkürlich. Manchmal werden Korruptionsfälle gegen Beamte rechtmäßig verfolgt, gleichzeitig werden politisch motivierte Anklagen gegen Regimekritiker oder politische Opponenten vorgebracht. Es gibt zahlreiche Berichte zu Korruption (US DOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022). Auch das Justizwesen ist nicht frei von Korruption (AA 28.1.2022; vergleiche BS 2020). Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit (AA 28.1.2022). Auch bei der Polizei, bei sozialen Organisationen, im Öffentlichen Dienst und bei Behörden ist Korruption weit verbreitet. Korruption und Gesetzesverstöße sind auch bei der politischen Elite weit verbreitet. Nur selten werden Täter strafrechtlich verfolgt und wenn, dann ist dies hauptsächlich auf politische Rivalitäten zurückzuführen (BS 2020).
Religiöse Wohltätigkeitsorganisationen, sogenannte 'Bonyads', leisten zwischen einem Viertel und einem Drittel der wirtschaftlichen Leistung des Landes. Bonyads erhalten Begünstigungen durch die Regierung, ihr Finanzgebaren wird jedoch nicht kontrolliert. Oppositionspolitiker und internationale Organisationen bezichtigen diese Bonyads regelmäßig der Korruption. Geleitet werden diese steuerbefreiten Organisationen von Personen, die der Regierung nahe stehen, wie z.B. Angehörige des Militärs oder der Geistlichkeit. Zahlreiche Firmen, die in Verbindung mit den Revolutionsgarden stehen, betätigen sich teils rechtswidrig in Handel und Gewerbe, einschließlich der Bereiche Telekommunikation, Bergbau und Bauwesen. Andere Unternehmen der Revolutionsgarden betätigen sich im Schmuggel von Medikamenten, Drogen und Rohstoffen (US DOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022).
Die Justiz leitete 2019 ein hartes Vorgehen gegen die Korruption ein, in dessen Folge es zu öffentlichkeitswirksamer Strafverfolgung gegen ehemalige Politiker und Gerichtsbeamte kam. Präsident Raisi machte die Korruption auch zu einem Hauptthema seiner Präsidentschaftskampagnen 2017 und 2021. Die Behörden haben sich jedoch in letzter Zeit gegen eine Überprüfung der offiziellen Korruption gewehrt. Im Juli 2021 wurden vier Journalisten, die für staatliche Nachrichtenseiten arbeiten, wegen Falschnachrichten und Verleumdung verurteilt, weil sie über mutmaßliche Korruption im Ölministerium berichtet hatten. Sie wurden Berichten zufolge aber nicht zu Haftstrafen verurteilt (FH 28.2.2022).
Transparency International führt Iran in seinem Korruptionswahrnehmungsindex von 2021 mit 25 (von 100) Punkten (0=highly corrupt, 100=very clean) auf Platz 150 von 180 [2020: Platz 149 von 180] untersuchten Ländern (TI 2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 22.4.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 22.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 22.4.2022
TI – Transparency International (2022): Corruption Perspective Index 2021 – Iran, https://www.transparency.org/en/cpi/2021, Zugriff 22.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 22.4.2022
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 23.05.2022
NGOs gegenüber agiert der iranische Staat sehr misstrauisch, aufgrund der Befürchtung, dass NGOs die staatliche Ordnung untergraben würden (BS 2020). Eine aktive, öffentliche Menschenrechtsarbeit ist in Iran somit nicht möglich. Alle Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen benötigen eine staatliche Genehmigung und unterliegen damit staatlicher Kontrolle (AA 28.1.2022). Laut Gesetz müssen sich NGOs beim Innenministerium registrieren und um eine Genehmigung ansuchen, wenn sie ausländische Subventionen erhalten. Die Regierung schränkt die Arbeit einheimischer Aktivisten ein und reagiert auf deren Anfragen und Berichte häufig mit Schikanen, Verhaftungen, Online-Hacking und der Überwachung einzelner Aktivisten und Aktivistinnen sowie der Arbeitsstätten von Organisationen. Unabhängige Menschenrechtsgruppen und NGOs sehen sich weiterhin Schikanen aufgrund ihrer Tätigkeiten und möglichen Schließungen infolge anhaltender und oft willkürlicher Verzögerungen bei der offiziellen Registrierung gegenüber (US DOS 12.4.2022). Das Innenministerium warnt vor Kontakten zum Ausland und vor Kritik an der Islamischen Republik, die hart verfolgt wird, etwa in Form von Straftatbeständen wie 'Propaganda gegen das Regime' oder 'Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit'. Zusätzlich haben NGOs große Schwierigkeiten, finanzielle Quellen zu erschließen. Rückgriff auf ausländische Gelder kann Strafverfolgung wegen Spionage, Kontakt zur Auslandsopposition oder ähnliche Vorwürfe nach sich ziehen (AA 28.1.2022).
Menschenrechtsorganisationen sind nur vereinzelt vorhanden, da sie unter enormem Druck stehen. Regelmäßig gibt es Beispiele dafür, dass Organisationen, die sich im weitesten Sinne für Menschenrechte einsetzen, unter großen Druck geraten. Andererseits können manche NGOs, etwa in den Bereichen Drogenbekämpfung oder Flüchtlingsbetreuung, arbeiten. In anderen Bereichen, etwa hinsichtlich der Rechte von Frauen und Angehörigen sexueller Minderheiten aber seit 2018 auch beim Umweltschutz müssen NGOs ohne Registrierung und mit der Gefahr von Verfolgung arbeiten (ÖB Teheran 11.2021). Besonders unter Druck stehen Mitglieder bzw. Gründer von Menschenrechtsorganisationen (zumeist Strafverteidiger bzw. Menschenrechtsanwälte), wie etwa des 'Defenders of Human Rights Center', deren Gründungsmitglieder nahezu allesamt wegen ihrer Tätigkeit hohe Haftstrafen verbüßen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 28.2.2022). Zum Teil wurden auch Körperstrafen sowie Berufs- und Reiseverbote über sie verhängt. Es ist davon auszugehen, dass sie in Haftanstalten physischer und schwerer psychischer Folter ausgesetzt sind. Oft werden auch Familienmitglieder und Freunde von Strafverteidigern unter Druck gesetzt (verhört oder verhaftet) (ÖB Teheran 11.2021). Im März 2021 wurde die bis dato größte NGO, die 'Imam Ali Popular Students Relief Society', verboten und ihre Leiter verhaftet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 28.1.2022). Die ca. 12.000 Mitglieder hatten sich der Armutsbekämpfung verschrieben und Blutgelder gesammelt, um Exekutionen zu verhindern. Die Organisation hatte UNESCO-Beobachtungsstatus (ÖB Teheran 11.2021).
Willkürliche Verhaftungen von Personen, die lediglich friedlich ihre Menschenrechte wahrnehmen, kommen weiterhin vor. Dazu zählen Demonstranten, Journalisten, politisch Andersdenkende, Künstler, Schriftsteller, Lehrer und Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, aber auch Rechtsanwälte, Aktivisten und andere Menschenrechtsverteidiger, die sich für die Rechte von Frauen, Angehörigen sexueller Minderheiten, Arbeitnehmern und Minderheiten sowie für den Umweltschutz oder gegen die Todesstrafe engagierten. Außerdem Hinterbliebene, die u.a. für die Massenhinrichtungen und das Verschwindenlassen von Personen in den 1980er-Jahren Gerechtigkeit fordern. Hunderte Menschen waren Ende 2021 noch immer zu Unrecht inhaftiert (AI 29.3.2022). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime oder Ähnliches) (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRC 13.1.2022) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 11.2021). Willkürliche Verhaftungen von Menschenrechtsverteidigern und Anwälten nach unfairen Gerichtsverfahren und deren lange Haftstrafen und harte Kautionsbedingungen bestehen weiterhin (HRC 13.1.2022). Im Ausland lebende Oppositionelle und Medienschaffende sind vermehrt Drohungen ausgesetzt. Als Vergeltungsmaßnahme für ihre Arbeit wurden ihre in Iran lebenden Familienangehörigen von den Behörden verhört und/oder willkürlich inhaftiert (AI 29.3.2022). So wurde im Sommer 2021 in New York (USA) ein Verfahren gegen mehrere Iraner eröffnet, die versucht haben sollen, die Frauenrechtlerin Masih Alinejad und weitere Personen aus dem Vereinigten Königreich und Kanada zu entführen bzw. nach Iran zu locken. Der Journalist Ruhollah Zam wurde Ende 2020 hingerichtet, nachdem er aus Frankreich in den Irak gelockt und von dort nach Iran entführt worden war (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 27.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 27.4.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 27.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 27.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 27.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 27.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 27.4.2022
Wehrdienst
Letzte Änderung: 23.05.2022
Der Wehrdienst ist obligatorisch und gemäß der Verfassung müssen alle iranischen Männer, die das 19. Lebensjahr erreicht haben, einen Militärdienst absolvieren (AA 28.1.2022). Die Länge ist von den individuellen Verhältnissen abhängig und beträgt 18 bis 24 Monate (AA 28.1.2022; vergleiche EUAA 9.2.2022). Aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen können Wehrpflichtige ausgemustert werden. Die Wehrdienstzeit wird z. B. bei verheirateten Iranern pro Kind um drei Monate verkürzt. Wehrdienst kann u.a. bei den folgenden Organisationen abgeleistet werden: reguläre Streitkräfte (ARTESH), Revolutionsgarden (IRGC), Polizei, Verteidigungsministerium, Sicherheitsgarde der Justizbehörden, aber auch bei Naturschutzbehörden und Stadtverwaltungen. Ein Freikauf vom Wehrdienst war durch temporäre Regelungen in unregelmäßigen Abständen immer wieder möglich, 2020 wurde diese Regelung jedoch zunächst ausgesetzt (AA 28.1.2022).
Bekennende Homosexuelle und Transsexuelle können vom Militärdienst freigestellt werden (AA 28.1.2022). In besonderen Fällen, etwa bei psychischen oder physischen Leiden oder wenn sonst kein Mann für die Familie sorgen kann, wird der Wehrdienst erlassen (ÖB Teheran 11.2021). Weitere Gründe vom Wehrdienst befreit zu werden sind beispielsweise, wenn man der einzige Sohn einer Familie ist, wenn man alte Eltern hat oder wenn man einen Bruder hat, der momentan im Militär dient (DFAT 14.4.2020). Für Sportler oder bei guten Beziehungen zu relevanten Stellen kann nach einer 60-tägigen Grundausbildung jedoch eine Art 'Ersatzdienst' für weitere 22 Monate u.a. in Ministerien oder bei Sportverbänden absolviert werden. Iraner, deren Väter im Irak-Iran-Krieg gekämpft haben, müssen nur einen verkürzten Wehrdienst leisten. Wehrdienstpflichtige, d.h. männliche Staatsangehörige über 18 Jahren, die nicht etwa aufgrund eines Studiums vorübergehend von der Wehrdienstpflicht befreit sind, dürfen mit wenigen Ausnahmen vor Ableistung ihres Wehrdienstes das Land nicht verlassen (d.h. sie erhalten erst danach einen Reisepass) bzw. müssen eine größere Kaution hinterlegen. Angehörige der Streitkräfte und der Polizei dürfen das Land nur mit Zustimmung ihres Dienstes verlassen. Die Zustände beim iranischen Militär sind in der Regel wesentlich härter als in europäischen Streitkräften (berichtet wird regelmäßig über unzureichende Verpflegung, unzureichende Ausrüstung, drakonische Strafen etc.) (ÖB Teheran 11.2021).
Es gibt keinen Wehrersatzdienst (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 27.4.2022
DFAT – Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (14.4.2020): DFAT Country Information Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029778/country-information-report-iran.pdf, Zugriff 27.4.2022
EUAA – European Union Asylum Agency (9.2.2022): COI Query Iran Q6-2022, Desertion/draft evasion from the army and the Islamic Revolutionary Guard Corps (IRGC), https://coi.euaa.europa.eu/administration/easo/PLib/2022_01_Q6_EUAA_COI_Query_Response_IRAN_Desertion_Army_IRGC.pdf, Zugriff 13.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 27.4.2022
Wehrdienstverweigerung, Desertion
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die Strafen bei Nichtmeldung variieren abhängig von der Frage, ob sich das Land im Kriegszustand befindet oder nicht. Religionsführer Khamenei hat die Jahrgänge bis einschließlich 1975/1976, die bislang keinen Wehrdienst geleistet haben, freigestellt. Seit Dezember 2014 können sich Wehrpflichtige, die mehr als zehn Jahre ihren Dienst nicht angetreten haben, durch das Zahlen einer Geldstrafe von der Wehrpflicht befreien. 2016 wurde diese Frist auf acht Jahre verkürzt. Je nach Ausbildungs- und Familienstand wird hierfür eine Geldstrafe zwischen 100 und 500 Millionen Rial erhoben (AA 28.1.2022). Junge Männer, die zum Wehrdienst einberufen wurden und sich nicht bei den Behörden melden, werden als Wehrdienstverweigerer betrachtet (ACCORD 7.2015). In Iran gibt es keinen Wehrersatzdienst und eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen wird nicht anerkannt (ACCORD 7.2015; vergleiche UK HO 4.2020). Die Verweigerung des Militärdienstes bis zu einem Jahr in Friedenszeiten oder zwei Monaten in Kriegszeiten kann dazu führen, dass die Gesamtlänge des Militärdienstes um drei bis sechs Monate verlängert wird. Eine mehr als einjährige Wehrdienstverweigerung in Friedenszeiten oder mehr als zwei Monate in Kriegszeiten kann zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen. Die Wehrdienstverweigerer können soziale Vorteile und Bürgerrechte verlieren, einschließlich des Zugangs zu Posten im öffentlichen Dienst oder höherer Bildung oder des Rechts auf Unternehmensgründung. Die Regierung kann auch die Erteilung von Führerscheinen für Wehrdienstverweigerer verweigern, ihren Pass einziehen oder ihnen verbieten, das Land ohne besondere Genehmigung zu verlassen (DFAT 14.4.2020).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 27.4.2022
ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_accord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf, Zugriff 27.4.2022
DFAT – Australian Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (14.4.2020): DFAT Country Information Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029778/country-information-report-iran.pdf, Zugriff 27.4.2022
UK HO – United Kingdom Home Office [Großbritannien] (4.2020): Country Policy and Information Note Iran: Military Service, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028094/Iran_-_Military_Service_-_CPIN_-_v2.0_-_April_2020.pdf, Zugriff 27.4.2022
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Artikel 4, IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene 'Hohe Rat für Menschenrechte' untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten 'Pariser Prinzipien' (AA 28.1.2022).
Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:
● Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR)
● Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) (ICCPR)
● Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD)
● Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht) (CRC)
● Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (CRC-OP-SC)
● Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD)
● Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes
● UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen
● UN-Apartheid-Konvention
● Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 28.1.2022)
Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:
● Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT)
● Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention (OP-CAT)
● Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR)
● Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)
● Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (CED)
● Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (CRC-OP-AC) (unterzeichnet aber nicht ratifiziert) (AA 28.1.2022).
Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Menschenrechtslage, insbesondere der politischen und bürgerlichen Rechte, wobei sich der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Menschenrechtsbereich in den letzten Jahren erheblich verengt hat (ÖB Teheran 11.2021). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 12.2020a). Die tiefe wirtschaftliche und politisch Krise Irans hat Auswirkungen auf die Einhaltung der Menschenrechte (BAMF 5.2021). Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören: rechtswidrige oder willkürliche Tötungen durch die Regierung und ihre Vertreter, vor allem Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard für 'schwerste Verbrechen' entsprechen, oder für Verbrechen, die von jugendlichen Straftätern begangen wurden, sowie Hinrichtungen nach Gerichtsverfahren ohne ordnungsgemäßen Prozess; Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; systematische Inhaftierungen, einschließlich politischer Gefangener (US DOS 12.4.2022; vergleiche AI 29.3.2022, HRW 13.1.2022). Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte; Bestrafung von Familienmitgliedern, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets - einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigte Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und strafrechtliche Verfolgung sogar von Verleumdung und übler Nachrede; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung; weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen; rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien; Menschenhandel; Gewalt gegen ethnische Minderheiten; strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten; Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten sowie Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten; und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften (US DOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022, HRW 13.1.2022). Die Regierung unternimmt kaum Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (US DOS 12.4.2022).
Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamische Grundsätze infrage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, die die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände vergleiche Artikel 279 bis 288 iStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Artikel eins bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr, der Spionage beschuldigt zu werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niedrigschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv (AA 28.1.2022). Das Regime geht in den letzten Jahren immer wieder hart gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivistinnen und gegen religiöse und ethnische Minderheiten vor (ÖB Teheran 11.2021). Auch Umweltaktivisten müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen (BS 2020; vergleiche ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 27.4.2022
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran: Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?__blob=publicationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%22name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D, Zugriff 27.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 27.4.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 27.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 27.4.2022
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/#c4398, Zugriff 27.4.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 27.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 27.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 27.4.2022
Meinungs- und Pressefreiheit, Internet
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Medienfreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht 'schädlich' für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die 'Rechte der Öffentlichkeit' sind (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 12.4.2022). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 28.1.2022; vergleiche BS 2020, AI 29.3.2022, US DOS 12.4.2022, HRW 13.1.2022) sowohl online als auch offline (FH 28.2.2022). Das Gesetz sieht die strafrechtliche Verfolgung von Personen vor, die der Anstiftung zu Straftaten gegen den Staat oder die nationale Sicherheit oder der 'Beleidigung' des Islam beschuldigt werden. Die Regierung nutzt das Gesetz, um Personen einzuschüchtern oder strafrechtlich zu verfolgen, die die Regierung direkt kritisieren oder Menschenrechtsprobleme ansprechen, sowie um normale Bürger zur Einhaltung des Moralkodex der Regierung zu zwingen. Nach dem Gesetz wird jeder, der in irgendeiner Form Propaganda gegen die Islamische Republik Iran oder zur Unterstützung oppositioneller Gruppen und Vereinigungen betreibt, mit drei Monaten bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft (US DOS 12.4.2022).
Der staatliche Rundfunk wird von Hardlinern streng kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert (FH 28.2.2022). Auch wenn die iranische Presselandschaft bislang eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums widergespiegelt hat, ist mit der Amtsübernahme der ultrakonservativen Regierung eine deutlich strengere Berichterstattung auf Regimelinie zu erwarten. Geprägt wird die Presse ohnehin von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter 'roter Linien' des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen drohen Sanktionen bis hin zum Verbot von Zeitungen (AA 28.1.2022). 'Propaganda gegen das System' ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert, wobei 'Propaganda' nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden. Dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 11.2021). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 28.1.2022) sowie Einschüchterung ihrer Angehörigen konfrontiert (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 28.1.2022, FH 28.2.2022, AI 29.3.2022). Zur Vermeidung von regimekritischen Unruhen versuchen der Oberste Führer und der Justizapparat mit Hilfe der Regierung eine kritische Berichterstattung zu verhindern. Die Aufrechterhaltung des Systems der Islamischen Republik steht im Vordergrund, sodass aus Sicht der religiösen Führungselite sogar eine starke Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit verhältnismäßig zu sein scheint. Lange Haftstrafen und Todesurteile werden hierbei als gerechtfertigtes Mittel gesehen (BAMF 5.2021).
Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet (AA 28.1.2022; vergleiche FH 28.2.2022). Die Behörden versuchen, dies durch den Einsatz von Störsendern (sogenanntes Jamming) zu unterbinden (AA 28.1.2022; vergleiche FH 28.2.2022, AI 29.3.2022). Die Polizei durchsucht regelmäßig Privathäuser und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 28.2.2022).
Etwa 70% der iranischen Bevölkerung sind aktive Internetnutzer. Seit 2009 haben die iranischen Behörden erhebliche Mittel für den Ausbau der Infrastruktur, aber auch für die Kontrolle ihrer Nutzung aufgewendet. Zensur und Überwachung sind umfangreich. Eine Cyberpolizei wurde eingerichtet, und auch mehrere andere Regierungsbehörden haben Aufgaben im Zusammenhang mit der Überwachung des Internets und der sozialen Medien übernommen. Darüber hinaus haben die iranischen Behörden ein lokales, staatlich kontrolliertes Netzwerk entwickelt, das National Information Network (NIN). Die regimekritische Debatte findet vor allem in den sozialen Medien statt. Für illegale Oppositionsparteien ist das Internet der bevorzugte Kanal für den Informationsaustausch. Die iranischen Behörden konzentrieren sich insbesondere auf Personen, die die öffentliche Meinung in Iran beeinflussen können, wie beispielsweise diejenigen, die viele Anhänger in den sozialen Medien haben. Dies gilt auch für im Ausland lebende Iraner. Iranische Journalisten, die für internationale Medienhäuser arbeiten, werden streng überwacht (Landinfo 31.5.2021).
Gegen Personen, die ihre Meinung oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wird massiv vorgegangen. Die elektronischen Medien und der Internet-Verkehr stehen unter staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten und viele Plattformen sind gesperrt. Regimefeindliche oder 'islamfeindliche' Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken, getätigt werden (ÖB Teheran 11.2021). Ebenso werden oppositionelle Webseiten und eine Vielzahl ausländischer Nachrichtenseiten sowie soziale Netzwerke durch iranische Behörden blockiert (AA 28.1.2022; vergleiche AI 29.3.2022). So bleiben z.B. die Internetseiten von Facebook, Telegram, Twitter und YouTube blockiert (AI 29.3.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Grundsätzlich ist der Empfang ausländischer Medien mithilfe sogenannter VPN (Virtual Private Network) möglich, der Staat kann diese technisch allerdings blockieren. Darüber hinaus wird der Internetverlauf gefiltert bzw. mitgelesen (AA 28.1.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Jede Person, die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen 'Cyber-Krieg' gegen das Land führen zu wollen. Mit einer Gesetzesinitiative zur Einschränkung der Internetfreiheit soll die Nutzung des Internets weiter eingeschränkt werden. Ausländische Internetdienste sollen durch heimische ersetzt, Eingriffsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden gegenüber User gestärkt werden (AA 28.1.2022). Das Gesetz soll 2022 verabschiedet werden (AA 28.1.2022; AI 29.3.2022) und für eine Probezeit von zwei Jahren in Kraft treten (AA 28.1.2022). Noch herrscht dennoch eine erstaunliche Meinungsvielfalt im Internet, Kritik an staatlichen Maßnahmen wird breit geäußert. Dies war bereits unter der Regierung Rohani den Hardlinern im Parlament ein Dorn im Auge, die mehrmals versuchten, ein Gesetz zur stärkeren Kontrolle des Internets zu beschließen. Die Regierung Raisi hat diesen Gesetzesentwurf wieder aufgegriffen. Unter anderem ist geplant, Nutzer zu Echtnamen-Registrierung zu zwingen und die Verwendung von VPNs zu verfolgen. Iran hat mit China unter anderem eine Kooperation zu IKT-Angelegenheiten beschlossen (ÖB Teheran 11.2021).
Die 1997 unter Khatami gegründete 'Association of Iranian Journalists' wurde 2009 unter dem damaligen Präsidenten Ahmadinedschad von den Sicherheitskräften geschlossen und hat seitdem trotz pressefreundlicher Wahlkampfversprechen von Ex-Präsident Rohani ihre Tätigkeit nicht wieder aufnehmen dürfen. Inhaftierte Journalisten sind in Iran – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt, die sich aufgrund der Covid-19-Pandemie noch verschärft haben. Unter politischen Gefangenen und Journalisten kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, unter anderem gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung (AA 28.1.2022). Ebenso unter Druck stehen Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als 'unislamisch' oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dies unterliegt einer Genehmigungspflicht). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist 'regimefeindlicher Propaganda' und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 11.2021).
In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hat sich Iran wieder verschlechtert und liegt nun an Position 178 (2020: 174) von 180 (ROG 2022). Iran bestätigt mit der weltweit ersten staatlichen Hinrichtung eines Journalisten seit 30 Jahren seine Stellung als einer der schlimmsten Unterdrücker der Pressefreiheit (ROG 2021).
Hinsichtlich der Covid-19-Pandemie spielt die Islamische Republik die Opferzahlen herunter, verschärft die Einschränkungen für traditionelle Medien und soziale Netzwerke, verhört, verhaftet und verurteilt Medienschaffende für ihre unabhängige Berichterstattung (ROG 2021). Die Behörden ergriffen im Jahr 2020 Maßnahmen, die eine unabhängige Berichterstattung über Covid-19 und jegliche Kritik am staatlichen Umgang mit der Pandemie unterbinden sollten. Das Ministerium für Kultur und islamische Führung wies Medien und Journalisten an, bei der Berichterstattung nur offizielle Quellen und Statistiken zu verwenden. Die Internetpolizei gründete eine spezielle Einheit, um gegen 'Internet-Gerüchte' und 'Fake News' über Covid-19 in den sozialen Medien vorzugehen. Zahlreiche Journalisten, Nutzer Sozialer Medien, Mitarbeiter im Gesundheitswesen und andere Personen wurden festgenommen, verhört oder verwarnt (AI 7.4.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 27.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 27.4.2022
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html, Zugriff 29.4.2021
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran: Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?__blob=publicationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%22name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D, Zugriff 27.4.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 27.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 27.4.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 27.4.2022
Landinfo [Norwegen] (31.5.2021): Iran. Internett og sosiale medier, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052678/Temanotat-Iran-Internett-og-sosiale-medier-31052021.pdf, Zugriff 27.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 27.4.2022
ROG – Reporter ohne Grenzen (2022): Rangliste zur Pressefreiheit 2022, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2022/RSF_Rangliste_der_Pressefreiheit_2022.pdf, Zugriff 29.4.2022
ROG – Reporter ohne Grenzen (2021): Rangliste der Pressefreiheit. Weltweite Entwicklungen im Überblick, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2021/ueberblick, Zugriff 29.4.2021
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 27.4.2022
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen der Opposition sind seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch in kleinem Umfang statt. Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studierende teilweise verpflichtet werden (AA 28.1.2022).
In den letzten drei Jahren haben die iranischen Behörden auf wiederholte und weit verbreitete Proteste im ganzen Land mit übermäßiger und tödlicher Gewalt und willkürlichen Verhaftungen von Tausenden von Demonstranten reagiert (HRW 13.1.2022). Nach den regierungskritischen Protesten im November und Dezember 2019, die aufgrund einer Benzinpreiserhöhung ausgelöst wurden (DW 23.12.2019; vergleiche DIS 7.2.2020), wurden Tausende Personen festgenommen (DIS 7.2020). Gegen mindestens 500 Personen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Die Festgenommenen wurden unmenschlicher Behandlung und Folter unterworfen, um Geständnisse, dass sie Verbindungen zu Oppositionsgruppen oder ausländischen Regierungen haben, zu erzielen. Demonstranten wurden aufgrund von Anschuldigungen, die nationale Sicherheit bedroht zu haben, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (HRC 14.5.2021). Mit einer zeitweisen Internetblockade sorgte Teheran damals dafür, dass kaum Informationen, Bilder und Videos der Proteste verbreitet werden konnten (DW 23.12.2019; vergleiche HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021). Die Regierung hat eingeräumt, dass während der Proteste im November 2019 einige Menschen getötet wurden. Es ist äußerst schwierig, eine Gesamtzahl an Todesopfern bereitzustellen. Die Schätzungen der Zahl der Todesopfer reichen laut verifizierten Berichten von über 304 bis zu unbestätigten Berichten von bis zu 1.500 Toten, darunter auch Frauen und Kinder. Die Zahl der von den Sicherheitskräften verletzten Personen schwankt zwischen 2.000 und 4.800. Die Zahl der Todesopfer war in den kurdisch besiedelten Provinzen relativ hoch im Vergleich zu anderen Provinzen des Landes (DIS 7.2.2020). Mehr als zwei Jahre nach der brutalen Niederschlagung weitverbreiteter Proteste im November 2019 haben die Behörden es verabsäumt, eine transparente Untersuchung über die Anwendung von übermäßiger und rechtswidriger Gewalt gegen Demonstranten durchzuführen (HRW 13.1.2022). Es gab mehrere Proteste im Zusammenhang mit Umweltpolitik und Klimawandel, die direkte Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen hatten. Darüber hinaus gab es Proteste von Arbeitnehmern, Rentnern und Landwirten in Bezug auf Löhne, Arbeitsplatzsicherheit und das Recht auf kollektive Organisierung (HRC 13.1.2022). Die Sicherheitskräfte gehen weiterhin mit rechtswidriger Gewalt gegen zumeist friedliche Proteste vor, indem sie u.a. scharfe Munition und Schrotmunition einsetzen. Die Behörden blockieren das Internet während Protesten und verhindern so, dass das Ausmaß der Übergriffe durch die Sicherheitskräfte bekannt wird. Zum Beispiel wurden im Juli 2021 bei Protesten gegen die Wasserknappheit in den Provinzen Khusestan und Lorestan mindestens elf Menschen erschossen und zahlreiche weitere verletzt. Im November 2021 beschossen Sicherheitskräfte in Isfahan Demonstrierende, die den Behörden Versagen bezüglich der Wasserversorgung vorwarfen, mit Metallkugeln, was dazu führte, dass zahlreiche Menschen, darunter auch Minderjährige, erblindeten oder andere schwere Augenverletzungen erlitten (AI 29.3.2022). Eine Gruppe von Umweltaktivisten wurde 2018 aufgrund von Spionageverdacht verhaftet, einige wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (ÖB Teheran 11.2021).
Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 28.2.2022). Gewerkschaftliche Aktivitäten werden zum Teil unter dem Vorwurf der 'Propaganda gegen das Regime' und 'Handlungen gegen die nationale Sicherheit' verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 28.1.2022), jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein. Mehrere inhaftierte Arbeiteraktivisten wurden 2019 zu Haftstrafen von 14 Jahren oder mehr verurteilt (FH 28.2.2022). Mehr als 700 Beschäftigte der petrochemischen Industrie wurden zum Beispiel zu Unrecht entlassen, weil sie sich im Juni 2021 an landesweiten Streiks beteiligt hatten (AI 29.3.2022). Erlaubt sind nur 'Islamische Arbeitsräte' unter der Aufsicht des 'Haus der Arbeiter' (keine unabhängige Institution). Mitglieder und Gründer unabhängiger Gewerkschaftsgruppierungen wie etwa die Teheraner Busfahrergewerkschaft, die Zuckerrohrarbeitergewerkschaft oder die Lehrergewerkschaft werden zunehmend häufig verhaftet, gefoltert und bestraft. Proteste gegen zu geringe oder gar nicht ausbezahlte Löhne mehren sich, auch dabei kommt es immer wieder zu Festnahmen (ÖB Teheran 11.2021).
In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung. Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Sowohl bei Präsidentschafts- als auch bei Parlamentswahlen nimmt der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vor. Kandidaten werden unter fadenscheinigen Gründen aussortiert – dabei wurden auch schon ehemalige Präsidenten als 'nicht geeignet' ausgeschlossen. Nach langen Debatten bewertete der Wächterrat – dem nur Männer angehören – die Kandidatur von Frauen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2021 als prinzipiell zulässig, dennoch wurde auch diesmal keine einzige der Kandidatinnen zugelassen. Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u.a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.) (ÖB Teheran 11.2021).
Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisationen so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems infrage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände ('regimefeindliche Propaganda', 'Beleidigung des Obersten Führers' etc.). Darüber hinaus werden Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen (ÖB Teheran 11.2021). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv (AA 28.1.2022). Die Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi sowie dessen Ehefrau Zahra Rahnavard stehen noch immer unter Hausarrest, der mittlerweile ein Jahrzehnt andauert (AI 29.3.2022; vergleiche BS 2020, ÖB Teheran 11.2021, AA 28.1.2022).
An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, welche die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten. Eine markante Führungspersönlichkeit fehlt bei sämtlichen oppositionellen Gruppierungen (ÖB Teheran 11.2021). Das Fehlen oppositioneller Führungspersonen zeigte sich auch bei den Unruhen der letzten Jahre. Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen hat oftmals staatliche Zwangsmaßnahmen und Sanktionen zur Folge (AA 28.1.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 27.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 27.4.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 27.4.2022
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2020): Iran. November 2019 Protests, https://www.ecoi.net/en/file/local/2033026/COI_brief_report_iran_nov_2019_protest_july_2020.pdf, Zugriff 27.4.2022
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf, Zugriff 27.4.2022
DW – Deutsche Welle (23.12.2019): Bericht: Iran geht von 1500 Toten bei Unruhen aus, https://www.dw.com/de/bericht-iran-geht-von-1500-toten-bei-unruhen-aus/a-51780047, Zugriff 27.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 27.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 27.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf, Zugriff 27.4.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 27.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 27.4.2022
Haftbedingungen
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 12.4.2022, FH 28.2.2022, AI 29.3.2022, HRC 13.1.2022). Im Juni 2020 waren 211.000 Personen inhaftiert, womit die Gefängnisse mehr als zweieinhalbmal überbelegt waren (ÖB Teheran 11.2021). Der Mangel an Betten ist weiterhin ein Problem (US DOS 12.4.2022). Die Haftbedingungen sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Berichtet wird über unzureichende Ernährung, die langfristig zu entsprechenden Folgeschäden führen kann, und vor allem von der Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 12.4.2022, FH 28.2.2022, AI 29.3.2022). Die Zellen sind auch schlecht belüftet und teils von Ungeziefer befallen (AI 29.3.2022). Im Allgemeinen verschlechterten sich die Haftbedingungen während der Covid-19-Pandemie erheblich (US DOS 12.4.2022; vergleiche HRC 13.1.2022, AA 28.1.2022).
Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet - vor allem während Verhören (AI 29.3.2022). Regelmäßig versterben Menschen in Haft. Laut Berichten sind folgende Foltermethoden verbreitet: Elektroschocks, Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen – teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2021). Im August 2021 wurden Aufnahmen von Überwachungskameras des Evin-Gefängnisses in Teheran vom März 2021 veröffentlicht, auf denen schockierende Folter und Misshandlungen von Gefangenen durch Aufseher und andere Gefangene zu sehen sind. Der Justiz-Leiter besuchte das Gefängnis daraufhin und rief zu ordnungsgemäßer Behandlung von Gefangenen auf (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022, US DOS 12.4.2022). Daraufhin wurden Strafverfahren gegen sechs Gefängniswärter eingeleitet (FH 28.2.2022; vergleiche US DOS 12.4.2022). Politische Gefangene oder Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche US DOS 12.4.2022). Menschenrechtsorganisationen verweisen häufig auf einige Haftanstalten, in denen politische Gegner grausam und über längere Zeit gefoltert werden, insbesondere in den Abteilungen 209 und zwei des Evin-Gefängnisses, die Berichten zufolge von den Revolutionsgarden kontrolliert werden (US DOS 12.4.2022). Politische Gefangene haben in den letzten Jahren wiederholt Hungerstreiks durchgeführt, um gegen Misshandlungen in Gewahrsam zu protestieren (FH 28.2.2022; vergleiche US DOS 12.4.2022, AA 28.1.2022, HRC 13.1.2022).
Die Haftbedingungen variieren im Einzelfall nach Gefängnis-Trakt und Status der Gefangenen, wobei generelle Aussagen nicht möglich sind. So ist im Evin-Gefängnis in Teheran ein Trakt für Ausländer reserviert, ein Trakt wird vom Geheimdienst der Revolutionsgarden verwaltet, manche Trakte sind unterirdisch. Das Quarchak-Frauengefängnis in Teheran dürfte als ehemaliger Hühnerstall sanitär unzureichend sein (ÖB Teheran 11.2021). Die Behörden unterhalten angeblich auch inoffizielle Geheimgefängnisse und Haftanstalten außerhalb des staatlichen Gefängnissystems, in denen es zu Misshandlungen kommt (US DOS 12.4.2022; vergleiche HRC 13.1.2022). Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark von einander ab. Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse (AA 28.1.2022).
Mindestens 24 Gefangene starben unter Umständen, die den Verdacht nahelegen, dass ihr Tod in Verbindung mit Folter und anderen Misshandlungen stand, wie z. B. der Verweigerung einer angemessenen medizinischen Versorgung (AI 29.3.2022). Gefangene können Beschwerden bei den Justizbehörden einreichen, werden jedoch häufig mit Zensur oder Vergeltung in Form von Verleumdung, Schlägen, Folter und Verweigerung von medizinischer Versorgung und Medikamenten oder Urlaubsanträgen sowie Anklage wegen zusätzlicher Straftaten konfrontiert (US DOS 12.4.2022).
Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in 'sichere Häuser' gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen. Dort werden sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten (ÖB Teheran 11.2021). Ein besonders prominentes Beispiel ist Oppositionsführer Mehdi Karroubi, der zusammen mit seiner Frau und zwei anderen Oppositionsführern seit 2011 unter Hausarrest steht (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 28.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 28.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 28.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 13.5.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 28.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 28.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 28.4.2022
Todesstrafe
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die Todesstrafe wird nach unfairen Gerichtsverfahren verhängt, u a. für Straftaten, die gemäß Völkerrecht nicht zu den 'schwersten Verbrechen' zählen, wie Drogenhandel und Finanzkriminalität, sowie für Handlungen, die international nicht als Straftaten anerkannt sind. Todesurteile werden als Mittel der Unterdrückung gegen Demonstrierende, Andersdenkende und ethnische Minderheiten eingesetzt (AI 29.3.2022). Iran ist auch weiterhin eines der Länder, wo die Todesstrafe am häufigsten vollstreckt wird (HRW 13.1.2022). In Bezug auf die Anzahl der jährlichen Hinrichtungen befindet sich Iran nach China weltweit an zweiter Stelle (FH 28.2.2022). Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen richtete der Iran im Jahr 2021 mindestens 333 Menschen hin, darunter zumindest 17 Frauen (BBC News 28.4.2022), sieben Personen wegen angeblicher terroristischer Anschuldigungen (HRW 13.1.2022) und zumindest zwei zum Tatzeitpunkt Minderjährige (HRC 13.1.2022). Iran ist nach wie vor eines der wenigen Länder, die Minderjährige, Homosexuelle und Frauen hinrichten, die sich auf Notwehr gegen Vergewaltiger berufen (CSW 22.3.2022). In diesen Fällen liegen der Todesstrafe für Frauen und Mädchen oft Tötungen von ihren Ehemännern zugrunde, die sie in Selbstverteidigung nach langjährigem Missbrauch begehen (ÖB Teheran 11.2021). Ein großer Teil der Hingerichteten sind Angehörige religiöser oder ethnischer Minderheiten, insbesondere sunnitische Muslime und Kurden (CSW 22.3.2022). Regelmäßig gehen der Todesstrafe ein unfaires Verfahren und Misshandlung (erzwungene Geständnisse) voraus (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022, US DOS 12.4.2022).
Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, 'Moharebeh' (Waffenaufnahme gegen Gott) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRW 13.1.2022, AA 28.1.2022); des weiteren auf terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslims mit einer Muslimin (AA 28.1.2022). Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 28.1.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). In den letzten 20 Jahren ist es jedoch zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 28.1.2022).
Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt auf Verurteilungen wegen Mordes (AA 28.1.2022). Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießung durchgeführt, allerdings in letzter Zeit nicht mehr öffentlich (ÖB Teheran 11.2021). Betroffen hiervon sind auch zum Tatzeitpunkt Minderjährige (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 28.1.2022, HRW 13.1.2022, FH 28.2.2022, HRC 13.1.2022, CSW 22.3.2022). In den Todeszellen befinden sich noch immer mehr als 80 Personen, die zum Tatzeitpunkt minderjährig waren (AI 29.3.2022; vergleiche FH 28.2.2022). Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei neun Jahren (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 28.1.2022) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2020 wurden mindestens vier zur Tatzeit minderjährige Täter hingerichtet, 2021 mindestens zwei. Mehreren weiteren zur Tatzeit Minderjährigen droht die Hinrichtung. Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen. Die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 28.1.2022). Selbst nach der Hinrichtung durch das Regime werden repressive Maßnahmen gegen Angehörige fortgesetzt. Hingerichtete werden weit entfernt von ihrem früheren Wohnort begraben, manchmal ohne Benachrichtigung der Angehörigen. Totenfeiern sowie Grabbesuche für Regimegegner werden aufgelöst (ÖB Teheran 11.2021).
2017 trat eine Änderung des Strafgesetzes für Drogendelikte in Kraft, die die Todesstrafen im Bereich der Drogenkriminalität auf bestimmte Fallkonstellationen beschränkt. Bagatelldelikte sind damit von der Todesstrafe ausgenommen (AA 28.1.2022). Diese Gesetzesänderungen führten zu einer Überprüfung der Todesstrafe für Tausende von Häftlingen (FH 28.2.2022). Durch die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte Ende 2017 konnte Iran seit 2018 die Zahl der Hinrichtungen etwa halbieren. Über gewalttätige Drogenstraftäter und diejenigen, die mehr als 100 Kilo Opium oder zwei Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, wird weiterhin die Todesstrafe verhängt (ÖB Teheran 11.2021). Ca. 9% aller Exekutionen stehen in Verbindung mit Drogenvergehen (AI 4.2021). Seit 2021 ist ein erneuter Anstieg bei der Zahl der Hinrichtungen für Drogenkriminalität zu verzeichnen (AA 28.1.2022). Die Zahl der Hinrichtungen wegen Drogendelikten war mit 126 von 333 fünfmal so hoch wie 2020 (BBC News 28.4.2022).
Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom 'Geschädigten' gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen. Seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021).
Regierung und NGOs sind bemüht, Hinrichtungen durch Förderung des Blutgeld-Prozesses zu verhindern, und es werden z.B. mit Spendenaufrufen Blutgelder gesammelt (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 28.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 28.4.2022
AI – Amnesty International (4.2021): Todesurteile und Hinrichtungen 2020, https://www.amnesty.at/media/8345/amnesty_bericht-zur-todesstrafe-2020_web.pdf, Zugriff 28.4.2022
BBC News (28.4.2022): Iran executions: Alarming rise in use of death penalty in 2021 - report, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-61256213, Zugriff 29.4.2022
CSW – Christian Solidarity Worldwide (22.3.2022): Iran: General Briefing, https://www.csw.org.uk/2022/03/22/report/5648/article.htm, Zugriff 28.4.2022
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 28.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 28.4.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 28.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 28.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 28.4.2022
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 23.05.2022
In Iran leben ca. 86 Millionen Menschen (CIA 10.5.2022), von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA 3.5.2018, vergleiche USCIRF 4.2022). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Artikel 13, der iranischen Verfassung anerkannten 'Buchreligionen' (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben in ihren Gemeinden relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als 'mohareb' (Waffenaufnahme gegen Gott) verfolgt und mit der Todesstrafe bestraft werden (AA 28.1.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018). Religiöse Minderheiten werden mit Argwohn betrachtet und als Bedrohung für das theokratische System gesehen (CSW 22.3.2022). Auch unterliegen Anhänger religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 28.1.2022). Somit werden auch anerkannte religiöse Minderheiten (Zoroastrier, Juden, Christen) diskriminiert, sie sind in ihrer Religionsausübung jedoch nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Sie haben gewisse rechtlich garantierte Minderheitenrechte, etwa eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 11.2021). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA 3.5.2018; vergleiche FH 3.3.2021, IRB 9.3.2021, USCIRF 4.2022). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA 23.5.2018; vergleiche FH 28.2.2022, BAMF 3.2019), und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 28.2.2022). Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022; OD 19.1.2022).
Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha'i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche OD 19.1.2022). Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Mitunter wird von bedrohlicher Diskriminierung von Nicht-Schiiten seitens des familiären oder gesellschaftlichen Umfelds berichtet. Auch oppositionelle schiitische Geistliche und muslimische Sekten sind der Verfolgung ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021). Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Das Parlament höhlte das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit im Jänner 2021 weiter aus, indem es zwei neue Paragrafen in das Strafgesetzbuch aufnahm, wonach die 'Diffamierung staatlich anerkannter Religionen, iranischer Bevölkerungsgruppen und islamischer Glaubensrichtungen' sowie 'abweichende erzieherische oder missionarische Aktivitäten, die dem Islam widersprechen' mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und/oder einer Geldstrafe geahndet werden können. Im Juli 2021 wurden drei Männer, die zum Christentum konvertiert waren, auf dieser Grundlage zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (AI 29.3.2022; vergleiche OD 19.1.2022).
Die Regierung überwacht weiterhin die Aussagen und Ansichten hochrangiger schiitischer religiöser Führer, die die Regierungspolitik oder die Ansichten des Obersten Führers Ali Khamenei nicht unterstützten. Diese werden durch Behörden weiterhin mit Festnahmen, Inhaftierungen, Mittelkürzungen, Verlust von geistlichen Berechtigungsnachweisen und Beschlagnahmungen von Eigentum unter Druck gesetzt (US DOS 12.5.2021). Die Inhaftierung von Angehörigen religiöser Minderheiten, welche ihre Kultur, ihre Sprache oder ihren Glauben praktizieren, ist weiterhin ein ernstes Problem (HRC 11.1.2021; vergleiche AI 29.3.2022).
Atheisten laufen prinzipiell ebenfalls Gefahr – im Extremfall wegen der 'Beleidigung des Propheten' auch zum Tode – verurteilt zu werden, auch wenn derartige Fälle in den letzten Jahren nicht bekannt wurden. In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 28.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 28.4.2022
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf, Zugriff 16.5.2022
BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (3.5.2018): Analyse Iran – Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf, Zugriff 16.5.2022
CIA – Integlligence Office [USA] (10.5.2022): The World Factbook - Iran, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/iran/#people-and-society, Zugriff 16.5.2022
CSW – Christian Solidarity Worldwide (22.3.2022): Iran: General Briefing, https://www.csw.org.uk/2022/03/22/report/5648/article.htm, Zugriff 28.4.20222
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 28.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 28.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (11.1.2021): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/46/50], https://undocs.org/en/A/hrc/46/50, Zugriff 30.4.2021
IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html, Zugriff 28.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 28.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf Zugriff 28.4.2022
USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2022): United States Commission on International Religious Freedom 2022 Annual Report; USCIRF – Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071906/2022+Iran.pdf, Zugriff 19.5.2022
OD – Open Doors (19.1.2022): Weltverfolgungsindex 2022 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2020 – 30. September 2021), https://www.opendoors.de/sites/default/files/copyright_open_doors_2022_wvi_bericht_signiert.pdf, Zugriff 28.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html, Zugriff 16.5.2022
Christen
Letzte Änderung: 23.05.2022
Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran, von denen der Großteil den armenischen Christen angehört. Diese leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan (BFA 3.5.2018). Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt, allerdings werden evangelikale Freikirchen von der Regierung nicht als christlich anerkannt. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt. Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt (ÖB Teheran 11.2021); christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche OD 19.1.2022, BAMF 3.2019, IRB 9.3.2021), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Soweit ethnische Christen die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie kaum behindert oder verfolgt. Dies trifft insbesondere auf armenische und assyrische Christen zu. Muslimische Konvertiten und Mitglieder protestantischer Freikirchen sind demgegenüber willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt (AA 28.1.2022).
Die armenischen Christen gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die in der Verfassung genannt werden. Ihnen stehen zwei der 290 Sitze im iranischen Parlament zu (BFA 3.5.2018; vergleiche BAMF 3.2019, FH 28.2.2022, USCIRF 4.2022). Laut den konsultierten Quellen können armenische Christen – solange sie sich an die Gesetze der Islamischen Republik Iran halten – ihren Glauben relativ frei ausüben (BFA 3.5.2018; vergleiche BAMF 3.2019, FH 28.2.2022). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben (ÖB Teheran 11.2021). Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur armenische oder assyrische Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen (US DOS 12.5.2021; vergleiche IRB 9.3.2021).
Grundrechtlich besteht 'Kultusfreiheit' innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen (ÖB Teheran 10.2020). Jedoch haben Nichtmuslime weder Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit noch Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit. Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und der Anwerbung von anders Gläubigen ist verboten (Proselytismusverbot) und wird streng bestraft (ÖB Teheran 10.2020; vergleiche BAMF 3.2019, BFA 3.5.2018, OD 19.1.2022). Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden (BFA 3.5.2018; vergleiche ÖB Teheran 11.2021), wobei es in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam. Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen ('Hauskirchen') oft hart vorgegangen (u.a. Verhaftungen und Beschlagnahmungen). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot. Kirchenvertreter sind angehalten, die Behörden zu informieren, bevor sie neue Mitglieder in ihre Glaubensgemeinschaft aufnehmen (ÖB Teheran 11.2021). Es gibt aber auch Einschränkungen, mit denen auch anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht (BFA 3.5.2018; vergleiche OD 19.1.2022). Im Weltverfolgungsindex 2022 von Christen von Open Doors befindet sich Iran auf dem neunten Platz (2021: Platz 8). Der Weltverfolgungsindex ist eine Rangliste der 50 Länder, in denen Christen der stärksten Verfolgung und Diskriminierung wegen ihres Glaubens ausgesetzt sind. Je niedriger die Zahl, desto höher die Verfolgung. Der durchschnittliche Druck in Iran ist weiterhin extrem hoch. Die etwas bessere Platzierung im Vergleich zum Vorjahr ist mit jährlichen Schwankungen zu erklären (OD 19.1.2022). Christen werden weiterhin schikaniert, willkürlich inhaftiert und wegen der Ausübung ihres Glaubens verurteilt (AI 29.3.2022; vergleiche CSW 22.3.2022). Dies betrifft auch Personen, die zum Christentum konvertiert sind (AI 29.3.2022). Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden (AA 28.1.2022).
Ausländische christliche Gemeinden können ihre Religion weitgehend ungehindert ausüben, werden jedoch von staatlicher Seite dabei genau beobachtet. Eine nachhaltige Gemeindearbeit wird durch staatliche Schikanen verhindert (z. B. Verweigerung der Visaverlängerung für in Iran praktizierende, ausländische Priester oder Visaverweigerung). Dadurch dürften die Gemeinden langfristig 'aussterben'. Insbesondere Iraner, die sich aktiv für nicht-muslimische Glaubens- und Gemeindearbeit einsetzen, laufen Gefahr, ins Visier der Sicherheitsbehörden zu geraten (AA 28.1.2022).
Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind. Sie haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben (BFA 3.5.2018). Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden (BFA 3.5.2018; vergleiche IRB 9.3.2021, OD 19.1.2022). Es gehört zum Erscheinungsbild in den Großstädten, dass christliche Symbole im Modebereich als Accessoires Verwendung finden und auch in den entsprechenden Geschäften angeboten werden. Auch Dekorationen mit christlichen Motiven sind nicht ungewöhnlich. Eine solche kommerzielle Präsentation führte bisher nach Darstellung der in Teheran vertretenen westlichen Botschaften zu keinen Strafverfahren. Laut der Nachrichtenseite der iranischen Christen, Mohabat News, können Christen öffentlich im ganzen Land Weihnachtsgeschenke, Tannenbäume oder Schmuckwaren für ihre Feste kaufen. Vor einigen Kirchen in Teheran stehen anlässlich der Weihnachtsfeiertage, zu denen von staatlicher Seite immer wieder Glückwünsche übermittelt werden, Weihnachtsbäume (BAMF 3.2019).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 4.5.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 4.5.2022
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf, Zugriff 4.5.2022
BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (3.5.2018): Analyse Iran – Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf, Zugriff 4.5.20922
CSW - Christian Solidarity Worldwide (22.3.2022): Iran: General Briefing, https://www.csw.org.uk/2022/03/22/report/5648/article.htm, Zugriff 4.5.2022
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 4.5.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 4.5.2022
IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html, Zugriff 4.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 4.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 4.5.2022
OD – Open Doors (19.1.2021): Weltverfolgungsindex 2022 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2020 – 30. September 2021), https://www.opendoors.de/sites/default/files/copyright_open_doors_2022_wvi_bericht_signiert.pdf, Zugriff 4.5.2022
USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2022): United States Commission on International Religious Freedom 2022 Annual Report; USCIRF – Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071906/2022+Iran.pdf, Zugriff 19.5.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html, Zugriff 4.5.2022
Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen
Letzte Änderung: 23.05.2022
Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist in Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 11.2021). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel 'mohareb' ('Waffenaufnahme gegen Gott'), 'mofsid-fil-arz/fisad-al-arz' ('Verdorbenheit auf Erden'), 'Handlungen gegen die nationale Sicherheit' (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche DIS/DRC 23.2.2018), 'Organisation von Hauskirchen' und 'Beleidigung des Heiligen', wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 28.1.2022). In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (OD 2021). Quellen zufolge fand 1990 die einzige 'offizielle' Hinrichtung eines Christen wegen Apostasie in Iran statt (IRB 9.3.2021). Der christliche Glaube gilt als gefährlicher westlicher Einfluss und als Bedrohung der islamischen Identität der Republik. Dies erklärt, warum insbesondere Konvertiten, die sich dem Islam ab- und dem christlichen Glauben zugewandt haben, wegen 'Verbrechen gegen die nationale Sicherheit' verurteilt werden (OD 19.1.2022). Hierzu ist zu erwähnen, dass der Oberste Gerichtshof in Iran im November 2021 entschieden hat, dass neun christliche Konvertiten, die wegen ihrer Beteiligung an Hauskirchen zu fünf Jahren Haft verurteilt wurden, nicht wegen 'Handelns gegen die nationale Sicherheit' angeklagt werden sollten. In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs heißt es, dass: 'Die bloße Verkündigung des Christentums und die Förderung der 'evangelikalen zionistischen Sekte', was beides offensichtlich bedeutet, dass das Christentum durch Familientreffen [Hauskirchen] propagiert wird, ist kein Ausdruck der Zusammenkunft und der geheimen Absprache, um die Sicherheit des Landes zu stören, weder im Inneren noch nach außen' (Artikel18 25.11.2021). Die neun Konvertiten sind 2022 offiziell freigesprochen worden. Die Abteilung 34 des Teheraner Berufungsgerichts schloss sich der Argumentation des Richters des Obersten Gerichtshofs an, der im November letzten Jahres entschieden hatte, dass die Verkündigung des Christentums nicht als Verstoß gegen die nationale Sicherheit Irans zu werten ist. Der Präzedenzfall ist überzeugend, so Mansour Borji, Leiter der Interessenvertretung von Artikel 18, da die Richter im Freispruch neun Gründe ausführlich dargelegt haben, die mit der iranischen Verfassung und der islamischen Tradition im Einklang stehen. Es könnte jedoch einige Zeit dauern, bis das Urteil rechtskräftig wird. Einer der neun Angeklagten sitzt bereits wieder im Gefängnis, wegen einer sechs Jahre alten separaten Anklage wegen Verbreitung des Christentums, für die er zuvor freigesprochen wurde. Zwei andere Angeklagte, die per Video zur Freiheit der Religionsausübung aufgerufen hatten, wurden wegen Propaganda gegen den Staat angeklagt. Die iranischen Christen begrüßten das Urteil, bleiben aber vorsichtig. Laut Borji ist dieses Urteil anders als alle anderen seiner Art, die er bisher gesehen hat (CT 1.3.2022). Die iranische Regierung ist jedoch dafür bekannt, dass sie ihre eigenen Regeln nicht befolgt (CT 21.12.2021).
Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar - noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 28.1.2022; vergleiche OD 19.1.2022). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind. Die Probleme, die durch Konversion auftreten können, sind breit gefächert. Sie beginnen in der Schule, wo Kinder aus konvertierten Familien einen Verweis, oder die Verwehrung des Hochschuleintritts riskieren, sollten sie den Fächern Religionsunterricht, Islamische Lehre und Koranstunde fernbleiben (ÖB Teheran 11.2021).
Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit Konversion vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese Konversion ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich 'konvertierte' Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 11.2021).
Die Versammlung in – meist evangelikalen – Hauskirchen oder Hausgemeinden wird laut Behörden 'kontrolliert', de facto aber untersagt, weshalb die einzelnen Gemeinden meist klein bleiben und ständig den Standort wechseln, um Razzien auszuweichen. Dennoch sind Hauskirchen inzwischen relativ weit verbreitet (ÖB Teheran 10.2020). Die Schließungen der 'Assembly of God'-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen (DIS/DRC 23.2.2018; vergleiche IRB 9.3.2021). Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit, eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018). Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren. Deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da diese zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen wollen, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es ist jedoch unklar, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen. Allerdings wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Razzien gegen Hauskirchen werden weiterhin durchgeführt (AI 29.3.2022).
Von Repressionen und willkürlichen Verhaftungen von konvertierten Christen, Mitgliedern der protestantischen und evangelischen Kirche wird immer wieder berichtet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche FH 28.2.2022, CSW 22.3.2022). Im August 2020 wurden 35 neu Konvertierte verhaftet und im selben Monat sind vier weitere Konvertierte wegen Anschuldigungen wie 'Teilnahme an Versammlungen der häuslichen Kirchen', 'Verbreitung vom zionistischen Christentum' und 'Gefährdung der inneren Sicherheit' zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt worden (ÖB Teheran 11.2021). Derzeit befinden sich in Iran ca. 20 Christen wegen des Vorwurfs einer Bedrohung der nationalen Sicherheit in Haft, und seit 2012 wurden mehr als hundert Personen wegen dieser Straftat verurteilt (Vatikan News 7.12.2021; vergleiche OD 3.12.2021, CT 1.3.2022). Die Aussichten für iranische Christen, insbesondere für christliche Konvertiten, trüben sich weiter ein. Inhaftierten Christen, besonders christlichen Konvertiten, wird oft eine Entlassung gegen Kaution angeboten. Dabei geht es meist um hohe Geldbeträge, die Berichten zufolge zwischen 2.000 und 150.000 US-Dollar liegen. Die betroffenen Christen oder deren Familien werden dadurch gezwungen, ihre Häuser oder Geschäfte mit Hypotheken zu belasten. Personen, die gegen Kaution freigelassen werden, schweigen oft, da sie den Verlust ihres Familienbesitzes fürchten müssen. Das iranische Regime drängt sie, das Land zu verlassen und damit ihre Kaution aufzugeben (OD 19.1.2022). Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche Landinfo 16.10.2019). Darüber hinaus wird Christen mitunter der Konsum von Alkohol (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens vorgeworfen (ÖB Teheran 11.2021).
Organisatoren von Hauskirchen laufen Gefahr, wegen 'Verbrechen gegen Gott' angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte (DIS/DRC 23.2.2018). Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen (ÖB Teheran 10.2020; vergleiche Landinfo 16.10.2019, UK HO 2.2020, DIS/DRC 23.2.2018), es kommt aber auch vor, dass einfache Mitglieder inhaftiert werden (OD 19.1.2022; vergleiche DIS/DRC 23.2.2018). Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen. Wenn es sich um einen prominenten Fall handelt, werden die Betroffenen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden unter der Bedingung wieder freigelassen, sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen ist, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018). Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden steht, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden in der Regel nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018; vergleiche Landinfo 16.10.2019).
Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein 'high-profile'-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber durchaus zu Problemen führen (DIS/DRC 23.2.2018). Die iranischen Behörden sind in erster Linie daran interessiert, die Ausbreitung des Christentums zu stoppen, und verfügen allem Anschein nach nicht über die notwendigen Ressourcen, um alle christlichen Konvertiten zu überwachen (UK HO 2.2020). Die von der Regierung ausgeübte Kontrolle ist in städtischen Gegenden am höchsten. Ländliche Gebiete werden weniger stark überwacht. In der Anonymität der Städte haben Christen jedoch mehr Freiheiten, Treffen und Aktivitäten zu organisieren als in ländlichen Gebieten, in denen die soziale Kontrolle stärker ist (OD 19.1.2022).
Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 11.2021).
Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS/DRC 23.2.2018). Open Doors gibt im Weltverfolgungsindex 2022 an, dass die Taufe als öffentliches Zeichen der Abwendung vom Islam gesehen wird und deshalb verboten ist (OD 19.1.2022).
Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (USDOS 12.5.2021). Der Besitz christlicher Literatur in Farsi, besonders in größeren Stückzahlen, legt den Verdacht nahe, dass sie zur Weitergabe an muslimische Iraner gedacht ist (OD 19.1.2022). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der 'Katholischen Jerusalem Bibel' ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den 'Katechismus der Katholischen Kirche' ins Farsi. Beide Produkte sind heute noch ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 3.5.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 3.5.2022
Artikel18 (25.11.2021): Iran’s Supreme Court rules Christians did not act against national security, https://articleeighteen.com/news/9836/, Zugriff 4.5.2022
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf, Zugriff 4.5.2022
CSW – Christian Solidarity Worldwide (22.3.2022): Iran: General Briefing, https://www.csw.org.uk/2022/03/22/report/5648/article.htm, Zugriff 3.5.2022
CT – Christianity Today (1.3.2022): Iran’s House Churches Are Not Illegal, Says Supreme Court Justice, Update 1.3.2022, https://www.christianitytoday.com/news/2021/december/iran-christian-house-churches-supreme-court-national-securi.html, Zugriff 4.5.2022
CT – Christianity Today (21.12.2021): Iran’s House Churches Are Not Illegal, Says Supreme Court Justice, Update 21.12.2021, https://www.christianitytoday.com/news/2021/december/iran-christian-house-churches-supreme-court-national-securi.html, Zugriff 4.5.2022
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Councile (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 4.5.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 3.5.2022
IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html, Zugriff 4.5.2022
Landinfo [Norwegen] (16.10.2019): Iran: Kristne konvertitter – en oppdatering om arrestasjoner og straffeforfølgelse, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019853/Respons-Iran-Kristne-konvertitter-en-oppdatering-om-arrestasjoner-og-straffeforf%C3%B8lgelse-AVA-16102019.pdf, Zugriff 4.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 4.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 4.5.2022
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OD – Open Doors (3.12.2021): Iranian Supreme Court rules belonging to a house church is not a criminal offence, https://www.opendoorsuk.org/news/latest-news/iran-house-church-ruling/, Zugriff 4.5.2022
OD – Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum: 1. Oktober 2019 –30. September 2020), https://www.opendoors.de/sites/default/files/country_dossier/8_laenderprofil_iran.pdf, Zugriff 4.5.2022
UK HO – UK Home Office [Großbritannien] (2.2020): Country Policy and Information Note Iran: Christians and Christian converts, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/868800/Iran_-_Christians-Converts_-_CPIN_-_v6.0_-_Feb_2020_-_EXT_PDF.pdf, Zugriff 4.5.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html, Zugriff 4.5.2022
Vatikan News (7.12.2021): Iran: Christen sind keine Staatsfeinde, https://www.vaticannews.va/de/welt/news/2021-12/iran-hauskirchen-sind-keine-staatsfeinde-urteil-konvertiten.html, Zugriff 4.5.2022
Baha‘i
Letzte Änderung: 23.05.2022
Baha‘i gelten als Abtrünnige und nicht als Mitglieder einer Religionsgemeinschaft (AA 28.1.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Sie sind die am meisten verfolgte religiöse Gruppe, ihre etwa 300.000 Anhänger werden systematisch verfolgt, weil sie Propheten nach Mohammed akzeptieren. Dazu kommt, dass die Baha‘i wegen des Bestehens ihrer Zentrale in Haifa/Israel von offizieller iranischer Seite besonders misstrauisch beobachtet und oft als israelische Spione angesehen werden. Es gibt häufig Berichte über Verhaftungen von Baha‘i (ÖB Teheran 11.2021). Baha‘i sind wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Sie sind vom Pensions- und Sozialversicherungssystem ausgeschlossen, Kriminalitätsopfer erhalten keine staatliche Kompensation, und Gewerbescheine werden unter Hinweis auf die Baha‘i-Zugehörigkeit verweigert (AA 28.1.2022). Die Behörden können die Schließung von Unternehmen im Besitz von Baha’i anordnen und Vermögen von Anhängern der Glaubensgemeinschaft beschlagnahmen (AI 29.3.2022; vergleiche USCIRF 4.2022). Auch bekommen sie keine Personalpapiere ausgehändigt und sind vollkommen staatlicher Willkür ausgeliefert (GIZ 12.2020c). Ebenso ist ihnen der Zugang zu höherer Bildung nicht möglich (AA 28.1.2022; vergleiche AI 29.3.2022, BS 2020, FH 28.2.2022, US DOS 12.4.2022), da Baha‘i-Studenten der Zugang zu Universitäten verwehrt wird (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRW 13.1.2022). Auch Jobs im öffentlichen Sektor sind für sie nicht zugänglich (BS 2020; vergleiche AI 29.3.2022). Nach Angaben eines Baha‘i-Vertreters werden auf lokaler Ebene Unterrichtseinheiten vom BIHE (Baha’i Institute of Higher Education, 2011 für illegal erklärt) abgehalten. Damit gehen zum einen erhebliche Risiken für Studenten und Dozenten einher und zum anderen werden auf diese Weise erlangte Abschlüsse nicht anerkannt (AA 5.2.2021). Die Führungsriege der Baha‘i-Gemeinde in Iran sowie die Leitung der Untergrunduniversität BIHE wurden nach Gefängnisstrafen Anfang 2018 freigelassen. Die Hoffnung nach einem Gerichtsurteil im Jänner 2019, wonach Iranisches Recht das Baha‘itum nicht kriminalisiert und Proselytismus nicht unter den Straftatbestand Propaganda gegen den Staat subsumierbar sei, wurden enttäuscht (ÖB Teheran 11.2021).
Die iranische Regierung setzt die systematische Unterdrückung und Verhaftungen von Baha‘i fort (USCIRF 4.2022). Insbesondere die Streichung der Option 'andere Religionen' vom Antragsformular für ID-Karten Anfang 2020 setzt die Baha‘i unter Druck (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 5.2.2021). Es kann nur noch eine der in der Verfassung anerkannten Religionen - also Islam, Christentum, Judentum oder Zoroastrismus - angegeben werden (AA 5.2.2021). Dadurch werden die Baha‘i gezwungen, entweder nicht wahrheitsgemäß das Formular auszufüllen (was ihnen ihre Religion verbietet) oder harte Einschränkungen in Kauf zu nehmen (ÖB Teheran 11.2021). Baha‘i können dann kein Darlehen beantragen, keinen Scheck einlösen und auch kein Grundstück kaufen (AA 5.2.2021). Auch 2021 gab es Razzien inklusive Inhaftierungen gegen Baha‘i (FH 28.2.2022). Die Beschlagnahmungen von Baha‘i-Eigentum unter Verletzung des Völkerrechts wird fortgesetzt (HRC 13.1.2022). Im Jahr 2020 wurden nach Angaben der International Baha'i Community 46 Baha‘i aus Glaubensgründen verhaftet (AA 28.1.2022). Weitere Menschenrechtsverletzungen, denen sich Baha‘i ausgesetzt sehen, sind: willkürliche Inhaftierungen, Folter und andere Misshandlungen, Verschwindenlassen, der Abriss von Häusern und die Zerstörung von Friedhöfen. Sie werden auch von der politischen Führung und den staatlichen Medien mit Hassreden überzogen. Im April 2021 hinderten die Behörden Angehörige der Baha‘i daran, ihre Familienangehörigen in unbelegten Gräbern auf einem Friedhof in der Nähe von Teheran zu bestatten (AI 29.3.2022), den die Gemeinde seit Jahrzehnten nutzt (USCIRF 4.2022). Die Behörden bestanden darauf, dass die Toten zwischen den bestehenden Gräbern oder auf dem Friedhof Khavaran, wo die Opfer der Massenhinrichtungen von 1988 bestattet wurden, beigesetzt werden müssten. Nach großer öffentlicher Empörung hoben die Behörden das Verbot auf. Im Juni zerstörten Sicherheitskräfte rund 50 Häuser von Baha'i im Dorf Ivel in der Provinz Mazandaran. Die Aktion war Teil der seit Jahren andauernden Bestrebungen, die Baha'i aus dieser Region zu vertreiben (AI 29.3.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 29.4.2022
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2, Zugriff 29.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 29.4.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 29.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 29.4.2022
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/, Zugriff 29.4.2022 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 16.5.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 29.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 29.4.2022
USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2022): United States Commission on International Religious Freedom 2022 Annual Report; USCIRF – Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071906/2022+Iran.pdf, Zugriff 29.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 29.4.2022
Sunniten
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die meisten Sunniten in Iran sind Kurden, Turkmenen, Araber oder Belutschen, die in den Randprovinzen des Landes leben (Qantara.de 11.1.2016) - vor allem im Südwesten nahe den Grenzen zu den arabischen Nachbarländern (ÖB Teheran 10.2020). In den sunnitischen Siedlungsgebieten im Westen und Südosten Irans ist die Religionsausübung ohne Einschränkungen möglich (AA 28.1.2022). Sunniten sind in der Verfassung als Muslime anerkannt und dürfen ihre Religion prinzipiell frei ausüben (ÖB Teheran 11.2021), sie werden jedoch vielfach benachteiligt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRW 13.1.2022, CSW 22.3.2022). Die Diskriminierung erfolgt sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben (AI 29.3.2022). Gesetze erschweren es Sunniten, sich in das zivile Leben zu integrieren und in bestimmten Bereichen zu arbeiten (US DOS 12.4.2022). Sunniten berichten, dass sie keine Moscheen in großen Städten bauen dürfen (FH 28.2.20221; vergleiche ÖB Teheran 11.2021, BS 2020) und Probleme haben, Posten im öffentlichen Dienst zu bekommen (FH 28.2.2022; vergleiche BS 2020), da solche wichtige politische Ämter ausschließlich schiitischen Muslimen offenstehen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022, OD 19.1.2022). Sunnitische Geistliche werden immer wieder verhaftet. Außerdem fürchten die Behörden ein Überlaufen iranischer Sunniten zum radikalen Salafismus. Die Machtübernahme der radikal-sunnitischen Taliban in Afghanistan hat die Ängste in Iran vor einem Überschwappen des dortigen anti-schiitischen Terrors – v.a. seitens Al-Qaida und des sogenannten 'Islamischen Staates' – und mögliche Spannungen zwischen sunnitischer Minderheit und der Mehrheitsbevölkerung bekräftigt (ÖB Teheran 11.2021).
Sunniten werden mitunter sowohl aufgrund ihrer religiösen wie auch ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert, da viele kurdischer oder arabischer Volkszugehörigkeit sind (AA 28.1.2022). Dabei spielt bei der Ausgrenzung von Sunniten oft weniger die islamische Konfession als die ethnische Zugehörigkeit eine Rolle. In den Siedlungsgebieten der Sunniten gibt es starke Autonomiebewegungen, gegen die die Zentralregierung in Teheran vorgeht. Angehörige der ethnischen Minderheiten haben deshalb auch schlechteren Zugang zu Wasser, Wohnraum, Arbeit oder Bildung. Sunnitentum, ethnische Zugehörigkeit und Autonomiebestrebungen vermischen sich in der staatlichen Wahrnehmung. Im Jahr 2015 wurde erstmals ein Sunnit zum Botschafter des Iran ernannt (Qantara.de 11.1.2016).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2, Zugriff 28.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 28.4.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 28.4.2022
CSW – Christian Solidarity Worldwide (22.3.2022): Iran: General Briefing, https://www.csw.org.uk/2022/03/22/report/5648/article.htm, Zugriff 28.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 28.4.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 28.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 28.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 28.4.2022
OD – Open Doors (19.1.2022): Weltverfolgungsindex 2022 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2020 – 30. September 2021), https://www.opendoors.de/sites/default/files/copyright_open_doors_2022_wvi_bericht_signiert.pdf, Zugriff 28.4.2022
Qantara.de (11.1.2016): Muslime zweiter Klasse, https://de.qantara.de/inhalt/sunniten-im-iran-muslime-zweiter-klasse, Zugriff 28.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 28.4.2022
Derwisch-Orden/Sufis (Nematollahi Gonabadi-Orden)
Letzte Änderung: 23.05.2022
Schwere Repressionen erleben auch Mitglieder der Derwisch-Gemeinschaft (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022). Obwohl der [Nematollahi] Gonabadi-Orden (größter Sufi-Orden in Iran) zur Schia zählt, werden seine Mitglieder regelmäßig verfolgt und verhaftet, da sie jede Form des politischen Islams ablehnen und somit das Prinzip, auf dem die Islamische Republik Iran beruht, nicht anerkennen (AA 28.1.2022). Ihre Gemeinden sehen sich verschiedenen Arten von Diskriminierung und Angriffen (auch auf ihr Eigentum), willkürlichen Festnahmen und Dämonisierung (u.a. im staatlichen Fernsehen) ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021). So werden Sufis etwa in iranischen Medien gelegentlich als Teufelsanbeter und Satanisten stigmatisiert (AA 28.2.2022). Auch kommt es immer wieder zur Zerstörung ihrer Gotteshäuser (FH 28.2.2022) sowie zu Inhaftierungen (FH 28.2.2022; vergleiche AI 29.3.2022). Als Gründe für die Inhaftierungen werden unter anderem die Störung der öffentlichen Ordnung, Verbreitung von systemfeindlicher Propaganda, Handlungen gegen die Nationale Sicherheit, Mitgliedschaft in illegalen Gruppierungen und die Beleidigung des Obersten Führers genannt (ÖB Teheran 11.2021). Sie werden durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert (AI 29.3.2022).
Nach gewalttätigen Protesten von Gonabadi-Derwischen im Februar 2018, bei denen fünf Sicherheitskräfte ums Leben kamen, wurden über 200 Derwische zu Haft und teilweise körperlicher Züchtigung verurteilt, ein Derwisch wurde nach einem unfairen Prozess und einem Zwangsgeständnis zum Tode verurteilt und hingerichtet (ÖB Teheran 11.2021). Im November 2020 wurden 25 Gonabadi-Derwische begnadigt, trotzdem sind noch immer viele Derwische in Haft (HRC 11.1.2021; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Seither ist es um diese Gemeinschaft öffentlich ruhig geworden, allenfalls noch aktive Mitglieder der Gemeinschaft dürften starke Selbstzensur üben (ÖB Teheran 11.2021). Während Demonstrationen in Isfahan wegen Wasserknappheit im November 2021 machten persische Webseiten in sozialen Medien, die wahrscheinlich von der iranischen Regierung finanziert wurden, die Gonabadi Sufi-Gemeinschaft für die Proteste verantwortlich (USCIRF 4.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 28.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 28.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 28.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (11.1.2021): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/46/50], https://undocs.org/en/A/hrc/46/50, Zugriff 28.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 28.4.2022
USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2022): United States Commission on International Religious Freedom 2022 Annual Report; USCIRF – Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071906/2022+Iran.pdf, Zugriff 16.5.2022
Ahl-e Haqq/Yar(e)san
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die Regierung betrachtet Yaresan oft als schiitische Muslime, die Sufismus praktizieren, aber die Yaresan betrachten ihre Religion als einen eigenständigen Glauben (bekannt als Ahl-e-Haqq oder Kaka'i). Yaresan können sich auch als Schiiten registrieren, um Regierungsdienste zu erhalten (US DOS 12.5.2021).
In Iran gibt es zwei Zweige der Yaresan (auch Ahl-e Haqq genannt). Die sogenannten Modernisten/Reformisten und die Traditionalisten. Die Modernisten deklarieren sich selbst als schiitische Muslime und werden auch von den Behörden akzeptiert. Diese Gruppe besteht hauptsächlich aus gut ausgebildeten Städtern. Ihre Glaubensvorstellungen beruhen vor allem auf den Lehren von Hajj Ne’matollah Jayhunabadi (1871-1920), seinem Sohn Nur Ali Elahi (1895-1974) und dessen Sohn Bahram Elahi (1931-). Jayhunabadi behauptete, dass Yaresan Muslime seien und führte den Yari Glauben mit dem Schiismus zusammen. Er öffnete die Religion auch für nicht als Yaresan geborene Personen. Viele Personen wurden zu seinen Anhängern, vor allem im Bereich in und um Sahneh [Stadt und gleichnamiger Bezirk in der Provinz Kermanschah]. Diese Gruppe wird auch als Elahi-Zweig bzw. Elahi-Anhänger bezeichnet. Die Traditionalisten sehen sich selbst als Nicht-Muslime und kommen eher aus dem ländlichen Bereich, vor allem aus dem Bezirk Guran in Kermanschah. Ca. eine halbe Million Yaresan leben dort. Diese Gruppierung war schon immer geschlossen für Nicht-Yaresan. Die Traditionalisten werden von iranischen Behörden als „Teufelsanbeter“ verunglimpft. Weitere Gruppen von Yaresan leben in anderen Gebieten des Iran, wie z.B. West-Aserbaidschan, Lorestan, Teheran, Hamadan, Kelardascht, Karadsch und Saveh. Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele Yaresan es gibt. Schätzungen differieren zwischen einer und vier Millionen. Ursprünglich kommen die Yaresan aus dem Gebiet um Guran, im westlichen Teil von Kermanschah. Aufgrund ihres intellektuellen Hintergrunds hat es den Anschein, dass es mehr Modernisten gibt, tatsächlich dürfte aber die Anzahl der Traditionalisten höher sein. Außerhalb ihres Heimes agieren Yaresan als Muslime, ansonsten könnten sie eventuell Probleme mit den Behörden bekommen. Auch der Zugang zu Bildung und Arbeit im öffentlichen Dienst wird dadurch erleichtert. In Bezug auf Konsequenzen für Yaresan, die sich öffentlich über ihren Glauben äußern und ihn als nicht-muslimisch bezeichnen, wird davon ausgegangen, dass die Gruppe nicht als Ganzes von den Behörden ins Visier genommen wird und systematisch belästigt und inhaftiert wird, nur aufgrund der Tatsache, dass man Yaresan ist. Repressionen und Verfolgung basieren auf individuellen Fällen, beispielsweise erfahren ein Leiter einer Gemeinschaft oder andere profilierte Personen Druck durch die Behörden. Es gab in den letzten Jahren einige Fälle von Schikane und Misshandlungen. Es werden von Zeit zu Zeit Maßnahmen gegen Yaresan-Gemeinden eingeleitet, ähnlich wie gegen die Sufi-Orden. Es ist jedoch schwer zu sagen, ob einzelne Yaresan aufgrund ihrer Religion oder wegen politischer Gründe verfolgt werden. Da viele Yaresan Kurden sind, kann eine etwaige Verfolgung auch deshalb vonstattengehen. Das öffentliche Bekunden der kurdischen Identität ist ein sensibles Thema in Iran. Wichtig zu erwähnen ist, dass der Umgang der Behörden mit religiösen und ethnischen Minderheiten nicht statisch ist. Momentan versucht die iranische Regierung, eher weniger harsch damit umzugehen. Es gibt auch einen Anstieg des Interesses von jungen Yaresan an der eigenen Religion. Besonderes Interesse besteht an Textmaterial über die traditionelle Version des Yari-Glaubens. Solche Texte werden in Iran als illegal angesehen, währenddessen Texte des Elahi-Zweiges (Modernisten) als legal angesehen werden, und diese Texte sind auch schon einige Male nachgedruckt worden. Yaresan, die öffentlich und aktiv ihre Yari-Identität und Religion bekunden, ziehen das Interesse der Behörden auf sich. Obwohl es Yaresan aufgrund ihres Glaubens verboten ist, in Bezug auf ihren Glauben zu lügen, sah sich der Großteil der Yaresan dazu gezwungen, um Problemen mit den Behörden aus dem Weg zu gehen. Personen, die religiös und/oder politisch aktiv sind und beispielsweise in Besitz von illegalen Schriften erwischt werden, setzen sich der Gefahr aus, festgenommen und befragt zu werden. Normalerweise würde der Person befohlen, entweder die Aktivitäten einzustellen oder anderenfalls eine Haftstrafe abzubüßen. Auch Anhänger des Elahi-Zweiges erfahren mitunter Repression und Misshandlung durch die Behörden. Von Zeit zu Zeit werden sie Opfer von Razzien, und manchmal werden Anführer inhaftiert (DIS 6.4.2017).
Berichtet werden in Bezug auf die Yaresan/Ahl-e Haqq Fälle von Diskriminierung, Drohungen, Angriffen auf gemeinsames Eigentum und willkürliche Festnahmen (ÖB Teheran 10.2020). Sie werden willkürlich inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt, weil sie sich zu ihrem Glauben bekennen oder ihn ausüben (AI 29.3.2022). Ihnen wird der Bau von Gotteshäusern, der Zugang zu Bildung und Posten im öffentlichen Dienst verweigert, wenn sie sich nicht als Angehörige einer der anerkannten Religionen deklarieren. Ebenso ist es ihnen nicht erlaubt, religiöse Zeremonien in der Öffentlichkeit abzuhalten. Yaresan sind weiterhin einer Reihe von Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, darunter Angriffe auf Mausoleen oder auch die Zerstörung ihrer Friedhöfe. Yaresan-Männer, erkennbar an ihren besonderen Schnurrbärten, sind weiterhin Diskriminierungen am Arbeitsplatz ausgesetzt. Berichten zufolge fördern schiitische Prediger weiterhin die soziale Diskriminierung von Yaresan (USDOS 12.5.2021). Der Antrag der Yaresan-Gemeinschaft vom Januar 2021 auf Anerkennung durch die iranische Verfassung scheiterte, und Irans 'National Defense University' veröffentlichte im Frühjahr 2021 einen Artikel, in dem sie die Gemeinschaft als 'Sicherheitsbedrohung' bezeichnet (USCIRF 4.2022).
Quellen:
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 28.4.2022
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (6.4.2017): IRAN: The Yaresan, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1494231887_notatyaresan6april2017docx.pdf, Zugriff 28.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 28.4.2022
USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2022): United States Commission on International Religious Freedom 2022 Annual Report; USCIRF – Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071906/2022+Iran.pdf, Zugriff 16.5.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html, Zugriff 28.4.2022
Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung: 23.05.2022
Angehörige ethnischer Minderheiten machen insgesamt ca. die Hälfte der iranischen Bevölkerung aus (AA 28.1.2022). Iran gehört mit über 80 Millionen Einwohnern zu den 20 bevölkerungsreichsten Ländern der Erde. Dabei ist die iranische Gesellschaft viel heterogener, als die offizielle Staatsdoktrin glauben machen will. Nur etwa 51% der Iraner sind Perser. Dazu kommt die Volksgruppe der Aseris mit 24% der Gesamtbevölkerung, etwa 8% Gilakis und Mazanderanis, 7% Kurden, 3% Araber und je etwa 2% Turkmenen, Luren und Belutschen. Die diesbezüglich genannten Zahlen variieren teils beträchtlich. Zudem leben viele Flüchtlinge im Land, von denen die afghanischen weiterhin die größte Gruppe stellen, gefolgt von irakischen. Insgesamt ist Iran eines der größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge weltweit. Die ethnischen Minderheiten Irans leben eher in den Grenzregionen des Landes zu seinen Nachbarn, die Kurden etwa im Nordwesten, die Araber in der Region um den Persischen Golf (GIZ 12.2020c). Überwiegend leben die Minderheiten also in den ökonomisch benachteiligten Randgebieten (DW 6.2.2021), und die Infrastruktur von Regionen, wo Minderheiten wohnen, ist zum Teil stark vernachlässigt (BMI 2015; vergleiche FH 28.2.2022, ÖB Teheran 11.2021, AA 28.1.2022).
Die Verfassung gewährt allen ethnischen Minderheiten gleiche Rechte und erlaubt die Verwendung von Minderheitensprachen in den Medien. Das Gesetz gewährt den Bürgern das Recht, ihre eigenen Sprachen und Dialekte zu lernen, zu verwenden und zu unterrichten. Trotzdem diskriminiert die Regierung Minderheiten (US DOS 12.4.2022). Die Diskriminierung ethnischer Minderheiten in Iran ist weiterhin ein Problem, betroffen sind v.a. Kurden, Araber, Belutschen, Aseris und Turkmenen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AI 29.3.2022). Die strukturelle Diskriminierung dieser Gruppen äußert sich im Alltag auch durch das Verbot ihrer Muttersprache im Unterricht und bei Behörden (nur Farsi erlaubt) und im Verbot des Zugangs zu höheren politischen Ämtern (schiitischen Männern vorbehalten). Menschen, die sich für Minderheitenrechte einsetzen, können bedroht, festgenommen und bestraft werden. Unabhängig von der Art der ihnen vorgeworfenen Straftat werden Angehörige ethnischer Minderheiten öfter zum Tode verurteilt, gefoltert und verbringen mehr Zeit in Untersuchungshaft (ÖB Teheran 11.2021).
Aktivisten von Minderheiten werden regelmäßig festgenommen und wegen vage definierter nationaler Sicherheitsvorwürfe in Gerichtsverfahren angeklagt, die nicht den internationalen Standards entsprechen (HRW 13.1.2022). Auch Personen, die sich für den Erhalt der sprachlichen oder kulturellen Identität einsetzen, werden oft als Separatisten verfolgt (AA 28.1.2022). Aufgrund der vage definierten Anklagen sind Angehörige ethnischer Minderheiten weiterhin unverhältnismäßig häufig von Todesurteilen betroffen (AI 29.3.2022; vergleiche AA 28.1.2022). Die Behörden richten wegen derartiger Anschuldigungen Verurteilte heimlich hin, und weigern sich, deren Hinterbliebenen die Leichname zu übergeben (AI 29.3.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 29.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 29.4.2022
BMI – Bundesministerium für Inneres [Österreich] / Langanger, Simone (2015): Kurdish political parties in Iran, in: BMI - Bundesministerium für Inneres (Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter [eds.]): regiones et res publicae - The Kurds: History - Religion - Language - Politics, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res-publicae-the-kurds-2015.pdf, Zugriff 29.4.2022
DW – Deutsche Welle (6.2.2021): Kurden verstärkt im Visier Teherans, https://www.dw.com/de/kurden-verst%C3%A4rkt-im-visier-teherans/a-56473340, Zugriff 29.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 29.4.2022
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/, Zugriff 29.4.2022 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 29.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 29.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 29.4.2022
Kurden
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die Kurden (überwiegend Sunniten) sind hinsichtlich ihrer kulturellen Eigenständigkeit staatlicher Diskriminierung ausgesetzt. Dennoch werden sie in hohe Ämter der Provinzverwaltungen und auch in die Ministerialbürokratie berufen. Der iranische Staatsrundfunk sendet stundenweise kurdischsprachige Sendungen auf dem Regionalsender IRIB Kurdistan. In der Verfassung vorgesehener Schulunterricht sowie Studiengänge in kurdischer Sprache sind seit einem Erlass von Rohani im Jahr 2016 rechtlich möglich. Es ist jedoch nicht nachprüfbar, in welchem Umfang Unterricht an Schulen und Universitäten tatsächlich angeboten wird, da er nicht aktiv vom iranischen Staat gefördert wird (AA 5.2.2021). In der Grund- und Sekundarschule bleibt Persisch die einzige Unterrichtssprache (AI 29.3.2022). Die Regierung schränkt kulturelle und politische Aktivitäten der Kurden ein (HRW 13.1.2022). Problematisch sind vor allem kulturelle Aktivitäten, die politisch werden (DIS/DRC 23.2.2018). Zahlreiche Kurden werden willkürlich inhaftiert, darunter auch Menschenrechtsaktivisten, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzten (AI 7.4.2021). Alleine zwischen 9. und 24.1.2021 wurden 57 kurdische Zivilisten und Aktivisten willkürlich und ohne Gerichtsbeschluss festgenommen (KHRN 25.1.2021). Die Behörden unternahmen nichts, um die zahlreichen Fälle von rechtswidrigen Tötungen unbewaffneter kurdischer Träger (kulbar), die Lasten zwischen den kurdischen Regionen Irans und Iraks hin- und hertransportierten zu stoppen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen (AI 29.3.2022).
Die kurdische Region Irans ist militarisiert und die iranische Regierung überwacht die kurdische Bevölkerung durch regelmäßige Checkpoints ebenso wie durch die Nutzung von Telekommunikation und sozialen Medien. Die iranische Regierung sieht jede Art von politischem oder zivilem Aktivismus als potenzielle Bedrohung an, insofern können sowohl politische als auch zivilgesellschaftliche Aktivisten von Verfolgung bedroht sein (DIS 7.2.2020). Seit dem Unabhängigkeitsreferendum der irakischen Kurden im September 2017 wurde die Präsenz von Militär und Revolutionsgarden in Gebieten mit überwiegend kurdischem Bevölkerungsanteil deutlich erhöht (AA 5.2.2021; vergleiche DIS 7.2.2020) und einige Mitglieder der lokalen Bevölkerung arbeiten als Informanten für die iranischen Behörden (DIS 7.2.2020). Die militärische und geheimdienstliche Präsenz ist nicht immer sichtbar. Die Überwachung in diesem Gebiet ist nicht systematisch, aber strukturiert und auch nicht zufällig, sondern gezielt (DIS/DRC 23.2.2018).
Kurdischen Aktivisten werden in vielen Fällen von der Zentralregierung separatistische Tendenzen vorgeworfen und diese entsprechend geahndet (AA 5.2.2021; vergleiche DIS 7.2.2020). Unter den politisch Verfolgten sind daher verhältnismäßig viele Kurden (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche DIS/DRC 23.2.2018, Landinfo 19.5.2020). Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK (partiya jiyana azad a kurdistane - Partei für ein freies Leben in Kurdistan, Schwesterorganisation der PKK in Iran), der kommunistischen Komala-Partei, oder der KDP-Iran – und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche DIS/DRC 23.2.2018). KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018) und diese Gruppierungen werden vom Regime verfolgt (AA 28.1.2022). Die meisten werden wegen Verbrechen gegen die nationale Sicherheit angeklagt. Kurden machen auch einen überproportionalen Anteil der zum Tode verurteilten und hingerichteten Personen aus (Landinfo 18.12.2020; vergleiche AA 5.2.2021, AI 29.3.2022). Mindestens 20 kurdische Männer sitzen weiterhin in der Todeszelle, nachdem sie wegen solcher vagen Anschuldigungen verurteilt worden waren (AI 29.3.2022). Darüber hinaus häufen sich Berichte über Repressalien gegen Kurden aufgrund suspekter Aktivitäten ihrer Verwandten im Irak, mit denen die Verwandten zum Aufgeben oder zur Einreise in den Iran bewegt werden sollen (ÖB Teheran 11.2021). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche DIS/DRC 23.2.2018, HRC 13.1.2022). Den Menschen dieser Regionen bleibt aufgrund der dortigen Unterentwicklung oftmals keine andere Wahl, als zu schmuggeln (ÖB Teheran 11.2021).
Anfang des Jahres 2021 wurden ca. 100 Kurden willkürlich verhaftet. Es handelte sich bei den Verhafteten um zivilgesellschaftliche und Arbeitsrechtsaktivisten, um Umweltschützer, Autoren, Studenten, aber auch um Personen, die sich politisch gar nicht betätigt haben. Die Angehörigen der Verhafteten sind über deren Aufenthaltsort offenbar nicht informiert worden. Die Beweggründe der Behörden sind unklar. Die iranischen Behörden haben nicht erklärt, warum sie gegen eine so große Gruppe von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund vorgegangen sind. Ungefähr die Hälfte derer, die ins Visier genommen wurden, sollen keine Verbindung zu irgendwelchen Medien, politischen Organisationen oder zivilgesellschaftlichen Gruppen gehabt haben. Viele der nun Verhafteten haben offenbar an einer Versammlung teilgenommen oder ein Kommentar in den sozialen Medien verfasst (DW 6.2.2021). Mehr als 200 Kurden und Kurdinnen - darunter politisch Andersdenkende und zivilgesellschaftliche Aktivisten, wurden während zweier Festnahmewellen im [oben erwähnten] Jänner und im Juli/August 2021 willkürlich inhaftiert. Die meisten von ihnen kamen frei, nachdem sie wochen- oder monatelang dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen oder ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten worden waren. Einige Personen blieben in Haft, andere wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt (AI 29.3.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 13.5.2022
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2, Zugriff 12.5.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 12.5.2022
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html, Zugriff 12.5.2022
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf, Zugriff 12.5.2022
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark] /Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf, Zugriff 12.5.2022
DW – Deutsche Welle (6.2.2021): Kurden verstärkt im Visier Teherans, https://www.dw.com/de/kurden-verst%C3%A4rkt-im-visier-teherans/a-56473340, Zugriff 12.5.2022
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 12.5.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 12.5.2022
KHRN – Kurdistan Human Rights Network (25.1.2021): Iran forces arbitrarily detain Kurdish civilians, activists, https://kurdistanhumanrights.org/en/iran-forces-arbitrarily-detain-kurdish-civilians-activists/, Zugriff 12.5.2022
Landinfo [Norwegen] (18.12.2020): Det iransk-kurdiske partiet PJAK, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043154/Iran-temanotat-PJAK-18122020.pdf, Zugriff 12.5.2022
Landinfo [Norwegen] (19.5.2020): Kurdistan Democratic Party – Iran (KDP-I), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030161/Temanotat-Iran-KDP-I-19052020.pdf, Zugriff 12.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 12.5.2022
Araber
Letzte Änderung: 23.05.2022
Ahwazi-Araber (nach Schätzungen rund zwei Millionen) sind mehrheitlich sunnitischen Glaubens und bewohnen die an Erdölvorkommen reiche Grenzregion zum Irak und zu Kuwait. Mangels Unterricht in der Muttersprache sind viele Araber Analphabeten. Es herrscht unter der arabischen Minderheit eine hohe Armutsrate und es mangelt häufig an Wasser- und Stromversorgung (ÖB Teheran 11.2021). Menschenrechtsorganisationen sehen Benachteiligungen im beruflichen und schulischen Umfeld (AA 5.2.2021; vergleiche AI 29.3.2022), die zu wirtschaftlicher, politischer, sozialer und kultureller Ausgrenzung der arabischen Minderheit führen. Darüber hinaus leidet sie unter wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und an Umweltschäden (Verschmutzung, Staubstürme), für die sie eine Vernachlässigung ihres Siedlungsgebietes (v.a. Provinz Khuzestan) durch die Zentralregierung verantwortlich macht (AA 5.2.2021). Arabische Ahwazi beklagen zudem, dass die Behörden Ausdrucksformen der arabischen Kultur, wie traditionelle Kleidung oder Dichtkunst unterdrücken (AI 7.4.2021).
Die Regierung schränkt kulturelle und politische Aktivitäten der Araber ein (HRW 13.1.2022), jedoch wurden einige lokale Clanführer in Khuzestan und anderen Gegenden, wo Ahwazi-Araber leben, in lokale Räte gewählt, wo sie auch sehr unverblümt sprechen. Ins Visier der Behörden können Ahwazi-Araber geraten, wenn sie Journalisten oder politische Aktivisten sind, die sich für Minderheitenrechte einsetzen (DIS/DRC 23.2.2018). Aufgrund der staatlichen Repression und gesellschaftlicher Benachteiligung setzen sich verschiedene separatistische Gruppierungen auch gewaltsam für eine Abspaltung ein, so u.a. die von der Regierung als terroristische Organisation geführte „Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz“ (ASMLA) in der Region Khuzestan (AA 5.2.2021).
Es gibt Berichte über die Vertreibung von Arabern von ihren Grundstücken aufgrund staatlicher Entwicklungsprojekte. Araber werden unverhältnismäßig häufig wegen unklar definierten Anschuldigungen (etwa wegen 'mohareb' und 'mofsid-fil-arz') zu sehr hohen Strafen verurteilt. Nach dem terroristischen Angriff in Ahwaz im September 2018 mit 30 Toten wurden offiziell 22 Personen aus dem Umfeld der Untergrundorganisation 'Al-Ahvaziya' festgenommen, die Opposition hat von bis zu 800 Festnahmen berichtet. Eine derartige Benachteiligung lag auch den "Wasserprotesten" im Juli 2021 in der v.a. von Arabern bewohnten Provinz Khuzestan zugrunde, in der ehemaligen Sümpfe, welche den Wasserbüffel-Bauern die Lebensgrundlage boten, aufgrund von Wasserumleitungen, Misswirtschaft und Klimakrise austrockneten. Nachdem zwölf Menschen umgekommen waren, wurden die Protestierenden mit Versprechungen (Rückleitung von Wasser aus anderen Provinzen) beruhigt. Allerdings kam es bereits in den Vorjahren im Sommer zu Unruhen aufgrund von Wassermangel. Immer mehr Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage, und es wurden keine Maßnahmen gesetzt (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2, Zugriff 29.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 29.4.2022
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html, Zugriff 29.4.2022
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf, Zugriff 29.4.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 29.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 29.4.2022
Belutschen
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die rund 1,5 Mio. sunnitischen Belutschen leben in unterentwickelten Gebieten im Südosten an der Grenze zu Pakistan und Afghanistan (ÖB Teheran 11.2021). Sie zählen zu den ärmsten Minderheiten und leben in einer von Gewalt und Drogenschmuggelkriminalität geplagten Provinz im Grenzgebiet zu Pakistan. Hinweise auf staatliche Repressionen beruhend auf ihrer ethnischen Zugehörigkeit liegen nicht vor, die Todesstrafe wird jedoch häufig gegen Belutschen verhängt (AA 5.2.2021). In der verarmten Provinz Sistan und Belutschistan ist die entsprechende Infrastruktur dermaßen schlecht, dass vielen belutschischen Dorfbewohnern de facto ihr Recht auf ausreichendes, gut zugängliches und sicheres Trinkwasser verwehrt wird. Sie müssen sich Trinkwasser und Wasser für den Hausgebrauch aus unsicheren Quellen holen, wie Flüssen, Brunnen, Teichen und Gruben, in denen es mitunter Krokodile gibt. Mehrere Menschen ertranken beim Wasserholen. In einigen Fällen erklärten die lokalen Behörden, die Opfer seien selbst schuld an ihrem Tod, weil sie nicht vorsichtig genug gewesen seien. Zudem mangelt es in der Provinz an Stromversorgung, Schulen und Gesundheitseinrichtungen, weil der Staat nicht genug investiert (AI 7.4.2021).
Kulturelle und politische Aktivitäten der Belutschen werden durch die Regierung eingeschränkt (HRW 13.1.2022), und sie sind von Diskriminierung betroffen (AI 29.3.2022). Regelmäßig wird auch in dieser Region von tödlichen Zusammenstößen von Sicherheitskräften mit vermeintlichen Schmugglern, Drogenkurieren oder Terroristen berichtet. Den Belutschen bleibt mangels anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten zum Überleben oftmals keine andere Wahl als der Schmuggel (ÖB Teheran 11.2021). Die Behörden unternehmen nichts, um die zahlreichen Fälle von rechtswidrigen Tötungen unbewaffneter belutschischer Träger (soukhtbar), die in der Provinz Sistan und Belutschistan Kraftstoff transportieren, zu stoppen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen (AI 29.3.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2, Zugriff 29.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html, Zugriff 29.4.2022
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html, Zugriff 29.4.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html, Zugriff 29.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 29.4.2022
Relevante Bevölkerungsgruppen
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 23.05.2022
Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Im Prinzip respektiert die Regierung diese Rechte, es gibt jedoch einige Einschränkungen, besonders für Frauen und Flüchtlinge. Die Regierung verlangt von allen Bürgern für Auslandsreisen eine Ausreisebewilligung. Bürger, die auf Staatskosten ausgebildet wurden oder Stipendien erhalten haben, müssen diese entweder zurückzahlen, oder erhalten befristete Ausreisebewilligungen (US DOS 12.4.2022). Die Regierung schränkt auch die Reisefreiheit von einigen religiösen Führern, Mitgliedern von religiösen Minderheiten und Wissenschaftern in sensiblen Bereichen ein. Journalisten, Akademiker, oppositionelle Politiker, Künstler sowie Menschen- und Frauenrechtsaktivisten sind von Reiseverboten und Konfiszierung der Reisepässe betroffen. Verheiratete Frauen dürfen nicht ohne die Zustimmung ihrer Männer ins Ausland reisen (US DOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022).
Zur rechtmäßigen Ausreise aus der Islamischen Republik Iran benötigen iranische Staatsangehörige einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (gestaffelte Gebühr: derzeit 4 bis 8 Millionen Real, das sind 11 bis 23 Euro). Die illegale Ausreise erfolgt zumeist auf dem Landweg unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Türkei (AA 28.1.2022).
Soweit Repressionen praktiziert werden, geschieht dies landesweit unterschiedslos. Zivile und militärische Verwaltungsstrukturen arbeiten effektiv. Ausweichmöglichkeiten bestehen somit nicht (AA 28.1.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 29.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 29.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html, Zugriff 29.4.2022
Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die Grundversorgung ist in Iran gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Der monatliche Mindestlohn für eine vierköpfige Familie mit einer erwerbstätigen Person liegt bei umgerechnet etwa 130 Euro im Monat (aufgrund von Inflation und Wechselkursveränderung stark schwankend). Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt umgerechnet bei ca. 180 Euro pro Monat (AA 28.1.2022).
Angesichts der immer schärferen US-Sanktionen gegen Iran und des dramatischen Währungsverfalls hat sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche BS 2020). Gründe sind die US-Sanktionen und deren extraterritoriale Anwendung und damit Zurückhaltung europäischer Unternehmen vor Geschäften mit Iran, aber auch die Folgen der Covid-19-Pandemie. Viele Privatunternehmen mussten aufgrund fehlender Devisen und Importmöglichkeiten von Rohstoffen, Bestandteilen oder Ausrüstung die Produktion drosseln oder schließen (ÖB Teheran 11.2021).
Neben Arbeitslosigkeit spielt in Iran auch Unterbeschäftigung eine Rolle. Ausgebildete Arbeitskräfte (Facharbeiter, Uni-Absolventen) finden oft keine ihrer Ausbildung entsprechenden Jobs. Daraus folgen soziale Spannungen, aber auch ein beträchtlicher 'Braindrain', der die iranische Gesellschaft und Wirtschaft beeinträchtigt (ÖB Teheran 11.2021). Angesichts der Kaufkrafteinbußen können viele Menschen ihre Lebenserhaltungskosten nur sehr knapp abdecken, jede Verschlechterung führt zu Verzweiflung (ÖB Teheran 11.2021). So kam es zu lokal begrenzten kurzzeitigen Protesten und Streiks, etwa wegen Gehaltsrückständen und schlechten Arbeitsbedingungen oder aufgrund des Preisdrucks in der Produktion (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche HRC 13.1.2022).
Die iranische Wirtschaft ist weitestgehend zentralisiert und steht zu großen Teilen unter staatlicher Kontrolle (GIZ 12.2020b). Der staatliche Sektor (staatliche und halbstaatliche Unternehmen) macht etwa 80% der iranischen Wirtschaftstätigkeit aus, während der private und kooperative Sektor nur 20% ausmacht (BS 2020). So haben viele iranische Unternehmen neben wirtschaftlichen auch politische Ziele zu erfüllen. Durch regelmäßige staatliche Eingriffe über Preisregulierungen und Subventionen, die in aller Regel politische Ursachen haben, konnte sich bisher eine eigenständige Wirtschaft nur bedingt entwickeln. Eine etablierte Privatwirtschaft gibt es vor allem auf dem Basar, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsgewerbe (GIZ 12.2020b). Die iranische Regierung ist der größte Monopolist des Landes, gefolgt von den Revolutionsgarden und anderen einflussreichen Institutionen und Menschen. Es gibt ein Gesetz gegen das Monopol, obwohl noch nie ein Unternehmen oder eine Person für monopolistische Maßnahmen zur Rechenschaft gezogen wurde (BS 2020). Erst in den letzten eineinhalb Jahrzehnten wurden, vor allem durch die 2001 gegründete Iranian Privatization Organization, vermehrt Anstrengungen zur Privatisierung weiterer Teile der Wirtschaft unternommen. Der wichtigste Sektor der iranischen Wirtschaft ist die Erdöl- und Erdgasproduktion. Die Ölförderung ist durch die National Iranian Oil Company monopolisiert, 80-85% der staatlichen Einnahmen stammen aus dem Ölverkauf. Da zudem etwa 60% dieses Budgets in die Finanzierung staatlicher Unternehmen und Institutionen fließen, ist Iran nahezu komplett von den Einnahmen aus dem Ölexport abhängig. Nicht nur die Wirtschaft, auch der Lebensstandard vieler Iraner hängt vom Ölpreis ab. Problematisch sind auch die völlig veralteten Förderanlagen und Raffinerien des Landes. Aufgrund der Sanktionen konnten diese nicht modernisiert werden. Hindernisse bei der Modernisierung iranischer Förderanlagen und Raffinerien führten nicht zuletzt dazu, dass in den letzten Jahren immer wieder große Mengen an Benzin importiert werden mussten, um den heimischen Bedarf zu decken. Da Benzin lange staatlich subventioniert wurde, kostete dies den Staat in den letzten Jahren etwa 11% des BIP. Hebt die Regierung den Benzinpreis an oder begrenzt die ausgegebenen Rationen, führt das immer wieder zu teils gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 12.2020b). Soziale Unzufriedenheit war in den letzten Jahren mehrmals der Hintergrund von Unruhen in der Bevölkerung. Bei den gewalttätigen Unruhen im November 2019 starben Hunderte Menschen (Landinfo 12.8.2020) und Tausende wurden verletzt (FH 3.3.2021). In mehreren Provinzen, darunter auch in Khuzestan, hielten Demonstranten ab Mitte Juli 2021 Kundgebungen wegen Wassermangels und schlechter Lebensbedingungen ab. Die Sicherheitskräfte reagierten darauf, indem sie die Teilnehmer festnahmen und im weiteren Verlauf des Monats tödliche Gewalt anwendeten. Während dieser Proteste sollen mindestens elf Personen durch Sicherheitskräfte getötet worden sein (FH 28.2.2022). [Bezüglich der Unruhen vergleiche Sie bitte das Kapitel zur Versammlungsfreiheit].
Ein wichtiger, in nicht wenigen Bereichen sogar zentraler Faktor der iranischen Wirtschaft sind die halbstaatlichen religiösen Stiftungen, die Bonyads (GIZ 12.2020b; vergleiche BS 2020). Heute gibt es etwa 120 davon. Hier verschmelzen Religion, Politik und Wirtschaft am deutlichsten. Entsprechend islamischer Grundsätze ist die Hauptaufgabe einer religiösen Stiftung die öffentliche Wohlfahrt, etwa in Form des Erhalts von Straßen oder der Pflege eines Pilgerzentrums. Daneben sind viele der Stiftungen heute jedoch international agierende Großkonzerne. Die größte Stiftung des Landes ist die Ostan-e Qods-e Rezavi, die Imam Reza Stiftung, die sich der Instandhaltung des religiösen Zentrums in Maschhad widmet. Daneben ist die Stiftung jedoch im (Teil-)Besitz zahlreicher Industrieunternehmen, wie etwa der Teheraner Busgesellschaft, und setzt jährlich geschätzte 14 Milliarden Dollar um. Zudem ist sie der größte Grundbesitzer des Landes. Die Bonyad-e Mostazafan wa Dschanbazan, die Stiftung der Unterdrückten und Kriegsveteranen, offiziell zuständig für die Versorgung der Kriegsversehrten und Armen, steht hingegen hinter der National Iranian Oil Company. Politisch steht sie den Revolutionswächtern nahe, viele ihrer hohen Beamten kommen aus deren Reihen. Vor allem mithilfe dieser Stiftungen, die beide offiziell direkt dem Revolutionsführer unterstehen, setzt der iranische Staat seine Vorstellungen einer islamischen Wirtschaftspolitik um und verteilt großzügig Gelder für politische Gefälligkeiten (GIZ 12.2020b). Diese Institutionen sind weder der Regierung noch der Justiz gegenüber rechenschaftspflichtig. Außerdem genießen die Bonyads viele Privilegien wie Steuerbefreiungen und einen ausschließlichen Zugang zu lukrativen Regierungsverträgen (BS 2020).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 11.5.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 11.5.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html, Zugriff 11.5.2022
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html,Zugriff 11.5.2022
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020b): Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412, Zugriff 11.5.2022 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 11.5.2022
Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): Report Iran. The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf, Zugriff 11.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 11.5.2022
Sozialbeihilfen
Letzte Änderung: 23.05.2022
Dem Arbeitsministerium ist die Verantwortung für Sozialhilfe und Versicherungswesen übertragen. Es gibt verschiedene Versicherungsträger, welche alle dem im Sozialministerium angesiedelten 'Hohen Versicherungsrat' (HIC) unterstehen, der die Versicherungspolitik plant, koordiniert, durchführt und überwacht. Der Hauptversicherer ist die 'Organisation für Sozialversicherung' (SSIO). Alle Arbeitgeber und -nehmer zahlen in das System ein und erhalten dafür gewisse Unterstützungsleistungen. Viele Kliniken und Spitäler dieser Organisation befinden sich in städtischen Gegenden (ÖB Teheran 11.2021). Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die die Bereiche Rente, Unfall und Krankheit umfasst. Der Rentenanspruch entsteht in voller Höhe nach 30 Beitragsjahren. Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch in der Höhe von ca. 9 Euro pro Kind. Ebenfalls besteht ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Höhe von 70-80% des Gehaltes, das für mindestens ein Jahr gezahlt wird. Schließlich erhält ein geringer Teil der nicht oder gering verdienenden iranischen Bevölkerung zur Sicherung der Grundversorgung monatlich 500.000 IRR (ca. 1,5 Euro) sog. Yarane (AA 28.1.2022). Selbstständige und Beamte sind nicht Teil der Arbeitslosenversicherung, da angenommen wird, dass ihre Arbeitsverträge nicht gekündigt werden können (Landinfo 12.8.2020).
Iranischen Bürgern stehen unterschiedliche Arten von Versicherungsschutz zur Verfügung. Bei der obligatorischen Versicherung werden Arbeitnehmer von den Arbeitgebern versichert. 7% der Prämie werden von den Arbeitnehmern und 23% von den Arbeitgebern gezahlt. Weiters steht den Eigentümern der Unternehmen eine freiwillige Abdeckung zur Verfügung. Es gibt drei Prämiensätze von 12%, 14% und 18%, die zulasten der Versicherten gehen. Das System deckt alle Angestellten und Freiberuflichen ab, wobei Letztere zwischen verschiedenen Stufen wählen können. Ein freiwilliger Versicherungsschutz ist für zuvor versicherte Personen zwischen 18 und 50 Jahren verfügbar. Dieser ist vollständig von der versicherten Person zu zahlen. Spezielle Systeme gibt es darüber hinaus für Staatsangestellte und Militärangehörige. Generell ist für Angestellte die Mitgliedschaft im Sozialversicherungssystem verpflichtend. Die Sozialversicherung schützt im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Berufsunfällen und auch bei altersbedingtem Ausscheiden. Seit 2003 wurden die zuständigen Institutionen zusammengelegt, um Ineffektivität und Redundanzen zu vermeiden. Zuschüsse und Leistungen werden auf Basis des Gehalts (insbesondere der letzten zwei Jahre) der zu versichernden Person berechnet, sowie auf Basis der monatlichen Zahlungen bei privat versicherten Personen. Solange Rückkehrende für eine iranische Organisation/Firma arbeiten, übernehmen die Arbeitgeber den Großteil der Beiträge. Ansonsten muss (je nach gewähltem Angebot) selbst eingezahlt werden. Angestellte müssen 7% des monatlichen Gehalts abgeben, während Selbstständige und Private einen individuell abgestimmten Beitrag bezahlen (IOM 2021). Die Mittel für die Altersrente werden durch gemeinsame Beiträge der versicherten Person, des Arbeitgebers und der Regierung gedeckt und variieren je nach Beitragsjahren. Die Altersrente wird über die Pensionskasse für Beamte, über die Organisation für soziale Sicherheit sowie über 16 weitere Pensionsfonds in Iran bereitgestellt. Die Hinterbliebenenrente wird an Angehörige einer versicherten verstorbenen Person gezahlt. Zu den Angehörigen zählen Witwe/Witwer, Kinder (das heißt Söhne bis zum Alter von 20 Jahren und Töchter bis zur Heirat) und Eltern. Die Rente des Ehepartners beträgt 50% der Alters- oder Invalidenrente der versicherten Person, während sie für Waisen 25% und für Eltern 20% beträgt. Die kombinierte Hinterbliebenenrente darf nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn oder über der Rente des Verstorbenen liegen. In Iran gibt es einen gesetzlichen monatlichen Mindestlohn für ungelernte Arbeitnehmer, der unter Berücksichtigung der Inflation jährlich neu berechnet wird. Darüber hinaus zahlt der Staat (praktisch) jeder Familie eine Wohnungs- und Lebensmittelzulage in Form von monatlichen Geldtransfers (yaraneh-ye naqdi). Familienbeihilfe wird im Rahmen von Sozialversicherungssystemen für Eltern gewährt, die mindestens 720 Tage gearbeitet und Beiträge gezahlt haben. Die Familienbeihilfe wird gezahlt, bis das Kind 18 Jahre alt ist, oder - wenn es studiert - bis das Studium abgeschlossen ist. Die Familienbeihilfe wird monatlich gezahlt und als das Dreifache des gesetzlichen täglichen Mindestlohns eines ungelernten Arbeitnehmers für jedes Kind berechnet. Die Leistungen werden jährlich angepasst (Landinfo 12.8.2020).
Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen, wie z.B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, die Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z.B. Frauengruppen) (AA 28.1.2022). Als Teil des iranischen Sozialwesens haben alle iranischen Bürger das Recht auf kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung. Alle Bürger können über die Wohlfahrtsorganisation TAMIN EJTEMAEI eine Sozialversicherung beantragen. Darüber hinaus können Leistungen von Arbeitgebern oder privaten Anbietern und Organisationen angeboten werden (IOM 2021).
Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt, um die 'sadeqe', die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße (GIZ 12.2020b). Die staatliche Wohlfahrtsorganisation betreibt Selbsthilfegruppen für Familien in schwierigen Situationen, die in Familienzentren organisiert sind. Einige erhalten Unterstützung bei der Arbeitssuche. Ein Projekt mit einem Mikrofinanzierungsansatz umfasst 50.000 Menschen - nicht nur Frauen, sondern auch Landbevölkerung und andere. Ziel ist es, die Armut zu verringern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf weiblichen Ernährern. Es gibt ca. drei Millionen Familien, die von Frauen geführt werden. 180.000 von ihnen werden von der staatlichen Wohlfahrtsorganisation betreut. Das Budget ist begrenzt und nicht alle Bedürftigen erhalten Hilfe. Die Leistungen gehen nicht unbedingt an die Frauen, sondern können beispielsweise die Bildung für Kinder abdecken (Landinfo 12.8.2020).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 11.5.2022
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020b): Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412, Zugriff 11.5.2022 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
IOM – International Organization for Migration (2021): Länderinformationsblatt Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/-/Iran_%2D_Country_Fact_Sheet_2021%2C_deutsch.pdf?nodeid=23268593&vernum=-2, Zugriff 11.5.2022
Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf, Zugriff 11.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 11.5.2022
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 23.05.2022
Seit der Islamischen Revolution hat sich das iranische Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert allen Bürgern das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen. Die Verwirklichung dieses Zieles obliegt dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung (ÖB Teheran 11.2021). Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität, deren Rektor die Verantwortung für das Gesundheitswesen in der betroffenen Provinz trägt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche IOM 2021). Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche Landinfo 12.8.2020). Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z.B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird (ÖB Teheran 11.2021). Neben den medizinischen Universitäten wird ein Teil der Dienstleistungen von Versicherungsunternehmen und den Provinz- und Bezirkseinheiten erbracht. Die dezentralen Einrichtungen (Gesundheitshäuser, ländliche Gesundheitszentren) bieten in den Räumlichkeiten der medizinischen Universitäten kostenlose Dienstleistungen an. An anderer Stelle bezahlt die erkrankte Person einen kleinen Betrag, um eine medizinische Behandlung zu erhalten (IOM 2021). Darüber hinaus gibt es im ganzen Land viele NGOs und Wohltätigkeitsorganisationen, die Gesundheitseinrichtungen betreiben, deren Zugang auf einer Bedarfsanalyse basiert, ohne dass auf einen vorherigen Versicherungsschutz Bezug genommen wird. Die Mahak-Gesellschaft zur Unterstützung krebskranker Kinder ist beispielsweise ein bekanntes gemeinnütziges Forschungs-, Krankenhaus- und Rehabilitationszentrum für Kinder mit Krebs. Die Patienten werden von Ärzten im ganzen Land an Mahak überwiesen. Laut einem Vertreter von Mahak wird jedes Kind, bei dem Krebs diagnostiziert wird, entweder im Mahak-Krankenhaus oder in anderen Krankenhäusern behandelt. Mahak deckt auch die Behandlung von Patienten in anderen Krankenhäusern in Iran ab. Die Behandlung ist kostenlos und die Patienten müssen nicht versichert sein, um eine Behandlung zu erhalten. Selbst Verwandte können bei der Begleitung ihrer kranken Kinder eine Finanzierung für die Unterkunft erhalten. Mahak empfängt Krebspatienten auch aus mehreren Nachbarländern (Landinfo 12.8.2020).
Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 11.2021). Der Rote Halbmond ist auch die zentrale Stelle für den Import von speziellen Medikamenten, die für Patienten in speziellen Apotheken erhältlich sind. In jedem Bezirk gibt es Ärzte, die dazu verpflichtet sind, Notfälle zu jeder Zeit aufzunehmen. In weniger dringenden Fällen sollte der Patient zunächst sein Gesundheitszentrum kontaktieren und einen Termin vereinbaren (IOM 2021).
Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Das Gesundheitswesen ist zwar fast flächendeckend - laut WHO haben 98% aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung - die Qualität schwankt jedoch (GIZ 12.2020c). Die spezialisierte, medizinische Versorgung, gerade bei Notfällen oder Unfällen, ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischen Standards. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen zumeist auf relativ hohem Niveau möglich (AA 11.5.2022a). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede zwischen den Regionen. Folgende Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als Teheran auf: Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Khorasan sowie Sistan und Belutschistan. Es ist davon auszugehen, dass sich eine Vielzahl an Haushalten keine ausreichende Gesundheitsversorgung leisten kann. Gesundheitsdienste sind geografisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 11.2021).
Die medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, die von jeweils einem männlichen und einer weiblichen 'Behvarz' (Gesundheitspersonal, das nach der regulären elfjährigen Schulbildung zwei Jahre praktisch und theoretisch ausgebildet wird) geleitet werden. Jedes dieser Gesundheitshäuser ist für Gesundheitsvorsorge (u.a. Impfungen, Betreuung von Schwangerschaften) zuständig, wobei die Qualität der Versorgung als zufriedenstellend beurteilt wird. In Städten übernehmen sogenannte 'Gesundheitsposten' in den Bezirken die Aufgabe der ländlichen Gesundheitshäuser. Auf der nächsten Ebene sind die ländlichen Gesundheitszentren zu finden, die jeweils von einem Allgemeinmediziner geleitet werden. Sie überwachen und beraten die Gesundheitshäuser, übernehmen ambulante Behandlungen und übergeben schwierigere Fälle an städtische, öffentliche Krankenhäuser, die in jeder größeren Stadt zu finden sind (ÖB Teheran 11.2021). Bis zu 90% der Bevölkerung in ländlichen Regionen haben Zugang zu Basisgesundheitsdienstleistungen. Auch in städtischen Regionen gibt es eine Vielzahl an Gesundheitszentren (IOM 2021). Weitere staatliche Institutionen wie die Iranian National Oil Corporation, die Justiz und Revolutionsgarden betreiben ihre eigenen Krankenhäuser. Die medizinische Belegschaft in Iran umfasst insgesamt mehr als 51.000 Allgemeinärzte, 32.000 Fachärzte, 115.000 Krankenschwestern, 33.000 Hebammen und 35.000 örtliche Gesundheitshelfer (behvarz) (Landinfo 12.8.2020). Im Jahr 2020 wurden 161 Projekte zum Bau ländlicher Gesundheitszentren abgeschlossen. Somit wurde der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen verbessert. Daneben hat das Überweisungssystem bei Hausärzten dazu beigetragen, dass Servicepakete für Prävention, Pflege und Behandlung auch in ländlichen Gebieten angeboten werden (IOM 2021).
Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen noch immer out-of-pocket-Zahlungen von den versicherten Personen geleistet werden (ÖB Teheran 11.2021). Es ist jedoch anzuführen, dass der Anteil derartiger Zahlungen durch die Patienten in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen ist. Vor dem Health Transformation Plan im Jahr 2014 waren Out-of-pocket-Zahlungen die Hauptfinanzierungsquelle, und lagen über 50% der Kosten. 2010 erreichten die Zahlungen einen Höchststand von 58%, während sie bis 2016 auf 35,5% zurückgingen. Dies ist jedoch noch weit von dem erklärten Ziel entfernt, die Out-of-pocket-Zahlungen auf unter 30% zu senken. Dies bedeutet, dass das Zahlungssystem nach wie vor weitgehend auf Servicegebühren sowohl im öffentlichen als auch im privaten Gesundheitswesen basiert (Landinfo 12.8.2020). Die Kosten für Krankenhäuser werden unter anderem dadurch gesenkt, dass die Versorgung des Kranken mit Gütern des täglichen Bedarfs, etwa Essen, immer noch weitestgehend seiner Familie zufällt (GIZ 12.2020c). Iran verwendet interne Referenzpreise für Arzneimittel, was bedeutet, dass Arzneimittel zum Preis des Referenz-Arzneimittels erstattet werden und die Patienten die Möglichkeit haben, teurere Arzneimittel zu kaufen und die zusätzlichen Kosten zu bezahlen. Der Erstattungspreis wird von der Regierung festgelegt, während Hersteller, Händler oder Einzelhändler ihren eigenen Arzneimittelpreis festlegen können (Landinfo 12.8.2020).
Alle iranischen Staatsbürger, inklusive Rückkehrende haben Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen (PHC) sowie weitere Angebote. Es gibt zwei verschiedene Arten von Krankenversicherungen, jene über den Arbeitsplatz oder eine private Versicherung. Beide gehören zur staatlichen iranischen Krankenversicherung TAMIN EJTEMAEI www.tamin.ir/. Kinder sind zumeist durch die Krankenversicherung der Eltern abgedeckt. Um eine Versicherung zu erhalten, sind eine Kopie der iranischen Geburtsurkunde, ein Passfoto und eine komplette medizinische Untersuchung notwendig. Zusätzliche Dokumente können später gegebenenfalls angefordert werden (IOM 2021).
Allen iranischen Bürgern stehen mehrere Arten eines primären Krankenversicherungsschutzes zur Verfügung, darunter Tamin-Ejtemaei, Salamat, Khadamat-Darmani und Nirouhaye - Mosalah. Der Krankenversicherungsschutz umfasst medizinische Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten und Impfstoffen. Im Allgemeinen ist der primäre Krankenversicherungsschutz begrenzt. Für weitere medizinische Dienstleistungen kann zusätzlich eine private Krankenversicherung abgeschlossen werden (IOM 2021). Die 'Organisation für die Versicherung medizinischer Dienste' (MSIO) wurde 1994 gegründet, um Beamte und alle Personen, die nicht von anderen Versicherungsorganisationen berücksichtigt wurden, zu versichern. Daneben kümmern sich Wohltätigkeitsorganisationen, u.a. die 'Imam Khomeini Stiftung', um nicht versicherte Personen - etwa mittellose Personen oder nicht anerkannte Flüchtlinge. Registrierte afghanische Flüchtlinge können sich in der staatlichen Krankenversicherung registrieren (ÖB Teheran 11.2021).
Da es keine allgemein akzeptierte Definition für schutzbedürftige Personen gibt, ist es schwierig, diese Gruppe zu spezifizieren. Dennoch gibt es einige NGOs, die sich auf einen bestimmten Kreis Betroffener spezialisieren. Allgemein gibt es zwei Arten von Zentren, die Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen in Iran leisten, nämlich öffentliche und private. Die öffentlichen Einrichtungen sind in der Regel überlaufen und es gibt lange Wartezeiten, weshalb Personen, die über die nötigen Mittel verfügen, sich oft an kleinere, spezialisierte private Zentren wenden. Die populärste Organisation ist BEHZISTI, die Projekte zu Gender, alten Menschen, Menschen mit Behinderung (inklusive psychischer Probleme), ethnische und religiöse Minderheiten, etc. anbietet. Außerdem werden Drogensüchtige, alleinerziehende Mütter, Personen mit Einschränkungen etc. unterstützt. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem sozio-psychologische Betreuung, Beratungsgespräche, Unterkünfte, Rehabilitationsleistungen, Suchtbehandlung etc. Die Imam Khomeini Relief Foundation bietet Dienstleistungen für Frauenhaushalte, Waisen, Familien von Häftlingen usw. an, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Der Zugang zu öffentlichen Angeboten ist für alle Bürger gleich. Dennoch gibt es zusätzliche Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen, die von den Gemeinden/Organisationen abgedeckt werden (IOM 2021).
Im Zuge der aktuellen Sanktionen gegen Iran ist es zu gelegentlichen Engpässen beim Import von speziellen Medikamentengruppen gekommen (IOM 2021; vergleiche Landinfo 12.8.2020, HRC 13.1.2022). Obwohl auf dem Papier Medikamente und Lebensmittel von den Sanktionen nicht betroffen sind, ist es seit 2020 u.a. wegen fehlender Zahlungskanäle zu mehr Engpässen bei bestimmten Medikamenten wie z.B. Insulin gekommen (ÖB Teheran 11.2021). Das Gesundheitsministerium ist sehr bemüht, den Bedarf an Medikamenten zu decken. Aufgrund der mangelnden Devisen steigen aber die Preise der Medikamente, die aus dem Ausland eingeführt werden, sodass schwache Gesellschaftsschichten sich diese nicht mehr leisten können. Viele Medikamente werden in Iran selbst produziert, jedoch oftmals nicht in entsprechender Qualität (ÖB Teheran 11.2021). Im Generellen gibt es aber keine ernsten Mängel an Medizin, Fachärzten oder Equipment im öffentlichen Gesundheitssystem. Pharmazeutika werden zumeist unter Führung des Gesundheitsministeriums aus dem Ausland importiert. Zusätzlich gibt es für Bürger Privatkrankenhäuser mit Spezialleistungen in größeren Ballungsräumen. Die öffentlichen Einrichtungen bieten zwar grundsätzlich fast alle Leistungen zu sehr niedrigen Preisen an, aber aufgrund langer Wartezeiten und überfüllter Zentren, entscheiden sich einige für die kostenintensivere Behandlung bei privaten Gesundheitsträgern (IOM 2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.5.2022a): Reise- und Sicherheitshinweise - Gesundheit, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396#content_5, Zugriff 11.5.2022
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/, Zugriff 11.5.2022 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf, Zugriff 11.5.2022
IOM – International Organization for Migration (2021): Länderinformationsblatt Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/-/Iran_%2D_Country_Fact_Sheet_2021%2C_deutsch.pdf?nodeid=23268593&vernum=-2, Zugriff 11.5.2022
Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): Report Iran. The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf, Zugriff 11.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 11.5.2022
Rückkehr
Letzte Änderung: 23.05.2022
Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. Ausgenommen davon sind Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht (AA 28.1.2022). In der iranischen Gesetzgebung gibt es kein Gesetz, das die Beantragung von Asyl im Ausland strafbar macht (Cedoca 30.3.2020). In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden (AA 28.1.2022). Allerdings gibt es zum Thema Rückkehrer nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglichen Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr. Australien zahlt Rückkehrhilfe an eine bislang überschaubare Gruppe an freiwilligen Rückkehrern in Teheran in Euro aus (ÖB Teheran 11.2021).
Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und nach Iran zurückkehren. Eine Einreise ist lediglich mit einem gültigen iranischen Reisepass möglich. Die iranischen Auslandsvertretungen sind angewiesen, diesen jedem iranischen Staatsangehörigen auf Antrag auszustellen (AA 28.1.2022).
Iranische Flüchtlinge im Nordirak können offiziell nach Iran zurückkehren. Dafür werden iranische Identitätsdokumente benötigt. Wenn Personen diese Dokumente nicht besitzen, können sie diese beantragen. Für die Rückkehr nach Iran braucht man eine offizielle Erlaubnis des iranischen Staates. Die Rückkehr wird mit den Behörden von Fall zu Fall verhandelt. Iranische Rückkehrer, die nicht aktiv kurdische Oppositionsparteien, wie beispielsweise die KDPI oder Komala, unterstützen, werden nicht direkt von den Behörden ins Visier genommen werden. Sie können aber zu ihrem Leben im Nordirak befragt werden. Der Fall kann aber anders aussehen, wenn Rückkehrer Waffen transportiert haben, oder politisch aktiv sind und deshalb Strafverfolgung in Iran riskieren. Die Rückkehr aus einem der Camps in Nordirak kann als Zugehörigkeit zu einer der kurdischen Oppositionsparteien gedeutet werden und deshalb problematisch sein (DIS/DRC 23.2.2018).
In Bezug auf Nachkommen von politisch aktiven Personen wird berichtet, dass es solche Rückkehrer gibt, aber keine Statistiken dazu vorhanden sind. Es ist auch üblich, dass Personen die Grenze zwischen dem Irak und Iran überqueren. Auch illegale Grenzübertritte sind weit verbreitet. Nachkommen von politisch aktiven Personen riskieren nicht notwendigerweise Strafverfolgung, wenn sie nach Iran zurückkehren. Ob solch ein Rückkehrer Strafverfolgung befürchten muss, würde von den Profilen der Eltern und wie bekannt diese waren, abhängen. Befragungen durch Behörden sind möglich, aber wenn sie beweisen können, dass sie nicht politisch aktiv sind und nicht in bewaffneten Aktivitäten involviert waren, wird das Risiko für Repressionen eher gering ausfallen (DIS/DRC 23.2.2018).
Wenn Kurden im Ausland politisch aktiv sind, beispielsweise durch Kritik an der politischen Freiheit in Iran in einem Blog oder anderen Online-Medien, oder wenn eine Person Informationen an die ausländische Presse weitergibt, kann das bei einer Rückreise eine gewisse Bedeutung haben. Die Schwere des Problems für solche Personen hängt aber vom Inhalt und Ausmaß der Aktivitäten im Ausland und auch vom persönlichen Aktivismus in Iran ab (DIS/DRC 23.2.2018).
Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, werden nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind jedoch keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 28.1.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 10.5.2022
Cedoca – Documentation and Research Department of the Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien] (30.3.2020): COI Focus IRAN Treatment of returnees by their national authorities, https://coi.easo.europa.eu/administration/belgium/PLib/COI_Focus_Iran_Treatment%20of_returnees_by_their_national_authorities_30032020_update_ENG.pdf, Zugriff 10.5.2022
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf, Zugriff 10.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 10.5.2022
Dokumente
Letzte Änderung: 23.05.2022
Alle iranischen Staatsbürger erhalten bei der Geburtsregistrierung ein Ausweisheft (Shenasnameh). Dieses ist in zwei Versionen erhältlich: eine für Kinder bis zu 15 Jahren und eine für Personen über 15 Jahren. Das Shenasnameh wird bei Änderungen des Familienstandes und der Familienverhältnisse aktualisiert. Darüber hinaus stellen die iranischen Behörden für iranische Staatsbürger über 15 Jahren einen nationalen Personalausweis aus (Kart-e melli). Dabei handelt es sich inzwischen um eine elektronische Chipkarte, die allmählich zum wichtigsten Ausweisdokument der Iraner im täglichen Leben geworden ist. Sowohl die Shenasnameh als auch die Kart-e melli werden von der Nationalen Organisation für Zivilregistrierung (NOCR) ausgestellt (Landinfo 5.1.2021).
Gefälschte bzw. mit falschen Angaben erstellte Dokumente sind in Iran einfach erhältlich (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche AA 28.1.2022). Auch echte Dokumente unrichtigen Inhaltes sind einfach zu beschaffen (AA 28.1.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). Dies betrifft insbesondere die Shenasnameh (Stammbuch). So ist es relativ einfach, in eine echte Shenasnameh ein anderes Geburtsdatum eintragen zu lassen. Bei Kindern, die außerehelich geboren werden, wird zumeist ein beliebiger Name als Vater eingetragen, um die Kinder vor Benachteiligungen in der Schule und im Erwachsenenleben zu schützen. Frauen lassen sich nach einer Scheidung häufig eine neue Shenasnameh ausstellen, aus der die gescheiterte Ehe nicht hervorgeht (AA 28.1.2022). Die neuesten Ausgaben von Shenasnameh und Kart-e melli verfügen über fortschrittlichere Sicherheitsfunktionen als die Vorgängermodelle. Dies hat dazu beigetragen, die Authentizität der iranischen Ausweise zu verbessern. Es sind aber noch immer die alten Versionen in Gebrauch und diese sind weitaus leichter zu manipulieren (Landinfo 5.1.2021).
Sowohl die von iranischen Behörden als auch von der afghanischen Botschaft in Iran ausgestellten Dokumente bestätigen unrichtige Angaben. Eine Überprüfung ist seitens der österreichischen Botschaft nicht möglich. Die Überprüfung von Haftbefehlen kann von der Botschaft aufgrund von Datenschutz nicht durchgeführt werden (ÖB Teheran 11.2021). Auch für Justizunterlagen wie Urteile, Vorladungen etc. kann eine mittelbare Falschbeurkundung nicht ausgeschlossen werden. Denn einerseits ist auch das Justizsystem korruptionsanfällig, andererseits ist es in der iranischen Kultur nicht unüblich, auf der Grundlage von Beziehungsgeflechten Hilfeleistungen und Gefälligkeiten zu erbringen (AA 28.1.2022)
Die offizielle Registrierungsbehörde nimmt alle iranischen Staatsangehörigen in ihre Datenbank auf, nachdem zuvor die Identität durch Polizei- und Informationsdienste festgestellt worden ist. Auslandsvertretungen sind nicht ermächtigt, Auskünfte einzuholen. Ein formales Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren ist nicht bekannt (AA 28.1.2022).
Durch die sukzessive Digitalisierung des Justizsystems können seit Ende 2016 Justizdokumente über eine elektronische Datenbank, das sog. Sana-System, abgerufen werden. Seit 2019 werden Justizdokumente in allen Provinzen in der Regel fast ausschließlich über diese Datenbank kommuniziert vergleiche Artikel 175, iranische StPO in der Fassung von 2013/14). Sofern die Dokumente in der Justizdatenbank hinterlegt sind, kann von deren Echtheit ausgegangen werden. Der Zugang zum Sana-System war aus dem Ausland aufgrund von Geoblocking bisher nicht möglich. Seit dem 21.04.2021 kann die Datenbank unter www.kharej.adliran.com oder unter www.international.adliran.ir auch aus dem Ausland abgerufen werden, um den Status laufender Gerichtsverfahren zu überprüfen. Die Systemabfrage setzt eine vorherige Registrierung der betroffenen Person voraus, die durch persönliche Vorsprache oder eine Art Video-Identverfahren erfolgen kann. Ferner sind v.a. die Kart-e Melli-Nummer und eine erreichbare iranische Mobilfunknummer erforderlich, an die ein temporäres Passwort versendet wird (AA 28.1.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 27.4.2022
Landinfo [Norwegen] (5.1.2021): Iran. Passports, ID and civil status documents, https://www.ecoi.net/en/file/local/2044494/Iran-Passports-ID-and-civil-status-documnents-05012021.pdf, Zugriff 27.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf, Zugriff 27.4.2022
2. Beweiswürdigung:
Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des BFA, unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der bP, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes, sowie der Angaben der bP in der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Das erkennende Gericht hat aktuelle Auszüge aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister, dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, dem AJ-WEB und dem Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich eingeholt und Einsicht in die von der bP in Vorlage gebrachten zahlreichen Urkunden genommen.
Daraus ergibt sich unzweifelhaft der eingangs angeführte Verfahrensgang.
2.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei
Die Identität der bP konnte aufgrund der gleichbleibenden Angaben im gesamten Verfahren festgestellt werden, wenn auch sich die Angaben über den Verbleib ihres iranischen Reisepasses unterschiedlich gestalteten. Die Antwort auf die Frage des erkennenden Gerichtes, warum die bP in der Erstbefragung angab, den Reisepass im Schlepperfahrzeug gelassen zu haben, vor der bB jedoch die Beschlagnahme durch den iranischen Geheimdienst ins Treffen führte, blieb die bP gänzlich schuldig, zumal diese - ohne auf den Vorhalt des Widerspruches einzugehen - lediglich die Tatsache konstatierte, ohne Reisepass aus dem Iran ausgereist zu sein. Ein sichtliches Bemühen, den Widerspruch einer abschließenden Erklärung zuzuführen, war in diesem Aussageverhalten nicht zu erkennen. Bereits diese einleitend dargestellte Unstimmigkeit im Hinblick auf nicht asylrelevante Angaben zeugt von wenig Interesse an einer abschließenden und wahrheitsgemäßen Sachverhaltsermittlung und war ihrer Glaubwürdigkeit daher abträglich. Vorweg ist zudem festzuhalten, dass auch die Angaben der bP zum Fluchtweg gegen ihr Vorbringen, Schutz vor Verfolgung finden zu wollen, sprechen. Hätte die bP tatsächlich ihr Heimatland lediglich wegen der Suche nach Schutz verlassen, wäre dieses Ziel bereits in anderen Ländern an den Außengrenzen der EU erreicht gewesen, und liegen auch zwei EURODAC Treffer der Kategorie 2 vor.
Die positiven Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der bP, ihrer Abstammung und ihren persönlichen und familiären Lebensumständen im Herkunftsstaat bis zur Ausreise, sowie ihren Familienverhältnissen steht - mit Ausnahme der nachstehend im Einzelnen noch zu erörternden Aspekten - aufgrund der gleichbleibenden Angaben in den Verfahren vor der bB und des BVwG fest und war für das erkennende Gericht kein Grund ersichtlich, warum die bP diesbezüglich falsche Angaben machen sollte. Die bP brachte in der mündlichen Verhandlung vor, manchmal von der Familie im Iran finanziell unterstützt worden zu sein, weshalb die Feststellung erging, dass die Familie der bP finanziell gut situiert ist. Dass die bP regelmäßigen Kontakt zur Familienangehörigen und Freunden pflegt, ist den eigenen gleichbleibenden Angaben entnommen.
Zwar ergibt sich aufgrund der vom erkennenden Gericht durchgeführten Abfrage im Strafregister keine Straffälligkeit der bP, allerdings geht aus der Verständigung der Staatsanwaltschaft Graz vom 17.05.2022 in Verbindung mit dem Abschlussbericht vom 12.10.2019 eindeutig hervor, dass gegen die bP polizeiliche Ermittlungen wegen Verdachtes auf Körperverletzung aufgenommen worden waren, da die bP einem anderen Asylwerber nachweislich mit einem Glas in der Hand einen Schlag auf den Hinterkopf und danach einen Tritt gegen die linke Hüfte verpasst hat und die Staatsanwaltschaft nur deswegen von der strafrechtlichen Verfolgung absah, da ein außergerichtlichen Tatausgleiches getroffen worden ist. Bereits an dieser Stelle sei – vorbehaltlich der Ausführungen unter Punkt 3.4. - zu bemerken, dass die bP auf entsprechenden Vorhalt in der mündlichen Verhandlung keinerlei Einsicht oder Reue zeigte, sondern sich lediglich mit "[…] ich habe nichts getan" verantwortete und beteuerte, von der Polizei am Tag des Vorfalls zugesichert bekommen zu haben, unschuldig zu sein, was jedoch anhand des jeweiligen Protokolls keineswegs objektviert werden konnte. Allfällige Verwaltungsübertretungen sind nicht aktenkundig.
Gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Beschwerden hat die bP während des gesamten Verfahrens nicht vorgebracht, sondern die Frage, ob diese etwa psychisch und physisch in der Lage sei, der mündlichen Verhandlung zu folgen, dezidiert bejaht, sodass die entsprechende Feststellung zu treffen war. In Anbetracht des festgestellten Gesundheitszustandes konnten auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer allfälligen Arbeitsunfähigkeit festgestellt werden. Dafür spricht auch, dass die bP selbst darlegte, sich mehrfach um eine Arbeitserlaubnis bemüht zu haben, was ohne Arbeitswilligkeit wohl zutreffen würde.
2.2. Zu den ausreisekausalen Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei
Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach Paragraph 15, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen vergleiche VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).
Das Vorbringen des Asylwerbers muss demnach eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen vergleiche VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314). Dem Vorbringen des Asylwerbers kommt somit zentrale Bedeutung zu.
Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers sieht das Verwaltungsgericht es als erforderlich an, dass der Asylwerber für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289).
Die bP wurde im Rahmen ihres Asylverfahrens darauf hingewiesen, dass ihre Angaben eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren darstellen und wurde diese zudem aufgefordert, durch wahre und vollständige Angaben an der Sachverhaltsfeststellung mitzuwirken. Zudem wurde die bP darauf aufmerksam gemacht, dass unwahre Angaben nachteilige Folgen haben.
Die bP erachtet sich – ausweislich ihres Vorbringens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung – in ihrem Herkunftsstaat aufgrund ihres politischen Engagements bei der politischen Organisation "Bewegung für den Arabischen Kampf zur Befreiung von Ahwaz" (kurz: ASMLA), sowie aufgrund ihres verwandtschaftlichen Naheverhältnisses zu dem Vorstand ebendieser Bewegung als asylrelevant verfolgt. Die bP sei geflüchtet, als ihr Freund, der ebenso politisch aktiv war, verhaftet worden sei.
Vorweg ist festzuhalten, dass das erkennende Gericht grundsätzlich die Behauptung, dass es sich beim vorerwähnten Vorstand der ASMLA- Bewegung um den Onkel der bP mütterlicherseits handelt, aufgrund des stringenten Aussageverhaltens im Verfahren und nicht zuletzt aufgrund der Vorlage einer Kopie des auf seinen Namen lautenden Reisepasses, als glaubhaft erachtet.
Dem Asylvorbringen hingegen war im Lichte der dargestellten Rechtsprechung jegliche Asylrelevanz abzusprechen, dies aus nachstehenden Gründen:
2.2.1. Zunächst einmal sei zu bemerken, dass aufgrund der wenig initiativen Einlassung im Zuge des Vortrages der Fluchtgründe in der mündlichen Verhandlung die wesentlichen Aspekte des Fluchtvorbringens stets durch gezielte Nachfrage eruierte werden mussten. Dabei sind nicht nur gewisse erwähnenswerte Divergenzen und Widersprüche in der Schilderung des Herganges der Geschehnisse vor dem BVwG im Vergleich zu jener in der Einvernahme vor dem BFA zu Tage getreten, die die bP keiner plausiblen Erklärung zuzuführen vermochte, sondern war auch – wiederum in Relation zu den Angaben vor der bB – ein merkbarer Verlust an Detailreichtum im Vortrag der bP zu vernehmen.
So kam die bP der Aufforderung des erkennenden Gerichtes in der mündlichen Verhandlung, den Grund für das Verlassen des Heimatlandes möglichst ausführlich zu schildern, nur unzureichend nach, indem sie anfangs in recht allgemeiner Weise die prekäre Situation der arabischen Minderheit der Ahwazi im Iran schilderte und erst auf dezidierte Nachfrage, welche Ungerechtigkeiten ihr persönlich zugestoßen seien, einen individuellen Konnex herstellte und die Verhaftung im Jahr 2013 und den Eintritt in die Partei im Jahr 2015 erwähnte.
Was die vorerwähnte Verhaftung im Jahr 2013 anlangt, so fällt auf, dass die Schilderungen der Handlungsverläufe, sowie der Begleitumstände in einer höchst auffallenden Oberflächlichkeit und von wenig Detailreichtum gekennzeichnet waren, wie es bei einem selbst erlebten, gar als traumatisch empfundenen Sachverhalt erfahrungsgemäß zu erwarten wäre. Trotz Aufforderung, die Festnahme im Jahr 2013 bzw. den genauen Ablauf konkret zu beschreiben, bevorzugte die bP es offenbar, sich hinsichtlich jeglicher Details bedeck zu halten und stattdessen pauschal folgende Angaben zu machen: "Um 3 Uhr in der Früh kamen mehr als 15 Autos. Sie waren maskiert, sie haben und unmenschlich behandelt und geschlagen. Sie haben meine Mutter und meine Geschwister auch geschlagen. Sie habe uns festgenommen und mitgenommen." Den Raum, in dem die bP nach eigenen Angaben festgehalten worden sei, beschrieb diese bloß mit "Es war ein kleiner Raum [...]", was bei lebensnaher Betrachtung keine adäquate Beschreibung einer Umgebung, in der man sich behauptetermaßen einen Monat lang aufgehalten hat, darstellt. Einen Rückschluss auf tatsächlich erlebten Sachverhalt lässt dies jedenfalls nicht zu.
Selbst bei hypothetischer Annahme, die bP sei tatsächlich vom iranischen Geheimdienst verhaftet worden, wäre diesem Vorbringen jegliche Asylrelevanz im gegenständlichen Verfahren abzusprechen, da die bP einerseits die Fluchtkausalität dieses Ereignisses selbst konkludenterweise verneinte; andernfalls die bP die Flucht mit Sicherheit nicht erst zwei Jahre später unternommen hätte. Andererseits dürfte es sich um die einzige und letzte Verhaftung vor ihrer Ausreise gehandelt haben, obwohl die bP gemäß ihren Angaben später viel stärkere politische Präsenz gezeigt hätte, was als ein klares Indiz für mangelndes Interesse des iranischen Staates für die Person der bP gewertet werden kann.
Auch die Schilderung im Hinblick auf die vermeintliche Teilnahme an zwei Demonstrationen im Iran gestaltete sich äußerst unstringent und bot wenig Aufschlussreiches. Während die bP in der Einvernahme vor dem BFA noch relativ genaue Angaben, etwa zum Datum, den groben Ablauf und ihrer Rolle im Rahmen der Veranstaltungen machte, ließ sie diese Punkte in der mündlichen Verhandlung völlig unerwähnt, sondern hielt bloß lapidar fest: "Ich war zwei Mal bei Demonstrationen, ich habe dort fotografiert. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann das war, aber es war 2015. Eine Demonstration war auf einem Fußballplatz."; etwas später konstatierte sie abermals, bei den Demonstrationen zum Fotografieren gewesen zu sein. Von etwaigen Fahnenhissen und vermummten Auf- und abfahren mit dem Freund auf dem Motorrad (im Laufe der zweiten Demonstration) war – im Gegensatz zur Einvernahme vor dem BFA – keine Rede mehr. Zu der ersten Demonstration erfährt man lediglich aus dem Protokoll der bB, dass man sich ursprünglich am dort besagten Ort zum Fußballmatch eingefunden habe, bevor es eskaliert sei und in eine Demonstration mit massenhaften Verhaftungen mündete.
Das erkennende Gericht stellt grundsätzlich nicht in Abrede, dass die bP möglicherweise tatsächlich an den Demonstrationen teilgenommen hat. Die vagen und lückenhaften Schilderungen beweisen allerdings, dass dies nicht ein Ausmaß angenommen haben dürfte, sodass davon mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auszugehen wäre, dass die bP allein aufgrund der bloßen Teilnahme von den iranischen Behörden als ein politscher Aktivist (und damit als potentiell "gefährliche" Person) wahrgenommen werden würde. Selbst bei Wahrunterstellung der Angaben der bP, diese hätte tatsächlich etwa eine Ahwazi-Fahne gehisst und sei mit dem Motorrad auf-und abgefahren, lässt sich daraus keine individuelle Gefahrenlage für die bP erkennen, zumal die bP in der Einvernahme vor dem BFA selbst vorbrachte, den Schauplatz noch vor der gewaltsamen Auflösung der Demonstration verlassen zu haben und zudem vermummt gewesen zu sein, was die Wahrscheinlichkeit, ins Radar der iranischen Behörden gelangt sein, erheblich vermindert. Hinzu tritt, dass die Teilnehmerzahl "sehr viele. Ca.1000" Menschen umfasste und vermochte die bP nicht glaubhaft darzulegen, dass sie – im Gegensatz zu der ersten Demonstration, wo der iranische Staat aufgrund der hohen Teilnehmeranzahl ("Tausende") nicht von ihrer Beteiligung erfahren haben dürfte – bei vergleichbarer Menschenanzahl die Aufmerksamkeit der iranischen Behörden auf sich gelenkt habe.
Bei genauer Betrachtung der Aussagen der bP fällt ferner ins Auge, dass diese mehrmals im Zuge des Verfahrens die Anfertigung von Video-und Fotomaterial für den Onkel zum zentralen Aspekt des Fluchtvorbringens erhoben hat und wiederholt betonte, aus diesem Grund ins Visier der iranischen Behörden gelangt zu sein. Allerdings war zu beobachten, dass das bezughabende Vorbringen jedoch außer der bloßen Tatsachenbehauptung keine näheren Angaben enthält, die eine bessere Nachvollziehbarkeit ihrer Tätigkeit ermöglich hätten, obwohl es sich hierbei um den Kern des Fluchtvorbringens handelt. Den Gesetzen der Logik folgend, müsste die bP – die ja offenbar über längeren Zeitraum Foto- und Videodokumentationen angefertigt haben sollte – über entsprechendes Material verfügen beziehungsweise einen Zugriff darauf haben. Dass diese etwa nicht im Ermittlungsverfahrens vorgelegt worden sind, erschließt sich dem erkennenden Gericht keineswegs, und wurde die bP schon mit Ladung sowie explizit am Beginn der mündlichen Verhandlung aufgefordert, alle Beweismittel zu ihrem Vorbringen, welche noch nicht vorgelegt wurden, vorzulegen. Im Zuge der Verhandlung legte sie jedoch lediglich ein paar Fotos und Berichte in arabischer Sprache von Veranstaltungen in Österreich vor, auf die gesondert einzugehen ist. Die mangelnde Eigeninitiative betreffend Beweisanbote, die für das Verfahren jedoch von entscheidender Bedeutung sind und deren Beschaffung allein in der Sphäre des Asylwerbers liegt, ist – im Lichte der erhöhten Mitwirkungspflicht eines Asylwerbers - der Glaubhaftigkeit des Vorbringens nicht zuträglich und geht das Gericht davon aus, dass eben gerade keinerlei Beweismittel zu angeblichen Übermittlungen an den Onkel exisiteren.
Was die Aktivitäten der bP in der Organisation im Einzelnen anlangt, so gehörte zu ihrem behaupteten Aufgabenportfolio im Iran etwa das Hissen von Flaggen, Sprühen von Sprüchen an die Wände, das Verteilen von Flugblätter und die Teilnahme an Demonstrationen; auch habe sie im Rahmen der Demonstrationen - wie bereits erwähnt - Fotos und Videos angefertigt und diese an ihren Onkel weitergeleitet, weshalb sie auch ins Blickfeld der iranischen Behörden gelangt sei. Eine "Führungsrolle" habe sie jedoch nicht innegehabt; auch habe sie ausdrücklich nicht an der Organisation der Demonstrationen teilgenommen. Ein völlig anderes Bild von der Tätigkeit der bP innerhalb der Partei zeichnete jedoch die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterstützungsschreiben von Funktionsträger diverser europäischer Organisationen der Ahwazi. So wird etwa im Schreiben der European Ahwazi Human Rights Organisation vom 16.02.2020 der bP unter anderem auch die Organisation von Demonstrationen und die Beteiligung an Übermittlung von Informationen an Menschenrechtsorganisationen zugeschrieben, was jedoch keineswegs mit eigenen Aussagen der bP korreliert. Eine diametral verschiedene Version zum Tätigkeitprofil der bP findet sich auch im Schreiben der Ahwazi Observatory for Human Rights – welches wohlgemerkt keine Logoapplikation der Organisation aufweist -, wonach die bP einer Gruppe angehörte, welche etwa auch öffentliche Aufklärungsarbeit betreffend Kultur und Geschichte der Ahwazi betrieben habe; zwei namentlich genannte Mitglieder ebendieser Gruppe seien am dort genannten Datum von der iranischen Regierung exekutiert worden. Auf Nachfrage, wer diese genannten Personen seien, meinte die bP, diese Leute "gekannt" zu haben und bestätigte deren gewaltsamen Tod. Dass es sich um ehemalige Mitarbeiter der Gruppe handelte, wurde von der bP hingegen nicht einmal ansatzweise erwähnt. In dieselbe Kerbe schlägt auch die "Bestätigung" des Ahwazischen Vereines für Menschrechte in Hamburg, wonach die bP im "Politisch[e] kulturelle[n] Bereich für die Aufklärung der Bevölkerung aktiv" gewesen sei; ein Aspekt, den die bP weder vor dem BFA, noch vor der BVwG jemals zur Sprache brachte.
Im Lichte der dargestellten Divergenzen und Widersprüche kann sich das erkennende Gericht nicht des Eindruckes erwehren, es handle sich hierbei um bloße Gefälligkeitsschreiben, die darauf abzielen, der bP einen asylrechtlichen Vorteil zu verschaffen, als dass sie Tatsächliches wiedergeben. Das gewonnene Bild wird durch den Umstand forciert, dass die bP die meisten Verfasser "persönlich" zu kennen vorgab, was wiederum ein Naheverhältnis indiziert. Aus diesem Grund ist die Beweiskraft der in Rede stehenden Schreiben als gering einzustufen. Ähnlich verhält es sich mit dem Schreiben der "Bewegung für den Arabischen Kampf zur Befreiung von Ahwaz" vom 27.08.2018, dessen Verfasser der Onkel der bP ist. Aufgrund des verwandtschaftlichen Verhältnisses und nicht zuletzt der behaupteten politischen Zusammenarbeit wäre eine detaillierte Beschreibung der Tätigkeit der bP in der Partei naheliegend. Stattdessen ist lediglich pauschal von "politische[n] Aktivitäten und Medienarbeit" die Rede, was jedenfalls nicht geeignet ist, die Angaben der bP in diesem Hinblick zu verifizieren.
2.2.2. Hinsichtlich des Vorbringens der bP zu dem ausreisekausalen Vorfall, nämlich die vermeintliche Verhaftung des Freundes und die daraus erwachsene Gefahr für die bP selbst, so erachtet das erkennenden Gericht dieses im hohen Ausmaß als abstrakt, unsubstantiiert und nicht mit dem restlichen Vorbringen vereinbar.
Während die bP in der Einvernahme vor dem BFA den Vorfall betreffend die Verhaftung des Freundes zumindest rudimentär umschrieb, ließ sie diesen Aspekt der Fluchtgeschichte während des gesamten Vortrages der Fluchtgründe in der mündlichen Verhandlung völlig unerwähnt, was mit der behaupteten Fluchtkausalität dieses Ereignisses nur schwer in Einklang zu bringen ist.
Selbst auf direkte Aufforderung, die Funktion des Freundes innerhalb der Partei, sowie was mit ihm passiert sei, näher zu erläutern, ließ sich diese nicht zu einer detaillierten Darlegung der Ereignisse hinreißen – was bei der behaupteten Fluchtkausalität typischerweise anzunehmen wäre – sondern beließ es bei einer ausweichenden und völlig inhaltsleeren Antwort: "Wir waren zusammen. Bei Gericht wurde er zum Tode verurteilt und umgebracht. Ob er schon umgebracht wurde, weiß ich nicht." Eine über den Rahmen bloßer Spekulationen und Mutmaßungen hinausgehende Erklärung dafür, wie die iranische Regierung vom verhafteten Freund auf sie gekommen sei, hatte die bP nicht parat: "Nach der Festnahme meines Freundes sind Sie auf mich gekommen. Vielleicht durch seine durch seine Handydaten oder durch Folter." und "Mein Freund hat mit anderen Personen gearbeitet. Möglicherweise sind sie dadurch dahinter gekommen. Es haben alle in römisch 40 gelebt." Den Anforderungen für die Begründung einer aktuellen und individuellen Verfolgungsgefahr genügt dies allerdings nicht.
Aus ihrem Vortrag in der Einvernahme vor dem BFA erfährt man weiters, dass dieser vermeintliche Freund – den die bP bemerkenswerterweise zu keinem Zeitpunkt namentlich erwähnte – zusammen mit ihr bis zu seiner Verhaftung im Oktober 2015 Flugblätter verteilt habe. Dass dieser zum Tode verurteilt worden sei, habe sie Dank ihrer nicht näher definierter "Kontakte" in der Partei erfahren. Dies ist insofern bemerkenswert, als die bP in der mündlichen Verhandlung angab, niemanden außer den besagten Freund zu kennen, zumal alle Mitglieder im Geheimen arbeiten würden. Vor dem Hintergrund, dass eine politischen Organisation definitionsgemäß ein Verband von Menschen mit gleicher oder ähnlicher politischen Gesinnung ist, die gemeinschaftlich gewisse politische Ziele anstreben und deren Handlungsfähigkeit ein gewissen Netzwerk voraussetzt, erscheint die Aussage, "niemanden" zu kennen und die Aussage, es würden keine Mitgliedstreffen existieren, fernab jeglicher realitätsnaher Betrachtung und gar absurd; würde dies ja gerade der Zweck einer Vereinigung untergraben. Vor allem gab die bP zwar eben vorerst an, dass sie während des Aufenthalts im Iran niemanden von der Organisation gekannt habe, vermeinte dann aber doch über Nachfragen durch das Gericht, verschiedene Aktivisten schon im Iran gekannt zu haben.
2.2.3. Aufgrund der obigen Ausführungen, insbesondere unter Berücksichtigung der dort im Einzelnen aufgezeigten Auffälligkeiten im Aussageverhalten der bP, geht das erkennende Gericht nicht davon aus, dass die bP in ihrem Heimatstaat ein formales Parteimitglied oder besonders in Erscheinung getretener Aktivist war. Sofern die bP in ihrem Heimatstaat politisch in Erscheinung getreten ist – etwa durch Teilnahme an Demonstrationen - , so erreichte dies nicht ein Ausmaß, welches sie der Gefahr einer Verfolgungshandlung von Seiten des iranischen Staates ausgesetzt hätten bzw. aufgrund dessen ihr eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde. Eine politische Exponiertheit, wie sie die bP behauptete, lässt sich daraus jedenfalls nicht ableiten. Dem Vorbringen, für den Onkel Fotos und Videos gemacht zu haben, konnte ebensowenig Glauben geschenkt werden. Weitere politische Aktivitäten wurden nicht substantiiert behauptet.
Der Umstand, dass es sich bei der bP um den Neffen des im Exil lebenden Vorstandes der ASMAL- Bewegung handelt, der – laut unbedenklichen im Verfahren vorgelegten Zeitungsberichten nach wie vor für den iranischen Staat von erheblichem Interesse zu sein scheint – entfaltet für sich betrachtet und ohne Hinzutreten von persönlichen gefahrenerhöhenden Merkmalen – die fallgegenständlich verneint wurden – keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit asylrelevant verfolgt zu werden.
Mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens im Hinblick auf die politische Exponiertheit der bP, waren in der Folge die darauf aufbauenden Angaben, der iranische Geheimdienst habe die Familie der bP etwa sechs Mal nach ihrer Ausreise aufgesucht, außer Betracht zu bleiben und diente dies offenbar dazu, dem Fluchtvorbringen der bP ein zusätzliches Gewicht zu verleihen. In diesem Lichte kann auch aus dem Einwand der bP in der schriftlichen Bekanntgabe von 03.06.2022, der in Dänemark lebende Onkel der bP, sei - wie aus den vorgelegten Zeitungsberichten eindeutig hervorgeht - zwischenzeitig verstärkt ins Visier der iranischen bzw. anderen Behörden gelangt, nichts gewonnen werden, zumal dieser Umstand aus den oben erwähnten Gründen keine Auswirkungen auf die persönliche Situation der bP hat.
2.2.4. Zu der politischen Betätigung der bP in Österreich brachte die bP in der mündlichen Verhandlung vor, "sehr aktiv bei verschiedenen Seminaren und Demonstrationen" teilgenommen zu haben, wobei die letzte politische Aktivität in Österreich eine Demonstration gewesen sei.
Auf die Frage, wo genau und wann genau die (letzte) Demonstration gewesen sei und was sie dabei gemacht habe, zeigte sich die bP äußerst wortkarg und gab lediglich Folgendes zu Protokoll: "Es war in Wien, vor der iranischen Botschaft. Es war vor einem Jahr." Weitere Versuche von Seiten des erkennenden Gerichtes, wesentliche Informationen rund um die Demonstration zu Tage zu bringen, scheiterte an der mangelnden Bereitschaft der bP, detaillierte und konkrete Angaben zu machen, wie der nachstehende Absatz demonstriert:
" RI: Wie viele Teilnehmer waren bei den politischen Aktionen in Österreich dabei?
P: Es waren nicht viele von Ahwaz, die in Österreich leben, ca. 30-40 Personen. Unser Ziel ist es, unser Thema in der ganzen Welt zu verbreiten.
RI: Waren das überwiegend Österreicher, Araber, Iraner, Asylwerber oder wie setzte sich der Aktionskreis zusammen? Wer war sonst noch dabei?
P: Es waren auch Österreicher bei den Demonstrationen, Aktivisten des Roten Kreuzes und Journalisten eines arabischen Senders."
Letzterer stellte sich im weiteren Verlauf der Befragung als jener Sender heraus, der dem Onkel gehört. Während die bP, die das Angebot, sich am gegenständlichen Sender zu beteiligen, ausgeschlagen habe, zuvor noch ihre Gründe hierfür erläuterte – nämlich die Sorge, von einem "anderen arabischen Sender" gefilmt zu werden und aus diesem Grund ins Blickfeld des iranischen Geheimdienstes zu geraten – brachte diese in einem anderen Zusammenhang später vor, bei der Demonstration hätten sich unter anderem auch "Journalisten eines arabischen Senders" befunden. In welchen Medien dieser Sender berichtet habe wisse sie zwar nicht, im Sender des Onkels sei darüber jedenfalls berichtet worden. Die Anwesenheit anderer arabischer Sender – von denen, nach eigener Aussage, gerade die Gefahr ausgehen würde – wurde hingegen nicht behauptet.
Das erkennende Gericht stellt grundsätzlich nicht in Abrede, dass die bP tatsächlich an der besagten Demonstration in Wien teilgenommen habe, zumal die bP dies mit entsprechenden Fotoaufnahmen belegen konnte. Angesichts des Unvermögens, zumindest umrisshaft den Ablauf und die wesentlichen Details der Demonstration zu schildern, wird der Eindruck dahingehen erweckt, die Teilnahme sei weniger aus politischer Überzeugung erfolgt, als viel eher zum Zweck der Anfertigung entsprechenden Fotomaterials zur Vorlage im Asylverfahren.
Höchst bemerkenswert erscheint nicht zuletzt der Umstand, dass die bP zwar den Besuch von Seminaren in Österreich erwähnte, hierzu in der mündlichen Verhandlung jedoch kein dahingehendes Vorbringen erstattete, was für einen politischen Aktivisten, der aufgrund seiner politischen Überzeugung um sein Leben fürchtet, absolut lebensfremd erscheint. In der Einvernahme vor dem BFA war noch in Erfahrung zu bringen, dass die bP – abgesehen von zwei Demonstrationen, von denen die vorerwähnte die Letzte gewesen sei - bei einer Konferenz als "Organisator" tätig war. Die bB hat in der Folge der bP vorgehalten, trotz der behaupteten Funktion als Organisator keine Angaben zum genauen Zeitpunkt machen zu können, worauf diese den Februar 2017 nannte. Dass jemand, der in die Organisation einer Veranstaltung involviert ist, außer Stande ist, das genaue Datum der Abhaltung zu nennen, ist höchst ungewöhnlich und legt nahe, dass die bP mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht in die internen Abläufe eingeweiht gewesen war und dieser der Konferenz bloß als einfacher Teilnehmer beigewohnt hat. Auch erscheint die Bezeichnung "Mitorganisator" der ersten Demonstration – wie die bB zu Recht bemerkte – insofern als überzogen, als sich die Tätigkeit der bP ausschließlich darin erschöpfte, Flugblätter zu drucken und Transparente zu schreiben; von einer (Mit-)Organisationstätigkeit kann daher keine Rede sein. Generell schilderte die bP sowohl hinsichtlich der politischen Betätigung im Iran als auch in Österreich lediglich absolut untergeordnete Tätigkeiten und scheint offensichtlich keinerlei Wissen um den tatsächlichen Aufwand rund um die Organisation einer Veranstaltung zu haben.
Was die in der mündlichen Verhandlung in Vorlage gebrachte Fotoaufnahme aus dem Jahr 2017/2018 anlangt, welche die bP mit dem vermeintlich bereits vom iranischen Geheimdienst getöteten und namentlich nicht genannten "Vertreter unserer Partei" abbilden sollte, so kann daraus – selbst bei Wahrunterstellung der Identität der abzubildenden Person und deren Schicksals - keine aktuelle und individuelle Verfolgungsgefahr für die bP im Rückkehrfall erkannt werden, zumal allein eine Ablichtung mit einer politisch exponierten Person ohne Hinzutreten von anderen im gegenständlichen Verfahren jedoch nicht hervorgekommenen Gefährdungsmerkmalen, keine konkrete Gefahrenlage zu begründen vermag. Selbiges gilt für die am Schluss der mündlichen Verhandlung geäußerte Rückkehrbefürchtung: "Sie werden mich umbringen. Ich wurde mit drei Personen fotografiert und ich arbeite mit. Auf einem Foto waren wir zu viert [Anm.: vermutlich gemeint AS 133], einer wurde umgebracht, der Zweite lebt in Dänemark, der Dritte wurde vom iranischen Geheimdienst entführt." Etwaige Mutmaßungen über eine mögliche Verfolgungsgefahr, ohne konkrete Hinweise – an dieser Stelle sei abermals zu erwähnen, dass die bP selbst vorgab, seit ihrer behaupteten Verhaftung im Jahr 2013 keine Schwierigkeiten mit den iranischen Behörden gehabt zu haben - reicht allerdings nicht für die Annahme einer asylrelevanten Verfolgung.
2.2.5. Zusammenfassend sei festgehalten, dass ausweislich der vorstehenden Erwägungen, sowie aufgrund eigenen Aussagen der bP sowohl im Rahmen der BFA-Einvernahme, als auch in der mündlichen Verhandlung, diese weder von staatlicher, noch von nichtstaatlicher Seite persönlichen Verfolgungshandlungen ausgesetzt war und im Falle ihrer Rückkehr ausgesetzt sein wird.
Die bP war weder vor ihre Ausreise in einem exponierten Ausmaß politisch aktiv, noch ist sie aktuell in Österreich in einer Weise politisch tätig, dass aufgrund dessen sie die Aufmerksamkeit der iranischen Behörden auf sich lenken würde und besteht aus Sicht des erkennenden Gerichtes keine Gefahr von Folter und Haft aufgrund ihrer politischen Vergangenheit.
Zudem gilt auf Grund des durchgeführten Beweisverfahrens nicht als erwiesen, dass die bP wegen ihres Verwandtschaftsverhältnisses zu dem Vorstand der ALWAZ - Organisation einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt war. Am Rande sei bemerkt, dass sich das sich das Verwandtschaftsverhältnis mangels Vorlage eines Reisepasses durch die bP selbst auch nicht unstrittig zeigte.
Dass eine Person, die – aufgrund der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens betreffend die politischen Verfolgung - zu keinem Zeitpunkt Probleme mit iranischen Behörden hatte und allein aufgrund einer bloßen Teilnahme an einem Seminar und zwei Demonstrationen vor mindestens vier Jahren im Rückkehrfall zu einer politisch exponierten Person avanciert und folglich ins Blickfeld staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure gerät, ist im höchsten Grade unwahrscheinlich. Die bP konnte auch nicht glaubhaft darlegen, dass der iranische Staat ein nachhaltiges Interesse an Person der bP hat und hat das durchgeführte Beweisverfahren keine entsprechenden Hinweise ergeben.
2.2.6. Im Übrigen hat die bP – bis auf kurze allgemeine Erwähnung der Diskriminierung der arabischen Minderheit im Rahmen ihres Vortrages betreffend des Parteiprogramms - keine mit ihrer Volksgruppenzugehörigkeit in Zusammenhang stehende Verfolgung vor der Ausreise substantiiert vorgebracht.
Bei Querschnittsbetrachtung der Länderberichte ist zwar festzuhalten, dass der arabischen Minderheit Benachteiligungen im beruflichen und schulischen Umfeld begegnen, die schlussendlich zu wirtschaftlicher, politischer, sozialer und kultureller Ausgrenzung führen. Eine systematische Diskriminierung oder systematische Übergriffe auf Menschen, jenseits von politischem oder zivilgesellschaftlichen Aktivismus, konnte aus der Berichtslage jedoch nicht entnommen werden. Mangels persönliche Gefährdungsmerkmale war daher zur Feststellung zu gelangen ist, dass die bP in ihrem Herkunftsstaat keine Verfolgung aufgrund ihrer arabischen Volksgruppenzugehörigkeit zu gewärtigen hatte.
In diesem Zusammenhang bleibt zu erwähnen, dass gerade auch Vater und Bruder der bP, die angeblich gemeinsam mit der bP 2013 festgenommenen wurden, nach wie vor ohne gravierende Probleme im Iran in gesicherten Verhältnissen leben können.
2.3. Zum Privat- und Familienleben der beschwerdeführenden Partei
Die unter Punkt 1.3. getroffenen Feststellungen zum Aufenthalt der bP im Bundesgebiet und der - bis auf den Besuch eines Deutschkurses auf dem Niveau A1, eines ÖIF-Wertekurses, sowie der Absolvierung eines Trommelworkshopes - kaum vorhandenen Integrationsbemühungen gründen sich auf die entsprechenden Ausführungen der bP in den Verfahren vor dem belangten Bundesamt und dem BVwG, sowie die vorgelegten Urkunden, denen keine gegenteiligen Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens entgegenstehen. Sonstige integrationsverfestigende Maßnahmen hat die bP – mangels entsprechenden Vorbringens - nicht ergriffen.
Von den wenig ausgeprägten Deutschkenntnissen konnte sich das erkennende Gericht in der mündlichen Verhandlung selbst ein Bild machen.
Feststellungen hinsichtlich der von der bP in Anspruch genommenen Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber sind den angefertigten Auszügen aus dem Betreuungsinformationssystem entnommen.
Dass die bP aktuell keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgeht, ergibt sich aus den eigenen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung. Weniger glaubhaft hingegen waren die Aussagen der bP betreffend die vermeintlich fruchtlosen Bemühungen um eine legale Beschäftigung im Bundesgebiet. Die bP gab – auf entsprechende Nachfrage in der mündlichen Verhandlung – an, zwar eine "Möglichkeit zu Arbeiten" gehabt zu haben; den Grund für die derzeitige Beschäftigungslosigkeit sehe sie allerdings beim AMS, welches "immer wieder abgelehnt" habe. Weder wurden entsprechende Einstellungszusagen, noch ein abschlägiger Bescheid des AMS vorgelegt, obwohl die Existenz des Letzteren ausdrücklich zugesagt worden ist. In Anbetracht der geradezu überschwänglichen Worte der bP betreffend ihr behauptetes Engagement bei der Arbeitssuche, überrascht es umso mehr, dass die bP außer eines nachträglich eingereichten Antrags auf Beschäftigungsbewilligung, der nicht einmal darüber Aufschluss gibt, von wann dieser eigentlich stammt und ob er tatsächlich eingereicht wurde, keine weiteren Nachweise vorlegte. Für das erkennende Gericht war damit nicht erkennbar, inwiefern die bP konkrete Schritte zur Erlangung einer Beschäftigungsbewilligung unternommen hat. Der bP ist grundsätzlich beizupflichten, dass die Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit für Asylwerber grundsätzlich nur in einem engen gesetzlich genau definierten Rahmen zulässig ist und dies mitunter mit einem gewissen bürokratischen Aufwand verbunden ist. Eine völlige Aussichtslosigkeit, als Asylwerber im heimischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen – wie sie die bP in ihrer Schilderung darstellt – kann jedoch nicht beobachtet werden und wurden die Bestimmungen gerade auch bereits vor einem Jahr gelockert.
Dass die bP soziale und freundschaftliche Kontakte zu Österreichern in einem gewöhnlichen Ausmaß unterhält, gründet auf den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Empfehlungsschreiben, die zwar allesamt der bP positive Charaktereigenschaften wie Freundlichkeit, Gastfreundschaft, sowie ein hohes Maß an Hilfsbereitschaft attestieren, nicht jedoch eine innige Beziehung zur bP, die über eine gute Bekanntschaft hinausgeht, erkennen lassen. Dies wurde auch weder von der bP behauptet, noch sind im Laufe des Verfahrens Hinweise hervorgekommen, die einen entsprechenden Schluss zulassen würden. In dieses Bild fügt sich auch der Umstand, dass die bP über entsprechende Aufforderung nicht in der Lage war, die Nachnamen ihrer "Freunde" zu nennen, sondern stattdessen dem erkennenden Gericht eine Liste mit den entsprechenden Angaben zusicherte. Eine intensive freundschaftliche Beziehung zu Menschen, dessen Nachnamen man nicht zu wissen vermeint, ist jedoch schwer vorstellbar. Angemerkt wird in diesem Zusammenhang auch, dass die Unterstützter teilweise die „Arbeit“ der bP betonen, was letztlich darauf hindeutet, dass sie in Österreich illegalen Beschäftigungen nachgeht, was die Angaben der bP in der Verhandlung letztlich auch nahelegten.
Das Vorliegen einer Liebesbeziehung wurde von der bP ausdrücklich verneint, sodass eine negative Feststellung zu treffen war.
Was eine etwaige Vereinsmitgliedschaft in Österreich anlangt, so ist festgehalten, dass aus den mehrfach vorgelegten Schreiben der diversen Ahwazi-Vereinen nicht hervorgeht, dass die bP in irgendeiner Weise offizielles Mitglied dieser war und hat die bP dies auch nicht behauptet, weshalb eine negative Feststellung zu treffen war. Ein freiwilliges Engagement hat die bP – bis auf sporadische Aushilfstätigkeiten im privaten Umfeld - dezidiert verneint.
2.4. Zu den getroffenen Länderfeststellungen
Die von dem BVwG im gegenständlichen Verfahren getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den in das Verfahren eingebrachten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen.
Der bP wurde vor der mündlichen Verhandlung aktuelle Länderfeststellungen zum Iran vom Mai 2022 übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, spätestens in der mündlichen Verhandlung eine Stellungnahme abzugeben, dem die bP nicht nachkam. Auch im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde kein ergänzendes Vorbringen betreffend die Lage im Herkunftsstaat erstattet.
Zu der in der Beschwerdeschrift erwähnte Anfrage der Staatendokumentation zum Thema "Arabische Kampfbewegung zur Befreiung von Ahwaz" ist festzuhalten, dass der Bericht aus dem Jahr 2012 stammt, sodass dieser nicht mehr die für das Verfahren erforderliche Aktualität aufweist und damit außer Betracht zu bleiben hat.
Zur Vorlage der zahlreichen Zeitungsartikel und Berichte über das Schicksal einzelner politischer Aktivisten, sowie des Onkels der bP ist festzuhalten, dass diese im Einklang mit den vom erkennenden Gericht zur Entscheidung herangezogenen Länderinformationsquellen stehen, welche bereits hinreichende Informationen zu diesem Themenkomplex unter dem Kapitel "Ethnische Minderheiten" enthalten, sodass ein darüber hinausgehender Erkenntnisgewinn nicht erkannt werden konnte.
Im Übrigen bestand - in Anbetracht der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild zeichnen - kein vernünftiger Grund, an der Richtigkeit und der Vollständigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
Paragraph 3, Asylgesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,, in der geltenden Fassung lautet:
"Status des Asylberechtigten
Paragraph 3, (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 23,) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6,) gesetzt hat.
(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.
(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (Paragraph 5, BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.
(4b) In einem Familienverfahren gemäß Paragraph 34, Absatz eins, Ziffer eins, gilt Absatz 4, mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.
(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt."
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde vergleiche zuletzt VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413)
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen vergleiche jüngst VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).
Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche etwa VwGH 10.08.2018 Ra 2018/20/0314).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten habe vergleiche zuletzt VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108).
Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann weiters nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht vergleiche etwa VwGH 29.01.2020, Ra 2019/18/0228, ua.)
Wie im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt, geht das erkennende Gericht davon aus, dass die bP keine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus Gründen der (unterstellter) politischen Zugehörigkeit glaubhaft machen konnte. Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass der bP im Fall einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat keine Verfolgung aus in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht.
Mangels Verfolgung der bP im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A Ziffer 2 Genfer Flüchtlingskonvention, ist auf die Frage der Schutzwilligkeit und -fähigkeit der staatlichen Organe, sowie des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mehr einzugehen.
Bezüglich der Diskriminierung oder Benachteiligung aufgrund der Zugehörigkeit zur arabischen Minderheit der Ahwaz sei festgehalten, dass nach herrschender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als "Verfolgung" iSd GFK anzusehen ist, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen vergleiche jüngst VwGH 14.08.2020, Ra 2020/14/0002) respektive wenn die konkret behaupteten Maßnahmen eine solche Intensität erreicht haben, dass von einer Verfolgung iSd GFK gesprochen werden kann, wobei bei der Beurteilung dieser Frage ein objektiver Maßstab anzulegen ist (VwGH 16.12.1992, 92/01/0600; VwGH 22.06.1994, Ziffer 93 /, 01 /, 0443,). Allerdings sind die im Vorbringen geschilderten Diskriminierungshandlungen – die gerade nicht ausreisekausal waren - nicht dergestalt, dass nach Ansicht des Höchstgerichtes ein derart gravierender Eingriff in die Grundrechte besteht, der dem in der Flüchtlingskonvention angesprochenen Sachverhalt zugrunde gelegt werden könnte vergleiche VwGH 22.06.1994, 93/01/0443).
3.2. Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat
Paragraph 8, AsylG 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,, in der geltenden Fassung lautet:
"Status des subsidiär Schutzberechtigten
Paragraph 8, (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, ist mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offen steht.
(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Absatz eins, oder aus den Gründen des Absatz 3, oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß Paragraph 9, Absatz 2, vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
(5) In einem Familienverfahren gemäß Paragraph 34, Absatz eins, Ziffer 2, gilt Absatz 4, mit der Maßgabe, dass die zu erteilende Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit der des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, endet.
(6) Kann der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden, ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen. Diesfalls ist eine Rückkehrentscheidung zu verfügen, wenn diese gemäß Paragraph 9, Absatz eins und 2 BFA-VG nicht unzulässig ist.
(7) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten erlischt, wenn dem Fremden der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird."
Artikel 2, Europäische Menschenrechtskonvention lautet:
"Artikel 2 – Recht auf Leben
(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.
(2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:
a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;
b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern
c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken."
Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.
Artikel 3, Europäische Menschenrechtskonvention lautet:
"Artikel 3 – Verbot der Folter
Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden."
Im Rahmen der Prüfung der Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung sind konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein „real risk“ einer gegen Artikel 3, EMRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174). Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen vergleiche etwa VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236). Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet vergleiche jüngst VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).
Nach der ständigen Judikatur des EGMR und des Verwaltungsgerichtshofs obliegt es grundsätzlich der bP, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos glaubhaft zu machen, dass ihm im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (EGMR U 05.09.2013, römisch eins. gegen Schweden, Nr. 61204/09; VwGH 26.04.2017, Ra 2017/19/0016). Der Antragsteller muss die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr ("real risk") mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben schlüssig darstellen (VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus, wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (EGMR U 17.10.1986, Kilic gegen Schweiz, Nr. 12364/86).
Den Länderberichten ist zu entnehmen, dass in der Herkunftsprovinz etwa im Juli 2021 zu Protesten gegen die Wasserknappheit gekommen ist, die viele Todesopfer und Verletzte gefordert haben sollen. Ferner kommt es - nach iranischen Angaben - in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen seit 2015 wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen. Ins Visier der Behörden können Ahwazi-Araber geraten, wenn sie Journalisten oder politische Aktivisten sind, die sich für Minderheitenrechte einsetzen. Auch Mitglieder der von der Regierung als terroristische Organisation geführte „Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz“ (ASMLA) in der Region Khuzestan sind staatlichen Repressalien ausgesetzt. Nichtdestotrotz kann aus den Feststellungen zur Sicherheitslage zu der Herkunftsregion Khuzestan abzuleitenden Gefahrendichte nicht der Schluss gezogen werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz der bP eine reale Gefahr einer drohenden Verletzung der durch Artikel 2, oder 3 EMRK drohen können, zumal die bP – ausweislich der Feststellungen – weder Berührungspunkte mit der Terrororganisation IS hatte, noch als eine politisch exponierte Persönlichkeit nach außer getreten ist. Weitere, in der Person der bP begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.
Auch aus gesundheitlichen Gründen ergeben sich keine Rückführungshindernisse. Die bP ist – nach eigenen Angaben - als arbeitsfähig anzusehen.
Dass die bP im Falle einer Rückkehr ins Herkunftsland der existentiellen Lebensgrundlage entzogen wäre, konnte ebenso nicht festgestellt werden. Die bP ist ein junger und körperlich gesunder Mann, der über ein ausgeprägtes soziales und familiäres Netz im Iran verfügt, sodass sie – zumindest in der Anfangszeit - mit sozialer bzw. finanzieller Unterstützung und Versorgung Rechnen darf. Die bP ist mit der Sprache und den lokalen Gebräuchen vertraut, hat dort eine neunjährige Grundschuldbildung genossen, betrieb zuletzt mit ihrem Onkel ein Autohandelsgeschäft.
Aus diesem Grund geht das erkennende Gericht davon aus, dass die bP im Iran – auch ohne familiäre Unterstützung - grundsätzlich in der Lage sein wird, sich mit ihrer bislang ausgeübten Tätigkeit oder gegebenenfalls mit anderen Tätigkeiten – wie etwa durch Gelegenheitsjobs oder Aushilfstätigkeiten - ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhaltes zu erwirtschaften.
Die bP gehört bei Berücksichtigung aller bekannten Umstände auch nicht der Risikogruppe für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung an vergleiche dazu die Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe vom 6.5.2020, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 203 aus 2020,). Zum Entscheidungszeitpunkt gab es im Iran bisher insgesamt 7.278.478 bestätigte COVID-19-Fälle sowie 141.499 Todesfälle vergleiche WHO Dashboard zu COVID-19, Stand: 18.07.2022). In einer Gesamtbetrachtung ergeben sich vor dem Hintergrund dieser Zahlen – insbesondere in Anbetracht der Einwohnerzahl von 84 Millionen – und der individuellen Situation der bP - keine Hinweise auf eine unzumutbare, schon mit der Rückverbringung der bP in den Iran einhergehende Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes im Sinne der zitierten Bestimmungen der EMRK. Derartiges wurde auch nicht vorgebracht.
Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhalts gem. Artikel 2, und/ oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.
Der bP droht – im Lichte der vorangeführten Ausführungen - keine Gefahr im Sinne des Paragraph 8, AsylG, weshalb die Gewährung von subsidiärem Schutz zu verneinen ist.
3.3. Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz
Paragraph 57, Asylgesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,, in der geltenden Fassung lautet:
"Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz"
Paragraph 57, (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Absatz eins, Ziffer 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Absatz 3 und Paragraph 73, AVG gehemmt.
(3) Ein Antrag gemäß Absatz eins, Ziffer 2, ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.
(4) Ein Antrag gemäß Absatz eins, Ziffer 3, ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."
Der Aufenthalt der bP im Bundesgebiet war ausweislich der Feststellungen nie nach Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Absatz eins a, FPG 2005 geduldet. Ihr Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Sie wurde schließlich nicht Opfer von Gewalt im Sinn der Paragraphen 382 b, oder 382e EO. Der bP ist daher kein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen.
3.4. Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8, EMRK und Erlassung einer Rückkehrentscheidung
§10 Asylgesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,, in der geltenden Fassung lautet:
"Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme
Paragraph 10, (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß Paragraphen 4, oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 5, zurückgewiesen wird,
3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und in den Fällen der Ziffer eins und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Ziffer eins bis 5 kein Fall der Paragraphen 8, Absatz 3 a, oder 9 Absatz 2, vorliegt.
(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraphen 55,, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des Paragraph 58, Absatz 9, Ziffer eins bis 3 vorliegt.
§55 Asylgesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,, in der geltenden Fassung lautet:
Aufenthaltstitel aus Gründen des Artikel 8, EMRK
Paragraph 55, (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn
1. dies gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 14 a, NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (Paragraph 5, Absatz 2, Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 189 aus 1955,) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Absatz eins, Ziffer eins, vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.
Paragraph 9, BFA-Verfahrensgesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012, in der geltenden Fassung lautet:
"Schutz des Privat- und Familienlebens
Paragraph 9, (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraph 45, oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn
1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß Paragraph 10, Absatz eins, des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), Bundesgesetzblatt Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß Paragraph 53, Absatz 3, Ziffer 6,, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder
2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraphen 52, Absatz 4, in Verbindung mit 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 4, FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß Paragraph 53, Absatz 3, FPG vorliegen. Paragraph 73, Strafgesetzbuch (StGB), Bundesgesetzblatt Nr. 60 aus 1974, gilt."
Artikel 8, Europäische Menschenrechtskonvention lautet:
"Artikel 8 - Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."
Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden im Sinne des Artikel 8, Absatz eins, EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.
Die bP führt keine Lebensgemeinschaft; auch leben im Bundesgebiet keine nahen Angehörigen der bP. Aus diesem Grund scheidet ein möglicher Eingriff in das Recht auf Familienleben aus. Zu prüfen bleibt, ob allenfalls ein solcher in das Privatleben vorliegt.
Anhand des in Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG aufgestellten Kriterienkataloges, lässt sich folgendes Bild der bP zeichnen:
● Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:
Die bP reiste spätestens im April 2016 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 22.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Ihren Aufenthalt im Bundesgebiet im Ausmaß von etwa sechs Jahren konnte sie lediglich nur durch Stellung eines Asylantrages vorübergehend legalisieren.
● Das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Privatlebens):
Ausweislich der getroffenen Feststellungen verfügt die bP im Bundegebiet über keine familiären Anknüpfungspunkte. Auch geht die bP aktuell keiner Beschäftigung nach und hat keine nennenswerten Kontakte zur österreichischen Mehrheitsgesellschaft. Die bP hat zwar im Jahr 2017 an einem Werte-und Orientierungskurs teilgenommen, sowie einen Deutschkurs für das Niveau A1 besucht, eine Deutschprüfung hat die bP jedoch nicht absolviert. Auch verfügt sie über kaum ausgeprägte Deutschkenntnisse. Die bP hat im Jahr 2018 einen Trommelworkshop absolviert und ist nicht in Vereinen oder Vereinigungen aktiv.
● Die Schutzwürdigkeit des Privatlebens:
Soweit die bP über private Bindungen in Österreich verfügt, ist darauf hinzuweisen, dass diese zwar durch eine Rückkehr in den Iran gelockert werden, sie jedoch hierdurch nicht gezwungen wird, den Kontakt zu Personen, die ihr in Österreich nahe stehen, gänzlich abzubrechen. Vielmehr besteht die Möglichkeit, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch kurzfristige Urlaubsaufenthalte) aufrecht zu erhalten.
● Bindungen zum Herkunftsstaat:
Die bP hat die überwiegende Zeit in ihrem Heimatland verbracht, wurde dort sozialisiert und spricht die dort übliche Mehrheitssprache. Aufgrund der nicht übermäßig langen Abwesenheit (etwa sechs Jahre) aus ihrem Heimatland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass bereits eine völlige Entwurzelung von ihrem Herkunftsland stattgefunden hat. Es deutete daher nichts darauf hin, dass es der bP im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.
● Strafrechtliche Unbescholtenheit:
Die bP ist strafrechtlich unbescholten, wenngleich diese einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und von einer Verfolgung nur deshalb abgesehen worden ist, weil ein außergerichtlicher Tatausgleich getroffen wurde.
Gemäß Paragraph 204, Absatz eins, StPO kann unter den Voraussetzungen des Paragraph 198, die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat zurücktreten oder im Fall eines Vorgehens nach Absatz 3, endgültig zurücktreten, wenn durch die Tat Rechtsgüter einer Person unmittelbar beeinträchtigt sein könnten und der Beschuldigte bereit ist, für die Tat einzustehen und sich mit deren Ursachen auseinander zu setzen, wenn er allfällige Folgen der Tat auf eine den Umständen nach geeignete Weise ausgleicht, insbesondere dadurch, dass er aus der Tat entstandenen Schaden gutmacht oder sonst zum Ausgleich der Folgen der Tat beiträgt, und wenn er erforderlichenfalls Verpflichtungen eingeht, die seine Bereitschaft bekunden, Verhaltensweisen, die zur Tat geführt haben, künftig zu unterlassen.
Gemäß Paragraph 198, Absatz eins, StPO hat die Staatsanwaltschaft von Verfolgung einer Straftat zurückzutreten, wenn auf Grund hinreichend geklärten Sachverhalts feststeht, dass eine Einstellung des Verfahrens nach den Paragraphen 190 bis 192 nicht in Betracht kommt, eine Bestrafung jedoch im Hinblick auf
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1. | die Zahlung eines Geldbetrages (Paragraph 200,) oder | |||||||||
2. | die Erbringung gemeinnütziger Leistungen (Paragraph 201,) oder | |||||||||
3. | die Bestimmung einer Probezeit, in Verbindung mit Bewährungshilfe und der Erfüllung von Pflichten (Paragraph 203,), oder | |||||||||
4. | einen Tatausgleich (Paragraph 204,) | |||||||||
nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. | ||||||||||
Die bP hat in der Verhandlung keinerlei Reue gezeigt und letztlich bestritten, überhaupt etwas getan zu haben, was jedoch den Voraussetzungen des Rücktritts von der Strafverfolgung nach Tatausgleich entgegensteht. Dieses Verhalten wird zu Lasten der bP im Rahmen der Interessensabwägung beurteilt.
● Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts:
Die bP reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen illegal in das Bundesgebiet ein. Von der bP begangene Verwaltungsübertretungen sind nicht aktenkundig.
● Die Frage, ob das Privatleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst waren:
Die bP musste - nach Ansicht des erkennenden Gerichtes - bereits bei der Einreise bewusst gewesen sein, dass ihr Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender sein wird.
● Mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer:
Zwischen der Antragstellung durch die bP und der gegenständlichen Entscheidung vergingen etwa sechs Jahre. Nicht zu übersehen ist jedoch, dass die bB - aufgrund der im Jahr 2015 einsetzenden extrem hoher Zahl an Verfahren - einer übermäßigen Belastungssituation ausgesetzt war und aufgrund des enormen Überlastungszustandes die Einhaltung der gesetzlichen Erledigungsfristen kaum möglich war. Davon abgesehen kann aus der Aktenlage kein behördliches Verschulden erkannt werden, welches angesichts der noch zu erörternden geringen Integrationserfolge der bP, der zeitlichen Komponente dermaßen an Gewicht beimisst, welches die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unzulässig machen würde und wurde dies von der bP auch nicht konkret behauptet.
Zusammenfassend sei festzuhalten, dass der Rechtsposition der bP im Hinblick auf einen weiteren Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen des Schutzes der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen, gegenüberstehen:
Die bP reise auf illegalem Wege spätestens im April 2016 in das Bundesgebiet ein und stellte am 22.04.2016 einen unbegründeten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung kommt einem Aufenthalt von etwa fünf Jahren - ohne dem Dazutreten weiterer maßgeblicher Umstände - noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 03.12.2020, Ra 2020/20/0392 mwN; 23.10.2019, Ra 2019/19/0289 mwN). Die bP hält sich seit ca. sechs Jahren im Bundesgebiet auf und hat – soweit ersichtlich - keine verfahrensverzögernden Schritte gesetzt, sodass die lange Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet zunächst zu ihren Gunsten zu berücksichtigen ist.
Die bP hat hierorts keine wirtschaftlichen Anknüpfungspunkte in Gestalt einer legalen Erwerbstätigkeit und ist zur Sicherstellung ihres Auskommens auf Leistungen der staatlichen Grundversorgung angewiesen. Die bP hat weder Einstellungszusagen, Vorverträge oä. in Vorlage gebracht, noch war dem entsprechenden Sachvortrag zu eigenen Bemühungen zum Erwerb einer Arbeitsgenehmigung kein hervorhebenswertes Engagement bei der Integration in den Arbeitsmarkt entnehmen.
Die bP hat im Jahr 2017 einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 und einen Werte - und Orientierungskurs besucht; eine Deutschprüfung hat diese jedoch nicht absolviert. Der Umstand, dass die bP aktuell keinen Sprachkurs besucht und der letzte Kurs – wie bereits erwähnt - nun fünf Jahre zurückliegt, zeugt nicht gerade von einem tatsächlichen Willen, die deutsche Sprache zu erlernen. Auch sind die praktischen Kenntnisse der deutschen Sprache bei der bP wenig ausgeprägt. Von einer nennenswerten berücksichtigungswürdigen Integration in sprachlicher Hinsicht kann daher keine Rede sein.
Die bP machte keine über das Übliche hinausgehende soziale oder freundschaftliche Kontakte in Österreich geltend und konnte nicht festgestellt werden, dass dieses Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation ist. Auch liegt – mit Ausnahme von sporadischen Aushilfstätigkeiten im privaten Umfeld - keine regelmäßige gemeinnützige Hilfstätigkeit vor.
Dass die bP strafrechtlich unbescholten ist und keine von ihr begangenen Verwaltungsübertretungen aktenkundig sind, bewirkt für sich betrachtet – nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung vergleiche etwa VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253)- keine Erhöhung des Gewichts der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich. Der Umstand, dass die bP sehr wohl einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und von einer Verfolgung nur deshalb abgesehen worden ist, weil ein außergerichtlicher Tatausgleich getroffen wurde, und der Tatsache, dass sich die bP in der mündlichen Verhaltung – trotz eines sehr konkreten Tatvorwurfes –nicht reumütig verantwortete, bewirkt allerdings eine Minderung privater Interesse der bP am Verblieb im Bundesgebiet.
Merkmale einer besonderen Integration in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht kamen - gesamtbetrachtet - nicht zu Tage.
Hingegen hat die bP den Großteil ihres Lebens im Iran verbracht und ist mit den dortigen Gebräuchen und dem dortigen Leben vertraut. Sie wurde dort sozialisiert und spricht die Mehrheitssprache ihrer Herkunftsregion auf muttersprachlichem Niveau. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass es der bP im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, in der dortige Gesellschaft Fuß zu fassen. Die bP hat in ihrem Heimatland eine Schulbildung genossen und verfügt über Berufserfahrung im Autohandelsgeschäft. Eine Existenzgrundlage der bP wurde bereits vorstehend bejaht (siehe Punkt 3.2.).
Soweit die bP über private Bindungen in Österreich verfügt, ist darauf hinzuweisen, dass diese durch eine Rückkehr in den Iran nur gelockert werden und stünde es ihr frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch gemeinsame Urlaubsaufenthalte, gegebenenfalls auch in einem Drittstaat, etc.) aufrecht zu erhalten.
Angesichts der – in ihrem Gewicht erheblich geminderten - Gesamtinteressen der bP am Verbleib im Bundesgebiet, überwiegen nach Ansicht des erkennenden Gerichtes die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, und zwar in Form der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften und des damit einhergehenden geordneten Zuwanderungswesens, sowie nicht zuletzt des wirtschaftlichen Wohles des Landes.
Im Rahmen einer Abwägung der vorgenannten Aspekte nach Maßgabe der im Sinne des Paragraph 9, BFA-VG angeführten Kriterien, gelangt das erkennende Gericht – wie bereits auch das belangte Bundesamt – zum Ergebnis, dass die individuellen Interessen der bP nicht so ausgeprägt sind, dass sie das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung überwiegen.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung stellt im Ergebnis keine Verletzung des Rechts der bP auf Achtung seines Privatlebens dar.
3.5. Zulässigkeit der Abschiebung und Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise
Paragraph 50, Fremdenpolizeigesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,, in der geltenden Fassung lautet:
"Verbot der Abschiebung
Paragraph 50, (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Artikel 33, Ziffer eins, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974,), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005).
(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht."
Paragraph 52, Fremdenpolizeigesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,, in der geltenden Fassung lautet auszugsweise:
"Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Drittstaatsangehörige
Rückkehrentscheidung
Paragraph 52, (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (Paragraph 10, AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und kein Fall der Paragraphen 8, Absatz 3 a, oder 9 Absatz 2, AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
[....]
(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei."
[...]
Paragraph 55, Fremdenpolizeigesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,, in der geltenden Fassung lautet:
"Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß Paragraph 68, AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß Paragraph 18, BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. Paragraph 37, AVG gilt.
(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß Paragraph 18, Absatz 2, BFA-VG aberkannt wurde.
(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Absatz eins, ist mit Mandatsbescheid (Paragraph 57, AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht."
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des Paragraph 50, Absatz eins, oder Absatz 2, FPG 2005 – diese Bestimmungen stellen auf dieselben Gründe ab, wie sie in Paragraphen 3 und 8 AsylG 2005 enthalten sind – glaubhaft zu machen. Es ist die konkrete Einzelsituation des Fremden in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen; für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße im Sinn des Paragraph 50, Absatz eins, FPG 2005 durch den betroffenen Staat bekannt geworden sind vergleiche VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314).
Aus Sicht des erkennenden Gerichtes ist die Zulässigkeit der Abschiebung der bP in den Herkunftsstaat insofern gegeben, als nach den die Abweisung des gegenständlichen Asylantrages tragenden Feststellungen keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des Paragraph 50, FPG ergeben würde.
Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der mit vierzehn Tagen festgesetzten Frist sprechen, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts-hofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
ECLI:AT:BVWG:2022:L531.2209426.1.00