Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

04.08.2022

Geschäftszahl

W268 1300799-4

Spruch


W268 1300799-4/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Iris GACHOWETZ als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 , geboren am römisch 40 , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Dr. Helmut BLUM, LL.M., gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.06.2020, Zl. 750214902-171193939, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.10.2021 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am 15.02.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der am 17.02.2005 durchgeführten Erstbefragung gab der BF zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, dass er und seine Brüder verdächtigt worden seien, mit aufständischen Tschetschenen in Verbindung zu stehen, weshalb der BF und seine Brüder verschleppt, festgehalten und heftigen Torturen ausgesetzt worden seien.

3. Am 04.10.2005 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesasylamt. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, dass er am 28.12.2004 zusammen mit seinen Brüdern von maskierten Männern abgeholt und an einem unbekannten Ort etwa eine Woche angehalten worden sei. Während der Anhaltung sei der BF mit Elektroschocks misshandelt sowie mit einem Stock geschlagen worden. Seither leide er an Kopfschmerzen, Gedächtnisverlust und einer Sehbeeinträchtigung. Zudem leide er an psychischen Problemen.

4. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.04.2006, Zl. 05 02.149-BAE, wurde der Antrag des BF gemäß Paragraph 7, AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.), festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG zulässig sei (Spruchpunkt römisch II.) und der BF gemäß Paragraph 8, Absatz 2, AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt römisch III.).

Begründend führte die Behörde aus, dass die Aussagen des BF nicht mit jenen seiner Brüder übereinstimmten. Zudem sei das Fluchtvorbringen des BF aufgrund zahlreicher Widersprüche nicht glaubhaft.

5. Gegen diesen Bescheid brachte der BF am 12.04.2006 fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung ein.

6. Am 07.11.2007 fand vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat eine mündliche Verhandlung statt. Darin gab der BF im Wesentlichen an, dass der zweitälteste Bruder des BF, der in Belgien aufhältig sei, die tschetschenischen Kämpfer im ersten Tschetschenienkrieg mit Munition und Lebensmittel unterstützt habe. Ob der Bruder selbst gekämpft habe, wisse der BF nicht. Er selbst habe die tschetschenischen Kämpfer zu keinem Zeitpunkt unterstützt.

7. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 30.01.2008, Zl. 300.799-C1/12E-VIII/22/06, wurde dem Rechtsmittel des BF stattgegeben und ihm gemäß Paragraph 7, AsylG 1997 Asyl gewährt. Gemäß Paragraph 12, AsylG 1997 wurde festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

8. Mit Schreiben vom 08.08.2010 wurde das Bundesasylamt davon verständigt, dass der BF und drei weitere Personen wegen des Verdachts auf Schlepperei am 29.07.2010 in der Slowakei festgenommen worden seien, woraufhin am 03.05.2011 ein Aberkennungsverfahren gegen den BF eingeleitet wurde.

9. Am 23.08.2011 kam es in diesem Zusammenhang zu einer niederschriftlichen Einvernahme des BF. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er seit drei Jahren eine Beziehung mit einer in Österreich aufhältigen Tschetschenin führe, mit der er bereits einen Sohn habe. Der BF sei zum damaligen Zeitpunkt bei seinem Bruder aufhältig und lebe auch von der Unterstützung seiner Brüder. Im Herkunftsland habe der BF noch zwei Schwestern. In der Slowakei sei der BF bereits vorbestraft.

10. Am 21.09.2011 langte der Strafbescheid des Bezirksgerichtes Humenne/Slowakei vom 27.10.2010 bei der belangten Behörde ein. Aus diesem ging hervor, dass der BF rechtskräftig wegen Schlepperei zu 14 Monaten Freiheitsstrafe, bedingt nachgesehen unter Verhängung einer Probezeit von 2 Jahren, verurteilt wurde.

11. Am 27.07.2011 langte bei der belangten Behörde eine Anzeige ein, wonach der BF wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem KFG und dem Meldegesetz angezeigt wurde.

12. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 09.03.2012, Zl. 05 02.149/1-BAE, wurde dem BF der Status eines Asylberechtigten gemäß Paragraph 7, Absatz eins, AsylG 2005 aberkannt. Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG wurde ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und gemäß Paragraph 10, Absatz eins, AsylG wurde er aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

Begründend führte die Behörde an, dass der BF bereits wegen Schlepperei rechtskräftig verurteilt worden sei und dass sein Lebenswandel auf eine Bestreitung seines Lebensunterhalts durch fortwährende Begehung von Straftaten hinweise. Aus diesem Grund würden gewichtige Gründe bestehen, dass der BF eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellen würde.

13. Gegen diesen Bescheid erhob der BF am 23.03.2012 im Wege seiner Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof.

14. Mit Bescheid des Asylgerichtshofes vom 11.12.2012, Zl. D3 300799-2/2012/2E, wurde der Beschwerde des BF stattgegeben und der Bescheid des Bundesasylamtes gemäß Paragraph 66, Absatz 4, AVG ersatzlos behoben. Begründend wurde ausgeführt, dass die vom BF verübten Straftaten nicht unter den Begriff der „besonders schweren Verbrechen“ fallen würden.

15. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen römisch 40 vom 24.03.2016, römisch 40 wurde gegen den BF wegen Paragraphen 144, Absatz eins,, 145 Absatz eins und Absatz 2, Ziffer 2, StGB sowie weiterer Delikte die Untersuchungshaft gemäß Paragraph 172, Absatz 6, StPO verhängt.

16. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen römisch 40 vom 20.04.2017, römisch 40 wurde der BF wegen des Verbrechens der schweren Erpressung nach Paragraphen 144, Absatz eins,, 145 Absatz eins, Ziffer eins,, Absatz 2, Ziffer 2 und 15 StGB, des Verbrechens der schweren Nötigung nach Paragraphen 105, Absatz eins,, 106 Absatz eins, Ziffer eins und 15 StGB, des Vergehens nach Paragraph 50, Absatz eins, Z1, 2 und 3 WaffenG, des Vergehens der Sachbeschädigung nach Paragraph 125, StGB, des Vergehens einer kriminellen Vereinigung nach Paragraph 278, Absatz eins, StGB sowie des Vergehens des Betrugs nach Paragraph 146, StGB zu 2,5 Jahren unbedingter Freiheitsstrafe verurteilt.

17. Am 20.10.2017 wurde erneut ein Aberkennungsverfahren durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingeleitet.

18. Am 03.11.2017 erfolgte diesbezüglich eine niederschriftliche Einvernahme des BF. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, dass sein Bruder im Herkunftsland 27 Monate im Gefängnis gewesen sei und seine Schwägerin durch die Kadyrov-Leute ein Kind verloren hätte, da sie in der Schwangerschaft misshandelt worden sei. Wenn der BF selbst zurück nach Tschetschenien gehen würde, müsse er für 12 Jahre in Haft, genauso wie seine beiden Brüder. Im Herkunftsland sei nach wie vor die Schwester des BF aufhältig, mit der der BF regelmäßig in Kontakt steht. Sie lebe dort mit ihrem Mann und ihren Kindern. In Österreich seien zwei Geschwister des BF aufhältig, ein Bruder lebe in Belgien. Der BF sei in Österreich im Kampfsport aktiv und habe auch als Kampfsportlehrer gearbeitet. Zum Zeitpunkt der Befragung gab der BF an, keine Sozialhilfe zu beziehen, sondern von den Preisgeldern seiner Kämpfe leben zu können. Er sei seit 8 Jahren traditionell verheiratet und habe vier Kinder.

19. Am 10.06.2020 erfolgte eine erneute niederschriftliche Einvernahme des BF im Zusammenhang mit seinem Aberkennungsverfahren. Dabei führte der BF aus, dass er mittlerweile 5 Kinder im Bundesgebiet habe. Mit seiner Gattin lebe der BF bereits seit ca. 6 Jahren im selben Haushalt. Die Schwester des BF lebe nach wie vor im Herkunftsland, jedoch sei ihr Mann verschleppt worden. Zum Zeitpunkt der Befragung ging der BF keiner Beschäftigung nach, er lebte von der Unterstützung seiner Frau und seines Bruders.

20. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.06.2020, Zl. 750214902/171193939, wurde dem BF der mit Bescheid vom 30.01.2008 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, idgF, aberkannt und gemäß Paragraph 7, Absatz 4, AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 4, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012, idgF, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 3, FPG 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, idgF, erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise in der Dauer von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG zulässig ist (Spruchpunkt römisch VI.) und gemäß Paragraph 53, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 2, FPG, Bundesgesetzblatt Nr. 100 aus 2005, idgF, wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt römisch VII.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass sich die Lage im Herkunftsland nachhaltig geändert habe und somit könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgehalten werden, dass dem BF im Fall seiner Rückkehr keine Verfolgungsgefahr mehr drohen würde. Neue Gründe für die Zuerkennung habe der BF nicht vorgebracht und seien solche auch nicht hervorgekommen. Zwar verfüge der BF in Österreich über Frau, Kinder sowie Geschwister, die sich als anerkannte Flüchtlinge im Bundesgebiet aufhalten würden, doch würden die Aspekte des öffentlichen Interesses für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sprechen. Der BF habe vor seiner Inhaftierung keinen Deutschkurs besucht und sei auch keiner legalen Beschäftigung nachgegangen. Aufgrund der in Österreich aufhältigen Familienangehörigen liege zwar ein schützenswertes Familienleben des BF im Bundesgebiet vor, doch stelle sich ein Eingriff aufgrund der mangelnden Integration und der Gleichgültigkeit gegenüber der österreichischen Rechtsordnung als gerechtfertigt dar. Eine Aufrechterhaltung des Kontaktes zu seinen Familienangehörigen in Österreich sei jedenfalls über soziale Medien möglich. Aufgrund des Fehlverhaltens des BF sei auch die Erlassung eines Einreiseverbots jedenfalls gerechtfertigt.

21. Am 21.07.2020 erhob der BF im Wege seiner Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid und führte darin aus, dass die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen würden, da der BF kein schweres Verbrechen laut der gesetzlichen Bestimmung begangen habe und seien nach wie vor die Gründe, die zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten führten, aufrecht. Zudem herrsche aufgrund der COVID-Pandemie in Russland ein Ausnahmezustand. Zudem betonte er die in Österreich bestehenden familiären Bindungen und seine Integrationsbemühungen.

22. Die Beschwerdevorlage langte am 24.07.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

23. Am 06.04.2021 langte eine Verständigung des Landesgerichts für Strafsachen römisch 40 (AZ: römisch 40 ) beim Bundesverwaltungsgericht ein, aus welcher hervorgeht, dass der Beschwerdeführer am 03.04.2021 wegen Paragraphen 144, Absatz eins,, 145 Absatz 2, Z1, 278 Absatz ,, 84 Absatz 4, StGB sowie Paragraph 28 a, Absatz eins, 5.Fall SMG in Untersuchungshaft genommen wurde.

24. Am 07.10.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in der der BF zu seiner derzeitigen Situation in Österreich, seiner Identität und Herkunft, sowie den persönlichen Lebensumständen, seinem Fluchtgrund und seinen Rückkehrbefürchtungen befragt wurde.

25. Aus einem Schreiben der Staatsanwaltschaft Wien vom 03.02.2022, beim Bundesverwaltungsgericht am 10.02.2022 eingelangt, geht hervor, dass das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Wien zu AZ: römisch 40 gegen den Beschwerdeführer noch nicht abgeschlossen sei, der Beschwerdeführer jedoch am 20.08.2021 unter Anwendung gelinderer Mittel enthaftet worden sei.

26. Am 18.10.2021 übermitteltet das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Stellungnahme an das Bundesverwaltungsgericht, in welcher ua ausgeführt wurde, dass gegen den Beschwerdeführer eindeutig Ausschlussgründe vorliegen würden und es kein Erfordernis gebe, den Gang des laufenden Strafverfahrens abzuwarten. Weiters wiederholte das Bundesamt den Antrag, die Beschwerde zu allen Punkten abzuweisen und angesichts der weiten Umstände zudem das Einreiseverbot auf zehn Jahre heraufzusetzen.

27. Am 15.07.2022 langte eine weitere Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl beim Bundesverwaltungsgericht ein, in welcher neuerlich auf die schon im Schreiben vom 18.10.2021 angeführten Punkte hingewiesen wurde.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und trägt die im Spruch ersichtlichen Personalien. Er ist Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und muslimischen Glaubens. Seine Identität steht fest.

Der BF verfügt über Kenntnisse der Sprachen Russisch, Tschetschenisch und Deutsch. Tschetschenisch beherrscht er ausschließlich in Wort, Deutschprüfungen hat der BF bisher nicht absolviert.

Der BF wurde im Bezirk römisch 40 , Tschetschenien, geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise im Jahr 2005. Im Herkunftsland besuchte der BF drei Jahre lang die Schule. Einer Beschäftigung ging der BF im Herkunftsland nicht nach, seine Eltern besaßen eine kleine Landwirtschaft und versorgten sich selbst.

Der BF lebt im Bundesgebiet zusammen mit seiner Frau, römisch 40 , geb. römisch 40 mit welcher er nach muslimischem Recht verheiratet ist, und seinen fünf Kindern, römisch 40 , geb. römisch 40 , geb. römisch 40 , geb. römisch 40 , geb. römisch 40 geb. römisch 40 im selben Haushalt. Alle verfügen über einen Aufenthaltstitel im österreichischen Bundesgebiet, obsorgeberechtigt ist die Mutter. Der BF zahlt keine Alimente für die Kinder.

Daneben befinden sich auch noch ein Cousin, zwei Brüder sowie eine Schwester des BF mit ihrem Neffen in Österreich und ein Bruder in Belgien.

Im Herkunftsland verfügt der BF über keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte mehr.

Derzeit geht der BF keiner Beschäftigung nach und lebt von Sozialleistungen. Seine Frau arbeitet ebenfalls nicht. Auch der Bruder des BF unterstützt ihn mit Zuwendungen. Der BF verfügt über eine Arbeitsplatzzusage.

Im Bundesgebiet war der BF insgesamt etwa sechs bis acht Monate beruflich tätig und führte unterschiedliche Gelegenheitsjobs aus.

Im Bundesgebiet hat der BF keine Ausbildungen absolviert.

Der BF ist arbeitsfähig und gesund.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 30.01.2008 wurde dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Der BF wurde im Bundesgebiet straffällig und scheint folgende Verurteilung im Strafregisterauszug auf:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen römisch 40 vom 20.04.2017, rechtskräftig am 21.06.2018, römisch 40 , wurde der BF wegen Paragraphen 105, Absatz eins,, 106 Absatz eins, Ziffer eins,, 15 StGB, Paragraph 146, StGB, Paragraph 278, Absatz eins, StGB, Paragraph 50, Absatz eins, Ziffer eins,, 2 und 3 WaffG, Paragraphen 144, Absatz eins,, 145 Absatz eins, Ziffer eins,, Absatz 2, Ziffer 2,, 15 StGB sowie Paragraph 125, StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einigen Mittätern von einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt im Frühjahr 2014 bis Anfang Jänner 2016 den Inhaber eines Cafés sowie weitere Personen unter Androhung und Ausübung von Gewalt sowie unter Ausübung von Sachbeschädigung zur Zahlung von Geldbeträgen in Höhe von mehreren zehntausend Euro nötigte bzw. zu nötigen versuchte. Zudem versuchte der BF im März 2015 eine andere Person durch Drohung mit dem Tode zur Abstandnahme von der Verständigung der Polizei bzw. der Erstattung einer Strafanzeige zu nötigen. Ferner besaß der BF unbefugt Schusswaffen der Kategorie B bzw. verbotene Waffen, obwohl ihm dies gemäß Paragraph 12, WaffG verboten war. Darüber hinaus schädigte der BF den Betreiber einer Tankstelle am Vermögen, indem er vortäuschte, er habe bloß Getränkedosen zu bezahlen und dabei das Tanken des Treibstoffes verschwieg.

Als Strafbemessungsgründe wirkte sich der bisher ordentliche Lebenswandel, der teilweise Versuch sowie das teilweise Geständnis mildernd aus. Als erschwerend kam das Zusammentreffen von Verbrechen mit Vergehen hinzu.

Ferner weist der BF auch in der Slowakei eine Vorstrafe auf, nachdem er ein Fahrzeug für Emigranten und unter anderem russischen Staatsangehörigen zur Verfügung stellte, um diesen den illegalen Grenzübertritt an der ukrainisch-slowakischen Grenze zu ermöglichen. Hierfür wurde der BF zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 14 Monaten verurteilt, wobei die Strafe unter Setzung einer Probezeit von 2 Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Daneben wurde der BF auch mehrfach wegen Verwaltungsübertretungen zu einer Geldstrafe verurteilt. Ferner läuft derzeit ein Ermittlungsverfahren gegen den BF wegen Paragraphen 144, Absatz eins,, 145 Absatz 2, Ziffer eins, StGB, Paragraph 278, Absatz eins, StGB, Paragraph 84, Absatz 4, StGB, Paragraph 28 a, Absatz eins, 5. Fall SMG, aufgrund welchem sich der BF zeitweise auch in Untersuchungshaft befand.

In der Russischen Föderation besteht keine Verfolgung des BF durch die Behörden des Herkunftsstaates.

Eine den BF betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in dessen gemäß Artikel 8, EMRK geschützten Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

Die Umstände, auf Grund derer dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, bestehen aufgrund einer dauerhaften und grundlegenden Änderung der Lage in der Russischen Föderation nicht mehr. Der BF kann es nicht mehr ablehnen, sich unter den Schutz seines Herkunftsstaates zu stellen.

Es wird nicht festgestellt, dass dem BF in der Russischen Föderation – insbesondere in seiner Herkunftsregion Tschetschenien – eine aktuelle Bedrohung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung seitens der Behörden oder privater Personen droht.

Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht ihm kein reales Risiko einer Verletzung der Artikel 2, oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958, (in Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention. Der BF liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Auch die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie stellt kein Rückkehrhindernis dar. Der Beschwerdeführer ist körperlich gesund und gehört mit Blick auf sein Alter von 37 Jahren sowie aufgrund des Fehlens einschlägiger physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Russische Föderation eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

1.2. Zur relevanten Situation im Herkunftsland:

1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über die Russische Föderation vom 21.04.2022, mit Stichtag vom 01.08.2022:

COVID-19-Situation

Letzte Änderung: 02.03.2022

Russland ist von COVID-19 landesweit sehr stark betroffen. Aktuelle und detaillierte Zahlen bietet unter anderem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) [https://covid19.who.int/region/euro/country/ru] (AA 7.1.2022). Die Regionalbehörden in der Russischen Föderation sind für Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 zuständig, beispielsweise in Bezug auf Mobilitätseinschränkungen, medizinische Versorgung und soziale Maßnahmen (RAD 15.2.2021; vergleiche CWRR 11.2.2022).

Einen strengen Lockdown gab es landesweit bislang nur im ersten Halbjahr 2020 (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche RFE/RL 9.2.2022). Von 30.10. bis 7.11.2021 verordnete Präsident Putin einen weiteren Lockdown bzw. eine arbeitsfreie Woche als kurzfristige Maßnahme zur Eindämmung des Coronavirus. In vielen Regionen waren die Einschränkungen teilweise bereits vorher in Kraft getreten (WKO 8.2.2022; vergleiche HB 29.10.2021). Es herrscht eine soziale Distanzierungspflicht für öffentliche Plätze und öffentliche Verkehrsmittel. Der verpflichtende Mindestabstand zwischen Personen beträgt 1,5 Meter (WKO 8.2.2022; vergleiche AA 7.1.2022). In allen öffentlich zugänglichen Räumen und Verkehrsmitteln ist ein Mund-Nasen-Schutz zu tragen (AA 7.1.2022; vergleiche WKO 8.2.2022). Am Arbeitsplatz sind Hygienevorschriften (u.a. Temperaturmessungen, Mundschutz, Desinfektionsmittel, Mindestabstand etc.) einzuhalten. Sport-, Kultur-, Unterhaltungs-, Werbeveranstaltungen und Messen sind erlaubt, wenn die Teilnehmeranzahl 50% der gesamten Raumkapazität nicht übersteigt (WKO 8.2.2022). Bei Verstößen gegen die Hygienevorschriften können hohe Geldstrafen verhängt werden (AA 7.1.2022). Die medizinische COVID-Versorgung erfolgt für die Bevölkerung kostenlos (CWRR o.D.a).

Zu den Impfstoffen, welche in der Russischen Föderation entwickelt wurden und dort eingesetzt werden, zählen: Gam-COVID-Vac (Sputnik römisch fünf), EpiVacCorona, Sputnik Light, EpiVacCorona-N, CoviVac, Konvasėl und Ad5-nCoV (CWRR o.D.b). Aufgrund stark steigender COVID-19-Erkrankungen im Sommer und Herbst 2021 haben mehrere Regionen Russlands Unternehmen im Dienstleistungsbereich verpflichtet, Angestellte gegen COVID-19 zu impfen (WKO 8.2.2022). In Russland ist die Impfskepsis sehr hoch (DS 14.12.2021; vergleiche LM 14.8.2021). In etwa die Hälfte der Bevölkerung ist geimpft. Impfungen sind ab einem Alter von 12 Jahren möglich (RFE/RL 9.2.2022). COVID-Impfungen sind für russische Staatsbürger kostenlos (ÖB Moskau 6.2021). Der Ministerpräsident Michail Mischustin unterzeichnete am 8.9.2021 ein Dekret, wonach für jede Impfung gegen das Coronavirus an die impfenden Ärzte eine Prämie von mindestens 200 Rubel (ca. 2,50 Euro) ausbezahlt werden soll (Russland-Analysen 20.9.2021).

Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger müssen bei den Grenzkontrollen keinen COVID-Test vorlegen, dieser muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger, welche nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne begeben. Russische Staatsbürger, die mit einem in Russland zugelassenen Impfstoff geimpft sind, und genesene russische Staatsbürger dürfen ohne PCR-Test und Quarantäne nach Russland einreisen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden mehrmals wöchentlich von Austrian Airlines, Aeroflot und S7 angeboten. Auch mit anderen Ländern bestehen reguläre Flugverbindungen (WKO 8.2.2022). Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Dauer der Pandemie aufrechterhalten (WKO 8.2.2022; vergleiche AA 7.1.2022).

Staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die russische Wirtschaft sind unterschiedlich und an viele Bedingungen gebunden. Die meisten Hilfsprogramme sind Ende 2020 ausgelaufen. Zu den ersten staatlichen Hilfsmaßnahmen zählten Kredit-, Miet- und Steuerstundungen (ausgenommen Mehrwertsteuer), Reduktion der Sozialabgaben sowie Kreditgarantien und zinslose Kredite. Später kamen Steuererleichterungen sowie direkte Zuschüsse hinzu (WKO 8.2.2022). Die Regierung bietet Exporteuren Hilfe an, eröffnete die Möglichkeit eines Konkursmoratoriums, bot günstige Kredite für Gehaltsauszahlungen an, etc. (CWRR o.D.c). Viele der Maßnahmen waren nur für kleine und mittlere Unternehmen oder bestimmte Branchen zugänglich und hatten einen zweckgebundenen Charakter (beispielsweise gebunden an Gehaltszahlungen oder Arbeitsplatzerhalt) (WKO 8.2.2022). Unterstützung gab es für „systemrelevante“ Unternehmen, außerdem finanzielle Unterstützung der regionalen Budgets. Laut einem Bericht der Menschenrechts-Ombudsperson haben 4,5 Millionen kleine und mittlere Unternehmen während der Pandemie aufgehört zu existieren. Soziale Unterstützungsleistungen hatten v.a. Familien mit Kindern zum Ziel. Zusätzliche Bonuszahlungen gab es für medizinisches Personal (ÖB Moskau 6.2021).

Die Wirtschaft erholt sich wieder (WIIW o.D.). Von Jänner bis August 2021 stieg die Industrieproduktion um +4,5%, was auf die Rohstoffproduktion (+2,1%) und mehr noch auf die verarbeitende Industrie (+5,3%) zurückzuführen ist (WKO 10.2021). Die Inflation der Konsumentenpreise erreichte im Dezember 2021 einen Wert von 8,4% (WIIW o.D.). Im März 2020 fielen die Ölpreise aufgrund des Ölpreiskampfes zwischen Russland und Saudi-Arabien sowie der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie mit einem starken Nachfragerückgang auf die Weltwirtschaft erneut auf ein historisches Tief und führten zu einer Abwertung des Rubels von 25%. Ein starker Ölpreisanstieg von über 50% sorgte 2021 für eine Stärkung des Rubels (WKO 10.2021).

Moskau:

In Moskau herrscht Maskenpflicht. Im öffentlichen Verkehr gelten Maskenpflicht und Distanzregelungen. Konzert-, Sport-, Unterhaltungsveranstaltungen u.Ä. mit mehr als 500 Personen sind nur mit QR-Codes erlaubt (CWRR 11.2.2022). Mindestens 30% aller Arbeitskräfte sowie ältere Arbeitnehmer und chronisch Kranke haben Fernarbeit zu leisten. Ausgenommen sind vollständig Geimpfte und Genesene (CWRR 11.2.2022; vergleiche Mos.ru 11.2.2022). Strafen können auferlegt werden wegen Verletzungen der Maskenpflicht, Nichteinhaltung von Distanzregelungen sowie Quarantäne-Verstößen (Mos.ru o.D.b). Impfungen erfolgen kostenlos (Mos.ru o.D.a). In Moskau gilt eine Impfpflicht für mindestens 80% der Mitarbeiter im Dienstleistungsbereich sowie der städtischen Beamten (CWRR 11.2.2022; vergleiche Mos.ru 11.2.2022). Vollimmunisiert sind aktuell 6.803.415 Personen (CWRR 11.2.2022). Im Moskauer Gebiet herrscht in u.a. folgenden Bereichen eine Impfpflicht: Staatsdienst, öffentliche Dienstleistungen, Bildung, Gesundheitswesen, Tourismus und Gastgewerbe sowie Kultur und Sport (CWRR 11.2.2022). Der Moskauer Bürgermeister beziffert die Ausgaben der Moskauer Behörden zur Bekämpfung des Coronavirus in der Hauptstadt und die Beseitigung der wirtschaftlichen Folgen auf rund 800 Milliarden Rubel (ca. 9,6 Milliarden Euro) (Russland-Analysen 24.1.2022).

St. Petersburg:

In St. Petersburg ist das Tragen von Masken obligatorisch. Im öffentlichen Verkehr gelten Maskenpflicht und Distanzregelungen. Die Durchführung von Massenveranstaltungen ist untersagt (CWRR 11.2.2022; vergleiche Gov.spb 14.2.2022). Für Gastronomiebetriebe gelten beschränkte Öffnungszeiten. Theateraufführungen und Konzerte dürfen nur dann stattfinden, wenn maximal 75% der Plätze belegt sind (CWRR 11.2.2022). Es wird empfohlen, möglichst viele Personen in den Fernarbeitsmodus zu versetzen (Gov.spb 14.2.2022). Personen über 60 Jahren sowie chronisch Kranke haben Fernarbeit zu verrichten (CWRR 11.2.2022). In St. Petersburg gilt eine Covid-Impfpflicht für über 60-Jährige. Außerdem müssen sich chronisch Kranke und Mitarbeiter verschiedener Branchen impfen lassen (z.B. Industriesektor, Bauwesen, Verkehr) (Tass.ru 9.11.2021). 2.961.758 Personen sind vollständig geimpft [ca. 55% der Petersburger; Anmerkung der Staatendokumentation]. 9.699 Betten sind für COVID-Patienten insgesamt verfügbar, wovon 33,04% derzeit unbelegt sind (Gov.spb 16.2.2022).

Tschetschenien:

In Tschetschenien herrscht Maskenpflicht. Im öffentlichen Verkehr sind Masken zu tragen. Personen über 65, Schwangere und Personen mit chronischen Erkrankungen sind in den Fernarbeitsmodus versetzt. Es gilt eine Impfpflicht für Arbeitgeber und Führungskräfte sowie eine Impfpflicht im Dienstleistungssektor (CWRR 11.2.2022). Ungeimpften Personen wird seitens öffentlich Bediensteter mit Entlassung gedroht, mit Verweigerung medizinischer Hilfe etc. (CK 5.7.2021). Für das Erledigen von Einkäufen (z.B. in Apotheken), für den Besuch von Kaffeehäusern usw. ist ein Impfzertifikat erforderlich (CK 5.7.2021; vergleiche CWRR 11.2.2022). Tschetschenien hat mit 65,64% eine der höchsten Impfquoten Russlands. 71,3% der über 60-Jährigen sind geimpft (Chechnya.gov 20.9.2021; vergleiche ÖB Moskau 6.2021). 675.642 Personen sind vollimmunisiert (CWRR 11.2.2022).

Dagestan:

In Dagestan herrscht Maskenpflicht. Veranstaltungssäle dürfen mit maximal 50% der Plätze belegt sein. Es gilt eine Impfpflicht für Mitarbeiter medizinischer Einrichtungen (CWRR 11.2.2022) sowie für Studierende über 18 Jahren (Ria.ru 19.11.2021). Insgesamt wurden in Dagestan bislang 1.135.137 Personen (38,04% der Gesamtbevölkerung) geimpft (E-dag.ru 17.2.2022).

Politische Lage

Letzte Änderung: 02.03.2022

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 1.2021c; vergleiche CIA 5.2.2021). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau (GIZ 1.2021a; vergleiche EASO 3.2017). Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 1.2021a; vergleiche EASO 3.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 1.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vergleiche FH 4.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.com 19.3.2018; vergleiche FH 3.3.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vergleiche OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin (GIZ 1.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 1.2021a; vergleiche FH 3.3.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 3.3.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 1.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen Hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer' das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 1.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 1.2021a; vergleiche AA 1.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 1.2021a).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteienstärke gliedert sich nach den Wahlen von September 2021 wie folgt: Einiges Russland (324 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (57 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (21 Sitze), Gerechtes Russland (27 Sitze) und die neu gegründete Partei Neue Leute (13 Sitze). Alle in der Duma vertretenen Parteien gelten als dem Kreml nahestehend (BAMF 27.9.2021). Diese sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik (SWP 11.2018). Während Präsident Putin und die Zentrale Wahlkommission von einer 'freien und fairen' Abstimmung sprachen, bezeichnete die unabhängige Wahlrechtsorganisation Golos die Wahl mit Blick auf Berichte über massive Unregelmäßigkeiten als 'eine der schmutzigsten' in der Geschichte des Landes. Aufgrund der Wahlfälschungsvorwürfe kam es zu Demonstrationen und Festnahmen (BAMF 27.9.2021).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannt annektierten Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 1.2021a; vergleiche AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 1.2021a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ('exekutive Machtvertikale') deutlich (GIZ 1.2021a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung meist ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer 'smarten Abstimmung' aufgerufen. Die Bürger sollten irgendjemand wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Aufgrund der Eskalation der Ukraine-Krise und der Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine als eigenständige Republiken durch Russland, verhängen die EU und USA scharfe Sanktionen (Tagesspiegel.de 23.2.2022). Auch Kanada, Japan und Australien schließen sich den Sanktionen an (Merkur.de 23.2.2022). Das Sanktionspaket der EU umfasst ein Handelsverbot für russische Staatsanleihen, um eine Refinanzierung des russischen Staates zu erschweren. Zudem sollen mehrere Hundert Personen und Unternehmen auf die EU-Sanktionsliste kommen. Darunter sind jene 350 Abgeordnete des russischen Parlaments, die für die russische Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk in der Ostukraine gestimmt haben, aber auch Banken, die in der Ostukraine Geschäfte machen. Auch sollen die Freihandelsregelungen der EU mit der Ukraine nicht mehr für die Gebiete in der Ostukraine gelten. Von Personen, Organisationen und Unternehmen, die auf die EU-Sanktionsliste gesetzt werden, werden sämtliche in der EU vorhandenen Vermögenswerte eingefroren. Zudem dürfen gelistete Personen nicht mehr in die EU einreisen, und mit den Betroffenen dürfen auch keine Geschäfte mehr gemacht werden. Auch die Zertifizierung der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 wird bis auf weiteres gestoppt. Die USA verbieten Geschäfte in oder mit den beiden von Russland anerkannten Separatistengebieten in der Ostukraine. Weiters werden Sanktionen gegen zwei russische Banken und gegen drei Unterstützer Putins und deren Angehörige verhängt (Tagesspiegel.de 23.2.2022).

Tschetschenien

Letzte Änderung: 15.11.2021

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramsan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat ein Teil von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, beim anderen Teil handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 6.2021).

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche AA 2.2.2021, FH 3.3.2021). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Ramsan Kadyrow bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 6.2021). Bei der Dumawahl im September 2021 gewann die Partei Einiges Russland in Tschetschenien 89,2% der Stimmen. Zeitgleich fand in Tschetschenien auch die Wahl des Republikoberhauptes statt. Amtsinhaber Ramsan Kadyrow gewann diese Wahl nach vorläufigem Ergebnis mit 99,7% der abgegebenen Stimmen (CK 20.9.2021). In Tschetschenien regiert Kadyrow unangefochten autoritär. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche AA 2.2.2021). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 3.3.2021; vergleiche AA 2.2.2021). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, welche ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 3.3.2021; vergleiche ÖB Moskau 6.2021).

Während der mittlerweile über zehn Jahre andauernden Herrschaft des amtierenden Republikoberhauptes Ramsan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny als Staatsikone auszustellen und sich als 'Fußsoldat Putins' zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute 'föderale Machtvertikale' dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum 'inneren Ausland' Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 02.03.2022

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 25.2.2022a; vergleiche EDA 25.2.2022). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 25.2.2022a). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 25.2.2022).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern (SWP 4.2017). Seitdem war der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken sollte (SWP 4.2017; vergleiche Deutschlandfunk 29.9.2020). Der Einsatz in Syrien ist der größte und längste Auslandseinsatz des russischen Militärs seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Zunächst sollten nur die Luftstreitkräfte die syrische Armee unterstützen. Bodentruppen wurden erst später und in geringerem Maße mobilisiert - in Form von Spezialeinheiten und schließlich am Ende des Feldzugs als Militärpolizei. Es gab auch Berichte über den Einsatz privater paramilitärischer Strukturen (DW 29.9.2020). Hier ist vor allem die 'Gruppe Wagner' zu nennen. Es handelt sich hierbei um einen privaten russischen Sicherheitsdienstleister, der nicht nur in Syrien, sondern auch in der Ukraine und in Afrika im Einsatz ist. Mithilfe solcher privaten Sicherheitsdienstleister lässt sich die Zahl von Verlusten des regulären russischen Militärs gering halten (BPB 8.2.2021), und der teure Einsatz sorgt dadurch in der russischen Bevölkerung kaum für Unmut (DW 29.9.2020).

In den letzten Jahren rückte eine weitere Tätergruppe in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpften, wurde auf einige Tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017). Erst im Oktober 2020 wurden bei Spezialoperationen zentralasiatische Dschihadisten in Südrussland getötet und weitere in Moskau und St. Petersburg festgenommen (SN 15.10.2020).

Nachdem Präsident Putin am 21.2.2022 die separatistischen Gebiete Luhansk und Donezk in der Ostukraine als eigenständige Republiken anerkannt hatte (Tagesspiegel 23.2.2022), startete er am 24.2.2022 einen militärischen Großangriff auf die Ukraine (Standard 25.2.2022). Die russischen Streitkräfte griffen das Nachbarland aus mehreren Richtungen an (ORF.at 25.2.2022). Da sich die Kampfhandlungen derzeit auf das Gebiet der Ukraine beschränken, entnehmen Sie detailliertere Informationen bitte dem CMS Ukraine und den dazugehörigen Kurzinformationen der Staatendokumentation. Die Situation wird von der Staatendokumentation einem laufenden Monitoring unterzogen.

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 16.11.2021

Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert, wenngleich das nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche AA 2.2.2021). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff 'low level insurgency' umschrieben (SWP 4.2017).

Ein Risikomoment für die volatile Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten Islamischen Staates (IS), der mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Trotzdem wird sowohl in Tschetschenien als auch in Dagestan immer wieder von bewaffneten Übergriffen berichtet (ÖB Moskau 6.2021).

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpften Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl aufseiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der 'Tschetschenisierung' wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für eine nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem sog. Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden (Deutschlandfunk 28.6.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung (ÖB Moskau 6.2021). Laut dem Leiter des dagestanischen Innenministeriums gab es bei der Bekämpfung des Aufstands in Dagestan einen Durchbruch. Die Aktivitäten der Gruppen, die in der Republik aktiv waren, sind seinen Angaben zufolge praktisch komplett unterbunden worden. Nach acht Mitgliedern des Untergrunds, die sich Berichten zufolge im Ausland verstecken, wird gefahndet. Trotzdem besteht laut Analysten und Journalisten weiterhin die Möglichkeit von Anschlägen durch einzelne Täter (ACCORD 13.1.2020).

[Anmerkung Staatendokumentation:] Bitte vergleichen Sie hierzu auch alle Kapitel zur Allgemeinen Menschenrechtslage (einschließlich der Kapitel zu Tschetschenien, Dagestan und Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein).

Im Jahr 2020 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im gesamten Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller verfügbaren Quartals- und Monatsberichte von Caucasian Knot] bei 56 Personen, davon wurden 45 getötet und 11 verwundet. 42 der Getöteten gehörten bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Tschetschenien sind im Jahr 2020 insgesamt 18 Personen getötet und zwei verwundet worden. 15 der Getöteten gehörten bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Dagestan sind im Jahr 2020 insgesamt neun Personen getötet und eine verwundet worden. Alle Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, die verwundete Person ist den Exekutivkräften zuzurechnen. Drei Getötete gab es in Kabardino-Balkarien und einen Getöteten in Inguschetien (CK 2.7.2020a, CK 2.7.2020b, CK 27.10.2020, CK 24.12.2020, CK 20.2.2021). Von Jänner bis inklusive August 2021 sind 26 Personen im Zuge des Konfliktes im Nordkaukasus getötet werden [Anm.: durch Addieren aller verfügbaren Quartals- und Monatsberichte von Caucasian Knot] (CK 15.4.2021, CK 21.7.2021, CK 12.8.2021, CK 27.9.2021).

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 21.04.2022

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte für Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsperson, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 6.2021). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 3.3.2021). Auch Korruption ist im Justizsystem ein Problem (EASO 3.2017, BTI 2020).

Das russische Justizsystem ist institutionell abhängig von den Untersuchungsbeamten, die häufig die Urteile bestimmen. Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genug Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB Moskau 6.2021). Die Personalkommission des Präsidenten und die Vorsitzenden des Gerichts kontrollieren die Ernennung und Wiederernennung der Richter des Landes, die eher aus dem Justizsystem befördert werden, als unabhängige Erfahrungen als Anwälte zu sammeln. Änderungen der Verfassung, die im Jahr 2020 verabschiedet wurden, geben dem Präsidenten die Befugnis, mit Unterstützung des Föderationsrates, Richter am Verfassungsgericht und am Obersten Gerichtshof zu entfernen, was die ohnehin mangelnde Unabhängigkeit der Justiz weiter schädigt (FH 3.3.2021).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs- und Kassationsverfahren geschaffen wurden sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto 'Schuldvermutung' im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter etc.). Anwälte im Menschenrechtsbereich beklagen ungleiche Spielregeln in Gerichtsverfahren und steigenden Druck gegen die Anwälte selbst (ÖB Moskau 6.2021).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das zur Untergrabung der Souveränität Russlands missbraucht werde (ÖB Moskau 6.2021). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche AA 2.2.2021, USDOS 11.3.2020). Im Juli 2020 wurde diese Rechtsposition auch in der Verfassung verankert und dem russischen Verfassungsgerichtshof das Recht eingeräumt, Urteile zwischenstaatlicher Organe nicht umzusetzen, wenn diese in ihrer Auslegung der Bestimmungen zwischenstaatlicher Verträge nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche AA 2.2.2021). Weiters wurde mit der Verfassungsänderung, die am 4.7.2020 in Kraft trat, das Recht des Föderationsrats, Richter des Verfassungsgerichtshofs auf Vorschlag des Präsidenten zu entlassen, verankert (ÖB Moskau 6.2021). Die Venedig-Kommission des Europarates gab eine Stellungnahme zu den damaligen Entwürfen für Verfassungsänderungen ab. Die Kommission bekräftigte ihre Ansicht, dass die Befugnis des Verfassungsgerichts, ein Urteil des EGMR für nicht vollstreckbar zu erklären, den Verpflichtungen Russlands aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widerspricht (HRW 13.1.2021; vergleiche ÖB Moskau 6.2021). Mit Ende 2020 waren beim EGMR 13.650 Anträge aus Russland anhängig. Im Jahr 2020 wurde die Russische Föderation in 173 Fällen wegen Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt. Besonders zahlreich sind Konventionsverstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (ÖB Moskau 6.2021).

Wegen Russlands Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 hatte der Europarat Russlands Mitgliedschaft zunächst suspendiert. Russland gab kurz darauf seinen Austritt aus dem Europarat nach 26 Jahren Mitgliedschaft bekannt und kam damit einem Beschluss der übrigen Mitgliedsstaaten zuvor. Nach dem endgültigen Ausschluss Russlands aus dem Europarat hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) alle Verfahren gegen Russland vorerst ausgesetzt. Nach Angaben des Gerichts vom Jänner 2022 wurden 24 % der rund 70.000 beim EGMR anhängigen Verfahren von Russen und Russinnen angestrengt. Russland gehört nun nicht länger zu den Unterzeichnerstaaten der EMRK, und seine Bürger können sich nicht mehr an den EGMR wenden (ORF.at 17.3.2022).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer nicht genehmigten friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an (AI 22.2.2018). Bei den Protesten im Zuge der Kommunal- und Regionalwahlen in Moskau im Juli und August 2019, bei denen mehr als 2.600 Menschen festgenommen wurden, wurde teils auf diesen Artikel (212.1) zurückgegriffen (AI 16.4.2020). Im Juli 2017 trat eine weitere neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der 'Absicht' angenommen haben, die 'Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen'. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann. Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die vonseiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 2.2.2021).

Tschetschenien und Dagestan

Letzte Änderung: 02.03.2022

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetschenien und Dagestan. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition (EASO 9.2014).

Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [Anm. d. Staatendokumentation: für Informationen bezüglich Sufismus vergleiche, ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält unter anderem auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten (EASO 9.2014). Die Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art 'alternative Justiz'. Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für die Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015). Tendenzen zur verstärkten Verwendung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Somit herrscht in Tschetschenien ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellen Gewohnheitsrecht (Adat), einschließlich der Tradition der Blutrache, und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen (AA 2.2.2021). Somit bewegt sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechtssysteme einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia (EASO 9.2014). Die Einwohner Tschetscheniens sagen jedoch, dass das fundamentale Gesetz in Tschetschenien 'Ramsan sagt' lautet, was bedeutet, dass Kadyrows gesprochene Aussagen einflussreicher sind als die Rechtssysteme und ihnen möglicherweise sogar widersprechen (CSIS 1.2020).

Die Tradition der Blutrache hat sich im Nordkaukasus in den Clans zur Verteidigung von Ehre, Würde und Eigentum entwickelt. Dieser Brauch impliziert, dass Personen am Täter oder dessen Verwandten Rache für die Tötung eines ihrer eigenen Verwandten üben. Er kommt heutzutage noch vereinzelt vor. Die Blutrache ist durch gewisse traditionelle Regeln festgelegt und hat keine zeitliche Begrenzung (ÖB Moskau 6.2021). Nach wie vor gibt es Clans, die Blutrache praktizieren (AA 2.2.2021).

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Föderationssubjektes zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz gegenüber dem tschetschenischen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechten und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten sowie Friedensgerichten, einem Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017). So musste zum Beispiel im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in die föderalen Kompetenzen fällt (ÖB Moskau 6.2020). Ein neueres Beispiel betrifft die Familie eines ehemaligen Richters am Obersten Gerichtshof in Tschetschenien. Kadyrow hat die Familie zu 'Terroristen' erklärt, da die beiden Söhne als Verаntwortliche hinter einem regimekritischen Telegram-Kanal vermutet werden (Snob 10.2.2022).

Die föderalen Behörden haben nur begrenzte Möglichkeiten, politische Entscheidungen in Tschetschenien zu treffen, wo das tschetschenische Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow im Gegenzug für das Halten der Republik in der Russischen Föderation unkontrollierte Macht erlangt hat (FH 3.3.2021). Die Bekämpfung von Extremisten geht laut Aussagen von lokalen NGOs mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 2.2.2021; vergleiche ÖB Moskau 6.2021). Es gibt ein Gesetz, welches die Verwandten von Terroristen verpflichtet für Schäden zu haften, die bei Angriffen entstanden sind. Menschenrechtsanwälte kritisieren dieses Gesetz als kollektive Bestrafung. Angehörige von Terroristen können auch aus Tschetschenien vertrieben werden (US DOS 11.3.2020; vergleiche ÖB Moskau 6.2021). Grundsätzlich können Tschetschenen an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens flüchten und dort leben, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte rücken (ÖB Moskau 6.2021). Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz (AA 2.2.2021), hierzu gehören neben Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (ÖB Moskau 6.2021) auch Oppositionelle, Regimekritiker und Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, Angehörige der LGBTI-Gemeinschaft und diejenigen, die sich mit Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. seinem Clan überworfen haben. Kadyrow äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen mit einem Fadenkreuz überzogen und auf Instagram veröffentlicht, teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie Feinde des tschetschenischen Volkes seien, oder er ruft ganz unverhohlen dazu auf, sie umzubringen. Nach einem kritischen Artikel über mangelnde Hygiene-Vorkehrungen gegen COVID-19 drohte Kadyrow der Journalistin Elena Milaschina öffentlich (AA 2.2.2021). Dissens und Kritik werden in Tschetschenien weiterhin rücksichtslos unterdrückt (HRW 13.1.2022).

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige werden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

Auch in Dagestan hat sich der Rechtspluralismus – das Nebeneinander von russischem Recht, Gewohnheitsrecht (Adat) und Scharia-Recht – bis heute erhalten. Mit der Ausbreitung des Salafismus im traditionell sufistisch geprägten Dagestan in den 1990er Jahren nahm auch die Einrichtung von Scharia-Gerichten zu. Grund für die zunehmende und inzwischen weit verbreitete Akzeptanz des Scharia-Rechts war bzw. ist u.a. das dysfunktionale und korrupte staatliche Justizwesen, das in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt ist. Die verschiedenen Rechtssphären durchdringen sich durchaus: Staatliche Rechtsschutzorgane und Scharia-Gerichte agieren nicht losgelöst voneinander, sondern nehmen aufeinander Bezug. Auch die Blutrache wird im von traditionellen Clan-Strukturen geprägten Dagestan angewendet. Zwar geht die Regionalregierung dagegen vor, doch sind nicht alle Clans bereit, auf die Institution der Blutrache zu verzichten (AA 2.2.2021).

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 02.03.2022

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), das Untersuchungskomitee und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung (US DOS 11.3.2020).

Das Untersuchungskomitee (SK) ist zuständig für schwere und sehr schwere Straftaten (z.B. Mord, Vergewaltigung, Verbrechen an Minderjährigen, Straftaten im Zusammenhang mit den verfassungsmäßigen Rechten einer Person; Bestechlichkeit und Fehlverhalten von Beamten) (EASO 3.2017).

Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und bekämpft Kriminalität. Die Aufgaben der Föderalen Nationalgarde sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache und dem FSB, die Administrierung von Waffenbesitz, der Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, der Schutz der öffentlichen Sicherheit und der Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil. Zivile Behörden halten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aufrecht. Obwohl das Gesetz Mechanismen für Einzelpersonen vorsieht, um Klagen gegen Behörden wegen Menschenrechtsverletzungen einzureichen, funktionieren diese Mechanismen oft nicht gut. Gegen Beamte, die Missbräuche begangen haben, werden nur selten strafrechtliche Schritte unternommen, um sie zu verfolgen oder zu bestrafen, was zu einem Klima der Straflosigkeit führt (US DOS 11.3.2020), ebenso wendet die Polizei häufig übermäßige Gewalt an (FH 3.3.2021; vergleiche AI 7.4.2021, HRW 13.1.2022).

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden, und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Spätestens 12 Stunden nach der Inhaftierung muss die Polizei den Staatsanwalt benachrichtigen. Die Behörden müssen dem Inhaftierten auch die Möglichkeit geben, seine Angehörigen telefonisch zu benachrichtigen, es sei denn, ein Staatsanwalt stellt einen Haftbefehl aus, um die Inhaftierung geheim zu halten. Die Polizei ist verpflichtet, einen Häftling nach 48 Stunden gegen Kaution freizulassen, es sei denn, ein Gericht beschließt in einer Anhörung, den von der Polizei eingereichten Antrag mindestens acht Stunden vor Ablauf der 48-Stunden-Haft zu verlängern. Der Angeklagte und sein Anwalt müssen bei der Gerichtsverhandlung entweder persönlich oder über einen Videolink anwesend sein. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (US DOS 11.3.2020).

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen 'fremdländischen' Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt (AA 2.2.2021).

Die zivilen Behörden auf nationaler Ebene haben bestenfalls eine begrenzte Kontrolle über die Sicherheitskräfte in der Republik Tschetschenien, die nur dem Republiksoberhaupt, Kadyrow, unterstellt sind (US DOS 11.3.2020; vergleiche ÖB Moskau 6.2021). Kadyrows Macht wiederum gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen 'Kadyrowzy'. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet; ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Rebellenkämpfern. Die Angaben zur zahlenmäßigen Stärke tschetschenischer Sicherheitskräfte fallen unterschiedlich aus. Aufseiten des tschetschenischen Innenministeriums sollen in der Tschetschenischen Republik rund 17.000 Mitarbeiter tätig sein. Diese Zahl dürfte jedoch nach der Gründung der Nationalgarde der Föderation im Oktober 2016 auf 11.000 gesunken sein. Die Polizei hat angeblich 9.000 Bedienstete. Die überwiegende Mehrheit von ihnen sind ethnische Tschetschenen. Nach Angaben des Carnegie Moscow Center wurden die Reihen von Polizei und anderen Sicherheitskräften mit ehemaligen tschetschenischen Separatisten aufgefüllt, die nach der Machtübernahme von Ramsan Kadyrow und dem Ende des Krieges in die Sicherheitskräfte integriert wurden. Bei der tschetschenischen Polizei grassieren Korruption und Missbrauch, weshalb die Menschen bei ihr nicht um Schutz ansuchen. Die Mitarbeiter des Untersuchungskomitees (SK) sind auch überwiegend Tschetschenen und stammen aus einem Pool von Bewerbern, die höher gebildet sind als die der Polizei. Einige Angehörige des Untersuchungskomitees versuchen, Beschwerden über tschetschenische Strafverfolgungsbeamte zu untersuchen, sind jedoch 'ohnmächtig, wenn sie es mit der tschetschenischen OMON [Spezialeinheit der Polizei] oder anderen, Kadyrow nahestehenden ‚unantastbaren Polizeieinheiten‘ zu tun haben' (EASO 3.2017).

Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Sofern keine Strafanzeige vorliegt, kann versucht werden, Untergetauchte durch eine Vermisstenanzeige ausfindig zu machen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem 'langen Arm' des Regimes von Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow nicht sicher. Sicherheitskräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind nach Aussagen von NGOs etwa auch in Moskau präsent. Sie berichten von Einzelfällen aus Tschetschenien, in denen entweder die Familien der Betroffenen oder tschetschenische Behörden (welche Zugriff auf russlandweite Informationssysteme haben) Flüchtende in andere Landesteile verfolgen, sowie von LGBTI-Personen, die gegen ihren Willen nach Tschetschenien zurückgeholt worden sind (AA 2.2.2021).

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 02.03.2022

Im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von Artikel 21 Punkt 2, der Verfassung und Artikel 117, des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamte gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche EASO 3.2017). Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugsbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern häufig nur unzureichend untersucht (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche EASO 3.2017, AA 2.2.2021). Folter ist jedoch noch immer allgegenwärtig, und die Täter bleiben häufig straffrei (AI 7.4.2021; vergleiche HRW 13.1.2022, AA 2.2.2021, US DOS 11.3.2020).

Immer wieder gibt es auch Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und Hafteinrichtungen im gesamten Land (AI 16.4.2020). Laut Amnesty International und dem russischen 'Komitee gegen Folter' kommt es vor allem in Polizeigewahrsam und in den Strafkolonien zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung. Momentan etabliert sich eine Tendenz, Betroffene, die vor Gericht Foltervorwürfe erheben, unter Druck zu setzen, z.B. durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig (AA 2.2.2021). Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Tagen nach der Inhaftierung (US DOS 11.3.2020). Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtlichen Tötungen. Ramsan Kadyrow lässt solche Formen von Gewalt anwenden, um die Kontrolle über die Republik Tschetschenien zu behalten. Diese Aktivitäten finden manchmal über die Grenzen Russlands hinaus statt (FH 3.3.2021).

Im August 2018 veröffentlichte die unabhängige Zeitung Nowaja Gaseta Videos von Wachen, die in Jaroslawl Gefangene organisiert prügelten. Die Behörden verhafteten nach einem öffentlichen Aufschrei mindestens 12 Gefängniswachen, aber die NGO Public Verdict berichtete schon im Dezember 2018 über systematische Misshandlung in einem anderen Gefängnis in der Region. Im Juli 2019 veröffentlichte Public Verdict ein weiteres Video, das anhaltende Misshandlungen in Jaroslawl zeigt. Im November 2020 verurteilten Gerichte elf Gefängniswärter wegen Folter und verurteilten sie zu drei bis vier Jahren Haft. Die Gefängnisdirektoren wurden freigesprochen (FH 3.3.2021).

Korruption

Letzte Änderung: 16.11.2021

Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen, genauso wie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Bestimmungen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti-Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption (SEM 15.7.2016).

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet, und ein zunehmender Mangel an Rechenschaftspflicht ermöglicht es Bürokraten, ungestraft Straftaten zu begehen. Analysten bezeichnen das politische System als Kleptokratie, in der die regierende Elite das öffentliche Vermögen plündert (FH 3.3.2021). Obwohl das Gesetz Strafen für Behördenkorruption vorsieht, bestätigt die Regierung, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird und viele Beamte in korrupte Praktiken involviert sind (USDOS 11.3.2020; vergleiche EASO 3.2017, BTI 2020). Korruption ist sowohl in der Exekutive als auch in der Legislative und Judikative auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (USDOS 11.3.2020; vergleiche EASO 3.2017, BTI 2020). Die meisten Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung sind oft nur symbolischer Natur. Korruptionsvorwürfe der politischen Elite gelten als Instrumente in Machtkämpfen (BTI 2020). Zu den Formen von Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Behördenkorruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen (USDOS 11.3.2020).

Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny dokumentiert regelmäßig Korruptionsfälle auf höchster politischer Ebene, ohne dass die staatlichen Strukturen darauf reagieren (BTI 2020). Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung. 2020 nimmt Russland im Ranking des Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International den 129. Platz von 179 ein (GIZ 1.2021a).

Korruption ist auch in Tschetschenien nach wie vor weit verbreitet. Öffentliche Bedienstete müssen einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete die Zeitung 'Kommersant' den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 6.2021). Die Situation in Tschetschenien zeichnet sich dadurch aus, dass korrupte Praktiken erstens stärker verbreitet sind und zweitens offener ablaufen als im restlichen Russland (SEM 15.7.2016).

Dagestan ist eine der ärmsten Regionen Russlands, bis zu 70% des Budgets stammen aus Subventionen aus Moskau. Auch in Dagestan ist die Gesellschaft in Clans aufgebaut. Nirgendwo sonst in Russland ist der Clan so stark wie in Dagestan, weshalb systemische Korruption in dieser Republik nicht überrascht (WI 25.2.2018). Das staatliche Justizwesen ist in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt (AA 2.2.2021). Zum ersten Mal in der Geschichte der Russischen Föderation wurden Anfang 2018 der Premierminister Dagestans, seine Stellvertreter und der ehemalige Bildungsminister wegen schwerer Korruptionsvorwürfe festgenommen und sofort nach Moskau ausgeflogen. Alle vier standen im Verdacht, Haushaltsmittel aus Sozialprogrammen in großem Umfang veruntreut zu haben (WI 25.2.2018). Wladimir Wassilews Ernennung [zum Republiksoberhaupt von 2018-2020] bekräftigt die Bedeutung von Dagestan für den russischen Staat und die Tatsache, dass Putin nicht länger bereit ist, die von den Subventionen abgezogenen Mittel zu ignorieren (PONARS Eurasia 11.2018). Der Nachfolger Wassilews ist Sergej Melikow. Dieser war davor Vertreter der Region Stawropol im Föderationsrat (BPB 26.10.2020).

Wehrdienst und Rekrutierungen

Letzte Änderung: 16.11.2021

Alle männlichen russischen Staatsangehörigen im Alter zwischen 18 und 27 Jahren werden zur Stellung für den Pflichtdienst in der russischen Armee einberufen. Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche AA 2.2.2021). Der Präsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden. In der Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel bzw. rund 300.000 Rekruten (ÖB Moskau 6.2021). Es gibt in Russland zweimal im Jahr eine Stellung – eine im Frühling, eine im Herbst (Global Security 1.10.2020a). Über die regionale Aufteilung der Wehrpflichtigen entscheidet das Verteidigungsministerium, wobei die Anzahl der Wehrpflichtigen aus den jeweiligen Regionen stark variiert (ÖB Moskau 6.2021). Im Jahr 2020 wurden russlandweit 263.000 Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen (Global Security 1.10.2020a).

Neben dem Grundwehrdienst gibt es auch die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen (dies steht auch weiblichen Staatsangehörigen offen). Nachdem vermehrt vertraglich verpflichtete Soldaten herangezogen werden (ÖB Moskau 6.2021), sinkt die Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht für die russischen Streitkräfte (ÖB Moskau 6.2021, vergleiche Jamestown 10.4.2018). Mitte April 2019 sagte Präsident Putin, dass die Wehrpflicht in Russland allmählich der Vergangenheit angehören wird. 2019 dienen ca. 370.000 Kontraktniki (Vertragssoldaten) in den russischen Streitkräften, im Vergleich zu ca. 260.000 Wehrpflichtigen (WI 19.4.2019). Der Verteidigungsminister stellte die Aufgabe, die Zahl der Vertragssoldaten bis 2025 auf 475.000 zu erhöhen (RBTH 22.4.2019). Im Oktober 2020 äußerte sich der Generaloberst Jewgeni Burdinski, dass es derzeit wohl nicht notwendig sei, auf eine komplette Vertragsarmee umzusteigen, da dies - auch aufgrund der Corona-Pandemie - wohl zu teuer ist (Global Security 1.10.2020b).

Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden als 'untauglich' von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, die ein Studium absolvieren oder die einen nahen Verwandten pflegen müssen, oder durch Väter mehrerer Kinder. Versuche, sich dem Wehrdienst zu entziehen, sind verbreitet, aber rückläufig. Diese Versuche konzentrieren sich vor allem auf das Stadium vor der Einberufung, da nur ein Drittel der jungen Männer, die jährlich das wehrfähige Alter erreichen, tatsächlich eingezogen wird. Etwa ein Drittel ist untauglich, ein Drittel erhält keine Aufforderung, bei der Einberufungskommission vorstellig zu werden. Grundsätzlich gibt es aber keine Rekrutierungsprobleme, da genug junge Männer Grundwehrdienst leisten wollen. Neben einer patriotischen Gesinnung ist ein Grund dafür auch die Tatsache, dass die Ableistung des Grundwehrdienstes Voraussetzung für bestimmte (v.a. staatliche) berufliche Laufbahnen ist. Nichtsdestotrotz gibt es jedes Jahr einige hundert junge Männer, denen der Stellungsbefehl zugestellt wurde, welche die Stellungskommission durchlaufen, die Entscheidung der Stellungskommission zur Einberufung auch nicht beeinspruchen, aber dann dem Einberufungsbefehl nicht Folge geleistet haben. In diesen Fällen gibt es jährlich einige hundert strafrechtliche Verfahren bzw. Verurteilungen wegen Wehrdienstverweigerung (ÖB Moskau 6.2021). Im Durchschnitt erhalten russische Wehrpflichtige ca. 2.000 Rubel (ca. 22€) pro Monat, während professionelle Vertragssoldaten ca. 25.000–35.000 Rubel (275–385€) erhalten. Letztere können auch noch mit einigen zusätzlichen Zahlungen rechnen (WI 19.4.2019).

Im Jahr 2015 wurde durch Staatspräsident Putin ein Dekret erlassen, das die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweiterte und seitdem ausdrücklich die Bekämpfung der Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade oder ältere Wehrpflichtige (Dedowschtschina) sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte umfasst. Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu Dedowschtschina kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit (AA 2.2.2021). Nach grundlegenden Reformen im russischen Heer in den Jahren 2008–2012, die auch Maßnahmen zur Humanisierung des Wehrdienstes sowie einer Reduzierung des Grundwehrdienstes von zwei auf ein Jahr beinhalteten, hat sich die Zahl der Gewaltverbrechen im Heer deutlich reduziert. Offizielle Statistiken dazu werden nicht publiziert. NGOs gehen dennoch von hunderten Gewaltverbrechen pro Jahr im Heer aus. Laut Menschenrechtsvertretern existiert Gewalt in den Kasernen zumindest in bestimmten Militäreinheiten als System und wird von den Befehlshabenden unterstützt oder geduldet (ÖB Moskau 6.2021).

Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie Freiheitsstrafen aufgrund anderer Delikte in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch auch zur Verbüßung von Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 2.2.2021).

Bis ins Jahr 2014 wurden etwa aus Tschetschenien überhaupt keine Wehrpflichtigen eingezogen. Aus Tschetschenien werden nunmehr jährlich ein paar hundert Rekruten einberufen. Nachdem junge Männer aus der Region aber teilweise eine Einberufung anstreben, gibt es Fälle, in denen sie dies durch Anmeldung eines Wohnsitzes in einer anderen Region zu erreichen versuchen (ÖB Moskau 6.2021). Bürger der ehemaligen Sowjetrepubliken können durch den Dienst in den Streitkräften der Russischen Föderation eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erlangen. Erstmalig können sich diese Personen dann nach drei Jahren um die Erteilung der russischen Staatsbürgerschaft bewerben (AA 2.2.2021).

Wehrersatzdienst

Letzte Änderung: 16.11.2021

Das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissens- oder religiösen Gründen wird durch Artikel 59, Absatz 3, der Verfassung garantiert (AA 2.2.2021). Ein alternativer Zivildienst kann abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die persönliche (politische, pazifistische) Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht, oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditionelle Lebensweise dem Wehrdienst widerspricht (ÖB Moskau 6.2021). Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate als ziviles Personal bei den russischen Streitkräften, was in der Praxis kaum vorkommt, bzw. 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche AA 2.2.2021). Der Zivildienst wird im Normalfall bei einem staatlichen Dienst, wie z.B. einer Klinik oder der Feuerwehr, abgeleistet. Die Anzahl der Berufe, in denen der Ersatzdienst geleistet werden kann, wurde 2019 von 114 auf 140 erhöht (AA 2.2.2021). Mit Stand vom Februar 2021 absolvierten laut Angaben der Föderalen Agentur für Arbeit und Beschäftigung 1.224 Personen in Russland einen alternativen Zivildienst (Rostrud 1.2.2021). Vereinzelt kommt es zu gerichtlichen Verfahren, etwa wenn die pazifistische Gesinnung eines Wehrpflichtigen in Zweifel steht (ÖB Moskau 6.2021).

Wehrdienstverweigerung

Letzte Änderung: 16.11.2021

Für Wehrdienstverweigerer sind folgende Strafen vorgesehen: Geldstrafen von bis zu 200.000 Rubel [ca. 2.700€] oder in der Höhe von 18 Monatslöhnen des Verurteilten sowie Freiheitsentzug von sechs Monaten bis zu zwei Jahren. Für die Weigerung, den alternativen Zivildienst zu absolvieren, ist eine Geldstrafe von bis zu 80.000 Rubel [ca. 1.100€] oder in der Höhe von sechs Monatslöhnen vorgesehen bzw. bis zu sechs Monate Haft. In den letzten Jahren wurden keine Haftstrafen, sondern in der Regel Geldstrafen in der Höhe von ca. 20.000-100.000 Rubel (ca. 300-1.500 Euro) verhängt (ÖB Moskau 6.2021). Seit einer gesetzlichen Neuregelung im Juli 2017 ist Wehrdienstverweigerern der Eintritt in den Staatsdienst für eine Dauer von zehn Jahren verboten (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche Jamestown 8.11.2017). Die Zahl der Wehrdienstverweigerer hat sich von 2016 bis 2018 halbiert und lag laut offiziellen Angaben vom Oktober 2018 bei 1.600 Personen (Global Security 1.10.2020).

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 02.03.2022

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegende Zahl der anhängigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Stärkung des Gerichtshofs (GIZ 1.2021a). Die Verfassung postuliert die Russische Föderation als Rechtsstaat. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Artikel 19, Absatz 2,). Für die Russische Föderation gibt es, wie für jedes der Föderationssubjekte, einen Menschenrechtsbeauftragten. Die Amtsinhaberin Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Artikel 15, Absatz 4, der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland hat folgende UN-Übereinkommen ratifiziert (AA 2.2.2021):

●             Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)

●             Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)

●             Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)

●             Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)

●             Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)

●             Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)

●             Behindertenrechtskonvention (AA 2.2.2021).

Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 309 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat 94 dieser Empfehlugen nicht angenommen und weitere 34 lediglich teilweise angenommen. Die nächste Sitzung für Russland im UPR-Verfahren wird im Mai 2023 stattfinden. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert. Finanzielle Entschädigungen werden üblicherweise gewährt, dem vom EGMR monierten Umstand aber nicht abgeholfen [Anm.: Zur mangelhaften Umsetzung von EGMR-Urteilen durch Russland vergleiche Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 2.2.2021). Besorgnis wurde u.a. auch hinsichtlich der Missachtung der Urteile von internationalen Menschenrechtseinrichtungen (v.a. des EGMR), des fehlenden Zugangs von Menschenrechtsmechanismen zur Krim, der Medienfreiheit und des Schutzes von Journalisten, der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und ethnischer Herkunft geäußert (ÖB Moskau 6.2021).

Durch eine zunehmende Einschränkung der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Gesetzgebung und Praxis wurde die Menschenrechtsbilanz Russlands weiter verschlechtert. Wer versuchte, diese Rechte wahrzunehmen, musste mit Repressalien rechnen, die von Schikane bis hin zu Misshandlungen durch die Polizei, willkürlicher Festnahme, hohen Geldstrafen und in einigen Fällen auch Strafverfolgung und Inhaftierung reichten (AI 16.4.2020; vergleiche ÖB Moskau 6.2021).

Einerseits wird in Russland soziales Engagement und freiwillige soziale Arbeit (etwa auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie) begrüßt und unterstützt. Sogenannte 'Bürgerkammern' sollen als Dialogplattform zwischen der Bevölkerung und dem Staat dienen. Andererseits wurde der Freiraum für eine kritische Zivilgesellschaft seit den Protesten 2011/2012 immer weiter eingeschränkt. Im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet. Kritische inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt (ÖB Moskau 6.2021) und sehen sich in manchen Fällen sogar Bedrohungen oder tätlichen Angriffen bzw. strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche FH 3.3.2021, HRW 13.1.2022). Der Einfluss des konsultativen 'Rats beim Präsidenten der Russischen Föderation für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte' unter dem Vorsitz von Waleri Fadejew ist begrenzt. Er befasst sich in der Regel nicht mit Einzelfällen, sondern mit grundsätzlichen Fragen wie Gesetzesentwürfen, und seine Stellungnahmen zu dem Verlauf von Demonstrationen im Sommer 2019 in Moskau blieben ohne Folge (AA 2.2.2021).

Rassismus und Xenophobie richten sich in Russland traditionell vor allem gegen Migranten aus Zentralasien, Personen aus dem Kaukasus und vermehrt auch gegen dunkelhäutige Personen. Weitere Opfer von Hassverbrechen sind ideologische Gegner (Angriffe v.a. der nationalistischen Gruppierung SERB), LGBTIQ-Personen und Obdachlose. Die Zahl rassistischer Morde und Gewaltverbrechen in den vergangenen Jahren ist gesunken, und insbesondere Angriffe durch Neonazi-Gruppierungen sind beträchtlich zurückgegangen. Anti-LGBTIQ-Rhetorik ist nunmehr eine der am weitesten verbreiteten Formen von Hassreden. Der Islam wird häufig mit Terrorismus in Verbindung gebracht. Die häufigsten Opfer rassistischer Gewalt sind Zentralasiaten, andere 'nicht-slawisch' aussehende Personen, Roma und dunkelhäutige Personen. Die Zahl der Opfer bei Hassverbrechen ist zwar klar geringer als noch vor 10 Jahren, dennoch aber nicht unbedeutend. Keinen Rückgang gab es bei Angriffen gegen Mitglieder oppositioneller Gruppierungen (ÖB Moskau 6.2021).

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Den Hintergrund bilden in ihrem Ausmaß weiter rückläufige bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien und Inguschetien (AA 2.2.2021). Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend 'Aufständische' und Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019).

Tschetschenien

Letzte Änderung: 02.03.2022

NGOs beklagen regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen mitunter Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten, aber auch Einzelpersonen, welche das Regime kritisieren (ÖB Moskau 6.2021). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien evakuiert werden. Das Republiksoberhaupt von Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen mit einem Fadenkreuz überzogen und auf Instagram veröffentlicht, teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie Feinde des tschetschenischen Volkes seien, oder er ruft ganz unverhohlen dazu auf, sie umzubringen. Nach einem kritischen Artikel über mangelnde Hygiene-Vorkehrungen gegen COVID-19 drohte Kadyrow der Journalistin Jelena Milaschina öffentlich (AA 2.2.2021).

Tendenzen zur verstärkten Verwendung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Es herrscht ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellem Gewohnheitsrecht (adat) einschließlich der Tradition der Blutrache und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen. Nach wie vor gibt es Clans, welche Blutrache praktizieren (AA 2.2.2021). Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert, der zu dem Schluss kam, dass in Tschetschenien das Recht de facto von den Machthabenden diktiert wird und die Rechtsstaatlichkeit nicht wirksam ist. Es scheint generell Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane zu herrschen (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche BAMF 11.2019).

2017 und laut der NGO LGBTI Network in geringem Ausmaß bis 2019 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 2.2.2021; vergleiche ÖB Moskau 6.2021, HRW 17.1.2019). Es gibt Berichte über Personen, die nach Folterungen gestorben sind [vgl. Kapitel Sexuelle Minderheiten] (FH 3.3.2021). Die unabhängige Zeitung Nowaja Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angeblichen außergerichtlichen Tötungen von 27 Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten. Im März 2018 entschied das Ermittlungskomitee der Russischen Föderation, kein Strafverfahren in der Sache zu eröffnen. Die russische Menschenrechtsombudsperson wurde Berichten zufolge bei der Untersuchung dieser Vorgänge in Tschetschenien bewusst getäuscht. Im März 2021 publizierte die Nowaja Gazeta die Aussagen eines tschetschenischen Polizisten, welcher Augenzeuge der Festnahmen und außergerichtlichen Tötungen war (ÖB Moskau 6.2021).

Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Caucasian Knot, auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von der unabhängigen Tageszeitung Nowaja Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen homosexuelle Männer berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Nowaja Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht (AI 22.2.2018). Schikanen, Strafverfahren und körperliche Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger werden weiterhin begangen (AI 7.4.2021). Im Februar 2020 wurden die bekannte Journalistin der Nowaja Gazeta, Jelena Milaschina, und eine Menschenrechtsanwältin angegriffen und mit Schlägen traktiert. Die Nowaja Gazeta verlangte eine Entschuldigung des Republiksoberhauptes von Tschetschenien. Die Union der russischen Journalisten und das Helsinki Komitee verurteilten diesen Vorfall aufs Schärfste. Auch die OSZE und die russische Menschenrechtsorganisation Komitee gegen Folter verlangen von den russischen Behörden eine Aufklärung des Vorfalls (Moscow Times 7.2.2020). In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte über Personen, die bloß aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten (ÖB Moskau 6.2020). [Bezüglich Morde bzw. Vorfälle gegen tschetschenische Kritiker in Europa und Russland siehe Kapitel Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein].

Die Sicherheitslage hat sich deutlich verbessert und kann als stabil, wenn auch volatil, bezeichnet werden. Die Stabilisierung erfolgte jedoch um den Preis gravierender Menschenrechtsverletzungen, das heißt menschen- und rechtsstaatswidriges Vorgehen der Behörden gegen Extremismusverdächtige und äußerst engmaschige Kontrolle der Zivilgesellschaft. Regimekritiker und Menschenrechtler müssen mit Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten und physischen Übergriffen bis hin zu Mord rechnen. Auch in diesen Fällen kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen (AA 2.2.2021).

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 16.11.2021

In der Russischen Föderation herrscht laut Gesetz Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 11.3.2020). In einigen Fällen schränkten die Behörden diese Rechte jedoch ein. Die meisten Russen können jederzeit ins Ausland reisen, aber ca. vier Millionen Mitarbeiter des Militär- und Sicherheitsdiensts wurden nach den im Jahr 2014 erlassenen Regeln vom Auslandsreiseverkehr ausgeschlossen (US DOS 11.3.2020; vergleiche FH 3.3.2021).

Tschetschenen steht, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestanern etc.], das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes und auf Aufenthalt in der Russischen Föderation zu (AA 2.2.2021; vergleiche ÖB Moskau 6.2021). Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses. Wer über Immobilienbesitz verfügt, bleibt dort ständig registriert, mit Eintragung im Inlandspass. Wer zur Miete wohnt, benötigt eine Bescheinigung seines Vermieters und wird damit vorläufig registriert. In diesen Fällen erfolgt keine Eintragung in den Inlandspass (AA 2.2.2021). Einige regionale Behörden schränken die Registrierung vor allem von ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein [bez. Registrierung vergleiche Kapitel Meldewesen] (FH 3.3.2021).

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist stark angewachsen; 200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben. Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Einstellungen (AA 2.2.2021; vergleiche ADC Memorial, CrimeaSOS, Sova Center for Information and Analysis, FIDH 2017).

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 2.2.2021). Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihren Inlandsreisepass mit sich führen (US DOS 11.3.2020; vergleiche FH 3.3.2021). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018; vergleiche FH 3.3.2021).

Meldewesen

Letzte Änderung: 16.11.2021

Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanenten und temporären Wohnort registrieren (EASO 8.2018; vergleiche AA 2.2.2021, US DOS 11.3.2020). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde, wo eine Person wohnt, und funktioniert relativ problemlos (DIS 1.2015; vergleiche EASO 8.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen Gosuslugi oder per E-Mail (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung, etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren, braucht man einen Pass, einen Antrag auf Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse aus beantragt werden. Auch die Beendigung einer Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 8.2018).

Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung vorgenommen werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tage dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag auf temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf Camping-Plätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 8.2018).

Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe (Arbeitslosengeld, Pension, etc.) und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12.2011; vergleiche ÖB Moskau 6.2021).

Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, Sova Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung aber auch für Tschetschenen kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korruptem Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 1.2015; vergleiche EASO 8.2018).

Tschetschenen innerhalb der Russischen Föderation und Westeuropas

Letzte Änderung: 16.11.2021

Die Bevölkerung in Tschetschenien ist inzwischen laut offiziellen Zahlen auf 1,5 Millionen angewachsen. Gemäß Aussagen des Republiksoberhaupts Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 6.2021). Zwischen 2008 und 2015 haben laut offiziellen Zahlen 150.000 Tschetschenen die Republik verlassen. Sie zogen sowohl in andere Regionen in der Russischen Föderation als auch ins Ausland. Als Gründe für die Abwanderung werden ökonomische, menschenrechtliche und gesundheitliche Gründe genannt. In Tschetschenien arbeiten viele Personen im informellen Sektor und gehen daher zum Arbeiten in andere Regionen, um Geld nach Hause schicken zu können. Tschetschenen leben überall in der Russischen Föderation (EASO 8.2018). Laut der letzten Volkszählung von 2010 leben die meisten Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens, z.B. in Moskau (über 14.000 Personen), in Inguschetien (knapp 19.000 Personen), in der Region Rostow (über 11.000 Personen), in der Region Stawropol (knapp 12.000 Personen), in Dagestan (über 93.000 Personen), in der Region Wolgograd (knapp 10.000 Personen) und in der Region Astrachan (über 7.000 Personen) (EASO 8.2018; vergleiche ÖB Moskau 6.2021). Die Zahlen sind aber nicht sehr verlässlich, da bei der Volkszählung ein großer Teil der Bevölkerung die ethnische Zugehörigkeit nicht angab. Beispielsweise soll die tschetschenische Bevölkerung in der Region Wolgograd um das doppelte höher sein, als die offiziellen Zahlen belegen. Viele Tschetschenen leben dort seit 30 Jahren und sind in unterschiedlichsten Bereichen tätig. In St. Petersburg beispielsweise sollen laut Volkszählung knapp 1.500 Tschetschenen leben, aber allein während des zweiten Tschetschenienkrieges (1999-2009) kamen 10.000 Tschetschenen aufgrund des Mangels an Arbeitsplätzen in Tschetschenien in die Stadt, um in St. Petersburg zu leben und zu arbeiten. Die soziale Zusammensetzung der tschetschenischen Bevölkerung dort ist unterschiedlich, aber die meisten sprechen ihre Landessprache und halten die nationalen Traditionen hoch. Tschetschenen in St. Petersburg sehen sich selbst nicht unbedingt als eine engmaschige Diaspora. Sie werden eher durch kulturelle Aktivitäten, die beispielsweise durch die offizielle Vertretung der tschetschenischen Republik oder den sogenannten „Wajnach-Kongress“ (eine Organisation, die oft auch als 'tschetschenische Diaspora' bezeichnet wird) veranstaltet werden, zusammengebracht. Auch in Moskau ist die Anzahl der Tschetschenen um einiges höher, als die offiziellen Zahlen zeigen. Gründe hierfür sind, dass viele Tschetschenen nicht an Volkszählungen teilnehmen wollen, oder auch, dass viele Tschetschenen zwar in Moskau leben, aber in Tschetschenien ihren Hauptwohnsitz registriert haben [vgl. hierzu Kapitel Bewegungsfreiheit, bzw. Meldewesen] (EASO 8.2018). In vielen Regionen gibt es offizielle Vertretungen der tschetschenischen Republik, die kulturelle und sprachliche Programme organisieren und auch die Rechte von einzelnen Personen schützen (Telegraph 24.2.2016; vergleiche EASO 8.2018). Diese kleinen Büros versuchen auch, den Handel zwischen den Regionen zu fördern. In ganz Russland gibt es ein Netz von 50 dieser offiziellen Vertretungen der tschetschenischen Republik. Obwohl es den Büros prinzipiell möglich wäre, Informationen zu einer bestimmten Person nach Grosny weiterzuleiten, können diese Vertretungen nicht als Knotenpunkt für das Sammeln von Informationen angesehen werden. Sie tätigen auch sonst keine weiteren, direkteren Aktionen. Obwohl die tschetschenischen Gemeinden in Russland Kadyrow teilweise behilflich bei der Ausübung von Druck auf hochrangige/bekannte Kritiker sind, scheint es keine Beweise zu geben, dass sie Informationen weitergeben (Galeotti 2019).

Laut einer Analyse der Jamestown Foundation soll die tschetschenische Diaspora in Europa rund 150.000 Personen umfassen, die tschetschenische Diaspora in Österreich zählt rund 35.000 Personen. Das tschetschenische Republiksoberhaupt hat verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrechterhalten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger im Ausland gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Abgesehen davon sind auch vereinzelte Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt geworden. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Aus menschenrechtlicher Perspektive herrscht die Einschätzung vor, dass tatsächlich Verfolgte sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können (ÖB Moskau 6.2021). Viele Personen innerhalb der Elite, einschließlich der meisten Leiter des Sicherheitsapparates, misstrauen und verachten Kadyrow (Al Jazeera 28.11.2017). Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gelten dessen Möglichkeiten zur Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht ausgeschlossen werden. Prominente Beispiele sind die Brüder Yamadayev, von denen einer in Moskau (2008) und ein anderer in Dubai (2009) getötet wurde, während ein dritter sich mit Kadyrow ausgesöhnt haben soll, oder Umar Israilow, welcher 2009 in Wien ermordet wurde. Rezente Beispiele aus dem Jahr 2020 sind der Mord an Mamikhan Umarov alias Martin Beck (Anzor aus Wien), der Mord an Zelimkhan Khangoshvili in Berlin, der Mord an Imran Aliyev in Lille/Frankreich und der Angriff auf Tumso Abdurakhmanov in Gävle/Schweden (ÖB Moskau 6.2021) [vgl. dazu Kapitel Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein].

Grundsätzlich können Tschetschenen an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens flüchten und dort leben. Dies gilt für alle Einwohner des Nordkaukasus. Wird jemand allerdings offiziell von der Polizei gesucht, so ist es für die Behörden möglich, diesen aufzufinden und zurück in den Nordkaukasus zu bringen. Dies gilt nach Einschätzung von Experten aber auch für Flüchtlinge in Europa, der Türkei und so weiter, falls das Interesse an der Person groß genug ist (ÖB Moskau 6.2021). Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Sofern keine Strafanzeige vorliegt, kann versucht werden, Untergetauchte durch eine Vermisstenanzeige ausfindig zu machen (AA 2.2.2021). Es kann sein, dass die tschetschenischen Behörden nicht auf diese offiziellen Wege zurückgreifen, da diese häufig lang dauern und so ein Fall auch schlüssig begründet sein muss (DIS 1.2015). Trotz der Rolle nationaler Datenbanken und Registrierungsgesetze, die eine Rückverfolgung von Personen ermöglichen, besteht für betroffene Personen ein gewisser Spielraum, Anonymität und Sicherheit in Russland zu finden, allerdings abhängig von den spezifischen Umständen. Die russischen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden sind im Allgemeinen oft nicht bereit, als tschetschenische Vollstrecker aufzutreten, da sie oft skeptisch gegenüber Forderungen aus Grosny sind. Die föderalen Sicherheitsbehörden machen einen deutlichen Unterschied zwischen der Behandlung von Personen, die wegen Verbrechen in Tschetschenien gerichtlich verurteilt wurden, und von jenen, welchen nur vorgeworfen wird, Verbrechen begangen zu haben. Insofern ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Tschetschene, der von Tschetschenien aus verfolgt wird, anderswo in Russland aktiv misshandelt wird, wenn nicht bereits ein Gerichtsurteil ergangen ist oder andere Behörden - im Wesentlichen der Inlandsgeheimdienst FSB, Generalstaatsanwaltschaft, Untersuchungskommission - davon überzeugt sind, dass ein substanzielles politisches Fehlverhalten oder ein Fall von organisierter Kriminalität vorliegt (Galeotti 2019). Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich aber häufig auch in russischen Großstädten vor Ramsan Kadyrow nicht sicher (AA 2.2.2021), da bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, auch in Moskau präsent sind (AA 2.2.2021; vergleiche EASO 8.2018, New York Times 17.8.2017). Wie viele bewaffnete tschetschenische Kräfte es in Moskau gibt, ist schwer zu sagen. Jedenfalls ist immer wieder die Rede davon, dass Kadyrow tausend, wenn nicht sogar Tausende Loyalisten aufbringen kann, die fähig und bereit sind, gegen das Gesetz zu handeln. Dies scheint jedoch höchst fragwürdig. Es gibt auch weniger als hundert Beamte, die offiziell bei den tschetschenischen Sicherheitskräften akkreditiert sind und berechtigt sind, in Moskau zu operieren (Galeotti 2019).

Relative Anonymität und Sicherheit bieten russische Städte, die groß genug sind, um als Neuankömmling nicht aufzufallen, und die weniger stark polizeilich überwacht sind als beispielsweise Moskau und St. Petersburg. Moskau und St. Petersburg sind insofern 'gefährlicher', als sie tendenziell dichter kontrolliert werden, ihre Kommunikationsinfrastruktur moderner ist und die Behörden wachsamer sind. Viel schwieriger ist es, sich in Moskau versteckt zu halten, da hier zum Beispiel viele Dokumentenkontrollen durchgeführt werden, routinemäßig bei Benutzung der U-Bahn die Registrierungen von Mobiltelefonen überprüft und neue Gesichtserkennungssysteme erprobt werden, die mit Straßenkameras verbunden sind. In geringerem Maße gilt vieles davon auch für St. Petersburg (Galeotti 2019).

Grundversorgung

Letzte Änderung: 10.06.2021

2019 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 73 Millionen, somit ungefähr 62% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49% (WKO 4.2021). Die Arbeitslosigkeit befindet sich im Landesdurchschnitt auf einem moderaten Niveau (GIZ 1.2021b) und wird für das Jahr 2021 auf 5,2% prognostiziert (Statista 19.10.2020). Sie kann regional jedoch stark abweichen. Russische Staatsbürger haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 2019). Das BIP lag 2020 bei ca. 1.474 Milliarden US-Dollar. Dies entspricht einem Rückgang um ca. 3%(WKO 4.2021).

Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der weltweiten Gasreserven (25,2%), circa 6,3% der weltweiten Ölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt jedoch zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 70% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2020 den 94. Platz [2019 Platz 98] unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen. Die Erhöhung des allgemeinen Satzes der Mehrwertsteuer von 18% auf 20% am Jahresanfang 2019 belastete die Verbrauchernachfrage. Das Wirtschaftsministerium prognostiziert für das Wirtschaftswachstum 2021 nur ein Plus von 2,8%. Langfristig befürchten Ökonomen und Behörden ein Erlahmen der Konjunktur, wenn strukturelle Reformen ausbleiben. Diese seien wegen des Rückgangs der erwerbstätigen Bevölkerung und der starken Abhängigkeit Russlands vom Öl- und Gasexport erforderlich (GIZ 1.2021b).

Die primäre Versorgungsquelle der Russen bleibt ihr Einkommen. Staatliche Hilfe können Menschen mit Beeinträchtigungen, Senioren und Kinder unter drei Jahren erwarten. Fast 14% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze, die dem per Verordnung bestimmten monatlichen Existenzminimum von derzeit 12.130 Rubel [ca. 134 €] entspricht. Die russische Akademie der Wissenschaften veranschlagt das tatsächliche erforderliche Existenzminimum dagegen bei 33.000 Rubel [ca. 366 €]. Vollbeschäftigte erhalten den Mindestlohn (derzeit 12.130 Rubel [ca. 134 €]), der jährlich zum 1.1. auf die Höhe des Existenzminimums im 2. Quartal des Vorjahres angehoben wird. Für Einkommen unter dem Existenzminimum besteht die Möglichkeit der Aufstockung bis zur Höhe des Existenzminimums. Trotz der wiederholten Anhebungen der durchschnittlichen Bruttolöhne sind die real zur Verfügung stehenden Einkommen seit sechs Jahren rückläufig. Expertenschätzungen zufolge gibt es derzeit mindestens 25 Mio. illegal Beschäftigte. Die Verarmungsentwicklung ist vorwiegend durch niedrige Löhne verursacht, die insbesondere eine Folge der auf die Schonung der öffentlichen Haushalte zielenden Lohnpolitik sind (zwei Drittel aller Einkommen werden von staatlichen Unternehmen oder vom Staat bezahlt, der die Löhne niedrig hält). Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15 - 20% für abhängig Beschäftigte ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen der Arbeitgeber aufgrund fehlender Fortbildungen als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21,6%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Auch Migranten verdienen oft nur den Mindestlohn (AA 2.2.2021).

Als besonders armutsgefährdet gelten Familien mit Kindern, vor allem Großfamilien, Alleinerziehende, Pensionisten und Menschen mit Beeinträchtigungen. Weiters gibt es regionale Unterschiede. In den wirtschaftlichen Zentren, wie beispielsweise Moskau oder St. Petersburg, ist die offizielle Armutsquote nur halb so hoch wie im Landesdurchschnitt (knapp 14%), wohingegen beispielsweise in Regionen des Nordkaukasus jeder fünfte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen muss. Auch ist prinzipiell die Armutsgefährdung am Land höher als in den Städten. Die soziale Absicherung ist über Pensionen, monatliche Geldleistungen für bestimmte Personengruppen (beispielsweise Kriegsveteranen, Menschen mit Beeinträchtigungen, Veteranen der Arbeit) und Mutterschaftsbeihilfen organisiert [bitte vergleichen Sie hierzu Kapitel Sozialbeihilfen] (Russland Analysen 21.2.2020a).

Die EU hat die Verlängerung der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes bis Ende Juli 2021 beschlossen (Presse.com 10.12.2020).

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 02.03.2022

Die nordkaukasischen Republiken stechen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 1.2021a). Die Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus ist laut Experten unter den höchsten in Russland. Bei einer Sitzung zur Entwicklung des Nordkaukasus im Juni 2021 bezeichnete Ministerpräsident Mischustin die Situation als nicht einfach (ÖB Moskau 6.2021). Trotzdem ist zu sagen, dass sich die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert haben (AA 2.2.2021).

Der monatliche Durchschnittslohn lag in Tschetschenien im September 2021 bei 24.876 Rubel [ca. 292 Euro], landesweit bei 44.919 Rubel [ca. 526 Euro] (Rosstat o.D.). Die durchschnittliche Pensionshöhe lag in Tschetschenien im Oktober 2021 bei 13.845 Rubel [ca. 162 Euro] (Chechenstat 2022), landesweit bei 15.801 Rubel [ca. 185 Euro] (Rosstat 1.12.2021). Die durchschnittliche Höhe des Existenzminimums für das Jahr 2022 beträgt in Tschetschenien für die erwerbsfähige Bevölkerung 13.241 Rubel [ca. 154 Euro], für Pensionisten 10.447 Rubel [ca. 121 Euro] und für Kinder 11.784 Rubel [ca. 137 Euro] (Chechenstat 2022). Landesweit liegt das durchschnittliche Existenzminimum für das Jahr 2022 für die erwerbsfähige Bevölkerung bei 13.793 Rubel [ca. 161 Euro], für Pensionisten bei 10.882 Rubel [ca. 127 Euro] und für Kinder bei 12.274 Rubel [ca. 143 Euro] (RIA Nowosti 21.11.2021; vergleiche Gosudarstvennaja Duma 2022). Der Mindestlohn beträgt im Jahr 2022 13.890 Rubel [ca. 163 Euro] pro Monat (Gosudarstvennaja Duma 2022).

Sozialbeihilfen

Letzte Änderung: 16.11.2021

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem. Dieses bietet bedürftigen Personen Hilfe an (IOM 2020). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Pensionsfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Pensionsfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Alterspensionen gezahlt. Das Pensionsalter beträgt 60 Jahre bei Männern und 55 Jahre bei Frauen. Da dieses Modell aktuell die Pensionen nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Pensionsreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Die Regierung hat am 14.6.2018 einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Pensionseintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten fanden Demonstrationen gegen die geplante Pensionsreform statt. Präsident Putin reagierte auf die Proteste und gab eine Abschwächung der Reform bekannt. Das Pensionseintrittsalter für Frauen erhöht sich um fünf anstatt acht Jahre; Frauen mit drei oder mehr Kindern dürfen außerdem früher in Pension gehen (GIZ 1.2021c).

Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 1.2021c).

Vor allem auch zur Förderung einer stabileren demografischen Entwicklung gibt es ein umfangreiches Programm zur Unterstützung von Familien, vor allem mit Kindern unter drei Jahren: z.B. eine Aufstockung des Existenzminimums ab 2020 bis auf das Zweifache, das sogenannte Mutterschaftskapital in Form einer bargeldlosen, zweckgebundenen Leistung sowie besondere Leistungen zur Corona-Krise wie etwa eine einmalige Auszahlung an Kinder im Alter von drei bis 16 Jahre in Höhe von 10.000 Rubel [ca. 111 €], monatliche Auszahlungen an Kinder bis drei Jahre in Höhe von 5.000 Rubel [ca. 55 €] (dreimal für April, Mai und Juni ausgezahlt), monatliche Auszahlungen in Höhe von 3.000 Rubel [ca. 33 €] an Kinder bis 18 Jahre, deren Eltern offiziell als arbeitslos gemeldet sind (AA 2.2.2021).

Personen im Pensionsalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Alterspension. Rückkehrende müssen für mindestens 10 Jahre Pensionsversicherungsbeiträge eingezahlt haben. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht notwendig. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (IOM 2020). Seit dem Jahr 2010 werden Pensionen, die geringer als das Existenzminimum für Pensionisten sind, aufgestockt – insofern sind sie vor existenzieller Armut geschützt (Russland Analysen 21.2.2020a). Die Pensionen der nicht arbeitenden Pensionisten werden seit 2019 vor der jährlichen Indexierung auf die Höhe des Existenzminimums angehoben. Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension in Russland bei 14.904 Rubel [ca. 165 €] (AA 2.2.2021).

Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie ältere Menschen (IOM 2020). Das von EASO betriebene europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, welchen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

●             Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);

●             Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten [Wasser, Gas, Elektrizität, etc.]);

●             Familien mit geringem Einkommen;

●             Studierende, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015). 2018 profitierten von diesen Leistungen für bestimmte Kategorien von Bürgern auf föderaler Ebene 15,2 Millionen Menschen. In den Regionen könnte die Zahl noch höher liegen, da die Föderationssubjekte für den größten Teil der monatlichen Geldleistungen aufkommen (Russland Analysen 21.2.2020a).

Familienbeihilfe

Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.142 Rubel (ca. 43 €). Beim zweiten Kind sowie bei weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.284 Rubel (ca. 86 €). Der maximale Betrag liegt bei 26.152 Rubel (ca. 358 €) (IOM 2020). Seit 2018 gibt es für einkommensschwache Familien für Kleinkinder (bis 1,5 Jahre) monetäre Unterstützung in Höhe des regionalen Existenzminimums (Russland Analysen 21.2.2020a).

Mutterschaft

Mutterschaftsurlaub kann für bis zu 140 Tage bei vollem Gehaltsbezug beantragt werden (70 Tage vor der Geburt, 70 Tage danach). Im Falle von Mehrlingsgeburten kann der Urlaub auf 194 Tage erhöht werden. Das Minimum der Mutterschaftshilfe liegt bei 100% des gesetzlichen Mindestlohns - bis zu einem Maximum im Vergleich zu einem 40-Stunden-Vollzeitjob. Der Mindestbetrag der Mutterschutzhilfe liegt bei 9.489 Rubel (ca. 130 €) und der Maximalbetrag bei 61.327 Rubel (ca. 840 €) (IOM 2020). Weiters gibt es landesweite Pauschalzahlungen für die Geburt und die medizinische Registrierung vor der 12. Schwangerschaftswoche und seit 2020 Lohnersatzzahlungen von 40% in den ersten drei Jahren der Elternzeit. Mütter haben auch Anspruch auf zwei zusätzliche bezahlte Urlaubstage bis zum 14. Lebensjahr des Kindes. Bezüglich Betreuungseinrichtungen von Kindern ist zu sagen, dass die Gebühren dafür niedrig sind und hohe Vergünstigungen bei zunehmender Kinderanzahl bieten. Obwohl das Angebot von Betreuungseinrichtungen regional variiert, gibt es im Allgemeinen ein breites Versorgungsnetz (Russland Analysen 21.2.2020b).

Mutterschaftskapital

Zu den wichtigen sozialen Unterstützungsleistungen zählt das Mutterschaftskapital (ÖB Moskau 6.2021). Dieses Programm wurde 2007 aufgelegt und wird russlandweit umgesetzt. Der Umfang der Leistungen ist beträchtlich (RBTH 22.4.2017). Es wurde eingeführt, um Eltern finanziell zu unterstützen und dadurch die Geburtenrate in Russland zu erhöhen. Die Einmalzahlung wird Familien (grundsätzlich der Mutter) für jedes (seit 2020 auch das erste) zur Welt gebrachte oder adoptierte Kind gewährt (2021: 483.881,83 Rubel (über 5.000 Euro) für das erste Kind, 639.431,83 Rubel (ca. 7.000 Euro) für das zweite und jedes weitere Kind) (ÖB Moskau 6.2021). Man bekommt das Geld allerdings erst drei Jahre nach der Geburt ausgezahlt, und die Zuwendungen sind an bestimmte Zwecke gebunden. So etwa kann man von den Geldern Hypothekendarlehen tilgen, weil dies zur Verbesserung der Wohnsituation beiträgt. In einigen Regionen darf der gesamte Umfang des Mutterkapitals bis zu 70% der Wohnkosten decken. Aufgestockt werden die Leistungen durch Beihilfen in den Regionen (RBTH 22.4.2017; vergleiche ÖB Moskau 6.2021). Die Höhe des Mutterschaftskapitals entspricht etwa einem durchschnittlichen Jahresgehalt, und bisher profitierten über fünf Millionen Familien davon. Das Mutterschaftskapital soll laut Putin bis Ende 2026 fortgeführt werden (Russland Analysen 21.2.2020a). Das Mutterschaftskapital muss nicht versteuert werden und ist status- und einkommensunabhängig (Russland Analysen 21.2.2020b).

Behinderung

Arbeitnehmer mit einem Invalidenstatus haben das Recht auf eine Invaliditätspension. Dies gilt unabhängig von der Ursache der Behinderung. Die Invaliditätspension wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Pensionsalters (IOM 2020). Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension beeinträchtigter Menschen bei 9.823 Rubel [ca. 109 €]. Menschen mit Beeinträchtigungen können eine Pension in Höhe von bis zu 14.093 Rubel [ca. 156 €] monatlich erhalten (AA 2.2.2021). Die Höhe der monatlichen Invaliditätspension ist abhängig vom Invaliditätsgrad. Es gibt staatliche Einrichtungen für ältere und behinderte Menschen (Erwachsene und Kinder), innerhalb derer sie leben können und kostenlose medizinische Behandlung erhalten. Die staatlichen Sozialzentren und Unterkünfte des Ministeriums für Arbeit und Sozialen Schutz gibt es für Erwachsene und für Kinder (ÖB Moskau 6.2021).

Arbeitslosenunterstützung

Personen können sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin bietet die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz an. Sollte dies nicht möglich sein, wird der Person ein Arbeitlosenstatus zuerkannt. Mit diesem erhält die Person monatlich eine Unterstützung. Arbeitsämter gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert (IOM 2020). Die Mindestarbeitslosenunterstützung pro Monat beträgt 1.500 Rubel (ca. 21 €) und die Maximalunterstützung 11.280 Rubel (ca. 141 €) (IOM 2020; vergleiche ÖB Moskau 6.2020). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Außerdem darf die Person nicht in eine andere Region ziehen. Sollte die Person Fortbildungen zur Selbstständigkeit besuchen oder eine Rente beziehen, ist die Person von diesen Vorteilen ausgeschlossen. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht, an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2020).

Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen

Ein weiteres Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für große Teile der Bevölkerung unbezahlbar (AA 2.2.2021). Personen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbaren Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Informationen über die jeweiligen Kategorien zur Qualifizierung für eine kostenlose Unterkunft sowie die dazu notwendigen Dokumente erhält man bei den kommunalen Stadtverwaltungen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an. Junge Familien mit vielen Kindern können staatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Die Wohnungskosten sind regionenabhängig. Die durchschnittlichen monatlichen Nebenkosten liegen derzeit bei ca 3.200 Rubel (ca. 44 €) (IOM 2020).

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 16.11.2021

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger der Russischen Föderation ist in der Verfassung verankert (GIZ 1.2021c; vergleiche ÖB Moskau 6.2021). Voraussetzung ist lediglich eine Registrierung des Wohnsitzes im Land [bitte vergleichen Sie hierzu die Kapitel zu Bewegungsfreiheit, insbesondere Meldewesen]. Am Meldeamt nur temporär registrierte Personen haben Zugang zu medizinischer Notversorgung, während eine permanente Registrierung stationäre medizinische Versorgung ermöglicht. Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß dem 'Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung' garantierten Umfang (ÖB Moskau 6.2021). Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der 'Nationalen Projekte', die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 1.2021c).

Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung (IOM 2020; vergleiche ÖB Moskau 6.2021). Alle russischen Staatsbürger, egal ob sie einer Arbeit nachgehen oder nicht, sind von der Pflichtversicherung erfasst (ÖB Moskau 6.2021). Dies gilt somit auch für Rückkehrer, daher kann jeder russische Staatsbürger bei Vorlage eines Passes oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis 14) eine OMS-Karte erhalten. Diese muss bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden (IOM 2020). An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung – Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2020). Durch die Zusatzversicherung sind einige gebührenpflichtige Leistungen in einigen staatlichen Krankenhäusern abgedeckt. Für Leistungen privater Krankenhäuser müssen die Kosten selbst getragen werden (ÖB Moskau 6.2021).

Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, Vorsorge, Diagnose undambulante sowie stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Behandlungen innerhalb der OMS sind kostenlos. Für die zahlungspflichtigen Dienstleistungen gibt es Preislisten auf den jeweiligen Webseiten der öffentlichen und privaten Kliniken (IOM 2020; vergleiche ÖB Moskau 6.2021), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 27.11.2018). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 27.11.2018; vergleiche Ostexperte 22.9.2017). Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig (GIZ 1.2021c). Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 1.2021c; vergleiche AA 2.2.2021). Kostenpflichtig sind einerseits Sonderleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind) (ÖB Moskau 6.2021).

Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Einrichtung und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken geleistet wird, haben Personen das Recht, die medizinische Einrichtung nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Dies bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem 'zuständigen' Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem 'zuständigen' Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Einrichtung können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Einrichtung durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Einrichtungen zur Auswahl stehen. Abgesehen von den oben stehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 6.2021).

Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 6.2021). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). Auch Leistungen, die vom Staat für eine bestimmte Personengruppe, wie z.B. Personen mit Beeinträchtigungen, bestimmt wurden, sind gedeckt. Eine kostenfreie 24-Stunden-Versorgung steht allen Patienten im OMS-System zu (IOM 2020). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann. Der Staat hat viele Finanzierungspflichten auf die Regionen abgewälzt, die in manchen Fällen nicht ausreichend Budget haben, weshalb die Zustände in manchen Krankenhäusern schlecht sind, medizinische Ausrüstungen veraltet und die Ärzte überlastet und unterbezahlt. Probleme gibt es deshalb mitunter bei der Diagnose und Behandlung von Patienten mit besonders seltenen Krankheiten in der Russischen Föderation, da meist die finanziellen Mittel für die teuren Medikamente und Behandlungen in den Regionen nicht ausreichen (ÖB Moskau 6.2021). Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Die Wege zu einer medizinischen Einrichtung auf dem Land können mehrere Hundert Kilometer betragen. Hauptprobleme stellen jedoch die strukturelle Unterfinanzierung des Gesundheitssystems und die damit verbundenen schlechten Arbeitsbedingungen dar. Sie führen zu einem großen Mangel an Ärzten und Pflegekräften. Die vom Staat vorgegebenen Wartezeiten auf eine Behandlung werden um das Mehrfache überschritten und können sogar mehrere Monate betragen. In vielen Regionen wie bspw. Tschetschenien wurden moderne Krankenhäuser und Behandlungszentren aufgebaut. Ihr Betrieb ist jedoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal oft erschwert (AA 2.2.2021).

Durch jüngste Reformen und Gesetze erfolgte eine Minderung der Dominanz staatlicher Anbieter sozialer Dienstleistungen. Die Anzahl nicht-staatlicher Träger, wie z.B. NGOs, nimmt tendenziell zu, wobei in den einzelnen Regionen unterschiedliche Entwicklungen zu verzeichnen sind. So werden in einigen Regionen Sozialleistungen fast ausschließlich von staatlichen Trägern übernommen, in anderen agieren vermehrt auch nicht-staatliche Einrichtungen in diesem Bereich (ÖB Moskau 6.2021).

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) vergleiche dazu die Kapitel Bewegungsfreiheit und Meldewesen) (DIS 1.2015).

Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung im Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist (ÖB Moskau 6.2021).

Tschetschenien

Letzte Änderung: 10.06.2021

Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Tschetschenien eine eigene öffentliche Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen wie z.B. regionale Spitäler (spezialisierte und zentrale), Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfalleinrichtungen leitet. Das Krankenversicherungssystem wird vom territorialen verpflichtenden Gesundheitsfonds geführt. Schon 2013 wurde eine dreistufige Roadmap eingeführt, mit dem Ziel, die Verfügbarkeit und Qualität des tschetschenischen Gesundheitssystems zu erhöhen. In der ersten Stufe wird die primäre Gesundheitsversorgung, inklusive Notfall- und spezialisierter Gesundheitsversorgung, zur Verfügung gestellt. In der zweiten Stufe wird die multidisziplinäre spezialisierte Gesundheitsversorgung und in der dritten Stufe die spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt (BDA CFS 31.3.2015). Es sind somit in Tschetschenien sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitseinrichtungen verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele vor nicht allzu langer Zeit erbaut wurden (DIS 1.2015).

Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, Schwangere und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015). Weitere Krankheiten, für die Medikamente kostenlos abgegeben werden (innerhalb der obligatorischen Krankenversicherung), sind:

●             infektiöse und parasitäre Krankheiten

●             Tumore

●             endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten

●             Krankheiten des Nervensystems

●             Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems

●             Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde

●             Krankheiten des Ohres und des Warzenfortsatzes

●             Krankheiten des Kreislaufsystems

●             Krankheiten des Atmungssystems

●             Krankheiten des Verdauungssystems

●             Krankheiten des Urogenitalsystems

●             Schwangerschaft, Geburt, Abort und Wochenbett

●             Krankheiten der Haut und der Unterhaut

●             Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes

●             Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen

●             Geburtsfehler und Chromosomenfehler

●             bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben

●             Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die nicht in der Kategorie der Internationalen Klassifikation von Krankheiten gelistet sind (BDA CFS 31.3.2015).

Die obligatorische Krankenversicherung deckt unter anderem auch klinische Untersuchungen von bestimmten Personengruppen, wie Minderjährigen, Studierenden, Arbeitern usw., und medizinische Rehabilitation in Gesundheitseinrichtungen. Weiters werden zusätzliche Gebühren von Allgemeinmedizinern und Kinderärzten, Familienärzten, Krankenpflegern und Notfallmedizinern finanziert. Peritoneal- und Hämodialyse werden auch unterstützt (nach vorgegebenen Raten), einschließlich der Beschaffung von Materialien und Medikamenten. Die obligatorische Krankenversicherung in Tschetschenien ist von der föderalen obligatorischen Krankenversicherung subventioniert (BDA CFS 31.3.2015). Trotzdem muss angemerkt werden, dass auch hier aufgrund der niedrigen Löhne der Ärzte das System der Zuzahlung durch die Patienten existiert (BDA CFS 31.3.2015; vergleiche GIZ 1.2021c, AA 2.2.2021). Es gibt dennoch medizinische Einrichtungen, wo die Versorgung kostenfrei bereitgestellt wird, beispielsweise im Distrikt von Gudermes [von hier stammt Ramsan Kadyrow]. In kleinen Dörfern sind die ärztlichen Leistungen günstiger (BDA CFS 31.3.2015).

In Tschetschenien gibt es nur einige private Gesundheitseinrichtungen, die normalerweise mit Fachärzten arbeiten, welche aus den Nachbarregionen eingeladen werden. Die Preise sind hier um einiges höher als in öffentlichen Institutionen, und zwar aufgrund von komfortableren Aufenthalten, besser qualifizierten Spezialisten und modernerer medizinischer Ausstattung (BDA CFS 31.3.2015).

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA CFS 31.3.2015).

Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

Letzte Änderung: 10.06.2021

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind:

'Achkhoy-Martan RCH' (regional central hospital), 'Vedenskaya RCH', 'Grozny RCH', 'Staro-Yurt RH' (regional hospital), 'Gudermessky RCH', 'Itum-Kalynskaya RCH', 'Kurchaloevskaja RCH', 'Nadterechnaye RCH', 'Znamenskaya RH', 'Goragorsky RH', 'Naurskaya RCH', 'Nozhai-Yurt RCH', 'Sunzhensk RCH', Urus-Martan RCH', 'Sharoy RH', 'Shatoïski RCH', 'Shali RCH', 'Chiri-Yurt RCH', 'Shelkovskaya RCH', 'Argun municipal hospital N° 1' und 'Gvardeyskaya RH' (BDA CFS 31.3.2015).

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind:

'The Republican hospital of emergency care' (former Regional Central Clinic No. 9), 'Republican Centre of prevention and fight against AIDS', 'The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova', 'Republican Oncological Dispensary', 'Republican Centre of blood transfusion', 'National Centre for medical and psychological rehabilitation of children', 'The Republican Hospital', 'Republican Psychiatric Hospital', 'National Drug Dispensary', 'The Republican Hospital of War Veterans', 'Republican TB Dispensary', 'Clinic of pedodontics', 'National Centre for Preventive Medicine', 'Republican Centre for Infectious Diseases', 'Republican Endocrinology Dispensary', 'National Centre of purulent-septic surgery', 'The Republican dental clinic', 'Republican Dispensary of skin and venereal diseases', 'Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation', 'Psychiatric Hospital ‘Samashki’, 'Psychiatric Hospital ‘Darbanhi’', 'Regional Paediatric Clinic', 'National Centre for Emergency Medicine', 'The Republican Scientific Medical Centre', 'Republican Office for forensic examination', 'National Rehabilitation Centre', 'Medical Centre of Research and Information', 'National Centre for Family Planning', 'Medical Commission for driving licenses' und 'National Paediatric Sanatorium ‘Chishki’' (BDA CFS 31.3.2015).

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind:

'Clinical Hospital N° 1 Grozny', 'Clinical Hospital for children N° 2 Grozny', 'Clinical Hospital N° 3 Grozny', 'Clinical Hospital N° 4 Grozny', 'Hospital N° 5 Grozny', 'Hospital N° 6 Grozny', 'Hospital N° 7 Grozny', 'Clinical Hospital N° 10 in Grozny', 'Maternity N° 2 in Grozny', 'Polyclinic N° 1 in Grozny', 'Polyclinic N° 2 in Grozny', 'Polyclinic N° 3 in Grozny', 'Polyclinic N° 4 in Grozny', 'Polyclinic N° 5 in Grozny', 'Polyclinic N° 6 in Grozny', 'Polyclinic N° 7 in Grozny', 'Polyclinic N° 8 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 1', 'Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 5', 'Dental complex in Grozny', 'Dental Clinic N° 1 in Grozny', 'Paediatric Psycho-Neurological Centre', 'Dental Clinic N° 2 in Grozny' und 'Paediatric Dental Clinic of Grozny' (BDA CFS 31.3.2015).

Rückkehr

Letzte Änderung: 16.11.2021

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer am Ort ihres beabsichtigten Wohnsitzes registrieren [vgl. Kapitel Bewegungsfreiheit und Meldewesen]. Dies gilt generell für alle russischen Staatsangehörigen, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach welchem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert, und diese Person kann, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 6.2021).

Rückkehrende haben wie alle anderen russischen Staatsbürger Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen [vgl. Kapitel Sozialbeihilfen] (IOM 2020). Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft etwa bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mithilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, vor allem für junge Mädchen, wenn diese in einem westlichen Umfeld aufgewachsen sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf eine mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt (ÖB Moskau 6.2021).

Nach einer aktuellen Auskunft eines Experten für den Kaukasus ist allein die Tatsache, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wurde, noch nicht mit Schwierigkeiten bei der Rückkehr verbunden (ÖB Moskau 6.2021; vergleiche AA 2.2.2021). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien aber für jene ergeben, die schon vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB Moskau 6.2021).

Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten noch immer von willkürlichem Vorgehen der Polizei. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (auch ohne Durchsuchungsbefehle) finden bei diesen Personen häufiger statt (AA 2.2.2021).

Dokumente

Letzte Änderung: 10.06.2021

Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. Gründe hierfür liegen häufig in mittelbarer Falschbeurkundung und unterschiedlichen Schreibweisen von beispielsweise Namen oder Orten. In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsnachweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile. Es gibt auch Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt werden (AA 13.2.2019). Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, wobei die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einen zeitaufwändigen Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte 'Vorladungen' zur Polizei geben (DIS 1.2015).

Weder die Staatendokumentation, noch der Verbindungsbeamte oder die Österreichische Botschaft können die Bedeutung von Reisepassnummern, welche sich auf die ausstellenden Behörden beziehen, nachvollziehen (VB 4.3.2021).

1.2.3. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 14.04.2022:

1.           Gibt es Repressalien für Rückkehrer aus dem Ausland, welche schon lange im Ausland lebten, z.B. als Folge der europäischen (wirtschaftlichen) Sanktionen gegen die Russische Föderation?

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch, Englisch und Russisch keine Informationen gefunden. Aufgrund der informationsspezifischen Art der Fragestellung wurde diese nach ergebnisloser, zeitlich begrenzter Eigenrecherche an eine externe Stelle zur Recherche übermittelt.

Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben.

Zusammenfassung:

Der nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass nationale Gesetze keine Einschränkungen für Rückkehrer mit russischer Staatsbürgerschaft vorsehen. In der Praxis finden – rechtlich nicht gedeckte – Befragungen ein- und ausreisender Russen sowie Vertreter „unfreundlicher“ Staaten durch Grenzkontrollorgane statt. Es ist unklar, wie die dadurch gewonnenen Informationen von russischen Behörden weiter verwertet werden.

Einzelquelle:

Die Österreichische Botschaft berichtet Folgendes:

Es gibt keine gesetzlichen Bestimmungen in der Russischen Föderation, welche Einschränkungen für Rückkehrerinnen/Rückkehrer mit russischer Staatsangehörigkeit aus dem Ausland vorsehen. De facto kommt es beispielsweise im Zuge von Grenzkontrollen aber zu Befragungen Ein- und Ausreisender (Russinnen/Russen, aber auch Vertreter/innen sog. „unfreundlicher Staaten“ – darunter auch: Republik Österreich) durch Grenzkontrollorgane. Da i.d.R. diesen Befragungen kein strafrechtliches Ermittlungsverfahren zugrunde liegt, erfolgen diese ohne entsprechende Rechtsgrundlage. Über die Verwendung der im Zuge der Befragung gewonnener Daten durch die russischen Behörden kann nur gemutmaßt werden, dass derartige Informationen zu repressiven Handlungen gegen russische Bürgerinnen/Bürger verwendet werden.

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (4.4.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 14.04.2022:

1.           Haben sich seit dem Kriegseinsatz der Russischen Föderation in der Ukraine die Sozialleistungen für Staatsangehörige der Russischen Föderation geändert? Wenn ja, wie?

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch, Englisch und Russisch keine Informationen gefunden. Aufgrund der informationsspezifischen Art der Fragestellung wurde diese nach ergebnisloser, zeitlich begrenzter Eigenrecherche an eine externe Stelle zur Recherche übermittelt.

Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben.

Zusammenfassung:

Der nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass für das Budget 2022 eine Verminderung der Ausgaben in den Bereichen Sozialleistungen und Gesundheitswesen vorgesehen ist. Dies bedeutet gegenüber 2021 ein Minus von RUB 117 Mrd. [ca. EUR 1,3 Mrd.] bzw. RUB 371 Mrd. [ca. EUR 4,1 Mrd.]. Ab 1.5.2022 sind neue monatliche Unterstützungszahlungen für 8-17-jährige Kinder bedürftiger Familien geplant.

Die nachfolgende Quelle berichtet außerdem, dass Veteranen von Kampfhandlungen, Veteranen des Militärdienstes sowie Veteranen der Arbeit Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen haben. Hierzu zählen auch Veteranen, die seit 24.2.2022 in der Ukraine kämpfen. Veteranen haben Anspruch auf u.a. Pensionsleistungen; monatliche Geldleistungen; kostenfreien Wohnraum und kommunale Dienstleistungen; medizinische und prothetisch-orthopädische Hilfe.

Einzelquelle:

Die Österreichische Botschaft berichtet Folgendes [Hervorhebungen durch die Staatendokumentation]:

Das im Dezember 2021 von Präsident Putin unterschriebene Gesetz über das föderale Budget für die Jahre 2022 bis 2024 (Путин утвердил бюджет с сокращением расходов на здравоохранение и социальную поддержку | Капитал страны (kapital-rus.ru) sieht zwar für 2022 eine Reduktion der veranschlagten Ausgaben für das Gesundheitswesen um 117 Mrd. RUB und für Sozialleistungen um 371 Mrd. RUB gegenüber 2021 vor, Hinweise auf eine weitere allgemeine Einschränkung von Sozialleistungen für russische Staatsangehörige seit Beginn des Ukraine-Kriegs konnten nicht gefunden werden.

Mit dem Erlass N 175 des Präsidenten der Russischen Föderation vom 01.04.2022 (Указ Президента РФ от 31.03.2022 N 175 "О ежемесячной денежной выплате семьям, имеющим детей" / КонсультантПлюс (consultant.ru) wurden hingegen ab 01.05.2022 neue monatliche Unterstützungszahlungen für Kinder bedürftiger Familien im Alter von 8 bis 17 Jahren eingeführt.

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (7.4.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

Die Österreichische Botschaft berichtet, dass Veteranen von Kampfhandlungen, Veteranen des Mlitärdienstes sowie Veteranen der Arbeit Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen haben. Hierzu zählen auch Veteranen, die seit 24.2.2022 in der Ukraine kämpfen. Veteranen haben Anspruch auf u.a. Pensionsleistungen; monatliche Geldleistungen; kostenfreien Wohnraum und kommunale Dienstleistungen; medizinische und prothetisch-orthopädische Hilfe. [Hervorhebungen durch die Staatendokumentation].

In der Russischen Föderation gibt es das föderale Gesetz N 5-FZ "Über die Veteranen" vom 12.01.1995 idFv 26.03.2022 (sh. http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_5490/da29ae43e329f024a568d1e2ffb47123921c858d/). Artikel eins, dieses Gesetzes legt fest, welche Kategorien von Veteranen es in der Russischen Föderation gibt, nämlich Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges, Veteranen von Kampfhandlungen auf dem Territorium der UdSSR, auf dem Territorium der Russischen Föderation und auf den Territorien anderer Staaten (im Folgenden: Veteranen von Kampfhandlungen), Veteranen des Militärdienstes und Veteranen der Arbeit.

Gem. Artikel 3, Absatz eins, leg cit zählen zu den Veteranen von Kampfhandlungen:

1.) Angehörige der Streitkräfte, darunter Angehörige der Reserve, Wehrpflichtige, die zu Manövern einberufen wurden, Personen der Mannschafts- und Kommandeursdienstgrade der Organe des Innenministeriums, der Truppen der Nationalgarde, der Organe des Staatsschutzes, Angestellte der genannten Organe, Angestellte des Verteidigungsministeriums der UdSSR und der Russischen Föderation, Mitarbeiter von Einrichtungen und Organen des Strafvollzugssystems, von Organen der Zwangsvollstreckung der Russischen Föderation, die von Organen der Staatsgewalt der UdSSR oder der Russischen Föderation in andere Staaten entsandt wurden und bei der Erfüllung von Dienstpflichten in diesen Staaten an Kampfhandlungen teilgenommen haben, ebenso welche gemäß den Entscheidungen der Organe der Staatsgewalt der Russischen Föderation an Kampfhandlungen auf dem Territorium der Russischen Föderation teilgenommen haben.

Gem. Artikel 3, Absatz 3, leg cit wird die Liste von Staaten, Städten, Territorien und Zeiträumen der Führung von Kampfhandlungen mit der Teilnahme von Staatsangehörigen der Russischen Föderation als Anlage zu diesem föderalen Gesetz geführt. Änderungen in dieser genannten Liste erfolgen durch föderales Gesetz.

Mit dem föderalen Gesetz N 69-FZ vom 26.03.2022 wurde der Abschnitt römisch III der Anlage (Kampfhandlungen russischer Staatsangehöriger im Ausland) um den Punkt "Erfüllung von Aufgaben im Zuge der militärischen Spezialoperation auf den Territorien der Ukraine, der Volksrepublik Donezk und der Volksrepublik Lugansk: seit dem 24. Februar 2022" ergänzt. Somit gelten Personen gem. Artikel 3, Absatz eins, Ziffer eins, des föderalen Gesetzes über Veteranen, die seit dem 24. Februar 2022 in der Ukraine oder den Volksrepubliken Donezk oder Lugansk kämpfen, als Veteranen mit Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen.

Gem. Artikel 13, Absatz eins, leg cit umfasst die soziale Unterstützung von Veteranen eine Reihe von Maßnahmen, einschließlich:

1) der Pensionsleistungen, der Auszahlung von Zuwendungen in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Russischen Föderation;

2) des Erhalts monatlicher Geldleistungen;

3) der Gewährung von Wohnraum;

4) des Ersatzes von Aufwendungen zur Zahlung von Wohnraum und kommunalen Dienstleistungen;

5) der Gewährung medizinischer Hilfe und prothetisch-orthopädischer Hilfe.

Die konkrete Ausgestaltung dieser Hilfe für Veteranen von Kampfhandlungen ist im Artikel 16, leg cit geregelt.

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (4.4.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 14.04.2022:

1.           Welche Informationen gibt es bezüglich der Heranziehung zum Wehrdienst/Wehrpflicht, seit dem Kriegseinsatz gegen die Ukraine?


2.              Werden - aufgrund der Verluste der russischen Armee in der Ukraine - Wehrpflichtige zwangsweise im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt bzw. gedrängt, sich freiwillig zu melden?

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch, Englisch und Russisch wenige Informationen gefunden. Aufgrund der informationsspezifischen Art der Fragestellungen wurden diese nach zeitlich begrenzter Eigenrecherche an eine externe Stelle zur Recherche übermittelt. Aktuelle Informationen zu den Fragestellungen finden sich auch auf dem Koordinationsboard in der AFB RUSS_SM_MIL_Desertion_2022_03_29_KE. Diese AFB ist der Anfragebeantwortung beigelegt.

Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben. Als weniger bekannt erkannte Quellen werden im Abschnitt „Einzelquellen“ näher beschrieben.

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass Russland im Krieg in der Ukraine Berufssoldaten einsetzt. Russland rekrutiert für den Krieg in der Ukraine außerdem syrische Kämpfer, Tschetschenen und russische Söldner. In etwa 1.000 Söldner der russischen Sicherheitsfirma Wagner-Gruppe befinden sich auf Kampfeinsatz im Osten der Ukraine (in der Region Donbas). Die USA besitzen Hinweise, dass Russland mit der Mobilisierung einiger Reservisten begonnen hat.

Laut den nachfolgenden Quellen ist es vorgekommen, dass auch Grundwehrdiener in die Ukraine zum Kämpfen entsandt waren. Offenbar wurden diese wieder in die Russische Föderation zurückgeführt. Für das Frühjahr 2022 ordnete Putin im Rahmen der jährlichen Stellung die Einberufung von 134.500 Grundwehrdienern an. Gemäß dem Verteidigungsministerium steht diese Einberufung in keinem Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg.

Bislang hat Russland nicht das Kriegsrecht ausgerufen oder eine Generalmobilmachung verkündet, was eine Massenmobilisierung und die Einberufung von Reservisten vereinfachen würde.

Einzelquellen:

Die Österreichische Botschaft berichtet Folgendes:

Medienberichten zufolge kommen im Krieg in der Ukraine auf russischer Seite Berufssoldaten zum Einsatz. Es gab aber Vorfälle, in denen auch Grundwehrdiener zum Kampfeinsatz hinzugezogen wurden […].

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (7.4.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

Die Österreichische Botschaft berichtet Folgendes [Hervorhebungen durch die Staatendokumentation]:

[…] EXKURS „Einsatz von Rekruten in der „Spezialoperation“ des russischen Militärs in der Ukraine: De facto wurden Rekruten, welche zu „Übungen“ einberufen wurden, auch in der russischen „Spezialoperation“ in der Ukraine – entgegen der [...] gesetzlichen Bestimmung - eingesetzt. Die russische Militärstaatsanwaltschaft ermittelt derzeit, weswegen es zu diesem Einsatz von Rekruten in Kampfeshandlungen kommen konnte. Auch in den staatlich kontrollierten Medien finden sich Hinweise zu diesem Kampfeseinsatz von Pflichtwehrdienern.

Die Beiträge haben folgenden Wortlaut:

„Und aus dem, was der offizielle Vertreter des Verteidigungsministeriums Igor Konaschenkow auf dem heutigen Briefing gesagt hat: Leider wurden einige Fakten der Anwesenheit Wehrdienstleistender in den Reihen der russischen Streitkräfte, die an der Spezialoperation auf dem Territorium der Ukraine teilnehmen, entdeckt. Praktisch alle diese Wehrdienstleistenden wurden schon auf das Territorium der RF zurückgeführt. Dennoch wurde auf eine dieser Unterabteilungen, die Aufgaben im Hinterland erfüllten, von einer Diversionsgruppe des Nationalistenbataillons ein Angriff verübt. Eine Reihe von Militärangehörigen, darunter auch Wehrdienstleistende, wurden gefangen genommen. Derzeit werden umfassende Maßnahmen zur Verhinderung der Entsendung Wehrdienstleistender in Gebiete mit Kampfhandlungen und zur Befreiung der gefangenen Militärangehörigen ergriffen.“

Der Pressesprecher des Präsidenten Dmitrii Peskow ergänzte dazu: „Vor Beginn der Spezialoperation wurde auf Befehl des Präsidenten der RF, des Oberkommandierenden Vladimir Putin allen Kommandierenden von Unterabteilungen mitgeteilt: Die Heranziehung von Wehrdienstleistenden für die Erfüllung jeglicher Aufgaben in der Ukraine auszusch[l]ießen. Dem Präsidenten wurde die Erfüllung dieses Befehls gemeldet. Im Zusammenhang mit dem Faktum der Anwesenheit einer Reihe von Wehrdienstleistenden in den Teilen der Streitkräfte, die an der Durchführung der Spezialoperation in der Ukraine teilnehmen, wurde der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft auf Befehl des Präsidenten Material zugesandt, für die Prüfung und rechtliche Bewertung und Bestrafung der Amtsträger, die für die Nichterfüllung dieses Befehls verantwortlich sind.“

Der Tenor lautet also, dass es – entgegen den Befehlen des Präsidenten - zwar Wehrdienstleistende in die Ukraine gab, diese aber bereits wieder in die RF zurückgeführt wurden. Darüber hinaus hätten diese nur Aufgaben im Hinterland und nicht an der Front erfüllt. Die Militärstaatsanwaltschaft ermittle in dieser Sache bereits, um die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. [...]

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (17.3.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

Die internationale Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass der russische Präsident Putin im März 2022 im Rahmen der jährlichen Frühjahrsstellung die Einberufung von 134.500 Grundwehrdienern anordnete. Die Frühjahrsstellung dauert von 1. April bis 15. Juli und richtet sich an russische Männer im Alter von 18-27 Jahren. Gemäß dem Verteidigungsministerium steht die aktuelle Einberufung in keinem Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg.

President Vladimir Putin on Thursday [March 2022] signed a decree ordering 134,500 new conscripts into the army as part of Russia's annual spring draft, but the defence ministry said the call-up had nothing to do with the war in Ukraine. […] The annual spring military draft, which runs from April 1 to July 15, will affect Russian men between the ages of 18 and 27, Putin's decree said.

Reuters (31.3.2022): Russia drafts 134,500 conscripts but says they won't go to Ukraine, https://www.reuters.com/world/europe/russia-drafts-134500-conscripts-says-they-wont-go-ukraine-2022-03-31/, Zugriff 14.4.2022

Die österreichische Tageszeitung Der Standard berichtet im März 2022 Folgendes [Hervorhebungen durch die Staatendokumentation]:

Moskau rekrutiert syrische Söldner […] Syrische Milizionäre werden für den Krieg in der Ukraine auf der Seite Russlands rekrutiert[.] […] Laut Quellen in Syrien haben sich schon tausende Freiwillige gemeldet, wobei es sich jedoch mit Sicherheit um bezahlte Söldner handelt. Es soll bereits mehrere Rekrutierungszentren in größeren Städten geben. Auf Facebook wurde ganz konkret um Angehörige der 4. Division geworben – der größten und bestausgerüsteten der syrischen Armee. 3000 US-Dollar wurden abhängig von Qualifikation und Expertise in Aussicht gestellt, allerdings ohne nähere Angaben, für welchen Zeitraum diese Bezahlung gilt. […] Auch von der russischen Sicherheitsfirma Wagner-Gruppe, die fast überall ist, wo sich Russland engagiert, ist immer wieder die Rede, einige Hundert Kämpfer sollen bereits in der Ukraine im Einsatz sein. Die BBC zitiert ein ehemaliges Mitglied der Gruppe, das berichtet, dass sie via Telegram angeworben werden. Um Rebranding bemüht, sollen sie sich jetzt "Die Falken" nennen und unter der Leitung von Offizieren des russischen Militärgeheimdienstes stehen.

Standard.at (14.3.2022): Krieg in der Ukraine: Moskau rekrutiert syrische Söldner, https://www.derstandard.at/story/2000134067686/moskau-rekrutiert-syrische-soeldner, Zugriff 14.4.2022

Die US-Tageszeitung Washington Post berichtet im April 2022, dass sich in etwa 1.000 Söldner der Wagner-Gruppe im Osten der Ukraine (in der Region Donbas) befinden. Die genaue Anzahl der Wagner-Söldner in der Ukraine ist unbekannt.

In Russia’s ongoing invasion of Ukraine, about 1,000 Wagner mercenaries are concentrated in the country’s east, where Pentagon officials say Russia has refocused its war effort after failing to capture the capital, Kyiv. […] Pentagon press secretary John Kirby told reporters in March that the firm has about 1,000 fighters in the Donbas region of eastern Ukraine. […] Exactly how many Wagner mercenaries are in Ukraine and where they are coming from remain unknown.

WP – Washington Post (9.4.2022): What is the Wagner Group, the Russian mercenary entity in Ukraine?, https://www.washingtonpost.com/world/2022/04/09/wagner-group-russia-uraine-mercenaries/, Zugriff 14.4.2022

Die US-Tageszeitung New York Times berichtet im April 2022, dass Russland Probleme hat, zusätzliche Truppen zu rekrutieren. Auch deshalb hat Russland syrische Kämpfer, Tschetschenen und russische Söldner ermuntert, die russischen Truppen zu verstärken.

Russia’s problems finding additional troops are in large measure why it has invited Syrian fighters, Chechens and Russian mercenaries to serve as reinforcements. […] Russian mercenaries with combat experience in Syria and Libya are gearing up to assume an increasingly active role in a phase of the war that Moscow now says is its top priority: fighting in the country’s east.

NYT – New York Times (6.4.2022): Russia römisch eins s Recruiting Mercenaries and Syrians to Ukraine, Western Officials Say, https://www.nytimes.com/2022/04/06/us/politics/russia-military-ukraine-war.html,

Zugriff 14.4.2022

Der internationale Nachrichtenkanal Euronews berichtet im April, dass die USA Hinweise besitzen, dass Russland mit der Mobilisierung einiger Reservisten begonnen hat.

The United States has indications that Russia has started mobilizing some reservists and could be looking to recruit more than 60,000 personnel, a senior U.S. defense official said on Friday.

Euronews (9.4.2022): Russia could be looking to recruit more than 60,000 reservists - U.S. official, https://www.euronews.com/2022/04/09/uk-ukraine-crisis-usa-russia-military, Zugriff 14.4.2022

Gemäß der Asylagentur der Europäischen Union hat Russland bislang nicht das Kriegsrecht ausgerufen oder eine Generalmobilmachung verkündet. Dadurch würde für Russland die Einberufung von Reservisten vereinfacht, und Russland könnte Männer mittels Massenmobilisierung zur Kampfteilnahme zwingen.

[…] Russia has so far not declared martial law or made a call for general mobilisation of forces, as reporting available for this query up to 3 April 2022. Such a declaration would enable Russia to call upon reserve forces more easily and force Russian men to fight through mass mobilisation and conscription, which has reportedly sparked fears among Russians fearing conscription due to mobilisation. [...]

EUAA – European Union Agency for Asylum [EU] (7.4.2022): COI Query Response: Russian Federation: Treatment of military deserters by state authorities since the February 2022 invasion of Ukraine (1 February 2022 – 4 April 2022), https://coi.euaa.europa.eu/administration/easo/PLib/2022_04_Q24_EUAA_COI_Query_Response_Russia_Treatment_of_military_deserters_by_state_authorities.pdf, Zugriff 14.4.2022

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des BF, seiner Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.

Die Feststellungen zu seinen Sprachkenntnissen stützen sich auf seine Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht (Verhandlungsprotokoll Sitzung 5f).

Die Feststellungen zum Leben des BF im Herkunftsstaat stützen sich ebenso auf die Angaben des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (Verhandlungsprotokoll Sitzung 11f).

Die Lebensumstände und familiäre Situation des BF im Bundesgebiet ergeben sich aus seinen sowie den Angaben seiner Gattin (Verhandlungsprotokoll Sitzung 4ff, 17ff).

Die Feststellungen zu den familiären Anknüpfungspunkten des BF im Bundesgebiet und im Herkunftsland ergeben sich ebenso aus seinen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Die Bestreitung des Lebensunterhalts sowie die berufliche Integration des BF ergeben sich aus seinen Angaben (Verhandlungsprotokoll Sitzung 6).

Der Gesundheitszustand des BF ergibt sich auch aus seinen Angaben, die Arbeitsfähigkeit konnte aufgrund des Umstandes festgestellt werden, dass der BF beabsichtigt, bei Erhalt einer Aufenthaltsberechtigung einer Beschäftigung nachzugehen.

In Bezug auf die Feststellungen zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist auf den Akteninhalt und den darin enthaltenen Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 30.01.2008 zu verweisen.

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF gründen auf der Einsichtnahme in einen aktuellen Strafregisterauszug und die im Akt enthaltenen Strafurteile. Das Bestehen bzw. die Rechtskraft der genannten Strafurteile bestritt der BF auch nicht. Der Umstand, dass sich der BF in Österreich bereits in Strafhaft befunden hat, ergibt sich aus dem Akteninhalt. Die Verwaltungsübertretungen des BF ergeben sich aus der im Akt enthaltenen Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien vom 27.07.2011 (AS 497). Die Feststellung zu dem laufenden Ermittlungsverfahren des BF ergeben sich aus der im Akt enthaltenen Mitteilung der Staatsanwaltschaft Wien vom 08.07.2022.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Dass der BF im Herkunftsstaat aktuell keine Verfolgung im Herkunftsland zu befürchten hat, ergibt sich einerseits aus den vorliegenden Länderfeststellungen und der daraus ersichtlichen Stabilisierung der Lage in Tschetschenien.

Der BF brachte vor, dass er nach wie vor aufgrund des Umstandes, dass sein Bruder die tschetschenischen Widerstandskämpfer während des ersten Tschetschenienkrieges unterstützte, von russischen Behörden gesucht werde und Verfolgung ausgesetzt sei. Zudem habe er im Bundesgebiet an Demonstrationen gegen das Kadyrov-Regime teilgenommen. Bei einer Rückkehr würde der BF umgehend festgenommen werden.

Die Angaben des BF zu seinen Rückkehrbefürchtungen zeigten sich insgesamt als unsubstantiiert und war es ihm nicht möglich, konkrete Befürchtungen zu schildern.

Somit hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid im Ergebnis zutreffend aufgezeigt, dass eine aktuelle Gefahr einer Verfolgung des BF aus asylrelevanten Motiven nicht gegeben ist und auch darüber hinaus keine Gefährdung des BF im Falle seiner Rückkehr zu prognostizieren ist. Zudem konnte anhand des Vorbringens des BF sowie aufgrund der aktuellen Länderfeststellungen nicht erkannt werden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation in seinem Leben oder seiner Unversehrtheit bedroht wäre oder mit unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung rechnen müsste.

Bezüglich der seinerzeitigen Fluchtgründe des BF ist nun, über zehn Jahre nach Ende des zweiten Tschetschenienkrieges und achtzehn Jahre nach den fluchtauslösenden Ereignissen, eine Änderung der Situation im Herkunftsstaat eingetreten, die dauerhaft und grundlegend ist. Dass die russischen Behörden nach wie vor eine Bedrohung in den Brüdern des BF bzw. dem BF als Familienangehörigem und den BF als potentiellen tschetschenischen Kämpfer sehen würden, ist nicht zu erkennen. Den aktuellen Länderberichten zur Lage in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien ist zu entnehmen, dass im Allgemeinen nicht einmal mehr von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen auszugehen ist. Auch eine generelle ethnische Verfolgung von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe ist vor dem Hintergrund der dem gegenständlichen Erkenntnis zugrundeliegenden Länderberichte nicht mehr zu erkennen. Eine entsprechende Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung wegen der ursprünglich geltend gemachten Fluchtgründe kann vor dem Hintergrund der Länderberichte sohin aufgrund einer seit Ende des zweiten Tschetschenienkrieges eingetretenen, grundlegenden Änderung der Lage in der Russischen Föderation nicht mehr festgestellt werden.

Da somit infolge der Beendigung des zweiten Tschetschenienkrieges eine nachhaltige Änderung der dortigen Sicherheits- und Menschenrechtslage eingetreten ist, und der BF auch im gegenständlichen Verfahren keine konkrete Furcht vor individueller Verfolgung oder einer sonstigen Gefährdung im Fall seiner Rückkehr glaubhaft machte, konnte im Fall des BF keine aktuell bestehende Gefährdung im Fall einer Rückkehr prognostiziert werden.

Zudem würde der BF bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland auch nicht Gefahr laufen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Ihm ist es aufgrund seines jungen Alters und seines Gesundheitszustandes grundsätzlich möglich, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Er beherrscht die Sprachen Russisch, Tschetschenisch und Deutsch. Der BF verbrachte sein Leben bis zum 20. Lebensjahr im Herkunftsstaat und ist somit mit den dortigen Gepflogenheiten bestens vertraut. Zudem besuchte er im Herkunftsland drei Jahre lang die Schule und konnte im Bundesgebiet Berufserfahrung vorweisen, wenngleich es sich nur um einige Monate handelt. Es ist daher jedenfalls davon auszugehen, dass der BF ohne grobe Probleme in seiner Heimat Fuß fassen könnte und in der Lage sein würde, sein Existenzminimum zu sichern. Aus den Länderberichten ergibt sich kein Hinweis, dass die wirtschaftliche Lage in Tschetschenien derart prekär ist, als dass alle Bewohner der Teilrepublik von existenzgefährdenden Lebensbedingungen betroffen wären. Da der BF demnach keine besondere Vulnerabilität aufweist, ist ihm eine Niederlassung in der Herkunftsregion seiner Familie, Tschetschenien, möglich und zumutbar. Zudem besteht für den BF die Möglichkeit, als russischer Staatsbürger auf Leistungen des dortigen Sozialsystems zurückzugreifen sowie bei anfänglichen Schwierigkeiten von seinen weiterhin in Österreich aufhältigen Familienmitgliedern Unterstützung zu erhalten.

Auch aus den sonstigen Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ergaben sich keine Hinweise darauf, dass der BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat relevanten Gefahren ausgesetzt sein könnte.

2.4. Zu den Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln und konnte diesen in der Beschwerde auch nicht substantiiert entgegengetreten werden. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides (Aberkennung):

3.1.1. Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, AsylG ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. ein Asylausschlussgrund nach Paragraph 6, vorliegt;

2. einer der in Artikel eins, Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ist gemäß Paragraph 7, Absatz 2, AsylG jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (Paragraph 2, Absatz 3,) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Absatz eins, wahrscheinlich ist.

Gemäß Paragraph 7, Absatz 3, AsylG 2005 kann das Bundesamt einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (Paragraph 2, Absatz 3,), den Status eines Asylberechtigten gemäß Absatz eins, Ziffer 2, nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt – wenn auch nicht rechtskräftig – nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat.

Gemäß Paragraph 2, Absatz 3, AsylG ist ein Fremder im Sinne dieses Bundesgesetzes straffällig geworden, wenn er wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt (Ziffer eins,), oder mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist, rechtskräftig verurteilt worden ist (Ziffer 2,).

Da der BF straffällig im Sinne des Paragraph 2, Absatz 3, AsylG 2005 geworden ist, schadet es gemäß Paragraph 7, Absatz 3, AsylG 2005 nicht, dass die Aberkennung fallgegenständlich nicht innerhalb von fünf Jahren ab rechtskräftiger Zuerkennung des Status erfolgt ist.

Gemäß Absatz 4, leg. cit. ist die Aberkennung nach Absatz eins, Ziffer eins und Ziffer 2, AsylG 2005 mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen.

3.1.2. Seit der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den BF sind mehr als 14 Jahre vergangen und er hat seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet. Er wurde aber, wie dargestellt, wegen mehreren vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlungen, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fallen sowie auch wegen vorsätzlich begangener gerichtlich strafbarer Handlungen, die von Amts wegen zu verfolgen sind, rechtskräftig verurteilt.

Der BF ist daher – wie bereits festgestellt – iSd Paragraph 2, Absatz 3, AsylG 2005 straffällig geworden und Paragraph 7, Absatz 3, AsylG 2005 nicht auf ihn anwendbar.

Nach der Rechtsprechung des VwGH müssen für die Anwendung des Paragraph 13, Absatz 2, zweiter Fall AsylG 1997 (entspricht Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 4, AsylG) kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf: Er muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden und drittens gemeingefährlich sein, und schließlich müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Es genügt nicht, wenn ein abstrakt als „schwer“ einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. In gravierenden Fällen schwerer Verbrechen ist bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose zulässig vergleiche zu alldem VwGH 23.9.2009, 2006/01/0626, mwN; VwGH 14.2.2018, Ra 2017/18/0419).

Unter den Begriff des schweren Verbrechens iSd Artikel eins, Abschn. F Litera b, GFK fallen nach herrschender Lehre nur Straftaten, die in objektiver und subjektiver Hinsicht besonders verwerflich sind und deren Verwerflichkeit in einer Güterabwägung gegenüber den Schutzinteressen der betroffenen Person diese eindeutig überwiegt. Dieser Standpunkt – Berücksichtigung subjektiver Faktoren, wie Milderungsgründe, Schuldausschließungsgründe oder Rechtfertigungsgründe – wird auch in der Rechtsprechung des VwGH vertreten (zB VwGH 06.10.1999, 99/01/0288). Es genügt nicht, dass der Beschwerdeführer ein abstrakt als schwer einzustufendes Delikt verübt hat. Um ein schweres Verbrechen, das zum Ausschluss von der Anerkennung als Asylberechtigter – und im vorliegenden Fall somit zur Aberkennung des Status eines Asylberechtigten – führen kann, handelt es sich typischerweise um Vergewaltigung, Tötung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und schließlich auch Menschenhandel bzw. Schlepperei vergleiche Putzer, Asylrecht2, 2011, Rz 125).

Auch im Fall einer Vielzahl einschlägiger rechtskräftiger Verurteilungen und insofern verhängter, beträchtlicher und überwiegender unbedingter Freiheitsstrafen können verwirklichte Delikte in einer Gesamtbetrachtung als „besonders schweres Verbrechen“ qualifiziert werden vergleiche zuletzt VwGH 29.08.2019, Ra 2018/19/0522).

Im Rahmen einer Gefährdungsprognose ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen vergleiche VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014).

Während seines Aufenthalts in Österreich wurde der BF bereits zwei Mal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt, wobei eine Verurteilung in der Slowakei erfolgte und die Verurteilung in Österreich auf mehreren Straftaten gründete, unter anderem wegen Erpressung, schwerer Nötigung, Sachbeschädigung und Betrug. Dies erfolgte in einer kriminellen Vereinigung und erpresste der BF zusammen mit Mittätern Personen zur Herausgabe von insgesamt mehreren zehntausend Euro. Angesichts des damit erzielten Schadens und der Höhe der verhängten Strafe in der Dauer von 2,5 Jahren zeigt sich deutlich die Schwere dieser Tat.

Gemäß Paragraph 17, Absatz eins, StGB sind Verbrechen vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind. Wie sich aus den im Akt enthaltenen Strafurteilen ergibt, wurde der BF wurde somit jedenfalls bereits wegen schwerer Verbrechen rechtskräftig verurteilt.

Bei einer auf Paragraph 13, Absatz 2, 2. Fall AsylG 1997 (nunmehr Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 4,) gestützten Entscheidung ist eine entsprechende Zukunftsprognose (zur Beurteilung der Gemeingefährlichkeit des Straftäters) zu erstellen, wobei es auf das gesamte Verhalten des Beschwerdeführers ankommt. Demgemäß ist seine Einstellung während der Dauer seines Aufenthaltes gegenüber dem Staat bzw. der Gemeinschaft der in diesem Staat lebenden Bürger und seine in diesem Zeitraum gesetzten Handlungen maßgeblich, welche geeignet sind, das ordentliche und sichere Zusammenleben der Gemeinschaft zu gefährden vergleiche VwGH 06.10.1999, 99/01/0288).

Zunächst drückt sich die Gemeingefährlichkeit des BF in der Verurteilung wegen zahlreicher Straftaten aus, die insgesamt als besonders schwere Verbrechen einzustufen sind. Aufgrund des Umstandes, dass der BF zusammen mit Mittätern handelte und auch vor der Androhung und Anwendung von Gewalt nicht zurückschreckte, ist von einer besonderen Gefährlichkeit des BF auszugehen. Es zeigt sich im konkreten Fall offenkundig, dass der BF nicht gewillt ist, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten und dass eine massive potentielle Gefahr für die Allgemeinheit von ihm ausgeht.

Abgesehen von den Verurteilungen wegen Verbrechen wurde der BF auch mehrfach wegen Vergehen verurteilt. Auch Verwaltungsstrafen wurden bereits mehrmals über den BF verhängt.

Schließlich bleibt zu prüfen, ob die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung das Interesse des BF am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Bei dieser Güterabwägung sind die Verwerflichkeit des Verbrechens und die potentielle Gefahr für die Allgemeinheit den Schutzinteressen des Asylwerbers beinhaltend das Ausmaß und die Art der drohenden Maßnahmen gegenüberzustellen.

Aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen kann im Falle der Rückkehr des BF in die Russische Föderation keine asylrelevante Gefährdung festgestellt werden und auch nicht festgestellt werden, dass er Gefahr liefe, eine Verletzung seiner in Artikel 2 und 3 EMRK garantierten Rechte zu erleiden. Selbst wenn das Gericht von einer asylrechtlich relevanten Verfolgung innerhalb Tschetscheniens bzw. des Föderationskreises Nordkaukasus ausgehen würde, stünde es dem BF offen, sich in einem Gebiet außerhalb Tschetscheniens bzw. des Föderationskreises Nordkaukasus anzusiedeln, beispielsweise in Moskau. Die Situation seit Zuerkennung des Flüchtlingsstatus hat sich – wie sich aus den Länderberichten ergibt – wesentlich geändert. Die Gefahr, welche durch russische Behörden ausging, ist nicht mehr gegeben.

Die Kriegssituation zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine führt ebenfalls nicht zu einer Gefährdung oder Bedrohung des BF. Eine Zwangsrekrutierung konnte nicht festgestellt werde. Die Wehrpflicht wird nur teilweise umgesetzt und in Tschetschenien sind genügend freiwillige Personen, welche sich melden. Weiters hat der BF die Möglichkeit, einen Wehrersatzdienst zu leisten. Repressalien gegen den BF als Rückkehrer konnten konkret nicht festgestellt werden. Bei Rückkehr hat der BF Anspruch auf Grundversorgung, wenngleich diese gemindert ist. Es bestehen aber noch Unterstützungen bei der Wohnungssuche und Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Unterstützung bei der Arbeitssuche. Der BF spricht Russisch und Tschetschenisch und ist er durch seine in Österreich aufhältige Verwandtschaft und dem Umstand, dass er das Herkunftsland im Alter von 20 Jahren verlassen hat, jedenfalls mit den im Herkunftsland herrschenden Gepflogenheiten vertraut. Wenngleich der BF im Bundesgebiet über eine Gattin und fünf minderjährige Kinder verfügt, ist eine Trennung angesichts der Gefährlichkeit des BF jedenfalls gerechtfertigt.

Die Güterabwägung führt sohin zum Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts des BF in Österreich im Verhältnis zu seinen privaten und familiären Interessen am weiteren Aufenthalt in Österreich.

Dem BF war somit der Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 abzuerkennen.

3.1.3. Die belangte Behörde begründet die Aberkennung des Status eines Asylberechtigten ferner mit dem Umstand, dass sich die Lage im Herkunftsstaat nachhaltig geändert habe. Nach den Ermittlungen der belangten Behörde hätte sich ergeben, dass dem BF im Herkunftsland keine Verfolgung mehr drohen würde und im Fall der Rückkehr auch keine sonstige Gefahr drohen würde.

Gemäß Artikel 33, Ziffer eins, der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) darf kein vertragsschließender Staat einen Flüchtling in irgendeiner Form in ein Gebiet ausweisen oder zurückweisen, wo sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre.

Nach Artikel 33, Ziffer 2, GFK kann der Vorteil dieser Bestimmung jedoch von einem Flüchtling dann nicht in Anspruch genommen werden, wenn der Flüchtling aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit seines Aufenthaltslandes darstellt oder der Flüchtling, wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt, eine Gefahr für die Gemeinschaft des betreffenden Landes bedeutet.

Gemäß Artikel eins, Abschnitt C der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), wird dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet, wenn sie

1. sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat; oder

2. die verlorene Staatsangehörigkeit freiwillig wieder erworben hat; oder

3. eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des neuen Heimatlandes genießt; oder

4. sich freiwillig in den Staat, den sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen oder nicht betreten hat, niedergelassen hat; oder

5. wenn die Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.

6. staatenlos ist und die Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, sie daher in der Lage ist, in ihr früheres Aufenthaltsland zurückzukehren.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ging von einem Endigungsgrund und somit von Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 aus.

3.1.4. Die Bestimmung des Artikel eins, Abschnitt C Ziffer 5, verleiht dem Grundsatz Ausdruck, dass die Gewährung von internationalem Schutz lediglich der vorübergehenden Schutzgewährung, nicht aber der Begründung eines Aufenthaltstitels, dienen soll. Bestehen nämlich die Umstände, aufgrund derer eine Person als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr und kann sie es daher nicht weiterhin ablehnen, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen, so stellt auch dies einen Grund dar, den gewährten Status wieder abzuerkennen vergleiche Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, Paragraph 7, AsylG, K8).

Gemäß Artikel eins, Abschnitt C Ziffer 5, GFK wird dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet werden, wenn sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt.

Ein in der Person des Flüchtlings gelegenes subjektives Element spielt auch insofern eine Rolle, zumal aus der in Artikel eins, Abschnitt C Ziffer 5, GFK enthaltenen Wortfolge "nicht mehr ablehnen kann" auch die Zumutbarkeit einer Rückkehr in das Herkunftsland ein entscheidendes Kriterium einer Aberkennung des Flüchtlingsstatus ist vergleiche Putzer/Rohrböck, aaO, Rz 146).

3.1.5. Im vorliegenden Fall handelt es sich beim BF um einen anerkannten Flüchtling, dem der Status des Asylberechtigten aufgrund einer individuellen Gefährdung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zuerkannt worden war.

Wie im angefochtenen Bescheid dargelegt, erfolgte die Aberkennung des Status des Asylberechtigten fallgegenständlich unter anderem aufgrund des Umstandes, dass der BF keine aktuelle bzw. individuelle Gefährdungslage im Herkunftsland glaubhaft vorbringen konnte.

Wie bereits beweiswürdigend festgehalten, liegen die Gründe für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im gegenständlichen Fall nicht mehr vor. Jene Gründe, welche im Jahr 2008 zur Zuerkennung führten, sind zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr gegeben und droht dem BF im Fall einer Rückkehr gegenwärtig keine Gefährdung in seinen Rechten auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Unter Zugrundelegung der aktuellen Länderberichte hat die entscheidungsmaßgebliche Lage im Herkunftsland, insbesondere in seiner Heimatregion Tschetschenien, seit dem Zeitpunkt der Statuszuerkennung eine wesentliche und nachhaltige Änderung erfahren. Auf Grund der in der Beweiswürdigung dargelegten Umstände ergibt sich, dass der BF im Fall einer Rückkehr keiner Gefährdung unterliegen würde. Diesbezüglich ist nun, über zehn Jahre nach Ende des Zweiten Tschetschenienkrieges (dazu, dass die Annahme einer grundlegenden politischen Veränderung im Herkunftsstaat eine gewisse Konsolidierung der Verhältnisse voraussetzt, für deren Beurteilung es in der Regel eines längeren Beobachtungszeitraumes bedarf, s. VwGH 27.02.2006, 2002/20/0170), eine Änderung der Situation im Herkunftsstaat eingetreten, die nicht nur vorübergehend ist.

Es wird zwar nicht außer Acht gelassen, dass seit Ende Februar 2022 ein militärischer Konflikt der Russischen Föderation mit der Ukraine besteht, doch ergibt sich aus den aktuellen Länderberichten keine Gefährdung des BF in einem außergewöhnlichen Maß, das die weitere Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten rechtfertigen würde.

Auch andere Gründe, aus denen eine Verfolgung im Herkunftsstaat drohen würden, hat der BF nicht vorgebracht und konnte eine solche auch nicht von Amts wegen erkannt werden.

Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status als Asylberechtigter liegen somit auch aus diesem Grunde vor.

3.1.6. Die Behörde hat den Status der Asylberechtigen daher im Ergebnis zu Recht aberkannt, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen war.

3.2. Zu Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides (Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten):

3.2.1. Wird der Status des Asylberechtigten aberkannt, so ist einem Fremden gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, „wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.“ Nach Paragraph 8, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, zu verbinden. Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß Absatz 3, leg.cit. bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offen steht.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, AsylG 2005 zu verbinden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum realen Risiko einer drohenden Verletzung der Artikel 2 und 3 EMRK und zur ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im innerstaatlichen Konflikt auseinandergesetzt und fasste wie folgt zusammen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137):

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Artikel 2, oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) insbesondere einer gegen Artikel 2, oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat vergleiche etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053 mwN).

Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus (VwGH vom 26.04.2017, Ra 2017/19/0016). Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Artikel 3, EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat vergleiche VwGH jeweils vom 31. März 2005, 2002/20/0582, 2005/20/0095).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).

Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Artikel 3, EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen vergleiche zum Ganzen zuletzt VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153; 26.6.2019, Ra 2019/20/0050, jeweils mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde vergleiche VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf EGMR 5.9.2013, 61204/09, römisch eins gegen Schweden; siehe dazu auch VwGH 18.3.2016, Ra 2015/01/0255; 19.6.2017, Ra 2017/19/0095; 5.12.2017, Ra 2017/01/0236;).

3.2.2. Im gegenständlichen Fall kann keine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention für den Fall der Rückkehr des BF in die Russische Föderation erkannt werden. Weder aus den Angaben des BF zu den Gründen, die für seine Ausreise aus seinem Herkunftsstaat maßgeblich gewesen sein sollen, noch aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ist im konkreten Fall ersichtlich, dass jene gemäß der Judikatur geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Widerspruch zu Artikel 3, EMRK erscheinen zu lassen:

Wie bereits dargelegt, sind die Gründe, welche ursprünglich für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den BF aufgrund der Stabilisierung der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat und mangels Vorbringens einer konkreten Rückkehrgefährdung nicht mehr gegeben. Auch hat der BF keine seither neu entstandenen substantiierten Rückkehrbefürchtungen vorgebracht.

Beim BF handelt es sich um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann, welcher sowohl über Kenntnisse der Sprachen Tschetschenisch, Russisch als auch Deutsch verfügt, wenngleich sich die Tschetschenischkenntnisse nur auf die wörtliche und nicht auf die schriftliche Verständigung beschränken. Er verfügt über eine – wenn auch dürftige – Schulbildung im Herkunftsland und konnte im Bundesgebiet erste Berufserfahrung sammeln, wenngleich die Arbeitserfahrung nur einige Monate beträgt. Es ist ihm insgesamt jedoch jedenfalls zuzutrauen, dass er einer Beschäftigung, wie beispielsweise Gelegenheitsjobs, nachgehen und dadurch seinen Lebensunterhalt erwirtschaften kann. Zudem besteht bei anfänglichen Schwierigkeiten die Möglichkeit, Leistungen aus dem russischen Sozialsystem in Anspruch zu nehmen oder Unterstützung durch seine in Österreich aufhältigen Familienangehörigen zu erhalten. Aus diesen Gründen kann kein Risiko erkannt werden, dass dieser nach einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.

In Hinblick auf die derzeitige COVID-19-Pandemiesituation ist festzuhalten, dass einerseits die Russische Föderation zum Entscheidungszeitpunkt nach den vorliegenden Infektions- und Sterblichkeitszahlen pro 100.000 Einwohner nicht zu den hauptsächlich von der Pandemie betroffenen Ländern zählt sowie andererseits – sowohl in Österreich als auch in der Russischen Föderation – inzwischen ein breites und kostenloses Impfangebot, von dem der BF Gebrauch machen könnte, um sich vor einer Erkrankung bzw. einem schweren Verlauf zu schützen.

Wie bereits oben erwähnt, bleibt auch der Umstand nicht unberücksichtigt, dass derzeit ein militärischer Konflikt zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine herrscht, doch ergibt sich weder aus den aktuellen Länderberichten, noch aus dem Vorbringen des BF eine im Zusammenhang damit stehende Gefährdung des BF.

Diesbezüglich ist auch festzuhalten, dass angesichts der persönlichen Umstände des BF und der Unterstützungsmöglichkeiten durch seine familiären Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat auch nicht ersichtlich ist, dass dieser von allfälligen negativen wirtschaftlichen Auswirkungen – sei es aufgrund der COVID-19-Pandemie oder die militärische Auseinandersetzung mit der Ukraine – in einem höheren Ausmaß als die in der Russischen Föderation ansässige Durchschnittsbevölkerung betroffen sein würde. Ein bei einer Überstellung des BF in die Russische Föderation vorliegendes „real risk“ einer Verletzung des Artikel 3, EMRK ist somit (auch insoweit) nicht erkennbar.

3.2.3. Aus den dargestellten Gründen begegnet die Beurteilung der Behörde, dass hinsichtlich des BF in der Russischen Föderation nicht von einer realen Gefahr im Sinn des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG ausgegangen werden kann, keinen Bedenken. Zwar ist die (Menschenrechts-)Lage im Nordkaukasus in Einzelfällen nach wie vor als prekär zu beurteilen, von einer generellen Gefährdung aller Bewohner kann jedoch keinesfalls gesprochen werden. Aufgrund der individuellen Umstände des BF kann eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende reale Gefahr („real risk“) einer gegen Artikel 2, oder 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention verstoßenden Behandlung/Bedrohung seiner Person in der Russischen Föderation nicht erkannt werden.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides erweist sich daher als unbegründet.

3.3. Zu Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheides (Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen):

3.3.1. Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß Paragraph 57, Absatz eins, AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt (Ziffer eins,), wenn dies zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel notwendig ist (Ziffer 2,) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Ziffer 3,).

Der BF befindet sich seit 2007 im Bundesgebiet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Der BF erfüllt auch keine der sonstigen Voraussetzungen des Paragraph 57, AsylG, weshalb das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht festgestellt hat, dass dem BF keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz zuzuerkennen ist.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheides war daher als unbegründet abzuweisen.

3.4. Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch IV. des angefochtenen Bescheids):

3.4.1. Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 4, AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der Paragraphen 8, Absatz 3 a, oder 9 Absatz 2, AsylG 2005 vorliegt.

Gemäß Paragraph 52, Absatz 2, FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (Paragraph 10, AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, und kein Fall der Paragraphen 8, Absatz 3 a, oder 9 Absatz 2, AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der BF ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß Paragraph 9, Absatz eins, BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraphen 45 und 48 oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre.

3.4.2. Gemäß Paragraph 9, BFA-VG ist zu prüfen, ob durch die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG in das nach Artikel 8, EMRK geschützte Privat- oder Familienleben des BF eingegriffen wird.

Dabei ist eine Abwägung nach den in Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG demonstrativ aufgezählten Kriterien notwendig.

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und Verfassungsgerichtshofes auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sind Beginn, Dauer und Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts, wobei bezüglich der Dauer vom EGMR keine fixen zeitlichen Vorgaben gemacht werden, zu berücksichtigen; das Ausmaß der Integration im Aufenthaltsstaat, die sich in intensiven Bindungen zu Dritten, in der Selbsterhaltungsfähigkeit, Schul- und Berufsausbildung, in der Teilnahme am sozialen Leben und der tatsächlichen beruflichen Beschäftigung; Bindung zum Heimatstaat; die strafrechtliche Unbescholtenheit bzw. bei strafrechtlichen Verurteilungen auch die Schwere der Delikte und die Perspektive einer Besserung/Resozialisierung des Betroffenen bzw die durch die Aufenthaltsbeendigung erzielbare Abwehr neuerlicher Tatbegehungen; Verstöße gegen das Einwanderungsrecht.

Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen vergleiche EGMR 08.03.2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06; 4. Oktober 2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 09. Oktober 2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).

Gemäß Artikel 8, Absatz eins, EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Artikel 8, Absatz 2, EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

3.4.2.1. Was einen allfälligen Eingriff in das Familienleben des BF betrifft, lässt sich das Bundesverwaltungsgericht von nachstehenden Erwägungen leiten:

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hierfür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht vergleiche EGMR 13. Juni 1979, Marckx, EuGRZ 1979).

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des „Familienlebens“ in Artikel 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern beispielsweise auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14. März 1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6. Oktober 1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben im Sinne des Artikels 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Artikel 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind vergleiche etwa VwGH 26. Januar 2006, 2002/20/0423; 8. Juni 2006, 2003/01/0600; 26. Januar 2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt). Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass eine aufenthaltsbeendende Entscheidung nicht in die Rechtssphäre der im Inland verbleibenden Familienmitglieder eingreift. Die Entscheidung gestaltet ausschließlich Rechte der Person, die den Aufenthaltsstaat verlassen soll, während in der Rechtssphäre der anderen Familien-mitglieder nur Reflexwirkungen auftreten (VfSlg. 17.047/2003, 15.744/2000). Dabei wird jedoch nicht verkannt, dass der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass die Auswirkungen einer Ausweisung (nunmehr: Rückkehrentscheidung) eines Familienmitgliedes auf die Lebenssituation der (im Inland verbleibenden) Familie zu beachten sind (VwGH 15. Dezember 2011, 2009/18/0023).

Der Bindung eines Fremden an einen österreichischen Ehepartner kommt im Rahmen der Abwägung nach Artikel 8, MRK große Bedeutung zu, was auch in der Bestimmung des Paragraph 9, Absatz 2, letzter Satz BFA-VG 2014 Ausdruck findet. In einem solchen Fall müssen nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Fremden und seines Ehepartners, insbesondere zu den Wohnverhältnissen, der Art ihrer Beschäftigungen und den erzielten Einkommen, aber etwa auch zur Frage der Deutschkenntnisse sowie zu den Bindungen zum Heimatstaat und zur Möglichkeit und Zumutbarkeit der Führung eines Familienlebens außerhalb Österreichs getroffen werden (Hinweis Erkenntnisse vom 11. Juni 2014, 2012/22/0142, und vom 17. April 2013, 2012/22/0235, jeweils mwN).

Ein Familienleben zwischen Eltern und Kindern entsteht grundsätzlich mit der Geburt der Kinder (z.B. EGMR, L. gegen die Niederlande, 01.06.2004, Nr. 45582/99) und unabhängig von einem gemeinsamen Wohnsitz der Eltern (EGMR, Berrehab gegen die Niederlande, 21.06.1988, Nr. 10730/84); daher reichen regelmäßige Wochenendbesuche aus (VfGH 11.03.2014, U37-39/2013-13). Dies gilt für die Beziehung zu beiden Elternteilen, wenn diese verheiratet sind oder in einer sonstigen, in den Anwendungsbereich von Artikel 8, EMRK fallenden stabilen Partnerschaft leben. Diese besonders geschützte Verbindung des Familienlebens kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden vergleiche EGMR 19.2.1996, Fall Gül, Appl. 23.218/94 [Z 32]). Ferner ist es nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens, dass sich Eltern und Kinder der Gesellschaft des jeweiligen anderen Teiles erfreuen können; die Familienbeziehung wird insbesondere nicht dadurch beendet, dass das Kind in staatliche Pflege genommen wird vergleiche VfSlg. 16.777/2003 mit Hinweis auf EGMR 25.2.1992, Fall Margareta und Roger Andersson, Appl. 12.963/87 [Z 72] mwN; zu den Voraussetzungen für ein [potentielles] Familienleben zwischen einem Kind und dessen Vater siehe auch EGMR 15.9.2011, Fall Schneider, Appl. 17.080/07 [Z 81] mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt darauf verwiesen, dass ein Kind grundsätzlich Anspruch auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen hat. Wird es durch die Rückkehrentscheidung gegen den Vater gezwungen, ohne diesen aufzuwachsen, so bedarf diese Konsequenz einer besonderen Rechtfertigung vergleiche VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn. 18, mwN, und VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0134, Rn. 20, sowie auf diese Erkenntnisse Bezug nehmend VwGH 16.7.2020, Ra 2020/18/0226, Rn. 8/9).

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind die konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung für ein Elternteil auf das Wohl eines Kindes zu ermitteln und bei der Interessenabwägung nach Artikel 8, Absatz 2, EMRK zu berücksichtigen. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, es sei lebensfremd anzunehmen, dass der Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könne vergleiche dazu etwa VfGH 26.02.2019, E3079/2018, mwN).

Auch wenn bei allen Entscheidungen, bei denen Kinder betroffen sind, das Kindeswohl zu berücksichtigen ist, betrifft die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen einen straffällig gewordenen Fremden primär diesen selbst; außerdem ist die Schwere der Straftaten in die Abwägung miteinzubeziehen vergleiche EGMR, 01.12.2016, Salem, Zl. 77036/11, Absatz 76 ;, vergleiche auch die Entscheidungen des VfGH vom 09.10.2018, E 3159/2017 und des VwGH vom 03.07.2018, Ra 2018/21/0050 und vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0063).

Im vorliegenden Fall sind einerseits die Brüder, eine Schwester und ein Cousin des BF im Bundesgebiet aufhältig. Zu diesen besteht allerdings kein wie auch immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis.

Allerdings verfügt der BF zudem über seine Gattin und fünf Kinder in Österreich. Mit der Kindesmutter lebt er bereits seit 10 Jahren im selben Haushalt, unterbrochen durch seine 2,5-jährige Haft. Es ist somit zweifelsfrei von einem schützenswerten Familienleben des BF im Bundesgebiet auszugehen.

Zwar stellt die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den BF einen Eingriff in sein Familienleben dar, doch ist dieser Eingriff jedenfalls gerechtfertigt und steht es ihm frei, dass er die Beziehung zu seinen Familienangehörigen künftig via elektronischen Medien und dem Internet sowie Besuchen im Herkunftsland aufrechterhält. Angesichts der Angaben der Gattin des BF, wonach diese über familiäre Anknüpfungspunkte in der Russischen Föderation verfüge und zudem vorhabe, einen russischen Reisepass zu beantragen, ist es dieser jedenfalls zuzumuten, dass sie den BF im Heimatland mit den Kindern besuchen könnte.

3.4.2.2. Zu einem allfälligen schützenswerten Privatleben des BF im Bundesgebiet:

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Artikel 8, Absatz 2, EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, 2007/01/0479).

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen vergleiche EGMR 16. Juni 2005, Fall Sisojeva ua, Appl 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt auch die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt vergleiche dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Artikel 8, MRK, in ÖJZ 2007, 852ff.). Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Interessenabwägung gemäß Artikel 8, EMRK ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Artikel 8, EMRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (VwGH 10. November 2015, 2015/19/0001; VwGH 26. März 2015, 2013/22/0303; VwGH 16. Dezember 2014, 2012/22/0169; VwGH 19. November 2014, 2013/22/0270; VwGH 10. Dezember 2013, 2013/22/0242).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist aber auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Es ist daher auch in Fällen eines mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthaltes eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung aller fallbezogen maßgeblichen Aspekte vorzunehmen, wenn auch unter besonderer Gewichtung der langen Aufenthaltsdauer (VwGH 17.10.2016 Ro, 2016/22/0005; 23.02.2017 Ra2016/21/0340).

Ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale können gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden; dazu zählen etwa das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung vergleiche VwGH 30.06.2016) und Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften vergleiche VwGH 16.10.2012, 2012/18/0062).

Der Verwaltungsgerichtshof geht aber auch davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält, als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält. Zu Lasten eines Fremden fallen rechtskräftige Verurteilungen durch ein inländisches Gericht ins Gewicht vergleiche VwGH 27. Februar 2007, 2006/21/0164, mwN, wo dieser zum wiederholten Male klarstellt, dass das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Artikel 8, Absatz 2, EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt). Wie der Verwaltungsgerichtshof auch in jüngster Rechtsprechung immer wieder ausgeführt hat, erhöht eine wiederholte Straffälligkeit das Interesse an einer Rückkehrentscheidung und kann in einer Gesamtabwägung schwerer wiegen als familiäre Interessen vergleiche etwa VwGH 31. August 2017, Ra 2017/21/0012).

Im Fall des BF, der sich seit seiner Einreise im Jahr 2005 im Alter von 20 Jahren durchgehend und bis zur Aberkennung des Asylstatus rechtmäßig in Österreich aufhält, ist demnach jedenfalls vom Bestehen eines schützenswerten Privatlebens in Österreich auszugehen.

3.4.2.3. Dies bedeutet für den konkreten Beschwerdefall Folgendes:

Aufgrund seines langjährigen Aufenthalts hat der BF grundsätzlich seinen Lebensmittelpunkt in Österreich, jedoch weist er keine außergewöhnliche Integration auf.

Weder besuchte der BF eine weiterführende Schule, noch schloss er eine andere Berufsausbildung ab. Während seines Aufenthalts war der BF lediglich für wenige Monate beschäftigt und lebte sonst ausschließlich von staatlicher Unterstützung. Von einer besonderen beruflichen Integration kann daher jedenfalls keine Rede sein.

Die Deutschkenntnisse des BF lassen sich auf seinen langen Aufenthalt im Bundesgebiet zurückführen. Sonst setzte der BF keine nennenswerten Integrationsschritte.

Während seines bisherigen Aufenthalts in Österreich finanzierte der BF somit seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Sozialleistungen des österreichischen Staates und war den Großteil seines Aufenthaltes nicht selbsterhaltungsfähig. Einen Teil seines Aufenthalts in Österreich verbrachte er zudem in Haft. Aufgrund des Verhaltens des BF ist im Falle des Weiterverbleibs im Bundesgebiet davon auszugehen, dass er weiterhin auf Sozialleistungen des österreichischen Staates angewiesen sein wird.

Der BF hat sich nicht ehrenamtlich betätigt und kann bis auf seine hier aufhältigen Familienmitglieder keine außergewöhnlich engen sozialen Bindungen im Bundesgebiet aufweisen. Es ist schon aufgrund des langen Aufenthalts des BF naturgemäß ein Bekanntenkreis im österreichischen Bundesgebiet entstanden.

Im Jahr 2005 reiste der BF in das österreichische Bundesgebiet ein und lebt daher seit etwa 17 Jahren in Österreich. Bei einem mehr als zehnjährigen Aufenthalt ist ein anderer Beurteilungsmaßstab im Sinne der Judikatur heranzuziehen und regelmäßig von einem Überwiegen des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bzw. die Nichterteilung eines humanitären Aufenthaltstitels ausnahmsweise nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (siehe VwGH 17. Oktober 2016, Ro 2016/22/0005, Rn. 11, mwN).

Aufgrund seiner langjährigen Aufenthaltsdauer sowie der im Bundesgebiet lebenden Angehörigen bestehen im Falle des BF zweifellos hohe persönliche Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet.

Was den gegenständlichen Fall betrifft, ist einerseits festzuhalten, dass diese Rechtsprechungslinie nur Konstellationen betroffen hat, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (VwGH 25.4.2014, Ro 2014/21/0054; 10.11.2015, Ro 2015/19/0001; VwGH 10.9.2018, Ra 2018/19/0169-10). Wie erwähnt, weist der BF insgesamt 2 (in Österreich und der Slowakei) rechtskräftige Verurteilungen wegen unterschiedlicher Delikte, insbesondere im Bereich der Vermögensdelinquenz und Delikte gegen Leib und Leben auf.

Gemäß Artikel 8, Absatz 2, EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ohne Zweifel handelt es sich sowohl bei der belangten Behörde als auch beim Bundesverwaltungsgericht um öffentliche Behörden im Sinne des Artikel 8, Absatz 2, EMRK und ist der Eingriff in Paragraph 10, AsylG gesetzlich vorgesehen.

In weiterer Folge ist zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens des BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Artikel 8, EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne von Artikel 8, Absatz 2, EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.

Aufgrund der nachstehenden Erwägungen fällt die Interessenabwägung im Sinne des Artikel 8, Absatz 2, EMRK insgesamt zu Lasten des BF aus und stellt die aufenthaltsbeendende Maßnahme jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Artikel 8, Absatz 2, EMRK dar:

3.4.2.4. Zusammengefasst kam der BF im Alter von 20 Jahren nach Österreich und hält sich nunmehr seit knapp 17 Jahren im österreichischen Bundesgebiet auf. Im Jahr 2011 und 2017 ist der BF straffällig geworden und weist sein Strafregisterauszug zwei rechtskräftige Verurteilungen auf.

Der BF zeigte sich während der Strafverhandlungen teilweise geständig, was ihm auch als Milderungsgrund zugutekam. Jedoch beging der BF Delikte meist zusammen mit Mittätern und wurde er bei seinem Strafverfahren in Österreich zugleich wegen zahlreichen Delikten verurteilt, die allesamt einen hohen Unrechtsgehalt aufwiesen, da er massive Drohungen aussprach, um zusammen mit seinen Mittätern einen Geldbetrag in der Höhe von mehreren zehntausend Euro zu erpressen. Aus diesem Grund wurde über den BF bei seiner Verurteilung in Österreich sogleich eine unbedingte Haftstrafe verhängt.

In Gesamtbetrachtung dieses Verhaltens kann unweigerlich von keiner zugunsten des BF ausfallenden Gefährdungsprognose ausgegangen werden. Dies vor allem auch vor dem Hintergrund, dass der BF über einen längeren Zeitraum delinquentes Verhalten setzte und auch nicht vor schweren Straftaten und der Androhung und Anwendung von massiver Gewalt zurückschreckte.

3.4.2.5. Die nach Artikel 8, Absatz 2, EMRK gebotene Abwägung fällt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes, auch im Hinblick auf die genannte Judikatur zur mehr als zehnjährigen Aufenthaltsdauer, nicht zugunsten des BF aus:

Zusammenfassend hat der BF seine in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genutzt, um sich sozial und beruflich zu integrieren. Den Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich aus privaten Gründen stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des Paragraph 9, BFA-VG geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch eine angeordnete Rückkehrentscheidung keine Verletzung des Artikel 8, EMRK vorliegen würde.

Der BF wuchs in Tschetschenien bis zum Alter von 20 Jahren auf. Er ist sohin mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates bestens vertraut, womit eine Rückkehr in den Herkunftsstaat zumutbar und möglich wäre. Auch wenn der BF – wie nach eigenen Angaben – keine familiären Anknüpfungspunkte mehr in der Russischen Föderation aufweist, kann er bei einer Rückkehr dennoch Unterstützung durch seine in Österreich aufhältigen Familienmitglieder erwarten. Bei dem BF handelt es sich um einen volljährigen jungen Mann, welcher an keinen sein Alltagsleben oder seine Erwerbsfähigkeit beeinträchtigenden Erkrankungen leidet. Vor dem Hintergrund seiner individuellen Umstände sind keine Gründe erkennbar, welche einer Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Herkunftsstaat und eigenständigen Bestreitung seines Lebensunterhalts entgegenstehen würden, zumal er zumindest die tschetschenische Sprache beherrscht und sich jedenfalls am Arbeitsmarkt integrieren kann.

In Bezug auf seine in Österreich aufhältige Gattin und seine Kinder ist auszuführen, dass es dem BF jedenfalls möglich wäre, bei einer Rückkehr in das Herkunftsland vorübergehend über elektronische Kommunikationsmittel, etwa Videotelefonie, Kontakt zu seiner Familie aufrechtzuerhalten. Seine Kinder befinden sich zu einem Großteil in einem Alter, in dem bereits eine ausreichende Bindung hergestellt ist, die durch eine vorübergehende Ausweisung des Vaters nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt werden würde. Einzig und allein für das jüngste Kind, welches nunmehr etwa 2,5 Jahre alt ist, ist diese Möglichkeit nur erschwert durchführbar. Dennoch bestünde auch die Möglichkeit, dass die Gattin des BF diesen zusammen mit den Kindern im Herkunftsland besucht. Wie sich aus den Angaben der Gattin des BF ergab, leben nach wie vor einzelne Familienangehörige der BF im Herkunftsland und beabsichtigte diese auch, einen russischen Reisepass zu beantragen, weshalb jedenfalls nicht davon auszugehen ist, dass die Gattin des BF eine Gefährdung im Herkunftsland zu befürchten hat.

Zudem ist festzuhalten, dass sich die konkreten Auswirkungen der Aufenthaltsbeendigung auf das Kindeswohl insofern abgeschwächt darstellen, als der BF bereits durch seine zweieinhalbjährige Inhaftierung eine Einschränkung des Kontaktes zu seinen Kindern selbst herbeiführte und in Kauf nahm. Somit mussten die Gattin des BF und dessen Kinder bereits über einen langen Zeitraum ohne den BF auskommen. Zudem sind seine Gattin und die Kinder aufgrund des mangelnden Einkommens des BF und dem Umstand, dass er bisher keinen Unterhalt leistete, finanziell nicht auf den BF angewiesen.

Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände erweist sich der Eingriff in das Familienleben des BF daher zwar als schwerwiegend, aber als zulässig und erforderlich. Insbesondere steht das Kindeswohl in Anbetracht der vom BF ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung im konkreten Fall nicht entgegen.

Dem BF ist es möglich, seiner mit Erlassung der gegenständlichen Rückkehrentscheidung entstehenden Ausreiseverpflichtung innerhalb der ihm gesetzten Frist nachzukommen und nach Ablauf des gegen ihn erlassenen – insbesondere aufgrund seiner engen familiären Bindungen in Österreich und seinem Willen zu einer positiven Lebensführung deutlich reduzierten – Einreiseverbotes und unter Einhaltung der niederlassungs- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen in das österreichische Bundesgebiet zurückzukehren; bis dahin ist dem BF und seinen Familienangehörigen die Aufrechterhaltung ihrer Beziehungen wie oben beschrieben möglich und zumutbar.

Die Erlassung der Rückkehrentscheidung ist daher im vorliegenden Fall geboten und verhältnismäßig und die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch IV. abzuweisen.

3.5. Zu Spruchpunkt römisch fünf. des angefochtenen Bescheids (Zulässigkeit der Abschiebung):

3.5.1. Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Nach Paragraph 50, Absatz eins, FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Nach Paragraph 50, Absatz 2, FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Artikel 33, Ziffer eins, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974,), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005).

Nach Paragraph 50, Absatz 3, FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den getroffenen Länderfeststellungen in Zusammenschau mit seiner individuellen Situation, wie an anderer Stelle bereits dargelegt, keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des Paragraph 50, FPG ergeben würde.

Zwar verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass seit Ende Februar 2022 ein militärischer Konflikt zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation besteht, doch kann aufgrund dessen keine Gefährdung des BF erkannt werden, die seine Abschiebung als unzulässig darstellen würden. Es bestehen keine Hinweise auf Zwangsrekrutierungen und stellt sich die Situation in der Russischen Föderation nicht als derart gefährlich dar, als dass eine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit bei einer Rückkehr zu befürchten wäre.

Daher war die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt römisch fünf. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.6. Zu Spruchpunkt römisch VI. des angefochtenen Bescheides (Frist für die freiwillige Ausreise):

Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt; die Frist beträgt gemäß Paragraph 52, Absatz 2, FPG vierzehn Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Derartige Gründe wurden im vorliegenden Fall nicht dargetan und liegen keine Anhaltspunkte vor, die für eine längere Frist sprächen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.7. Zu Spruchpunkt römisch VII. des angefochtenen Bescheides (Einreiseverbot):

3.7.1. Mit einer Rückkehrentscheidung kann gemäß Paragraph 53, FPG vom Bundesamt ein Einreiseverbot erlassen werden vergleiche VwGH vom 14.11.2017, Ra 2017/21/0151). Einreiseverbote enthalten die normative Anordnung, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten vergleiche VwGH vom 14.11.2017 Ra 2017/21/0151). Die Zulässigkeit der Verhängung eines Einreiseverbotes verlangt eine Einzelfallprüfung, wobei das gesamte Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu werten ist, ob der weitere Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Sicherheit gefährdet vergleiche VwGH vom 20.09.2018 Ra 2018/20/0349). Eine vorsätzliche Vorgehensweise ist dabei nicht zwingend erforderlich vergleiche VwGH vom 24.05.2018 Ra 2017/19/0311). Der bloße unrechtmäßige Aufenthalt stellt indessen keine derartige Gefährdung dar vergleiche VwGH vom 24.06.2018 RA 2018/19/0125). Die Dauer des Einreiseverbotes ist daher abhängig vom bisherigen Unrechtsgehalt des Verhaltens des Drittstaatsangehörigen vergleiche VwGH vom 24.05.2018 RA 2017/19/0311). Geht von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus, wird grundsätzlich ein längerfristiges Einreiseverbot zu verhängen sein vergleiche Paragraph 53, Absatz 3, FPG). Ist aber keine gravierende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu erwarten, ist grundsätzlich ein kurzfristiges Einreiseverbot sachgerecht wie z.B. bei der bloßen Erfüllung eines der Tatbestände des Paragraph 53, Absatz 2, Ziffer eins bis 9 FPG vergleiche VwGH vom 04.08.2016 RA 2016/21/0207). Die Erfüllung eines Tatbestandes des Paragraph 53, Absatz 2, FPG rechtfertigt grundsätzlich ein Einreiseverbot im Ausmaß von mindestens 18 Monaten. Die Ausschöpfung der Höchstfristen kommt bei der bloßen Erfüllung eines Tatbestandes des Paragraph 53, Absatz 2, FPG jedoch regelmäßig nicht in Betracht vergleiche VwGH vom 15.12.2011 2011/21/0237).

Der mit „Einreiseverbot“ betitelte Paragraph 53, FPG lautet wie folgt:

„(1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

[...]

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Absatz eins, ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Ziffer 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;

4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (Paragraph 278 a, StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (Paragraph 278 b, StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (Paragraph 278 c, StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (Paragraph 278 d, StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (Paragraph 278 e, StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (Paragraph 278 f, StGB);

7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

(5) Eine gemäß Absatz 3, maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. Paragraph 73, StGB gilt.“

3.7.2. In Anbetracht des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

In seinem Erkenntnis vom 15.12.2011, 2011/21/0237, hat der Verwaltungsgerichtshof zur Rechtslage vor dem FPG idgF (in Kraft seit 01.01.2014) erwogen, dass bei der Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes nach dem FrÄG 2011 eine Einzelfallprüfung vorzunehmen vergleiche ErläutRV, 1078 BlgNR 24. Gesetzgebungsperiode 29 ff und Artikel 11, Absatz 2, Rückführungs-RL) sei. Dabei hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchen zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Artikel 8, Absatz 2, MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Ziffer eins bis 9 des Paragraph 53, Absatz 2, FrPolG 2005 in der Fassung FrÄG 2011 anzunehmen. In den Fällen des Paragraph 53, Absatz 3, Ziffer eins bis 8 FrPolG 2005 in der Fassung FrÄG 2011 ist das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit indiziert, was dann die Verhängung eines Einreiseverbotes in der Dauer von bis zu zehn Jahren und, liegt eine bestimmte Tatsache im Sinn der Ziffer 5 bis 8 vor, von unbefristeter Dauer ermöglicht. Dass bei Vorliegen der letztgenannten Konstellation - wie die ErläutRV formulieren - "jedenfalls" ein unbefristetes Einreiseverbot zu erlassen ist, findet im Gesetz aber keine Deckung und stünde auch zu Artikel 11, Absatz 2, der Rückführungs-RL (arg.: "kann") in Widerspruch. Dagegen ist festzuhalten, dass - wie schon nach bisheriger Rechtslage vergleiche E 20.11.2008, 2008/21/0603) - in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern immer auf das zugrunde liegende Verhalten abzustellen ist. Maßgeblich sind Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild; darauf kommt es bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots an.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum früher geltenden Paragraph 63, FPG (IdF vor dem FrÄG 2011), der die Festlegung der Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltsverbotes regelte, war ein Aufenthaltsverbot für jenen Zeitraum zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und auf unbestimmte Zeit (unbefristet), wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden kann.

Nach dem nunmehr geltenden Paragraph 53, Absatz 2, zweiter Satz FPG ist bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes von der Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen miteinzubeziehen und zu berücksichtigen, ob der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder anderen im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. In diesem Sinn sind auch die bei einem auf Paragraph 53, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 3, FPG gegründeten Einreiseverbot die dort genannten Umstände als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant sind, zu berücksichtigen (VwGH 22.05.2013, 2011/18/0259).

Bei der für ein Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen vergleiche VwGH 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0289; 24. März 2015, Ra 2014/21/0049).

Bei der Entscheidung betreffend die Verhängung eines Einreiseverbots ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Fremden - darauf abzustellen, wie lange die vom Fremden ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH 15. Dezember 2011, 2011/21/0237).

Weiters ist bei der Entscheidung über die Dauer des Einreiseverbots auch auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen (VwGH 30. Juni 2015, Ra 2015/21/0002; vergleiche auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, Paragraph 53, FPG, K12).

Schließlich darf bei der Verhängung eines Einreiseverbots das Ausschöpfen der vorgesehenen Höchstfristen nicht regelmäßig schon dann erfolgen, wenn einer der Fälle des Paragraph 53, Absatz 2, Ziffer eins bis 9 bzw. des Paragraph 53, Absatz 3, Ziffer eins bis 8 FPG vorliegt vergleiche etwa VwGH 30. Juni 2015, Ra 2015/21/0002 mwH).

3.7.3. Im vorliegenden Fall stützte die belangte Behörde das verhängte Einreiseverbot auf den Tatbestand des Paragraph 53, Absatz 3, Ziffer eins, FPG, zumal der BF mehrmals zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt wurde.

Im Jahr 2017 wurde der BF in Österreich rechtskräftig wegen einer Straftat zu einer unbedingten Haft verurteilt.

Angesichts der mittlerweile zwei rechtskräftigen Verurteilungen und der zahlreichen Verwaltungsübertretungen des BF in Österreich ist keinesfalls erkennbar, dass der BF ein Interesse daran hat, die in Österreich geltenden Regeln und Gesetze zu befolgen.

In Anbetracht dessen ist die Annahme der Behörde, dass vom BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht, jedenfalls gerechtfertigt und begründet. Zumal sich der BF bisher auch durch eine Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe nicht von der Begehung weiterer Straftaten abbringen ließ, ist nicht auszuschließen, dass der BF bei einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet erneut straffällig wird und ist im vorliegenden Fall daher von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen.

Was die zu berücksichtigenden privaten und familiären Interessen des BF betrifft, ist anzuführen, dass der BF über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte in Österreich verfügt, zumal sowohl seine Gattin und die gemeinsamen Kinder sowie die Geschwister des BF im Bundesgebiet aufhältig sind.

Die im Bundesgebiet vorhandenen familiären und privaten Bindungen müssen fallgegenständlich jedoch gegenüber den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung und der Verhinderung weiterer Straftaten zurücktreten. Der BF hat durch die Begehung von mit langjährigen Haftstrafen bedrohten strafbaren Handlungen die Trennung von seinen in Österreich lebenden Verwandten und Familienangehörigen bewusst in Kauf genommen und es wird ihm möglich sein, den Kontakt zu den Genannten nach einer Rückkehr telefonisch oder im Wege moderner elektronischer Kommunikationsmittel oder durch Besuche im Herkunftsland aufrecht zu erhalten.

Es ist daher der Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung des Einreiseverbotes zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte anderer) dringend geboten sei, zuzustimmen und wird das persönliche Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich durch sein strafrechtswidriges Verhalten stark gemindert.

Das von der belangten Behörde angeordnete Einreiseverbot gemäß Paragraph 53, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 3, Ziffer eins, FPG ist somit als gerechtfertigt anzusehen und erweist sich die von der belangten Behörde ausgesprochene Dauer des Einreiseverbotes in der Höhe von fünf Jahren angesichts der Umstände des konkreten Einzelfalls als angemessen, um einen Wegfall der vom BF ausgehenden Gefährdung prognostizieren zu können.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch VI. des angefochtenen Bescheides war demnach als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2022:W268.1300799.4.00