Bundesverwaltungsgericht
16.05.2022
W250 2243980-1
W250 2243980-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2021, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 11.02.2017 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Es lagen zu diesem Zeitpunkt bereits Eurodac-Treffermeldungen betreffend Griechenland (vom 31.01.2016) sowie Deutschland (vom 10.02.2016) vor. Im Zuge eines Konsultationsverfahren stimmte Deutschland der Übernahme des Beschwerdeführers gemäß Artikel 18, Absatz eins, Litera b, Dublin III-VO ausdrücklich zu. Der erste Asylantrag des Beschwerdeführers wurde in der Folge mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden Bundesamt, BFA oder belangte Behörde genannt) vom 10.04.2017 gemäß Paragraph 5, Absatz eins, Asylgesetz 2005 – AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Deutschland zulässig ist. Die gegen diesen Bescheid am 24.04.2017 erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 abgewiesen. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer nach Deutschland überstellt.
2. Der Beschwerdeführer stellte am 15.11.2019 den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag) in Österreich, nachdem er aufgrund eines Festnahmeauftrages vom 14.11.2019 im Bundesgebiet festgenommen worden war und zur Prüfung der Erlassung einer Rückkehrentscheidung einvernommen wurde.
3. Am 15.11.2019 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er im Iran aufgewachsen sei und diesen im Alter von 15 Jahren verlassen habe. In Österreich würden seine Eltern sowie zwei seiner Brüder leben. Die Genannten seien anerkannte Flüchtlinge in Österreich. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, er habe niemanden in Afghanistan. Außerdem habe er keine Religion - jedoch Tattoos - was in Afghanistan nicht toleriert werde. Er würde aufgrund dessen getötet werden. Er habe sich nach Verlassen des Iran drei bis vier Jahre in der Türkei aufgehalten und sei von dort über Griechenland, Mazedonien nach Deutschland gereist. Anschließend sei er ca. drei Monate in Österreich gewesen, dann wieder ca. ein Jahr in Deutschland sowie fünf bis sechs Monate in Frankreich. Von dort sei er über Deutschland wieder nach Österreich gelangt, wo er sich seit ca. drei Monaten aufhalte. Von Österreich sei er nach Deutschland abgeschoben worden. Sein Asylantrag in Deutschland sei negativ entschieden worden. Er sei die meiste Zeit obdachlos und auf sich alleine gestellt gewesen und wolle nunmehr in Österreich bei seiner Familie bleiben vergleiche Niederschrift vom 15.11.2019, AS 33 bis AS 45).
4. Das Bundesamt richtete am 20.11.2019 ein auf Artikel 18, Absatz eins, Litera b, Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Deutschland. Mit Schreiben vom 25.11.2019 stimmte Deutschland dem Wiederaufnahmegesuch gemäß Artikel 18, Absatz eins, Litera d, Dublin III-VO ausdrücklich zu.
5. Im Zuge einer Einvernahme im Zulassungsverfahren vor dem Bundesamt am 10.01.2020 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, während seiner Zeit in Deutschland habe er auf der Straße gelebt. Er habe psychische Probleme und brauche eine Operation; er könne nicht richtig atmen. Er gab weiter an, er habe einen Unfall gehabt und oftmals starke Kopfschmerzen und könne dann keine Adresse finden oder sich orientieren. Seine ganze Familie lebe als anerkannte Flüchtlinge in Österreich und unterstütze den Beschwerdeführer finanziell und auch sonst bei der Bewältigung des Alltags. Er brachte vor, dass er sein Leben nicht allein führen könne, sein Vater und sein Bruder seien nach Deutschland gereist um sich dort um ihn zu kümmern. Der Beschwerdeführer legte CT-Bilder seines Schädels, einen Schülerausweis seines Bruders, den Reisepass seines Vaters, sowie eine Bestätigung über ein psychologisches Beratungsgespräch vor vergleiche Niederschrift vom 10.01.2020, AS 163 bis AS 177).
6. Eine durch die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers in der Einvernahme am 10.01.2020 angeregte und durch die belangte Behörde beauftragte „Gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren“ vom römisch 40 ergab, dass beim Beschwerdeführer keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung, jedoch eine psychische Störung durch psychotrope Substanzen in Form von Heroinabhängigkeit, sowie der Verdacht auf multiplen Substanzgebrauch vorliege. An therapeutischen bzw. medizinischen Maßnahmen werde eine eventuelle Aufnahme in das Drogenersatzprogramm oder eine Entzugsbehandlung angeraten, welche in jedem europäischen Land möglich sei vergleiche AS 205 f.).
7. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 19.02.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 15.11.2019 ohne in die Sache einzutreten gemäß Paragraph 5, Absatz eins, AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland gemäß Artikel 18, Absatz eins, Litera d, Dublin III-VO zur Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt römisch eins.), sowie gemäß Paragraph 61, Absatz eins, Fremdenpolizeigesetz Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, (FPG), die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß Paragraph 61, Absatz 2, FPG dessen Abschiebung nach Deutschland zulässig sei (Spruchpunkt römisch II.).
8. In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde vom 04.03.2020 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er an einer akuten Drogensucht leide, welche als Krankheit zu qualifizieren sei. Er sei von Heroin und anderen Substanzen abhängig und somit auf eine Entzugsbehandlung angewiesen. Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers seien bereits anerkannte Flüchtlinge in Österreich. Die Überstellung des Beschwerdeführers nach Deutschland würde die soeben wieder zusammengeführte Familie auseinanderreißen, darüber hinaus wäre die ohnehin prekäre psychische und physische Gesundheit des Beschwerdeführers durch die Überstellung und Trennung seiner Familie und den Verlust des emotionalen Rückhaltes erheblich gefährdet. Eine Verletzung von Artikel 3, EMRK könne nicht ausgeschlossen werden und die Überstellung des vulnerablen Beschwerdeführers nach Deutschland sei demnach unzulässig (AS 387 f.).
9. Am 03.04.2020 langte eine Beschwerdeergänzung ein, der ein klinisch-psychologischer Befundbericht vom römisch 40 angeschlossen war. Darin wurde die Wichtigkeit der räumlichen Nähe zur Familie des Beschwerdeführers hervorgehoben. Überdies sei dem Befund zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer ausgeprägte Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung zeige und eine schwere depressive Störung mit suizidalen Gedanken und Handlungen zu beobachten sei. Außerdem sei ein organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntraumen durch Folter und durch Drogenkonsum als wahrscheinlich anzusehen (AS 433 f.).
10. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.04.2020 wurde der Beschwerde gemäß Paragraph 21, Absatz 3, 2. Satz BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG stattgegeben und der Bescheid vom 19.02.2020 behoben. Begründend wurde ausgeführt, dass das Bundesamt keine Feststellungen zur derzeit bestehenden COVID-19 Pandemie und deren unmittelbaren Auswirkungen (Grenzschließungen, Ausgangssperren) getroffen und sich auch nicht ausreichend damit auseinandergesetzt habe, ob der Beschwerdeführer aufgrund seiner Drogensucht tatsächlich in der Lage sei, seine Angelegenheiten für sich selbst zu regeln. Der Beschwerdeführer sei drogenabhängig und vulnerabel. Seine Kernfamilie lebe in Österreich. Ein Eingriff in die Rechte des Beschwerdeführers nach Artikel 3, EMRK bei einer Überstellung nach Deutschland könne nicht ausgeschlossen werden.
11. In einer weiteren „Gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren“ gelangte die sachverständige Ärztin am römisch 40 zu dem Ergebnis, dass beim Beschwerdeführer aktuell eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung in Form eines hochgradigen Verdachtes auf PTBS sowie eine Opiatabhängigkeit vorlägen; derzeit befinde sich der Beschwerdeführer in einem ärztlich überwachten Substitutionsprogramm. Weiters wird in der Stellungnahme ausgeführt, dass sich der psychische und damit auch der physische Zustand des Beschwerdeführers bei einer Überstellung deutlich verschlechtern würde; eine Suizidhandlung sei nicht ausgeschlossen. Es bestehe die Annahme, dass der Beschwerdeführer im Alter von rund römisch 40 bis römisch 40 Jahren glaubhaft sexuell missbraucht worden sei und darauf mit PTBS reagiert habe. Die Drogenabhängigkeit und der Alkoholkonsum dürfe demnach als Selbstmedikation zur Selbstanästhesierung interpretiert werden (AS 525 f.).
12. In einer Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 22.07.2020 wurde zu oben genanntem Gutachten ausgeführt, dass daraus eindeutig hervorgehe, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zumutbar sei. Er sei nämlich auf medizinische Behandlung angewiesen, die ihm in seinem Herkunftsland nicht zur Verfügung stehe. Bereits der Konsum von Alkohol sei in Afghanistan (auch nach dem Fall der Taliban) illegal und werde bestraft. Dem Beschwerdeführer würden daher asylerhebliche Eingriffe in seine körperliche Integrität drohen. Auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Alkohol vom 13.03.2018 wurde verwiesen. Der Beschwerdeführer könne seine Drogen- und Alkoholabhängigkeit in Afghanistan aufgrund der schlechten medizinischen Versorgungslage nicht adäquat behandeln lassen. Auch ergebe sich aus den UNHCR Richtlinien vom April 2016, dass Alkohol- und Drogenabhängige mit Beschimpfungen und Bedrohungen zur rechnen hätten bzw. der Gefahr willkürlicher Übergriffe ausgesetzt seien. Auch die Versorgung von Personen mit psychischen Erkrankungen sei in Afghanistan sehr prekär. Bei einer Rückkehr sei eine Suizidhandlung nicht auszuschließen. Der Beschwerdeführer gehöre der sozialen Gruppe der allein stehenden psychisch kranken Personen an. Ein familiäres unterstützendes Netzwerk würde dem Beschwerdeführer in Afghanistan fehlen. Dem Asylantrag des Beschwerdeführers sei daher stattzugeben und ihm der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen (AS 543 f.).
13. Mit Schreiben vom 29.07.2020 brachte der Beschwerdeführer eine weitere Stellungnahme zum Gutachten vom römisch 40 ein. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass eine sichere und geschützte Lebenssituation Voraussetzung und Grundlage für eine positive Prognose in Bezug auf die Gesundheit und Zukunft des Beschwerdeführers sei. Eine solche wäre in Österreich durch die Unterstützung seiner Familie gewährleistet, während in Deutschland kein familiäres oder sonstiges soziales Unterstützungsnetzwerk bestehe. Das Gutachten lege eindeutig dar, dass eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Deutschland nicht zumutbar sei, da der Beschwerdeführer unter einer schweren Traumatisierung leide und auf die Weiterführung seiner ärztlich überwachten Substitutionsbehandlung angewiesen sei. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes gemäß Artikel 17, Dublin III-VO sei zwingend geboten.
14. Mit Bescheid vom 01.09.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz erneut ohne in die Sache einzutreten gemäß Paragraph 5, Absatz eins, AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland gemäß Artikel 18, Absatz eins, Litera d, Dublin III-VO zur Prüfung des Antrages zuständig sei (spruchpunkt römisch eins.), sowie gemäß Paragraph 61, Absatz eins, Fremdenpolizeigesetz Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, (FPG) die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß Paragraph 61, Absatz 2, FPG dessen Abschiebung nach Deutschland zulässig sei (Spruchpunkt römisch II.). Der Beschwerdeführer befinde sich in einem ärztlich überwachten Substitutionsprogramm und sei als vulnerabel anzusehen. Aus medizinischer Sicht spreche jedoch nichts gegen eine Rücküberstellung des Beschwerdeführers nach Deutschland. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich über familiäre Anknüpfungspunkte, ein besonderes gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis habe nicht festgestellt werden können. Die Familie des Beschwerdeführers könne diesen in Deutschland besuchen und auch finanzielle Unterstützung leisten. Unter Einbeziehung des psychischen und physischen Zustandes des Beschwerdeführers stelle eine Überstellung nach Deutschland keine Verletzung des Artikel 3, EMRK dar.
15. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 16.09.2020 Beschwerde und beantragte darin u.a. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Es wurde zusammengefasst ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer vor seiner nunmehrigen Einreise nach Österreich in Deutschland aufgehalten habe, dort jedoch nicht in der Lage gewesen sei, sich sein Leben ohne familiäre Unterstützung selbst zu organisieren und daher acht Monate auf der Straße gelebt habe. Das intensive Abhängigkeitsverhältnis zu bzw. von seinen Angehörigen gehe auch aus dem der Beschwerde angeschlossenen Sozialbericht vom römisch 40 hervor. Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers habe sich in den letzten Monaten weiter verschlechtert - dies sei dem aktuellen psychiatrischen Befund vom römisch 40 zu entnehmen. Vor dem Hintergrund der Diagnosen (PTBS, Abhängigkeitssyndrom, rezidivierende depressive Störung) bestehe erhöhter Betreuungsbedarf. Überdies seien dem Beschwerdeführer diverse Medikamente verschrieben worden, welche dem beigefügten Medikationsplan entnommen werden könnten Anmerkung, Mirtabene, Quetiapin). Eine erneute Trennung von der Familie würde dessen psychischen Zustand weiter verschlechtern. Aufgrund der besonderen Vulnerabilität des Beschwerdeführers sei die Überstellung nach Deutschland auszusetzen und Österreich habe vom Selbsteintrittsrecht gemäß Artikel 17, Absatz eins, Dublin III-VO Gebrauch zu machen. Der Beschwerdeführer legte den genannten Sozialbericht, einen psychiatrischen Befund und einen Medikationsplan vor (AS 847 f.).
16. Mit Schreiben vom 21.09.2020 brachte der Beschwerdeführer eine Beschwerdeergänzung ein, in der er vorbrachte er befinde sich seit römisch 40 in medizinischer und psychosozialer Behandlung. Das Vorbringen in der Beschwerde, wonach der Beschwerdeführer in Deutschland sein Leben ohne seine Familie nicht selbständig organisieren habe können und es dort zu einem Suizidversuch gekommen sei, würde durch das vorgelegte ärztliche Attest und die Dokumente der deutschen Klinik, in welche der Beschwerdeführer eingewiesen worden sei, des Sozialamtes in Deutschland und eines deutschen Polizeipräsidiums, belegt. Der Beschwerdeführer legte die genannten Unterlagen aus 2017 und 2018 vor (AS 945 f.).
17. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.09.2020 wurde der Beschwerde gemäß Paragraph 17, BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Begründend wurde ausgeführt, dass im vorliegenden Fall ohne nähere Prüfung des Sachverhaltes nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers eine reale Gefahr der Verletzung von Bestimmungen der EMRK bedeuten würde.
18. Am 28.10.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht der „Abschlussbericht“ einer Klinik in Deutschland betreffend den stationären Aufenthalt des Beschwerdeführers in der geschlossenen Abteilung im Zeitraum vom römisch 40 (Beschwerdeergänzung) ein (AS 1005 f.).
19. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.11.2020 wurde das Verfahren über den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz zugelassen und der vom Beschwerdeführer bekämpfte Bescheid vom 01.09.2020 behoben. Der Beschwerdeführer sei aufgrund seines gesundheitlichen Zustands als besonders vulnerabel anzusehen. Infolge des Vorliegens schwerer psychischer Erkrankungen in Zusammenschau mit der als essentiell erachteten vorliegenden familiären Nahebeziehung zu der in Österreich rechtmäßig aufhältigen Familie, sei im Rahmen der Ermessensklausel des Artikel 17, Absatz eins, Dublin III-VO vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.
20. Mit Schreiben vom 15.03.2021 wurden vom Beschwerdeführer weitere Unterlagen betreffend seinen Gesundheitszustand vorgelegt: ein Arztbrief vom römisch 40 , ein Sozialbericht, sowie eine Bestätigung der psychotherapeutischen Behandlung vom römisch 40 (AS 1191).
21. Am 17.03.2021 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt betreffend den gegenständlichen Asylantrag statt. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er als Baby mit seiner Familie aus Afghanistan in den Iran geflüchtet sei und im Iran sehr schlecht behandelt worden sei. Im Alter von 15 Jahren habe er den Iran Richtung Europa verlassen. Seit ca. fünf Jahren habe er keinen Glauben mehr und sich vom Islam abgewandt. Er trage ein Piercing und Tattoos als Symbol für seinen Glaubensabfall. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er aufgrund seines Abfalls vom Islam und seiner Tattoos, verfolgt zu werden. Er brauche die Unterstützung seiner Familie in Österreich und könne bei einer Rückkehr nicht alleine leben (AS 1201 f.). Der Beschwerdeführer legte, ergänzend zu den bereits eingebrachten Unterlagen, bei der Einvernahme ein Konvolut an Unterlagen über seinen Gesundheitszustand vor (AS 1207).
22. Mit Schreiben vom 24.03.2021 gab der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu den durch die belangte Behörde ins Verfahren eingebrachten Länderinformationen ab und brachte vor, er sei in einer religiös aufgeschlossenen Familie aufgewachsen, weshalb bereits zu einem frühen Zeitpunkt eine kritische Distanzierung zum islamischen Glauben stattgefunden habe. Aufgrund der persönlichen überwiegend negativen Lebenserfahrungen sei er nun von jedweder Religion abgekehrt und Atheist. Bei einer Rückkehr drohe ihm deshalb Tod durch die Taliban als auch durch den Staat. Er sei zudem psychisch erkrankt und würde als verwestlichter Rückkehrer wahrgenommen werden (AS 1235 f.).
23. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 18.05.2021, zugestellt am 28.05.2021, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 15.11.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, Asylgesetz 2005 – AsylG ab (Spruchpunkt römisch eins.). Dem Beschwerdeführer wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Die belangte Behörde führte begründend im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe keine Bedrohung oder Verfolgung seiner Person in seinem Heimatland Afghanistan im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention oder aus sonstigen Gründen glaubhaft gemacht. Eine Rückkehr sei dem Beschwerdeführer jedoch nicht möglich. Er habe keinen Bezug zu Afghanistan und stehe im Bundesgebiet in engmaschiger psychosozialer und psychiatrischer Behandlung. Seine Kernfamilie, auf deren Unterstützung er angewiesen sei, lebe in Österreich. Er gehöre zu einer besonders vulnerablen Gruppe, weswegen ihm der Status des Subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei.
24. Mit Schreiben vom 22.06.2021, eingelangt am 23.06.2021, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des obengenannten Bescheides vom 18.05.2021. Darin wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und der Beschwerde Folge zu geben, den angefochtenen Bescheid zu beheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und an das BFA zurückzuverweisen.
In der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, er sei Atheist und vom Islamischen Glauben abgefallen. Er lebe seit 2016 in Europa und habe eine deutlich sichtbare westliche Lebensweise angenommen. Er habe Angst in Afghanistan als Bacha-Bazi missbraucht zu werden, da er sehr jung aussehe. Er sei psychisch schwer krank und bedürfe regelmäßiger Behandlung. Bei einer Rückkehr befürchte er Verfolgung aufgrund seines Abfalles vom Islam, seiner westlichen Orientierung und seiner sichtbaren Tätowierungen. Psychische Erkrankungen seien in Afghanistan hoch stigmatisiert und Erkrankte seien Misshandlungen und Folter ausgesetzt, dem Beschwerdeführer drohe auch aufgrund seiner psychischen Erkrankungen Verfolgung (AS 1535 f.).
Mit der Beschwerde wurden weitere medizinische Unterlagen des Beschwerdeführers vorgelegt: eine Behandlungsbestätigung vom römisch 40 , eine Gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom römisch 40 , ein Arztbrief vom römisch 40 , eine Betreuungsbestätigung vom römisch 40 über die medizinische und psychosoziale Behandlung des Beschwerdeführers seit römisch 40 , sowie ein psychiatrischer Befund vom römisch 40 (AS 1575 f.).
25. Am 02.07.2021 langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.
26. Am 23.03.2022 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari sowie der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers statt, bei welcher der Beschwerdeführer einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung unentschuldigt fern.
Im Rahmen der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer insbesondere ausführlich zu seiner Identität, seiner Herkunft, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen Familienverhältnissen und seinem Leben in Afghanistan, seinen Fluchtgründen sowie seinem Leben in Österreich befragt. Das erkennende Gericht brachte neben dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren ein.
In Ergänzung der bereits vorgelegten Unterlagen wurde vom Beschwerdeführer ein Konvolut an Dokumenten betreffend seine Integrationsbemühungen und seinen gesundheitlichen Zustand vorgelegt: eine Bestätigung über ein Behandlungsgespräch vom römisch 40 (Beilage A), eine Bestätigung über ein Behandlungsgespräch vom römisch 40 (Beilage B), ein Arztbrief vom römisch 40 (Beilage C), ein Arztbrief vom römisch 40 (Beilage D), ein Arztbrief vom römisch 40 (Beilage E), einen Sozialbericht der Diakonie vom römisch 40 (Beilage F), einen Entlassungsbrief vom römisch 40 (Belage G), einen Zytologischen Befund vom römisch 40 (Beilage H), eine Zeitbestätigung einer Klinik vom römisch 40 (Beilage J), eine Kursanmeldebestätigung A2 Standard vom römisch 40 (Beilage K), eine Kursanmeldebestätigung A2 Standard vom römisch 40 (Beilage L), sowie eine Teilnahmebestätigung ÖIF Einstufung vom römisch 40 (Beilage M).
27. Mit Schriftsatz vom 05.04.2022 nahm der Beschwerdeführer binnen offener Frist zu den im Rahmen der Verhandlung zur Kenntnis gebrachten Länderinformationen Stellung. Er brachte im Wesentlichen vor, er gehöre aufgrund seiner schweren psychischen Erkrankungen zu einer besonders vulnerablen Gruppe und bedürfe einer engmaschigen psychosozialen und psychiatrischen Behandlung. Psychische Erkrankungen seien in Afghanistan hoch stigmatisiert. Ohne Angehörige würden psychisch beeinträchtigte Personen in Notfällen nicht stationär in Krankenhäusern aufgenommen. Der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner psychischen Erkrankung alleine kaum lebensfähig und im täglichen Leben auf dauernde Unterstützung angewiesen um existenzielle Grundbedürfnisse decken zu können. Drogenkranke und psychisch Kranke Personen würden von den Taliban misshandelt, weshalb ihm der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen sei. Zudem habe er sich bereits vor Jahren vom islamischen Glauben abgewandt und verachte die strengen afghanischen religiösen Traditionen, weshalb ihm Verfolgung drohe.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zum Beschwerdeführer:
1.1.1. Zu seiner Person:
Der ledige Beschwerdeführer führt den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 . Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er bekennt sich zu keiner Religion. Der Beschwerdeführer spricht Dari als Muttersprache, er spricht außerdem noch Türkisch, Farsi und Deutsch (AS 33 f., AS 1205 f., OZ 5 Verhandlungsprotokoll vom 23.03.2022; Sitzung 2, 5, 6).
Der Beschwerdeführer wurde in Kabul in Afghanistan geboren. Er verließ mit seiner Familie als er ein Baby war die Heimatprovinz und zog in den Iran wo er fortan lebte und bis zu seinem 15. Lebensjahr aufgewachsen ist. Nahezu sein gesamtes Leben verbrachte er nicht in seinem Heimatland Afghanistan. In einem anderen Landesteil als seiner Herkunftsprovinz in Afghanistan war er noch nie. Im Iran, römisch 40 , besuchte er acht Klassen lang eine Schule. Danach arbeitete er als Straßenverkäufer. Seit seiner Ausreise im Babyalter hielt sich der Beschwerdeführer nicht mehr in Afghanistan auf, er hat keine Familienangehörigen oder Bekannte im Herkunftsland (AS 33 f., AS 1205 f., OZ 5; Sitzung 6, 7).
Im Alter von 15 Jahren reiste der Beschwerdeführer alleine aus dem Iran aus und lebte fortan auf der Straße unter schlechten Bedingungen in der Türkei, in Deutschland und in Frankreich. In dieser Zeit beging er mehrere Selbstmordversuche. Am 11.02.2017 stellte der Beschwerdeführer seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Wegen Unzuständigkeit wurde dieser zurückgewiesen und der Beschwerdeführer nach Deutschland ausgewiesen. In Deutschland beging er einen erneuten Selbstmordversuch. Der Beschwerdeführer stellte am 15.11.2019 den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag) in Österreich. Seit 2019 lebt der Beschwerdeführer nun durchgehend gemeinsam mit seiner Familie in Österreich die ihm bei der Bewältigung des Alltags hilft (AS 1205 f., OZ 5; Sitzung 9).
Die Familie des Beschwerdeführers besteht aus seinem Vater, seiner Mutter, drei Brüdern und einer Schwester die allesamt in Österreich leben und über den Status der Asylberechtigten verfügen (AS 33 f., AS 1205 f.).
Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht strafgerichtlich unbescholten, er wurde vom zuständigen Landesgericht am 24.11.2020, rechtskräftig seit 13.01.2021, gemäß Paragraph 27, Absatz 2 a, zweiter Fall Suchtmittelgesetz - SMG in Verbindung mit Paragraph 15, Strafgesetzbuch – StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt nachgesehen unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt.
Der Beschwerdeführer ist nicht gesund, er leidet an schweren psychischen Erkrankungen: Emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Psychische und Verhaltensstörungen durch Opiode: Abhängigkeitssyndrom, Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Untergewicht, Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide, Posttraumatische Belastungsstörung vergleiche OZ 5; Sitzung 6 sowie Beilagen zum Verhandlungsprotokoll).
Der Beschwerdeführer ist seit ca. zwei Jahren (seit September 2020) in engmaschiger Therapie und besucht dafür regelmäßig drei verschiedene ÄrztInnen. Er ist in regelmäßiger psychosozialer und psychiatrischer Behandlung und lebt in einer betreuten psychosozialen Wohneinrichtung. Der Beschwerdeführer ist weder selbsterhaltungsfähig noch ist es ihm möglich, selbständig zu leben. Er hat Bedarf an der Unterstützung durch seine in Österreich lebenden Familienangehörigen. Der Beschwerdeführer nimmt regelmäßig Medikamente ein (Sertralin, Wellbutrin, Quetiapin, Methadon vergleiche OZ 5; Sitzung 6, 7, 8 sowie Beilagen zum Verhandlungsprotokoll).
Der Beschwerdeführer leidet darüber hinaus an Magenproblemen und Problemen mit der Nasenscheidewand vergleiche OZ 5; sowie Beilagen zum Verhandlungsprotokoll und AS 1205 f.).
Der Beschwerdeführer lebt seit 2019 durchgehend im Bundesgebiet und bemühte sich während des Aufenthaltes trotz seiner psychischen Erkrankungen um seine Integration. Er hat einige österreichische Freunde. Es besteht ein Abhängigkeitsverhältnis des Beschwerdeführers zu seinen in Österreich legal aufhältigen Familienangehörigen. Der Beschwerdeführer besuchte im Frühjahr 2022 einen Deutschkurs A2 des österreichischen Integrationsfonds. Er spricht und versteht Deutsch (AS 171 f., AS 1205 f.).
Der Beschwerdeführer bezieht seinen Lebensunterhalt aus der Grundversorgung.
1.1.2. Zur befürchteten Verfolgung in Afghanistan:
1.1.2.1. Zur Verfolgung aufgrund des Abfalls des Beschwerdeführers vom Islam
Der Beschwerdeführer ist Atheist.
Er ist aus innerer Überzeugung vom Islam abgefallen. Er versteht seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal, die er auch bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat Afghanistan leben wird.
Sein Abfall vom Islam ist nach außen sichtbar und wird vom Beschwerdeführer ausgelebt. Seine Familie und sein Umfeld wissen von seinem Glaubensabfall. Er trägt ein Piercing und mehrere sichtbare Tattoos mit denen er seinen eigenen Glauben zum Ausdruck bringt (AS 1201 f., OZ 5).
Dem Beschwerdeführer droht Lebensgefahr durch die Taliban im Herkunftsstaat aufgrund seines Abfalles vom Islam.
1.1.2.2. Zur Verfolgung aufgrund der psychischen Erkrankungen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer leidet an schweren psychischen Erkrankungen vergleiche oben römisch II.1.1.1.).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner psychischen Erkrankungen, bei einer Rückkehr nach Afghanistan, Misshandlungen durch die Taliban drohen (AS 1201 f., OZ 5).
1.1.2.3. Zur westlichen Orientierung des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer verließ im Babyalter Afghanistan und im Alter von 14 Jahren den Iran und hielt sich seither in verschiedenen europäischen Ländern auf. Seit 2017 lebte er immer wieder in Österreich. Seit 2019 lebt er durchgehend gemeinsam mit seiner Familie im Bundesgebiet.
Der Beschwerdeführer trägt ein Piercing, mehrere sichtbare Tattoos mit denen er seine Ablehnung der Politik im Iran, seine Ablehnung des Islam und der traditionell islamischen Wertehaltung zum Ausdruck bringt.
Der Beschwerdeführer ist westlich orientiert, er hat ein westliches äußeres Erscheinungsbild (AS 1201 f., OZ 5).
1.1.2.4. Zur Bedrohung bei einer Rückkehr
Der Beschwerdeführer befürchtet im Fall einer Rückkehr in sein Heimatland Afghanistan, aufgrund seines Abfalls vom Islam, seiner schweren psychischen Erkrankungen und seiner westlichen Orientierung, verfolgt zu werden.
Bei einer Rückkehr in seine Heimatprovinz in Afghanistan läuft der Beschwerdeführer Gefahr, Gewalthandlungen, erheblichen Eingriffen in seine Unversehrtheit und/oder gravierenden Bedrohungen durch die regierenden Taliban und die afghanische Gesellschaft ausgesetzt zu sein. Die Bedrohungen gehen vom afghanischen Staat selber aus und der afghanische Staat ist derzeit nicht in der Lage und nicht gewillt, den Beschwerdeführer vor Bedrohungen zu schützen.
Die Bedrohung des Beschwerdeführers ist aktuell.
Dem Beschwerdeführer steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative nicht zur Verfügung.
Gründe, nach denen ein Ausschluss des Beschwerdeführers hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat, liegen im Verfahren nicht vor.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Im Verfahren wurden folgende Quellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers herangezogen:
● Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung, Version 6 vom 28.01.2022
● UNHCR-Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.08.2018
● EASO Country Guidance Afghanistan, November 2021
● EASO Country of origin information report, Afghanistan: Country focus, Jänner 2022
1.2.1. Religionsfreiheit, Apostasie, Blasphemie, Konversion aus dem Länderinformationsblatt vom 28.01.2022
„Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 27.01.2022
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 23.8.2021; vergleiche USDOS 12.5.2021, AA 21.10.2021). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 0,3% der Bevölkerung aus (CIA 23.8.2021, USDOS 12.5.2021). Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 12.5.2021). Der letzte bislang in Afghanistan lebende Jude hat nach der Machtübernahme der Taliban das Land verlassen (AP 9.9.2021). Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017. Genaue Angaben zur Größe der Gemeinschaft der Ahmadi und der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 12.5.2021).
Bereits vor der Machtübernahme der Taliban waren die Möglichkeiten der konkreten Religionsausübung für Nicht-Muslime durch gesellschaftliche Stigmatisierung, Sicherheitsbedenken und die spärliche Existenz von Gebetsstätten extrem eingeschränkt (AA 21.10.2021). In den fünf Jahren vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichteten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskierten (USDOS 12.5.2021). Nach Angaben der US-Kommission für internationale Religionsfreiheit (USCIRF) sind Angehörige religiöser Gruppen auch weiterhin stark von der Verfolgung durch die Taliban bedroht (WT 6.10.2021; vergleiche NAT 6.10.2021)
[…]
Apostasie, Blasphemie, Konversion
Letzte Änderung: 27.01.2022
Die Zahl der afghanischen Christen in Afghanistan ist höchst unsicher, die Schätzungen schwanken zwischen einigen Dutzend und mehreren Tausend (LI 7.4.2021; vergleiche USDOS 12.5.2021). Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 16.7.2021). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Der Islam spielt eine entscheidende Rolle in der afghanischen Gesellschaft und definiert die Auffassung der Afghanen vom Leben, von Moral und Lebensrhythmus. Den Islam zu verlassen und zu einer anderen Religion zu konvertieren bedeutet, gegen die gesellschaftlichen Kerninstitutionen und die soziale Ordnung zu rebellieren (LI 7.4.2021).
Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 konnten christliche Afghanen ihren Glauben nicht offen praktizieren (LI 7.4.2021; vergleiche USDOS 12.5.2021, AA 16.7.2021). In den fünf Jahren davor gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie (USDOS 12.5.2021; vergleiche AA 16.7.2020); jedoch berichteten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskierten (USDOS 12.5.2021).
Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 12.5.2021).
Es gibt wenig konkrete Informationen darüber, wie christliche Afghanen ihren Glauben tatsächlich praktizieren; das verfügbare Material, das ihre Situation und Herausforderungen beschreibt, ist bescheiden und anekdotisch. Jene, die sich in der Öffentlichkeit oder über digitale Medien zu ihrem Glauben bekennen, sind ausnahmslos Afghanen, die außerhalb des Landes leben. Es gibt keine Anzeichen für christliche Traditionen, christliche Präsenz oder Kirchengebäude jeglicher Art in Afghanistan (LI 7.4.2021).
Ein Konvertit wird in jeder Hinsicht stigmatisiert: als Repräsentant seiner Familie, Ehepartner, Eltern/Erzieher, politischer Bündnispartner und Geschäftspartner. Weigert sich der Konvertit, zum Islam zurückzukehren, riskiert er, von seiner Familie ausgeschlossen zu werden und im Extremfall Gewalt und Drohungen ausgesetzt zu sein. Einige Konvertiten haben angeblich Todesdrohungen von ihren eigenen Familienmitgliedern erhalten (LI 7.4.2021; vergleiche USDOS 12.5.2021).
[Anmerkung: Über die Auswirkung der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 auf Apostasie, Blasphemie, Konversion sind noch keine validen Informationen bekannt]“.
1.2.2. Risikoprofil: Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Internationaler Schutzbedarf aus den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018
„Die Verfassung sieht vor, dass Anhänger anderer Religionen als dem Islam „innerhalb der durch die Gesetze vorgegebenen Grenzen frei sind in der Ausübung und Erfüllung ihrer religiösen Rechte“. Allerdings wird in der Verfassung auch festgestellt, dass der Islam die offizielle Religion des Staates ist und „kein Gesetz gegen die Lehren und Bestimmungen der heiligen Religion des Islam in Afghanistan verstoßen darf”. Darüber hinaus sollen die Gerichte gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch andere Gesetze Vorgaben enthalten, der Hanafi-Rechtsprechung folgen, einer sunnitisch-islamischen Rechtslehre, die unter zwei Dritteln der muslimischen Welt verbreitet ist. Afghanische Juristen und Regierungsvertreter wurden dafür kritisiert, dass sie dem islamischen Recht Vorrang vor Afghanistans Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsabkommen in Situationen einräumen, in denen ein Widerspruch der verschiedenen Rechtsvorschriften vorliegt, insbesondere in Bezug auf die Rechte von afghanischen Staatsbürgern, die keine sunnitischen Muslime sind, und in Bezug auf die Rechte der Frauen.
a) Religiöse Minderheiten
Nicht-muslimische religiöse Minderheiten, insbesondere Christen, Hindus und Sikhs, werden weiterhin im geltenden Recht diskriminiert. Wie oben dargestellt gilt gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch das kodifizierte Recht Afghanistans entsprechende Bestimmungen enthalten, die sunnitische Hanafi-Rechtsprechung. Dies gilt für alle afghanischen Bürger, unabhängig von ihrer Religion. Die einzige Ausnahme bilden personenstandsrechtliche Angelegenheiten, bei denen alle Parteien Schiiten sind. In diesem Fall wird das schiitische Personenstandsrecht angewendet. Für andere religiöse Minderheiten gibt es kein eigenes Recht.
Das Strafgesetzbuch von 2017 enthält Bestimmungen hinsichtlich „Straftaten, die eine Beleidigung einer Religion darstellen“, denen zufolge die vorsätzliche Beleidigung einer Religion oder die Störung ihrer Zeremonien oder die Zerstörung ihrer genehmigten Gebetsstätten oder Symbole, die den Anhängern einer Religion heilig sind, strafbar ist. Ebenfalls strafbar ist der Angriff auf einen Anhänger einer Religion, der in der Öffentlichkeit rechtmäßig religiöse Rituale vollzieht oder die Herabwürdigung oder Verzerrung des Glaubens oder der Bestimmungen des Islams. Ferner steht auch die Anstiftung zur Diskriminierung aufgrund der Religion unter Strafe.
Ungeachtet dessen werden nicht-muslimische Minderheiten Berichten zufolge weiterhin gesellschaftlich schikaniert und in manchen Fällen tätlich angegriffen. Es heißt, dass Angehörige religiöser Minderheiten wie Baha’i und Christen es aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung vermeiden, sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln. Es wird berichtet, dass sich nicht-muslimische Frauen genötigt sehen, eine Burka oder andere Gesichtsschleier zu tragen, um sich sicherer in der Öffentlichkeit bewegen zu können und den gesellschaftlichen Druck zu verringern.
Im Zeitraum vom 1. Januar bis 7. November 2017 „dokumentierte [UNAMA] 51 – hauptsächlich auf regierungsfeindliche Kräfte zurückzuführende – Fälle gezielter Tötungen, Entführungen, und Einschüchterungen von Religionsgelehrten und religiösen Führern, sowie Anschlägen auf Gebetsstätten und Personen, die ihr Recht auf Religionsausübung durch Gottesdienst, Bräuche und Riten wahrnahmen. Diese Zwischenfälle forderten 850 Opfer unter der Zivilbevölkerung (273 getötete und 577 verletzte Personen), was fast eine Verdoppelung der zivilen Opferzahlen derartiger Angriffe im gesamten zurückliegenden Siebenjahreszeitraum von 2009 bis 2015 darstellt.” 2016 und 2017 wurden religiöse Führer Berichten zufolge in fortlaufendem und steigendem Maße zum Ziel von Tötung, Entführung, Bedrohung und Einschüchterung – hauptsächlich ausgeübt durch regierungsfeindliche Kräfte. Ferner wird berichtet, dass auch religiöse Gelehrte mehrmals durch regierungsfeindliche Kräfte angegriffen wurden, während regierungsnahe Kräfte gezielt gegen Imame von Moscheen, die angeblich regierungsfeindliche Kräfte unterstützten, vorgingen.
Analysten äußerten ihre Besorgnis, dass gewisse Bestimmungen eines neuen Gesetzesentwurfs zur Versammlungsfreiheit ganz besonders die Rechte religiöser Minderheiten einschränken würden. Der Gesetzesentwurf stellt Berichten zufolge „Ansammlungen, Streiks, Demonstrationen, Sitzstreiks zur Durchsetzung ethnischer, religiöser und regionaler Forderungen” als gesetzwidrige Proteste unter Strafe.
(…)
b) Konversion vom Islam
Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie, also als Glaubensabfall betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tode bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, sie fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten „ungeheuerlichen Straftaten“, die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen. Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist. Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grund und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren. Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion übertreten, müssen Berichten zufolge um ihre persönliche Sicherheit fürchten.
Bekehrungsversuche, um Personen zum Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion zu bewegen, sind Berichten zufolge laut der Hanafi Rechtslehre ebenfalls rechtswidrig und es stehen darauf dieselben Strafen wie für Apostasie. Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können, so wird berichtet, selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. In der Regel haben Beschuldigte laut Berichten indes keinen Zugang zu einem Verteidiger oder zu anderen Verfahrensgarantien.
c) Andere Handlungen, die gegen die Scharia verstoßen
Neben den Bestimmungen des Strafgesetzbuches von 2017, die die Beleidigung oder Verzerrung der religiösen Überzeugungen des Islams unter Strafe stellen, stützen sich afghanische Gerichte auch in Bezug auf Blasphemie auf islamisches Recht. Gemäß der Auslegung des islamischen Rechts durch die Gerichte stellt Blasphemie ein Kapitalverbrechen dar. Geistig zurechnungsfähige Männer über 18 Jahren und Frauen über 16 Jahren, die der Blasphemie bezichtigt werden, kann daher die Todesstrafe drohen. Wie auch bei Apostasie haben die Beschuldigten drei Tage Zeit, um ihre Handlungen zu widerrufen, wobei es laut Berichten unter Scharia-Recht kein eindeutiges Verfahren für den Widerruf gibt.
Darüber hinaus besteht für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie, Blasphemie, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch (zina) vorgeworfen werden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaft, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs).
d) Zusammenfassung UNHCR ist auf Grundlage der vorangegangenen Analyse der Ansicht, dass für Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, einschließlich Personen, die der Blasphemie oder der Konversion vom Islam bezichtigt werden, sowie für Angehörige religiöser Minderheiten abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz bestehen kann aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Religion oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen von nichtstaatlichen Akteuren ausgehenden Verfolgung zu bieten.“
1.2.3. Risikoprofil: Personen, die vermeintlich gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) verstoßen, Internationaler Schutzbedarf aus den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018
„Die Taliban haben Berichten zufolge Personen und Gemeinschaften getötet, angegriffen und bedroht, die in der Wahrnehmung der Taliban gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch die Taliban verstoßen haben.
In Gebieten, in denen die Taliban versuchen, die lokale Bevölkerung von sich zu überzeugen, nehmen sie Berichten zufolge eine mildere Haltung ein. Sobald sich jedoch die betreffenden Gebiete unter ihrer tatsächlichen Kontrolle befinden, setzen die Taliban ihre strenge Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte durch. Es liegen Berichte über Taliban vor, die für das Ministerium der Taliban für die Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters tätig sind ,in den Straßen patrouillieren und Personen festnehmen, weil diese sich den Bart abrasiert haben oder Tabak konsumieren. Frauen ist es Berichten zufolge nur in Begleitung ihres Ehemanns oder männlicher Familienmitglieder gestattet, das Haus zu verlassen und ausschließlich zu einigen wenigen genehmigten Zwecken wie beispielsweise einen Arztbesuch. Frauen und Männer, die gegen diese Regeln verstoßen, wurden Berichten zufolge mit öffentlichen Auspeitschungen bestraft, ja sogar getötet. In Gebieten, die von mit dem Islamischen Staat verbundenen Gruppen kontrolliert werden, wird Berichten zufolge ein sittenstrenger Lebensstil durch strikte Vorschriften und Bestrafungen durchgesetzt. Es wird berichtet, dass Frauen strenge Regeln, einschließlich Kleidungsvorschriften, und eingeschränkte Bewegungsfreiheit auferlegt wurden.
UNHCR ist auf Grundlage der oben dargelegten Begründung der Ansicht, dass für Personen, die in der Wahrnehmung regierungsfeindlicher Kräfte gegen deren Auslegung islamischer Grundsätze, Normen und Werte verstoßen, – abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles – ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Religion, der ihnen zugeschriebenen politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen Verfolgung zu bieten, bestehen kann.“
1.2.4. Zu Personen mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen aus dem Länderinformationsblatt vom 28.01.2022
„Letzte Änderung: 28.01.2022
In der afghanischen Gesellschaft gelten Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen als vulnerabel. Sie sind Teil der Familie und werden gepflegt - genau wie Kranke und ältere Menschen. Körperlich und geistig behinderte Menschen und Missbrauchsopfer brauchen daher eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung (STDOK 4.2018; vergleiche AF 2.11.2016, TN 14.5.2019, BAMF 2016), um Stigmatisierung und Ausgrenzung aus der Gesellschaft (AF 2.11.2016) sowie Demütigung, Diskriminierung und dem Entzug gleichberechtigter sozialer Beziehungen zu begegnen (AIHRC 2019). Denn trotz ihrer Anzahl gehören Menschen mit Beeinträchtigungen und Kinder mit besonderen Bedürfnissen weiterhin zu den am stärksten benachteiligten und stigmatisierten Gruppen in Afghanistan und Diskriminierung ist die bedeutendste und schädlichste Barriere in Afghanistan für Menschen mit Beeinträchtigungen (TN 14.5.2019).
Nach der Machtübernahme der Taliban wurden Bedenken über die Sicherheit von Menschen mit Beeinträchtigungen und auch Mitarbeiter von Organisationen die sich mit diesen Menschen beschäftigen, laut (BuI 6.9.2021; vergleiche TNA 2.9.2021). Eine Mitarbeiterin der Afghanistan Human Rights Commission (AHRC), die nach der Machtübernahme aus Afghanistan floh, erinnert an den Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen durch die Taliban unter deren erster Herrschaft und danach (BuI 6.9.2021). Auch fürchten Mitarbeiter von NGOs in diesem Bereich, dass ihnen aufgrund des Erhalts von Zuschüssen und Geldern durch die USA, Spionage unterstellt und sie zu Zielen für die Taliban werden könnten (TNA 2.9.2021).
Physische Beeinträchtigungen
Laut Human Rights Watch hat Afghanistan nach vier Jahrzehnten Krieg einen der weltweit höchsten Prozentsätze an Menschen mit Beeinträchtigungen (UNOCHA 19.12.2020; vergleiche HRW 28.4.2020), wobei mehr als eine Million afghanische Bürgerinnen und Bürger Amputationen, Seh- oder Hörprobleme aufweisen (HRW 28.4.2020; vergleiche EASO 8.2020b). Die häufigsten Ursachen für Beeinträchtigungen sind konfliktbedingte Verletzungen (u.a. durch Landminen und explosive Kampfmittelrückstände), Traumata und psychische Belastungen, sowie Zerebralparese und Polio. Sehbeeinträchtigungen sind häufig. Schlechter Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung, insbesondere im ländlichen Afghanistan, ist eine der Hauptursachen für vermeidbare Beeinträchtigungen (HRW 28.4.2020). Auch leiden viele Menschen innerhalb der afghanischen Bevölkerung unter verschiedenen psychischen Erkrankungen als Folge des andauernden Konflikts, Naturkatastrophen, endemischer Armut und der COVID-19-Pandemie (UNOCHA 19.12.2020).
Menschen mit Beeinträchtigungen sehen sich mit Barrieren konfrontiert, wie z. B. dem eingeschränkten Zugang zu Bildungsmöglichkeiten oder Unzugänglichkeit von Regierungsgebäuden, dem Mangel an wirtschaftlichen Möglichkeiten und der sozialen Ausgrenzung aufgrund von Stigmatisierung (USDOS 30.3.2021).
Eine 2019 von der Unabhängigen Menschenrechtskommission Afghanistans (AIHRC) durchgeführte Studie zu den menschenrechtlichen Herausforderungen für Menschen mit Beeinträchtigungen ergab, dass 72 % der befragten Menschen mit einer Behinderung arbeitslos waren, nur 53 % soziale Unterstützung erhielten, 80 % keine formale Ausbildung hatten und die Hälfte mit physischen Barrieren beim Zugang zu Gesundheitsdiensten konfrontiert war (AIHRC 2019; vergleiche UNOCHA 19.12.2020). Zwar benötigen nicht alle Menschen mit einer schweren Behinderung humanitäre Hilfe, doch wenn dies der Fall ist, sind die Menschen dieser Kategorie mit zusätzlichen Barrieren beim Zugang zu Unterstützung konfrontiert, insbesondere Frauen und Mädchen (UNOCHA 19.12.2020; vergleiche HRW 28.4.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind in der Gesellschaft mit höheren Risiken und Herausforderungen konfrontiert, die in Konflikt- und Notsituationen, in denen die Ressourcen begrenzt sind und einem starken Wettbewerb unterliegen, noch verschärft werden (UNOCHA 19.12.2020). In Bezug auf das Recht auf Bildung gibt es einen unzureichenden Zugang zu Chancengleichheit, einschließlich eines Mangels an Bildungseinrichtungen und Ressourcen, die für die Art der Behinderung geeignet sind. Die größten Herausforderungen in Bezug auf die Gesundheit und den Zugang zu Gesundheitseinrichtungen sind große Entfernungen zwischen dem Wohnort und den Gesundheitszentren, sowie ein unzureichender Transport und das Fehlen von behindertengerechten Maßnahmen innerhalb von Gesundheitszentren (z.B. Rollstuhlrampen) (AIHRC 2019; vergleiche EASO 8.2020b, TN 14.5.2019). Laut einer Umfrage der Asia Foundation aus dem Jahr 2019 erhielten etwa 40,4 % der Erwachsenen mit schweren Beeinträchtigungen keine stationäre Gesundheitsversorgung, wenn sie diese benötigten (AF 13.5.2020; vergleiche EASO 8.2020b). Mangelnde Sicherheit blieb [vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021, Anm.] ein Problem für Behindertenprogramme. Die Unsicherheit in abgelegenen Gebieten, in denen eine unverhältnismäßig große Anzahl von Menschen mit Beeinträchtigungen lebt, verhindert in einigen Fällen die Bereitstellung von Hilfe. Die meisten Gebäude bleiben für Menschen mit Beeinträchtigungen unzugänglich, was viele daran hindert, Bildung, Gesundheitsversorgung und andere Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen (USDOS 30.3.2021).
Menschen mit schweren Beeinträchtigungen sind im COVID-19-Kontext besonders gefährdet, da Abriegelungsmaßnahmen und Bewegungseinschränkungen ihre eingeschränkte Mobilität, Transportmöglichkeiten sowie den Zugang zu Unterstützungsdiensten und einkommensschaffenden Möglichkeiten weiter einschränken (UNOCHA 19.12.2020).
Es gibt zwar keine nationale NGO, die Menschen mit Beeinträchtigungen in Afghanistan vertritt, aber eine Reihe von afghanischen NGOs boten zumindest vor der Machtübernahme durch die Taliban Programme zur Unterstützung von Menschen mit Beeinträchtigungen an, die von rehabilitativen Diensten über Berufsausbildung bis hin zu Lobbyarbeit reichten. Dazu gehörten die Accessibility Organization for Afghan Disabled, die Afghan Landmine Survivors Organization, die Development and Ability Organization, die Afghanistan Association of the Blind und die Afghan National Association of the Deaf. Zu den wichtigsten internationalen Organisationen, die Afghanen mit Beeinträchtigungen unterstützen, gehören das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, die Afghanische Rothalbmondgesellschaft, das Schwedische Komitee für Afghanistan, Humanity and Inclusion (das als Handicap International in Afghanistan tätig ist) und Serve Afghanistan (HRW 28.4.2020). [Anm.: Ob und in welchem Ausmaß diese Organisationen nach der Machtübernahme durch die Taliban tätig sind, kann zum aktuellen Zeitpunkt - November 2021 nicht festgestellt werden].
Psychische Beeinträchtigungen
Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - fand vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nicht in ausreichendem Maße statt. Es gab keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen (AA 16.7.2021). Neben Problemen beim Zugang zu Behandlungen bei psychischen Erkrankungen, bzw. dem Mangel an spezialisierter Gesundheitsversorgung, sind falsche Vorstellungen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen ein wesentliches Problem (BDA 18.12.2018). Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan hoch stigmatisiert (AA 16.7.2021; vergleiche BDA 18.12.2018). Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam; so existiert z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik (STDOK 4.2018). [Anm.: Ob und in welchem Ausmaß diese Einrichtungen nach der Machtübernahme durch die Taliban tätig sind, kann zum aktuellen Zeitpunkt - November 2021 nicht festgestellt werden].
Patienten werden zu stationärer Behandlung in psychiatrischen Krankenhäusern in Afghanistan nur in Begleitung eines Verwandten aufgenommen. Der Verwandte muss sich um den Patienten kümmern und für diesen beispielsweise Medikamente und Nahrungsmittel kaufen. Zudem muss der Angehörige den Patienten gegebenenfalls vor anderen Patienten beschützen, oder im umgekehrten Fall bei aggressivem Verhalten des Verwandten die übrigen Patienten schützen. Die Begleitung durch ein Familienmitglied ist in allen psychiatrischen Einrichtungen Afghanistans aufgrund der allgemeinen Ressourcenknappheit bei der Pflege der Patienten notwendig. Aus diesem Grund werden Personen ohne einen Angehörigen selbst in Notfällen in psychiatrischen Krankenhäusern nicht stationär aufgenommen (IOM 24.4.2019).
Das Zusammenwirken von Krieg, Armut, häuslicher Gewalt und sozialer Marginalisierung führt dazu, dass Frauen überproportional von psychischen Problemen und psychosozialen Beeinträchtigungen betroffen sind (HRW 28.4.2020). Dort, wo Dienste verfügbar sind, führen kulturelle Barrieren, Stigmatisierung und die begrenzte Anzahl weiblicher Gesundheitsdienste häufig dazu, dass Frauen vom Zugang zu geeigneten Diensten ausgeschlossen sind (UNOCHA 19.12.2020).“
1.2.5. Zur Herkunftsprovinz Kabul aus dem Länderinformationsblatt vom 28.01.2022
„Kabul-Stadt
Letzte Änderung: 14.01.2022
Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von
Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014), inklusive der Ring Road (Highway 1), welche die fünf größten Städte Afghanistans - Kabul, Herat, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Jalalabad - miteinander verbindet (USAID o.D.).
In Kabul-Stadt gibt es einen internationalen Flughafen über den, mit Stand November 2021, nationale und internationale Flüge abgefertigt werden (F 24 o.D.; vergleiche RA KBL 8.11.2021), wenn auch im weit geringeren Ausmaß als vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021 (RA KBL 8.11.2021).
Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Kart-e Se, Kart-e Chahar, Kart-e Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den „jüngsten Einwanderern“ (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).
Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen. Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010).
In den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalem oder ethnischem Hintergrund dicht besiedelt sind, ist eine Art „Dorfgesellschaft“ entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Kart-e Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Kart-e Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vergleiche USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010).
Aktuelle Lage und jüngste Entwicklungen
Viele Bürger beklagen sich weiterhin über die hohe Kriminalitätsrate in Kabul (BAMF 29.11.2021). Lokale Medien berichten von mehr als 40 Entführungen von Geschäftsleuten in den zwei Monaten nach der Übernahme der Kontrolle durch die Taliban. Anderen Quellen zufolge ist die Zahl weitaus höher, doch da es keine funktionierende Bürokratie gibt, liegen nur spärliche offizielle Statistiken vor (FP 29.10.2021).
Anfang Oktober 2021 wurden mindestens fünf Zivilisten bei einer Bombenexplosion am Eingang einer Moschee im Zentrum Kabuls getötet (VOA 3.10.2021; vergleiche France 24 3.10.2021). Bei einem komplexen Anschlag auf ein Militärkrankenhaus in der afghanischen Hauptstadt Kabul sind im November 2021 mehr als 20 Menschen getötet und mindestens 16 verletzt worden (BBC 3.11.2021; vergleiche AJ 2.11.2021).
Mitte November 2021 explodierte eine Magnetbombe, die an einem Minivan befestigt war, in dem stark schiitisch geprägten Viertel Dasht-e Barchi, wobei unter anderen ein Journalist getötet wurde (AN 14.11.2021; vergleiche NAT 13.11.2021).
Mitte Dezember 2021 kam es zu zwei Bombenanschlägen in hauptsächlich schiitischen Gegenden Kabuls bei denen mindestens eine Person getötet wurde. Der ISKP bekannte sich zu dem Anschlag (RFE/RL 17.11.2021; vergleiche REU 18.11.2021).
Nach einem Sprecher der Taliban wurde am 7.11.2021 Qari Baryal als Gouverneur der Provinz Kabul ernannt (LWJ 9.11.2021; vergleiche REU 7.11.2021), welcher nach früheren Berichten durch das US-Militär als ein "mit Al-Qaida verbundenen Taliban-Führer" bezeichnet wurde (LWJ 9.11.2021).“
1.2.6. Zur Ethnischen Gruppe der Tadschiken aus dem Länderinformationsblatt vom 28.01.2022
„Ethnische Gruppen
Letzte Änderung: 27.01.2022
In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 37,5 Millionen Menschen (NSIA 6.2020; vergleiche CIA 23.8.2021). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016; vergleiche CIA 23.8.2021). Die größten Bevölkerungsgruppen sind Paschtunen (32-42%), Tadschiken (ca. 27%), Hazara (ca. 9-20%) und Usbeken (ca. 9%), gefolgt von Turkmenen und Belutschen (jeweils ca. 2%) (AA 21.10.2021).
Neben den alten Blöcken der Islamisten und linksgerichteten politischen Organisationen [Anm.: welche oftmals vor dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan entstanden] mobilisieren politische Parteien in Afghanistan vornehmlich entlang ethnischer Linien, wobei letztere Tendenz durch den Krieg noch weiter zugenommen hat (AAN 24.3.2021; vergleiche Karrell 26.1.2017). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 30.3.2021).
Die am 7.9.2021 gebildete Übergangsregierung der Taliban umfasste nur drei Vertreter der usbekischen bzw. der tadschikischen Minderheiten, durch weitere Ernennungen kamen mittlerweile wenige weitere, darunter ein Vertreter der Hazara, hinzu (AA 21.10.2021).
Darüber hinaus unterliegen - soweit bislang erkennbar - ethnische Minderheiten, aber keiner grundsätzlichen Verfolgung durch die Taliban, solange sie deren Machtanspruch akzeptieren (AA 21.10.2021).
[…]
Tadschiken
Letzte Änderung: 27.01.2022
Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan (MRG o.D.d; vergleiche RFE/RL 9.8.2019). Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus. Während sie in der vor-sowjetischen Ära hauptsächlich in den Städten, in und um Kabul und in der bergigen Region Badashkshan im Nordosten lebten, leben sie heute in verschiedenen Gebieten im ganzen Land, allerdings hauptsächlich im Norden, Nordosten und Westen Afghanistans (MRG o.D.d).
Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation (MRG o.D.d). Heute werden unter dem Terminus tājik „Tadschike“ fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (STDOK 7.2016).“
1.2.7. Zu den Taliban aus dem Länderinformationsblatt vom 28.01.2022
„Taliban
Letzte Änderung: 17.01.2022
Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv. Die Taliban-Führung regierte Afghanistan zwischen 1996 und 2001, als sie von US-amerikanischen/internationalen Streitkräften entmachtet wurde. Nach ihrer Entmachtung hat sie weiterhin einen Aufstand geführt (EASO 8.2020c; vergleiche NYT 26.5.2020). 2018 begannen die USA Verhandlungen mit einer Taliban-Delegation in Doha (NYT 26.5.2020), im Februar 2020 wurde der Vertrag, in welchem sich die US-amerikanische Regierung zum Truppenabzug verpflichtete, unterschrieben (NYT 29.2.2020), wobei die US-Truppen bis Ende August 2021 aus Afghanistan abzogen (DP 31.8.2021). Nachdem der bisherige Präsident Ashraf Ghani am 15.8.2021 aus Afghanistan geflohen war, nahmen die Taliban die Hauptstadt Kabul als die letzte aller großen afghanischen Städte ein (TAG 15.8.2021). Die Taliban-Führung kehrte daraufhin aus Doha zurück, wo sie erstmals 2013 ein politisches Büro eröffnet hatte (DW 31.8.2021). Im September 2021 kündigten sie die Bildung einer "Übergangsregierung" an. Entgegen früherer Aussagen handelt es sich dabei nicht um eine "inklusive" Regierung unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure, sondern um eine reine Talibanregierung (NZZ 7.9.2021).
Seit 2001 hat die Gruppe einige Schlüsselprinzipien beibehalten, darunter eine strenge Auslegung der Scharia in den von ihr kontrollierten Gebieten (EASO 8.2020c; vergleiche RFE/RL 27.4.2020). Die Taliban sind eine religiös motivierte, religiös konservative Bewegung, die das, was sie als ihre zentralen "Werte" betrachten, nicht aufgeben wird. Wie sich diese Werte in einer künftigen Verfassung widerspiegeln und in der konkreten Politik zum Tragen kommen, hängt von den täglichen politischen Verhandlungen zwischen den verschiedenen politischen Kräften und dem Kräfteverhältnis zwischen ihnen ab (Ruttig 3.2021). Aufgrund der schnellen und umfangreichen militärischen Siege der Taliban im Sommer 2021 hat die Gruppierung nun jedoch wenig Grund, die Macht mit anderen Akteuren zu teilen (FA 23.8.2021).
Struktur und Führung
Letzte Änderung: 17.01.2022
Die Taliban bezeichneten sich [vor ihrer Machtübernahme] selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.; vergleiche BBC 15.4.2021). Sie positionierten sich als Schattenregierung Afghanistans. Ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprachen den Verwaltungsämtern und -pflichten einer typischen Regierung (EASO 8.2020c; vergleiche NYT 26.5.2020), die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betrieb (EASO 8.2020c; vergleiche USIP 11.2019; BBC 15.4.2021). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando der Taliban sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).
Die wichtigsten Entscheidungen werden von einem Führungsrat getroffen, der nach seinem langjährigen Versteck auch als Quetta-Schura bezeichnet wird. Dem Rat gehören neben dem Taliban-Chef und dessen Stellvertretern rund zwei Dutzend weitere Personen an (NZZ 17.8.2021). Die Mitglieder der Quetta-Schura sind vor allem Vertreter des Talibanregimes von 1996-2001 (IT 16.8.2021). Neben der Quetta-Schura, welche [vor der Machtübernahme der Taliban in Kabul] die Talibanangelegenheiten in elf Provinzen im Süden, Südwesten und Westen Afghanistans regelte, gibt es beispielsweise auch die Peshawar-Schura, welche diese Aufgabe in 19 weiteren Provinzen übernommen hatte (UNSC 1.6.2021), sowie auch die Miran Shah-Schura. Das Haqqani-Netzwerk mit seinen Kommandanten in Ostafghanistan und Pakistan hat enge Verbindungen zu den beiden letztgenannten Schuras (RFE/RL 6.8.2021).
Die Quetta-Schura übt eine gewisse Kontrolle über die rund ein Dutzend verschiedenen Kommissionen aus, welche als "Ministerien" fungierten (IT 16.8.2021). Die Taliban unterhielten [vor ihrer Machtübernahme in Kabul] beispielsweise eine Kommission für politische Angelegenheiten mit Sitz in Doha, welche im Februar 2020 die Friedensverhandlungen mit den USA abschloss. Nach Angaben des Talibansprechers Zabihullah Mujahid hat diese Kommission keine direkte Kontrolle über die Talibankämpfer in Afghanistan. Die militärischen Kommandostrukturen bis hinunter zur Provinz- und Distriktebene unterstehen nämlich der Kommission für militärische Angelegenheiten (RFE/RL 6.8.2021).
Die höchste Instanz in religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten ist Mullah Haibatullah Akhundzada (RFE/RL 6.8.2021). Er ist seit 2016 der "Amir al Muminin" oder "Emir der Gläubigen", ein Titel, der ihm von Aiman Al-Zawahiri, dem Anführer von Al-Qaida, verliehen wurde (FR 18.8.2021). Die neue Regierung wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied der Rahbari-Schura (Quetta-Schura) (NZZ 7.9.2021; vergleiche BBC 8.9.2021a, AA 21.10.2021). Mullah Abdul Ghani Baradar, der vormalige Leiter der Kommission für politische Angelegenheiten und Vorsitzender des Verhandlungsteams der Taliban in Doha (RFE/RL 6.8.2021), wurde gemeinsam mit Mawlawi Abdul Salam Hanafi zu stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt. Als Innenminister wurde Mawlawi Sirajuddin Haqqani ernannt, der Führer des Haqqani-Netzwerkes, der in den USA immer noch auf der "Gesucht" Liste des FBI aufscheint. Als Verteidigungsminister wurde Mawlawi Mohammad Yaqoob Mujahid ernannt und als Außenminister Mawlawi Amir Khan Muttaqi (BBC 7.9.2021). Haibatullah Akhunzada wird sich als "Oberster Führer" auf religiöse Angelegenheiten und die Regierungsführung im Rahmen des Islam konzentrieren (NZZ 8.9.2021; vergleiche TN 3.9.2021). In Kandarhar hatte er im Oktober 2021 seinen ersten öffentlichen Auftritt (France 24 31.10.2021; vergleiche VOA 31.10.2021).
Die Taliban treten nach außen hin geeint auf, trotz Berichten über interne Spannungen oder Spaltungen. Im Juni 2021 berichtete der UN-Sicherheitsrat, dass die unabhängigen Operationen und die Macht von Taliban-Kommandanten vor Ort für den Führungsrat der Taliban (die Quetta-Schura) zunehmend Anlass zur Sorge sind. Spannungen zwischen der politischen Führung und einigen militärischen Befehlshabern sind Ausdruck anhaltender interner Rivalitäten, Stammesfehden und Meinungsverschiedenheiten über die Verteilung der Einnahmen der Taliban (UNSC 1.6.2021). Zuletzt wurde auch über interne Meinungsverschiedenheiten bei der Regierungsbildung berichtet (HT 5.9.2021; BAMF 6.9.2021), was vom offiziellen Sprecher der Taliban jedoch dementiert wurde (DS 6.9.2021). Haibatullah Akhunzada warnte im November die Taliban, dass es in ihren Reihen Einheiten geben könnte, die "gegen den Willen der Regierung arbeiten" (AJ 4.11.2021; vergleiche TG 4.11.2021).
Die Taliban sind somit keine monolithische Organisation (TWN 20.4.2020). Gemäß einem Experten für die Organisationsstruktur der Taliban unterstehen nur rund 40-45 Prozent der Truppen der Talibanführung. Rund 35 Prozent werden von Sirajuddin Haqqani angeführt, weitere ca. 25 Prozent von Taliban aus dem Norden des Landes (Tadschiken und Usbeken) (GN 31.8.2021). Was militärische Operationen betrifft, so handelt es sich um einen vernetzten Aufstand mit einer starken Führung an der Spitze und dezentralisierten lokalen Befehlshabern, die Ressourcen auf Distriktebene mobilisieren können (EASO 8.2020c; vergleiche NYT 26.5.2020).“
1.2.8. Zum Rechtsschutz und Justizwesen aus dem Länderinformationsblatt vom 28.01.2022
„Die Taliban kündigten nach ihrer Machtübernahme im August 2021 an, dass zukünftig eine islamische Regierung von islamischen Gesetzen angeleitet werden soll, das Regierungssystem solle auf der Scharia basieren. Sie blieben dabei allerdings sehr vage bezüglich der konkreten Auslegung. "Scharia" bedeutet auf Arabisch "der Weg" und bezieht sich auf ein breites Spektrum an moralischen und ethischen Grundsätzen, die sich aus dem Koran sowie aus den Aussprüchen und Praktiken des Propheten Mohammed ergeben. Die Grundsätze variieren je nach der Auslegung verschiedener Gelehrter, die Denkschulen gegründet haben, denen die Muslime folgen und die sie als Richtschnur für ihr tägliches Leben nutzen (AJ 23.8.2021; vergleiche NYT 19.8.2021). Die Auslegung der Scharia ist in der muslimischen Welt Gegenstand von Diskussionen. Jene Gruppen und Regierungen, die ihr Rechtssystem auf die Scharia stützen, haben dies auf unterschiedliche Weise getan. Wenn die Taliban sagen, dass sie die Scharia einführen, bedeutet das nicht, dass sie dies auf eine Weise tun, der andere islamische Gelehrte oder islamische Autoritäten zustimmen würden (NYT 19.8.2021). Sogar in Afghanistan haben sowohl die Taliban, die das Land zwischen 1996 und 2001 regierten, als auch die Regierung von Ashraf Ghani behauptet, das islamische Recht zu wahren, obwohl sie unterschiedliche Rechtssysteme hatten (AJ 23.8.2021).
Bislang [Stand Oktober 2021] hat sich kein formelles neues Justizsystem etabliert. Bereits vor der Machtübernahme unterhielten die Taliban Schattengerichte unter strikter Auslegung der Scharia in den von ihnen kontrollierten Gebieten, die von der Bevölkerung zum Teil als effizienter und verlässlicher als das korruptionsbelastete Justizsystem der Republik empfunden wurden. Aktuell gibt es Berichte, wonach die Taliban auf lokaler Ebene gegen Kriminalität vorgehen und Täter öffentlich bestrafen. Darüber, was im Anschluss weiter mit den Tätern passiert, liegen keine Erkenntnisse vor (AA 21.10.2021).
Die Auslegung des islamischen Rechts durch die Taliban entstammt nach Angaben eines Experten dem Deobandi-Strang der Hanafi-Rechtsprechung - einem Zweig, der in mehreren Teilen Südostasiens, darunter Pakistan und Indien, anzutreffen ist - und der eigenen gelebten Erfahrung als überwiegend ländliche und stammesbezogene Gesellschaft (AJ 23.8.2021; vergleiche WTN 3.9.2021). Als die Taliban 1996 an die Macht kamen, setzten sie strenge Kleidervorschriften für Männer und Frauen durch und schlossen Frauen weitgehend von Arbeit und Bildung aus. Die Taliban führten auch strafrechtliche Bestrafungen (hudood) im Einklang mit ihrer strengen Auslegung des islamischen Rechts ein, darunter öffentliche Hinrichtungen von Menschen, die von Taliban-Richtern des Mordes oder des Ehebruchs für schuldig befunden wurden, und Amputationen für diejenigen, die aufgrund von Diebstahl verurteilt wurden (AJ 23.8.2021; vergleiche VOA 24.8.2021).
[…]“
1.2.9. Zur allgemeinen Menschenrechtslage und der Todesstrafe aus dem Länderinformationsblatt vom 28.01.2022
„Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 17.01.2022
Es ist nicht davon auszugehen, dass die Verfassung der afghanischen Republik aus Sicht der Taliban aktuell fortbesteht. Eine neue oder angepasste Verfassung existiert bislang nicht; politische Aussagen der Taliban, übergangsweise die Verfassung von 1964 in Teilen nutzen zu wollen, blieben bislang ohne unmittelbare Auswirkungen (AA 21.10.2021).
Es gibt Berichte über grobe Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021 (HRW 23.8.2021; vergleiche AA 21.10.2021), wobei diese im Einzelfall nur schwer zu verifizieren sind, darunter Hausdurchsuchungen, Willkürakte und Erschießungen (AA 21.10.2021). Die Gruppe soll Tür-zu-Tür-Durchsuchungen durchführen, und auch an einigen Kontrollpunkten der Taliban wurden gewalttätige Szenen gemeldet (HRW 30.11.2021; vergleiche BBC 20.8.2021, AP 3.9.2021). Diejenigen, die für die Regierung oder andere ausländische Mächte gearbeitet haben, sowie Journalisten und Aktivisten sagen, sie hätten Angst vor Repressalien (BBC 20.8.2021). Es existieren Berichte über Einzeltäter oder kriminelle Gruppen, die sich als Taliban ausgeben und Hausdurchsuchungen, Plünderungen o. Ä. durchführen (AA 21.10.2021).
Beispielsweise wurde Berichten zufolge ein beliebter Komiker, der früher für die Polizei gearbeitet hatte, aus seinem Haus entführt und von den Taliban am oder um den 28.7.2021 getötet (AI 9.2021; vergleiche WP 28.7.2021), ein Volkssänger von den Taliban erschossen (AI 9.2021; vergleiche RFE/RL 29.8.2021) und eine frühere Polizeiangestellte, die im achten Monat schwanger war, vor ihren Kindern erschossen (AI 9.2021; vergleiche BBC 5.9.2021).
Die Europäische Union hat erklärt, dass die von ihr zugesagte Entwicklungshilfe in Höhe von mehreren Milliarden Dollar von Bedingungen wie der Achtung der Menschenrechte durch die Taliban abhängt (MPI 2.9.2021; vergleiche REU 3.9.2021).
[…]
Todesstrafe
Letzte Änderung: 27.01.2022
Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 war die Todesstrafe in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen (AA 16.7.2021). Und zwar für Delikte wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriff gegen den Staat, Mord und Zündung von Sprengladungen, Entführungen bzw. Straßenraub mit tödlicher Folge, Gruppenvergewaltigung von Frauen u.a. (StGb-AFGH 15.5.2017: Artikel 170,).
Die Taliban haben hierzu bisher keine gesetzlichen Regelungen erlassen. Die sowohl während des ersten Talibanregimes, als auch vor dem Zusammenbruch der Republik in von den Taliban kontrollierten Gebieten angewandte Rechtspraxis auf Grundlage einer strikten Auslegung der Scharia sieht die Todesstrafe vor (AA 21.10.2021).“
1.2.10. Interne Schutzalternative aus den UNHCR Richtlinien
„1. Analyse der Relevanz
römisch eins. Gebiete in Afghanistan, die keine interne Schutzalternative bieten Im Lichte der verfügbaren Informationen über schwerwiegende und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) in den von ihnen kontrollierten Gebieten sowie der Unfähigkeit des Staates, für Schutz vor derartigen Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist UNHCR der Ansicht, dass eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben ist, es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragstellende über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative auch in den von aktiven Kampfhandlungen zwischen regierungsnahen und regierungsfeindlichen Kräften oder zwischen verschiedenen regierungsfeindlichen Kräften betroffenen Gebieten nicht gegeben ist.
römisch II. Prüfung, ob der Antragsteller in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet der ursprünglichen Gefahr der Verfolgung ausgesetzt wäre Ein als interne Schutzalternative vorgeschlagenes Gebiet wäre nicht relevant, wenn der Antragsteller in diesem Gebiet der ursprünglichen Gefahr der Verfolgung ausgesetzt wäre.
1. Hat der Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung durch den Staat oder in dessen Auftrag handelnde Stellen, ist davon auszugehen, dass Überlegungen hinsichtlich einer internen Schutzalternative nicht relevant sind.
2. Hat der Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung, die von Mitgliedern der Gesellschaft aufgrund schädlicher traditioneller Bräuche und religiöser Normen ausgeht, die Verfolgungscharakter aufweisen, so muss die Akzeptanz solcher Normen und Bräuche in weiten Teilen der Gesellschaft und die einflussreichen konservativen Elemente auf allen Ebenen der Regierung als ein Faktor in Betracht gezogen werden, der gegen die Relevanz einer internen Schutzalternative spricht. UNHCR vertritt den Standpunkt, dass – verbunden mit den Nachweisen in Abschnitt römisch II.C betreffend die eingeschränkte Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten, – davon auszugehen ist, dass die Erwägung einer internen Schutzalternative in diesen Fällen nicht relevant ist.
3. In Fällen, in denen die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften ausgeht, muss die Relevanz einer vorgeschlagenen Schutzalternative unter Berücksichtigung einer Reihe verschiedener Elemente beurteilt werden.
(i) Geht die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften aus, muss berücksichtigt werden, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Akteure den Antragsteller im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfolgen. Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte, einschließlich der Taliban und des Islamischen Staates, existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine interne Schutzalternative.
(ii) Ferner müssen die Nachweise in Abschnitt römisch II.C hinsichtlich der aufgrund ineffektiver Regierungsführung und weit verbreiteter Korruption eingeschränkten Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte zu bieten, berücksichtigt werden.
römisch III. Prüfung, ob der Antragsteller in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet neuen Gefahren der Verfolgung oder anderen Form ernsthaften Schadens ausgesetzt wäre Neben den oben genannten Überlegungen zur ursprünglichen Form der Verfolgung im Heimatgebiet des Antragstellers muss der Entscheidungsträger auch nachweisen, dass der Antragsteller in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet keiner neuen Form der Verfolgung und keinem anderen ernsthaften Schaden – etwa infolge willkürlicher Gewalt – ausgesetzt wäre.
römisch IV. Prüfung, ob das als interne Schutzalternative vorgeschlagene Gebiet praktisch, sicher und auf legalem Weg erreichbar ist.“
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den gegenständlichen Verwaltungs- und Gerichtsakt, durch Einsicht in die Verwaltungs- und Gerichtsakten der Vorverfahren den Beschwerdeführer betreffend sowie in die jeweiligen Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes. Außerdem wird der gegenständlichen Entscheidung beweiswürdigend zugrunde gelegt: die Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung am 23.03.2022 (OZ 5), die Einsichtnahme in das Protokoll der niederschriftlichen Erstbefragung (AS 33f.) und in das Protokoll der Einvernahme durch die belangte Behörde am 17.03.2021 (AS 1201 f.) sowie die Einsichtnahme in die zum Akt genommenen zahlreichen Urkunden, medizinischen Unterlagen und Stellungnahmen des Beschwerdeführers.
2.1. Zu den zum Beschwerdeführer getroffenen Feststellungen:
2.1.1. Zu seiner Person:
Die einzelnen Feststellungen beruhen auf den jeweils in der Klammer angeführten Beweismitteln.
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren. Der Beschwerdeführer legte keine Dokumente wie Reisepass, Tazkira, etc. zum Identitätsnachweis vor (AS 1201 f.).
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Muttersprache und sonstigen Sprachkenntnissen, zum Lebenslauf des Beschwerdeführers sowie seine familiäre Situation, stützen sich auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
Die Feststellung zur Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Strafregisterauszug vom 23.03.2022).
Die Feststellungen zum gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers, seinen Behandlungen, Therapien und seinem Bedarf an Medikamenten, ergeben sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung, der Stellungnahme vom 05.04.2022 (OZ/6) und den zahlreichen im Verfahren und in der Verhandlung vorgelegten Arztbriefen, Befunden, Gutachten und Bestätigungen von Behandlungsgesprächen vergleiche Beilagen A bis J des Verhandlungsprotokolls OZ 5 am 23.03.2022). Die Feststellungen zum gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers ergeben sich auch aus dem Verwaltungsakt und den darin aufliegenden zahlreichen im Verfahren vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen; AS 387 f., AS 433 f., AS 525 f., AS 543 f., AS 847 f., AS 945 f. und AS 1005 f. sowie aus der Entscheidung des BVwG im Zulassungsverfahren vom 04.11.2020.
Die Erkrankungen des Beschwerdeführers wurden bereits durch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid vom 18.05.2021 vergleiche Seite 19) festgestellt. Auch die Abhängigkeit des Beschwerdeführers von psychosozialer Betreuung und Betreuung durch seine Familienangehörigen in Österreich, wurde bereits im angefochtenen Bescheid beweiswürdigend festgestellt vergleiche Seite 191 f. des angefochtenen Bescheides vom 18.05.2021, AS 1381 f.).
Die Feststellungen zur Integration des Beschwerdeführers und seinem Leben in Österreich ergeben sich aus seinen Angaben und den im Verfahren vorgelegten Unterlagen über seine Integrationsbemühungen vergleiche Beilagen des Verhandlungsprotokolls OZ 5 am 23.03.2022). Die Feststellung über den Deutschkurs ergibt sich aus den vorgelegten Bestätigungen vergleiche Beilagen K bis M des Verhandlungsprotokolls OZ 5 am 23.03.2022).
Dass der Beschwerdeführer Deutsch versteht und spricht ergibt sich aus den Niederschriften der Erstbefragung und der Einvernahme, in denen der Beschwerdeführer unaufgefordert Antworten selbst auf Deutsch gab (AS 171 f., AS 1205 f.).
Dass der Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung bezieht ergibt sich aus seinen Angaben und dem Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem.
2.1.2. Zur befürchteten Verfolgung in Afghanistan:
In der Einvernahme vor der belangten Behörde sowie in der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer gleichlautend vor, seine Eltern und Geschwister haben Afghanistan verlassen als er ein Baby war, weil sein Vater Polizist gewesen sei vergleiche AS 1210, OZ 5; Sitzung 7). Im gegenständlichen Folgeantragsverfahren machte der Beschwerdeführer die folgenden ihn betreffenden Fluchtgründe geltend:
2.1.2.1. Zur Verfolgung aufgrund des Abfalls des Beschwerdeführers vom Islam
Der Beschwerdeführer brachte sowohl in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 17.03.2021 sowie in der mündlichen Verhandlung am 23.03.2022 vor dem erkennenden Gericht vor, aufgrund seines Abfalls vom Islam bei einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung zu befürchten. Er gab sowohl bei der Einvernahme als auch bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gleichlautend und widerspruchsfrei denselben Fluchtgrund an und schilderte diesen genau.
Der Beschwerdeführer brachte gleichlautend über das Verfahren hinweg vor, er habe sich vom islamischen Glauben abgewandt und sei weder Willens noch im Stande am gebotenen religiösen Leben in Afghanistan teilzunehmen vergleiche Einvernahme am 17.03.2021, AS 1207, Stellungnahme vom 24.03.2021, Beschwerde vom 22.06.2021 sowie Verhandlungsprotokoll OZ/5 vom 23.03.2022 Seiten 9 und 10). Er habe in Afghanistan aufgrund dessen asylrelevante Verfolgung zu befürchten, da seine Lebenseinstellung als oppositionelle Gesinnung angesehen werde. Bei einer Rückkehr befürchte er aufgrund seiner Tattoos und seines Piercings als Apostat erkannt und verfolgt zu werden vergleiche Einvernahme am 17.03.2021, AS 1213).
Im angefochtenen Bescheid argumentiert die belangte Behörde, der vorgebrachte Glaubensabfall ließ anhand der widersprüchlichen Angaben im gesamten Verfahren nicht auf eine innere Überzeugung im Sinne einer verpönten politischen oder religiösen Gesinnung schließen. Vielmehr habe der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag eingebracht um ein Bleiberecht im Bundesgebiet bei seinen Familienangehörigen zu erhalten vergleiche Seite 184 f. des angefochtenen Bescheides vom 18.05.2021, AS 1381 f.).
Für das erkennende Gericht stellt sich das Fluchtvorbringen jedoch aus den folgenden Gründen als glaubhaft dar:
Über das Verfahren hinweg machte der Beschwerdeführer glaubhafte und widerspruchsfreie Angaben dazu, was ihn zum Glaubensabfall bewegt hat. In diesem Zusammenhang brachte er bereits in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 17.03.2021 glaubhaft vor, sich seit vier oder fünf Jahren von der Religion abgewandt zu haben, dies aufgrund der Probleme die er in seinem Leben gehabt habe vergleiche AS 1207). Auch in der mündlichen Verhandlung gab er glaubhaft und lebensnah an, er habe im Iran in der Schule Unterricht in Religion gehabt und habe sich dann aber im Alter von 17 oder 18 Jahren vom muslimischen Glauben abgewandt (OZ 5; Sitzung 9). Dies aufgrund seiner Erfahrungen und Erlebnisse während seines Lebens auf der Straße (OZ 5; Sitzung 9). Er brachte auch widerspruchsfrei sowohl in der Einvernahme am 17.03.2021, als auch in der mündlichen Verhandlung vor, bereits im Iran nicht gebetet zu haben. Er habe zwar den Religionsunterricht in der Schule besucht aber bereits damals kein Interesse am Islam gehabt vergleiche AS 1213). Der Beschwerdeführer machte diesbezüglich glaubhafte und lebensnahe Angaben und schilderte über das Verfahren hinweg mehrmals welche traumatisierenden Erlebnisse er in den vergangenen Jahren während seines Lebens als Obdachloser sammeln musste. Auch aus der gutachterlichen Stellungnahme über den psychischen Zustand des Beschwerdeführers geht hervor, dass dieser in seiner Jugend traumatische Geschehnisse erlebt hat. Wie beweiswürdigend festgestellt, versuchte der Beschwerdeführer in den vergangenen Jahren mehrmals Selbstmord zu begehen. Insgesamt ist es glaubhaft, dass er aufgrund seiner Lebenslage in den vergangenen Jahren nicht nur sein Leben selbst, sondern auch seine Religion hinterfragt hat und sich vom Islam abwandte.
Es wurden im Verfahren auch konkrete Angaben gemacht, was der Beschwerdeführer konkret am Islamischen Glauben kritisch hinterfragt. Der Beschwerdeführer schilderte bereits in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 17.03.2021 was ihm am islamischen Glauben missfalle: „ römisch 40 .“ (AS 1207). Auch in der Verhandlung legte er seine Zweifel am islamischen Glauben glaubhaft dar, und beschrieb: „ römisch 40 .“ vergleiche Verhandlungsprotokoll vom 23.03.2022, OZ 5; Sitzung 10).
Über das Verfahren hinweg beschrieb der Beschwerdeführer glaubhaft und widerspruchsfrei, woran er nun nach seinem Abfall vom Islam glaube. Bereits in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am 17.03.2021 gab er nach seiner Religionszugehörigkeit befragt an: „ römisch 40 .“ (AS 1207). Er schilderte sodann ausführlich, dass er sein Handeln von seinem Herzen und davon was er für richtig und falsch hält, abhängig macht. Er glaube an nichts, er habe sich vom Islam abgewandt. Bei seinem Tod wolle er nicht nach dem islamischen Ritus beerdigt werden vergleiche AS 1208).
Auch in der mündlichen Verhandlung schilderte er glaubhaft seinen Glaubensabfall: „ römisch 40 .“ vergleiche Verhandlungsprotokoll vom 23.03.2022, OZ 5; Sitzung 6).
Auch in der zuletzt eingebrachten Stellungnahme brachte der Beschwerdeführer vor, er habe sich bereits vor Jahren vom islamischen Glauben abgewandt und verachte die strengen afghanischen religiösen Traditionen vergleiche Seite 5 der Stellungnahme vom 05.04.2022 OZ/5).
Insgesamt ergibt sich für das erkennende Gericht somit, dass sich der Beschwerdeführer glaubhaft vom Islamischen Glauben abgewandt hat und sich mittlerweile als Atheist wahrnimmt.
Er ist aus innerer Überzeugung vom Islam abgefallen und versteht seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal, die er auch bei einer Rückkehr in seinem Heimatstaat Afghanistan leben wird.
Sein Abfall vom Islam ist nach außen sichtbar und wird vom Beschwerdeführer ausgelebt. Seine Familie und sein Umfeld wissen von seinem Glaubensabfall, er trägt ein Piercing und mehrere sichtbare Tattoos mit denen er seinen eigenen Glauben zum Ausdruck bringt (AS 1201 f., OZ 5):
Der inneren Überzeugung des Beschwerdeführers verleiht er durch seinen Lebenswandel und dem damit korrespondierenden Erscheinungsbild einen entsprechenden Ausdruck. Er brachte widerspruchsfrei über das Verfahren hinweg vor, sich nach außen sichtbar vom Islam abgewandt zu haben und dabei bereits Probleme erlebt zu haben: „ römisch 40 “ (OZ 5; Sitzung 9). Selbiges Vorbringen machte er bereits in der Einvernahme vor der belangten Behörde, als er vorbrachte aufgrund dessen, dass er ein T-Shirt mit Kreuz getragen habe von anderen Afghanen beschimpft worden zu sein vergleiche AS 1207). Der Beschwerdeführer trägt außerdem ein Piercing: einen römisch 40 . Im Verfahren brachte er glaubhaft vor, dass er diesen als Symbol für seinen Abfall vom Islam trägt vergleiche AS 1208).
Bereits bei der Einvernahme vor der Behörde machte der Beschwerdeführer Angaben darüber, dass er durch die Tattoos auf seinem Körper seine bisherigen Erlebnisse verarbeitet, und seinem Abwenden vom Islam, Ausdruck verliehen hat vergleiche AS 1208). Der Beschwerdeführer trägt mehrere sichtbare Tattoos römisch 40 .
Er trägt römisch 40 , der für ihn die Bedeutung hat, dass er die Politik des Irans hasst, diesen trägt er bereits seit seinem 14ten Lebensjahr. Zudem trägt römisch 40 der für Einsamkeit und seine Verzweiflung steht und einen Schriftzug „ römisch 40 “ mit dem der Beschwerdeführer ausdrücken will wieso ausgerechnet er diese Probleme hat.
Den Abfall vom Islam hat er durch ein Tattoo, das römisch 40 darstellt verbildlicht, diese steht für römisch 40 vergleiche AS 1208). Diese Anschauung brachte er im Verfahren mehrmals widerspruchsfrei und glaubhaft vor: „ römisch 40 .“ (AS 1207). Der Beschwerdeführer beschrieb auch in der mündlichen Verhandlung glaubhaft, seine Tattoos habe er sich, in der Zeit als er auf der Straße gelebt hat, stechen lassen. Er habe sich in dieser Zeit an die verschiedensten Götter gewandt aber keiner habe ihm geholfen (OZ 5; Sitzung 9).
Durch den erkennenden Richter in der mündlichen Verhandlung nachgefragt, wie die Familie des Beschwerdeführers in Österreich dazu stehen würde, dass er sich von der Religion abgewandt habe, gab dieser glaubhaft an: „ römisch 40 .“ (OZ 5; Sitzung 10). Dies deckt sich auch mit den Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme über seine Familie. Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren gleichlautend vor, dass seine Familie nie streng religiös war und er auch als Kind nicht zwingend beten musste.
Insgesamt konnte der Beschwerdeführer somit glaubhaft vorbringen, dass aufgrund der Sozialisierung im Iran sowie des familiären Hintergrunds bereits zu einem frühen Zeitpunkt eine kritische Distanzierung zum islamischen Glauben stattfand. Dieser Prozess mündete schließlich in einer völligen Abkehr von jedweder Religion. Die persönlichen bisher überwiegend negativen Lebenserfahrungen des Beschwerdeführers führten ihn zu dem inneren Entschluss, transzendentale Überzeugungen nicht als Bestandteil seines Seins zu fassen und sich jeglicher Religion zu entsagen vergleiche Seite 5 der gegenständlichen Beschwerde, AS 1539 f.).
Der Beschwerdeführer konnte im Verfahren glaubhaft vorbringen, dass er Atheist ist und sich von der islamischen Religion vollkommen entfernt hat. Besonders traumatisierende Erlebnisse die dem Beschwerdeführer wiederfahren sind wie Gewalt, die jahrelange Trennung von seiner Familie, Flucht, Ablehnung und Unsicherheit und dies bereits ab dem jungen Alter von 14 Jahren, prägten und festigten die Überzeugung des Beschwerdeführers hinsichtlich des Fehlens einer göttlichen Ordnung. Dies brachte er im Verfahren widerspruchsfrei und glaubhaft vor.
Insgesamt konnte der Beschwerdeführer im Verfahren somit glaubhaft vorbringen, dass er aus innerer Überzeugung vom Islam abgefallen ist. Er versteht seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal, die er auch in seinem Heimatstaat leben wird. Er brachte glaubhaft vor, dass er bei einer Rückkehr weiterhin nicht nach den Regeln des Islam leben würde, keine Moschee besucht und vom Islam abgefallen ist. Dies aus innerer Überzeugung. Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auch bei einer Rückkehr nicht nach den islamischen Regeln wird leben wollen. Dies kann ihm auch nicht zugemutet werden.
Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers deckt sich mit den ins Verfahren eingebrachten Länderinformationen zum Abfall vom Islam in Afghanistan vergleiche oben römisch II.1.2.):
Aus dem Länderinformationsblatt vom 28.01.2022 ergibt sich, dass etwa 99% der afghanischen Bevölkerung Muslime sind. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden. Der letzte bislang in Afghanistan lebende Jude hat nach der Machtübernahme der Taliban das Land verlassen.
Bereits vor der Machtübernahme der Taliban waren die Möglichkeiten der konkreten Religionsausübung für Nicht-Muslime durch gesellschaftliche Stigmatisierung, Sicherheitsbedenken und die spärliche Existenz von Gebetsstätten extrem eingeschränkt. In den fünf Jahren vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichteten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskierten.
Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Der Islam spielt eine entscheidende Rolle in der afghanischen Gesellschaft und definiert die Auffassung der Afghanen vom Leben, von Moral und Lebensrhythmus. Den Islam zu verlassen und zu einer anderen Religion zu konvertieren bedeutet, gegen die gesellschaftlichen Kerninstitutionen und die soziale Ordnung zu rebellieren.
Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt. Entsprechend einer Anmerkung der Staatendokumentation im der Entscheidung zugrundeliegenden Länderinformationsblatt vom 28.01.2022, sind über die Auswirkung der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 auf Apostasie, Blasphemie und Konversion noch keine validen Informationen bekannt vergleiche oben 1.2.1.). Selbiges ergibt sich aus dem aktuelleren Länderinformationsblatt vom 04.05.2022.
Den Länderinformationen ist zu entnehmen, dass Afghanistan neben seiner ethnischen Vielfalt historisch gesehen auch eine religiöse Diversität aufgewiesen hat. Allerdings sei die überwiegende Mehrheit der nicht-muslimischen Bevölkerung aus Afghanistan geflohen, nachdem es den Taliban im Jahr 1996 gelungen sei, ihre Kontrolle über die Regierung zu festigen vergleiche Zur Lage von Personen, die vom islamischen Glauben abgefallen sind aus der ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan, 15.06.2020). Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, galt bereits vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht vergleiche oben Punkt römisch II.1.2.1.) Laut USDOS-Bericht vom Juni 2020 ist der Straftatbestand Apostasie im Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich vorgesehen. Vielmehr falle er unter die sieben Straftatbestände, die in der Scharia Hudud (Arabisch für „Grenzen“, Anmerkung ACCORD) genannt würden. Nach dem Strafgesetzbuch würden Personen, die sich Hudud-Verbrechen schuldig gemacht hätten, nach der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung bestraft. Gemäß dieser sei für männliche Apostaten Enthauptung die angemessene Bestrafung. Es sei denn, die Person tue Buße. Das USDOS schreibt weiters, dass Personen, die der Blasphemie oder der Apostasie beschuldigt würden, drei Tage Zeit hätten zu wiederrufen, andernfalls sei die Todesstrafe vorgesehen vergleiche oben Punkt römisch II.1.2.1.).
Auch UNHCR ist der Ansicht, dass – abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles – für Personen, die vermeintlich gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) verstoßen, sowie Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit einer allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen Verfolgung zu bieten, bestehen kann vergleiche oben Punkt römisch II.1.2.2. und römisch II.1.2.3.).
Dem Beschwerdeführer droht in seinem Heimatland Verfolgung aufgrund seines Abfalles vom Islam. Insgesamt stellte sich das Fluchtvorbingen des Beschwerdeführers für das erkennende Gericht als glaubhaft dar. Der Fluchtgrund wurde vom Beschwerdeführer schlüssig, detailreich, lebensnah sowie widerspruchsfrei geschildert und in der Einvernahme vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung gleichlautend vorgebracht. In der Einvernahme sowie in der mündlichen Verhandlung machte der Beschwerdeführer gleiche und detailreiche Angaben zu konkreten Situationen im Zusammenhang mit seinem Fluchtvorbringen.
Insgesamt entstand bei dem erkennenden Richter sohin nicht der Eindruck, es könnte sich bei den vorgebrachten Ereignissen und bei dem Glaubensabfall um eine einstudierte Fluchtgeschichte handeln.
Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers betreffend die gegen ihn bestehende Bedrohung durch die Taliban in Afghanistan, aufgrund seines Abfalles vom Islam, steht wie dargelegt auch im Einklang mit den hier zugrunde gelegten Berichten zur Situation in Afghanistan vergleiche oben Punkt römisch II.1.2.1.). Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers war daher aus den soeben angestellten Erwägungen insgesamt ausreichend substantiiert und schlüssig und hat sich auch vor dem Hintergrund der in den Länderfeststellungen zu Afghanistan enthaltenen Ausführungen als plausibel erwiesen.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer auch abseits seines Fluchtvorbringens zu seinem Lebenslauf und der Situation seiner Familienangehörigen plausible und stringente Angaben machte und dass diesbezüglich keine Divergenzen aufgetreten sind. Im Übrigen hat sich der Beschwerdeführer in Österreich während seines bisherigen Aufenthaltes trotz seiner schweren psychischen Erkrankungen bereits um Integration bemüht, und es war in einer Gesamtschau die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nicht in Zweifel zu ziehen.
2.1.2.2. Zur Verfolgung aufgrund der psychischen Erkrankungen des Beschwerdeführers
Im Verfahren brachte der Beschwerdeführer vor, ihm drohe in Afghanistan Verfolgung durch die Taliban aufgrund seiner psychischen Erkrankungen. Er würde in Afghanistan stigmatisiert werden, da psychische Erkrankungen als Strafe Gottes oder schwarze Magie interpretiert würden. Zudem bedürfe es bei einer Rückkehr der Betreuung durch die Familie. Er verfüge in Afghanistan jedoch über keinerlei Familienangehörige vergleiche Seite 2 f. Stellungnahme vom 05.04.2022 und OZ/5). Bereits in einer Stellungnahme des Beschwerdeführers im Zulassungsverfahren vom 22.07.2020 wurde vorgebracht, es ergebe sich aus den UNHCR Richtlinien vom April 2016, dass Alkohol- und Drogenabhängige mit Beschimpfungen und Bedrohungen zur rechnen hätten bzw. der Gefahr willkürlicher Übergriffe ausgesetzt seien (AS 543 f.).
Der Beschwerdeführer brachte vor, ihm drohe bei einer Rückkehr Verfolgung durch die Taliban als römisch 40 . Die Taliban hätten hunderte drogenabhängige, obdachlose Personen aufgegriffen, verprügelt und zwangsweise in „Behandlungszentren“ gebracht vergleiche Seite 3 f. Stellungnahme vom 05.04.2022 OZ/5 unter Bezug auf die ACCORD Anfragebeantwortung vom 11.02.2022 Seite 1 und 5). Weiter wurde vom Beschwerdeführer vorgebracht, der VwGH habe in seiner Entscheidung vom 14.02.2019 (Ra 2018/18/0442, Rn 25) erkannt, dass die Zugehörigkeit zur Gruppe der „mayup“ (angeborene psychische Beeinträchtigung) einen Konventionsgrund (soziale Gruppe) darstellen kann. Der Beschwerdeführer sei zwar nicht der Gruppe der Mayub zuzuordnen, er wäre bei einer Rückkehr durch seine Krankheit, seine Tätowierungen und sein untraditionelles Verhalten durch Stigmatisierung bedroht. Dem Beschwerdeführer sei daher der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, weil ihm die afghanische Gesellschaft aufgrund der Stigmatisierung absichtlich jegliche Existenzgrundlage entziehen würde.
Die psychischen Erkrankungen des Beschwerdeführers wurden bereits beweiswürdigend festgestellt vergleiche oben römisch II.2.1.1.).
Aus dem Länderinformationsblatt vom 28.01.2022 ergibt sich, dass tatsächlich eine Bedrohung durch die Taliban gegenüber Personen mit psychischen Erkrankungen ausgehen kann. Trotz ihrer Anzahl gehören Menschen mit Beeinträchtigungen weiterhin zu den am stärksten benachteiligten und stigmatisierten Gruppen in Afghanistan vergleiche oben Punkt römisch II.1.2.4.). Bereits vor der Machtübernahme durch die Taliban im Sommer 2021 stellte sich die Situation für psychisch kranke Menschen als sehr schwer dar. Nach der Machtübernahme der Taliban wurden Bedenken über die Sicherheit von Menschen mit Beeinträchtigungen laut. Eine Mitarbeiterin der Afghanistan Human Rights Commission (AHRC), die nach der Machtübernahme aus Afghanistan floh, erinnert an den Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen durch die Taliban unter deren erster Herrschaft und danach. Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - fand vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nicht in ausreichendem Maße statt. Neben Problemen beim Zugang zu Behandlungen bei psychischen Erkrankungen, bzw. dem Mangel an spezialisierter Gesundheitsversorgung, sind falsche Vorstellungen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen ein wesentliches Problem. Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan hoch stigmatisiert vergleiche oben Punkt römisch II.1.2.4.).
Aus alledem ergibt sich die Feststellung, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner schweren psychischen Erkrankungen, bei einer Rückkehr nach Afghanistan, Misshandlungen durch die Taliban drohen.
2.1.2.3. Zur westlichen Orientierung des Beschwerdeführers
Im Verfahren brachte der Beschwerdeführer vor, ihm drohe bei einer Rückkehr Verfolgung aufgrund seiner westlichen Orientierung. Im angefochtenen Bescheid argumentiert die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine westliche Lebenseinstellung als wesentlichen Bestandteil seiner Identität glaubhaft vorgebracht vergleiche Seite 190 des angefochtenen Bescheides vom 18.05.2021, AS 1381 f.).
Dass der Beschwerdeführer mehrere Tattoos auf seinem Körper hat, ergibt sich bereits aus dem Verfahrensakt und der Niederschrift der Einvernahme durch die belangte Behörde, in der die Tattoos samt der Bedeutung für den Beschwerdeführer verschriftlicht wurden vergleiche dazu bereits oben sowie AS 1208).
In der Stellungnahme vom 05.04.2022 brachte der Beschwerdeführer vor, ihm drohe in Afghanistan Verfolgung aufgrund seiner Tattoos am gesamten Körper, welche ihn in der afghanischen Gesellschaft zu einer auffälligen Person machen würden vergleiche Seite 2 der Stellungnahme vom 05.04.2022 OZ/5). Auch in der mündlichen Verhandlung erstattete er selbiges Vorbringen: „ römisch 40 “ (OZ 5; Sitzung 9). Der Beschwerdeführer brachte in der Verhandlung vor, er habe sich ab seinem 15. Lebensjahr als er auf der Straße gelebt habe regelmäßig ein Tattoo stechen lassen (OZ 5; Sitzung 9). Diese Tattoos symbolisieren für ihn seine Wertehaltung und Lebenseinstellung, die nicht mit dem traditionellen Wertesystems Afghanistans übereinstimmen. Der Beschwerdeführer brachte über das Verfahren hinweg glaubhaft und gleichlautend vor, dass er im Iran aufgewachsen ist und sich bereits dort von den afghanischen Traditionen, wie sie von den Taliban eingefordert werden, entfernt hat vergleiche Seite 5 der Stellungnahme vom 05.04.2022 OZ/5). Er brachte im Verfahren vor, aufgrund seiner westlichen Orientierung drohe ihm nun in Afghanistan Verfolgung durch die Taliban.
Aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung, in Kombination mit seinem glaubhaften Vorbringen bezüglich seines Glaubensabfalles, seinem Vorbringen betreffend seiner Abneigung gegenüber der afghanischen und iranischen Politik und seinem äußeren Erscheinungsbild, sowie den im Verfahren vorgelegten Integrationsunterlagen ist beim Beschwerdeführer von einer westlichen Orientierung auszugehen, welche dieser in den vergangenen Jahren seines Aufenthaltes in Europa und in Österreich verinnerlicht hat und welche er bei einer Rückkehr nicht beabsichtigt abzulegen.
2.1.2.4. Zur Bedrohung bei einer Rückkehr
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchtet der Beschwerdeführer aufgrund seines Abfalles vom Islam von den Taliban verfolgt zu werden. Diese Befürchtungen sind vor dem Hintergrund der oben getroffenen Feststellungen keineswegs unwahrscheinlich, weswegen davon ausgegangen werden muss, dass der Beschwerdeführer nicht in sein Herkunftsland zurückkehren kann.
In Gesamtschau der vorgebrachten Geschehnisse stellt sich die Bedrohung durch die Taliban und die afghanische Gesellschaft bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers als durchaus gegeben dar.
Dass der afghanische Staat derzeit nicht in der Lage ist, den Beschwerdeführer vor dieser Bedrohung hinreichend zu schützen, bzw. dass die Bedrohung von den regierenden Taliban ausgeht, lässt sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation ableiten (siehe dazu oben römisch II.1.2.1.).
Der Islam spielt eine entscheidende Rolle in der afghanischen Gesellschaft und definiert die Auffassung der Afghanen vom Leben, von Moral und Lebensrhythmus. Den Islam zu verlassen und zu einer anderen Religion zu konvertieren bedeutet, gegen die gesellschaftlichen Kerninstitutionen und die soziale Ordnung zu rebellieren. Entsprechend der Staatendokumentation sind noch keine validen Informationen über die Auswirkung der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 auf Apostasie bekannt vergleiche oben 1.2.1.). Für den Abfall vom Islam galt bereits vor der Machtübernahme Enthauptung als angemessene Strafe für Männer. Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, galt bereits vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht vergleiche oben Punkt römisch II.1.2.1.).
Das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative ist für den Beschwerdeführer nicht gegeben vergleiche dazu die spezifischen Länderfeststellungen zur Situation in Afghanistan oben Punkt römisch II.1.2. sowie die rechtliche Beurteilung unter römisch II.3.1.2.4.).
2.2. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen vergleiche oben römisch II.1.2.) insbesondere auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 28.01.2022, Version 6. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Diese Berichte wurden ins Verfahren eingebracht und dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt dazu Stellung zu nehmen.
Insoweit den Feststellungen zur Lage in Afghanistan Berichte älteren Datums zugrunde liegen (insbesondere das Länderinformationsblatt vom 28.01.2022 im Vergleich zur aktualisierten Version vom 04.05.2022, sowie die UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan vom 30.08.2018 im Vergleich zur Version vom August 2021) ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
Insbesondere zu beachten war, dass es zwar eine aktualisierte Version des Länderinformationsblattes Afghanistan der Staatendokumentation, Version 7 vom 04.05.2022, gibt. Aus diesem ergibt sich jedoch keine bessere Situation für ApostatInnen in Afghanistan als aus dem Länderinformationsblatt, Version 6 vom 28.01.2022.
Insbesondere zu beachten ist auch, dass eine aktualisierte UNHCR Guidance Note vom Februar 2022 vorliegt. Diese ersetzt die UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan (August 2021) und die Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender (August 2018). Aufgrund der gegenwärtigen Unsicherheiten, wie etwa der Missachtung von Rechtsstaatlichkeit, Angst und Ungewissheit im Zusammenhang mit der autoritären Herrschaftsform und dem Mangel an umfassenden Informationen über die Menschenrechtssituation in Afghanistan, ist es aus Sicht von UNHCR derzeit nicht möglich, ausführliche Richtlinien zum internationalen Schutzbedarf afghanischer Asylsuchender herauszugeben. Nach Auffassung von UNHCR ist es derzeit zudem nicht möglich, mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass afghanische Asylsuchende internationalen Schutz benötigen. Aus diesem Grund fordert UNHCR in Rn 12 der Guidance Note vom Februar 2022 die Staaten dazu auf, Entscheidungen über den internationalen Schutzbedarf von afghanischen Staatsangehörigen in all jenen Fällen auszusetzen, in denen der Staat nicht beurteilen kann, ob der oder die AntragstellerIn Flüchtling iSd GFK ist. Aufgrund der anhaltenden volatilen Situation in Afghanistan sowie der umfassenden humanitären Notlage im Land, ruft UNHCR die Staaten weiterhin dazu auf, zwangsweise Rückführungen von afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan auszusetzen – auch von jenen, deren Asylanträge abgelehnt wurden. Es ergeben sich insgesamt aus der aktualisierten UNHCR Guidance Note vom Februar 2022 keine geänderten Umstände für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation, vor allem lässt sich keine Verbesserung der Sicherheitslage in Afghanistan erkennen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu A) Stattgabe der Beschwerde:
Die vorliegende Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig und wendet sich ausschließlich gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides.
3.1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge Bundesgesetzblatt 55 aus 1955, (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge GFK) droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005, die auf Artikel 9, Statusrichtlinie [RL 2011/95/EU] verweist.).
Gemäß Paragraph 3, Absatz 3, AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6, AsylG 2005) gesetzt hat.
Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK (in der Fassung des Artikel eins, Absatz 2, des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge Bundesgesetzblatt 78 aus 1974,) – deren Bestimmungen gemäß Paragraph 74, AsylG 2005 unberührt bleiben – ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen, oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (VwGH 09.03.1999, 98/01/0370; 19.12.2007, 2006/20/0771).
Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich zur Verfolgung (VwGH 31.07.2018, Ra 2018/20/0182): „Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (Hinweis E vom 24. März 2011, 2008/23/1443, mwN). Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005 umschreibt ‚Verfolgung' als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Artikel 9, Statusrichtlinie, worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15, Absatz 2, MRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Artikel 2, MRK geschützte Recht auf Leben und das in Artikel 3, MRK niedergelegte Verbot der Folter."
Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; 16.02.2000, 99/01/0097), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können jedoch im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).
Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Die Verfolgungsgefahr muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (VwGH 27.01.2000, 99/20/0519). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 23.07.1999, 99/20/0208; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Von mangelnder Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht – unter dem Fehlen einer solchen ist nicht „zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht“ (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) –, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law² [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203).
Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat „nicht gewillt oder nicht in der Lage“ sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen vergleiche VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203).
Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „internen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).
Aufgrund der oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellten Erwägungen vergleiche Pkt. römisch II.2.1.2.) ist es dem Beschwerdeführer gelungen, eine ihm drohende Verfolgung in seinem Herkunftsstaat glaubhaft zu machen:
3.1.2. Zur vorgebrachten Bedrohung:
Im angefochtenen Bescheid argumentiert die belangte Behörde, sofern sich der Beschwerdeführer auf einen etwaigen Glaubensabfall berufe so rechtfertige dies alleine nicht die Gewährung von internationalem Schutz vergleiche Seite 20 des angefochtenen Bescheides vom 18.05.2021, AS 1381 f.).
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt, vor dem Hintergrund der oben festgestellten Berichtslage zur Situation in Afghanistan für Apostaten, dass der Beschwerdeführer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist:
Der Beschwerdeführer hat im Verfahren geltend gemacht, er befürchte, in Afghanistan aufgrund seines Abfalles vom Islam, durch die Taliban verfolgt zu werden. Der im Beschwerdefall festgestellte Sachverhalt lässt erkennen, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers begründet ist. Im gegenständlichen Fall handelt es sich bei der gegenüber dem Beschwerdeführer bestehenden Verfolgungsgefahr um eine solche aufgrund der Religion. Unter Zugrundlegung des glaubhaft gemachten Sachverhaltes droht ihm die Gefahr der Verfolgung und erheblicher Eingriffe durch die Taliban im Herkunftsland.
3.1.2.1. Zur Verfolgung aufgrund des Abfalls des Beschwerdeführers vom Islam
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen - zulässigen - Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Die Verfolgung aus Gründen der Religion ist nach Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK geschützt, wobei der Begriff der Religion auch atheistische Glaubensüberzeugungen umfasst vergleiche Artikel 10, Absatz eins, Litera b, der Richtlinie 2011/95/EU - Statusrichtlinie).
In seinem Urteil vom 4. Oktober 2018, Bahtiyar Fathi, C-56/17, hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) präzisiert, dass eine "schwerwiegende Verletzung" der Religionsfreiheit vorliegen muss, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt, damit die betreffenden Handlungen als Verfolgung im asylrechtlichen Sinne vergleiche Artikel 9, Absatz eins und 2 der Statusrichtlinie) gelten können. Dieses Erfordernis ist erfüllt, wenn die Person, die internationalen Schutz beantragt, aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in ihrem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Artikel 6, der Richtlinie genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Die Tatsache, dass einem Asylwerber im Herkunftsstaat etwa aufgrund eines Gesetzes über Apostasie eine Todes- oder Freiheitsstrafe droht, kann für sich genommen eine "Verfolgung" im Sinne von Artikel 9, Absatz eins, der Statusrichtlinie darstellen, sofern eine solche Strafe in dem Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird vergleiche VwGH vom 13.12.2018, Ra 2018/18/0395 sowie VwGH vom 30.4.2020, Ra 2020/18/0124).
Gegen den Beschwerdeführer wurde zwar bisher von staatlicher Seite keine Strafe wegen Apostasie verhängt, jedoch droht ihm bei einer Rückkehr in seinem Herkunftsland Lebensgefahr durch die Taliban aufgrund seines Abfalles vom Islam.
Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vergleiche VwGH jüngst vom 22.03.2021, Ra 2020/01/0296) geht hervor, dass Voraussetzung für die Annahme einer Verfolgung wegen Apostasie ist, dass der Revisionswerber seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht, die er auch in seinem Heimatstaat leben wird vergleiche VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395, Rn. 15, mit Verweis auf EuGH 4.10.2018, Bahtiyar Fathi, C-56/17, Rn. 88). Beim Beschwerdeführer ist ein solcher Fall gegeben, er ist aus innerer Überzeugung vom Islam abgefallen und würde seine Konfessionslosigkeit, die er als identitätsstiftendes Merkmal versteht, bei einer Rückkehr auch in seinem Heimatstaat leben.
Besonders zu beachten waren die Länderfeststellungen, aus denen die Strafe gegen Apostaten und eine bestehende Bedrohung durch Taliban gegenüber vom Islam abgefallenen Personen hervorgeht vergleiche oben römisch II.1.2.1., 1.2.2. und 1.2.3.).
Der Verwaltungsgerichtshof hat festgelegt, dass es, um feststellen zu können, ob die in (staatlichen oder religiösen) Normen festgelegten Sanktionen wegen eines auf einer bestimmten Überzeugung beruhenden Verhaltens auf eine Verfolgung im Sinne der GFK hinauslaufen, entscheidend nicht nur auf die geltenden Rechtsvorschriften (und die Verhältnismäßigkeit der potentiellen Strafe) ankommt, sondern auch auf die „tatsächlichen Umstände ihrer Anwendung“ (VwGH 27.5.2015, Ra 2014/18/0133; 20.12.2016, Ra 2016/01/0126; VfGH 25.6.2014, U 433/2013). Dass sich - über das Bestehen entsprechender Normen hinaus - diese tatsächlichen Umstände im Heimatland des Beschwerdeführers so darstellten, dass eine Person mit den Eigenschaften des Beschwerdeführers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung wegen Apostasie ausgesetzt wäre, ist im Einzelfall zu betrachten vergleiche VwGH vom 18.03.2021, Ra 2019/20/0564, Rz 12).
Aus dem festgestellten Sachverhalt geht die Bedrohung des Beschwerdeführers durch die Taliban in seinem Heimatland Afghanistan aufgrund seines Abfalles vom Islam eindeutig hervor.
Es kann vor dem Hintergrund seines glaubhaften Fluchtvorbringens in Kombination mit den Länderfeststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer Opfer der radikalislamischen Taliban werden könnte. Es ist aus alledem für das Bundesverwaltungsgericht im Lichte der herangezogenen Länderberichte prognostisch nicht unwahrscheinlich, dass konkret der Beschwerdeführer in Afghanistan bei einer Rückkehr vor allem in Kombination mit seinem westlichen Auftreten und seinen schweren psychischen Erkrankungen von den Taliban Strafmaßnahmen ausgesetzt sein könnte und bedroht werden könnte.
3.1.2.2. Zur Aktualität der Verfolgung
Die Aktualität einer Verfolgung ist Voraussetzung einer Asylgewährung gemäß Paragraph 3, Absatz 1 AsylG. Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt wie wichtig die Überprüfung der Aktualität der Verfolgung, als Voraussetzung der Asylgewährung ist vergleiche VwGH vom 06.04.2020, Ra 2019 01 0443 7). Die Aktualität der begründeten Furcht vor Verfolgung muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).
Die Befürchtungen des Beschwerdeführers, bei einer Rückkehr nach Afghanistan aktuell von den Taliban getötet zu werden sind vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen und dem Risikoprofil von UNHCR sowie der getroffenen Erwägungen begründet. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines Abfalles vom Islam und seinem westlichen Erscheinungsbild in Kombination mit seinen schweren psychischen Erkrankungen, bei einer Rückkehr nach Afghanistan von den Taliban bedroht werden könnte. Das Bundesverwaltungsgericht ist insofern nicht der Überzeugung, dass lediglich eine entfernte Möglichkeit einer aktuell drohenden individuellen Verfolgung des Beschwerdeführers vorliegt, sondern dass diese Bedrohung aktuell sehr wahrscheinlich ist. Dies vor allem seit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021. Der Islam spielt eine entscheidende Rolle in der afghanischen Gesellschaft und definiert die Auffassung der Afghanen vom Leben, von Moral und Lebensrhythmus. Den Islam zu verlassen bedeutet, gegen die gesellschaftlichen Kerninstitutionen und die soziale Ordnung zu rebellieren. Entsprechend der Staatendokumentation sind noch keine validen Informationen über die Auswirkung der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 auf Apostasie bekannt vergleiche oben 1.2.1.). Für den Abfall vom Islam galt bereits vor der Machtübernahme Enthauptung als angemessene Strafe für Männer. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht vergleiche oben Punkt römisch II.1.2.1.).
Unter Bedachtnahme auf die Länderberichte in Verbindung mit den konkreten Umständen des Beschwerdefalls muss somit davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner im Verfahren glaubhaft dargelegten Fluchtgründe in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch die Taliban wegen seines Abfalls vom Islam drohen würde. Es muss weiters angenommen werden, dass der Beschwerdeführer aus Furcht vor einer Verfolgung nicht gewillt ist, in sein Heimatland zurückzukehren, von dem er – wie der Berichtslage zu entnehmen ist – keinen effektiven Schutz erwarten kann. Dem Beschwerdeführer ist es angesichts dessen auch nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen.
3.1.2.3. Zur mangelnden Schutzfähigkeit des Staates
Dass der afghanische Staat derzeit landesweit nicht in der Lage ist, den Beschwerdeführer vor der dargestellten Bedrohung hinreichend zu schützen, lässt sich aus den im Verfahren herangezogenen Länderinformationen entnehmen. Im vorliegenden Fall geht die Bedrohung von den regierenden Taliban, somit vom Staat selbst aus.
Der Beschwerdeführer kann angesichts der ihn bedrohenden Gefahr in Afghanistan nicht ausreichend geschützt werden. Zufolge der unbestrittenen, auf verschiedenen seriösen Quellen beruhenden Länderfeststellungen zum Thema Schutzwilligkeit des Staates wurde bereits vor der Machtübernahme durch die Taliban im Sommer 2021 in den Länderinformationen festgehalten, dass es für ApostatInnen, die angegriffen würden oder unter Diskriminierung leiden würden, mit Sicherheit keinen staatlichen Schutz gebe. Seit der Machtübernahme geht die Verfolgung durch die regierenden Taliban, somit vom Staat selbst aus.
3.1.2.4. Zum Nichtbestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative
Schon die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz durch die belangte Behörde steht mangels einer diesbezüglichen relevanten Änderung der Rechts- oder Tatsachenlage einer Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative entgegen (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/18/0054).
Dem Beschwerdeführer wurde durch die belangte Behörde mit Bescheid vom 18.05.2021 der Status des Subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Gegen diesen Spruchpunkt wurde keine Beschwerde erhoben. Die belangte Behörde stellte fest, eine Rückkehr sei dem Beschwerdeführer nicht möglich. Er habe keinen Bezug zu Afghanistan und stehe im Bundesgebiet in engmaschiger psychosozialer und psychiatrischer Behandlung. Seine Kernfamilie, auf deren Unterstützung er angewiesen sei, lebe in Österreich. Er würde zu einer besonders vulnerablen Gruppe gehören weswegen ihm der Status des Subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für den Beschwerdeführer nicht, da nicht angenommen werden kann, dass er in bestimmten Landesteilen Afghanistans sicher wäre.
3.1.2.5. Zum Nichtvorliegen eines Aberkennungsgrundes
Gemäß Paragraph 3, Absatz 3, AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6, AsylG 2005) gesetzt hat.
3.1.2.5.1. Gemäß Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn und solange er Schutz gemäß Artikel eins, Abschnitt D GFK genießt. Gemäß Artikel eins, Abschnitt D GFK findet dies auf Personen keine Anwendung, die derzeit von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen als dem Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge Schutz oder Hilfe erhalten. Dies sind derzeit nur unter dem Schutz von UNRWA stehende Personen; der Beschwerdeführer gehört nicht zu dieser Personengruppe.
3.1.2.5.2. Gemäß Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn einer der in Artikel eins, Abschnitt F GFK genannten Ausschlussgründe vorliegt. Gemäß Artikel eins, Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention sind die Bestimmungen auf Personen nicht anwendbar, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass sie (a) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, und zwar im Sinne jener internationalen Einrichtungen, die ausgearbeitet wurden, um Bestimmungen gegen solche Verbrechen zu schaffen, (b) bevor sie als Flüchtlinge in das Gastland zugelassen wurden, ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen haben, (c) sich Handlungen schuldig gemacht haben, die sich gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten. Hierfür gibt es im Akt keine Hinweise, der Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 ist somit nicht anwendbar.
3.1.2.5.3. Gemäß Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt.
In Anbetracht der sonstigen Rechtsprechung zu Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG ist zu erkennen, dass dieser Aberkennungstatbestand insbesondere bei der Bildung von terroristischen Vereinigungen herangezogen wird, da sich diese spezifisch gegen den Staat Österreich richten und eine wesentliche Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen. Der Verwaltungsgerichtshof erkannte etwa auch bei einem Asylwerber, der wiederholt und gewerbsmäßig Schlepperei betrieben hat und als Mitglied in einer kriminellen Organisation war, dass dies nicht ausreiche, um sagen zu können, er stelle eine derartige Gefahr dar (VwGH 27.04.2006, 2003/20/0050).
Der Verwaltungsgerichtshof hat zu dieser Frage zuletzt vergleiche VwGH vom 03.03.2022, Ra 2020/18/0256-8, Rs 19) ausdrücklich ausgeführt, dass Gefahren für die Gemeinschaft, die sich im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung wegen nicht schwerer Verbrechen ergeben, in Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 offensichtlich keine Berücksichtigung finden, es sei denn, sie stellten spezifische Gründe dar, die die Sicherheit des Aufenthaltslandes gefährden. Dass solche Gründe fallgegenständlich vorliegen, wurde nicht aufgezeigt. In der Praxis sind es Straftaten des unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln, die sich in bestimmten Fällen als besonders schwerwiegend herausstellen und am ehesten tatsächlich für das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit sprechen. Der Beschwerdeführer wurde zwar wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln verurteilt: vom zuständigen Landesgericht am 24.11.2020, rechtskräftig seit 13.01.2021 gemäß Paragraph 27, Absatz 2 a, zweiter Fall SMG in Verbindung mit Paragraph 15, StGB, zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt nachgesehen unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren. Die Strafe wurde dem Beschwerdeführer jedoch nachgesehen, es kam seither zu keinen Anzeigen oder Verurteilungen mehr und das Strafmaß von fünf Monaten stellt sich als gering dar. Es kann daher fallgegenständlich nicht darauf geschlossen werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund dieser Verurteilung den Bestand des Staates gefährdet. Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 ist somit nicht anwendbar.
3.1.2.5.4. Gemäß Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 4, AsylG 2005 ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB, Bundesgesetzblatt Nr. 60 aus 1974,, entspricht.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vergleiche etwa VwGH 11.11.2021, Ra 2021/19/0312, VwGH 23.09.2009, 2006/01/0626; 03.12.2002, 99/01/0449; 06.10.1999, 99/01/0288) müssen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 4, AsylG vier Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Ein Fremder muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden sowie drittens gemeingefährlich sein, und viertens müssen die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung seine persönlichen Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen.
Der Verwaltungsgerichtshof stellte bereits mehrfach klar, welche Delikte typischerweise unter den Begriff des "besonders schweren Verbrechens" zu subsumieren sind vergleiche zuletzt VwGH am 15.03.2022, Ra 2022/20/0035-7). Demnach sind typischerweise schwere Verbrechen etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen. Es muss sich um Straftaten handeln, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen (VwGH 23.09.2009, 2006/01/0626; 03.12.2002, 99/01/0449; 06.10.1999, 99/01/0288; siehe auch die Erläuterungen zu Paragraph 6, AsylG 2005, ErläutRV 952 BlgNR 22. Gesetzgebungsperiode 36, zuletzt auch VwGH vom 18.10. 2018, Ra 2017/19/0109-8). Wobei der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten hat, dass es sich dabei um eine demonstrative und daher keineswegs abschließende Aufzählung von Delikten in Zusammenhang mit Artikel 33, Absatz 2, GFK handelt vergleiche VwGH 4.11.2021, Ra 2021/14/0330, mwN).
Voraussetzung für den Aberkennungsgrund nach Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 4, AsylG ist somit das Vorliegen zumindest eines Verbrechens im Sinne des Paragraph 17, StGB vergleiche VwGH 16.06.2021, Ro 2021/01/0013). Gemäß Paragraph 17, Absatz eins, StGB sind Verbrechen vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind. Erst in einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob es sich dabei – oder gegebenenfalls in einer Zusammenschau mehrerer begangener Delikte – um ein besonders schweres Verbrechen handelt (VwGH 16.06.2021, Ro 2021/01/0013).
Der Beschwerdeführer wurde in Österreich vom zuständigen Landesgericht am 24.11.2020, rechtskräftig seit 13.01.2021 gemäß Paragraph 27, Absatz 2 a, zweiter Fall SMG in Verbindung mit Paragraph 15, StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt nachgesehen unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Der Strafrahmen beträgt bis zu zwei Jahren weshalb dieses Delikt kein Verbrechen im Sinne des Paragraph 17, Absatz eins, StGB darstellt. Der Beschwerdeführer wurde nicht wegen eines Verbrechens sondern wegen eines Vergehens rechtskräftig verurteilt.
Der Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 4, AsylG 2005 ist somit fallgegenständlich nicht erfüllt.
3.1.3. Ergebnis
Im Beschwerdefall ist es somit insgesamt glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer aktuell in Afghanistan Verfolgung im Sinne der GFK droht (Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005). Im Verfahren hat sich gezeigt, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, aufgrund seiner Religion verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen (Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK).
Angesichts dieses Ergebnisses kann dahin gestellt bleiben, ob dem Beschwerdeführer auch Verfolgung aus anderen in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Gründen droht vergleiche unten römisch II.3.1.4.).
Ein Abweisungsgrund gemäß Paragraph 3, Absatz 3, AsylG 2005 liegt im konkreten Fall nicht vor, da dem Beschwerdeführer – wie gezeigt – keine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht und dieser keinen Asylausschlussgrund gesetzt hat vergleiche oben römisch II.3.1.2.5.).
Der Beschwerde war daher stattzugeben und dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Diese Entscheidung war gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.1.4. Zum weiteren Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren neben der drohenden Verfolgung aufgrund des Abfalls vom Islam außerdem vor, aufgrund seiner psychischen Erkrankungen bei einer Rückkehr nach Afghanistan durch die Taliban verfolgt und misshandelt zu werden. Zudem brachte er vor, westlich orientiert zu sein und bei einer Rückkehr aufgrund dessen durch die Taliban verfolgt zu werden.
Angesichts des Ergebnisses, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der vorgebrachten Apostasie und seines Abfalls vom Islam gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist, kann dahin gestellt bleiben, ob dem Beschwerdeführer auch Verfolgung aus anderen, in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Gründen, droht. Auf das weitere beweiswürdigend festgestellte Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers (psychische Erkrankungen, sowie seine westliche Orientierung) war daher nicht gesondert einzugehen.
3.1.5. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz am 15.11.2019 und somit nach dem 15.11.2015 gestellt hat, wodurch insbesondere Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 15, AsylG und Paragraph 3, Absatz 4, AsylG ("Asyl auf Zeit") gemäß Paragraph 75, Absatz 24, AsylG im konkreten Fall auf ihn Anwendung findet; dementsprechend kommt dem Beschwerdeführer eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu, welche sich in eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung umändert, sofern die Voraussetzungen für die Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.
3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
ECLI:AT:BVWG:2022:W250.2243980.1.00