Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

24.03.2022

Geschäftszahl

W159 2128318-2

Spruch


W159 2128318-2/64E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des römisch 40 , geboren römisch 40 , Staatsangehöriger von Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2019, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.10.2020 und am 12.11.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 9, Absatz , Ziffer 2, AsylG, 9 Absatz 4, AsylG, 57 AsylG, 10 Absatz eins, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG, 52 Absatz 2 und 9 sowie 55 Absatz eins bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 29.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am Tag der Antragstellung gab der Beschwerdeführer an, aus römisch 40 zu kommen und verheiratet zu sein. Seine Frau, seine Mutter und drei Geschwister würden noch in Somalia leben. Er sei im April 2013 nach Äthiopien ausgereist, weil er von anderen Volksgruppen wegen seiner Clanzugehörigkeit diskriminiert worden sei.

Bei einer Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 20.04.2016 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, gesund zu sein und acht Jahre lang die Schule besucht zu haben. Er habe die letzten acht Jahre in römisch 40 gelebt, wo auch immer noch seine Frau, seine Mutter und Geschwister leben würden. Die Familie seiner Frau, die der Volksgruppe der Isaaq angehöre, sei mit der Heirat nicht einverstanden gewesen und habe den Beschwerdeführer verfolgt.

Mit Bescheid vom 27.05.2016, römisch 40 , wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Somalia gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch II.), erteilte ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraphen 57 und 55 AsylG 2005 nicht, erließ gemäß Paragraph 10, Absatz eins, BFA VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, FPG und stellte gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins ‒, 3, FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch IV.).

Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 22.11.2016, römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005, als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides wurde der Beschwerde stattgegeben und gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt und gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkte römisch II. und römisch III.).

Der Beschwerdeführer wurde vom Landesgericht (LG) für Strafsachen Wien am 23.05.2017 wegen Paragraph 27, Absatz 2 a, 2. Fall und Absatz eins, Ziffer eins, 2. Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Mit Schreiben vom 06.03.2019 wurde das BFA von einer Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen (Körperverletzung) verständigt.

Am 30.04.2019 wurde der Beschwerdeführer zu einem eingeleiteten Aberkennungsverfahren gemäß Paragraph 9, AsylG 2005 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen.

Mit Bescheid vom 09.05.2019 erkannte das BFA den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 9, AsylG 2005 von Amts wegen ab (Spruchpunkt römisch eins.) und entzog die befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt römisch II.). Es erteilte dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht (Spruchpunkt römisch III.), erließ gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 5, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 4, FPG (Spruchpunkt römisch IV.), stellte gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf) und wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt römisch VI.).

Begründend führte das BFA aus, dass der Beschwerdeführer in römisch 40 geboren worden und dort aufgewachsen sei. Er habe vor der Ausreise in römisch 40 gelebt, gehöre dem Clan Gabooye an, sei geschieden, sunnitisch-moslemischen Glauben und gesund sowie arbeitsfähig. Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfolge aufgrund der grundlegenden Veränderungen und Verbesserungen der Versorgungslage in Somalia. Der maßgebliche Grund für die Gewährung des subsidiären Schutzes sei zwischenzeitlich nicht mehr gegeben und es sei dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in das Herkunftsland zuzumuten. Der Beschwerdeführer spreche kaum Deutsch, gehe keiner Erwerbstätigkeit nach, verfüge über keine Familienangehörigen im Bundesgebiert und habe keine sonstigen intensiven sozialen Kontakte. Es hätte keine fortgeschrittene Integration bzw. eine Bereitschaft zu einer solchen festgestellt werden können. Er sei aufgrund von Suchtmittelvergehen rechtskräftig verurteilt worden und er sei wegen Körperverletzung angezeigt worden.

Mit Schriftsatz vom 26.07.2019 erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsberatung binnen offener Frist Beschwerde gegen diesen Bescheid und brachte darin soweit wesentlich vor, dass ihm entgegen der Ansicht des BFA eine Rückkehr nach Somalia nicht zumutbar sei. Die Lage in ganz Somalia sei noch immer prekär. Außerdem habe es das BFA unterlassen, sich im Rahmen des Aberkennungsverfahrens konkret mit dem Vergleich der den Beschwerdeführer persönlich treffenden Situation zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes und jener zum Zeitpunkt der Aberkennung auseinanderzusetzen.

Mit hg. Erkenntnis vom 30.01.2020, römisch 40 , wurde diese Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt römisch fünf. zu lauten habe: „Es wird gemäß Paragraph 52, Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG nach Somalia/Somaliland zulässig ist“.

Einer dagegen erhobenen Revision gab der VwGH statt, weil das Bundesverwaltungsgericht seinem Erkenntnis ins Beschwerdeverfahren eingeführte Länderfeststellungen zugrunde gelegt hatte, ohne eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen.

Mit Bescheid vom 20.07.20202, Zl. römisch 40 wurde der Antrag vom 30.07.2020 auf Erlangung einer der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG abgewiesen. Auch dagegen wurde Beschwerde erhoben.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 01.10.2020 und am 12.11.2020 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.01.2021, Zlen. römisch 40 und römisch 40 wurden die Beschwerden sowohl gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2019, Zahl römisch 40 als auch den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2020, Zahl römisch 40 gemäß Paragraphen 8, Absatz 4,, Absatz eins und 4, 10 Absatz eins, Ziffer 5,, 57 AsylG 2005, Paragraph 9, BFA VG, Paragraphen 46,, 52 Absatz 2, Ziffer 4 und Absatz 9 und 55 Absatz eins ‒, 3, FPG als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer erhob gegen dieses Erkenntnis, vertreten durch Rechtsanwalt römisch 40 Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser behob mit Erkenntnis vom 16.12.2021; Ra 2021/18/0097 das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und begründet dies im Wesentlichen wie folgt:

„Bei dieser Beurteilung lässt das BVwG allerdings außer Acht, dass dem Revisionswerber zuletzt mit Bescheid vom 30. November 2017 eine Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch bereits erkannt, dass es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Bescheiden nicht zulässig ist, die Aberkennung auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 (die nur im Fall des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) nicht geändert hat (VwGH 29.1.2020, Ra 2019/18/0367, mwN).

Das BVwG hat diese rechtlichen Leitlinien nicht berücksichtigt und die Änderung der Umstände ausschließlich im Vergleich mit dem Erkenntnis des BVwG vom 22. November 2016 (mit dem subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist) beurteilt, während der zuletzt erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 30. November 2017 keine Beachtung geschenkt wurde.

Bei diesem Ergebnis braucht auf die in der Revision weiter aufgeworfene Frage der Notwendigkeit einer wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Lageänderung nicht mehr eingegangen werden. Für das fortgesetzte Verfahren sei jedoch darauf hingewiesen, dass nicht jede Änderung des Sachverhalts die Aberkennung des subsidiären Schutzes rechtfertigt. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Artikel 19, Absatz eins, in Verbindung mit Artikel 16, Absatz 2, der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (VwGH 29.1.2020, Ra 2019/18/0262).“

Im fortgesetzten Verfahren beraumte das Bundesverwaltungsgericht unter Einräumung des Parteiengehörs zu zahlreichen Länderinformationen, insbesondere auch dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 21.10.2021, eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 01.03.2022 an. Zunächst teilte die Rechtsanwaltskanzlei römisch 40 mit Telefon vom 18.01.2022 mit, dass sie den Beschwerdeführer nicht (mehr) vertritt. Die den Beschwerdeführer im vorangehenden Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vertretende römisch 40 gab hingegen mit Schreiben vom 15.02.2022 bekannt, dass laut unverbindlicher Auskunft der BBU Rückkehrberatung der Beschwerdeführer bereits am 16.06.2021 freiwillig nach Somalia zurückgekehrt sei und Kontakt zu dem Beschwerdeführer nicht mehr bestehe. Die Vollmacht werde hiemit zurückge zogen. Eine daraufhin veranlasste Kontaktnahme mit der belangten Behörde bestätigte das Vorbringen der römisch 40 und legte diese eine Ausreisebestätigung der IOM vom 18.06.2021, wonach der Beschwerdeführer am 16.06.2021 im Rahmen der unterstützten freiwilligen Rückkehr aus dem Bundesgebiet nach Somalia ausgereist ist, vor.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Somalia. Er wurde am römisch 40 geboren, lebte in römisch 40 in Somaliland und arbeitete nach acht Jahren Schule dort als Friseur. Er ist geschieden. Er stammt ursprünglich aus römisch 40 . Nach illegaler Einreise stellte er am 29.05.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.11.2016, Zl. römisch 40 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2019, Zahl römisch 40 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt, die befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen, ein Aufenthaltstitel aus berrücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Abschiebung nach Somalia für zulässig erklärt und eine Frist von 14 Tagen für eine freiwillige Rückkehr eingeräumt. Diese Entscheidung wurde zuletzt mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.01.2021, römisch 40 bestätigt, jedoch durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 16.12.2021, römisch 40 behoben. Der Beschwerdeführer ist jedoch bereits am 16.06.2021 im Rahmen der unterstützten freiwilligen Rückkehr aus dem Bundesgebiet nach Somalia zurückgekehrt.

Er wurde mit Erkenntnis des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23.05.2017, Zahl römisch 40 wegen Paragraph 27, Absatz eins und 27 Absatz 2, a SMG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Zu Somalia wird Folgendes festgestellt:

COVID-19

Letzte Änderung: 20.10.2021

Im ersten Quartal 2021 entwickelte sich eine neue Welle. Im Zeitraum 16.3.-7.5.2021 wurden 11.504 Infektionen bestätigt, 537 Personen starben an oder mit Covid-19 (UNSC 19.5.2021, Absatz 61,). Mit Stand 27.6.2021 waren in Somalia 7.235 aktive Fälle registriert, insgesamt 775 Personen waren verstorben (ACDC 27.6.2021). Insgesamt gibt es laut offiziellen Angaben Ende August 2021 knapp 1.000 Todesopfer bei nur rund 18.000 bestätigten Infektionen. Seit Beginn der Pandemie waren bis dahin nur rund 284.000 Tests durchgeführt worden (WB 6.2021, Sitzung 26).

Mitte März 2021 trafen die ersten Impfstoffe in Somalia ein. Mit Stand 29.4.2021 waren 121.700 Personen immunisiert (UNSC 19.5.2021, Absatz 61,). Bis Mitte August 2021 wurden an Somalia zwei Arten von Covid-19-Impfstoff gespendet: mehr als 400.000 Impfdosen von Oxford/AstraZeneca und 200.000 von Sinopharm. Das allein würde nur ausreichen, um 3 % der Bevölkerung zu impfen (AI 18.8.2021, Sitzung 18). Allerdings zögern viele Menschen, sich impfen zu lassen (AI 18.8.2021, Sitzung 18; vergleiche WB 6.2021, Sitzung 20). Viele der gespendeten Oxford/AstraZeneca-Dosen sind bereits abgelaufen und können nicht mehr verwendet werden (AI 18.8.2021, Sitzung 18). Mitte August 2021 empfing Somalia offenbar weitere ca. 410.000 durch die COVAX-Initiative gespendete Covid-19-Impfdosen (BAMF 16.8.2021).

Nach Angabe des somalischen Gesundheitsministeriums waren bis Ende Juli 2021 1,8 % der Menschen voll immunisiert (UNOCHA 7.2021). Nach anderen Angaben waren am 14.10.2021 insgesamt 477.075 Impfdosen verabreicht worden und zu diesem Zeitpunkt 1,5 % der Bevölkerung voll immunisiert (PTC 14.10.2021). Laut Schätzungen werden bis Ende des Jahres 2021 rund 500.000 Menschen voll immunisiert sein, bis Ende 2022 weitere 700.000. Jedenfalls ist die Bevölkerung dadurch möglichen neuen - und gefährlicheren - COVID-19-Varianten ungeschützt ausgesetzt, und die Krankheit droht im Land endemisch zu werden (WB 6.2021).

Im August 2020 wurde der internationale Flugverkehr wieder aufgenommen (PGN 10.2020, Sitzung 9).

Regeln zum social distancing oder auch Präventionsmaßnahmen wurden kaum berücksichtigt (HIPS 2021, Sitzung 24). Trotz Warnungen wurden Moscheen durchgehend – ohne Besucherbeschränkung – offengehalten (DEVEX 13.8.2020). Mitte Feber 2021 warnte die Gesundheitsministerin vor einer Rückkehr der Pandemie. Die Zahl an Neuinfektionen und Toten stieg an (Sahan 16.2.2021b). Ende Feber 2021 wurden alle Demonstrationen in Mogadischu verboten, da eine neue Welle von Covid-19 eingetreten war. Zwischen 1. und 24. Feber verzeichnete Somalia mehr als ein Drittel aller Covid-19-Todesopfer der gesamten Pandemie (PGN 2.2021, Sitzung 16).

Der Umgang der somalischen Regierung mit der Covid-19-Pandemie war und ist völlig inadäquat. Die tatsächliche Zahl an Covid-19-Fällen und -Toten ist vermutlich höher als die offiziellen Zahlen darstellen (AI 18.8.2021, Sitzung 5; vergleiche UNFPA 12.2020, Sitzung 1). Dies liegt u.a. an den wenig verfügbaren bzw. erreichbaren Testmöglichkeiten, am Stigma, an wenig Vertrauen in Gesundheitseinrichtungen sowie teilweise an der Leugnung von COVID-19 (UC 13.6.2021, Sitzung 9; vergleiche UNFPA 12.2020, Sitzung 1). Testungen sind v.a. auf Städte beschränkt (UC 13.6.2021, Sitzung 2) und generell so gut wie inexistent. Die offiziellen Todeszahlen sind niedrig, das wahre Ausmaß wird aber wohl nie wirklich bekannt werden (STC 4.2.2021). Es sind nur jene Fälle registriert worden, wo es Erkrankte überhaupt bis zu einer Gesundheitseinrichtung geschafft haben und dort dann auch tatsächlich getestet wurden. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs – viele mehr sind zu Hause gestorben (AI 18.8.2021, Sitzung 14).Auch, dass es in Spitälern kaum Kapazitäten für Covid-19-Patienten gibt, ist ein Grund dafür, warum viele sich gar nicht erst testen lassen wollen – ein Test birgt für die Menschen keinen Vorteil (DEVEX 13.8.2020).

Die informellen Zahlen zur Verbreitung von Covid-19 in Somalia und Somaliland sind also um ein Vielfaches höher als die offiziellen. Einerseits sind die Regierungen nicht in der Lage, breitflächig Tests (es gibt insgesamt nur 14 Labore) oder gar ein Contact-Tracing durchzuführen. Gleichzeitig behindern Stigma und Desinformation die Bekämpfung von Covid-19 in Somalia und Somaliland. Mit dem Virus geht eine Stigmatisierung jener einher, die infiziert sind, als infiziert gelten oder aber infiziert waren. Mancherorts werden selbst Menschen, die Masken tragen, als infiziert gebrandmarkt. Die Angst vor einer Stigmatisierung und die damit verbundene Angst vor ökonomischen Folgen sind der Hauptgrund, warum so wenige Menschen getestet werden. Es wird berichtet, dass z.B. Menschen bei (vormals) Infizierten nicht mehr einkaufen würden. IDPs werden vielerorts von der Gastgemeinde gemieden – aus Angst vor Ansteckung. Dies hat auch zum Verlust von Arbeitsplätzen – z. B. als Haushaltshilfen – geführt. Dabei fällt es gerade auch IDPs schwer, Präventionsmaßnahmen umzusetzen. Sie leben oft in Armut und in dicht bevölkerten Lagern, und es mangelt an Wasser (DEVEX 13.8.2020).

Somalia ist eines jener Länder, dass hinsichtlich des Umgangs mit der Pandemie die geringsten Kapazitäten aufweist (UNFPA 12.2020, Sitzung 1). Humanitäre Partner haben schon im April 2020 für einen Plan zur Eindämmung von Covid-19 insgesamt 256 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNSC 13.11.2020, Absatz 51,). UNSOS unterstützt medizinische Einrichtungen, stellt Ausrüstung zur Bekämpfung der Pandemie zur Verfügung. Bis Anfang Juni konnten die UN und

AMISOM eine substanzielle Zahl an Behandlungsplätzen schaffen (darunter auch Betten zur Intensivpflege) (UNSC 13.8.2020, Absatz 69,). Trotzdem gibt es nur ein speziell für Covid-19-Patienten zugewiesenes Spital, das Martini Hospital in Mogadischu. Dieses ist unterbesetzt und schlecht ausgerüstet; von 150 Betten verfügen nur 11 über ein Beatmungsgerät und Sauerstoffversorgung (Sahan 25.2.2021c). In ganz Somalia und Somaliland gab es im August 2020 für Covid-Patienten nur 24 Intensivbetten (DEVEX 13.8.2020). Viele Covid-19-Patienten sind in Spitälern aus Mangel an Sauerstoffversorgung oder wegen eines Stromausfalls gestorben

(AI 18.8.2021, Sitzung 13f). Es gibt so gut wie keine präventiven Maßnahmen und Einrichtungen. Menschen, die an Covid-19 erkranken, bleibt der Ausweg in ein Privatspital – wenn sie sich das leisten können (Sahan 25.2.2021c). Die Situation war derart ernst, dass sich Akteure aus dem privaten Sektor engagiert und zusätzliche Covid-19-Kapazitäten geschaffen haben (AI 18.8.2021, Sitzung 14). Der türkische Rote Halbmond hat Somalia im Feber 2021 weitere zehn Beatmungsgeräte zukommen lassen (AAG 26.2.2021). Im März 2021 spendete die Dahabshil Group dem Staat Sauerstoffverdichter, mit denen insgesamt 250 Patienten versorgt werden können. Die Firma übernimmt auch die technische Instandhaltung (Sahan 11.3.2021). Ende September 2021 wurde in Mogadischu die erste öffentliche Anlage zur Produktion von medizinischem Sauerstoff eröffnet. Diese wurde von der Hormuud Salaam Stiftung angekauft und gespendet. Der Sauerstoff wird an öffentlichen Spitälern in Mogadischu kostenlos zur Verfügung gestellt (Reuters 30.9.2021).

Nachdem die Bildungsinstitutionen ihre Arbeit wieder aufgenommen hatten, sind nicht alle Kinder zurück in die Schule gekommen. Dies liegt an finanziellen Hürden, an der Angst vor einer Infektion, aber auch daran, dass Kinder zur Arbeit eingesetzt werden. Außerdem zeigt eine Studie aus Puntland, dass die Zahl an Frühehen zugenommen hat. Gleichzeitig wurden Immunisierungskampagnen und auch Ernährungsprogramme unterbrochen. Manche Gesundheitseinrichtungen sind teilweise nur eingeschränkt aktiv – nicht zuletzt, weil viele Menschen diese aufgrund von Ängsten nicht in Anspruch nehmen; der Patientenzustrom hat sich in der Pandemie verringert (UNFPA 12.2020, V-VI).

Nach Angaben von Quellen sind Remissen im Zuge der Covid-19-Pandemie zurückgegangen (IPC 3.2021, Sitzung 2; vergleiche UNFPA 12.2020). Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22% der städtischen, 12% der ländlichen und 6% der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Die Mehrheit der Empfänger berichtete von Rückgängen von über 10% (IPC 3.2021, Sitzung 2). Nach anderen Angaben erwies sich der Remissenfluss als resilient. Demnach haben sich die Überweisungen von 2,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019 auf 2,8 Milliarden im Jahr 2020 erhöht. Die Überweisungen an Privathaushalte erhöhten sich von 1,3 auf 1,6 Milliarden (WB 6.2021, Sitzung 11f).

Der Export von Vieh – der wichtigste Wirtschaftszweig – ist wegen der Pandemie zurückgegangen (UNFPA 12.2020, Sitzung 1). 45 % der Kleinstunternehmen mussten schließen (UNSC 10.8.2021, Absatz 17,). Die Arbeitslosigkeit - und damit auch die Armut - haben sich verstärkt. Schätzungen zufolge mussten beim Ausbruch von COVID-19 21 % der Somali ihre Arbeit niederlegen; und das, obwohl nur 55 % der Bevölkerung überhaupt am Arbeitsmarkt teilnimmt. 78 % der Haushalte berichteten über einen Rückgang des Einkommens (WB 6.2021, Sitzung 23).

Internationale und nationale Flüge operieren uneingeschränkt. Ankommende müssen am Aden Adde International Airport in Mogadischu und auch am Egal International Airport in Hargeysa einen negativen Covid-19-Test vorweisen, der nicht älter als drei Tage ist. Wie in Mogadischu mit Personen umgegangen wird, welche diese Vorgabe nicht erfüllen, ist unbekannt. In Hargeysa werden Personen ohne Test auf eigene Kosten in eine von der Regierung benannte Unterkunft zur zweiwöchigen Selbstisolation geschickt. Die Landverbindungen zwischen Dschibuti und Somaliland wurden wieder geöffnet, der Hafen in Berbera ist in Betrieb (GW 11.6.2021).

Restaurants, Hotels, Bars und Geschäfte sind offen, es gelten Hygienemaßnahmen und solche zum Social Distancing. Die Maßnahmen außerhalb Mogadischus können variieren. Es kann jederzeit geschehen, dass Behörden Covid-Maßnahmen kurzfristig verschärfen (GW 11.6.2021).

Quellen:

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•             ACDC - African Union Center for Disease Control and Prevention (27.6.2021): Africa CDC Dashbord Covid-19, https://africacdc.org/covid-19/, Zugriff 1.7.2021

•             AI - Amnesty International (18.8.2021): „We just watched COVID-19 patients die“: COVID-19 exposed Somalia’s weak healthcare system but debt relief can transform it [AFR 52/4602/2021], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058478/AFR5246022021ENGLISH.pdf, Zugriff 27.8.2021

•             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (16.8.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/ briefingnotes-kw33-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 27.8.2021

•             DEVEX / Sara Jerving (13.8.2020): Stigma and weak systems hamper the Somali COVID-19 response, https://www.devex.com/news/stigma-and-weak-systems-hamper-the-somali-covid-19-response-97895, Zugriff 12.10.2020

•             GW - GardaWorld (11.6.2021): Somalia: Somalia: Authorities maintaining COVID-19 restrictions largely unchanged as of June 11 /update 13, https://www.garda.com/crisis24 /news-alerts/489466/somalia-authorities-maintaining-covid-19-restrictions-largely-unchanged-as-of-june-11-update-13, Zugriff 1.7.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf, Zugriff 12.2.2021

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•             PTC - Pharmaceutical Technology.com (14.10.2021): Covid-19 Vaccination Tracker, Latest news, statistics, daily rates and updates, https://www.pharmaceutical-technology.com/co vid-19-vaccination-tracker/, Zugriff 15.10.2021

•             RE - Radio Ergo (25.2.2021): No masks, gloves or oxygen in Mogadishu hospital, says grieving husband who lost pregnant wife to COVID19, https://radioergo.org/en/2021/02/2 5/no-masks-gloves-or-oxygen-in-mogadishu-hospital-says-grieving-husband-who-lost-p regnant-wife-to-covid19/, Zugriff 10.3.2021

•             Reuters (30.9.2021): Somalia opens first public oxygen plant to help treat COVID-19 amid severe shortage, https://www.reuters.com/world/the-great-reboot/somalia-opens-first -public-oxygen-plant-help-treat-covid-19-amid-severe-shortage-2021-09-30/, Zugriff 11.10.2021

•             Sahan - Sahan / Mogadishu Times (11.3.2021): The Somali Wire Issue No. 100, per e-Mail, Originallink auf Somali: http://mogtimes.com/articles/41259/Sawirro-Dahabshiil-Group-ooka-jawaabtay-baaqii-DF-kuna -wareejisay-Oxygen

•             Sahan - Sahan / Somali Wire Team (25.2.2021c): Editor’s Pick – COVID-19 has not been prevented, it is used as a political weapon, in: The Somali Wire Issue No. 87, per e-Mail

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Politische Lage

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 20.10.2021

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 18.4.2021, Sitzung 4f). Während Süd/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2020, Sitzung 4).

Staatlichkeit: Somalia hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Absatz 78,), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Somalia hat in den vergangenen Jahren auf vielen Gebieten große Fortschritte erzielt. Der Staat ist etwa bei Steuereinnahmen effektiver geworden. Junge Somalis und Angehörige der Diaspora sind in der Zivilgesellschaft aktiv, und Mogadischu selbst hat sich stark verändert (BBC 18.1.2021). Trotz der Fortschritte, die in den letzten 10 Jahren erzielt wurden, zeigt Somalia aber auch weiterhin alle Merkmale eines failed state (HIPS 3.2021, Sitzung 25). Laut einer anderen Quelle ist Somalia zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 18.4.2021, Sitzung 4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 3.3.2021a, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2020, Sitzung 33). Zudem hängt die Existenz des somalischen Staates zum größten Teil von der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft ab (HIPS 3.2021, Sitzung 9). Dies gilt natürlich auch für die Umsetzung von Aktivitäten seitens der Regierung (FH 3.3.2021a, C1).

Wie auch in Afghanistan wurde in Somalia durch eine fremde Kraft ein bestehendes islamistisches Regime vertrieben – namentlich die Union Islamischer Gerichte durch Äthiopien im Jahr 2006; wie auch in Afghanistan begann danach ein von Außen betriebener Prozess zur Staatsbildung unter dem Schutz ausländischer Soldaten; und wie auch in Afghanistan ist es der Regierung nicht gelungen, ein ausreichendes Maß an Legitimität aufzubauen (FP 22.9.2021).

Die Öffentlichkeit fühlt sich ignoriert, weil die Regierung nicht daran arbeitet, das Leben der Bürger zu verbessern. Dementsprechend erachten viele Bürger die Regierung als nutzlos (HO 12.9.2021). Selbst in Gebieten, die von der Regierung gehalten werden, tun sich die Verwaltungen schwer, auch nur grundlegende Dienste anzubieten. Gleichzeitig kämpfen die staatlichen Institutionen mit dem Erbe von jahrzehntelanger Korruption und von Missmanagement (CFR 19.5.2021). Somalia schneidet bei den wichtigsten Benchmarks für gute Regierungsführung Rechtsstaatlichkeit, Effektivität der Regierung, politische Stabilität, Beteiligung der Öffentlichkeit,

Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruptionsbekämpfung - erschreckend schlecht ab. Die Politik verläuft in der Praxis chaotisch und auf Konfrontation ausgerichtet (HIPS 3.2021, Sitzung 5f). Die Ausübung von Macht durch die Politik erfolgt willkürlich. Und tatsächlich ist keine der Regierungen auf Bundes- oder Bundesstaatsebene nach irgendeinem Gesetz rechenschaftspflichtig (HIPS 3.2021, Sitzung 12). Selbst das somalische Parlament erwägt kaum jemals die Rechtmäßigkeit einer Angelegenheit, sondern fokussiert unmittelbar auf individuelle materielle Gewinne (HIPS 3.2021, Sitzung 15). Die Unvorhersagbarkeit und die chaotische Praxis der Politik haben die Entwicklung staatlicher Institutionen gehemmt und die Effektivität der Regierung sowie die Reichweite des Staates eingeschränkt (HIPS 3.2021, Sitzung 25). All dies zehrt einerseits an der Ausdauer der Geberländer (FP 22.9.2021) und wird andererseits von al Shabaab ausgenutzt (CFR 19.5.2021). Insgesamt verfügt die Regierung in der eigenen Bevölkerung und bei internationalen Partnern nur über wenig Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in den Staat ist gering (BS 2020, Sitzung 34/40).

Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 23). Generell sind drei entscheidende Punkte abzuarbeiten: die Überarbeitung der Verfassung; der Aufbau der föderalen Architektur; und die Entwicklung eines angemessenen Wahlsystems. Der Stillstand zu Anfang des Jahres 2021 ist das Ergebnis des Versagens der Regierung Farmaajo, auch nur einen dieser Punkte zu lösen (ECFR 16.2.2021).

Regierung: Die Präsidentschaftswahl fand im Feber 2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed ’Farmaajo’ zum Präsidenten (AA 18.4.2021, Sitzung 6; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 2; USDOS 30.3.2021, Sitzung 1/23). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1). Premierminister Hassan Ali Kheyre wurde mit einem Misstrauensvotum des Parlaments am 25.7.2020 seines Amtes enthoben (UNSC 13.8.2020, Absatz 5,). Im September 2020 wurde Mohamed Hussein Roble als neuer Premierminister angelobt (UNSC 13.11.2020, Absatz 6,). Seit Feber 2021 regiert Farmaajo ohne Mandat, seine Amtszeit ist abgelaufen (TNH 20.5.2021).

Parlament: Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Anfang 2017 besetzt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt (AA 18.4.2021, Sitzung 6; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 23). Beide Häuser wurden also in indirekten Wahlen besetzt, das Unterhaus nach Clanzugehörigkeit. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2020, Sitzung 11). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2020, Sitzung 20). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 18.4.2021, Sitzung 6; vergleiche BS 2020, Sitzung 20). Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 30.3.2021, Sitzung 26f; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 3; BS 2020, Sitzung 11). Auch die Regierung ist entlang dieser Formel organisiert (ÖB 3.2020, Sitzung 3). Insgesamt wird das Parlament durch Stimmenkauf entwertet, und es hat auf die Tätigkeiten von Präsident und Premierminister wenig Einfluss (BS 2020, Sitzung 20).

Für 2021 vorgesehene Wahlen wurden zuerst verschoben (UNSC 13.8.2020, Absatz 7,), bis es im September 2020 hinsichtlich des Prozederes zu einer Einigung mit den Bundesstaaten kam. Das vereinbarte Modell entsprach in etwa jenem von 2016. Dabei werden von Ältesten, Bundesstaaten und Vertretern der Zivilgesellschaft Wahldelegierte ausgesucht, welche wiederum die einzelnen Parlamentsabgeordneten wählen. Pro Parlamentssitz sollen 101 Wahlmänner und -Frauen ausgewählt werden (2016: 51). Die Abgeordneten zum Oberhaus werden von den Parlamenten der Bundesstaaten ausgewählt (UNSC 13.11.2020, Absatz 2 f, ;, vergleiche FP 10.2.2021). Dieser Wahlmodus, in welchem die Präsidenten der Bundesstaaten an Macht gewinnen, wird von Teilen der Opposition und der Zivilgesellschaft kritisiert. Für die Auswahl der Senatoren des Oberhauses sind die Bundesstaaten - und hier maßgeblich der jeweilige Präsident - verantwortlich. Beim Unterhaus gibt es einen anderen Modus. Dort wählen Älteste und Gruppen der Zivilgesellschaft eines bestimmten Subclans 101 Wahlmänner, welche als Delegation dann wiederum einen Abgeordneten küren. Senatoren und Abgeordnete wählen schlussendlich den Präsidenten. Der Manipulation sind Tür und Tor geöffnet (FP 22.9.2021).

Demokratie: Seit 1969 wurde in Somalia keine Regierung mehr direkt gewählt (FP 10.2.2021).

Somalia ist keine Wahldemokratie und hat auch keine strikte Gewaltenteilung, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2020, Sitzung 11/15). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 30.3.2021, Sitzung 23f) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clanstrukturen) vergeben (AA 18.4.2021, Sitzung 6). 2016 und 2017 konnten mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratischen Machtwechsel wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 18.4.2021, Sitzung 4). Die errungenen Fortschritte wurden von der Regierung Farmaajo allerdings weitgehend rückgängig gemacht (ECFR 16.2.2021).

Aktuelle Politische Lage: Präsident Farmaajo war nicht in der Lage, sich mit Ahmed Madobe, Präsident von Jubaland, und Said Deni, Präsident von Puntland, auf die Umsetzung des o.g. im September 2020 vereinbarten Fahrplans für Neuwahlen zu einigen (IP 12.2.2021; vergleiche FP 10.2.2021). Und so ist das Mandat des Parlaments im Dezember 2020 ausgelaufen (SG 8.2.2021), jenes von Präsident Farmaajo formell am 8.2.2021 (IP 12.2.2021; vergleiche ECFR 16.2.2021). Damit verfügte Somalia im Feber 2021 plötzlich über keine legitime Regierung mehr, und Präsident Farmaajo weigert sich sein Amt abzugeben (ECFR 16.2.2021). Die Präsidenten von Puntland und Jubaland (FP 10.2.2021; vergleiche Sahan 22.2.2021) sowie eine Allianz aus 14 Präsidentschaftskandidaten, darunter die ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamed und Sharif Sheikh Ahmed, haben Farmaajo danach nicht mehr als Präsidenten anerkannt (Sahan 9.2.2021b; vergleiche IP 12.2.2021, FP 10.2.2021). Somalia stürzte in eine schwere Verfassungs- und politische Krise (Sahan 9.2.2021a). Dabei hat das Versagen, einen Kompromiss zu finden, nicht nur den demokratischen Prozess unterminiert, es hat die Sicherheit Somalias vulnerabel gemacht (FP 10.2.2021). Denn al Shabaab hat sich die politische Krise zu Nutzen gemacht und die Angriffe seit Anfang 2021 verstärkt (IP 12.2.2021).

Ende Feber und Anfang März 2021 wurden neuerliche Verhandlungen über eine Umsetzung des beschlossenen Wahlsystems angesetzt – auf Druck der internationalen Gemeinschaft (AMISOM 3.3.2021; vergleiche UNSOM 2.3.2021). Die Verhandlungen verliefen ohne Ergebnis. Daraufhin hat das parlamentarische Unterhaus ein Gesetz verabschiedet, mit welchem die Legislaturperiode des Parlaments und auch die Amtszeit des Präsidenten um zwei Jahre verlängert wurden. Die o.g. Allianz der Präsidentschaftskandidaten und der Präsidenten von Puntland und Jubaland hat diesen Vorgang scharf zurückgewiesen. In der Folge kam es in Mogadischu zwischen Kräften der Regierung und Kräften der Opposition am 25.4.2021 zu Kampfhandlungen. Am 1.5.2021 wurde das Gesetz schließlich vom Parlament zurückgezogen und man kehrte zum Abkommen vom September 2020 zurück. Neuer Verantwortlicher für die Umsetzung der Wahlen ist nun Premierminister Roble. Dieser hat in Verhandlungen mit der Allianz der Präsidentschaftskandidaten am 5.5.2021 eine Einigung zur Entflechtung [Disengagement] bzw. zum Rückzug der jeweiligen bewaffneten Kräfte in ihre Stützpunkte erzielt (UNSC 19.5.2021, Absatz 3 -, 11,). Ende Mai 2021 wurden - nach enormem nationalen und internationalen Druck - Verhandlungen wieder aufgenommen. Maßgeblich verantwortlich dafür war wieder Premierminister Roble (TNH 20.5.2021), der mit der logistischen und sicherheitstechnischen Vorbereitung der Wahlen beauftragt worden ist (ICG 14.9.2021; vergleiche BAMF 13.9.2021). Am 27.5.2021 wurde eine Einigung verkündet, demnach sollten die Wahlen im Sommer 2021 stattfinden (BAMF 31.5.2021). Später wurden die Präsidentschaftswahlen für den Oktober 2021 angesetzt (TSD 29.6.2021) und schließlich auf November 2021 verschoben (BAMF 13.9.2021). Allerdings waren Ende September 2021 die Wahlen zum Oberhaus immer noch nicht abgeschlossen. Die Unterhauswahlen wurden erneut auf November verschoben. Wann die Präsidentschaftswahlen nun tatsächlich stattfinden werden, ist unklar (ICG 1.10.2021). Der Wahlprozess kann noch Monate in Anspruch nehmen (VOA 11.10.2021).

Der mehr als ein Jahr andauernde Streit um die Wahlen hat die Regierungsarbeit gelähmt (FP 22.9.2021). Im Verlauf des Sommers 2021 kam es zum Zerwürfnis zwischen Präsident Farmaajo und dem für die Wahlen zuständigen Premierminister Roble. U.a. hatte Roble einen Skandal genutzt, um den Chef des Nachrichtendienstes NISA - der engste Vertraute des Präsidenten zu entmachten (BAMF 13.9.2021; vergleiche ICG 14.9.2021). Mehrere politische Akteure – darunter Angehörige der Opposition – haben zunehmend Vertrauen zu Premierminister Roble. Dies und die Entlassung des NISA-Chefs haben zu erheblichen Spannungen in Mogadischu geführt. Es ist jederzeit möglich, dass die Anhänger beider Lager zu den Waffen greifen (ICG 14.9.2021). Zwischen Premierminister und Präsident ist ein Machtkampf entbrannt - samt gegenseitigem Entzug von Vollmachten (ICG 1.10.2021). Derweil höhlt al Shabaab den angeschlagenen Staat aus (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 8).

Föderalisierung: Auch wenn die Entscheidung zur Föderalisierung umstritten war, und die Umsetzung von Gewalt begleitet wurde, konnten neue Bezirks- und Regionalverwaltungen etabliert werden. Neben Puntland wurden in den letzten Jahren vier neue Bundesstaaten geschaffen: Galmudug, Jubaland, South-West State (SWS) und HirShabelle. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet (BS 2020, Sitzung 10; vergleiche AI 13.2.2020, Sitzung 13). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (Banadir Regional Administration/BRA) (AI 13.2.2020, Sitzung 13). Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, Sitzung 55f).

Grundsätzlich gibt es politische Uneinigkeit über die Frage, ob Bundesstaaten semi-autonom sein sollen oder ob mehr Macht bei der Bundesregierung zentralisiert sein soll (ISS 15.12.2020). Zahlreiche Befugnisse wurden nicht geklärt. Das betrifft die Verteidigung, welche militärischen Truppen und Polizeieinheiten vor Ort eingesetzt werden können, die Frage der Ressourcenverteilung, die Verteilung von internationalen Hilfsgeldern. Auch Entwicklungszusammenarbeitsprojekte werden über die Zentralregierung in Mogadischu abgewickelt, und die Verteilung auf die Regionen ist strittig, ebenso die Fragen, wer welche Hoheiten über welche Verträge hat (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 4).

Generell versuchte Farmaajo die Macht wieder zu zentralisieren (TNYT 14.4.2021). Dass in vier der fünf Bundesstaaten im Zeitraum 2018-2019 eine neue Führung gewählt werden sollte, sah die Bundesregierung als Chance, sich durch die Platzierung loyaler Präsidenten Einfluss zu verschaffen. Dementsprechend mischte sich die Bundesregierung in die Wahlen ein (HIPS 2020, S.1/4ff; vergleiche ECFR 16.2.2021). So hat etwa der Geheimdienst NISA die Zusammensetzung von Wahlversammlungen manipuliert (TNYT 14.4.2021). Zudem hat sie Truppen entsendet, um die politische Kontrolle zu erlangen (ECFR 16.2.2021; vergleiche HIPS 4.2021, Sitzung 12). Derart konnte der Präsident in HirShabelle, dem SWS und in Galmudug ihm genehme und loyale Regionalpräsidenten durchsetzen (HIPS 4.2021, Sitzung 12; vergleiche Sahan 11.2.2021b). Nur in Jubaland ist ihm dies nicht gelungen. Dort hat die Bundesregierung dafür die Region Gedo mehr oder weniger besetzt (HIPS 4.2021, Sitzung 10). Insgesamt hat Farmaajo Somalia jedenfalls an den Rand eines institutionellen Kollaps’ geführt (ECFR 16.2.2021).

Bei der Auseinandersetzung zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten kommt u. a. die Krise am Golf zu tragen: Der Konflikt zwischen den Vereinten Arabischen Emiraten (VAE) – unterstützt von Saudi-Arabien – und Katar – unterstützt von der Türkei – wurde auch nach Somalia exportiert und trägt dort erheblich zur Vertiefung der Spaltung bei (BS 2020, Sitzung 41). Zudem leidet AMISOM an den Spannungen zwischen der Bundesregierung und dem Nachbarland Kenia sowie am Konflikt in Äthiopien – beide Staaten sind Truppensteller (ISS 15.12.2020).

Quellen:

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•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/ local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

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•             Sahan - Sahan / Puntland Times (11.2.2021b): The Somali Wire Issue No. 80, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://puntlandtimes.ca/2021/02/maamulada-taageersan-dowlad da-oo-aan-weli-ka-hadlin-shirkii-farmaajo-ku-baaqay-ee-garoowe/

•             Sahan - Sahan / Matt Bryden (9.2.2021a): Editor’s Pick - Ku Qabso ku Qadi Mayside, in: The Somali Wire Issue No. 78, per e-Mail

•             Sahan - Sahan / Keydmedia (9.2.2021b): The Somali Wire Issue No. 78, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.keydmedia.net/news/farmaajo-wuxuu-dalka-geliyay-xaal ad-hubanti-laaan-ah

•             SG - Somali Guardian (8.2.2021): Somalia on Knife Edge as President’s Term Ends,https://somaliguardian.com/somalia-on-knife-edge-as-presidents-term-ends/, Zugriff 12.2.2021

•             TNH - The New Humanitarian (20.5.2021): Somalia’s political crisis explained, https://www.thenew humanitarian.org/news-feature/2021/5/20/somalias-political-crisis-explained, Zugriff 21.6.2021

•             TNYT - The New York Times (14.4.2021): Somalia’s President Extends Term by Two Years, Drawing Condemnation, https://www.nytimes.com/2021/04/14/world/africa/somalia-pres ident.html, Zugriff 16.4.2021

•             TSD - The Somali Dispatch (29.6.2021): Somalia to elect its president Oct. 10, https://www.somalidispatch.com/somalia/somalia-to-elect-its-president-oct-10/, Zugriff 1.7.2021

•             UNSC - UN Security Council (19.5.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/485], https://www.ecoi.net/en/file/local/2052226/S_2021_485_E.pdf, Zugriff 21.6.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf, Zugriff 9.10.2020

•             UNSC - UN Security Council (13.2.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/121], https://www.ecoi.net/en/file/local/2025872/S_2020_121_E.pdf, Zugriff 26.3.2020

•             UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia [S/2019/393], https://www.ecoi.net/en/file/local/2009264/S_2019_393_E.pdf, Zugriff 28.1.2021

•             UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (2.3.2021): Joint Statement on further Dialogue among political Leaders, https://unsom.unmissions.org/joint-statement-further-dialogue-among-political -leaders, Zugriff 3.3.2021

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT. pdf, Zugriff 6.4.2021

•             VOA - Voice of America / Maruf, Harun (11.10.2021): AU Endorses Joint Mission with UN for Somalia, https://www.voanews.com/a/au-endorses-joint-mission-with-un-for-somalia/6266127.html, Zugriff 12.10.2021

Somaliland

Letzte Änderung: 21.10.2021

Die Republik Somaliland hat sich im Mai 1991 für unabhängig erklärt, wurde aber bis dato international nicht anerkannt (BS 2020, Sitzung 4; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 5). Die Nachbarn in der Region sowie zunehmend weitere Staaten bemühen sich in Anerkennung der bisherigen Stabilisierungs- und Entwicklungsfortschritte um pragmatische Zusammenarbeit (AA 18.4.2021, Sitzung 5). Die somalische Bundesregierung erachtet Somaliland als einen somalischen Bundesstaat (PGN 10.2020, Sitzung 4).

Somaliland ist politisch, wirtschaftlich und in Sicherheitsfragen größtenteils vom Rest des Landes entkoppelt (HIPS 2021, Sitzung 19). Das Land verfügt über zahlreiche Zeichen der Eigenständigkeit: Es gibt eine eigene Zivilverwaltung, eigene Streitkräfte, eine eigene Währung (ICG 12.8.2021, Sitzung 2; vergleiche BBC 31.5.2021), eigene Polizei, ein eigenes – mehr oder weniger funktionierendes – Steuersystem (Spiegel 1.3.2021), eine Regierung, eine Verfassung und seit Jahren ökonomische Stabilität (DW 30.11.2018). Die demokratischen Standards sind im regionalen Vergleich als hoch zu bewerten (AA 18.4.2021, Sitzung 6). Von Freedom House erhält Somaliland diesbezüglich 42 Punkte - fast doppelt soviele, wie das benachbarte Dschibuti (24); und sechs mal mehr als Somalia (7) (RUSI 4.6.2021).

Somaliland hat schrittweise staatliche Strukturen wieder aufgebaut und war auch bei demokratischen Reformen erfolgreich (BS 2020, Sitzung 4/33). Das Land verfügt über eine funktionierende Regierung (HIPS 2021, Sitzung 19), und mit internationaler Hilfe konnten Bezirksverwaltungen und Bezirksräte etabliert werden (BFA 8.2017, Sitzung 94). Auf dem gesamten Gebiet wurden Behördenstrukturen geschaffen, auch wenn diese nicht überall voll funktionieren. Politische Entscheidungen können i.d.R. umgesetzt werden, allerdings muss diesbezüglich zuvor die Zustimmung einflussreicher Clanältester eingeholt werden (BS 2020, S.11). Seit 1997 herrschen Frieden und politische Stabilität (BS 2020, Sitzung 32). Die Regierung bekennt sich zu Demokratie und Marktwirtschaft und hat dazu auch schon einiges beigetragen (BS 2020, Sitzung 37). Regierungsausgaben erfolgen relativ klar und transparent (Spiegel 1.3.2021). Die Bindung bzw. das Commitment Somalilands zum demokratischen System ist groß (BS 2020, Sitzung 20). Die meisten Somaliländer unterstützen die Regierung und vertrauen dieser (JF 14.8.2020). Die Demokratie in Somaliland wird als konsolidiert bezeichnet, das demokratische System ist allerdings anfällig für Einflussnahme und Clanpolitik (BS 2020, Sitzung 13/20).

Somaliland hat angesichts der eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten bemerkenswerte Kapazitäten aufgebaut. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die bestehenden Institutionen ist gegeben (HO 12.9.2021). Das Land kämpft mit massiven strukturellen Restriktionen. Der Staatsapparat bleibt schwach und unterfinanziert und das Land ist von einem hohen Maß an Armut geprägt (BS 2020, S.33). Der Staat ist von Wirtschaftstreibenden abhängig. Auf allen Ebenen der Verwaltung kommt es zu Korruption und Clanpatronage (BS 2020, Sitzung 5). Zudem sind staatliche Institutionen – wie erwähnt – hinsichtlich der Umsetzung ihrer Entscheidungen an das Einverständnis einflussreicher Clanältester gebunden (BS 2020, Sitzung 13). Dabei hat Somaliland aber im Wesentlichen mit Verhandlungen zwischen und mit unterschiedlichen Akteuren gute Erfahrungen gemacht (BS 2020, Sitzung 36). So sind Clanälteste bei der Erhaltung des Friedens wichtig; unzählige Male wurden sie eingebunden, um bei meist Ressourcen betreffenden Konflikten zu verhandeln und eine Versöhnung herbeizuführen (Sahan 1.10.2021).

Somaliland hat seit der Erklärung der Unabhängigkeit mehrere allgemeine Wahlen durchgeführt (AA 18.4.2021, Sitzung 6; vergleiche ICG 12.8.2021, Sitzung 1f). Diese wurden durch internationale Beobachter regelmäßig als frei und fair beurteilt (BS 2020, Sitzung 4f). Außerdem ist es schon mehrfach zur relativ friedlichen Machtübergabe an neugewählte Präsidenten gekommen (BS 2020, Sitzung 37; vergleiche Spiegel 1.3.2021; AA 18.4.2021, Sitzung 6).

Es gibt ein Zwei-Kammern-Parlament. Das Ober- bzw. Ältestenhaus (Guurti) besteht aus 86 ernannten bzw. indirekt gewählten, das Unter- bzw. Repräsentantenhaus aus 82 gewählten Mitgliedern. Parlamentswahlen waren seit Jahren überfällig (USDOS 30.3.2021, Sitzung 25; vergleiche FH 3.3.2021b, A2) und wurden mehrfach verschoben. Das Unterhaus war bereits im fünfzehnten Amtsjahr, ohne neu gewählt worden zu sein (AA 18.4.2021, Sitzung 6). Dies warf einen Schatten auf das vergleichsweise demokratische Somaliland (AA 18.4.2021, Sitzung 4). Schließlich haben die Wahlen am 31.5.2021 stattgefunden. Mehr als eine Million Wähler waren registriert (BAMF 7.6.2021). Nur in manchen östlichen Landesteilen konnte die Wahl nicht durchgeführt werden – namentlich in Badhaan und in der Umgebung von Laasqooray, also dort, wo die Verwaltung von Puntland eine stärkere Präsenz zeigt (ICG 12.8.2021, Sitzung 6).

Diese Wahlen waren ein Meilenstein auf dem Weg der Demokratisierung Somalilands (ICG 12.8.2021, Sitzung 1). Mehrere europäische Staaten haben die erfolgreiche Wählerregistrierung gelobt (Sahan 10.2.2021), die mit einer biometrischen Identifizierung durchgeführt wurde (JF 18.6.2021). Die EU und andere europäische Staaten haben auch die Wahlen an sich gelobt (EEAS 8.6.2021). Die Wahlen verliefen zwar nicht perfekt, doch waren sie frei und fair (Sahan 1.10.2021) sowie friedlich und transparent. Die Oppositionsparteien UCID und Waddani gewannen die Wahl gegen die Kulmiye-Partei des Präsidenten (JF 18.6.2021) - und zwar sowohl im Parlament als auch auf kommunaler Ebene (BAMF 7.6.2021). Im Unterhaus konnte Waddani 31 Sitze gewinnen, die regierende Kulmiye 30 und UCID die übrigen 21. Die beiden Oppositionsparteien sind unmittelbar ein Bündnis eingegangen, und damit hat die Opposition nun die Kontrolle im Unterhaut (ICG 12.8.2021, Sitzung 3). Außerdem stellt die Opposition nun in fünf der sieben größten Städte - darunter Hargeysa - den Bürgermeister (UNSC 10.8.2021, Absatz 9,).

Das Guurti wurde 1993 gebildet und seither - aufgrund unklarer Rechtslage - nicht mehr neu besetzt (FH 3.3.2021b, A2; vergleiche ICG 12.8.2021, Sitzung 9). Im Mai 2022 soll das Guurti neu besetzt werden. Das Oberhaus setzt sich ausschließlich aus Ältesten zusammen (ICG 12.8.2021, Sitzung 9). Über das Guurti - aber auch generell - verfügen Clanälteste über eine einflussreiche Rolle in der Politik (FH 4.3.2020, B3). Zudem sind beim Innenministerium 2.700 Sultane [traditionelle Älteste bzw. Clanführer] registriert. Diese erhalten für ihre Beteiligung an den Lokalverwaltungen auch ein Gehalt (UNHRC 6.9.2017, Absatz 74,).

Auch die Präsidentschaftswahl hatte sich mehrfach verzögert, bevor sie Mitte November 2017 stattfand (AA 18.4.2021, Sitzung 6; vergleiche FH 3.3.2021b, A1). Zum Präsidenten gewählt wurde der Kandidat der regierenden Kulmiye-Partei, Muse Bihi Abdi. Seine Angelobung erfolgte im Dezember 2017 (USDOS 30.3.2021, Sitzung 25; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 6). Die Wahl wurde als weitgehend frei und fair eingeschätzt, auch wenn es einige Unregelmäßigkeiten gab (BS 2020, Sitzung 13; vergleiche FH 4.3.2020b, A1). Letztere haben den Ausgang der Wahl jedoch nicht signifikant beeinflusst (FH 3.3.2021b, A1). Die Wahl war effizient und ohne größere Störungen abgelaufen. Erstmals kam ein Augenscan zum Einsatz. Mit dieser biometrischen Technik konnten Mehrfachabstimmungen erfolgreich reduziert werden (BS 2020, Sitzung 13). Für November 2022 sind die nächsten Präsidentschaftswahlen vorgesehen (ICG 12.8.2021, Sitzung 8).

Eine Clan-bezogene Organisation politischer Parteien ist in der Verfassung verboten (BS 2020, Sitzung 20f). Mit der Beschränkung auf drei Parteien soll eine Zersplitterung der Parteienlandschaft entlang von Clans verhindert werden. Lokalwahlen entscheiden darüber, welche drei Parteien für die nächsten Wahlen auf nationaler Ebene zugelassen werden (BS 2020, Sitzung 21; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 6). Bei den Gemeindewahlen im November 2012 entschied sich die Bevölkerung bei einer Auswahl von sieben Parteien für Kulmiye, Ucid und Waddani als nationale Parteien (BS 2020, Sitzung 21), die Udub verlor die Zulassung. Politisches Engagement im Rahmen anderer Gruppen wird staatlicherseits beobachtet. Gegebenenfalls werden strafrechtliche Maßnahmen ergriffen (AA 18.4.2021, Sitzung 6). Im Jahr 2022 laufen die Lizenzen der aktuell zugelassenen drei Parteien aus. Diese sollen dann in einer separaten Wahl neu bestimmt werden (ICG 12.8.2021, Sitzung 9).

Somaliland definiert seine Grenzen gemäß der kolonialen Grenzziehung; Puntland hingegen definiert seine Grenzen genealogisch entlang der Siedlungsgebiete des Clans der Darod. Insgesamt ist die Ostgrenze Somalilands zu Puntland nicht demarkiert, und die Grenze bleibt umstritten (EASO 2.2016, Sitzung 72).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt %2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_% 28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.6.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/ briefingnotes-kw23-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3 , Zugriff 21.6.2021

•             BBC - BBC News (31.5.2021): Somaliland elections: Could polls help gain recognition? https://www.bbc.co.uk/news/world-africa-57255602, Zugriff 21.6.2021

•             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-sicherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf, Zugriff 3.12.2020

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             DW - Deutsche Welle (30.11.2018): Somaliland: Return of the migrants, https://www.dw.c om/en/world-in-progress-returning-to-somaliland/av-46699478, Zugriff 21.1.2021

•             EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file /local/1158113/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 14.12.2020

•             EEAS - European External Action Service (8.6.2021): Statement by International Partners on Somaliland Parliamentary and Local Council Elections, https://eeas.europa.eu/delegations/somalia/99709/ statement-international-partners_en#inbox/_blank, Zugriff 1.7.2021

•             FH - Freedom House (3.3.2021b): Freedom in the World 2021 – Somaliland, https://freedomhouse.org/ country/somaliland/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf , Zugriff 12.2.2021

•             HO - Hiiraan Online / Schwartz, Stephen (12.9.2021): Somalia’s Leaders Need to Seize Immediately the Lessons of Afghanistan, https://hiiraan.com/op4/2021/sept/183881/som alia_s_leaders_need_to_seize_ immediately_the_lessons_of_afghanistan.aspx, Zugriff 15.9.2021

•             ICG - International Crisis Group (12.8.2021): Building on Somaliland’s Successful Elections, https://www.crisisgroup.org/africa/horn-africa/somaliland/b174-building-somalilands-successful-elections, Zugriff 19.8.2021

•             JF - Jamestown Foundation (18.6.2021): Somaliland Elections Disrupt al-Shabaab’s Regional Expansion; Terrorism Monitor Volume: 19 Issue: 12, https://www.ecoi.net/en/document/2054590.html, Zugriff 1.7.2021

•             JF - Jamestown Foundation (14.8.2020): No Foothold for al-Shabaab in Somaliland; Terrorism Monitor Volume: 18 Issue: 16, https://www.ecoi.net/de/dokument/2036810.html, Zugriff 9.10.2020

•             PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map & Timeline - October 2020, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/20 20/10/somalia-map-of-al-shabaab-control.html

•             RUSI - Royal United Services Institute (4.6.2021): Somaliland: The Power of Democracy, https://rusi.org/explore-our-research/publications/commentary/somaliland-power-democracy#inbox/ _blank, Zugriff 1.7.2021

•             Sahan - Sahan / Somali Wire Team (1.10.2021): Editor’s Pick – The negative effects of Somali traditional clan elders’ involvement in the election process, in: The Somali Wire Issue No. 240, per e-Mail

•             Sahan - Sahan / Radio Risaala (10.2.2021): The Somali Wire Issue No. 79, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://radiorisaala.com/uk-oo-ku-dhawaaqday-in-taageero-ballaaran-ay-siin-doonto-somali land/

•             Spiegel - Spiegel International (1.3.2021): A Miracle on the Horn of Africa, https://www.sp iegel.de/international/world/boom-in-somaliland-a-miracle-on-the-horn-of-africa-a-c7fb91cc-4b0a-4561-977d-dd985cf48256, Zugriff 3.3.2021

•             UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1422745/1930 1516796959 _g1726077.pdf, Zugriff 10.12.2020

•             UNSC - UN Security Council (10.8.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/723], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058501/S_2021_723_E.pdf, Zugriff 27.8.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf , Zugriff 2.12.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT. pdf, Zugriff 6.4.2021

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Letzte Änderung: 29.03.2021

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2021). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).

Quelle: PGN 10.2020

Quellen:

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2021): Curated Data - Africa (21 January 2021), https://acleddata.com/curated-data-files/, Zugriff 26.1.2021

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map & Timeline - October 2020, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2020/10/somalia-map-of-al-shabaab-control.html


Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)

Letzte Änderung: 21.10.2021

In Mogadischu verfügt die Bundesregierung über ausreichend staatliche Institutionen hinsichtlich der Bereitstellung von Dienstleistungen für Bürger und den Schutz ihres Lebens und ihres Eigentums (HIPS 3.2021, Sitzung 22). Noch vor zehn Jahren kontrollierte al Shabaab die Hälfte der Stadt, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Grabenkämpfe war (BBC 18.1.2021). Heute hingegen ist Mogadischu unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (PGN 2.2021, Sitzung 1f). Generell hat sich die Lage für die Zivilbevölkerung in den vergangenen Jahren verbessert (FIS 7.8.2020, Sitzung 4). Die Regierung unternimmt einiges, um die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. So wurden etwa 20 zusätzliche Checkpoints errichtet und im Zeitraum November 2019 bis Jänner 2020 190 gezielte Sicherheitsoperationen durchgeführt (UNSC 13.2.2020, Absatz 18,). Die Kapazitäten der Sicherheitsbehörden in Mogadischu haben sich verbessert, sie können nunmehr Gebiete kontrollieren, in welchen al Shabaab zuvor ungehindert agieren konnte (FIS 7.8.2020, Sitzung 20). Im Jahr 2019 hat die Einrichtung neuer Checkpoints, die Besetzung dieser Kontrollpunkte mit frischen Truppen, die regelmäßigere Auszahlung des Soldes und die Rotation der Mannschaften zur Moral und Effizienz der Sicherheitskräfte und damit zur Verbesserung der Sicherheitslage in Mogadischu beigetragen. Al Shabaab kann weniger Material und Operateure nach Mogadischu schleusen (FIS 7.8.2020, Sitzung 9f). Die Checkpoints haben also die Sicherheit verbessert (BMLV 25.2.2021). Auch die Militäroperation Badbaado in Lower Shabelle hat die Fähigkeiten von al Shabaab, Sprengsätze herzustellen und nach Mogadischu zu transportieren, wesentlich vermindert (HIPS 2021, Sitzung 20).

Allerdings werden solche Maßnahmen nicht permanent aufrecht erhalten; werden sie aber vernachlässigt, steigt auch wieder die Zahl an Anschlägen durch al Shabaab (FIS 7.8.2020, Sitzung 9f). Die Checkpoints wurden teilweise wieder abgebaut (BMLV 25.2.2021). Zudem haben Teile der Sicherheitskräfte seit Monaten keinen Sold erhalten, im Feber 2021 hielten sich Soldaten in Mogadischu an den Bewohnern schadlos (SG 8.2.2021). In Mogadischu kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen der somalischen Sicherheitskräfte untereinander, bei denen nicht selten auch Unbeteiligte zu Schaden kommen (AA 3.12.2020). Insgesamt ist die Sicherheitslage in Mogadischu ständigen Änderungen unterworfen (FIS 7.8.2020, Sitzung 4). So kam es etwa im Zuge der politischen Krise im Feber und dann wieder im April 2021 zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Bundesregierung loyalen Kräften einerseits und oppositionellen Kräften andererseits (UNSC 19.5.2021, Absatz 20 f,). Im Zuge dieser Krise haben sich unterschiedliche Fraktionen unterschiedliche Teile von Mogadischu „gesichert“ (BBC 31.5.2021). Hawiyemilizen der Opposition - zum Teil Soldaten der somalischen Armee - hatten große Teile der Stadt unter Kontrolle genommen, rund 200.000 Menschen haben die Stadt verlassen (TNH 20.5.2021). Anfang Mai 2021 wurden rund drei Viertel der Stadt von der Opposition kontrolliert (Sahan 5.5.2021) während sich die in der Stadt befindlichen Farmaajo-loyalen Kräfte maßgeblich aus - irregulären - Einheiten der NISA zusammensetzten (Sahan 4.5.2021).

Einerseits reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte weiterhin nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 25.2.2021). Andererseits bietet die Stadt für al Shabaab alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, Sitzung 23). Innerhalb der Stadt hat sich die Sicherheit zwar verbessert, al Shabaab kann aber nach wie vor Anschläge durchführen – wenngleich die Durchführung schwierigerer geworden ist (BMLV 25.2.2021). Täglich kommt es zu Zwischenfällen in Zusammenhang mit al Shabaab (FIS 7.8.2020, Sitzung 5).

Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurückerlangt. In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)Rekrutierung zu entziehen (BMLV 25.2.2021).

Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (ICG 27.6.2019, Sitzung 5; vergleiche BBC 18.1.2021, BMLV 25.2.2021).

Geographische Situation: Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25f; vergleiche BMLV 25.2.2021). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische. Relevante Verwaltungsstrukturen gelten als von al Shabaab unterwandert (BMLV 25.2.2021). Die Gruppe kann weiterhin ins Stadtgebiet infiltrieren und auch größere Anschläge durchführen (UNSC 19.5.2021, Absatz 15,). In Mogadischu betreibt al Shabaab nahezu eine Schattenregierung: Betriebe werden eingeschüchtert und „besteuert“ und eigene Gerichte sprechen Recht (BBC 18.1.2021). Jedenfalls verfügt al Shabaab über großen Einfluss in Mogadischu (FIS 7.8.2020, S.7) und ist in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben (FIS 7.8.2020, Sitzung 13; vergleiche BBC 23.11.2020). Stadtbewohner geben an, dass sie aus Angst vor einem Übergriff mit einer Hausrenovierung erst dann beginnen würden, wenn sie an al Shabaab Schutzgeld bezahlt hätten (FP 22.9.2021). In den Außenbezirken hat al Shabaab größeren Einfluss, auch die Unterstützung durch die Bevölkerung ist dort größer (FIS 7.8.2020, Sitzung 6f/12; vergleiche BMLV 25.2.2021).

Anschläge und Attentate: Mogadischu bleibt ein Hotspot terroristischer Gewalt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 11/14). Al Shabaab ist weiterhin in der Lage, in Mogadischu auch größere Sprengstoffanschläge durchzuführen. Dabei kommt es v.a. zum Einsatz von Selbstmordattentätern (UNSC 10.8.2021, Absatz 12,). Al Shabaab ermordet in Mogadischu auch immer noch regelmäßig Menschen (BBC 23.11.2020). Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates [„officials“], Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 23f). Nach anderen Angaben sind v.a. jene Örtlichkeiten betroffen, die von der ökonomischen und politischen Elite als Treffpunkte verwendet werden – z.B. Restaurants und Hotels (BS 2020, Sitzung 14).

Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der al Shabaab (BMLV 25.2.2021). Die Hauptziele von al Shabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal (FIS 7.8.2020, Sitzung 8). Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25f; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 25). Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Allerdings kommt es dort öfter zu gezielten Tötungen (FIS 7.8.2020, Sitzung 6f/12).

Zivilisten: Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Am Stadtrand ist die Unterstützung größer, die meisten Bewohner haben al Shabaab gegenüber aber eine negative Einstellung. Sie befolgen die Anweisungen der Gruppe nur deshalb, weil sie Repressalien fürchten. Al Shabaab agiert wie eine Mafia: Sie droht jenen mit ernsten Konsequenzen, welche sich Wünschen der Gruppe entgegensetzen (FIS 7.8.2020, Sitzung 14f). Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25). Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 42). Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25/42; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 24ff).

Bewegungsfreiheit: Auch wenn Mogadischu von Sicherheitskräften und AMISOM geschützt wird, kann al Shabaab indirekt Kontrolle ausüben. Dadurch wird die Mobilität der Stadtbewohner im Alltag eingeschränkt (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 21). Die Menschen wissen um diese Gefahr bestimmter Örtlichkeiten und versuchen daher, diese zu meiden. Sie bewegen sich in der Stadt, vermeiden aber unnötige Wege. Für viele Bewohner der Stadt ist die Instabilität Teil ihres Lebens geworden. Sie versuchen, Gefahren auszuweichen, indem sie Nachrichten mitverfolgen und sich gegenseitig warnen (FIS 7.8.2020, Sitzung 25f). Zudem gibt es in Mogadischu mehrere hundert Straßensperren und Kontrollpunkte von Armee, Polizei und NISA. Einige davon sind permanent eingerichtet, andere werden mobil eingerichtet. Ob Gebühren oder illegale Abgaben verlangt werden, ist unklar (FIS 7.8.2020, Sitzung 22f). Diese Checkpoints schränken die Bewegungsfreiheit mehr ein, als es die Bedrohung durch al Shabaab tut (BMLV 25.2.2021). Jedenfalls gehen die Sicherheitskräfte an derartigen Sperren mittlerweile verantwortungsvoller vor, die Situation hat sich verbessert. Es liegen keine Informationen vor, wonach es dort zu schweren Vergehen oder Übergriffen kommen würde (FIS 7.8.2020, Sitzung 22f).

Die Gewaltkriminalität in der Stadt ist hoch. Monatlich sterben mehrere Menschen bei Raubüberfällen oder aus anderen Gründen verübten Morden (FIS 7.8.2020, Sitzung 19). Bei manchen Vorfällen ist unklar, von wem oder welcher Gruppe die Gewalt ausgegangen ist; Täter und Motiv bleiben unbekannt. Es kommt zu Rachemorden zwischen Clans, zu Gewalt aufgrund wirtschaftlicher Interessen oder aus politischer Motivation. Lokale Wirtschaftstreibende haben in der Vergangenheit auch schon al Shabaab engagiert, um Auftragsmorde durchzuführen (FIS 7.8.2020, Sitzung 5). Gleichzeitig haben die Bewohner eine hohe Hemmschwelle, um sich an die Polizei zu wenden. Das Vertrauen ist gering (FIS 7.8.2020, Sitzung 15/20; vergleiche BMLV 25.2.2021). Die Fähigkeit der Behörden, bei kleineren Delikten wie etwa Diebstahl zu intervenieren, ist derart gering, dass Menschen keinen Nutzen darin sehen, Anzeige zu erstatten. Hat eine Person Angst vor al Shabaab, dann kann ein Hilfesuchen bei der Polizei – aufgrund der Unterwanderung selbiger – die Gefahr noch verstärken. Die Polizei ist auch nicht in der Lage, Menschen bei gegebenen Schutzgeldforderungen seitens al Shabaab zu unterstützen (FIS 7.8.2020, Sitzung 15/20).

Die Kapazitäten des sogenannten Islamischen Staates sind in Mogadischu sehr beschränkt (FIS 7.8.2020, Sitzung 18).

Vorfälle: 2020 waren die Bezirke Dayniile (28 Vorfälle), Dharkenley (35), Hodan (39) und Yaqshiid (22), in geringerem Ausmaß die Bezirke Hawl Wadaag (17), Heliwaa (14), Karaan (18) und Wadajir/Medina (19) von Gewalt betroffen. Zivilisten waren 2020 v.a. in den Bezirken Dharkenley, Hawl Wadaag, Hodan, in geringerem Ausmaß in Dayniile (15 Vorfälle), Dharkenley (16), Hodan (18) und Yaqshiid (12) von gegen sie gerichteter Gewalt betroffen (ACLED - siehe Tabelle weiter unten).

In Benadir/Mogadischu lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,65 Millionen Menschen (UNFPA 10.2014, Sitzung 31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2019 insgesamt 134 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 120 dieser 134 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2020 waren es 96 derartige Vorfälle (davon 86 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in der Region Benadir entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt):

Quelle: (ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019) (ACLED 2020) (ACLED 2021)

Dabei handelte es sich laut ACLED Datenbank bei folgenden Fällen um „Violence against Civilians“ (es handelt sich hierbei jedoch um keine exakten Zahlen, daACLED einige Unschärfen aufweist; auch „normale“ Morde sind inkludiert):

Quelle: (ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019) (ACLED 2020) (ACLED 2021)


Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.12.2020): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/somalia sicherheit/203132#content_6, Zugriff 3.12.2020

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/ en/file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2021): Curated Data - Africa (21 January 2021), https://acleddata.com/curated-data-files/, Zugriff 26.1.2021

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2020): Africa (Data through 11 January 2020), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 16.1.2020

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 23.1.2019

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 10.1.2018

•             ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 21.12.2017

•             BBC - BBC News (31.5.2021): Somaliland elections: Could polls help gain recognition? https://www.bbc.co.uk/news/world-africa-57255602, Zugriff 21.6.2021

•             BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc. com/news/world-africa-55677077, Zugriff 3.2.2021

•             BBC - BBC News (23.11.2020): Life after al-Shabab: Driving a school bus instead of an armed pickup truck, https://www.bbc.co.uk/news/stories-55016792, Zugriff 2.12.2020

•             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Fi nding+Mission+to+Moga dishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+ Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645, Zugriff 17.3.2021

•             FP - Foreign Policy / Mahmood, O.S. / Ainte, A. (22.9.2021): Could Somalia Be the Next Afghanistan? https://foreignpolicy.com/2021/09/22/could-somalia-alshabab-taliban-next-afghanistan/, Zugriff 23.9.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (3.2021): The Impediments To Good Governance In Somalia, http://www.heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2021/03/Impediments-good-gover nance-2.pdf, Zugriff 23.7.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf, Zugriff 12.2.2021

•             ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https: //www.ecoi.net/ en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf, Zugriff 9.12.2020

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2015777/190827400.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centraal-_Somalie__ maart_2019.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             PGN - Political Geography Now (2.2021): Somalia Control Map & Timeline - February 2021, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2021/02/somalia-control-map-2021. html

•             Sahan - Sahan / Ahmed Abdullahi Sheikh (5.5.2021): Editor’s Pick – Roble and struggle to „demilitarise“ Somalia’s vote, in: The Somali Wire Issue No. 137, per e-Mail

•             Sahan - Sahan / Matt Bryden (4.5.2021): Editor’s Pick – A way forward for Somalia, in: The Somali Wire Issue No. 136, per e-Mail

•             SG - Somali Guardian (8.2.2021): Somalia on Knife Edge as President’s Term Ends,https://somaliguardian.com/somalia-on-knife-edge-as-presidents-term-ends/, Zugriff 12.2.2021

•             TNH - The New Humanitarian (20.5.2021): Somalia’s political crisis explained, https://www.thenew humanitarian.org/news-feature/2021/5/20/somalias-political-crisis-explained, Zugriff 21.6.2021

•             UNFPA - UN Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 – Somalia, https://somalia.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/Population-Estimation-Survey-of-Somalia-PESS-2013-2014.pdf, Zugriff 28.1.2021

•             UNSC - UN Security Council (10.8.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/723], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058501/S_2021_723_E.pdf, Zugriff 27.8.2021

•             UNSC - UN Security Council (19.5.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/485], https://www.ecoi.net/en/file/local/2052226/S_2021_485_E.pdf, Zugriff 21.6.2021

•             UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf, Zugriff 2.3.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.2.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/121], https://www.ecoi.net/en/file/local/2025872/S_2020_121_E.pdf, Zugriff 26.3.2020

Somaliland

Letzte Änderung: 21.10.2021

Somaliland ist einer der sichersten und relativ stabilsten Orte - nicht nur am Horn von Afrika, sondern im gesamten Großraum Ostafrika (FDD 11.8.2021). Es gibt eine funktionierende Wirtschaft mit eigener Währung, eine eigene Regierung, eine Polizei und ein eigenes Rechtssystem (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 37). Es ist dort auch vergleichsweise friedlich (DW 30.11.2018). Friede und politische Stabilität wurden 1997 erlangt (BS 2020, Sitzung 32). Die Regierung übt über das ihr unterstehende Gebiet Kontrolle und Souveränität aus (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1; vergleiche BS 2020, Sitzung 13) und kann dort regieren und Vorhaben umsetzen. Nur das Randgebiet zu Puntland und einige sehr entlegene ländliche Gebiete sind davon ausgenommen (BS 2020, Sitzung 13).

Die Sicherheitskräfte können in einem vergleichsweise befriedeten Umfeld ein höheres Maß an Sicherheit im Hinblick auf terroristische Aktivitäten und allgemeine Kriminalität herstellen als in anderen Landesteilen. Dies gilt insbesondere für die Regionen Awdal und Woqooyi Galbeed mit den Städten Hargeysa, Berbera (AA 3.12.2020), Borama und Burco. Diese Gebiete sind relativ sicher (NLMBZ 3.2020, S.31). Somaliland ist damit das sicherste Gebiet Somalias, die Sicherheitslage ist dort deutlich stabiler (ÖB 3.2020, Sitzung 16/20; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 4; ACCORD 31.5.2021, Sitzung 26).

Al Shabaab: Trotz der vergleichsweise geringen finanziellen Ressourcen ist Somaliland gelungen, was Somalia, Kenia, der Türkei, Äthiopien und den USA im Rest des Landes nicht gelungen ist: Al Shabaab konnte in Somaliland nicht Fuß fassen (JF 14.8.2020; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 16; JF 18.6.2021). Die Terrorgruppe kontrolliert einerseits keine Gebiete in Somaliland (AA 18.4.2021, S.5/14), andererseits gibt es auch so gut wie keine Angriffe durch al Shabaab bzw. wurden Versuche erkannt und Anschläge verhindert (NLMBZ 3.2020, Sitzung 31). Seit Oktober 2008 hat es keine relevanten terroristischen Angriffe gegeben (FDD 11.8.2021). Es wurden bemerkenswerte Kapazitäten aufgebaut. Durch die Glaubwürdigkeit der bestehenden Institutionen entstand Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verwaltung. Dies wiederum erschwert al Shabaab ihre Operationen (HO 12.9.2021).

Es gibt keine signifikanten Aktivitäten der al Shabaab in Somaliland, die Gruppe kann dort auch keine Steuern einheben (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 37f). Neben formellen nachrichtendienstlichen Netzen gibt es ein informelles Netz an Nachbarschaftswachen (NLMBZ 3.2020, Sitzung 31; vergleiche JF 14.8.2020). Die Regierung setzt auf Älteste, lokale Behördenvertreter und besorgte Bürger; und darauf, dass diese verdächtige Aktivitäten und Neuankömmlinge bei der Polizei oder beim Geheimdienst melden (JF 18.6.2021). Dementsprechend werden terroristische Pläne immer wieder durch Sicherheitskräfte vereitelt und Opperateure der al Shabaab verhaftet (FDD 11.8.2021). Und als etwa im November 2019 Kämpfer der al Shabaab aus Puntland in die Garof-Berge im Osten der Region Sanaag vordrangen, wurde dies rasch gemeldet. In der Folge gelang es einer Truppe aus lokaler Miliz sowie an ausgewählten Armee- und Polizeieinheiten al Shabaab zu vertreiben (JF 14.8.2020; vergleiche BMLV 25.2.2021; FDD 11.8.2021).

Allerdings verfügt der Nachrichtendienst von al Shabaab (Amniyat) in Somaliland über ein Netzwerk an Informanten (JF 14.8.2020) bzw. unterhält die Gruppe in größeren Städten Schläferzellen. Demnach bleibt die Gruppe für Somaliland eine Bedrohung (FDD 11.8.2021). Die Grenzgebiete zu Puntland sind für eine Infiltration durch al Shabaab anfällig (NLMBZ 3.2020, Sitzung 31f; vergleiche FDD 11.8.2021). Dort versucht die Gruppe lokale Clans, die sich von der Regierung diskriminiert fühlen, für sich zu gewinnen (FDD 11.8.2021).

Es konnten in den konsultierten Quellen keine Informationen gefunden werden, wonach Deserteure der al Shabaab in Somaliland gefährdet wären.

Clankonflikte bestehen wie überall in Somalia auch in Somaliland, und es kann zu Auseinandersetzungen und Racheakten kommen, die zivile Opfern fordern. Clankonflikte stellen aber kein Sicherheitsproblem dar, das die politische Stabilität der Region gefährdet. Derartige Konflikte konzentrieren sich zudem in den Regionen Sanaag und Sool (ÖB 3.2020, Sitzung 18). Clankonflikte werden v.a. im umstrittenen Grenzgebiet zu Puntland gewaltsam ausgetragen. Die Dürre und damit verbundene Ressourcenkonflikte haben die Gefahr dort noch größer werden lassen (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 38). Dort wurden lokale Konflikte aber immer wieder auch durch Älteste eingedämmt, damit es zu keiner Eskalation kommt (BS 2020, Sitzung 8).

Mit internationaler Hilfe ist es gelungen, Bezirksverwaltungen und Bezirksräte zu etablieren (BFA 8.2017, Sitzung 94f). Den Behörden ist es gelungen, einen relativ wirksamen Schutz gegen Banden und Milizen zu gewährleisten (AA 18.4.2021, Sitzung 18). Hinsichtlich Hargeysa gibt es keine Sicherheitsprobleme. Die Kriminalitätsrate ist relativ niedrig. Wenn es zu einem Mord kommt, dann handelt es sich üblicherweise um einen gezielten Rachemord auf der Basis eines Clankonflikts. Hargeysa und Burco sind relativ ruhig (BFA 8.2017, Sitzung 95).

Im Bezirk Xudun (Sool) ist es Mitte April 2021 zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Clans gekommen. Mindestens zehn Menschen wurden getötet und zahlreiche mehr verletzt (Sahan 16.4.2021c). Auslöser ist der Streit um die Nutzung einer Wasserstelle. Der somaliländische Präsident droht mit dem Eingreifen der Sicherheitskräfte (SLS 18.4.2021).

Im Juli 2019 brachen erneut Clankämpfe in Sanaag aus, dabei wurden 18 Zivilisten getötet (UNSC 15.8.2019, Absatz 10,). Ältesten und Religionsführern ist es imAuftrag der somaliländischen Regierung gelungen, im langjährigen Konflikt zwischen Ba’ide und Sa’ad Yunis erfolgreich zu vermitteln. Die beiden Clans standen sich im Bezirk CeelAfweyn feindlich gegenüber. Es kam zur gegenseitigen Zahlung von Kompensationsgeldern (UNSC 13.5.2020, Absatz 33,). In den ersten Monaten des Jahres 2021 kam es an der somaliländisch-puntländischen Grenze im Bereich Shidan (Sanaag) zu Kämpfen zwischen zwei Clans; tausende Menschen waren betroffen (GO 1.4.2021).

Eigentlich steht der Osten der Region Sanaag nicht unter Kontrolle der somaliländischen Regierung. Teile dieser Gebiete werden von den dort lebenden Warsangeli de facto selbst verwaltet

(BFA 8.2017, Sitzung 25/102). Teile der Warsangeli haben sich im Mai 2019 gänzlich auf die Seite Puntlands geschlagen (UNSC 15.8.2019, Absatz 9,). Anfang 2020 hat diese aus Deserteuren bestehende Miliz nach einer Amnestie durch Präsident Bihi die Waffen niedergelegt und wurde in die Armee integriert. Der Anführer des Aufstandes ging ins Exil (UNSC 13.2.2020, Absatz 24,).

Mit einer Clanmiliz namens Xaqdoon, die im April 2020 rebellierte, hat die Regierung bereits im Juni 2020 ein Friedensabkommen geschlossen (PGN 10.2020, Sitzung 4).

Die Grenze zu Puntland ist umstritten (AA 18.4.2021, Sitzung 5), es kommt im Grenzgebiet gelegentlich zu Schusswechseln (ÖB 3.2020, Sitzung 16). Sowohl Somaliland als auch Puntland beanspruchen Sool, Sanaag und Cayn (BS 2020, Sitzung 8). Die Grenzfrage ist das größte Sicherheitsproblem Somalilands (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 37). Im Jahr 2018 kam es zu teils heftigen militärischen Auseinandersetzungen zwischen somaliländischen und puntländischen Truppen (AA 18.4.2021, Sitzung 5), v.a. im Bereich der Ortschaft Tuko Raq (auch: Tukaraq) (BS 2020, Sitzung 34). Noch im gleichen Jahr wurde durch Vermittlung von UN und IGAD ein Waffenstillstand vereinbart (UNSC 13.5.2020, Absatz 12,). Allerdings kam es auch danach noch sporadisch zu Gefechten. - Etwa im November 2018 (ICG 12.7.2019, Sitzung 3). Im April (UNSC 15.5.2019, Absatz 18,) und im Juni 2019 kam es zu Kampfhandlungen zwischen der somaliländischen Armee und einer lokalen Miliz, die möglicherweise von Puntland unterstützt wurde (SLS 12.6.2019; vergleiche UNSC 15.5.2019, Absatz 18 ;, LIFOS 3.7.2019, Sitzung 39). Zuletzt kam es im Feber (UNSC 13.5.2020, Absatz 12,) bzw. Anfang März 2020 (HIPS 2021, Sitzung 10) zu Scharmützeln zwischen Kräften, die zu Somaliland bzw. zu Puntland loyal stehen (UNSC 13.5.2020, Absatz 12,). Für die Zeit nach Feber 2020 konnten in verwendeten Berichten der UN (z.B. UNSC 13.11.2020, UNSC 13.8.2020, UNOHCHR 2.10.2020) keine sicherheitsrelevanten Zwischenfälle für Somaliland gefunden werden.

Der Begriff „Khatumo“ [ehemalige, separatistische Bewegung in Ost-Somaliland] findet in keiner der verwendeten Quellen eine relevante Verwendung. Bei einer Quelle wird erwähnt, dass „Khatumo“ an Schwung verloren habe (BS 2020, S.8). Jedenfalls sind sowohl die Dhulbahante (v.a. Sool) als auch die Warsangeli (v.a. Sanaag) gespalten. Einige Führer wechseln zwischen Somaliland und Puntland – je nachdem, wo es mehr zu holen gibt (ISS 9.12.2019).

Vorfallzahlen: In den somaliländischen Regionen Awdal, Sanaag, Sool, Togdheer und Woqooyi Galbeed lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 3,5 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014, Sitzung 31ff). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2019 insgesamt 11 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „Violence against Civilians“). Bei 8 dieser 11 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2020 waren es 10 derartige Vorfälle (davon 6 mit je einem Toten). Laut ACLED Datenbank entwickelte sich die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in Somaliland folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt):

Quelle: (ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019) (ACLED 2020) (ACLED 2021)

Dabei handelte es sich laut ACLED Datenbank bei folgenden Fällen um „Violence against Civilians“ (es handelt sich hierbei jedoch um keine exakten Zahlen, da ACLED zahlreiche Unschärfen aufweist; auch „normale“ Morde sind inkludiert):

Quelle: (ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019) (ACLED 2020) (ACLED 2021)

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt% 2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_ %28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf, Zugriff 23.4.2021

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Rechtsschutz, Justizwesen

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 21.10.2021

Von einer flächendeckenden effektiven Staatsgewalt kann nicht gesprochen werden (AA 18.4.2021, Sitzung 5).

Im somalischen Kulturraum existieren drei Rechtsquellen: traditionelles Recht (Xeer), islamisches Schariarecht (v. a. für familiäre Angelegenheiten) sowie formelles Recht (SEM 31.5.2017, Sitzung 31; vergleiche BS 2020, Sitzung 16; USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Nach dem Kollaps des Staates im Jahr 1991 kollabierte in weiten Teilen des Landes auch das formelle Recht. Gleichzeitig stieg die Bedeutung von Scharia und Xeer. Die Scharia hat es als Grundlage allen Rechts in die Übergangsverfassung und in die Verfassung von Puntland geschafft (BS 2020, Sitzung 9). Aufgrund des Versagens und der Ineffektivität der formellen staatlichen Justiz sind traditionelles Recht, islamische Rechtsprechung und Gerichte von al Shabaab häufige Quellen für Streitbeilegungen (HIPS 3.2021, Sitzung 13; vergleiche LI 16.6.2021, Sitzung 2).

Die Grundsätze der Gewaltenteilung sind in der Verfassung von 2012 niedergeschrieben. Allerdings ist die Verfassungsrealität eine andere (AA 18.4.2021, Sitzung 7; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 10f). Al Shabaab untergräbt die Rechtsstaatlichkeit durch die Einhebung von Steuern und Durchsetzung von Urteilen eigener Gerichte. Der mangelnde (Rechts-)Schutz durch die Regierung führt dazu, dass sich Staatsbürger der Schutzgelderpressung durch al Shabaab beugen (HI 10.2020, Sitzung 9f). Staatlicher Schutz ist auch im Falle von Clankonflikten von geringer Relevanz, die „Regelung“ wird grundsätzlich den Clans selbst überlassen. Aufgrund der anhaltend schlechten Sicherheitslage sowie mangels Kompetenz der staatlichen Sicherheitskräfte und Justiz muss der staatliche Schutz in Zentral- und Südsomalia als schwach bis nicht gegeben gesehen werden. Staatliche Sicherheitskräfte können und wollen oftmals nicht in Clankonflikte eingreifen. Befinden sich Angehörige eines bestimmten Clans oder von Minderheiten in Gefahr oder sind diese bedroht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Zugang zu effektivem staatlichem Schutz gewährleistet ist (ÖB 3.2020, Sitzung 10). Andererseits ist auch bekannt, dass staatliche Sicherheitskräfte manchmal bei Clankonflikten Partei ergreifen (BS 2020, Sitzung 34).

Formelle Justiz - Kapazität: Generell verfügt die somalische Justiz über eine sehr begrenzte Kapazität (LI 16.6.2021, Sitzung 2). In den vergangenen zehn Jahren haben unterschiedliche Regierungen in Mogadischu und anderen Städten Gerichte auf Bezirksebene errichtet. U.a. gibt es zwei Bezirksgerichte in HirShabelle, sechs im SWS, acht in Jubaland und eines in Galmudug. Sie sind für Straf- und Zivilrechtsfälle zuständig. In Mogadischu gibt es außerdem ein Berufungsgericht und ein Oberstes Gericht (Supreme Court) (BS 2020, Sitzung 16). Generell sind Gerichte aber nur in größeren Städten verfügbar (BS 2020, Sitzung 9). Der Verfassungsgerichtshof ist immer noch nicht eingerichtet worden (HIPS 3.2021, Sitzung 10). Vielen Richtern und Staatsanwälten mangelt es an Qualifikation (BS 2020, Sitzung 17; vergleiche LIFOS 1.7.2019, Sitzung 4). Oft werden diese nicht aufgrund ihrer Qualifikation ernannt (SIDRA 11.2019, Sitzung 5), und ernannte Richter erhielten keine Ausbildung (BS 2020, Sitzung 17). Aufbau, Funktionsweise und Effizienz des Justizsystems entsprechen nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes (AA 18.4.2021, Sitzung 4). Es gibt zwar einen Instanzenzug, aber in der Praxis werden Zeugen eingeschüchtert und Beweismaterial nicht ausreichend herbeigebracht und gewürdigt (AA 18.4.2021, Sitzung 14). Das Justizsystem ist zersplittert und unterbesetzt (FH 3.3.2021a, F1), v.a. außerhalb urbaner Zentren nicht vorhanden. Einige lokale Gerichte sind bei ihrer Rechtsdurchsetzung vom örtlich dominanten Clan abhängig (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Durchgesetzt wird formelles Recht eher noch im urbanen als im ländichen Kontext (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 36).

Formelle Justiz - Qualität und Unabhängigkeit: In der Verfassung ist die Unabhängigkeit der Justiz vorgesehen (BS 2020, Sitzung 9). In den tatsächlich von der Regierung kontrollierten Gebieten sind die Richter einer vielfältigen politischen Einflussnahme durch staatliche Amtsträger ausgesetzt (AA 18.4.2021, Sitzung 7), und nicht immer respektiert die Regierung Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Außerdem sind Urteile von Clan- oder politischen Überlegungen seitens der Richter beeinflusst (BS 2020, Sitzung 16; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 10; FH 3.3.2021a, F2). Die meisten der in der Verfassung vorgesehenen Rechte für ein faires Verfahren werden bei Gericht nicht angewendet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10f). Nationales oder internationales Recht werden bei Fest- oder Ingewahrsamnahme sowie beim Vorgerichtstellen von Tatverdächtigen nur selten eingehalten (AA 18.4.2021, Sitzung 9; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 10f).

Die somalische Justiz ist zudem von Korruption geprägt (LI 16.6.2021, Sitzung 2). Diese behindert den Zugang zu fairen Verfahren (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11; vergleiche FH 3.3.2021a, F1; FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Verfahren dauern sehr lang (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Von Richtern oder Staatsanwälten werden Bestechungsgelder verlangt. Verdächtige und Verurteilte werden gegen Geld, oder weil sie einem bestimmten Clan angehören, auf freien Fuß gesetzt (SIDRA 11.2019, Sitzung 5). Zusätzlich halten sich Staatsbedienstete bzw. Behörden nicht an gerichtliche Anordnungen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11; vergleiche BS 2020, Sitzung 16; FH 3.3.2021a, F1). In anderen Worten ist [Zitat] die somalische Justiz ein Marktplatz, an welchem Gefallen, Einfluss und Geld ausgetauscht werden (Sahan 9.4.2021). Folglich ist das Vertrauen der Menschen in die formelle Justiz gering. Sie wird als teuer, ineffizient und manipulierbar wahrgenommen (BS 2020, Sitzung 16). Insgesamt stehen Zivilisten ernsthaften Mängeln beim Rechtsschutz gegenüber (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Bürger wenden sich aufgrund der Mängel im formellen Justizsystem oft an die traditionelle oder die islamische Rechtsprechung (FH 3.3.2021a, F1).

Formelle Justiz - Militärgerichte: Militärgerichte verhandeln und urteilen weiterhin über Fälle jeglicher Art. Darunter fallen auch zivilrechtliche Fälle, die eigentlich nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen (AA 18.4.2021, Sitzung 8; vergleiche BS 2020, Sitzung 16; vergleiche FH 3.3.2021a, F2), bzw. wo unklar ist, ob diese in ihren Zuständigkeitsbereich fallen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11). Verfahren vor Militärgerichten entsprechen teilweise nicht den international anerkannten Standards für faire Gerichtsverfahren (AA 18.4.2021, Sitzung 8; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 3; HRW 13.1.2021; FH 3.3.2021a, F2). Angeklagten wird nur selten das Recht auf eine Rechtsvertretung oder auf Berufung zugestanden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11).

Traditionelles Recht (Xeer): Das Xeer behandelt Vorbringen von Fall zu Fall und wird von Ältesten implementiert (BS 2020, Sitzung 16). Diese Art der Justiz dient im ganzen Land bei der Vermittlung in Konflikten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Xeer ist insbesondere in jenen ländlichen Gebieten wichtig, wo Verwaltung und Justiz nur schwach oder gar nicht vorhanden sind. Aber auch in den Städten wird Xeer oft zur Konfliktlösung – z.B. bei Streitfragen unter Politikern und Händlern – angewendet (SEM 31.5.2017, Sitzung 34). Zur Anwendung kommt Xeer auch bei anderen Konflikten und bei Kriminalität (BFA 8.2017, Sitzung 100). Es kommt also auch dort zu tragen, wo Polizei und Justizbehörden existieren. In manchen Fällen greift die traditionelle Justiz auf Polizei und Gerichtsbedienstete zurück (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 7), in anderen Fällen behindert der Einsatz des Xeer Polizei und Justiz. Jedenfalls wiegt eine Entscheidung im Xeer schwerer als ein Urteil vor einem formellen Gericht. Im Zweifel zählt die Entscheidung im Xeer (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 4). Frauen werden im Xeer insofern benachteiligt, als sie in diesem System nicht selbst aktiv werden können und auf ein männliches Netzwerk angewiesen sind (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14).

Clanschutz im Xeer: Maßgeblicher Akteur im Xeer ist der Jilib – die sogenannte Diya/Mag/Blutgeld-zahlende Gruppe. Das System ist im gesamten Kulturraum der Somali präsent und bietet – je nach Region, Clan und Status – ein gewisses Maß an (Rechts-)Schutz. Die sozialen und politischen Beziehungen zwischen Jilibs sind durch (mündliche) Xeer-Verträge geregelt. Mag/Diya muss bei Verstößen gegen diesen Vertrag bezahlt werden. Für Straftaten, die ein Gruppenmitglied an einem Mitglied eines anderen Jilib begangen hat – z.B. wenn jemand verletzt oder getötet wurde – sind Kompensationszahlungen (Mag/Diya) vorgesehen (SEM 31.5.2017, Sitzung 8ff). Wenn einer Person etwas passiert, dann wendet sie sich nicht an die Polizei, sondern zuallererst an die eigene Familie und den Clan (FIS 7.8.2020, Sitzung 20). Dies gilt auch bei anderen (Sach-)Schadensfällen. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind – insbesondere bei Kompensationszahlungen. Letztere werden von der ganzen Gruppe des Täters bzw. Verursachers gemeinsam bezahlt (SEM 31.5.2017, Sitzung 8ff).

Der Ausdruck „Clanschutz“ bedeutet in diesem Zusammenhang also traditionell die Möglichkeit einer Einzelperson, vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Sein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Mag/Diya zu zahlen – oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, Sitzung 31). Aufgrund von Allianzen werden auch Minderheiten in das System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, Sitzung 33). Allerdings haben schwächere Clans und Minderheiten oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14). Der Clanschutz funktioniert generell – aber nicht immer – besser als der Schutz durch den Staat oder die Polizei. Darum aktivieren Somalis im Konfliktfall (Verbrechen, Streitigkeit etc.) tendenziell eher Clanmechanismen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt (SEM 31.5.2017, Sitzung 36). Dementsprechend wird etwa ein Tod in erster Linie durch die Zahlung von Blutgeld und nicht durch einen Rachemord ausgeglichen (GIGA 3.7.2018).

Aufgrund der Schwäche bzw. Abwesenheit staatlicher Strukturen in einem großen Teil des von Somalis besiedelten Raums spielen die Clans also auch heute eine wichtige politische, rechtliche und soziale Rolle (SEM 31.5.2017, Sitzung 8; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 10), denn die Konfliktlösungsmechanismen der Clans für Kriminalität und Familienstreitigkeiten sind intakt. Selbst im Falle einer Bedrohung durch al Shabaab kann der Clan einbezogen werden. Bei Kriminalität, die nicht von al Shabaab ausgeht, können Probleme direkt zwischen den Clans gelöst werden (SEM 31.5.2017, Sitzung 35). Die patrilineare Abstammungsgemeinschaft - der Clan - schaltet sich also in Konfliktfällen ein, etwa bei Landkonflikten, Unfällen mit Personenschaden, bei Tötungsdelikten und Vergewaltigungen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 31).

Die Clanzugehörigkeit kann also manche Täter vor einer Tat zurückschrecken lassen, doch hat auch der Clanschutz seine Grenzen. Angehörige nicht-dominanter Clans und Gruppen sind etwa vulnerabler (LI 15.5.2018, Sitzung 3). Außerdem kann z.B. eine Einzelperson ohne Anschluss in Mogadischu nicht von diesem System profitieren (SEM 31.5.2017, Sitzung 35). Problematisch ist zudem, dass im Xeer oft ganze (Sub-)Clans für die Taten Einzelner zur Verantwortung gezogen werden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Trotzdem sind die Mechanismen des Xeer wichtig, da sie nahe an den Menschen wirken und jahrhundertealte, den Menschen bekannte Verfahren und Normen nutzen. Der Entscheidungsprozess ist transparent und inklusiv (UNHRC 6.9.2017, Absatz 60,). Zusammenfassend ist Xeer ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Die traditionell vorgesehenen Kompensationszahlungen decken zahlreiche zivil- und strafrechtliche Bereiche ab und kommen z.B. bei fahrlässiger Tötung, bei Autounfällen mit Personen- oder Sachschaden oder sogar bei Diebstahl zu tragen. Nach der Art des Vorfalles richtet sich auch der zu entrichtende Betrag (SEM 31.5.2017, Sitzung 32).

In einer Dokumentation der Deutschen Welle berichten Clan-Älteste, dass siebzw. Sultans im ganzen Clan Geld sammeln. Bei einem Mordfall müssen z.B. 50.000 US-Dollar gesammelt werden. Die Ältesten telefonieren dann mit Clan-Mitgliedern und diese geben jeweils 5-200 US-Dollar. Die Zahlung ist dabei nicht optional, sondern verpflichtend. Bei einer Verweigerung erfolgt eine Bestrafung. Selbst zum Tode verurteilte Mörder können so gerettet werden. Diese bleiben lediglich so lange in Haft, bis der Clan des Opfers das Geld erhält (DW 3.2021). Diese Art des „Fundraising“ nennt sich Qaraan (Majid 2017, Sitzung 18).

Scharia: Die Gesetzlosigkeit in Süd-/Zentralsomalia führte dazu, dass die Scharia nicht mehr nur in Zivil-, sondern auch in Strafsachen zum Einsatz kommt, da die Bezahlung von Blutgeld manchmal nicht mehr als ausreichend angesehen wird (SEM 31.5.2017, Sitzung 34). Problematisch ist, dass die Scharia von Gerichten an unterschiedlichen Orten auch unterschiedlich interpretiert wird, bzw. dass es mehrere Versionen der Scharia gibt. Schariagerichte werden auch für andere Rechtsdienste herangezogen – sie werden als effizienter, weniger korrupt, schneller und fairer angesehen (BS 2020, Sitzung 16). Frauen können im Rahmen der Scharia effektiver Recht bekommen als im sehr patriarchalen und oft auch intransparenten traditionellen Recht (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 32).

Recht bei al Shabaab: In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten wird das Prinzip der Gewaltenteilung gemäß der theokratischen Ideologie der Gruppe nicht anerkannt (AA 18.4.2021, Sitzung 7). Dort ersetzt islamisches Recht auch Xeer (SEM 31.5.2017, Sitzung 33; ÖB 3.2020, Sitzung 4) bzw. ist Letzteres nach anderen Angaben bei al Shabaab sogar verboten (BS 2020, Sitzung 17); nach anderen Angaben kommt Xeer fallweise zum Einsatz (USDOS 12.5.2021, Sitzung 4). Jedenfalls gibt es dort kein formelles Justizsystem (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11). Der Clanschutz ist in Gebieten unter Kontrolle oder Einfluss von al Shabaab eingeschränkt, aber nicht inexistent. Abhängig von den Umständen können die Clans auch in diesen Regionen Schutz bieten. Es kann den Schutz einer Einzelperson erhöhen, Mitglied eines Mehrheitsclans zu sein (SEM 31.5.2017, Sitzung 33f), es gibt ein gewisses Maß an Verhandlungsspielraum (LI 21.5.2019a, Sitzung 3).

Al Shabaab unterhält in den von ihr kontrollierten Gebieten ständige, von Geistlichen geführte Gerichte, welche ein breites Spektrum an straf- und zivilrechtlichen Fällen abhandeln. Zusätzlich gibt es auch mobile Gerichte (ICG 27.6.2019, Sitzung 4). Es gilt die strikte salafistische Auslegung der Scharia (BS 2020, Sitzung 17). In von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden regelmäßig extreme Körperstrafen verhängt und öffentlich vollstreckt, darunter Auspeitschen oder Stockschläge, Handamputationen für Diebe oder Hinrichtungen für Ehebruch (AA 18.4.2021, Sitzung 13; vergleiche BS 2020, Sitzung 17). Al Shabaab inhaftiert Personen für „Vergehen“ wie Rauchen, Musikhören (USDOS 30.3.2021, Sitzung 7; vergleiche CFR 19.5.2021), den Verkauf von Khat, das Rasieren des Bartes (CFR 19.5.2021), unerlaubte Inhalte auf dem Mobiltelefon; Musikhören, Fußballschauen oder -spielen und das Tragen eines BHs oder das Nicht-Tragen eines Hidschabs (USDOS 30.3.2021, Sitzung 7). Die harsche Interpretation der Scharia wird in erster Linie in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten umgesetzt, dort, wo die Gruppe auch über eine permanente Präsenz verfügt. In anderen Gebieten liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Einhebung von Steuern (LI 20.12.2017, Sitzung 3).

Die Gerichte der al Shabaab werden als gut funktionierend, effektiv, weniger korrupt, schnell und im Vergleich fairer beschrieben (BS 2020, Sitzung 16) – zumindest im Vergleich zur staatlichen Rechtsprechung (FIS 7.8.2020, Sitzung 16). Al Shabaab urteilt oder vermittelt u.a. in Streitigkeiten zwischen Wirtschaftstreibenden (HI 10.2020, Sitzung 7). Obwohl al Shabaab Prozesskosten bzw. Gerichtsgebühren einhebt (HIPS 4.2021, Sitzung 22) bevorzugen viele Menschen ihre Gerichte – selbst Personen aus von der Regierung kontrollierten Gebieten (BS 2020, Sitzung 17) – etwa aus Mogadischu (FIS 7.8.2020, Sitzung 16). Von dort begeben sich Streitparteien extra nach Lower Shabelle, um dort bei al Shabaab Klage einzureichen (FIS 7.8.2020, Sitzung 16; vergleiche LIFOS 1.7.2019, Sitzung 4). Denn der Rechtsprechung durch al Shabaab wird mehr Vertrauen entgegengebracht als jener der staatlichen Justiz (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14). Auch für benachteiligte Gruppen mit keinem oder nur eingeschränktem Zugang zu anderen Rechtssystemen kann die Justiz von al Shabaab anziehend wirken. So sind diese Gerichte für manche Frauen etwa die einzige Möglichkeit, um finanzielle Ansprüche an vormalige Ehemänner oder männliche Verwandte geltend zu machen (UNSC 1.11.2019, Sitzung 14). Gerichte von al Shabaab hören alle Seiten, fällen Urteile und sorgen dafür, dass Urteile auch umgesetzt bzw. eingehalten werden – wo nötig mit Gewalt (FIS 7.8.2020, Sitzung 16). Al Shabaab ist grundsätzlich in der Lage, Gerichtsbeschlüsse auch durchzusetzen (UNSC 1.11.2019, Sitzung 14; vergleiche HI 10.2020, Sitzung 10).

Es gilt das Angebot einer Amnestie für Kämpfer der al Shabaab, welche ihre Waffen ablegen, der Gewalt abschwören und sich zur staatlichen Ordnung bekennen. Für dieseAmnestiemöglichkeit gibt es aber keine rechtliche Grundlage (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Allerdings wird üblicherweise ehemaligen Kämpfern im Austausch für Informationen über al Shabaab eine Amnestie gewährt (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 24).

Puntland: Puntland hat ein eigenes Gerichtswesen geschaffen (BS 2020, Sitzung 16). Abseits der Zivilgerichtsbarkeit gibt es in Puntland Militärgerichte. Deren Personal wird direkt vom Präsidenten aus den Reihen des Militärs ernannt und muss über keine fachliche Ausbildung verfügen. Die Spezialeinheit „Puntland Security Force“ (PSF) ist gemäß Anti-Terrorgesetz mit den Militärgerichten in enger Verbindung. Es kommt an diesen Gerichten – in Zusammenhang mit Prozessen bei Terrorismusverdacht – mitunter zu Verurteilungen unter Verwendung erzwungener Geständnisse. Zuständig sind Militärgerichte in Puntland u.a. im Falle von Spionage, Verrat, Kontakt mit dem Feind und Terrorismus (UNSC 1.11.2019, Sitzung 38/138ff).

Das UNDP unterstützt seit Jahren die universitäre Ausbildung von Juristen in Puntland, um dem Mangel an Personal – Richter, (Staats-)Anwälte – entgegenzutreten (UNDP 7.4.2019).

Zu den weder von der Regierung noch von al Shabaab kontrollierten Gebieten gibt es kaum Informationen. Es ist aber davon auszugehen, dass Rechtsetzung, -Sprechung und Durchsetzung zumeist in den Händen von v.a. Clanältesten liegen. Von einer Gewaltenteilung ist dort nicht auszugehen (AA 18.4.2021, Sitzung 7). Urteile werden hier häufig gemäß Xeer von Ältesten gesprochen. Diese Verfahren betreffen in der Regel nur Rechtsstreitigkeiten innerhalb des Clans. Sind mehrere Clans betroffen, kommt es häufig zu außergerichtlichen Vereinbarungen (Friedensrichter), auch und gerade in Strafsachen. Repressionen gegenüber Familie und Nahestehenden (Sippenhaft) spielen dabei eine wichtige Rolle (AA 18.4.2021, Sitzung 14).


Quellen:

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•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/ local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-sicherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf, Zugriff 3.12.2020

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             CFR - Council on Foreign Relations / Cheatham, A. /Felter, Claire / Laub, Z. (19.5.2021): Backgrounder – Al-Shabab, https://www.cfr.org/backgrounder/al-shabab, Zugriff 14.9.2021

•             DW - Deutsche Welle (3.2021): DW Documentary – Somalia Living with Violence and Terror, verfügbar auf: https://ne-np.facebook.com/aaferroofficial/videos/161693795787317/, Zugriff 27.7.2021

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•             GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

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•             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 – Somalia, https://www.ecoi .net/en/ document/2043509.html, Zugriff 28.1.2021

•             ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www.ecoi.net/ en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf, Zugriff 9.12.2020

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•             LI - Landinfo [Norwegen] (15.5.2018): Somalia: Security challenges in Mogadishu,https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/06/Report-Somalia-Security-challenges-in-M ogadishu-May-2018-1.pdf, Zugriff 10.12.2020

•             LI - Landinfo [Norwegen] (20.12.2017): Somalia: Al-Shabaab utenfor byene i Sør-Somalia, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1515415669_2012.pdf, Zugriff 10.12.2020

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•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             Majid - Majid, Nisar / Abdirahman, Khalif / Hassan, Shamsa (2017): Remittances and Vulnerability in Somalia. Assessing Sources, Uses and Delivery Mechanisms, http://docu ments1.worldbank.org/ curated/en/633401530870281332/pdf/Remittances-and-Vulnerability-in-Somalia-Resubmission.pdf, Zugriff 22.7.2021

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•             UNDP - UN Development Programme (7.4.2019): Sixth group of UNDP sponsored law students graduate from Puntland State University, http://www.so.undp.org/content/somalia/en/home/presscenter/press releases/2019/sixth-group-of-undp-sponsored-law-studentsgraduate-from-puntlan.html, Zugriff 10.12.2020

•             UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1422745/1930_151 6796959_g1726077.pdf , Zugriff 10.12.2020

•             UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https: //www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf, Zugriff 22.1.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/05/240282-SOMALIA-2020-INTERNATIONAL -RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 21.6.2021

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT. pdf, Zugriff 6.4.2021

Somaliland

Letzte Änderung: 08.07.2021

Insgesamt ist es Somaliland gelungen, ein staatliches Gewaltmonopol zu etablieren. Dieses bleibt allerdings in den Grenzregionen zu Puntland umstritten (BS 2020, Sitzung 8). Zudem mangelt es teils an der Durchsetzung von Gerichtsurteilen durch die Polizei (SDG 2.2019, Sitzung 11). Es besteht ein einigermaßen funktionierendes Behördennetz (ÖB 3.2020, Sitzung 18). Eine grundlegende Rechtsstaatlichkeit konnte etabliert werden. Polizei, Justiz und andere Regierungsinstitutionen arbeiten ausreichend gut. In entlegenen Gebieten vertreten lokale Behörden (meist Älteste) die Rechtsordnung. Dort sind Frauen- und Minderheitenrechte häufig nur unzureichend geschützt (BS 2020, Sitzung 19).

In Somaliland wurde ein unabhängiges und in vier Ebenen hierarchisch strukturiertes Gerichtssystem aufgebaut. Dieses besteht aus dem Supreme Court, regionalen Berufungsgerichten, Regional- und Bezirksgerichten. Die rechtliche Infrastruktur und das Gerichtssystem decken fast alle urbanen Zentren ab (BS 2020, Sitzung 17). Gerichte funktionieren, allerdings gibt es Kapazitätsprobleme. Es fehlt an ausgebildeten Richtern sowie an einer nachvollziehbaren Rechtsdokumentation (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10; vergleiche BS 2020, Sitzung 17; FH 3.3.2021b, F1; SDG 2.2019, Sitzung 3f). UNODC und andere UN-Agenturen unterstützen Verbesserungen im Justizsystem und bei Haftbedingungen (ÖB 3.2020, Sitzung 17). Internationale Hilfe ist auch in Gerichte investiert worden (BS 2020, Sitzung 17; vergleiche SDG 2.2019, Sitzung 3f). Dadurch hat sich die Zahl an Richtern und Richterinnen im Zeitraum 2011-2018 auf 186 mehr als verdoppelt. Es gibt auch immer mehr adäquat ausgebildete Anwälte, NGOs bieten Rechtshilfe an. In jeder Region gibt es sogenannte Mobile Courts (SDG 2.2019, Sitzung 3f). Mit diesen konnte der Zugang zur formellen Justiz weiter verbessert werden (BS 2020, Sitzung 17). Bei der Reformierung des Justizsystems hat es zumindst einige Fortschritte gegeben (FH 3.3.2021b, F1).

Die Grundsätze der Gewaltenteilung sind in der Verfassung niedergeschrieben. Diese Gewaltenteilung wird auch weitgehend eingehalten (AA18.4.2021, Sitzung 7; vergleiche BS 2020, Sitzung 15).Allerdings werden Richter oft auf Basis ihrer politischen oder Clanzugehörigkeit ernannt. Der Justiz mangelt es folglich an Unabhängigkeit (BS 2020, Sitzung 17; vergleiche FH 3.3.2021b, F1). Speziell bei Verfahren gegen Journalisten ist politische Einflussnahme durch staatliche Amtsträger verbreitet. Es gibt

Vorwürfe hinsichtlich Korruption im Justizsystem, und es kommt zu Einflussnahme (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Das UNDP hat diesbezüglich einige Probleme aufgezeigt. Verhaltensregeln und Fortbildung haben zu Verbesserungen geführt (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 35f).

Im Strafrecht sind rechtsstaatliche Grundsätze ansatzweise zu beobachten. Dazu gehört das Bemühen, eine diskriminierende Strafverfolgung und Strafzumessung möglichst zu vermeiden (AA18.4.2021, Sitzung 14). Vor somaliländischen Gerichten gilt generell die Unschuldsvermutung, das Recht auf ein öffentliches Verfahren und das Recht auf eine Rechtsvertretung. Verteidiger dürfen Zeugen befragen und einberufen sowie gegen Urteile Berufung einlegen. Für Angeklagte, die einer schweren Straftat bezichtigt werden, gibt es eine kostenlose Rechtsvertretung. Außerdem gibt es im Land eine funktionierende Legal Aid Clinic (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11). Diese ist an der Universität von Hargeysa angesiedelt und wird u.a. von der EU unterstützt. Menschen, die es sich sonst nicht leisten können, erhalten dort Rechtsberatung und Rechtsvertretung (OXFAM o.D.b).

Insgesamt werden die Verfahrensrechte in Somaliland eher eingehalten als in anderen Landesteilen (AA 18.4.2021, Sitzung 14). Allerdings kommt es oft zu langen Verzögerungen (FH 3.3.2021b, F2). Außerdem gibt es auch in Somaliland Militärgerichte, deren Verfahren unzureichend sind, und wo grundlegende Standards eines fairen zivilrechtlichen Strafverfahrens ignoriert werden (AA 18.4.2021, Sitzung 8).

Neben dem formellen Recht kommen in Somaliland auch traditionelles Recht (Xeer) und die Scharia zum Einsatz (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10; vergleiche BS 2020, Sitzung 9f/17; FH 3.3.2021b, F2). Die drei Rechtsformen sind nicht gut integriert (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10) und widersprechen sich manchmal gegenseitig (SDG 2.2019, Sitzung 6). Die Scharia wird in erster Linie in Familienangelegenheiten herangezogen, islamische Gerichte werden aber aufgrund der schnellen Entscheidungen auch bei Wirtschaftstreibenden zunehmend populär (BS 2020, Sitzung 9f).

Oft richtet sich der Bürger zuerst an seinen Clan. Selbst bei einem Mord wird vorerst im traditionellen Rechtssystem Blutgeld verhandelt; kommt es dort zu keiner Lösung, wendet man sich an Gerichte (BFA 8.2017, Sitzung 100). Dabei hat Somaliland das Xeer und die damit verbundenen Kompensationszahlungen in sein Rechtssystem insofern integriert, um eine Eskalation bis hin zum Rachemord zu vermeiden. Clans beschließen weiterhin Xeer-Abkommen, der Staat übernimmt aber die Rolle der Bestrafung bei Nichteinhaltung der Vertragsbedingungen. Zum Beispiel werden Täter so lange eingesperrt, bis die Kompensationszahlung erfolgt ist. Bei zu lang andauernder Nichtzahlung kann es auch zur Vollstreckung von Exekutionen kommen (GIGA 3.7.2018). Gerichte anerkennen Xeer-Entscheide (SEM 31.5.2017, Sitzung 34).

Die Macht des Staates reicht nicht bis an die beanspruchte Ostgrenze (BS 2020, Sitzung 8). In den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten werden Urteile häufig nach traditionellem Recht von Clanältesten gesprochen. Bei Sachverhalten, die mehrere Clans betreffen, kommt es häufig zu außergerichtlichen Vereinbarungen (Friedensrichter), auch und gerade in Strafsachen.

Repressionen gegenüber Familie und Nahestehenden („Sippenhaft“) spielen dabei eine wichtige Rolle (AA 18.4.2021, Sitzung 14).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rtiges_Amt %2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_ %28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-sicherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf, Zugriff 3.12.2020

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FH - Freedom House (3.3.2021b): Freedom in the World 2021 – Somaliland, https://free domhouse.org/ country/somaliland/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www. ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             OXFAM (o.D.b): Striving for access to justice in Somaliland, https://heca.oxfam.org/latest/ stories/striving-access-justice-somaliland, Zugriff 27.1.2021

•             SDG - SDG16+ Coalition (2.2019): Improving Access to Justice in Somaliland, https://www.kpsrl.org/ sites/default/files/2019-02/Report-Improving-access-to-justice-in-Somali land-25012019-2.pdf, Zugriff 11.12.2020

•             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA -2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT .pdf, Zugriff 6.4.2021

Sicherheitsbehörden

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Ausländische Kräfte

Letzte Änderung: 21.10.2021

Die African Union Mission in Somalia (AMISOM) ist seit 2007 in Somalia stationiert (EU o.D.). Das prinzipielle Mandat von AMISOM ist es, die durch al Shabaab und andere Rebellengruppen gegebenen Bedrohungen zu reduzieren und Stabilisierungsanstrengungen zu unterstützen. Das hat AMISOM zu einem gewissen Maß auch geschafft (ISS 28.2.2019). Sie gilt als mächtigster Gegner der al Shabaab (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 6). Die Truppe trägt einerseits seit Jahren die Führung im Kampf gegen al Shabaab und andererseits schützt sie die Bundesregierung (BBC 18.1.2021), die in großem Maße von den Kräften der AMISOM abhängig ist (BS 2020, Sitzung 6/13; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 8, BBC 18.1.2021). AMISOM ist ein beispielgebender Fall internationaler Kooperation bei einer militärischen Intervention. Afrikanische Länder stellen die Truppen, während die EU und andere für die Finanzierung aufkommen. Die UN wiederum sind für Ausrüstung und Logistik verantwortlich. Einzelne Länder, wie etwa die USA und Großbritannien, gewährleisten zusätzliche Unterstützung bei finanziellen Ressourcen, Logistik und Ausbildung (BS 2020, Sitzung 39).

Die UN haben im März 2021 das Mandat von AMISOM mit 19.626 Mann uniformiertem Personal verlängert (UNSC 12.3.2021). Im Dezember 2018 gab es noch ca. 21.600 uniformiertes AMISOM-Personal (UNSC 21.12.2018, Sitzung 9). AMISOM hat eine militärische, eine polizeiliche und eine zivile Komponente. Truppenstellerstaaten für die militärische Komponente sind gegenwärtig Uganda, Burundi, Dschibuti, Kenia und Äthiopien (AMISOM 2021a). Die Stärke beträgt seit Feber 2020: Äthiopien: 3.902; Burundi: 3.715; Dschibuti: 1.691; Kenia: 3.654; Uganda: 5.448; Hauptquartier: 111. Seit Ende 2020 verfügt AMISOM über eine zusätzliche Luftkomponente von vier Hubschraubern, die von Uganda gestellt werden. Diese dienen v.a. für Verbindung, Versorgung und medizinische Notfälle (BMLV 2.3.2021). UNSOS hat die Stationierung der Hubschrauber in Bali Doogle unterstützt (UNSC 13.11.2020, Absatz 76,). Auch private Firmen sind mit Hubschraubern dabei. Ob diese künftig auch in einer Kampfrolle eingesetzt werden, ist unklar (IP 4.2.2021). Insgesamt verfügt AMISOM über sieben militärische Luftfahrzeuge, zwölf wären autorisiert (UNSC 17.2.2021, Absatz 78,).

Hinsichtlich des Exit-Plans für AMISOM, der einen Abzug der Truppe eigentlich für Dezember 2021 vorgesehen hätte (ISS 28.2.2019), gibt es Rückschläge - v.a. in Zusammenhang mit den negativen Effekten der Streitigkeiten rund um die Wahl 2021 sowie jenen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten. Zudem leidet AMISOM an den Spannungen zwischen der somalischen Bundesregierung und Kenia sowie am Konflikt in Äthiopien. Befürchtet wird z.B., dass Kenia Truppenteile aus AMISOM abzieht (ISS 15.12.2020). Gegenwärtig ist ein Abzug für 2023 vorgesehen (HIPS 4.2021, Sitzung 13). Jedenfalls hat ein Bericht der Afrikanischen Union dargelegt, dass die aktuelle Konfiguration von AMISOM der aktuellen Bedrohung durch al Shabaab nicht gerecht wird (IP 27.7.2021). Der Peace and Security Council der Afrikanischen Union (AU) hat dementsprechend am 7.10.2021 beschlossen, dass AMISOM durch eine multi-dimensionale bzw. hybride Mission von AU und UN ersetzt werden soll (AU 7.10.2021; vergleiche VOA 11.10.2021). Diese neue Mission soll nicht nur auf Sicherheit und Stabilisierung abzielen, sondern auch eine starke zivile (politische) Komponente umfassen (AU 7.10.2021) und tunlichst schon 2022 umgesetzt werden. Ob die UN dem zustimmt, bleibt abzuwarten (VOA 11.10.2021).

AMISOM wird maßgeblich von der EU finanziert (ÖB 3.2020, Sitzung 7). Mehr als 2,1 Mrd. Euro wurden bisher von der Europäischen Kommission fürAMISOM ausgegeben. Die EU beteiligt sich am Sold von Soldaten, finanziert das Gehalt von AMISOM-Polizisten und zivilen Angestellten sowie die Infrastruktur (EU o.D.). UNSOS unterstützt AMISOM logistisch, z.B. mit mehr als tausend Flugstunden pro Monat, um AMISOM-Stützpunkte zu versorgen (UNSC 13.5.2020, Absatz 78 f,). Die Ausbildung für AMISOM erfolgt laufend auch im Rahmen der Einsatzvorbereitung in den Herkunftsländern und in Somalia, maßgeblich durch Großbritannien, die USA, Frankreich und die EU. In manchen Gebieten kooperiert AMISOM eng mit lokalen Milizen oder anderen Kräften (BMLV 2.3.2021).

Im Land befindet sich auch eine mehrere hundert Mann starke AMISOM-Polizeikomponente unterschiedlicher afrikanischer Teilnehmerstaaten (Uganda, Nigeria, Ghana, Sierra Leone, Kenia und Sambia). Zumindest drei sogenannte Formed Police Units wurden aus Nigeria, Uganda und Sierra Leone entsendet (AMISOM 2021b). Mit der Reduktion des militärischen Teils von AMISOM wurde die Polizeikomponente verstärkt (ISS 28.2.2019).

Neben den fünf Armeen der AMISOM-Truppenstellerstaaten sind in Somalia noch Militärberater aus zahlreichen anderen Staaten aktiv (BBC 18.1.2021). Zur Zahl der bilateral auf somalischem Territorium operierenden äthiopischen Truppen gibt es unterschiedlichste Angaben. Denn Äthiopien hat auch diese Truppenteile mit dem grünen Barett von AMISOM ausgestattet (BMLV 25.2.2021). Eine Quelle berichtet von bis zu 15.000 bilateral eingesetzten äthiopischen Truppen (PGN 2.2021, Sitzung 5). Eine andere Quelle berichtet von vermutlich drei (teils verstärkten) Bataillonen und insgesamt geschätzten 2.200-2.800 Mann in Gedo, Hiiraan und Galmudug (BMLV 2.3.2021). Generell hat Äthiopien kein Problem damit, bilateral eingesetzte Truppen zu verschieben oder abzuziehen (BFA 8.2017, Sitzung 17f). Dies ist aufgrund des inneren Konflikts in Äthiopien Ende 2020 dann auch geschehen, das Land hat bis zu 3.000 bilateral in Somalia eingesetzte Truppen abgezogen (ISS 15.12.2020; vergleiche PGN 2.2021, Sitzung 5). Bereits abgezogene äthiopische Truppen wurden zumindest an der Grenze durch Liyu Police aus dem äthiopischen Somali Regional State ersetzt (BMLV 2.3.2021).

Nach der Räumung der Stützpunkte in Buusaar und Faafax Dhuun (Süd-Gedo) Anfang 2020 befinden sich vermutlich keine bilateralen Truppen Kenias mehr in Somalia (BMLV 2.3.2021).

Die USA führen in Somalia eigene Angriffe durch, um führende Mitglieder der al Shabaab gefangenzunehmen oder zu töten (BS 2020, Sitzung 40). Zudem haben die USA die Eliteeinheit Danaab ausgebildet und unterstützen diese bei Einsätzen (BBC 18.1.2021; vergleiche HIPS 2021, Sitzung 28). Damit wurden Anti-Terrorismus-Kapazitäten geschaffen. Außerdem haben die USA auch Teile regionaler Kräfte ausgebildet (BS 2020, S.40; vergleiche ISS 15.12.2020). Schließlich unterstützen die USA auch maßgeblich AMISOM (ISS 15.12.2020) und haben insgesamt entscheidend zur Beschneidung der Kapazitäten von al Shabaab beigetragen (HIPS 2021, Sitzung 28). Mitte Jänner 2021 gaben die USA bekannt, dass der Abzug der Bodentruppen aus Somalia abgeschlossen ist; Luftschläge werden aber weiterhin geflogen (PGN 2.2021, Sitzung 12f; vergleiche IP 3.2.2021).

Quellen:

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/ local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             AMISOM (2021a): AMISOM Military Component, https://amisom-au.org/mission-profile/military-component/, Zugriff 8.2.2021

•             AMISOM (2021b): AMISOM Police, https://amisom-au.org/mission-profile/amisom-police/, Zugriff 8.2.2021

•             AU - Afrikanische Union (7.10.2021): Communique of the 1037th meeting of the PSC held on 7 October 2021 on the Situation in Somalia and the status of the consultations on the Independent Assessment Report on AU Mission in Somalia (AMISOM) Post-2021, https://www.peaceau.org/uploads/eng-psc-communique-1037th-meeting-on-somalia-ami som.pdf, Zugriff 11.10.2021

•             BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc. com/news/world-africa-55677077, Zugriff 3.2.2021

•             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-sicherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf, Zugriff 3.12.2020

•             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (2.3.2021): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation

•             BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             EU - Europäische Union / TheAfrica-EU Partnership (o.D.): Projects -African Union Mission in Somalia (AMISOM), https://africa-eu-partnership.org/en/projects/african-union-missionsomalia-amisom , Zugriff 8.2.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (4.2021): Structural Impediments To Reviving Somalia’s Security Forces, https://heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2021/04/Structural-Impediments-to-Security-English-version-April-17-Final-.pdf, Zugriff 26.7.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf, Zugriff 12.2.2021

•             IP - Indigo Publications (27.7.2021): Africa Intelligence – AMISOM’s future looks bleak, mit Zugangsberechtigung verfügbar auf: https://www.africaintelligence.com/archives, Zugriff 27.7.2021

•             IP - Indigo Publications (4.2.2021): Africa Intelligence – Kampala Executive Aviation running flights for UPDF in Mogadishu, mit Zugangsberechtigung verfügbar auf: https://www. africaintelligence.com/archives, Zugriff 12.2.2021

•             IP - Indigo Publications (3.2.2021): Africa Intelligence – GI’s are out of Somalia, but US Air Force keeps the Horn under surveillance, mit Zugangsberechtigung verfügbar auf: https://www.africaintelligence.com/ archives, Zugriff 12.2.2021

•             ISS - Institute for Security Studies (15.12.2020): Regional conflicts add to Somalia’s security concerns, https://issafrica.org/iss-today/regional-conflicts-add-to-somalias-security-concerns, Zugriff 3.2.2021

•             ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): römisch eins s this the right time to downsize AMISOM?, https://issafrica.org/iss-today/is-this-the-right-ti me-to-downsize-amisom, Zugriff 8.2.2021

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             PGN - Political Geography Now (2.2021): Somalia Control Map & Timeline - February 2021, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2021/02/somalia-control-map-2021.html

•             UNSC - UN Security Council (12.3.2021): Security Council Reauthorizes African Union Mission in Somalia, Unanimously Adopting Resolution 2568 (2021), https://www.un.org/p ress/en/2021/sc14467.doc.htm , Zugriff 15.3.2021

•             UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf, Zugriff 2.3.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             UNSC - UN Security Council (29.5.2020): Resolution 2520 (2020), http://unscr.com/en/resolutions/ doc/2520, Zugriff 8.2.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf, Zugriff 13.10.2020

•             UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1456824/1226_1548256199_n1846028.pdf, Zugriff 8.2.2021

•             VOA - Voice of America / Maruf, Harun (11.10.2021): AU Endorses Joint Mission with UN for Somalia, https://www.voanews.com/a/au-endorses-joint-mission-with-un-for-somalia/6266127.html, Zugriff 12.10.2021


Somalische Kräfte

Letzte Änderung: 21.10.2021

Der Sicherheitssektor ist sehr relevant, 80 % der öffentlichen Stellen befinden sich in diesem Bereich, zwei Drittel der Staatsausgaben (AA18.4.2021, Sitzung 8) - nach anderenAngaben jedenfalls mehr als die Hälfte (HIPS 4.2021, Sitzung 20) fließen dorthin. Der Sektor ist nach wie vor eine Mischung aus formellen und informellen Institutionen und Akteuren, welche von innerstaatlichen und externen Kräften finanziert werden. De facto gibt es auch kaum einen Unterschied zwischen polizeilichen und militärischen Kräften, Ausrüstung und Auftrag sind oftmals identisch (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 5). Die Gesamtzahl der Sicherheitskräfte wird mit ca. 40.000 angegeben (HIPS 4.2021, Sitzung 28).

Milliarden an US-Dollar sind in den vergangenen Jahren in die Ausbildung und Ausrüstung von tausenden Soldaten, Polizisten und Geheimdienstmitarbeitern investiert worden. Trotzdem sind die Sicherheitskräfte Somalias auch nach 15 Jahren immer noch schwach, stark zersplittert und sie werden zunehmend für politische Zwecke eingesetzt. Sowohl die Bundesregierung als auch die Regierungen der Bundesstaaten stellen ihr eigenes Überleben („regime security“) über die nationale Sicherheit - und auch über die Rechtsstaatlichkeit. Anstatt al Shabaab zu bekämpfen und die Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen, werden unterschiedliche Sicherheitskräfte dazu missbraucht, die Interessen der Regierenden Elite durchzusetzen. Dies vertieft das Misstrauen vieler Somalis und auch internationaler Partner in die Sicherheitskräfte (HIPS 4.2021, Sitzung 4/8). Die Zusammenarbeit zwischen Armee und AMISOM hängt in großem Maße von der Sympathie zwischen einzelnen Führungskräften ab (Sahan 14.7.2021). Zusätzlich ist die militärische Organisation Somalias stark zersplittert, es gibt kein zentrales Kommando (HIPS 3.2021, Sitzung 16), keine gemeinsame Doktrin, und es mangelt an Ressourcen (IP 27.7.2021). Die Bundesstaaten haben ihre eigenen Sicherheitsapparate, und auch einzelne Politiker, Unternehmen und Hilfsorganisationen haben eigenes Sicherheitspersonal. Die mangelnde Koordination von Aktivitäten und Operationen des Sicherheitsapparats trägt dazu bei, dass der Kampf gegen Al Shabaab wirkungslos wird (HIPS 3.2021, Sitzung 16).

Somalische Sicherheitskräfte sind auch weiterhin nicht in der Lage, ohne internationale Unterstützung für die Sicherheit im Land zu garantieren (IP 27.7.2021; vergleiche TDP 12.2.2020). Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen (BS 2020, Sitzung 6; vergleiche HI 10.2020, Sitzung 1), sie ist nach wie vor auf den Schutz durch AMISOM angewiesen (BS 2020, Sitzung 6; vergleiche BBC 18.1.2021). Der Mangel an politischer Versöhnung behindert die Formierung professioneller Sicherheitskräfte (HIPS 4.2021, Sitzung 9). Die Loyalität der Sicherheitskräfte liegt eher bei den Clans bzw. der patrilinearen Abstammungsgruppe als beim Staat (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29). Es mangelt an Ausrüstung, Mannschaften und Ausbildung (FP 22.9.2021). Zudem sind sie von al Shabaab unterwandert (GO 25.3.2021; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 12; BMLV 25.2.2021). Eine ausschließlich auf Initiative von und durch die SNA durchgeführte Offensive in Middle Shabelle im Mai und Juni 2021 hat bewiesen, dass die Armee zu derartigen Einsätzen kaum in der Lage ist. Die Operation endete unter großen Verlusten im Fiasko (Sahan 14.7.2021).

Zivile Kontrolle: Es mangelt an effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1) bzw. entziehen sich Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte oftmals der zivilen Kontrolle. Dies gilt insbesondere für die National Intelligence and Security Agency (NISA). Gleichzeitig bekennt sich die Regierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen (AA 18.4.2021, Sitzung 8f/20). Die justizielle Verantwortlichkeit einzelner Mitglieder der Sicherheitsorgane ist zumeist schwach bis inexistent (AA 18.4.2021, Sitzung 8). Denn auch wenn manchen Angehörigen der Sicherheitskräfte vor Militärgerichten der Prozess gemacht wird, bleibt Straflosigkeit die Norm (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2). Da die Sicherheitskräfte gegenüber der Zivilbevölkerung oft auch als Gewalt- und nicht als Sicherheitsakteure auftreten, genießen sie einen schlechten Ruf (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29).

Polizei: Die nationale Polizei untersteht dem Ministerium für Innere Sicherheit (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1).

Die genaue Größe der somalischen Polizei ist unbekannt. AMISOM hat alleine im Zeitraum 20092015 an die 5.000 Polizisten ausgebildet. Laut offiziellen Angaben stehen 11.000 Polizisten auf der Gehaltsliste des dafür zuständigen Ministeriums für innere Sicherheit. Die große Mehrheit dieser Polizisten versieht ihren Dienst in Mogadischu und Umgebung. Jeder Bundesstaat hat seine eigenen Polizeikräfte (HIPS 4.2021, Sitzung 7). Weitere verfügbare Zahlen hierzu [inkl. Polizei einzelner Bundesstaaten]:

•             Benadir/Mogadischu: Zum Stand 8.000-9.000 Mann vom September 2019 gibt es keine neuen Informationen (BMLV 2.3.2021).

•             Galmudug: mindestens 700; diese wurden laut UN in Menschenrechten und Polizeiarbeit unterrichtet (UNSC 17.2.2021, Absatz 69,).

•             HirShabelle: rund 600 Mann (UNSC 13.2.2020, Absatz 71 ;, vergleiche UNSC 13.5.2020, Absatz 68,).

•             Jubaland: Zum Stand vomAugust 2017 - 500-600 Mann - gibt es keine neuen Erkenntnisse (BMLV 2.3.2021).

•             South West State: Stand August 2017 gab es 600-700 Polizisten (BFA 8.2017, Sitzung 12). Ende 2019 traten 400 neue Polizisten ihren Dienst an – u.a. in neu eroberten Gebieten von Lower Shabelle (UNSC 13.2.2020, Absatz 71,).

Im Bereich der Polizeiausbildung bestehen Trainingsschulen von AMISOM und UNSOM, bilaterale Initiativen (v.a. zur Ausbildung von Polizeikräften in Mogadischu), Unterstützung durch UNDP und UNODC sowie IOM (ÖB 3.2020, Sitzung 8). Auch die USA unterstützen die Ausbildung – maßgeblich mit dem Einsatz von Privatfirmen; so unterstützt die Firma Engility die somalische Kriminalpolizei (IP 13.3.2020). AMISOM betreut über 3.200 somalische Polizisten an 31 Polizeistationen (AMISOM 7.8.2019, Sitzung 4). AMISOM hat bereits mehr als 4.000 somalische Polizisten in unterschiedlichen Bereichen ausgebildet (AMISOM 2021b). So bildet AMISOM etwa in Baidoa Polizisten aus und unterstützt diese auch beim Einsatz (RD 22.2.2021). Generell tragen auch die UN auf regionaler und nationaler Ebene zur Aus- bzw. Weiterbildung von Polizisten bei (UNSC 13.11.2020, Absatz 64 f, f,). So lassen etwa UNSOM und UNFPA einigen somalischen Polizisten hinsichtlich des Umgangs mit Fällen sexueller Gewalt eine angemessene Ausbildung zukommen (UNSC 13.11.2020, Absatz 49,); auch AMISOM ist in diesem Bereich tätig (AMISOM 11.6.2021; vergleiche AMISOM 28.5.2021). Die Polizei in Kismayo wurde ebenfalls von AMISOM und UN ausgebildet (BMLV 25.2.2021).

Die Türkei hat eine Spezialeinheit der Polizei ausgebildet und ausgerüstet. Ihr Name ist Haramcad (Gepard). Diese Einheit wird allgemein als fähig erachtet, wird allerdings von der Regierung v.a. eingesetzt, um interne Gegner auf Linie zu bringen (HIPS 2021, Sitzung 28). Im März 2021 lieferte die Türkei gepanzerte Fahrzeuge für die Haramcad (SG 22.3.2021).

Die Bezahlung erfolgt meist nur unregelmäßig, dies fördert die Korruption (AA 18.4.2021, Sitzung 8; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 20). Im Fall einer kriminalitätsbedingten Notlage fehlen weitgehend funktionierende staatliche Stellen, die Hilfe leisten könnten. Die Polizei verfügt zwar über einige Kapazitäten, hat aber auch Probleme, sich an den Menschenrechten zu orientieren. Dass die Bevölkerung die Polizei nicht unbedingt als eine Kraft erachtet, welche sie schützt, scheint sich in manchen größeren Städten langsam zu ändern. Dort wurden Polizeikräfte lokal – und die lokale Clandynamik berücksichtigend – rekrutiert. Das hat zu Verbesserungen geführt. Dies betrifft etwa Kismayo, Jowhar oder Belet Weyne (BMLV 2.3.2021).

Armee: Das Verteidigungsministerium ist für die Kontrolle der Armee verantwortlich (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1). Der Bundesarmee kam und kommt beachtliche internationale Unterstützung zugute (BS 2020, Sitzung 6). Es wurde versucht, diverse Milizen zu einer Armee unter Führung der Bundesregierung zu fusionieren (Reuters 19.2.2021). Allerdings ist es nicht gelungen, eine vereinte Bundesarmee zu schaffen. Vor zehn Jahren hieß es noch, dass, wenn AMISOM abzieht, al Shabaab binnen einer Stunde Mogadischu einnehmen wird; nun heißt es, al Shabaab würde dafür zwölf Stunden brauchen (BBC 18.1.2021). Denn die Loyalität von Truppen zu einzelnen Kommandanten und Clans bleibt stark (Reuters 19.2.2021; vergleiche ICG 27.6.2019, Sitzung 4). Soldaten werden durch Nepotismus aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit befördert und/oder um ihre Loyalität zu erlangen. Dies zerstört die Moral der Sicherheitskräfte und lenkt ihrer Loyalität in Richtung der Clans (HIPS 4.2021, Sitzung 4/28). Der chronische Nepotismus in der Bundesarmee wirkt sich hinsichtlich der Moral der Soldaten verheerend aus (HIPS 4.2021, Sitzung 14).

Dementsprechend können sowohl Regierung als auch Opposition jederzeit Truppen ins Feld stellen. Laut einer Quelle zeigt die Armee sogar Auflösungserscheinungen (Reuters 19.2.2021). Gerade im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen Präsident Farmaajo und der Opposition im Frühjahr 2021 haben sich diese Auflösungstendenzen verstärkt. Die Sicherheitskräfte und die Armee hatten sich entlang von Clanlinien fragmentiert (TNH 20.5.2021; vergleiche Sahan 15.4.2021a; Sahan 4.5.2021). Einige Einheiten sind zur von Hawiye dominierten Opposition übergelaufen (TNH 20.5.2021). Selbst einige Soldaten der Eliteeinheiten Gorgor und Haramcad hatten ihre Einheiten verlassen und sich in die Hochburgen ihrer eigenen Clans zurückgezogen (Sahan 14.4.2021; vergleiche ICG 16.4.2021).

Zudem nehmen einige Kommandanten Bestechungsgelder und kooperieren mit al Shabaab – mit ein Grund für die mangelnden Fortschritte im Kampf gegen die Gruppe (Sahan 3.3.2021). Obwohl es eigene Militärgerichte gibt, bleiben Vergehen durch Armeeangehörige häufig ungeahndet (AA 18.4.2021, Sitzung 14).

Besoldung: Soldaten verdienen etwa 100 US-Dollar im Monat (FIS 7.8.2020, Sitzung 22). Es kommt vor, dass Soldaten nur sehr unregelmäßig bezahlt werden, dies fördert die Korruption. Diese, sowie Misswirtschaft und finanzielle Einschränkungen beeinträchtigen die Wirksamkeit der Armee (AA 18.4.2021, Sitzung 8). Die Einführung der biometrischen Registrierung aller Soldaten der Bundesarmee hat die davor bestehende Korruption eingeschränkt aber nicht eliminiert (HIPS 4.2021, Sitzung 15). Generell erfolgt nunmehr die (elektronische) Bezahlung der Soldaten viel regelmäßiger, doch selbst hier kommt es mitunter zu Verzögerungen (HIPS 2020, Sitzung 12; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 20, BMLV 2.3.2021). Die Spezialeinheit Danab wird und wurde von den USA finanziert und regelmäßig bezahlt (BMLV 2.3.2021).

Unterfinanzierung ist ein akutes Problem - vor allem hinsichtlich der Fähigkeit, neue Truppen zu rekrutieren, auszubilden und auszurüsten (HIPS 4.2021, Sitzung 20). Folglich mangelt es der Armee an Ausbildung und Ausrüstung, Korruption ist verbreitet (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 22). Im vergangenen Jahrzehnt hat die Armee von zahlreichen Akteuren Unterstützung bei Ausrüstung, Ausbildung und Logistik erhalten, namentlich von Burundi, Dschibuti, Äthiopien, Italien, Kenia, dem Sudan, der Türkei, den VAE, Uganda, Großbritannien, den USA, der AU, der EU und den UN (Williams 2019, Sitzung 2ff). Selbst in Eritrea wurden Soldaten ausgebildet (BMLV 25.2.2021). Die Türkei hat dabei am meisten Soldaten ausgebildet - und auch ausgerüstet. Die vielen externen Akteure, welche sich am Aufbau somalischer Sicherheitskräfte beteiligen, arbeiten notorisch unkoordiniert, und einige Akteure – etwa Kenia und Äthiopien – verfolgen dabei nationale Interessen (HIPS 4.2021, Sitzung 24ff). Insgesamt wurden zigtausende Soldaten ausgebildet (Williams 2019, Sitzung 2ff). Außerdem hat Somalia alleine in den Jahren 2013-2015 17.500 Waffen von außen erhalten. Trotzdem stellte sich im Jahr 2017 heraus, dass nur 70 % der Soldaten überhaupt eine Waffe besitzen (Williams 2019, Sitzung 22).

Die EU und die USA unterstützen weiterhin somalische Sicherheitskräfte, u.a. auch mit Ausbildung (BS 2020, Sitzung 40). Aus den USA sind einige Sicherheitsfirmen (z.B. Sincerus Global Solutions, Halcyon Group International, Barbaricum, People Technologies & Processes, Bancroft Global Development Group) in Somalia engagiert. Sie werden als Berater oder in der Ausbildung eingesetzt (IP 14.9.2020; vergleiche IP 20.8.2020). Die Türkei unterstützt die Bundesarmee materiell und bildet in einem eigens erbauten Stützpunkt (TURKSOM) auch Soldaten aus (IP 13.12.2019; vergleiche HIPS 2021, Sitzung 28). Die UN-Agentur UNSOS unterstützt nunmehr 13.900 Angehörige der Sicherheitskräfte logistisch (UNSC 10.8.2021, Absatz 80,). Katar hat der somalischen Armee Anfang 2019 68 gepanzerte Fahrzeuge geschenkt. Die Türkei schenkte der Armee im August 12 gepanzerte Fahrzeuge und 12 Geländewagen; die USA haben angekündigt, 96 Geländewagen zu schenken (IP 10.9.2020). Die Ausbildung im Menschenrechtsbereich wird international zunehmend unterstützt; es muss aber weiterhin davon ausgegangen werden, dass der Mehrzahl der regulären Kräfte die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen ihres Handelns nur äußerst begrenzt bekannt sind. Dies gilt insbesondere für regierungsnahe Milizen (AA 18.4.2021, Sitzung 8).

Armee/Stärke: Die Zahl aktiver Kräfte in der Bundesarmee, ihre Größe, Kommandostrukturen und die interne Organisation bleiben undurchsichtig (BS 2020, Sitzung 6). Selbst die Regierung nennt unterschiedliche Zahlen: 24.000 oder 28.000 (HIPS 4.2021, Sitzung 7). Die genaue Stärke ist allerdings unbekannt bzw. unklar (BMLV 2.3.2021; vergleiche HIPS 4.2021, Sitzung 7). Mit internationaler Hilfe wurdenAnfang 2020 zwei neue Bataillone aufgestellt; zwei weitere wurden mit bestehenden Truppen neu geformt (UNSC 13.5.2020, Absatz 66,). Insgesamt sind in den vergangenen 15 Jahren von externen Akteuren Schätzungen zufolge mehr als 100.000 Soldaten ausgebildet worden (HIPS 4.2021, Sitzung 7).

Spezialeinheiten: Danab – von den USA ausgebildet, ausgerüstet und betreut – ist die einzige Einheit, bei welcher bei der Rekrutierung nicht der Clan, sondern militärische Erfahrung und Können eine Rolle spielen (Williams 2019, Sitzung 2/9). Es handelt sich hierbei um die schlagkräftiste Einheit in Somalia. Diese Truppe umfasst etwa 1.000 Mann und zeichnet für 80 % aller von der Bundesarmee geführten offensiven Maßnahmen verantwortlich. Gleichzeitig haben die USA bislang verhindert, dass Danab für politische Zwecke missbraucht wird (HIPS 4.2021, Sitzung 26f). Der Einsatz und die Operationen von Danab werden aber nicht unter dem Kommando der somalischen Nationalarmee, sondern auf Befehl des US African Command (AFRICOM) durchgeführt (HIPS 3.2021, Sitzung 16). Eine weitere Spezialeinheit ist die von der Türkei ausgebildete und ausgerüstete Gorgor (Adler) (HIPS 2021, Sitzung 28; vergleiche AN 22.2.2021). Diese Einheit ist in Mogadischu, Dhusamareb und Belet Xaawo stationiert und steht unter direktem Befehl des Präsidenten. Die ca. 4.500-5.000 Mann umfassende Einheit steht einer Quelle zufolge zum Teil auch unter Führung türkischer Offiziere (AN 22.2.2021). Nach Angaben einer anderen Quelle hat die türkische Armee erst 2.500 Mann fertig ausgebildet, strebt aber die Ausbildung von insgesamt 10.000 Mann an (JF 20.11.2020). Eine dritte Quelle berichtet von insgesamt sechs ausgebildeten Gorgor-Bataillonen, die sich v.a. in Mogadischu und in Lower Shabelle im Einsatz befinden (BMLV 25.2.2021).

Regionale Kräfte: Unklar ist, inwiefern diese Kräfte in die zur Bundesregierung gerechneten Kräfte eingegliedert sind bzw. dorthin zugeordnet werden. Beim Operational Readiness Assessment wurden in Jubaland, Galmudug, SWS und Puntland sogar fast 20.000 Personen registriert, welche zu „Regionalkräften“ (auch Darawish) gezählt werden (UNSC 15.5.2019, Absatz 45,). Darawish werden nunmehr auch national ausgebildet. So haben im Feber 2020 die ersten 300 von 1.750 Darawish ihre – u.a. von AMISOM und EUTM gestaltete – Ausbildung in Mogadischu abgeschlossen. Diese Kräfte sollen in neu gewonnenen Gebieten in Lower Shabelle stationiert werden (AMISOM 14.2.2020).

NISA (National Intelligence and Security Agency): Die NISA ist vergleichbar mit einem Inlandsgeheimdienst. Sie hat die Aufgabe als Sicherheitspolizei vornehmlich gegen al Shabaab vorzugehen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29), bzw. ist sie auch für den Staatsschutz zuständig. Die exekutiven Einheiten der NISA sind zwar 2018 formal in die Polizei integriert worden. Trotzdem bleibt die NISA mit exekutiven Vollmachten ausgestattet und übt weiterhin eine aktive Rolle in der Terrorismusbekämpfung aus, die über eine rein nachrichtendienstliche Tätigkeit hinausgeht. So führt die NISA etwa Razzien durch und nimmt Menschen fest (AA 18.4.2021, Sitzung 8). Dabei ist der Rechtsstatus der NISA strittig. Nach Angaben eines ehemaligen NISA-Direktors sehen somalische Präsidenten den Dienst als ihren verlängerten Arm gegen Opponenten (HIPS 4.2021, Sitzung 8). Unter der Führung eines der engsten Vertrauten von Präsident Farmaajo entwickelt sich die NISA zunehmend zu einem Instrument der politischen Einflussnahme. Die Organisation der Ausbildung eines – eigentlich militärischen – Kontingents in Eritrea und der Einsatz der fertig ausgebildeten Kräfte in Gedo unterstreichen diese Entwicklung. Die Stärke der NISA wird mit ca. 1.500 Mann angegeben, weitere ca. 600 Mann stehen – wie erwähnt – in Gedo. Die Finanzierung der NISA erfolgt weitgehend durch Katar (BMLV 2.3.2021). Nach neueren Angaben verfügt die NISA sogar über ca. 4.500 Mann (HIPS 4.2021, Sitzung 8). Die Führung der NISA soll von al Shabaab infiltriert worden sein (BS 2020, Sitzung 7). So steht etwa der Kommandant der NISA im Naheverhältnis zur al Shabaab. Überhaupt rekrutiert die NISA stark bei ehemaligen Kämpfern der al Shabaab - etwa in Rehabilitationszentren (GO 25.3.2021). Die NISA verfügt über eigene Spezialeinheiten: die in Eritrea (Sahan 5.5.2021) - nach anderen Angaben in der Türkei (ICG 14.9.2021) ausgebildeten Dufaan (Sturm), die in Zivil gezielt gegen Anhänger der Opposition vorgehenden Ruuxaan (Geister) (Sahan 5.5.2021), und die von den USA ausgebildeten Waran und Gashan. Während sich in der politischen Auseinandersetzung 2021 die Letztgenannten loyal zu Premierminister Roble verhalten, unterstützt Dufaan Präsident Farmaajo (ICG 14.9.2021).

Puntland: Insgesamt beläuft sich die Stärke der Streit- und Sicherheitskräfte Puntlands (Darawish, Polizei, Puntland Maritim Police Force / PMPF und andere) auf rund 10.000-12.000 Mann (BMLV 2.3.2021). Die PMPF wird weiterhin von den Vereinten Arabischen Emiraten unterstützt (HIPS 4.2021, Sitzung 25). Die Spezialeinheit Puntland Security Force (PSF) dient als Anti-Terrorismuseinheit und besteht aus rund 600 Soldaten. Die PSF wird von den USA ausgebildet und unterstützt. Die Einheit unterliegt nur eingeschränkter ziviler Kontrolle und unterhält in Bossaso eigene Haftanstalten (UNSC 1.11.2019, Sitzung 38f/138f). Ausstehende Soldzahlungen sind nach wie vor ein wiederkehrendes Problem, das zwar punktuell zu Störungen des öffentlichen Lebens durch Straßenblockaden führen kann; diese Störungen dauern gewöhnlich aber nicht mehr als einige Stunden an (BMLV 2.3.2021). Insgesamt hat die puntländische Regierung ein gewisses Problem, an allen Orten wirklich Sicherheit zu gewähren (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 30).


Quellen:

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Somaliland

Letzte Änderung: 21.10.2021

In Somaliland stellt sich der staatlicheSchutz besser dar als in Süd-/Zentralsomalia (ÖB 3.2020, S.17). Das Land verfügt über eine eigene Armee und über eigene Polizeikräfte (ÖB 3.2020, S.17; vergleiche ICG 12.7.2019, S.1). Die Sicherheitsorgane haben eine besonders starke Stellung. Die zivile Kontrolle ist zwar lückenhaft, aber stärker als im Rest des Landes (AA 18.4.2021, S.8).

Insgesamt arbeiten die Polizei und andere Regierungsinstitutionen ausreichend gut (BS 2020, S.19) bzw. werden Polizei und Armee als fähig beschrieben (HO 12.9.2021).

Die letzte verlässliche Zahl zur somaliländischen Polizei wird mit 6.816 im Jahr 2011 angegeben (BFA 8.2017, S.97f). Schätzungen gehen jedenfalls von ca. 6.000 Mann aus (ÖB 3.2020, S.17). Bei der Polizei gibt es auch Frauen im Offiziersrang (Sahan 29.3.2021). Die Präsenz der Polizei reicht bis nach Ost-Somaliland. Die Menschen nehmen ihre Dienste auch in Anspruch, man kann sich bei Vergehen an die Polizei wenden. Die Polizei verhaftet Verdächtige. In diesem Sinne gibt es auch eine Form von Rechtsstaatlichkeit. Allerdings kann sich auch die Polizei der Clandynamik nicht entziehen (BFA 8.2017, S.97f).

Weitere Sicherheitsinstitutionen sind die Special Police Units (SPU, zuständig für den Schutz internationaler Organisationen und NGOs); die Rapid Reaction Unit und der nationale Geheimdienst. Daneben besteht eine National Coast Guard (BFA 8.2017, S.113). Die Einrichtung einer nachrichtendienstlich arbeitenden Innenbehörde ist nicht rechtlich geregelt. Allerdings gibt es offenbar eine Einheit mit vergleichbaren Aufgaben (AA 18.4.2021, S.9), den National Intelligence Service (JF 14.8.2020).

Die Streitkräfte umfassen schätzungsweise 13.000 Soldaten (ÖB 3.2020, S.17). Die somaliländische Armee wird von einem zentralen Kommando in Hargeysa geführt. Sie verfügt über Regionalkommanden und ist nach westlichem Vorbild in Groß- und Kleinverbänden organisiert. Die Mannschaften der Armee sind relativ diszipliniert, Vergehen werden i.d.R. verfolgt und bestraft (BFA 8.2017, S.99).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_ Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik _Somalia_%28 Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-sicherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf, Zugriff 3.12.2020

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             HO - Hiiraan Online / Schwartz, Stephen (12.9.2021): Somalia’s Leaders Need to Seize Immediately the Lessons of Afghanistan, https://hiiraan.com/op4/2021/sept/183881/som alia_s_leaders_need_to_seize_ immediately_the_lessons_of_afghanistan.aspx, Zugriff 15.9.2021

•             ICG - International Crisis Group (12.7.2019): Somalia-Somaliland: The Perils of Delaying New Talks - Africa Report N°280, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/28 0-somalia-somaliland.pdf , Zugriff 14.12.2020

•             JF - Jamestown Foundation (14.8.2020): No Foothold for al-Shabaab in Somaliland; Terrorism Monitor Volume: 18 Issue: 16, https://www.ecoi.net/de/dokument/2036810.html, Zugriff 9.10.2020

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi. net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             Sahan - Sahan / Hargeysa Press (29.3.2021): The Somali Wire Issue No. 112, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://hargeisapress.com/madaxweynaha-somaliland-oo-qaabila y-gabdho-kamid-ah-ciida madda-booliska-oo-saraakiil-u-dallacay/


Allgemeine Menschenrechtslage

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 21.10.2021

In der somalischen Verfassung ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert, wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle (AA 18.4.2021, Sitzung 19).

Trotzdem werden Zivil- und Menschenrechte regelmäßig und systematisch verletzt. Alle politischen Akteure, die um politische und ökonomische Macht streiten, sind in schwere Menschenrechtsvergehen involviert (BS 2020, Sitzung 18; vergleiche AI 7.4.2021). Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: willkürliche und ungesetzliche Tötungen - u.a. von Zivilisten - durch Kräfte der somalischen Bundesregierung; Entführungen und Verschwindenlassen; Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten; Folter und andere grausame Behandlung; harte Haftbedingungen; willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1f; vergleiche BS 2020, Sitzung 34). Al Shabaab ist für die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverletzungen verantwortlich (UNSC 1.11.2019, Sitzung 5; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 2).

Extralegale Tötungen stellen bei den Sicherheitskräften kein strukturelles Problem dar. Allerdings wäre in solchen Fällen aufgrund des dysfunktionalen Justizsystems in der Regel von Straflosigkeit auszugehen. In Süd-/Zentralsomalia werden extralegale Tötungen in der Regel von der al Shabaab in von ihr kontrollierten Gebieten durchgeführt, zunehmend auch in Form von gezielten Attentaten in Gebieten unter staatlicher Kontrolle (AA 2.4.2020, Sitzung 21).

Bei Kämpfen unter Beteiligung von AMISOM, Regierung, Milizen und al Shabaab kommt es zur Tötung, Verletzung und Vertreibung von Zivilisten und anderen Kriegsverbrechen, welche durch alle Konfliktbeteiligten verübt werden (ÖB 3.2020, Sitzung 2; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 13). Es gibt zahlreiche Berichte, wonach staatliche Sicherheitskräfte, alliierte Milizen und andere uniformierte Personen willkürlich und außergesetzlich Personen töten. Für die meisten derartigen Tötungen sind aber al Shabaab und Clanmilizen verantwortlich (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2). Im Zeitraum 5.11.2020 bis 9.2.2021 kamen landesweit 363 Zivilisten bei Kämpfen oder Anschlägen ums Leben oder wurden verletzt. Für 144 Opfer trug dabei al Shabaab die Verantwortung (UNSC 17.2.2021, Absatz 44,). Im Zeitraum 5.8.2020 bis 4.11.2020 waren es vergleichsweise 257 Opfer gewesen, davon 163 durch al Shabaab zu verantworten (UNSC 13.11.2020, Absatz 39,).

Es liegen Berichte vor, wonach Behörden für Entführungen oder Verschwindenlassen verantwortlich sind. Betroffen davon sind v.a. Journalisten aber auch politische Gegner (USDOS 30.3.2021, Sitzung 4). Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen durch Bundes- und Regionalbehörden sowie durch alliierte Milizen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 8). Alleine im Zeitraum Mai-Juli 2021 wurden 115 Personen durch somalische Behörden willkürlich verhaftet (UNSC 10.8.2021, Absatz 43,). Die Regierung verwendet bei derartigen Verhaftungen oft den Vorwurf der Mitgliedschaft bei al Shabaab (USDOS 30.3.2021, Sitzung 9; vergleiche UNSC 13.5.2020, Absatz 47,).

Generell ist Straflosigkeit die Norm. Die Regierung macht zumindest einige Schritte, um öffentlich Bedienstete – vor allem Sicherheitskräfte – strafrechtlich zu verfolgen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2). So wurden etwa im Mai 2021 drei Verdächtige festgenommen, die als Sicherheitskräfte Frauen vergewaltigt haben sollen. Ihre DNA-Proben wurden zur Untersuchung nach Garoowe geschickt – dort befindet sich das einzige dafür ausgerüstete Labor Somalias (UNSC 10.8.2021, Absatz 48,).

Al Shabaab begeht in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Menschenrechtsverletzungen (BS 2020, Sitzung 18). Die Gruppe ist für die Mehrheit schwerer Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; entführt Menschen, begeht Vergewaltigungen und vollzieht grausame Bestrafungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Die Gruppe rekrutiert Kindersoldaten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2; vergleiche HRW 14.1.2020). Al Shabaab entführt Menschen und nimmt Geiseln (USDOS 30.3.2021, Sitzung 4). Al Shabaab verhängt in Gebieten Bestrafungen wie Amputationen und Exekutionen (CFR 19.5.2021; vergleiche BS 2020, Sitzung 17). Außerdem richtet al Shabaab regelmäßig und ohne ordentliches Verfahren Menschen hin, denen Kooperation mit der Regierung, internationalen Organisationen oder westlichen Hilfsorganisationen vorgeworfen wird (AA 18.4.2021, Sitzung 14). Frauen werden für die Missachtung strenger Kleidungsvorschriften geschlagen (BS 2020, Sitzung 19). Mitunter kommt es bei al Shabaab auch zu Zwangsarbeit (USDOS 30.3.2021, Sitzung 38). Im Zeitraum Feber - August 2020 trug al Shabaab für rund ein Drittel (207 von 596) der zivilen Todesopfern und Verletzten die Verantwortung (AI 7.4.2021).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rtiges_Amt% 2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_ %28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21 – Somalia, https://www. ecoi.net/en/document/2048608.html, Zugriff 13.4.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             CFR - Council on Foreign Relations / Cheatham, A. /Felter, Claire / Laub, Z. (19.5.2021): Backgrounder – Al-Shabab, https://www.cfr.org/backgrounder/al-shabab, Zugriff 14.9.2021

•             HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html, Zugriff 16.1.2020

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www. ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             UNSC - UN Security Council (10.8.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/723], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058501/S_2021_723_E.pdf, Zugriff 27.8.2021

•             UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf, Zugriff 2.3.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf, Zugriff 13.10.2020

•             UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https://www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf, Zugriff 22.1.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT. pdf, Zugriff 6.4.2021

Somaliland

Letzte Änderung: 08.07.2021

In der Verfassung von Somaliland ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle (AA 18.4.2021, Sitzung 20). In den Zentren von Somaliland herrscht im Wesentlichen Rechtsstaatlichkeit, und die Polizei und andere Behörden arbeiten halbwegs gut. In den abgelegen Gebieten des Landes sorgen lokale Autoritäten für Recht und Ordnung. In diesem Kontext werden die Rechte von Frauen und lokalen Minderheiten oft nur unzureichend gewährleistet (BS 2020, Sitzung 19).

Zu Somaliland liegen keine Erkenntnisse hinsichtlich extralegaler Tötungen, willkürlicher Festnahmen, Verschwindenlassens, systematischer Verfolgung oder Menschenhandel vor. Vorwürfe dieser Art werden nicht erhoben (AA 18.4.2021, Sitzung 20f). Bei Human Rights Watch wird für das Jahr 2019 lediglich die Einschränkung der Meinungsfreiheit – darunter die willkürliche Verhaftung von Journalisten und Kritikern – als für Somaliland relevanter Kritikpunkt hervorgehoben (HRW 14.1.2020). Freedom House berichtet, dass es immer wieder zu willkürlichen Verhaftungen und überlangem Gewahrsam ohne Anklage kommt (FH 3.3.2021b, F2).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt %2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_ %28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FH - Freedom House (3.3.2021b): Freedom in the World 2021 – Somaliland, https://free domhouse.org/ country/somaliland/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html, Zugriff 16.1.2020

Minderheiten und Clans

Letzte Änderung: 08.07.2021

Generell steht Diskriminierung in Somalia oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke haben (AA 18.4.2021, Sitzung 10).

Recht: Weder das traditionelle Recht (Xeer) (SEM 31.5.2017, Sitzung 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, Sitzung 42; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 3). Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen (ÖB 3.2020, Sitzung 3). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, Sitzung 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, Sitzung 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, Sitzung 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14).

Politik: Regierung und Parlament sind entlang der sogenannten 4.5-Formel organisiert. Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhält (ÖB 3.2020, Sitzung 3; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 26f; FH 3.3.2021a, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 3.3.2021a, B4). Selbst die gegebene, formelle Vertretung ist jedoch nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die 4.5-Formel hat bisher nicht zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bezogenen Gleichberechtigung beigetragen. Politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren (ÖB 3.2020, Sitzung 3).

Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 12f; FH 3.3.2021a, F4). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 18.4.2021, Sitzung 12f).

Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36). In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (FIS 7.8.2020, Sitzung 39).

Al Shabaab: Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt und zwangsrekrutiert (BS 2020, Sitzung 19). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen „noblen“ Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, Sitzung 11; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 4). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist auch ein Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB 3.2020, Sitzung 4).


Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt% 2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_ %28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Report_Towards-an-improved-under standing-of-vulnerability-and-resilience-in-Somalia.pdf, Zugriff 14.12.2020

•             FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 – Somalia, https://freedo mhouse.org/ country/somalia/freedom-world/2021 , Zugriff 30.6.2021

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Fi nding+Mission+to+Mog adishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+ Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645, Zugriff 17.3.2021

•             ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf, Zugriff 9.12.2020

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (1.7.2019): Somalia - Rätts- och säkerhetssektorn Version 1.0, https://www.ecoi.net/en/file/local/2012758/190704400.pdf , Zugriff 17.3.2021

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT. pdf, Zugriff 6.4.2021

Bevölkerungsstruktur

Letzte Änderung: 08.07.2021

In weiten Teilen ist die Bevölkerung Somalias religiös, sprachlich und ethnisch weitgehend homogen; allerdings ist schon alleine der Anteil ethnischer Minderheiten unklar (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 3.2019, Sitzung 42; vergleiche SEM, 31.5.2017, Sitzung 12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 5).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2020, Sitzung 33). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, Sitzung 8).

Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden:

•             Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

•             Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedirund Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

•             Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten DirClans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

•             Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

•             Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, Sitzung 9).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, Sitzung 25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, Sitzung 38ff).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringerenAnzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen „nobler“ Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, Sitzung 5).

Die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation, welche immer wichtiger werden, kann eine „falsche“ Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensieren (BS 2020, Sitzung 25). Es gibt keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, Sitzung 9).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt% 2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_ %28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Moga dishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+ Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645, Zugriff 17.3.2021

•             GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

•             LI - Landinfo [Norwegen] (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/ 03/Report-Somalia-Practical-issues-and-security-challenges-associated-with-travels-inSouthern-Somalia-4-April-2016.pdf , Zugriff 18.12.2020

•             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centraal-_Somalie__ maart_2019.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT. pdf, Zugriff 6.4.2021

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation

Letzte Änderung: 08.07.2021

Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums (SEM 31.5.2017, Sitzung 11). Die soziale Stellung der ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich (SEM 31.5.2017, Sitzung 14).

In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten nicht systematischer Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, Sitzung 3). In den Städten ist die Bevölkerung aber allgemein gemischt, Kinder gehen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Schule und Menschen ins Spital (UNFPA/DIS 25.6.2020).

Nach anderen Angaben leiden Angehörige von Minderheiten an Arbeitslosigkeit und unter einem Mangel an Ressourcen. Sie werden amArbeitsmarkt diskriminiert und vom Rest der Gesellschaft ausgeschlossen. Die meisten Angehörigen marginalisierter Gruppen haben keine Aussicht auf Rechtsschutz, nur selten werden solche Personen in die Sicherheitskräfte aufgenommen. Auch im Xeer werden sie marginalisiert. In Mogadischu mangelt es den Minderheiten auch an politischem Einfluss. Andererseits ändert sich die Situation langsam zum Besseren, die Einstellung v.a. der jüngeren Generation ändert sich; die Clanzugehörigkeit ist für diese nicht mehr so wichtig, wie für die Älteren (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff).

Die Bantu sind die größte Minderheit in Somalia (SEM 31.5.2017, Sitzung 12f; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 41). Es gibt zahlreiche Bantu-Gruppen bzw. -Clans, wie z.B. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli, Oji oder Gobaweyne; pejorativ werden sie auch Adoon (Sklaven) oder Jareer (Kraushaar) genannt. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Juba und Shabelle (SEM 31.5.2017, Sitzung 12f). Von den ca. 900.000 IDPs, die sich im Großraum Mogadischu aufhalten, sind rund 700.000 Bantu (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff).

Die Bantu werden überall in Somalia rassistisch stigmatisiert und diskriminiert (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25). Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu, die zum Teil einst als Sklaven ins Land gekommen waren, herab (SEM 31.5.2017, Sitzung 14). Sie werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2020, Sitzung 9) und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft. Ihre Situation ist sehr schlecht (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 9f). Sie sind auch weiterhin Diskriminierung ausgesetzt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36; vergleiche GIGA 3.7.2018). Auch in IDP-Lagern werden sie diskriminiert, Bantu-Frauen mangelt es dort an Schutz durch die traditionelle Clanstruktur (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36; vergleiche LIFOS 19.6.2019, Sitzung 8). 80 % der Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt finden sich unter ihnen (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff). Überhaupt befinden sich Bantu in einer vulnerablen Situation, da zuvor bestehende Patronageverhältnisse (welche Schutz gewährleisteten) im Bürgerkrieg erodiert sind. Dadurch haben Bantu heute kaum Zugang zum Xeer (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 9f). Bantu sind besonders schutzlos (ÖB 3.2020, Sitzung 3; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 42). Andererseits sind einige Bantu-Gruppen mit lokal mächtigen Clans Allianzen eingegangen, um sich dadurch zu schützen (FIS 7.8.2020, Sitzung 44).

Mischehen werden stigmatisiert (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 7). Im September 2018 wurde ein Bantu in Mogadischu in Zusammenhang mit einer Mischehe getötet. Allerdings war dies ein sehr außergewöhnlicher Vorfall, über welchen viele Somali ihre Entrüstung äußerten (NLMBZ 3.2019, Sitzung 43). Al Shabaab hingegen hat zahlreiche Kinder der Bantu entführt oder zwangsrekrutiert. Trotzdem genießt die Gruppe bei dieser Minderheit größere Unterstützung (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 7ff).

Benadiri ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben (z. B. Mogadischu, Merka, Baraawe) und sich traditionell im Handel betätigen. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien, Persien, Indien und Portugal. Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos. Heute werden Benadiri gemeinhin als Händler respektiert (SEM 31.5.2017, Sitzung 13f). In Mogadischu stellen die Benadiri die zweitgrößte Minderheitengruppe. Einige von ihnen haben es geschafft, reich zu werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 41ff). Im Gegensatz zu den Bantu kommt ihnen kein geringerer Status zu, Mischehen sind kein Problem (LI 14.6.2018, Sitzung 17). Viele von ihnen sind relativ wohlhabend, befinden sich in relevanten Positionen und sind in der Lage, Schutz zuzukaufen (NLMBZ 3.2019, Sitzung 43). Vielen Reer Xamar (Teil der Benadiri) ist es gelungen, ihre vormaligen Immobilien im Bezirk Xamar Weyne (Mogadischu) durch Zahlungen zurückzuerhalten. Dort stellen sie auch die Bevölkerungsmehrheit (LI 21.5.2019b, Sitzung 2f), und der Verwaltungsdirektor des Bezirks ist Angehöriger der Reer Xamar (FIS 7.8.2020, Sitzung 40).

Die Bajuni sind ein kleines Fischervolk, das auf den Bajuni-Inseln an der Südspitze Somalias sowie in Kismayo lebt (SEM 31.5.2017, Sitzung 14).

Kinder von Mischehen der al-Shabaab: Einige somalische Mädchen und Frauen haben ausländische Kämpfer (z. B. aus Europa, USA, Asien) der al Shabaab geheiratet. Die aus solchen Ehen hervorgegangenen Kinder sind teils leicht zu identifizieren (ICG 27.6.2019, Sitzung 9).

Quellen:

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/ file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Moga dishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+ Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645, Zugriff 17.3.2021

•             GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

•             ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf , Zugriff 9.12.2020

•             LI - Landinfo [Norwegen] (21.5.2019b): Somalia: Rer Hamar-befolkningen i Mogadishu, https://landinfo. no/wp-content/uploads/2019/05/Respons-Somalia-Rer-Hamar-befolkningen-i-Mogadishu-21052019. pdf, Zugriff 2.2.2021

•             LI - Landinfo [Norwegen] (14.6.2018): Somalia: Marriage and divorce, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/09/Report-Somalia-Marriage-and-divorce-14062018-2.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (19.6.2019): Minoritetsgruppen bantu i Somalia Version 1.0, https://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=43198, Zugriff 2.2.2021

•             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centraal-_Somalie__ maart_2019.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi .net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020

•             UNFPA/DIS - UN Population Fund / Danish Immigration Service (Dänemark) (25.6.2020): Skype-Interview des DIS mit UNFPA, in: DIS (11.2020): Somalia - Health System, S.79-84, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landenotater/COI_report_somalia_health_care_nov_2020.pdf?la=en-GB&hash= 3F6C5E28C30AF49C2A5183D32E1B68E3B A52E60C, Zugriff 7.12.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT. pdf, Zugriff 6.4.2021

Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation

Letzte Änderung: 08.07.2021

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung. Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet. Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff).

Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, Sitzung 43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potentiell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, Sitzung 3).

Zur Diskriminierung berufsständischer Kasten trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vergleiche SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z.B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff).

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelneAngehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, Sitzung 49).

Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 4). Aufgrund dieses teils starken sozialen Drucks (FH 3.3.2021a, G3) kommen Mischehen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff; vergleiche FIS 5.10.2018, Sitzung 26). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden. Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). In Mogadischu sind Mischehen möglich (FIS 5.10.2018, Sitzung 26). Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f).

Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die Ehepartner mit sich bringen – insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört (ÖB 3.2020, Sitzung 4). So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem „noblen“ Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018, Sitzung 26).

Quellen:

•             FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 – Somalia, https://freedo mhouse.org/ country/somalia/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/S omalia_Fact_Finding+Mission+ to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f6944b6d21a7/Somalia _Fact _Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

•             ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf, Zugriff 9.12.2020

•             LI - Landinfo [Norwegen] (21.5.2019b): Somalia: Rer Hamar-befolkningen i Mogadishu, https://land info.no /wp-content/uploads/2019/05/Respons-Somalia-Rer-Hamar-befolkningen-i-Mogadishu-21052019.pdf, Zugriff 2.2.2021

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www. ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020

Somaliland

Letzte Änderung: 21.10.2021

Große Clans in Somaliland: In der Region Awdal wohnen v.a. Angehörige der Dir/Gadabursi und Dir/Issa. In den Regionen Woqooyi Galbeed und Togdheer wohnen v.a. Angehörige der Isaaq-Subclans Habr Jeclo, Habr Yunis, Idagala und Habr Awal. In der Region Sool wohnen v. a. Angehörige der Darod/Dulbahante (Taleex, Xudun, Laascaanood), Isaaq/Habr Yunis (Xudun, Laascaanood) und Isaaq/Habr Jeclo (Caynabo). In der Region Sanaag wohnen v.a. Angehörige der Darod/Warsangeli (Laasqoray, Ceerigaabo), Isaaq/Habr Yunis (Ceerigaabo) und Isaaq/Habr Jeclo (Ceel Afweyn) (EASO 2.2016, Sitzung 72ff). Die einzelnen Clans der Minderheiten der Berufskasten in Somaliland werden unter dem Begriff „Gabooye“ zusammengefasst (Muse Dheriyo, Tumal, Madhiban, Yibir) (UNHRC 28.10.2015, Absatz 43 ;, vergleiche SEM 31.5.2017, Sitzung 16).

Wie in den restlichen Landesteilen bekennt sich die Verfassung zum Gebot der Nichtdiskriminierung (AA 18.4.2021, Sitzung 10). In Somaliland sind Mitbestimmung und Schutz von Minderheiten vergleichsweise gut ausgeprägt (GIGA 3.7.2018). Nach anderen Angaben besteht offiziell kein Minderheitenschutz (ÖB 3.2020, Sitzung 19). Im Gegenteil: Die Regierung nährt die Ansicht, dass Somaliland zunehmend zentralisiert und im Sinne spezifischer Clans agiert, während andere Clans marginalisiert bleiben (BS 2020, Sitzung 38).

In Somaliland sind die Clanältesten der Minderheiten gleich wie jene der Mehrheitsclans offiziell anerkannt, und die Minderheiten sind in den politischen Parteien vertreten. Einige Älteste (Suldaan) der Gabooye sind im Oberhaus des Parlaments (Guurti) vertreten (SEM 31.5.2017, Sitzung 48). Bei den Wahlen im Mai 2021 wurden Minderheitenangehörige ins somaliländische Unterhaus gewählt (EEAS 8.6.2021) - darunter ein Abgeordneter der Gabooye. Der neue Sprecher des Unterhauses gehört – wie auch der vorige – zum Clan der Dulbahante (ICG 12.8.2021, Sitzung 4/7). Der stellvertretende Vorsitzende der Somaliland Human Rights Commission gehört einer Minderheit an, außerdem hat der Präsident einen eigenen Berater für Minderheitenprobleme (USDOS 30.3.2021, Sitzung 27). Hinsichtlich der Wahl im Jahr 2021 hat Präsident Bihi angekündigt, Kandidaten von Minderheiten einen Anteil entstehender Wahlkosten zu ersetzen (Sahan 2.3.2021a).

Im Alltag spielt die Clanzugehörigkeit eine große Rolle (AA18.4.2021, Sitzung 10). Große Clans dominieren Politik und Verwaltung, wodurch kleinere Gruppen marginalisiert, gesellschaftlich manchmal diskriminiert werden. Ihr Zugang zu öffentlichen Leistungen ist schlechter (FH 3.3.2021b, B4/F4). Dies trifft v.a. auf die Gabooye zu. Diese leiden unter sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung und werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Eine systematische Verfolgung findet allerdings nicht statt (ÖB 3.2020, Sitzung 17). Im Justizsystem treffen Minderheitenangehörige allerdings auf Vorurteile (FH 3.3.2021b, F4), und es kann vorkommen, dass Vergehen gegenüber Minderheiten-Angehörigen seitens der Polizei nicht nachgegangen wird. Sie werden von den somaliländischen Gerichten in den letzten Jahren aber mehrheitlich fair behandelt, es kommt zu keiner systematischen Benachteiligung durch Polizei und Gerichte (SEM 31.5.2017, Sitzung 40/42f).

Die offizielle Anerkennung von Gabooye-Suldaans hat zu einer Aufwertung der berufsständischen Gruppen geführt. Ihr gesellschaftlicher Ruf hat sich dadurch generell verbessert. Damit geht auch soziale Sicherheit einher. Im Xeer (traditionelles Recht) haben Gabooye zwar ihre Rechte (SEM 31.5.2017, Sitzung 42f), es kann aber vorkommen, dass Mehrheitsclans aufgrund ihrer Machtstellung Kompensationszahlungen nicht tätigen (GIGA 3.7.2018).

Mischehen werden stigmatisiert (FH 3.3.2021b, G3), von den Clans Isaaq und Darod vehement abgelehnt, vom Clan der Dir eher akzeptiert (SEM 31.5.2017, Sitzung 45).

Es gibt einige NGOs, die sich explizit um Minderheiten kümmern. Hinsichtlich berufsständischer Gruppen sind dies u.a.: Daami Youth Development Organization (DYDO), Somaliland National Youth Organization (SONYO Umbrella), Ubax Social and Welfare Organization (USWO), Voices of Somaliland Minority Women Organization (VOSOMWO) (SEM 31.5.2017, Sitzung 43);

Es kommt nur sporadisch zum Aufflammen bewaffneter Clanauseinandersetzungen, welche über kleine Schusswechsel hinausgehen. In der Regel folgt ein Aufruf der Regierung an die betroffenen Ältesten, eine Konfliktlösung herbeizuführen. Bei einer weiteren Eskalation schreiten Sicherheitskräfte ein, und die Regierung versucht, das Problem eigenständig zu lösen. Dieser Ansatz ist nicht immer erfolgreich (BFA 8.2017, Sitzung 101).

Relevanter und von größerer Auswirkung ist das System der Blutrache. Hier können selbst Personen betroffen sein, die nach Jahren in der Diaspora nach Hause zurückkehren. Während Sicherheitskräfte in größere Clankonflikte eingreifen, tun sie dies bei Blutfehden nur selten bzw. ist ein Eingreifen nicht möglich. Gleichzeitig sind Polizisten selbst Angehörige eines Clans, was die Sache erschwert (BFA 8.2017, Sitzung 101).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt% 2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_ %28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-sicherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf, Zugriff 3.12.2020

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•              EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, https://www.ecoi.net/en/ file/local/1158113/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 14.12.2020

•             EEAS - European External Action Service (8.6.2021): Statement by International Partners on Somaliland Parliamentary and Local Council Elections, https://eeas.europa.eu/delegations/somalia/99709/ statement-international-partners_en#inbox/_blank, Zugriff 1.7.2021

•             FH - Freedom House (3.3.2021b): Freedom in the World 2021 – Somaliland, https://free domhouse.org/ country/somaliland/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

•             ICG - International Crisis Group (12.8.2021): Building on Somaliland’s Successful Elections, https://www. crisisgroup.org/africa/horn-africa/somaliland/b174-building-somalilands-successful-elections, Zugriff 19.8.2021

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             Sahan - Sahan / Somaliland Post (2.3.2021a): The Somali Wire No. 93, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://somalilandpost.net/xukuumadda-madaxweyne-muuse-biixi-ookafaalo-qaadday-kharashka-murashaxiinta-beelaha-la-hayb-sooco-iyo-haweenka-ee-sa ddexda-xisbi-qaran/

•             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020

•             UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga, http://www.ecoi.net/file_upload/ 1930_1451399567_a-hrc-30-57-en.docx, Zugriff 14.12.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT. pdf , Zugriff 6.4.2021

Grundversorgung/Wirtschaft

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Wirtschaft und Arbeit

Letzte Änderung: 21.10.2021

Die somalische Wirtschaft hat mit dem dreifachen Schock aus Covid-19, einer Heuschreckenplage und Überschwemmungen zu kämpfen. Dabei hat sich die Wirtschaft als resilienter erwiesen, als zuvor vermutet: Ursprünglich war für 2020 ein Rückgang des BIP um 2,5 % prognostiziert worden (UNSC 13.11.2020, Absatz 17,), tatsächlich sind es dann nur minus 0,4 % geworden (UNSC 10.8.2021, Absatz 17,). Für 2021 wird ein Wachstum von 2,4 %, für 2022 eines von 3,2 % prognostiziert (WB 6.2021, Sitzung 20).

Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Entwicklung ist und bleibt die Diaspora – etwa durch Investitionen (v. a. in Mogadischu und anderen Städten) (BS 2018, Sitzung 5/28; vergleiche UNSC 17.2.2021, Absatz 19,). Remissen stabilisieren auch weiterhin Haushalte und Betriebe (UNSC 13.11.2020, Absatz 17,). Diese Rückflüsse sind 2020 im Vergleich zu 2019 noch einmal gestiegen (UNSC 17.2.2021, Absatz 19 ;, vergleiche WB 6.2021, Sitzung 11f), nach Angaben einer anderen Quelle sind sie aufgrund der Pandemie zurückgegangen (IPC 3.2021, Sitzung 2). Neben der Diaspora (VICE 1.3.2020) sind auch zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) tatkräftig dabei, das Land wiederaufzubauen (ÖB 3.2020, Sitzung 20).

Allerdings war das Wirtschaftswachstum schon in besseren Jahren für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern hätte können (UNSC 21.12.2018, Sitzung 4), die Bevölkerung wuchs schneller als das BIP. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt 500 US-Dollar (BS 2020, Sitzung 30). Zusätzlich bleibt die somalische Wirtschaft im Allgemeinen weiterhin fragil.

Dies hängt mit der schmalen Wirtschaftsbasis zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist von Landwirtschaft und Fischerei abhängig und dadurch externen und Umwelteinflüssen besonders ausgesetzt (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Die Viehwirtschaft macht rund 60 % des BIP und 80 % der Exporte aus (BS 2020, Sitzung 25/30). Die Exporte – vor allem von Vieh – sind im ersten Halbjahr 2020 um 22 % zurückgegangen (UNSC 13.11.2020, Absatz 17 ;, vergleiche UNSC 10.8.2021, Absatz 17,).

Dadurch stieg das Außenhandelsdefizit (UNSC 10.8.2021, Absatz 17,). Das BIP/Kopf ist 2020 mit 302 US-Dollar fast auf den Stand von 2013 gesunken (WB 6.2021, Sitzung 2). Außerdem behindern al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure kommerzielle Aktivitäten in Bakool, Bay, Gedo und Hiiraan und unterbinden die Leistung humanitärer Hilfe (USDOS 30.3.2021, Sitzung 21). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft schwierig bis unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB 3.2020, Sitzung 2/15) bzw. sind vertrauenswürdige Daten kaum vorhanden (BS 2020, Sitzung 30).

Staatshaushalt: Die Regierung ist stark abhängig von externer Hilfe. Ein Großteil der Regierungsausgaben wird durch externe Akteure bezahlt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29; vergleiche BS 2020, Sitzung 39). Alleine die offizielle Entwicklungshilfe betrug 2017 1,75 Milliarden US-Dollar – 26 % des BIP (BS 2020, Sitzung 39). Aufgrund der fehlenden Kontrolle über das Territorium – aber auch hinsichtlich technischer Fähigkeiten – war die Regierung bisher nicht in der Lage, ein nationales Steuersystem aufzubauen. Selbst für grundlegende Staatsausgaben ist das Land auf externe Geber angewiesen (BS 2020, Sitzung 36). Die eigenen Einnahmen betrugen 2016 nur rd. 113 Millionen USDollar (BS 2020, Sitzung 27). Im Jahr 2021 sollen sie bereits 260 Millionen US-Dollar betragen. Der große Rest des Budgets entstammt bi- und multilateralen Quellen (SPA 18.3.2021). Aufgrund der Streitigkeiten um die Wahlen im Frühjahr 2021 hat die EU ihre finanzielle Unterstützung zurückbehalten. Dies hinterlässt im Budget ein großes Loch, viele Beamte können nicht bezahlt werden (Sahan 16.4.2021a). Zudem gingen im ersten Quartal 2021 - aufgrund der politischen Streitigkeiten und einer neuen Covid-19-Welle - die Steuereinnahmen um 13 % zurück (WB .2021, Sitzung 19).

Das Staatsbudget 2021 beträgt 671 Millionen US-Dollar und hat sich damit seit 2019 (344 Millionen) fast verdoppelt. Ca. 164 Millionen US-Dollar sind für Verteidigung und Sicherheit vorgesehen (SPA 18.3.2021). Nach anderen Angaben entfallen darauf ca. 36 % der Staatsausgaben (HIPS 2020, Sitzung 11) bzw. in den Jahren 2017 bis 2021 durchschnittlich 31 % (AI 18.8.2021, Sitzung 19). Von den Bundesstaaten gelingt es neben Puntland nur Jubaland ein relevantes Maß an Einnahmen selbst zu generieren (WB 6.2021, Sitzung 16).

Im Jahr 2020 wurde in Somalia ein Meilenstein erreicht. Endlich kann das Land wieder an internationalen Finanzinstitutionen partizipieren. Im März 2020 erklärte die Afrikanische Entwicklungsbank nach einer Einzahlung durch die EU und das Vereinigte Königreich, dass alle Schulden und Rückstände Somalias beglichen sind. Die Weltbank, der IMF und die Afrikanische Entwicklungsbank haben alle Zahlungsrückstände und Darlehen bereinigt und ihre Beziehungen mit Somalia nach 30 Jahren normalisiert. Ende März bewilligte der Internationale Währungsfonds einen dreijährigen Kreditplan zur Unterstützung des Nationalen Entwicklungsplans (HIPS 2021, Sitzung 4/23).

Arbeitsmarkt: Es gibt kein nationales Mindesteinkommen. Ca. 95 % der Berufstätigen arbeiten im informellen Sektor (USDOS 30.3.2021, Sitzung 40). In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund sowie vom Ort (Stadt-Land- und Nord-Süd-Gefälle) ab (BS 2020, Sitzung 30). Generell zeigt vor allem die urbane Ökonomie in Somalia – allen voran in Mogadischu – eine Erholung. Es gibt einen Bau-Boom. Supermärkte, Restaurants und Geschäfte werden eröffnet (BS 2020, Sitzung 25). Alleine der Telekom-Konzern Hormuud Telecom hat in den vergangenen Jahren tausende Arbeitsplätze geschaffen und beschäftigt heute mehr als 20.000 Frauen und Männer (RD 14.2.2021). In Puntland und Teilen Südsomalias – insbesondere Mogadischu – boomt der Bildungsbereich (BS 2020, Sitzung 32).

Einerseits wird berichtet, dass die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge und zurückkehrende Flüchtlinge in Süd-/Zentralsomalia limitiert sind. So berichten etwa Personen, die aus Kenia zurückgekehrt sind, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 23). Andererseits wird ebenso berichtet, dass die besten Jobs oft an Angehörige der Diaspora fallen – etwa wegen besserer Sprachkenntnisse (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Am Arbeitsmarkt spielen Clanverbindungen eine Rolle (USDOS 30.3.2021, Sitzung 39). Gerade um eine bessere Arbeit zu erhalten, ist man auf persönliche Beziehungen und das Netzwerk des Clans angewiesen. Dementsprechend schwer tun sich IDPs, wenn sie vor Ort über kein Netzwerk verfügen; meist sind sie ja nicht Mitglieder der lokalen Gemeinde (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen (DI 6.2019, Sitzung 22f; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden (OXFAM 6.2018, Sitzung 10); außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise (DI 6.2019, Sitzung 22f). Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem wird von Ausbeutung und Unterbezahlung berichtet (OXFAM 6.2018, Sitzung 10).

Programme, wie die von der EU finanzierte Dalbile-Youth-Initiative, sollen Abhilfe schaffen. Dieses Programm, in welches sechs Millionen Euro investiert werden, dient der Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit. Junge Menschen werden mit Fähigkeiten und Ressourcen ausgestattet, Start-ups mit bis zu 2.000 US-Dollar gefördert (UNFPA 2.3.2021b). UNFPA und die EU unterstützen in Puntland Start-ups von Jungunternehmern – etwa im Bereich Fischfang, Modedesign oder Hotellerie – mit Ausbildung, Know-how und finanziellen Mitteln. Das Programm läuft jedenfalls bis 2024 (UNSC 10.8.2021, Absatz 35,).

Einkommen: Am Bau kann man beispielsweise als Träger arbeiten. Der Verdienst für eine derartige Tätigkeit beläuft sich auf rund 100 US-Dollar im Monat. Auch am Hafen gibt es Verdienstmöglichkeiten. In der Verwaltung sind nur wenige Stellen verfügbar, besser stellt sich die Situation bei Polizei und Armee dar. Viele Menschen leben vom Kleinhandel oder von ihrer Arbeit in Restaurants oder Teehäusern. Allerdings ist eine Arbeit in der Gastwirtschaft mit niedrigem Ansehen verbunden. Die Mehrheitsbevölkerung ist derartige Tätigkeiten sowie jene auf Baustellen äußerst abgeneigt. Dort finden sich vielmehr marginalisierte Gruppen – z.B. IDPs – die oft auch als Tagelöhner arbeiten. Weibliche IDPs arbeiten als Mägde, Hausangestellte oder Wäscherinnen. Manche verkaufen Früchte auf Märkten. Damit erzielen sie ein Einkommen von 1-2 US-Dollar pro Tag (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Von in der Reintegrationsphase befindlichen ehemaligen Angehörigen der al Shabaab wurden im September 2017 folgende Berufe genannt: Köhler; Hilfsarbeiter am Bau in Dayniile (10 Tage pro Monat; 10 US-Dollar pro Tag); Koranlehrer am Vormittag in Dayniile (120 US-Dollar pro Monat); Rickshaw-Fahrer; Transporteur mit einer Eselkarre (10-12 US-Dollar pro Tag); Transporteur mit einer Scheibtruhe (Khalil 1.2019, Sitzung 30). Ärzte verdienen im Banadir-Hospital 1.500-2.000 US-Dollar, Krankenschwestern 400-600 US-Dollar (FIS 5.10.2018, Sitzung 36); nach anderen Angaben verdienen Krankenschwestern nur 200-300 US-Dollar (AI 18.8.2021, Sitzung 17). Ein angestellter Fahrer, der Güter und Personen von Hiiraan nach Galgaduud befördert, verdient 300 US-Dollar pro Monat, ein anderer, der selbständig Personen transportiert, rechnet auf dieser Strecke pro Fahrt mit einem Verdienst von 75 US-Dollar (RE 18.2.2021). Eine Fleischverkäuferin in Belet Weyne verdient 4-8 US-Dollar am Tag (RE 19.2.2021).

Arbeitslosenquote: Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch (USDOS 30.3.2021, Sitzung 23), wobei es zu konkreten Zahlen unterschiedlichste Angaben gibt: Laut einer Quelle liegt die Erwerbsquote (labour force participation) bei Männern bei 58 %, bei Frauen bei 37 % (UNSC 21.12.2018, Sitzung 4). Eine weitere Quelle erklärt im August 2016, dass 58 % der männlichen Jugendlichen (Altersgruppe 15-35) ökonomisch aktiv sind, während drei von zehn Jugendlichen arbeitslos sind (UNFPA 8.2016, Sitzung 4). In einer anderen Quelle wird die Arbeitslosenrate für 2018 mit 14 % angeführt (BS 2020, Sitzung 23); die Weltbank nennt 2021 eine Rate von 13,4 % (WB 6.2021,

Sitzung 29). Eine weitere Quelle nennt bei 15-24-Jährigen eine Quote von 48 % (OXFAM 6.2018, Sitzung 22, FN8) und eine andere Quelle berichtet von einer Arbeitslosenquote von 47,4 % bei der erwerbstätigen Bevölkerung (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Eine aktuellere Quelle erklärt, dass 37,5% der arbeitsfähigen und arbeitssuchenden Frauen arbeitslos sind (SLS 6.4.2021). Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben hingegen nur 14,3 % der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6 %, Kismayo 13 %, Baidoa 24 %) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von „arbeitslos“ unklar ist (z. B. informeller Sektor) (IOM 2.2016).

Die Arbeitslosigkeit - und damit auch die Armut - haben sich infolge der COVID-19-Pandemie verstärkt. 21 % mussten ihre Arbeit niederlegen; und das, obwohl nur 55 % der Bevölkerung überhaupt am Arbeitsmarkt teilnimmt. 78 % der Haushalte berichteten über einen Rückgang des Einkommens (WB 6.2021, Sitzung 23).

[Zur Arbeitsmarktlage in Somalia gibt es kaum aktuelle Informationen.] In einer eingehenden Analyse hat UNFPA im Jahr 2016 Daten zur Ökonomie in der somalischen Gesellschaft erhoben. Dabei wird festgestellt, dass nur knapp die Hälfte der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (15-64) überhaupt am Arbeitsleben teilnimmt. Der Rest ist „ökonomisch inaktiv“; in diese Gruppe fallen in erster Linie Hausfrauen, gefolgt von Schülern/Studenten, pensionierten oder arbeitsunfähigen Personen. Bei den ökonomisch Aktiven wiederum finden sich in allen Lebensbereichen deutlich mehr Männer (UNFPA 2016):

•             Ländlich: 68,8 % der Männer - 40,5 % der Frauen

•             Urban: 52,6 % der Männer - 24,6 % der Frauen

•             IDP-Lager: 55,2 % der Männer - 32,6 % der Frauen

•             Nomaden: 78,9 % der Männer - 55,6 % der Frauen (UNFPA 2016)

Aufgeschlüsselt für Puntland und Süd-/Zentralsomalia ergibt sich aus den UNFPA-Daten, dass dort 44,4 % der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeiten. 11,4 % gelten als Arbeitssuchende. 44,2 % der Bevölkerung sind ökonomisch inaktiv. Als arbeitend werden in der Studie folgende Personen bezeichnet: jene, die in den der Erhebung vorangegangenen zwölf Monaten bezahlter Arbeit nachgegangen sind oder selbstständig waren. Darunter fällt auch unbezahlte (aber produktive) Arbeit in der Familie, bei welcher direkt Einkommen generiert wird (etwa Viehhüten, Arbeit am eigenen Ackerland; Wirtschaftstreibende, Dienstleister im eigenen Betrieb). Als arbeitslos werden jene Personen bezeichnet, die in diesen zwölf Monaten nach Arbeit gesucht haben und bereit sind, eine Arbeit anzunehmen (UNFPA 2016, Sitzung 29):

Quelle: (UNFPA 2016, S.29)

In der gleichen Studie wurde der Status bzgl. Arbeit auch auf Geschlechter heruntergebrochen.

Folglich sind in Puntland und Süd-/Zentralsomalia 13,8 % der Männer und 9 % der Frauen im Alter von 15-64 Jahren auf der Arbeitssuche, wohingegen 55,8 % der Männer und 32,9 % der Frauen einer Arbeit nachgehen (UNFPA 2016, Sitzung 31):

Quelle: (UNFPA 2016, S.31)

Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen in Puntland und Süd-/Zentralsomalia arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (65,6 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (13,5 %) (UNFPA 2016, Sitzung 36f):

Quelle: (UNFPA 2016, S.36f)

Frauen: Der vor allem unter Männern vorherrschende Khat-Konsum, der im langjährigen Konflikt geforderte Blutzoll an der männlichen Bevölkerung und die hohe Scheidungsrate haben dazu geführt, dass Frauen immer mehr in ehemals männlich dominierte Wirtschaftsbereiche vorstoßen – etwa bei der Viehzucht, in der Landwirtschaft und im Handel. Frauen tragen nunmehr oft den Hauptteil zum Familieneinkommen bei (ICG 27.6.2019, Sitzung 10f). Gerade auch die Hungersnot von 2011 und die Dürre 2016/17 haben den Vorstoß von Frauen in männliche Domänen weiter vorangetrieben (DI 6.2019, Sitzung 22). In Süd-/Zentralsomalia und Puntland sind Frauen in 43 % der Haushalte mittlerweile die Hauptverdiener (OXFAM 6.2018, Sitzung 10).

Trotzdem bietet sich für vom Land in Städte ziehende Frauen meist nur eine Tätigkeit als z.B. Wäscherin an, da es diesen Frauen i.d.R. an Bildung und Berufsausbildung mangelt. Allerdings können sie z. B. auch als Kleinhändlerin tätig werden. Sie verkaufen Treibstoff, Milch, Fleisch, Früchte, Gemüse oder Khat auf Märkten oder auf der Straße. 80 % - 90 % des derart betriebenen Handels wird von Frauen kontrolliert. Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f), oder sie verkaufen Kleidung und Essen (RE 19.2.2021). Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin (OXFAM 6.2018, Sitzung 10) oder aber auch auf Baustellen (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 10). All diese Tätigkeiten führen Frauen jenseits des ihnen traditionell zugeschriebenen Bereichs des eigenen Haushalts aus (OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Natürlich gibt es für Frauen auch weiterhin kulturelle Einschränkungen bezüglich der Berufsausübung, z. B. können sie nicht Taxifahrer werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f). Sie haben hinsichtlich Einkommensmöglichkeiten eine eingeschränkte Auswahl. Von Frauen abgehaltene Workshops (z.B. Schneiderei-, Henna- und Kochkurse) in Mogadischu tragen zur Verbesserung der Situation bei (DW 11.3.2021). Allerdings ist auch bekannt, dass Frauen eine geringere Aussicht auf eine Vollzeitanstellung haben (SLS 6.4.2021).

Lebensunterhalt: Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, kleine Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar (BS 2020, Sitzung 25). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig (UNOCHA 31.7.2019, Sitzung 2; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1 %). 6,9 % arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8 % als Handwerker, 4,7 % als Techniker, 4,1 % als Hilfsarbeiter und 2,3 % als Manager (UNFPA 2016, Sitzung 22).

Studien darüber, wie Menschen in Mogadischu ihren Lebensunterhalt bestreiten, haben sich auf die am meisten vulnerablen Gruppen der Stadt konzentriert: auf IDPs und Arme (urban poor). Für diese Gruppen ist es charakteristisch, dass sie humanitäre Unterstützung erhalten. Sie stellen etwa 20 % der Bevölkerung von Mogadischu. Diese Gruppen profitieren nur zu einem äußerst geringen Anteil von Remissen (2 % der Befragten; somalische Gesamtbevölkerung:

30 %) (LI 1.4.2016, Sitzung 10). Die Mehrheit der IDPs verdingt sich als Tagelöhner. Aufgrund des Wiederaufbaus der Städte werden viele davon gebraucht. Die begehrtesten Jobs sind jene auf Baustellen, wo der Verdienst höher ist als in anderen Bereichen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Männer arbeiten oft im Transportwesen, am Hafen und als Bauarbeiter; Frauen arbeiten als Hausangestellte. Eine weitere Einkommensquelle dieser Gruppen ist der Kleinhandel – v. a. mit landwirtschaftlichen Produkten. Zusätzlich erhalten sie Nahrungsmittelhilfe und andere Leistungen über wohltätige Organisationen (LI 1.4.2016, Sitzung 10; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Dabei bekommen die Menschen nicht immer einen Job, sie arbeiten z.B. nur 2-3 Tage in der Woche (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Allerdings bieten NGOs und der Privatsektor den Menschen grundlegende Dienste – vor allem in urbanen Zentren (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Zudem haben Menschen in IDP-Lagern - v.a. wenn sie länger dort leben - in der Regel auch eine Nachbarschaftshilfe aufgebaut (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23).

In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60 %) und von Verwandten im Ausland (27 %) versorgt zu werden (IOM 2.2016, Sitzung 42f). Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/32f; vergleiche GIGA 3.7.2018) bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen – z. B. bei Krankenkosten – und insbesondere bei Zahlungen gegenüberAußenstehenden aus (GIGA3.7.2018). Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 9/32ff). Erweiterte Familie und Clan stellen also das grundlegende soziale Sicherheitsnetz dar (BS 2020, Sitzung 29).

Aufgrund des Fehlens eines formellen Bankensystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debtcredit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clanverbindungen eine wichtige Rolle – und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greißler anschreiben lassen (RVI 9.2018, Sitzung 4). Allerdings ist es 2019 gelungen, die Gargaara Company Ltd. zu etablieren. Über diese Institution werden Kredite an Mikro-, Klein- und mittlere Unternehmen vergeben. Gargaara spielt auch beim Abfedern von Auswirkungen der Covid-19-Pandemie eine Rolle (WB 6.2021, Sitzung 7).

Remissen: Im Jahr 2020 wurden insgesamt 2,8 Milliarden US-Dollar (2019: 2,3 Milliarden) nach Somalia zurück überwiesen. Davon flossen 1,6 Milliarden an Privathaushalte (2019: 1,3 Milliarden) (WB 6.2021, Sitzung 11f). Wie erwähnt, sind für viele Haushalte Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle (FIS 7.8.2020, Sitzung 34). Sie ermöglichen größeren Teilen der Bevölkerung den Lebensuntererhalt - und damit Wasser, Gesundheitsleistungen, Bildung und Strom - zu finanzieren (BS 2020, Sitzung 25). Diese Remissen, die bis zu 40 % eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen also wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei (BS 2020, Sitzung 29) und fördern die Resilienz der Haushalte (DI 6.2019, Sitzung 5). Städtische Haushalte erhalten viel eher regelmäßige monatliche Remissen, dort sind es 72 %.

Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Überweisungen beträgt 229 US-Dollar (RVI 9.2018, Sitzung 1f). IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen (DI 6.2019, Sitzung 28). Auch die Bevölkerung in Südsomalia – und hier v. a. im ländlichen Raum – empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist (RVI 9.2018, Sitzung 2). Vorerst wurde geschätzt, dass die Remissen aufgrund der Covid-19-Pandemie 2020 um 17 % zurückgehen würden (UNSC 13.8.2020, Absatz 26,). Schließlich waren sie aber 2020 noch einmal höher als schon 2019 (UNSC 17.2.2021, Absatz 19,).

Mindestens 65 % der Haushalte, welche Remissen beziehen, erhalten diese regelmäßig (monatlich), der Rest erhält sie anlassbezogen oder im Krisenfall. Remissen können folglich Fluktuationen im Einkommen bzw. gestiegene Ausgaben ausgleichen. Dies ist gerade in Zeiten einer humanitären Krise - etwa jener von 2017 - wichtig. Durch Remissen können Haushalte Quantität und Qualität der für den Haushalt besorgten Lebensmittel verbessern, und ein sehr großer Teil der Überweisungen wird auch für Lebensmittel aufgewendet. Zusätzlich wird in Somalia in Zeiten der Krise auch geteilt. Menschen bitten z.B. andere Personen, von welchen sie wissen, dass diese Remissen erhalten, um Hilfe (RVI 9.2018, Sitzung 2f).

Quellen:

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/ file/ local/ 2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             AI - Amnesty International (18.8.2021): „We just watched COVID-19 patients die“: COVID-19 exposed Somalia’s weak healthcare system but debt relief can transform it [AFR 52/4602/2021], https://www.ecoi. net/en/file/local/2058478/AFR5246022021ENGLISH.pdf, Zugriff 27.8.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/ local/1427454/488355_en.pdf, Zugriff 24.2.2021

•             DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Report_Towards-an-improved-under standing-of-vulnerability-and-resilience-in-Somalia.pdf, Zugriff 14.12.2020

•             DW - Deutsche Welle (11.3.2021): Women upskill women in Somalia (Video), https://www.dw.com/en/women-upskill-women-in-somalia/av-56831435 , Zugriff 15.3.2021

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Fi nding+Mission+to+Moga dishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+ Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645, Zugriff 17.3.2021

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_Fact_Finding+ Mission +to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f6944b6d21a7/Somalia_ Fact_ Finding+Mission+to+Mogadishu+an d+Nairobi+January+2018.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

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•             Sahan - Sahan / Rashid Abdi (16.4.2021a): Editor’s Pick – Desperate Farmaajo and his „look East“ pivot, in: The Somali Wire Issue No. 124, per e-Mail

•             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020

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•             SPA - Somali Public Agenda (18.3.2021): Review of 2021 federal government budget for security, economic growth and public services, https://somalipublicagenda.org/review-of-2021-federal-government-budget-for-security-economic-growth-and-public-services/, Zugriff 31.8.2021

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•             UNFPA - UN Population Fund (8.2016): Somali youth in figures - better data, better lives, http:// somalia.unfpa.org/en/publications/somali-youth-figures-better-data-better-lives, Zugriff 24.2.2021

•             UNFPA - UN Population Fund (2016): Economic Characteristics of the Somali People, https://www.nbs.gov.so/docs/Analytical_Report_Volume_4.pdf, Zugriff 27.1.2021

•             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.7.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 July 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014046/July+2019+Humanitarian+Bulletin-Final.pdf, Zugriff 24.2.2021

•             UNSC - UN Security Council (10.8.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/723], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058501/S_2021_723_E.pdf, Zugriff 27.8.2021

•             UNSC - UN Security Council (19.5.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/485], https://www.ecoi.net/en/file/local/2052226/S_2021_485_E.pdf, Zugriff 21.6.2021

•             UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf, Zugriff 2.3.2021

•             UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf, Zugriff 9.10.2020

•             UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1456824/1226_1548256199_n1846028.pdf , Zugriff 8.2.2021

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT. pdf, Zugriff 6.4.2021

•             VICE - Vice on HBO (1.3.2020): Somalia’s Fight to Rebuild After War, Video auf YouTube, Upload durch VICEon HBO, https://www.youtube.com/watch?v=BSP3TyVaTJw, Zugriff 15.3.2021

•             WB - Weltbank (6.2021): Somalia Economic Update. Investing in Health to Anchor Growth, http://documents1.worldbank.org/curated/en/926051631552941734/pdf/Somalia-Econo mic-Update-Investing-in-Health-to-Anchor-Growth.pdf, Zugriff 15.9.2021

Grundversorgung und humanitäre Lage

Letzte Änderung: 21.10.2021

Die humanitären Bedürfnisse bleiben weiter hoch, angetrieben vom anhaltenden Konflikt, von politischer und wirtschaftlicher Instabilität und regelmäßigen Klimakatastrophen sowie der dreifachen Belastung durch Covid-19, Heuschrecken und Überflutungen (UNSC 13.11.2020, Absatz 50 ;, vergleiche UNSC 17.2.2021, Absatz 54,). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen wie auch Überflutungen, zuletzt auch die Heuschreckenplage, die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zum Land mit dem viertgrößten Bedarf an internationaler Nothilfe weltweit (AA 18.4.2021, Sitzung 4/22). Covid-19 hat die bereits bestehende Krise nur noch verschlimmert. Es fügt sich ein in die Krisen der schlimmsten Heuschreckenplage seit 25 Jahren, schweren Überflutungen mit zeitweise 650.000 Vertriebenen, dem mancherorts andauernden Konflikt und vorangehenden Jahren der Dürre. Insgesamt gelten rund 2,6 Millionen Menschen als im Land vertrieben, 3,5 Millionen können auch nur die grundlegendste Nahrungsversorgung nicht sicherstellen (DEVEX 13.8.2020) und stehen vor akuter Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung (WFP 6.10.2021).

Seit dem Jahr 2000 hat Somalia 19 schwere Überschwemmungen und 17 Dürren durchgemacht. Das ist dreimal so viel wie im Zeitraum 1970-1990. Im Jahr 2017 stand Somalia nach einer schweren Dürre am Rand einer Hungersnot. 2019 gab es nach einer ungewöhnlichen GuRegenzeit die schlechteste Ernte seit der Hungersnot im Jahr 2011 (UNSOM 31.1.2021).

Überschwemmungen: Schon im Zuge der überaus positiv ausgefallenen Deyr-Regenzeit (September-Dezember) 2019 kam es in HirShabelle, Jubaland und dem SWS zu Überschwemmungen. Besonders betroffen war Belet Weyne. 570.000 Menschen waren betroffen, 370.000 mussten ihre Häuser verlassen. Humanitäre Organisationen haben mehr als 350.000 Menschen Unterstützung geleistet (UNSC 13.2.2020, Absatz 60 f,). Doch auch die Gu-Regenzeit (April-Juni) 2020 sorgte für Überschwemmungen. Erneut waren in 39 Bezirken 1,3 Millionen Menschen betroffen, ca. 500.000 wurden vertrieben (UNSC 13.8.2020, Absatz 64,). Bei saisonalen Überflutungen im September 2020 wurden erneut 630.000 Menschen vertrieben (UNSC 13.11.2020, Absatz 53,). Dies betraf v. a. die Bezirke Merka, Afgooye, Balcad, Jowhar und Jalalaqsi (PGN 10.2020, Sitzung 9). In der Gu-Regenzeit 2021 trafen Überschwemmungen vor allem die Bezirke Jowhar und Belet Weyne; rund 166.000 Menschen waren betroffen (UNOCHA 26.5.2021). Bei den Überschwemmungen im April-Juni 2020 wurden Felder zerstört (UNSC 13.8.2020, Absatz 64,). Im September 2020 wurden bei Überschwemmungen mehr als 1.320 Quadratkilometer bewirtschaftetes Land verwüstet (UNSC 13.11.2020, Absatz 53,). Insgesamt wurden 2020 alleine im Bundesstaat HirShabelle fast 1.500 Quadratkilometer Ackerland zerstört (HIPS 2021, Sitzung 18).

Im November 2020 hat der Zyklon Gati Puntland getroffen und auch Teile Somalilands erreicht. Dies war der stärkste Zyklon in der Region, seit es Aufzeichnungen gibt. Der Zyklon brachte doppelt so starke Niederschläge wie in einem Jahr durchschnittlich üblich. Dutzende puntländische Ortschaften und auch ein Teil von Bossaso wurden überschwemmt (PGN 2.2021, Sitzung 5f). Infrastruktur, Häuser und 120 Fischerboote wurden beschädigt oder zerstört, 7.500 Stück Vieh getötet (USAID 8.1.2021, Sitzung 2). 120.000 Menschen waren betroffen, 42.000 wurden temporär vertrieben. 78.000 Betroffenen wurde von humanitären Organisationen Hilfe geleistet (UNSC 17.2.2021, Absatz 55,).

Heuschrecken: Im Jahr 2020 war Somalia von der größten Heuschreckenplage seit 25 Jahren betroffen, die Bundesregierung rief den nationalen Notstand aus (BBC 2.2.2020; vergleiche UNSC 13.2.2020, Absatz 65,). Zumindest Anfang 2020 blieben die durch Heuschrecken verursachten Schäden begrenzt und lokal (FSNAU 3.2.2020c). Die damals am meisten betroffenen Gebiete waren Somaliland, Puntland und Galmudug (UNSC 13.2.2020, Absatz 65,). Die Gu-Regenfälle 2020 haben dafür gesorgt, dass die Heuschrecken erneut ideale Brutbedingungen vorfinden. Die FAO und die Regierung hatten vorsorglich 437 Quadratkilometer mit Bio-Pestiziden besprühen lassen (UNSC 13.8.2020, Absatz 65,). Später im Jahr wurden neuerlich 396 Quadratkilometer in Somaliland, Puntland und Galmudug besprüht. Damit wurden rund 90.000 Tonnen Nahrung gesichert. Luft- und Bodenoperationen gegen die Plage werden fortgesetzt (UNSC 13.11.2020, Absatz 55,). Trotzdem hat sich die Plage auch in die zentralen und südlichen Landesteile verbreitet. Insgesamt sind rund 3.000 Quadratkilometer und 700.000 Menschen betroffen. Humanitäre Organisationen unterstützten 25.900 agro-pastorale Haushalte, davon rd. 7.500 mit Geld (UNSC 17.2.2021, Absatz 56,). Vor allem in Puntland und Somaliland wachsen noch Schwärme heran. Klimatische Bedingungen werden aber aller Voraussicht nach dieAusbreitung in landwirtschaftliche Gebiete in Süd-/Zentralsomalia verhindern (FSNAU 17.5.2021, Sitzung 5). Da im Norden Äthiopiens aber derzeit keine Daten erhoben werden und keine Heuschrecken bekämpft werden können, ist unklar, wie sich die Lage bis Ende 2021 weiter entwickeln wird (FAO 27.8.2021).

Regenfälle: Die Deyr-Regenzeit 2020 (Oktober-Dezember) setzte um drei bis vier Wochen zu spät ein. Insgesamt blieb Deyr unterdurchschnittlich – und dies v. a. in den meisten Gebieten Nordsomalias (IPC 3.2021, Sitzung 2). Vor allem die Regionen Sanaag, Bari, Nugaal und Mudug waren von Wassermangel betroffen (FAO 1.3.2021). Nur in Zentralsomalia fiel mehr Regen als üblich (IPC 3.2021, Sitzung 2). Damit herrschte vor den Gu-Regenfällen (April-Juni) in mehr als 80 % des Landes moderate bis schwere Dürre (UNOCHA 17.6.2021; vergleiche FSNAU 17.5.2021, Sitzung 1). Diese wurde von der Bundesregierung am 25.4.2021 schlussendlich auch ausgerufen. Angesichts der globalen La-Niña-Lage wird prognostiziert, dass sich die Situation mittelfristig nicht entspannen wird (UNSC 19.5.2021, Absatz 56 /, 59,). Die Gu-Regenfälle (April-Juni) 2021 verliefen gering, sie endeten bereits sehr früh - nämlich im Mai. Bis zur nächsten Regenzeit im Herbst werden milde bis moderate Dürrebedingungen vorherrschen (UNOCHA 17.6.2021, Sitzung 1). Nach anderen Angaben steht Ostafrika 2021 und 2022 vor einer verheerenden Dürre, die eben durch La Niña ausgelöst wurde (Funk 4.10.2021). In Teilen Jubalands, in den Bezirken Afmadow, Dhobley und Kulbiyow in Lower Juba, herrscht bereits Dürre. Die Regierung von Jubaland hat zu sofortiger Hilfe aufgerufen, um Leben zu retten (GO 6.10.2021).

Ernte: In Südsomalia wird die Ernte nach der Deyr-Regenzeit um 20 % niedriger ausfallen, als üblich. Im Norden viel die Gu/Karan-Ernte im November 2020 um 58% niedriger aus als im langjährigen Durchschnitt. Die Heuschreckenplage hat signifikant zum Ernterückgang beigetragen (IPC 3.2021, Sitzung 2; vergleiche FEWS 4.2.2021). Die Gu-Ernte 2021 lag Schätzungen zufolge um 30-40 % unter dem langjährigen Durchschnitt (UNOCHA 7.2021). Nach anderen Angaben liegt die Ernte in Südsomalia um 60 % unter dem langjährigen Schnitt, in Nordwestsomalia um 63 % (FSNAU 9.9.2021a).

Armut: Rund 77 % der Bevölkerung müssen mit weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag auskommen – insbesondere in ländlichen Gebieten und IDP-Lagern (ÖB 3.2020, Sitzung 14; vergleiche BS 2020, Sitzung 22). Nach anderen Angaben leben 69 % der Bevölkerung in Armut (HIPS 2020, Sitzung 14), nach wieder anderen Angaben sind es 73 %. 43 % werden als extrem arm eingestuft (SIDRA 6.2019a, Sitzung 5). Es gibt viele IDPs und Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 34). Generell sind somalische Haushalte aufgrund von Naturkatastrophen, Epidemien, Verletzung oder Tod für Notsituationen anfällig. Mangelnde Bildung, übermäßige Abhängigkeit von landwirtschaftlichem Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit, geringer Wohlstand und große Haushaltsgrößen tragen weiter dazu bei (ÖB 3.2020, Sitzung 14). 60 % der Somali sind zum größten Teil von der Viehzucht abhängig, 23 % sind Subsistenz-Landwirte (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Zwei Drittel der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Sie sind absolut vom Regen abhängig. In den vergangenen Jahren haben Frequenz und Dauer von Dürren zugenommen. Deswegen wurde auch die Kapazität der Menschen, derartigen Katastrophen zu begegnen, reduziert. Mit jeder Dürre wurden ihre Vermögenswerte reduziert: Tiere starben oder wurden zu niedrigen Preisen verkauft, Ernten blieben aus; es fehlt das Geld, um neues Saatgut anzuschaffen (TG 8.7.2019).

Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot] Die Zahl an Menschen, die in ganz Somalia stark oder sehr stark von Lücken in der Nahrungsmittelversorgung betroffen sind (IPC 3 und höher), ist von 1,3 Millionen Anfang 2020 (FSNAU 3.2.2020c) auf 1,6 Millionen Anfang 2021 angewachsen. Weitere 2,5 Millionen Menschen leiden ebenfalls an Problemen bei der Nahrungsmittelversorgung (IPC 2) (IPC 3.2021, Sitzung 2). Im September 2021 wurden 2,2 Millionen Menschen in IPC 3-4 eingeordnet, weitere 5,6 Millionen in IPC 2; allerdings gilt nun eine neue Annahme von einer Gesamtbevölkerung von 15,7 Millionen Menschen. Die Prognose bis Jahresende besagt, dass sich dann 3,5 Millionen Menschen in IPC 3-4 und weitere 3,7 Millionen in IPC 2 befinden werden (FSNAU 9.9.2021a).


Die folgenden IPC-Food-Insecurity-Lagekarten zeigen die Situation im Zeitraum Juli 2019 bis September 2021:

Quelle: FSNAU o.D.

Quelle: FSNAU o.D.

Hunger ist v.a. bei Nomaden (42 %) und bei ländlichen Haushalten (37 %) prävalent (WB 6.2021, Sitzung 24). Angesichts der IPC-Karten ist die Stadtbevölkerung i.d.R. von IPC 3 oder IPC 4 anteilig weit weniger betroffen als Menschen in ländlichen Gebieten; und letztere sind weit weniger betroffen als IDPs (FSNAU o.D.). Generell finden sich unter IDPs mehr Personen, die unter Mangel- oder Unterernährung leiden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 21). Die Mehrheit der IDPs in städtischen Gebieten sind arm und haben nur eingeschränkte Reserven und Einkommensmöglichkeiten. Sie sind stark von externer humanitärer Hilfe abhängig. Sie, sowie Teile der armen Stadtbevölkerung (urban poor) werden bis Ende 2021 vor moderaten bis großen Lücken bei der Nahrungsmittelversorgung stehen (FEWS 4.2.2021). Dies gilt aber auch für viele Haushalte in vielen nomadischen Gebieten sowie für arme Haushalte in agro-pastoralen Gebieten - etwa an den Flüssen (FSNAU 9.9.2021a).

IPC für den Zeitraum 1/2017-9/2021 in Zahlen gefasst:

Quelle: FSNAU o.D.; FSNAU 3.2.2020c; IPC 3.2021, S.1/4

Verteilung nach Gebieten in Prozent der Bevölkerung für Jänner-März 2020 bzw. Jänner-März 2021:

Quelle: FSNAU 3.2.2020c; IPC 3.2021, S.4

Eine weitere Kartensammlung, in welcher ausschließlich alarmierende Werte mehrere, für die Nahrungsmittelversorgung relevanter Werte zusammengefasst dargestellt werden, zeigt die Entwicklung der vergangenen Jahre (je dunkler das Rot, desto mehr Alarmwerte wurden überschritten):

Quelle: FSNAU 22.9.2021

Ca. 838.800 Kinder unter fünf Jahren werden bis Dezember 2021 vor einer Situation der akuten Unter- oder Mangelernährung stehen, 143.200 vor schwerer akuter Unterernährung (FSNAU 9.9.2021a). Nach neueren Angaben ist die Zahl bereits im Juni auf eine Million Kinder angestiegen (UNOCHA 17.6.2021, Sitzung 2). Die Prognose für Juli 2022 geht von ca. 1,2 Millionen unterernährten bzw. 213.400 schwer unterernährten Kindern aus (FSNAU 9.9.2021a). Die Daten unten zeigen, dass IDPs in manchen Städten besonders von Unterernährung betroffen sind, in anderen weniger stark [GAM = akute Unterernährung; SAM = schwere akute Unterernährung]:

Quelle: FSNAU 9.9.2021a, FSNAU 4.2.2021, FSNAU 3.2.2020a

Durchschnittlich befinden sich 11,5% in akuter Unterernährung (2020: 10.9%). Weiterhin bleiben die Zahlen also hoch. Besonders angespannt ist die Situation im Shabelletal bei IDPs in Mogadischu. Prognosen zufolge wird sich die Situation auch in folgenden Gebieten zuspitzen: Baidoa IDPs, Bay Agro-pastoral, Hiiraan, Coastal Deeh Pastoral, Garoowe IDPs, Baidoa urban und Doolow urban (FSNAU 9.9.2021a). Die IPC-Stufen zur Unter- und Mangelernährung für August 2021 und die Prognose bis November 2021:

Quelle: FSNAU 9.9.2021a

Humanitäre Hilfe: Monatlich werden durchschnittlich 1,8 Millionen Menschen mit Nahrungsmittelhilfe erreicht; geplant wären 4 Millionen (UNOCHA 7.2021; FSNAU 9.9.2021a). Diese Hilfe verhindert eine stärkere Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung und eine höhere Rate an Unterernährung (FEWS 4.2.2021). Für Mogadischu gibt es ein spezielles Sicherheitsnetz, das von der Regierung gemeinsam mit dem World Food Programme betrieben wird. Dieses erreicht seit Juli 2018 monatlich 125.000 Menschen (IPC 3.2021, Sitzung 3). Dadurch werden 35 US-Dollar pro Monat und Haushalt ausbezahlt (FSNAU 9.9.2021a).

Die humanitäre Unterstützung für Somalia ist eine der am besten finanzierten humanitären Maßnahmen weltweit (RI 12.2019, Sitzung 16). Alleine die USA geben in den Jahren 2020 und 2021 mehr als einen halbe Milliarde US-Dollar dafür aus (USAID 8.1.2021, Sitzung 1). Hilfsprojekte von internationalen Organisationen oder NGOs erreichen in der Regel nicht alle Bedürftigen. Allerdings kann aufgrund großer internationaler humanitärer Kraftanstrengungen und einer zunehmenden Professionalisierung der humanitären Hilfe bei den regelmäßig wiederkehrenden Dürren sowie Überschwemmungen inzwischen weitgehend verhindert werden, dass es zu Hungertoten kommt (AA 18.4.2021, Sitzung 22). Laut UN-Generalsekretär sind die Spitzen bei der Notwendigkeit humanitärer Hilfe in Somalia schon zur Routine geworden (UNSC 13.11.2020, Absatz 96,). In der Regel erreichen humanitäre Organisationen die Menschen. Im November 2020 hatten Organisationen der Nahrungsmittelhilfe beispielsweise die Erreichung von 2,1 Millionen Menschen angestrebt; erreicht wurden schließlich 1,9 Millionen. Aufgrund von Behinderungen beim Zugang zu den Menschen konnten in diesem Monat etwa nur 3 % der Menschen in Middle Shabelle und niemand in Middle Juba erreicht werden. In Benadir konnten – aufgrund von Finanzierungsausfällen – nur 22 % erreicht werden. Im Kampf gegen Unterernährung stoßen die Organisationen auf Probleme bei der Erreichbarkeit von Menschen in Middle Juba, dem Bezirk Tayeeglow (Bakool), Sablaale (Lower Shabelle) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (UNOCHA 27.1.2021, Sitzung 3ff).

Insgesamt nutzen rund 70 % der Bevölkerung mobile Bankdienste, ein Drittel der Menschen haben mobile Konten (BS 2020, Sitzung 26). Aufgrund von Covid-19 hat z.B. die Hilfsorganisation CARE ihre work-for-cash-Programme ausgesetzt. Als Ersatz wird Hilfsbedürftigen das Geld auch ohne Arbeit auf ihr Mobiltelefon überwiesen. 84.000 Menschen nehmen dies in Anspruch. Die Europäische Kommission hat aufgrund der Heuschreckenplage weitere 5,8 Millionen Euro für Geldtransfers an Betroffene zur Verfügung gestellt (DEVEX 13.8.2020).

Folgende Organisationen sind beispielsweise in folgenden Städten in einem oder mehreren der genannten Bereiche tätig:

•             Baidoa (Kinderschutz, Gesundheit, Rückkehr/Unterkunft, Lokalverwaltung, Katastrophenmanagement, Kommunikation): World Vision, Save the Children International, Médecins Sans Frontières, International Organization for Migration (IOM), IMC Worldwide, Somalia’s Ministry of Resettlement, Disaster Management and Disability Affairs, Ministry of Humanitarian Affairs, Ministry of Planning, Baidoa District Administration, Bay Regional Administration, Gargaar Relief and Development Organization (GREDO), Social-life and

Agricultural Development Organization (SADO), Radio Baidoa, Baidoa Specialist Hospital;

•             Belet Weyne (Bildung, Schutz, Ernährung und Gesundheit, Nahrungsversorgungssicherheit, humanitäre Hilfe, Geldtransfer-Programme): UNICEF, Danish Refugee Council (DRC), the International Committee of the Red Cross (ICRC), Relief International, World Food Programme (WFP), Merci, World Health Organisation (WHO), UNOCHA, WARDI, Green Hope, Global Guardian Somalia Security Services, Beledweyne Private School;

•             Kismayo (handwerkliche Ausbildung, Unterstützung beim Lebensunterhalt mit Lebensmittelgutscheinen und anderen Aktivitäten, Unterkunft, Bildung): Jubaland Chamber of Commerce & Industry (JCCI), American Refugee Committee (ARC), IOM, CARE, Norwegian Refugee Council (NRC), Daallo Airlines, Kismayo University (DI 6.2019, Sitzung 25f);

In Gedo beteiligt sich u.a. auch AMISOM an Hilfsmaßnahmen - etwa durch die Lieferung von Wasser in Tanklastwagen (RD 14.3.2021). Allerdings ist außerhalb urbaner Zentren der Zugang zu manchen Bezirken nur eingeschränkt möglich – v.a. wegen der Unsicherheit entlang von Versorgungsrouten (UNSC 17.2.2021, Absatz 58,). Al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure behindern die Leistung humanitärer Hilfe und die Lieferung von Hilfsgütern an vulnerable Bevölkerungsteile – speziell in Süd-/Zentralsomalia (USDOS 30.3.2021, Sitzung 15; vergleiche UNSC 17.2.2021, Absatz 58,). In Bakool hat sich die humanitäre Lage aufgrund von Unsicherheit, Drohungen und einer Blockade drastisch verschlechtert. Der Zugang für humanitäre Organisationen ist beschränkt (UNOCHA 1.2021, Sitzung 3). Im Kampf gegen Unterernährung stoßen die Organisationen auf Probleme bei der Erreichbarkeit von Menschen in Middle Juba, dem Bezirk Tayeeglow (Bakool), Sablaale (Lower Shabelle) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (UNOCHA 27.1.2021, S.3ff). Zudem kam es alleine im Zeitraum August-November 2020 zu 44 gewaltsamen Zwischenfällen mit Auswirkungen auf humanitäre Organisationen. Dabei kamen zwei Mitarbeiter ums Leben, einer wurde verletzt (UNSC 13.11.2020, Absatz 57,). Rund ein Drittel des Landes ist für humanitäre Kräfte nur schwer erreichbar (UNSC 13.5.2020, Absatz 64,).

Öffentliche Hilfe - Programm „Baxnaano“: Dieses im April 2020 vom Arbeits- und Sozialministerium eingeführte Sozialhilfeprogramm hat dabei geholfen, vulnerable ländliche Haushalte vor dem Fall in die Armut zu bewahren. Über das Programm werden rund 100.000 Haushalte mit Geldtransfers versorgt. Das Baxnaano soll Verluste durch Heuschrecken und Wetterschocks abfedern (WB 6.2021, Sitzung 3/7). Nach jüngeren Angaben versorgte Baxnaano im Zeitraum Jänner-Juni 2021 440.900 Haushalte; es wurden 20 US-Dollar pro Monat ausbezahlt (FSNAU 9.9.2021a). Nach anderen Angaben werden mehr als 1,1 Millionen Menschen - in ländlichen Gebieten, aber auch arme Menschen und IDPs in Städten - über Programme mit vierteljährlichen Geldzahlungen bedacht (WFP 6.10.2021). Der Anteil des Sozialsektors am Staatsbudget soll 2021 auf 34 % anwachsen; der Großteil davon fließt über Baxnaano an arme und vulnerable Haushalte (WB 6.2021, Sitzung 19).

Gesellschaftliche Unterstützung: Insgesamt gibt es aber kein öffentliches Wohlfahrtssystem (BS 2020, Sitzung 29), keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe (AA 18.4.2021, Sitzung 22). Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor (BS 2020, Sitzung 29). Das eigentliche soziale Sicherungsnetz ist die erweiterte Familie, der Subclan oder der Clan. Sie bieten oftmals für Personen, deren Unterhalt und Überleben in Gefahr ist, zumindest einen rudimentären Schutz (AA 18.4.2021, Sitzung 22; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 11f; BS 2020, Sitzung 29). Vorrangig stellen die patrilinearen (väterlichen) Abstammungsgemeinschaft die Solidaritäts- und Schutzgruppe. Aber daneben gibt es auch die Patri-(Vater)-Linie der Mutter und zusätzlich möglicherweise noch angeheiratete Verwandtschaft. Alle drei Linien bilden in der Regel - wie es ein Experte formuliert - „einen ganz beachtlichen Verwandtschaftskosmos“. Und in diesem Netzwerk kann Hilfe und Solidarität gesucht werden, es besteht diesbezüglich eine moralische Pflicht. Allerdings müssen verwandtschaftliche Beziehungen auch gepflegt werden. Entscheidend ist also nicht unbedingt die Quantität an Verwandten, sondern die Qualität der Beziehungen. Wer als schwacher Akteur in diesem Netzwerk positioniert ist, der wird schlechter behandelt als die stark Positionierten (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 32f). In einer Dokumentation der Deutschen Welle wird ein junger Mann gezeigt, der im Sudan medizinisch versorgt und von dort zurückgeholt werden musste. Die Ältesten bzw. Sultans sammeln Geld im ganzen Clan, und dieser gab dafür schließlich 7.000 US-Dollar aus. Danach hat der Clan dem Mann um 3.000 US-Dollar ein Tuk-Tuk finanziert, damit er den gefährlichen Weg der Migration nicht noch einmal antritt (DW 3.2021). Diese Art des „Fundraising“ (Qaraan) in Somalia und in der Diaspora wird also nicht nur gemacht, um sogenanntes Blutgeld im Fall eines Mordes zu sammeln, sondern auch, um andere Bedürfnisse eines Clanmitglieds abzudecken. Darunter fallen auch Probleme bei der Nahrungsmittelversorgung (Majid 2017, Sitzung 18).

Eine weitere Hilfestellung bieten Remissen aus dem Ausland (BS 2020, Sitzung 29). Remissen sind im Zuge der Covid-19-Pandemie zurückgegangen. Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22 % der städtischen, 12 % der ländlichen und 6 % der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Die Mehrheit der Empfänger berichtete von Rückgängen von über 10 % (IPC 3.2021, Sitzung 2). Nach anderen Angaben sind die Remissen an Privathaushalte während der Pandemie nicht zurückgegangen sondern von 1,3 Mrd. US-Dollar im Jahr 2019 auf 1,6 Mrd. im Jahr 2020 gestiegen (WB 6.2021, Sitzung 11f). Dabei stellen Remissen einen bedeutenden Anteil des Budgets von Privathaushalten dar. Vor allem für die unteren 40 %, wo Remissen 54 % aller Haushaltsausgaben decken (WB 6.2021, Sitzung 4).

In Krisenzeiten (etwa Hungersnot 2011 und Dürre 2016/17) stellt die Hilfe durch Freunde oder Verwandte die am meisten effiziente und verwendete Bewältigungsstrategie dar. Neben Familie und Clan helfen also auch andere soziale Verbindungen – seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z.B. Unterkunft und Nahrung finden können (DI 6.2019, Sitzung 15ff). Generell ist es auch üblich, Kinder bei engen oder fernen Verwandten unterzubringen, wenn eine Familie diese selbst nicht erhalten kann (SIDRA 6.2019b, Sitzung 4; vergleiche Majid 2017, Sitzung 24). 22 % der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten, 28 % bei institutionellen Pflegeeinrichtungen (7 %) untergebracht. Weitere 28 % schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn (OXFAM 6.2018, Sitzung 11f).

In der somalischen Gesellschaft – auch bei den Bantu – ist die Tradition des Austauschs von Geschenken tief verwurzelt. Mit dem traditionellen Teilen werden in dieser Kultur der Gegenseitigkeit bzw. Reziprozität Verbindungen gestärkt. Folglich wurden auch im Rahmen der Dürre 2016/17 die über Geldtransfers zur Verfügung gestellten Mittel und Remissen mit Nachbarn, Verwandten oder Freunden geteilt – wie es die Tradition des Teilens vorsah (DI 6.2019, Sitzung 20f).

Selbst Kleinhändlerinnen in IDP-Lagern, die ihre Ware selbst nur auf Kredit bei einem größeren Geschäft angeschafft haben, lassen anschreiben und streichen manchmal die Schulden von noch ärmeren Menschen (RE 19.2.2021). Menschen, die selbst wenig haben, teilen ihre wenigen Habseligkeiten und helfen anderen beim Überleben. Es herrscht eine starke Solidarität (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 19).

Die hohe Anzahl an IDPs zeigt aber, dass manche Clans nicht in der Lage sind, der Armut ihrer Mitglieder entsprechend zu begegnen. Vor allem, wenn Menschen in weit von ihrer eigentlichen Clanheimat entfernte Gebiete fliehen, verlieren sie zunehmend an Rückhalt und setzen sich größeren Risiken aus. Eine Ausnahme davon bilden Migranten, die ihren Familien und Freunden mit Remissen helfen können (DI 6.2019, Sitzung 12).

Quellen:

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Rückkehrspezifische Grundversorgung

Letzte Änderung: 08.07.2021

Einkommen: Somalis aus der Diaspora - aus Europa oder den USA - die freiwillig zurückkehren, nehmen oft keine Hilfspakete in Anspruch, sondern kehren einfach zurück. Viele der Rückkehrer aus Kenia und dem Jemen gehen in die großen Städte Kismayo, Mogadischu und Baidoa, weil sie sich dort bessere ökonomische Möglichkeiten erwarten (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). Der UNHCR hat über drei Jahre mehr als 2.000 Haushalte mit fast 12.000 Angehörigen – darunter vor allem unterstützte Rückkehrer aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen – zu ihrer Situation in Somalia befragt. Insgesamt haben 66 % der Rückkehrerhaushalte angegeben, dass ihr Einkommen nicht ausreicht. Dies wird vor allem auf mangelnde Jobmöglichkeiten zurückgeführt; seit der Pandemie 2020 auch auf rückläufige Remissen. Die meisten Rückkehrer leben von Einkommen als Taglöhner oder als Selbstständige sowie von humanitärer Hilfe (UNHCR 31.5.2021, Sitzung 4).

Nach anderen Angaben ist Somalia auf eine Rückkehr von Flüchtlingen in großem Ausmaß nicht vorbereitet, und es kann davon ausgegangen werden, dass sich ein erheblicher Teil der Rückkehrer als IDPs wiederfinden wird (ÖB 3.2020, Sitzung 14). Arbeitslose Rückkehrer im RE-INTEG-Programm (siehe unten) berichten über mangelnde Möglichkeiten; über eingeschränkte Erfahrungen, Fähigkeiten und Informationen über den Arbeitsmarkt. Nur 30 % der REINTEGRückkehrer sind mit ihrer ökonomischen Situation zufrieden, viele klagen über niedriges Einkommen und lange Arbeitsstunden (IOM 3.12.2020). Dabei ist wirtschaftliche Unabhängigkeit für viele Rückkehrer im REINTEG-Programm ein Hauptthema (IOM 9.3.2021b). Viele von ihnen sind diesbezüglich Druck seitens ihrer Familie ausgesetzt – v.a. wenn sie aufgrund ihrer „abgebrochenen“ Migration noch Schulden offen haben (IOM 9.3.2021b; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). Manche Rückkehrer gehen deshalb explizit nicht in Regionen, wo Mitglieder des eigenen Clans leben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24).

Laut einer Quelle muss eine nach Mogadischu zurückgeführte Person nicht damit rechnen, ohne Angehörige zu verhungern. Selbst wenn jemand tatsächlich überhaupt niemanden kennen sollte, dann würde diese Person in ein IDP-Lager gehen und dort in irgendeiner Form Hilfe bekommen. Die Person ist auf Mitleid angewiesen; Hilfe findet sich vielleicht auch in einer Moschee. Jedenfalls würde eine solche Person so schnell wie möglich versuchen, dorthin zu gelangen, wo sich ein Familienmitglied befindet. Dass gar keine Familie existiert, ist sehr unwahrscheinlich (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 37).

Unterstützung / Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/31f). Jedenfalls versucht die Mehrheit der Rückkehrer in eine Region zu kommen, wo zumindest Mitglieder ihres Clans leben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24), denn eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden (ÖB 3.2020, Sitzung 14). Nach anderen Angaben ist es bei einer Rückkehr weniger entscheidend, ob jemand Verwandte hat oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, wie diese persönlichen Verwandtschaftsbeziehungen funktionieren und ob sie aktiv sind, ob sie gepflegt wurden. Denn Solidarität wird nicht bedingungslos gegeben. Wer sich lange nicht um seine Beziehungen gekümmert hat, wer einen (gesellschaftlichen) Makel auf sich geladen hat oder damit behaftet ist, der kann - trotz vorhandener Verwandtschaft - nicht uneingeschränkt auf Solidarität und Hilfe hoffen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 39f).

Auch in Mogadischu sind Freundschaften und Clannetzwerke sehr wichtig. Zur Aufnahme kleinerer oder mittelgroßer wirtschaftlicher Aktivitäten ist aber kein Netzwerk notwendig (FIS 7.8.2020, Sitzung 39). Insgesamt herrschen am Arbeitsmarkt Nepotismus und Korruption (SIDRA 6.2019a, Sitzung 5).

Unterstützung extern: Für Rückkehrer aus dem Jemen (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63) und Kenia gibt es seitens des UNHCR Rückkehrpakete (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23) bzw. finanzielle Unterstützung. Bei Ankunft in Somalia bekommt jede Person eine Einmalzahlung von 200 US-Dollar, danach folgt eine monatliche Unterstützung von 200 US-Dollar pro Haushalt und Monat für ein halbes Jahr. Das World Food Programm gewährleistet für ein halbes Jahr eine Versorgung mit Nahrungsmitteln. Für Schulkosten werden 25 US-Dollar pro Monat und Schulkind ausbezahlt.

Bei Erfüllung bestimmter Kriterien wird für die Unterkunft pro Haushalt eine Summe von 1.000 US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNHCR 30.9.2018, Sitzung 6; vergleiche LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63), die etwa zur Organisation einer Unterkunft dienen können (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63). Deutschland unterstützt in Jubaland ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient (AA 2.4.2020, Sitzung 22). IOM hat über die von der EU finanzierte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration seit März 2017 knapp 6.500 Rückkehrer bei der freiwilligen Rückkehr nach Somalia unterstützt. Fast 12.000 Rückkehrer erhielten Unterstützung nach ihrer Ankunft in Somalia (IOM 8.3.2021). Der UNHCR unterstützt ausgewählte Haushalte in unterschiedlichen Teilen Somalias mit Ausbildungs-, Schulungs- und finanziellen Maßnahmen (UNHCR 27.6.2021, Sitzung 9).

Rückkehrprogramme: In das europäische Programm zur freiwilligen Rückkehr ERRIN (European Return and Reintegration Network) wurde mit November 2019 auch die Destination Somalia aufgenommen. Umgesetzt wird das Programm vor Ort von der Organisation IRARA (International Return and Reintegration Assistance) mit Büro in Mogadischu. Das Programm umfasst – neben den direkt von Österreich zur Verfügung gestellten Mitteln – pro Rückkehrer 200 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro Sachleistungen. Letztere umfassen (je nach Wunsch des Rückkehrers) eine vorübergehende Unterbringung, medizinische und soziale Unterstützung, Beratung in administrativen und rechtlichen Belangen, Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens sowie schulische und berufliche Bildung (BMI 8.11.2019). Neben Mogadischu hat IRARA Standorte in Kismayo, Baidoa und Belet Weyne. Laut IRARA werden nicht nur freiwillige Rückkehrer, sondern auch abgewiesene Asylwerber, irreguläre Migranten, unbegleitete Minderjährige und andere vulnerable Gruppen unterstützt und vom Programm abgedeckt. Bei Ankunft bietet IRARA Abholung vom Flughafen; Unterstützung bei der Weiterreise; temporäre Unterkunft (sieben Tage); medizinische Betreuung; Grundversorgung. Zur Reintegration wird ein maßgeschneiderter Plan erstellt, der folgende Maßnahmen enthalten kann: soziale, rechtliche und medizinische Unterstützung; langfristige Unterstützung bei der Unterkunft; Bildung; Hilfe bei der Arbeitssuche; Berufsausbildung; Unterstützung für ein Start-up; Unterstützung für vulnerable Personen (IRARA o.D.a).

Das ebenfalls von der EU finanzierte Programm REINTEG bietet freiwilligen Rückkehrern – je nach Bedarf – medizinische und psycho-soziale Unterstützung; Bildung für Minderjährige; Berufstraining und Ausbildung, um ein Kleinunternehmen zu starten; die Grundlage für eine Arbeit, die ein eigenes Einkommen bringt; und Unterstützung bei Unterkunft und anderen grundlegenden Bedürfnissen. Durchschnittlich waren die REINTEG-Rückkehrer zwei Jahre lang weg aus Somalia (IOM 3.12.2020). Für Rückkehrer im REINTEG-Programm hat IOM im Mai 2020 eine Hotline eingerichtet. Rückkehrer melden sich dort, um etwa Fragen hinsichtlich der Zeitpläne zur ökonomischen Reintegration beantwortet zu bekommen, oder um hinsichtlich ihrer Mikro-Unternehmen oder auch z.B. für psycho-soziale oder medizinische Unterstützung anzusuchen (IOM 9.3.2021b). Nachdem schon im Jahr 2019 in Hargeysa erfolgreich ein Rückkehrer-Komitee für REINTEG eingerichtet worden war, wurde ein solches 2020 auch in Mogadischu gebildet. Die ebenfalls aus Rückkehrern zusammengesetzten Komitees unterstützen Rückkehrer nach ihrer Ankunft. Sie teilen Informationen und Netzwerke und stellen Kontakt zu relevanten Organisationen und Reintegrationsprojekten her (IOM 3.12.2020).

Unterkunft: Der Zugang zu einer Unterkunft oder zu Bildung wird von Rückkehrern im REINTEGProgramm als problematisch beschrieben (IOM 3.12.2020). Der Immobilienmarkt in Mogadischu boomt, die Preise sind gestiegen (BS 2020, Sitzung 25). In den „besseren“ Bezirken der Stadt, wo es größere Sicherheitsvorkehrungen gibt – z.B. Waaberi, Medina, Hodan oder das Gebiet am Flughafen – kostet die Miete eines einfachen Raumes mit 25 m² 50-100 US-Dollar pro Monat.

Am Stadtrand – z.B. in Heliwaa oder am Viehmarkt – sind die Preise leistbarer. Der Kubikmeter Wasser wird um 1-1,5 US-Dollar verkauft (FIS 7.8.2020, Sitzung 31). Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 22); nach anderen Angaben finden sich viele der Rückkehrer aus dem Jemen und aus Kenia schlussendlich in IDP-Lagern wieder (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). Gemäß der bereits weiter oben erwähnten Rückkehrer-Studie des UNHCR haben hingegen nur 19 % der mehr als 2.000 befragten Rückkehrerhaushalte angegeben, in einem IDP-Lager zu wohnen (UNHCR 31.5.2021, Sitzung 2).

Vom Returnee Management Office (RMO) der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein inner-somalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden und die Grundvoraussetzungen für eine freiwillige Rückkehr nicht gewährleistet sind (AA 2.4.2020, Sitzung 22f). Grundsätzlich braucht es zur Anmietung eines Objektes einen Bürgen, der vor Ort bekannt ist. Dies ist i.d.R. ein Mann. Für eine alleinstehende Frau gestaltet sich die Wohnungssuche dementsprechend schwierig, dies ist kulturell unüblich und wirft unter Umständen Fragen auf (FIS 7.8.2020, Sitzung 32).

Frauen und Minderheiten: Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das in der Regel enge Familienangehörige – geführt von einem männlichen Verwandten – umfasst. Für alleinstehende Frauen ist es mitunter schwierig, eine Unterkunft zu mieten oder zu kaufen (FIS 5.10.2018, Sitzung 23). Auch für Angehörige von Minderheiten – etwa den Bantus – gestaltet sich eine Rückkehr schwierig. Ein Mangel an Netzwerken schränkt z.B. den Zugang zu humanitärer Hilfe ein (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 8). Für eine weiblicheAngehörige von Minderheiten, die wederAussicht auf familiäre noch Clanunterstützung hat, stellt eine Rückkehr tatsächlich eine Bedrohung dar (ÖB 3.2020, Sitzung 11).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt% 2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_ %28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/ file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (8.11.2019): ERRIN Reintegrationsprojekt Somalia und Somaliland ab 8. November 2019, per e-Mail

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Moga dishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+ Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645, Zugriff 17.3.2021

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/S omalia_Fact_Finding+ Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f6944b6d21a7/ Somalia_Fact_ Finding+Mission+to+Mogadishu+an d+Nairobi+January+2018.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             IOM - Internationale Organisation für Migration (9.3.2021b): ‘Returnees can Call us from Sunday to Thursday during Working Hours’, https://migrationjointinitiative.org/news/return ees-can-call-us-sunday-thursday-during-working-hours, Zugriff 11.3.2021

•             IOM - Internationale Organisation für Migration (8.3.2021): Eintrag auf Twitter, 8:15, https: //twitter.com/IOM_Somalia/status/1368822542157438979/photo/1, Zugriff 11.3.2021

•             IOM - Internationale Organisation für Migration (3.12.2020): How Peer Support Can Assist Returnees to Breathe Easy, https://migrationjointinitiative.org/news/how-peer-support-can-assist-returnees-breathe-easy, Zugriff 11.3.2021

•             IRARA - International Return and Reintegration Assistance (o.D.a): Country Leaflets – Somalia, https://www.irara.org/leaflets/, Zugriff 11.3.2021

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (19.6.2019): Minoritetsgruppen bantu i Somalia Version 1.0, https://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=43198, Zugriff 2.2.2021

•             LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2015777/190827400.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020

•             SIDRA- Somali Institute for Development Research andAnalysis (6.2019a): The Idle Youth Labor Force in Somalia: A blow to the Country’s GDP, https://sidrainstitute.org/2019/06/3 0/the-idle-youth-labor-force-in-somalia-a-blow-to-the-countrys-gdp/, Zugriff 8.10.2020

•             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (27.6.2021): UNHCR Somalia: Operational Update 1-31 May 2021, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNHCR%20Somalia%20Operational%20 Update%20-%20May%202021.pdf , Zugriff 1.7.2021

•             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (31.5.2021): Somalia Post Return Monitoring Snapshot Round 5 | MAY 2021, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/PRM%20Snapshot% 20May%202021.pdf, Zugriff 1.7.2021

•             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.9.2018): Operational Update Somalia 1-30 September 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/66704.pdf, Zugriff 21.6.2019

Somaliland

Wirtschaft, Arbeit

Letzte Änderung: 21.10.2021

In Somaliland hat es in den letzten 20 Jahren viele positive wirtschaftliche und soziale Entwicklungen gegeben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 30). Hauptfaktoren der Wirtschaft und des BIP sind Viehzucht und Dienstleistungen (BS 2020, Sitzung 30). Der informelle Sektor ist der Hauptpfeiler der Wirtschaft (FH 3.3.2021b, G4). Das jährliche Budget Somalilands ist in den letzten Jahren stark gewachsen. 2015 betrug es lediglich 156 Millionen US-Dollar, für 2021 sind bereits 339 Millionen budgetiert. 35% davon fließen in Sicherheit und Verteidigung, 9% in die Bildung und 5% ins Gesundheitswesen. Dabei hat Somaliland kaum – und nur inländische – Schulden, der Anteil der Schuldentilgung liegt im Budget bei nur rund 3%. Das BIP/Kopf betrug 2020 566 US-Dollar, der Großteil des BIP entstammt der Viehzucht (30 %), dem Handel (24 %), Remissen (22 %) und der Landwirtschaft (8 %) (HD 14.1.2021). Der somaliländische Shilling ist verhältnismäßig stabil (BS 2020, Sitzung 27). Strom ist sehr teuer und kostet rund viermal soviel wie in Europa (ARTE 2021). Die zahlreichen Rückkehrer aus der Diaspora sind aufgrund ihrer Finanzkraft und ihres Wissens für die Wirtschaft von enormer Bedeutung (Spiegel 1.3.2021). Rund 382 Millionen US-Dollar werden aus dem Ausland jährlich an Remissen nach Somaliland überwiesen. Und die Diaspora ist der Idee hinsichtlich des Aufbaus der Heimat stark verpflichtet (Sahan 15.7.2021). Fast 80

% des Gründungskapitals von kleinen und mittleren Unternehmen kommt aus der Diaspora (Sahan 4.10.2021).

Gemäß verfügbaren Statistiken beträgt die (formelle) Jugendarbeitslosigkeit in Somaliland mindestens 60% (ÖB 3.2020, Sitzung 19). Nach anderen Angaben beträgt die Arbeitslosigkeit insgesamt 47,4 % (RMMS 7.2016). Generell scheinen zu den Schätzungen unterschiedliche Berechnungsmethoden herangezogen zu werden.

Eine Studie der UN-Agentur UNFPAaus dem Jahr 2016 nennt folgende Zahlen, wonach zwar nur 29,9 % der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeitet, jedoch auch nur 13,8 % als Arbeitssuchende gelten. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist ökonomisch inaktiv. Als arbeitend werden in der Studie folgende Personen bezeichnet: Jene die in den der Erhebung vorangegangenen zwölf Monaten bezahlter Arbeit nachgegangen sind oder selbstständig waren. Darunter fällt auch unbezahlte (aber produktive) Arbeit in der Familie, bei welcher direkt Einkommen produziert wird (etwa Viehhüten, Arbeit am eigenen Ackerland; Wirtschaftstreibende, Dienstleister im eigenen Betrieb). Als arbeitslos werden jene Personen bezeichnet, die in diesen zwölf Monaten nach Arbeit gesucht haben und bereit sind, eine Arbeit anzunehmen (UNFPA 2016, Sitzung 29):

Quelle: (UNFPA 2016, S.29)

In der gleichen Studie wurde der Status bzgl. Arbeit auch auf Geschlechter heruntergebrochen. Folglich sind in Somaliland 17,4% der Männer und 10% der Frauen imAlter von 15-64 Jahren auf der Arbeitssuche, wohingegen 35,2% der Männer und 22,2% der Frauen einer Arbeit nachgehen (UNFPA 2016, Sitzung 31):

Quelle: (UNFPA 2016, S.31)

Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (63 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (15,2 %) (UNFPA 2016, Sitzung 36):

Quelle: (UNFPA 2016, S.36)

Trotzdem gehört die Suche nach Arbeitsmöglichkeiten zu den Hauptgründen für Migration (ÖB

3.2020, Sitzung 19). Nur ein Fünftel der Universitätsabsolventen findet nach dem Abschluss eine Anstellung (ARTE 2021). Clanverbindungen spielen bei der Arbeitssuche eine kritische Rolle (FH 3.3.2021b, F4). Frauen tragen mittlerweile in 48 % der Haushalte den Hauptteil zum Familieneinkommen bei (OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Auf dem großen Viehmarkt von Hargeysa stellen Frauen rund 90 % aller Händler (ARTE 2021). In den städtischen Gebieten hat die beschleunigte Land-Stadt Migration zur Herausbildung peripherer Stadtgemeinden geführt, die von sozialen Dienstleistungen, dem formellen Arbeitsmarkt und politischer Mitsprache abgeschnitten sind (ÖB 3.2020, Sitzung 19).

Der Ausbildungssektor in Somaliland hat sich ständig verbessert. Meist arbeiten hier staatliche Organe, lokale Gemeinden und externe Geber – darunter die Diaspora – zusammen. Private Bildungsanbieter boomen, und es gibt mehrere Universitäten und Colleges (BS 2020, Sitzung 32). Die Sahamiye Foundation, welche u.a. vom Gründer des Finanzdienstleisters Worldremit betrieben wird, hat angekündigt, in den nächsten zehn Jahren 500 Millionen US-Dollar in Somaliland ausgeben zu wollen. Die Alphabetisierungsrate soll damit auf 90% gehoben werden. Außerdem will die Stiftung 100.000 Menschen eine adäquate Berufsausbildung zukommen lassen und ins Gesundheitswesen investieren. Die Stiftung war schon zuvor die größte Wohltätigkeitsstiftung in Somaliland und hat bereits zahlreiche Programme gestartet (SLP 7.4.2021).

Die Organisation Shaqadoon betreibt ein Programm, um Jugendliche auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Sie bietet technische und handwerkliche Ausbildung und hat schon 900 Jugendliche in Borama, Hargeysa, Burco und Berbera ausgebildet. Nach Angaben von Shaqadoon gibt es in Somaliland zwar Arbeitsplätze, doch haben viele Einheimische nicht die erforderlichen Fähigkeiten. Deswegen werden dafür oft ausländische Arbeitskräfte herangezogen (AMISOM 6.3.2019). Auch OXFAM betreibt u. a. in Zusammenarbeit mit Shaqadoon und deren Hargabits Academy ein Programm, um der Jugendarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Das Programm bietet auf dem Arbeitsmarkt gesuchte Ausbildung (z.B. digitale und IT-Bildung) und eine bessere Vermittlung zu Arbeitsplätzen – speziell auch für marginalisierte Jugendliche (OXFAM o.D.a). Ein anderes, u.a. von der EU finanziertes, Projekt wird vom Africa Educational Trust geleitet. Mit diesem Programm erhalten 400 junge Menschen grundsätzliche (Alphabetisierung) und weitergehende (handwerkliche, unternehmerische) Ausbildung. Mindestens 250 jungen Menschen wird der Zugang zu Mikrokrediten ermöglicht, um sich eine Lebensgrundlage zu schaffen (AET 2020). Der Norwegian Refugee Counci (NRC) bietet ein ähnliches Programm (NRC 23.12.2020).

Quellen:

•             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/ file/local/2052555/20210531_COI-Web inar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

•             AET - Africa Educational Trust (2020): Inspiring Somaliland and Puntland Youth through skills training and creation of employment opportunities, https://www.vettoolbox.eu/en/act ions/inspiring-somaliland-and-puntland-youth-through-skills-training-and-creation-employment, Zugriff 27.1.2021

•             AMISOM (6.3.2019): 06 March 2019 - Daily Monitoring Report [Quelle: Radio Ergo], Newsletter per E-Mail

•             ARTE / Unger, M. / Bergeron, E. (2021): Reportage – Somaliland: Der Staat, der nicht sein darf, filmische Dokumentation, https://www.arte.tv/de/videos/104232-000-A/somalilandder-staat-der-nicht-sein-darf/, Zugriff 13.10.2021

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             FH - Freedom House (3.3.2021b): Freedom in the World 2021 – Somaliland, https://free domhouse.org/ country/somaliland/freedom-world/2021, Zugriff 30.6.2021

•             HD - Horn Diplomat (14.1.2021): Somaliland Budget Analysis 2021, https://www.horndiplomat.com/ 2021/01/14/somaliland-budget-analysis-2021/, Zugriff 26.1.2021

•             NRC - Norwegian Refugee Council (23.12.2020): Tailoring careers for young people in Somaliland, https:// www.nrc.no/perspectives/2020/tailoring-careers-for-young-people-in-somaliland/, Zugriff 27.1.2021

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf , Zugriff 21.1.2021

•             OXFAM (o.D.a): Getting Somaliland’s youth back to work through skills training, https://heca. oxfam.org/latest/stories/getting-somalilands-youth-back-work-through-skills-training, Zugriff 27.1.2021

•             OXFAM / REACH (6.2018): Drought, Displacement and Livelihoods in Somalia/Somaliland. Time for gender-sensitive and protection-focused approaches, http://regionaldss.org/wp-c ontent/uploads/2018/07/bn-somalia-somaliland-drought-displacement-protection-280618en-002.pdf, Zugriff 26.1.2021

•             RMMS - Regional Mixed Migration Secretariat (7.2016): Country Profile – Somalia/Somaliland, ursprüngliche URL http://www.regionalmms.org/index.php/country-profiles/somalia-somaliland , abrufbar nunmehr im Web.Archive unter: https://web.archive.org/web/2018 0923104742/ http://www.regionalmms.org/index.php/country-profiles/somalia-somalilan d#_edn2, Zugriff 27.1.2021

•             Sahan - Sahan / Somali Wire Team (4.10.2021): Editor’s Pick – Somalia: The pitfalls of diaspora-led state-building, in: The Somali Wire Issue No. 241, per e-Mail

•             Sahan - Sahan / Rashid Abdi (15.7.2021): Editor’s Pick – Hargeisa: A Tale of Cats and Dogs, in: The Somali Wire Issue No. 185, per e-Mail

•             SLP - Somaliland Post (7.4.2021): Somaliland: WorldRemit founder launches Sahamiye Foundation to tackle the Country’s development challenges, https://somalilandpost.net/s omaliland-worldremit-founder-launches-sahamiye-foundation-to-tackle-the-countrys-dev elopment-challenges/, Zugriff 13.4.2021

•             Spiegel - Spiegel International (1.3.2021): A Miracle on the Horn of Africa, https://www.sp iegel.de/international/world/boom-in-somaliland-a-miracle-on-the-horn-of-africa-a-c7fb91cc-4b0a-4561-977d-dd985cf48256, Zugriff 3.3.2021

•             UNFPA (2016): Economic Characteristics of the Somali People, https://www.nbs.gov.so/docs/ Analytical_Report_Volume_4.pdf, Zugriff 27.1.2021

Grundversorgung (es ist auch der Teil zu Somalia zu berücksichtigen)

Letzte Änderung: 08.07.2021

Die Regierung ist in der Lage, grundlegende Dienste bereitzustellen. Gerade im Bildungs- und Gesundheitsbereich wurden hier signifikante Verbesserungen erreicht (BS 2020, Sitzung 11). Allerdings herrscht im Land noch immer ein hohes Maß an Armut (BS 2020, Sitzung 33). Es gibt kein öffentliches Wohlfahrtssystem. Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor. Das eigentliche soziale Sicherungsnetz bilden die erweiterte Familie und der Clan. Auch Remissen aus dem Ausland tragen zu diesem Netz bei (BS 2020, Sitzung 29). Alleine im Jahr 2020 wurden 1,3 Milliarden US-Dollar nach Somaliland überwiesen (SLP 7.4.2021). Viele Haushalte sind auf diese Gelder angewiesen (FH 3.3.2021, G4).

In Hargeisa, in Somaliland geht es den Menschen durchschnittlich besser als in Süd-/Zentralsomalia (ACCORD 31.5.2021, S.27). In vielen Teilen Somalilands gibt es nach wie vor Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung und Armut. In ländlichen Gebieten lebt mehr als eine von drei Personen in Armut, in urbanen Gebieten ist es mehr als eine von vier (HD 14.1.2021). Überdurchschnittlich viele der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten (76 %) oder aber auch in institutionellen Pflegeeinrichtungen (7 %) untergebracht. Weitere 54 % schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn. Generell sind gesellschaftlicher Zusammenhalt und soziale Netze in Somaliland besser als in anderen Landesteilen (OXFAM 6.2018, Sitzung 11f).

Wenn Verwandten aber die Ressourcen zur Hilfe ausgehen, führt der Weg oft ins IDP-Lager (TG 8.7.2019).

In Somaliland ist es den Menschen aufgrund der besseren Sicherheitslage und der grundsätzlich besseren Organisation der staatlichen Stellen und besseren staatlichen Interventionen im Krisenfalle rascher möglich, den Lebensunterhalt wieder aus eigener Kraft zu bestreiten (AA 18.4.2021, Sitzung 22). Allerdings hat das Land in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren Dürre durchlebt. Vielen Menschen ist dadurch ihr Lebensunterhalt verloren gegangen. Auch früher hat es Dürren gegeben, aber nicht in dieser Frequenz (DEVEX 9.7.2019; vergleiche TG 8.7.2019). Rund 725.000 Menschen sind akut von einer Unsicherheit in der Nahrungsmittelversorgung betroffen (ÖB 3.2020, Sitzung 19). Aus Bari, Nugaal und Sanaag kommen Anfang 2021 Meldungen über Wassermangel; auch die Region Togdheer ist von der Krise betroffen (UNOCHA 27.1.2021, Sitzung 1). Die National Disaster Agency (NADFOR) hat bestätigt, dass eine schwere Dürre Teile von Maroodi-Jeex, Togdheer, Sool und Sanaag getroffen hat. Anfangs wurde durch die Regierung Nahrung verteilt, doch war dies zu wenig, um die betroffenen ca. 55.000 Familien zu versorgen (SLS 7.3.2021).

Bereits seit der Hungersnot 2011 versuchen internationale Organisationen, eine Resilienz gegenüber den Klimabedingungen in der Region aufzubauen. Allerdings führen akute Notlagen immer wieder zu einer Umplanung der Ressourcen, damit nötige Soforthilfe bereitgestellt werden kann (ÖB 3.2020, Sitzung 19). Es kommt in Somaliland hinsichtlich der Zurverfügungstellung humanitärer Hilfe zu keinen Problemen durch al Shabaab (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 38).

Aufgrund der vergleichsweise guten Sicherheitslage, verzeichnen die UN in Somaliland weniger Zwischenfälle im Zusammenhang mit humanitärem Zugang als anderswo im Land (ÖB 3.2020, Sitzung 19). Alleine die UN führt für die somaliländischen Regionen folgende Zahlen an aktiven Partnern an: Awdal: 29; Woqooyi Galbeed: 42; Togdheer: 34; Sool: 36; Sanaag: 32 (UNOCHA 11.2020).

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•             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (11.2020): Somalia Operational Presence (3W), October 2020, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.Humanitarian response.info/files/documents/files/somalia_operational_presence_3ws_october.pdf, Zugriff 26.1.2021

Medizinische Versorgung

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 21.10.2021

Das somalische Gesundheitssystem ist das zweitfragilste weltweit (WB 6.2021, Sitzung 32). Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft (AA 18.4.2021, Sitzung 23). Die Infrastruktur bei der medizinischen Versorgung ist minimal und beschränkt sich meist auf Städte und sichere Gebiete (HIPS 5.2020, Sitzung 38). Die Ausrüstung reicht nicht, um auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung ausreichend abdecken zu können (HIPS 5.2020, Sitzung 38; vergleiche AA 3.12.2020). Es mangelt an Geld, Personal, Referenzsystemen, Diagnoseeinrichtungen, an Ausbildungseinrichtungen, Regulierungen und Managementfähigkeiten (HIPS 5.2020, Sitzung 38). 2021 betrug das Budget des Gesundheitsministeriums 33,6 Millionen US-Dollar (AI 18.8.2021, Sitzung 19). Allerdings zeigt sich in Aufwärtstrend: 2020 wurden 1,3 % des Budgets für den Gesundheitsbereich ausgegeben, 2021 wurden dafür 5 % veranschlagt (WB 6.2021, Sitzung 19).

Dennoch zählt die Gesundheitslage zu den schlechtesten der Welt (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Die durchschnittliche Lebenserwartung ist zwar von 45,3 Jahren im Jahr 1990 auf heute 57,1 Jahre beträchtlich gestiegen, bleibt aber immer noch niedrig (WB 6.2021, Sitzung 29). Erhebliche Teile der Bevölkerung haben keinen Zugang zu trinkbarem Wasser oder zu hinreichenden sanitären Einrichtungen (AA 18.4.2021, Sitzung 23); daran sterben jährlich 87 von 100.000 Einwohnern (Äthiopien: 44) (HIPS 5.2020, Sitzung 24). Die Quoten von Mütter- und Säuglingssterblichkeit sind unter den höchsten Werten weltweit (AA 18.4.2021, Sitzung 23). Eine von zwölf Frauen stirbt während der Schwangerschaft, eines von sieben Kindern vor dem fünften Geburtstag (Äthiopien: 17). Bei der hohen Kindersterblichkeit schwingt Unterernährung bei einem Drittel der Todesfälle als Faktor mit (ÖB 3.2020, Sitzung 15; vergleiche HIPS 5.2020, Sitzung 21ff). Selbst in Somaliland und Puntland werden nur 44 % bzw. 38 % der Mütter von qualifizierten Geburtshelfern betreut (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Al Shabaab hat die medizinische Versorgung eingeschränkt – etwa durch die Behinderung zivilen Verkehrs, die Vernichtung von Medikamenten und die Schließung von Kliniken (USDOS 11.3.2020, S.14). Insgesamt haben nur ca. 15 % der Menschen in ländlichen Gebieten Zugang zu medizinischer Versorgung (AI 18.8.2021, Sitzung 5). Die Rate an grundlegender Immunisierung für Kinder liegt bei Nomaden bei 1 %, in anderen ländlichen Gebieten bei 14 %, in Städten bei 19 % (WB 6.2021, Sitzung 31). Zudem gibt es für medizinische Leistungen und pharmazeutische Produkte keinerlei Qualitäts- oder Sicherheitsstandards (WB 6.2021, Sitzung 27).

Es mangelt an Personal für die medizinische Versorgung. Besonders akut ist der Mangel an Psychiatern, an Technikern für medizinische Ausrüstung und an Anästhesisten. Am größten aber ist der Mangel an einfachen Ärzten (HIPS 5.2020, Sitzung 42). Insgesamt kommen auf 100.000 Einwohner nur zwei im medizinischen Bereich ausgebildete Personen (Standard weltweit: 25 pro 100.000) (UNOCHA 31.3.2020, Sitzung 2). Nach anderen Angaben kommen auf 10.000 Einwohner 4,28 medizinisch ausgebildete Personen (Subsaharaafrika: 13,3; WHO-Ziel: 25) (WB 6.2021, Sitzung 34). Nach wieder anderen Angaben kommen auf 100.000 Einwohner fünf Ärzte, vier Krankenpfleger und eine Hebamme. Dabei herrscht jedenfalls eine Ungleichverteilung: In Puntland gibt es 356 Ärzte, in Jubaland nur 54 und in Galmudug und im SWS je nur 25 (HIPS 5.2020, Sitzung 27/44ff). Die Weltbank hat das mit 100 Millionen US-Dollar dotierte „Improving Healthcare Services in Somalia Project / Damal Caafimaad“ genehmigt. Damit soll die Gesundheitsversorgung für ca. 10 % der Gesamtbevölkerung Somalias, namentlich in Gebieten von Nugaal (Puntland), Bakool und Bay (SWS), Hiiraan und Middle Shabelle verbessert werden (WB 22.7.2021).

In Benadir gibt es 61 Gesundheitseinrichtungen, in HirShabelle 81. In anderen Bundesstaaten stehen folgende Gesundheitseinrichtungen zur Verfügung (HIPS 5.2020, Sitzung 39ff):

Nach anderen Angaben gibt es in ganz Somalia 11 öffentliche und 50 andere Spitäler. In Mogadischu gibt es 4 öffentliche und 46 andere Gesundheitszentren (FIS 7.8.2020, Sitzung 31). Jedenfalls müssen Patienten oft lange Wegstrecken zurücklegen, um an medizinische Versorgung zu gelangen (HIPS 5.2020, Sitzung 39). In Mogadischu gibt es mindestens zwei Spitäler, die für jedermann zugänglich sind. In manchen Spitälern kann bei Notlage über die Ambulanzgebühr verhandelt

werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 36). Im Gegensatz zu Puntland werden in Süd-/Zentralsomalia Gesundheitseinrichtungen vorwiegend von internationalen NGOs unter Finanzierung von Gebern betrieben (HIPS 5.2020, Sitzung 39). Das Keysaney Hospital wird von der Somali Red Crescent Society (SRCS) betrieben. Zusätzlich führt die SRCS Rehabilitationszentren in Mogadischu und Galkacyo (SRCS 2020, Sitzung 8). Die Spitäler Medina und Keysaney (Mogadischu) sowie in Kismayo und Baidoa werden vom Roten Kreuz unterstützt (ICRC 7.2020). Das Rote Kreuz unterstützt die Somali Red Crescent Society beim Betrieb von 29 Erstversorgungseinrichtungen (20 feste und 9 mobile Kliniken). Auch vier Spitäler mit insgesamt 410 Betten in Mogadischu (Keysaney, Medina), Baidoa und Kismayo werden unterstützt (ICRC 13.9.2019). Insgesamt gibt es im Land nur 5,34 stationäre Krankenhausbetten pro 10.000 Einwohnern (WHO-Ziel: 25 Betten) (WB 6.2021, Sitzung 34).

Allerdings sind die öffentlichen Krankenhäuser mangelhaft ausgestattet (AA 18.4.2021, Sitzung 23; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 31f), was Ausrüstung/medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht (AA 18.4.2021, Sitzung 23). Dabei ist der Standard von Spitälern außerhalb Mogadischus erheblich schlechter (FIS 5.10.2018, Sitzung 36). Zudem bietet die Mehrheit der Krankenhäuser nicht alle Möglichkeiten einer tertiären Versorgung (HIPS 5.2020, Sitzung 38). Speziellere medizinische Versorgung – etwa Chirurgie – ist nur eingeschränkt verfügbar – in öffentlichen Einrichtungen fast gar nicht, unter Umständen aber in privaten. So werden selbst am Banadir Hospital – einem der größten Spitäler des Landes, das über vergleichsweise gutes Personal verfügt und auch Universitätsklinik ist – nur einfache Operationen durchgeführt (FIS 5.10.2018, Sitzung 35). Relativ häufig müssen daher Patienten von öffentlichen Einrichtungen an private verwiesen werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 31). Immerhin stellt der private Sektor 60 % aller Gesundheitsleistungen und 70 % aller Medikamente. Und auch in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen wird der Großteil der Dienste über NGOs erbracht (WB 6.2021, Sitzung 27f).

Die Primärversorgung wird oftmals von internationalen Organisationen bereitgestellt und ist für Patienten kostenfrei. Allerdings muss manchmal für Medikamente bezahlt werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 35f; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 20). Oft handelt es sich bei dieser Primärversorgung um sogenannte „Mother Health Clinics“, von welchen es in Somalia relativ viele gibt. Diese werden von der Bevölkerung als Gesamtgesundheitszentren genutzt, weil dort die Diagnosen eben kostenlos sind (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 20). Private Einrichtungen, die spezielle Leistungen anbieten, sind sehr teuer. Schon ein kleiner operativer Eingriff kostet 100 US-Dollar. Am Banadir-Hospital in Mogadischu wird eine Ambulanzgebühr von 5-10 US-Dollar eingehoben, die Behandlungsgebühr an anderen Spitälern beläuft sich auf 5-12 US-Dollar. Medikamente, die Kindern oder ans Bett gebundenen Patienten verabreicht werden, sind kostenlos. Üblicherweise sind die Kosten für eine Behandlung aber vom Patienten zu tragen (FIS 5.10.2018, Sitzung 35f). Am türkischen Spital in Mogadischu, das als öffentliche Einrichtung wahrgenommen wird, werden nur geringe Kosten verrechnet, arme Menschen werden gratis behandelt (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 73). Generell gilt, wenn z.B. ein IDP die Kosten nicht aufbringen kann, wird er in öffentlichen Krankenhäusern auch umsonst behandelt. Zusätzlich kann man sich auch an Gesundheitseinrichtungen wenden, die von UN-Agenturen betrieben werden. Bei privaten Einrichtungen sind alle Kosten zu bezahlen (FIS 7.8.2020, Sitzung 31/37). Es gibt keine Krankenversicherung (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 73); nach anderen Angaben ist diese so gut wie nicht existent, im Jahr 2020 waren nur 2 % der Haushalte hinsichtlich Ausgaben für Gesundheit versichert (WB 6.2021, Sitzung 34).

Aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten musste die SRCS ihre mobilen und stationären Kliniken von 129 auf 72 reduzieren (57 stationäre und 15 mobile). Als Ziel wird die Abdeckung des Bedarfs von rund 1,6 Millionen Menschen angegeben. Im Jahr 2019 konnten mehr als 850.000 Patienten behandelt werden. Davon waren 45 % Kinder und 40 % Frauen. Die häufigsten Behandlungen erfolgten in Zusammenhang mit akuten Atemwegserkrankungen (26 %), Durchfallerkrankungen (9,2 %), Anämie (13 %), Hautkrankheiten (5,2 %), Harnwegsinfektionen (11,6 %) und Augeninfektionen (4,4 %) (SRCS 2020, Sitzung 9f). Die am öftesten diagnostizierten chronischen Krankheiten sind Diabetes und Bluthochdruck (WB 6.2021, Sitzung 30).

Versorgungs- und Gesundheitsmaßnahmen internationaler Hilfsorganisationen mussten auch immer wieder wegen Kampfhandlungen oder aufgrund von Anordnungen unterbrochen werden (AA 18.4.2021, Sitzung 23).

Psychiatrie: Es gibt in ganz Süd-/Zentralsomalia und Puntland nur einen Psychiater, elf Sozialarbeiter für psychische Gesundheit sowie 19 Pflegekräfte. Folgende psychiatrische Einrichtungen sind bekannt (WHO Rizwan 8.10.2020):

An psychiatrischen Spitälern gibt es nur zwei, und zwar in Mogadischu; daneben gibt es drei entsprechende Abteilungen an anderen Spitälern und vier weitere Einrichtungen. Dabei gibt es eine hohe Rate an Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung (WHO Rizwan 8.10.2020). Psychische Probleme werden durch den bestehenden Konflikt und den durch Instabilität, Arbeitsund Hoffnungslosigkeit verursachten Stress gefördert. Schätzungen zufolge sind 30 % der Bevölkerung betroffen (FIS 5.10.2018, Sitzung 34; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 16), die absolute Zahl wird mit 1,9 Millionen Betroffenen beziffert (HIPS 5.2020, Sitzung 26). Nach anderen Angaben (Stand 2020) wurden bei 4,3 % der Bevölkerung durch einen Arzt eine Geisteskrankheit diagnostiziert während man von einer Verbreitung von 14 % ausgeht (WB 6.2021, Sitzung 31).

Psychisch Kranken haftet meist ein mit Diskriminierung verbundenes Stigma an. Nach wie vor ist das Anketten psychisch Kranker eine weitverbreitete Praxis. Dies gilt selbst für psychiatrische Einrichtungen – etwa in Garoowe (WHO Rizwan 8.10.2020). Aufgrund des Mangels an Einrichtungen werden psychisch Kranke mitunter an Bäume gebunden oder zu Hause eingesperrt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 35). Im Zweifelsfall suchen Menschen mit psychischen und anderen Störungen Zuflucht im Glauben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 38).

Verfügbarkeit:

Nur 5 % der Einrichtungen sind in der Lage, Tuberkulose, Diabetes oder Gebärmutterhalskrebs zu diagnostizieren und zu behandeln (WB 6.2021, Sitzung 34).

•             Diabetes: Kurz- und langwirkendes Insulin ist kostenpflichtig verfügbar. Medikamente können überall gekauft werden. Die Behandlung erfolgt an privaten Spitälern (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 84). Rund 537.000 Menschen leiden in Somalia an einer Form von Diabetes (HIPS 5.2020, Sitzung 26).

•             Dialyse: In Mogadischu ist Dialyse nicht möglich (FIS 7.8.2020, Sitzung 31); nach anderen Angaben steht Dialyse in Städten zur Verfügung, nicht aber auf Bezirksebene (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 74). Am türkischen Krankenhaus in Mogadischu kostet jede Behandlung 35 US-Dollar (DIS 11.2020, App. F, Sitzung 16).

•             HIV/AIDS: Kostenlose Dienste stehen zur Verfügung (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 74). Über das Land verstreut gibt es Zentren, in welchen anti-retrovirale Medikamente kostenfrei abgegeben werden (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 83).

•             Krebs: Es gibt nur diagnostische Einrichtungen, keine Behandlungsmöglichkeiten (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 74). Es sind auch keine Medikamente verfügbar. Wer es sich leisten kann, geht zur Behandlung nach Indien, Äthiopien, Kenia oder Dschibuti (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 83).

•             Orthopädie: Das SRCS betreibt in Hargeysa, Mogadischu und Galkacyo orthopädische Rehabilitationszentren samt Physiotherapie (SRCS 2020, Sitzung 8).An den genannten Zentren der SRCS in Mogadischu und Galkacyo werden Prothesen, Orthosen, Physiotherapie, Rollstühle und Gehhilfen organisiert, unterhalten und repariert (SRCS 2020, Sitzung 20ff).

•             Psychische Krankheiten: Die Verfügbarkeit ist hinsichtlich der Zahl an Einrichtungen, qualifiziertem Personal und geographischer Reichweite unzureichend. Auch die Verfügbarkeit psychotroper Medikamente ist nicht immer gegeben, das Personal im Umgang damit nicht durchgehend geschult (WHO Rizwan 8.10.2020). Oft werden Patienten während psychotischer Phasen angekettet (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 84).

•             Transplantationen: Diese sind in Somalia nicht möglich, es gibt keine Blutbank. Patienten werden i.d.R. nach Indien, in die Türkei oder nach Katar verwiesen (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 84).

•             Tuberkulose: Die Behandlung wird über den Global Fund gratis angeboten (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 84). Die Zahl an Infizierten mit der multi-resistenten Art von Tuberkulose ist in Somalia eine der höchsten in Afrika. Mehr als 8 % der Neuinfizierten weisen einen resistenten Typ auf (HIPS 5.2020, Sitzung 25).

Medikamente: Grundlegende Medikamente sind verfügbar (FIS 5.10.2018, Sitzung 37; vergleiche FIS7.8.2020, Sitzung 31), darunter solche gegen die am meisten üblichen Krankheiten sowie jene zur Behandlung von Diabetes, Bluthochdruck, Epilepsie und von Geschwüren. Auch Schmerzstiller sind verfügbar. In den primären Gesundheitszentren ländlicher Gebiete kann es bei Medikamenten zur Behandlung chronischer Krankheiten zu Engpässen kommen (FIS 5.10.2018, Sitzung 37). Nach anderen Angaben kommt es in Krankenhäusern allgemein immer wieder zu Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten, Verbands- und anderen medizinischen Verbrauchsmaterialien (AA 3.12.2020). Die oben erwähnten, vom Roten Kreuz unterstützten Spitäler erhalten Medikamente vom Roten Kreuz (ICRC 13.9.2019).

Es gibt keine Regulierung des Imports von Medikamenten (DIS 11.2020, Sitzung 73). Medikamente können ohne Verschreibung gekauft werden. Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt in erster Linie über private Apotheken. Für Apotheken gibt es keinerlei Aufsicht (FIS 5.10.2018, Sitzung 37). Die zuständige österreichische Botschaft kann zur Medikamentenversorgung in Mogadischu keine Angaben machen (ÖB 3.2020, Sitzung 16).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt% 2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_% 28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.202 1.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.12.2020): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/somalia sicher heit/203132#content_6, Zugriff 3.12.2020

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•             UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.3.2020): Somalia Humanitarian Bulletin, 1-31 March 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027648/March+2020+Humani tarian+Bulletin-Final+%281%29.pdf, Zugriff 8.4.2020

•             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT. pdf , Zugriff 6.4.2021

•             USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT. pdf , Zugriff 17.3.2020

•             WB - Weltbank (22.7.2021): Somalia’s Women and Children are Among the 1.84 Million to Benefit from Improved Healthcare Services, https://www.worldbank.org/en/news/pressrelease/2021/07/19/somalia-s-women-and-children-are-among-the-1-84-million-to-benefit-from-improved-healthcare-services, Zugriff 31.8.2021

•             WB - Weltbank (6.2021): Somalia Economic Update. Investing in Health to Anchor Growth, http://documents1.worldbank.org/curated/en/926051631552941734/pdf/Somalia-Economic-Update-Investing-in-Health-to-Anchor-Growth.pdf, Zugriff 15.9.2021

WHO Rizwan - World Health Organization / Humayun Rizwan (8.10.2020): Mental Health in Somalia, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/ mental_health_presentation.pdf, Zugriff 3.12.2020

Somaliland

Letzte Änderung: 21.10.2021

Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft (AA 18.4.2021, Sitzung 23), bzw. weist sie zahlreiche Schwächen auf. Sie hat sich im Laufe der letzten Jahre aber substantiell verbessert (ÖB 3.2020, Sitzung 19). Insgesamt ist die Lage in Somaliland besser als in Süd-/Zentralsomalia. Die Fertilitätsrate liegt in Somaliland bei 5,7 Kindern pro Frau, der gesamtsomalische Durchschnitt beträgt 6,9. In Somaliland werden 40 % der Kinder unter medizinischer Begleitung geboren [institutional delivery], im somalischen Durchschnitt sind es nur 21 % (WB 6.2021, Sitzung 26ff). Seit dem Jahr 2010 sind in Hargeysa viele neue Gesundheitseinrichtungen – ganze Spitäler, Zahnarztpraxen, Kliniken – eröffnet worden, viele davon privat (BFA 3./4.2017).

Zuletzt haben die Vereinten Arabischen Emirate im Jänner 2021 zwei modern eingerichtete Spitäler in Berbera und Burco eröffnet (UAE 20.1.2021).

Es gibt keinerlei kostenfreie Gesundheitsversorgung und auch keine Krankenversicherung (Höhne 9.4.2021). Der Gesundheitssektor ist nur schwach reguliert. Den Großteil der medizinischen Versorgung stellen UN, NGOs (ÖB 3.2020, Sitzung 19) und der private Sektor zur Verfügung (BS 2020, S.29). Im somaliländischen Gesundheitssystem gibt es vier Ebenen: Die Primary Health Care Units (PHU); die Health Centers (HC); die Referral Health Centers (RHC); und die regionalen Spitäler (BMC Yussuf 2020, Sitzung 3). Für das Jahr 2016 wurde die Zahl an Einrichtungen mit 123 PHU, 104 HC und 21 RHC angegeben. Die Zahl an Spitälern beläuft sich auf 16 – dies sind nur knapp weniger als im Rest Somalias zusammen (19) (HIPS 5.2020, Sitzung 13). Die meisten Einrichtungen sind unterfinanziert bzw. mangelhaft ausgestattet – vor allem jene in ländlichen Gebieten (BMC Yussuf 2020, Sitzung 6).

Das Hargeysa Group Hospital kann in einigen Bereichen spezialisierte medizinische Versorgung bieten, z.B. Dialyse (FIS 5.10.2018, Sitzung 35). Es gibt in Somaliland mindestens 1.000 Apotheken, diese sind nicht reguliert (HRW 25.10.2015).

Ärzte ohne Grenzen haben im Jahr 2019 ein neues Programm gegen Tuberkulose begonnen.

Dabei wird in Hargeysa, Burco, Berbera und Borama auch die Behandlung von multiresistenten Formen unterstützt (MSF o.D.).

Das Rehabilitationszentrum der SRCS in Hargeysa bietet physiotherapeutische und orthopädische Dienste. Zudem werden Prothesen, Orthosen, Rollstühle und Gehhilfen organisiert, unterhalten und repariert (SRCS 2020, Sitzung 22f).

Im Jänner 2021 haben die Vereinten Arabischen Emirate in Hargeysa ein Dialysezentrum eröffnet, an welchem 30 Patienten pro Tag behandelt werden können (EAN 23.1.2021).

In ganz Somaliland gibt es zwei Psychiater, acht Sozialarbeiter für psychische Gesundheit sowie drei Pflegekräfte. Folgende Einrichtungen zur Behandlung psychischer Erkrankungen sind bekannt: je ein psychiatrisches Spital in Berbera und Gabiley; psychiatrische Abteilungen an den Spitälern von Hargeysa, Burco und Borama; sowie die Sahan Clinic (WHO Rizwan 8.10.2020). Nach anderen Angaben gibt es alleine am Hargeysa Group Hospital eine psychiatrische Abteilung mit vier im Ausland ausgebildeten Psychiatern. Die Abteilung hat bis zu 150 Plätze für stationäre Aufnahmen. Insgesamt ist die Psychiatrie in Hargeysa – im regionalen Kontext – relativ gut ausgerüstet. Daneben gibt es in Hargeysa noch zwei private Psychiater, die ihre Dienstleistungen anbieten. Zudem gibt es in Borama ein relativ gut funktionierendes Krankenhaus mit einer psychatrischen Abteilung. Diese hat Platz für ca. 26 stationär aufgenommene Patienten. Allerdings arbeiten dort nicht permanent ausgebildete Psychiater, sondern Allgemeinmediziner mit gewissen Kenntnissen in Psychiatrie. Die Psychiatrie in Burco ist in einem schlechten Zustand. Dort fehlt es an Personal und Ausrüstung (Höhne 9.4.2021).

Die Kosten für den stationären Aufenthalt im der psychiatrischen Abteilung im Krankenhaus belaufen sich auf ca. 5 US-Dollar/Nacht. Dazu kommen Kosten für Nahrung und Medizin. Insgesamt kostet ein Monat im Krankenhaus mindestens 200 US-Dollar, kann aber deutlich teurer werden, je nachdem, welche Medikamente gebraucht werden oder welche sonstigen Behandlungen durchgeführt werden müssen. Sowohl das Hargeysa Group Hospital als auch das Krankenhaus in Borama und die wenigen privaten psychiatrischen Einrichtungen bieten ambulante Versorgung an. Diese ist generell deutlich günstiger als stationäre Aufenthalte. Es fallen allerdings bei jedem Arztkontakt Gebühren zwischen 5 und 10 US-Dollar an. Die Medikamente müssen dann zusätzlich bezahlt werden (Höhne 9.4.2021).

Zumindest am Hargeysa Group Hospital werden PTSD, Schizophrenie und schwere Depressionen medikamentös und therapeutisch behandelt. Allerdings ist die Versorgung mit Medikamenten eingeschränkt (Höhne 9.4.2021). Nach wie vor ist das Anketten psychisch Kranker auch in psychiatrischen Einrichtungen in Berbera und Hargeysa eine verbreitete Praxis (WHO Rizwan 8.10.2020; vergleiche Höhne 9.4.2021).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt% 2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevant e_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_% 28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia [Österreich/Schweiz] (3./4.2017): Informationen aus den Protokollen der FFM

•             BMC Yussuf - BMC Health Services Research / Yussuf, Mohamed et al. (2020): Exploring the capacity of the Somaliland healthy, Zugriff 3.12.2020

•             BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-pr oject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020

•             ENA - Emirates News Agency (23.1.2021): UAE opens kidney dialysis centre in Hargeisa, Somaliland, https://wam.ae/en/details/1395302903692, Zugriff 26.1.2021

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/S omalia_Fact_Finding+Mission+ to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f6944b6d21a7/Somalia_ Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+an d+Nairobi+January+2018.pdf, Zugriff 17.3.2021

•             HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (5.2020): Somalia’s Healthcare System: A Baseline Study & Human Capital Development Strategy, http://www.heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2020/05/ Somalia-Healthcare-System-A-Baseline-Study-and-HumanCapital-Development-Strategy.pdf, Zugriff 3.12.2020

•             Höhne, Markus / ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (9.4.2021): Expertenauskunft zu Somalia: Somaliland: Psychiatrische Versorgung und Kosten; ambulante Versorgung, Verfügbarkeit von Medikamenten [a-11539], https://www.ecoi.net/en/document/ 2049708.html, Zugriff 30.6.2021

•             HRW - Human Rights Watch (25.10.2015): „Chained Like Prisoners“ - Abuses Against People with Psychosocial Disabilities in Somaliland, https://www.hrw.org/report/2015/10/25/chained-prisoners/abuses-against-people-psychosocial-disabilities-somaliland, Zugriff 7.12.2020

•             MSF - Ärzte ohne Grenzen (2020): International Acitivity Report 2019, Somalia and Somaliland, https://www.msf.org/international-activity-report-2019/somalia-somaliland, Zugriff 7.12.2020

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             SRCS - Somali Red Crescent Society (2020): Annual Report 2019, http://data.ifrc.org/fdrs /societies/somali-red-crescent-society, Zugriff 3.12.2020

•             UAE - Ministry of Foreign Affairs & International Cooperation [Vereinte Arabische Emirate] (20.1.2021): UAE opens two hospitals in Somaliland, https://www.mofaic.gov.ae/en/med iahub/news/2021/1/19/19-01-2021-uae-somal, Zugriff 26.1.2021

•             WB - Weltbank (6.2021): Somalia Economic Update. Investing in Health to Anchor Growth, http://documents1.worldbank.org/curated/en/926051631552941734/pdf/Somalia-Econo mic-Update-Investing-in-Health-to-Anchor-Growth.pdf , Zugriff 15.9.2021

•             WHO Rizwan - World Health Organization / Humayun Rizwan (8.10.2020): Mental Health in Somalia, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/ mental_health_presentation.pdf, Zugriff 3.12.2020

Rückkehr

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 21.10.2021

Rückkehr international: Die steigende Rückkehr von somalischen Flüchtlingen nach Somalia ist eine Tatsache (ÖB 3.2020, Sitzung 13). Schon nach den Jahren 2011 und 2012 hat die Zahl der aus der Diaspora nach Süd- und Zentralsomalia zurückkehrenden Menschen stark zugenommen. Es gibt keine Statistiken, doch alleine die vollen Flüge nach Mogadischu und die sichtbaren Investments der Diaspora scheinen die Entwicklung zu bestätigen (EASO 12.2017, Sitzung 55). Viele lokale Angestellte internationaler NGOs oder Organisationen sind aus der Diaspora zurückgekehrte Somali. Andere kommen nach Somalia auf Urlaub oder eröffnen ein Geschäft (BFA 3./4.2017). Repräsentanten der somalischen Gemeinde in London geben an, dass hunderte ihrer Kinder nach Somalia, Somaliland und Kenia ausgeflogen wurden. Grund dafür ist die wachsende Sorge der Eltern vor Drogenbanden und Gewalt in England (TG 9.3.2019).

Großbritannien, Norwegen, Dänemark und Finnland führen grundsätzlich Abschiebungen nach Mogadischu durch. 2018 hat auch die Schweiz erstmals nach Somalia rückgeführt. Belgien und die Niederlande haben im Jahr 2020 wegen COVID-19 keine Rückführungen durchgeführt, Rückführungen aus Deutschland gestalteten sich schwierig (AA 18.4.2021, Sitzung 24). Im November 2019 wurde Somalia in das ERRIN-Programm für freiwillige Rückkehr aufgenommen. Daran partizipiert auch Österreich (BMI 8.11.2019).

Rückkehr regional: Die Rückkehrbewegung nach Somalia hat sich in den Jahren 2020 und 2021 deutlich verlangsamt. Insgesamt sind von Ende 2014 bis Juni 2021 knapp 133.000 Menschen mit oder ohne Unterstützung nach Somalia zurückgekehrt. Im ersten Halbjahr 2021 waren es allerdings nur knapp 1.400 – vor allem aus dem Jemen (UNHCR 10.7.2021). Mehr als 75 % der Rückkehrer aus dem Jemen gehen nach Mogadischu (UNHCR 30.6.2019a). Aus dem Jemen kamen mehr als 5.400 somalische Flüchtlinge mit Unterstützung durch den UNHCR zurück in ihr Land. Weitere knapp 40.000 sind aus dem Jemen ohne Unterstützung zurückgekehrt (AA 18.4.2021, Sitzung 22; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 13). Im Feber 2021 landete ein Boot mit 164 jemenitischen und somalischen Familien in Bossaso, die Menschen wurden dort in einem Flüchtlingszentrum registriert (Sahan 25.2.2021b). Seit 2018 ist die Zahl an Rückkehrern jedenfalls rückläufig (AA 18.4.2021, Sitzung 22). Im Jahr 2020 waren es insgesamt nur etwa 1.000 Rückkehrer (USDOS 30.3.2021, Sitzung 21) - nicht zuletzt aufgrund der COVID-19-Pandemie. Ende 2020 wurden die diesbezüglichen Aktivitäten in begrenztem Ausmaß wieder aufgenommen (UNHCR 31.5.2021, Sitzung 1).

Der UNHCR und andere internationale Partner unterstützen seit 2014 die freiwillige Rückkehr von Somaliern aus Kenia. Grundlage ist ein trilaterales Abkommen zwischen Kenia, Somalia und dem UNHCR (AA 18.4.2021, Sitzung 22; vergleiche NLMBZ 3.2019, Sitzung 54). Seit Abschluss des trilateralen Abkommens kehrten mit Unterstützung des UNHCR über 84.900 Menschen aus Kenia nach Somalia zurück. Diese gingen vor allem nach Kismayo und das südliche Jubaland (AA 18.4.2021, Sitzung 22). Die Remigration von Kenia nach Somalia erfolgt hauptsächlich über Land, wobei die Fahrt bis an die Grenze organisiert wird, und die Rückkehrer dann innerhalb Somalias den Transport selbst arrangieren (NLMBZ 3.2019, Sitzung 54). Noch nie wurde ein Bus, welcher Rückkehrer transportiert, angegriffen (FIS 7.8.2020, Sitzung 28). Allerdings kommt es aufgrund von Gewalt und Konflikt immer wieder zu Unterbrechungen bei der Rückkehrbewegung (USDOS 30.3.2021, Sitzung 22).

Seit Frühjahr 2018 unterstützt die sogenannte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration rückkehrwillige somalische Migranten vornehmlich in Libyen und Äthiopien. Die Leistungen umfassen Beratung zu Möglichkeiten der Rückkehr sowie der Integration in den somalischen Arbeitsmarkt. Außerdem wird die Entwicklung von standardisierten Rückführungsverfahren nach Somalia gefördert. Zwischen 2014 und 2020 kamen 773 somalische Flüchtlinge aus Dschibuti, 469 aus Libyen, 143 aus dem Sudan, 34 aus Eritrea und weitere aus Angola, Tunesien, Gambia, China und der Ukraine nach Somalia zurück (AA 18.4.2021, Sitzung 22).

Behandlung: Die Zahl der von westlichen Staaten zurückgeführten somalischen Staatsangehörigen nimmt stetig zu. Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professionalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt. Das RMO hat für alle Rückführungsmaßnahmen nach Somalia eine einheitliche Prozedur festgelegt, die konsequent zur Anwendung gebracht wird (AA 18.4.2021, Sitzung 23). Am Flughafen kann es zu einer Befragung von Rückkehrern kommen (NLMBZ 3.2019, Sitzung 52). Das RMO befragt sie hinsichtlich Identität, Nationalität, Familienbezügen sowie zum gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete minderjährige und andere Rückkehrer. Eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug kann vom RMO organisiert werden, die Rechnung begleichen die rückführenden Staaten (AA 18.4.2021, Sitzung 23f).

Es sind keine Fälle bekannt, wo somalische Behörden Rückkehrer misshandelt haben (NLMBZ 3.2019, Sitzung 52). Staatliche Repressionen sind nicht die Hauptsorge der Rückkehrer. Nach vorliegenden Erkenntnissen werden Rückkehrer vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt (AA 18.4.2021, Sitzung 23f).

Rückkehrstudie von UNHCR: Der UNHCR hat für eine repräsentative Studie von 2018 bis 2020 mehr als 2.000 Haushalte mit fast 12.000 Angehörigen – darunter vor allem unterstützte Rückkehrer aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen – zu ihrer Situation in Somalia befragt. Dabei hatten 46 % der Befragten angegeben, wegen der verbesserten Sicherheitslage nach Somalia zurückgegangen zu sein. 13 % machten diesen Schritt wegen besserer ökonomischer Möglichkeiten. Nur 19 % der befragten Haushalte gaben an, in einem IDP-Lager zu wohnen (wobei der UNHCR diese Bezeichnung dezidiert für inadäquat hält). 95 % der Rückkehrer gaben an, nach ihrer Rückkehr keinerlei Form von Gewalt (Drohungen, Einschuchterungen, physische Gewalt) erlebt zu haben. 87 % gaben an, sich in ihrer Gemeinde und im Bezirk frei bewegen zu können. 92 % der Befragten gaben an, dass sie nicht als Rückkehrer diskriminiert würden; und 90 % wurden auch nicht wegen ihrer ethnischen oder Clan-Zugehörigkeit diskriminiert. 88% der Befragten haben keine Streitigkeiten austragen müssen. Von jenen, die in Konflikte verwickelt waren, gaben 43 % Wohnungs- und Landstreitigkeiten als Gründe an, weitere 19 % Familienstreitigkeiten (UNHCR 31.5.2021).

Erreichbarkeit: Einen internationalen Standards entsprechenden, regelmäßigen Direktflugverkehr nach Mogadischu gibt es mit Turkish Airlines aus Istanbul, Ethiopian Airlines aus Addis Abeba, Kenyan Airways aus Nairobi und Qatar Airways aus Doha. Darüber hinaus fliegen regionale Fluglinien, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und private Chartermaschinen Mogadischu aus Nairobi regelmäßig an. Für Rückführungen somalischer Staatsbürger wurden vor COVID-19 die Verbindungen der Turkish Airlines via Istanbul bzw. via Nairobi mit Jubba Airways bevorzugt. Bei Ersterer erfolgte meist eine polizeiliche Eskortierung bis Mogadischu, bei Letzterer nur bis Nairobi, da die Fluglinie sich dann gegen die Zahlung einer Gebühr um die Sicherheit kümmerte (AA 18.4.2021, Sitzung 24).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt %2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_ %28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021

•             BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia (3./4.2017): Informationen aus den Protokollen der FFM

•             BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (8.11.2019): ERRIN Reintegrationsprojekt Somalia und Somaliland ab 8. November 2019, per e-Mail

•             EASO - European Asylum Support Office (12.2017): Somalia Security Situation, https: //www.easo. europa.eu/sites/default/files/publications/coi-somalia-dec2017lr.pdf, Zugriff 3.12.2020

•             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+Moga dishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae 973a0/Somalia+Fact-Finding+Mission+to+ Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=16022 25617645, Zugriff 17.3.2021

•             NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centraal-_Somalie__ maart_2019.pdf, Zugriff 2.12.2020

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www. ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             Sahan - Sahan / Hillaac Net (25.2.2021b): The Somali Wire No. 90, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.hillaac.net/puntland-oo-qaabishay-in-ka-badan-160-qoys-oo-qaxooti-ka-soo-cararay-yemen/

•             TG - The Guardian (9.3.2019): Mothers send sons to Somalia to avoid knife crime,https://www.theguardian.com/uk-news/2019/mar/09/british-somalis-send-sons-abroad-to protect-against-knife-crime, Zugriff 3.12.2020

•             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (10.7.2021): Somalia - Returnees Figures and Trends as of 30 June 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2056013/UNHCR+Somalia+Monthly+ Refugee+ Returnee+Report+-+June+2021.pdf, Zugriff 20.7.2021

•             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (31.5.2021): Somalia Post Return Monitoring Snapshot Round 5 | MAY 2021, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/PRM%20Snapshot%20 May%202021.pdf, Zugriff 1.7.2021

•             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.11.2019): Refugee returnees to Somalia at 30 November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2022050/document-8.pdf, Zugriff 27.1.2020

•             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.6.2019): UNHCR Somalia Factsheet -1 - 30 June 2019, https://reliefweb.int/report/somalia/unhcr-somalia-factsheet-1-30-june-2019, Zugriff 3.12.2020

•             • USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT .pdf, Zugriff 6.4.2021

Somaliland

Letzte Änderung: 07.07.2021

Zu möglichen staatlichen Repressionen gegenüber Rückgeführten liegen keine Erkenntnisse vor. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete Minderjährige. Großbritannien, Finnland, Dänemark und Norwegen führen grundsätzlich Abschiebungen nach Hargeysa durch. Die Niederlande und Belgien haben aufgrund von Covid-19 im Jahr 2020 keine Rückführungen durchgeführt. Nach Somaliland gibt es Linienflüge aus Dubai, Jeddah, Addis Abeba und Dschibuti. Rückführungen werden aber meist über Mogadischu mit Weiterreise nach Hargeysa durchgeführt. Nach Somalia rückgeführte Personen reisen teilweise nach Somaliland weiter, die dortigen Behörden werden aber von der Regierung in Mogadischu nicht über die Hintergründe in Kenntnis gesetzt, sodass eine weitere Betreuung der Rückkehrer durch somaliländische Behörden unwahrscheinlich scheint (AA 18.4.2021, Sitzung 24f).

IOM Länderbüros unterhalten Rückkehrprogramme nach Somaliland. Die Rückkehr dorthin wird folglich als durchaus möglich beurteilt. Das Land akzeptiert nur aus Somaliland stammende Rückkehrer (ÖB 3.2020, Sitzung 19). In das europäische Programm zur freiwilligen Rückkehr ERRIN (European Return and Reintegration Network) wurde mit November 2019 auch die Destination Somaliland aufgenommen. Umgesetzt wird das Programm vor Ort von der Organisation IRARA (International Return and Reintegration Assistance) mit Büro in Hargeysa. Das Programm umfasst – neben den direkt von Österreich zur Verfügung gestellten Mitteln – pro Rückkehrer 200 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro Sachleistungen (BMI 8.11.2019). Letztere umfassen (je nach Wunsch des Rückkehrers) eine vorübergehende Unterbringung, medizinische und soziale Unterstützung, Beratung in administrativen und rechtlichen Belangen, Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens sowie schulische und berufliche Bildung (BMI 8.11.2019; vergleiche IRARA O.D.b). Bei Ankunft bietet IRARA zudem Abholung vom Flughafen, Unterstützung bei der Weiterreise und Grundversorgung. Zur Reintegration wird ein maßgeschneiderter Plan erstellt, der folgende Maßnahmen enthalten kann: soziale, rechtliche und medizinische Unterstützung; langfristige Unterstützung bei der Unterkunft; Bildung; Hilfe bei der Arbeitssuche; Berufsausbildung; Unterstützung für ein Start-up; Unterstützung für vulnerable Personen. Neben Hargeysa hat IRARA Standorte in Burco und Borama. Laut IRARA werden nicht nur freiwillige Rückkehrer, sondern auch abgewiesene Asylwerber, irreguläre Migranten, unbegleitete Minderjährige und andere vulnerable Gruppen unterstützt und vom Programm abgedeckt (IRARA o.D.b).

Laut dem Ministry of Resettlement, Rehabilitation and Reconstruction (MRRR) ist jede somaliländische Person willkommen, die freiwillig zurückkehrt. Das MRRR versucht, vor der Rückkehr Familie und Verwandte ausfindig zu machen und führt ein Screening durch. Nur dann wird von Somaliland die Genehmigung zur Rückkehr erteilt (BFA 3./4. 2017).

Seit Frühjahr 2018 unterstützt die sogenannte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration v.a. in Libyen und Äthiopien somalische Migranten, die in ihr Heimatland zurückzukehren wollen. Die Leistungen umfassen Beratung zu Möglichkeiten der Rückkehr sowie der Integration in den lokalen Arbeitsmarkt. Außerdem wird die Entwicklung von standardisierten Rückführungsverfahren nach Somaliland gefördert (AA 18.4.2021, Sitzung 22). Dutzende Migranten sind über dieses Programm nach Somaliland zurückgekommen. Rückkehrer erhalten u.a. eine Ausbildung – etwa „start-your-business“-Kurse. Nicht nur aus Libyen kommen Migranten freiwillig nach Somaliland zurück, sondern auch aus Europa, dem Sudan und dem Jemen (DW 12.12.2018). Auch aus der Diaspora sind viele Menschen nach Somaliland zurückgekehrt, überall im Land kann man Rückkehrer finden. Ihr Geld und ihr Wissen ist für die Wirtschaft von enormer Bedeutung. Diese Menschen vertrauen ihrem Land, sie glauben an Somaliland – und deshalb investieren sie dort auch (Spiegel 1.3.2021).

Quellen:

•             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118 /Ausw%C3%A4rtiges_Amt% 2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_ %28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf, Zugriff 23.4.2021

•             BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia (3./4.2017): Informationen aus den Protokollen der FFM

•             BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (8.11.2019): ERRIN Reintegrationsprojekt Somalia und Somaliland ab 8. November 2019, per e-Mail

•             DW - Deutsche Welle (12.12.2018): World in Progress: Returning to Somaliland, https://www.dw.com/en/world-in-progress-returning-to-somaliland/av-46699478, Zugriff 19.7.2019

•             IRARA - International Return and Reintegration Assistance (o.D.b): Country Leaflets – Somaliland, https://www.irara.org/leaflets/, Zugriff 11.3.2021

•             ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021

•             Spiegel - Spiegel International (1.3.2021): A Miracle on the Horn of Africa, https://www.sp iegel.de/international/world/boom-in-somaliland-a-miracle-on-the-horn-of-africa-a-c7fb91cc-4b0a-4561-977d-dd985cf48256, Zugriff 3.3.2021

Beweis wurde erhoben durch Erstbefragung des Beschwerdeführers am 29.05.2015, Einvernahme durch das BFA am 20.04.2016, Einsichtnahme in den Bescheid vom 27.05.2016, in das hg. Erkenntnis vom 22.11.2016, Einsichtnahme in die strafgerichtliche Verurteilung vom 23.05.2017, in den nunmehr bekämpften Bescheid von 09.05.2019 sowie durch Durchführung einer Beschwerdeverhandlung am 01.10.2020 und 12.11.2020, weiters durch Vorhalt von aktuellen Länderinformationen, insbesondere das Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Somalia durch das Bundesverwaltungsgericht sowie durch Vorlage der Ausreisebestätigung der IOM durch die belangte Behörde.

2. Beweiswürdigung:

Die länderspezifischen Feststellungen entstammen einer aktuellen Zusammenstellung der Staatendokumentation (die nicht nur für die Länderinformationen des BFA, sondern auch für das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist), welche auf einer ausgewogenen Sammlung zahlreicher seriöser, aktueller, internationaler, staatlicher und nicht staatlicher Quellen beruht, die in den obigen Länderfeststellungen zitiert wurden. Dem Beschwerdeführer konnten diese Länderinformationen (auch wegen Rückkehr aber auch wegen Fehlen seines Vertreters) nicht erfolgreich vorgehalten werden. Von der belangten Behörde ist anzunehmen, dass ihr diese bekannt sind.

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Verfahrensakt der belangten Behörde, den Beschwerdeverhandlungen vom 01.10.2020 und vom 12.11.2020 sowie dem zuletzt ergangenen Erkenntnis des BVwG vom 19.01.2021 zur Zahl W159 212831 8-2/42E.

Das Nichtvorhandensein eines Vertreters ergibt sich aus der diesbezüglichen Korrespondenz der Rechtsanwaltskanzlei römisch 40 bzw. der römisch 40 , die Ausreise des Beschwerdeführers aus der Bestätigung der IOM vom 08.06.2021. Die Feststellung zu der Verurteilung des Beschwerdeführers lässt sich dem diesbezüglichen Auszug aus dem Strafregister entnehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1. Zu den Spruchpunkten römisch eins. und römisch II. des Bescheides vom 09.05.2019:

Gemäß Paragraph 9, Absatz eins, AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1.           die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht oder nicht mehr vorliegen,

2.           der Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder […]

Wie der Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Aberkennung von Asyl ausgeführt hat, ist „Sache des Verfahrens im Bundesverwaltungsgericht sämtliche im Gesetz vorgesehenen Aberkennungsgründe und ist das Bundesverwaltungsgericht keineswegs an die vom BFA angenommenen Aberkennungstatbestände gebunden, dann ist es ihm nicht verwehrt, andere Aberkennungstatbestände als das BFA zu prüfen“ (VwGH vom 29.06.2020, Ra 2019/01/0014). Diese Ausführungen hinsichtlich der Aberkennung von Asyl sind zur Gänze auch auf die Aberkennung von subsidiären Schutz zu übertragen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof erst jüngst wiederholt ausgeführt hat, hat das Bundesverwaltungsgericht die Sach- und Rechtslage in seinem Entscheidungszeitpunkt anzuwenden (VwGH vom 29.09.2021, Ra 2021/19/0223, VwGH vom 16.12.2021, Ra 2020/18/0155).

Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer bereits am 16.06.2021 freiwillig in den Herkunftsstaat zurückgekehrt und hat daher nunmehr den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat. Wenn auch das BFA (und in weiterer Folge das BVwG) im vorliegenden Verfahren von einer Anwendung des Paragraph 9, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG ausgegangen ist, ist nunmehr das Bundesverwaltungsgericht im Sinne der oben dargestellten Judikatur verhalten, Paragraph 9, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG anzuwenden und den Beschwerdeführer aus diesem Grunde den Status eines subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen, ohne dass es weiterer Erläuterungen bedürfte.

Aus diesem Grunde war auch der Antrag des Beschwerdeführers auf Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 abzuweisen.

2. Zu den Spruchpunkten römisch III. bis römisch VI. des Bescheides vom 09.05.2019

Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 5, AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und in den Fällen der Ziffer eins und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 7, nicht erteilt wird.

Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn 1. dies gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 9, Integrationsgesetz (IntG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 68 aus 2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (Paragraph 5, Absatz 2, ASVG) erreicht wird. Nach Paragraph 55, Absatz 2, AsylG 2005, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Absatz eins, Ziffer eins, vorliegt.

Gemäß Paragraph 57, Absatz eins, AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Absatz eins a, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Gemäß Paragraph 52, Absatz 2, FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (Paragraph 10, AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Paragraph 58, AsylG 2005 lautet:

„(1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß Paragraphen 4, oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 55, von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.“

Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG lautet:

„(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraph 45, oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre.“

Der dem Beschwerdeführer zugekommene subsidiäre Schutz war abzuerkennen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt (ein sonstiger Aufenthaltstitel des drittstaatsangehörigen Fremden ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet) im Bundesgebiet mehr vor und fällt der Beschwerdeführer nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 55, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG iSd Artikel 8, EMRK geboten ist.

Der Begriff des „Familienlebens“ in Artikel 8, EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt vergleiche dazu EKMR 19.07.1968, Nr. 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, Nr. 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar2 [1996] Rz 16 zu Artikel 8,).

Der Beschwerdeführer ist geschieden, ohne familiäre Pflichten. Der Beschwerdeführer befindet sich in Österreich in keiner Lebensgemeinschaft und hat keine Kinder in Österreich. Die Ausweisung stellt daher keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz des Familienlebens dar.

Artikel 8, EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. Zum geschützten Privatleben gehört das Netzwerk der gewachsenen persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen (EGMR vom 09.10.2003, Nr. 48321/99, Slivenko/Lettland). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. So können persönliche Beziehungen, die nicht unter das Familienleben fallen, sehr wohl als „Privatleben“ relevant sein.

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stellen regelmäßig einen Eingriff in das Privatleben dar, weil sie die betroffene Person aus ihrem sozialen Umfeld herausreißen. Nach der Rechtsprechung des EGMR hängt es von den Umständen des jeweiligen Falles ab, ob es angebracht ist, sich eher auf den Gesichtspunkt des Familienlebens zu konzentrieren als auf den des Privatlebens (EGMR 23.04.2015, Nr. 38030/12, Khan, Rn. 38; 05.07.2005, Große Kammer, Nr. 46410/99, Üner, Rn. 59). Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in: Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hg.], Handbuch der Grundrechte VII/12, Paragraph 10,, Rn. 52).

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Artikel 8, Absatz 2, EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfGH 17.03.2005, G78/04 ua.; VwGH vom 26.06.2007; 2007/01/0479).

Der Beschwerdeführer befindet sich seit 17.06.2021 nicht mehr in Österreich und ist daher seine – sowieso eher gering eingeschätzte – Integration in Österreich nicht weiter zu prüfen.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG in Verbindung mit Artikel 8, EMRK dar. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Nach Paragraph 50, Absatz eins, FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Nach Paragraph 50, Absatz 2, FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Artikel 33, Ziffer eins, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974,), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005).

Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den tragenden Gründen des gegenständlichen Erkenntnisses keine Umstände vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung nach Somalia im Sinne des Paragraph 50, FPG ergeben würden. Die Abschiebung ist schließlich nach Paragraph 50, Absatz 3, FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Somalia nicht.

Der Beschwerdeführer hat durch seine freiwillige Rückkehr gezeigt, dass einer Rückkehrentscheidung und auch einer Abschiebung nichts entgegensteht.

Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia ist daher zulässig.

Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach Paragraph 55, Absatz 2, FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Da derartige besondere Umstände vom Beschwerdeführer nicht behauptet wurden und auch im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen sind, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

Die Beschwerde war daher unter Zugrundelegung der nunmehrigen Sach- und Rechtslage insgesamt als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Eine Revision gegen diese Entscheidungen ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidungen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängen, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weichen die gegenständliche Entscheidungen von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch mangelt es an einer derartigen Rechtsprechung; sie ist auch nicht uneinheitlich. Die Entscheidung wurde vielmehr mit der aktuellen Judikatur des VwGH begründet. Ferner liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2022:W159.2128318.2.00