Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

16.03.2022

Geschäftszahl

I407 2252598-1

Spruch


I407 2252598-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. TUNESIEN, vertreten durch: BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH gegen den Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle West (EASt-West) vom 08.02.2022, Zl. römisch 40 , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

1.           Der Beschwerdeführer stellte am 22.01.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit wirtschaftlichen Motiven begründete.

2.           Mit dem Bescheid vom 08.02.2022 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Tunesien (Spruchpunkt römisch II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt römisch III.), erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht (Spruchpunkt römisch VI.). Zugleich erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt römisch VII.).

3.           Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 07.03.2022. Der Beschwerdeführer führte aus, die Behörde habe wichtige Ermittlungsschritte unterlassen, da sie den Bescheid am Tag der niederschriftlichen Einvernahme gefällt habe und keine Ermittlungen zu den psychischen Problemen und der existenziellen Notlage des Beschwerdeführers getroffen hätte. Zudem seien die zugrunde gelegten Länderfeststellungen mangelhaft. In weiterer Folge sei auch die vorgenommene Beweiswürdigung mangelhaft und der Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

4.           Mit Schriftsatz vom 07.03.2022, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 09.03.2022, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Tunesien und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig. Er leidet allerdings unter psychischen Problemen in Form von Depressionen. Diese sind in Tunesien prinzipiell behandelbar und der Beschwerdeführer hat in seinem Heimatstaat bereits wiederholt Psychotherapien in Anspruch genommen. Aufgrund seines jungen Alters und den fehlenden Risikofaktoren gehört der Beschwerdeführer auch nicht zu einer Risikogruppe im Hinblick auf eine Infektion mit Covid-19.

Der Beschwerdeführer reiste legal mit gültigem Reisedokument per Flugzeug aus Tunesien nach Serbien aus und gelangte über Ungarn nach Österreich. Er hält sich seit (mindestens) 16.01.2022 in Österreich auf.

Die Familie des Beschwerdeführers bestehend aus dem Vater, der Mutter und den fünf volljährigen Brüdern, lebt in Tunesien. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.

Der Beschwerdeführer absolvierte in seinem Heimatstaat die Matura und war anschließend vier Jahre beim Militär angestellt. Zuletzt arbeitete er als LKW-Fahrer. Aufgrund seiner Arbeitserfahrung in Tunesien hat er eine Chance auch hinkünftig im tunesischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft. Er befindet sich derzeit in Schubhaft.

Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hat seinen Heimatstaat vornehmlich aus wirtschaftlichen Gründen verlassen.

Eine persönliche Verfolgung des Beschwerdeführers liegt nicht vor und wurde von diesem auch nicht behauptet.

Der Beschwerdeführer wird im Falle seiner Rückkehr nach Tunesien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Tunesien:

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 08.02.2022 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurde das aktuelle (Stand 21.10.2021) „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Tunesien zitiert. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist auch keine Änderung bekannt geworden, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich diesen Ausführungen vollinhaltlich anschließt und auch zu den seinen erhebt. Diesbezüglich ist folgendes erneut festzuhalten:

COVID-19

Tunesien war bis vor kurzem besonders stark von der COVID-Pandemie betroffen und das Infektionsrisiko stieg laufend, zudem zählte Tunesien weltweit zu den Ländern mit den höchsten COVID-Todesraten (BMEIA 20.10.2021; vergleiche WKO 16.9.2021); mit bisher über 24.000 Todesfälle, ca. 2.000 Neuinfizierte und etwa 80 Tote täglich waren eine traurige Bilanz. Momentan durchlebt das Land die 5. Pandemiewelle, die von der Delta-Variante geprägt ist (WKO 16.9.2021).

Aktuell kommt es mit 16.10.2021 zur Neuerung innerstaatlicher Maßnahmen in Bezug auf die COVID-19 Infektion. Vollständig Geimpfte (seit mindestens 14 Tagen) benötigen bei Einreise keinen PCR-Test mehr und für nicht-Geimpfte gilt weiterhin sieben Tage Hotelquarantäne zulasten des Reisenden. Seit Beginn Oktober 2021 ist ein starker Rückgang von Infektionsfällen, Hospitalisierungen und Todesfällen zu verzeichnen. Aktuell kommt es auch zu keiner Überbelastung des Gesundheitssektors (ÖB 20.10.2021).

Am 16.10.2021 wurde auch die Ausgangssperre aufgehoben und eine uneingeschränkte Wiederaufnahme des Arbeitsbetriebs im öffentlichen Dienst und des vollständigen Präsentsunterrichts in sämtlichen Bildungseinrichtungen. Weiters sind auch alle Aktivitäten und öffentliche und private Versammlungen im offenen Raum für nachweislich vollständig Geimpfte wieder zulässig. Mit dem Beginn der Impfkampagne mit einer 3. Dosis für über 75-Jährige und chronisch Erkrankte, verzeichnet Tunesien allerdings auch ein Abnehmen der Impfbereitschaft, bzw. eine Impfmüdigkeit. Dem aktuellen Bericht der ÖB ist zu entnehmen, dass die Impfquote der vollständig geimpften bei 35,24 % liegt, sprich 3,2 Mio. (ÖB 20.10.2021).

Die Situation bezüglich Bewegungsfreiheit hat sich seit 2011 substantiell verbessert. Allerdings können die Behörden unter dem breiten Mandat des Ausnahmezustands die Bewegungsfreiheit einzelner Personen beschränken. Davon waren tausende Menschen betroffen. Die Bewegungsfreiheit wurde auch durch COVID-19-bezogene Maßnahmen beeinträchtigt (FH 3.3.2021).

Waren die Herausforderungen in wirtschaftlicher, sozialer, moralischer und kultureller Hinsicht bereits bisher enorm, sind sie nun seit Ausbruch der Covid-19 Krise Mitte März 2020 nochmals um ein vielfaches verschärft: die Arbeitslosigkeit, seit Jahren gemäß offiziellen Statistiken 15,6%, ist auf 18% gestiegen und dürfte weiter auf 20% bis Jahresende steigen (ÖB 1.10.2020).

Aktuell ist die medizinische Versorgung aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht gewährleistet, da die Krankenhäuser ihre Kapazitätsgrenzen erreicht haben (BMEIA 20.10.2021). Gerade die Covid-19-Pandemie hat starke Defizite aufgezeigt (ÖB 1.10.2020).

Quellen:

             BMEIA - Bundesministerium Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (20.10.2021): Reiseinformationen Tunesien, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 20.10.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2046543.html, Zugriff 7.10.2021

             ÖB - Österreichische Botschaften [Österreich] (20.10.2021): Tunesien, SARS-COV-2_Fact_Sheet, übermittelt via Mail

             ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 7.10.2021

             WKO - Wirtschaftskammer Österreich (16.9.2021): Die tunesische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-tunesische-wirtschaft.html, Zugriff 15.10.2021

Sicherheitslage

Die von den bisherigen Regierungen angestrebte Verbesserung der Sicherheitslage im Inneren und der Kampf gegen den Terrorismus bleiben trotz vermehrter Anstrengungen und zahlreichen Verhaftungs- und Durchsuchungsaktionen weiter eine Herausforderung. Nach den tragischen Anschlägen im Jahr 2015 auf das Bardo Museum, eine Hotelanlage in Sousse sowie einen Bus der Präsidialgarde (AA 19.2.2021; vergleiche AA 20.10.2021). Das Risiko von terroristischen Akten besteht weiterhin im ganzen Land. Wiederholt sind in Tunis Selbstmordattentate gegen die tunesischen Sicherheitskräfte verübt worden, zum Beispiel im März 2020 in der Nähe der amerikanischen Botschaft sowie im Juni 2019 und im Oktober 2018 (EDA 20.10.2021; vergleiche AA 20.10.2021). Die Attentate forderten vereinzelte Todesopfer und mehrere Verletzte, darunter auch Zivilpersonen. Die tunesischen Behörden haben eine Reihe von Massnahmen getroffen, um Terrorzellen zu zerschlagen (EDA 20.10.2021). Die Sicherheitslage ist in der Stadt und in der Region um Ben Guerdane nahe der libyschen Grenze besonders angespannt. Mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz in diesen Regionen ist zu rechnen (AA 20.10.2021).

Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär, geprägt von täglichen Sicherheitsoperationen von Militär und Polizei sowie Meldungen über vereitelte Anschläge. Die Sorge vor einer Infiltration durch aus Libyen und anderen Konfliktzonen zurückkehrende Islamisten tunesischen Ursprungs ist groß. Auch mit Hilfe ausländischer logistischer Unterstützung wurden die Grenzkontrollen drastisch verschärft, und es wird auch im Land nach Rückkehrern gefahndet (ÖB 1.10.2020).

Laut österreichischem Außenministerium gilt (für österreichische Staatsbürger) eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für die Saharagebiete, das Grenzgebiet zu Algerien und die westlichen Landesteile. Reisewarnungen bestehen für die Region südlich der Orte Tozeur – Douz – Ksar Ghilane – Tataouine – Zarzis. Mit gewaltsamen Aktionen terroristischer Organisationen ist zu rechnen. Das militärische Sperrgebiet an der Grenze zu Algerien in der Nähe des Berges Chaambi ist teilweise vermint und kann von den Sicherheitskräften kurzfristig ausgedehnt werden. Im Westen des Landes ist mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz zu rechnen; es finden bewaffnete Auseinandersetzungen mit Terroristengruppen statt (BMEIA 20.10.2021). Die Behörden haben insbesondere die Präsenz der Sicherheitskräfte im Land erhöht, vor allem in den Touristenorten (EDA 20.10.2021).

Der seit Ende 2015 verhängte Ausnahmezustand mit erweiterten Befugnissen für Sicherheitskräfte wurde mehrfach verlängert und gilt landesweit fort. Mit vermehrten Polizeikontrollen ist landesweit weiterhin zu rechnen (AA 20.10.2021). Es erlaubt den Sicherheitskräften Streiks, Kundgebungen und große Versammlungen zu verbieten, von denen angenommen wird, dass sie zu Unruhen führen. Die Regierung hat diese Maßnahmen aus Sicherheitsgründen als notwendig bezeichnet, aber laut Analysten, sollen die Maßnahmen Dissens unterdrücken (FH 3.3.2021; vergleiche ÖB 1.10.2020). Die Behörden verfügen somit über eine weitreichende Erlaubnis, die Bewegungsfreiheit von Einzelpersonen einzuschränken, und Tausende von Menschen sind von solchen Verfügungen betroffen (FH 3.3.2021).

Der seit sechs Jahren geltende sicherheitspolitische Ausnahmezustand in Tunesien hat es den Sicherheitskräften ermöglicht, ohne richterliche Genehmigung Razzien durchzuführen und gegen Verdächtige de facto Reiseverbote zu verhängen (JF 13.8.2021).

Im ganzen Land besteht die Gefahr von Terroranschlägen. Die angespannte Wirtschaftslage verbunden mit sozialen Problemen führt nicht nur vermehrt zu spontanen Demonstrationen, sondern auch gewalttätigen Ausschreitungen, die den Armeeeinsatz erforderlich machen. Demonstrationen und Proteste können sich spontan und unerwartet entwickeln. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften können dabei nicht ausgeschlossen werden (AA 20.10.2021; vergleiche BMEIA 20.10.2021). Ferner informiert das Österreichische Außenministerium, dass es aktuell, zum 10-jährigen Jahrestag der tunesischen Revolution mit vermehrten Unruhen im ganzren Land zu rechnen ist (BMEIA 20.10.2021).

Die Zahl der Terroranschläge in Tunesien ist in den letzten Jahren zurückgegangen, da sich die Sicherheitsstrukturen des Landes erheblich verbessert haben. Darüber hinaus kam es zu keinem Übergreifen der Gewalt aus den von Konflikten geplagten nordwestlichen Provinzen, wo der IS und mit Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) verbundene Gruppen seit 2011 einen Aufstand gegen den Staat führen (JF 13.8.2021).

Dank der Ausbildungs- und Sicherheitshilfe der USA und der EU konnte die Armee ihre Fähigkeiten zur Terrorismusbekämpfung innerhalb des Militär- und Geheimdienstapparats verbessern und die tunesische Grenze zu Libyen sichern. Die Zahl der terroristischen Aktivitäten im Land konnte so erheblich reduziert werden. Während die Anti-Terror-Operationen in der Provinz Kasserine auch im Jahr 2021 fortgesetzt wurden, gab es seit dem Messerangriff auf eine Patrouille der Nationalgarde in Sousse im September 2020 keinen nennenswerten terroristischen Vorfall mehr in einem größeren tunesischen Ballungsraum (JF 13.8.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 7.10.2021

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.10.2021): Tunesien - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/tunesiensicherheit/219024, Zugriff 20.10.2021

             BMEIA - Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (20.10.2021): Tunesien - Reiseinformationen, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 20.10.2021

             EDA - Eidgenössisches Department für Auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (20.10.2021): Reisehinweise für Tunesien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/tunesien/reisehinweise-tunesien.html#par_textimage_0, Zugriff 20.10.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 7.10.2021

             JF - Jamestown Foundation (13.8.2021): Tunisia’s Tense Political Situation and Consequences for Counterterrorism; Terrorism Monitor Volume: 19 Issue: 16,
https://www.ecoi.net/en/document/2058727.html, Zugriff 7.10.2021

             ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 7.10.2021

Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor (USDOS 30.3.2021; vergleiche FH 3.3.2021, AA 19.2.2021). Im Allgemeinen respektiert die Regierung die richterliche Unabhängigkeit auch in der Praxis (USDOS 30.3.2021). Allerdings schreitet die Justizreform seit der Revolution nur langsam voran (FH 3.3.2021; vergleiche AA 19.2.2021, GIZ 11.2020a). Auch weiterhin finden sich zahlreiche Richter aus der Ben-Ali-Ära auf der Richterbank und aufeinanderfolgende Regierungen versuchen regelmäßig, Gerichte zu manipulieren. Mit den 2016 verabschiedeten Rechtsvorschriften wurde der Oberste Justizrat eingesetzt, der für die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz und die Ernennung der Richter des Verfassungsgerichts zuständig ist. Die Ratsmitglieder wurden 2016 von Tausenden von Juristen gewählt. Bis 2019 waren jedoch weder das Verfassungsgericht, noch seine formell ernannten Mitglieder eingerichtet worden (FH 3.3.2021). Der Oberste Justizrat konnte seine Arbeit als neues Selbstverwaltungsorgan der Justiz erst aufnehmen, nachdem eine Gesetzesänderung die internen Konflikte der Richterschaft neutralisiert hatte. Als nächster Schritt soll die Konstituierung eines ordentlichen Verfassungsgerichts erfolgen. Bislang wacht eine provisorische Instanz über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen vor ihrem Inkrafttreten (AA 19.2.2021; vergleiche ÖB 1.10.2020).

Im Oktober 2020 prüfte das Parlament einen Gesetzentwurf, der Sicherheitskräften Immunität gewähren soll, die tödliche Gewalt anwenden, um einige Versammlungen zu zerstreuen, wenn die Aktion als letztes Mittel angesehen wird. Nationale und internationale Menschenrechtsgruppen sprachen sich heftig gegen das Gesetz aus, das erstmals 2013 vorgeschlagen worden war, das Parlament zog das Gesetz zurück (FH 3.3.2021).

Gesetzlich ist ein faires Verfahren vorgesehen, und die unabhängige Justiz gewährleistet dieses üblicherweise auch in der Praxis. Die gesetzlich garantierten Rechte sind jedoch nicht immer gewährleistet. Es gilt die Unschuldsvermutung. Angeklagte haben das Recht auf einen öffentlichen Prozess sowie auf einen Anwalt, der notfalls aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt werden muss. Sie haben das Recht, zu Zeugenaussagen Stellung zu nehmen und eigene Zeugen aufzurufen. Sie müssen in Beweismittel Einsicht nehmen können und müssen über die gegen sie erhobenen Anklagepunkte informiert werden. Des Weiteren muss ihnen ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung gewährt werden (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 7.10.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 7.10.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020a): Tunesien - Geschichte & Staat, liegt bei der Staatendokumentation auf

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043733.html, Zugriff 7.10.2021

             ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 7.10.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2048161.html, Zugriff 7.10.2021

Sicherheitsbehörden

Dem Innenministerium untersteht die Nationalpolizei (Exekutivfunktion in Städten) und die Nationalgarde bzw. Gendarmerie (Exekutivfunktion in ländlichen Gebieten und Grenzsicherung). Zivile Behörden kontrollieren den Sicherheitsapparat, wiewohl es regelmäßig zu Übergriffen durch die Sicherheitskräfte kommt (USDOS 30.3.2021; vergleiche GIZ 11.2020a). Die Regierung unternahm Schritte, um gegen Beamte zu ermitteln, die mutmaßlich Übergriffe begangen hatten, aber die Untersuchungen waren nicht transparent und es kam häufig zu langen Verzögerungen und verfahrenstechnische Hindernissen (USDOS 30.3.2021).

Im Oktober 2020 erwog das Parlament einen Gesetzesentwurf, der Sicherheitspersonal, das mit tödlicher Gewalt reagiert, während es Versammlungen zerstreut, Immunität gewährt. Das Parlament zog das Gesetz später zurück, nachdem sich nationale und internationale Menschenrechtsgruppen vehement dagegen ausgesprochen hatten. Berichte über exzessive Gewaltanwendung und Folter durch Sicherheitsbeamte hielten auch 2020 an. Demonstranten prangerten die Gesetzesvorschläge an; es kam zu körperlichen Angriffen und Festnahmen (FH 3.3.2021).

Der Sicherheitsapparat war unter dem Ben-Ali-Regime allgegenwärtig und sicherte dessen Machterhalt. Die Rolle der Sicherheitskräfte während des Umsturzes aber teilweise auch bei gewaltsam aufgelösten Demonstrationen gegen die ersten beiden Interimsregierungen im Frühjahr 2011 vertieften den Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den Sicherheitsorganen, insbesondere der Polizei und den Sondereinheiten des Innenministeriums. Zwar wurde die Geheimpolizei („police politique“) aufgelöst, allerdings steht eine umfassende Reform des Innenministeriums und der nachgeordneten Behörden bis heute aus (AA 19.2.2021).

Das Militär genießt aufgrund seiner zurückhaltenden Rolle während der Revolution 2011 ein sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung, welches bis dato anhält. Durch die derzeit starke Einbindung des Militärs in den Antiterrorkampf als auch bei der Sicherung der Grenzen (so ist z.B. der Süden Tunesiens militärische Sperrzone) ist das Militär nach wie vor wichtiger Stützpfeiler der äußeren, aber auch der inneren Sicherheit (AA 19.2.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 7.10.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 7.10.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020a): Tunesien - Geschichte & Staat, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2048161.html, Zugriff 7.10.2021

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Eine Vielzahl nationaler und internationaler NGOs untersucht Menschenrechtsfälle und publiziert ihre Ergebnisse ohne Restriktionen durch die Regierung. Regierungsbeamte sind üblicherweise kooperativ und reagieren auf ihre Ansichten (USDOS 11.3.2020; vergleiche AA 19.2.2021). Die seit der Revolution sehr aktiv gewordene Zivilgesellschaft trägt ihren Beitrag zur Anprangerung und Bekämpfung von Missständen bei und hat so schon erfolgreich zu gesetzlichen Veränderungen beigetragen, wie z.B. zur Verabschiedung eines Anti-Rassismus-Gesetzes (ÖB 1.10.2020). Im Juli 2018 verabschiedete das Parlament ein umstrittenes neues Gesetz, welches alle NGOs dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen. Kritiker argumentieren, dass die Gesetzgebung verfassungswidrig sei und die Registrierungspflicht dazu dienen solle, die Überwachung und Aufsicht der Zivilgesellschaft durch die Regierung zu verstärken. Eine Nichtregistrierung kann zu einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe von 4.000 US-Dollar führen (FH 3.3.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030006/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_17.04.2020.pdf, Zugriff 18.3.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 9.3.2021

             ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 9.3.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026438.html, Zugriff 30.6.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Die tunesische Verfassung vom 26.1.2014 enthält umfangreiche Garantien bürgerlicher und politischer sowie wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Grundrechte. Tunesien hat die meisten Konventionen der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte einschließlich der entsprechenden Zusatzprotokolle ratifiziert. Vereinzelt noch bestehende Vorbehalte wurden 2011 größtenteils zurückgezogen. Eine ständige Herausforderung bleibt die Anpassung der nationalen Rechtsordnung an die neue Verfassung (AA 19.2.2021). Im Jahr 2020 machte das Parlament keine Fortschritte bei der Reform von Gesetzen, die Menschenrechte verletzen oder bedrohen (HRW 13.1.2021).

Tunesien verfügt über eine Reihe an Institutionen, die sich mit Menschenrechten befassen. Das Land schneidet allerdings auch nach dem Umbruch in den Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen regelmäßig schlecht ab. Eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit, Folter von Häftlingen und Attacken gegen Oppositionelle listet der aktuelle Jahresbericht von Amnesty International auf. Seit dem Sturz Ben Alis hat sich die Situation zwar gebessert, allerdings kommt es nach wie vor zu Menschenrechtsverletzungen, so die Internationale Menschenrechtsliga (FIDH) (GIZ 11.2020a).

Im Vergleich zu den weitreichenden Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit vor der Revolution 2011 haben sich die Bedingungen für unabhängige Medienberichterstattung in den letzten Jahren allerdings grundlegend verbessert. Es wurden wichtige rechtliche Grundlagen zum Schutz der freien Presse geschaffen und offizielle und informelle Strukturen, die zur Unterdrückung freier Meinungsäußerung eingesetzt wurden, größtenteils abgeschafft. Die Meinungs- und Pressefreiheit, sowie auch das Recht auf Zugang zu Informationen und Kommunikationsnetzwerken wurden in den Artikeln 31 und 32 der Verfassung von 2014 ausdrücklich gestärkt. Die Medien berichten - in unterschiedlicher Qualität - frei und offen (AA 19.2.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Die Öffnung der Medienszene hat in den letzten Jahren zum Entstehen einer lebendigen, teilweise wildwüchsigen Medienlandschaft geführt, die Missstände offen thematisiert (AA 19.2.2021).

Gesetzlich sind Meinungs- und Pressefreiheit somit gewährleistet und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen, wie wohl es weiterhin Restriktionen gibt (USDOS 30.3.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Diese Einschränkungen finden sich z. B. in Bezug auf sicherheitsrelevante Themen. Seit den Ausweitungen der Antiterrormaßnahmen hat sich diese Tendenz verstärkt. Journalisten und Blogger, die Kritik an Sicherheitskräften üben, müssen weiterhin mit Strafen rechnen (AA 19.2.2021). Mit der Verlängerung des Ausnahmezustands um weitere sechs Monate, verfügen nun auch die Sicherheitskräfte über erweiterte Befugnisse, was unter anderem zur Einschränkung der Pressefreiheit führen kann (BAMF 11.1.2021).

Aktivisten äußerten sich besorgt über die staatliche Interferenz mit den Medien und die Eigentumsverhältnisse in den Medien. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen kam es weiterhin zu Gewalt und Schikanen gegen Journalisten. In ihrem Bericht vom April 2020 warnte der tunesische Journalistenverband (SNJT) vor einer Zunahme von Hetze und Drohungen gegen Journalisten durch Bürger, die Medien für die sich verschlechternde wirtschaftliche und soziale Lage verantwortlich machen (USDOS 30.3.2021).

Ebenso existieren weiterhin Einschränkungen bei der Kritik an der Religion. Rechtlich verankert ist dies u.a. in Artikel 6 der Verfassung, der den "Schutz des Sakralen" garantiert. Es kommt immer wieder zu einzelnen Fällen von fragwürdiger Strafverfolgung von Journalisten und freischaffenden Bloggern (AA 19.2.2021). Entsprechende Verfahren gegen Zivilisten werden oft von Militärgerichten geführt – eine Praxis, die von tunesischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wird (FH 3.3.2021; vergleiche AA 19.2.2021). Am 4.5.2020 lud die Kriminalpolizei Emna Chargui vor, nachdem sie auf Facebook einen kurzen Text mit dem Titel "Sura Corona" gepostet hatte, geschrieben und formatiert im Stil eines Koranverses (Sure). Der Staatsanwalt beschuldigte Chargui der "Aufstachelung zum Hass zwischen den Religionen durch feindselige Mittel oder Gewalt" gemäß Artikel 52 des Pressefreiheitsdekret-Gesetzes. Am 17.7.2020 verurteilte ein Gericht der ersten Instanz in Tunis Chargui zu sechs Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe (HRW 13.1.2021).

Einige Journalisten sind im Zusammenhang mit ihrer Arbeit Druck und Einschüchterung durch Regierungsbeamte ausgesetzt. Reporter, die über die Sicherheitskräfte berichten, sind weiterhin besonders anfällig für Schikanen und Verhaftungen (FH 3.3.2021). Die Behörden stützten sich auf repressive Bestimmungen des Strafgesetzbuches sowie auf andere Gesetze, um Meinungsäußerungen zu bestrafen, darunter auch Kritik an Amtsträgern. Zwei Social-Media-Aktivisten wurden im April 2020 verhaftet und angeklagt, weil sie sich auf Facebook kritisch über die ihrer Meinung nach unzureichende oder korrupte Reaktion der Regierung auf die durch die Covid-19-Pandemie verursachte finanzielle Notlage äußerten (HRW 13.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Im November 2020 wurde ein Blogger zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, weil er sich in einem Facebook-Video kritisch über einen Staatsanwalt geäußert hatte (FH 3.3.2021). Verschiedene Quellen wie u.a. RSF und die tunesische Journalismusgewerkschaft SNJT berichteten am 15.10.2021, dass es nach der Entmachtung des Parlaments sowie des früheren Regierungschefs mehrfach zu Übergriffen auf Journalistinnen und Journalisten durch Polizei und Demonstrierende gekommen sei. Ebenso sei mit der Begründung, dass dem Islamismus zu viel Raum gegeben werde, das Büro des Fernsehsenders Al-Jazeera gestürmt worden (BAMF 18.10.2021).

Im Vorfeld der Wahlen 2019 äußerten tunesische Journalisten ihre Besorgnis über den Einfluss der Regierung auf die öffentliche Rundfunkanstalt (FH 3.3.2021).

Die Verfassung garantiert das Recht auf friedliche Versammlungen und Demonstrationen (FH 3.3.2021; vergleiche AA 19.2.2021, USDOS 30.3.2021). Zu Einschränkungen kommt es mehrfach aufgrund des weiterhin gültigen Ausnahmezustands. Die Übergänge zwischen legitimen Protesten gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik einerseits und periodisch auftretenden gewaltsamen Ausschreitungen und Plünderungen andererseits sind oft fließend. Grundsätzlich ist jedoch festzustellen, dass die Sicherheitsorgane friedliche Versammlungen und Demonstrationen in der Regel zuverlässig schützen, aber bei Rechtsverletzungen auch entsprechend robust auftreten. Nur vereinzelt kommt es dabei zu unverhältnismäßigem Einsatz polizeilicher Mittel (AA 19.2.2021).

Die Versammlungsfreiheit wurde auch unter den COVID-19-bezogenen Notstandsmaßnahmen Ende März 2020 eingeschränkt, die zunächst alle Versammlungen untersagten. Das Protestverbot wurde im November 2020 in eine weitere Anordnung aufgenommen, aber die Beschränkungen für Massenversammlungen wurden in einer Anordnung vom Dezember 2020 wieder gelockert. Dennoch kam es im Mai 2020 zu kleineren Protesten. Ende Juni 2020 protestierten Demonstranten in der Stadt Tataouine gegen die hohe Arbeitslosigkeit und stießen mit den Behörden zusammen, nachdem ein Aktivist festgenommen worden war. Das Innenministerium berichtete von zehn Verhaftungen nach diesen Zusammenstößen. Im Oktober 2020 protestierten Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude in Tunis gegen einen Gesetzesvorschlag, der dem Sicherheitspersonal Immunität gewähren würde; die Teilnehmer wurden von den Sicherheitskräften körperlich angegriffen und mehrere wurden festgenommen. Andere Demonstrationen verliefen im Laufe des Jahres jedoch ohne gewaltsames Eingreifen (FH 3.3.2021).

Vereinigungsfreiheit ist gesetzlich gewährleistet (FH 3.3.2021; vergleiche AA 19.2.2021, USDOS 30.3.2021). Im Zuge der Bekämpfung von Terrorismus und Geldwäsche wird derzeit eine Reform des Vereinsrechts vorbereitet, die von der tunesischen Zivilgesellschaft sehr kritisch beobachtet wird, hinsichtlich ihrer abschließenden Gestalt aber noch nicht beurteilt werden kann (AA 19.2.2021).

Die primäre Behörde der Regierung zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und zum Kampf gegen Bedrohungen der Menschenrechte ist das Justizministerium. Das Ministerium versagt allerdings dabei, Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Innerhalb des Präsidentenbüros ist der Hohe Ausschuss für Menschenrechte und Grundfreiheiten eine von der Regierung finanzierte Agentur, die mit der Überwachung der Menschenrechte und der Beratung des Präsidenten betraut ist. Das Ministerium für die Beziehungen zu den Verfassungsorganen, der Zivilgesellschaft und den Menschenrechten ist für die Koordinierung der Regierungsaktivitäten im Zusammenhang mit den Menschenrechten zuständig. Die Wahrheits- und Würdekommission (IVD) wurde 2014 gegründet, um schwere Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen (USDOS 30.3.2021). Anfang 2018 stimmte das Parlament gegen eine Verlängerung des Mandats der Kommission, eine Entscheidung, die sich kritisch äußerte, weil sie die Bemühungen um eine Übergangsjustiz schwächte. Die Kommission legte ihren Abschlussbericht im März 2019 vor und veröffentlichte ihn offiziell im Juni 2020. Sie stützte sich dabei auf mehr als 62.000 Beschwerden, die tunesische Bürger wegen Menschenrechtsverletzungen gegen den Staat eingereicht hatten. Tunesische Gerichte prüften zum Jahresende 69 Anklagen und 131 Überweisungen der IVD (FH 3.3.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 7.10.2021

             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (11.1.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw02-2021.html, Zugriff 7.10.2021

             BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (18.10.2021): Briefing Notes, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 7.10.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020a): Tunesien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 28.9.2021

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043733.html, Zugriff 7.10.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2048161.html, Zugriff 7.10.2021

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährleistet Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen (USDOS 30.3.2021; vergleiche FH 3.3.2021), Emigration sowie Wiedereinbürgerung. Die Regierung respektiert im Allgemeinen diese Rechte auch in der Praxis (USDOS 30.3.2021). Die Situation bezüglich Bewegungsfreiheit hat sich seit 2011 substantiell verbessert. Allerdings können die Behörden unter dem breiten Mandat des Ausnahmezustands die Bewegungsfreiheit einzelner Personen beschränken. Davon waren tausende Menschen betroffen. Die Bewegungsfreiheit wurde auch durch COVID-19-bezogene Maßnahmen beeinträchtigt (FH 3.3.2021).

Am 25.7.2021 hat Staatspräsident Saïed, unter Berufung auf den Notstands-Artikel 80 der tunesischen Verfassung, die Regierungsgeschäfte übernommen (AA 20.10.2021). Am Tag bevor Präsident Saied unter Berufung auf Artikel 80 der Verfassung außergewöhnliche Befugnisse ergriff, verlängerte er den Ausnahmezustand, der seit seiner Verhängung im Jahr 2015 durch den ehemaligen Präsidenten Beji Caid-Essebsi wiederholt verlängert wurde, bis zum 19.1.2022. Das Notstandsdekret verleiht der Exekutive weitreichende Befugnisse, darunter das Verbot von Streiks, Demonstrationen und öffentlichen Versammlungen, die Anordnung von Hausarrest und die Übernahme der Kontrolle über die Medien (HRW 11.9.2021). Präsident Kaïs Saïed sah die Bedingungen für die Verlängerung des Notstandes für gegeben (MP 26.7.2021); und so hat er, unter dem Vorwand, die Korruption zu bekämpfen, Dutzende von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unter unbefristeten und willkürlichen Hausarrest gestellt (AI 5.10.2021; vergleiche HRW 11.9.2021). Zudem haben die tunesischen Behörden in den letzten Wochen ohne Begründung und ohne richterliche Anordnung rechtswidrige und willkürliche Reiseverbote gegen Personen verhängt und damit deren Recht auf Bewegungsfreiheit eklatant verletzt. Präsident Kaïs Saïed rechtfertigte die jüngsten Beschränkungen als Teil der Bemühungen, Personen, die der Korruption verdächtigt werden oder eine Sicherheitsbedrohung darstellen, an der Flucht aus dem Land zu hindern (AI 26.8.2021).

Einer Flucht innerhalb Tunesiens werden durch die geringe Größe des Landes enge Grenzen gesetzt. Ein Verlassen besonders gefährdeter Gebiete in den Grenzregionen ist grundsätzlich möglich (AA 19.2.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.10.2021): Tunesien: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/tunesiensicherheit/219024, Zugriff 20.10.2021

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 7.10.2021

             AI - Amnesty International (5.10.2021): Tunisia: Carving up the Constitution represents a threat to human rights, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2021/10/carving-up-the-constitution-represents-a-threat-to-human-rights/, Zugriff 18.10.2021

             AI - Amnesty International (26.8.2021): Tunisia: President must lift arbitrary travel bans, https://www.ecoi.net/en/document/2059075.html, Zugriff 18.10.2021

             HRW - Human Rights Watch (11.9.2021): Tunisia: President’s Repressive Policies Abrogate Rights, https://www.ecoi.net/en/document/2060154.html, Zugriff 18.10.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 7.10.2021

             MP - Maghreb Post (26.7.2021): Tunesien- Präsiden entlässt Premierminister und suspendiert Parlament, https://www.maghreb-post.de/politik/tunesien-praesident-entlaesst-premierminister-und-suspendiert-parlament/, Zugriff 19.10.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2048161.html, Zugriff 7.10.2021

Grundversorgung und Wirtschaft

Die Grundversorgung der Bevölkerung gilt als gut (AA 19.2.2021). Tunesien ist eine weitgehend freie Marktwirtschaft. Neben dem Bergbau, der einer der wichtigsten Sektoren der tunesischen Wirtschaft ist, spielen Landwirtschaft, Textilfabrikation und Tourismus eine wichtige Rolle für die tunesische Wirtschaft (GIZ 11.2020c). Nachdem das tunesische BIP 2020 Corona-bedingt um -8,6% eingebrochen war, zeichnet sich für das laufende Jahr 2021 wiederum eine Wachstumstendenz ab, die sich im Herbst noch beschleunigen dürfte; so könnte es gelingen, dass das BIP um 3% zulegen wird. Eine Rekordernte an Datteln und Oliven stützt die Handelsbilanz, da sie Exporte von über einer Mrd. Euro generierte und auch die verarbeitende Industrie und das Gewerbe ist wiederum angesprungen; Tunesien gilt als verlängerte Werkbank für viele europäische Industriebetriebe, was die angespannte Devisensituation einigermaßen entlasten könnte, da der Tourismus wohl erst im Sommer 2022 wieder voll in die Gänge kommen wird (WKO 16.9.2021). Im Dienstleistungssektor spielen vor allem nach Tunesien ausgelagerte Callcenter französischer Firmen und IT-Unternehmen eine große Rolle. Außerdem gründen sich seit 2011 immer mehr Start-Ups. Der sogenannte Start Up Act, der im April 2018 verabschiedet wurde, soll aufstrebenden jungen Kleinunternehmen v.a. im IT-Bereich den Start erleichtern. Seine Umsetzung wird jedoch kritisiert (GIZ 11.2020c).

Der Förderung der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen kommt nach der Revolution große Bedeutung zu, da die politischen Ereignisse für einen deutlichen Einbruch der Wirtschaft gesorgt haben. Die Arbeitslosigkeit bleibt eines der dringlichsten Probleme des Landes. Die tunesische Wirtschaft ist auch mehr als sieben Jahre nach dem Umbruch nicht besonders konkurrenzfähig. Das Finanzgesetz 2018 hatte zu Beginn des Jahres massive Proteste ausgelöst (GIZ 11.2020c).

Waren die Herausforderungen in wirtschaftlicher, sozialer, moralischer und kultureller Hinsicht bereits bisher enorm, sind sie nun seit Ausbruch der Covid-19 Krise Mitte März 2020 nochmals um ein vielfaches verschärft: die Arbeitslosigkeit, seit Jahren gemäß offiziellen Statistiken 15,6%, ist auf 18% gestiegen und dürfte weiter auf 20% bis Jahresende steigen (ÖB 1.10.2020). Die Inflation zieht an und könnte im Jahresverlauf 7% erreichen; die Arbeitslosigkeit steigt auf 17,9% (WKO 16.9.2021). Die Erhebung tatsächlich zutreffender Zahlen wird durch die Tatsache erschwert, dass 45% der Arbeitskräfte Tunesiens im informellen Sektor beschäftigt sind. Zu dem hohen Anteil an jungen und diplomierten Arbeitslosen kommen die Schulabbrecher (jährlich ca. 100.000), die vom privaten Sektor und vor allem auch im Tourismus krisenbedingt Entlassenen sowie das Heer an Beschäftigten des informellen Sektors (der auf 50% der Wirtschaftsleistung geschätzt wird), welchen ihre Existenzgrundlage entzogen wurde (ÖB 1.10.2020).

Die vorherige Regierung hat zur Verbesserung der Grundversorgung der Bevölkerung in den armen Gegenden des Südens und des Landesinnern eine Umwidmung der staatlichen Ausgabenprogramme weg vom gut entwickelten Küstenstreifen hin zu diesen Regionen vorgenommen (AA 19.2.2021). Zur Stärkung der Regionen wurden rund 250 Millionen Dinar zur Verfügung gestellt, außerdem sollen Familien, die unter der Armutsgrenze leben, besser unterstützt werden. Allerdings werden viele der vorhandenen Entwicklungsgelder nicht ausgegeben (GIZ 11.2020c).

Tunesien ist ein Niedriglohnland. Die durchschnittlichen Monatslöhne im produzierenden Gewerbe liegen zwischen 500 und 800 Dinar. Arbeiter im öffentlichen Sektor verdienen rund 900 Dinar, Beamte 1.000-1.600 Dinar (ÖB 1.10.2020). Der staatliche Mindestlohn wurde nach der Revolution von 225 auf 380 Dinar monatlich (ca. 125 Euro) angehoben. Auch das genügt kaum, um den Lebensunterhalt einer Person zu decken, geschweige denn davon eine Familie zu ernähren. Laut einer aktuellen Untersuchung des Sozialministeriums leben rund 24% der Bevölkerung in Armut, d.h. sie leben von weniger als dem staatlichen Mindestlohn (GIZ 11.2020c). Nichtsdestotrotz verfügt das Land über eine relativ breite, weit definierte Mittelschicht aus selbständigen Kleinunternehmern, Angestellten und Beamten (deren Einkommen niedrig ist) und einer schmalen Oberschicht. Diese spaltet sich in alteingesessenes Bildungsbürgertum und ökonomische Elite (GIZ 11.2020b).

In Tunesien gibt es ein gewisses strukturiertes Sozialsystem. Es bietet zwar keine großzügigen Leistungen, stellt aber dennoch einen gewissen Grundschutz für Bedürftige, Alte und Kranke dar. Der Deckungsgrad beträgt 95%. Folgende staatlichen Hilfen werden angeboten: Rente, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld, Witwenrente, Waisenrente, Invalidenrente, Hilfen für arme Familien, Erstattung der Sach- und Personalkosten bei Krankenbehandlung, Kredite für Familien. Eine Arbeitslosenunterstützung wird für maximal ein Jahr ausbezahlt – allerdings unter der Voraussetzung, dass man vorab sozialversichert war. Es gibt folgende Arbeitsvermittlungsinstitutionen: Nationale Arbeitsagentur (ANETI), Berufsbildungsagentur (ATFP), Zentrum für die Ausbildung der Ausbilder und die Entwicklung von Lehrplänen (CENAFFIF), Zentrum für die Weiterbildung und Förderung der beruflichen Bildung (CNFCPP) (ÖB 1.10.2020).

Es existiert ein an ein sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem. Nahezu alle Bürger finden Zugang zum Gesundheitssystem. Die Regelungen der Familienmitversicherung sind großzügig und umfassen sowohl Ehepartner, als auch Kinder und sogar Eltern der Versicherten. Allerdings gibt es keine allgemeine Grundversorgung oder Sozialhilfe. Die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Lasten müssen überwiegend durch den traditionellen Verband der Großfamilie aufgefangen werden, deren Zusammenhalt allerdings schwindet (AA 19.2.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 7.10.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020b): Tunesien - Gesellschaft, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020c): Tunesien - Wirtschaft & Entwicklung, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

             ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 7.10.2021

             WKO - Wirtschaftskammer Österreich (16.9.2021): Die tunesische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-tunesische-wirtschaft.html, Zugriff 15.10.2021

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung (einschließlich eines akzeptabel funktionierenden staatlichen Gesundheitswesens) hat das für ein Schwellenland übliche Niveau (AA 19.2.2021). Tunesien hat lange Zeit in das Gesundheitswesen investiert, es gibt in allen Landesteilen staatliche Gesundheitseinrichtungen. Allerdings sind die rund 2.200 Einrichtungen trotz guter medizinischer Ausbildung der Beschäftigten oft in desolatem Zustand (ÖB 1.10.2020; vergleiche GIZ 11.2020b). Die öffentliche Gesundheitsversorgung ist nach einem dreistufigen System organisiert und dringend reformbedürftig: erweiterte Leistung der Bezirkskrankenhäuser, verstärkte Ausstattung der Regionalkrankenhäuser und Ausbau der Uni-Kliniken. Zwar beträgt der Radius zur Erlangung medizinischer Hilfe weniger als 5 km, jedoch ist die qualitative Ausstattung in den öffentlichen Krankenhäusern katastrophal (ÖB 1.10.2020). Es mangelt an Ausstattung und Fachärzten, die vor allem in den Großstädten an der Küste angesiedelt sind. Darunter leiden vor allem bedürftige Patienten. Darüber hinaus gibt es ein weites Netz an Privatkliniken und niedergelassenen Ärzten von oft deutlich besserer Qualität (GIZ 11.2020b). Üblicherweise ist eine weitreichende Versorgung in den Ballungsräumen (Tunis, Sfax, Sousse) gewährleistet; Probleme gibt es dagegen in den entlegenen Landesteilen (AA 19.2.2021). Ein Großteil der Ärzteschaft ist gut ausgebildet (z.T. auch im Ausland) und das Pflegepersonal ist günstig – die Basis für einen zunehmenden Gesundheitstourismus. Eine stark angestiegene Anzahl an Privatkliniken bedient meist Ausländer, u.a. zahlungskräftigen Libyer und Algerier (ÖB 1.10.2020).

Die Behandlung psychischer Erkrankungen ist möglich. Die medizinische Behandlung von HIV-Infizierten bzw. AIDS-Kranken ist sichergestellt; es handelt sich jedoch um ein gesellschaftlich tabuisiertes Thema (AA 19.2.2021).

Aktuell ist die medizinische Versorgung aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht gewährleistet, da die Krankenhäuser ihre Kapazitätsgrenzen erreicht haben (BMEIA 20.10.2021). Gerade die Covid-19-Pandemie hat starke Defizite aufgezeigt (ÖB 1.10.2020).

Tunesien gibt rund 6% seines Staatshaushaltes für das Gesundheitswesen aus. Die staatliche Krankenkasse CNAM ist für die Versicherung zuständig und erstattet Behandlungen in staatlichen Einrichtungen und teilweise auch Behandlungskosten bei niedergelassenen Ärzten. Ähnlich wie in Deutschland wird dabei ein Hausarzt-Modell praktiziert. Auch Medikamente werden teilweise erstattet (GIZ 11.2020b). Beim Aufsuchen eines Arztes muss der Behandlungspreis stets sofort entrichtet werden. Je nach Praxis (Krankenhaus, Klinik, Hospital, Fachgebiet) sind das zwischen 20 und 80 Dinar (ca. 8 bis 30 Euro). 2005 wurden die beiden Krankenkassen (CNSS: Caisse nationale de sécurité sociale und CNRPS: Caisse nationale de retraite et de prévoyance sociale) zur Caisse Nationale d’Assurance Maladie (CNAM) zusammengelegt. Allerdings ist diese Kasse mit ca. 1 Milliarden Dinar hoch verschuldet – fehlende Beitragszahlungen und verteuerte Medikamente sind nur einige der Gründe. Tatsächlich besteht eine Klassengesellschaft innerhalb der medizinischen Versorgung. Nur gut betuchte können sich Privat- und Spezialkliniken oder Ärztezentren leisten, wo die Versorgung hochpreisig, einwandfrei und an westlichen Standards angepasst ist (ÖB 1.10.2020).

Seit dem Sommer 2018 fehlt es immer häufiger an Medikamenten, die auf Grund von Zahlungsschwierigkeiten der Zentralapotheke nicht mehr eingekauft werden (GIZ 11.2020b). In Einzelfällen kann es also - insbesondere bei der Behandlung mit speziellen Medikamenten - Versorgungsprobleme geben. Ein Import dieser Medikamente ist grundsätzlich möglich, wenn auch nur auf eigene Kosten der Patienten. In Einzelfällen ist also eine konkrete Nachfrage bezüglich der Verfügbarkeit der benötigten Medikamente erforderlich, in den allermeisten Fällen sind sie vor Ort problemlos erhältlich (AA 19.2.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 7.10.2021

             BMEIA - Bundesministerium Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (20.10.2021): Reiseinformationen Tunesien, http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 20.10.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020b): Tunesien - Gesellschaft, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

             ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 7.10.2021

Rückkehr

Es gibt keine speziellen Hilfsangebote für Rückkehrer. Soweit bekannt, werden zurückgeführte tunesische Staatsangehörige nach Übernahme durch die tunesische Grenzpolizei einzeln befragt und es erfolgt ein Abgleich mit den örtlichen erkennungsdienstlichen Registern. Sofern keine innerstaatlichen strafrechtlich relevanten Erkenntnisse vorliegen, erfolgt anschließend eine reguläre Einreise. Hinweise darauf, dass, wie früher üblich, den Rückgeführten nach Einreise der Pass entzogen und erst nach langer Wartezeit wieder ausgehändigt wird, liegen nicht vor. An der zugrundeliegenden Gesetzeslage für die strafrechtliche Behandlung von Rückkehrern hat sich indes nichts geändert. Sollte ein zurückgeführter tunesischer Staatsangehöriger sein Land illegal verlassen haben, ist mit einer Anwendung der Strafbestimmung in §35 des Gesetzes Nr. 40 vom 14.5.1975 zu rechnen: „Jeder Tunesier, der beabsichtigt, ohne offizielles Reisedokument das tunesische Territorium zu verlassen oder zu betreten, wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen 15 Tagen und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe zwischen 30 und 120 DT (ca. 15 bis 60 Euro) oder zu einer der beiden Strafarten verurteilt. Bei Wiederholung der Tat (Rückfälligkeit) kann sich das im vorhergehenden Absatz aufgeführte Strafmaß für den Täter verdoppeln.“ Soweit bekannt, wurden im vergangenen Jahr ausschließlich Geldstrafen verhängt. Die im Gesetz aufgeführten Strafen kommen dann nicht zur Anwendung, wenn Personen das tunesische Territorium aufgrund höherer Gewalt oder besonderer Umstände ohne Reisedokument betreten (AA 19.2.2021).

Eine „Bescheinigung des Genusses der Generalamnestie“ wird auf Antrag vom Justizministerium ausgestellt und gilt als Nachweis, dass die in dieser Bescheinigung ausdrücklich aufgeführten Verurteilungen - kraft Gesetz - erloschen sind. Eventuelle andere, nicht aufgeführte zivil- oder strafrechtliche Verurteilungen bleiben unberührt. Um zweifelsfrei festzustellen, ob gegen eine Person weitere Strafverfahren oder Verurteilungen vorliegen, kann ein Führungszeugnis (das sog. „Bulletin Numéro 3“) beantragt werden (AA 19.2.2021).

Seit der Revolution 2011 sind tausende Tunesier illegal emigriert. Vor allem junge Tunesier haben nach der Revolution das Land verlassen, kehren nun teilweise zurück und finden so gut wie keine staatliche Unterstützung zur Reintegration. Eine kontinuierliche Quelle der Spannung ist die Diskrepanz zwischen starkem Migrationsdruck und eingeschränkten legalen Migrationskanälen. Die Reintegration tunesischer Migranten wird durch eine Reihe von Projekten von IOM unterstützt. Sowohl IOM als auch der UNHCR übernehmen die Registrierung, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Tunesien. Finanzielle Hilfe dafür kommt hauptsächlich von der EU, sowie aus humanitären Programmen der Schweiz und Norwegens. Die Schweiz ist dabei einer der größten Geber und verfügt über zwei Entwicklungshilfebüros vor Ort. Wesentlich für eine erfolgreiche Reintegration ist es, rückkehrenden Migranten zu ermöglichen, eine Lebensgrundlage aufzubauen. Rückkehrprojekte umfassen z.B. Unterstützung beim Aufbau von Mikrobetrieben, oder im Bereich der Landwirtschaft. Als zweite Institution ist das ICMPD [International Centre for Migration Policy Development] seit 2015 offizieller Partner in Tunesien im Rahmen des sogenannten „Dialog Süd“ – Programms (EUROMED Migrationsprogramm) (ÖB 1.10.2020).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 7.10.2021

             ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 7.10.2021

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Tunesien ein sicherer Herkunftsstaat im Sinne des Paragraph eins, Ziffer 11, HStV ist. Eine nach Tunesien zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Tunesien mit Stand 21.10.2021.

Die belangte Behörde hat ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Das Bundesverwaltungsgericht verweist daher zunächst auf diese schlüssigen und nachvollziehbaren beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid. Auch der Beschwerde vermag das Bundesverwaltungsgericht keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, welche geeignet wären, die von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen Entscheidungen in Frage zu stellen.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Herkunft, seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der Erstbefragung und der niederschriftlichen Einvernahme. Die belangte Behörde hat diese Feststellungen korrekt und nachvollziehbar gewürdigt. Aus dem Beschwerdevorbringen sind keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufgekommen.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich über keine maßgeblichen persönlichen und familiären Beziehungen verfügt, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers anlässlich der Erstbefragung durch die Organe des Öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie seiner Einvernahme durch die belangte Behörde sowie aus dem Umstand seines erst kurzen Aufenthalts in Österreich.

Hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers ist näher festzuhalten, dass dieser in der Niederschrift anlässlich seiner Festnahme am 20.01.2022 zunächst angab, an keiner schwerwiegenden Krankheit zu leiden (AS 3). Auch in der Erstbefragung vom 22.01.2022 erklärte der Beschwerdeführer zunächst, er habe keine Erkrankung, welche das Asylverfahren beeinträchtige und sei nicht auf Medikamente angewiesen (AS 11). Erst im weiteren Verlauf der Befragung erklärte der BF, er habe psychische Probleme, nämlich Depressionen und könne sich die Behandlung in Tunesien nicht leisten (AS 17). In der niederschriftlichen Einvernahme vom 08.02.2022 erklärte der Beschwerdeführer auf explizite Nachfrage erneut, er leide an keinen schwerwiegenden Erkrankungen (AS 137). Erst im Verlauf der niederschriftlichen Befragung kam der Beschwerdeführererneut auf seine psychischen Probleme zu sprechen. Er erklärte allerdings über entsprechende Nachfrage, er sei in der Lage gewesen sein Leben trotz dieser Probleme zu meistern, auch wenn er sich wiederholt in Psychotherapie begeben hätte (AS 141f). Insofern steht für das erkennende Gericht fest, dass der Beschwerdeführerunter psychischen Problemen in Form einer depressiven Störung leidet. Allerdings geht aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine aktuelle und akute Behandlungsbedürftigkeit hervor. Vielmehr bestätigte der Beschwerdeführer trotz seiner psychischen Probleme grundlegend in der Lage zu sein, sein Leben zu meistern.

Auch hinsichtlich der Behandelbarkeit des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine psychischen Probleme ist auf dessen eigene Schilderungen zu verweisen, wonach er sich schon mehrfach einer Psychotherapie in Tunesien unterzogen hat (AS 141f). Auch über Vorhalt der Länderinformationen, wonach die medizinische Versorgung mit psychologischen bzw. psychiatrischen Behandlungen in Tunesien gewährleistet ist, erklärte der BF, dass dies grundsätzlich stimme, aber er die Kosten nur schwer tragen könne.

Die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers und die Tatsache, dass er Chancen hat auch hin künftig auf dem tunesischen Arbeitsmarkt unterzukommen, ergibt sich aus seinen Aussagen zu seiner schulischen und beruflichen Laufbahn in Tunesien. Demnach hat der Beschwerdeführer die Matura absolviert und beim Militär und als LKW- Fahrer gearbeitet (AS 139). Es ist naheliegend, dass ihm diese Arbeitserfahrung im Falle seiner Rückkehr von Nutzen sein wird. Soweit nun in der Beschwerde von Seiten der rechtsfreundlichen Vertretung vorgebracht wurde, der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht in der Lage gewesen längerfristig einer Arbeit nachzugehen, so ist anzumerken, dass dies aus den Befragungen nicht hervorgeht. Der Beschwerdeführer leidet nach eigener Aussage nach einem Missbrauchsvorfall in der Kindheit an psychischen Problemen. Diese bestehen schon eine geraume Zeit. Trotzdem war nach eigener Aussage vier Jahre beim Militär angestellt. Der Verdienst dort war dem Beschwerdeführer zu wenig, hätte zum Überleben aber gereicht, vergleiche AS 139, „Es war zum Überleben, aber war zu wenig“). Hinweise, dass der Beschwerdeführer seine jeweiligen Berufe aufgrund der psychischen Probleme aufgegeben hat, ergeben sich nicht. Es ist daher insgesamt von der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers auszugehen.

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund des vorgelegten tunesischen Reisepasses ohne Zweifel fest.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 09.03.2022.

Dass der Beschwerdeführer sich derzeit in Schubhaft befindet ergibt sich aus dem Grundversorgungsauszug vom 16.03.2022.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Eingangs ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt eine konkrete, wie auch immer geartete Bedrohungs- oder Verfolgungshandlung von maßgeblicher Intensität seiner Person gegenüber vorgebracht hat.

Der Beschwerdeführer begründete seinen Antrag zunächst nur mit finanziellen Motiven. So erklärte er in der Erstbefragung, er komme aus einer armen Familie und habe sehr viele finanzielle Probleme. Zudem leide er aufgrund eines sexuellen Missbrauchs im Kindesalter an Depressionen und könne sich die diesbezügliche Behandlung nicht leisten (AS 17).

Auch in der niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer an, er könne nicht nach Tunesien, weil er „riesige finanzielle Probleme habe“. Er habe viele Probleme mit Banken. Über näherer Nachfrage erklärte der Beschwerdeführer zudem, er habe in Österreich nur deswegen einen Asylantrag gestellt, da er offiziell hin- und herreisen wolle. Er wolle nicht in Österreich bleiben, sondern zu seiner Freundin nach Luxemburg (AS 139f).

Es ist für das Bundesverwaltungsgericht schlüssig nachvollziehbar, dass die belangte Behörde dieses Fluchtvorbringen als nicht asylrelevant einstuft. Selbst unter der Annahme, dass der Beschwerdeführer tatsächlich Schulden bei Privatpersonen oder bei Banken hat, ergibt sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts keine asylrelevante Verfolgung oder sonstige Gefährdung des Beschwerdeführers.

Soweit in der Beschwerde geltend gemacht wurde, der Beschwerdeführer müsse sich vor den Personen, welchen er Geld schulde, verstecken und befürchte aufgrund der hohen Schulden auch eine Inhaftierung, ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer im Zuge der persönlichen Vorsprachen keinerlei Vorbringen in diese Richtung erstattet hat. Auch in der Beschwerde selbst finden sich keine substantiierten Schilderungen oder allenfalls Beweismittel, welche auf eine allfällig drohende Inhaftierung oder die Verfolgung durch Privatpersonen, schließen lassen. Der alleinige Hinweis auf die angebliche Verschuldung des Beschwerdeführers reicht für derartige Annahmen nicht aus.

Abgesehen von der Tatsache, dass das Fluchtvorbringen und insbesondere das Vorbringen in der Beschwerde nicht ausreichend substantiiert und nicht asylrelevant ist, lässt sich im Beschwerdevorbringen auch eine Steigerung gegenüber den Vorbringen im Rahmen der Erstbefragung und der niederschriftlichen Befragung erkennen.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner mittlerweile gefestigten Rechtsprechung wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung geäußert hat, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat vergleiche VwGH 14.6.2017, Ra 2017/18/0001). Gleichwohl hat der Verwaltungsgerichtshof aber betont, dass es nicht generell unzulässig ist, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen vergleiche VwGH 25.06.2019, Ra 2018/19/0546; 21.11.2019, Ra 2019/14/0429). Nach allgemeiner Lebenserfahrung sei eben davon auszugehen, dass ein Asylwerber bei Antragstellung jedenfalls bemüht ist, zur Untermauerung einer bestehenden Verfolgungsgefahr sämtliche gravierenden Tatsachen – wenn auch nur kurz umrissen – zur Sprache zu bringen.

Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer allerdings weder in der Erstbefragung noch in der niederschriftlichen Befragung vor der belangten Behörde angesprochen, dass er aufgrund seiner finanziellen Lage Schwierigkeiten mit Privatpersonen hätte, er sich verstecken müsse oder ihm die Inhaftierung drohe. Vielmehr erklärte der Beschwerdeführer immer nur, er habe Schulden und könne sich daher keine dauerhafte Therapie leisten.

Gegen eine wie auch immer geartete Verfolgung des Beschwerdeführers spricht auch die Tatsache, dass er mehrere europäische Staaten durchquerte und nach eigenen Angaben nach Luxemburg reisen wollte. Er habe auch den gegenständlichen Asylantrag nur gestellt um aus der Haft entlassen zu werden und „hin- und herreisen“ zu können. Es wäre anzunehmen, dass eine Person, welche aufgrund einer persönlichen Verfolgung um ihr leibliches Wohl oder ihr Leben fürchtet, bei erster Gelegenheit einen Asylantrag stellt und nicht mehrere sichere Staaten durchquert.

Insgesamt war für das erkennende Gericht damit augenscheinlich, dass der Beschwerdeführer vornehmlich aus wirtschaftlichen Motiven flüchtete um sich ein besseres Leben zu finanzieren. Das ergibt sich auch aus der Gesamtschau aller Aussagen des Beschwerdeführers, in denen er stets seine schlechte wirtschaftliche Lage in den Vordergrund stellte.

Auch, dass er im Falle seiner Rückkehr einer Bedrohung seines Lebens oder Unversehrtheit ausgesetzt wäre, wurde vom Beschwerdeführer nicht dargelegt. Der Beschwerdeführer ist erwerbsfähig und war auch bisher in seinem Heimatstaat berufstätig. Hinsichtlich seiner ehemaligen Tätigkeit beim Militär sagte er explizit aus, er habe genug zum Überleben verdient. Er sollte daher im Falle seiner Rückkehr jedenfalls durch die Aufnahme einer Tätigkeit seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Seine berufliche Erfahrung sollte ihm dabei zugutekommen. Aus den Länderfeststellungen und dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist zudem ersichtlich, dass die Behandlung psychischer Erkrankungen in Tunesien möglich ist und der Beschwerdeführer bisher auch wiederholt in der Lage war diese zu organisieren.

Soweit in der Beschwerde ausgeführt wurde, der Beschwerdeführer würde in Tunesien zunehmend in eine ausweglose Lage geraten, da er die Behandlung seiner Depression dort nicht bezahlen könne und aufgrund dieser arbeitsunfähig werden und weiter Schulden anhäufen würde, so ist anzuführen, dass sich wie oben ausgeführt keine Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers auf Basis seiner Erkrankung ergibt. Auch eine akute und unmittelbare Behandlungsbedürftigkeit der Depression, sodass der Beschwerdeführer ohne durchgehende Psychotherapie in eine ausweglose oder lebensbedrohliche Situation geraten würde, ergibt sich für das erkennende Gericht nicht. Vielmehr war der Beschwerdeführer auch bisher nur mit Unterbrechungen in Therapie und trotzdem arbeitsfähig und über Nachfrage in der Lage sein Leben zu meistern (AS 141f).

Es wird nicht verkannt, dass die wirtschaftliche Lage in Tunesien schwierig ist, allerdings gilt die Grundversorgung in Tunesien als gut. Es existiert ein an ein sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem. Zudem gibt es ein Sozialsystem, welches zwar keine großzügigen Leistungen anbietet, aber dennoch einen gewissen Grundschutz für Bedürftige, Alte und Kranke darstellt, soweit diese bereits zuvor einmal Sozialversichert waren. Der Deckungsgrad beträgt 95%. Es werden unter anderem staatliche Hilfen in Form von Renten, Arbeitslosengeld, Invalidenrente, Hilfen für arme Familien und Erstattung der Sach- und Personalkosten bei Krankenbehandlung angeboten. Auch die medizinische Versorgung ist grundsätzlich gewährleistet, auch wenn Krankenhäuser derzeit aufgrund der Corona-Pandemie an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen und die kostenfreie Versorgung in allgemeinen Krankenhäusern häufig nicht das westliche Niveau erreicht. Diesbezüglich darf zudem festgehalten werden, dass auch in Österreich keine längerfristige kostenfreie bzw. kostengünstige psychologische Behandlung für die gesamte Bevölkerung gewährleistet ist.

Zudem kann der Beschwerdeführer in seinem Heimatstaat auf ein breites familiäres Netzwerk zurückgreifen. Auch wenn die Familie des Beschwerdeführers ihn aufgrund der eigenen finanziellen Lage nicht dauerhaft in wirtschaftlicher Hinsicht unterstützen kann, so kann er doch im Falle seiner Rückkehr auf dieses soziale Netzwerk zurückgreifen und allenfalls anfänglich bei einem seiner Verwandten unterkommen. Dies wird ihm die Wiedereingliederung und die berufliche Verfestigung im Heimatstaat erleichtern. So bezieht insbesondere der Vater Pension und verfügt über eine Mietwohnung.

2.4. Zum Herkunftsstaat:

Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material vergleiche VwGH 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).

Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht substantiiert entgegen.

Aufgrund der Kürze der verstrichenen Zeit zwischen der Erlassung des bekämpften Bescheides und der vorliegenden Entscheidung ergeben sich keine Änderungen zu den im bekämpften Bescheid getroffenen Länderfeststellungen. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich daher diesen Feststellungen vollinhaltlich an.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1.       Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Absch A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Artikel eins, Absch A Ziffer 2, GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Artikel eins, Absch A Ziffer 2, GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinaus geht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Der Beschwerdeführer gründete seine Flucht vornehmlich auf wirtschaftliche Motive. Ihm ist es damit nicht gelungen, eine konkrete und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung von maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 3, Absatz eins, AsylG als unbegründet abzuweisen.

3.2.       Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein – über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes – "real risk" einer gegen Artikel 3, EMRK verstoßenden Behandlung droht vergleiche VwGH 28.06.2011, 2008/01/0102). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 15.12.2010, 2006/19/1354; 31.05.2005, 2005/20/0095, 31.03.2005, 2002/20/0582).

Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Artikel 3, EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Artikel 3, EMRK angenommen werden kann (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 19.11.2015, Ra 2015/20/0174 ua). Das Vorliegen solche exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen vergleiche VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 07.09.2016, Ra 2015/19/0303 ua).

Dem Beschwerdeführer droht in Tunesien - wie oben bereits dargelegt wurde - keine asylrelevante Verfolgung.

Auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Tunesien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Artikel 3, EMRK überschritten wäre, gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt. Der Beschwerdeführer ist volljährig und arbeitsfähig. Er verfügt über ein soziales Netzwerk, eine umfassende Schulbildung und einiges an Berufserfahrung.

Hinsichtlich der psychischen und finanziellen Probleme des Beschwerdeführers ist auf die beweiswürdigenden Ausführungen und die Länderfeststellungen zu verweisen. Auch aus diesen ergibt sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts keine Gefahr für den Beschwerdeführer in eine ausweglose Situation zu geraten.

Damit ist der Beschwerdeführer durch die Abschiebung nach Tunesien nicht in seinem Recht gemäß Artikel 3, EMRK verletzt, weil die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber seiner Situation in Tunesien bessergestellt ist, genügt nicht für die Annahme, er würde in Tunesien keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Hierfür fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.

Ganz allgemein besteht in Tunesien derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Artikel 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPEMRK) ausgesetzt wäre. Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden und ergeben sich auch nicht aus dem amtliches Wissen darstellenden Länderinformationsblatt für Tunesien, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein reales Risiko einer gegen Artikel 2, oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes römisch II. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG abzuweisen war.

3.3.       Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß Paragraph 58, Absatz eins, AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Ziffer 2,) oder wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt (Ziffer 5,). Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, AsylG hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 55, AsylG (Aufenthaltstitel aus Gründen des Artikel 8, EMRK) von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraphen 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen (Paragraph 58, Absatz 3, AsylG). Auch wenn der Gesetzgeber das Bundesamt im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung zur Prüfung und spruchmäßigen Erledigung der Voraussetzungen der Paragraphen 55 und 57 AsylG von Amts wegen, dh auch ohne dahingehenden Antrag des Beschwerdeführers, verpflichtet, ist die Frage der Erteilung eines solchen Titels auch ohne vorhergehenden Antrag im Beschwerdeverfahren gegen den negativen Bescheid durchsetzbar und daher Gegenstand der Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vergleiche VwGH 28.01.2015, Ra 2014/20/0121).

Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer einen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden, noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit mindestens einem Jahr im Sinne des Paragraph 46, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt im Sinne des Paragraph 57, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG. Ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG war daher nicht zu erteilen.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes römisch III. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 57, AsylG, abzuweisen war.

3.4.       Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch IV. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß Paragraph 52, Absatz eins, Ziffer eins, FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (Paragraph 10, AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß Paragraph 9, Absatz eins, BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere die in Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer eins bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Zu prüfen ist, ob die von der belangten Behörde verfügte Rückkehrentscheidung mit Artikel 8, EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach Paragraph 55, AsylG überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Artikel 8, EMRK ist aus folgenden Gründen gegeben:

Der Beschwerdeführer ist nach eigner Aussage erst seit 16.01.2022 in Österreich aufhältig. Dieser kurze Aufenthalt des Beschwerdeführers beruhte dessen ungeachtet auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb dieser während der gesamten Daher des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann. Zudem befindet sich der Beschwerdeführer seit 20.01.2022 in Schubhaft.

Der Beschwerdeführer führt – wie die belangte Behörde zu Recht ausführt – nach eigenen Angaben keine Lebensgemeinschaft oder eine „familienähnliche“ Beziehung in Österreich. Es fehlen alle Sachverhaltselemente, aus denen sich die Existenz gewisser relevanter privater Bindungen allenfalls hätte ergeben können (wie etwa Teilnahme am Erwerbsleben und am sozialen Leben in Österreich, Selbsterhaltungsfähigkeit, Erwerb von nachweisbaren Sprachkenntnissen). Gleichzeitig hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat, sprachliche und kulturelle Verbindungen und auch familiäre Anknüpfungspunkte. Das Gewicht seiner allfälligen privaten Interessen wird daher dadurch gemindert, dass sie in einem Zeitpunkt entstanden, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war vergleiche VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721; 30.04.2009, 2009/21/0086; VfSlg. 18.382/2008 mHa EGMR 24.11.1998, 40.447/98, Mitchell; EGMR 11.04.2006, 61.292/00, Useinov).

Soweit der Beschwerdeführer erklärte, er habe eine Freundin in Luxemburg und wolle dort hinreisen, ist auszuführen, dass diese allfällige Beziehung im Gebiet eines EU-Mitgliedsstaates im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer geschilderte Dauer und mangels Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes nicht als relevantes Privatleben iSd Artikel 8, EMRK gewertet werden kann. Dem BF bleibt es zudem unbenommen, sich unter Einhaltung der nach luxemburgischen Recht geltenden Einwanderungsbestimmungen dort nieder zu lassen oder seine Freundin dort zu besuchen. Ein Einreise- oder Aufenthaltsverbot, welches sich auf sämtliche Mitgliedsstaaten der europäischen Union beziehen würde, wurde gegen ihn nicht verhängt.

Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich stehen öffentliche Interessen gegenüber.

Ihm steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind – gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz – auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden.

Der Beschwerdeführer gab offen zu, den gegenständlichen Asylantrag nur gestellt zu haben, da er hoffte, so weiter durch Europa reisen zu können. Dieses Verhalten zeugt davon, dass der Beschwerdeführer nicht gewillt ist, sich an das österreichische oder europäische Einwanderungsrecht zu halten.

Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung – und damit eines von Artikel 8, Absatz 2, EMRK erfassten Interesses – ein hoher Stellenwert zukommt vergleiche zB VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086), schwerer als die schwach ausgebildeten privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.

Ebenso wenig vermag die strafgerichtliche Unbescholtenheit seine persönlichen Interessen entscheidend zu stärken (VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG als unzulässig angesehen werden, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Paragraph 55, AsylG nicht in Betracht kommt.

Die sonstigen Voraussetzungen einer Rückkehrentscheidung nach Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG und Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG sind erfüllt. Sie ist auch sonst nicht (zB vorübergehend nach Artikel 8, EMRK, vergleiche Paragraph 9, Absatz 3, BFA-VG und VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146) unzulässig. Der Beschwerdeführer verfügt auch über kein sonstiges Aufenthaltsrecht.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes römisch IV. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG und Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG abzuweisen war.

3.5.       Zum Ausspruch, dass die Abschiebung nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.):

Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß Paragraph 50, Absatz eins, FPG unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, oder 3 EMRK oder deren 6. bzw 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß Paragraph 50, Absatz 2, FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach Paragraph 50, Absatz 3, FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Im vorliegenden Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß Paragraph 50, Absatz eins, FPG unzulässig wäre.

Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach Paragraph 52, Absatz 9, FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach Paragraph 52, Absatz 9, FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen vergleiche dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse VwGH 19.02.2015, Ra 2015/21/0005 und 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 – 0062).

Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des Paragraph 50, Absatz 2, FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Weiters steht keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Abschiebung entgegen.

Die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Tunesien erfolgte daher zu Recht.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes römisch fünf. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 52, Absatz 9, FPG abzuweisen war.

3.6.       Zum Ausspruch, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt römisch VI. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß Paragraph 55, Absatz eins a, FPG besteht ua eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht, wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß Paragraph 18, BFA-VG durchführbar wird. Hierunter fallen neben Verfahren, in denen einer Beschwerde ex lege keine aufschiebende Wirkung zukam, auch die Verfahren, in denen das BFA die aufschiebende Wirkung aberkannt hat und in denen jeweils keine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das Bundesverwaltungsgericht gemäß Paragraph 18, Absatz 5, BFA-VG erfolgt ist.

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde einer Beschwerde gegen den bekämpften Bescheid vom 08.02.2022 die aufschiebende Wirkung – zu Recht, wie unten auszuführen sein wird – aberkannt.

Nach Paragraph 18, Absatz 5, BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom BFA aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK, Artikel 8, EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Wie bereits oben erörtert, besteht bei der Rückkehr des Beschwerdeführers nach Tunesien keine Gefahr, dass diesem die Todesstrafe, die Folter, eine unmenschliche Behandlung oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes drohen. Ein von Artikel 8, EMRK geschützter Eingriff in sein Privat- und Familienleben ist ebenfalls mangels Bestehens eines schützenswerten Privat- und Familienleben in Österreich nicht zu befürchten. Die nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes durchzuführende Interessensabwägung zwischen den Interessen des Beschwerdeführers und jenen Österreichs ergibt, wie bereits oben ausgeführt, einen Überhang der Interessen Österreichs an der unverzüglichen Vollstreckung des bekämpften Bescheides. Damit waren keine Gründe für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß Paragraph 18, Absatz 5, BFA-VG gegeben.

Zu Recht hat daher die belangte Behörde Paragraph 55, Absatz eins a, FPG zur Anwendung gebracht. Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes römisch IV. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG abzuweisen war.

3.7         Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt römisch VII. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer eins, BFA-VG kann vom BFA einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (Paragraph 19, BFA-VG) stammt. Sichere Herkunftsstaaten sind ua die Herkunftsstaaten, die mit Verordnung der Bundesregierung als sichere Herkunftsstaaten festgestellt wurden (Paragraph 19, Absatz 5, Ziffer 2, BFA-VG).

Nach Paragraph eins, Ziffer 11, Herkunftsstaaten-Verordnung, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 177 aus 2009,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 130 aus 2018, gilt Tunesien als sicherer Herkunftsstaat.

Die nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes durchzuführende Interessensabwägung zwischen den Interessen des Beschwerdeführers und jenen Österreichs ergibt ein Überwiegen der Interessen Österreichs an der unverzüglichen Vollstreckung des bekämpften Bescheides, weshalb die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen den gegenständlichen bekämpften Bescheid zulässig war.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes römisch VII. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 18, Absatz eins, BFA-VG abzuweisen war.

4.           Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

Gemäß Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in Paragraph 20, BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem VwG durchzuführen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (VwGH 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das VwG (VwGH 16.02.2017, Ra 2016/05/0038). Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG 2014 erlaubt andererseits das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn – wie im vorliegenden Fall – deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; 22.01.2015, Ra 2014/21/0052 ua). Diese Regelung steht im Einklang mit Artikel 47, Absatz 2, GRC (VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).

Die vorgenannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist – aufgrund des Umstandes, dass zwischen der Entscheidung durch die belangte Behörde und jener durch das Bundesverwaltungsgericht knappe 5 Wochen liegen – die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Bundesverwaltungsgericht zur Gänze angeschlossen. Das Beschwerdevorbringen wirft keine neuen oder noch zu klärenden Sachverhaltsfragen auf. Er ist aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes in Verbindung mit der Beschwerde geklärt, weshalb keine neuen Beweise aufzunehmen waren.

Das Bundesverwaltungsgericht musste sich auch keinen persönlicher Eindruck vom verschaffen, da selbst unter Berücksichtigung aller zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Fakten auch dann für den Beschwerdeführer kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Bundesverwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft, weshalb eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233; 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 bis 0423, Ra 2017/19/0424).

Zudem liegt ein Verfahren nach Paragraph 18, BFA-VG vor, welches das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet innert 7 Tagen zu entscheiden, es sei denn es lägen Gründe vor, die aufschiebende Wirkung nach Paragraph 18, Absatz 5, BFA-VG zuzuerkennen. Dies war im gegenständlichen Fall – wie oben dargelegt – aber nicht gegeben.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG in Verbindung mit Paragraph 24, VwGVG unterbleiben.


Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2022:I407.2252598.1.00